Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zu unserer 133 . Plenarsitzung .
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
gerne dem Kollegen Helmut Brandt und der Kollegin
Inge Höger zum 65 . Geburtstag sowie der Kollegin
Marlene Mortler zu ihrem 60 . Geburtstag nachträglich
gratulieren . Auch auf diesem Wege noch einmal alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr .
({0})
Der Kollege Dirk Becker hat sein Bundestagsmandat
niedergelegt . Für ihn ist die Kollegin Petra Rode-Bosse
nachgerückt . Ich möchte Sie im Namen des ganzen Hauses herzlich begrüßen .
({1})
Ich wünsche uns eine gute Zusammenarbeit .
Wir müssen noch die Wahl von zwei Mitgliedern des
Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau durchführen . Auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion
sollen der Kollege Klaus-Peter Flosbach und auf Vorschlag der SPD-Fraktion der Kollege Hubertus Heil für
eine weitere Amtszeit berufen werden . Gibt es dagegen
Einwände? - Das ist nicht erkennbar . Dann sind damit
die beiden gerade genannten Kollegen als Mitglieder des
Verwaltungsrates für eine weitere Amtszeit gewählt .
Ich möchte schließlich darauf aufmerksam machen,
dass es eine Vereinbarung gibt, die Tagesordnung um
die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zu neuen Erkenntnissen zur VW-Abgasaffäre
({2})
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Keul, Dr . Sabine Sütterlin-Waack, Brigitte Zyp-
ries, Matthias W . Birkwald und weiterer Abge-
ordneter
Keine neuen Straftatbestände bei Sterbehilfe
Drucksache 18/6546
Darunter befindet sich auch der neue Gruppenantrag
zum Thema Sterbehilfe bzw . Sterbebegleitung, der dann
in der morgigen Debatte aufgerufen wird . Sind Sie mit
diesen gerade vorgetragenen Vereinbarungen einverstan-
den? - Das ist offensichtlich der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und
Palliativversorgung in Deutschland
({3})
Drucksachen 18/5170, 18/5868
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({4})
Drucksache 18/6585
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({5})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Wöllert, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann
({6}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
- Hochwertige Palliativ- und Hospizversorgung als soziales Menschenrecht sichern zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth
Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria
Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gute Versorgung am Lebensende sichern Palliativ- und Hospizversorgung stärken
Drucksachen 18/5202, 18/4563, 18/6585
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Auch das ist
offensichtlich einvernehmlich .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister Hermann Gröhe .
({7})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Das Hospiz- und Palliativgesetz, über das wir heute beraten, ist auch für mich persönlich ein ganz besonderes
Gesetz .
Am 29 . April, als das Bundeskabinett über den Gesetzentwurf, der der heutigen Beschlussfassung zugrunde liegt, beraten und abgestimmt hat, saß ich nicht am
Kabinettstisch, sondern in einer Palliativstation meiner
Heimatstadt Neuss am Bett meiner sterbenden Mutter .
Die Palliativschwester riet mir, meiner Mutter den Mund
zu befeuchten . Half es ihr oder half es uns, meinen Geschwistern, meinem Vater und mir, unsere Ohnmacht angesichts des Unausweichlichen auszuhalten?
Wir haben in den letzten Jahren in unserem Land im
Bereich der Palliativmedizin viele Fortschritte erlebt,
viel gelernt über Schmerzlinderung, über die Hilfe bei
drohender Atemnot . Wir müssen weiter forschen und
mehr lernen . Ich danke Kollegin Johanna Wanka, dass es
ein weiteres Förderprogramm im Bereich der Palliativmedizin geben wird .
Aber der vielleicht wichtigste Fortschritt in der Palliativmedizin - oder sollte ich sagen: durch die Palliativmedizin? - war doch der, dass die Medizin gelernt hat, dass
sie in dieser Situation Menschen dann am besten dienen
kann, wenn sie ihre eigenen Grenzen anerkennt,
({0})
wenn an die Stelle des Wunsches, Krankheit zu heilen
und Leben zu verlängern - ja, wir verdanken diesem
Wunsch unendlich viel Gutes -, die Bereitschaft tritt, das
Unausweichliche geschehen zu lassen und gut zu begleiten .
Wir können Menschen durch Palliativmedizin und
Hospizversorgung nicht die Angst vor dem Sterben nehmen . Aber unerträglicher Schmerz muss nicht sein . Einsamkeit in der letzten Lebensphase muss dank des unermüdlichen Einsatzes von über 100 000 Menschen in
der Hospizbewegung nicht sein, für den wir sehr dankbar
sind .
({1})
Was mich umtreibt, ist, dass viele Menschen nicht
wissen, welche Möglichkeiten heute die Palliativmedizin, die Hospizversorgung bieten . Was mich und uns alle
noch mehr umtreiben muss, ist, dass das, was wir können, noch längst nicht überall angeboten wird, dass wir
Menschen noch viel zu oft schuldig bleiben, was heute
möglich ist . Das sind die Leitgedanken dieses Gesetzes:
erstens bessere Information und Beratung und zweitens
ein umfassender Ausbau des heute Möglichen an Hilfe
und Begleitung .
Deswegen wird es zukünftig einen umfassenden Beratungsanspruch der Patientinnen und Patienten geben .
Deswegen führen wir in der stationären Altenpflege eine
umfassende Versorgungsplanung für die Begleitung in
der letzten Lebensphase ein .
Wir wollen Menschen überall dort gut begleiten, wo
sie sterben: zu Hause, in Pflegeeinrichtungen, in Hospizen und in Krankenhäusern . Erst jüngst hat eine Studie
der Bertelsmann-Stiftung darauf hingewiesen, dass sich
die allermeisten Menschen dies wünschen, nämlich in
den eigenen vier Wänden auch die letzten Lebenstage
verbringen zu können, und dass dies häufig nicht gelingt.
Die Studie zeigt aber auch, dass dies viel häufiger
dann gelingt, wenn vor Ort ein gutes Netz an aufeinander
abgestimmter Hilfe und Unterstützung existiert . Unser
Wille ist, dass es ein solches Netz überall in diesem Land
gibt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Deswegen werden wir mit einer Reihe von Maßnahmen die Sterbebegleitung zu Hause verstärken und unterstützen . Dabei geht es um den Ausbau der allgemeinen
oder spezialisierten palliativmedizinischen Versorgung .
Dabei geht es um eine Stärkung der Palliativpflege in der
häuslichen Krankenpflege. Schließlich geht es darum,
die häuslichen Hospizdienste besser auszustatten, indem
es auch für die ehrenamtlich Tätigen eine Erstattung von
Sachkosten gibt . Denn es kann doch nicht wahr sein, dass
gerade in der Fläche ehrenamtlich Tätige, die diese herausforderungsvolle Arbeit leisten, gleichsam noch selbst
für ihre Kosten aufkommen müssen .
({3})
Wir werden die stationären Hospize bezüglich der
finanziellen Unterstützung besser ausstatten, auch mit
einer Mindestunterstützung . Das ist wichtig, um gerade
auch in Regionen, in denen bisher ein unzureichendes
Angebot existiert, dies auszubauen . Wir werden spezielle
Regelungen für die Arbeit in Kinderhospizen vorsehen .
In der Altenpflege habe ich schon die umfassende
Versorgungsplanung genannt, die wir als Leistung der
Krankenkassen einführen werden: zu einer umfassenden
Beratung, der Begleitung und der Unterstützung, der es
in der Altenpflege bedarf.
Wir werden die Altenpflegeeinrichtungen verpflichten, mit Palliativnetzwerken und Palliativmedizinern
zusammenzuarbeiten . Es darf nicht sein, dass Schwerstkranke und Sterbende in den letzten Tagen aus Altenpflegeeinrichtungen in Krankenhäuser verlegt werden, weil
nur dort eine angemessene palliativmedizinische Versorgung möglich ist . Auch das werden wir beenden .
({4})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Wir werden die Arbeit in den Krankenhäusern, in der
Palliativmedizin verstärken, indem in Zukunft die Palliativstationen finanziell besser abgesichert werden. Aber das ist ein Ergebnis der intensiven parlamentarischen
Beratung, für das ich dankbar bin -: Wir werden auch
in den Krankenhäusern, in denen keine Palliativstationen
existieren, zu einer Verbesserung in der palliativmedizinischen Arbeit kommen .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieses Gesetz so will ich es bewusst sagen - ist eine Gemeinschaftsleistung . Wir haben denen, die diese Arbeit in der Palliativmedizin und in der Hospizbewegung leisten, zum
Beispiel im Forum „Palliativ- und Hospizversorgung in
Deutschland“, das seit einigen Jahren im Bundesgesundheitsministerium existiert und von meiner Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz geleitet wird, sehr genau
zugehört . Herzlichen Dank für diese Arbeit!
({5})
Ich danke für die Art der Beratungen und der Anhörung, die wir durchgeführt haben, wie wir denen zugehört
haben, die uns aus ihrer Arbeit aus der Hospizbewegung,
in den häuslichen Hospizdiensten, in den stationären
Hospizen und in der Palliativmedizin berichtet haben .
In diesem Zuhören ist ein Geist der Gemeinsamkeit und
des Aufeinanderhörens entstanden, der auch dazu geführt
hat, dass wir - Union, SPD und Grüne - in der gestrigen Sitzung des Gesundheitsausschusses gemeinsam
Änderungsanträge eingebracht und damit auch deutlich
gemacht haben, dass uns dies ein wichtiges, ein gemeinsames Anliegen ist .
Wir wollen, dass schwerstkranke Menschen überall in
diesem Land in ihrer Situation als Sterbende die pflegerische, medizinische, psychosoziale und seelsorgerische
Hilfe erfahren, die sie brauchen . Wir sind es ihnen schuldig .
Dass wir dies in dieser großen Gemeinsamkeit tun, ist
ein ganz starkes Zeichen . Dafür bin ich dankbar . Ich bitte
Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf .
({6})
Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Wöllert für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Zuhörerinnen und Zuhörer! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich denke, uns eint, dass mit dem Gesetz zur
Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in
Deutschland ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der
letzten Lebensphase gegangen wird . Ich möchte aber etwas klarstellen . Morgen werden wir über die Sterbehilfe
diskutieren, und viele bringen den heute zu beratenden
Gesetzentwurf und diese Diskussion zusammen . Für
meine Fraktion leitet sich der vorliegende Gesetzentwurf
eher aus Artikel 1 des Grundgesetzes ab:
Die Würde des Menschen ist unantastbar . Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt .
Mit dem Gesetzentwurf wird ein Schritt auf dem Weg zur
weiteren Ausgestaltung dieses Grundrechts gegangen .
Professor Christoph Student, der Leiter des Deutschen Instituts für Palliative Care, hat die Kennzeichen
der Hospizarbeit beschrieben . Sie können das im Internet
nachlesen. Ich finde das sehr interessant, um zu verstehen, was Hospiz- und Palliativarbeit eigentlich ist .
Er benennt fünf Merkmale: Erstens . Der sterbende Mensch und seine Angehörigen stehen im Zentrum .
Zweitens . Der Gruppe der Betroffenen steht ein interdisziplinäres Team zur Verfügung, das heißt professionelle
Kräfte . Drittens die Einbeziehung Freiwilliger, viertens
gute Kenntnisse in der Symptomkontrolle und fünftens
Kontinuität der Fürsorge, das heißt Fürsorge rund um die
Uhr .
Er definiert Sterben so:
… Sterben ist keine Krankheit, sondern eine kritische Lebensphase, die oftmals mit Krankheit verbunden ist . Hieraus entstehen vielfältige Lebensbedürfnisse, denen nur durch ein Team begegnet
werden kann, das hierfür ausgerüstet
- das heißt ausgebildet ist .
Daraus leiten sich auch die Forderungen in unserem
Antrag, der Fraktion Die Linke, ab .
Eine Hauptforderung darin ist erstens ein Rechtsanspruch auf allgemeine Palliativversorgung für alle unabhängig von der Art der Erkrankung - Voraussetzung
für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung sind
bestimmte Erkrankungen -, von der Behinderung, vom
individuellen Lebensort - gemeint ist, wo man sein Leben verbringt - und der Wohnform sowie der Versicherungsform . Das ist übrigens auch eine Forderung des
Bundesrates . In seiner Stellungnahme heißt es: Leistungserbringung und Versorgungsplanung müssen auf
Krankenhäuser und Einrichtungen der Behindertenhilfe
ausgedehnt werden . Die Einrichtungen der Behindertenhilfe sind aber leider nicht dabei . Tatsächlich sind aber
alle Wohnformen gemeint .
Zweitens: flächendeckender, barrierefreier Ausbau
von Hospizangeboten . Dazu zählt auch eine vollständige Finanzierung . Rechtsanspruch bedeutet, man ist nicht
auf Spendenmittel angewiesen . Die Sachkosten sollten in
Höhe von 25 Prozent berücksichtigt werden . Wir haben
zwar zugestimmt, dass der Zuschuss je Leistungseinheit
von 11 auf 13 Prozent erhöht wird . Aber das ist längst
nicht ausreichend . Eine eigenständige Rahmenvereinbarung für Kinderhospize ist als Maßnahme aufgenommen
worden; dafür sind wir sehr dankbar . Auch deswegen haben wir dem Änderungskatalog zugestimmt .
Drittens: Palliativversorgung und Sterbebegleitung in
Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen qualitativ verbessern . Dazu gehören Qualitäts- und Personalbemessung . Bei der Koordination aller Leistungsträger gibt es
gute Ansätze im Gesetzentwurf . Aber sie reichen nicht
aus. Sie müssen verpflichtend kontrollierbar sein.
Viertens: Entwicklung einer nationalen Palliativstrategie mit allen Akteuren . Wenn man die Bertelsmann-Studie gelesen hat, weiß man, wie dringend notwendig das
ist und wie viele weiße Flecken es in unserem Land gibt,
in denen überhaupt keine Palliativbetreuung vorhanden
ist . Ein weiterer Punkt ist die Regelung in einem Berufsgesetz . Es gibt nur neun Lehrstühle für Palliativmedizin
an den medizinischen Fakultäten. Für Palliativpflege gibt
es überhaupt keinen Lehrstuhl . Auch hier besteht also
Handlungsbedarf . Bei der angestrebten regelmäßigen
Berichterstattung gibt es Verbesserungen . So sieht der
geänderte Gesetzentwurf vor, dass der GKV-Spitzenverband evaluiert und alle drei Jahre einen Bericht vorlegt .
Auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung .
Fünftens: Es wird Zeit - davon ist hier leider nicht die
Rede -, dass das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt
unterschrieben und dem Bundestag zur Ratifizierung vorgelegt wird, um ein Individualbeschwerdeverfahren zu
ermöglichen, damit sich also jeder selbst bei Verletzung
sozialer Menschenrechte beschweren und alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen kann .
Weil das alles noch nicht in ausreichendem Umfang
enthalten ist und weil wir denken, die Opposition hat die
Aufgabe, mit dem Finger darauf hinzuweisen, was noch
unbedingt zu leisten ist, nämlich der Ausbau einer flächendeckenden Versorgung, werden wir uns bei diesem
Gesetzentwurf enthalten .
({0})
Herr Lauterbach ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mich zuerst dem Dank von Minister Gröhe anschließen . Ich bin schon eine gewisse Zeit Mitglied des
Bundestages, und wir haben über viele Gesetze gemeinsam beraten . Aber ich habe noch nie erlebt, dass ein Gesetzentwurf von allen - hier schließe ich die Opposition
ausdrücklich ein - so konstruktiv, sachorientiert und mit
gemeinsamem Willen vorbereitet wurde und heute hoffentlich auch verabschiedet wird . Das ist vorbildlich und
zeigt, dass wir alle am gleichen Strang ziehen . Wir sind
dabei, eine wichtige Verbesserung vorzunehmen . Ich
möchte mich für die Zusammenarbeit, die vielen Anregungen und Diskussionen, in denen wir alle viel gelernt
haben, ganz herzlich bedanken .
({0})
Es gibt in der Palliativmedizin - vereinfacht gesagt vier Leistungsbereiche . Der erste Bereich sind die palliativmedizinischen Leistungen in der Regelversorgung,
also bei Ärzten in der Klinik . Hier handelt es sich in der
Regel um schmerzstillende Leistungen und Leistungen,
die Symptome beseitigen . Der zweite Bereich ist die
palliativmedizinische Versorgung in Krankenhäusern,
die aber nicht eine eigentliche Palliativleistung, sondern
palliativmedizinische Pflege darstellt. Der dritte Bereich
sind die gleichen Leistungen in Pflegeeinrichtungen. Der
vierte Bereich ist die palliativmedizinische Versorgung
durch und in Hospizen oder ambulant durch spezialisierte Palliativteams .
Das sind die vier Leistungsbereiche . Dafür geben wir
insgesamt etwa 200 Millionen Euro pro Jahr aus . Das ist
weniger als ein Promille, also weniger als ein Tausendstel der Mittel, die in der gesetzlichen Krankenversicherung für alle Leistungen ausgegeben werden . Ungefähr
2 Prozent aller sterbenden Menschen werden im Rahmen
einer dieser Leistungen begleitet . Das steht im Verhältnis zu 10 Prozent der Menschen, die zum Schluss mit
Schmerzen sterben und die Symptome haben, die durch
diese Leistungen verhindert werden könnten . Nur jeder
Fünfte bekommt die Palliativmedizin, die er benötigt . Es
sterben 50 Prozent der Menschen unter dem Einsatz der
Gerätemedizin im Krankenhaus . Jeder Dritte stirbt im
Pflegeheim.
Das ist eine völlige Fehlverteilung unserer medizinischen Aufwendungen und Bemühungen am Lebensende
des Patienten . Dem wirken wir mit diesem sehr wichtigen Gesetz entgegen . Das kann aus meiner Sicht nur
ein wichtiger, weiterer Schritt im Aufbau der Palliativmedizin sein . Damit wird der Bedarf bei weitem nicht
gedeckt . Das gebe ich an dieser Stelle offen zu . Aber wir
müssen dieses System langsam aufbauen, eine bessere
Qualität erreichen und mehr Geld in die Hand nehmen .
Wenn man schaut, wie viel wir mehr ausgeben, dann
stellt man fest, dass die Mehrausgaben durch dieses Gesetz in den vier Bereichen, die ich eben beschrieben habe,
insgesamt um schätzungsweise 50 Prozent steigen . Das
ist eine konservative Schätzung . Das ist aber auf jeden
Fall der größte relative Leistungsanstieg in irgendeiner
Versorgungsform, den wir in dieser Legislaturperiode beschlossen haben und wahrscheinlich beschließen werden .
Auch dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken .
({1})
Das Gesetz ist umfänglich, und es ist noch einmal verbessert worden . Ich will auf ein paar Punkte hinweisen,
die mir besonders wichtig sind . Das ist eine subjektive
Wahl, aber ich bitte um Verständnis, dass ich das betone,
weil es Punkte sind, die verdeutlichen, worum es uns hier
geht .
Wir haben bei der Palliativmedizin zum Teil das Problem, dass viele Krankenhäuser im ländlichen Raum und
in schwach strukturierten Regionen gerne Palliativmedizin anbieten würden, aber keine Palliativstationen aufbauen können . Das heißt, diese Krankenhäuser praktizieren dann Gerätemedizin, die eigentliche Palliativmedizin
fällt weg . Deshalb bauen wir eine neue Struktur auf . Wir
erleichtern es diesen Flächenkrankenhäusern, palliativmedizinische Leistungen direkt anzubieten, ohne dass
sie dafür Palliativstationen aufbauen müssen . Das ist ein
wichtiger Schritt nach vorne .
Ein zweiter wichtiger Schritt nach vorne ist: Wir haben bisher eine gewisse Zurückhaltung in Pflegeeinrichtungen, in Pflegeheimen, aber auch in der ambulanten
Pflege, palliativmedizinische Leistungen zu kooptieren,
hinzuzunehmen. Dafür haben wir jetzt eine Pflicht vorgesehen. Die Einrichtungen sind verpflichtet, entsprechende Verträge zu machen, sie sind verpflichtet, auch
mit Ärzten zusammenzuarbeiten, die spezielle palliativmedizinische Leistungen gerade bei der Schmerzstillung
anbieten können . Somit wird gerade die Schmerz- und
Symptomversorgung in den Pflegeeinrichtungen, in denen jeder dritte Mensch heutzutage stirbt, deutlich verbessert . Auch das ist für mich etwas, was eine ganz besonders große Bedeutung hat .
({2})
Ich komme zu einem weiteren Punkt . Die meisten
Menschen kennen sich mit der Palliativmedizin nicht aus .
Das gilt für Patienten, das gilt für Angehörige, und das
gilt auch für viele Ärzte . Hier schließe ich meine eigenen
Kolleginnen und Kollegen ein . Wir wissen es oft nicht .
So ist zum Beispiel sehr wenig bekannt, dass die Palliativmedizin auch lebensverlängernd wirkt . Im Vergleich
zum Beispiel zu einer Chemotherapie bei einer fortgeschrittenen Krebserkrankung, die bereits metastasiert
hat, bewirkt die Palliativmedizin oder auch die Hospizversorgung eine Lebensverlängerung bei Verbesserung
der Lebensqualität zu einem Bruchteil der Kosten.
Die meisten würden glauben, dass es plausibel ist,
dass vielleicht die Symptome durch die Palliativmedizin besser in den Griff zu bekommen sind, aber dass die
Lebensverlängerung durch die Behandlung mit der Chemotherapie erreicht werden kann . Das ist nicht der Fall .
Die Lebensverlängerung wird durch die Palliativmedizin
und die Hospizversorgung erreicht . Ich sage es einmal
einfach: Diese Menschen haben mehr Nebenwirkungen
von der teuren Therapie, als sie Nutzen von der Therapie
selbst erwarten können . Die Palliativmedizin verbessert
die Symptome und verlängert das Leben . Das ist vielen
Angehörigen, vielen Patienten, die die Entscheidung
selbst treffen, und auch vielen Ärztinnen und Ärzten
nicht bekannt . Darüber klären wir auf . Auch das ist aus
meiner Sicht ein sehr wichtiger Schritt in dieser Gesetzgebung .
({3})
Ich könnte das fortführen . Heute ist ein wichtiger Tag .
Ich darf mich erneut ganz herzlich für die konstruktive
Zusammenarbeit bedanken und bitte um Zustimmung .
({4})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die
Kollegin Elisabeth Scharfenberg das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister Gröhe!
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Deutschland, das ist eines der reichsten Länder der Welt mit einem der teuersten Gesundheitssysteme . Trotzdem haben wir einen riesigen Nachholbedarf,
was die Versorgung von Sterbenden angeht . Zu dieser
Erkenntnis muss man kommen, wenn man auf die aktuellen Ergebnisse des „Faktenchecks Gesundheit“ der
Bertelsmann-Stiftung schaut . Dort wird nämlich festgestellt, dass noch immer viel zu viele weiße Flecken auf
der Deutschlandkarte existieren . Dort gibt es tatsächlich
nichts - keinen ambulanten palliativen Dienst, keinen
ehrenamtlichen Hospizverein, keine Palliativmediziner,
kein Hospiz, kein Krankenhaus mit einer Palliativstation -, worauf man in der Not zurückgreifen könnte . Dieses Nichts macht den Menschen Angst, auch wenn man
im Moment selbst davon gar nicht betroffen ist - und
Angst frisst bekanntlich Seelen auf .
Auch mich persönlich beunruhigt es, nicht zu wissen,
was es da draußen so alles gibt an Begleitung und an
Schmerzlinderung, nicht zu wissen, wen man ansprechen
kann . Obendrein hört man natürlich auch Geschichten
über leidvolles Sterben und meint, das müsse immer so
sein . Das macht ebenso Angst, und diese Angst ist ansteckend .
Selbst dort, wo das Sterben auf berufliche Expertinnen
und Experten - auf Ärzte, Pfleger, Therapeuten - trifft,
also in Krankenhäusern und Pflegeheimen, ist man nicht
ausreichend gewappnet . Selbst dort, wo jeden Tag gestorben wird, herrscht Überforderung . Deshalb ist dies
heute eine gute und eine sehr wichtige Debatte .
({0})
Das Hospiz- und Palliativgesetz ist ein Schritt auf dem
Weg zu einer guten Hospiz- und Palliativversorgung . Es
ist ein Schritt, den wir gehen müssen, und es ist wichtig,
diesen Schritt weiterzugehen . Wir legen jetzt erst einige
Meter zurück; aber einige Kilometer Wegstrecke liegen
noch vor uns .
Wir müssen aufmerksamer für die schwerkranken und
sterbenden Menschen in Pflegeheimen sein, noch aufmerksamer, als es das Gesetz jetzt nahelegt . Wir können
es uns nicht so leicht machen und festlegen: Die Sterbebegleitung, die palliative Pflege müssen ganz selbstverständlich geleistet werden, während wir bei den Ärzten
und bei den Krankenhäusern zur palliativen Pflege immer noch ein Zusatzentgelt draufpacken . So ändern wir
nichts, und so wird sich in den Pflegeheimen keine palliative Kultur entwickeln . So wird es am Lebensende nicht
zu weniger Krankenhauseinweisungen kommen .
Ich bin davon überzeugt: Wenn wir mehr in die Pflegeeinrichtungen, mehr in Personal und dessen Weiterbildung, mehr in Unterstützung investieren würden, dann
würden viel weniger Menschen in Krankenhäusern sterben .
({1})
Denn aus Überforderung wird in Heimen sehr oft gleich
der Notarzt gerufen, und der nimmt den Patienten dann
natürlich mit ins Krankenhaus. Dort findet der Sterbende
dann sein Ende, auch wenn er es sich ganz anders gewünscht und vorgestellt hat . Das ist eine traurige Realität . Deshalb fordern wir - auch uns selbst - auf, an dem
Thema dranzubleiben, auch wenn die Diskussion um das
Lebensende nächstes Jahr nicht mehr die große mediale
Aufmerksamkeit wie jetzt gerade genießen wird .
Über alle politischen Vorbehalte hinweg sollten wir
uns bei diesem Thema verständigen können . Eine konstruktive Zusammenarbeit habe ich ja bereits bei der
Einbringung des Gesetzes angeboten . Diese Einladung
hat die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Widmann-Mauz angenommen . Dafür möchte ich mich nochmals ganz herzlich bedanken .
({2})
Dadurch hatten wir die Möglichkeit, gemeinsam Verbesserungen zu erzielen .
Keine Frage: Wir Grüne hätten uns mehr gewünscht .
Aber wir sind auch der Auffassung, es ist besser, zu sagen: „Wir haben etwas verbessern können“, als zu sagen:
Wir hätten etwas verbessern können .
Auf den letzten Metern bis zur Verabschiedung des
Hospiz- und Palliativgesetzes konnten wir so die Position von Heimbewohnern beim Wechsel in ein Hospiz
stärken. Zukünftig ist der berechtigte Wunsch eines Pflegeheimbewohners zu berücksichtigen . Eigentlich sollte
das eine Selbstverständlichkeit sein .
({3})
Zudem haben wir uns dafür eingesetzt, dass ambulante
Hospizdienste mehr Geld erhalten . Damit können sie die
so wichtige Trauerbegleitung von Angehörigen leisten
und den Einsatz von Ehrenamtlichen stärken . Für Krankenhäuser, die noch keine Palliativstation haben, wird es
künftig finanzielle Anreize geben, mit multiprofessionellen ambulanten Palliativdiensten zusammenzuarbeiten
und diese mit der Sterbebegleitung zu beauftragen .
