Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Sie Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zu unserer 134. Plenarsitzung und
rufe den Tagesordnungspunkt 26 sowie den Zusatzpunkt 2 auf:
26. - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Michael Brand, Kerstin Griese,
Kathrin Vogler, Dr. Harald Terpe und weiteren
Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung
Drucksache 18/5373
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann,
Dr. Karl Lauterbach, Burkhard Lischka und
weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung ({0})
Drucksache 18/5374
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Dr. Petra Sitte,
Kai Gehring, Luise Amtsberg und weiteren
Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur
Selbsttötung
Drucksache 18/5375
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Patrick Sensburg, Thomas
Dörflinger, Peter Beyer, Hubert Hüppe und
weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Strafbarkeit
der Teilnahme an der Selbsttötung
Drucksache 18/5376
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Drucksache 18/6573
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Keul, Dr. Sabine Sütterlin-Waack, Brigitte
Zypries, Matthias W. Birkwald und weiterer
Abgeordneter
Keine neuen Straftatbestände bei Sterbe-
hilfe
Drucksache 18/6546
Wir schließen, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit
der heutigen Debatte eine längere, gründliche, sorgfältige
parlamentarische Beratung zum Thema „rechtliche Rah-
menbedingungen für Sterbebegleitung bzw. Sterbehilfe“
vorläufig ab. Viele werden die Vermutung teilen, dass die
öffentliche Debatte damit sicher nicht zu Ende sein wird.
Ich will aber, weil dies ja auch für die nicht ganz einfa-
chen Verfahrensfragen von Bedeutung ist, daran erinnern,
dass wir die parlamentarische Befassung mit dem Thema
nicht mit der Einbringung von Gesetzentwürfen begonnen
haben, sondern mit einer Orientierungsdebatte, die uns
wechselseitig über die vielfältigen Aspekte dieses Themas
aufklären und für die denkbaren Lösungsalternativen sen-
sibilisieren sollte, mit dem Ergebnis, dass aus dieser Be-
fassung des Plenums vier Gesetzentwürfe entstanden sind,
die sich auch als konkurrierende Lösungen verstehen. Es
hätten prinzipiell auch mehr oder weniger Gesetzentwürfe
sein können als die vier, die dann nach intensiver Befas-
sung verschiedener, besonders engagierter Kolleginnen
und Kollegen am Ende tatsächlich entstanden sind.
Diese vier konkurrierenden Gesetzentwürfe zur Ster-
bebegleitung liegen heute in zweiter und dritter Lesung
zur Beratung und Entscheidung vor. Sie sind jeweils von
fraktionsübergreifenden Gruppen eingebracht worden.
Der Bundestag muss sich also für einen dieser Gesetz-
entwürfe entscheiden, oder er kann gegebenenfalls alle
vier Gesetzentwürfe ablehnen. Weiterhin liegt ein Antrag
vor, der eine gesetzliche Regelung ausdrücklich nicht für
erforderlich hält.
Nach intensiven Beratungen der Gruppen untereinan-
der ist eine Einigung über die Abstimmungsreihenfolge
dieser Gesetzentwürfe nicht zustande gekommen. Es gibt
aber ein Einvernehmen aller Initiatoren, auch in Verbin-
dung mit den Parlamentarischen Geschäftsführern aller
Fraktionen, auf dem Wege eines Stimmzettelverfahrens
die notwendigen Abstimmungen über diese Gesetzent-
würfe durchzuführen. Dieses Verfahren haben wir in der
Vergangenheit bei ähnlichen Fragen bereits angewendet.
Der Ältestenrat hat sich gestern noch einmal sehr in-
tensiv mit den damit verbundenen Verfahrensfragen, den
damit auch verbundenen Implikationen befasst und ist
übereingekommen, dem Bundestag - dem Verfahrens-
vorschlag der Initiatoren, also der Gruppen, folgend - die
Durchführung eines Stimmzettelverfahrens zur Entschei-
dung vorzulegen.
Wir weichen damit von dem im Gesetzgebungsverfah-
ren sonst üblichen Verfahren ab, nämlich die Vorlagen
der Reihenfolge nach abzustimmen und über jeden ein-
zelnen Gesetzentwurf gesondert zu befinden. Für diese
Abweichung von der Geschäftsordnung ist gemäß § 126
unserer Geschäftsordnung eine Zustimmung von zwei
Dritteln der anwesenden Mitglieder des Bundestages er-
forderlich.
Sollte dieser Verfahrensvorschlag nicht die notwendi-
ge Zweidrittelmehrheit finden, werde ich - wie gestern
im Ältestenrat vereinbart und von allen Beteiligten ak-
zeptiert - einen Vorschlag für eine Abstimmungsreihen-
folge dieser Gesetzentwürfe vorlegen, über den wir dann
auch abstimmen würden, weil es beinahe absehbar ist,
dass auch das nicht jedem einleuchtet und andere Präfe-
renzen vorhanden sein könnten, um sicherzustellen, dass
wir auf dem einen oder anderen der beiden denkbaren
Verfahrenswege heute jedenfalls zu einem Abschluss
dieses Gesetzgebungsverfahrens kommen können.
Bevor wir zur Abstimmung über das vorgeschlagene
Stimmzettelverfahren kommen, möchte ich Ihnen dieses
skizzieren, damit auch jeder weiß, auf welche Abstimmungs-
prozedur er sich am Ende unserer Debatte einzustimmen
hat: Alle vier Gesetzentwürfe werden auf einem Stimmzet-
tel gleichzeitig zur Abstimmung gestellt, verbunden mit der
Möglichkeit, mit „Nein gegenüber allen Gesetzentwürfen“
oder mit „Enthaltung gegenüber allen Gesetzentwürfen“ zu
stimmen. Dabei kann nur ein Kreuz gemacht werden. Eine
dieser Optionen - entweder einer der vorliegenden Gesetz-
entwürfe oder keiner der Gesetzentwürfe oder Enthaltung -
kann jeweils angekreuzt werden.
Die erforderliche Mehrheit für einen Entwurf ist er-
reicht, wenn dieser mehr Jastimmen als die anderen Vor-
lagen erhält, zuzüglich der Neinstimmen.
Falls kein Entwurf im ersten Durchgang dieses
Stimmzettelverfahrens die Mehrheit erhält, kommt es in
einem zweiten Abstimmungsgang zur Abstimmung über
die beiden bestplatzierten Gesetzentwürfe. Dieser würde
wiederum mithilfe eines Stimmzettelverfahrens durchge-
führt. Dabei gibt es wieder die Möglichkeit, einen der
verbleibenden Gesetzentwürfe anzukreuzen oder mit
Nein oder Enthaltung zu votieren.
Erhält auch im zweiten Abstimmungsgang keiner der
beiden Gesetzentwürfe die erforderliche Mehrheit, müss-
te anschließend über den Gesetzentwurf mit dem besse-
ren Ergebnis abgestimmt werden. Das erfolgt mit unseren
üblichen Namensstimmkarten. Würde in dieser namentli-
chen Abstimmung der verbleibende Gesetzentwurf nicht
die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten, wäre er
damit in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfiele nach
unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung.
Wird einer dieser Gesetzentwürfe in zweiter Bera-
tung angenommen, folgt unmittelbar die dritte Beratung,
in der ebenfalls namentlich abgestimmt wird. Über die
in zweiter Beratung ausgeschiedenen Gesetzentwürfe
wird nach der Logik dieses Verfahrens nicht weiter ab-
gestimmt.
Der Antrag, den die Kollegin Keul zusammen mit
anderen Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen
Fraktionen eingebracht hat, wird nur abgestimmt, wenn
keiner dieser vier Gesetzentwürfe eine Mehrheit erhalten
hat. Im anderen Fall hat er sich einvernehmlich erledigt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Vorschlag
aller vier Gruppen, auch mit der Empfehlung des Ältes-
tenrates, über die vier Gesetzentwürfe abweichend von
unserer Geschäftsordnung in einem Stimmzettelverfah-
ren Beschluss zu fassen. Es ist vereinbart, dass wir das
in einer namentlichen Abstimmung tun. Dafür brauchen
wir, wie bereits erläutert, eine Zweidrittelmehrheit der
anwesenden Mitglieder.
Achten Sie bitte darauf, wenn Sie Ihre Stimmkarten
holen, dass Sie eine Stimmkarte in der Hand halten, die
Ihren Namen trägt.
Ich darf nun die Schriftführerinnen und Schriftführer
bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle
Urnen besetzt? - Das ist offenkundig der Fall. Dann er-
öffne ich die Abstimmung.
Darf ich fragen, ob alle im Raum anwesenden Kolle-
ginnen und Kollegen ihre Stimmkarte abgegeben haben?
- Ich sehe jedenfalls keine gegenteiligen Anzeigen. Dann
schließe ich damit die namentliche Abstimmung. Ich bit-
te um Auszählung.1)
Wir unterbrechen kurz, bis das Ergebnis der namentlichen Abstimmung ermittelt ist, weil davon der weitere
Verfahrensgang abhängt.
({2})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich
darf Sie bitten, Platz zu nehmen.
Darf ich noch einmal darum bitten, Platz zu nehmen?
Herr Kollege Sensburg, vielleicht beispielhaft für die
anderen Antragsteller? Das bringt uns dann gleich eine
erhebliche Verbesserung der Übersicht hier im Plenum.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Anwendung des Stimmzettelver-
fahrens unter Abweichung von der Geschäftsordnung be-
kannt: abgegebene Stimmen 583. Mit Ja haben gestimmt
522, mit Nein haben gestimmt 61, Enthaltungen gibt es
keine. Damit ist die erforderliche Zweidrittelmehrheit
der anwesenden Mitglieder für die Abweichung von der
Geschäftsordnung nicht nur erkennbar erreicht, sondern
deutlich überboten.
1) Ergebnis Seite 13067
Präsident Dr. Norbert Lammert
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon
ja: 525
nein: 61
enthalten: 0
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E. Fischer
({2})
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({3})
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({5})
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Markus Koob
Carsten Körber
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Reiner Meier
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({7})
Stefan Müller ({8})
Dr. Gerd Müller
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({10})
Gabriele Schmidt ({11})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({12})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster
({13})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({14})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({15})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({16})
Sabine Weiss ({17})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({18})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({19})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Hubertus Heil ({20})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({21})
Thomas Hitschler
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({22})
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({23})
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({24})
Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({25})
Florian Pronold
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({26})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({27})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({28})
Matthias Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Carsten Schneider ({31})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({32})
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Roland Claus
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Nord
Martina Renner
Michael Schlecht
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Volker Beck ({33})
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Stephan Kühn ({34})
Markus Kurth
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({35})
Manuel Sarrazin
Kordula Schulz-Asche
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Beate Walter-Rosenheimer
Nein
CDU/CSU
Norbert Brackmann
Dr. Egon Jüttner
Kordula Kovac
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Johann Wadephul
Dr. Matthias Zimmer
SPD
Sören Bartol
Petra Crone
Dr. Jens Zimmermann
DIE LINKE
Christine Buchholz
Sevim Dagdelen
Nicole Gohlke
Inge Höger
Kerstin Kassner
Thomas Lutze
Birgit Menz
Niema Movassat
Norbert Müller ({36})
Dr. Alexander S. Neu
Richard Pitterle
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Harald Weinberg
Sabine Zimmermann
({37})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({38})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Uwe Kekeritz
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn ({39})
Monika Lazar
Steffi Lemke
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Friedrich Ostendorff
Tabea Rößner
Corinna Rüffer
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Valerie Wilms
Ich will das gerne zum Anlass nehmen, mich noch einmal ausdrücklich bei allen gestern Beteiligten, bei den
Vertretern der Gruppenanträge und allen Mitgliedern des
Ältestenrates, zu bedanken für das erkennbare gemeinsame Bemühen, einen Verfahrensweg zu finden, der es
uns erspart, die schwierige und ernsthafte Debatte über
die Sache mit einer Verfahrensauseinandersetzung zu belasten, sodass wir jetzt zügig in die inhaltliche Beratung
eintreten können.
({40})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine
Debattenzeit von insgesamt 135 Minuten vorgesehen,
die wie in vergleichbaren Fällen nach dem Stärkeverhält-
nis der Initiativen verteilt werden soll. Darüber hinaus
gibt es die Vereinbarung, wiederum wie in vergleichba-
ren Fällen, dass die Kolleginnen und Kollegen, deren
Redewunsch in diesem Zeitrahmen nicht berücksichtigt
werden kann, in einem einer Redezeit von fünf Minuten
entsprechenden Umfang ihre Reden zu Protokoll geben
können. Ich darf Sie zu beiden Vereinbarungen fragen,
ob Sie damit einverstanden sind. - Das ist offenkundig
der Fall. Dann können wir so verfahren.1)
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Michael Brand.
({41})
Einen kleinen Augenblick noch, Herr Kollege Brand. Ein Hinweis noch, damit nicht zwischenzeitlich Irritationen entstehen: Gegen Ende der Aussprache werden die
Stimmzettel verteilt oder in den Fächern verfügbar sein,
die Sie für den späteren Abstimmungsgang verwenden
können. Das werden wir dann noch einmal erläutern.
Da trägt jeder seinen Namen ein, sodass wir auf diese
Weise ein namentliches Stimmverfahren haben. Ich sage
das nur, damit wir in der Zwischenzeit hier nicht möglicherweise verzweifelt umherirrende Kollegen haben, die
nach dem Stimmzettel suchen, den es sicher gibt.
So, bitte schön, Herr Kollege Brand.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist ein besonderer Tag: Der Deutsche Bundestag
entscheidet über ein sensibles Thema, das kein Weiß und
kein Schwarz kennt, sondern viele verschiedene Facetten
hat.
Nach über einem Jahr intensiver Debatte möchte ich
vor allem mit einem Dank beginnen. Nicht nur hier im
Parlament, sondern auch in vielen Veranstaltungen, quer
durch unser Land, in Gesprächen in Familien und unter
Freunden ist das Thema Sterben ein gutes Stück aus der
Tabuzone geholt worden, sozusagen in die Mitte der Ge-
sellschaft zurückgebracht worden. Es wird heute mehr
über menschliche Sterbebegleitung gesprochen, über
Ängste, über Hoffnungen. Oft waren es die Zwischen-
töne, die den Unterschied ausgemacht haben. Und man-
che sehr persönlichen Gespräche haben tief in uns etwas
bewegt. Für diesen Zugewinn an Menschlichkeit können
wir dankbar sein.
Gerade diese Gespräche und die Begegnungen haben
gezeigt: Es wird so unendlich vieles an menschlicher
Hilfe und an Zuwendung erbracht von Familienange-
hörigen, von Ehrenamtlichen, von Hauptamtlichen in
Hospizen, in Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen,
in Palliativteams und an vielen anderen Stellen. Das ist
beeindruckend und verdient unseren Respekt. Deswegen
sage ich, sicherlich auch im Namen aller hier, einen tief
1) Anlage 4
empfundenen Dank für das, was tagtäglich in unserem
Land an Mitmenschlichkeit geleistet wird.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der heutigen
Entscheidung ist es wichtig, dass wir alle wissen, worüber wir entscheiden, und auch, worüber wir nicht entscheiden. Die Hilfen stark ausbauen und den Missbrauch
stoppen - das ist, kurz gesagt, das Kernanliegen unserer
Gruppe mit Unterstützern aus allen Fraktionen.
Einen großen Schritt bei den Hilfen haben wir gestern
beschlossen. Heute ist der Gesetzgeber aufgerufen, den
Missbrauch zu stoppen, auch deshalb, weil es nicht vor
allem nur um Kusch und Co. geht: Es geht im Kern um
eine Verschiebung einer wichtigen Achse unserer Gesellschaft. Es geht auch um den Schutz von Menschen vor
gefährlichem Druck durch gefährliche geschäftsmäßige
Angebote zur Suizidbeihilfe.
Wir können diese Debatte zum Thema Suizidbeihilfe
nicht zum Abschluss bringen, ohne den Grund für ihren
Beginn zu beachten. Es stimmt, was ein profilierter Beobachter dieser Tage festgestellt hat - ich will das zitieren -:
Der Bundestag sollte sich wieder auf den Ausgangspunkt konzentrieren, der das Gesetzgebungsverfahren in dieser Frage ausgelöst hat. Gesetzgeberischer
Handlungsbedarf ist dadurch entstanden, dass sich
Anbieter in Deutschland etablieren, die geschäftsmäßig für Suizidassistenz werben und damit den
Suizid fördern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht im Kern um
die Alternative: eine maßvolle Änderung oder Laufenlassen mit der Konsequenz der Ausbreitung. Nach dieser
Debatte bleibt nichts, wie es war, auch nicht nach dem
heutigen Tag. Denn selbst wenn wir nichts entscheiden
würden, hat unser Signal heute Auswirkungen auf die
gesellschaftliche Entwicklung in dieser wichtigen Frage.
Der niederländische Autor Gerbert van Loenen hat
dieser Tage gewarnt: Die deutsche Debatte erinnere ihn
an die Anfänge der niederländischen Debatte. Er sagt
rückblickend, dass in den Niederlanden gerade am Beginn entscheidende Fehler begangen wurden. Dass Angebot auch bei Sterbehilfe Nachfrage schafft, haben wir
doch durch die Entwicklungen in den Nachbarländern
erfahren; das hat sich dort gezeigt. Die Erfahrung lehrt
auch, dass die angeblich engen Kriterienkataloge nicht
halten.
Wenn wir heute nichts entscheiden würden, wäre die
geschäftsmäßige Suizidbeihilfe deutlich gestärkt, sie
würde sich weiter ausbreiten. Deshalb schlagen wir heute
eine moderate Regelung vor, die sehr präzise nur dieses
gefährliche Phänomen unterbindet. Dabei haben wir sehr
genau darauf geachtet, dass ärztliche Freiräume erhalten
bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Bereiche,
in denen das Strafrecht schlicht schweigen muss. Der
Gesetzgeber kann und er sollte auch nicht jeden einzelPräsident Dr. Norbert Lammert
nen Fall regeln wollen. Der Präsident der renommierten
Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, die Deutsche PalliativStiftung, der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband und andere haben eindeutig bestätigt: Unser
Gesetzentwurf beinhaltet keine Kriminalisierung von
Ärzten.
({1})
Die Bundesärztekammer hat es in einem Schreiben an
alle Abgeordneten - ich zitiere - nach „eingehender inhaltlicher und rechtlicher Prüfung“ ungewöhnlich klar
formuliert: Die Behauptung der Kriminalisierung der
Ärzte ist nicht wahr und - auch das zitiere ich - „dient
ausschließlich der Verunsicherung der Abgeordneten und
auch einiger Ärzte“.
Es ist uns im Gegenteil in den intensiven Beratungen
der letzten anderthalb Jahre zu unserem Gesetzentwurf
gelungen, präzise die Trennung zu ziehen zwischen zum
Beispiel Ärzten, die in schweren Situationen nach ihrem
Gewissen handeln, und anderen, die es darauf anlegen,
geschäftsmäßig mit Absicht und auf Wiederholung angelegt die Suizidbeihilfe zu fördern. Wir brauchen stattdessen menschliche Zuwendung, manchmal sollte man
einfach nur zuhören oder mal die Hand halten. Der Lebenswille kann auch dadurch dahinschwinden, wenn
man sich einsam oder nicht mehr gebraucht fühlt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns kann
einmal selbst in eine ausweglose Situation kommen. Die
FAZ hat am gestrigen Donnerstag einen besonders eindrücklichen Fall veröffentlicht. Ich möchte ihn hier zum
Schluss kurz beschreiben. Viele hier kennen den sehr anrührenden französischen Film Ziemlich beste Freunde.
Der Film beruht auf der wahren Geschichte eines sehr
erfolgreichen und bekannten Unternehmers, der nach
einem Absturz beim Gleitflug vor 20 Jahren vom Hals
abwärts komplett gelähmt ist. Er wollte deshalb nicht
weiterleben, aber er fand laut seiner Aussage niemanden,
der ihm beim Suizid half. Für einen derart gelähmten
Menschen sei ein Suizid eben kompliziert zu bewerkstelligen. In diesen Tagen sagte er - auch das will ich zum
Schluss zitieren -:
Heute würde ich mein Leben niemals aufgeben wollen. Im Gegenteil: Die wiederkehrenden Debatten
um eine Vereinfachung der Sterbehilfe ängstigen
mich. Ich fürchte manchmal, unsere Gesellschaft
könnte in ihrem Optimierungswahn einen Automatismus dieser Methode akzeptieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Perspektivwechsel, dieses Beispiel eines sehr selbstbewussten
Menschen zeigt: Niemand - niemand! - ist unter Druck
vor Fehlschlüssen sicher. So wie wir gestern die Hilfen
für sterbende Menschen deutlich gestärkt haben, so müssen wir heute den Schutz von Menschen in subjektiv auswegloser Lage stärken. Wir müssen diesen Schritt heute
tun. Ich bitte Sie und ich bitte euch, ihn mit uns gemeinsam zu gehen.
({2})
Bevor die Kollegin Griese das Wort bekommt, will ich
gleich an dieser Stelle auf ein Problem aufmerksam machen, das vermutlich alle Redner haben werden, nämlich
auf das Problem, ein so komplexes Thema in fünf Minuten zu vermitteln. Nur, würde ich in jedem Falle nicht nur
dem Wunsch des jeweiligen Redners oder der Rednerin,
sondern sicher auch dem eigenen Verständnis für den Zusammenhang nachgeben, würde der Zeitrahmen, den wir
gerade beschlossen haben, explodieren. Wir haben uns
auf ein Abstimmungsverfahren verständigt, das sehr zeitaufwändig ist und das auch mit Blick auf sonstige Dispositionen berücksichtigt werden muss. Deswegen noch
einmal meine herzliche Bitte - auch wenn es schwer
ist -, sich um die Einhaltung der FünfMinutenRegel zu
bemühen.
Bitte schön, Frau Griese.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach intensiver Beschäftigung mit den Themen Sterbehilfe, Sterbebegleitung und assistierter Suizid kommen wir heute zu
einer Entscheidung im Bundestag. Wie viele Abgeordnete habe auch ich Hospize und Palliativstationen besucht,
mit Ärztinnen und Ärzten, mit Juristinnen und Juristen
gesprochen. Ich habe auch über meine eigenen Vorstellungen vom Ende des Lebens nachgedacht.
Ich denke, wenn wir es geschafft haben - vielleicht
auch durch die Debatten in diesem Haus -, dass in den
Familien und Nachbarschaften, in den Freundeskreisen
und Vereinen wieder mehr darüber geredet wird, wie wir
über das Sterben denken und wie wir füreinander sorgen
können, dann hat diese Debatte schon einen guten und
wichtigen Fortschritt erzielt. Deshalb einen ganz herzlichen Dank an alle, die sich beteiligt haben, an alle, die
uns beraten haben, und ganz besonders an die Menschen,
die sich in der Hospizbewegung engagieren!
({0})
Warum brauchen wir jetzt ein Gesetz? Wir brauchen
ein Gesetz, weil es in Deutschland Vereine und Einzelpersonen gibt, die als ihr Hauptgeschäft die Selbsttötung
fördern, unterstützen und durchführen. Wir wollen unter
Strafe stellen, wenn jemand mit der Absicht der Selbsttötung geschäftsmäßig handelt - das heißt, auf Wiederholung angelegt und im Mittelpunkt seiner Tätigkeit.
Diejenigen, die unseren Gesetzentwurf unterstützen, sagen ganz klar, dass wir dieses Geschäft mit dem Tod von
Menschen für ethisch nicht tragbar halten.
({1})
Wenn man sich ansieht, dass die sogenannten Sterbehilfevereine auch Menschen zu Tode bringen, die psychisch krank, lebensmüde oder depressiv sind, und dass
sie das schneller tun, je mehr man zahlt, dann, glaube ich,
sind wir uns hier alle einig, dass wir das nicht wollen.
({2})
Unser Gesetzentwurf konzentriert sich deshalb auf
die sogenannten Sterbehilfevereine und auf Einzelpersonen, die den assistierten Suizid geschäftsmäßig anbieten.
Denn ihr Tun macht uns Sorgen, auch mit Blick auf die
Entwicklung in den Niederlanden und in der Schweiz,
wo die Fallzahlen angestiegen sind, nachdem das dort
ausgeweitet wurde.
Unser Gesetzentwurf ist ein Weg der Mitte, weil unsere grundsätzliche Rechtsordnung so bleibt, wie sie ist.
Ich betone: Der Suizid und auch die Beihilfe dazu bleiben straffrei. Indirekte und passive Sterbehilfe bis hin
zur palliativen Sedierung sind legal. Ja, auch der Fall,
in dem ein Arzt in einem ethisch begründeten Einzelfall
aufgrund einer Gewissensentscheidung dem Wunsch des
Patienten nachkommt, ihm zu helfen, aus dem Leben zu
scheiden, bleibt straffrei. Das ist in unserem Gesetzentwurf ganz klar geregelt. Ich zitiere daraus:
Der hier vorgelegte Entwurf kriminalisiert ausdrücklich nicht die Suizidhilfe, die im Einzelfall in
einer schwierigen Konfliktsituation gewährt wird.
Die Anhörung und zahlreiche Stellungnahmen von Juristen, der Bundesärztekammer und allen großen Hospizund Palliativverbänden haben klargestellt, dass unser Gesetzentwurf keine Kriminalisierung von Ärzten bewirkt.
({3})
Ich betone deshalb noch einmal, dass unter den Begriff „geschäftsmäßig“ nicht die Tätigkeit von Ärztinnen
und Ärzten fällt, wie sie in der Hospizarbeit, in der Palliativmedizin und bei der Behandlung von Schwerkranken
stattfindet. Mir ist wichtig, dass der ärztliche Freiraum,
den es heute gibt, erhalten bleibt und dass Ärztinnen und
Ärzte in schwierigen ethischen Situationen individuell
helfen und entscheiden können. Das ist mit unserem Gesetzentwurf gewährleistet.
Damit bleibt das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt
und Patient erhalten. Ja, es wird und muss weiter möglich
sein, dass ein Mensch, der schwer leidet, zu seinem Arzt
sagt: Ich will sterben. - Dieser Satz „Ich will sterben“
erfordert vom Gegenüber aber vor allem Zeit: Zeit, nach
den Gründen zu fragen, und Zeit für Hilfe und Zuwendung. Ich glaube nicht, dass die richtige Antwort darauf
der Giftbecher auf dem Nachttisch für den einsamen Suizid ist.
({4})
Auf den Sterbewunsch und auf Ängste, die Menschen
haben - das ist ja verständlich -, ist die richtige Antwort
eben, auf die Rechte der Patienten und auf Patientenverfügungen hinzuweisen. Niemand muss Behandlungen
mit sich machen lassen, die er nicht will. Ich weiß, dass
viele Menschen Angst vor einer Übertherapierung haben.
Keine Therapie und kein künstliches Weiterleben sind
Pflicht. Im Gegenteil: Der Patient entscheidet.
Der Angst vor Schmerzen muss mit den inzwischen
sehr weit entwickelten Möglichkeiten der Palliativmedizin begegnet werden, und ich bin dankbar, dass wir
gestern - das gehört zu diesem Thema - die Ausweitung
der Hospiz- und Palliativarbeit beschlossen haben. Die
Angst vor Einsamkeit, um die es auch oft geht, können
wir nicht mit einem Gesetz nehmen, sondern es geht hier
darum, dass wir eine sorgende Gesellschaft sein müssen.
Das geht jede und jeden von uns jeden Tag an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Staat kann und
wird nie alle Facetten des Sterbens regeln können. Das
wäre auch vermessen. Aber wir können als Gesetzgeber
klarmachen, dass wir den assistierten Suizid als ärztliche
Regelleistung oder als frei verfügbares Vereinsangebot
nicht wollen.
({5})
Unser Gesetzentwurf steht für Selbstbestimmung. Ich
will, dass niemand unter Druck gerät, vorzeitig aus dem
Leben zu gehen, wenn doch noch gute Tage im Leben
möglich sind. Ich will, dass sich niemand entschuldigen
muss, dass er leben will. Deshalb schützt unser Verbot
der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe den Einzelnen vor
übereilten oder fremdbestimmten Sterbewünschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute nichts zu entscheiden, wäre nach dieser ausführlichen Debatte des
letzten Jahres keine Lösung. Im Gegenteil: Das wäre
ein falsches Signal. Damit würden wir diejenigen, die
das Geschäft mit dem Tod machen und den assistierten
Suizid als Dienstleistung anbieten, weitermachen lassen.
Das wollen wir ausdrücklich nicht.
Deshalb bitte ich Sie sehr herzlich um Unterstützung
für den Gesetzentwurf Brand/Griese/Vogler/Terpe und
vieler weiterer Kolleginnen und Kollegen aus diesem
Haus.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Peter Hintze.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern wurde in den Tagesthemen ein verzweifelter
ALS-Kranker gezeigt, der sich mit einer selbstgebauten
Apparatur das Leben nehmen wollte. Sein ihn betreuender Arzt konnte ihn davon mit dem Versprechen abbringen, dass er ihm im äußersten Notfall, wenn er es gar
nicht mehr aushalten kann und wenn die Palliativmedizin
ans Ende kommt, Suizidassistenz gewährt. Unser AnlieKerstin Griese
gen ist es, dass die verantwortlichen Ärzte dieses Recht
auf Gewissensentscheidung und Hilfe im extremen Notfall behalten, auch wenn es mehrfach vorkommt.
({0})
In einem freiheitlichen Rechtsstaat muss man mit dem
Strafrecht sehr vorsichtig umgehen. Ich frage mich auch:
Was ist das für ein Menschenbild, von dem wir hier eben
in zwei Reden gehört haben, das nur von fremdbestimmten Menschen ausgeht, die nicht wissen, was sie tun und
was für sie gut oder richtig ist?
({1})
Was wäre das für ein Rechtsstaat, der, um einen Scharlatan zu erwischen, tausend verantwortungsvoll handelnde
Ärzte mit Strafe bedroht?
({2})
Jetzt komme ich zum Schlüsselbegriff, nämlich „geschäftsmäßig“. Das ist eine Sprachfalle. Der normale
Mensch denkt: Oh, da macht einer mit einer üblen Sache
Geschäfte. - Wir wissen aber aus der Anhörung und aufgrund der Warnung von 140 Strafrechtsprofessoren, die
gesagt haben: „Macht das bitte nicht“, dass „geschäftsmäßig“ im Recht bedeutet - das steht übrigens auch in
der Begründung des Gesetzentwurfs -: eine auf Wiederholung angelegte Handlung.
Ein Krebsarzt oder ein Schmerzmediziner, der nach
einem Gespräch einem Sterbenden zweimal hilft, steht
schon im Wiederholungsverdacht. Ich glaube zwar wie
die Antragsteller, dass das Gericht den Arzt am Ende des
Tages nicht bestraft. Aber was ist das für ein Staat, in
dem Ärzte mit Ermittlungsverfahren überzogen werden
und die Staatsanwaltschaft geradezu aufgefordert wird,
hier tätig zu werden?
({3})
Was wäre die Folge, wenn die Ärzteschaft erkennt,
was - wenn es so käme - hier heute beschlossen wurde? Sie würde sich zurückziehen. Was wäre erreicht? Der
Patient würde in seiner größten existenziellen Not alleine gelassen. Der eine mag zum Sterben in die Schweiz
fahren und der andere vor den Zug springen, wie es tragischerweise häufig genug passiert. Das alles passiert auch das ist ganz wichtig - unter der Flagge einer Moral,
die nur von einer Minderheit der Bevölkerung vertreten
wird.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mehrheit in der
Bevölkerung lehnt eine Strafverschärfung ab. Die Mehrheit in der Bevölkerung setzt sich für Selbstbestimmung
ein. Wir reden hier über Menschenwürde. Der Kern der
Menschenwürde ist die Selbstbestimmung. Wir sind die
Volksvertreter. Vertreten wir das Volk!
({5})
Die Palliativmedizin hilft in den meisten Fällen - Gott
sei Dank. Begleitung und Nähe sind unglaublich wichtig.
Aber es gibt Fälle - jeder, der Sterbende begleitet hat,
hat das vielleicht schon einmal erlebt -, bei denen die
Palliativmedizin nicht mehr helfen kann. Einige bestreiten das. Aber gehen Sie einmal in die Krankenhäuser
und sprechen Sie mit den Schwestern und Pflegern. Die
Palliativmedizin stößt an Grenzen, wenn ein qualvolles
Ersticken droht. Jeder, der das einmal miterlebt hat, wird
sehr nachdenklich. Es ist ein Gebot der Nächstenliebe,
den Sterbenden beim friedlichen Entschlafen zu helfen.
({6})
Ich bin für den Satz, dass Leiden im Sterben sinnlos ist, schwer angegriffen worden. Ich wiederhole ihn:
Leiden im Sterben ist sinnlos! Kein Mensch muss einen
Qualtod hinnehmen.
({7})
Wir wollen, dass am Sterbebett nicht Staatsanwälte stehen, sondern Angehörige und Ärzte.
({8})
In der größten existenziellen Not eines Menschen sollte sich der Staat zurückhalten. Sagen Sie bitte Nein zu
einem Verbot und Ja zu unserem freiheitlichen Entwurf,
der das Gewissen schützt und die Selbstbestimmung der
Menschen sichert.
Ich danke Ihnen.
({9})
Renate Künast ist die nächste Rednerin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sterben
ohne den Staatsanwalt und ohne dass der Arzt, der mir
vielleicht hilft, das Damoklesschwert eines Strafverfahrens, einer Gefängnisstrafe über sich hängen hat: Das ist
es, was 75 bis 80 Prozent der Bevölkerung wollen. - Herr
Kauder, hören Sie doch bitte zu. Das Thema ist ernst genug.
({0})
Wir alle waren in vielen Veranstaltungen. Ich habe das
Gefühl, wir alle, quer durch dieses Haus, haben uns selten
so viel und so lange, nämlich anderthalb Jahre, mit einem
Thema wie diesem Thema Sterben beschäftigt. Was mir
in Veranstaltungen immer wieder aufgefallen ist - auch
wenn Menschen unterschiedliche Auffassungen hatten
und um eine gemeinsame Position gerungen haben -, ist,
dass die Bürgerinnen und Bürger sagten: Der Staat soll
sich bei der Entscheidung darüber heraushalten, wie ich
aus diesem Leben gehe. Das entscheide ich selber.
({1})
Auch viele junge Menschen machen sich darüber Gedanken und sagen: Selbst wenn ich ein gut versorgter Patient bin, kann ich mich doch immer noch frei entscheiden, wann ich aus diesem Leben gehe, um diese letzten
Tage und Wochen nicht zu leiden.
Vizepräsident Peter Hintze
Viele fragten: Was hat sich für Sie das Jahr über in
der Diskussion verändert? Für mich hat sich verändert,
dass ich immer mehr davon überzeugt bin, dass es uns
nicht zusteht, die Möglichkeit der Menschen für Fragen,
Beratungen und Gespräche in dieser letzten Phase einzuschränken.
Ich wurde in meiner Auffassung bestärkt, dass es eine
Möglichkeit für ein offenes Beratungsgespräch geben
sollte, in dem der Arzt nicht gleich sagen muss: „Dies gehört nicht zum Gegenstand meiner Beschäftigung“, um
einmal einen Satz aus dem Brand/Griese-Gesetzentwurf
anzuführen. Wenn der Arzt nicht sagen muss, dass er das
nicht tut, sondern offen mit mir reden kann, wird vielleicht der eine oder andere Suizid mehr verhindert.
({2})
Ich habe das Bundesjustizministerium nach empirischen Zahlen gefragt, auch jetzt wieder. Es hat mir geantwortet: Es gibt keine anderen Zahlen als die Zahlen
aus 2012. - In den 2012er-Unterlagen stand: Wir haben
keine Zahlen.
Meine Damen und Herren, mich hat in diesem Jahr
eines bestärkt: Widerstehen wir Abgeordnete doch dem
Gefühl, uns selbst und unsere eigene Auffassung in das
Strafgesetzbuch zu schreiben, sondern sagen wir an dieser Stelle lieber: Wir halten es mit der Freiheit des Menschen. Es wird ja viel über einen Dammbruch geredet.
Ich weiß aber gar nicht, wann es diesen Dammbruch seit
1871 gegeben haben soll. Und Kusch allein kann kein
Dammbruch sein,
({3})
zumal der Staatsanwalt in Hamburg bereits nach dem
geltenden Recht tätig ist.
Lassen Sie mich ein Wort zur Freiheit sagen. Weil wir
am Anfang dieser Legislaturperiode über Freiheit geredet
haben, habe ich meiner eigenen Fraktion gesagt: Denkt
daran, dass Freiheit auch heißen kann, dass die Menschen ganz frei eine andere Entscheidung treffen, als wir
persönlich es aus religiöser oder ethischer Überzeugung
für richtig halten. Ich glaube, das ist der Punkt: Wenn wir
über Freiheit reden, müssen wir den Menschen auch die
Freiheit lassen - obwohl wir persönlich vielleicht anderer Meinung sind -, selbst zu bestimmen, ob und wie sie
gehen wollen.
({4})
Nur darum geht es heute, nämlich ob wir diesen Grundsatz wirklich aufrechterhalten.
Auch der Begriff „geschäftsmäßig“ hilft uns nicht weiter. In dem Antrag meiner Gruppe steht „gewerbsmäßig“.
Warum haben wir das gemacht? Nach langem Überlegen
war uns klar: Wir sollten vielleicht die Sorge aufgreifen,
die sich daraus ergibt, dass Leute damit systematisch in
nicht unerheblichem Umfang Geld verdienen wollen.
Darum geht es im gewerblichen Bereich, und das wollen
wir verbieten. Aber ich sage Ihnen: Geschäftsmäßig ist
alles, selbst wenn kein Geld fließt. Juristisch lernt man
das schon im ersten Semester BGB. Man muss etwas nur
zum Gegenstand seiner Beschäftigung machen nach dem
Motto: Du möchtest etwas, und ich gebe es dir. - Schon
das reicht aus.
Diese neue Strafnorm betrifft insofern uns alle. Sie betrifft in einem säkularen Staat, in dem der Staat eigentlich
zur Neutralität verpflichtet ist, am Ende jeden Arzt und
jeden, der über sein Leben frei verfügen will. Insbesondere betrifft es diejenigen, die Schwerkranke behandeln.
Faktisch muss der Arzt immer sagen: Nein, das gehört
nicht zu meinem Beschäftigungsfeld.
Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie, an
uns: Akzeptieren wir die Selbstbestimmung am Lebensende. Lassen wir die Möglichkeit zu offenen Beratungsgesprächen zu. Vergewissern wir uns, dass wir zwar
eigene Auffassungen haben können, dass diese aber - ob
ethisch oder religiös - nicht in das Strafgesetzbuch gehören.
({5})
Fragen wir uns einmal, ob es legitim ist, dass die Beihilfe
für Angehörige - beispielsweise wenn Frau A ihrem Ehemann oder wenn Herr B seiner Ehefrau Beihilfe leistet zwar straffrei wäre, aber das exakt gleiche Verhalten für
den Arzt nicht straffrei wäre. Ich glaube, dass es dafür
wirklich keinerlei rechtliche Legitimation gibt.
Ich wende mich - letzter Satz - an die Frauen in diesem Saal. Überlegen Sie einmal, wie unsere Debatten
im Deutschen Bundestag - vielleicht waren Sie damals
dabei; wenn nicht, lesen Sie es nach - über den Schwangerschaftsabbruch waren.
({6})
Ich glaube, wir sollten mit der Haltung von damals auch
an diese Entscheidung zum assistierten Suizid herangehen. Hätten wir damals eine andere Haltung gehabt, hätte
es die jetzige Regelung in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch nicht gegeben.
({7})
Entscheiden wir uns dafür, die Mitte der Gesellschaft
abzubilden. 75 bis 80 Prozent der Gesellschaft sagen:
Das entscheide ich, nicht der Staat. - Geben wir diesen
Menschen die Möglichkeit einer offenen und ehrlichen
Beratung, auch um Suizid zu verhindern.
({8})
Patrick Sensburg erhält nun das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!
Nicht durch die Hand eines anderen sollen die Menschen sterben, sondern an der Hand eines anderen.
Das sind die Worte, die Bundespräsident Horst Köhler immer wieder gesagt hat und die Bundespräsident
Joachim Gauck in den letzten Tagen wiederholt hat.
Gestern haben wir nach einer erstklassigen Debatte
die Stärkung des Hospiz- und Palliativwesens beschlossen. Denn wirkliche Sterbebegleitung besteht in der aufopfernden Begleitung und Pflege gerade von Menschen
in schweren Situationen und eben nicht in der Herbeiführung des Todes. Das ist keine Sterbebegleitung. Dies hat
auch das Forum des Bundespräsidenten gezeigt, das am
vergangenen Montag in einer wirklich intensiven Diskussion mit Beteiligten - mit Patienten, engagierten Ärzten im Hospizwesen, Palliativmedizinern und Menschen
in Hospizvereinen - deutlich gemacht hat, dass die Hilfe
und die Bereitschaft, zu pflegen, auch über längere Zeiträume, und sich aufopfernd den Menschen zu widmen,
die Hilfe brauchen, der richtige Weg ist. Deutlich wurde,
dass das Wissen um die Palliativmedizin und das, was
heute möglich ist, in weiten Teilen noch viel zu gering
ist. Da müssen wir etwas machen.
({0})
Wir sprechen uns daher mit unserer Gruppe für ein
Verbot der Hilfe zur Selbsttötung aus, sei es aus Krankheit in der letzten Lebensphase, sei es aber auch aus anderen Gründen. Es ist zumindest in zwei Gesetzentwürfen in der Begründung enthalten, dass auch alle anderen
Gründe Grundlage für eine Hilfe zur Selbsttötung sein
können. Sterbehilfe darf keine Alternative zur Pflege und
Sterbebegleitung sein. Daher sprechen wir uns für ein
Verbot aus.
({1})
Norwegen, Finnland, Dänemark, Portugal, Spanien,
Italien, Frankreich, Österreich, Griechenland, die Slowakei, Ungarn, Polen und Irland: Alle dieser Länder in
Europa haben ein Verbot der Suizidassistenz. Vor gerade
zwei Monaten, am 11. September dieses Jahres, hat das
Unterhaus in Großbritannien mit 330 zu 118 Stimmen
die Sterbehilfe für verboten erklärt. David Cameron hat
in der Debatte einen Blick auf diejenigen gerichtet, die
wir auch in unserer Debatte nicht vergessen dürfen, als
er ausgeführt hat, der Druck auf alte, schwache und auch
auf depressive Menschen würde zunehmen, wenn es kein
Verbot der Sterbehilfe gäbe.
1,7 Millionen Menschen in Deutschland sind Dauerpflegefälle, die zu Hause gepflegt werden. Die Tendenz
ist steigend. Statt auf Pflege, Betreuung oder Palliativmedizin zu setzen, machen die Gruppen Hintze/Lauterbach
und Künast/Sitte Angst mit dem Szenario eines qualvollen Tods, dem sie die Hilfe zum Selbstmord als humane
Tat gegenüberstellen. Das ist auch gerade in der Rede
von Frau Künast deutlich geworden. Das ist aus meiner
Sicht unseriös.
({2})
Wissen doch auch diese Gruppen, dass man heutzutage
Menschen insbesondere durch gute Palliativmedizin bis
hin zur palliativen Sedierung die Schmerzen nehmen
kann.
Was man ihnen nicht nehmen kann, Herr Lauterbach,
sind Leid, Angst und Einsamkeit. Aber das können Sie
ihnen auch durch ein Sterbemittel nicht nehmen. Sie können nur durch gute Begleitung durch die Familie, Verwandte und Freunde oder durch professionelle Hilfe von
Ärzten oder Pflegepersonal versuchen, dies ein wenig zu
lindern. Aufgabe von Ärzten ist es übrigens, Leben zu
erhalten, statt es zu beenden.
Welche Fälle meinen Sie denn, möchte ich diese beiden Gruppen fragen, wenn sie in ihrer Begründung von
100 000 Selbstmordversuchen reden, von denen 10 000
erfolgreich sind? Verstehen Sie das unter Hilfe oder unter Suizidassistenz? Ich glaube, wir müssen den Akzent
so setzen, wie wir ihn gestern im Deutschen Bundestag
gesetzt haben: für mehr Palliativmedizin und für einen
Ausbau des Hospizwesens.
({3})
Wer in diesem Rahmen Sterbehilfe gesetzlich zulässt,
macht auch den Suizid zu einer normalen Handlung. Aus
Studien wie gerade jetzt aus Oregon wissen wir, dass
dann nicht nur die Suizidassistenzfälle, sondern auch die
Suizidraten zunehmen. Nicht durch die Hand eines anderen sollen die Menschen sterben, sondern an der Hand
eines anderen. Hierdurch kommt die in der Verfassung
verankerte Schutzfunktion des Staates gegenüber seinen
Bürgern zum Ausdruck, gerade in der schwächsten Lebenssituation.
Wir brauchen Assistenz im Leben und keine Assistenz
im Suizid. Darum bitte ich Sie, heute für den Gesetzentwurf der Gruppe Hüppe/Dörflinger/Sensburg zu stimmen. Denn in ihm zeigt sich wirklicher Lebensschutz.
Danke schön.
({4})
Die Kollegin Katja Keul erhält nun das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben heute fünf Alternativen zur Abstimmung. Das ist neben den vier Gesetzentwürfen die Beibehaltung der geltenden Rechtslage, für die ich hier plädieren möchte. Weil es nicht oft genug gesagt werden kann,
möchte ich zu Beginn noch einmal klarstellen, worum
es bei allen fünf Alternativen definitiv nicht geht. Die
Tötung auf Verlangen, die sogenannte aktive Sterbehilfe,
wie sie in Belgien und den Niederlanden teilweise praktiziert wird, ist und bleibt eine Straftat nach deutschem
Recht, und das halte ich auch für richtig.
({0})
Herr Brand und Herr Sensburg, nehmen Sie das endlich
zur Kenntnis.
Auch wer die Grenzen von der Beihilfe zur Tatherrschaft überschreitet, wie die Juristen das nennen, wird
wegen eines Tötungsdeliktes zur Verantwortung gezogen, so auch die aktuelle Anklage gegen Herrn Kusch,
der Anlass für die ganze Debatte sein soll. Auch wer jemandem zum Tode verhilft, der aufgrund seelischer oder
geistiger Erkrankung nicht mehr zur freien Willensbildung in der Lage ist, muss sich gegebenenfalls wegen
eines Tötungsdeliktes verantworten.
({1})
Was bleibt, ist die Straffreiheit der Beihilfe zur Durchführung eines freien, selbstbestimmten Sterbewunsches.
Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass die heutige Rechtslage in Deutschland zu einem signifikanten Anstieg assistierter Suizide geführt hätte. Im Gegenteil: Es geht
um derart geringe Fallzahlen, dass ein gesetzgeberischer
Handlungsbedarf nicht erkennbar ist.
({2})
Die angebliche Rutschbahn hin zur aktiven Sterbehilfe,
die mit der derzeitigen Rechtslage angeblich drohen soll,
ist weit und breit nicht zu sehen.
Was aber würde passieren, wenn heute einer der Gesetzentwürfe eine Mehrheit bekommen würde? Am geringsten wäre der Schaden wohl noch bei der zivilrechtlichen Regelung im BGB. Rein formal stellt sich dabei
das Problem, dass wir als Bundesgesetzgeber leider
keine Gesetzgebungskompetenz für das ärztliche Berufsrecht haben und das Gesetz daher verfassungswidrig sein
dürfte. Inhaltlich bleibt unklar, was mit der Wahrscheinlichkeit des Todes gemeint sein soll. Da allerdings jede
Sanktion für den Fall eines Verstoßes fehlt, dürfte die
Gesetzesänderung an sich wirkungslos bleiben.
Der Kollege Sensburg will hingegen konsequent alle,
ob Angehörige oder Ärzte, die einem Sterbewilligen helfen, hinter Schloss und Riegel bringen. Staatsanwälte
sollen danach künftig den Zwang zum Weiterleben für
alle durchsetzen. Das Menschenbild, das diesem Vorschlag zugrunde liegt, ist mir so fern, dass ich keine weiteren Ausführungen dazu machen will.
({3})
Es bleiben die beiden Entwürfe, die einmal die geschäftsmäßige und zum anderen die gewerbsmäßige Suizidhilfe mit dem Strafrecht ahnden wollen. Geschäftsmäßig ist jede organisierte, auf Wiederholung angelegte
Form der Sterbehilfe. Dabei reicht es wohlgemerkt, dass
die organisatorische Einbettung auf eine solche Wiederholung angelegt ist, ohne dass es überhaupt eine Wiederholung sein muss. Vereinsmitglieder sind danach ebenso strafbar wie Ärzte, auch wenn die Unterzeichner des
Entwurfs das immer wieder bestreiten. Jeder Arzt handelt
im Hinblick auf seine Patienten immer geschäftsmäßig
im Rahmen seiner Berufsausübung und würde sich damit immer einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
aussetzen. Da hilft auch die Ausnahme der persönlichen
Nähe nicht viel weiter, die auch der Wissenschaftliche
Dienst für nicht vereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot
hält.
Der erbwillige Neffe hingegen, der seiner reichen
Großtante Mut zuspricht, endlich den Weg freizumachen,
wäre nach diesem Entwurf der Einzige, der vor Strafverfolgung sicher wäre. Dabei soll doch der angebliche
Druck auf die Alten den gesetzgeberischen Handlungsbedarf begründen. Warum dieser Entwurf also gerade
die professionellen Berater mit Freiheitsstrafe verfolgen
will, erschließt sich mir nicht.
({4})
Besonders gefährlich: Auch die Beratung selbst kann
unter den Rechtsbegriff der Beihilfe fallen. Wendet sich
ein zum Sterben entschlossener Mensch an den Arzt seines Vertrauens, müsste dieser nach dem Brand’schen Gesetz unmittelbar darauf hinweisen, dass er nicht ergebnisoffen beraten darf, sondern nur Unterstützung beim
Weiterleben, nicht aber beim Sterben leisten darf. Ist die
Sterbende dazu nicht bereit, müsste das Gespräch unverzüglich abgebrochen werden.
Auch die Beschränkung der Strafbarkeit auf die Gewerbsmäßigkeit im Entwurf Künast/Sitte hilft da nicht
weiter. Gewerbsmäßig ist alles, was nicht nur geschäftsmäßig, sondern auch zur Erzielung von regelmäßigen
Einkünften erfolgt. Jeder Arzt trifft auf seine Patienten
im Rahmen seiner Berufsausübung. Diesen Beruf üben
Ärzte nicht ehrenamtlich aus, sondern zur Erzielung von
Einkünften. Auch wenn keine gesonderte Gebühr anfällt,
handeln die Ärzte im Hinblick auf ihre Patienten immer
im Rahmen ihrer Berufstätigkeit, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienen, und damit gewerbsmäßig.
Fazit: Menschen, die sich aus welchen Gründen auch
immer mit dem Gedanken tragen, ihr Leben selbst zu
beenden, sollten uneingeschränkt Zugang zu ergebnisoffener Beratung und Unterstützung haben. Auf diesem
Wege können sie möglicherweise auch wieder von ihrem Vorhaben Abstand nehmen. Ob diese Menschen sich
ihren Angehörigen oder dem Arzt ihres Vertrauens oder
aber einem unabhängigen Sterbehilfeverein zuwenden,
sollte ihre Entscheidung bleiben und nicht vom Gesetzgeber vorgeschrieben werden.
Müssten die Ärzte oder Vereine im Zusammenhang
mit der Tätigkeit Sorge haben, sich strafbar zu machen,
würde den Betroffenen dieser Weg versperrt, und sie
würden andere Wege finden - im Zweifel einsamere und
grausamere Wege. Sowohl die gewerbsmäßige als auch
die geschäftsmäßige Hilfeleistung muss daher im Sinne
der Betroffenen straffrei bleiben.
Deswegen plädiere ich eindringlich dafür, gegen alle
vier vorgelegten Gesetzentwürfe mit Nein zu stimmen.
Oder um es mit Montesquieu zu sagen: „Wenn es nicht
notwendig ist, ein Gesetz zu machen, ist es notwendig,
kein Gesetz zu machen.“
Vielen Dank.
({5})
Hermann Gröhe erhält nun das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wenn wir heute um angemessene Regelungen für die
Selbsttötungsbeihilfe ringen und darüber diskutieren,
dann geht es um die Frage: Wie bringen wir die Verpflichtung unserer Rechtsordnung zusammen, Würde
und Leben des Menschen zu schützen und seine Selbstbestimmung zu achten? Es geht genau darum, wie wir
dies zusammenbringen. Da ist es sehr legitim, zu fragen:
Was darf der Staat? Dem werde ich mich gleich zuwenden.
Aber ich sage sehr deutlich: Es ist völlig unangemessen, denen, die wie ich den Entwurf der Kollegen Brand
und Griese unterstützen, zu unterstellen, sie wollten den
Staatsanwalt an das Sterbebett kranker Menschen senden. Es ist der bisherigen Debatte nicht würdig, mit solchen Unterstellungen zu arbeiten.
({0})
Ja, es geht um die Frage: Was darf der säkulare Staat?
Es ist auch davor gewarnt worden, religiöse Weltanschauung gleichsam zur Grundlage zu machen und das
Strafrecht in den Dienst dieser Überzeugung zu stellen.
Ich nehme diese Mahnung sehr ernst. Auch ich will dies
nicht. Aber ich weise die in dieser Warnung häufig zum
Ausdruck kommende Unterstellung zurück, uns sei daran gelegen. Mich motiviert in dieser Frage mein Glaube, aber inhaltlich geht es mir um die Verteidigung der
Rechtsschutzorientierung unserer Verfassungsordnung.
({1})
Was darf der Staat? Ich plädiere für den Entwurf der
Kolleginnen und Kollegen, weil er eine Regelung mit
Maß und Mitte ist. Ja, ich bin der Meinung, dass es richtig
ist, dass unsere Rechtsordnung zum Drama der Selbsttötung schweigt. Deswegen bin ich auch dafür, dass wir an
der Straffreiheit der individuellen Selbsttötungsbeihilfe
insgesamt festhalten, ohne ein Sonderstrafrecht für irgendeine Berufsgruppe.
({2})
Es ist richtig, dass unsere Rechtsordnung dazu
schweigt. Aber es ist eine völlig unterschiedliche Situation, ob ein zur Selbsttötung entschlossener Mensch
mit einer anderen Person über mögliche Unterstützungshandlungen redet oder ob Vereine einem unbegrenzten
Adressatenkreis dies gleichsam als Dienstleistung anbieten.
({3})
Das Signal der Normalität einer Selbsttötung als Handlungsoption ist falsch.
Nun ist wiederholt gesagt worden, die Ärzte würden
verunsichert. Nun hat Kollege Brand schon darauf hingewiesen, dass dies von der deutschen Ärzteschaft und den
Organisationen derer, die als Palliativmedizinerinnen und
-mediziner genau diese Arbeit machen, zurückgewiesen
wird. Sie sagen: Dies sind notwendige Leitplanken, die
unsere Beziehung zu den Patientinnen und Patienten
schützen. Es ist nach dem Menschenbild gefragt worden.
Was ist das eigentlich für ein Menschenbild, wenn wir
glauben, die Ärzte vor ihrer eigenen Position schützen
zu müssen?
({4})
Wenn dann noch gesagt wird, wir hebelten zivilrechtlich die demokratische Festlegung aller deutschen Ärztekammern aus, dass Suizidbeihilfe keine ärztliche Aufgabe ist, dann ist das Bevormundung der Ärzteschaft.
({5})
Nein, das führt in die Irre.
Dann werden extreme Fälle genannt, in denen wir die
Frage stellen: Haben wir Verständnis, wenn eine Ärztin
oder ein Arzt die Regelungen des Standesrechts überschreitet? Ich habe dieses Verständnis, und der Umstand,
dass in keinem einzigen Fall heute eine Approbation
entzogen wurde, zeigt, dass die dazu berufenen standesrechtlichen und auch staatlichen Gremien mit Augenmaß
an diese Frage herangehen. Einem ethischen Dilemma
trägt man mit kluger Rechtsanwendung und nicht mit
fragwürdiger Rechtsaufweichung Rechnung.
({6})
Wer eine Grenzsituation normieren will, der macht
am Ende die Lösung zum Normalfall, und das darf nicht
sein. Suizidassistenz ist keine Behandlungsvariante, weder ärztlicherseits noch durch Vereine. Bitte stimmen Sie
für den Gesetzentwurf der Kollegen Brand/Griese.
({7})
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Carola Reimann.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sterben ist etwas höchst Individuelles. Niemand
kann für einen anderen nachfühlen; niemand kann das
für einen anderen durchleben. Wie man am Ende sterben will, ist von eigenen Erfahrungen, tiefen persönlichen Überzeugungen und moralischen Einstellungen
bestimmt. Ich bin der festen Überzeugung: Der Staat hat
sich hier weitgehend zurückzuhalten.
({0})
Von diesem Grundsatz haben wir uns bei der Erstellung unseres Gesetzentwurfes leiten lassen. Es ist eine
behutsame Regelung, die sich weitgehend an dem orientiert, was jetzt bereits gilt. Denn: Wie der Suizid, so
ist auch die Beihilfe zum Suizid in Deutschland straffrei,
und das schon seit 150 Jahren.
Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf mehr Rechtssicherheit schaffen und zugleich Freiräume erhalten. Mit
der Erlaubnis der Suizidbeihilfe für Ärzte, so heißt es bei
uns, beenden wir das Regelungschaos der unterschiedlichen Landesberufsordnungen und geben eine klare Botschaft an alle Betroffenen: Niemand muss ins Ausland
fahren, und niemand muss sich an medizinische Laien
und selbsternannte Sterbehelfer wenden. Wir wollen,
dass sich Menschen in großer Not ihrem Arzt anvertrauen können, weil er den Patienten am besten kennt und
weil er ihn fachlich auch am besten beraten kann.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß
nicht, wie es sich anfühlt, mit einer qualvollen, unheilbaren Krankheit zu leben. Ich weiß auch nicht, welche
Entscheidung ich in diesem Fall treffen würde. Ich weiß
nur: Sollte ich in dieser Situation sein, will ich für mich
persönlich meinen eigenen Weg finden dürfen. Als Abgeordnete sage ich: Ich will, dass auch andere diese Freiheit
haben.
({2})
Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass wir als
Gesetzgeber den Menschen die Möglichkeit des ärztlich
begleiteten Suizids nicht verweigern dürfen. In diesem
sensiblen Bereich - wenn es darum geht, Menschen in
existenzieller Not zu helfen - sollte sich der Gesetzgeber
gut überlegen, welche staatlichen Eingriffe er verantworten kann. Ich bin mir sicher, in diesem Haus denken viele
so.
Dazu passt auf den ersten Blick das von den Kollegen
Brand und Griese so viel beschworene Bild des Wegs
der Mitte; gerade ist es noch einmal angeklungen. Die
Botschaft, die damit verbunden werden soll, ist klar: ein
Gefühl von Maßhalten, von Ausgewogenheit und von
Konsens.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist aber kein
Weg der Mitte,
({3})
weil dieser Entwurf bei der Regelung dieses hochsensiblen Bereiches auf das Strafrecht zurückgreift und Ärzte
einer ernsthaften Gefahr staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen aussetzt. Dies ist auch deswegen kein Weg der
Mitte, weil dieser Entwurf mit einer 150-jährigen Tradition der straffreien Suizidbeihilfe bricht.
({4})
Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus ist dies
kein Weg der Mitte, weil dieser Entwurf die Entscheidungsfreiheit am Lebensende einschränkt, obwohl eine
Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger - wir haben viele
Gespräche in diesem Bereich geführt - diese Entscheidungsfreiheit wünscht. Dieser Entwurf würde gravierende Konsequenzen haben, und darüber können auch beruhigende Bezeichnungen nicht hinwegtäuschen.
({5})
Liebe Kollegen Brand und Griese, während der gesamten Debatte konnten Sie die Sorgen der Ärztinnen
und Ärzte vor staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen
nicht überzeugend ausräumen.
({6})
Im Gegenteil, die Zweifel sind größer geworden. Immer
wieder melden sich besorgte Mediziner zu Wort, in den
Veranstaltungen, auf den Podien und in den letzten Wochen verstärkt auch in den Medien. Die Verunsicherung
ist greifbar.
Ich verstehe nicht, warum Sie diese Sorgen nicht aufgegriffen haben und mit einem Änderungsantrag die Ärzte von Ihrer Regelung ausgenommen haben.
({7})
Das haben Sie nicht getan, und damit nehmen Sie in
Kauf, dass sich Ärzte von ihren Patienten zurückziehen,
um strafrechtliche Ermittlungen zu vermeiden.
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um Ihre Unterstützung für den Entwurf Hintze/Reimann/Lauterbach, der sich an der jetzigen Rechtslage orientiert, mehr
Rechtssicherheit für Ärzte und Patienten schafft und damit dieses Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, das so wichtig ist, stärkt.
Zudem gibt es natürlich die Möglichkeit, für die jetzige Rechtslage einzutreten, wie es auch die Vorsitzende
des Deutschen Ethikrats, Professorin Woopen, empfiehlt.
In diesem Fall müssen Sie bei allen Entwürfen mit Nein
stimmen.
Kolleginnen und Kollegen, der Bundestag hat heute
die Chance, nach einer langen intensiven Debatte ein
starkes Zeichen gegen eine Verschärfung des Strafrechts
und für die Selbstbestimmung zu setzen. Es wäre auch
ein starkes Zeichen des Vertrauens in unsere Ärzte und
vor allem ein Zeichen des Vertrauens in unsere Bürgerinnen und Bürger, die am Ende ihres Lebens Entscheidungsfreiheit wollen. Ich finde, sie haben unser Vertrauen verdient.
({8})
Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Sitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der
Antike geboren, entwickelte sich über Jahrhunderte die
Idee, dass der Mensch über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist souverän ist.
({0})
Er besitzt in seiner Natur begründete angeborene Rechte.
Im 19. Jahrhundert fand diese Idee Eingang in die deutsche Rechts- und Verfassungsgeschichte. Danach kann
der Rechtsstaat diese Rechte nicht etwa verleihen; nein,
meine Damen und Herren, er hat sie zu garantieren.
({1})
Insbesondere auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes, obwohl sie alle anderen Gründe gehabt hätten,
haben großen Wert auf die Souveränität des Individuums
gelegt.
Ich frage mich nun also: Was ist in den letzten Jahren in diesem Land passiert, dass ein Teil des Parlaments
meint, jetzt so massiv in diese Souveränität eingreifen zu
müssen?
({2})
Gibt es irgendeinen wissenschaftlich untersuchten Beweis für die Notwendigkeit? Nein. Es ist vorhin schon
gesagt worden: Es gibt keinen. - Das wissen Sie so gut
wie ich. Nicht zuletzt wegen dieses Umstands hat die
letzte Bundesregierung ihren damaligen Gesetzentwurf
zurückgezogen.
Als Hauptgründe für eine Strafrechtsverschärfung
hört man nun:
Erstens heißt es, die Rechtslage der Ärzte sei unklar.
Je nach Landesärztekammer - das stimmt - ist sie im
Standesrecht verschieden geregelt: Das geht von „keine
Regelung“ bis zum Verbot. Dabei könnte das Urteil des
Berliner Verwaltungsgerichts von 2012 für Klarheit sorgen. Es heißt dort - ich zitiere -:
Der ärztlichen Ethik lässt sich kein klares und eindeutiges Verbot der ärztlichen Beihilfe zu Suizid in
Ausnahmefällen entnehmen.
Damit ist alles gesagt.
({3})
Zweitens stehen Sterbehilfevereine in der Kritik.
Roger Kusch mit Sterbehilfe Deutschland gilt als das
schwarze Schaf. Nur, mit ihm beschäftigen sich regelmäßig Ermittlungsbehörden und Gerichte. Also: Unser
Rechtsstaat funktioniert doch hier augenscheinlich ziemlich gut, auch ohne strengere Gesetze.
({4})
Die Vereine Dignitas oder Exit bieten Suizidassistenz
an, aber nach Schweizer Recht, nicht nach deutschem
Recht. Da haben wir gar nicht einzugreifen. Sie sind also
schon jetzt streng reguliert. Andere Sterbehilfevereine,
meine Damen und Herren, gibt es in Deutschland gar
nicht.
Was es aber schon gibt, ist die Sorge, dass sich Vereine
neu bilden könnten. Die Gesetzentwürfe der Gruppen um
Herrn Hintze bzw. um Frau Künast nehmen diese beiden
Punkte ernst. Wir stellen aber nicht die Selbstbestimmung der Menschen infrage. Wir wollen wegen diffuser
Besorgnisse nicht in Grundrechte eingreifen. Ursprünglich wollten wir eigentlich an der Rechtslage auch gar
nichts ändern. Aber unsere Entwürfe sind jetzt vor dem
Hintergrund einer Verbotsdebatte auch in dem Geist entstanden: besser den bewährten Rechtszustand schützen,
als der Bevölkerung, auch der konfessionell gebundenen
Bevölkerung, gegen ihren mehrheitlichen Willen das
Strafrecht aufzuzwingen.
({5})
Rechtfertigen nun die gefühlten oder geglaubten
Gründe für ein Verbot oder für eine massive Einschränkung der Sterbehilfe wirklich eine solch historische Mission, dass der 18. Deutsche Bundestag der Meinung ist,
Normen und Werte einer Jahrhunderte andauernden liberalen Tradition durch eine Strafrechtsverschärfung über
Bord werfen zu dürfen? Das entspräche vielleicht den
theologischen Vorstellungen der großen Religionsgemeinschaften. Aber wir, meine Damen und Herren, sind
das Parlament eines säkularen Staates.
({6})
Menschen in diesem Land wollen ihre Sinnwelten
und ihre Selbstbestimmung leben. Der Bundestag würde mit einem Verbot oder mit einer Strafrechtsverschärfung essenziell Selbstbestimmungsrechte aus Artikel 1
des Grundgesetzes einschränken, und zur Würde des
Menschen gehört eben nicht nur sein Leben und dessen
selbstbestimmte Gestaltung, sondern es gehören auch
Sterben und Tod dazu. Wieso soll es in diesen Phasen
anders sein?
Wieso, so frage ich Sie, meine Damen und Herren,
die Sie für eine Strafrechtsverschärfung sind, haben Sie
bei solchen Entscheidungen ein solch tiefes Misstrauen
gegenüber den Menschen in diesem Land? Wieso sollen
diese nicht sehr bedacht genau darüber viele Jahre nachgedacht haben, aus ihrer konkreten Situation heraus mit
Angehörigen geredet haben usw.?
Und schließlich: Wieso glauben Sie, meine Damen
und Herren, dass nachfolgende Generationen nicht genauso mit den Freiheiten umgehen können, die uns die
gültige Rechtslage seit über 140 Jahren bietet? Wenn sich
bis heute keine gravierenden Fehlentwicklungen eingestellt haben, warum bitte sollen nachfolgende Generationen verantwortungsloser als wir entscheiden?
({7})
Auch deshalb sei gesagt: Eines Verbots- oder Verschärfungsgesetzes bedarf es nicht. Deshalb werbe ich
dafür: Begegnen Sie dem Verbotsentwurf der Gruppe
um Herrn Sensburg und der unverhältnismäßigen Strafrechtsverschärfung der Gruppe um Herrn Brand und Frau
Griese mit einem Nein!
Danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Veronika Bellmann ist die nächste Rednerin.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sterben gehört zum Leben dazu. Die Diskussion um das Hospiz- und Palliativgesetz gestern und um
die Sterbehilfe heute hat dieses Thema gewissermaßen
enttabuisiert, auch die Frage, wie weit Fremdhilfe und
Selbstbestimmung gehen dürfen. Das hat verfassungsmäßige Grenzen.
Verfassungsrechtlich sicher ist der Gesetzentwurf
Sensburg/Dörflinger/Hüppe, weil er keine rechtlichen
Grauzonen bietet. Wir stellen klar, dass Suizid und Beihilfe zum Suizid verschiedene Rechtsgüter sind. In anderen Gruppenentwürfen wird darauf abgestellt, dass
Selbsttötung nicht strafbar ist und Beihilfe demnach auch
nicht. Der Suizid betrifft aber das eigene Leben, Suizidbeihilfe ein fremdes Leben. Deswegen ist es für uns eine
strafbare Handlung. Lediglich der Abbruch nicht indizierter medizinischer Behandlungen und vom Patienten
gewünschte Behandlungsabbrüche bleiben straffrei. Wir
kennen das von der Patientenverfügung.
Suizidbeihilfe bedeutet für uns Gefahr für den Lebensschutz. Schon ein kurzer Blick in die Suizidforschung
zeigt, dass Selbstmordabsichten meist Hilferufe sind.
Sie fragen nicht nach Beendigung des Lebens, sondern
sie verdeutlichen den Wunsch nach Beendigung des Leidens. Oftmals ist es auch die Angst der Menschen vor unerträglichen Schmerzen und vor Einsamkeit. Sie ist dann
so groß, dass sie die Angst vor dem Sterben überlagert.
Die Angst vor dem Sterben können wir niemandem
nehmen. Aber wir können Schmerzen lindern und Einsamkeit verhindern. Für beides haben wir die richtigen,
wenn auch noch sehr ausbaufähigen Hilfsangebote. Ich
spreche von ambulanter und stationärer Palliativmedizin
und von Hospizbetreuung. Zuallererst den Gründen von
Selbsttötungsabsichten durch menschliche Zuwendung
und beste medizinische Versorgung entgegenzutreten,
dafür sollten wir unsere ganze Zeit, Kraft und Energie
aufwenden,
({0})
statt zuerst darüber nachzudenken, wie wir das Helfen
beim Selbsttöten irgendwie rechtlich absichern können,
und den Menschen noch zuzureden, Selbstmord sei das
gute Recht ihrer Selbstbestimmung. Zum Leben zu verhelfen, ist immer besser, als zum Sterben zu verhelfen.
Gute Palliativ- und Hospizversorgung und die Unterstützung pflegender Angehöriger verhindert sehr oft den
Wunsch nach Suizid. Da weiß ich, wovon ich rede. Ich
habe mich schon frühzeitig mit dem Thema Kinderhospiz beschäftigt, in meinem Wahlkreis das erste stationäre
Hospiz auf den Weg gebracht, und in meiner Familie haben wir erst den Vater gepflegt, bis er zu Hause verstarb,
und begleiten nun die Mutter auf dem letzten Stück ihres
Lebensweges. Sowohl unsere Hospizpatienten als auch
meine Mutter geben uns deutlich zu verstehen, wie gut
ihnen Zuwendung medizinischer und menschlicher Art
tut. Was die Hospizmitarbeiter und Angehörigen - in
meinem Falle vorwiegend meine Schwester - mit ganzer
Hingabe tun, rettet Menschenleben.
Und: Ja, auch das Leben mit einer unheilbaren Krankheit und in der Schwäche des Alters ist noch lebenswert.
Wenn ich aber den Willen zum Leben dem Sterbewillen unterordne und noch eine medizinische Assistenz in
Aussicht stelle, dann kann an die Stelle des Willens zum
vorzeitigen Sterben schleichend mutmaßlicher Wille und
irgendwann das gesellschaftliche Sollen treten. Das wäre
ein Dammbruch, weil dann Suizid zur Normalität werden
kann.
Es behaupte keiner, dass ich hier Schwarzmalerei betreibe. Schauen wir in eines unserer Nachbarländer, die
Niederlande. Dort ist Sterbehilfe seit 14 Jahren erlaubt.
Der Niederländer Gerbert van Loenen hat ein Buch über
Sterbehilfe in den Niederlanden geschrieben. Als sein
Partner infolge einer Operation wegen eines Hirntumors im 32. Lebensjahr schwerbehindert wurde, stellten
Freunde dessen Lebensrecht infrage:
Es kamen sehr brutale Sprüche. Ein Freund meinte:
„Niek
- so hieß der junge Mann wäre besser tot gewesen. Das ist doch kein Leben
mehr.“
Und zum Patienten selbst sagte jemand:
Es ist deine Wahl, weiterzuleben. Dann sollst du
auch nicht meckern.
Van Loenen sagt dazu:
Man sagt: „Na ja, in solch einer Lage will man ja
nicht leben.“ Und daraus wird geschlossen: Wer in
dieser Lage ist, sollte besser tot sein. Wenn sich jemand umbringt, gibt es Verständnis, wenn er weiterleben möchte, nicht. …
… und die Entwicklung geht immer weiter. Auch
unerträgliches psychisches Leid reicht als Begründung für Tötung auf Verlangen. Vor einigen Monaten wurde das Leben einer Frau beendet, die unter
Mysophobie, krankhafter Angst vor Ansteckung,
litt.
Keiner möge behaupten, das wird es in Deutschland
nicht geben. Beim Tod meines Vaters bekam ich gesagt,
dass wir nun froh sein könnten, dass es zu Ende und dass
es ja ein notwendiger Tod gewesen sei. Mein Vater war
mit 67 Jahren zu Hause nach vorzeitiger Demenz verstorben.
Frau Kollegin, Sie achten bitte auch auf die Zeit.
Oder nehmen wir das Beispiel vom Beginn des Lebens, wenn Eltern mit behinderten Kindern angesprochen werden. Kollege Hüppe kann davon ein Lied singen. Erst kürzlich wurde er von Dr. Hanjo Lehmann,
Mitglied des Deutschen Schriftstellerverbandes und der
Arbeitsgemeinschaft Ärztliche Sterbehilfe, kontaktiert.
Er sagte: „Dein Sohn, der behindert ist, wird dich irgendwann fragen: Vater, warum lebe ich? Ich will sterben. Ich
bin der Welt doch nur eine Last.“ Der Tod gehört zum
Leben, aber die Selbsttötung darf nicht zur Normalität
und der assistierte Suizid nicht zum selbstverständlichen
Angebot werden, für das womöglich noch ein Rezept
ausgestellt wird.
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
kommen.
Ich komme zum letzten Satz. Ärzte sind Lebens- und
keine Sterbehelfer. Unser Antrag ist deshalb eine klare
Wertentscheidung für das Recht auf Leben. Der Philosoph Robert Spaemann sagt
Das war jetzt der letzte Satz, Frau Kollegin.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sütterlin-Waack.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nicht immer sind wir Parlamentarier in der Situation, dass unsere Meinung mit der Mehrheitsmeinung
der Bevölkerung übereinstimmt. Bei unserem Antrag
ist das weitgehend so. Nach einer letzten Umfrage aus
dem Juni 2015 befürworten 81 Prozent der Bevölkerung
Sterbehilfe, 43 Prozent gar die aktive Sterbehilfe. Aktive
Sterbehilfe, das möchte ich betonen, spielt in unserer Debatte keine Rolle.
({0})
Ebenfalls hohe Zustimmungsraten dokumentieren Umfragen, ob private Sterbehilfeorganisationen in Deutschland erlaubt sein sollen.
Im parlamentarischen Verfahren, das wir heute, nach
einem Jahr verantwortungs- und wertvoller Diskussion,
abschließen wollen, haben alle vier Gesetzentwürfe zur
Sterbebegleitung Kritik erfahren. Auf Einzelheiten muss
ich hier nicht mehr eingehen. Sie wurden hinlänglich,
auch heute, erörtert.
Wir beantragen dagegen, festzustellen, dass neue
Straftatbestände hinsichtlich der Sterbehilfe nicht erforderlich sind.
({1})
Es sollte bei der jetzigen Rechtslage bleiben: Beihilfe
zum Suizid bleibt straffrei, die Tötung auf Verlangen ist
weiterhin strafbewehrt.
({2})
Wer die Grenze von der Hilfeleistung zur Tatherrschaft
überschreitet, muss mit strafrechtlichen Ermittlungen
rechnen. Das gilt selbstverständlich auch für die relativ
neuen Sterbehilfevereine. Unser Rechtsstaat hat die notwendigen Instrumente. Ermittlungen erfolgen derzeit,
wie wir alle wissen. Es gibt dazu eine gefestigte Rechtsprechung.
Ich habe Verständnis für diejenigen, die Sterbehilfevereine ablehnen, sei es aus moralischen Gründen, aber
auch deswegen, weil sie eine Sogwirkung befürchten.
Bis jetzt sprechen die Zahlen nicht für eine Sogwirkung.
Von 100 000 Selbstmordversuchen im Jahr werden circa
10 000 beendet. Im Jahr 2014 hat die Sterbehilfe Deutschland - wir haben es schon gehört: die einzige Sterbehilfeorganisation in Deutschland - 44 Suizidbegleitungen
durchgeführt. Das sind 0,4 Prozent aller Suizide.
Von einer Sogwirkung kann meines Erachtens auch
deswegen nicht gesprochen werden, da die Selbstmordzahlen insgesamt von 18 000 in 1980 auf 10 000 in 2014
gesunken sind, und das obwohl wir seit dem Jahr 2008
Sterbehilfevereine in Deutschland haben. Auch verstärkte Suizidprävention und bessere Palliativversorgung können ein Grund für die gesunkenen Zahlen sein.
Ich weiß, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
dass viele Gegner der Sterbehilfevereine befürchten, dass
mit dem Tod Geschäfte gemacht werden.
({3})
Ich gebe allerdings zu bedenken, dass eingetragene Vereine keine wirtschaftlichen Zwecke verfolgen dürfen und
ihnen bei Zuwiderhandlung der Vereinsstatus entzogen
wird. Verstehen Sie uns bitte nicht falsch: Auch für uns
haben sämtliche Hilfen und Beratungsangebote selbstverständlich Vorrang. Die Palliativmedizin muss weiter
ausgebaut werden.
({4})
Aber, meine Damen und Herren, wir halten die uneingeschränkte Entscheidungsmöglichkeit eines jeden
Einzelnen am Ende seines Lebens für so wichtig, dass
wir keine Strafbarkeit des assistierten Suizids möchten.
({5})
Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, eindringlich darum, noch einmal zu überlegen, ob wir zum
jetzigen Zeitpunkt wirklich Gesetzesänderungen brauchen. Sollte heute kein Gesetzentwurf eine Mehrheit bekommen, dann heißt das nicht, dass wir uns die Debatten,
Arbeitstreffen und Anhörungen der letzten zwölf Monate
hätten sparen können. Wir haben hier keine nutzlosen
Debatten im Parlament und in der Gesellschaft geführt;
denn wir haben mit der Diskussion, mit dem Austausch
von weltanschaulichen Standpunkten, von ethischen und
juristischen Fragen dazu beitragen, dass das Thema Tod,
Leid und Sterblichkeit ein Stück mehr enttabuisiert wurde. Auch das ist ein Erfolg.
({6})
Bei jeder Diskussion, die ich zu diesem Thema bestritten habe, habe ich zitiert, was uns unser Bundestagspräsident Lammert bei der Orientierungsdebatte mit auf
den Weg gegeben hat. Ich darf Sie, sehr geehrter Herr
Präsident, zitieren:
Dabei wird der Gesetzgeber seine ganze Sorgfalt
nicht nur der Frage widmen müssen, wo es zwischen
individueller Selbstbestimmung auf der einen Seite
und ärztlicher Verantwortung auf der anderen Seite Handlungs- und Regelungsbedarf gibt, sondern
auch, ob überhaupt und wie dieser Handlungsbedarf
in allgemeinverbindlichen gesetzlichen Regelungen
überzeugend gelöst werden kann.
Vielen Dank.
({7})
Elisabeth Scharfenberg ist die nächste Rednerin.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In unserer Gesellschaft leben immer mehr
ältere und pflegebedürftige Menschen, Menschen mit
psychischen Erkrankungen, Menschen, die alleine leben,
Menschen, die durch ihre Lebensumstände sehr verletzlich geworden sind und deshalb unseren besonderen
Schutz brauchen. Wie aufgehoben sich diese Menschen
in unserer Gesellschaft fühlen, das ist auch vom Ausgang
der heutigen Debatte abhängig.
In unseren Diskussionen und Reden ist viel von
Selbstbestimmung die Rede. Selbstbestimmung ist aber
keine Einbahnstraße. Selbstbestimmung braucht Bedingungen, unter denen eine freie Entscheidung möglich ist.
({0})
Ich bezweifle, dass das bei den meisten Suiziden - assistiert oder nicht - der Fall ist.
Wenn wir genauer hinschauen, warum vor allem ältere Menschen aus dem Leben scheiden wollen, dann
sehen wir, dass sie niemandem zur Last fallen wollen.
Sie haben Angst, Dinge nicht mehr allein tun zu können.
Sie haben Angst, dement zu werden. Sie haben Angst
vor Pflegebedürftigkeit. Viele leiden unter chronischen
Schmerzen, unter versteckten Altersdepressionen, und
viele sind einfach nur sehr, sehr einsam.
Seelische Erkrankungen oder akute Krisen sind oft die
Gründe für den Wunsch, sich das Leben zu nehmen. Oft
ist das Verlangen nach einem Suizid ein Hilferuf, der an
uns gerichtet ist: Wende dich doch endlich mir zu! Siehst
du denn überhaupt nicht, wie ich leide? - Diese Menschen wollen nicht um jeden Preis sterben. Diese Menschen befinden sich einmalig in einer Situation, aus der
sie in dieser Situation keinen Ausweg wissen. Als Sozialarbeiterin habe ich mehr als nur einmal Menschen in solchen Situationen erlebt und begleitet; ich weiß durchaus,
wovon ich hier rede.
Suizid ist nicht eine Option im Leben, die gleichberechtigt neben anderen steht. Und genau darum geht es
in unserem Gesetzentwurf: Suizidbeihilfe darf keine normale Dienstleistung werden. Suizidbeihilfe darf nicht alltäglich oder normal für unsere Gesellschaft sein.
({1})
Wir fürchten: Wo es ein Angebot gibt, gibt es auch eine
Nachfrage, und wenn etwas gesetzlich geregelt ist und
häufiger praktiziert wird, erweckt es den Eindruck von
Normalität, von Unbedenklichkeit.
Die schleichende Normalisierung der Sterbehilfe beschrieb der niederländische Medizinethiker Theo Boer in
der letzten Woche sehr eindrucksvoll in einem Interview
mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Da sagte er:
Die Zahl der assistierten Suizide in den Niederlanden
steigt, trotz guter Palliativversorgung. Die Enttabuisierung, die Normalität von Sterbehilfe, lässt die Kritik daran verstummen. Die Dienstleistung Sterbehilfe wird immer seltener infrage gestellt. Daraus entsteht ein Druck
bei den Menschen, diese Dienstleistung in Anspruch zu
nehmen. - Die steigende Zahl der assistierten Suizide in
den Niederlanden zeigt: Das sind keine vagen Vermutungen.
Die organisierte Sterbehilfe suggeriert uns: Wir haben eine ganz einfache Lösung für all eure Probleme;
das Erbe für die Kinder und die Enkel muss nicht für die
teure Pflege aufgebracht werden. - Woher das Zweifeln
am Leben kommt, darum muss sich dann keiner mehr
kümmern, da muss keiner mehr nachforschen.
In der aktuellen Debatte wird häufig das Gefühl vermittelt, dass Alter, Schwäche, Demenz oder Pflegebedürftigkeit Zustände sind, die einem Menschen die Würde nehmen. Das möchte ich ganz klar zurückweisen.
({2})
Es gibt kein würdeloses Leben, auch nicht in der Demenz. Wir machen es nur würdelos, wenn wir den Menschen nicht verstehen, wenn wir den Menschen degradieren, wenn wir über ihn reden anstatt mit ihm. Es ist
nicht würdelos, auf Hilfe angewiesen zu sein. Es ist nicht
würdelos, sich von anderen Menschen pflegen zu lassen.
Noch ein Missverständnis möchte ich aufklären: Unser Gesetzentwurf ändert nichts an der Tatsache, dass der
Suizid in Deutschland straflos ist. Er ändert nichts daran,
dass Menschen, die einem anderen beim Suizid helfen,
in der Regel ebenfalls straflos bleiben. Unser Gesetzentwurf schränkt die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen
nicht ein.