Das sind Schritte in die richtige Richtung . Sie genügen aber bei weitem noch nicht, und sie dürfen uns nicht
genügen angesichts der Verletzlichkeit des Einzelnen, die
sich gerade in den letzten Stunden des Lebens zeigt .
Vielen Dank .
({4})
Das Wort erhält nun die Kollegin Emmi Zeulner für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung das Hospiz- und Palliativgesetz . Woher kommt das?
Es ist ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag . Darin haben wir zu Anfang der Legislatur ganz klar fest verankert: Wir möchten Hospize unterstützen, und wir möchten die Palliativmedizin ausbauen .
Aber es ist mehr als das; es ist nicht nur ein Auftrag
aus dem Koalitionsvertrag . Es geht auch darum, den
Menschen in unserem Land ein Stück weit die Angst zu
nehmen: die Angst davor, dass sie in die Fänge der Apparatemedizin geraten, aber auch die Angst davor, dass
sie am Lebensende leiden müssen, Schmerzen ertragen
müssen und unzureichend versorgt werden . Wir geben
somit mit diesem Gesetz eine Antwort auf das Bedürfnis der Menschen, am Lebensende selbstbestimmt zu
entscheiden, wo sie sterben möchten und wie sie sterben
möchten .
Deswegen gibt es für mich schon eine Verbindung zur
Debatte über die Suizidbeihilfe, die wir morgen führen;
denn nur dann, wenn wir flächendeckend Angebote für
die Menschen in unserem Land zur Verfügung stellen,
können sie auch selbstbestimmt entscheiden, wie sie das
Lebensende verbringen möchten, und haben die Möglichkeit, die Hospiz- und Palliativversorgung zu nutzen .
Es gibt des Weiteren das Bedürfnis der Menschen, zu
Hause zu versterben . Fakt ist aber, dass jeder Zweite im
Krankenhaus verstirbt . Wir haben erkannt, dass es, wenn
eine funktionierende Palliativversorgung vorhanden ist,
weniger Einweisungen in Krankenhäuser gibt - das ist
durch Zahlen belegt - und dadurch dem Bedürfnis der
Menschen, zu Hause behandelt und versorgt zu werden,
entsprochen werden kann .
Wie sieht das Hospiz- und Palliativgesetz aus, das wir
jetzt verabschieden? Man kann sich das so vorstellen,
dass es drei Säulen gibt . In der ersten Säule geht es um
die Stärkung der bestehenden Strukturen, in der zweiten
Säule um die Ausweitung der Strukturen und in der dritten Säule - das darf man nicht vergessen - um die Kontrolle .
Wir haben zukünftig die Möglichkeit, wenn sich die
Beteiligten mehr vernetzen und mehr Qualität anbieten,
über die AAPV, die allgemeine ambulante Palliativversorgung - das sind unsere Hausärzte, aber auch die häusliche Krankenpflege -, ein Mehr an Vergütung zur Verfügung zu stellen .
Wir stellen klar, dass bei der häuslichen Krankenpflege die Pflege am Lebensende mit dazugehört.
Weiterhin stärken wir die SAPV, die spezialisierte ambulante Palliativversorgung . Hierbei handelt es sich um
multiprofessionelle Teams, die nach Hause oder ins PfleElisabeth Scharfenberg
geheim kommen - das ist natürlich jetzt schon möglich und dort die Menschen in Notsituationen versorgen und
den Angehörigen helfen .
Wir führen zukünftig Schiedsstellen ein . Wenn sich
die Krankenkassen und die Pflegeteams nicht einigen
können, können diese dafür sorgen, dass es zu einer Einigung kommt . Wir möchten so auch die Flächenabdeckung sicherstellen .
Wir ermöglichen auch, dass Selektivverträge abgeschlossen werden können . Die Befürchtung ist, dass dadurch ein Verlust an Qualität eintritt . Das Gegenteil ist
der Fall . Wir haben ganz klar gesagt, dass wir keinen
Qualitätsverlust wollen, und in dem Änderungsantrag
geregelt, dass bei Selektivverträgen die gleichen Vorrichtungen vorgehalten werden müssen wie bei ganz normalen SAPV-Teams .
Weiterhin wollen wir die ambulanten Hospizdienste
stärken . Es sind vor allem Ehrenamtliche, die da aktiv
sind . Wir drehen an verschiedenen Schrauben, um eine
bessere finanzielle Ausstattung zu ermöglichen. Das ist
natürlich vor allem für den ländlichen Raum sehr wichtig, weil es, wie schon angesprochen wurde, im ländlichen Raum für die Ehrenamtlichen längere Wege gibt .
Es war uns ein Anliegen, auch diesen Bereich zu stärken .
({0})
Natürlich möchten wir auch, dass durch diese finanzielle Besserstellung die Trauerbegleitung weiter ausgebaut
wird .
Auch bei den Erwachsenenhospizen nehmen wir eine
finanzielle Besserstellung vor. Wir wollen aber keine
Vollfinanzierung dieser Struktur. Weil diese Struktur aus
bürgerlichem, aus ehrenamtlichem Engagement gewachsen ist, nehmen wir davon Abstand .
Bei den Kinderhospizen war es uns ein Anliegen, dass
eigene Rahmenvereinbarungen abgeschlossen werden
müssen; denn Kinderhospize bringen gegenüber Erwachsenenhospizen andere Voraussetzungen und Herausforderungen mit sich. Kinder gehen dort häufig nicht nur
einmal hin, sondern kommen mehrere Male, und auch
die Eltern sind mit dabei und werden dort aufgenommen
und betreut .
Uns war es ein Anliegen, dass auch Palliativstationen
weiterhin als Besondere Einrichtungen gelten können,
wenn sie das wollen . Was heißt das? Wir möchten, dass
es anders als auf den ganz normalen Akutstationen auf
den Palliativstationen nicht darum geht, ein Mehr an Angebot für den Patienten bieten zu müssen, um gewisse
Gelder abrechnen zu können . Der Gedanke, der hinter
der Hospiz- und Palliativversorgung steht, ist ja ein ganz
anderer, nämlich dass es auch in Ordnung ist, wenn ein
Mensch in dieser Situation Therapien wie zum Beispiel
eine Musiktherapie ablehnt . Auch das war uns ein großes Anliegen, dass das den Palliativstationen nicht zum
Nachteil gereicht .
Das alles gehörte zum Bereich „Stärkung der bestehenden Strukturen“ . Außerdem wollen wir das Ganze natürlich auch auf die Bereiche ausweiten, die vorher vielleicht etwas zu wenig berücksichtigt wurden . Es geht da
ganz speziell um die palliativmedizinischen Dienste . Das
ist in dem Gesetzentwurf ganz vorbildlich geregelt . Wie
kann man sich das vorstellen? Man kann sich das vorstellen wie Konsiliardienste: Für den Fall, dass ein Patient auf einer Station in einem Krankenhaus ist, das, weil
es relativ klein ist, keine Palliativstation vorhält, haben
wir jetzt die Möglichkeit geschaffen, dass auch kleinere Krankenhäuser multiprofessionelle Dienste anbieten
können, indem dort ein Team aus Ärzten, ausgebildeten
Krankenschwestern und Pflegern zu den Menschen auf
die Stationen gehen kann . Somit wird überall dort, wo
schwerstkranke oder sterbende Patienten liegen, eine
Versorgung gewährleistet .
Wir haben auch ein Advance Care Planning eingeführt, also ein vorausschauendes Planen: Wie möchte ich,
wenn ich im Pflegeheim bin, das Ende meines Lebens
verbringen? Da sollen eben alle Akteure mit einbezogen
werden . Es soll für den Patienten oder für den Bewohner
eines Pflegeheims keine Pflicht sein, sondern es ist eben
ein weiteres Angebot, das wir schaffen . Es ist eine neue
Struktur und etwas sehr Wertvolles .
({1})
Wir wollen zukünftig auch regeln - das wurde schon
angesprochen -, ab welchem Zeitpunkt ein Patient aus
dem Pflegeheim in ein Hospiz gehen darf. Das ist wichtig, weil es Situationen gab, in denen der Patient nach
dem Krankenhausbesuch zwangsweise wieder ins Pflegeheim musste, aber vielleicht ein Hospiz besser gewesen wäre . Auch das ist etwas ganz Wertvolles .
({2})
Schön ist auch - unser Minister hat es angesprochen -,
dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung
ein eigenes Forschungsprogramm für den ganzen Bereich auflegt, weil wir da in gewisser Weise noch Defizite
haben, vor allem bei der Frage: Wie wirkt sich die Begleitung Sterbender auf die Gesundheit der Angehörigen
aus? Ich erhoffe mir durch diese zusätzlich zur Verfügung
gestellten Mittel auch in diesem Bereich ein besseres
Vorankommen . Es hat mich ganz besonders gefreut, dass
unser Staatssekretär Stefan Müller auf der Palliativstation der Universitätsklinik Erlangen im vergangenen
Monat die Erklärung zur Unterstützung der „Charta zur
Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in
Deutschland“ unterschrieben hat . Dadurch bekennt sich
auch das Ministerium dazu, gerade in diesem Bereich immer auf dem neuesten Stand der Forschung sein zu wollen . Das wissen wir sehr zu schätzen .
({3})
Neben die Stärkung und die Ausweitung tritt natürlich
zum Schluss die Kontrolle . Auch wir werden uns weiter mit diesem Thema befassen und werden überprüfen,
ob die Maßnahmen, die wir jetzt ergriffen haben, ausreichend sind, und zwar durch Prüfaufträge, die wir an
die Krankenkassen gegeben haben . Diese sollen die entsprechenden Daten liefern und auswerten . Uns ist es ein
Anliegen, dadurch eine einheitliche Datengrundlage zu
bekommen .
Insgesamt deckt dieses Gesetz wirklich alle Bereiche
ab, die man sich nur vorstellen kann . Deswegen gilt mein
Dank natürlich dem Gesundheitsminister und unserer
Staatssekretärin Frau Annette Widmann-Mauz, die ganz
vorbildlich auch die Berichterstatter mit eingebunden haben . Es war ein sehr gutes Miteinander .
({4})
Ich komme zum Schluss: Ich möchte den Ehrenamtlichen, den Pflegekräften, den Ärzten, den Seelsorgern,
den Psychologen, den Hospizkoordinatoren, den Vertretern in der Hospizakademie und den Experten ganz herzlich für ihre Arbeit danken und ganz klar sagen: Sie müssen wissen, dass die Politik den Wert Ihrer Arbeit erkennt
und sehr schätzt . Wir wissen auch, dass alle Menschen,
die in diesem Bereich tätig sind, diesen Beruf nicht einfach so ausüben, sondern es für sie Berufung ist . Deswegen ein herzliches „Vergelts Gott!“ für diese Arbeit, die
Sie tun .
({5})
Pia Zimmermann ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren auf
den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
bekannt, dass wir etwa 60 Hospizplätze pro 1 Million
Einwohner haben . Wir wissen auch, dass für gut 90 Prozent derer, die aus dem Leben scheiden, palliativmedizinische und hospizliche Maßnahmen infrage kommen .
Ebenso ist auch bekannt, dass Krankenhäuser und Pflegeheime zu über 70 Prozent den institutionellen Rahmen
bilden, in welchem das Sterben stattfindet.
Herr Gröhe, ich gehe einmal davon aus, dass wir uns
darüber einig sind, dass die Bedürfnisse und Betreuungsansprüche von schwerstkranken und sterbenden
Menschen unabhängig vom Ort und von der Art der Unterbringung zu betrachten sind . Wenn Bedürfnisse und
Betreuungsansprüche identisch sind, bedeutet das natürlich auch, dass auch eine gleich gute Versorgung stattfinden muss, unabhängig vom Aufenthaltsort. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, Herr Gröhe, wie es sein
kann, dass die Sozialkassen für einen Hospizplatz circa
6 500 Euro und für einen Pflegeheimplatz mit den gleichen Versorgungsleistungen nur ungefähr 2 000 Euro zur
Verfügung stellen . Das ist doch eine Ungleichbehandlung . Ich würde gerne wissen, wie Sie das den Menschen
außerhalb des Parlamentes erklären wollen .
Für uns ist nämlich klar: Sie ändern mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hospiz- und
Palliativversorgung an dieser Situation nichts . Die Leistungen müssen identisch sein, meine Damen und Herren,
für alle Menschen in diesem Lande!
({0})
Das wurde im Übrigen auch bei der Anhörung im Ausschuss von den Sachverständigen und den Verbänden
sehr deutlich formuliert . Sie aber nehmen das nicht ernst .
Das ist für uns sehr bedauerlich; denn die Fraktion Die
Linke bleibt bei der Auffassung: Es muss Schluss sein
mit der Zweiklassenbetreuung! Sterbende Bewohnerinnen und Bewohner in stationären Pflegeeinrichtungen
müssen in den gesetzlichen Leistungen Hospizbewohnerinnen und Hospizbewohnern gleichgestellt werden .
Alles andere ist und bleibt ungerecht .
({1})
Meine Damen und Herren, kein Mensch sollte
Schmerzen haben, die verhindert werden können . Ich
glaube, diesen Satz würden wir alle in diesem Hause
unterschreiben . Da gibt es keinen Widerspruch . Umso
mehr verwundert es mich, dass Sie einen Gesetzentwurf
vorlegen, der eine strukturelle Ungleichbehandlung bei
der palliativmedizinischen Versorgungssituation von
Schmerzpatienten in Pflegeeinrichtungen gegenüber
hospizlich Betreuten nicht aufhebt . Alle Bewohnerinnen
und Bewohner einer stationären Pflegeeinrichtung zahlen gemeinsam die Pflegeentgelte, und sie alle werden
durch die als Bestandteil der Pflegeleistungen finanzierte
Behandlungspflege höher belastet. Daran ändert auch Ihr
Hospiz- und Palliativgesetz nichts, obgleich dies nicht
nur vom Bundesrat in seiner Stellungnahme angemahnt
worden ist, sondern auch seit langem von vielen Sozialverbänden gefordert wird .
Werte Kolleginnen und Kollegen, nicht einmal für
stationäre Hospize befürworten Sie eine gesetzliche Verpflichtung, Anhaltswerte für eine notwendige Personalausstattung festzusetzen . Noch dringlicher ist dies für
Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen wie auch für
den ambulanten Bereich .
Wir alle wissen - das haben wir heute schon mehrfach
gehört -: Die meisten Menschen wollen zu Hause sterben . Wenn wir eine regelhafte Sterbebegleitung haben
wollen, dann bedeutet das für die Pflegedienste sehr viel
mehr Arbeit und sehr viel mehr Dienstleistungen . Dafür
benötigen wir endlich einen anderen Personal- und Sachkostenschlüssel und endlich eine grundlegende Reform
der Pflegeversicherung,
({2})
die nicht nur das Teilleistungsprinzip aufhebt, sondern
auch eine Angleichung der Finanzierung der Sterbebegleitung in Pflegeheimen an das Niveau der Hospize gewährleistet .
Letztlich, meine Damen und Herren, versäumt Ihr
Gesetzentwurf leider auch, einen präzisen, in allen Gesetzbüchern gleich lautenden Rechtsanspruch auf eine
hochwertige Hospiz- und Palliativversorgung zu formulieren . Dies müsste unabhängig von der Art der ErkranEmmi Zeulner
kung, von der Art der Behinderung, vom individuellen
Lebensort und von der Versicherungsform gewährleistet
werden . Ja, daran ändert auch nichts, dass Sie über die
Rahmenvereinbarung etwas mehr präzisieren wollen,
wann Wechsel aus stationären Pflegeeinrichtungen in ein
Hospiz möglich werden .
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
es finden sich durchaus zahlreiche Verbesserungen in Ihrem Gesetz, aber grundlegende Ungerechtigkeiten und
Leerstellen bleiben bestehen . Ich sage Ihnen hier eines:
Auch nach der Verabschiedung dieses Gesetzes besteht
dringender Reformbedarf . Wir brauchen eine Hospizund Palliativpflege, die die Würde des Menschen, unter
Beachtung seiner Selbstbestimmung am Lebensende, in
den Mittelpunkt stellt . Dafür werden wir weiter kämpfen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({3})
Das Wort erhält nun die Kollegin Hilde Mattheis für
die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist gut, dass wir heute über die Verabschiedung eines Gesetzes debattieren, das von einer so breiten Mehrheit im
Parlament getragen wird . Denn eines ist uns allen, wie
ich glaube, in der Debatte klar geworden: Dieses Thema taugt nicht zum politischen Schlagabtausch . Denn es
geht bei diesem Thema darum, dass wir diejenigen, die
am Lebensende unsere Hilfe brauchen, nicht alleinlassen . Das ist ein politischer Ansatz, der, von einer breiten
Mehrheit getragen, unser politisches Handeln bestimmt
und sich jetzt in diesem Gesetzentwurf widerspiegelt .
({0})
Ja, wir alle haben eine Vorstellung davon, wie unser
Leben enden soll . Wir alle haben die Hoffnung, dass das
möglichst schmerzfrei und im Kreise unserer Lieben geschieht . Nicht immer ist das möglich, ja; aber auch im
Krankenhaus werden ein würdevolles Lebensende und
ein gutes Sterben gewährleistet .
Ich möchte an dieser Stelle nun nicht darüber lamentieren, dass es womöglich im Krankenhaus nicht die
bestmögliche Versorgung gibt, sondern unseren Ansatz
hervorheben: Mit diesem Gesetz ist es jetzt möglich,
multiprofessionelle Teams in kleinen Krankenhäusern,
aber auch Palliativstationen in größeren Krankenhäusern
zu unterstützen . Das ist wichtig .
({1})
Denn egal wo man ist, man braucht am Lebensende
nicht nur medizinischen Beistand, sondern womöglich
auch seelsorgerischen Beistand, pflegerischen Beistand,
der über eine medizinische Versorgung hinausgeht, oder
sozialen Beistand . Und das gilt nicht nur für diejenigen,
die am Lebensende stehen, sondern womöglich auch für
die Angehörigen . Deshalb ist auch dieser Aspekt wichtig:
Multiprofessionelle Teams bedeuten, dass auch Angehörige die Begleitung ohne Angst miterleben können, weil
sie Unterstützung erhalten .
({2})
Ich will an dieser Stelle einige Aspekte hervorheben:
Ja, wir haben in Deutschland eine breite Hospizbewegung . Wir wollen sie unterstützen . Die vielen Frauen und
Männer, die sich in der Hospizbewegung engagieren die Zahl 80 000 steht da im Raum -, sind diejenigen, die
ihre Freizeit, ihren Lebensmut und ihre Lebenserfahrung
in die Begleitung einbringen . Sie zu unterstützen, die
Übernahme der Sachkosten auszuweiten und ihnen weitere Mittel zum Beispiel für eine Trauerbegleitung zuzusagen, ist ein wichtiges Anliegen .
({3})
Es ist auch wichtig, eine bessere Vernetzung all dieses ehrenamtlichen Engagements mit der professionellen
pflegerischen Unterstützung und medizinischen Versorgung hinzubekommen . Es geht uns also auch um die Vernetzung .
({4})
All die Modellvorhaben, die es da schon gibt, weisen uns
den Weg; diese wollen wir finanziell unterstützen.
Schließlich geht es auch darum, die finanzielle Unterstützung der stationären Hospize zu erhöhen - aber nicht
auf 100 Prozent der Kosten . Wer sich darüber wundert,
sollte mit Vertretern der Hospizbewegung sprechen .
Dann stellt man nämlich fest, wie wichtig es ist, dass sich
gesellschaftliches Engagement auch ein Stück weit über
Spenden zeigt, und dass wir, wie es mit einer hundertprozentigen Finanzierung der Fall wäre, die Tür nicht öffnen
dürfen für eine geschäftsmäßige Hospizbewegung .
({5})
Der Bereich der Kinderhospize stellt eine besondere
Herausforderung dar . Wir alle wollen uns eine solche Situation im eigenen Leben gar nicht vorstellen; das ist so
schlimm, das ist nicht zu überbieten . Deswegen wollen
wir durch entsprechende Rahmenverträge dafür sorgen,
dass auch der besonderen Situation der Geschwisterkinder und der Eltern Rechnung getragen wird . Das ist
wichtig . Klar ist nämlich: Wir als Politik müssen den
Herausforderungen in diesem Bereich der Hospizbewegung und der palliativen Versorgung begegnen und zeigen, welches Menschenbild uns trägt . Uns sind folgende
Aspekte dabei besonders wichtig: die Wahrung der Menschenwürde bis zuletzt, die Begleitung bis zuletzt und
auch die Unterstützung der Angehörigen . All dem wollen
wir Rechnung tragen .
({6})
Ich darf mich an dieser Stelle herzlich bei Ihnen dafür
bedanken, dass die Debatte sehr getragen war von dem
einheitlichen Willen und Bestreben, in diesem Bereich
durch politische Rahmenbedingungen da Hilfestellungen
zu geben, wo Menschen der Hilfe bedürfen .
Vielen Dank .
({7})
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Harald Terpe
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
leisten mit der Verabschiedung des Hospiz- und Palliativgesetzes einen würdigen Beitrag zur Beantwortung der
uns alle in der Bevölkerung bewegenden Frage: Wie können und wollen wir unser Leben am Lebensende erleben?
Unser Leben am Ende erleben, ohne erdrückende Angst,
frei von Schmerzen und ohne Einsamkeit, möglichst inmitten einer tragenden Familie, inmitten von helfenden
Freunden - das bestimmt die Wünsche der Menschen .
Auf die lebendige tragende Hilfe kommt es an .
Es berührt mich immer wieder, wenn ich erlebe, mit
welcher Empathie und welcher Kraft Ehrenamtliche in
den Hospizdiensten sehr erfahren helfen und zunehmend
dort einspringen, wo durch die sich wandelnde Gesellschaft die Familie zu klein geworden ist oder Freunde
fehlen . Ich denke, wir alle sind den Ehrenamtlichen zu
größtem Dank verpflichtet.
({0})
In der Diskussion über den vorliegenden Gesetzentwurf konnte es deshalb nur heißen: Ehrenamt und
Hauptamt fördern . Ehrenamt - das ist für mich das Familiäre, das ist ein Grundwert der Gesellschaft an sich .
Als Abgeordneter erlebe ich die zweite tiefgreifende
gesetzliche Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung . Ich bin mir sicher, dass die Entwicklung weitergeht und auch weitergehen muss, zum Beispiel, was
die Überwindung der uns allen bekannten regionalen Unterschiede in der Hospizversorgung angeht . Aber - das
muss auch gesagt werden - wir werden die Probleme, die
beispielsweise die Pflege betreffen, nicht im Rahmen der
Palliativ- und Hospizgesetzgebung lösen . Diese müssen
wir vielmehr im Rahmen der Pflegegesetzgebung lösen.
Das muss ganz deutlich gesagt werden .
({1})
Durch die neuen gesetzlichen Regelungen zu den Kinderhospizen ist ein wichtiger Baustein gesetzt worden,
um die regionalen Unterschiede zu beseitigen . Das ist
mir ganz besonders wichtig . Aber auch die Fördermöglichkeit von professionellen Palliativteams in Regelkrankenhäusern - das ist schon mehrfach gesagt worden - ist
ein wichtiger Schritt zur flächendeckenden Versorgung.
Ich erhoffe mir davon einen Motivationsschub für die
in einigen Regionen notwendigen Investitionen in stationäre Hospize . Es war mir ein besonderes Anliegen,
dass auch Investitionen in stationäre Hospize irgendwie
organisiert werden . Ich glaube, das ist im Gesetzentwurf
angelegt; denn durch ihn könnte die regionale Gesundheitswirtschaft zu regionalen Förderprogrammen motiviert werden . Ich jedenfalls wünsche mir das und fordere
dazu auch ausdrücklich auf, weil wir damit eine flächendeckende Versorgung erreichen können .
({2})
Die fraktionsübergreifende Arbeit am Hospiz- und
Palliativgesetz ist ein gutes Beispiel für eine ergebnisoffene Zusammenarbeit, für einen diskursiven Politikstil .
Ich wünsche mir, ohne einer Einheitspartei das Wort zu
reden, dass wir auch bei anderen Inhalten die Kraft dazu
finden können.
({3})
Dies ist jedenfalls der Zeitpunkt, um sich für die vielen
Diskussionen zu bedanken . Insbesondere bedanke ich
mich bei Annette Widmann-Mauz, und natürlich ihren
Mitarbeitern, mit denen wir sehr konstruktiv zusammenarbeiten konnten .
({4})
Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir ein gutes Gesetz
geschaffen haben und dass dies ein guter Zwischenschritt
auf dem Weg der Weiterentwicklung des Hospiz- und
Palliativsystems in unserem Land ist .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({5})
Hubert Hüppe ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wir werden morgen eine DeHilde Mattheis
batte über die Zulässigkeit oder das Verbot der Beihilfe
zur Selbsttötung führen .
({0})
Die Debatte darüber führen wir seit vielen Monaten . Egal
wie das morgen ausgeht, eines hat diese Debatte auf jeden Fall bewirkt, nämlich dass wir uns vermehrt über
Palliativmedizin und Hospize Gedanken machen . Das
ist, denke ich, ganz wichtig .
Es ist zwar schon ein paarmal gesagt worden, trotzdem möchte auch ich es sagen: Hermann Gröhe hat, als
er das Amt übernommen hat, das tatsächlich sofort zur
Chefsache gemacht . Das fand ich richtig .
({1})
Ich fand es auch sehr gut - Harald Terpe hat es gerade
gesagt -, dass alle Parteien mitgewirkt haben und alle
Parteien die Chance hatten, sich einzubringen, und man
nicht, wie es manchmal reflexartig geschieht, gesagt hat:
Jetzt kommt es von den anderen, jetzt lehnen wir das
ab . - Vielmehr hat man gefragt: Was ist gut? Was können
wir übernehmen? Was ist wichtig für die Menschen? Ich
finde, das ist sehr gut für dieses Parlament. So kann man
auch hier durchaus von einer Sternstunde sprechen .
({2})
Wir verabschieden heute den Entwurf eines Hospizund Palliativgesetzes . Ich glaube, dies ist auch ein wichtiger Beitrag zur Suizidprävention; über einen Antrag
dazu werden wir noch sprechen . Wir wollen, dass die
Menschen würdig sterben können . Wir wollen, dass Sterbende menschliche Zuwendung bekommen . Wir wollen,
dass jedem die beste pflegerische, medizinische und seelsorgerische Hilfe angeboten wird . Und wir wollen, dass
jeder Mensch die letzte Phase seines Lebens in der Umgebung verbringen kann, in der er wirklich sterben will .
Da viele zum Schluss mit ihren Angehörigen zusammen
sein wollen, wollen wir auch, dass den Angehörigen geholfen wird, die sich um ihre Verwandten oder Partner
kümmern, sie pflegen und ihnen helfen.
({3})
Es ist auch richtig, dass wir gestern im Gesundheitsausschuss noch einige Änderungen angenommen haben,
vor allen Dingen einige Änderungen, mit denen die ambulante Hilfe gestärkt wird . Da ging es nämlich um wichtige Punkte, die wir bis dahin noch nicht berücksichtigt
hatten . Wir haben zwar seit 20 Jahren eine Hospizbewegung und eine verbesserte Palliativmedizin, aber es ist
offensichtlich noch längst nicht alles erreicht . Ich verstehe auch, wenn man sagt, dass der Gesetzentwurf noch
nicht alles enthält .