({3})
Das gilt auch für Ärzte. Wenn Ärzte im Einzelfall Hilfe beim Suizid leisten, so machen sie es doch nicht zum
regelmäßigen Mittelpunkt ihrer Tätigkeit und bleiben
somit nach unserem Gesetzentwurf straflos; das wurde
in der Anhörung im Rechtsausschuss bestätigt. Dies gilt
auch für die Palliativärzte. Das ist auch der Grund, warum gerade der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband
und die Deutsche PalliativStiftung unseren Vorschlag
ausdrücklich unterstützen.
Sterben ist etwas sehr Individuelles - ob es sich um
Suizid handelt oder nicht. Wir dürfen es nicht in die Hände irgendwelcher Organisationen legen. Darum ist es
auch keine Lösung, einfach gar nichts zu tun. Und wir
sollten das Sterben auch nicht komplett durchregeln. In
diesem Sinne bitte ich Sie sehr herzlich um Unterstützung unseres Gesetzentwurfs, den ich gemeinsam mit
meinen Kolleginnen und Kollegen Kerstin Griese, Michael Brand, Kathrin Vogler, Dr. Harald Terpe und anderen entwickelt habe.
Danke schön.
({4})
Ich erteile der Kollegin Dagmar Wöhrl das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder von uns hat sich mit dem Thema Sterbehilfe anders
auseinandergesetzt. Wir haben auf allen Ebenen respektvoll miteinander diskutiert. Viele von uns haben persönliche Erfahrungen mit diesem Thema gemacht, auch ich.
Viele haben Hospize besucht. Ich habe in einem Hospiz
gearbeitet, um noch näher an diesem Thema dran zu sein.
Ich habe auch viel gelesen.
Eine Geschichte ist mir besonders präsent. Ein junger
Patient auf einer Palliativstation litt wegen eines unheilbaren Tumors unter starken Schmerzen. Die Beschwerden konnten gelindert werden. Nach einer Woche konnte
er entlassen werden. Er hat sich beim palliativmedizinischen Team bedankt, ging nach Hause und nahm sich das
Leben. Das Team war total entsetzt und hat sich gefragt:
Warum hat er uns nicht gesagt, dass er Probleme hat? Die
Schwester des Patienten, der er sich vorher anvertraut
hatte, fragte ihn: Warum hast du nicht mit den Palliativmedizinern gesprochen? Die erschütternde Antwort war:
Um Gottes willen! Die Ärzte und Pfleger waren so gut
zu mir, ich wollte sie nicht in Schwierigkeiten bringen.
Jeder versteht, dass man gegen die dubiosen - und das
sind sie - Sterbehilfevereine vorgehen will, aber es ist
wichtig, wie man dieses Ziel erreicht. Nicht alles, was
gut gemeint ist, ist der richtige Weg.
({0})
Die meisten Menschen entscheiden sich bewusst gegen
Sterbehilfevereine, sie entscheiden sich für eine Begleitung durch die Ärzte, durch die Pfleger und durch die
Angehörigen.
Die Debatte heute könnte von historischer Bedeutung
sein, und zwar deswegen, weil Beihilfe zu einer straflosen Haupttat zukünftig unter Strafe gestellt werden soll.
Das ist ein Systembruch nach 150 Jahren erfolgreicher
Strafrechtsgeschichte, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Voraussetzung für geschäftsmäßigen Suizid - bei
„geschäftsmäßig“ denkt man an Geschäft; jemand will
viel Geld verdienen - ist die Wiederholungsabsicht. Im
Gesetzentwurf von Brand/Griese heißt es, eine Wiederholungsabsicht könnte bereits bei einer einmaligen Hilfe
zum selbstbestimmten Sterben gegeben sein. Das heißt,
dass Ärzte und Pfleger, die regelmäßig Sterbende begleiten, der konkreten Gefahr staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen ausgesetzt sind. Das ist Fakt.
({1})
Sie müssen mit Befragungen und Ermittlungen rechnen.
Ich frage Sie: Welcher Arzt geht ein solches Risiko ein?
Er wird sich von seinem Patienten entfernen. An wen sollen sich die Patienten dann wenden, wenn sie Suizidgedanken haben, wenn sie Hilfe brauchen? Wir sagen doch
immer: Es ist schon lebensbejahend, wenn du weißt, dass
du dich an jemanden wenden kannst, dem du deine Sorgen und Empfindungen anvertrauen kannst. Das ist doch
Suizidprävention! Ist das nicht der Fall, dann sieht sich
der Patient einer anonymen Entscheidungswelt gegenüber, und er hat niemanden mehr, dem er sich anvertrauen kann.
Die Diskussion ist auch historisch, weil eigene Anschauungen in Bezug auf Ethik und Moral gegen den
Willen der Mehrheit der Bevölkerung mittels Strafrecht
durchgesetzt werden sollen. Wir müssen uns die Frage
stellen: Haben wir als Bundestagsabgeordnete wirklich
das Recht, Menschen ohne Not in ihrer Entscheidung in
einem so persönlichen Lebensbereich einzuschränken?
({2})
Ich kann nur sagen: Keiner meiner Wähler hat mir das
Recht übertragen, zu entscheiden, wie er zu sterben hat.
({3})
Das Strafrecht ist das schärfste Schwert, das ein Staat
hat. Das Strafrecht soll nur angewendet werden, wenn es
um die Gefährdung von Rechtsgütern geht. Aber wie ist
denn die Situation an unseren Krankenbetten in Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen? Die konstant
niedrigen Fallzahlen in den Ländern, in denen ärztlich
assistierter Suizid Gott sei Dank erlaubt ist, belegen eindeutig, dass es die behauptete Gefährdung von Rechtsgütern nicht gibt.
({4})
Die meisten Menschen empfinden, dass es sich hier um
einen illegitimen Übergriff des Staates handelt. Ich muss
sagen: Mir persönlich widerstrebt es, die existenzielle
und höchst intime Ausnahmesituationen am Lebensende
auf die Ebene der öffentlichen Regulierung zu hieven.
({5})
Der Gesetzgeber sollte sich hier zurückhalten und die
Menschen ihr eigenes Leben so gestalten lassen, wie sie
es für richtig halten.
Ich glaube, diese Debatte kann eine historische Debatte sein, wenn wir aus den Erfahrungen, die wir in den
Diskussionen der letzten Monate gesammelt haben, ableiten, dass wir unsere eigenen, persönlichen Ansichten
zurücknehmen, dass wir die Grenzen unseres Mandates
nicht überschreiten, dass wir auch den Staat in seine
Grenzen verweisen und die Selbstbestimmung über die
Fremdbestimmung stellen.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Danke für die
Debatte. Ich sage aber auch: Nein danke für das Ergebnis.
Vielen Dank.
({6})
Kai Gehring erhält nun das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
entscheiden heute über die weitreichende Frage, ob es zu
einer Kriminalisierung der seit 150 Jahren straflosen Suizidhilfe kommt.
Der Brand/Griese-Entwurf bringt Ärzte in die Gefahr der Strafverfolgung und belastet das gerade am Lebensende besonders wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient schwer.
({0})
Ich will keine Verbotsgesetze und keine Bevormundung im Bereich der Sterbehilfe; denn zu einem selbstbestimmten Leben gehört auch ein selbstbestimmter Tod.
Die allermeisten Menschen von jung bis alt in unserem
Land sagen: Mein Ende gehört mir. Diesen Kern der
Selbstbestimmung haben wir als Gesetzgeber zu respektieren. Über die Köpfe von Sterbewilligen hinweg zu entscheiden, finde ich inhuman.
({1})
Wir als Mitglieder des Bundestages haben nicht das
Recht dazu, Sterbewillige zu zwingen, ihren schweren
Leidensweg bis zum Ende zu gehen. Das scharfe Schwert
des Strafrechts ist die Ultima Ratio unseres Rechtsstaates. Es zu nutzen, obwohl es kein gravierendes, kein
empirisch belegtes Phänomen gibt, ist unverantwortlich.
Die Suizidhilfe ist seit 150 Jahren erlaubt und kein Problem. Brand, Griese und Sensburg warnen vor Gefahren,
die es schlichtweg so nicht gibt.
({2})
Alle Warnrufe halte ich nicht für plausibel, sondern für
Angstschürerei und Horrorszenarien. Die Keule des
Strafrechts für einzelne existenzielle und intime Ausnahmesituationen am Lebensende zu schwingen, halte ich
daher für unangemessen. Brand, Griese, Sensburg wollen
den bösen Herrn Kusch treffen, treffen aber alle Ärzte
und Sterbehelfer in unserem Land, und das ist problematisch.
({3})
Eine Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Suizidhilfe führt dazu, dass Ärzte, die viele totkranke Patienten
behandeln und nur in seltenen Fällen Suizidhilfe leisten, künftig mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen
rechnen müssen; denn „geschäftsmäßig“ bedeutet: ohne
finanzielle Interessen mit Wiederholungsabsicht zu handeln. Eine Wiederholungsabsicht kann bereits nach einmaliger Suizidhilfe unterstellt werden. Jeder Anfangsverdacht macht zum Beispiel einen Palliativmediziner
zu einem Fall für die Strafverfolgungsbehörden, und das
können wir nicht ernsthaft wollen.
({4})
Der Wunsch eines qualvoll Sterbenden nach Suizidhilfe wird durch den Entwurf von Künast, Sitte und mir
genauso abgesichert und geschützt wie durch den Entwurf von Hintze, Reimann und Lauterbach. Auch eine
Beibehaltung der geltenden Rechtslage würde diesem
Ziel gerecht.
({5})
Unsere Gesetzentwürfe sichern Sterbewilligen und Ärzten ein Höchstmaß an Selbstbestimmung, Straffreiheit
und Rechtssicherheit. Wir brauchen Freiheit für Gewissensentscheidungen.
({6})
Für mich sind übrigens die Wünsche des Sterbenden
maßgeblich, nicht die der Kirchen. Gerade in unserem
religionsneutralen, säkularen und pluralistischen Staat
haben religiöse Erwägungen im Strafrecht nichts zu suchen.
({7})
Sterbewillige in größter Not benötigen Fürsorge, Zuwendung, helfende Hände und ergebnisoffene Gespräche.
Deswegen will ich, dass das Spektrum der letzten Hilfe
beim freiverantwortlichen Suizid weitgehend so erhalten
bleibt, wie es ist. Die Behauptung, Suizidbeihilfe werde
zum medizinischen Regelangebot, ist hanebüchen. Suizidhilfe bleibt eine ärztliche Gewissensentscheidung.
Die Initiative geht vom notleidenden Menschen aus.
Kein Drängen, kein Profit - Punkt.
Letzte Hilfe dagegen auf Familienmitglieder zu begrenzen, ist unerträglich restriktiv. Menschen, die keine
Angehörigen haben oder kein Vertrauensverhältnis zu ihren Verwandten, müssen mit einem Arzt über letzte Hilfe
sprechen können und ihn gegebenenfalls um Suizidassistenz bitten können. Menschen den Sterbewunsch zu
verwehren, ihnen auch das Gespräch zu verwehren und
ihre möglichen Assistenten zu kriminalisieren, halte ich
für unethisch.
({8})
Wer keine Angehörigen hat oder sie nicht um letzte Hilfe
bitten kann, darf nicht alleingelassen werden.
Aus all diesen Gründen bitte ich Sie: Stimmen Sie für
Gesetzentwürfe, die Straffreiheit und Selbstbestimmung
sichern, und sagen Sie Nein zu Brand/ Griese. Hören
Sie auf die überwältigende Mehrheit deutscher Strafrechtsprofessoren, auf die Vorsitzende des Deutschen
Ethikrates, auf große Teile der Ärzteschaft und Palliativmediziner und vor allem auf unsere Bevölkerung. Die
Menschen, ob Christ oder konfessionslos, wollen ihr Leben so gestalten, wie sie es für richtig halten. Stimmen
Sie also für Gesetzentwürfe der Vernunft und für die gesellschaftliche Mehrheit.
({9})
Bettina Hornhues ist die nächste Rednerin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! In einer intensiven Debatte der vergangenen Monate fand eine umfangreiche
Meinungsbildung und Meinungsschärfung statt, und dies
nicht nur bei uns Parlamentariern. Selten wurde in der
breiten Öffentlichkeit über ein Thema mit so viel Engagement diskutiert. Dies zeigt, dass es sich heute nicht
nur um eine politische, sondern vor allem auch um eine
ethische Diskussion handelt.
Ich persönlich habe mich nach intensiver Diskussion
und gründlicher Abwägung entschlossen, dass ich den
Gesetzentwurf der Kollegen Dr. Patrick Sensburg und
Thomas Dörflinger unterstütze; denn dies ist der einzige Gesetzentwurf, der sich gegen eine Legalisierung
ausspricht. Die anderen Entwürfe, die heute zur Abstimmung stehen, legalisieren die Suizidbeihilfe von Angehörigen und Ärzten und unterscheiden sich nur in den
Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Es darf meiner
persönlichen Meinung nach keine Freigabe der Sterbehilfe in irgendeiner Form geben, vor allem aber keine
kommerzielle und keine geschäftsmäßige Sterbehilfe.
Hilfe beim Sterben und nicht Hilfe zum Sterben, den Tod
begleiten und nicht herbeiführen - dieser Leitsatz steht
für mich an erster Stelle. Den Grund möchte ich Ihnen
gerne erläutern.
Als Arzttochter bin ich ein Leben lang von den Themen „Krankheit“ und „Tod“ begleitet worden. Es gab
viele Patientenfälle, die meine Eltern aufgrund ihrer
Schwere weit über das normale Patientengespräch hinaus
beschäftigten. Aber eines kam für meine Eltern nicht infrage: dem Tod nachzuhelfen, war das Leid des Patienten
noch so groß. Stattdessen wurden die Patienten begleitet,
ihnen das Leiden erleichtert, psychologisch und therapeutisch, immer auf dem modernsten Stand wie bei vielen ihrer Standeskollegen.
Ich spreche mich gegen die Straffreiheit aus. Denn
nicht nur ich stelle mir die Frage, wo bei einer Legalisierung die Grenze ist. Wird die Hemmschwelle so weit
gesenkt, dass Suizid dann plötzlich hoffähig wird? Ein
Artikel in der FAZ hat jüngst genau diese These bestätigt.
Seit der Legalisierung der Tötung auf Verlangen und des
assistierten Suizids in den Niederlanden ist die Hemmschwelle zur Selbsttötung stetig gesunken. Die Zahlen in
den Niederlanden sprechen eine deutliche Sprache. Waren es 2005 noch 1 800 Fälle, steigerte sich die Zahl im
Jahr 2014 bereits auf 5 300 Fälle. Diese Zahlen spiegeln
deutlich wider, dass Sterbehilfe bei unseren Nachbarn
zur Normalität geworden ist.
Die Untersuchungen zeigen auch, dass sich der Kreis
derer, die Sterbehilfe in Betracht ziehen, deutlich erweitert hat. Waren es anfangs hauptsächlich Krebskranke und Aidspatienten, finden sich heute Patienten mit
vielen verschiedenen Krankheitsbildern wie Demenz,
psychiatrische Erkrankungen oder auch altersbedingte
Beschwerden darunter. Stattdessen sollten wir unsere
medizinischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte würdigen und die Forschung weiter unterstützen. Denn durch
eine bestmögliche Palliativmedizin ist eine leidensarme
Sterbebegleitung möglich. Hierbei stehen die Linderung
der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität
im Vordergrund. Das ist aus meiner Sicht auch der richtige Weg.
Viele schwerstkranke Patienten antworten auf die
Frage, warum sie nicht mehr leben möchten, sehr häufig
mit dem Wunsch, den Angehörigen nicht länger zur Last
fallen zu wollen. Stellt man diese Patienten palliativmedizinisch ein und fragt nach ein paar Tagen nach, hat sich
ihre Einstellung vollkommen geändert. Es ist ein Sinneswandel, der eintritt, wenn der Patient antwortet, dass er
unter diesen Umständen - mit der richtigen therapeutischen Maßnahme - weiterleben möchte. Der Satz „Ich
will nicht mehr leben“ müsste richtig heißen: Ich will so
nicht mehr leben. - Diese Maxime sollten wir in unserer
Gesellschaft verankern.
Deswegen war es auch so wichtig, dass wir gestern
das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland verabschiedet haben. An dieser Stelle möchte ich deshalb einen Dank aussprechen:
an die Hospize und die vielen ehrenamtlichen Helfer
genauso wie an die vielen pflegenden Angehörigen, die
sich aufopferungsvoll einsetzen und ein würdiges Sterben bzw. eine Begleitung bis zum Tod ermöglichen, sei
es in der ambulanten oder in der stationären Versorgung.
Diesen Menschen ist Hochachtung entgegenzubringen,
ganz im Gegensatz zu denjenigen Menschen, die aus dem
Tod ein Geschäft machen, kommerzielle Sterbehilfe betreiben und aus dem Leid anderer Kapital schlagen. Denn
wer kann uns garantieren, dass diese Ärzte und Sterbehilfevereine den Schwerstkranken gegenüber die Abwägung ermöglichen? Ich sehe zudem die Gefahr, dass MitKai Gehring
leid die Bewertung zur Sterbehilfe beeinflusst. Das darf
meiner Ansicht nach nicht passieren.
({0})
Die Gesetzentwürfe des Kollegen Hintze und der Kollegin Künast öffnen dagegen Tür und Tor für etwas, das
nicht zu kontrollieren ist. Diese Lasten dürfen und sollten
wir niemandem auferlegen.
Frau Kollegin.
Schließen möchte ich mit einem Zitat unseres ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, der sagte:
Wo das Weiterleben nur eine von zwei legalen Optionen ist, wird jeder rechenschaftspflichtig, der anderen die Last seines Weiterlebens aufbürdet.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Zypries.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wenn
man bei einem so komplexen und sensiblen Thema nur
fünf Minuten Redezeit hat, muss man sich begrenzen.
Ich will mich deshalb auf die juristische Bewertung beschränken. Für die juristische Bewertung gilt bei so sensiblen Themen wie dem, über das wir heute reden, ganz
besonders, dass man sehr sorgfältig arbeiten muss.
({0})
Gerade dann, wenn es um Themen wie die Grenze von
Leben und Tod geht, muss man sicherstellen, dass man
nicht unnötig Prozesse produziert. Als ehemalige Bundesjustizministerin weiß ich, wie leicht einem so etwas
„gelingt“, obwohl man es gar nicht will.
({1})
Die geltende Rechtslage, meine Damen und Herren,
ist so: Sterbewillige müssen bis zum Schluss die Tatherrschaft behalten. Dann ist auch die Beihilfe nicht strafbar.
Der Vorschlag Sensburg ist zwar klar und eindeutig gefasst; er sieht in seiner Intention aber vor, dass die Beihilfe zur Selbsttötung künftig strafbar wird. Das ist eine
Regelung, die es - das wurde schon genannt - seit 1871
so nicht gibt. Ich glaube, wir haben keinen Grund, davon
abzuweichen. Deswegen werde ich diesem Vorschlag
nicht zustimmen.
({2})
Der Vorschlag Brand/Griese sieht vor, dass man im
Strafgesetzbuch eine Änderung einfügt, und zwar lautet
sie:
Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen
zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt ...
Die ganze Diskussion, die wir in den letzten Wochen und
Monaten geführt haben, hat sich um die Fragen gerankt:
Kann dieses „geschäftsmäßig“ belastbar, sicher, gerichtsfest ausgelegt werden? Wann handelt ein Arzt „geschäftsmäßig“? Das ist völlig unklar geblieben. Es gibt
dazu ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des
Bundestages, das die Zweifel an dieser Regelung überzeugend darlegt. Die Sachverständigen haben das in der
Anhörung bestätigt. Deswegen möchte ich gerne sagen:
Es geht hier nicht um eine Kriminalisierung der Ärzte solche Aussagen finde ich auch falsch, was diesen Gesetzentwurf anbelangt -,
({3})
sondern es geht darum, dass man aufgrund dieser Unsicherheit - was heißt „geschäftsmäßig“? - eine Vielzahl
von Prozessen produziert. Das gilt es zu vermeiden.
({4})
Mit dem Vorschlag Hintze/Reimann wird vorgesehen, den Widerspruch in der gegenwärtigen schwierigen
Rechtslage - einerseits ist die Sterbebeihilfe straffrei,
andererseits ist die Sterbebeihilfe nach dem ärztlichen
Standesrecht verboten - dadurch aufzulösen, dass man
Ärzten diese Hilfestellung durch Einfügungen im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich erlaubt. Es ist von
meinen Vorrednerinnen hier schon gesagt worden: Das
ist verfassungsrechtlich einfach nicht zulässig, weil das
ärztliche Standesrecht in der Kompetenz der Bundesländer bzw. in der Selbstverwaltung der Ärzteschaft liegt.
Vorhin hat jemand gesagt, der Vorschlag richte weiter
keinen Schaden an. Er würde aber auf alle Fälle beklagt
werden. So viel ist doch sicher.
Der Vorschlag Künast/Sitte sieht dagegen als einziger
Vorschlag ein völlig neues, eigenständiges Gesetz vor,
mit dem Verhaltensweisen unter Strafe gestellt werden,
die nach geltendem Recht nicht strafbewehrt sind. Darüber hinaus - das ist mir auch sehr als schwierig aufgestoßen - muss derjenige, der in „organisierter oder
geschäftsmäßiger Form“ Hilfe zur Selbsttötung leisten
will, ein schriftlich dokumentiertes Beratungsgespräch
führen.
Die erste Frage ist hier: Was heißt eigentlich „ in organisierter oder geschäftsmäßiger Form“? Auch das ist
wieder eine Frage nach der Bestimmtheit des Begriffes.
Dass sämtliche Beratungsprotokolle von den Protagonisten, die sich gegen dieses ärztliche Verhalten wehren
wollen, auch noch vor Gericht angefochten werden, weil
die Gespräche nicht ordentlich dokumentiert worden
sind - wir kennen das ja aus dem Pflegebereich -, können wir, glaube ich, gerade in diesem sensiblen Bereich
nicht brauchen.
Es ist also sicher, dass jeder dieser drei Gesetzentwürfe vor Gericht beklagt werden würde - von Organisationen sowieso, aber auch von Einzelpersonen, die sich
entweder in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt fühlen oder als Angehörige ärztliches Verhalten kritisieren.
Das heißt, wir würden mit jeder dieser Regelungen mehr
Probleme schaffen, als wir lösen.
({5})
Daneben würden wir gerade in diesem sensiblen Bereich
für viele Jahre eine enorme Rechtsunsicherheit schaffen.
Herr Gröhe, Sie haben vorhin gesagt: Wir brauchen
eine kluge Rechtsanwendung. Ich kann dazu nur sagen:
Damit haben Sie völlig Recht. Das Problem ist nur: Darüber entscheidet der Gesetzgeber nicht mehr. Der Gesetzgeber macht ein Gesetz, und die Anwendung obliegt
dann den Gerichten, die sich mit denen zu befassen haben, die dagegen klagen.
({6})
Was dann dabei herauskommt, können wir - zum Glück nicht mehr beeinflussen. Das Problem ist einfach, dass
wir das dann nicht mehr regeln können.
Deswegen glaube ich, dass wir mit der bestehenden
Rechtslage die gewerbsmäßig assistierte Selbsttötung
weiterhin als unzulässig beschreiben sollten. Die Staatsanwaltschaften - das wurde ja bereits gesagt - ermitteln.
Die Menschen, die ihr Leiden beenden möchten, erhalten
eine ergebnisoffene Beratung: eben nicht nur zum Sterben, sondern auch zum Weiterleben.
({7})
Volker Kauder ist der nächste Redner.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass wir es heute mit einem jeden persönlich besonders
fordernden Thema zu tun haben, zeigt schon die ungewöhnliche Beratungskonstellation, beginnend mit einer
Orientierungsdebatte, mit der wir uns erst einmal Klarheit über das Feld verschafft haben, das wir bearbeiten
oder nicht bearbeiten wollen, über eine ein Jahr dauernde
interne Diskussion mit Sachverständigen bis hin zu einem Meinungsbild, das wir uns verschafft haben. Jeder
Einzelne muss diese Entscheidung für sich selbst treffen.
Es gibt keine Führungsvorgabe durch Fraktionen. Jeder
ist hier selber gefordert.
Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung jedes
Einzelnen, und ich bitte darum, dass dies gegenseitig
gilt. Bei der einen oder anderen Rede, die ich hier gehört
habe, hatte ich den Eindruck, dass die eigene Überzeugung - es ist ja richtig, dass man eine solche hat - auch
dazu verwendet wird, die Überzeugung anderer in einer
Art und Weise zu kritisieren, die mit dem, was im Gesetzentwurf steht, nicht übereinstimmt.
({0})
Ich will gar nicht über andere sprechen; denn es ist
schon fordernd genug, über das zu sprechen, was man
selber will. Was wollen wir? Ich glaube, wir sind uns zu
einem großen Teil darüber einig, dass wir keine Sterbehilfevereine haben wollen, bei denen Menschen einen
Beitrag bezahlen müssen. Wenn sie eine schnellere Lösung haben wollen, ist der Beitrag höher. Dann wird ein
Sterben ohne weitere Prüfung organisiert, allein nach
dem Motto: Wer will, der kann. - Das wollen wir alle
nicht.
Wenn man das hört, was heute über das Thema Selbstbestimmung gesagt wird, könnte man den Eindruck haben, dass die eine oder andere Gruppierung den Suizid
verbieten will. Genau dies ist nicht der Fall. Der Suizid
wird überhaupt nicht verboten, sondern jeder kann selbstbestimmt entscheiden. Aber ich glaube: Es gibt nicht den
Anspruch eines Einzelnen darauf, dass ein anderer ihm
bei der Umsetzung dieser Entscheidung hilft. Das ist der
wichtige Punkt.
({1})
Das kann nicht nach dem Motto laufen: Ich habe ein Anrecht darauf, dass mir ein Arzt helfen muss. - Da kann ich
gut verstehen, dass Ärzte sagen: Das wollen wir nicht.
Jetzt kann man doch nicht so tun - das haben einige
getan -, als ob die deutsche Ärzteschaft eine andere Meinung vertreten würde. Die überwiegende Mehrheit der
deutschen Ärzteschaft hat gesagt, dass sie dies nicht will.
Natürlich wollen Ärzte Menschen begleiten, aber sie sind
nicht dafür da, Menschen in den Tod zu befördern. Diese
Entscheidung der deutschen Ärzteschaft sollten wir akzeptieren.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, worüber
wir heute entscheiden, ist die Forderung, Sterbende zu
begleiten und sie nicht alleine zu lassen. Wenn wir dem
Antrag von Brand/Griese folgen, wird uns die Aufgabe,
Sterbende zu begleiten, nicht mehr loslassen. Wir treffen
nämlich damit keine endgültige Entscheidung. Vielmehr
ist es eine ständige Mahnung, ein ständiger Stachel, das
Begleiten Sterbender zu einem Anliegen von uns zu machen. Das geht nicht nach dem Motto: Wir können einen
Schlussstrich ziehen, und dann ist die Aufgabe erledigt.
Deswegen ist der Antrag von Brand/Griese eine wesentlich größere gesellschaftliche Herausforderung als
alles andere, nämlich sich täglich darüber bewusst zu
werden, dass Sterben zwar etwas höchst Individuelles
ist, dass wir aber Sterbende begleiten müssen und nicht
allein lassen dürfen - als eine ständige Herausforderung
in unserem täglichen Leben.
({3})
Vielen Dank. - Dr. Karl Lauterbach von der SPD-Fraktion hat jetzt das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst will ich mit dem beginnen, was uns eint. Uns
alle eint die Bemühung, die Palliativmedizin deutlich
zu stärken. Dazu haben wir gestern etwas Wichtiges beschlossen.
({0})
Aber die Palliativmedizin hilft nicht bei dem heutigen
Problem; denn diejenigen, die den assistierten Suizid
wünschen, wie er in Oregon oder in der Schweiz erlaubt
ist, werden zu 90 Prozent palliativmedizinisch versorgt.
Also kennen diese Menschen die Palliativmedizin, weil
sie an ihnen praktiziert wird. Herr Gröhe, das Land mit
der in Europa mit Abstand besten Palliativversorgung,
die Niederlande, hat eine sehr hohe und aus meiner Sicht
bedauernswert hohe Quote bei der aktiven Sterbehilfe,
die wir natürlich nicht wollen.
({1})
Somit löst die Palliativmedizin nicht das Problem, über
das wir heute reden.
Die zweite Sache, die uns eint, ist: Wir alle wollen
keinen Dammbruch. Wir wollen keine aktive Sterbehilfe,
und wir wollen auch keine Normalität in der Sterbehilfe.
Aber auch das steht nicht zur Debatte.
Die Regelung von Hintze, Reimann und Lauterbach,
über die wir heute diskutieren, gibt es in Oregon schon
seit 17 Jahren. Nach wie vor 2 Promille der Todesfälle sind assistierter Suizid. Die Zahl ist nicht gestiegen.
Auch in der Schweiz sind es 2 bis 3 Promille; das ist
ebenfalls nicht gestiegen.
Was ist das beste Beispiel dafür, dass der erlaubte assistierte Suizid keinen Dammbruch bringt? Was ist das
wichtigste Land? Deutschland. Wir haben diese Regelung seit 140 Jahren. Die aktive Beihilfe zum Suizid ist
bei uns strafbar. Das soll nicht legalisiert werden,
({2})
wie dies eben fälschlich dargestellt wurde, sondern das
ist strafbar und soll es auch bleiben. Das hat keinen
Dammbruch gebracht, und es ist kein Dammbruch zu
erwarten. Niemand will einen Dammbruch; den wollen
wir alle nicht.
Herr Gröhe, Sie haben vollkommen recht: Man darf
nicht unterstellen, der Antrag Brand/Griese wolle, dass
das Krankenbett kriminalisiert wird, dass die Arzt-Patient-Beziehung kriminalisiert wird. Wir unterstellen
nicht, dass das die Absicht ist; das ist nicht der Fall. Uns
ist nur wichtig, zu sagen, dass wir glauben, dass das folgen könnte, dass das die nicht beabsichtigte Folge sein
könnte. Darum geht es doch.
({3})
Das einzige Problem, das ich mit den Vorträgen habe,
ist - ich selbst bin kein Jurist -: Ich bin nicht der Meinung, dass es so sicher wäre, dass die Folge des Antrags
Brand/Griese nicht ist, dass es zu einer Kriminalisierung
der Ärzte kommt, die die Sterbehilfe praktizieren wollen.
Ich halte das für nicht so sicher, wie es dargestellt wird.
({4})
140 führende Strafrechtler sind der Meinung, dass es
zu dieser Kriminalisierung kommen könnte. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags ist, wie es
die ehemalige Justizministerin gesagt hat, der Meinung,
dass es dazu kommen könnte.
In der Anhörung, die wir gehabt haben, war ein Teil
der angehörten Rechtsprofessoren, zum Beispiel Professor Hillgruber und Professor Merkel, der Meinung, dass
es zu dieser Kriminalisierung kommen könnte. Ja, sogar
in der Stellungnahme des jetzigen Justizministers ist man
der Meinung, dass es zu dieser Kriminalisierung kommen könnte.
Alles, was ich sagen will, ist: Die Lage ist nicht so
sicher, wie Sie es darstellen.
({5})
Wir müssen dieses Risiko vermeiden. Wir wollen keine
Unsicherheit. Dies sage ich als Arzt.
Der Arzt, der Sterbehilfe leistet, nimmt schon jetzt
drei große Gefahren für das Wohl seines Patienten in
Kauf - er macht das ja nicht für sich; er bekommt kein
Geld dafür; es gibt keine Gebühr; er macht das nur für
seinen Patienten -: Er ist schon jetzt in der Gefahr, dass
er die Garantenpflicht verletzt, die wir bei der Patientenverfügung gut gelöst haben, beim assistierten Suizid
nicht. Er müsste eigentlich sofort eingreifen, wenn es zu
einem Problem kommt. - Das ist das erste Problem.
Das zweite Problem ist: In vielen Kammern, zum
Beispiel in der Kammer Nordrhein, in der ich als Arzt
gelistet bin, kann die Approbation - von der Kammer
der Bezirksregierung empfohlen - entzogen werden. Die
Tatsache, dass das noch nicht passiert ist, geht auch darauf zurück, dass wir diese Regeln in einigen Kammern
erst seit einigen Monaten haben.
({6})
Wir haben ja noch gar keinen Vorlauf. Wir können das
doch nicht ausschließen. - Das ist das zweite Problem.
Das dritte Problem, das wir - rechtlich gesprochen haben, ist, dass die Ärzte das Betäubungsmittelgesetz in
gewisser Weise beugen müssen; denn Betäubungsmittel
spielen bei der Palliativmedizin keine Rolle. Die Medikamente, die ich hier einsetze, sind keine Medikamente
für die Palliativmedizin.
Somit bin ich bereits in dreierlei Hinsicht in einer
rechtlichen Grauzone. Jetzt kommt das Strafrecht dazu.
Machen wir uns doch nichts vor: Das macht kein Arzt
mehr. Ich selbst würde es auch nicht machen. Das ist zu
riskant.
Daher plädiere ich dafür: Lieber kein Gesetz als ein
schlechtes Gesetz.
({7})
Wir haben eine gute Debatte gehabt. Wir alle haben aus
dieser Debatte gelernt. Wir dürfen stolz sein: Wir haben
aus dieser Debatte gelernt und sind weitergekommen.
Wenn wir zum Schluss sagen: „Wir beschließen gar
nichts“, dann haben wir das Thema enttabuisiert und sind
gemeinsam auf einem Erkenntnisweg zu dem Ergebnis
gekommen: Besser kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz.
({8})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin spricht Susanna
Karawanskij.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Ein Leben in Menschenwürde
zu führen, führen zu können und vor allen Dingen auch
führen zu dürfen, ist ein alter Menschheitstraum. Daher
wird der Begriff „Menschenwürde“ gerne zu großen
Anlässen, feierlichen Gelegenheiten oder eben auch bei
grundsätzlichen Fragen wie die, vor der wir heute stehen,
herangezogen und zur Letztbegründung der eigenen Argumentation genutzt.
Dass wir am heutigen Tag die verschiedenen Vorschläge alle auch unter dem Aspekt des Lebens in Menschenwürde - und des Sterbens als dessen letzte Phase - besprechen, zeigt, dass es mit solchen großen Begriffen wie
der Menschenwürde doch nicht ganz so einfach ist. Denn
darüber, was der Mensch ist und was ihm zukommt, wird
sehr unterschiedlich gedacht. Ob er beispielsweise Bestandteil einer, sagen wir, Schöpfungsgeschichte, einer
Evolutionsgeschichte oder - auch das ist möglich - von
beidem ist, lässt ganz verschiedene Perspektiven auf uns
und damit auch darauf zu, was denn unsere Würde sei.
Für mich ist der Begriff der Menschenwürde aufs
Engste mit der Frage der Selbstbestimmung und des
selbstbestimmten Lebens verbunden. Auch dieser Punkt
kann nicht sinnvoll ahistorisch oder überzeitlich betrachtet werden. Die grundsätzliche Möglichkeit von uns
Frauen, selbst darüber zu bestimmen, ob und wann wir
Kinder zur Welt bringen wollen, zum Beispiel ist ganz
klar erst jüngeren Datums. Sie ist - wir wissen das - keinesfalls überall gegeben. Auch die Möglichkeit, vielen
Krankheiten entgegenzutreten, die noch vor 200 Jahren
zu furchtbaren Epidemien führten und ganze Landstriche entvölkerten, lässt uns einen kleinen Schritt aus den
vermeintlichen Gegebenheiten einer doch so grausamen
Natur heraustreten.
Dass wir mit einer ganzen Reihe sozialer und medizinischer Maßnahmen die Kindersterblichkeit auf ein in
der Menschheitsgeschichte nie gekanntes niedriges Niveau senken konnten, lässt die Chance für jedes geborene
Leben, zur Selbstbestimmung heranzureifen, enorm steigen. Auch auf diesem Gebiet wissen wir um die regionale Beschränktheit dieser Erfolge und darum, dass ganze
Kontinente kaum an ihr teilhaben können.
Selbstbestimmt in Menschenwürde zu leben, heißt für
mich, nicht zu kapitulieren vor vermeintlichen Unveränderlichkeiten oder vor einem „Das war schon immer so“.
Wäre dies unser Grundsatz, würden wir heute noch unter
furchtbarsten Bedingungen leben. Alle Freiheit, die wir
haben, wurde erkämpft und im Widerstand gegen Verhältnisse errungen, die anders waren. Dies gilt meiner
Auffassung nach auch für ein Sterben in Menschenwürde, nämlich selbstbestimmt und in Freiheit.
({0})
Wir schaffen es, unsere Lebenserwartung immer höher zu schrauben, aber nicht, Verfall und Sterben aufzuhalten. Zu spekulieren, was uns die Zukunft bringen mag,
verbietet an dieser Stelle meines Erachtens der gesunde
Menschenverstand.
Wir müssen heute entscheiden, inwieweit wir ein
Ende des Lebens in Menschenwürde - einer Menschenwürde, die von Selbstbestimmung und Freiheit ausgeht möglich machen wollen. Der Gesetzentwurf von Renate
Künast und Petra Sitte hat diesen Zusammenhang als
Grundannahme, die im Übrigen - das wurde auch schon
mehrfach gesagt - von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung, nämlich von 80 Prozent der Menschen im
Land, geteilt wird.
Und noch eines möchte ich ansprechen: Die Menschenwürde, die Selbstbestimmung und die Freiheit,
die hinter diesem Gesetzentwurf stehen, kommen allen
Menschen gleichermaßen zu, und deshalb wollen wir
nicht, dass daraus ein Gewinnmodell wird. Ich spreche
mich ganz klar gegen eine Kommerzialisierung, also ein
gewerbsmäßiges Anbieten sterbebegleitender Hilfeleistungen, aus. Denn in unserer Gegenwart ist die gleiche
Freiheit für alle vor allem dann nicht Wirklichkeit, wenn
sie als Marktteilnehmer aufzutreten gezwungen sind. Der
eine hat vielleicht nicht mehr als seine eigene Haut zum
Markte zu tragen, während der andere das Erbe ganzer
Generationen verprassen kann.
Da heute viele Philosophen und andere Denker zitiert
worden sind, will ich in diesem Zusammenhang Hans
Albers zitieren: „Das letzte Hemd hat leider keine Taschen.“ Und zumindest darin sind wir alle gleich.
({1})
Vielen Dank. - Jetzt spricht Andrea Nahles.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In den letzten anderthalb Jahren ist uns in diesem Parlament etwas gelungen. Wir haben es geschafft,
nicht nur hier im Parlament, sondern auch in der Gesellschaft eine Debatte über das zu führen, was bis dahin in
der Tabuzone war, den Tod. Das „Bis zuletzt gut leben
und am Ende gut sterben“ stand im Mittelpunkt dieser
Debatte. Ich glaube, wir haben als Gesetzgeber einiges
auf den Weg gebracht, was Menschen wirklich hilft, zum
Beispiel erst gestern mit dem, was wir beschlossen haben
zur Verbesserung der Hospizarbeit und der Palliativmedizin.
({0})
Das sollten wir heute nicht gefährden. Wir sollten hinter
diese Debatte auch nicht zurückfallen.
Wenn hier immer wieder behauptet wird, dass es zu
Haftstrafen oder Ermittlungsverfahren gegenüber Ärztinnen und Ärzten kommt, wenn man dem von mir unterstützten Gesetzentwurf von Brand, Griese, Vogler und
Terpe folgt, dann ist das schlicht falsch.
({1})
Ich möchte an dieser Stelle dazu zwei Dinge sagen. Erstens. Die Straffreiheit der Suizidhilfe bleibt auch bei
Brand/Griese unangetastet; das wurde schon erwähnt.
Zweitens. Nun kommt die Verfeinerung der Argumentation. Man sei sich nicht so sicher, hat Karl Lauterbach
gesagt. Ja, wer wäre das in dieser Frage? Er hat dafür
140 Strafrechtler angeführt, die eine initiative Stellungnahme vor einem Jahr abgegeben haben. Zu diesem Zeitpunkt lag noch keiner der Gesetzentwürfe vor, über die
wir heute debattieren.
({2})
Wer Verunsicherung schüren will, der kann das ganz einfach tun, indem er eine allgemeine Stellungnahme des
Justizministers Heiko Maas anführt, der, als ebenfalls
noch kein Gesetzentwurf vorlag, gesagt hat, es könnte
zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen. Ja! Und darum haben wir uns im letzten Jahr bemüht, diese Abgrenzungsschwierigkeiten zu beseitigen.
({3})
Ich bitte an dieser Stelle, den Gesetzentwurf von
Brand, Griese, Vogler und Terpe genau zu lesen. Hier
geht es darum, geschäftsmäßigen Suizid zu verbieten.
Bei „geschäftsmäßig“ kommt es auf die Intention an.
Wer Leiden lindern will, im Grenzfall seinem Gewissen
folgt und Sterbehilfe leistet, fällt nicht unter das Kriterium der Geschäftsmäßigkeit; das hat Ruth Rissing-van
Saan in der Anhörung deutlich gemacht.
({4})
Aber es ist ein Grenzfall. Ich möchte nicht, dass es zur
gewöhnlichen Handlung wird. Das ist der entscheidende
Unterschied zwischen den Vorlagen.
({5})
Hier ist sehr viel von Selbstbestimmung die Rede.
Wer einen Menschen beim Sterben einmal begleitet hat,
weiß, dass in dieser Phase keineswegs nur der Aspekt
der Selbsttötung zur Selbstbestimmung gehört. Vielmehr
geht es sehr wohl um Begleitung. Aber greifen wir einmal das Argument der Selbstbestimmung auf. Der Gesetzentwurf Brand/Griese nimmt der Selbstbestimmung
nichts weg. Wenn sich ein Mensch dafür entscheidet,
Suizidhilfe nicht organisierten Anbietern zu überlassen,
sondern sie an dem Ort lässt, wo das einzig entschieden
werden kann, nämlich in dem ganz persönlichen und individuellen Verhältnis von Patient zu Angehörigen sowie
im Verhältnis von Patient zu Arzt, dann kann man nur
sagen: Dahin gehört es, und da bleibt es auch. Es gehört
aber nicht in die Hände Dritter, die damit Geschäfte machen.
({6})
Ich möchte noch etwas zu dem Argument sagen, dass
sich der Staat heraushalten soll. Der Gesetzgeber hat
auch hier eine Schutzpflicht, die er meiner Meinung nach
nicht ignorieren kann; denn es ist nachweislich so, dass
die Sterbehilfevereine auch Menschen zu Sterbehilfe
verhelfen, die schlichtweg einsam sind, die - das wurde
in der Hart aber fair-Sendung noch einmal belegt - mit
einem Trauerfall nicht zurechtkommen oder die schlicht
und ergreifend am Ende nicht mehr wissen, wie es weitergeht, und Hilfe brauchen. Ja, sie brauchen Hilfe, aber
keine Sterbehilfe. Dass dies missachtet wird, ist nachweislich der Fall.
({7})
Entschuldigung, aber vor dieser Entscheidung dürfen
wir uns nicht drücken. Es ist deshalb keine Lösung, über
keinen der Gesetzentwürfe abzustimmen. Es ist eine Illusion, zu glauben, wir könnten hinter diese anderthalb
Jahre andauernde Debatte zurück.
({8})
Denn nach den intensiven Diskussionen, die wir geführt
haben, bedeutete eine fehlende Mehrheit im Parlament
auch eine Entscheidung und gäbe das Signal: Angebote zum assistierten Suizid, ob Gewinnabsicht oder nicht,
sind gesellschaftlich akzeptiert, und der Suizid ist eine
akzeptable Antwort auf Schwäche, Hilflosigkeit und
Leid. Das kann man wollen - ich will es nicht.
({9})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin spricht Lisa
Paus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche hier heute für den Gesetzentwurf Hintze und Reimann. Ich bin
zu dieser Gruppe gewechselt, weil sie im vergangenen
Jahr eine starke Entwicklung durchgemacht hat mit dem
Ergebnis, dass dieser Gesetzentwurf tatsächlich der liberalste Gesetzentwurf ist, der heute zur Abstimmung steht.
Für mich persönlich ist das auch der einzige Entwurf, der
wirklich die Lage der sterbenskranken Menschen in diesem Lande verbessern würde.
Unser Gesetzentwurf, anders als die anderen Gesetzentwürfe, betrifft eben nicht das Strafgesetz; das Strafrecht hat bei diesem Thema einfach nichts zu suchen.
({0})
Unser Gesetzentwurf will stattdessen durch eine kleine Änderung im Zivilrecht schlichtweg mehr Rechtssicherheit für Ärzte schaffen. Die Ärzte werden ausdrücklich vor dem Entzug ihrer ärztlichen Zulassung geschützt,
wenn sie Suizidbeihilfe bei Todkranken leisten. Gerade
der Redebeitrag von Frau Nahles hat noch einmal deutlich gemacht: Eigentlich verhandeln wir heute die Frage:
Untergräbt es die gesellschaftliche Moral, wenn ein unheilbar Kranker Selbstmord begehen möchte, selbst wenn
er bestens palliativ versorgt wird? Sensburg, Brand/Griese und Frau Nahles beantworten diese Frage mit Ja, ich
beantworte diese Frage ganz klar mit Nein.
({1})
Todkranke haben gerade auch das moralische Recht,
Suizid zu begehen. Wenn sie das wollen, dann verdienen
sie Anteilnahme und nicht, dass sie alleingelassen werden, gerade nicht von den Ärzten.
({2})
Ich bin in dieser Frage auch deswegen so vehement,
weil ich wirklich davon überzeugt bin, dass eine ergebnisoffene ärztliche Beratung, die eine Unterstützung
beim Suizid nicht von vornherein durch Standesrecht
ausschließt, die Selbstmordrate nicht erhöhen, sondern
sie sogar senken würde; denn nur in einem tabufreien,
in einem offenen Arzt-Patient-Gespräch kann der Arzt
wirklich die richtige Therapie für den Patienten finden.
Vor allem kann der Arzt nur so die Depressiven von den
Lebenssatten wirklich unterscheiden und den Depressiven helfen.
({3})
Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle von meinem
Lebensgefährten berichtet, über seinen Umgang mit dem
Sterben, nachdem er, der Nichtraucher, die Diagnose
Lungenkrebs erhalten hatte. Die Selbstbestimmung bis
zum Schluss nicht zu verlieren, das war für ihn zentral.
Ihm hat die Gewissheit, im Zweifel über Tabletten zu
verfügen, über drei Jahre und viele schwere Stunden hinweggeholfen. Am Ende hat der Besitz dieser vermeintlichen Todestabletten, die er allerdings erst nach vielen
Versuchen von einem Arzt bekommen hatte, sogar seinen Suizid tatsächlich verhindert; denn sie gaben ihm die
Ruhe, die er brauchte, um sein Sterben zu akzeptieren.
Ich wiederhole das deswegen, weil der Fall meines
Lebensgefährten, wie ich inzwischen weiß, kein Einzelfall ist; er ist im Gegenteil typisch für sehr viele unheilbar
Krebskranke und ihren gewünschten Umgang mit dem
Sterben. Aber das ärztliche Standesrecht steht dem entgegen.
Was bekommt ein Todkranker normalerweise hier
zu hören? Machen Sie sich keine Sorgen! Wenn es so
weit ist, dann wird man sich um Sie kümmern und Ihre
Schmerzen lindern. - Oder er bekommt von den Ärzten
zu hören: Sie wissen, wenn ich Ihnen Tabletten gebe,
dann verliere ich meine Zulassung.
Aber was eben passieren kann, wenn der Sterbehilfewunsch nicht gehört wird, das hat ein Bekannter von mir,
selber Arzt, leider erleben müssen. Dieser Arzt arbeitete
jahrelang vertrauensvoll mit einer Mitarbeiterin zusammen. Diese Mitarbeiterin - Ironie des Schicksals - bekam eines Tages ebenfalls die Diagnose Lungenkrebs.
Sie versuchte, mit ihm über Sterbehilfe zu sprechen. Er
wehrte das Gespräch ab. Zwei Tage später wurde er angerufen, und ihm wurde mitgeteilt, dass die zuvor lebenslustige Frau mit einer Kugel im Kopf in der Wohnung
gefunden worden ist. Für diesen Arzt ist heute klar: Er
würde sich persönlich das nächste Mal anders entscheiden.
({4})
Es besteht leider die Gefahr, wenn der Gesetzentwurf
von Brand und Griese durchkommt, dass diese Art von
Selbstmorden, wie der der Mitarbeiterin, wegen der vorgesehenen Strafverschärfung und der damit verbundenen
Verunsicherung sogar noch öfter geschehen.
Frau Nahles, es war genau eine Strafrechtlerin in der
gesamten Debatte im gesamten letzten Jahr, die gesagt
hat: Es gibt kein Problem.
({5})
Alle anderen Strafrechtler haben gesagt: Es gibt ein Problem. - Diese Verunsicherung wird eben dazu führen,
dass viel mehr Menschen alleingelassen werden. Dazu
kann man einfach nur klar mit Nein stimmen.
({6})
Wenn Sie meiner Meinung sind, dass wir das Selbstbestimmungsrecht der Menschen auch und gerade im Sterben stärken sollten, dass ein Mehr an Selbstbestimmung
unser Land nicht unmenschlicher, sondern menschlicher
macht, dann stimmen Sie auch mit Ja für den Antrag von
Hintze und Reimann.
Danke.
({7})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Dr. Anton
Hofreiter das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir debattieren heute darüber, wie viel Freiheit wir den Menschen in ihrer letzten Lebensphase lassen wollen. Ich plädiere dafür, dass wir als Gesetzgeber
uns da so weit wie möglich zurücknehmen und den Menschen ihre Selbstbestimmung überlassen. Ich kann ja das
Argument verstehen, dass man die Sorge hat, dass Menschen in den Tod gedrängt werden, weil es heißt: Man
sollte niemandem mehr zur Last fallen. - Aber das steht
doch heute überhaupt nicht zur Debatte.
Wenn ich mir die einzelnen Gesetzentwürfe anschaue,
stelle ich fest: Wir haben auf der einen Seite den Vorschlag, alles so zu lassen, wie es ist. Dann gibt es ein
unterschiedliches Ausmaß der Verschärfung: von Totalverbot bis Abstufungen. Ich plädiere für den Antrag
Künast/Sitte, der ganz klar davon spricht, dass wir den
Ärzten, den nahen Angehörigen und auch nichtgewerblichen, nicht auf Gewinnerzielung gerichteten Vereinen
diese Möglichkeit geben sollen.
Das heißt, die Befürchtungen, die geäußert werden - dass alles viel schlimmer wird, dass die einzelnen
Menschen unter Druck kommen -, halte ich angesichts
der Debatte und angesichts der Auswahl von Fragestellungen, die wir haben, für völlig ungerechtfertigt; denn
niemand will eine stärkere Liberalisierung, sondern man
will entweder den Status quo oder unterschiedliche Formen der Verschärfung. Deswegen halte ich dieses Argument für nicht stichhaltig.
({0})
Wenn wir die Frage angehen, wie wir den Menschen
am besten helfen können, wie wir den Menschen am
besten die Ängste nehmen können, dann zeigt sich: Wir
brauchen eine gute Palliativmedizin und eine gute Hospizversorgung. Da sind wir gestern einen guten Schritt
vorangekommen. Aber wir brauchen auch deutliche Verbesserungen der Zustände in den Pflegeheimen. Ich glaube, da haben wir noch sehr viel Arbeit vor uns. Das wird
klar, wenn man sich die Zustände in vielen Pflegeheimen
ansieht.
({1})
Es ist davon die Rede gewesen, insbesondere von
Vertretern des Vorschlags Brand/Griese, dass ihnen zu
Unrecht vorgeworfen wird, dass sie die Ärzte kriminalisieren wollen. Dazu meine ich: Niemand wirft ihnen
vor, dass sie die Ärzte kriminalisieren wollen. Aber wenn
man sich die Anhörung und die Auseinandersetzung, die
es dabei gab, vergegenwärtigt, dann kommt man zu dem
Schluss: Es ist offensichtlich umstritten - ich bin selbst
kein Jurist, habe aber nachgelesen, was unterschiedliche
Juristen darüber gesagt haben -, ob das durch diesen
Gesetzentwurf passieren kann, wenn auch von Ihnen unbeabsichtigt. Bei so einer schwierigen Frage, finde ich,
dürfen wir nicht das Risiko eingehen, am Ende - wenn
auch von den Antragstellern unbeabsichtigt - zu einer
Kriminalisierung der Ärzte zu kommen.
({2})
- Auch wenn Sie dazwischenrufen: „Das ist ausgeschlossen!“, Herr Brand: Eine ganze Reihe von Strafrechtsprofessoren ist anderer Meinung, und damit besteht das Risiko, dass es nicht ausgeschlossen ist.
Deshalb bitte ich Sie, diesen Gesetzentwurf abzulehnen und von den anderen Gesetzentwürfen dem Gesetzentwurf Künast/Sitte zuzustimmen.
({3})
Etwas Weiteres kommt hinzu. Frau Nahles sagte in ihrer Rede: Ich will, dass dies so geregelt wird. - Ja, auch
ich will bestimmte Regelungen in dem Bereich; aber ich
sehe nicht, dass wir Menschen entsprechende Regelungen aufdrücken sollten. Es war davon die Rede, dass die
Sterbehilfe nahen Angehörigen, Verwandten oder Ärzten
überlassen bleiben soll. Wenn ich einmal in so einer Situation bin, möchte ich das nahen Verwandten oder einem
Arzt als Vertrauensperson vielleicht nicht zumuten. Vielleicht will ich, dass mich bei dieser letzten Handlung ein
Mensch unterstützt, der mir gerade nicht nahesteht. Mit
welchem Recht nehmen wir als Gesetzgeber jemandem
diese Entscheidungsfreiheit? Mit welchem Recht würden
Sie oder würde die Mehrheit mir diese Entscheidungsfreiheit nehmen? Ich kann keinen Schutzgrund erkennen,
der es rechtfertigt, mir diese Entscheidung zu nehmen.
Ich bitte Sie deshalb eindrücklich: Lassen Sie es bei
den liberalen Gesetzentwürfen, die eine Klarstellung zur
jetzigen Gesetzeslage und nicht die befürchtete Liberalisierung zur jetzigen Gesetzeslage enthalten! Lassen wir
den Menschen in dem Bereich die Entscheidungsfreiheit, und lassen wir sie entscheiden, ob sie diesen letzten
Schritt einem nahen Angehörigen, einem Arzt, dem sie
vertrauen, oder einer Fachperson in einem nicht auf Gewinnerzielung ausgerichteten Verein überlassen wollen!
Darum bitte ich Sie.
({4})
Vielen Dank. - Michael Frieser hat als nächster Redner das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Diese Debatte wird doch mit etwas mehr
Verve und etwas mehr Emotionen geführt als noch die
letzte. Wir alle versuchen, den notwendigen sittlichen
Ernst zu behalten. Ja, es geht um viel. Es geht um nicht
weniger als um die Entscheidung: Bereite ich in diesem
Land und in dieser Gesellschaft dem Tod den Weg, oder
bereite ich einer Begleitung bis ans Ende des Lebens den
Weg? Deshalb erlaube ich auch jede Form von Zuspitzung. Manchmal muss man Dinge zuspitzen, damit Zacken herausgemeißelt werden, damit wir uns darüber klar
werden, worum es tatsächlich geht.
Ich will für den Entwurf Brand/Griese für alle Kolleginnen und Kollegen, die jetzt wirklich mit einer ganzen
Reihe von Wissenschaftlern aus sämtlichen Disziplinen
über fast eineinhalb Jahre gerungen haben, doch noch
einmal ein paar Dinge geraderücken, weil wir sagen müssen: Es wird schon auch mit Absicht Verunsicherung gestreut. - Gerade dieser Absicht muss man entgegentreten.
Man könnte stolz darauf sein, dass wir die Zeit heute
fast nur mit der Diskussion über unseren gemeinsamen
Entwurf verbringen. Das ist schon auch etwas, was wir
als Debattenbeitrag gutheißen können. Aber man muss
noch einmal deutlich machen: Die straffreie Beihilfe, die
wir in diesem Land als wichtig erkannt haben, bleibt genau so, wie sie ist. An dieser Stelle wird und darf sich
nichts ändern, egal, wie oft das hier anders behauptet
wird.
({0})
Es wird keine Kriminalisierung von Ärzten geben,
nicht nur weil wir sie nicht wollen, nicht nur weil wir der
Auffassung sind, dass das der falsche Weg ist, sondern
weil es um ein intimes Verhältnis geht, zwischen dem
Patienten, dem Sterbenden, und seinem Arzt und seinen
nahen Angehörigen. Sie wird es deshalb nicht geben,
weil wir eine ganze Skala an Voraussetzungen haben, die
kumulativ zusammenwirken müssen, damit diese Frage
überhaupt aufkommen kann.
Das entscheidende Kriterium der Geschäftsmäßigkeit
kann man sicherlich neu zu definieren versuchen; aber es
ist in der deutschen Rechtsordnung definiert.
({1})
Es muss alles zusammenkommen: Es muss ein auf Wiederholung angelegtes Tun sein,
({2})
und es muss der Inhalt der Beschäftigung sein, des Arztes
oder einer anderen Person. Das ist genau der Punkt. Bei
uns steht gerade nicht der Arzt im Zentrum, sondern die
aggressiven Vereine, diejenigen, die den Tod auf Bestellung anbieten. Gerade deshalb geht es nicht um Kriminalisierung.
({3})
Ich erlaube mir, hier schon auch deutlich zu sagen:
Alle genannten Einzelfälle, die hier mit sehr viel emotionaler Beteiligung des Einzelnen, die ich niemals in Abrede stellen will, zitiert werden, sind nach unserem Gesetzentwurf, nach dem Entwurf Brand/Griese, in keiner
Weise auch nur annähernd strafrechtlich relevant oder
Grenzfälle. Kein einziger! Kein einziger Arzt in diesem
Land hat bei der Frage der Begleitung zum Tod jemals in
irgendeiner Art und Weise ein Problem mit seiner Approbation gehabt.
({4})
Nicht in einem einzigen Fall! Auch wenn Sie immer wieder anderes behaupten; es wird nicht wahrer. Ich stelle
mir schon die Frage: Wozu diese Versuche der Verunsicherung?
Wir reden heute auch über Gesetzentwürfe, die eine
aktive Sterbehilfe in diesem Land zulassen wollen. Aktive Sterbehilfe - am Ende steht die Tötung auf Verlangen
und deren Legalisierung. Das ist unsere große Angst. Wir
spüren in den Diskussionen den Druck auf unsere Gesellschaft und wissen: Wir müssen reagieren, weil es nicht
nur im benachbarten Ausland, sondern auch bei uns im
Land Vereine und Verbände gibt, die uns diesen Druck
auferlegen. Diese Diskussion ist nicht am Ende; sie wird
weitergeführt.
Wir haben alle Wege geprüft und kommen zu dem
Ergebnis: Wenn wir chirurgisch präzise diese Aufgabe
lösen wollen, ist das Strafrecht an dieser Stelle der einzige Weg, leider kein anderer. Ich kann nur noch einmal
sagen: Alle Voraussetzungen müssen kumulativ gegeben
sein. Jemand, der hilft, muss es in der Absicht tun. Das
Tun muss auf Wiederholung angelegt sein; es muss zum
Inhalt der Beschäftigung gehören. - Am Ende dieses Prozesses muss ich sagen: Mit diesem Gesetzentwurf werden wir genau diejenigen treffen, die wir treffen wollen,
und zwar konsensual in diesem Haus. Deshalb sind die
Widersprüche etwas konstruiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Nein ist heute keine
Option. Nichtstun ist der falsche Weg; denn dann bereiten wir den Verbänden, den aggressiven Vereinen, die
Tod auf Bestellung anbieten, den Weg. Sagen Sie mit uns
gemeinsam Ja für ein wirklich lebenswürdiges Leben bis
ans Ende, eine Begleitung bis ans Ende! Sagen Sie Nein
dazu, dass der Tod auf Bestellung zum Normalfall in diesem Land wird.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Burkhard Lischka hat als nächster
Redner das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in den letzten Monaten eine sehr intensive Debatte
geführt - das ist mehrfach gesagt worden - über das Leben, über den Tod, über unser Lebensende und das Sterben. Wir haben danach gefragt, in welcher Gesellschaft
wir eigentlich leben wollen, wie selbstbestimmt und
damit auch wie eigenverantwortlich. Was wollen wir eigentlich, wenn wir an einen Punkt kommen, an dem wir
sagen: „Ich kann nicht“? Welche Schmerzen sind ertragbar und für wie lange? Wollen wir das allen Menschen
vorschreiben, und ist das Strafrecht das taugliche Mittel,
das vorzuschreiben?
Über den Tod nachzudenken, über den eigenen oder
den eines geliebten Menschen, ist nicht leicht. Diese
Debatte hat mir gezeigt, dass es auch keine einfachen
Antworten gibt, im Gegenteil. Bei mir ist in den letzten
Wochen und Monaten mehr und mehr die Erkenntnis
gewachsen, dass es gerade beim Thema Sterbehilfe kein
Richtig oder Falsch, kein Schwarz oder Weiß gibt. Es
sind die Zwischentöne, die zählen. Ich bin mir eigentlich nur sicher, dass sich individuelle Notsituationen am
Lebensende nicht schematisch regeln lassen. Ich weiß ja
nicht einmal für mich selbst, für mich persönlich, wie ich
mich entscheiden werde, wenn ich einmal in eine solche
Notsituation komme. Soll ich das dann heute allen anderen Menschen per Bundesgesetzblatt vorschreiben?
({0})
Ich weiß heute nur eines: Es wird eine sehr, sehr schwierige Entscheidung, wenn mein Weiterleben einmal zur
Qual werden sollte. Es wird eine Entscheidung, die so
oder so viel Mut voraussetzt, und es ist letztlich eine Gewissensentscheidung für mich, für meine Angehörigen
und für den Arzt, der mich behandelt. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich Sie heute nur um eines bitten: Versperren Sie den Menschen nicht diese Gewissensentscheidung, nicht mit Mitteln des Strafrechts!
({1})
Seit 1831 verzichtet Bayern und seit 1851 Preußen auf
jegliche strafrechtliche Sanktion bei der Selbsttötung.
Das war klug, und dabei sollten wir es belassen.
({2})
Um noch eines möchte ich Sie heute bitten: Setzen Sie
Ärzte nicht der Gefahr strafrechtlicher Ermittlungen aus.
({3})
Das ist das Allerletzte, was wir bei diesem Thema brauchen.
Die Intensivmedizin hat die Grenze zwischen Leben
und Tod in den letzten Jahren unscharf werden lassen.
Sterbende, so scheint es mir manchmal, dürfen nicht
mehr sterben. Nur: Das Weiterleben kann dann grausam
sein, und nicht jedes Sterben in unserem Land ist dann
würdig. Daran ändert auch die Palliativmedizin nichts.
Der angstfreie, schmerzlose und sanfte Tod ist eben nicht
nur eine Frage der richtigen Technik.
({4})
Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, dass todkranke
Menschen ihren Verfall nicht bis zum Allerletzten durchleiden müssen. Sie brauchen auch künftig einen Ansprechpartner, einen Arzt, an den sie sich wenden können
und der zunächst einmal ihren Todeswunsch respektiert,
der allerdings auch kompetent ist, ihnen Alternativen zu
diesem Wunsch aufzuzeigen. Versperren Sie heute nicht
diesen Weg! Darum hat uns, den Gesetzgeber, niemand
gebeten - kein Arzt, kein Angehöriger und erst recht kein
Patient.
({5})
Vielen Dank. - Dr. Eva Högl hat als nächste Rednerin
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Jeder Mensch kann frei entscheiden, sein Leben zu beenden. Das ist nicht schön; aber es gibt keinen Zwang zum Leben. Wenn Menschen sterben wollen,
dann formulieren sie diesen Wunsch häufig, weil sie ein
sehr hohes Alter erreicht haben, weil sie an einer schweren, unheilbaren Krankheit leiden, weil sie Angst haben
vor Schmerzen, vor Einsamkeit oder davor, anderen
Menschen, insbesondere Angehörigen, zur Last zu fallen.
Deswegen muss es unser gemeinsames Bestreben sein,
am Lebensende bei schweren Krankheiten das Allerbeste
für diese Menschen zu tun, Ängste zu nehmen, Sorgen
und Nöte ernst zu nehmen. Aber wir dürfen auf diese
Sterbewünsche auf keinen Fall damit reagieren, dass wir
den Tod als Dienstleistung anbieten.
({0})
Ärzte haben einen großen Freiraum. Sie müssen den
Willen der Patientinnen und Patienten berücksichtigen,
und sie tun das auch: Sie unterlassen Behandlungen, sie
nehmen sie gar nicht erst auf. Sie müssen Behandlungen
abbrechen, wenn der Patient das nicht mehr möchte, und
sie dürfen sogar Behandlungen aufnehmen, die schneller zum Tod führen, als es ohne Behandlung der Fall
wäre. - Die Ärzte haben also einen großen Spielraum,
und die Patientinnen und Patienten verfügen über eine
größtmögliche Selbstbestimmung. Genau das wollen wir
alle erhalten.
Mit dem Gesetzentwurf Brand/Griese, für den ich
spreche, sollen nur diejenigen bestraft werden, die es
darauf anlegen, wiederholt Suizidbeihilfe zu betreiben.
Gemeint sind Sterbehilfevereine und Einzelpersonen, die
die Förderung des Suizids anderer bewusst und gewollt
zum regelmäßigen Gegenstand ihrer Tätigkeit machen.
Genau darum geht es.
({1})
Ich bin schon ein wenig erstaunt und auch ein bisschen
erschüttert, mit welchen Unterstellungen und mit welcher Kampagne auf unseren Gesetzentwurf reagiert wird.
({2})
Ärztinnen und Ärzte lindern Schmerzen und Leiden.
Aber der Beruf des Arztes ist nicht darauf ausgelegt,
Menschen den Tod zu bringen. Wer hilft und Leiden linBurkhard Lischka
dert, ist und bleibt straffrei - auch nach dem Gesetzentwurf Brand/Griese.
({3})
Ein paar Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf von Peter Hintze und anderen. Er verspricht viel und hält nichts.
Er verspricht Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte
und kann diese gar nicht bieten; denn die vorgesehenen
Regelungen können wir hier im Deutschen Bundestag
überhaupt nicht verabschieden, weil wir dafür gar keine
Gesetzgebungskompetenz haben. Im Gesetzentwurf ist
von einem Freiraum für Ärzte die Rede. Wenn Sie sich
das aber genau anschauen, dann stellen Sie fest, dass in
Wahrheit der bereits vorhandene Spielraum der Ärztinnen und Ärzte ganz entscheidend eingeschränkt wird.
({4})
Er nimmt Ärztinnen und Ärzten die Handlungsmöglichkeiten.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist mir sehr wichtig. Der
Gesetzentwurf fingiert Selbstbestimmung von Menschen
und unterscheidet - das ist nach unserer Verfassung sogar
unzulässig - nach dem Lebenswert der einzelnen Person.
Einzelne sollen Sterbehilfe von Ärztinnen und Ärzten
bekommen, anderen wird das verwehrt. Das ist mit unserem Rechtssystem überhaupt nicht vereinbar.
({5})
Das ist ein absolut untauglicher Regelungsvorschlag. Er
verspricht, was er nicht halten kann. Deswegen wundert
mich in dieser Debatte heute fast gar nicht, dass niemand
mehr für diesen Gesetzentwurf wirbt, sondern nur noch
versucht wird, unseren Gesetzentwurf zu verhindern.
({6})
Unser Gesetzentwurf - Brand/Griese und andere - hat
als entscheidenden Gesichtspunkt, dass es keinen Zwang
gibt, sich für den Tod und gegen das Leben zu entscheiden. Es ist ein Gesetzentwurf, der den Freiraum und die
Selbstbestimmung aller betroffenen Menschen und auch
der Ärztinnen und Ärzte erhält. Wer aber das unsägliche
Treiben der Sterbehilfevereine und auch Einzelner unterbinden will, der darf Sterben nicht als Dienstleistung anbieten. Dafür braucht es das Strafrecht, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({7})
Ja, wir nehmen das Strafrecht in die Hand. Ja, das ist ein
scharfes Schwert. Aber ohne Strafrecht geht es nicht. Wir
haben in den letzten anderthalb Jahren wirklich sorgfältig
geprüft, ob wir ohne das Strafrecht auskommen, und sind
zu dem Ergebnis gekommen, dass das nicht geht.
Was aber auch nicht geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Folgendes: Wir sind der Deutsche Bundestag,
wir sind der Gesetzgeber. Für mich ist heute viermal
Nein als Beendigung einer zweijährigen Debatte überhaupt keine Alternative. Wir brauchen eine gesetzliche
Regelung.
({8})
Deshalb bitte ich Sie: Unterstützen Sie den Gesetzentwurf Brand/Griese und andere.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Dr. Katarina
Barley das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir stimmen heute über vier Gesetzentwürfe ab, drei davon im Bereich des Strafrechts, einer
im Bereich des Zivilrechtes; das haben wir schon gehört.
Auch ich werde mich zunächst mit dem Gesetzentwurf Brand/Griese auseinandersetzen, weil ich ihn für
hochproblematisch halte. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Es geht immer um die Kriminalisierung der Ärzte.
Auch ich unterstelle nicht, dass die Autoren das wollen.
Aber schauen Sie sich bitte einmal den Wortlaut an.
({0})
Über den Begriff der Geschäftsmäßigkeit hat die Kollegin Brigitte Zypries bereits etwas gesagt. Es gibt aber
noch einen anderen Punkt. Das Problem liegt in der
Formulierung, dass einem anderen geschäftsmäßig Suizidbeihilfe geleistet wird. Das muss in der Absicht geschehen, die Selbsttötung eines anderen zu fördern. So
steht es im Gesetzentwurf. Darauf habe ich die Verfasser
dieses Gesetzentwurfs sehr frühzeitig hingewiesen. Das
heißt, bestraft wird die auf Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe, aber ausgeführt worden sein muss sie nur an
einem anderen. Das ist der entscheidende Punkt; denn
spätestens beim zweiten Mal muss geprüft werden, ob
Geschäftsmäßigkeit vorliegt. Womöglich genügt es sogar
schon, wenn Sie einen Arzt haben, der öffentlich bekundet, dass er Sterbehilfe richtig findet, dass er bereit ist,
das zu tun. Dann haben Sie einen ersten Verdachtsfall.
Ich will nicht sagen, dass derjenige dann verurteilt wird;
aber ganz sicher wird in diesem Fall die Staatsanwaltschaft tätig. Das muss sie, weil es dem Gesetzeswortlaut
entspricht. Daran kommen Sie nicht vorbei.
({1})
Ich vermute, dass Sie mit dem Element der Absicht
diejenigen herausnehmen wollten, die Palliativ- und
Hospizmedizin betreiben. Das ist auch gut und richtig
so. Aber diejenigen Ärzte, die ganz bewusst sagen: „In
diesem Einzelfall möchte ich meinem Patienten helfen;
ich sehe die existenzielle Not, in der er sich befindet, und
wir haben gemeinsam im ArztPatientVerhältnis alles versucht, alle Möglichkeiten der Behandlung, alle Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung besprochen;
wir sind gemeinsam der Meinung, dass es keinen besseren Weg gibt“, treffen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf. Ich
halte das für fatal, weil wir dann keine Ärzte mehr finden,
die sich so für ihre Patienten einsetzen.
({2})
Grundsätzlich muss ich sagen: Bis auf den Gesetzentwurf Sensburg, dem ich ganz grundsätzlich nicht zustimmen kann, merkt man allen Gesetzentwürfen an, dass die
Autoren bestimmte Einzelfälle im Kopf hatten, die sie
regeln wollten, die sie erlauben oder verbieten wollten.
Das ist nie gut, wenn man ein Gesetz macht. Wenn man
ein Gesetz schafft, um einen konkreten Fall, den man vor
Augen hat, zu regeln, dann besteht die Gefahr, dass man
damit auch Fälle erfasst, die man nicht erfassen möchte.
Das kann man nicht immer verhindern. Aber weil das so
ist, muss man auf dem Gebiet des Strafrechts ganz besonders vorsichtig sein und darf zu diesem scharfen Schwert
schlichtweg nicht greifen.
({3})
Mit Blick auf die Uhr will ich zum Entwurf Hintze/
Reimann nur noch wenige Sätze sagen. Es wird immer
gesagt, er sei verfassungswidrig, weil wir nicht die Gesetzgebungskompetenz haben. Ich halte das für falsch.
Aus welchen Gründen?
Erstens. Ich glaube, dass damit nicht wir unsere Zuständigkeiten überschreiten, sondern dass die Ärztekammern ihre Kompetenzen bei weitem überschritten haben.
({4})
Das Standesrecht ist dazu da, die Rechtssituation der
Ärzte untereinander sehr niedrigschwellig zu regeln - da
geht es um Werbung und solche Dinge -; aber es ist definitiv nicht dazu da, um ein Thema zu regeln, mit dem
sich der Deutsche Bundestag anderthalb Jahre lang beschäftigt hat und bei dem wir das Abstimmungsverhalten
zu einer Gewissensentscheidung erklären.
({5})
Zweitens. Es gibt im BGB ein Beispiel dafür, dass das
geht. Die §§ 630 a BGB ff. enthalten ganz ausführliche
Regelungen zum Verhältnis von Arzt und Patienten, dazu,
was Ärzte tun müssen, worüber sie informieren müssen,
was sie dokumentieren müssen. Das alles steht schon im
BGB; das ist überhaupt nicht das Problem.
Aus den Gründen, die ich Ihnen genannt habe, stimme
ich für den Entwurf Hintze/Lauterbach. Wenn er nicht
durchkommen wird, werde ich zu allen Entwürfen, die
sich auf dem Gebiet des Strafrechts bewegen, Nein sagen.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Dr. Maria
Flachsbarth das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Tod und Sterben sind schrecklich - immer. In ihrem Absolutheitsanspruch zerstören sie alle Gewissheiten und
Beziehungen des täglichen Lebens. Glücklich ist, wer im
Glauben Trost und Halt finden kann.
Bis zuletzt selbstbestimmt zu leben, meine Angehörigen und mich selbst vor vermeidbarem Leid und
Schmerz zu bewahren, ist doch ein nur allzu verständlicher Wunsch aller Menschen. Auch wenn diese Debatte
sich um den assistierten Suizid dreht, so lassen Sie mich
doch zunächst die bereits bestehenden, rechtlich möglichen Instrumente aufführen, im Rahmen derer die Gestaltung des letzten Lebensabschnittes selbstbestimmt
möglich ist.
Solange der Patient oder die Patientin bei klarem Bewusstsein ist, kann er oder sie ohnehin frei für sich bestimmen, welche Therapien begonnen, fortgeführt oder
auch abgebrochen werden sollen. Mein eigener Vater hat
schon vor über 20 Jahren den Abbruch einer Therapie
verfügt und ist in der Folge nach wenigen Wochen gestorben. Für den Fall der eigenen Entscheidungsunfähigkeit gibt es die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung zur Festlegung von Therapiegrenzen.
Braucht es vor diesem Hintergrund eigentlich die Beihilfe zum Suizid als alltägliche Dienstleistung zur würdigen Bewältigung des letzten Lebensabschnitts? Ich bin
dezidiert der Meinung: Nein.
Wir sind durch unser Grundgesetz, Artikel 1 und 2,
sowohl der Menschenwürde als auch der freien Selbstbestimmung verpflichtet - auch im Sterben. Deshalb stelle
ich auch nicht in Abrede, dass schwerstkranke Menschen
im Einzelfall trotz guter palliativer Versorgung ihrem Leben bewusst ein Ende setzen wollen. Der Selbstbestimmung kann es in einzelnen Fällen entsprechen, der Bitte
eines Menschen nachzukommen, ihm zu helfen, seinem
Leben ein Ende zu setzen. Deshalb werden wir diese Gewissensentscheidung nicht strafrechtlich bewerten.
Doch es ist und bleibt vordringliche Aufgabe des Staates, das menschliche Leben und seine Unversehrtheit zu
schützen, wie Artikel 2 Satz 2 Grundgesetz es gebietet.
Es geht deshalb nicht darum, alle auf eine bestimmte
Weltanschauung zu verpflichten, auch wenn ich für mich
selbst als Grundlage das Christentum nicht verleugnen
will. Es geht vielmehr darum, als weltanschaulich neutraler Staat das Grundrecht auf Lebensschutz wirksam
zu garantieren. Ich bin überzeugt, dass diese staatliche
Verpflichtung besonders in den verletzlichen Phasen
des Lebens gilt. Nach vielen Gesprächen im letzten Jahr
habe ich immer wieder von Ärzten und in der Hospizund Palliativmedizin tätigen Menschen gehört, dass die
allermeisten schwer leidenden Patienten zwar nicht mehr
leiden, aber sehr wohl leben wollen.
({0})
Diesen Menschen und ihren Angehörigen beizustehen,
sie auf ihrem schweren Weg medizinisch kompetent und
menschlich einfühlsam zu begleiten, das ist Anliegen des
Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung, das wir gestern verabschiedet haben - ein
absolut wichtiger und notwendiger Schritt. Wir werden
uns in Zukunft noch intensiver um die Suizidprävention
kümmern müssen; denn gerade denjenigen Menschen,
die verzweifelt, schwerstkrank, einsam oder lebensmüde
sind, müssen wir als humane Gesellschaft doch andere
Angebote unterbreiten als die Beihilfe zu einem Suizid.
({1})
Die Entwicklungen in den Niederlanden und in Belgien in den letzten Jahren sind höchst besorgniserregend.
Professor Boer gehörte bis 2014 der niederländischen
Kontrollkommission an und berichtet nun, dass Suizidbeihilfe und sogar Tötung auf Verlangen dort eben längst
nicht mehr nur ein letzter Ausweg aus schwerem Leiden
bei aussichtsloser körperlicher Krankheit sind. Zudem
sind die Zahlen der assistierten Suizide und der Suizide
allgemein in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die
Zahl der Suizide sinkt eben nicht, wenn, wie manchmal
suggeriert wird, der assistierte Suizid rechtlich möglich
und damit gesellschaftsfähig wird.
Ich habe die Sorge, dass, wenn Suizid und die Beihilfe
dazu zu einer scheinbar selbstverständlichen Option am
Lebensende würden, sich dann Menschen, die - egal in
welcher Lebensphase - auf Hilfe angewiesen sind, womöglich eines Tages dafür rechtfertigen müssen, diesen
Schritt nicht zu gehen. Das ist für mich eine humane Katastrophe.
({2})
Ich werbe dafür, das Verbot der geschäftsmäßigen
Formen der Suizidbeihilfe heute gesetzlich zu regeln.
Das ist absolut notwendig - das zeigen die Debatten der
letzten zwölf Monate -; denn sonst würden wir den Sterbehilfeorganisationen einen Persilschein ausstellen.
({3})
Der beste Weg dazu ist meiner festen Überzeugung nach
der Gesetzentwurf Brand/Griese. Durch das strafrechtliche Verbot geschäftsmäßiger Beihilfe zum Suizid wird
wirksam verhindert, dass in unserem Land Suizidbeihilfe
als scheinbar gängige Dienstleistung betrieben werden
kann. Zugleich lässt er Ausnahmen in den bislang sehr
engen Grenzen und damit Raum für individuelle Suizidbeihilfe im absoluten Einzelfall zu.
Noch zwei Anmerkungen zum Schluss, um zwei
Missverständnisse klarzustellen:
Erstens. Palliative Sedierung ist vom so geforderten
Verbot nicht betroffen, sondern steht genauso wie bislang als ärztliche Maßnahme zur Verfügung, um einen
Menschen am Lebensende von Schmerzen und Leid zu
entlasten.
Zweitens. Personen, die als Angehörige oder auch als
Ärzte in den fraglichen Einzelfällen einem Menschen helfen, in Selbstbestimmung sein Leben zu beenden, werden
durch dieses Gesetz nicht kriminalisiert; darauf ist mehrfach hingewiesen worden. Bei der Anhörung wurde ganz
klar definiert: willentlich, auf Wiederholung angelegtes
Handeln - das meint der Begriff der Geschäftsmäßigkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf
Brand/Griese/Vogler/Terpe wird sowohl dem Lebensschutz als auch der Selbstbestimmung gerecht. Deshalb
bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Halina
Wawzyniak das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir führen eine Debatte, die sehr von persönlichen Erfahrungen geprägt ist. Ich möchte nicht Richterin sein
über die individuelle Entscheidung, die hier Kolleginnen
und Kollegen getroffen haben. Ich habe Respekt vor jeder
Entscheidung, die hier getroffen wird. Ich maße mir nicht
an, Kolleginnen und Kollegen, die eine Entscheidung getroffen haben, vorzuwerfen, sie seien unverantwortlich,
inhuman, unethisch. Ich glaube, alle, die hier entscheiden, haben sich sehr gut überlegt, wie sie entscheiden.
({0})
Meine Entscheidung heute orientiert sich an der
Frage: Wie sichern wir eine freie, eine autonome, eine
selbstbestimmte Entscheidung? Denn es stimmt: Jeder
Mensch genießt eine umfassende Dispositionsfreiheit im
Hinblick auf das eigene Leben. Deswegen müssen wir
fragen: Wie können wir diese freie, autonome, selbstbestimmte Entscheidung sichern?
Es gibt eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen,
die gar nicht entscheiden und mit Nein stimmen wollen.
Meine Entscheidung wäre das ausdrücklich nicht; denn
dann bleibt alles, wie es ist. Dann gäbe es zum Beispiel
nach wie vor die Sterbehilfevereine, und - Frau Sitte hat
es angesprochen - dann bestünde auch die Gefahr, dass
sich neue gründen.
({1})
Ich selbst unterstütze den Gesetzentwurf Griese/
Brand, obwohl mir eine Lösung jenseits des Strafrechts
viel, viel lieber gewesen wäre. Aber das Vereinsrecht ist
glücklicherweise ein hohes Gut, und deswegen kann man
einen Verein eben nur verbieten, wenn er gegen Strafgesetze verstößt.
Zum Gesetzentwurf Griese/Brand ist hier vieles gesagt worden. Ich will zitieren, was darin steht:
Wer in der Absicht
- über die ist hier heute noch gar nicht geredet worden die Selbsttötung eines anderen
- also eines Dritten zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird
... bestraft.
Der Schutzzweck dieses Gesetzes ist für mich die
Sicherung der freien, autonomen und selbstbestimmten
Entscheidung,
({2})
Denn diese Selbstbestimmung ist nicht erst gefährdet,
wenn ein kommerzielles, also ein gewerbsmäßiges Handeln vorliegt. In einer auf Verwertung ausgerichteten Gesellschaft entsteht ein Druck, sich zu rechtfertigen, schon
frühzeitig - zum Beispiel, weil Kosten für die Pflege verursacht werden -, wenn die Beihilfe zur Selbsttötung ein
normales Dienstleistungsangebot ist. Genau ein solches
Dienstleistungsangebot möchte ich nicht, um der Selbstbestimmung willen.
({3})
Diese ethische Debatte ist zum Teil in eine juristische
Debatte umgekippt. Ich will es deswegen noch einmal
sagen: Der Gesetzentwurf stellt unter Strafe, wenn jemand mit Wissen und Wollen - das ist Absicht: Wissen
und Wollen - die Selbsttötung eines anderen, also einer
dritten Person, fördert und dies geschäftsmäßig macht,
dies also zum Mittelpunkt des Jobs macht. Dann ist das
strafbar - nicht mehr und nicht weniger.
({4})
Um ein paar Beispiele aus der Anhörung zu nehmen:
Der Arzt, der einen Patienten übers Wochenende an eine
Morphiumpumpe anschließt und ihm die Möglichkeit
der Regulierung der Dosis gibt, ist nach dem Gesetzentwurf nicht strafbar.
({5})
Er will es gerade nicht zu seiner Profession machen, mit
Wissen und Wollen die Selbsttötung eines Dritten zu fördern.
Ein weiteres Beispiel aus der Anhörung: Die Apothekerin, die einer zu Depressionen neigenden Person Pentobarbital gibt, angeblich zum Einschläfern des schwerkranken Hundes, macht sich nach dem Gesetzentwurf
nicht strafbar. Sie hat nicht die Absicht, geschäftsmäßig
die Selbsttötung eines Dritten zu fördern.