Aber, ich denke, ganz wichtig ist auch: Wir haben gestern im Zuge der Veränderungen an diesem Gesetz noch
einmal zahlreiche Berichtspflichten eingeführt. Ich bin
kein Freund von vielen Berichtspflichten; das gebe ich
zu . Aber gerade im Bereich der Palliativversorgung haben wir ja erlebt, dass wir manches beschlossen haben,
das dann von den Beteiligten nicht so umgesetzt worden
ist . Deswegen sagen wir: Ihr müsst uns noch einmal darlegen, ob ihr es wirklich so umgesetzt habt, ob die Qualität besser geworden ist und - vor allen Dingen - ob es
für die Menschen besser geworden ist, die in ihren letzten
Stunden die Hilfe brauchen .
({4})
In der eben schon einmal zitierten Studie der Bertelsmann-Stiftung wurde gezeigt, dass drei Viertel der Menschen zu Hause sterben möchten, aber nur 20 Prozent
der Menschen tatsächlich zu Hause sterben . Knapp die
Hälfte der Menschen verbringt ihre letzten Tage im Krankenhaus, ein Drittel in Pflegeheimen.
Tatsache ist aber auch, dass das kein Zufall ist . Vielmehr hängt es von der entsprechenden Unterstützung in
der Region ab . Das kann man auch an den unterschiedlichen Zahlen sehen: Wo viele niedergelassene Ärzte eine
Zusatzqualifikation in der Palliativmedizin haben, da, wo
wir Netze haben, wo wir viele Ehrenamtliche haben, wo
die Versorgung ambulant unterstützt wird, verbringen
mehr Menschen ihre letzten Tage zu Hause . In Nordrhein-Westfalen sterben 49 Prozent in einem Krankenhaus, in Baden-Württemberg nur 41 Prozent . Das hat damit zu tun, dass dort die Versorgung besser ist . Ich habe
jetzt zwei Länder genannt, die eine ähnliche politische
Führung haben . Bei diesen Zahlen geht es aber nicht um
einen politischen Streit, sondern sie verdeutlichen die
Tatsache: Da, wo ambulant geholfen wird, können die
Menschen zu Hause sterben, also da, wo die meisten von
uns - übrigens auch ich - sterben möchten .
Dies setzen wir mit diesem Gesetz um . Wir geben den
ambulanten Hospizen mehr Geld . Wie viele von Ihnen
habe auch ich in meinem Wahlkreis in den letzten Monaten mit Ehrenamtlichen gesprochen . Viele Hospizdienste
haben das Problem, dass sie die Finanzierung erst spät
bekommen und daher nicht wissen, ob sie am Ende des
Jahres noch Geld haben, um im nächsten Jahr weiterzuarbeiten . Jetzt haben wir gesagt: Sie bekommen das Geld
von der ersten Sterbebegleitung an . - Das ist ganz wichtig .
({5})
Ich will es noch einmal sagen: Es sind die 80 000
Ehrenamtlichen in diesem Bereich in Deutschland, die
den Hospizgedanken tragen . Aber es sind nicht nur die
Ehrenamtlichen - ihnen wurden eben schon zu Recht gedankt -, sondern auch ganz viele Angehörige, die sich
selber zum Teil aufgeben und helfen . Wenn es Helden im
Alltag gibt, dann sind es die Angehörigen, die bis zuletzt
dabei sind und helfen, wenn ihr Partner, wenn ihr Sohn,
wenn ihr Vater, wenn ihre Mutter stirbt . Wir müssen sie
so unterstützen, dass sie dazu in der Lage sind .
({6})
Wichtig ist auch, dass die Menschen wissen, welche Hilfen es gibt . Ich habe in den vielen Diskussionen
gemerkt, dass das nicht der Fall ist . Wenn Sie in Ihrem
Wahlkreis bei einer Veranstaltung darüber sprechen,
dann weiß dort niemand - wenn nicht gerade Fachleute
dabei sind -, welche Möglichkeiten der Unterstützung es
gibt . Es ist nicht bekannt, was der Unterschied zwischen
einer Palliativstation im Krankenhaus und einem Hospiz
ist . Deswegen ist es wichtig, dass wir in diesem Gesetz
geschrieben haben, dass die Menschen wissen sollen,
welche Möglichkeiten es gibt . Wenn dann der Ernstfall
eintritt, muss sichergestellt werden, dass sie entsprechend beraten werden und dass sie die Hilfe auch so in
Anspruch nehmen können, dass sie ihren Bedürfnissen
gerecht wird . Das, denke ich, ist ein ganz wichtiger Punkt
bei diesem Gesetz .
Manchmal wird gefragt - es gibt ja ein paar Stellungnahmen dazu -: Warum zahlt ihr für die stationären Hospize nicht alles? Warum zahlt ihr nur 95 Prozent? Vorher
waren es 90 Prozent; bei den Kinderhospizen waren es
schon länger 95 Prozent . Obwohl ich ein großer Freund
der Kinderhospize bin, finde ich es richtig, dass die Höhe
der Mittel für die Erwachsenenhospize angeglichen worden ist . Kinderhospize sind ganz wichtig . Aber jeder
weiß, dass es für ein Erwachsenenhospiz schwieriger ist
als für ein Kinderhospiz, Spenden zu bekommen . Deswegen ist es wichtig, dass wir die Erwachsenenhospize
gleichgestellt haben . Es war ein Wunsch, zumindest der
meisten Ehrenamtlichen, das nicht voll zu finanzieren,
weil es eben kein Geschäft ist . Vielmehr wollen sie diesen Gedanken in die Bevölkerung tragen, dafür werben
und dafür auch Spenden einsammeln; auch das gehört
zum Engagement .
Ich komme zum Schluss . Ich hoffe, meine Damen und
Herren - ich hoffe das nicht nur, sondern ich weiß und
wünsche es auch -, dass dieses Gesetz dazu beiträgt, dass
die Menschen in der schwächsten Phase ihres Lebens die
Hilfe bekommen, die sie brauchen .
Vielen Dank .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne hat die Präsidentin der Saeima der Republik Lettland, Frau Murniece, mit ihrer Delegation Platz genommen, die ich ganz herzlich hier im Deutschen Bundestag
begrüßen möchte .
({0})
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
begrüßen Sie sehr herzlich, und wir freuen uns über die
gute Zusammenarbeit, die es zwischen unseren Parlamenten gibt und in deren Fortsetzung wir große Erwartungen setzen . Herzlich willkommen!
({1})
Nun hat die Kollegin Helga Kühn-Mengel für die
SPD-Fraktion das Wort .
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Zuhörer und Zuhörerinnen! Ich entschuldige mich für den etwas eiligen Schritt, freue mich aber, zu
diesem Thema reden zu dürfen .
Dieses Gesetz stabilisiert die Strukturen, die wir in
Deutschland im hospizlichen und palliativen Bereich haben, entwickelt sie weiter und schafft wichtige neue Weichenstellungen . Es baut auf Strukturen auf, die wir bereits seit Anfang 2000 geschaffen haben, beginnend mit
der verpflichtenden Finanzierung durch die Krankenkassen in diesem Bereich bis hin zur Einführung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung im Jahre 2007 .
Vieles hat sich seitdem entwickelt . Wir haben ein breites Angebot, nicht überall und nicht flächendeckend, aber
es ist ganz viel in der Entwicklung . Es gibt 1 500 ambulante Dienste, 195 stationäre Hospize, 9 Kinderhospize,
250 Palliativstationen und vor allem - immer wieder ist
das heute gesagt worden - um die 100 000 Ehrenamtliche, die in diesem Bereich arbeiten, die nicht nur Zeit,
Erfahrung und Kompetenz einbringen, sondern auch
qualitätsgestützt weitergebildet werden; das ist ein ganz
wichtiger Punkt .
({0})
Um es vorwegzusagen: Nicht jeder bedarf einer hospizlichen oder einer Palliativversorgung . Aber diejenigen, die dieser Versorgung bedürfen, müssen einen Zugang dazu haben . Deswegen ist es gut, dass dieses Gesetz
mehr Möglichkeiten schafft . Die Betroffenen und die
Familien müssen die Angebote kennen . Wir wissen aus
verschiedenen Befragungen, dass dies bei weitem nicht
der Fall ist . Karl Lauterbach hat beschrieben, wie sehr
durch eine Palliativversorgung die Lebensqualität gesteigert werden kann . Es wird auch Zeit gewonnen für Begegnungen und dafür, um Dinge zu regeln . Hinzu kommt
die Tatsache - ich habe das hier schon einmal gesagt -,
dass sich der Wunsch, zu sterben, unter dieser Behandlung hochsignifikant verringert.
Es gibt eine Befragung des Deutschen Hospiz- und
PalliativVerbandes zum Begriff „Hospiz“ . Der Begriff
war 89 Prozent der Befragten bekannt, die richtige Bedeutung aber nur 66 Prozent . 49 Prozent der Befragten
hatten schon einmal von Palliativbehandlung gehört,
aber nur ein Drittel von ihnen kannte die Inhalte dieser
Versorgung . 78 Prozent wussten nicht, dass die hospizliche Betreuung zu Hause kostenlos ist; auch das ist ein
wichtiger Punkt . Es gibt noch mehr interessante Ergebnisse dieser Befragung .
Die Bertelsmann-Studie wurde bereits erwähnt . Das
Interessante an ihr ist, dass sie das große Gefälle zwischen den Regionen aufzeigt . Man kann sehen: Dort, wo
es gute Palliativangebote gibt, verringert sich die Zahl
derjenigen, die für das Sterben in ein Krankenhaus gehen, deutlich .
Wir haben uns mit all diesen Dingen beschäftigt . Es
wurde schon gesagt: Die Krankenkassen tragen zukünftig 95 Prozent - eine Erhöhung von 90 auf 100 Prozent
wurde also nicht erreicht - der zuschussfähigen Kosten
der Hospizeinrichtungen . Wir wollen den ehrenamtlichen Ansatz, den es seit Cicely Saunders gibt, die diese
Bewegung in Gang gesetzt hat, unbedingt aufrechterhalten . Diese Bewegung lebt davon .
Ganz wichtig ist, dass auch im ambulanten Bereich
die Zuschüsse für die unterschiedlichen Ansätze, die es
dort gibt, erhöht werden . Es gibt daneben regionale Besonderheiten, zum Beispiel in den ländlichen Regionen,
wo mehr Fahrtkosten anfallen . Und auch die Trauerbegleitung, die jetzt endlich besser finanziert werden kann,
ist erwähnt worden . Dies alles macht deutlich, dass wir
die Ehrenamtlichen im Blick haben, denen man gar nicht
oft genug danken kann .
({1})
Es gibt einen kleinen Punkt, an dem ich dem Kollegen
Hüppe widerspreche: Der Gesetzentwurf enthält in der
Tat viele Berichtspflichten. Ich halte sie aber für sinnvoll,
weil sie uns - sie sind an verschiedenen Stellen installiert - ein Gesamtbild von der Versorgung geben können,
und das ist gerade auch mit Blick auf weiße Flecken sehr
wichtig .
({2})
Ein weiteres Element - es ist nicht so spektakulär,
aber hochwichtig - ist die gesundheitliche Versorgungsplanung . Die Heime und die Einrichtungen für Menschen
mit Behinderungen müssen hier mit den Ärzten zusammenkommen und sich Gedanken über die Versorgung
in der nächsten Zeit machen . Das ist aufgrund der notwendigen Kooperation, aber auch deswegen, weil diese
Leistungen aus dem SGB V bezahlt werden, ein ganz
wichtiger Punkt .
Wir sind froh - das war im ursprünglichen Gesetzentwurf nicht enthalten -, dass wir nun die multiprofessionellen Teams in die Krankenhäuser bringen können . Ich
darf sagen: Das ist für die SPD ein ganz zentraler Punkt .
Daneben gibt es mehr Bewegung bei Verträgen mit niedergelassenen Ärzten und Palliativmedizinern . Außerdem gibt es die Möglichkeit, Netzwerke zu schaffen . Das
alles sind Elemente, die Bewegung und Entwicklung in
diesen Bereich bringen werden .
Von daher kann man zusammenfassend sagen: Wir
sind nicht am Ende, aber wir haben mit diesem Gesetzentwurf ganz wichtige Bausteine zum Wohle derjenigen
definiert, die sich auf der letzten Wegstrecke des Lebens
befinden.
Vielen Dank .
({3})
Heiko Schmelzle ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hospiz- und
Palliativversorgung in Deutschland ist das Ergebnis eines mehrjährigen Prozesses, also die gesetzgeberische
Zusammenfassung einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion über die Frage, wie wir in Deutschland mit der
letzten Phase des Lebens umgehen .
Der Gesetzentwurf basiert auf Erfahrungen vieler
Menschen . Er nimmt die Anregungen von Betroffenen,
von Angehörigen, aber eben auch von den am Versorgungsgeschehen Beteiligten und von Experten auf . Mein
Dank richtet sich an alle, die so konstruktiv an diesem
Prozess mitgewirkt haben .
({0})
Mein besonderer Dank gilt aber denjenigen, die tagtäglich im Ehrenamt oder im Beruf ambulant oder stationär Menschen in der letzten Phase ihres Lebens begleiten .
Sie machen die verbleibenden Tage für die Betroffenen
und ihre Angehörigen wieder lebenswert . Dafür ein ganz
herzlicher Dank!
({1})
Praktiker haben über Jahre Strukturen aufgebaut . Diese Strukturen wollen wir mit unserem Gesetz erhalten
und stärken . Kooperation und Koordination zwischen
Ärzten, Pflegediensten, Pflegeheimen, Krankenhäusern
und Hospizen gilt es zu verbessern . Die Hospiz- und Palliativversorgung ist von unten gewachsen . Hier geht es
darum, dieses aus ehrenamtlichem und beruflichem Engagement Gewachsene nicht zu gefährden . Heute geben
wir der Palliativ- und Hospizversorgung einen gesetzlichen Rahmen und machen sie zu einem Teil der Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung .
({2})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bertelsmann-Stiftung hat dieser Tage Ergebnisse einer Studie
zur Betreuung sterbender Menschen vorgestellt . Das Ergebnis ist eindeutig: 6 Prozent können sich ein Sterben
im Krankenhaus vorstellen . Tatsächlich stirbt jedoch von
den Älteren in unserer Gesellschaft fast jeder Zweite im
Krankenhaus . Die Studie zieht daraus den Schluss, dass
die ambulante palliative Versorgung ausgebaut werden
muss, um dem Wunsch der Menschen entsprechen zu
können .
Das zweite wichtige Ergebnis lautet: Dort, wo viele niedergelassene Ärzte erreichbar sind, die auch über
die Zusatzqualifikation im Bereich der Palliativmedizin
verfügen, und wo ein gutes und breites Netz ambulanter
Palliativversorgung besteht, können wir den Menschen
ihren Wunsch nach einem Lebensende zu Hause ermöglichen . Die Bertelsmann-Stiftung folgert daraus, dass der
Grundsatz „ambulant vor stationär“ Voraussetzung dafür
ist, dass Menschen die letzte Phase ihres Lebens so weit
wie möglich im vertrauten Umfeld verbringen können .
Allerdings darf uns die Studie nicht dazu verleiten,
Hospize und Krankenhäuser geringzuschätzen . Im Gegenteil: Es geht vielmehr darum, alle Strukturen - egal,
ob ambulant oder stationär - zu stärken und besser miteinander zu vernetzen .
({3})
Genau diesen Ansatz verfolgen wir mit dem Gesetz
zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung .
Wir wollen durch das Gesetz erreichen, dass wir in den
Krankenhäusern, den Pflegeheimen und den Hospizen,
aber auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege ein
flächendeckendes Angebot bekommen. Es darf auf Dauer
keinen Unterschied bei der Palliativ- und Hospizversorgung machen, in welcher Region ein Betroffener bzw . ob
er in der Stadt oder auf dem Land wohnt .
({4})
Es ist wichtig, das Sterben an den bisherigen Lebensmittelpunkt der Betroffenen zurückzuholen, wenn dies
ihr Wunsch ist . Denn nur, wenn Ängste genommen und
Schmerzen gelindert werden, sind ein Abschiednehmen
und ein Gehen in Würde möglich . Deshalb ist die ambulante Begleitung so wichtig .
Bei ambulanten Hospizdiensten werden künftig neben
den Personalkosten auch die Sachkosten - zum Beispiel
Fahrtkosten der ehrenamtlichen Mitarbeiter - bezuschusst . Ziel ist es aber insbesondere, dass das Angebot
der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung flächendeckend zur Verfügung steht .
Wir dürfen aber nicht übersehen, dass es vielen Betroffenen aufgrund ihrer Krankheitsumstände nicht möglich ist, bis zum Lebensende zu Hause zu bleiben . Darum
sieht das Gesetz auch eine bessere finanzielle Ausstattung von stationären Hospizen vor . Der Mittelzuschuss
der Krankenkassen für die Einrichtungen wird von 90
auf 95 Prozent der zuschussfähigen Kosten erhöht . Den
Hospizen war es wichtig, die restlichen 5 Prozent weiter selbst - auch durch Spenden - zu erwirtschaften . Bei
einer Vollfinanzierung hätten sonst ehrenamtliche Strukturen und das bürgerschaftliche Engagement Schaden
genommen .
Daneben regeln wir auch die notwendige Besserstellung von Krankenhäusern, die Palliativmedizin anbieten .
Künftig sollen diese Krankenhäuser zur Verbesserung
ihrer Palliativversorgung krankenhausindividuelle Entgelte vereinbaren können, weil der normale Entgeltmechanismus Krankenhäuser eigentlich dafür belohnt, eine
Leistung häufig zu erbringen. Aber Mengensteuerung
passt gerade nicht zum Anliegen dieses Gesetzes .
Schließlich machen wir die Sterbebegleitung zum
ordentlichen Bestandteil des Versorgungsauftrages der
gesetzlichen Pflegeversicherung. Daneben sollen Pflegeheime künftig Kooperationsverträge mit Haus- und
Fachärzten schließen können, um eine qualitativ hochwertige palliativmedizinische Versorgung ihrer Bewohner sicherzustellen, die durch eine zusätzliche Vergütung
auch abgesichert wird .
Insgesamt soll die Sterbebegleitung in Pflegeheimen
und Krankenhäusern durch die Einbeziehung ambulanter
Hospizdienste bzw . durch die Möglichkeit, für ihre Einrichtung Palliativdienste zu beauftragen, gestärkt werden . Damit stärken wir den Qualitätsansatz und sorgen
für eine Professionalisierung der Sterbebegleitung durch
die Einbindung und Vernetzung besonders qualifizierter
Versorgungsangebote .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das Hospizwesen ebenso wie die Palliativdienste haben den zuvor vorrangig medizinischen Ansatz der Sterbebegleitung
durch menschliche und seelsorgerische Aspekte ergänzt .
Die Anerkennung unserer Endlichkeit und das Bemühen,
den Betroffenen und den Angehörigen für das Abschiednehmen Raum zu geben, ist ein wichtiger Schritt, um in
der letzten Phase des Lebens die Würde zu erhalten . Die
Begleitung durch speziell hierfür ausgebildete Menschen
ist ein Segen für die Betroffenen . Sie ermöglicht es den
Menschen, sich für das Leben zu entscheiden, auch wenn
diese letzte Phase für alle Beteiligten eine sehr schwere
ist .
Wenn meine Zeit gekommen ist, wünsche ich mich an
der Hand eines Menschen, der mich begleitet . Möge das
Gesetz so wirken, dass es mittelfristig flächendeckend in
ganz Deutschland eine gute Palliativ- und Hospizversorgung gibt .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({5})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Bettina Müller für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Herr Minister Gröhe! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Heute ist ein guter Tag für einen Versorgungsbereich, der in unserer Gesellschaft und in unserem Gesundheitswesen lange ein Schattendasein geführt hat . Ich
selbst habe als ehemalige Krankenschwester noch Zeiten erlebt, in denen Menschen zum Sterben auf die Flure oder ins Badezimmer abgeschoben wurden . Gott sei
Dank hat sich hier vieles zum Besseren verändert .
Trotzdem haben wir Nachholbedarf im ambulanten
und stationären Bereich, in strukturschwachen ländlichen
Regionen und bei der Versorgung von schwerkranken
Kindern und Jugendlichen . Es kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Versorgungsqualität im
palliativen Bereich davon abhängt, wo man lebt . Deshalb
müssen die Strukturen vor allem in bisher unterversorgten Gebieten ausgebaut werden . Deshalb brauchen wir
gute Beratungsangebote . Deshalb muss Hospiz- und Palliativversorgung sowohl in der Medizin als auch in der
Pflege zum festen Bestandteil der Ausbildung werden.
({0})
Daher ist es gut, dass wir am Tage vor der Debatte
über die Sterbehilfe ein Gesetz verabschieden, das Verbesserungen in vielen der angesprochenen Bereiche auf
den Weg bringt .
Wir stärken zum einen die Versorgung im stationären
Bereich . Die meisten Menschen wünschen sich zwar,
zu Hause im Kreise der Familie sterben zu dürfen . Die
Realität sieht leider anders aus . Nahezu die Hälfte aller Menschen stirbt in Kliniken . Davon haben aber nur
15 Prozent eine Palliativstation . Gerade für die kleineren
kommunalen Einrichtungen ist das Vorhalten einer Palliativstation oftmals unrentabel und kaum zu stemmen .
Im HPG ist hier die Möglichkeit zur Kooperation dieser Häuser mit multiprofessionellen Teams vorgesehen .
Dadurch kann auch in kleinen Krankenhäusern auf dem
Land eine angemessene und qualitativ hochwertige palliative Versorgung sichergestellt werden .
Wir stärken zum anderen die ambulante Palliativversorgung sowie die Vernetzung der unterschiedlichen Angebote . Dabei darf die Sicherstellung einer breiten und
flächendeckenden Versorgung nicht zulasten der Qualität
gehen . Alle Bausteine des Versorgungsmixes, den wir
planen, stehen daher unter einem klaren Qualitätsvorbehalt . Dazu gehören auch die umstrittenen Selektivverträge . Sie stellen die palliative Versorgung auch da sicher,
wo dies über die SAPV-Verträge nicht oder noch nicht
möglich ist .
Ein gut funktionierendes Beispiel - das ist schon angesprochen worden - ist hier das Modell in Westfalen-Lippe . Hierzu gab es eine heftige und in manchen Aspekten aus meiner Sicht auch nicht ganz nachvollziehbare
Fachdebatte, die sich um Fragen der Qualität, aber auch
um die Abgrenzung einzelner Akteure drehte . Ich meine,
der jetzt vorliegende Gesetzentwurf macht deutlich, dass
die Qualitätsanforderungen der SAPV auch dann gelten,
wenn diese mit einer AAPV gemeinsam vertraglich vereinbart wird . Damit verhindern wir eine Palliativversorgung light. Qualität, Zusatzqualifikationen und eine enge
Anbindung an ein SAPV-Team sind unabdingbare Voraussetzungen für einen Einsatz in diesem Bereich .
({1})
Die stärkere Einbindung der Hausärzte in die Palliativversorgung bleibt für mich, liebe Kolleginnen und
Kollegen, unverzichtbar; denn sie haben oft über Jahre
hinweg einen intensiven, einen vertrauensvollen Kontakt
zu ihren Patienten . Durch die durchgängige Betreuung
kann dieser auch aufrechterhalten werden . Das ist sehr
wichtig; denn wir wollen mehr Menschen zu Hause versorgen, damit sie in ihrer vertrauten Umgebung sterben
können . Wir brauchen daher nicht nur ein Mehr an palliativer Versorgung . Wir brauchen auch die Vielfalt von
Versorgungsformen und die Vernetzung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gute gesetzliche
Rahmen sind eine Sache . Diese Rahmen auch vertraglich mit Leben zu erfüllen, ist eine andere Sache . Die Berichte zur Umsetzung der SAPV haben gezeigt, dass das
Vertragsgeschehen zeitlich immer etwas hinterherhinkt .
Deshalb fordere ich alle Akteure der Selbstverwaltung
auf, die Vorgaben des HPG zügig, entschlossen und auch
mit der entsprechenden Kooperationsbereitschaft umzusetzen, damit wir endlich die weißen Flecken in diesem
Bereich in unserer Republik wegbekommen .
({2})
Als Berichterstatterin für die Gesundheitsberufe
möchte ich an dieser Stelle auch darauf verweisen - der
Kollege Terpe hat dies schon gesagt -, dass die Vorgaben des HPG natürlich nur mit genügend Fachpersonal
zu stemmen sind .
({3})
Wir reden hier nicht von Berufseinsteigern, sondern von
langjährig erfahrenen Kräften, die über Weiterbildung an
diese schwere, an diese belastende Aufgabe herangeführt
werden . Hier müssen wir über das HPG hinaus in Bezug auf die Fort- und Weiterentwicklung noch dringend
nacharbeiten .
({4})
Die Fachkräftesicherung in der Palliativversorgung
muss zudem Teil einer Gesamtstrategie für den zukünftigen Personalbedarf in der Pflege sein; denn nur wenn wir
ausreichend qualifiziertes Pflegepersonal haben, können
wir daraus auch zukünftig Spezialisten für die Palliativpflege rekrutieren.
({5})
Insofern gilt der bekannte Grundsatz: Nach dem Gesetz ist auch immer vor dem Gesetz .
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbes-
serung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutsch-
land . Dazu liegen mir zwei Erklärungen zur Abstimmung
nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir wie im-
mer dem Protokoll beifügen .1)
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
18/6585, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksachen 18/5170 und 18/5868 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um
ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? ({0})
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit
breiter Mehrheit bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheiten angenommen .
Unter dem Tagesordnungspunkt 3 b setzen wir die
Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 18/6585 fort .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5202 mit dem Titel
„Hochwertige Palliativ- und Hospizversorgung als soziales Menschenrecht sichern“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion der
Grünen angenommen .
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/4563 mit dem Titel „Gute Versorgung
am Lebensende sichern - Palliativ- und Hospizversorgung stärken“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den Tagesordnungspunkt 4 aufrufe, möchte ich noch eine besondere Gratulation adressieren . Der Kollege Volker
Beck ist vom Zentralrat der Juden mit dem renommierten
Leo-Baeck-Preis ausgezeichnet worden, in Würdigung
seines langjährigen Einsatzes für die Anliegen der jüdischen Gemeinde in Deutschland und für seinen Kampf
gegen Antisemitismus . Ich möchte ihm dazu im Namen
des Hauses ganz herzlich gratulieren .
({1})
1) Anlage 2
Er wird hoffentlich damit einverstanden sein, wenn
ich darin auch eine Anerkennung seines und unseres parlamentarischen Wirkens in diesem Anliegen sehe, dem
er als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe in einer besonderen Weise verpflichtet ist.
Herzlichen Glückwunsch, lieber Herr Beck!
({2})
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
Drucksache 18/6489
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auch diese Debatte soll nach einer interfraktionellen
Vereinbarung 77 Minuten dauern . - Das ist offenkundig
einvernehmlich . Dann können wir so verfahren, sobald
sich der Schichtwechsel einigermaßen vollzogen hat . Es
wäre schön, wenn diejenigen, die bleiben wollen, sich
auch setzten, und diejenigen, die gehen müssen, nun auch
tatsächlich gingen .
({4})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Frau Johanna Wanka .
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten in den letzten zehn Jahren im Wissenschaftssystem
grundlegende Veränderungen, die dazu geführt haben,
dass die Karrierechancen und Entwicklungsmöglichkeiten für eine Vielzahl von jungen Forscherinnen und Forschern gestärkt wurden . Die Milliarden, die neu in das
System geflossen sind, haben über die unterschiedlichsten Pakte und Initiativen auch sehr viele Beschäftigungsverhältnisse erzeugt .