({6})
Der Mediziner, der den Wunsch des Patienten, keine
Nahrung mehr zu sich zu nehmen, respektiert, ist nach
dem Gesetzentwurf nicht strafbar. Seine Tätigkeit ist
nicht darauf angelegt, mit Wissen und Wollen die Selbsttötung eines Dritten zu fördern.
({7})
Wenn das Argument der Strafbarkeit nicht greift,
wird immer mit dem Staatsanwalt argumentiert. In der
Anhörung hat Herr Thöns, einer der Ärzte, erklärt, dass
Ermittlungen gegen ihn auf Anzeigen von Notärzten,
Angehörigen und in einem Fall sogar eines Bestatters
beruhten - ganz ohne Gesetzentwurf und eben nicht einfach einmal so. Was hier bisher keine Rolle gespielt hat,
ist Folgendes: Staatsanwälte brauchen, um überhaupt
tätig zu werden, tatsächliche Anhaltspunkte für ein Einschreiten. Ein vager Verdacht reicht eben nicht, sondern
es muss irgendetwas Handfestes sein. Dieses Handfeste
muss sein, dass jemand die Absicht hat, mit Wissen und
Wollen die Selbsttötung eines Dritten regelmäßig, quasi als Mittelpunkt seines Geschäftsinteresses, durchzuführen. Das muss stehen. Das ist eine hohe Hürde. Ich
glaube, diese hohe Hürde ist angemessen und sie ist erforderlich, um die freie, autonome und selbstbestimmte
Entscheidung von Menschen über ihr Lebensende zu sichern.
Deswegen bitte ich um Zustimmung zum Gesetzentwurf Brand/Griese.
({8})
Vielen Dank. - Als letzter Redner in der Debatte
spricht Rudolf Henke.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Zypries hat daran
appelliert, sorgfältig zu arbeiten. Deswegen, liebe Frau
Dr. Barley, gestatten Sie mir einen Hinweis zu der Frage
der Rechtmäßigkeit von Berufsordnungen von Ärztekammern. Das ist in den Bundesländern durch die jeweiligen
Aufsichtsministerien zu prüfen, in Nordrhein-Westfalen
also durch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Das Ergebnis dieser Prüfung ist dann eventuell eine
Korrektur der Berufsordnung, wenn sie vom geltenden
Recht abweicht. Die Berufsordnung kann erst danach im
Ministerialblatt veröffentlicht werden. Sie ist dann also
von der jeweiligen Landesregierung rechtlich geprüft.
Aber das ist nicht der zentrale Punkt. Der zentrale
Punkt ist die Frage: Müssen wir überhaupt etwas regeln? Ich habe jetzt viele gehört, die gesagt haben: Eigentlich regen sich bei uns inzwischen ein bisschen
Zweifel. Der Deutsche Ethikrat und seine Vorsitzende
sind schon erwähnt worden. Ich glaube, man muss zwischen der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats und dem
Deutschen Ethikrat differenzieren. Ich will aus einer im
Dezember 2014 vom Deutschen Ethikrat vorgelegten
Ad-hoc-Empfehlung zitieren:
Eine Suizidbeihilfe, die keine ... Hilfe in tragischen
Ausnahmesituationen, sondern eine Art Normalfall
wäre, etwa im Sinne eines wählbaren Regelangebots von Ärzten oder im Sinne der Dienstleitung
eines Vereins, wäre geeignet, den gesellschaftlichen
Respekt vor dem Leben zu schwächen.
({0})
Natürlich kann man sagen, dass die Zahlen nicht explodiert sind, seit Kusch und andere unterwegs sind.
Aber das hat doch auch damit zu tun, dass die Debatte
darüber, wie wir gesetzmäßig darauf reagieren müssen,
seit 2008 in der Politik geführt wird. Das hat natürlich
eine generalpräventive Wirkung gehabt; sonst wären
vielleicht mehr Vereine entstanden.
({1})
Im Jahre 2010 hatte der Bundesgerichtshof die Frage
zu klären, ob sich ein Anwalt strafbar macht, der einer
Mandantin, die weiß, dass ihre schwerkranke Mutter
nicht zeitlebens künstlich ernährt werden will, rät, den
Versorgungsschlauch durchzuschneiden. Der Bundesgerichtshof hat diesen Anwalt freigesprochen. Die Richterin, die dafür gesorgt hat, dass der Bundesgerichtshof so
geurteilt hat, Frau Rissing-van Saan, hat auch in der Anhörung zu diesem Thema Stellung genommen. Das sage
ich nur, um einmal einzuordnen, wie sie hinsichtlich des
Strafrechts zu dieser Frage steht.
({2})
Sie hat auch zu der Frage der Geschäftsmäßigkeit
Stellung genommen. Sie kommt in der Bewertung des
Entwurfs von Brand/Griese zu dem Ergebnis:
Strafbar sollen solche Verhaltensweise ... jedoch nur
sein, wenn sie „geschäftsmäßig“ begangen werden,
was nach herkömmlichem strafrechtlichen Verständnis ein auf Wiederholung angelegtes gleichartiges Handeln und den Willen des Täters voraussetzt,
dieses zu einem wiederkehrenden Bestandteil seiner
beruflichen oder wirtschaftlichen Betätigungen zu
machen, ohne dass es dabei auf eine Gewinnerzielungsabsicht ankäme.
Sie ist in der Anhörung und in vielen weiteren Stellungsnahmen mehrfach zu der Auffassung gekommen,
dass die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs die Autonomie von Ärzten, die in der Palliativmedizin oder in
der Hämatologie und Onkologie tätig sind, nicht bedroht.
({3})
Anders wäre es auch nicht erklärbar, dass sich die Bundesärztekammer und die Palliativorganisationen bis auf
den heutigen Tag dafür einsetzen, eine solche Gesetzgebung zu verabschieden.
Ich will nur daran erinnern, dass jemand wie Thomas
Sitte, der in führender Rolle bei der Deutschen PalliativStiftung ist, einigen von uns noch in diesen Tagen
einen Brief geschrieben hat, in dem es heißt: Ich habe
keine Angst vor einem Verbot geschäftsmäßiger Selbsttötungshilfe. Im Gegenteil: Ich bin dafür, obwohl ich suizidwillige Schwerkranke so berate, wie sie es wollen,
und ihnen so zur Seite stehe, wie sie es brauchen, so wie
ich es derzeit mehr als einmal im Monat tue. - Er hat
davor keine Angst. Dann sollten auch wir keine Angst
davor haben, dass wir diese Entscheidung treffen, so wie
sie dort vorgeschlagen wird.
({4})
Eine letzte Bemerkung. Hier ist viel von autonomen,
selbstbestimmten Entscheidungen die Rede gewesen. Ich
bin mir nicht sicher, ob ein verstärktes Unterwegssein
von Suizidassistenten - das muss ja nicht jemand vom
Format eines Herrn Kusch sein; das kann ja morgen oder
übermorgen jemand ganz anderes sein - wirklich hilft,
Autonomie zu verteidigen.
Ich verrate Ihnen etwas: Ich habe als, ich glaube, 22oder 23-Jähriger am Fenster gestanden und mich in einer
Beziehungskrise gefragt: Was mache ich jetzt? - Wenn
da einer gewesen wäre, der noch ein bisschen geschubst
hätte, der das noch ein bisschen befördert hätte, dann
wäre ich vielleicht nicht mehr hier.
({5})
Unser Ziel muss sein, die Zahl erfolgreicher Suizide
weiter zu senken, aber nicht, das Vollbringen und Durchführen von Suiziden zu erleichtern. Deswegen brauchen
wir keine Suizidassistenten, die den Hunderttausend, die
versuchen, einen Suizid durchzuführen - 10 000 erfolgreich -, dafür noch eine zusätzliche Motivation und eine
Erfolgsgarantie geben.
Bitte stimmen Sie mit mir für den Entwurf von Brand,
Griese, Vogler und Terpe.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe damit
die Aussprache und bedanke mich bei allen Rednerinnen
und Rednern für die große Ernsthaftigkeit, mit der die-
se Debatte geführt worden ist. Wenn dabei Emotionen
spürbar geworden sind, dann zeigt das doch eigentlich
nur, dass uns alle die Frage der Sterbebegleitung wirklich
zutiefst bewegt.
Bevor wir jetzt zu den Abstimmungen kommen, bitte
ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum
Abstimmungsverfahren. Ich bitte auch diejenigen, die
dies jetzt vielleicht zum zweiten Mal hören, trotzdem
aufmerksam zuzuhören, weil wir ein sehr ungewöhnli-
ches Abstimmungsverfahren haben, bei dem wirklich
Aufmerksamkeit geboten ist.
Zur Abstimmung stehen vier Gesetzentwürfe sowie
ein Antrag zum Thema Sterbebegleitung. Es handelt sich
um den Gesetzentwurf der Abgeordneten Michael Brand,
Kerstin Griese, Kathrin Vogler, Dr. Harald Terpe und
weiterer Abgeordneter zur Strafbarkeit der geschäftsmä-
ßigen Förderung der Selbsttötung, um den Gesetzentwurf
der Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann,
Dr. Karl Lauterbach, Burkhard Lischka und weiterer Ab-
geordneter zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebens-
beendigung, um den Gesetzentwurf der Abgeordneten
Renate Künast, Dr. Petra Sitte, Kai Gehring, Luise Amts-
berg und weiterer Abgeordneter über die Straffreiheit der
Hilfe zur Selbsttötung, um den Gesetzentwurf der Abge-
ordneten Dr. Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter
Beyer, Hubert Hüppe und weiterer Abgeordneter über
die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung so-
wie den Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Sabine
Sütterlin-Waack, Brigitte Zypries, Matthias W. Birkwald
und weiterer Abgeordneter mit dem Titel „Keine neuen
Straftatbestände bei Sterbehilfe“.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
hat in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksa-
che 18/6573 nur empfohlen, über die Gesetzentwürfe im
Plenum einen Beschluss zu fassen, selbst aber keine in-
haltliche Empfehlung abgegeben.
Zunächst findet die Abstimmung über die Gesetz-
entwürfe im Stimmzettelverfahren statt. Nur wenn kein
Gesetzentwurf angenommen wurde, kann im Anschluss
noch die Abstimmung über den Antrag stattfinden.
Bei dem Stimmzettelverfahren werden zunächst die
vier Gesetzentwürfe gemeinsam zur Abstimmung ge-
stellt. Auf diesem Stimmzettel können Sie sich für einen
der Entwürfe entscheiden oder Ihr Kreuz bei „Nein ge-
genüber allen Gesetzentwürfen“ oder bei „Enthaltung
gegenüber allen Gesetzentwürfen“ machen. Es darf also
nur eine Alternative angekreuzt werden. Die erforderli-
che Mehrheit für einen Entwurf ist erreicht, wenn dieser
mehr Jastimmen als die konkurrierenden Vorlagen zu-
sammen zuzüglich der Neinstimmen auf sich vereinen
kann.
Falls kein Entwurf diese Mehrheit erhält, kommt es in
einem zweiten Abstimmungsgang zur Abstimmung über
die beiden bestplatzierten Gesetzentwürfe. Dieser würde
ebenfalls mithilfe eines Stimmzettels durchgeführt. Sie
können sich dann für einen dieser beiden Gesetzentwürfe
entscheiden oder Ihr Kreuz wiederum bei „Nein gegen-
über beiden Gesetzentwürfen“ oder bei „Enthaltung ge-
genüber beiden Gesetzentwürfen“ machen.
Erhält auch im zweiten Abstimmungsgang keiner der
beiden Gesetzentwürfe die erforderliche Mehrheit, müss-
te anschließend über den Gesetzentwurf mit dem besse-
ren Ergebnis mit den üblichen Namensstimmkarten ent-
schieden werden. Würde dieser Gesetzentwurf nicht die
Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten, wäre auch
dieser damit in zweiter Beratung abgelehnt. Eine dritte
Beratung des Gesetzentwurfes entfiele dann.
Wird ein Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-
nommen, kommt es sofort zur dritten Beratung, in der
ebenfalls namentlich abgestimmt wird.
Über die in zweiter Beratung ausgeschiedenen Ge-
setzentwürfe wird, wie bereits heute Morgen festgelegt
worden ist, nicht mehr abgestimmt.
Ich will noch darauf hinweisen, dass zur Abstimmung
mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsord-
nung vorliegen.1)
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir
jetzt zum ersten Abstimmungsgang. Ich bitte Sie trotz-
dem, noch einmal einen kurzen Moment zuzuhören.
1) Anlage 3
Die weißen Stimmzettel werden gleich im Saal verteilt. Nachdem Sie Ihren Stimmzettel erhalten haben, tragen Sie bitte zunächst Ihren Namen einschließlich eines
eventuellen Ortszusatzes und ihre Fraktion deutlich lesbar in Druckbuchstaben ein.
({0})
- Jeder weiß, warum ich das sage. - Sie können, wie bereits dargelegt, einen der Gesetzentwürfe ankreuzen. Sie
können aber auch insgesamt mit „Nein“ stimmen oder
sich insgesamt enthalten.
Ungültig sind Stimmzettel ohne lesbare Namensangabe, mit mehr als einem Kreuz oder ohne jegliches Kreuz.
Nur die Abgabe eines mit Namen versehenen Stimmzettels, der natürlich lesbar sein muss, gilt als Nachweis der
Teilnahme an der Abstimmung.
Ich bitte jetzt die Plenarassistenten, die weißen Stimmzettel zu verteilen. Gleichzeitig bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen. - Darf ich fragen, ob alle Plätze an den
Urnen besetzt sind? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich
die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.
Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der Abstimmung
unterbreche ich die Sitzung.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegeben wurden 602 Stimmzettel.
Ungültig waren 3; gültig waren 599. Auf den Gesetzentwurf Brand/Griese auf der Drucksache 18/5373 entfielen
309 Stimmen.
({0})
Auf den Gesetzentwurf Hintze/Reimann auf der Druck-
sache 18/5374 entfielen 128 Stimmen. Auf den Gesetz-
entwurf Künast/Sitte auf der Drucksache 18/5375 entfie-
len 52 Stimmen, und auf den Gesetzentwurf Sensburg/
Dörflinger auf der Drucksache 18/5376 entfielen 37 Stim-
men. Mit Nein gegenüber allen Gesetzentwürfen haben
70 Mitglieder des Deutschen Bundestages gestimmt.
Enthalten haben sich 3.2)
Ein Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenom-
men, wenn er mehr Jastimmen als alle anderen Gesetz-
entwürfe zusammen zuzüglich der Neinstimmen erhalten
hat. Der Gesetzentwurf Brand/Griese hat mehr Jastim-
men als alle anderen Gesetzentwürfe zusammen zuzüg-
lich der Neinstimmen erhalten und hat damit im ersten
2) Endgültiges Ergebnis siehe Anlage 2
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Abstimmungsgang die erforderliche Mehrheit erhalten.
Er ist damit in zweiter Lesung angenommen.
({1})
Wir kommen somit zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Auch hier wurde namentliche
Abstimmung über den Gesetzentwurf beantragt. Ich bitte auch hier die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. - Sind
die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich
eröffne die Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es ein Mitglied
des Hauses, das seine Stimme noch nicht abgegeben
hat? - Wir müssen noch ein wenig warten. Ich habe gehört, dass es noch einen kleinen Stau gibt.
Ist jetzt noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das
seine Stimme bisher nicht abgegeben hat? - Ein Kollege
hat seine Stimme noch nicht abgegeben. Dann bitte ich,
das nun zu tun, und zwar mit der Stimmkarte. Noch einmal für alle: Jetzt wird mit der Stimmkarte abgestimmt.
Gibt es jetzt noch jemanden, der seine Stimme bisher nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Vorliegen des
Ergebnisses der namentlichen Abstimmung und bitte die
Kolleginnen und Kollegen, so lange hierzubleiben, bis
das Ergebnis dieser Abstimmung vorliegt.
({2})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung zur dritten Lesung des Gesetzentwurfs zur
Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung auf den Drucksachen 18/5373 und 18/6573 bekannt: abgegebene Stimmen 602. Mit Ja haben gestimmt
360,
({0})
mit Nein haben gestimmt 233, enthalten haben sich
9 Kolleginnen und Kollegen. Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung angenommen worden.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 602;
davon
ja: 360
nein: 233
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({1})
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Dirk Fischer ({2})
Axel E. Fischer
({3})
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({4})
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({5})
Uda Heller
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Reiner Meier
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Stefan Müller ({7})
Dr. Gerd Müller
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({8})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({9})
Gabriele Schmidt ({10})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({11})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({12})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({13})
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({14})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({15})
Sabine Weiss ({16})
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({17})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Bärbel Bas
Burkhard Blienert
Willi Brase
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Uli Grötsch
Sebastian Hartmann
Hubertus Heil ({18})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Christina Jantz
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({19})
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Hilde Mattheis
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Aydan Özoguz
Detlev Pilger
Achim Post ({20})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Andreas Rimkus
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({21})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Annette Sawade
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({22})
Dagmar Schmidt ({23})
Elfi Scho-Antwerpes
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Peer Steinbrück
Gabi Weber
DIE LINKE
Jan van Aken
Sevim Dagdelen
Annette Groth
Heike Hänsel
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Martina Renner
Kathrin Vogler
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({24})
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Stephan Kühn ({25})
Markus Kurth
Dr. Tobias Lindner
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Claudia Roth ({26})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Kordula Schulz-Asche
Dr. Harald Terpe
Nein
CDU/CSU
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Alexandra Dinges-Dierig
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Herlind Gundelach
Olav Gutting
Jürgen Hardt
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Thorsten Hoffmann
({27})
Sylvia Jörrißen
Dr. Egon Jüttner
Steffen Kanitz
Alois Karl
Kordula Kovac
Antje Lezius
Dr. Jan-Marco Luczak
Thomas Mahlberg
Marlene Mortler
Carsten Müller
({28})
Dr. Norbert Röttgen
Tankred Schipanski
Christina Schwarzer
Tino Sorge
Sebastian Steineke
Gero Storjohann
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Astrid Timmermann-Fechter
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({29})
Christel Voßbeck-Kayser
Kai Wegner
Ingo Wellenreuther
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Klaus Barthel
Sören Bartol
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({30})
Dr. Karl-Heinz Brunner
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr. h.c. Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Gabriela Heinrich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({31})
Thomas Hitschler
Matthias Ilgen
Frank Junge
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Dr. Bärbel Kofler
Anette Kramme
Burkhard Lischka
Caren Marks
Katja Mast
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({32})
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({33})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Pronold
Dr. Simone Raatz
Gerold Reichenbach
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({34})
Dr. Nina Scheer
Matthias Schmidt ({35})
Carsten Schneider ({36})
Swen Schulz ({37})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Andreas Schwarz
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Dr. Andre Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Sigrid Hupach
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Niema Movassat
Norbert Müller ({38})
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Richard Pitterle
Michael Schlecht
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Sabine Zimmermann
({39})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({40})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Anja Hajduk
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn ({41})
Monika Lazar
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Enthalten
CDU/CSU
Thomas Bareiß
Ingrid Fischbach
Axel Knoerig
Andreas G. Lämmel
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Jana Schimke
({42})
Damit entfällt die Abstimmung über den Antrag der
Abgeordneten Keul/Sütterlin-Waack und weiterer Abgeordneter auf der Drucksache 18/6546.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an unseren
weiteren Verhandlungen nicht mehr teilnehmen wollen
oder können, uns zu helfen, die notwendige Aufmerksamkeit herzustellen und Gespräche gegebenenfalls nach
draußen zu verlagern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es fraktionsübergreifende Gespräche gibt, bitte ich darum, diese
außerhalb des Plenums zu führen. Ansonsten bitte ich darum, Platz zu nehmen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Frauen verdienen gleichen Lohn für gleiche
und gleichwertige Arbeit
Drucksache 18/6550
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frauen starten qualifiziert ins Berufsleben, und sie haben häufig auch die besseren Berufsabschlüsse als Männer. Während der Ausbildung ist die
Welt noch in Ordnung. Doch kaum sind die Prüfungen
vorbei, geht es schon los, dass sie weniger verdienen als
Männer. Betroffene Mienen und Symbolpolitik bringen
uns hier kein Stück weiter. Es ist wirklich an der Zeit,
dass Frauen für das, was sie leisten, auch gerecht entlohnt werden.
({0})
Seit Jahren diskutieren wir über diese Ungerechtigkeit
und müssen uns dabei auch allerlei Unsinn anhören. Ganz
Schlaue meinen beispielsweise, Frauen sollten halt mehr
technische Berufe erlernen, dann würden sie auch mehr
verdienen. Aber die Entgeltdiskriminierung ist nicht allein ein Nischenproblem der klassischen Frauenberufe,
sondern sie zieht sich quer durch alle Beschäftigungsfelder. Natürlich verdient eine Bauingenieurin mehr als eine
Altenpflegerin, aber - und hier liegt das Problem - sie
verdient dennoch weniger als ihr männlicher Kollege.
Und das ist nicht akzeptabel.
({1})
Ein paar Zahlen bzw. Fakten: Frauen mit Hochschulabschluss verdienen 24 Prozent weniger als Männer,
Fachhochschulabsolventinnen sogar 28 Prozent. Zudem
bekommen Frauen weniger Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Gewinnbeteiligung, und sie werden seltener
befördert als Männer. Wie das in der Realität aussieht,
zeigen auch Beispiele, die bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ankommen. Eine Geschäftsführerin
bekam beispielsweise weniger Bonus als ihr Kollege,
obwohl sie die bessere Leistungsbeurteilung hatte. Auch
eine Pastorin der Diakonie wurde benachteiligt. Und ein
ganz krasses Beispiel: Eine Schlosserin klagte, dass sie
nur 11,50 Euro in der Stunde verdient, die Männer im
gleichen Betrieb aber 19 Euro. Ihr Chef hatte damit aber
überhaupt kein Problem und sagte ihr ins Gesicht, sie sei
nun einmal eine Frau und das würde alles erklären. Kurzum: Schlechter bezahlte Arbeit ist häufig noch immer
Frauensache. Und damit muss endlich Schluss sein.
({2})
Darüber hinaus gibt es noch die sogenannte mittelbare Entgeltdiskriminierung; denn es geht nicht allein
darum, dass Arbeit gleich bezahlt wird, sondern es geht
auch darum, dass gilt: Gleicher Lohn für gleichwertige
Arbeit. Aber frauendominierte Berufe werden deutlich
schlechter bezahlt als männerdominierte klassische Industrieberufe. Auf ein Berufsleben gerechnet, also auf
40 Jahre, beträgt beispielsweise der Lohnunterschied
zwischen einer Erzieherin und einem Kfz-Mechaniker
rund 211 000 Euro. Deshalb gingen auch die Streikenden
aus den Sozial- und Erziehungsberufen in diesem Jahr zu
Recht auf die Straße. Ihnen ging es um die längst überfällige Aufwertung ihrer Arbeit; denn Wertschätzung und
Anerkennung sehen anders aus.
({3})
Transparenz in großen Unternehmen zu schaffen, liebe SPD, ist als Lösung zu wenig. Da hilft auch kein schönes Bild mit roten Equal-Pay-Taschen. Wir fordern in unserem Antrag hingegen echte, verbindliche Regelungen.
Die Tarifpartner sollen zukünftig ihre Tarifverträge und
die Betriebe ihre nichttariflichen Entgeltstrukturen überprüfen, und zwar auf der Grundlage von geschlechtsneutralen Kriterien und mithilfe eines analytischen Arbeitsbewertungsverfahrens. Natürlich müssen festgestellte
Entgeltdiskriminierungen dann auch innerhalb einer Frist
beseitigt werden. Die Antidiskriminierungsstelle des
Bundes soll für Stichproben eine Kontrollbefugnis erhalten. Notwendig sind Sanktionen, vor allem auch ein
Verbandsklagerecht; denn wir brauchen ein wirksames
Gesetz und keinen zahnlosen Tiger.
({4})
Der Aufwand kann, gerade für kleine Betriebe, durch
Tools und Hilfsmaterialien angemessen klein gehalten
werden. Falls Sie solch ein Gesetz dennoch gleich wieder
als Bürokratiemonster bezeichnen, halte ich dem entgegen: Das Recht auf Entgeltgleichheit ist im Grundgesetz
verankert. Allein schon das Abwägen zwischen Grundrecht und bürokratischem Aufwand ist für uns nicht akzeptabel.
({5})
Sehr geehrte Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, es besteht kein Mangel an Fakten, und doch
existiert in Deutschland bis dato keine umfassende politische Strategie, um den Grundsatz „Gleicher Lohn für
gleiche und gleichwertige Arbeit“ durchzusetzen. Aber
genau solch eine Strategie ist notwendig; denn Entgeltgleichheit ist keine Verhandlungssache, und Entgeltdiskriminierung ist auch kein individuelles Problem der
Frauen, sondern ein gesellschaftliches Problem. Mit
unserem Antrag liegt jetzt solch eine Strategie auf dem
Tisch. Werden Sie also endlich tätig! Denn Frauen verdienen mehr.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Ursula Groden-Kranich für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Im März durfte ich schon einmal zu Ihnen
sprechen. Damals ging es um einen nahezu gleichlautenden Antrag der Fraktion Die Linke.
({0})
Wie wir alle wissen, könnte jeder von uns eine ganze
Reihe von Anträgen, Gesetzentwürfen und Initiativen aller Fraktionen aus den letzten Jahren zur Entgeltgleichheit ins Feld führen. Als Mitglied des Europaausschusses
könnte ich dasselbe noch einmal mit europäischen Gesetzen, Beschlüssen und Empfehlungen machen. Es besteht
also, zumindest in der politischen Landschaft, durchaus
kein Mangel an Aufmerksamkeit und teils guten, teils
weniger guten Denkansätzen.
Wir haben ein AGG, wir haben ein Grundgesetz, das
Diskriminierung verbietet, und wir haben Gewerkschaften, Tarifpartner und Betriebsräte, die jahrzehntelang
Zeit hatten, das Ziel der fairen Entlohnung anzugehen offensichtlich jedoch nicht immer, wenn überhaupt, mit
dem nötigen Willen oder dem gewünschten Erfolg.
({1})
Die Frauen-Union beispielsweise fordert dezidiert, mehr
Frauen in Tarifkommissionen zu entsenden, um die Frauen selbst Entscheidungen für ihre Belange treffen zu lassen.
Wir alle wissen: Es braucht mehr als eine Maßnahme, um Lohngerechtigkeit langfristig zu erreichen. Wir
müssen bei der Erziehung junger Mädchen und Frauen
in Sachen Finanzen, Berufsleben und Altersvorsorge anfangen und dürfen bei der Vereinbarkeit von Kindererziehung, Pflege und Beruf noch lange nicht aufhören.
Schön wäre es auch, wenn gerade die Oppositionsparteien ihre Forderungen wie jene im heute diskutierten
Antrag in den eigenen Reihen und in den von ihnen mitregierten Ländern und deren Verwaltungen auch selbst
umsetzen würden.
({2})
In Rheinland-Pfalz haben wir beispielsweise immer noch
die skandalöse Situation, dass junge Lehrerinnen nach
dem Referendariat immer wieder mit zeitlich befristeten
Verträgen abgespeist werden - falls sie überhaupt eine
Anstellung bekommen. Abgesehen von der wesentlich
schlechteren Bezahlung haben diese Frauen keinerlei
Planungssicherheit für ihr Berufs- und Familienleben und das als Angestellte im öffentlichen Dienst eines Bundeslandes!
({3})
Viele Ursachen für den Gender Pay Gap sind hinlänglich bekannt. Wir könnten weiter endlos über bereinigte
und unbereinigte Lohnlücken und über mittelbare und
unmittelbare Diskriminierung diskutieren. All das bringt
uns aber nicht weiter; denn der Teufel steckt hier wie so
oft im Detail bzw. schon im Titel Ihres Antrages. Denn
worum geht es eigentlich? Der vermeintlich klare Begriff
der „gleichwertigen“ Arbeit ist in der Realität eben doch
unklarer, schwammiger und wesentlich komplizierter, als
er hier dargestellt wird. Was heißt gleichwertige Arbeit?
Wer legt nach welchen Maßstäben fest, welche Arbeiten
gleichwertig sind? Und was ist ein fairer Lohn für diese
Arbeiten? Wie bewerten wir Berufserfahrung und wie die
rein formellen Qualifikationen?
({4})
Was ist uns mehr wert: Qualität oder Quantität? Körperliche oder psychische Belastungen? Verantwortung für
Menschenleben oder Gefahren für die eigene Gesundheit? Langjährige Routine oder unverbrauchte Neugier
und Ideen?
Natürlich gibt es inzwischen recht gute Instrumente
wie Logib-D und eg-check, mit deren Hilfe die Diskriminierungspotenziale von Entgelten analysiert werden
können.
({5})
- Sie haben die ganze Zeit reden können,
({6})
ich habe Ihnen doch auch zugehört. - Der Berliner
Senat hat zum Beispiel im Sommer beschlossen, das
eg-check-Verfahren auf den gesamten öffentlichen
Dienst anzuwenden.
({7})
Denn auch hier gibt es noch eine Lohnlücke von 11 Prozent und bereinigt von 7 Prozent.
Ich halte es aber dennoch schlechterdings für unmöglich, eine faire Bewertung sämtlicher Berufe und Arbeitsverhältnisse nur per Gesetz durchzuführen. Schon innerhalb einer Branche ist das ein ehrgeiziges Unterfangen,
und branchenübergreifend wird es noch schwieriger, Arbeiten als gleichwertig einzugruppieren. Selbstverständlich muss sich die Politik und vielmehr noch müssen sich
die Tarifpartner für eine Aufwertung der Berufsfelder
und eine faire Entlohnung für alle Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer einsetzen, und dies transparent nachvollziehbar.
Neben offensichtlichen Ungerechtigkeiten und zusätzlich zur vermeintlich objektiven Bewertung von Berufsfeldern gibt es aber auch noch die subjektive Bewertung
eines jeden Arbeitsplatzes durch den Arbeitnehmer oder
die Arbeitnehmerin. Und da geht es dann um persönliche
Zufriedenheit und individuelle Bedürfnisse, die letztlich
in jedem einzelnen Arbeitsverhältnis und jedem einzelnen Lebensabschnitt neu ausgehandelt werden müssen.
Hier geht es nicht nur um Geld, sondern um ein Gesamtpaket, das für alle Beteiligten stimmig sein muss. Aus
meiner eigenen beruflichen Erfahrung kann ich sagen,
dass zeitliche und räumliche Flexibilität oft buchstäblich
mehr wert sind als rein monetäre Vergütungen.
({8})
Dasselbe gilt übrigens für die Berufswahl. Natürlich
müssen wir Mädchen und Jungen von Anfang an über
Berufsbilder und Verdienstmöglichkeiten bis hin zu den
Rentenaussichten umfassend informieren und aufklären.
Wenn Frauen sich dann aber aufgrund ihrer persönlichen Neigungen und Fähigkeiten für ihren Traumberuf
entscheiden, wohl wissend, dass sie in anderen Berufen
mehr verdienen könnten, dann müssen wir das als Politik
und Gesellschaft akzeptieren und dürfen diese Entscheidungen nicht nachträglich abwerten, geringschätzen und
gerade jungen Frauen ein schlechtes Gewissen einreden,
weil sie sich für den „falschen Job“ oder für eine Auszeit
in der Familie entschieden haben.
({9})
Freie Entscheidungen sind keine Opfer, sondern ein Gewinn. Damit können seelische Belastungen wie Burnouts
übrigens oftmals vermieden werden.
Als Frau, als Arbeitgeberin und als Mutter einer
Tochter wünsche ich mir für Frauen vor allen Dingen
Wahlfreiheit. Ich traue Frauen als mündigen Bürgerinnen
grundsätzlich zu, individuelle Entscheidungen klug zu
treffen.
Wir können heute schon einiges tun, das sich nach
Klein-Klein anhört, aber vielleicht nützlicher und effektiver ist also so mancher Antrag.
Wir können als Arbeitgeberinnen und Mentorinnen
mit gutem Beispiel vorangehen, Frauen fördern, Angestellte fair bezahlen und offen für alles sein, was der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in unseren Büros dient.
({10})
Und wir können als Verbraucher darauf achten, eben
nicht die immer noch weit verbreitete Geiz-ist-geil-Mentalität zu unterstützen, sondern die Arbeit in unserem
Umfeld wertzuschätzen und angemessen zu entlohnen.
Erlauben Sie mir zum Schluss noch einen kurzen
Blick auf eine Gruppe von potenziellen Arbeitnehmerinnen, mit denen wir uns noch intensiver beschäftigen sollten: die Asylbewerberinnen, die in Deutschland ein neues
Zuhause zu finden hoffen. Bei diesen Frauen - übrigens
auch bei allen hier lebenden Migrantinnen der ersten,
zweiten und dritten Generation - stehen wir in Sachen
Lohngerechtigkeit nochmals vor völlig anderen Herausforderungen und völlig anderen Dimensionen.
Da geht es nicht nur um die Frage, wie wir mehr Mädchen in die MINT-Fächer bekommen. Nein, da geht es
erst einmal darum, dass muslimische Frauen überhaupt
Deutschkurse besuchen dürfen und muslimische Mädchen am Schulunterricht inklusive Sportunterricht teilnehmen, ganz zu schweigen von der weiteren Ausbildung und der Ausübung welcher Berufe auch immer. Da
sind die Gegner einer fair entlohnten berufstätigen Frau
nicht mehr die Arbeitgeber, Vorgesetzten und Kollegen,
sondern es sind die eigenen Ehemänner, Brüder und Väter in den Familien dieser Frauen.
Hier müssen wir dann auch ehrlicherweise zugeben,
dass wir vor einem politischen und gesellschaftlichen
Dilemma stehen. Wollen wir die kulturelle Selbstbestimmung um jeden Preis, oder wollen wir, dass unsere Vorstellungen von einer modernen Frau und Arbeitnehmerin
für alle Frauen in Deutschland gelten?
({11})
Ich bin sehr gespannt, was gerade die Grünen in Sachen
Frauenrechte auf diesem Gebiet der Bildung politisch unternehmen werden. Von Rheinland-Pfalz bin ich bislang
enttäuscht.
({12})
Den vorliegenden Antrag der Grünen lehnen wir ab,
sind aber zuversichtlich, dass die in Politik und Gesellschaft begonnene Diskussion insgesamt dazu führen
wird, dass sowohl der angekündigte Gesetzentwurf der
Koalitionsfraktionen als auch die mögliche und mehr als
notwendige Umsetzung durch die Tarifpartner weitere
substanzielle Fortschritte in Sachen Lohngerechtigkeit
bewirken werden.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Conni Möhring für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Danke, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich finde, es ist bitter nötig, dass wir hier
erneut über das Thema Lohngleichheit bei Frauen und
Männern reden. Wir reden nämlich über erhebliche
Lohn unterschiede. Die können im Laufe des Erwerbslebens einer Frau schon mal den Gegenwert eines ganzen
Wohnhauses ausmachen. Frauen bekommen im Schnitt
nämlich immer noch ein Fünftel weniger als ihre männlichen Kollegen. Für komplett die gleiche Arbeit sind es
immerhin noch 8 Prozent weniger. Das ist und bleibt ungerecht, und das muss ausgeschlossen werden.
({0})
Der nächste Equal Pay Day, also der im Jahr 2016,
wird übrigens einen Tag früher begangen werden als
bisher. Der Equal Pay Day markiert den Zeitraum vom
Anfang eines Jahres, in dem Frauen umsonst arbeiten,
wenn man als Maßstab den Verdienst ihrer männlichen
Kollegen heranzieht. Leider liegt diese Beschleunigung
im Schneckentempo aber am Schaltjahr und nicht daran,
dass endlich systematisch gegen Lohndiskriminierung
vorgegangen wird. Mir wäre solch ein Tempo sowieso
viel zu langsam. Ich finde, ehrlich gestanden, Ungeduld
ist hier dringend angebracht, weil es für die Frauen in
dieser Republik um existenzielle Fragen geht.
({1})
Es gibt verschiedene Ursachen und Erklärungen;
auf einige will ich kurz eingehen: Frauen sind seltener
in Führungspositionen und deshalb auch seltener unter
den Spitzenverdienenden zu finden. Daran wird auch die
Quote für Aufsichtsräte leider nichts ändern, weil davon
maximal 160 Frauen profitieren. Stattdessen arbeiten
Frauen im Niedriglohnsektor, oft gleichzeitig auch noch
in Teilzeit oder in Minijobs.
Wir kennen die Folgen: Was als 22-prozentige Lohnlücke beginnt, führt zu deutlich geringeren Renten, häufig zu Armutsrenten. Für Frauen bedeutet das ganz akut
ein ständig wachsendes Armutsrisiko und eine ständig
wachsende Abhängigkeit von anderen. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss endlich Schluss sein.
({2})
Den Stand der Gleichstellung können wir übrigens
nicht daran ablesen, ob wir eine Frau als Kanzlerin haben - auch wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, das schwer enttäuschen mag -, aber zum
Beispiel daran, ob es Lohnlücken bei der Bezahlung von
Frauen und Männern gibt und, wenn ja, wie groß sie sind.
Wer es schafft, eins und eins zusammenzuzählen, wird so
unschwer erkennen, dass es schlecht um die Gleichstellung in unserem Land bestellt ist.
Es gibt weitere Punkte, die ein schlechtes Bild auf den
Stand der Gleichstellung werfen und für die große Lohnlücke sorgen. Ganze Tätigkeitsfelder werden in unserer
Gesellschaft abgewertet. Alle Tätigkeiten, die nicht zu
ordentlichen Gewinnen und Profit führen - das sind nun
einmal alle Tätigkeiten, die sich um das Wohl der Menschen drehen -, werden schlecht bezahlt und sind vermeintlich nichts wert. Diese schlecht oder nicht bezahlte
Sorgearbeit wird vorwiegend von Frauen erledigt. Eine
Autoreparatur ist uns mehr wert als die Erziehung unserer Kinder, glaubt man den Lohnstreifen für Kfz-Mechaniker und Erzieherinnen. Aber damit nun nicht die
Falschen Morgenluft wittern: Wir wollen nicht, dass die
Kollegen in der Kfz-Werkstatt weniger Gehalt bekommen. Vielmehr wollen wir, dass alle Beschäftigten im
Sorgebereich deutlich besser bezahlt werden.
({3})
Ein weiterer Punkt - eigentlich gehört dieser ins vorige Jahrtausend -: Immer noch dominiert das sogenannte
Alleinverdiener- bzw. Hinzuverdienerinnen-Modell, also
dass der Mann für die Erwerbsarbeit zuständig ist und
die Frau für die Erziehungs- und Hausarbeit. Das wollen junge Paare - vorwiegend die Frauen - überhaupt gar
nicht mehr als Familienmodell leben. Das wird vom Ministerium richtigerweise auch häufig gesagt, aber, ich finde, Sie als Regierung müssten dann auch endlich anfangen, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu ändern.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht darum,
was bestimmte Arbeiten tatsächlich wert sind. Es geht
heute leider darum, wer sie macht. Ich will das an weiteren Beispielen verdeutlichen.
Erstens. In den USA ist es seit langem üblich, dass
Bewerberinnen und Bewerber für Orchester hinter einem
Vorhang vorspielen. Ihr Geschlecht wird im wahrsten
Sinne des Wortes verschleiert. Seither sind die Chancen
von Frauen in den Vorrunden um 50 Prozent gestiegen
und in den Ausscheidungsrunden um satte 300 Prozent.
Das ist im Übrigen auch bei uns nicht anders.
Zweites Beispiel. Der Fahrer eines Wäschedienstes - in der Regel ein Mann -, der Altenheime anfährt,
bekommt eine Schmutzzulage. Die Altenpflegerin - in
der Regel eine Frau -, die die Wäsche dort wechselt, bekommt keine.
Drittens. Es ist immer noch so, dass beispielsweise
in Verkaufsabteilungen großer Unternehmen Prämien
und Zulagen für Geschäftsabschlüsse gezahlt werden,
die das Gehalt im Ergebnis deutlich verbessern. Dumm
nur, wenn diesen Abschlüssen der gemeinsame Barbesuch oder das Herüberschieben der Puffkarte vorausgeht.
Denn da sind, einmal abgesehen von den unfreundlichen
Arbeitszeiten, Frauen nicht vorgesehen und kommen somit auch nicht in den Genuss dieser Prämien.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sind diese Beispiele zu erklären? Ich sage es Ihnen: Es geht um ganz
klare harte Machtverhältnisse. Es geht darum, dass in
diesen gesellschaftlichen Strukturen Sexismus in dieser
Form als normal gilt. Sexismus drückt nicht allein körperliche Distanzlosigkeit und Übergriffe aus, Sexismus
ist eine auf das Geschlecht bezogene Diskriminierung.
So müssen wir leider feststellen, dass die Lohnungleichheit zutiefst sexistisch ist.
({5})
Es ist in jedem Fall ein Verstoß gegen Artikel 3 unseres Grundgesetzes. Ich finde, das dürfen wir den Arbeitgebern nicht durchgehen lassen, das dürfen wir den
Gewerkschaften als Tarifpartner nicht durchgehen lassen, und das dürfen wir erst recht nicht der Regierung
durchgehen lassen.
({6})
Das Tempo bei der Schaffung eines Lohngleichheitsgesetzes ist unangemessen langsam. Das anfänglich lautstarke: „Nun soll die Lohnlücke geschlossen werden, ein
Entgeltgesetz kommt“, ist lange Zeit zum Schweigen im
Walde geworden. Seit fast zwei Jahren wird jetzt im Ministerium das Ei ausgebrütet. Erst sollte der Entwurf nach
der Sommerpause kommen, dann im Oktober. Jetzt, im
November, wird angekündigt, den Entwurf in den nächsten Wochen vorzulegen.
Das Getrödel ist doch nicht auf das Motto „Gut Ding
will Weile haben“ zurückzuführen, sondern eher darauf,
dass die Union schon länger das Gespenst des Bürokratiemonsters an die Wand malt und den Aufstand probt
oder sowieso meint, mit der Miniquote schon alles getan zu haben. Was auch immer der Grund sein mag - ich
richte meinen Appell einmal an beide Ministerien -:
Kommen Sie bitte endlich in die Puschen, und legen Sie
den Gesetzentwurf endlich vor!
({7})
Wir brauchen neben der gleichen Entlohnung für gleiche und vergleichbare, also gleichwertige Arbeit unbedingt auch eine Aufwertung bestimmter Tätigkeiten. Die
finanzielle Aufwertung ist ein harter Kampf. Das haben
uns die Streiks in den Krankenhäusern und den Kitas
gezeigt. Es ist aber ein dringend notwendiger Kampf.
Genau in diesen Arbeitsbereichen wird über die Menschlichkeit einer Gesellschaft entschieden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ursachen sind
klar. Es gibt gute Lösungsvorschläge, so wie in dem hier
vorliegenden Antrag der Grünen, aber auch in den beiden
Anträgen meiner Fraktion der Linken. Jetzt braucht es
mutige und entschlossene Schritte. Ich fordere die Koalition auf: Legen Sie endlich los! Sorgen Sie dafür, dass
hierzulande das Prinzip gilt: Gleicher Lohn bei gleicher
und gleichwertiger Arbeit! Stoppen Sie konsequent jeden
Sexismus in der Arbeitswelt!
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, das war vor gut
150 Jahren eine der zentralen Forderungen der deutschen
und der internationalen Frauenbewegung. Im Jahr 2015
beträgt die Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern
in Deutschland immer noch 22 Prozent. Damit befinden
wir uns mit Estland ganz hinten, am Ende der Skala in
der Europäischen Union. Nächstes Jahr wird die Lohndifferenz 21,6 Prozent betragen. Was für ein Fortschritt!
Ich sage Ihnen: Da müssen wir nun wirklich ein bisschen
mehr Tempo machen; sonst erleben noch nicht einmal
unsere Enkeltöchter, dass es gleichen Lohn für gleiche
Arbeit gibt.
Im 21. Jahrhundert geht es aber nicht mehr nur um
gleichen Lohn für gleiche, sondern auch um gleichen
Lohn für gleichwertige Arbeit. Da die Ursachen für die
Lohndifferenz vielfältig sind, gibt es auch nicht nur die
eine Lösung, sondern wir brauchen mehr Maßnahmen,
und zwar ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Da reicht
es nicht aus, wenn mehr Frauen in den Tarifkommissionen sind - und zwar auf beiden Seiten des Tisches -,
sondern da brauchen wir ein bisschen mehr.
Wir haben mit dem gesetzlichen Mindestlohn, mit
der verbesserten Möglichkeit zur Erlangung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und, damit
verbunden, mit einer Stärkung der Tarifbindung einen
ersten wichtigen Schritt hin zu mehr Lohngerechtigkeit
gemacht. Im Niedriglohnsektor und gerade in den nicht
tarifgebundenen Betrieben arbeiten sehr viele Frauen. Insofern bin ich der Überzeugung, dass im Jahr 2017 schon
ein Effekt zu spüren sein wird, auch im Hinblick auf den
Gender Pay Gap.
({0})
Ein weiterer Grund für die Lohndifferenz ist die Teilzeitarbeit. Eine niedrigere Bezahlung von Teilzeitarbeit
pro Stunde ist durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz
verboten. Es geschieht trotzdem, am meisten bei den
Minijobberinnen, aber auch bei denjenigen, die nur ihre
Arbeitszeit reduziert haben. Es kommt hinzu, dass die
Teilzeitbeschäftigten kaum an betrieblicher Qualifizierung und kaum bis gar nicht an betrieblichen Aufstiegsmöglichkeiten teilhaben. Das führt im Laufe der Zeit natürlich wieder zu mehr Lohnungleichheit statt zu mehr
Lohngleichheit. Vor allen Dingen fehlt der Anspruch
auf Rückkehr zur früheren Arbeitszeit. Dieses Problem
werden wir im nächsten Jahr angehen. Auch das ist ein
wichtiger Beitrag zur Herstellung der Entgeltgleichheit.
({1})
Damit werden wir mit der beruflichen Sackgasse, die
Teilzeit bedeutet, Schluss machen und Teilzeit auf das
zurückführen, wofür sie eigentlich gedacht war, nämlich
auf eine zeitlich befristete Episode im Erwerbsleben von
Frauen, aber auch von Männern. Dann wird Teilzeit kein
unfreiwilliger Dauerzustand mehr sein.
Das Nächste, was wir brauchen, ist mehr Transparenz.
Um überhaupt feststellen zu können, ob Entgeltungleichheit vorhanden ist, braucht man mehr Transparenz. Es ist
schon ein bisschen komisch, dass gerade in Deutschland
die Antwort auf die Frage: „Was verdient der Kollege,
bzw. was verdient die Kollegin?“ das bestgehütete Geheimnis ist. Das ist in anderen Ländern anders. Wir wollen natürlich keine Lohnlisten veröffentlichen, sondern
wir wollen die Entgeltstrukturen sichtbar machen - darauf haben wir uns in dieser Koalition verständigt -, und
zwar bei Betrieben ab 500 Beschäftigten. Das ist auch gut
so. Denn nur wenn man die Entgeltungleichheit kennt,
kann man sich auf den Weg machen, Entgeltgleichheit
herzustellen.
({2})
Wir haben auch vereinbart, dass die festgestellte Entgeltungleichheit durch die Unternehmen mithilfe verbindlicher Verfahren und gemeinsam mit den Beschäftigten unter Beteiligung der Interessenvertretung im
Betrieb beseitigt wird; es geht also nicht nur darum, die
Entgeltungleichheit zu dokumentieren, sondern auch darum, etwas dagegen zu tun. Wir haben darüber hinaus einen individuellen Auskunftsanspruch der Beschäftigten
vereinbart.
Ich möchte an dieser Stelle klar und deutlich sagen:
Schon heute ist Entgeltdiskriminierung verboten. Es ist
nicht so, als ob das erlaubt wäre. Allerdings geschieht es.
Das liegt auch daran, dass diejenigen, die davon betroffen sind - ob direkt oder indirekt -, ihren Rechtsanspruch
einzeln vor Gericht durchsetzen müssen. Wir alle wissen:
Wer seinen Job behalten will, der wird das im Zweifel
nicht tun. Deshalb brauchen wir zusätzliche gesetzliche
Regelungen.
({3})
Bleibt das Thema „Gleicher Lohn für gleichwertige
Arbeit“. Gerade die Berufe, für die sich Frauen in großer Zahl entscheiden, werden schlechter bezahlt als die
Berufe, für die sich Männer überwiegend entscheiden.
Ich frage hier jetzt einmal in die Runde: Ist es wirklich
gerecht, dass das Heben von Steinen - beispielsweise bei
einem Maurer - mit fast 3 000 Euro im Monat besser
entlohnt wird als das Heben von Menschen in der Altenpflege, wo die höheren Einkommen bei 2 700 Euro und
die sonstigen Einkommen bei 2 400 Euro liegen? Ist es
richtig, dass ein Produktionshelfer im Bäckerhandwerk
ein höheres Einkommen hat als die BäckereifachverkäuCornelia Möhring
ferin, die eine Ausbildung von drei bis dreieinhalb Jahren
mit anschließender Prüfung gemacht hat?
({4})
Es gibt also auch Diskriminierungen, die in Tarifverträgen angelegt sind. Im Koalitionsvertrag steht, dass wir
uns gemeinsam mit den Tarifpartnern auf den Weg machen wollen, die Tarifverträge zu überprüfen, und ich begrüße ausdrücklich, dass Gewerkschaften wie die NGG
und die IG Metall schon dabei sind, das zu tun.
({5})
Wir müssen aber auch eine gesellschaftliche Debatte darüber führen, dass die sozialen Berufe, wie die in
der Pflege oder in der Erziehung, besser entlohnt werden
müssen.
({6})
Der Streik der Erzieherinnen war vor diesem Hintergrund völlig berechtigt.
Ich denke, wir müssen auch darüber reden, wie wir die
Ausbildung organisieren; denn es ist auch nicht gerecht,
dass die einen eine Ausbildungsvergütung bekommen,
während die anderen teilweise auch noch Schulgeld zahlen müssen.
({7})
Daneben müssen wir auch über das Berufswahlverhalten von jungen Frauen und Männern reden, das sich
in den letzten 30 Jahren kaum verändert hat. Das hat etwas mit Rollenmustern, aber auch mit einer späten und
teilweise unzureichenden Information über Verdienst-,
Aufstiegs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten sowie
über die Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Beruf und
Familie zu tun. Auch hier müssen wir ansetzen.
Insofern brauchen wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen, und ich bin sehr froh, dass die Grünen Vorschläge dazu gemacht haben, insbesondere weil Teile dieser
Vorschläge eine sehr große Ähnlichkeit mit dem Gesetzentwurf haben, den wir als SPD-Fraktion in der letzten
Wahlperiode in den Bundestag eingebracht haben.
Um auch noch einmal auf die Frage zurückzukommen, ob das, worauf wir uns verständigt haben und wozu
wir bald einen Vorschlag vorlegen werden, ausreicht:
({8})
Auch hier gilt der Grundsatz, dass wir einen unumkehrbaren Einstieg zu mehr Lohngerechtigkeit brauchen.
Ehrlich gesagt ist mir hier, wie bei der Quote, der Spatz
in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach. Lassen
Sie uns diesen Einstieg in dieser Wahlperiode machen
und auch gerne darum streiten, wie man das besser und
schneller hinbekommen kann. Ich bin aber froh, dass
es in diesem Haus zumindest über das Ob keinen Streit
mehr gibt.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Karin Maag für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass wir im Jahr 2015 trotz klarer verfassungsrechtlicher
Vorgaben und trotz eines AGG, das CDU/CSU, SPD und
Grüne gemeinsam beschlossen haben, noch immer eine
Entgeltungleichheit anprangern müssen - da haben die
Grünen recht -, ärgert mich wirklich ganz persönlich.
Dass die unbereinigte Entgeltlücke bei 22 Prozent liegt
und, abhängig von Regionen und Branchen, schwankt
und dass diese Lohnlücke mit zunehmender Qualifikation sogar steigt, ärgert mich auch.
Dort, wo es Tarifverträge gibt, wird es besser. Frauen
profitieren von der Tarifbindung stärker als Männer. Was
mich aber ganz persönlich auf die Palme bringt - da bin
ich wirklich oben -, ist die sogenannte bereinigte Entgeltlücke,
({0})
also das, was herauskommt, wenn Teilzeitarbeit und der
Einfluss von Berufswahl und Branchen herausgerechnet
werden. Unabhängig davon, ob das nun 7 Prozent oder
nur 2,2 Prozent sind - je nach Berechnung -, bleibt es
eine Entgeltlücke, und das ist ein Skandal.
({1})
Vor allem die Beseitigung der bereinigten Entgeltlücke müssen wir dringend angehen. Dort ist die Diskriminierung ganz offensichtlich. Genau deshalb - Frau Ferner
hat es ja schon gesagt - haben wir uns im Koalitionsvertrag auch zu den notwendigen Maßnahmen bekannt.
({2})
Hier muss vor allem Transparenz hergestellt werden.
Dort, wo Unterschiede offengelegt werden, kann diese
unterschiedliche Vergütung nicht mehr fortgeführt werden. Deshalb wird der Bericht zur Entgeltgleichheit verbindlicher Bestandteil des Lageberichts im HGB.
Berichtspflichtig, liebe Frau Müller-Gemmeke, werden damit Betriebe ab 500 Beschäftigten. Das halte
ich persönlich für richtig; denn wenn die Regelung nur
noch unter dem Label „Noch mehr Bürokratie für die
Wirtschaft“ läuft - egal ob man das nun gut findet oder
nicht -, dann wird die Akzeptanz insgesamt fehlen. Von
daher ist es aus meiner Sicht richtig, dass wir nur die
Unternehmen erfassen, die ohnehin einen Lagebericht
erstellen müssen, und dass wir diese entsprechend verpflichten. Diese Unternehmen haben dann zumindest die
Gelegenheit, darzustellen, welche Maßnahmen sie zur
Herstellung von Entgeltgleichheit einleiten.
({3})
Auf diese Berichtspflicht aufbauend, wird es dann den
individuellen Auskunftsanspruch geben. Wir wollen den
Auskunftsanspruch für die Beschäftigten mit vergleichbarer oder gleichwertiger Tätigkeit. Dabei geht es um die
Art der Tätigkeit, zum Beispiel im IT-Bereich oder im
Marketing. Es geht ebenso um Führungs- und Fachlaufbahnen. Es geht auch darum, dass wir die Frauen in die
Lage versetzen, die Gehaltsstrukturen zu kennen, damit
sie besser verhandeln können. Wir wollen nicht, dass
der Herr Meier nun fürchten muss, dass die Frau Müller
weiß, was er verdient. Diesen Unfrieden wollen wir nicht
in die Betriebe bringen. Wir brauchen aber ein verbindliches Verfahren, das dafür sorgt, dass die Unternehmen in
eigener Verantwortung mögliche Entgeltdiskriminierungen beseitigen können.
Wichtig ist mir persönlich dabei, dass wir den Unternehmen zwar vorgeben, dass sie ein solches Verfahren
anwenden müssen. Welches Verfahren für den einzelnen
Betrieb nun sinnvoll ist und wie eine solche Methodik
aussehen kann, die hohe Aussagekraft hat und die trotzdem mit den Daten, die der Betrieb bereits generiert hat,
arbeiten kann - ob das Logib-D, ob das eg-check oder
eine andere Software ist, die im Moment entwickelt
wird -, dazu will ich keine Vorgaben machen. Jedenfalls
muss dabei herauskommen, dass das Unternehmen aus
dieser Analyse konkrete Handlungsoptionen ableiten
kann.
Wenn hier strukturelle Ungleichheiten gefunden
werden, dann müssen die Unternehmen natürlich nachbessern. Ein Rechtsschutz - das geht jetzt in Richtung
Grüne - ist aus meiner Sicht ausreichend vorhanden. Der
Antidiskriminierungsstelle eine Kontrollbefugnis oder
andere vergleichbare übergriffige Kompetenzen einzuräumen, ist meines Erachtens nicht nötig.
({4})
Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, reden wir von
der unbereinigten Lohnlücke, von den 22 Prozent. Diese
Zahl hat aus meiner Sicht einen eher symbolischen Charakter. Sie ist natürlich ein Beleg dafür, dass in unserer
Gesellschaft vieles noch nicht stimmt; da bin ich ganz bei
Ihnen. Mir ist aber wichtig, dass wir die eben beschriebenen und dringend notwendigen Maßnahmen für die
Beseitigung der realen Entgeltdiskriminierung in Höhe
von 2 oder 7 Prozent nicht mit der Lösung für gesamtgesellschaftliche Probleme in einen Topf werfen.
Um diese unbereinigte Entgeltlücke zu schließen - da
bin ich ganz bei Ihnen -, bedarf es eben nicht nur eines
Gesetzes, sondern da brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen. Da geht es zum Beispiel um die Aufwertung
von Tätigkeitsfeldern, aber auch genauso um die Änderung von Rahmenbedingungen.
Bei den Tätigkeitsfeldern sind auch die Tarifpartner in
der Pflicht - da lehne ich mich jetzt einigermaßen entspannt zurück -, und deshalb schauen wir gemeinsam
mit den Tarifpartnern, wie einzelne Tätigkeitsfelder geschlechtergerecht bewertet und aufgewertet werden können. Natürlich muss sich - auch da bin ich bei Ihnen - in
den Berufsfeldern der Sorgearbeit, also Pflege, Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung, einiges tun. Da
brauchen wir, liebe Frau Kollegin, mehr Frauen in den
Tarifkommissionen. Ich bin gern bereit, mich da für eine
Quote einzusetzen.
({5})
Wenn wir über Rahmenbedingungen sprechen, dann
ist mir wichtig, hervorzuheben, dass wir in den letzten
Jahren unter unionsgeführten Regierungen die Situation für die Frauen auf dem Arbeitsmarkt deutlich verbessert haben. Da nenne ich vor allem die Regelungen
zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Unter Ursula von der Leyen wurde der Rechtsanspruch auf
einen Krippen- und Kitaplatz eingeführt. Ich nenne hier
den Kitaausbau, an dem sich der Bund nachhaltig und
auch weiterhin beteiligt, obwohl dafür die Länder zuständig sind. Ich nenne hier auch die Familienpflegezeit und
das Pflegestärkungsgesetz. Ich nenne die Frauenquote
und vor allem auch die Mütterrente; denn die Entgeltlücke nehmen die Frauen ja auch in die Rente mit. Eine
Rentenlücke von 59 Prozent bedeutet eine massive Ungerechtigkeit. Ich bin wirklich froh, dass wir zu Beginn
der Legislaturperiode die notwendigen Schritte eingeleitet haben: Das durchschnittliche Alterseinkommen der
Frauen ist mit der Mütterrente schon heute um knapp
10 Prozent gestiegen.
({6})
Dennoch bleibt - zugegeben - viel zu tun.
Zeit für Familie darf kein Karrierekiller sein. Deswegen muss es nach einer familienbedingten Aus- oder
Teilzeit auch das Recht geben, wieder zur ursprünglichen
Arbeitszeit zurückzukehren. Wir müssen und werden das
Teilzeitrecht entsprechend überarbeiten und endlich einen Anspruch auf befristete Teilzeitarbeit einführen.
({7})
Führungspositionen sind noch immer Männerdomänen. Ab Januar greift die fixe Quote für die Aufsichtsräte. An die Adresse derjenigen, die jetzt die Zielquoten
für die Vorstände und die darunterliegenden Ebenen sehr
zögerlich umsetzen, und an die Adresse der wenig Ambitionierten, die auch noch nicht sehen, dass Frauen in
Führungspositionen kein Wettbewerbsnachteil sind: Ich
kann Ihnen versichern, dass ich mit meinen Kolleginnen
in der Fraktion und mit Ihnen ein Auge darauf haben werde. Wir werden evaluieren. Ich werde mir gegebenenfalls
gerne Mitstreiterinnen für die Nachbesserung suchen.
({8})
Sie haben vorhin die Berufswahl genannt. Natürlich
müssen wir den Frauen und Mädchen auch die Branchen schmackhaft machen, die bislang männerdominiert
waren. Dazu gehört aber eine vernünftige Studien- und
Berufsberatung. Da müssen Verdienstaussichten und
Aufstiegschancen besprochen werden. Als 18- oder
25-Jährige denkt man noch nicht daran, was die Berufswahl für die spätere Rente bedeutet.
Mir ist ein Punkt ganz wichtig.
({9})
- Sie müssen es sich anhören, meine Damen. - Die Messlatte der Union ist nicht das berufliche Arbeitsvolumen
von Frauen. Mir ganz persönlich, aber auch den Frauen
in der Union geht es nicht darum, möglichst viele Frauen in möglichst viele Stunden Erwerbsarbeit zu drängen.
Unsere Messlatte ist allein die Antwort auf die Fragen:
Wie wollen Frauen ihre individuelle Berufstätigkeit und
Familienarbeit vereinbaren? Wie können wir - da sehe
ich mich sehr in der Pflicht - die Rahmenbedingungen
dazu setzen und verbessern?
Wir wollen die Wahlfreiheit für die Mütter und Töchter. Sie selbst sollen bestimmen können, wie viel Zeit sie
in welcher Lebensphase und in welchem Bereich brauchen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Väter und
Söhne.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so oder so: Entgeltdiskriminierung muss und wird zeitnah - da sehe ich
die Familienministerin und die Arbeitsministerin in der
Pflicht - ein Ende haben.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Am Dienstag wurde die
Kampagne zum Equal Pay Day 2016 unter dem Motto
„Was ist meine Arbeit wert?“ gestartet. Der wird im kommenden Jahr am 19. März begangen. Wir wissen, dass er
jetzt einen Tag früher stattfindet. Wir wissen auch, warum.
Das ist seit vielen Jahren ein wiederkehrendes Ereignis - seit zu vielen Jahren. Es klingt schon fast wie ein
Mantra: Der Lohnunterschied zwischen Männern und
Frauen beträgt 22 Prozent, bereinigt 7 Prozent. Das kann
nicht sein. Die Stagnation, die Fortsetzung ungleicher
und unfairer Bezahlung für Frauen in Deutschland brauchen jetzt ein Gegensteuern.
({0})
Wie die bestbezahlte US-Schauspielerin Jennifer
Lawrence aktuell scharf kritisierte, verdienen zum Beispiel auch in Hollywood Schauspielerinnen deutlich
weniger als männliche Kollegen - Ernüchterung in der
Traumfabrik.
Das sind aber die gleichen diskriminierenden Mechanismen wie beim Gender Pay Gap hier. Dass Frauen
schlichtweg schlechter bezahlt werden, weil sie Frauen
sind, bleibt für mich nach wie vor unfassbar. Für diese
Ungerechtigkeit gibt es keine sachlichen Gründe.
({1})
Aber es gibt einige Ursachen, die ich benennen möchte:
Erstens. Frauen arbeiten häufiger in sozialen und
Dienstleistungsberufen, in denen deutlich weniger gezahlt wird als in der Industrie und in vielen anderen Bereichen wie in der Baubranche, also in den sogenannten
typischen Männerberufen. Das kann nicht so bleiben.
Hier muss gerecht bewertet und müssen soziale Berufe
mehr wertgeschätzt werden. Das heißt ganz klar: besser
bezahlen; denn körperliche und psychische Belastungen
können bei der Bezahlung nicht länger unterbewertet
oder gar außer Acht gelassen werden.
({2})
Zweitens. Frauen steigen wie Männer in Vollzeit ins
Berufsleben ein. Das ändert sich in der Regel, wenn sie
Kinder bekommen Über 45 Prozent der Mütter arbeiten dauerhaft in kleiner Teilzeit oder in Minijobs. Dabei
gibt es ganz selten Chancen auf Karriere. Die Teilzeitbeschäftigung wird häufig schlechter und oft nicht der
Qualifikation entsprechend bezahlt. Die Folge ist: Frauen
haben dadurch kein existenzsicherndes Einkommen und
verdienen im Lebensverlauf auf das gesamte Erwerbsleben gesehen rund 40 Prozent weniger als Männer. Die
Rentenlücke liegt bei 57 Prozent. Das Risiko von Alleinerziehendenarmut und Altersarmut ist für Frauen sehr
hoch. Das müssen wir schnellstmöglich ändern.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb brauchen
wir nicht nur ein Entgeltgleichheitsgesetz, sondern auch
ein modernes Arbeitszeitkonzept. Viele Frauen möchten
mehr und viele Männer, besonders Väter, möchten weniger Stunden arbeiten. Wir Grünen wollen darum eine
neue Vollzeit mit einem flexiblen Arbeitszeitkorridor von
30 bis 40 Stunden etablieren. So würden Diskriminierung
in der Teilzeit entgegengewirkt, beruflicher Aufstieg ermöglicht und auch die Lohnlücke langsam geschlossen
werden.
({4})
Die Bundesregierung, die Wirtschaft und auch die Tarifpartnerinnen und -partner sind jetzt dran, das umzusetzen. Ich frage die Frauenministerin, die heute leider
nicht anwesend sein kann: Worauf warten Sie noch? Dass
das Wetter schöner wird? Das wird nicht schöner; es ist
November. Sie kündigen auf Konferenzen oder Podien
immer vollmundig an, die Entgeltungleichheit beenden
zu wollen. Die Süddeutsche vom 3. November schreibt
zu Ihrem Verhalten - ich zitiere -:
Gut gebrüllt - nur leider war dann Schweigen im
Walde. Bald zwei Jahre brütet die Familienministerin schon an einem Gesetzentwurf.
({5})
- Ich sage ja nur, dass bis jetzt noch nichts vorliegt. - Wir
Grüne unterstützen sie und auch die SPD gerne dabei.
Sehen Sie unseren Antrag als echtes Angebot. Denn wir
wollen Frauen wirksam den Rücken stärken. Das geht
aus unserem Antrag auch deutlich hervor.
Die CDU/CSU will das offensichtlich nicht so eindeutig. Das Gezeter aus weiten Teilen der Union und auch
der Wirtschaft tönt uns aus allen Ecken entgegen. Noch
einmal einzuknicken wie beim Quötchen, um die Unternehmen nicht zu fordern: Was wäre das für ein Signal an
Frauen?
Ich kann nur hoffen, Sie haben in der Großen Koalition die Zeit genutzt, einen Gesetzentwurf vorzulegen,
der über den angekündigten Vorschlag hinausgeht. Denn
eine Transparenzoffensive ohne Sanktionen bzw. erst für
Unternehmen ab 500 Beschäftigten reicht nicht aus.
({6})
Frauen haben ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz
verdient, das wirklich konsequent auf die gleichwertige und gerechte Bezahlung von Frauen umsteuert. Haben Sie also den Mut, effiziente Veränderungen für ein
wirklich großes Entgeltgleichheitsgesetz auf den Weg zu
bringen!
Vielen Dank.
({7})
Die Kollegin Birgit Kömpel hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über den Antrag der
Grünen; denn er bringt das Problem auf den Tisch. Lohndiskriminierung gegenüber Frauen ist eine besonders
schwerwiegende Diskriminierung, die beseitigt gehört.
({0})
Frauen verdienen im Durchschnitt circa 22 Prozent
weniger als Männer. Das allein ist ein handfester Skandal. Frauen werden tatsächlich auch beim Lohn immer
noch direkt benachteiligt. Die gleiche Tätigkeit im gleichen Unternehmen, aber noch immer zwei unterschiedliche Einkommen: Das ist, wie gesagt, ein Skandal.
Diskriminierung wirkt aber - die Kollegin hat es
schon angesprochen - nicht immer nur direkt. Viel
schwerer wiegen die indirekten Ursachen und vor allem
die Folgen der Lohnlücke. Um einige aufzuzeigen: Frauen fehlen in bestimmten einkommensstarken Berufen
und Branchen. Sie erklimmen erst allmählich auch die
höheren Stufen der Karriereleiter. Frauen unterbrechen
oder reduzieren ihre Erwerbstätigkeit häufiger und länger
familienbedingt als Männer. Wir Frauen sind - ja, auch
das stimmt - leider oft zurückhaltender bei Lohn- und
Gehaltsverhandlungen. Typische Frauenberufe werden
traditionell schlechter bewertet und entlohnt als typische
Männerberufe, auch dann, wenn Gleichwertiges in ihnen
geleistet wird.
Schauen wir auf das Ergebnis. Frauen haben aufgrund
dieser Tatsache lange nachwirkende Einbußen bei der
Einkommensentwicklung. Sie haben vor allem Nachteile bei der Karriereentwicklung. Dadurch bauen Frauen
im Laufe ihres Erwerbslebens deutlich weniger eigenes
Vermögen auf als Männer. Sie beziehen später deutlich
weniger Rente und sind damit deutlich häufiger von Altersarmut betroffen. Das ist ungeheuerlich, und das ist
nicht mehr hinnehmbar.
({1})
Frauen sind heute - das wurde hier schon mehrfach
gesagt - gleich gut oder sogar besser ausgebildet als
Männer. Aber noch immer wird typische Frauenarbeit
weniger wertgeschätzt als typisch männliche Arbeit. Aber
warum soll eine Erzieherin oder eine Krankenschwester
weniger verdienen als ein Industriearbeiter? Beide - ich
betone: beide - sollen angemessen verdienen. Sie leisten
nicht das Gleiche, aber sie leisten - das ist ganz wichtig Gleichwertiges.
Genau da müssen wir ansetzen. Wir müssen überprüfbare Kriterien für die Wertigkeit von Arbeit entwickeln;
denn gleichwertige Arbeit muss auch gleich bezahlt
werden. Gleichwertige Arbeit bedeutet nun einmal nicht
gleiche Arbeit. Um gleichwertige Arbeit zu bestimmen,
müssen wir sprichwörtlich Äpfel mit Birnen vergleichen,
eben die Krankenschwester und den Stahlarbeiter. Da
wird es um Ausbildung, Verantwortung, Belastung und
vieles mehr gehen.
Der „eg-check“ der Hans-Böckler-Stiftung hat es vorgemacht. Er definiert Kriterien für die Wertigkeit von Arbeit. Damit schafft er Transparenz im Bereich der Löhne
und Gehälter. Diesen und weitere Aufschläge werden wir
aufnehmen. Mit Elterngeld Plus und der Frauenquote haben wir begonnen. Jetzt gehen wir die Lohngleichheit an.
Liebe Kollegin Schauws, ich bin fest davon überzeugt,
dass wir diesen Meilenstein der Gleichberechtigung mit
unserer Ministerin Manuela Schwesig hinbekommen und
durchsetzen können.
({2})
Also: Packen wir es an! Ich freue mich auf die Beratungen mit allen Fraktionen und danke Ihnen für Ihre
Aufmerksamkeit.
({3})
Der Kollege Paul Lehrieder hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Frau Kollegin Beate Müller-Gemmeke,
aufpassen! Hier spielt die Musik.
({0})
Sie haben vorhin in Ihrer Auftaktrede einige Passagen
aus dem Antrag Ihrer Fraktion zitiert. Ich kenne Sie als
geschätzte und engagierte Kollegin aus dem Ausschuss
für Arbeit und Soziales sowie dem Petitionsausschuss,
wo wir schon manchen Strauß miteinander ausgefochten haben. Aber mit Ihrem Antrag liegen Sie falsch, Frau
Beate Müller-Gemmeke. Diese Große Koalition hat das
Problem richtig im Visier und wird es sine ira et studio
sowie ohne Hektik so angehen, dass dabei etwas Vernünftiges herauskommt. Dazu bedarf es weder eines Antrages der Grünen noch eines Antrages der Linken. Frau
Kollegin Möhring, Füße stillhalten!
Noch immer bekommen Frauen und Männer für die
gleiche Arbeit nicht überall den gleichen Lohn; das ist
bekannt. In Deutschland verdienen die Frauen - darauf
wurde schon von einigen Vorrednerinnen hingewiesen bei vergleichbarer Qualifikation und Tätigkeit im Schnitt
7 Prozent weniger als Männer; das ist die sogenannte bereinigte Entgeltlücke. Unbereinigt bzw. dann, wenn man
den Bruttodurchschnittsverdienst gegenüberstellt, verdienen Frauen sogar 22 Prozent weniger als Männer. Ja,
es ist richtig, Frau Schauws: In Hollywood sind es sogar
24 Prozent. Das kann uns aber nicht trösten.
({1})
Damit liegt Deutschland, was die sogenannte Gender
Pay Gap, die Lohnlücke, angeht, im europäischen Vergleich auf einem der hinteren Plätze. Frauen verdienen
schon ein Jahr nach Ausbildungsabschluss 14 Prozent
weniger als Männer. Des Weiteren sind 60 Prozent der
Frauen überwiegend in ungelernten und angelernten Berufen vertreten und werden zudem häufiger als Männer
unter ihrem Ausbildungsniveau eingesetzt.
Um diesen Unterschieden wirksam begegnen zu
können, lohnt es sich zunächst einmal, einen Blick auf
die Gründe für die bestehenden Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern zu werfen. Diese lassen sich
auf verschiedene Ursachen zurückführen, wobei relativ
schnell festzustellen ist, dass die meisten Faktoren in der
persönlichen Erwerbsbiografie begründet liegen. Wie
heißt es so schön? Politik beginnt mit dem Betrachten
der Realität, Frau Müller-Gemmeke.
({2})
Zum einen sind insbesondere die häufigen Erwerbsunterbrechungen aufgrund familiärer Verpflichtungen ausschlaggebend. Nach längeren familienbedingten Erwerbsunterbrechungen und damit einhergehenden Einbußen
beim Gehalt sind Frauen oftmals nicht mehr in der Lage,
den Einkommensvorsprung ihrer männlichen Kollegen
aufzuholen. Immerhin dauert eine familienbedingte Erwerbsunterbrechung durchschnittlich vier Jahre und acht
Monate. Eine hohe Teilzeitquote und lange Familienphasen kennzeichnen also viele Frauenerwerbsverläufe.
Man spricht hier auch, leider zutreffenderweise, in vielen
Fällen von der Sackgasse Teilzeit. Auch dieses Problem
müssen wir lösen. Wir müssen ein Wiedereintrittsrecht
auf den Weg bringen. Da sind auch die Arbeits- und Sozialpolitiker gefragt.
Des Weiteren sind Frauen in bestimmten Berufen und
Branchen, in Positionen mit höherem Qualifikationsanspruch und Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Diesem Aspekt der hierarchisch zunehmenden
Männerdominanz und der damit einhergehenden geschlechterbedingten Einkommenslücke sind wir bereits
im Frühjahr mit dem Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen
in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst entgegengetreten. Dafür können Sie uns auch einmal loben,
Frau Müller-Gemmeke.
({3})
- So viel Zeit muss sein. Das müssen Sie jetzt schon
aushalten. - Ferner arbeiten Frauen pro Woche durchschnittlich neun Stunden weniger als Männer, was einer
Arbeitszeitlücke von etwa 23 Prozent entspricht. Etwa
46 Prozent aller abhängig beschäftigten Frauen arbeiten
Teilzeit - ich habe es bereits ausgeführt - und dabei in
geringem Stundenumfang. Schließlich zeigen viele Frauen aufgrund nach wie vor vorherrschender tradierter Rollenbilder - Fokus auf Karrierechancen des Mannes; man
unterstützt den Partner bei der Karriereplanung - noch
eine geringere berufliche Mobilität als ihre männlichen
Kollegen. Stellen Sie sich nur einmal einen beruflich
bedingten Umzug vor. Dieser wird bei Männern gesellschaftlich eher akzeptiert als bei Frauen.
Aufgrund der Tatsache, dass die Frauen in unserem
Land so hochqualifiziert und gut ausgebildet sind wie
nie zuvor, häufiger Abitur machen als Männer, häufiger
ein Studium beginnen und dies auch häufig erfolgreicher
abschließen als Männer, lässt sich das bestehende UnBirgit Kömpel
gleichgewicht bei der Entlohnung nicht durch etwaige
Qualifikationsunterschiede rechtfertigen.
({4})
- Warten Sie, ich komme gleich zur Lösung. Immer
schön ruhig bleiben, nur keine Hektik.
Aus diesem Grund haben wir uns im Koalitionsvertrag
darauf verständigt, gemeinsam mit den Tarifvertragsparteien - das unterscheidet uns von Ihnen; Frau Kollegin
Ferner hat bereits darauf hingewiesen, dass die Tarifvertragsparteien da auch gefordert sind und sich die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten bereits auf den
Weg gemacht hat, das Gefälle abzumildern - die Entgeltgleichheit von Frauen und Männern anzugehen und die
erwiesene Entgeltdiskriminierung zu beseitigen. - Ich
lasse die näheren Ausführungen aus Zeitgründen weg.
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, dass wir prinzipiell nicht so weit auseinanderliegen, wie Sie denken. Allerdings unterscheiden wir uns
insbesondere in der unterschiedlichen Herangehensweise
an bestimmte Probleme. Statt vorschnell nach der gesetzlich herbeigeführten Bürokratiekeule zu greifen, sollten
wir zunächst den Tarifpartnern Gelegenheit geben ({5})
- haben Sie eine Frage, Frau Müller-Gemmeke? Sie würden sich die Sympathie aller Kolleginnen und Kollegen
hier zuziehen; aber ich hätte dann mehr Redezeit -, sich
mit dem Problem zu befassen und es gemeinsam zu lösen.
Die unionsgeführte Bundesregierung und die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion bekennen sich selbstverständlich zur verfassungsrechtlich verankerten Tarifautonomie
und vertrauen auf die Sachnähe und Regelungskompetenz der beteiligten Tarifpartner.
({6})
So vielfältig die Gründe für die oben genannte geschlechtsspezifische Einkommenslücke sind, so vielschichtig sollten auch die diesbezüglichen politischen
Maßnahmen zur Beseitigung dieser Lücke sein. Das
Schwingen mit der gesetzlichen Keule allein, wie Sie es
gerne so oft fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, ist hier meist nicht zielführend. Wir müssen
auch die Arbeitgeber, also die andere Tarifvertragspartei,
mit auf den Weg nehmen.
({7})
Wir werden für mehr Lohngerechtigkeit sorgen, jedoch im Rahmen der Umsetzung auch den Verwaltungsaufwand für die Unternehmen in einem erträglichen Umfang lassen.
Sie müssen schon aufpassen, Frau Müller-Gemmeke.
({8})
Wenn Sie schimpfen, müssen Sie auch etwas entgegennehmen.
Wir haben in diesem Jahr mit dem Gesetz für die
gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an
Führungspositionen ein wichtiges Element auf den Weg
gebracht. Wir haben mit dem gesetzlichen Mindestlohn das wissen Sie so gut wie ich - ein wichtiges Element auf
den Weg gebracht. Wir haben mit dem quantitativen und
qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung, dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Pflege, Familie und
Beruf und mit dem Elterngeld Plus vieles auf den Weg
gebracht, was die Erwerbstätigkeit von Frauen verbessert
und auch die Entgeltungleichheit möglicherweise in dem
Bereich vermindert.
Wir werden noch in diesem Jahr mit einem Gesetzesvorhaben beginnen und dieses im nächsten Jahr zu Ende
führen. Dies werden wir mit der Ihnen bekannten Qualität, Kraft, aber auch Besonnenheit der Großen Koalition
tun.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Ursula Schulte
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der vergangenen Wahlkreiswoche hatte ich eine Einladung zu einem Frühstücksgespräch über das Thema
„Frauen machen Politik - Auf jeden Fall anders? - Auf
jeden Fall besser?“. Bevor wir zu dem Ergebnis kamen,
dass Frauen in der Regel andere Prioritäten in ihrer politischen Arbeit setzen als Männer, haben wir uns gemeinsam auf eine kurze Erinnerungsreise begeben.
Sie begann im Jahr 1908, als Frauen endlich politischen Parteien beitreten durften. Sie machte Station im
Jahr 1949, als in Artikel 3 des Grundgesetzes der alles
entscheidende Satz verankert wurde: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Sie streifte das Jahr 1957,
als Frauen endlich ohne die Zustimmung ihres Mannes
ein Konto eröffnen durften. Sie führte uns dann in das
Jahr 1977, in das Jahr, in dem Frauen endlich nicht mehr
die Erlaubnis ihres Mannes einholen mussten, wenn sie
denn berufstätig sein wollten.
In diesem Zusammenhang konnten sich viele Frauen auch noch an den Satz erinnern: Meine Frau braucht
nicht erwerbstätig zu sein; ich kann meine Familie allein
ernähren. - Heute ist das ja alles anders. Heute stehen
Frauen - Gott sei Dank - alle Wege offen. Scheinbar gibt
es keine Diskriminierung mehr.
Und doch: Wenn wir den Blick auf den Equal Pay Day
2016 richten, wird deutlich, dass die Forderung nach
einer gerechten und diskriminierungsfreien Bezahlung
noch immer nicht umgesetzt ist. Jahr für Jahr veröffentlichen wir Zahlen über die Entgeltlücke zwischen den
Gehältern von Frauen und Männern. Dabei ist es letztendlich egal, ob wir über bereinigte oder über unbereinigte Zahlen reden. Es ist egal, ob wir über 7 Prozent,
15 Prozent oder 23,2 Prozent reden. Fakt ist: Es gibt
diese Gerechtigkeitslücke. Oder wie es unsere Familienministerin, Manuela Schwesig, beim diesjährigen Equal
Pay Day gesagt hat - ich zitiere -:
Wenn Frauen trotz gleicher Tätigkeit und Qualifikation weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, ist das nicht nur ungerecht - es ist ein Unrecht.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Lohnlücke verharrt in Deutschland seit Jahren auf etwa gleichem Niveau und ist in kaum einem anderen Land der EU so groß
wie bei uns. Das muss uns doch eigentlich alle beschämen. Deshalb benötigen wir dringend ein Gesetz, das zu
mehr Transparenz bei den Lohnstrukturen führt und die
direkte Lohndiskriminierung abschafft. Es ist wirklich an
der Zeit - da haben die Grünen recht -, endlich Taten
folgen zu lassen.
({1})
Artikel 3 unseres Grundgesetzes verpflichtet uns im Übrigen auch dazu. Weniger Lohn für Frauen bei gleichwertiger Arbeit, das muss doch im 21. Jahrhundert endlich
der Vergangenheit angehören.
({2})
Große Teile der Lohndifferenz entstehen durch indirekte Lohndiskriminierungen. Geschlechterspezifische
Unterschiede bei der Berufswahl, Branchenzugehörigkeit, Teilzeit, Minijobs und familienbedingte Erwerbspausen sind wesentliche Punkte, die zur Lohndiskriminierung führen.
Hinzu kommt, dass unser Arbeitsmarkt gespalten ist.
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben zugenommen.
Die Frauenerwerbstätigkeit ist in vielen Fällen nicht existenzsichernd. Der Weg dieser Frauen ist vorgezeichnet.
Er führt unweigerlich in die Altersarmut. Das dürfen wir
nicht länger zulassen. Die Einführung des Mindestlohns
war hier nur ein erster wichtiger Schritt, um das Problem
zu lösen. Weitere müssen dringend folgen.
({3})
Mit Blick auf die sogenannten Frauenberufe wird
deutlich: Sie sind schlecht entlohnt. Der Streik der Erzieherinnern und Erzieher in diesem Jahr hat uns das deutlich vor Augen geführt. Die Erziehung von Kindern, die
Pflege von alten und kranken Menschen gibt es nicht zum
Nulltarif; das muss diese Gesellschaft endlich kapieren.
({4})
Diese für uns alle wichtigen Berufe müssen stärker wertgeschätzt, aber vor allem gerechter entlohnt werden. Die
Gesellschaft und hier vor allem die Arbeitgeber dürfen
auch die Fähigkeiten von Frauen und natürlich auch von
Männern, die diese während der Familienphase zusätzlich erwerben, nicht länger unberücksichtigt lassen. Es
sind dies vor allem soziale Kompetenzen, aber zum Beispiel auch ein gutes Zeitmanagement, also Fähigkeiten,
die jedes Unternehmen doch eigentlich gut gebrauchen
kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben also auf
mehreren Ebenen zu agieren. Es wäre ja auch zu schön,
wenn wir die Entgeltgleichheit mit einem Federstrich
herstellen könnten. Wir müssen noch mehr für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun. Wir müssen den
Lohnsenkungswettbewerb stoppen, und wir müssen uns
für eine verbesserte Qualität der Arbeitsbedingungen
einsetzen. Vor allem aber muss Arbeit endlich einheitlich
bewertet werden. Der Schlüssel für die Beseitigung der
Lohnungleichheit liegt in transparenten Gehaltsstrukturen.