Wenn man sich fragt, wie der wissenschaftliche Nachwuchs in Deutschland jetzt aufgestellt ist, dann muss
man feststellen: Er ist exzellent ausgebildet, und er hat
auch beste berufliche Perspektiven. Denn nach der Promotion tritt die Mehrheit in der Regel sofort in der Wirtschaft oder in der Wissenschaft in den Beruf ein, und sie
verdient im Vergleich mit anderen Kategorien überdurchschnittlich gut .
Aber man muss ehrlicherweise auch sagen, dass für
das Wissenschaftssystem selbst nicht gilt, dass sich die
Karrierechancen verbessert haben . Dort haben sich die
Chancen für junge Spitzenforscher nicht verbessert; sie
haben sich vielmehr verschlechtert, weil die Zahl der unbefristeten Stellen nicht in dem Maße gewachsen ist wie
die Zahl der befristeten . Dort driftet die Schere also ausPräsident Dr. Norbert Lammert
einander . Deswegen ist es ganz entschieden notwendig,
dass in diesem Bereich etwas geändert wird .
({0})
Das heißt, wir benötigen eindeutig mehr unbefristete
Stellen im Hochschulbereich bzw . im Wissenschaftsbereich .
Um diese unbefristeten Stellen zu schaffen, sind verschiedene Maßnahmen notwendig . Eine Voraussetzung
haben wir vonseiten der Bundesregierung geschaffen:
Weil die BAföG-Mittel zu 100 Prozent vom Bund übernommen werden, fließen 1,2 Milliarden Euro jährlich
vom Bund in die Länder . Das bietet denen die Möglichkeit - die Möglichkeit! -, dass man damit unbefristete
Stellen schafft,
({1})
zum Beispiel für IT-Techniker oder Laboringenieure .
Denn das ist kein projektgebundenes Geld, sondern es
wird dauerhaft gezahlt . Damit kann man sofort, wenn
man es denn will, Dauerstellen einrichten . Ob das gemacht wird, liegt in der Hoheit und der Entscheidungsfreiheit der Länder . Aber an dieser Stelle ist vonseiten des
Bundes gehandelt worden . Nun kann man hochrechnen,
wie viele Stellen möglich wären . Es könnten Tausende
sein . Aber es kommt darauf an, ob man es will und die
Mittel in diesem Bereich auch dafür einsetzt .
({2})
Ein weiterer Punkt, bei dem es in die gleiche Richtung
geht, ist: Ich verhandele momentan mit den Landesministern darüber, wie sich die Karrierechancen verbessern,
verlässlicher und planbarer machen lassen . Wenn man
sich die internationale Entwicklung anschaut, dann stellt
man fest, dass es unter wettbewerblichen Aspekten außerordentlich wichtig ist, dass junge Leute wissen, wie es
um die Karrierechancen in Deutschland bestellt ist . Viele
wollen aus den USA gerne zurückkommen . Deswegen ist
dieser Bereich von zentraler Bedeutung .
Bei meiner Zielstellung, verlässliche und planbare
Karrierechancen zu schaffen, möchte ich zwei Sachen
erreichen: zum einen durch das Mittel Tenure Track, dass
die Entscheidung früher fällt - natürlich nach Wettbewerbskriterien und mit hohen Anforderungen -, ob jemand dauerhaft eine Spitzenstellung im Wissenschaftssystem erhält, und zum anderen, dass mehr Dauerstellen
bzw . Professorenstellen vorhanden sind . Wenn uns das
gelingt, sind wir in der Lage, die besten jungen Leute in
diesem Land zu halten oder aus dem Ausland zu holen .
Wir signalisieren damit klar: Es gibt neben dem bestehenden System eine weitere attraktive Karrieremöglichkeit in Deutschland .
Selbst wenn das entsprechend gelingt, ist Fakt, dass
der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftssystem naturgemäß - wegen Qualifizierung und
Fluktuation - hoch sein muss . Das heißt, es muss viele
befristete Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftssystem
geben, egal ob sie nun in Sonderforschungsbereichen,
durch Exzellenzcluster oder durch Hochschulpakte realisiert werden . Weil es immer so war und weiterhin so sein
wird, dass wir befristete Stellen in einer nennenswerten
Größenordnung brauchen, ist das Arbeitsrecht im Wissenschaftssystem anders als das normale Arbeitsrecht .
Zwar sieht auch das normale Arbeitsrecht Befristungen
vor . Aber das Wissenschaftssystem braucht Sonderregelungen, weil dort befristete Stellen originärer Bestandteil sind . Wie mir meine Kollegen gesagt haben, gibt es
seit 1987 Sonderregelungen für Befristungen im Wissenschaftsbereich. Trotzdem finde ich, dass die Wissenschaftszeitvertragsregelungen, die Anfang des Jahrtausends verabschiedet wurden, sehr gut sind, weil sie die
sachgrundlose Befristung eingeführt haben . Das bedeutete eine deutliche Veränderung und unterstrich die Sonderstellung des Wissenschaftsbereichs . Dieser Bereich
bekommt für Befristungen ganz andere Regeln als die im
normalen Arbeitsrecht . Das ist sehr gut .
Nun stellt sich die Frage, warum wir das novellieren
wollen . Wir wollen das Gesetz novellieren, weil es Fehlentwicklungen gibt .
({3})
- Die Fehlentwicklungen?
({4})
- Okay, Herr Rossmann, ich dachte zuerst, dass Sie die
Fehlentwicklungen meinen . Ich hatte es auch nicht ernst
gemeint .
({5})
- Angekommen .
Momentan läuft es in die falsche Richtung . Es ist eine
eindeutige Fehlentwicklung, dass über 50 Prozent aller
jungen Wissenschaftler, die einen befristeten Vertrag haben, ihren ersten befristeten Vertrag mit einer Laufzeit
von unter einem Jahr abschließen . Dafür gibt es überhaupt keine plausible Begründung .
({6})
Es läuft auch falsch, wenn die guten Leute, die wir zum
Beispiel in den technischen Fakultäten als Laboringenieure für Forschungsprojekte und dauerhaft für die Lehre
und die Laborgestaltung brauchen, unbefristete Daueraufgaben übernehmen, aber Verträge bekommen, die
über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz realisiert werden . Dadurch entsteht für die Betreffenden große Unsicherheit . Diese müssen sich von Vertrag zu Vertrag hangeln, obwohl sie eine wichtige Daueraufgabe erfüllen .
Das sind zwei der Punkte, die uns dazu veranlasst haben,
das Gesetz zu novellieren .
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat also das Ziel,
die Arbeitsbedingungen für die befristet beschäftigten
Mitarbeiter gut zu gestalten . Es ist ein Arbeitsrechtsinstrument und eine gesetzliche Grundlage . Das heißt, dieses
Gesetz kann in juristischer Hinsicht Grundlage sein, um
zu regeln und anzuregen . Es kann aber nicht alle ProbleBundesministerin Dr. Johanna Wanka
me lösen, die ich gerade beschrieben habe . Da ich später
Redebeiträge erwarte, in denen erst einmal aufgelistet
wird, was im Hochschulsystem geändert werden müsste,
und der großen Enttäuschung Ausdruck verliehen wird,
dass das nun durch das novellierte Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht abschließend geregelt wird, sage ich:
Das kann es gar nicht leisten . Vielmehr handelt es sich
hier um einen wichtigen Baustein .
({7})
Wir haben zwei Interessenlagen . Da ist zum einen
die Interessenlage der jungen Leute, die natürlich vernünftige Arbeitsbedingungen haben wollen, die keine
Kurzzeitverträge haben wollen und die in der Familienplanungsphase Sicherheit über einen längeren Zeitraum
brauchen . Das ist völlig klar . Wir haben auf der anderen
Seite - das ist dem nicht entgegengesetzt, aber auch das
ist berechtigt - die Interessenlage der Hochschulleitung .
Die Hochschulen müssen sich im Wettbewerb behaupten;
das verlangen wir . Wir verlangen internationale Sichtbarkeit. Dafür müssen sie flexibel und innovativ sein, und
sie müssen auf neue Entwicklungen reagieren können .
Das sind die zwei Interessenlagen .
Es galt bei der Gesetzesfindung, der Novelle, diese
beiden Interessenlagen auszutarieren und eine gute Lösung zu finden, die beiden Seiten gerecht wird, also die
Hochschulen nicht unnötig stark einschränkt, zum anderen aber die Arbeitsbedingungen für die befristet eingestellten Mitarbeiter wirklich verbessert . Wir haben mit
dem Gesetz, das Ihnen jetzt vorliegt und über das heute
in der ersten Lesung befunden wird, geregelt, dass diesen unnötigen und unerklärbaren Kurzzeitbefristungen
ein klarer Riegel vorgeschoben wird . Jetzt ist es nur noch
möglich, eine Befristungsdauer anzugeben, die sich an
der Qualifizierungsphase orientiert.
({8})
Manche Hochschulpräsidenten empören sich jetzt
darüber, dass diese Befristungen an Qualifizierungen
gebunden sind . Das war aber schon immer so; das war
die Intention. Das muss jetzt nur konsequent begründet
werden .
({9})
Nun gab es die Vorschläge in der Diskussion - auch
wir haben darüber gestritten bzw . diskutiert - zu Mindestvertragslaufzeiten . Eine Mindestvertragslaufzeit
von 24 Monaten war einer der Vorschläge, die auch im
Bundesrat gemacht wurden . Das bedeutet eine Mindestlaufzeit für den ersten Vertrag . Es besteht aber überhaupt
keine Sicherheit, ob es danach nicht genau wieder diese Kurzzeitverträge gibt, die wir mit unserem Vorschlag
unterbinden . Zum anderen gibt es eine Einschränkung,
sodass vielfältige Dinge überhaupt nicht mehr möglich
sind .
Wenn jemand seinen Bachelor erworben und einen ordentlichen Professor hat, der ein gutes Drittmittelprojekt
mit einer Firma hat, und sich dieser Student in diesem
Projekt qualifiziert und vielleicht sogar die Chance hat,
dort eingestellt zu werden, dann ist das eine Riesenchance, die man ihm nicht verbauen kann, indem man von
vornherein solche Fristen setzt . Deswegen haben wir in
unserem Gesetzentwurf die gute Bindung an die Qualifizierungszeit, also die Dauer der Projekte, Drittmittelprojekte, Promotion etc ., aber nicht diese starre Vorgabe
von 24 Monaten . Das wäre für die Hochschulen eine Katastrophe .
({10})
Es gab auch den Vorschlag, dass man bei der Erstqualifizierung die Befristung stufenmäßig realisiert und
dann erst die Befristung bei Drittmittelfinanzierung erlaubt . Das Beispiel, das ich eben erwähnte, ist ein gängiges Beispiel und zeigt, dass die Befristung bei Drittmittelfinanzierung zu jedem Zeitpunkt möglich sein muss.
Qualifizierung heißt nicht immer Promotion. Der Erwerb
von Kompetenzen in einer bestimmten Industrierichtung
mündet nicht immer formal in die Promotion, sondern es
gibt vielfältige Dinge, die für den Einzelnen eine Qualifizierung bedeuten.
({11})
Die zeitliche Befristung von Stellen für Daueraufgaben ist jetzt nicht mehr möglich . Für diese Daueraufgaben müssen von den Hochschulen entsprechende Dauerstellen finanziert werden. Trotzdem ist es möglich, dass
man, wenn man ein Forschungsprojekt hat, dort temporär, befristet Spezialisten des nichtwissenschaftlichen
Personals einstellt . Diese Möglichkeit ist überhaupt nicht
eingeschränkt, dann aber mit einem ordentlichen Befristungsgrund .
Wir unterhalten uns hier manchmal über die Nachteile
des Föderalismus, wobei ich eine vehemente Vertreterin
des Föderalismus bin . An der Stelle kommt die Mobilität ins Spiel . Im Schulbereich macht der Wechsel von
einem Bundesland in ein anderes häufig Ärger. Im Wissenschaftsbereich ist Mobilität zwingend notwendig . Sie
müssen im akademischen Bereich irgendwo studieren, an
einem anderen Ort Assistent sein, promovieren oder was
auch immer . Deswegen muss die Mobilität gewährleistet
werden . Wir haben die Gewährleistung dieser Mobilität
als Kernbestandteil im Gesetz stehen, die für die gesamte
Bundesrepublik Deutschland gilt . Deswegen darf es keine Aufhebung der Tarifsperre geben . Es darf nicht sein,
dass die einzelnen Tarifpartner Sonderregelungen treffen
und wir wieder einen Flickenteppich bekommen .
({12})
- Nein, in unserem Gesetz nicht . Sie müssen sich die Novelle richtig anschauen . Zu Ihren Vorschlägen komme ich
noch . - Die Familienkomponente ist im Gesetz gestärkt
worden, es erfolgt eine Ausdehnung auf Stiefkinder und
Pflegekinder, auch für Menschen mit Behinderung wird
mehr getan .
({13})
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen befürwortet Verträge, wobei die Befristung an eine Betreuungsvereinbarung gebunden ist . Ich bin überhaupt nicht gegen Betreuungsvereinbarungen in einer Promotionsphase .
({14})
Es gibt eine Reihe von Promoventen, die sich freuen würden, wenn sie so etwas hätten . Aber es kann nicht richtig
sein, alles zu reglementieren und immer mehr zwingende
Voraussetzungen zu schaffen .
({15})
Es muss in Deutschland weiter möglich sein, dass ein
kluger Student promoviert, ohne dass er krampfhaft eine
Betreuungsvereinbarung oder etwas Ähnliches vorweist .
({16})
Daran darf eine Promotion nicht geknüpft sein .
Völlig unabhängig davon fällt es nicht in die Kompetenz des Bundes, eine solche Vereinbarung vorzuschreiben . Wenn überhaupt, dann unterliegt eine solche
Vorschrift sozusagen der wissenschaftlichen Ausprägung
durch die Hochschulen .
Vonseiten der Linken gibt es die Überlegung, Tenure Track zwingend an die Befristung von Qualifizierung
zu binden . Das bedeutet de facto die Schaffung einer Art
Übernahmegarantie . Das kann natürlich nicht funktionieren . Denn wir sind nicht nur für die verantwortlich, die
jetzt im System sind, für die, die jetzt einen Bacheloroder einen Masterabschluss machen oder promovieren,
sondern wir müssen auch der Generation danach Chancen
offenhalten . Deswegen kann dieses System nicht einfach
aufgefüllt werden . Außerdem ist es völlig widersinnig,
zu glauben, dass die Tausenden junger Leute, die sich in
den letzten Jahren qualifiziert haben, das Ziel einer Professur haben. Diese jungen Menschen qualifizieren sich
für die unterschiedlichsten Tätigkeiten .
Insofern, glaube ich, ist es in diesem Gesetzentwurf
sehr gut gelungen, die unterschiedlichen Interessenlagen
auszutarieren . Ich würde mich freuen, wenn dieses Gesetz großen Anklang fände . Es verbessert die Situation,
und es erhöht die Attraktivität einer Karriere im Wissenschaftssystem . Das gilt gerade für die, von denen wir uns
das wünschen .
Danke schön .
({17})
Das Wort erhält nun die Kollegin Nicole Gohlke für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Zu Beginn meiner Rede möchte ich mich gerne bei
den Gewerkschaften und den Beschäftigten in der Wissenschaft bedanken . Die Aktiven an den Hochschulen
und an den Wissenschaftseinrichtungen sowie bei GEW
und Verdi haben lange dafür Druck gemacht, dass das
Problem der schlechten Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft überhaupt sichtbar gemacht wird und dass wir
heute endlich einen Gesetzentwurf zur Novellierung des
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes diskutieren . Vielen
Dank dafür!
({0})
Fast 800 000 Menschen arbeiten in Deutschland in der
Wissenschaft, und es ist schon krass, dass so schlechte
Arbeitsbedingungen in so einer großen Branche so lange
möglich sind . Noch einmal kurz die Zahlen: 90 Prozent
der Beschäftigten an Hochschulen sind befristet beschäftigt . 50 Prozent der Verträge laufen bestenfalls ein Jahr,
viele deutlich kürzer . Junge Menschen, die auf einer drittmittelfinanzierten Stelle arbeiten, laufen Gefahr, ihren
Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie ein Kind bekommen .
Da fragt man sich: Hat das die Große Koalition nicht mitbekommen, oder warum hat es so lange gedauert, bis Sie
zu diesem Thema einmal aktiv geworden sind?
({1})
2011 - noch einmal zum Mitschreiben: 2011 - ist der
Evaluationsbericht der Bundesregierung zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz erschienen, mit eindeutigen Ergebnissen, wie viel Handlungsbedarf besteht, und dann
haben Sie vier Jahre gewartet, bis Sie auf die Ergebnisse
Ihrer eigenen Studie reagiert haben . Das ist wirklich unglaublich!
({2})
Jetzt haben Sie einen so unverbindlich formulierten
Vorschlag vorgelegt, dass der wohl kaum dazu führen
wird, wirkliche Mindeststandards für „gute Arbeit“ zu
setzen . Unverbindliche Formulierungen - das ist ja wohl
auch klar - kommen natürlich vor allem den Arbeitgebern zugute .
Die Arbeitgeber haben ordentlich Druck gemacht,
damit sich an den Zuständen im Wissenschaftsbereich
möglichst wenig ändert . Regelrechte Horrorszenarien
wurden an die Wand gemalt, als sich die Novellierung
des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes abzeichnete . Wissenschaftliches Spitzenpersonal könne gar nicht mehr
angeworben werden, hieß es da, und der ganze Wissenschaftsstandort Deutschland sei in Gefahr . Dabei ist das
Gegenteil der Fall: Gute Arbeitsbedingungen, ein sicherer Arbeitsplatz und verlässliche Karrierewege sind Voraussetzungen für gutes wissenschaftliches Arbeiten .
({3})
Ich sage Ihnen: Wenn Spitzenforschung nur möglich sein soll, wenn die Mehrheit der Beschäftigten zu
schlechten Bedingungen arbeitet, dann pfeife ich auf die
Spitze, weil das ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft wäre .
({4})
Unsichere Lebensverhältnisse und regelrecht ausbeuterische Arbeitsverhältnisse müssen beendet werden, und da
darf die Wissenschaft sicherlich keine Ausnahme bilden .
Ziel muss doch sein, dass die sozialversicherungspflichtige Dauerstelle wieder zum Normalfall wird in der
Wissenschaft,
({5})
und zwar für alle und rechtssicher . Gemessen an diesem
Ziel hat die Bundesregierung wirklich noch einiges nachzuarbeiten .
Gut ist, dass jetzt endlich der überfällige Schritt gegangen wurde und das nichtwissenschaftliche Personal
aus dem Geltungsbereich des Gesetzes herausgenommen
wurde . Der Missbrauch, der damit über Jahre hinweg betrieben wurde, war wirklich unfassbar .
Der Personalrat an der Technischen Uni in München
hat eine Erhebung über die Einstellungspraxis beim wissenschaftsunterstützenden Personal gemacht, also bei
den Menschen, die in Verwaltung, Technik und Bibliothek arbeiten . Sie hat ergeben, dass sage und schreibe
92 Prozent der Neueinstellungen nur einen befristeten
Vertrag bekommen haben . 92 Prozent! Das ist eine unfassbare Zahl und zeigt vor allem eines: dass die letzte
Große Koalition mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2007 ein Instrument zur Sonderbefristung geschaffen hat, um einfach alle, die Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler genauso wie die Hausmeisterei oder
die IT-Abteilung, nur noch prekär zu beschäftigen .
({6})
Das ist die Verantwortung von Union und SPD . Sie könnten einfach einmal eingestehen, dass das wirklich ein
großer Fehler war .
({7})
Deswegen ist es fahrlässig, wie viele Dinge die Große
Koalition jetzt weiterhin ungelöst lässt bzw . zum Nachteil der Beschäftigten belässt . Sie sagen zwar, dass Sie die
sachgrundlose Befristung zukünftig an die wissenschaftliche Qualifizierung, also zum Beispiel an eine Doktorarbeit, binden wollen . Aber es liegt doch auf der Hand,
dass es dafür vor allem einen Anspruch der Beschäftigten
auf Qualifizierung während der Arbeitszeit geben muss.
Warum regeln Sie das nicht eindeutig?
({8})
Nach wie vor sollen Eltern, die auf einer Drittmittelstelle arbeiten, keinen Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerung nach der Elternzeit haben . Aber bei der Gewährung
von Familienzeiten muss doch Gleichbehandlung gelten;
das muss doch jeder und jedem gleichermaßen möglich
sein . Wie können Sie so eine Ungleichbehandlung und
eine Regelung stehen lassen, die am Ende wirklich jede
Lebensplanung von jungen Menschen zunichtemacht?
Weiterhin halten Sie an der Tarifsperre fest, daran,
dass es in der Wissenschaft den Gewerkschaften untersagt ist, eigene tarifvertragliche Regelungen mit den Arbeitgebern auszuhandeln .
Kolleginnen und Kollegen, zwei Dinge sind doch eigentlich klar:
Erstens . Der vorliegende Gesetzentwurf muss dringend überarbeitet werden . Das fordert die Linke, das
fordern die Gewerkschaften, und das fordert auch der
Bundesrat .
Zweitens . Es bleibt zu fragen, warum es für den
Wissenschaftsbereich überhaupt ein Sonderarbeitsrecht
braucht .
({9})
Spezifika im Wissenschaftsbetrieb wie die Qualifizierung
oder die projektbezogene Arbeit dürfen doch bitte sehr
nicht zur Umgehung von arbeitsrechtlichen Mindeststandards führen .
({10})
Die Linke ist gegen jede sachgrundlose Befristung
und gegen Kettenbefristung - in der Wissenschaft ganz
genauso wie in jeder anderen Branche, und ein Wissenschaftszeitvertragsgesetz macht nur dann Sinn, wenn es
Mindeststandards für gute Arbeit definiert. Das muss dieses Gesetz leisten .
Vielen Dank .
({11})
Das Wort erhält der Kollege Hubertus Heil für die
SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Art und Weise, wie wir mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs in unserem Land heute umgehen,
entscheidet maßgeblich über die Frage, ob Deutschland
auch zukünftig ein modernes und innovatives Land ist .
An dieser Stelle gilt bezogen auf den Gesetzentwurf und
das, was wir für den wissenschaftlichen Nachwuchs jetzt
tatsächlich auf den Weg bringen, der Satz: Wer morgen
gut und sicher leben will, der muss heute für Reformen
sorgen . - Es ist eine gute Investition in die Zukunft, dass
wir uns heute tatsächlich um bessere Karriere- und Lebensperspektiven von jungen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern kümmern .
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:
Auch für uns als Sozialdemokraten gilt: Wissenschaft,
das heißt auch immer Konkurrenz und Wettbewerb von
Ideen, von Ansätzen, auch von Personen . Auch darauf
basiert wissenschaftlicher Fortschritt . Das heißt ganz
klar: Nicht jeder und nicht jede wird im Wissenschaftssystem erfolgreich sein, und es ist auch gar nicht das Ziel,
dass jede junge Forscherin, jeder junge Forscher im Wissenschaftssystem selbst verbleibt . Es werden auch viele
in der Wirtschaft gebraucht, in der Gesellschaft, in der
öffentlichen Verwaltung, an anderen Stellen . Aber ganz
klar ist auch: Die Bedingungen sind heute so, dass uns
viele gute junge Leute, die wir zukünftig im Wissenschaftssystem, in der außeruniversitären Forschung und
an den Hochschulen brauchen, zu früh verloren gehen,
und das ist ein Grund für dieses Gesetz, meine Damen
und Herren .
({0})
Wie ist die Ausgangslage? Ich glaube, über die Befunde gibt es große Übereinstimmung im Haus . Wenn ich an
die Rede der Ministerin und meiner Vorrednerin denke,
die politisch von unterschiedlichen Ecken der Erde kommen, muss ich sagen: Es gibt zumindest in der Betrachtung der Wirklichkeit Gemeinsamkeiten .
Die Ausgangslage ist ganz klar: Wir haben zum einen
ein Riesenwachstum im Bereich der wissenschaftlichen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Folge - Frau
Ministerin Wanka hat es gesagt -, dass der Aufwuchs
an unbefristeten Stellen in diesem Bereich damit nicht
Schritt gehalten hat . Eine Zahl ist in diesem Zusammenhang übereinstimmend festzustellen: 90 Prozent aller
Verträge sind befristet .
Zweitens - auch das ist eine Ursache für die jetzige
Situation - sind die Personalstrukturen an unseren Hochschulen so, dass in vielerlei Hinsicht das Prinzip „Professur oder nichts“ gilt . Das gilt in vielen anderen Ländern
auf der Welt nicht . Auch das ist eine Ursache für diese
Entwicklung .
Drittens gilt immer noch, dass wir in diesem Land
nicht nur eine Befristungsquote von 90 Prozent unter den
wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
haben, sondern dass auch die Berufung auf eine Professur viel zu spät erfolgt . Übrigens sind Promovenden im
Alter von 35 bis 45 Jahren doppelt so häufig von Befristung betroffen wie ihre nicht promovierten Altersgenossinnen und -genossen . Das ist kein guter Befund .
Diese Entwicklung ist merkwürdigerweise auch der
Fluch der guten Taten . Wir haben in den letzten Jahren
viel Gutes zur Expansion unseres Wissenschaftssystems
getan: durch die Pakte, durch die Exzellenzinitiative,
durch den Qualitätspakt Lehre, durch den Hochschulpakt 2020, durch den Pakt für Forschung und Innovation . Das heißt, wir haben viel getan, aber es ist - das ist
im Bericht zu lesen - ein Flaschenhals im Bereich des
wissenschaftlichen Nachwuchses entstanden . Das ist in
zweierlei Hinsicht ein Problem: Es ist ein Problem der
Gerechtigkeit gegenüber den Menschen, die im Wissenschaftssystem leben, lernen, arbeiten und forschen, und
ihren sozialen Lebensperspektiven, und es ist ein ökonomisches und qualitatives Problem, wenn wir die Potenziale derer, die wir in diesem Land gut ausgebildet
haben, im Wissenschaftssystem und vor allen Dingen im
Herzstück unseres Wissenschaftssystems, an den Hochschulen in Deutschland, nicht vernünftig zur Entfaltung
bringen .
({1})
Aber die von Frau Gohlke und von Frau Wanka angesprochene Tatsache, dass von den 90 Prozent der befristeten Arbeitsverträge mehr als die Hälfte, also jeder
zweite Arbeitsvertrag, eine Laufzeit unterhalb eines
Jahres hat, hat nicht nur mit Fehlentwicklungen zu tun,
sondern auch mit dem Missbrauch des Befristungsrechts .
Mit dieser Novelle steuern wir gegen .
({2})
Wenn wir also die gleichen Befunde haben, geht es
jetzt um die Frage: Mit welchen Maßnahmen steuern wir
gegen? Meine Kollegin Raatz wird noch im Detail auf
den Gesetzentwurf eingehen. Ich finde, dieser Kompromiss ist mit Augenmaß gefunden worden . Es war keine
einfache Diskussion, auch in der Koalition . Die SPD war
ja die Kraft, die dafür gesorgt hat, dass dieses Projekt
der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in
den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde . Wir haben
intensive Gespräche geführt . Wir haben, Frau Ministerin,
glaube ich, gemeinsam einen guten Gesetzentwurf auf
den Weg gebracht .
({3})
- Vorsicht . Nicht so nervös werden, Herr Rupprecht . Es
ist noch früh am Morgen .
({4})
- Ich sage ja: Wir haben gemeinsam einen guten Gesetzentwurf auf den Weg gebracht . Aber Sie sehen an der
Freude der Sozialdemokratie, dass wir gar nicht so unglücklich sind über das, was wir aufgrund unserer Initiativen gemeinsam erreicht haben .