({5})
Daher muss vor allem dort angesetzt werden, wo Benachteiligung ihren Ursprung hat und die Gleichstellung
unmittelbar hergestellt werden kann: in den Betrieben,
und zwar auch in mittleren und kleinen Betrieben; denn
dort arbeitet die Mehrzahl der Frauen. Und hier zitiere
ich noch einmal Manuela Schwesig: „Wir müssen Lohnungleichheit sichtbar machen.“ Ich füge hinzu: Wenn
die Ungleichheit dann sichtbar ist, müssen wir den Frauen auch die Möglichkeit geben, gemeinsam dagegen vorzugehen. Nur gemeinsam ist frau stark; das stimmt noch
immer.
({6})
Ich sehe, meine Redezeit geht zu Ende. Deswegen
komme ich zum Schluss und sage, dass wir natürlich
eine bessere Bezahlung in den sogenannten Frauenberufen brauchen. Den Frauen kann ich nur zurufen: Keine
falsche Bescheidenheit bei den Lohn- und Gehaltsverhandlungen in den Betrieben! Treten Sie selbstbewusst
auf! Denn Ihre Arbeit ist jeden Euro wert.
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6550 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD
wünschen Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
({0})
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also: Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der
SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen: Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes
Drucksache 18/6419
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
({2})
- Wenn die Verabschiedungszeremonien hier abgeschlossen sind, kann ich auch die Aussprache eröffnen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Florian Post für die SPD-Fraktion.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
Freitagnachmittag. Da finde ich es beachtlich, dass mehrere Kollegen wieder den Weg zu uns gefunden haben. Es
handelt sich ja auch um ein wichtiges Thema im Bereich
der Energiewende: die Kraft-Wärme-Kopplung.
Die Kraft-Wärme-Kopplung ist ein wichtiger Baustein
bei der Energiewende. Derzeit werden bereits 56 Millionen Tonnen CO2 durch den Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplung eingespart. Das macht deutlich, dass die
Kraft-Wärme-Kopplung auch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Bei der Brücke, die zwischen den Sektoren „Strom“ und „Wärme“ geschlagen
wird, zeigt sich die besondere Effizienz der Kraft-Wärme-Kopplung und auch ihre Systemdienlichkeit.
Große Herausforderungen liegen vor uns, wenn wir
einen immer höher werdenden Anteil erneuerbarer Energien in das Stromnetz integrieren wollen. Erneuerbare
Energien sind vielfach vom Wetter abhängig. Wir brauchen also auch in Zukunft noch flexible Kraftwerke, um
auf Bedarfe schnell reagieren zu können. Anlagen der
Kraft-Wärme-Kopplung sind bestens geeignet, komplementär eingesetzt zu werden.
({0})
Es handelt sich also um eine sehr flexible Technologie,
die gerade in Verbindung mit Speichern sehr großes Potenzial entfaltet.
Kraft-Wärme-Kopplung übernimmt in einem Strommarkt mit zunehmender Volatilität die wichtige Systemaufgabe, hier Systemdienstleistungen zu erbringen, und
natürlich - ich habe es schon erwähnt - schützt es unser
Klima und hätte hier auch noch deutlich höhere Potenziale. Die CO2-Einsparungspotenziale liegen nach einem
Gutachten, das dem Gesetzentwurf zugrunde liegt, bei
86 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Derzeit werden
bereits 56 oder 57 Millionen Tonnen eingespart.
Momentan ist es aber vordergründig wichtig, dafür
zu sorgen, dass diese Technologie nicht aus dem Markt
verschwindet, nicht verdrängt wird. Genau das würde
aber passieren, wenn wir jetzt nicht handeln. Ich möchte
es deutlich sagen: Nach meinem Dafürhalten ist es bedauerlich, dass es uns nicht gelungen ist, bereits vor der
Sommerpause hier zu Potte zu kommen. Ich hoffe sehr,
dass es uns jetzt im besten Einvernehmen gelingt, dafür
zu sorgen, dass keine weiteren Verzögerungen eintreten
und dass das Gesetz wirklich spätestens zum 1. Januar
2016 in Kraft tritt.
Besonders problematisch ist die Lage in der öffentlichen Versorgung, verbunden mit Fernwärmenetzen.
Auch hier ist die Novellierung dringendst geboten, weil
bereits einzelne Versorger überlegen, vor allen Dingen
Stadtwerke, ihre Fernwärmenetze wegen zunehmender
Unwirtschaftlichkeit vom Netz zu nehmen.
Das Ministerium hat nun einen Entwurf vorgelegt,
der in seiner grundsätzlichen Aussage in meinen Augen
zu begrüßen ist. Er enthält auch Forderungen, die die
SPD-Fraktion schon seit langem gestellt hat. Besonders
hervorzuheben ist die Verdoppelung des Förderdeckels
von 750 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro. Dadurch können gerade Bestandsanlagen der öffentlichen
Versorgung gefördert werden, und es kann verhindert
werden, dass sie vom Netz gehen. Dies ist momentan
unumgänglich, weil die derzeitigen Rahmenbedingungen alles andere als einfach sind; die Betonung liegt
hierbei auf „derzeitig“. Die Bestandsförderung soll von
der Bestimmung her ja nur befristet gelten; denn wir
haben ja noch weitere energiepolitische Gesetzesvorhaben in der Pipeline, die durch die damit einhergehenden
Veränderungen auf dem Strommarkt dazu führen sollen,
Vizepräsidentin Petra Pau
dass dann der wirtschaftliche Betrieb dieser Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen eben auch wieder möglich ist.
({1})
Es gibt noch weitere positive Punkte. Die Direktvermarktung, die angestrebt wird, und auch die Aussetzung
der Förderung bei negativen Strompreisen sind zu begrüßen, genauso wie die Erhöhung der Förderung von Wärmenetzen und -speichern, damit die Kraft-Wärme-Kopplung wirklich ihr volles Flexibilitätspotenzial entfalten
kann.
Es ist auch richtig, dass die Umlagesystematik verändert wird, da momentan die privilegierte Strommenge
größer ist als die nicht privilegierte. Daher halte ich es
auch für folgerichtig, die Systematik an die Systematik
der EEG-Umlage anzupassen.
Aber der Gesetzentwurf enthält auch einige zu kritisierende Punkte, die wir hier im parlamentarischen Verfahren noch diskutieren müssen. Ich trete hier hinsichtlich
einiger Punkte für eine Änderung ein. Das fängt schon
mit dem § 1 an. Wir haben auch im Koalitionsvertrag
das Ausbauziel der Kraft-Wärme-Kopplung beschlossen: Bis 2020 soll der Anteil der Nettostromerzeugung
aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen 25 Prozent an der
Gesamtstromerzeugung betragen. Wenn es so bliebe, wie
es jetzt im Entwurf steht, dass sich der Anteil nur auf die
regelbare Stromerzeugung beziehen soll, führte das dazu,
dass kein weiterer Zubau in der Kraft-Wärme-Kopplung
erfolgt. Der Grund liegt in dem immer größer werdenden
Anteil der Stromerzeugung im Bereich der erneuerbaren
Energien. Damit wäre dann das Ziel schon erreicht, und
es erfolgte kein weiterer Zubau. Das wollen wir nicht.
({2})
Man kann natürlich über eine zeitliche Streckung des
Ziels diskutieren. Hier wäre mein Vorschlag, dass man
durchaus über das Jahr 2025 diskutieren kann. Aber auf
keinen Fall darf die Bezugsgröße „regelbare Stromerzeugung“ lauten, sondern es muss sich an der Gesamtstromerzeugung orientieren.
({3})
Ein weiterer Knackpunkt ist die Behandlung von Eigenstrom. Hier kommt vielfältig Kritik vonseiten der Industrie. Die Industrie wirft uns an dieser Stelle vor, dass
wir mit dem Gesetzentwurf eine Ungleichbehandlung
im Vergleich zur öffentlichen Versorgung herbeiführten.
Diese Kritik weise ich ausdrücklich zurück, weil eben
ungleiche Sachverhalte auch keine gleiche Behandlung
rechtfertigen. Auch Anlagen der öffentlichen Versorgung
werden ja strompreisgeführt und können dadurch System aufgaben im Markt übernehmen. Deswegen macht es
durchaus Sinn, diese Technologie mit öffentlichen Geldern der Stromverbraucher zu fördern. Wärmegeführte
industrielle Eigenerzeugungsanlagen sind dazu nur sehr
begrenzt in der Lage. Aus diesem Grund weise ich diese
Kritik zurück.
In einem Gutachten, das das BMWi in Auftrag gegeben hat, wurde errechnet, dass die Eigenstromanlagen
auch wegen der Privilegierung bei anderen Umlagen die
Schwelle der Wirtschaftlichkeit erreichen. Da jede Anlage und jedes Unternehmen unterschiedlich ist, ist es eben
nicht möglich, jeden Einzelfall im Gesetz zu berücksichtigen. Es soll auch kein Industrieförderungsgesetz werden, sondern in erster Linie ein Klimaschutzinstrument
bleiben. Aber natürlich sehe ich ein, dass es für die Industrie von zentraler Bedeutung ist, dass darauf geachtet wird, dass zumindest die EEG-Privilegierung auch in
Zukunft erhalten bleibt, um Investitionssicherheit und
Rechtssicherheit für die Unternehmen herzustellen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung verhält sich sehr verwirrend. Wie
ein Mantra wird immer wieder vorgetragen - wir haben
es ja jetzt gehört -, wie wichtig die Wärmewende sei.
Schließlich sind die Sektoren Wärme- und Kälteerzeugung für mehr als die Hälfte des Endenergieverbrauchs
verantwortlich. Die Bundesregierung handelt aber anders
als sie redet. Wer die Wärmewende wirklich will, muss
nicht nur den Erzeugern von Wärme aus erneuerbaren
Energien viel stärker unter die Arme greifen, sondern
auch denen durch Kraft-Wärme-Kopplung.
({0})
Diese Chance wird mit dieser Novelle vertan.
Wir Linken möchten die Stromerzeugung aus
Kraft-Wärme-Kopplung gestärkt sehen, weil sie als flexible, steuerbare Energie einen wichtigen Beitrag zur
Energiewende leistet. Das Ziel ist die Vollversorgung
aus regenerativer Energie; das ist gar keine Frage. Aber
auf dem Weg dorthin ist die KWK wirklich wichtig. Es
nützt eben nichts, die Fördersumme für die Kraft-Wärme-Kopplung auf 1,5 Milliarden Euro zu verdoppeln,
wenn das Geld nicht abgerufen wird. Bisher war die Fördersumme nur halb so hoch, und die Mittel wurden auch
nicht vollständig abgerufen, weil es sich aufgrund niedriger Börsenstrompreise eben nicht lohnt.
Vor etwa einem Jahr wurde die Potenzialanalyse zur
KWK veröffentlicht. Da lag der Anteil der KWK an der
Stromerzeugung bei nur 16,2 Prozent, also weit entfernt
vom 25-Prozent-Ziel bis 2020. Das ist ein Alarmsignal.
({1})
Aber statt wirklich anzupacken, haben Sie das Ziel
kampflos aufgegeben. Ihr Vorschlag - 25 Prozent
KWK-Anteil an der regelbaren Stromerzeugung - bedeutet, dass Sie die KWK nicht wirklich wollen; denn
das neue, reduzierte Ziel wird man ohne Anstrengungen
erreichen.
({2})
Die Linke fordert dagegen, das bisherige Ziel eines Anteils der KWK von 25 Prozent an der Nettostromerzeugung bis 2020 beizubehalten und um ein Ziel für die
Wärmeversorgung aus KWK in Höhe von 20 Prozent bis
2020 zu ergänzen.
Wir wollen gerade kleine KWK-Anlagen: bürger- und
verbrauchsnahe Anlagen wie beim Mieterstrommodell.
Auch KWK-Anlagen, die Schulen, Krankenhäuser oder
Altersheime versorgen, leisten einen wichtigen Beitrag
zur dezentralen Energiewende; denn sie entlasten das
Netz und verringern Netzverluste. Durch das EEG 2014
sind sie unter Druck geraten, weil seitdem auch eine Umlage auf den Eigenverbrauch fällig ist. Diese Schieflage
hätten Sie mit dem KWK-Gesetz korrigieren müssen.
Beispiel Krankenhaus: Kliniken haben einen hohen
Bedarf an Strom, Wärme und Kälte. Eine hocheffiziente
KWK-Anlage kann in Kliniken die Energiekosten drastisch mindern und die Emissionen um bis zu 80 Prozent
reduzieren. Das sind zukunftsfähige Modelle, die bei Ihnen auf der Abschussliste stehen, weil Sie sich weigern,
geeignete Fördermöglichkeiten zu schaffen. Die Linke
fordert deshalb, für Anlagen bis 250 Kilowatt elektrischer Leistung und höchstens 1 000 Megawattstunden
selbst verbrauchten Stroms die EEG-Umlage zu erlassen,
bis eine besser geeignete Lösung für sie gefunden wurde.
Wir fordern zudem, die Förderung der ortsnahen Wärme- und Stromversorgung zu verbessern. Hierzu legen
wir konkrete Zahlen in unserem Antrag vor. Wenn die
von dieser Bundesregierung hochgelobten Quartierskonzepte funktionieren sollen - die funktionieren nicht ohne
KWK -, brauchen sie eine zukunftssichere Grundlage.
({3})
Darum sage ich: Wir haben noch Anhörungen. Sie
können noch etwas heilen. Heilen Sie endlich diese Fehler, und setzen Sie sich ohne Wenn und Aber für eine
erneuerbare Wärmewende ein, bei der die KWK eine
wichtigere Rolle spielt, als Sie anerkennen wollen. Bitte
denken Sie auch an die Arbeitsplätze im Bereich KWK.
Sie wackeln zurzeit auch schon.
Danke.
({4})
Das Wort hat der Kollege Jens Koeppen für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir beraten das Gesetz zur Neuregelung
der Kraft-Wärme-Kopplung heute in erster Lesung. So
haben wir noch zwischen der ersten und der zweiten Lesung Zeit, um einiges zu verändern.
Herr Kollege Post, ich bin nicht ganz so euphorisch
und zufrieden wie Sie mit dem Entwurf des Ministeriums. Das sage ich auch in Ihre Richtung, Frau Staatssekretärin. Deswegen möchte ich sagen, dass wir mit der
Novelle wahrscheinlich wichtige Potenziale verschenken
und die KWK-Förderung teurer machen. Wenn wir uns
einmal an den Ursprung des Gesetzes aus dem Jahr 2002
und die Novellierung im Jahr 2012 erinnern, so geht es
in § 1, wie Sie es bereits erwähnt haben, um Energieeinsparung, Umweltschutz und die Erreichung der Klimaschutzziele. Deswegen wollen wir einen Anteil der
Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen
von 25 Prozent erreichen, übrigens mit Wärme und mit
Kälte. So steht es im Gesetzentwurf.
Ich möchte mich auf fünf Punkte konzentrieren. Ich
könnte gut und gerne 20 Punkte benennen. Deswegen
haben die fünf Punkte keinen Anspruch auf Vollständigkeit; denn ich habe nur diese 10 Minuten Redezeit. Diese
fünf Punkte sind sehr wichtig. Frau Staatssekretärin, bitte nehmen Sie sie als Anregung mit in das Ministerium.
An diesen Punkten werden wir in den nächsten Wochen
bei Anhörungen in den Ausschüssen und bei den Beratungen in Koalitionsberichterstattergesprächen vielleicht
noch etwas ändern. Wir müssen aufpassen, dass wir mit
den Festlegungen, die wir jetzt getroffen haben, nicht das
Kind mit dem Bade ausschütten. Das könnte nämlich
passieren.
Erstens. Das 25-Prozent-Ziel steht im Koalitionsvertrag. Das ist richtig. Wir müssen uns klar an den ursprünglichen Bezugspunkt halten. Das haben Sie ganz
klar gesagt. Das ist die Gesamtstrommenge. Wir können
nicht akzeptieren, Frau Staatssekretärin, dass es jetzt an
der regelbaren Nettostrommenge ausgerichtet wird; denn
das ist definitiv eine Reduzierung. Wir müssen aufpassen, dass wir diese Kürzung nicht hinnehmen. Wenn wir
das machen - das sage ich so deutlich -, wird das Gesetz
ein KWK-Ausstiegsgesetz. Das wollen wir nicht.
({0})
- Jetzt bin ich aber verunsichert.
({1})
Da habe ich wahrscheinlich etwas falsch gemacht. Ich
nehme alles zurück. Mal sehen, ob es so weitergeht.
({2})
- Sehr schön, wunderbar.
Zweitens. Dieser Punkt ist genauso wichtig. Es ist die
Technologieneutralität. Da werden Sie wahrscheinlich
nicht mehr klatschen.
({3})
Die Technologieneutralität ist aber wichtig, weil wir mit
der Förderung der KWK eine Technologie und keinen
Brennstoff fördern. Deswegen brauchen wir die Brennstoffneutralität. Wenn wir uns auf Gas fokussieren - Herr
Post, ich verstehe, was Sie damit meinen; ich bin auch
für die Unterstützung der Stadtwerke; das ist gar keine
Frage -, werden wir bei der Industrie-KWK nicht vorwärtskommen. Das ist dann ein Umstieg von einem fossilen Träger auf einen anderen fossilen Träger. Ich weiß
nicht, ob das so sinnvoll ist. Erstens ist Gas teurer - das
wissen Sie -, und zweitens sind die Auswirkungen auf
das Erreichen der Klimaschutzziele minimal. Wir müssen die Gesamt-CO2-Bilanz - von der Gasförderung über
den Transport bis hin zur Verbrennung - beachten. Sie
alle wissen - Sie kennen die Studien -, wie viel Methan
auf dem Weg von Russland nach Deutschland entweicht.
Deswegen ist die Klimabilanz schon lange nicht mehr so
gut, wie man es dachte. Ich empfehle hierzu die Studie
des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. Hier können Sie sehen, dass das nicht mehr so
stark auseinanderklafft.
Geostrategisch ist das vielleicht auch etwas kritisch zu
sehen. Gerade in der jetzigen Zeit machen wir uns immer
mehr abhängig. Die Importabhängigkeit bei Gas darf in
dieser Größenordnung nicht weiter steigen.
Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen - nicht unsere Feldpostnummer -, Brandenburg, aber auch Sachsen
sagen ganz klar: Wir brauchen die Brennstoffneutralität.
Das sollten wir auch beachten. - Jetzt klatscht keiner
mehr.
({4})
Der dritte Punkt: Benachteiligung der Industrie-KWK.
Die Benachteiligung der Industrie-KWK durch dieses
Gesetz ist eklatant. Sie alle wissen, dass Produktionsprozesse in der Industrie sehr stark auf Wärmezufuhr basieren, zum Beispiel in der Raffinerie, um Erdöl zu spalten
usw., oder in der Stahlindustrie. Die Wärmezufuhr kann
jedenfalls zurzeit, bis 2030, realistischerweise nicht über
erneuerbare Energien erfolgen. Für die Wärmezufuhr die Temperatur liegt häufig bei 300 Grad - werden jährlich 200 Terawattstunden Energie benötigt. Dafür reichen
die erneuerbaren Energien zurzeit nicht aus. Hier bietet
die KWK einen effizienten Weg. Nahezu 90 Prozent
der industriellen Wärmeerzeugung werden zurzeit über
KWK erreicht. Das ist ganz wichtig; denn durch die industrielle Eigenerzeugung von Energie über KWK - da
kommen wir zur Einsparung - werden 18 Millionen Tonnen CO2-Emissionen vermieden. Die Alternative wäre
eine getrennte Erzeugung von Wärme und Strom. Das
müssen wir unbedingt vermeiden. Das geht nicht; das ist
unsinnig. Deswegen brauchen wir eine stärkere Förderung der Industrie-KWK.
({5})
Ich sehe es übrigens sehr kritisch, dass die KWK mit
diesem Gesetz fast nur noch im Bereich der öffentlichen
Versorgung gefördert werden soll und die Förderung der
Industrie-KWK immer weiter zurückgeht. Dies stellt
eine ungerechtfertigte Diskriminierung der industriellen
Nutzung der KWK gegenüber der öffentlichen Nutzung
der KWK dar. Ich sage damit nicht, dass die KWK im
Bereich der öffentlichen Versorgung nicht gefördert werden soll - es ist gar keine Frage, dass sie gefördert werden soll -, aber es darf nicht vernachlässigt werden, dass
die industrielle KWK darunter leidet.
Ich halte es auch nicht für zielführend - man muss
schauen, ob man da etwas ändern kann -, dass es bei
der Verknüpfung der Besonderen Ausgleichsregelung
mit der KWK bleiben soll. Denn es sind zwei verschiedene Förderinstrumente: einmal das Erneuerbare-Energien-Gesetz und einmal das KWKG. Diese miteinander
zu verknüpfen bedeutet, die Förderung der KWK weiter einzuschränken. Das halte ich nicht für sinnvoll. Wir
sollten das im Berichterstattergespräch adressieren und
versuchen, dort mit dem Ministerium übereinzukommen.
Zu der Betrachtung des Ministeriums hinsichtlich der
Opportunitätskosten will ich jetzt nicht viel sagen. Es
ist schwierig. Ich halte die Betrachtung für gewagt. Sie
ist auch nicht ganz schlüssig. Ich frage adressiert an das
Ministerium: Will man die industrielle KWK einschränken und damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Industrie aufs Spiel setzen? Will man die erheblichen Potenziale, die die Industrie-KWK hat, wirklich nicht nutzen? Dann muss man das deutlich sagen. Wir wollen das
nicht. Ich hoffe, wir sind uns in der Koalition einig, dass
wir daran wirklich noch schrauben müssen.
Der vierte Punkt. Wir brauchen den Zubau von großen
und kleinen KWK-Anlagen. Da sind wir uns wahrscheinlich einig.
({6})
Wenn wir allerdings an der Befristung bis zum Jahre 2020 festhalten, die jetzt in der Neuregelung vorgesehen ist, dann es wird zu keinem Neubau und zu keiner
Modernisierung einer großen KWK-Anlage kommen;
das wird dann nicht passieren.
({7})
Sie alle wissen, wie lange die Genehmigungsverfahren
dauern: vier bis sechs Jahre, ohne dass man mit dem
Bau überhaupt begonnen hat, ohne jemals einen Spaten
in die Erde gestochen zu haben. Dann ist das Jahr 2020
erreicht, und es gibt keine Förderung mehr. Das Gesetz
schafft keine Planungssicherheit. Dies bedeutet, dass die
Betriebe keine neuen Bauprojekte mit großen KWK-Anlagen angehen. Das sollten wir vermeiden. Ich bin für
eine generelle Streichung der Befristung. Wir können
natürlich zu Hilfsinstrumenten greifen; aber eine generelle Streichung wäre mir persönlich lieber, weil wir so
Planungssicherheit für Projekte im Bereich der Indus trieKWK schaffen.
({8})
Der fünfte Punkt: der Zubau von Klein-KWK- und Mikro-KWK-Anlagen mit einer Leistung unter 50 kW. Ich
sehe eine Gefahr darin, die Dauer der Zuschlagszahlung
auf 45 000 Volllaststunden zu senken. Diese Begrenzung
wäre ein ganz vehementer Einschnitt und würde dazu
führen, dass sich die kleinen und die Mikro-KWK-Anlagen nicht mehr lohnen. Ich weiß gar nicht, warum man
diese Begrenzung vorgenommen hat. Das würde, wenn
man es durchrechnet, für die Mikro-KWK, die ganzjährig im Einsatz sind, eine Kürzung der Zuschlagszahlungen um fast die Hälfte bedeuten. Das sollten wir vermeiden. Diese Anlagen erbringen zwar nicht die großen
Leistungen, aber sie sind sehr wichtig. Sie sind in den
Markt eingeführt worden und müssen jetzt noch weiter
nach vorne kommen und zur Serienreife gebracht werden. Damit diese Anlagen preisgünstiger werden, sollten
wir bei 60 000 Volllaststunden bleiben. Das halte ich für
sehr wichtig.
({9})
Alles in allem: Wenn wir uns einig sind, dann können
wir das Thema in einer Anhörung oder in den Berichterstattergesprächen beraten und das Ergebnis gemeinsam
an das Ministerium adressieren. Wenn wir die entsprechenden Punkte beachten, dann wird es kein, wie befürchtet, „KWK-Ausstiegsgesetz“, sondern dann wird es
ein Instrument zur Förderung einer sehr effektiven und
klimafreundlichen Technologie. Wenn wir das in den
nächsten Wochen gemeinsam schaffen, dann wäre ich
sehr froh.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Julia Verlinden für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Vor genau acht Monaten haben wir
Grüne Ihnen hier im Parlament einen Antrag vorgelegt,
mit dem wir die dringende Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes eingefordert haben. Schon damals war der Handlungsdruck extrem groß. Inzwischen
werden weitere Betreiber von vergleichsweise klimaschonenden KWK-Anlagen gezwungen, ihre Anlagen
abzuschalten, und neue Investitionen in moderne Anlagen liegen auf Eis, weil es keine Planungssicherheit
gibt. Aber anstatt zügig zu liefern, hat Minister Gabriel
die KWK-Novelle weiter verzögert und verschleppt. Mir
scheint langsam, das ist Ihr Konzept: Immer, wenn es um
die Energiewende und den Klimaschutz geht, treten Sie
erst einmal ordentlich auf die Bremse.
({0})
Bei der KWK geht es ums Energiesparen und darum,
aus weniger mehr zu machen, mit dem gleichen Energieeinsatz Strom und Wärme gleichzeitig zu erzeugen und
so Energiekosten und Treibhausgase zu reduzieren. Aber
anstatt diese Option entschlossen voranzutreiben, lassen
Sie mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung die großen Chancen, die die KWK bietet, einfach verstreichen;
in vielen Dingen waren wir uns doch schon einig. Das ist
leider vonseiten der Bundesregierung eine Energiewendepolitik mit angezogener Handbremse.
({1})
Sie kürzen mir nichts, dir nichts das KWK-Ziel zusammen. Von Ihrem Versprechen im Koalitionsvertrag,
die KWK auszubauen, wollen Sie auf einmal nichts mehr
wissen. Statt die versprochenen 25 Prozent vom Nettostromerzeugungsanteil bis zum Jahr 2020 zu erreichen,
wollen Sie die KWK faktisch einfrieren. Ich frage Sie:
Worauf sollen sich die Stadtwerke, die Betreiber und die
Investoren bei Ihren KWKPlänen eigentlich noch verlassen?
({2})
Sieht etwa so verlässliche Wirtschafts- und Energiepolitik aus? Das finde ich nicht.
({3})
Noch etwas ärgert mich gewaltig an Ihrem Entwurf
eines neuen KWK-Gesetzes. Nachdem Sie der Bürgerenergie schon bei der EEG-Novelle baumstammgroße
Knüppel zwischen die Beine geworfen haben - Stichwort
„Ausschreibungen“ -, wollen Sie nun ganz offensichtlich
auch bei der KWK das dezentrale Bürgerengagement für
die Energiewende mit aller Kraft abwürgen. Oder wie
sonst soll man es interpretieren, dass Sie die Förderung
von kleinen KWK-Anlagen massiv kürzen? Sie benachteiligen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ausgerechnet intelligente und bürgernahe Versorgungslösungen für
eine umweltschonende Strom- und Wärmeversorgung in
Wohnanlagen, also die sogenannten Mieterstrom- und
-wärmemodelle. Deshalb liest sich der vorliegende Gesetzentwurf für mich wie ein weiterer Baustein in Ihrem
„Anti-Bürgerenergie-Programm“.
({4})
Immerhin: In einem ganz wichtigen Punkt haben Sie
unsere Forderung vom März aufgegriffen. Künftig wollen Sie keine neuen KWK-Anlagen auf Kohlebasis mehr
fördern; das ist ein überfälliger Schritt. Allerdings kann
diese kleine Korrektur im KWK-Gesetz nicht über Ihren
riesigen Fehler hinwegtäuschen, den Sie diese Woche bei
der Stilllegung der Kohlemeiler gemacht haben. Es ist
ein absolutes Unding, dass nun ausgerechnet die uralten
Kohledreckschleudern Stilllegungsprämien in Milliardenhöhen bekommen.
({5})
Sie können es einfach nicht lassen mit Ihren Geschenken an die Kohlekonzerne. Diese schmutzigen Geschenke gehen am Ende nicht nur zulasten der Energieverbraucherinnen und Energieverbraucher, sondern vor allen
Dingen zulasten des Klimas, und das ist das Gegenteil
von nachhaltiger Klimaschutzpolitik. Ich bin gespannt,
welche Reaktionen Sie damit in Paris erzeugen.
({6})
Ich bin auch gespannt, was Sie in der nächsten Woche
von den Experten in der Anhörung im Wirtschaftsausschuss zu hören bekommen und ob Sie dann bereit sind,
das, was Sie gerade angekündigt haben, und vielleicht
noch viele andere Verbesserungen umzusetzen. Wir sind
gerne dabei.
So viel dürfte jetzt klar geworden sein: Die Korrekturen sind dringend erforderlich. Wir brauchen mehr Klimaschutz statt weniger. Wir brauchen mehr Möglichkeiten für Bürgerenergie. Deshalb brauchen wir auch mehr
effiziente KWK-Anlagen und nicht weniger.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6419 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über Bausparkassen
Drucksache 18/6418
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Michael Meister.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über die Änderung des Bausparkassengesetzes. Das aktuelle Bausparkassengesetz
in Deutschland stammt aus dem Jahr 1991. Es haben
sich offensichtlich zahlreiche regulatorische Veränderungen ergeben, insbesondere infolge der Finanzkrise
2007/2008. Dies sollte mit Sicherheit Anlass sein, auch
das Bausparkassengesetz zu modernisieren und an die
neuen Rahmenbedingungen anzupassen.
Außerdem erleben wir eine besondere Entwicklung
am Markt: Die Niedrigzinsphase führt dazu, dass das
Bausparkassengeschäft mit relativ hohen Einlagezinsen
aus der Vergangenheit und gleichzeitiger Zinszusage bei
Kreditaufnahme in beide Richtungen nicht mehr funktioniert, weil sehr viele zum einen die Einlagechance bei
hohen Zinsen nutzen, aber die Kredite, die sie dafür einkaufen, nicht in Anspruch nehmen. Deshalb müssen wir
darüber nachdenken, wie das Modell Bausparkasse auch
in Zukunft funktionieren kann.
Wir legen einen Entwurf vor, der eine Modernisierung des Bausparkassengesetzes vorsieht. Es geht darum, Verfahren und Methoden so anzupassen, dass die
21 Bausparkassen, die wir heute in Deutschland haben,
ihr Geschäft mit dem Grundgedanken Bausparen - im
Sinne eines langfristigen Sparens mit dem Ziel der Eigentumsbildung im Bereich des Wohneigentums - fortführen können.
({0})
Wir wollen Risiken, die in diesem Geschäft liegen,
durch ein vernünftiges Risikomanagement der Bausparkassen entgegenwirken. Dafür wollen wir § 25 a
des Kreditwesengesetzes bezüglich der Bausparkassen
präzisieren. Wir wollen den Bausparkassen auf beiden
Seiten, sowohl auf der Ertragsseite als auch auf der Kostenseite, helfen, damit sie ihr Geschäftsmodell etwas flexibilisieren können. Wir wollen ihnen zusätzliche Handlungsoptionen an die Hand geben, zum einen, indem wir
Immobilienfinanzierungen, die nicht dem klassischen
Bausparkredit entsprechen, durch Bausparkassen erlauben. Über die Möglichkeit zur Vergabe solcher Kredite
wollen wir weitere Einnahmemöglichkeiten für die Bausparkassen schaffen. Auf der anderen Seite wollen wir
ihnen die Möglichkeit der Finanzierung über Pfandbriefe
einräumen. Auch dafür brauchen wir eine entsprechende
Flexibilisierung. Das heißt, wir versuchen, sowohl auf
der Kostenseite als auch auf der Ertragsseite ein Stück
weit für Entspannung zu sorgen. Dabei wollen wir am
Spezialbankenprinzip für die Bausparkassen festhalten.
Wir wollen dieses Spezialbankenprinzip nicht aufgeben.
Wir haben, wie erwähnt, 21 Bausparkassen mit über
30 Millionen Bausparverträgen. Das heißt, Bausparen
trifft in Deutschland nach wie vor auf eine sehr große
Akzeptanz. Wir sprechen über mehr als 150 Milliarden
Euro, die sich aktuell als Ansparsumme in Bausparverträgen befinden. Das heißt, wir müssen mit dieser Frage
sehr sensibel und sehr sorgsam umgehen.
Es geht - ich habe es angesprochen - um die Zinsbindungsfristen und damit um die Ertragsseite der Bausparkassen. Ich glaube, die Beantwortung der Frage, wie
in Zukunft Bauspartarife gestaltet werden, ist nicht Aufgabe der Politik und nicht Aufgabe der Entscheider hier
im Parlament, sondern das ist Aufgabe der BausparkasDr. Julia Verlinden
sen und deren Manager. Ich glaube, wir müssen die notwendige Flexibilität schaffen, damit Tarife auch in dem
jetzigen Umfeld regulatorisch wie marktseitig angeboten
werden können.
Beispiele für Regelungen, die wir treffen, habe ich
genannt. Wir wollen dabei auch zulassen, dass der Sonderposten für die bauspartechnische Absicherung für Kapitalanlagemöglichkeiten flexibler genutzt werden kann.
Ich glaube, es ist richtig, dass wir bei der Bundesanstalt
für Finanzdienstleistungsaufsicht dafür sorgen, dass die
Regulierung, die wir an dieser Stelle haben, genutzt wird,
um sozusagen speziell auf dieses Modell einzugehen.
In diesem Sinne möchte ich Sie bitten, diesen Gesetzentwurf zügig zu beraten. Wir würden uns wünschen, ihn
zum Jahreswechsel 2015/2016 in Kraft zu setzen, um damit den Bausparkassen eine Perspektive für die Zukunft
zu bieten.
Wir haben mit Absicht gesagt, dass wir bei der ganzen Geschichte nicht nur auf die Bausparkassen schauen,
sondern auch die Interessen der Bausparer wahren wollen. Die Interessen der Bausparer wahren wir, indem wir
als Gesetzgeber von Eingriffen in bestehende Verträge
absehen. Ich glaube, das ist an dieser Stelle eine richtige Grundentscheidung und trägt dazu bei, dass bei Bausparern das Vertrauen in dieses Produkt und ihre Partner
erhalten bleibt.
({1})
Ich darf Sie um eine positive Beratung dieses Gesetzentwurfs bitten und hoffe, dass er am Ende in der dritten
Lesung Ihre Zustimmung findet.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Susanna Karawanskij für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste! In dieser Debatte geht es um
Bausparkassen, um Anpassungen an das Risikomanagement und um das Aufsichtsrecht in der EU, sodass die
neuen Aufgaben der Europäischen Zentralbank berücksichtigt werden können. Aber vor allen Dingen wird mit
diesem Gesetzentwurf auf die Auswirkungen im Niedrigzinsumfeld reagiert. Dauerhaft niedrige Zinsen können
negative Auswirkungen auf Banken, auf Versicherungen
und auf Bausparkassen haben. Doch man sollte genau
prüfen, ob die in Gesetzesform gegossenen Änderungen
tatsächlich zielführend sind und letzten Endes die Kunden bzw. die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht
benachteiligt werden.
Ich möchte noch einmal daran erinnern: Obwohl die
Ertragslage der meisten Lebensversicherer alles andere
als bedenklich ist und war, wurde zum Beispiel im Lebensversicherungsreformgesetz die Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven gekappt.
({0})
Auch am Mittwoch beim Fachgespräch des Finanzausschusses über Niedrigzinspolitik wurde deutlich, dass
man die Niedrigzinsphase zum gegenwärtigen Zeitpunkt
auf keinen Fall dämonisieren und auch keine falschen
Schlüsse daraus ziehen sollte.
Bausparkassen werden fortan weitere Betätigungsfelder eingeräumt, um ihre Ertragslage zu stärken. Sie
sollen neben ihrem Kerngeschäft, Bausparkassendarlehen zu gewähren, nun auch gewöhnliche Baudarlehen
gewähren und Hypothekenpfandbriefe herausgeben, um
sich zu refinanzieren. Diese Tätigkeitsausweitung steht
dem bisherigen Kerngeschäft der Bausparkassen zweifelsohne nahe. Aber ich frage mich, in welchem Umfang
Bausparkassen personelle und auch finanzielle Ressourcen haben, um stabilere und höhere Erträge zu erwirtschaften. Ich bin mir auch unsicher, ob tatsächlich alle
Bausparkassen von dieser Tätigkeitserweiterung profitieren bzw. ob auch das notwendige Know-how in ganzer
Breite vorhanden ist. Es reicht nicht, dass das Finanzministerium betont, dass die Bankenaufsicht zukünftig
strenger beobachten muss. Das klingt für mich ein bisschen nach einem Pfeifen im Walde.
Gut ist, dass im Gesetzesentwurf, so wie er jetzt vorliegt, keine Aktienquote für die Kapitalanlagen von Bausparkassen festgelegt wurde. Das muss auch so bleiben.
Denn sonst würde auch hier wieder ein Einfallstor geschaffen werden, um die Gelder der Bausparer auf dem
Börsenparkett aufs Spiel zu setzen. Da stellt sich dann
noch mehr die Frage, inwieweit das Know-how bei den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorhanden ist, das
Geld der Kunden in Aktien zu investieren. Das wäre aber
tatsächlich überhaupt nicht das Kerngeschäft der Bausparkassen.
Was uns nicht gefällt, ist die Einführung der Definition eines Bausparerkollektivs; das gefällt uns überhaupt
nicht.
({1})
Denn seit geraumer Zeit versuchen die Bausparkassen,
ihre Kunden vorzeitig aus gut verzinsten Verträgen zu
drängen; sie kündigen einseitig die Verträge. Zahlreiche
Gerichtsverfahren laufen da noch. Die Urteile zeigen
bislang noch keine klare Linie. Mit der Definition eines
Bausparerkollektivs könnte den Bausparkassen eine vorzeitige Kündigung erleichtert werden. Die Kündigung
eines hochverzinsten Altvertrages könnte immer als im
Interesse des Kollektivs liegend begründet werden. So
etwas stärkt einseitig die Lage der Bausparkassen, läuft
allerdings den Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher entgegen. Das ist mit uns nicht zu machen.
({2})
Auch die Lebensversicherungen berufen sich auf das
Versichertenkollektiv, um Verbraucherschutz und RechParl. Staatssekretär Dr. Michael Meister
te der Versicherten - ich möchte als Beispiel die Überschussbeteiligung anführen - zu umgehen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte zusammenfassen: Bausparkassen sollen nach diesem Gesetzentwurf
ihre Geschäfte ausweiten und höhere Erträge unter Inkaufnahme größerer Risiken erwirtschaften dürfen.
Mögliche Folgen für Verbraucher bleiben allerdings ausgeblendet. Ihre Stellung wird hier gerade nicht gestärkt.
Sie werden vielmehr größeren Unwägbarkeiten ausgesetzt, weswegen wir dringend für Nachbesserungen am
Gesetzentwurf plädieren und diese fordern werden. In
der Form, in der der Gesetzentwurf jetzt vorliegt, überzeugt er nicht.
({4})
Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bausparkassen sind Kreditinstitute, deren Geschäftsbetrieb darauf gerichtet ist, Einlagen von Bausparern entgegenzunehmen und daraus Gelddarlehen für wohnungswirtschaftliche Maßnahmen zu gewähren. - So definiert
die BaFin das Geschäftsmodell von Bausparkassen.
Zusammengefasst heißt das: ein paar Jahre sparen und
dann einen günstigen Kredit fürs Haus bekommen. Dies
basiert auf der Grundidee des kollektiven Bausparens.
Liebe Kollegin Karawanskij, ich dachte, gerade die Linke könnte mit dem Begriff des Kollektivs einigermaßen
vernünftig umgehen.
({0})
Aber ich habe mich da getäuscht.
({1})
Ihre Kritik habe ich da nicht verstanden.
Die Idee ist im Übrigen sehr alt. Sie stammt aus China
und kam dort bereits im 3. Jahrhundert vor Christus vor.
Die erste deutsche Bausparkasse für jedermann wurde
durch Pastor von Bodelschwingh 1885 in Bielefeld gegründet
({2})
- im Übrigen ein untrügliches Anzeichen dafür, dass es
Bielefeld doch gibt, lieber Herr Kollege.
({3})
Gesetzlich geregelt wurde das Thema in Deutschland
1973 durch das Bausparkassengesetz und die Bausparkassenverordnung. Das Gesetz wurde dann 1991 novelliert, um den Weg in den europäischen Binnenmarkt zu
ebnen. In Deutschland haben wir eine duale Struktur der
Bausparkassen: die privaten Bausparkassen auf der einen
Seite und die Landesbausparkassen in der Trägerschaft
von Bundesländern und/oder Sparkassenorganisationen
auf der anderen Seite.
Warum brauchen wir eigentlich ein neues Gesetz?
Wenn Sie aktuell unter diesem Stichwort einen Blick in
die Zeitungslandschaft werfen, dann stoßen Sie auf Meldungen wie - ich darf zitieren - „Der Niedergang der
Bausparkassen“ - das war in der FAZ - oder - Zitat „Der verzweifelte Überlebenskampf der Bausparkassen“; das war in der Welt. Es gibt also offensichtlich ein
Problem.
Ich darf einen Bankenprofessor zitieren:
Das Geschäftsmodell der Bausparkassen ist hochgradig gefährdet.
Er fährt fort:
Wenn die Niedrigzinsphase noch zwei, drei Jahre
anhält, werden die ersten Bausparkassen in existenzielle Not geraten.