Was den wissenschaftlichen Nachwuchs betrifft, machen wir damit einen notwendigen, aber keinen hinreichenden Schritt . Denn Tatsache ist: Wir können dem
Missbrauch durch diese Novelle des Arbeitsrechts entgegenwirken, aber wir schaffen damit noch keine neuen
Stellen . Deshalb ist es richtig gewesen, dass die Koalitionsspitzen auf ihrer Klausurtagung in Göttingen, Herr
Kollege Kretschmer, vereinbart haben, dass auch wir
als Bund neben dem, was wir an BAföG-Entlastungen
für die Länder, die damit eigenständig etwas tun können
Hubertus Heil ({5})
und sollen, auf den Weg gebracht haben, mehr für den
wissenschaftlichen Nachwuchs tun wollen . Auch wir als
Bund wollen in den nächsten Jahren Geld in die Hand
nehmen, um die Situation in diesem Bereich zu verbessern . Wir haben diesen Flaschenhals aufzubohren .
({6})
Das geht nur, wenn wir zu einem Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs zwischen Bund und Ländern
kommen . Mit dieser fraktionsübergreifenden Initiative
zwischen CDU/CSU- und SPD-Bundestagsfraktion haben wir die vorhin beschriebenen Gespräche, die jetzt
zwischen Ländern und Bund stattfinden, initiiert. Ich
möchte sagen, was unser Wunsch und unser Ziel für die
Gespräche ist: Es ist notwendig, dass wir in diesem Bereich ein Bund-Länder-Programm auf den Weg bringen,
das tatsächlich neue Karrierewege mit neuen Personalkategorien neben, aber auch unterhalb der Professur ermöglicht, und sich so ein moderner Mittelbau entwickelt .
({7})
Zwölf Länder, die SPD-Bundestagsfraktion und auch die
Allianz der Wissenschaftsorganisationen sagen eindeutig: Ja, wir brauchen diesen Anreiz für einen modernen
Mittelbau, auch für Daueraufgaben . Wenn wir keine Veränderung bei den Personalstrukturen erreichen und keine
neuen Karrierewege eröffnen, bleiben wir auf halbem
Wege stehen .
Es ist ohne Zweifel so - das ist die Position von zwölf
Bundesländern, es ist unsere Position als SPD-Bundestagsfraktion, und es ist auch die Position der Wissenschaftsallianz -, dass dieser Pakt drei Dimensionen ansprechen muss .
Erstens - hier gibt es einen großen Konsens - stehen
wir dazu, ein Tenure-Track-Programm für Hochschullehrer auf den Weg zu bringen und zusätzliche Tenure-Track-Optionen zu schaffen, um die Planbarkeit zu
erhöhen .
Zweitens - auch das gehört dazu - brauchen wir ein
Anreizprogramm für neue strukturelle Karrierewege neben und unterhalb der Professur, um neue Personalstrukturen zu entwickeln .
Last, but not least brauchen wir die Förderung von
Karrierekonzepten zur verlässlichen und modernen Personalentwicklung an den Hochschulen .
Das, meine Damen und Herren, sind drei gleichrangige Elemente, die wir brauchen, wenn, Frau Ministerin,
ein Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs diesen Namen verdienen soll .
({8})
Uns ist dabei vollkommen klar, dass auch unsere finanziellen Mittel endlich sind . In der Koalition haben wir
beschlossen, dass wir in den nächsten zehn Jahren dafür
1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen wollen . Ich sage
in Richtung Länder, dass wir erstens erwarten, dass es
auch einen eigenständigen Finanzierungsbeitrag der Länder für ein solches Bund-Länder-Programm geben wird .
({9})
Zweitens - auch das sage ich an die Adresse der Länder erwarten wir, dass es zusätzliche Stellen werden und dass
dafür nichts anderes wegfallen wird .
({10})
Drittens müssen wir dafür sorgen, dass die Mittel für den
Pakt möglichst breit verteilt in die Hochschulen gehen,
über Länderkontingente, beispielsweise nach erfolgreichem Modell des „Qualitätspakts Lehre“ . Diese Ansprüche stellen wir an die Länder . Aber - da beißt die Maus
keinen Faden ab -: Wenn wir ein reines kleines Tenure-Track-Programm machen, dann löst das die Probleme
nicht .
({11})
Wir müssen zusätzlich zum Tenure-Track-Programm
für Personalentwicklungskonzepte sorgen . Wir müssen
Anreize schaffen, dass es neben der Professur - sie ist
Fixierungspunkt - andere strukturelle Karrierewege im
Wissenschaftsbetrieb gibt . Dann schaffen wir einen guten Pakt .
({12})
Zum Schluss, meine Damen und Herren: Beide Bausteine - die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die wir heute in erster Lesung mit einem guten
Gesetzentwurf beraten und zu einem guten Gesetz machen wollen, und ein Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs - haben das Ziel, die Attraktivität im Wissenschaftsbereich als Berufsfeld zu steigern, dafür zu sorgen,
dass Menschen, die einen steinigen und fordernden Weg
vor sich haben, ihn persönlich gut gehen können . Wir
sichern damit die Innovationsfähigkeit in Wissenschaft
und Forschung . Wir sorgen für Fachkräftesicherung im
Wissenschaftssystem . Wir sorgen für ein Mindestmaß an
Beschäftigungssicherheit . Das, meine Damen und Herren, wollen wir umsetzen .
Die Hauptkritik der Linken lautete: Spät . Sie hätten
aber auch sagen können: Besser spät als nie . Das wäre
fair . - Wie auch immer: Wir gehen voran . Ich glaube, das
ist ein guter Tag für den wissenschaftlichen Nachwuchs
in diesem Land .
Herzlichen Dank .
({13})
Vielen Dank . - Kai Gehring von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat als nächster Redner das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der wissenschaftliche Nachwuchs ist Fundament und
Zukunft für ein kreatives und leistungsfähiges Forschungssystem . Er braucht frühe Eigenständigkeit, klare
Hubertus Heil ({0})
Perspektiven, verlässliche Verträge und mehr feste Stellen .
({1})
Die Arbeitsbedingungen und Karrierewege an Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssen besser
werden . Befristungsunwesen ist eine Fehlentwicklung .
Dem Missbrauch von Befristungsrecht muss endlich ein
Riegel vorgeschoben werden .
({2})
Darüber sind wir uns im Bundestag nach jahrelangen Debatten jetzt endlich einig . Was hilft aber all die Einigkeit,
wenn die Bundesregierung das nicht umsetzt?
({3})
Zwei lange Jahre in dieser Koalition und vier Jahre
Regierungszeit davor hat sich nichts für den wissenschaftlichen Nachwuchs bewegt . Es gab nur das Versprechen: Bald tun wir etwas für euch .
({4})
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen nun
fest: Das Warten hat sich nicht gelohnt . Ministerin Wanka hat eine Schmalspurnovelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorgelegt . Ihre Novelle ist an vielen Stellen
wachsweich und wird wenig bewirken, es sei denn, ihr
Entwurf wird noch deutlich nachgebessert .
({5})
Noch schwieriger sieht es beim Nachwuchsprogramm
für zusätzliche Stellen aus . Das hängt in der Warteschleife . Wenn es so weitergeht, verhagelt die Bundesregierung
die Perspektiven für einen Traumjob in der Wissenschaft .
Der Bundestag darf das nicht zulassen .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wissenschaft ist
die Grundlage für Innovationen in unserer Gesellschaft .
Damit aber überhaupt Neues entstehen kann, brauchen
wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die neugiergetrieben quer- und weiterdenken. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind mit Idealismus und mit
Leidenschaft bei der Sache; aber auf Dauer können Idealismus und Leidenschaft schlechte Arbeitsbedingungen
und unsichere Karriereperspektiven nicht kompensieren .
Neugier braucht Sicherheit .
({7})
Der Bund trägt Verantwortung für die Beschäftigten
in der Wissenschaft; denn Arbeitsrecht ist Bundesrecht .
Also nehmen Sie Ihre Bundeskompetenz anständig wahr,
anstatt sie an Länder, Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu delegieren!
Zahlreiche Studien zeigen, wie schlecht es um den
wissenschaftlichen Nachwuchs bestellt ist . Das wichtigste Werk ist der Bundesbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses . 2008 wurde er zum ersten
Mal veröffentlicht . Die Kernaussagen waren damals: Es
fehlt an der Planbarkeit von Karrierewegen . Es fehlen sichere Beschäftigungsmöglichkeiten in der Wissenschaft .
Gerade im Hinblick auf Frauen ist die Durchlässigkeit
des Wissenschaftssystems mangelhaft . Und: Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist insgesamt
nicht nachhaltig . - Das galt 2008, und es gilt auch heute .
Die Probleme sind geblieben .
Allerdings bewegt sich Positives in den Ländern und
in den Hochschulen:
Beispiel Baden-Württemberg . Das Land erhöht die
Grundfinanzierung der Hochschulen bis 2020 um 3 Prozent pro Jahr . Bis zu 3 800 neue Stellen können und werden die Hochschulen dadurch einrichten .
({8})
Beispiel Nordrhein-Westfalen . Hier haben SPD und
Grüne mit Vertretern von Hochschulen und Personalräten den Rahmenkodex „Gute Arbeit“ vereinbart .
({9})
Dieser Kodex geht über Ihre Novelle hinaus . Er soll und
wird nach und nach von den einzelnen Hochschulen in
NRW unterzeichnet .
Beispiel Niedersachsen . Über Zielvereinbarungen mit
den Hochschulen sollen Arbeitsverträge künftig an die
Mindestdauer einer Promotion oder an die Laufzeit von
Forschungsprojekten angeglichen werden .
({10})
Beispiel Hochschulen . Es gibt immer mehr Selbstverpflichtungen, Codes of Conduct, Karriereweg- und
Personalentwicklungskonzepte . Diese gute Praxis vieler
Länder und vieler Hochschulen muss der Bundestag anerkennen .
({11})
- Ja, aber viele Länder und viele Hochschulen sind weiter als diese Bundesregierung . Dass der Bund hier hinterherkleckert, haben wir vor allem der CDU/CSU zu
verdanken .
({12})
Die grüne Bundestagsfraktion hat schon vor eineinhalb
Jahren eine Novelle des WissenschaftszeitvertragsgesetKai Gehring
zes vorgelegt . Unsere Vorschläge und die des Bundesrates müssen in Ihren Schmalspurentwurf einfließen:
({13})
Erstens . Hire and Fire muss ein Ende haben . Es
braucht daher klare Mindestvertragslaufzeiten . In der
Qualifizierungsphase soll sie mindestens zwei Jahre betragen . Auch bei Drittmittelbefristungen brauchen wir
klare Regelungen . Ein Vertrag darf generell nicht kürzer
sein als der Zeitraum der Bewilligung der Drittmittel .
Ohne konkrete Mindestlaufzeiten für Zeitverträge könnten Hochschulen und Forschungseinrichtungen weiter
unzumutbar kurze Verträge abschließen . Da springt Ihr
Entwurf deutlich zu kurz; denn genau diese Missstände
muss die Novelle doch im Kern beheben . Also bessern
Sie hier nach!
({14})
Zweitens . Die Vereinbarkeit von Wissenschaft und
Familie muss besser werden . Immerhin hat die Bundesregierung gegenüber dem Bundesrat die Schwäche ihres
Entwurfs an diesem Punkt eingeräumt . Insofern werden
wir jetzt ganz genau hinsehen, ob und wie die familienpolitische Komponente endlich verbindlicher gestaltet
wird .
Drittens . Es kann sich als problematisch entpuppen,
dass Sie das nichtwissenschaftliche Personal aus dem
Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
herausnehmen . Vom Techniker bis zum Wissenschaftsmanager gilt dann das Teilzeit- und Befristungsgesetz .
Die gutgemeinte Option der Dauerbeschäftigung ist
bei diesem hochspezialisierten Personal aber nur eine
scheinbare . Wenn die Hochschule nicht unbegrenzt ins
Risiko gehen kann, droht Kündigung statt Dauerstelle .
({15})
Sie kennen doch auch die einschlägige Regelung aus
§ 14 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zu vorübergehenden Bedarfen, die sogenannte Projektbefristung . Sie
könnte dazu einladen, dass dann neue Verträge mit Ultrakurzzeitbefristungen abgeschlossen werden . Ich glaube,
dass Zeitverträge über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz für das nichtwissenschaftliche Personal hier mehr
Sicherheit bringen können . Das klingt wie eine Wissenschaft für sich . Wenn man genau hinguckt, kann man nur
sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante!
({16})
Viertens . Die Tarifsperre muss weg; denn dann könnten die Tarifpartner sach- und zeitgerechte Vereinbarungen treffen, die über den gesetzlichen Mindeststandard
hinausgehen .
({17})
All die von mir beschriebenen Änderungen bringen mehr Verlässlichkeit . Mit wachsweichen Soll- und
Kannbestimmungen, mit denen Sie in Ihrer Novelle reihenweise arbeiten, kommen wir nicht weiter . Wir wollen
eine wirksame Novelle und keinen zahnlosen Tiger . Das
ist unser Ziel .
({18})
Wir brauchen also einen verlässlichen rechtlichen Rahmen . Und wir brauchen mehr feste und dauerhafte Stellen
in der Wissenschaft . Wir Grünen haben schon vor Monaten ein Bund-Länder-Programm für mindestens 10 000
zusätzliche Nachwuchsstellen an den Hochschulen vorgeschlagen, vom Mittelbau bis zur Tenure-Track-Professur . Das brächte mehr feste Stufen auf der Karriereleiter
und Impulse für eine moderne Personalstruktur . Wir sehen, dass in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz
ähnlich gedacht wird; allerdings sind sich Frau Wanka
und die Länder noch nicht handelseinig . Wir wollen eine
Einigung . Erlauben Sie mir, dazu noch ein paar Hinweise
zu geben:
Mir erschließt sich nicht, warum das Bundesministerium ausschließlich Tenure-Track-Professuren fördern will . Wenn einige Länder monieren: „Das hilft uns
nicht, wir sind überdurchschnittlich gut mit Professuren
versorgt“, dann können Sie das doch nicht einfach so
beiseitewischen . Wenn Sie eine Einigung wollen, dann
müssen Sie dafür sorgen, dass jedes Land einen Gewinn
für seine Hochschulen aus dem Bund-Länder-Programm
ziehen kann . Gleichzeitig ist es richtig, wenn wir auf
Bundesebene einfordern, dass das Programm dauerhaft
zusätzliche Stellen - zusätzliche! - bringen muss . Damit
das gelingt, müssen wir stärker in die Grundfinanzierung
der Hochschulen investieren . Dazu sind nicht alle Länder
gleichermaßen in der Lage, zumal die Wissenschaftshäuser eine Vielzahl von Bundesprogrammen kofinanzieren
und die Finanzlage der Länder höchst unterschiedlich ist .
Aber das Dilemma lässt sich auflösen. Der Bund kann
zum Beispiel zusagen, die gemeinschaftliche Studienplatzfinanzierung auf Dauer zu stellen, indem der Bund
die Mittel für den Hochschulpakt über 2020 hinaus verstetigt . Die Grundgesetzänderung zur Abschaffung des
Kooperationsverbots im Wissenschaftsbereich muss
doch einen Sinn haben . Hier hätte sie einen klaren Sinn,
nämlich die Grundfinanzierung der Hochschulen durch
die Verstetigung der Mittel für den Hochschulpakt über
2020 hinaus zu stärken .
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Programm für
zusätzliche Nachwuchsstellen muss zügig kommen . Hier
sind Kompromissbereitschaft und Kreativität gefragt .
Frau Wankas Schmalspurnovelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz muss überarbeitet werden . Die Änderungsanträge aus dem Bundesrat dürfen Sie nicht einfach
so in die Schublade legen . Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von CDU/CSU und SPD, tragen da eine besondere Verantwortung .
({20})
Wir als Grüne werden Änderungsanträge stellen, damit
die Reform auch Früchte tragen kann: für faire statt preKai Gehring
käre Wissenschaft! Damit mit Sicherheit geforscht werden kann!
Danke schön .
({21})
Vielen Dank . - Alexandra Dinges-Dierig von der
CDU/CSU-Fraktion hat als nächste Rednerin das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben ein Feuerwerk gehört
({0})
an Vorschlägen in den letzten 60 Minuten . Ich glaube,
wir werden aufregende und sehr lange Ausschussberatungen haben, wenn wir all diese Vorschläge aufgreifen
und diskutieren wollen . Aber vielleicht wird es an der
einen oder anderen Stelle doch schneller gehen, als das
viele glauben .
Der Bund hat im letzten Jahrzehnt - man kann es gar
nicht oft genug sagen - einen beispiellosen Kraftakt hingelegt: die schwarze Null und gleichzeitig unglaubliche
Zuwachsraten beim Etat im Bereich Bildung und Forschung; das hätte vor 15 Jahren niemand geahnt .
({1})
Das gab uns die Möglichkeit, die Wissenschaftslandschaft und vor allem unsere internationale Sichtbarkeit
mehr als nur zu verbessern . Vielmehr ging es darum,
dass wir ganz nach vorne gerückt sind . Lassen Sie mich
die drei Schwerpunkte nennen: Wir haben die exzellente
Forschung an Hochschulen gestärkt, die Hochschulen für
steigende Studierendenzahlen fit gemacht und die außeruniversitäre Forschung zukunftsfest ausgestattet . Heute
ist ein guter Zeitpunkt, an die gesamte Bundesregierung,
insbesondere an Sie, Frau Professor Wanka, ein herzliches Dankeschön zu richten für das, was Sie für unseren
Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland getan haben .
({2})
Man darf sich jetzt aber nicht einfach zurücklehnen;
denn jetzt kommen die nächsten Aufgaben . Die Zukunft
unseres Wissenschaftsstandorts ist in hohem Maße davon
abhängig, dass es gelingt, die besten Köpfe zu behalten
und international die Besten zu gewinnen; denn es geht
darum, nicht nur das Niveau zu halten, sondern noch
weiter nach vorne zu gehen . Deshalb hat die Koalition
in dieser Legislaturperiode einen Schwerpunkt auf die
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses gelegt .
Es ist unser gemeinsames Anliegen - ich glaube, das
gilt für alle Fraktionen -, dass wir uns kluge Konzepte
überlegen, mit denen wir zusätzliche Stellen im Wissenschaftssystem schaffen können und für den wissenschaftlichen Nachwuchs attraktivere und zuverlässigere Karrierewege aufzeigen können . Mit „gemeinsam“ meine ich
nicht nur den Bund, sondern ich meine auch die Länder
und die außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen .
Hier möchte ich auch die Kultusministerkonferenz nicht
aus der Pflicht entlassen; denn wenn wir über andere
Wege im Wissenschaftssystem sprechen, dann sind zunächst einmal die Kultusministerkonferenz und die Länder gefordert . Zunächst einmal müssen sie sich fragen:
Was wollen wir eigentlich? Ich hätte gerne, dass wir
uns von Begriffen wie „Mittelbau“ endlich einmal verabschieden und sagen: Wir brauchen mehrere Wege im
Wissenschaftssystem, die gleichwertig nebeneinanderstehen; die Professorenlaufbahn ist eine ganz wichtige,
aber eben nicht die alleinige .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Änderung
des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes liefern wir heute
einen kleinen Baustein,
({3})
um etwas zu ändern . Das wird uns aber nicht gar so viel
bringen - das wurde schon gesagt -, wenn wir nicht größer denken, wenn wir nicht weiterdenken . Wir wollen mit
dieser Novelle Fehlentwicklungen abstellen und Fehlinterpretationen begegnen . Dazu wurde schon viel gesagt .
Ich habe darüber mit vielen Beteiligten in Universitäten
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen gesprochen . Alle haben gesagt, egal mit wem ich gesprochen
habe: Extrem kurze Vertragslaufzeiten bedeuten eine
ständige Unsicherheit, und Unsicherheit ist keine gute
Voraussetzung für einen Qualifizierungsweg in der Wissenschaft . - Das stört alle, egal ob es sich um gestandene
Professoren handelt oder um die jungen Nachwuchswissenschaftler .
({4})
Befristete Arbeitsverträge gehören aber zur Wissenschaft - das hat die Bundesministerin deutlich gesagt -,
sie sind ein Systembestandteil . Nur so können wir Stillstand in der Wissenschaft vermeiden und eine gute Forschung haben . Mit dieser Gesetzesnovelle wollen wir
dafür sorgen, dass diese unredlich kurzen Verträge nicht
mehr möglich sind . Die Vertragslaufzeit sollte auf jeden Fall der Zeit der Qualifizierung entsprechen. Aber
wir brauchen auch kurzfristige Verträge, zum Beispiel,
wenn jemand mit der Promotion nicht rechtzeitig fertig
wird oder wenn er eine Überbrückung braucht . Deshalb
brauchen wir die Flexibilität . Die wollen wir erhalten;
aber wir wollen verhindern, dass es zu einer Ausnutzung
kommt . Analog gilt das auch für die Drittmittelbefristung
beim wissenschaftlichen Personal; das wurde schon ausreichend ausgeführt .
({5})
Das nichtwissenschaftliche Personal wollen wir mit
diesem Gesetz ausnehmen; denn das nichtwissenschaftliche Personal stand ursprünglich gar nicht im Fokus . Hier
geht es insbesondere darum, der Situation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Rechnung zu tragen .
({6})
Für das nichtwissenschaftliche Personal gibt es das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das genügend Möglichkeiten lässt, um befristet einzustellen .
({7})
Darüber hinaus wollen wir dort, wo das Gesetz für
Unsicherheiten hinsichtlich der Umsetzung gesorgt hat,
für Klarheit sorgen . Das gilt sowohl für studentische
Beschäftigte, die heute eigenartigerweise noch gar nicht
angesprochen wurden, genauso wie für die Vereinbarkeit
von Familie und dem Beruf des Wissenschaftlers bzw .
der Wissenschaftlerin . Zusätzlich ist es jetzt endlich gelungen - darüber freue ich mich ganz besonders -, eine
Öffnungsklausel für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit Behinderungen oder schwerwiegenden
chronischen Erkrankungen hinzubekommen .
({8})
Ich bin der Meinung, die Novelle kann sich wirklich
sehen lassen . Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich
bei dir, liebe Simone Raatz, als meine Mitberichterstatterin bedanken . Ich glaube, wir haben super und vertrauensvoll zusammengearbeitet . Vielen Dank dafür .
({9})
Diese Änderungen sind - viele haben es schon gesagt - richtig und auch wichtig . Aber wir werden damit
nicht wirklich den großen Wurf zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses
hinbekommen .
({10})
Dabei geht es um weit mehr als nur um Vertragslaufzeiten . Es geht um Perspektiven, es geht um Zuverlässigkeit,
und es geht um Karrierewege . Das sind die drei Punkte .
Hier stehen wir wirklich vor großen Herausforderungen,
die wir meistern müssen .
Wir haben in Deutschland nach wie vor viel zu wenige exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler .
Das liegt natürlich auch an der unzureichenden Anzahl
von Stellen . Wir wissen, dass das Betreuungsverhältnis
zwischen Studierenden und Professoren schlecht ist .
Der wissenschaftliche Nachwuchs, Postdocs und auch
Promovierende, wird in einem Umfang herangezogen,
um das Betreuungsverhältnis zu verbessern, wie man es
eigentlich nicht verantworten kann . Learning by Doing
kann vorübergehend in Notsituationen helfen, aber es
darf nicht zum Systembestandteil werden .
Deshalb lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Dauerhaft mehr Stellen bereitzustellen, ist und bleibt Ländersache .
({11})
Daran werden wir vonseiten der CDU/CSU nicht rütteln .
Einige Länder haben nach Übernahme der BAföG-Kosten durch den Bund die Chance ergriffen, das freigewordene Geld in ihre Hochschulen zu stecken, so auch Frau
Bauer, lieber Herr Gehring, in Baden-Württemberg . Das
Geld hat der Bund freigemacht, Frau Bauer hat es genutzt .
({12})
Das ist Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern .
Viele Länder haben die große Chance vertan. Das finde
ich schade .
({13})
Nach wie vor problematisch sind die heutigen Karrierewege zu den Professuren . Sie sind intransparent . Es gilt
das Prinzip Hoffnung, ob es vielleicht nach dem fünften,
sechsten, siebten befristeten Vertrag klappt, Professor zu
werden . So sieht wirklich kein Karriereweg aus . Deshalb
müssen wir dafür sorgen, dass die Entscheidung, ob der
Nachwuchswissenschaftler wirklich geeignet ist, um in
der Wissenschaft zu bleiben, früher fällt .
({14})
Die jungen Menschen brauchen Klarheit für ihre Lebensplanung . Deshalb wollen wir die Karrierewege neu
aufstellen . Das ist ein riesiger Kraftakt . Deshalb begrüße ich es sehr, dass die Koalition aus CDU, CSU und
SPD in Göttingen 1 Milliarde Euro lockergemacht hat .
Aufgrund dieser Entscheidung hat die Bundesregierung
den Ländern sofort ein Angebot gemacht . Wir wollen mit
einem Anschubfinanzierungsprogramm helfen, Tenure-Track-Stellen zu etablieren,
({15})
und damit transparente und zuverlässige Karrierewege
für die Professur schaffen . Im Gegenzug erwarten wir
von den Ländern, dass auch sie ihren Beitrag leisten .
Dazu gehören neben einer ausreichenden Anzahl an Stellen eine flächendeckende Personalentwicklungsplanung,
eine Beratung für die jungen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler und vieles mehr .
({16})
Nur - ich glaube, das ist deutlich geworden - wenn
alle gemeinsam an diesem Baustein „wissenschaftlicher
Nachwuchs“ arbeiten, wird der kleine Baustein „Novelle
des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes“ am Ende nicht
verpuffen; denn Karrierewege sind mehr als Vertragslaufzeiten . Lassen Sie uns das im Blick behalten, wenn
wir jetzt gemeinsam in die Ausschussberatungen einsteigen .
Vielen Dank .
({17})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Ralph
Lenkert von der Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Damen und
Herren! Ich kannte als Betriebsrat die Tücken des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, wusste, wie dieses Gesetz
missbraucht wird und wie schwer es Gewerkschaften
und Betriebsräte haben, gute Beschäftigungsverhältnisse durchzusetzen . Dann befasste ich mich mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz . Ehrlich, im Vergleich zum
Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist das Teilzeit- und Befristungsgesetz Gold wert .
Ein Beispiel: Eine junge Frau will Mathematikerin
werden und beginnt mit 20 ihr Studium . Nach fünf Jahren hat sie den Master und promoviert . Sie fällt unter das
Wissenschaftszeitvertragsgesetz . In den sechs Jahren der
Promotion muss sie halbjährlich um eine Vertragsverlängerung zittern .
({0})
25 Stunden die Woche bekommt sie bezahlt. Qualifikation während er Arbeitszeit? Fehlanzeige . Für Lehraufträge und an Drittmittelprojekten schuftet sie mehr als
40 Stunden pro Woche, damit sie die nächste Vertragsverlängerung auch erhält . Ihre Doktorarbeit entsteht
nachts und am Wochenende . Mit 32 ist sie Doktorin und
darf in Projekten forschen . Sie laufen zwei Jahre und länger . Trotzdem hangelt sie sich weiter mit Sechsmonatsverträgen durchs Leben .
({1})
Sie hält durch - in der Hoffnung auf eine Professur -,
wird 38 und steht vor einer ungewissen Zukunft . Wie
sähe Ihre Familienplanung aus, wenn Sie mit 40 den ersten unbefristeten Arbeitsvertrag bekämen?
({2})
Wie sollen unsere Hochschulinstitute bei diesen Rahmenbedingungen im Wettbewerb mit der Industrie und
dem Ausland um die besten Nachwuchskräfte bestehen?
({3})
Wie kreativ könnten Sie sein, wenn Sie ständig neue Bewerbungen schreiben und um Bestätigung Ihrer Projektanträge bangen müssten?
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
ich hatte und habe kein Verständnis für Ihre Bummelei
bei der Verbesserung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes .
({5})
Unser wissenschaftlicher Nachwuchs braucht in der Promotionsphase Mindestvertragslaufzeiten von drei Jahren - mit einer Option auf sechs Jahre -, zwei Drittel der
vertraglichen Arbeitszeit müssen der Qualifikation dienen, und Mindestanforderungen müssen in das Gesetz .
Windelweich formulierte Wünsche - wie Ihre - nach
angemessenen Vertragslängen und danach, dass die Tätigkeit die Qualifikation fördern soll, helfen nicht. Damit
sind die Betroffenen weiterhin der Willkür ihrer Chefs
ausgeliefert oder auf deren Einsicht angewiesen . Es gilt:
schlucken oder aufgeben . Solche Regelungen lehnen wir
ab .
({6})
Im Interesse der Betroffenen müssten die Verträge den
Projektlaufzeiten entsprechen oder mindestens zwei Jahre laufen .
Was bietet die Koalition? Sie wollen eine Befristungsdauer nach Länge der Mittelbewilligung; damit knüpfen
Sie Vertragslaufzeiten an Haushaltsplanungen .
({7})
Das ist maximale Sicherheit für die Einrichtungen und
größtes Risiko für unseren Nachwuchs .
({8})
Diese Scheinlösung lehnen wir ab .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, es
gibt auch Lichtblicke: Für Verwaltungs- und technisches
Personal bei Forschungsprojekten gilt dieses Gesetz nicht
mehr . Wir fragen uns nur, warum Sie diese Regelung
nicht gleich auch auf das Personal mit überwiegenden
Lehraufträgen ausgedehnt haben . Dass zukünftig für Familien-, Betreuungs- und Pflegezeiten und für Menschen
mit Benachteiligung bessere Standards gelten, ist begrüßenswert . Wieso nicht auch bei Drittmittelprojekten?
({9})
Insgesamt bleibt Ihr Gesetzentwurf mangelhaft . Die
Linke hat ihren Vorschlag schon vor langer Zeit eingebracht . Anders als in der Wissenschaft ist Abschreiben
bei den Beratungen ausdrücklich erwünscht .
({10})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Dr . Simone
Raatz von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Ich will noch einmal auf das Thema hinweisen: Es geht um die erste Lesung der Novellierung
des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes . Wenn ich manche Redebeiträge, insbesondere vonseiten der Opposition, hier vernehme, gewinne ich den Eindruck, es soll
mit diesem Gesetz alles verbessert werden, was in der
Wissenschaft derzeit - ich sage es einmal so - im Argen
liegt . Ich glaube, da mutet man diesem Gesetz ein bisschen viel zu .
({0})
Es ist ein Baustein - das wurde von den Vorrednern gesagt -, aber man kann damit nicht jedes Problem in der
Wissenschaft lösen .
Sie beschreiben selber, wie schwer eine Änderung in
der Vergangenheit war . Jeder von Ihnen hat angeführt,
was er schon für Vorschläge gemacht hat . Jetzt liegt
etwas auf dem Tisch, und ich muss sagen: Ich bin sehr
enttäuscht . Man kann ja Kritik äußern . Aber man kann
an dieser Stelle auch einmal sagen: Toll, dass wir einen
Schritt gegangen sind, und zwar in die richtige Richtung!
({1})
Seit klar ist, dass wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellieren werden, erreichen sicherlich nicht nur
mich viele E-Mails mit Hinweisen zur aktuellen Beschäftigungssituation, natürlich auch verbunden mit der Bitte,
hier dringend etwas zu ändern; das eine oder andere Beispiel haben wir gehört . Was ich besonders bemerkenswert finde, ist dabei, dass sich nicht nur direkt Betroffene
an uns wenden, sondern genauso auch Ehepartner, Eltern
und sogar Großeltern .
Ein Beispiel soll an dieser Stelle genügen - ich zitiere
aus einer E-Mail -:
Ich bin zwar „nur“ die Ehefrau eines Wissenschaftlers, aber unsere ganze Familie einschließlich Kind
leidet enorm unter dem Befristungsdruck, dem mein
Mann seit Beginn seines wissenschaftlichen Berufslebens ausgesetzt ist - das sind seit der Beendigung
der Promotion mittlerweile 12 Jahre . Er hangelt sich
von einem befristeten Drittmittelvertrag zum nächsten - mit Glück erwischt er mal einen Vertrag, der
länger geht als ein Jahr . Drei Monate vor Ablauf des
jeweiligen Vertrages ist der Gang zum Arbeitsamt
fällig - ein entwürdigender Vorgang: jedes einzelne
Mal .
Ich denke, auch das macht schon deutlich, dass wir hier
etwas tun müssen .
Es wurden häufig Zahlen genannt. Fast 90 Prozent
des wissenschaftlichen Personals sind befristet beschäftigt . Das ist nicht gut, aber man muss ehrlich sagen: Mit
der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes werden wir das so schnell nicht ändern . Das ist ein
Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft gemäß dem
Teilzeit- und Befristungsgesetz . Feste Stellen schaffen
wir mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht; das
ist klar .
({2})
Deswegen muss man das hier jetzt auch nicht ständig
immer wieder herbeirufen . Hier muss uns etwas anderes
einfallen .
({3})
Das Dramatische ist - das wurde hier auch schon häufiger gesagt; man kann das aber noch einmal wiederholen, weil es richtig ist und den Nagel auf den Kopf trifft -,
dass nahezu jeder zweite Vertrag eine Laufzeit von unter
einem Jahr hat . Ich denke, das kann so nicht bleiben . Hier
müssen wir einiges vom Kopf auf die Füße stellen .
Mit unzähligen Kettenbefristungen und einem Erstberufungsalter von durchschnittlich 42 Jahren nehmen wir
jedem jungen Wissenschaftler und jeder jungen Wissenschaftlerin die Chance auf eine halbwegs planbare Karriere . Darüber hinaus erschweren wir ihre Bemühungen,
Familie und Beruf in Einklang zu bringen .
Frau Ministerin Wanka sagte es schon: Diese Lage
schreckt bereits heute viele ab . - Sie suchen ihr Glück
mittlerweile in Frankreich, in der Schweiz oder in den
USA, wo die Arbeitsbedingungen für sie eben viel passender sind . Mittlerweile sind die jungen Leute weltweit
unterwegs, und ich denke, hier müssen wir etwas tun . Es
liegt auch in unserer Verantwortung in der Politik, dass
die Leute, die wir gut ausbilden, auch bei uns bleiben
und ihre wissenschaftlichen Ergebnisse in Deutschland
erzielen .
Wir stellen auch fest, dass von denjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die im Moment bei
uns bleiben, zahlreiche - insbesondere motivierte und
talentierte Frauen - wegen der prekären Beschäftigungsverhältnisse für einen Wechsel in die Wirtschaft sind oder
sich ganz aus dem Wissenschaftssystem verabschieden .
Das finde ich sehr schade, und das können wir uns zukünftig einfach nicht mehr leisten .
({4})
Gleichzeitig wissen wir natürlich, dass Konkurrenz
und Wettbewerb der Ideen und Ansätze konstitutive Bestandteile des Wissenschaftssystems sind . Dass wir dafür das erforderliche Maß an Flexibilität und Dynamik
sicherstellen müssen, weshalb weiterhin ein Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft nötig ist, ist die eine
Seite der Medaille . Dazu kann man stehen, wie man will .
Die andere Seite ist eine gesunde Balance zwischen Sicherheit und Flexibilität . Genau diese Balance ist derzeit
nicht gegeben . Hier müssen wir dringend etwas tun .
({5})
Damit wir weiterhin junge Menschen für unser Wissenschaftssystem begeistern können, müssen wir wesentliche Rahmenbedingungen ändern . Eine dieser
Rahmenbedingungen ist nun einmal das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, dessen Novellierung wir jetzt gerade
angehen .
Zur Historie gerne noch einmal ein paar Worte an Frau
Gohlke und Herrn Gehring - Sie sind bereits in der zweiten oder dritten Legislaturperiode hier im Bundestag; ich
denke also, Sie müssten das eine oder andere, was in der
Vergangenheit gelaufen ist, mitbekommen haben -:
({6})
Im Februar 2013 ist zum Beispiel etwas passiert, was
ich an dieser Stelle nur noch einmal nennen möchte: Die
SPD hat damals bereits - sie war in der Opposition - einen Gesetzentwurf zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorgelegt .
({7})
Die damalige Koalition, die bei weitem nicht so fortschrittlich war wie die jetzige,
({8})
hat ihn damals aber abgelehnt .
({9})
- Nicht zu Recht . Ich denke, das war ein Fehler, aber
diesen Fehler kann man ja korrigieren, und das tun wir
im Moment .
({10})
Ende 2013 haben Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, das Gesetz zu novellieren . Im Juni 2014
hat die SPD ein Eckpunktepapier vorgestellt, und im
April 2015 haben wir dann endlich auch gemeinsame
Eckpunkte zwischen der SPD und der CDU/CSU verabschiedet . Auf dieser Basis hat das BMBF nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir gerade diskutieren .
Die Änderungen, die dieser Gesetzentwurf vorsieht,
will ich an drei wesentlichen Punkten festmachen:
Erstens . In Zukunft werden die Verträge, die in der
Promotions- und Post-Doc-Phase abgeschlossen werden,
an den Zeitbedarf gekoppelt, den eine Qualifizierung
benötigt . Das heißt, beim Erstvertrag in der Promotionsphase soll ein Dreijahresvertrag die Regel sein . Ich weiß
nicht, was daran so negativ sein soll .
({11})
Ich sehe das als sehr positiv an .
({12})
Zweitens . Drittmittelbefristungen müssen künftig
an die Dauer der Projektlaufzeit gebunden werden . Bei
einer Projektlaufzeit von drei Jahren bedeutet das dann
eben auch eine Vertragslaufzeit von drei Jahren . Ja, das
ist doch toll; das ist doch gut .
({13})
Wenn wir Gleichbehandlung erreichen wollen - ich
denke, das ist auch noch ein Problem -, dann müssen wir
an die Fördermittelgeber herantreten und dafür sorgen,
dass bei der Fördermittelvergabe solche Dinge Berücksichtigung finden.
Drittens . Die sozialen Ausfallzeiten, also etwa Elternzeiten oder Zeiten für die Pflege naher Angehöriger, sollen künftig nicht auf die gesetzliche Höchstbefristungsdauer von zwölf Jahren angerechnet werden . Auch das
ist ein Erfolg .
({14})
Meine Kollegin Alexandra Dinges-Dierig hat schon erwähnt, dass wir jetzt eine behindertenpolitische Komponente eingefügt haben . Ich denke, da hat sich auch
unsere Behindertenbeauftragte Verena Bentele verdient
gemacht, die uns dabei unterstützt hat . Vielen Dank an
dieser Stelle auch an sie .
({15})
Wichtig ist uns, der SPD-Fraktion, dass uns gemeinsam mit unserem Koalitionspartner auch die Herausnahme des nichtwissenschaftlichen Personals aus dem
Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
gelungen ist, weil - das wurde schon gesagt - hier überwiegend Daueraufgaben - und die sind dann auch mit
Dauerstellen zu besetzen - erfüllt werden müssen .
({16})
Ich habe gedacht: Einmal sehen, wie Herr Gehring
jetzt auch auf die Bemerkungen von Theresia Bauer reagiert . Sie haben da eben hier vorn ganz tolle Pirouetten
gedreht,
({17})
sodass ich dachte: Wie er das doch immer macht und hinund herwendet! Ich denke, hier wäre es sinnvoll, wenn
Sie diesbezüglich noch einmal das Gespräch mit Ihrer
Ministerin suchen .
({18})
Dieser Gesetzentwurf wird die Situation der in der
Wissenschaft Beschäftigten deutlich verbessern . Er führt
zu mehr Kalkulierbarkeit und Verlässlichkeit in der Arbeitsplanung und Lebensführung insbesondere unseres
wissenschaftlichen Nachwuchses . Ich denke, das Ergebnis kann sich absolut sehen lassen .
({19})
Was mich freut - das möchte ich zum Schluss noch
anführen -, ist, dass die Debatte um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz tatsächlich schon zu einer Änderung
der Einstellung hinsichtlich der Befristungspraxis geführt
hat . Sehr positive Beispiele sind für diesen Trend die Karriereleitlinien der Leibniz-Gemeinschaft, die NeuaufstelDr. Simone Raatz
lung der Nachwuchsförderung bei der Max-Planck-Gesellschaft, aber eben auch der Rahmenkodex - Herr
Gehring ist darauf eingegangen - von Nordrhein-Westfalen . Das sind schöne Beispiele, und dafür möchte ich
den Wissenschaftsorganisationen und allen - sowohl den
Akteuren als auch den Betroffenen -, die sich so aktiv in
die Debatte eingebracht haben, danken; denn ohne diese
Beteiligung wäre es uns nicht gelungen .
({20})
Natürlich gebe ich den Dank auch gern an Alexandra
zurück, mit der ich hier sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten konnte . Ich denke, wir sind hier wirklich ein
wesentliches Stück vorangekommen; denn das Ergebnis
wird dazu führen, dass unsere jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermutigt werden, unserem Wissenschaftssystem erhalten zu bleiben und ihren Beitrag
auch hier, in Deutschland, zu leisten .
Danke .
({21})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Patricia Lips
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte zu
Beginn noch einmal kurz das Spannungsfeld aufzeigen,
in dem wir uns zurzeit bewegen: Bildungswege, Qualifikationen und in der Folge auch Karrieren in der Wissenschaft sind vielfältig - inhaltlich, in der Dauer, in den
Möglichkeiten und Angeboten vor Ort und natürlich vor
allem in den jeweiligen persönlichen Lebensumständen .
Wir stellen fest - das wurde mehrfach betont -: Trotz
dieser Vielfalt gibt es beim wissenschaftlichen Personal
zunehmend ein verbindendes Element: den verständlichen Wunsch nach einer größeren persönlichen Planungssicherheit . Dies gilt für den weiteren Karriereweg
wie natürlich auch - gerade in diesem Alter - in der Phase der Familiengründung, um nur ein Beispiel zu nennen .
Auf der anderen Seite ist die Tätigkeit in Wissenschaft
und Forschung mehr als in vielen anderen beruflichen
Bereichen - und zwar gewollt, von uns auch gewollt von Dynamik geprägt, von immer wieder neuen Ideen,
von jungen Menschen, die in jeder Generation nachdrängen und ebenfalls an den Projekten teilhaben wollen .
Kolleginnen und Kollegen, diese Dynamik ist gut, und
diese Dynamik brauchen wir weiterhin .
({0})
Die Kunst ist es, dies in der Balance zu halten: für
die Mitarbeiter, die Hochschulen und natürlich auch - im
Sinne von Fairness - für nachkommende Generationen .
Die Verantwortlichkeit, planbare und verlässliche Karrierewege aufzuzeigen, liegt dabei zuvörderst bei den
Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen . Das
ist gut, das ist richtig . Sie sind dabei unterschiedlich aufgestellt . Deshalb möchte ich mich dem Dank der Kollegin Raatz an dieser Stelle anschließen . Wir begrüßen
zunächst einmal die Positionierung und die daraus abgeleiteten Initiativen der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, in welchen sie sich zu dieser Verantwortung
bekennt . Es geht um Planbarkeit und um Transparenz
wissenschaftlicher Karrierewege,
({1})
und es geht um den verantwortungsvollen Umgang mit
Befristungsregelungen .
({2})
Da ist schon einiges passiert . Wir sollten nicht so tun,
als fingen wir bei null an. Der Gesetzgeber setzt den
Rahmen und flankiert. Er deckt einen Aspekt mit ab und
unterstützt damit die eigenen Anstrengungen und Ziele
der Betroffenen . Handlungsbedarf besteht . Die Anzahl
der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist in den letzten Jahren aus guten Gründen deutlich
gestiegen . Das ist ja nicht schlecht . Aber parallel dazu
ist auch die Anzahl der befristeten Verträge, eine große
Zahl davon mit sehr kurzen Zeiträumen - das haben wir
an verschiedenen Stellen gehört -, gestiegen . Diese hohe
Zahl macht eine Novellierung des Gesetzes erforderlich .
Wo die beschriebene Balance gestört ist, wo zu viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit
kurz befristeten Verträgen im System sind, schadet es am
Ende zunehmend dem System selbst wie auch den persönlichen Lebensumständen einer Vielzahl von Betroffenen . Hier wollen wir eine Klarstellung und eine Novellierung . An dieser Stelle wollen wir einen Baustein legen .
Im Mittelpunkt steht: Die Dauer von sachgrundlosen
Befristungen soll im Gleichklang mit dem Qualifizierungsziel stehen . Unsachgemäße Kurzbefristungen sollen
künftig unterbunden werden . Das nichtwissenschaftliche
Personal wird aus dem Geltungsbereich herausgenommen . Mithin wird aus dem Gesetzestext klarer als bisher hervorgehen, dass eine sachgrundlose Befristung nur
dann zulässig ist, wenn die betreffende Beschäftigung
zur Förderung der eigenen Qualifizierungsziele erfolgt.
Kolleginnen und Kollegen, damit justieren wir die erforderliche Verlässlichkeit für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter . Wir sorgen im Gesetz für Klarheit, aber auch
für die notwendige Flexibilität für unsere Hochschulen
und Forschungseinrichtungen . Hinzu kommen - wir hörten es - wichtige Änderungen - man darf sie nicht einfach unter den Tisch fallen lassen - und Anpassungen in
den Bereichen Mobilität, Kinderbetreuung, Behindertenkomponente und studentische Hilfskrafttätigkeit .
Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal auf den
zweiten Aspekt eingehen; denn nur aus beiden wird ein
Gesamtpaket . Im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe wollen wir auf dem weiteren Weg zur Professur
in der sogenannten Post-Doc-Phase, in der Nachdoktorphase, ansetzen . Auch hier wollen wir im Sinne verlässlicher Karrierewege in der Wissenschaft einen Baustein
legen und Impulse gezielt setzen . Deshalb streben wir Dr. Simone Raatz
die Ministerin hat es ausgeführt - ein Bund-Länder-Programm - es wird zurzeit erarbeitet - zur verstärkten Förderung der sogenannten Tenure-Track-Professuren an
Universitäten an; das ist eine Art Professur in spe . Dieses Element ist nicht grundsätzlich neu . Es braucht aber
einen Schub, um flächendeckend wirksam, sichtbar und
erfolgreich zu werden .
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aber auch
sagen: Die Verantwortung für die Schaffung von dauerhaften Stellen an Hochschulen ist und bleibt in der Länderhoheit .
({3})
Der Bund kooperiert - auch ich darf dieses Wort einmal
benutzen - einmal mehr und fördert dieses Programm in
der Anschubphase mit 1 Milliarde Euro, um die Länder
zu unterstützen . Es muss aber einen Mehrwert geben . Auf
die genannten Stellen kommt es am Ende des Tages an .
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit den aufgezeigten Änderungen und Neuausrichtungen - dieser
Überzeugung sind wir - können wir zu einer substanziellen und nachhaltigen Verbesserung für den wissenschaftlichen Nachwuchs gelangen . Diese trägt dazu bei,
die Erfolge im Bereich Forschung und Lehre fortzusetzen, die Qualität der wissenschaftlichen Ausbildung hier
in Deutschland auf einem Topniveau zu halten und die
beruflichen Perspektiven zu verbessern.
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Ernst
Dieter Rossmann von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Gohlke hat am Anfang eingefordert, dass hier doch
einmal jemand sagen sollte, man habe sich geirrt . Ja,
Frau Gohlke, viele in diesem Parlament sagen: Wir sind
lernfähig .
({0})
Ausgangspunkt der ganzen Entwicklung ist ja die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes 2002, das die
SPD zusammen mit den Grünen gemacht hat, bis hin
zur Großen Koalition von CDU/CSU und SPD im Jahr
2007 . Und wir haben dabei dazugelernt . Eine Frage an
die Linken: Wann sagen die Linken eigentlich mal, dass
sie lernfähig sind?
({1})
Das wäre ein Moment, den wir in diesem Parlament gerne erleben würden .
Das könnte man auch auf ihre grundsätzliche Haltung
beziehen: Als Frau Gohlke sprach, wusste ich gar nicht,
ob sie noch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz im Auge
hat; gleichzeitig will Herr Lenkert dieses Gesetz novellieren und verbessern .
Man muss bei Ihnen fragen, ob Sie den besonderen
Sachverhalt von Wissenschaft als Berufsperspektive,
aber auch das Arbeiten in der Wissenschaft als Kompetenzperspektive auch für Tätigkeiten außerhalb von Wissenschaft so verinnerlicht haben, um zu wissen, dass dies
eine besondere Situation im Arbeitsrecht bedeutet .
({2})
Diese Lernfähigkeit möchten wir Ihnen gerne wünschen,
so wie wir sie insgesamt im Parlament haben .
Das Zweite . Ja, wir sind auch kompromissfähig . Man
muss gar keinen Hehl daraus machen, dass der Weg, den
der Koalitionspartner seit 2013 gegangen ist, ein längerer Weg ist als der, den die SPD gehen musste; denn wir
haben bereits in der letzten Legislaturperiode hierzu einen Gesetzentwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eingebracht . Aber will man denn jemanden
schelten, wenn er in kürzerer Zeit einen weiteren Weg
zurücklegt? Nein, das tun wir nicht . Wir erkennen dies
ausdrücklich an .
({3})
Wir möchten auch den Grünen eines gerne sagen,
wenn Sie von dieser Koalition jetzt unbillige Kompromisse erwarten . Hierzu gab es neulich im Spiegel zwei
schöne Sätze zu lesen: „Natürlich stehen wir alle für unsere Position ein . Aber jeder klar denkende Mensch weiß,
dass eine Koalition auch Kompromisse erfordert .“ Das
sagte Frau Göring-Eckardt in der Auseinandersetzung
mit Frau Wagenknecht . Wahre Worte!
({4})
Das, was wir hier vorlegen, ist ein guter Kompromiss,
ein richtig guter politischer Kompromiss .
({5})
Keine Seite macht Abstriche von ihren Haltungen, aber
man findet in verschiedenen Haltungen zu einem guten
Ergebnis .
Das Dritte . Dies ist nicht nur ein Ergebnis des Gesetzgebers; dies ist ein Ergebnis eines Prozesses . Ich möchte
ausdrücklich sagen: Wir haben zusammen erkannt, dass
Gesetze nicht alles sind . Aber ein Gesetz gehört im Zweifelsfall mit dazu . Wenn es schon heißt: „Gesetze sind
nicht alles“, dann lassen Sie uns doch zumindest anerkennen, was sich in den Hochschulen und bei den Forschungsorganisationen alles bereits aufgebaut hat .
An dieser Stelle noch einmal den ausdrücklichen
Dank, wie es auch Frau Gohlke am Anfang schon gemacht hat, an die GEW, an Verdi, an die Betriebsräte und
andere, die nicht nachgelassen haben in ihrer Aufklärung
und Kritik
({6})
und die jetzt immer wieder die besten Lösungen zusammen mit den Arbeitgebern und den Institutionen einfordern und auch umzusetzen haben . Uns ist das mit dem
Umsetzen sehr wichtig; denn das Gesetz, das wir jetzt
machen, braucht auch eine konstruktive Begleitung und
Umsetzung in den Hochschulen, in den einzelnen Forschungsorganisationen . Dazu macht dieses Gesetz auch
Mut, weil es nämlich einen anderen Rahmen setzt, in
dem man besser umsetzen kann .
Vierter Punkt . Manchmal, wenn man an der Basis
erklären soll: „Was macht ihr da eigentlich?“, nun auch
noch bezogen auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz,
wünschte ich mir die einfachen, klaren Sätze, mit denen
auch andere Menschen nachvollziehen können, dass wir
hier zu Verbesserungen kommen wollen .
Ein solcher einfacher Satz ist, dass Qualifikation Zeit
braucht . Die muss man dann auch zugesichert bekommen, und das geschieht durch dieses Gesetz .
Ein weiterer einfacher Satz ist, dass Drittmittel eine
gewisse Zeitdauer haben . Aber die muss dann nicht noch
zerstückelt werden, wenn es bei Drittmitteln diese Zeit
gibt . Herr Lenkert, man darf Gesetzentwürfe auch lesen .
Sie haben hier unterstellt, dass sich die Bindung an die
Drittmittel, an die Projekte nach Haushaltsjahren immer
wieder begrenzen würde . Das ist aber im Gesetzesverfahren ausdrücklich abgelehnt worden . Es ist ausdrücklich erklärt worden, dass das nicht so laufen soll .
Herr Rossmann, lassen Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lenkert zu?
Ich habe ohnehin so wenig Redezeit . - Das Nächste,
was ich als sinnfällig ansprechen möchte, ist: Da, wo etwas verschieden ist, muss es auch unterschiedlich behandelt werden . Eine wissenschaftliche Tätigkeit ist etwas
anderes als eine nichtwissenschaftliche Tätigkeit, die auf
Dauer angelegt sein kann . Deshalb ist es gut, wenn nichtwissenschaftliche Tätigkeiten herausgenommen wurden .
Die Grünen müssten die Frage beantworten, ob sie die
Rechtssicherheit für das nichtwissenschaftliche Personal
verstärken wollen, auch in Richtung von mehr Dauerstellen, oder ob sie diese Beschäftigten in dieser Unsicherheit und prekären Situation lassen wollen . Wir glauben,
da ist die grüne Kollegin aus Baden-Württemberg nach
den Erfahrungen, die wir damit haben, leider auf dem
Holzweg .
({0})
Und schließlich: Es ist auch sehr gut - Frau DingesDierig, Sie haben darauf hingewiesen -, wenn man die
Verschiedenheiten, unter denen Menschen wissenschaftliche Arbeit machen, mitberücksichtigen kann, etwa Erziehung, Pflege, aber auch persönliche Betroffenheit von
Behinderung .
Insofern: Das sind vier einfache Sachverhalte in einem komplizierten Gesetz . Aber wenn wir Mut machen
wollen, dann müssen wir versuchen, das Ganze von den
einfachen Sachverhalten her zu begründen und zu entwickeln .
Meine Schlussbemerkung . Frau Dinges-Dierig, ich
habe nicht ganz verstanden, weshalb Sie gesagt haben,
dies sei nur ein ganz kleiner Beitrag . Ich glaube, das ist
schon mehr als ein kleiner Beitrag .
({1})
Das ist ein wichtiges, ein großes Signal an die 800 000
beschäftigten Menschen in Wissenschaft oder im Umfeld
der Wissenschaft, weil dies zeigt, dass ihre Erfahrung,
ihre Sorgen im Parlament ernst genommen werden . Das
Parlament setzt einen Rahmen, in dem sie selbst das Ganze dann handlungsmächtig ausgestalten können .
({2})
Machen wir uns nicht selber klein bei dem, was in dieser Großen Koalition jetzt verbessert wird als Signal in
gute Wissenschaft, in gute Arbeit hinein . Das sollten wir
uns auch selber zugestehen . Wir bewegen hier wirklich
etwas Gutes . Es ist etwas Gutes und damit auch etwas
Großes .
Danke schön .