Sie seien die „Verlierer der Niedrigzinspolitik“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich ist das
paradox. Denn gerade die Niedrigzinspolitik der EZB hat
einen ungeahnten Immobilienboom ausgelöst. Die Flucht
vieler Menschen in Betongold angesichts niedriger Zinsen hat auf der anderen Seite aber auch die Branche der
Bausparkassen in eine Krise gestürzt; denn die vor einigen Jahren abgeschlossenen und angesparten Verträge
sind nun nicht mehr attraktiv. Ein Immobiliendarlehen
von einer Bank ist heute häufig zu viel günstigeren Zinsen zu bekommen.
In der Vergangenheit wurden von den Bausparkassen ganz ordentliche Zinsversprechungen gemacht, um
für Anleger entsprechend attraktiv zu sein, sodass viele
Kunden heute ihr angespartes Geld lieber für ordentliche
Zinsen bei der Bausparkasse parken und dies als lukrative Geldanlage sehen, während sie sich den Kredit am
Markt besorgen. Das heißt, die Bausparkassen werden
von ihren Kunden ein bisschen in den Schwitzkasten genommen. Deshalb ist der Gesetzgeber gefordert, das eine
und das andere neu zu justieren.
Wir wollen auf die Herausforderungen der Niedrigzinsphase reagieren und das bewährte System der Bausparkassen mit ihrer geschäftspolitischen Ausrichtung als
Spezialinstitute stärken; denn wir wollen und müssen den
Wohnungsbau in Deutschland fördern.
Ich sage aber noch einmal ganz ausdrücklich, dass
von diesen Regelungen, die wir anstreben, die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht betroffen sein werden.
Ihre Rechtsstellung bleibt unverändert. Ich glaube, das ist
eine ganz wichtige Botschaft.
({4})
Im Wesentlichen geht es darum, die Bausparkassen
von einigen gesetzlichen Fesseln zu befreien und ihnen
die Möglichkeit zu geben, auch in einer Niedrigzinsphase wirtschaftlich attraktiv zu bleiben, ohne dass wir die
Risiken im gesamten Finanzsystem damit erhöhen.
Im Zuge dieses Gesetzgebungsverfahrens werden wir
deshalb die Frage prüfen müssen, ob wir eine Erhöhung
der Beleihungsgrenze über 80 Prozent hinaus zulassen
wollen. Bisher dürfen Bausparkassen Darlehen nur bis zu
dieser Grenze vergeben. Aufgrund der von den Bausparkassen vorzunehmenden Abschläge bei der Beleihungswertermittlung ergibt sich bei einer Beleihungsgrenze
von 80 Prozent regelmäßig nur ein Anteil von ungefähr
75 Prozent des Verkehrswerts, der von den Bausparkassen ohne Zusatzsicherheiten finanziert werden kann.
Dies überfordert häufig gerade junge Familien finanziell und benachteiligt die Bausparkassen im Wettbewerb.
Wir werden deshalb prüfen, ob eine Erhöhung der Beleihungsgrenze mit dem Ziel einer stabilitätsgerechten
Ausgestaltung der Finanzmärkte vereinbar ist.
Durch die Niedrigzinsen können Bausparkassen bei
vorgegebener konservativer Anlagestrategie nur geringe
Margen erzielen. Deshalb werden wir prüfen, wie stark
wir die Geldanlagemöglichkeiten erweitern können, um
die Ertragslage zu verbessern.
Liebe Frau Karawanskij, es geht dabei natürlich nicht
um eine Lizenz zum Zocken mit den Kundengeldern,
({5})
sondern um eine sachgerechte und beschränkte Erweiterung der Anlagemöglichkeiten der Bauspargelder in den
Bereichen „Aktien“ und „Forderungen aus nachrangigen
Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen“ - und das
in einem sehr begrenzten Maße. Dass Sie Staatsanleihen
nicht für total sicher erklären können, wissen wir aufgrund dessen, was in den vergangenen Jahren passiert ist.
({6})
- Das wird man sehen.
Daneben gibt es eine Reihe weiterer Punkte, denen
wir unsere besondere Aufmerksamkeit widmen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetzentwurf wollen wir die Bausparkassen stärken. Bausparen soll auch zukünftig für Verbraucher attraktiv bleiben.
Für sie ändert sich nichts. Die bestehende Rechtsgrundlage bleibt erhalten. Es geht uns um eine sinnvolle Neujustierung einiger gesetzlicher Rahmenbedingungen, damit
die Bausparkassen auch in einer Niedrigzinsphase ihre
Aufgaben erfüllen können.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die gerade vorgetragene Definition, was eine Bausparkasse macht, ist historisch richtig. Wenn man sich aber
anschaut, was Bausparkassen heute machen, dann sieht
man: Es gibt dazu einen großen Unterschied. Die alte
Idee ist: Erst wird der Bausparvertrag angespart, dann
gibt es die Zuteilung, und danach habe ich die Möglichkeit, meine Immobilie über einen Kredit zu finanzieren.
In beiden Phasen, sowohl beim Ansparen als auch beim
Kredit, habe ich ein niedriges Zinsniveau. Eine gute Idee.
Tatsache ist aber, dass heute die Bausparkassen - das
zeigt ein Blick auf die Bilanz des Bausparkassensektors
in Deutschland - zu über drei Vierteln gar nicht mehr dieses Geschäft betreiben, sondern in den letzten Jahren man muss sogar sagen: Jahrzehnten - der Anteil dieses
traditionellen Geschäftes kontinuierlich nach unten gegangen ist, und zwar nicht erst, seitdem die Zinsen aufgrund der Finanzkrise so niedrig sind, sondern schon seit
den 90er-Jahren. Damals war das Verhältnis noch umgekehrt. Damals machte der Anteil des traditionellen Geschäfts drei Viertel aus. Das ist heute nicht mehr der Fall.
An diese Stelle sind sogenannte Koppelungsgeschäfte
getreten. Das besagt, dass man eine Immobilienfinanzierung mit einem Bausparvertrag koppelt, der gleichzeitig
angespart wird. Dabei muss man massive Zweifel haben,
ob dieses Modell für den Kunden eine günstige Lösung
ist. Warum haben sich denn die Bausparkassen über Jahre hinweg dagegen gewehrt, dass man für das Koppelprodukt gemeinsam den Effektivzins ausweisen muss? Der
Grund war, dass dadurch ein Vergleich möglich gewesen
wäre und deutlich geworden wäre, dass dieses Modell für
den Verbraucher häufig nicht die günstigste Lösung ist.
Jetzt liegt uns ein Gesetzentwurf vor, in dem zu dieser
Fehlentwicklung überhaupt nichts steht. Das kann natürlich überhaupt nicht überzeugen. Außerdem muss man
sehen, dass die Finanzaufsicht sogar die Grundlage dafür
gelegt hat. Es ist so, dass die Finanzaufsicht 2002 diese
Ausweitung nichttraditioneller Geschäfte ermöglicht hat.
Auch davor, 1990, gab es mit dem Bausparkassengesetz
eine Ausweitung dieser Möglichkeiten. Das hat insgesamt nicht dazu geführt, das traditionelle Bausparen zu
stärken, sondern das hat unseres Erachtens zu einer Fehlentwicklung geführt.
Diese Entwicklung im Gesetz fortzuschreiben und zu
sagen: „Wir weiten die Möglichkeiten noch mehr aus“,
heißt, dass Sie das Spezialitätsprinzip, das besagt, dass
Bausparkassen etwas anderes sind als Banken, noch weiManfred Zöllmer
ter aufweichen. Ich glaube, wir müssen uns intensiv ansehen, ob das der richtige Weg ist.
({0})
Es ist eine Frage, ob es wirklich sinnvoll und notwendig ist, dass Bausparkassen jetzt auch Pfandbriefe kaufen können. Welche Bausparkasse will das überhaupt?
Welche Bausparkasse kann das brauchen? Dann gehen
Sie an den Fonds zur bauspartechnischen Absicherung
heran: Er soll dazu beitragen, in der Niedrigzinsphase
die Erträge zu stabilisieren. Allerdings hat er nur ein Volumen von 1,4 Prozent des gesamten Bausparguthabens
in Deutschland. Ich halte die Hoffnung, dass man damit
eine Stabilisierung erreichen könnte, für ziemlich wackelig und nicht überzeugend.
Vor allem wollen wir sicherstellen, dass dieser Fehlentwicklung, dass Kunden häufig Angebote bekommen,
die aus einem eigentlich guten Sektor stammen, aber
angesichts dessen, wie es heute läuft, keine gute Lösung sind, entgegengetreten wird und die Kunden somit
wieder gute Angebote erhalten. Zum einen müssen wir
Transparenz schaffen, sodass die Kunden die Produkte
vergleichen können. Zum anderen müssen wir fragen:
Wie können wir der Fehlentwicklung der letzten Jahre
mit diesem Gesetz begegnen, anstatt einfach die Fehlentwicklungen fortzuschreiben und die Möglichkeiten der
Bausparkassen auszuweiten?
Im Endeffekt machen Sie Folgendes: Aus der heutigen
Problemlage verschieben Sie die Risiken in die Zukunft.
Es wird zusätzliche Risiken auf die Bilanz der Bausparkassen geben. Dann werden wir uns in einigen Jahren mit
weiteren Fehlentwicklungen beschäftigen müssen. Dieser Ansatz kann nicht überzeugen.
Danke schön.
({1})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Alexander
Radwan das Wort.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung die Novellierung des Bausparkassengesetzes. Nach den Reden der bisherigen Redner
könnte man den Eindruck gewinnen: Der Grund, warum
wir hier stehen, ist, dass die Bausparkassen große Fehler
gemacht, dass sie falsche Geschäftsmodelle verfolgt haben und möglicherweise überflüssig sind.
({0})
- So konnte man es verstehen. - Warum stehen wir heute
hier? Wir stehen heute wegen der Zinspolitik der EZB in
den letzten Jahren hier,
({1})
einer Zinspolitik, die in dieser Form selbst Herr
Dr. Schick nicht vorausgesagt hat. Bei aller Weisheit,
die Sie hier regelmäßig reklamieren, haben auch Sie das
nicht voraussagen können.
({2})
- Das werde ich schon, Frau Kollegin, keine Angst. Mit
Herrn Dr. Schick duelliere ich mich gern, zumindest verbal.
Zur Zinspolitik der letzten Jahre möchte ich sagen: Die
einen oder anderen haben es noch nicht mitbekommen,
wie zum Beispiel bei der Lebensversicherung: Diesem
Thema haben wir uns gewidmet. Die Kollegin Karliczek
hat das hervorragend gelöst.
Wir haben uns mit dem Thema betriebliche Altersvorsorge, dem Thema Bausparkassen und dem Thema Regionalbanken zu beschäftigen. Deswegen haben wir doch,
von allen Obleuten beschlossen, die Anhörung in dieser
Woche durchgeführt. Warum haben wir diese Anhörung
gemacht? Wir haben sie deswegen gemacht, weil alle der
Meinung sind: Die EZB-Zinspolitik geht eigentlich am
Markt vorbei und hat keine Auswirkungen. - Aber genau
das Gegenteil ist der Fall.
Und deswegen diskutieren wir heute über das Thema
Bausparkassen. Wir wollen ein gutes, traditionelles Produkt zukunftsfähig machen.
Das Absurde an der Diskussion, die wir gerade führen
müssen, ist, dass die Situation an den Kapitalmärkten in
den USA - von dort sind ja die Wirtschafts- und Währungsprobleme gekommen, und daraufhin sind entsprechende Reaktionen der Europäischen Zentralbank, der
Fed und der japanischen Zentralbank erfolgt - dazu führt,
dass alle traditionell langfristigen Modelle in eine Schieflage kommen. Das ist die Konsequenz.
Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn ausgerechnet diejenigen, die die Finanzmarktkrise ausgelöst
haben, die Profiteure werden, weil die langfristigen Modelle geschliffen werden.
Darum ist es dringend notwendig, dass wir hier auf
politischer Ebene mit den Maßnahmen reagieren, die
bereits diskutiert wurden, sei es durch die Ausgabe von
Pfandbriefen oder mit der Möglichkeit, dass man sich im
Bausparsektor breiter aufstellt. Dies alles wurde schon
genannt.
Letztendlich geht es in der Debatte heute darum - es
ist sehr wichtig, dass nicht in existierende Verträge oder
generell in die Vertragsbeziehungen zwischen Bausparkasse und Bausparer eingegriffen wird -, dass das Vertrauen erhalten und aufgebaut wird. Darum ist es wichtig,
dass hier nicht eingegriffen und dass das richtige Signal
ausgesandt wird.
({3})
Das Spezialbankensystem bleibt durch diesen Gesetzentwurf erhalten. Mein dringender Appell an die europäische Ebene ist, dass auch das Spezialbankensystem
bei der Regulierung berücksichtigt wird. Meine Bitte an
das BMF bzw. an die BaFin ist, dass man, wenn zum
Beispiel auch in der EBA das Zinsänderungsrisiko thematisiert wird und man dort zu Vorgaben kommt, nicht
pauschal alles über einen Kamm schert und sagt: „Eine
Bausparkasse wird wie jede normale Bank behandelt“,
sondern dass auch die europäische Ebene diese Besonderheit in ihrer Normierung berücksichtigt. Wir sollten
das Spezialbankensystem bei uns hochhalten und auch
auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass die Strukturen
erhalten bleiben und zukunftsweisend werden.
Bausparverträge sind ein traditionelles, gutes Produkt,
das sehr viele Menschen in Deutschland dazu gebracht
hat, Eigentum an Immobilien zu erwerben. Darum können wir mit diesem Gesetzesvorschlag alle Debatten
führen, die notwendig sind - die Kollegin Karliczek als
Berichterstatterin hat sich hierauf schon bestens vorbereitet -, um Korrekturen anzugehen.
Wir dürfen nichts unversucht lassen, damit das Bausparen zukunftsweisend bleibt. Schließlich ist das Bausparprodukt nicht als solches das Problem, sondern die
ökonomischen Rahmenbedingungen, in denen wir uns
bewegen. Das ist der eigentliche Haken, den wir sehen.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6418 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Matthias W. Birkwald, Sabine
Zimmermann ({0}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für
Direktversicherungen und Versorgungsbezüge - Doppelverbeitragung vermeiden
Drucksache 18/6364
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Matthias B. Birkwald für die Fraktion Die Linke.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die ganz große Koalition aus Union, SPD, Grünen und FDP hat im Jahr 2001 das Niveau der gesetzlichen Rente auf Talfahrt geschickt. Um beinahe 20 Prozent wird die Rente bis 2030 gekürzt werden.
Nun frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Was raten Sie den Menschen, wenn Sie gefragt werden,
wie man für das Alter vorsorgen soll? Mit der Riester-Rente wohl eher nicht; denn sie ist der totale Flop.
Nein, jetzt soll es die betriebliche Altersvorsorge richten. Sie steht im Koalitionsvertrag. Viel passiert ist da
bisher nicht.
Der Kollege Peter Weiß von der Union hat dazu gesagt - ich zitiere aus der FAZ vom 8. September -, er
wolle, dass die Arbeitgeber mit Freude und Begeisterung
ihren Arbeitnehmern eine betriebliche Altersvorsorge
anbieten. Tja, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur, was
die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber dann konkret mit
Freude anbieten, welche schlechten Angebote sie ihren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dann oft machen und
zu welchen Konditionen dann etwas angeboten wird:
Dazu habe ich von der Koalition bisher noch nichts gehört. Genau das ist das Problem.
Zahlen die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen nämlich
nichts dazu, wie das heute leider oft üblich ist, dann ist
die betriebliche Altersversorgung ein reines Minusgeschäft. Das sage nicht ich, sondern das sagt Georg Plötz,
der Altersvorsorgespezialist der Verbraucherzentrale
Bayern. Das betone ich besonders für die CSU-Kolleginnen und -Kollegen im Saal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, wenn
Sie die Arbeitgeber aus der Verantwortung und aus der
Haftung entlassen, dann kümmern sie sich gar nicht mehr
um die Konditionen der Betriebsrenten ihrer Beschäftigten. Schon heute sind Direktversicherungen bei den
Chefs am beliebtesten; denn damit hat der Arbeitgeber
nicht viel Arbeit. Er oder sie schließt dann zum Beispiel
bei der Allianz oder AXA einfach eine Lebensversicherung für die Beschäftigten ab, mehr nicht.
Viele Beschäftigte verstehen gar nicht, was daran
noch betriebliche Altersversorgung sein soll. Denn der
Arbeitgeber macht gar nichts mehr, gerade bei Direktversicherungen.
Meine Damen und Herren, im März dieses Jahres habe
ich mich mit Vertretern des Vereins Direktversicherungsgeschädigte e. V. getroffen. GMG-Geschädigte haben sie
sich vorher genannt. 7,6 Millionen solcher Verträge gibt
es. GMG, liebe SPD, steht für Ihr Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2004.
({0})
Schade, dass die Kollegin Ulla Schmidt nicht im Saal
ist. Sie hat das GMG damals ja mit dem heutigen Ministerpräsidenten Seehofer verhandelt. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen Satz von Herrn
Seehofer. „Das war eine der schönsten Nächte meines
Lebens“, sagte er.
({1})
Für die Betroffenen sollte es aber ein böses Erwachen
geben. Sie hatten nämlich bereits Direktversicherungen
abgeschlossen und ihre Versicherungsprämien aus verbeitragtem Einkommen gezahlt, also aus ihrem Nettoeinkommen. Und dann beschließt Gesundheitsministerin
Ulla Schmidt aus Geldnot, dass diese Beschäftigten auch
bei der Auszahlung im Alter volle Beitrage zur gesetzlichen Krankenversicherung zahlen müssen. Zum zweiten Mal volle Beiträge! Was heißt das? Das sind knapp
20 Prozent; denn die Rentnerin bzw. der Rentner zahlen
den Arbeitnehmer- und den Arbeitgeberbeitrag, und dann
ist das häufig eine dreifache Belastung. Das nenne ich
kalte Enteignung, und das ist extrem ungerecht.
({2})
Ein Beispiel: Giuseppe Burcheri, ein ehemaliger
Ford-Mitarbeiter, zahlte während seines Arbeitslebens,
und er zahlt im Alter noch einmal. Was zahlt er? Er zahlt
den eigenen und den Krankenversicherungsbeitrag des
Arbeitgebers für eine sogenannte Betriebsrente. Hätte er
eine private Zusatzversicherung abgeschlossen, hätte er
aus seiner Zusatzrente gar keinen Krankenversicherungsbeitrag gezahlt, nicht einen Cent. „Hätte ich das damals
gewusst, hätte ich die Versicherung nie abgeschlossen“,
sagte Giuseppe Burcheri völlig zu Recht. Aber er konnte nicht wissen, was die damalige Gesundheitsministerin
Ulla Schmidt eiskalt, rückwirkend, ohne jeglichen Vertrauensschutz und für alle Altverträge beschließen würde. Das hat sie aber. Deshalb musste Peter Weber von
seinen 21 874 Euro nun 5 131 Euro an seine Krankenkasse zahlen, so ein Beispiel aus der Wirtschaftswoche
von gestern. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen
von SPD und Union, fordere ich Sie auf: Lassen Sie den
Menschen endlich Gerechtigkeit widerfahren! Schaffen
Sie die Doppelverbeitragung ab!
({3})
Legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der klipp und klar
regelt, dass Sozialversicherungsbeiträge für Betriebsrenten nur einmal abgeführt werden müssen.
Kollege Birkwald.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Wenn bereits in der Ansparphase Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden, dann dürfen in der Leistungsphase bzw.
auf die Kapitalabfindung keine Krankenversicherungsund Pflegeversicherungsbeiträge mehr fällig werden. Alles andere ist ungerecht und Garantiert beschissen! Das
ist übrigens der Titel eines druckfrischen Buches über
den ganz legalen Betrug mit den Lebensversicherungen.
Danke. Schönes Wochenende!
({0})
Das Wort hat der Kollege Dietrich Monstadt für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Birkwald, Sie sollten sich vielleicht weniger mit den
schönen Nächten von amtierenden Ministerpräsidenten
befassen und dafür mehr mit Fakten. Diese versuche ich
Ihnen gleich einmal zu erklären.
Bis zum 31. Dezember 2003 hatten versicherungspflichtige Rentner aus Versorgungsbezügen nur die Hälfte
des allgemeinen Beitragssatzes der jeweiligen Krankenkasse zu zahlen. Durch das GKV-Modernisierungsgesetz
unter Rot-Grün ist diese Rechtslage mit Wirkung zum
1. Januar 2004 so geändert worden, dass der Beitragssatz für Versorgungsbezüge von Pflichtversicherten vom
halben auf den vollen allgemeinen Beitragssatz der jeweiligen Krankenkasse angehoben wurde. Freiwillig in
der GKV versicherte Rentnerinnen und Rentner hatten
aus Versorgungsbezügen bereits vor dem 1. Januar 2004
einen Beitrag nach dem vollen ermäßigten Beitragssatz
zu zahlen. Insoweit sind die Vorschriften für die Beitragsberechnung aus Versorgungsbezügen für freiwillig
versicherte Rentner und pflichtversicherte Rentner angeglichen worden. Im Ergebnis ist damals Gleichheit bzw.
Gleichberechtigung im Sinne der Solidargemeinschaft
geschaffen worden. Dies hat in der Folge auch die Rechtsprechung so gesehen. Untergesetzliche Urteile haben
schon frühzeitig festgestellt, dass die Erhebung von Beiträgen aus Kapitalleistungen der betrieblichen Direktversicherung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsgemäßheit dieser Regelung unter anderem mit Beschluss
vom 6. September 2010 bestätigt.
Sicherlich war die Finanzlage der GKV im Jahre 2003
eine andere als heute. In fünf Jahren wird sie wieder anders aussehen. Auf diese veränderten Bedingungen müssen wir reagieren. Genau dies machen wir aktuell. Über
das Thema Direktversicherung wird derzeit in meiner
Fraktion ausführlich im Rahmen einer fachübergreifenden Arbeitsgruppe zum Thema „Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge“ diskutiert. Federführend ist hier der
Ausschuss für Arbeit und Soziales.
({0})
- Gut, dass Sie das anerkennen. Hätten Sie das auch einmal gesagt!
Im Gegensatz zu den Antragstellern steht die unionsgeführte Koalition für eine wohldurchdachte und sachgerechte Politik. Wir stehen für Verlässlichkeit. Wir stehen
für Nachhaltigkeit. Wir stehen für Generationengerechtigkeit.
({1})
Deshalb haben die Bürgerinnen und Bürger uns in die
Regierungsverantwortung gewählt und nicht die Partei
Die Linke.
({2})
Daher überrascht nicht, dass Sie diesen absolut überflüssigen Antrag noch mit einem Antrag zur Bürgerversicherung anreichern. Vielleicht war der Antrag aber
auch nur noch Mittel zum Zweck, um darüber heute noch
einmal zu diskutieren, und dies vor dem auch Ihnen bekannten Hintergrund, dass die mit der Einführung einer
Bürgerversicherung verbundene Abschaffung der privaten Krankenvollversicherung verfassungsrechtlich nicht
zulässig bzw. höchst fragwürdig ist. Sie als Antragsteller
wissen ganz genau - Sie sollten das jedenfalls wissen -,
dass Sie bisher nichts, aber auch gar nichts an tragfähigen
Konzepten vorgestellt haben,
({3})
nichts, mit dem man sich auch nur ansatzweise sachgerecht auseinandersetzen könnte.
Wir als CDU/CSU-Fraktion stehen für ein freiheitliches Gesundheitswesen. Wir setzen auf Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, zwischen GKV und PKV.
({4})
Nur wettbewerbliche Strukturen können Effizienzreserven im Gesundheitssystem heben. Wir wollen Vielfalt
und Wahlmöglichkeiten im Sinne der Versicherten sicherstellen.
Genau das ist der Grund, warum die Menschen in
unserem Land nicht nur uns, sondern auch unserem Gesundheitswesen vertrauen und nicht Ihnen, meine Damen
und Herren von den Linken.
({5})
Die Einnahmen der GKV aus der Verbeitragung von
Versorgungsbezügen betragen derzeit jährlich rund
5,2 Milliarden Euro, wobei der größte Teil auf Beiträge
für Leistungen der betrieblichen Altersversorgung entfällt. Die Beiträge aus den Versorgungsbezügen stellen
somit ein unverzichtbares Element für die nachhaltige Finanzierung des Solidarprinzips der GKV dar. Als Gegenleistung steht der umfassende Versicherungsschutz in der
GKV auch für diese Beitragspflichtigen zur Verfügung.
Die aktuelle Rechtslage dient somit auch der Erhaltung der Stabilität der Finanzierungsgrundlagen der
gesetzlichen Krankenversicherung; diese Rechtslage
ist genau aus diesem Grund auch in höchstrichterlicher
Rechtsprechung nicht beanstandet worden. Eine Neugestaltung im Beitragsrecht der GKV muss sorgfältig abgewogen und geprüft werden. Deshalb werden wir zunächst die Ergebnisse der Arbeit der fachübergreifenden
Arbeitsgruppe abwarten. Vor diesem Hintergrund wird
es Sie nicht überraschen, dass wir Ihren Antrag ablehnen
müssen.
({6})
Herzlichen Dank.
({7})
Die Kollegin Maria Klein-Schmeink hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jetzt das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken greift ein
Problem auf, von dem viele von uns erfahren haben. Sehr
viele von Ihnen werden genauso wie ich und andere Kollegen Briefe erhalten haben, in denen wir von empörten
und entrüsteten Rentnern, Frührentnern und Neurentnern, Klagen darüber erhalten haben, dass die Belastung
aus dieser zusätzlichen Verbeitragung ihnen erstens nicht
bekannt war und sie diese zweitens nicht akzeptabel finden. Das ist das eine. Insofern greifen Sie ein Gerechtigkeitsdefizit auf, das tatsächlich vorhanden ist.
Aber die Linken versuchen mit ihrem Antrag, mit dem
Mittel des Krankenversicherungsbeitragsrechts ein Problem zu lösen, das viel vielschichtiger ist. Es ist nämlich ein Problem, das wir insgesamt in der Behandlung
der betrieblichen Altersversorgung auf der einen Seite
und der anderen Formen von Altersvorsorge auf der anderen Seite haben. Da haben wir sowohl steuerrechtlich
als auch beitragsrechtlich verschiedene und voneinander
abweichende Formen der Behandlung und Berücksichtigung. Das wirft das eigentliche Problem auf und macht
die Schieflage aus. Deshalb meinen wir, dass der Ansatz,
den die Linken gewählt haben, so nicht taugt.
({0})
Aber wir sollten den Antrag zum Anlass nehmen, genau hinzuschauen, wie denn eigentlich die Ausgestaltung
sein muss. Es ist in der Tat für die Bevölkerung wenig
akzeptabel und nicht hinnehmbar, dass wir völlig unterschiedliche Arten der Verbeitragung haben, dass es einen
Unterschied macht, ob im Wege der Entgeltumwandlung
aus dem Bruttoentgelt der Arbeitgeber gezahlt hat - dann
ist es beitragsfrei -, ob der Arbeitnehmer aus dem Bruttoentgelt gezahlt hat - dann ist es auch beitragsfrei - oder
aber ob er es aus seinen Nettoeinnahmen gezahlt hat dann ist es nicht beitragsfrei.
Der ganze Kuddelmuddel geht in der Auszahlungsphase noch weiter. Bei der betrieblichen Rente habe ich
Teile, die beitragsfrei sind, andere Teile, die nicht beitragsfrei sind. Habe ich aber einfach eine private Versicherung, dann zahle ich keinen Beitrag. Das ist ein Nebeneinander, das die Menschen nicht verstehen können.
Das akzeptieren sie nicht. Da müssen wir heran, und da
müssen wir eine Harmonisierung erreichen. Dieses Problem müssen wir angehen.
({1})
Daher sollten wir den Ball, der uns mit diesem Antrag
zugespielt wurde, durchaus aufnehmen; aber das, was
Sie vorschlagen, nämlich jede Form der Doppelverbeitragung abzuschaffen, wirft erhebliche Probleme für das
Beitragsrecht in der GKV auf. Heute ist es so: Beiträge
werden dann gezahlt, wenn Einkommen zufließt. Wenn
Sie dieses Prinzip aufheben, dann durchbrechen Sie ein
grundlegendes Prinzip, das wir in der GKV haben. Das
würde sehr viele Folgewirkungen mit Blick auf das Gerechtigkeitsempfinden haben. Daher kann das nicht passieren. Wenn Sie an dieser Stelle nämlich wirklich weiterdenken würden, dürften Sie die Rente insgesamt nicht
mehr verbeitragen, und das kann an dieser Stelle so nicht
gehen.
({2})
Aber wir sollten den Ball aufnehmen, und ein ganz
wichtiger Ball ist ja tatsächlich die Bürgerversicherung.
Mit der Bürgerversicherung würden wir erstmals die
verschiedenen Einkommensarten zusammen betrachten, würden eben nicht unterschiedlich mit Einkommen
aus Löhnen und Gehältern auf der einen Seite und aus
Mieten, Pachten und anderen Kapitaleinnahmen auf der
anderen Seite umgehen. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag: erstens für mehr Gerechtigkeit, zweitens für eine
Stärkung der Einnahmebasis sowohl in der Krankenversicherung als auch in anderen Systemen. Von daher ist
die Bürgerversicherung ein ganz wichtiger Schlüssel, mit
dem da Gerechtigkeit hergestellt werden kann. Diesen
Weg sollten wir in Zukunft einschlagen.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Rawert für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute in erster Lesung einen Antrag der Linken
zum sperrigen Thema „Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Direktversicherungen und Versorgungsbezüge - Doppelverbeitragung vermeiden“. Da wir an anderer
Stelle grundsätzlich über die betriebliche Altersversorgung und über die solidarische Bürgerversicherung diskutieren, beschränke ich mich heute auf klarstellende
Erläuterungen.
Worum geht es? Bis 2004 waren Versorgungsbezüge, die monatlich ausgezahlt wurden, beitragspflichtig,
während Versorgungsbezüge, die am Vertragsende als
Einmalauszahlung ausgezahlt wurden, beitragsfrei waren. Diese Ungleichbehandlung musste beendet werden,
und sie wurde beendet. Eine Gleichbehandlung gibt es
seit dem 1. Januar 2004. Nach dem Willen des rot-grünen Gesetzgebers sollten pflichtversicherte Rentnerinnen
und Rentner auch auf Versorgungsbezüge Krankenversicherungsbeiträge zahlen, die als Einmalzahlung geleistet
werden. Ein Beispiel dafür ist eine Lebensversicherung,
die über den Arbeitgeber als sogenannte Direktversicherung gezahlt wurde.
Infolge dieser politischen Entscheidung sind mehrfach Verfassungsbeschwerden gegen diese Krankenkassenabzüge erhoben worden. Doch nur eine dieser Klagen hatte Erfolg: Nur dann, wenn eine vom Arbeitgeber
abgeschlossene betriebliche Direktversicherung privat
fortgeführt wird und sich der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerin im Vertrag als Versicherungsnehmer oder Versicherungsnehmerin einträgt, können diese der Beitragspflicht - in Gänsefüßchen - entkommen, so die Richter
und die Richterinnen. Mit anderen Worten: Pflichtversicherte Rentner und Rentnerinnen müssen auf Leistungen,
die auf arbeitnehmerfinanzierten Lebensversicherungsbeiträgen beruhen, dann keine Versicherungsbeiträge
zahlen, wenn sie selbst als Krankenversicherungsnehmer
oder -nehmerin in der Police stehen.
Die Argumentation des höchsten deutschen Gerichtes
war: Wenn der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin selbst
zahlt und dieser bzw. diese der alleinige Versicherungsnehmer bzw. die alleinige Versicherungsnehmerin ist,
entfällt jeglicher Bezug zum Arbeitsverhältnis. Die Versicherung ist dann genauso zu behandeln wie eine private
Kapitallebensversicherung, die ja bei Pflichtversicherten
ebenfalls keine Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung auslöst.
Die damaligen Beweggründe von Rot-Grün waren:
Die Neuregelung sollte dazu beitragen, die Unterdeckung
in der Krankenversicherung der verrenteten Menschen
zu verringern. Damals wurden die Gesundheitsausgaben
für die ältere Generation überwiegend von der erwerbstätigen Generation finanziert. Richtig ist auch heute noch:
Die jüngere Generation unterstützt die ältere, indem sie
finanzielle Lasten auch für ein höheres Krankheitsrisiko
trägt.
Mit der Neuregelung wurde entschieden, hier für einen stärkeren Ausgleich zwischen den Generationen zu
sorgen. Zur Beitragszahlung verstärkt herangezogen
wurden aber nur die Rentnerinnen und Rentner, deren
gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eine solche
Mehrbelastung auch zuließ. Das ist insbesondere bei denen der Fall, die zusätzlich zu ihrer gesetzlichen Rente
Einkünfte aus Versorgungsbezügen - wie gesagt: Lebensversicherung mit Kapitalabfindung - beziehen.
Die Verfassungsmäßigkeit - das habe ich schon gesagt - wurde wiederholt bestätigt. Die Erhebung von
Beiträgen auf Kapitalleistungen aus der betrieblichen Direktversicherung war und ist den betroffenen Versicherten zumutbar. Der Gesetzgeber ist auch berechtigt, jüngere Krankenversicherte bei der Finanzierung des höheren
Aufwands für die Rentnerinnen und Rentner zu entlasten
und diese selbst zur Finanzierung heranzuziehen.
Wir haben gemerkt, dass es in dem Antrag mehrere
Vermischungen gibt. Es wird über die betriebliche Altersvorsorge als Ganzes diskutiert. Es wird auf die Bürgerversicherung Bezug genommen, die wir auch wollen.
Des Weiteren wird über Gerechtigkeit und Solidarität
diskutiert. Der Antrag ist in sich aber nicht stringent. Das
werden wir im Weiteren - dafür gehen wir in die parlamentarische Beratung - diskutieren.
Ich freue mich auf die Diskussion und wünsche uns
allen ein schönes Wochenende.
({0})
Der Kollege Erich Irlstorfer hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir besprechen heute einen Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema „Verbeitragung bei Direktversicherungen
und Versorgungsbezügen“. Dieser Antrag bezieht sich
auf einen Gegenstand, der über die Gesundheitspolitik
hinausgeht und in einem etwas weiteren Zusammenhang
steht, nämlich im Zusammenhang mit der Alterssicherungspolitik in ihrer Gesamtheit.
({0})
Die Position vieler Bürgerinnen und Bürger, die eine
hohe finanzielle Belastung durch die doppelte Verbeitragung beklagen, kann ich durchaus nachvollziehen. Ziel
der christlich-sozialen Politik ist es, zu gewährleisten,
dass die Menschen im Alter in Deutschland mit ihren
Renten auskommen. In diesem Zusammenhang darf ich
daran erinnern, dass die CSU mit der Mütterrente zu Beginn dieser Wahlperiode eines ihrer zentralen Versprechen eingelöst und umgesetzt hat.
({1})
Ich möchte nicht verhehlen, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass das eine oder andere Element im
Rentenpaket aus meiner Sicht als Kompromisslösung zu
werten ist und nicht unbedingt im Einklang mit meinen
Vorstellungen ist. Das Rentenpaket in seiner Gesamtheit
aber hat eine deutliche Verbesserung für die Menschen
im Alter in Deutschland gebracht; das sollte man nicht
vergessen.
({2})
Damit bekämpfen und verhindern wir drohende Altersarmut, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Rentnerinnen und Rentner können für das kommende
Jahr, für 2016 - das dürfen wir auch nicht vergessen -,
mit einem deutlichen Anstieg ihrer Renten, ihrer Bezüge rechnen; er wird zwischen 4 Prozent und 5 Prozent
betragen.
({3})
Das ist ein weiterer Baustein zur Alterssicherung. Ich
glaube, das kann man nicht bestreiten. Auch für die
nächsten Jahre - wir hoffen natürlich, dass die wirtschaftliche Entwicklung so weitergeht - ist nicht auszuschließen, dass es für die Rentnerinnen und Rentner steigende
Bezüge geben wird.
({4})
Mit anderen Worten: Ich denke, die Große Koalition
leistet hier ganze Arbeit bei der Bekämpfung von Altersarmut. Das wird auch die politische Kernarbeit dieser
Koalition bleiben.
({5})
Ich möchte auf den vorliegenden Antrag aber auch
noch unter einem anderen Blickwinkel eingehen.
({6})
Ohne mir die Politik der damaligen rot-grünen Bundesregierung zu eigen machen zu wollen: Was die Gesetzesänderung im Jahr 2004 angeht, muss man einfach anerkennen, wenn man rückblickend darauf schaut, meine
sehr geehrten Damen und Herren, dass wir damals eine
andere Situation hatten. Die Kollegin von den Grünen,
Frau Klein-Schmeink, hat gesagt: Da müssen wir noch
einmal genau hinschauen. - Ich glaube, da sind wir gar
nicht so weit auseinander.
Natürlich möchte ich Ihnen am Freitagnachmittag
meine Ausführungen zur Bürgerversicherung ersparen;
vermutlich kennen Sie sie auch schon. Es ist aber darauf
hinzuweisen - das wurde vorhin auch schon kurz getan -, dass das Bundesverfassungsgericht die Einbeziehung der Versorgungsbezüge in die Beitragspflicht nicht
nur gebilligt, sondern wegen des in der GKV geltenden
Solidaritätsprinzips sogar für geboten erachtet hat.
Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurde eine bis
dahin bestehende Möglichkeit, Krankenversicherungsbeiträge auf die Versicherungsleistungen zu umgehen,
beendet. Zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung deckten zudem die eigenen Beitragszahlungen der Rentner
nur noch gut 40 Prozent ihrer Leistungsausgaben in der
Krankenversicherung ab, was natürlich durchaus fragwürdig ist.
Wesentlich ist für mich, dass die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung Ausdruck eines fairen
Generationenvertrags ist. Darum geht es schlussendlich,
wenn wir eine ausgewogene Lastenverteilung zwischen
Rentnern und Erwerbstätigen in die Praxis umsetzen. Ich
glaube, im Großen und Ganzen wird die Finanzierung
der GKV diesen Zielen auch gerecht.
Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass die
Beiträge, um die es hier geht, im System der GKV bleiben und somit eben auch den Beitragszahlerinnen und
Beitragszahlern, den Versicherten, zugutekommen, ebenso ihren Kindern und Kindeskindern.
({7})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Ich habe - ich sagte es bereits - wirklich Verständnis für die Menschen, die eine finanzielle Überforderung im Alter beklagen, auch durch die Beiträge
zur gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Koalition
arbeitet nicht nur an Verbesserungen bei den Rentenbezügen und für eine nachhaltig starke wirtschaftliche Entwicklung, sondern es gelingt ihr auch.
({8})
In diesem Sinne herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Dirk Heidenblut für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst
einmal, Herr Kollege Birkwald, bei aller Wertschätzung
für unsere ehemalige Ministerin Schmidt und auch für
unseren jetzigen Minister Gröhe: Gesetze machen immer
noch die Parlamente. Insofern kann keine Ministerin,
auch kein Minister jemandem per Gesetz eiskalt etwas
wegnehmen oder geben. Es wäre schon Sache des Parlaments, dies zu tun.
({0})
Das will ich an dieser Stelle nur klarstellen, ganz abgesehen davon, dass das seinerzeit kein eiskaltes Wegnehmen
oder Geben war.
Wie bei der letzten Rede in einer Debatte so üblich,
neigt man dazu, einiges zu wiederholen. Dafür entschuldige ich mich im Vorhinein. Aber wie Sie sehen, habe ich
nur drei Minuten Redezeit. Das wird also nicht ganz so
hart werden.
({1})
Ich möchte das Ganze zunächst noch einmal in den
Gesamtkontext stellen. Wir reden hier eigentlich nicht
über die Rentenversicherung, sondern über die Krankenversicherungsbeiträge bei Direktversicherungen, also eigentlich über die Finanzierung der Krankenversicherung.
Wenn man sich Ihren Antrag genau anschaut, erkennt
man, dass der zweite Absatz ja auch eher eine Grundaufforderung ist, die Krankenversicherung zu reformieren.
Insofern war ich froh, als ich gesehen habe, dass Sie nach
den Eingangsstatements auf den Kern zurückgekommen
sind. Deswegen möchte ich auch noch etwas zur Krankenversicherung sagen.
Wir haben in der Großen Koalition gerade erst eine
Menge Pakete in Angriff genommen, mit denen wir
enorm viel für die Verbesserung der Versorgung gerade
der gesetzlich Krankenversicherten getan haben.
({2})
Das ist auch und gerade vor dem Hintergrund zu sehen, dass wir es natürlich mit einem demografischen
Wandel zu tun haben - da wird uns im Übrigen immer
noch vorgehalten, dass wir nicht genug getan haben im
Hinblick auf die Pflege und andere Dinge - und dieser
demografische Wandel zwei Effekte hat. Der sehr positive Effekt ist, dass wir alle durchaus älter werden.
Aber dadurch, dass wir alle älter werden, erhöhen sich
auch die Krankheitskosten, die Kosten für Pflege und
Ähnliches mehr. Das Ganze muss bezahlt werden, und
zwar generationengerecht. Schon die damalige Regierung verfolgte den Ansatz: „Wir müssen das generationengerechter machen“, ein Ansatz übrigens - das haben wir vorhin schon gehört -, der vom Gericht bereits
bestätigt wurde.
Wenn man sich jetzt Ihren Antrag genau anschaut,
dann sieht man, dass Sie eigentlich wieder versuchen,
uns Ihre Vorstellung davon, wie das Versicherungssystem aussehen sollte - ich will das hier nicht diskutieren;
Sie wissen, dass wir als SPD an der einen oder anderen
Stelle durchaus ein wenig Sympathie dafür haben -, nahezubringen. Aber Sie tun dies, indem Sie eine bestehende Problematik, die im Rahmen der betrieblichen
Versicherung womöglich auch mit angesprochen werden muss, mit Ihrem Mäntelchen versehen. Im Übrigen
beschäftigen wir uns gerade mit der Frage der Rente,
auch der betrieblichen Rente; das ist ja schon deutlich
geworden. Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist kein Mittel,
uns auf diesem Weg immer wieder die gleichen Debatten aufzuzwingen. Das wird leerlaufen, so wie es bisher
leergelaufen ist.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6364 an die in der Tagesordnung aufgeErich Irlstorfer
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 11. November 2015, 13 Uhr, ein.
Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute.
Die Sitzung ist geschlossen.