({3})
Als nächste Rednerin hat Katrin Albsteiger von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Zum Ende der heutigen Debatte lautet mein Fazit: Einerseits hat das Thema wissenschaftlicher Nachwuchs bei uns im Parlament und insbesondere in der Großen Koalition einen enorm wichtigen
Stellenwert . Das ist gut . Wir stehen zu unserem wissenschaftlichen Nachwuchs, und das sieht man nicht nur an
der prominenten Debattenzeit, sondern das zeigen auch
die geleisteten Redebeiträge .
Andererseits stelle ich aber auch fest, dass gerade das
Thema Vergangenheitsbewältigung - ich darf hinzufügen: einseitige Vergangenheitsbewältigung - einen sehr
großen Stellenwert in dieser Debatte hatte . Ich persönlich wäre eher dafür, dass wir über die Zukunft sprechen,
nämlich darüber, was durch diese Gesetzesnovellierung
alles möglich wird . Es gibt nämlich viel Positives, und
mein Teil der Vergangenheitsbewältigung wird sich in
dieser Rede ausschließlich auf die vergangenen anderthalb Stunden beziehen . Denn da wurde ja schon vieles
gesagt .
Tatsächlich ist es beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz so - wen wundert es -: Durch die BefristungstatbeDr. Ernst Dieter Rossmann
stände ist Fluktuation im Wissenschaftsbereich selbstverständlich möglich . Das mag vielleicht für den einen oder
anderen, der sich mit Wissenschaftspolitik beschäftigt
hat, erst einmal komisch wirken oder vielleicht auch auf
Ablehnung stoßen . Aber gerade in diesem Bereich ist die
Fluktuation enorm wichtig . Warum ist das so? Nehmen
wir nur einmal den Bereich der Promotion: Es ist logisch,
dass die Promotionsstellen irgendwann - ich formuliere
es einmal so - frei werden müssen: für die nächste Generation . Es kann ja nicht sein, dass ewig promoviert wird .
Es ist doch völlig logisch, dass ein Rahmen vorgegeben
wird, in dem auch wissenschaftlich gearbeitet werden
und eine Promotion sinnvollerweise abgeschlossen werden kann .
Im Übrigen gilt - Patricia Lips hat es schon erwähnt -:
Neue Ideen, neue Ansätze, neue Methoden kommen nur
durch eine solche Fluktuation zustande . Dynamik, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit, Leistungsfähigkeit: Das
alles brauchen wir in der globalisierten Welt . Wir stehen
in Konkurrenz mit Wissenschaftlern in anderen Ländern
und deren wissenschaftlichem Nachwuchs .
Natürlich ist Mobilität wichtig . Das ist gar keine Frage . So soll es auch weitergehen . Auch da haben wir in
den letzten Jahren einiges getan . Aber selbstverständlich
müssen wir auch in unserem Wissenschaftsbereich Möglichkeiten schaffen, damit sich die neuen Ideen und die
Dynamik entfalten können .
({0})
Leider - auch das ist heute klar geworden - fällt die
Bilanz, was sich durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in den letzten Jahren alles getan hat, nicht nur positiv
aus . Die extrem kurzen Befristungen - ich glaube, darin
sind wir uns einig - sind uns allen ein Dorn im Auge .
Aber auch sie - das wurde ebenfalls schon angesprochen - machen an der einen oder anderen Stelle Sinn .
Es macht keinen Sinn, eine Befristung auf 24 Monate zu
fixieren, wenn zum Beispiel eine Situation entsteht, dass
jemand nur eine Verlängerung von drei Wochen braucht,
um seine Promotion abzuschließen, oder wenn jemand
nur eine Überbrückung haben möchte, bis er ins Ausland
geht . Dann ist die Befristung von beiden Seiten gewollt .
Alles zu verteufeln, was mit kurzen Befristungen zu tun
hat, wäre an der Stelle falsch .
Aber wir haben auf jeden Fall die Problematik erkannt . Deswegen konzentrieren wir uns jetzt bei der Novellierung auf den Grundgedanken des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, nämlich die Ermöglichung der
wissenschaftlichen Qualifikation.
Trotzdem müssen wir uns darüber klar sein: Alles
wird das Gesetz nicht regeln können . Wir können einfach
nicht alles in dieses Gesetz packen . Es muss auch noch
andere Instrumente geben, Instrumente, an denen wir arbeiten und schon gearbeitet haben . Es ist schon einiges
passiert .
Es ist nicht nur Aufgabe des Bundes . Auch das ist
bereits gesagt worden . Wir alle haben eine Verantwortung gegenüber unserem wissenschaftlichen Nachwuchs,
und wir sind es ihm auch schuldig . Was die Hochschulen oder auch die außeruniversitären Einrichtungen angeht, ist schon einiges passiert . Wenn man sieht, welches
Bewusstsein inzwischen geschaffen worden ist - nicht
durch starre Gesetze, sondern allein durch Debattieren,
durch Bewusstseinsschaffung und -erweiterung und
auch durch die Erfahrungen in diesem Bereich -, dann
kann man durchaus sagen, dass bereits einiges passiert
ist, und es kann auch noch einiges passieren . Personalmanagement, Laufbahnberatung, Talentpflege und das
Aufzeigen von Karriereperspektiven - um nur einige
Stichworte zu nennen -: All das ist in den Hochschulen
und den Wissenschaftseinrichtungen möglich . Die wissenschaftliche Qualität und die Qualifikation in hoher
Qualität können nur gelingen - auch das ist wichtig -,
wenn Betreuung stattfindet und auf die Bedürfnisse der
Nachwuchswissenschaftler eingegangen wird, und zwar
nicht nur in der Promotionsphase, der Phase der Weiterqualifizierung und bei den Post-Docs, sondern auch
deutlich früher . Auch in den Bereichen des Bachelorund des Masterabschlusses sind Qualität und Beratung
auf jeden Fall notwendig .
Ich komme nun auf die Länder zu sprechen . Auch diese haben ihren Beitrag zu leisten; das ist richtig . Keiner
kann etwas dagegen haben - auch nicht in Baden-Württemberg -, wenn die Grundfinanzierung erhöht wird. Die
zusätzlichen Mittel können beispielsweise dem Mittelbau im wissenschaftlichen Nachwuchsbereich zur Verfügung gestellt werden; das ist wunderbar . Wir wären die
Letzten, die das kritisieren würden . Aber mir geht echt
der Hut hoch, wenn ich daran denke, dass die Opposition
oft gar nicht anerkennt, was wir alles in den vergangenen zehn Jahren für den wissenschaftlichen Nachwuchs
getan haben; es ist so viel passiert . Ich erinnere an den
Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative, den Pakt für
Forschung und Innovation sowie die bereitgestellten
BAföG-Mittel . Angesichts dessen ist es, ehrlich gesagt,
schon eine Frechheit, zu behaupten, der Bund würde sich
hier komplett heraushalten .
({1})
Wie ich sehe, bin ich leider, leider am Ende meiner
Redezeit und muss daher Schluss machen . Wir sind auf
einem enorm wichtigen und richtigen Weg . In den nächsten Jahren wird sich zeigen, dass dies der richtige Weg
gewesen ist .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/6489 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann
({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Junge Beschäftigte vor prekärer Arbeit schützen
Drucksache 18/6362
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna
Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und
umfassend regulieren
Drucksachen 18/4839, 18/5449
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Debatte hat Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das
Wort .
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Warum dulden wir eigentlich in den Betrieben
Zustände, die dadurch gekennzeichnet sind, dass Menschen sehr unterschiedlichen Regelungen bezüglich ihrer
Arbeit unterliegen, obwohl sie dieselbe Arbeit machen?
Warum schauen wir nur zu? Nun bin ich seit zehn Jahren
Mitglied des Bundestags, und genauso lange diskutieren
wir über dieses Thema . Aber ich kann hier keinen Fortschritt erkennen .
({0})
Gott sei Dank unterliegt die Mehrheit noch vernünftigen Arbeitsbedingungen . Was sind vernünftige Arbeitsbedingungen? Die betreffenden Menschen sind in
unbefristeten Arbeitsverhältnissen angestellt und haben
einen Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber, bei dem sie
auch arbeiten, und nicht mit einem anderen Arbeitgeber .
Es handelt sich um Arbeitsverhältnisse, die in der Regel
noch einigermaßen anständig bezahlt werden, obwohl
nicht mehr alle der Tarifbindung unterliegen . Wir wissen
aber auch: Immer mehr insbesondere junge Beschäftigte haben nur noch einen befristeten Arbeitsvertrag - und
das oft mehrfach hintereinander -, ohne dass es dafür
auch nur den geringsten sachlichen Grund gibt . Wie wir
alle wissen, haben insbesondere junge Menschen Werkverträge und müssen unter schlechteren Bedingungen
arbeiten als andere Beschäftigte, die im Betrieb dieselbe Tätigkeit verrichten . Des Weiteren ist eine Vielzahl
junger Menschen bei Leiharbeitsfirmen beschäftigt. Von
Leiharbeit sind gerade junge Menschen betroffen .
Es gibt für diesen Umstand keine logische Begründung . Den Unternehmen in der Bundesrepublik geht es
ausgezeichnet . Geradezu verzückt teilt uns die Bundesregierung immer wieder mit, wie gut es unserem Land
diesbezüglich geht . Um satte 60,2 Prozent haben die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen nach
Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2000 bis
2014 zugenommen .
Warum akzeptieren wir dann eigentlich eine Gesetzgebung, die die Arbeitgeber geradezu auffordert, ihre Belegschaften zu spalten, und zwar in die normal Arbeitenden und die prekär Arbeitenden? Warum akzeptieren wir
das? Warum akzeptieren wir, dass Randbelegschaften
existieren, die unsichere Arbeitsverhältnisse haben, die
schlechter bezahlt werden und die in der Krise als erste
ihren Job verlieren? Wir werden bei VW erleben, dass die
ersten Leidtragenden in diesem Unternehmen die befristet Beschäftigten oder auch die Leiharbeitnehmerinnen
und Leiharbeitnehmer sein werden . Warum akzeptieren
wir solche Verhältnisse? Wir sind der Gesetzgeber . Wir
könnten das ändern . Warum tun wir das eigentlich nicht,
meine Damen und Herren?
({1})
Insbesondere junge Menschen sind betroffen; ich habe
es gesagt . Ein Viertel der Beschäftigten unter 25 Jahren
hat nur noch einen befristeten Job . Bei jungen Frauen ist
es so, dass bei neuen Arbeitsverhältnissen von drei zwei
nur noch befristet eingestellt werden . Das sind zwei Drittel . Wir brauchen gravierende Änderungen in unserer
Gesetzgebung, um diesen Zustand zu beenden . Sie sind
die Regierung . Deshalb bitte ich Sie: Machen Sie in dieser Frage endlich einmal Ihren Job, und warten Sie nicht
einfach ab, dass die Zeit vergeht!
({2})
Ähnliche Verhältnisse haben wir in der Leiharbeit .
Seien Sie doch einmal ehrlich . Sie wissen ganz genau,
dass das eigentliche Ziel von Leiharbeit Lohndumping
ist . Nein, ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie so dumm
sind, dies nicht zu erkennen . Das wissen Sie . Sie machen
trotzdem nichts dagegen . Sie wissen, dass das eigentliche
Ziel von Leiharbeit ist, Arbeitnehmer leichter aus dem
Betrieb zu entfernen, wenn das Unternehmen es möglicherweise will, leichter als andere . Das ist das Ziel von
Leiharbeit . Sie, meine Damen und Herren, machen nichts
dagegen .
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Was Sie jetzt bei der Leiharbeit planen - ich möchte
Ihnen das mit aller Deutlichkeit sagen -, ist nichts anderes als Etikettenschwindel .
({3})
Dass erst nach neun Monaten gleicher Lohn für gleiche
Arbeit gelten soll, ist Etikettenschwindel, wenn man
weiß, dass 54 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse weniger als drei Monate dauern . Ich brauche nicht nach neun
Monaten gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu fordern;
denn dann sind die Arbeitnehmer ja nicht mehr da . Für
wie dumm halten Sie eigentlich die Bevölkerung dieser
Republik?
({4})
Wenn Sie die Überlassungsdauer bei der Leiharbeit auf
18 Monate beschränken wollen, dann ändert das überhaupt nichts an dem Problem, wenn man weiß, dass
nur 13,8 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse länger als
18 Monate dauern . Mein Gott, was machen Sie da eigentlich für einen Unfug? Deswegen: Hören Sie auf mit
diesem Quatsch!
Was wir brauchen, ist eine klare und deutliche Einschränkung der Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse zu befristen . Was wir brauchen, ist gleicher Lohn für gleiche
Arbeit und ein 10-prozentiger Flexibilitätszuschlag bei
Leiharbeit wie in Frankreich .
({5})
Darüber hinaus brauchen wir die Regelung, dass bei
Scheinwerkverträgen die Beweislast umgekehrt wird .
Das Unternehmen muss beweisen, dass es sich nicht um
einen Scheinwerkvertrag handelt, nicht der einzelne Beschäftigte, der immer in einer schlechteren Situation ist .
Meine Damen und Herren, wenn Sie die Verhältnisse
wirklich ändern wollen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu . Was Sie in der Pipeline haben, ist nichts anderes
als heiße Luft . Hören Sie mit diesem Quatsch auf!
({6})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Albert
Stegemann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits vor der Sommerpause haben wir ausführlich,
sowohl im Plenum als auch im Ausschuss, über Teile der
vorliegenden Anträge gesprochen . Nun debattieren wir
Ihre Forderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Linken, zum x-ten Mal, diesmal vorweihnachtlich
geschmückt mit vermeintlich neuen Zahlen und altbekannten Feststellungen . Sehen Sie es uns bitte nach, dass
dies in unserer Fraktion mittlerweile schon zu Ermüdungserscheinungen führt .
({0})
Trotz der ständigen Wiederholung Ihrer Forderungen
kommen wir, aber auch Sie, an einer simplen Wahrheit
nicht vorbei: Als Gesetzgeber können wir nicht per Dekret einen funktionierenden, einen florierenden Arbeitsmarkt verordnen . Was meine ich damit? Wie der Name
schon nahelegt, ist der Arbeitsmarkt ein Ort, an dem
Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften zusammentreffen . Arbeitsplätze als solche können nicht staatlich
verordnet werden . In der deutschen Geschichte hat dies
bereits einmal nicht funktioniert, und es würde erneut
scheitern . Vielmehr geht es um ein ständiges Austarieren
von oft gegenläufigen Interessen, dem Wunsch nach einer
notwendigen Flexibilität der Arbeitgeber auf der einen
Seite und der gewünschten Sicherheit für Arbeitnehmer
auf der anderen Seite . Das ist aber Aufgabe der Tarifparteien und nicht Aufgabe des Gesetzgebers . Der Gesetzgeber greift immer nur dann ein, wenn es den Tarifparteien
nicht gelingt, geordnete Verhältnisse zu schaffen . Alles
darüber Hinausgehende ist blanker Populismus .
Hier unterscheiden wir uns maßgeblich in unserer
Einschätzung . Ein tragfähiger Arbeitsmarkt in einer globalen Welt muss mehr bieten als ein unbefristeter und
möglichst einheitlich tarifierter Arbeitsvertrag mit möglichst vielen Sozialleistungen nach dem Motto „Alles im
Gleichschritt“, und das alles völlig unabhängig von Qualifikation, Branche und Arbeitserfahrung des Beschäftigten .
({1})
Gerne empfehle ich Ihnen, sich noch einmal eingehend
mit den Mechanismen einer funktionierenden Wirtschaft
auseinanderzusetzen . Nur durch das bloße Umverteilen
werden wir den Wohlstand nicht mehren können .
({2})
Und mehr noch: Nicht nur, dass Ihre Forderungen in
der Sache destruktiv sind; nein, Sie täuschen bewusst die
Menschen in unserem Land, indem Sie atypische, flexible Beschäftigung automatisch auf eine Stufe mit prekärer Beschäftigung stellen . Sie haben das gerade wieder
gemacht. In Ihrer Wahrnehmung qualifizieren sich alle
Arbeitnehmer, die unter 20 Stunden in Teilzeit arbeiten,
einen befristeten Vertrag besitzen, geringfügig beschäftigt sind oder im Rahmen der Zeitarbeit tätig sind, als
Menschen, die aufgrund ihrer Lebensumstände sozial abgestiegen sind . Erklären Sie doch bitte einmal der jungen
Mutter, die aktuell mit 19,5 Stunden halbtags wieder ihren Beruf ausübt, dass sie dem Prekariat angehört . Sagen
Sie doch bitte einmal den Zeitarbeitnehmern, die über ein
solches Beschäftigungsverhältnis den Sprung in reguläre Beschäftigung schaffen wollen, dass sie sich erst gar
nicht bemühen sollen, und sagen Sie auch einmal Ihren
eigenen Mitarbeitern im Bundestag, deren Arbeitsverträge immer befristet sind, dass sie nun zu den Abgehängten
zählen . Ich halte diese bewusste Vermischung für verantwortungslos und außerordentlich schädlich .
({3})
Sie streuen damit gerade jungen Menschen Sand in die
Augen, was die eigenen Perspektiven anbelangt .
Entscheidend ist doch vielmehr, dass jeder eine faire
Chance bekommt . Entscheidend ist, dass sich Arbeitnehmer entwickeln können, und entscheidend ist, dass es
vernünftige Rahmenbedingungen gibt, die eben dieses
beides zulassen . Nur normierte Arbeitsverhältnisse, so
wie Sie sie mit Ihrem vorliegenden Antrag erzwingen
wollen, werden weder unsere Gesellschaft noch die einzelnen Arbeitnehmer zum Erfolg führen . Im Gegenteil:
Sie werden mittelfristig genau diejenigen treffen, die wir
alle zusammen schützen wollen . Ich möchte nicht verantworten, dass wir gerade jungen Menschen eine gute
Perspektive rauben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ein
Blick über die Grenze zeigt uns täglich, dass dies keine
theoretische Diskussion ist . Wenn Wissenschaftler von
einer verlorenen Generation sprechen, dann meinen sie
damit unter anderem nahezu jeden zweiten jungen Menschen in Spanien oder in Griechenland, der ohne Arbeit
ist . Wie schwer muss es für diejenigen sein, die wissen,
dass sie trotz ihrer Talente und Fähigkeiten kaum Chancen haben, diese auch einzubringen? Dazu sagen Sie in
Ihren Anträgen nichts . Ist Ihnen bekannt, dass die Jugendarbeitslosigkeit in diesen Ländern stärker angestiegen ist als die allgemeine Arbeitslosigkeit? Hierfür sind
zum großen Teil die starren Regelungen auf den Arbeitsmärkten und hohe Barrieren mit verantwortlich, für die
Sie sich gerade hier in Deutschland einsetzen wollen .
({4})
Herr Kollege Stegemann?
Nein, ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen. - Diese sind häufig Grund dafür, dass sich Unternehmen scheuen, junge Beschäftigte einzustellen . Das ist
doch die Realität .
({0})
Lassen Sie jetzt eine Zwischenfrage zu, Herr Kollege
Stegemann?
Ich möchte gerne weiter vortragen .
Okay .
Die Folgen eines verkrusteten Arbeitsmarktes konnten
auch wir in Deutschland Anfang des Jahrtausends sehen .
Was bedeutet eine schrumpfende Wirtschaft für die Menschen? Stagnierende Löhne und 5 Millionen Arbeitslose,
das war die Realität .
Wir sind davon überzeugt, dass ein Arbeitsmarkt dynamische Elemente benötigt, um Erfolg zu haben . Die
Öffnung des Arbeitsmarktes war daher ein konsequenter
und richtiger Schritt . Und: Ja, es gab auch Fehlentwicklungen . Aber hier haben die letzten Bundesregierungen
zu Recht gehandelt, beispielhaft im Bereich der Zeitarbeit: Per Gesetz ist Equal Pay ab dem ersten Tag vorgeschrieben, wenn keine anderen tariflichen Lösungen
vereinbart werden . Im Ergebnis sehen wir die höchste
Tarifbindung, die es in unserem Land gibt . Bei den Überlassungsdauern sehen wir seit mehreren Jahren einen positiven Trend .
Mit welcher Begründung möchten Sie jemanden nun
Ihrem Antrag entsprechend nach drei Monaten auf die
Straße setzen? Ihr Ziel ist die Abschaffung der Arbeitnehmerüberlassung . Mit uns ist das nicht zu machen .
({0})
Das geht nämlich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes, aber auch an den Bedürfnissen der berufstätigen
Menschen vorbei .
Zusammenfassend: Ein erfolgreicher Arbeitsmarkt
ist die Grundlage dafür, dass möglichst viele Menschen
profitieren können; an dieser Wahrheit kommen - trotz
aller ideologischen Verrenkungen - wir, aber auch Sie
nicht vorbei . Das ist gute Sozialpolitik und Grundlage
des Handelns der CDU . Deshalb haben sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag die Schaffung von
guter Arbeit zum Ziel gesetzt . Hier haben wir zusammen
mit den Sozialdemokraten bereits große Schritte getan
mit der Stärkung der Tarifpartner, die am besten für die
Interessen ihrer Mitglieder Partei ergreifen können, mit
einem einheitlichen Mindestlohn, der garantiert, dass
niemand unter einer gewissen Lohngrenze arbeiten muss,
und mit verbindlichen Spielregeln auf dem Arbeitsmarkt,
um Missbräuchen jeder Art einen Riegel vorzuschieben .
Bei den kommenden Reformen im Bereich der Werkverträge und der Zeitarbeit gehen wir diesen Weg weiter .
Wir passen die etablierten Elemente des Arbeitsmarktes
an und stärken zugleich die tariflichen Vereinbarungen,
die über Jahre verlässlich getragen haben . Aus diesem
Grund lehnen wir Ihre Anträge ab .
Vielen Dank fürs Zuhören .
({1})
Vielen Dank . - Der Kollege Klaus Ernst erhält das
Wort für eine Kurzintervention .
Lieber Kollege Stegemann, als Erstes zur Rolle der
Gesetzgebung . Wir sind der Gesetzgeber . Deswegen sitzen wir hier . Ich stimme Ihnen zu: Es gibt Dinge, die der
Tarifvertrag regelt, und es gibt Dinge, die wir als Gesetzgeber regeln müssen . Darum haben wir ein Tarifvertragsgesetz . Darum haben wir ein Arbeitszeitgesetz . Darum
haben wir Regelungen zur Befristung . Die Regelungen
haben sich in der letzten Zeit verändert . Jetzt stellen
wir fest: Sie haben sich in eine Richtung verändert, die
aus unserer Sicht - ich hoffe eigentlich: auch aus Ihrer
Sicht - für die Betroffenen nicht sehr schön ist . Weil sich
der Gesetzgeber in der letzten Zeit in eine Richtung bewegt hat, die falsch war, müssen wir jetzt die Gelegenheit
ergreifen, das zu korrigieren . Wenn Sie Regelungen des
Gesetzgebers im Arbeitszeitbereich oder im Arbeitsbereich insgesamt ablehnen, dann weiß ich nicht, warum
wir hier sitzen . Das ist unser Job . Machen wir doch einfach unseren Job in der Frage! Dann kriegen wir etwas
hin .
({0})
Zweitens . Ich habe die Gnade der frühen Geburt erfahren . Ich habe zu einer Zeit gelernt, in der es geradezu selbstverständlich war, jedenfalls wenn man nicht
Jugendvertreter war, dass man nach der Ausbildung einen Job gekriegt hat . Heute müssen Betriebsräte darum
kämpfen und mit dem Arbeitgeber spezielle Vereinbarungen treffen, dass die jungen Menschen, die im Betrieb
ausgelernt haben, wenigstens einen befristeten Job kriegen . Ja, ist das denn ein normales Verhältnis? Bringt uns
das weiter? War es früher besser, oder war es schlechter?
Wie war damals der Zustand unseres Landes? War er
schlechter, oder war er besser? Ich sage Ihnen: Das, was
wir damals an Gesetzgebung hatten,
({1})
hat dazu geführt, dass eine Vielzahl von Jungen ihr Leben planen konnten, Familien gründen konnten, freudig
und nicht mit Angst in den Job gegangen sind . Sie hatten
keine Angst davor, dass ihr Vertrag nicht verlängert wird
oder dass sie als Leiharbeiter sehr schnell wieder rausfliegen.
({2})
- Sie können sich zu Wort melden, wenn Sie da hinten
herumbrüllen . - Das hat sich verändert . Das ist der Punkt .
({3})
Wenn Sie das nicht erkennen, Kollege Stegemann,
dann leben Sie wirklich auf einem anderen Stern . Gehen
Sie einmal in die Betriebe! Reden Sie mit den Jungen!
Die Jungen sind nicht froh, dass sie befristet beschäftigt
sind . Sie sind nicht froh, dass sie in Leiharbeitsverhältnissen sind . Sie sind auch nicht froh, dass sie nur bei
einem Werkvertragsunternehmen sind und dieselbe Tätigkeit machen wie der Kollege nebenan, aber schlechter
bezahlt werden, schlechtere Bedingungen haben . Was ist
denn das für ein Verhältnis, das Sie hier verteidigen wollen?
({4})
Herr Stegemann, Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung .
({0})
- Okay .
({1})
Ganz offensichtlich haben Sie nur die erste Hälfte
meiner Rede verfolgt . Ich habe eigentlich alles gesagt,
was dazu zu sagen ist . Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit, und das hat auch etwas mit einem erfolgreichen
Arbeitsmarkt zu tun . Dort, wo wir eine hohe Jugendarbeitslosigkeit haben, ist das Ausdruck eines verkrusteten
Arbeitsmarkts .
({0})
Ich habe das alles gerade geschildert . Ich würde Sie bitten, wenn Sie bei der nächsten Rede wieder intervenieren, der Rede komplett zu folgen .
Vielen Dank .
({1})
Als nächste Rednerin hat Beate Müller-Gemmeke von
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Jungen Menschen steht die ganze
Welt offen, so heißt es . Doch dieser optimistische Blick
in die Zukunft gilt in der Arbeitswelt schon lange nicht
mehr; denn der Weg in den Beruf verläuft immer häufiger
über prekäre Beschäftigung .
({0})
Angesichts der Diskussion muss ich sagen: Die Wahrheit
liegt zwischen diesen beiden Positionen .
({1})
- Genau, bei uns . - Nach Ausbildung und Studium sind
immer mehr junge Menschen mit Leiharbeit, Befristung,
Werkverträgen und Phasen der Arbeitslosigkeit konfrontiert . So ein Start ist wenig motivierend, und ermutigend
schon gar nicht . Das sollten Sie, die Regierungsfraktionen, endlich zur Kenntnis nehmen .
({2})
Wenn junge Menschen in erster Linie damit beschäftigt sind, immer wieder neue Jobs zu finden, und Unsicherheit für sie zum Normalzustand wird, dann fehlen
nicht nur die Chancen für Lebens- und Familienplanung,
dann fehlt auch die Kraft für gesellschaftliches, politisches und gewerkschaftliches Engagement . Ein Drittel
aller jungen Menschen macht sich heute Sorgen um die
eigene Zukunft . Das sind eindeutig zu viele . Auch sie
brauchen Wertschätzung . Sie brauchen vor allem Sicherheit, das heißt Arbeitsplätze mit Perspektive .
({3})
Aber es geht natürlich insgesamt um die Fehlentwicklungen in der Arbeitswelt, die von der Bundesregierung
entweder gar nicht oder nur unzureichend angepackt
werden . Im Antrag der Linken wird vieles angesprochen,
auch wenn wir nicht mit allem einverstanden sind . Die
Themen Befristung und Mindestlohn haben wir hier
schon häufig diskutiert. Auch wir kritisieren beim Mindestlohn die Ausnahmen für junge Menschen, und auch
wir wollen die sachgrundlose Befristung abschaffen .
({4})
Vor allem über die Leiharbeit werden wir in nächster
Zeit heftig diskutieren; denn Sie, die Regierungsfraktionen, planen ja Equal Pay nach neun Monaten. Das macht
für uns keinen Sinn . Nur wenige Leiharbeitskräfte werden davon profitieren, da die Mehrzahl bekanntlich nach
drei Monaten schon wieder arbeitslos ist . Wir wollen
auch keine Höchstüberlassungsdauer, weder 18 Monate
noch 3 Monate; denn die Auftragsspitzen sind je nach
Branche unterschiedlich . Vor allem würden so neue
Drehtüreffekte entstehen, und zwar wieder zulasten der
Leiharbeitskräfte . Das ist nicht akzeptabel .
({5})
Wir Grünen setzen ganz auf den Preis . Deshalb fordern
wir Equal Pay ab dem ersten Tag und einen Flexibilitätsbonus von 10 Prozent . Für die Betriebe lohnt sich Leiharbeit dann nur vorübergehend, und die Beschäftigten
erhalten endlich einen fairen Lohn und damit Wertschätzung und Anerkennung .
({6})
Unterschiedliche Einschätzungen gibt es auch bei
den Werkverträgen. Häufig leisten die Beschäftigten
mit Werkvertrag die gleiche Arbeit auf dem gleichen
Betriebsgelände wie die Stammbelegschaft . Bei dieser
Form von Werkverträgen geht es vor allem darum, Lohnkosten einzusparen. Es geht um Tarifflucht, von einem
guten in einen schlechteren Tarifvertrag. Häufig besteht
überhaupt keine Tarifbindung . Wenn so der Anstand in
Teilen der Wirtschaft verloren geht, dann müssen wir die
Rahmenbedingungen verändern - zum Schutz der Beschäftigten und vor allem auch zum Schutz der verantwortungsvollen Betriebe .
({7})
Notwendig sind deshalb eindeutige Kriterien . Vor allem aber wollen wir den Rettungsschirm im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz schließen; denn viele Betriebe
nutzen das aus . Sie vergeben ihre dubiosen Werkverträge
nur an Fremdfirmen mit einer Erlaubnis für Leiharbeit.
So können sie sich ganz einfach vor Rechtsfolgen schützen . Wer auf Scheinwerkverträge setzt, der muss zukünftig auch die rechtlichen Konsequenzen tragen. Das hat
abschreckende Wirkung, und das ist auch gerecht .
Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Beschäftigten brauchen faire Löhne und Sicherheit und die jungen
Menschen vor allem Chancen und Perspektiven . Wir
warten jetzt auf Ihren Gesetzentwurf . Ich hoffe sehr, Sie
haben Mut und schaffen damit endlich soziale Leitplanken auf dem Arbeitsmarkt .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Markus Paschke von der SPD-Fraktion spricht als nächster Redner .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was
macht Deutschland stark? Es ist ein Zusammenspiel zwischen sozialer Marktwirtschaft und gleichberechtigter
Teilhabe aller am wirtschaftlichen Erfolg .
({0})
Damit meine ich eine Beteiligung von Arbeitgeberinnen
und Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gleichermaßen . Keine Frage, im Durchschnitt
geht es uns gut . Gerade die jüngsten Entwicklungen auf
dem Arbeitsmarkt sowie bei den Einkommen und Renten
zeigen dies deutlich . Das heißt aber nicht, dass es allen
gut geht . Zur Ehrlichkeit gehört auch die Feststellung,
dass die neoliberale Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte und der Glaube, dass der Markt alles regelt, zu
erheblichen Diskrepanzen geführt hat;
({1})
denn der Markt funktioniert auf diese Weise nur, wenn
die Teilnehmer die gleichen Voraussetzungen und Kräfte
haben . Das ist im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer in der Regel nicht der Fall .
({2})
Eine Annäherung dieses Kräfteverhältnisses gibt es nur
durch starke Gewerkschaften und eine funktionierende
Mitbestimmung .
Beim Gesetzgebungsverfahren stellen sich die Fragen: Was ist gut für unsere Gesellschaft? Was ist nachhaltig? Welche Grundlagen müssen wir schaffen, um zukunftsfähig zu sein? - Sie haben recht, dass gerade junge
Menschen häufig nur befristete Arbeitsverträge erhalten.
({3})
Ich sage ganz klar: Das ist weder gut für die Gesellschaft
noch ist es nachhaltig, und es ist schon gar nicht zukunftsfähig .
({4})
Wir reden immer wieder über Fachkräftemangel, demografischen Wandel und darüber, was wir für junge Familien tun müssen . Klar ist doch: Wenn die Grundlage
nicht stimmt, dann hilft die Bekämpfung der Symptome
wenig .
({5})
Junge Menschen brauchen und wollen Sicherheit und
Anerkennung . Das ist in prekären Beschäftigungsverhältnissen in der Regel aber nicht der Fall .
Lassen Sie uns einen Blick auf die Realität werfen .
Eine junge Frau - nennen wir sie Hanna - ist als Leiharbeiterin bei VW beschäftigt . Gerade hat sie sich mit
ihrem Mann ein älteres Haus gekauft und mit der Familienplanung begonnen . Die ist jetzt erst einmal auf Eis
gelegt, weil sie nicht mehr einschätzen kann, wie es weitergeht . Sie hat keine Sicherheit, kann Auftragseinbrüche
nicht mit Kurzarbeit überbrücken und muss befürchten,
entlassen zu werden, falls das Fehlverhalten anderer Auswirkungen auf die Nachfrage hat . Völlig unverschuldet
sind ihre Träume von einer kleinen Familie geplatzt .
Hanna und ihr Mann haben sich darauf verständigt, erst
einmal wieder zu verhüten .
Wenn ich nicht weiß, ob ich mich selbst, geschweige
denn einen Partner und Kinder morgen noch ausreichend
versorgen kann, dann überlege ich mir sehr genau, ob ich
eine Familie gründe . Das heißt also: Die Familienplanung muss warten, und unsere Gesellschaft bekommt ein
Problem mit fehlendem Nachwuchs . Das ist volkswirtschaftlich und gesellschaftlich kontraproduktiv . Das ist
nicht nachhaltig . Wir brauchen also Rahmenbedingungen, die einen Ausgleich zwischen der notwendigen Flexibilität für Unternehmen und der ebenso notwendigen
Sicherheit für die Menschen schaffen .
In Bezug auf Ihren Antrag muss man die gleichen
Kriterien anlegen - Nutzen für die Gesellschaft, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit - und die Wirkung berücksichtigen . So fordern Sie in Ihrem Antrag eine Höchstüberlassungsdauer bei Leiharbeit von drei Monaten .
Ich befürchte bei einer so geringen Höchstüberlassungsdauer eher eine Verschlechterung für die betroffenen Arbeitnehmer und einen Drehtüreffekt bei Stellen mit einer
eher niedrigen Qualifikationsanforderung. Hanna hätte in
diesem Fall weder ein Haus gekauft noch mit der Familienplanung begonnen .
({6})
Zudem berücksichtigt Ihr Vorschlag nicht die Unterschiede in der Wirtschaft . Bei einer Firma, die Weihnachtsmänner aus Schokolade produziert, dauern die
Auftragsspitzen vielleicht zwei bis drei Monate .
({7})
Im Spezial- und Anlagenbau oder in der Produktentwicklung kann dies erheblich länger sein, weil die Projekte
viel anspruchsvoller sind .
Auch beim Thema Werkverträge sehe ich einige
Unschärfen und eine falsche Ausgangslage . Dort, wo
Werkverträge als Instrument zum Lohndumping benutzt
werden, liegt ein Missbrauchsverdacht nahe . Diesen
Missbrauch werden wir bekämpfen . Aber dies betrifft
längst nicht alle Werkverträge .
({8})
Wir müssen also aufpassen, das Kind nicht mit dem Bade
auszuschütten . Es geht uns klar darum, Missbrauch sowohl bei Leiharbeit als auch bei Werkverträgen zu bekämpfen . Es geht uns darum, einen gesellschaftlichen
Konsens zu finden, der nachhaltig und zukunftsfähig ist,
kurz gesagt: der unserer Gesellschaft guttut .
Gut gemeint ist also nicht gleich gut gemacht .
({9})
Deshalb werden wir Ihre Anträge ablehnen und demnächst einen gut gemachten Gesetzentwurf der Koalition
vorlegen .
({10})
Danke schön .
({11})
Vielen Dank . - Wilfried Oellers von der CDU/
CSU-Fraktion spricht als nächster Redner .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! In dieser Legislaturperiode, die gerade einmal
zwei Jahre alt ist, debattieren wir in diesem Haus zum
fünften Mal über die Thematik „Zeitarbeit, Werkverträge
und Befristungen“ . Wurden in den vorherigen Debatten
die Themen immer noch einzeln diskutiert, so sind nun
alle Themen in einem Antrag verankert . Bereits an dieser Stelle darf ich auf all meine vorher gehaltenen Reden
verweisen . Meine Meinung hat sich dahin gehend nicht
verändert .
Schaut man sich den Antrag genau an, so kann man
ihn, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken,
nur als Frontalangriff auf die Flexibilisierungsinstrumente des deutschen Arbeitsmarktes bezeichnen .
({0})
Sie möchten alle Flexibilisierungsinstrumente beseitigen
oder, so weit es geht, einschränken, die in der heutigen
Arbeits- und Wirtschaftswelt jedoch dringend erforderlich sind und eine starke Wirtschaft ausmachen . Dabei
scheinen Sie immer noch nicht verstanden zu haben, dass
sich die Arbeitswelt verändert hat und auch stetig verändern wird . Es sind Veränderungen festzustellen, die in
Richtung Spezialisierung, Selbstständigkeit und Flexibilität gehen .
Sie wollen mit Ihrem Antrag und der gesamten Diskussion nur Panik verursachen .
({1})
Dabei lassen Sie sehenden Auges außer Betracht, dass
die Arbeitsmarktsituation in Deutschland positive Rekorde erreicht .
({2})
Mit derzeit über 31 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und einer Erwerbstätigenzahl von fast 43 Millionen
({3})
erreichen wir nie dagewesene Zahlen . Mit 2,65 Millionen Arbeitslosen erreichen wir die niedrigste Arbeitslosenzahl seit der Wiedervereinigung . Der Arbeitsmarkt
gewinnt an Robustheit stetig dazu, und die Einkommen
steigen. Hiervon profitieren alle Menschen in Deutschland . Offensichtlich kommen Sie mit den guten Zahlen
nicht zurecht und suchen daher Themen, bei denen Sie
Panik verbreiten können .
({4})
In Ihrem Antrag sprechen Sie davon, dass in der heutigen Arbeitswelt nur schwer Gegenwehr gegen das Profitstreben der Unternehmen organisiert werden könne.
Mit diesen Worten verkennen Sie das Grundprinzip des
Wirtschaftslebens, nach dem ein Unternehmen nun einmal so geführt werden muss, dass es profitabel ist, damit
es überhaupt auf dem Markt bestehen kann . Offensichtlich ist Ihnen gleichgültig, wie Unternehmen auf dem
Markt zurechtkommen . Sie schüren eine Neiddebatte,
und für diese Wirtschaftsdenke fehlt mir absolut jedes
Verständnis .
({5})
Die Unternehmer in Deutschland sind es, die die Menschen in Arbeit bringen und gemeinsam mit ihnen, ihren Mitarbeitern, Produkte entwickeln, die uns hier in
Deutschland zu Wohlstand verhelfen . Hierfür gebührt
allen ein großer Dank .
Die genannten positiven Zahlen werden aufgrund der
derzeitigen Rechtslage erreicht . Daher gilt es, sehr behutsam vorzugehen, wenn man diese Rechtslage ändern
möchte . Einen Missbrauch von Flexibilisierungsinstrumenten möchte keiner . Er kann jedoch schon auf der jetzigen Rechtsgrundlage unterbunden werden .
({6})
Die Reaktion auf Missbrauch kann nicht sein, dass man
stets die Rechtslage verschärft . Damit trifft man nämlich
nicht diejenigen, die Missbrauch betreiben, sondern in
erster Linie die redlich handelnden Unternehmer, da sie
sich an Recht und Ordnung halten und durch schärfere
Gesetze unnötigerweise in ihrem Handeln beeinträchtigt
werden .
({7})
Zeitarbeit, Werkverträge und Befristungen sind wichtige Flexibilisierungsinstrumente, die in der heutigen
Wirtschaftswelt unverzichtbar sind . Es gilt, mit ihnen auf
wirtschaftliche Schwankungen zu reagieren, aber auch
auf die persönliche Situation der Mitarbeiter, die zum
Beispiel Elternzeit, Pflegezeit oder Familienpflegezeit all das ist besonders zu begrüßen - in Anspruch nehmen .
Wenn den Mitarbeitern flexible Instrumente gewährt
werden, muss der Arbeitgeber entsprechend flexible Gestaltungsmöglichkeiten haben . Sonst ist eine Ausgewogenheit der Interessen nicht hergestellt .
({8})
Die Zeitarbeit hat eine wichtige Brückenfunktion für
die Menschen und hilft, schneller in Arbeit zu kommen .
Sie hilft insbesondere den Menschen, die längere Zeit
nicht mehr in Arbeit waren, aber auch denen, die noch nie
in Arbeit waren, und vor allem denjenigen ohne Berufsausbildung . Letztere machen immerhin einen Anteil von
22 Prozent bei der Zeitarbeit aus . Die 850 000 Menschen
in Zeitarbeit
({9})
machen einen Anteil von lediglich 2 Prozent aus . Seit
2010 ist die Zahl stetig rückläufig. - Wir reden hier von
Zeitarbeit, ich zumindest .
({10})
Interessant ist auch, zu sehen, dass in wirtschaftlich
schwierigen Situationen stets ein Rückgang der Zeitarbeit zu verzeichnen ist . Dies sichert vor allen Dingen die
Stammbelegschaft der Unternehmen, und das sollte doch
auch in Ihrem Interesse sein . Zu erwähnen ist auch, dass
die Zeitarbeit zu fast 100 Prozent tarifvertraglich geregelt
ist .
({11})
Bereits jetzt besteht nach dem AÜG Equal Pay. Beide
Tarifvertragsparteien haben hier im Einvernehmen von
ihren Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht . Das
sollte an dieser Stelle erwähnt werden .
({12})
Ich verstehe daher nicht, dass Sie den Menschen diese
von beiden Tarifvertragsparteien gestaltete Brücke in den
Arbeitsmarkt nehmen wollen .
({13})
- Das ist wohl richtig .
({14})
Hinsichtlich der von Ihnen geforderten Regulierung
der Werkverträge sei erwähnt, dass es eine umfangreiche
Rechtsprechung gibt und die Gerichte selbst sagen, dass
sie alle Missbrauchsfälle lösen können . Die ebenfalls
geforderte Mitbestimmung in diesem Bereich würde die
unternehmerische Freiheit in unzulässiger Art und Weise
beeinträchtigen . An dieser Stelle würde mich interessieren, was Sie unter unternehmerischer Freiheit verstehen .
({15})
Zur Befristung habe ich bereits vor sechs Wochen gesprochen. In Kürze: Die derzeitige Befristungsquote liegt
bei 6,9 Prozent und ist damit die niedrigste seit der Wiedervereinigung . Die Tendenz seit 2010 ist stetig fallend .
Die Übernahmequote liegt bei fast 60 Prozent.
({16})
Betrachtet man darüber hinaus die jeweiligen Altersgruppen, so stellt man fest, dass mit steigendem Alter
der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse deutlich
sinkt . Ich darf mit der jüngsten Altersgruppe der 15- bis
24-Jährigen beginnen . Hier haben wir einen Anteil von
23 Prozent, und er fällt stetig . Schon bei der nächsten
Altersgruppe haben wir einen Anteil von 13,7,
({17})
bei der ältesten Altersgruppe beträgt der Anteil 3,7 Prozent . Bei einer solchen Entwicklung sehe ich keine Fehlstellung .
({18})
Im Rahmen des Berufseinstiegs kann es nicht als unüblich angesehen werden, dass zunächst befristete Arbeitsverhältnisse eingegangen werden . Die aufgezeigte Entwicklung verdeutlicht, dass der Fortgang in die richtige
Richtung geht .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme
zum Schluss . Die derzeitige Situation auf dem Arbeitsmarkt ist gut . Man sollte daher mit Änderungen sehr vorsichtig umgehen . Panikmache, wie Sie sie betreiben, ist
hier nicht angebracht .
({19})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Jutta
Krellmann von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Stegemann, lieber Herr
Oellers, wir haben das Thema schon oft diskutiert, und
wir werden das Thema noch zehnmal diskutieren - so
lange, bis die Regelungen geändert sind . Denn Tatsache
ist: Der Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen
ist in vielen Bereichen betriebliche Realität, und das insbesondere für die junge Generation . Ob Sie das wahrnehmen wollen oder nicht: Das ist ganz einfach so, und das
können wir auch beweisen .
({0})
Deswegen finde ich es in Ordnung, dass wir darüber reden . Aber Sie jammern schon wieder darüber, dass Sie
mit uns über dieses Thema reden müssen .
({1})
Das ist Ihre Aufgabe . Deswegen sind Sie hier, und dafür
bekommen Sie und andere auch Ihr Geld .
({2})
Frau Nahles hat schon 2014 darüber gesprochen, dass
sie den Missbrauch eindämmen möchte, aber seitdem
ist nichts passiert, tote Hose . Nur das Streikrecht wurde
eingeschränkt . Wir bleiben dabei: Der Missbrauch von
Leiharbeit und Werkverträgen muss endlich eingedämmt
werden, und zwar sofort,
({3})
zumal letzte Woche auf Anfrage der Linken herauskam,
dass die Bundesagentur für Arbeit Leiharbeitsfirmen
rechtswidrig mit Versicherungsgeldern bezuschusst. Was
für ein Skandal! Das sagt auch der Bundesrechnungshof,
der die Vergabepraxis der Bundesagentur für Arbeit in
Bezug auf Leiharbeitsunternehmen überprüft und eine
ungerechtfertigte Subventionierung festgestellt hat. Was
sagen Sie dazu? Ist das in Ordnung, dass Leiharbeitsfirmen auch noch zusätzlich unterstützt werden? Das ist
doch ein Skandal!
Übrigens steht in der Koalitionsvereinbarung, dass
man den Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher verhindern will. Das war das ursprüngliche Ziel von
Frau Nahles. Erinnern wir uns, was in der letzten Tarifrunde bei der Post passiert ist - ich sage ausdrücklich: die
Post gehört zu 21 Prozent der Bundesregierung -:
({4})
Damals wurden Leiharbeitnehmer ungeniert zum Streikbruch eingesetzt. Gerade diesen Missbrauch von Leiharbeit wollte Frau Nahles doch eindämmen. Und jetzt hört
man, dass genau dieses Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher nicht kommen soll. Das ist
eine ganz schreckliche Geschichte.
({5})
Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wir reden hier über
Missbrauch!
({6})
Völlig unnütz erscheint eine Regelung, mit der die
Ministerin die Höchstüberlassungsdauer - das ist eben
schon angesprochen worden - von 24 Monaten auf
18 Monate beschränken will; denn die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse dauert weniger als drei Monate - weniger als drei Monate! Man höre und staune: Dort, wo
Tarifverträge gelten, da will die Ministerin es mit den
18 Monaten nicht so genau nehmen. Mit anderen Worten: Es soll wieder Spielräume für andere Möglichkeiten
geben. Scheinbar haben die Ministerin und die Koalitionsfraktionen keine Sorge, dass uns die sogenannten
christlichen Gewerkschaften erneut mit Gefälligkeitstarifverträgen überschwemmen, die dann nicht mehr einzudämmen sind.
({7})
Nun zu den Werkverträgen: Werkverträge sind zur
Umgehung von Arbeitnehmerstandards für Arbeitgeber
zunehmend attraktiv geworden. Unternehmen können
völlig legal
({8})1)
- Sie dürfen gleich, wenn Sie möchten, oder stellen Sie
mir einfach eine Frage; ich beantworte sie gerne - unter-
nehmerische Risiken ausgliedern und die Verantwortung
an nichttarifgebundene Lohndumpingfirmen übertragen.
1) Siehe Berichtigung, 134. Sitzung, Seite 13133
Das ist Missbrauch von Werkverträgen auf breiter Ebene.
Jeder weiß, dass der einzige Schutz gegen Missbrauch
die Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte
ist. Aber ausgerechnet das will Frau Nahles scheinbar
nicht. Der Ministerin geht es nur um die Verbesserung
von Informationsrechten. Die gibt es aber schon heute.
Das ist wieder nur heiße Luft.
Die Linke hat als erste Fraktion im Bundestag das
Problem des Missbrauchs von Werkverträgen angesprochen. Wir fordern, dass es an dieser Stelle endlich klare
gesetzliche Regelungen gibt: Gleicher Lohn für gleiche
Arbeit ab dem ersten Tag, Betriebsräte benötigen ein
zwingendes Mitbestimmungsrecht, und es bedarf wirksamer Kontrollen und empfindlicher Strafen bei Scheinwerkverträgen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Danke. - Wer den Missbrauch von Leiharbeit und
Werkverträgen ernsthaft im Interesse von Arbeitnehmern
regeln will, muss unserem Antrag zustimmen.
Vielen Dank.
Vielen Dank. - Michael Gerdes von der SPD-Fraktion
hat als nächster Redner das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Zuschauerinnen und Zuschauer! In der Rede meines Kollegen Markus Paschke ist schon sehr deutlich geworden,
dass die SPD dem Missbrauch der Leiharbeit eine Absage erteilt. Wir finden es nicht richtig, wenn für Stammbelegschaft und Leiharbeitsbeschäftigte unterschiedliche
Arbeitsbedingungen gelten. Aber wir stehen dazu, Leiharbeit auf ihren Kern zu begrenzen.
Leiharbeit ist durchaus ein Instrument zur Abdeckung
von Auftragsspitzen oder Urlaubszeiten.
({0})
Es geht um schnelles Reagieren und mehr Flexibilität bei
der Erfüllung von Aufträgen. Das ist so weit nachvollziehbar.
Auch als früherer Betriebsrat und überzeugter Gewerkschafter scheue ich mich nicht, zu sagen, dass es
Firmen gibt, die sehr verantwortungsvoll mit dem Thema
Leiharbeit umgehen. Leiharbeit kann durchaus in ein festes Beschäftigungsverhältnis münden. Das durfte ich vor
einigen Tagen im Rahmen eines Praktikums in meinem
Wahlkreis persönlich erfahren. Wogegen wir uns wehren,
ist: dauerhafte Überlassung, Scheinwerkverträge mit hohen sozialen Risiken und Ungleichbehandlungen.
({1})
Nun aber zum Antrag mit dem Titel „Junge Beschäftigte vor prekärer Arbeit schützen“ . Meine Damen und
Herren der Linken, die Überschrift Ihres Antrags kann
ich voll und ganz mittragen und unterstützen .
({2})
Auch ich wünsche mir, dass junge Menschen einen sicheren Start ins Arbeitsleben haben und dass ihnen von
Beginn an gute Rahmenbedingungen geboten werden .
Schaut man allerdings in die Details Ihres Antrages, wird
klar, dass es Ihnen vornehmlich um ein komplettes Verbot von Leiharbeit und weniger um die tatsächliche Situation junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt geht .
({3})
Dem können wir logischerweise nicht zustimmen .
({4})
Wenn es anders wäre, hätte die Linke besser analysiert, warum und für wen der Einstieg ins Arbeitsleben
schwieriger bzw . unbeständiger geworden ist . Betroffen
sind vor allem Ungelernte und Geringqualifizierte, also
Jugendliche ohne Schulabschluss und/oder ohne abgeschlossene Berufsausbildung . Weil wir von der SPD dieses Problem schon seit längerem kennen, haben wir mit
der Koalition verschiedene Maßnahmen in die Wege geleitet, damit junge Menschen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben .
Sie haben bisher immer nur gesagt, was Frau Nahles
nicht getan hat . Ich will einmal sagen, was Frau Nahles
getan hat . Ich nenne einige Maßnahmen: Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes haben wir genau
definiert, dass ein Praktikum ein Lernverhältnis ist, bei
dem bestimmte Standards einzuhalten sind . Wir haben
somit verhindert, dass junge Menschen mit abgeschlossener Ausbildung oder abgeschlossenem Studium mit
halb- oder ganzjährigen Praktikumsverträgen abgespeist
werden, obwohl sie reguläre Arbeit leisten . Damit ist die
Generation Praktikum vorbei .
({5})
Die Allianz für Aus- und Weiterbildung ist eine beschlossene Sache . Im Mittelpunkt steht für uns das Versprechen auf eine Ausbildungsgarantie . Das heißt, wir
wollen erreichen, dass am Ende kein junger Mensch, der
das Potenzial hat und diesen Weg gehen will, ohne eine
qualifizierte Ausbildung bleibt. In der Allianz enthalten
sind unter anderem die assistierte Ausbildung sowie die
ausbildungsbegleitenden Hilfen . Beide Instrumente haben das Ziel, jungen Menschen beim Lernen unter die
Arme zu greifen, etwa beim Erfassen von fachlichen Inhalten, beim Abbau sprachlicher Defizite oder in Form
von sozialpädagogischer Hilfe . Sie können den Einstieg
in eine Ausbildung und auch deren Abschluss schaffen .
Teil der Allianz für Aus- und Fortbildung ist auch die
Verbesserung der Berufseinstiegsqualifizierung und Berufsorientierung . Wir wissen, dass der Übergang von der
Schule in den Beruf nicht immer so reibungslos läuft,
wie wir es uns gerne wünschen . Hier müssen wir besser
aufklären . Wir müssen Pfade aufzeigen, wie man in die
Berufswelt kommt . In diesem Zusammenhang halte ich
Jugendberufsagenturen für sehr sinnvoll .
({6})
Langfristiges Ziel ist ein vergleichbares, gleich gutes
Angebot für alle am Übergang von der Schule zur Ausbildung, egal woher die jungen Menschen stammen, wo
sie wohnen oder welche Schulform sie besucht haben .
Was wir gemeinsam mit den Sozialpartnern vermeiden
bzw . verringern müssen, sind abgebrochene Ausbildungen . Es gilt, die Vorteile der dualen Ausbildung noch
besser zu nutzen . Das Zusammenspiel von Schule und
Betrieb macht uns stark . Die Praxisorientierung in der
Ausbildung hilft den Unternehmern, aber sie hilft auch
den jungen Arbeitnehmern . Genauso wenig dürfen wir
diejenigen außer Acht lassen, die die Schule ohne Abschluss verlassen . Wir müssen junge Menschen befähigen . Jeder soll zeigen können, was in ihr oder was in ihm
steckt .
Im Bereich der Weiterbildung setzt die bereits genannte Allianz zwei Ausrufungszeichen . Der Bund verbessert
erstens das sogenannte Meister-BAföG . Im Übrigen ist
das Meister-BAföG ein Erfolg . Es hat neben der Förderung von Meistern, Technikern und Fachwirten zu einer
verstärkten beruflichen Bildung in Richtung der zunehmend relevanter werdenden Gesundheitsberufe geführt .
Zweitens verpflichten sich die Allianzpartner, ihre Anstrengungen zur Nachqualifizierung insbesondere erwerbstätiger junger Menschen ohne Berufsabschluss zu
verstärken .
All diese Maßnahmen sollen vor prekären Jobs schützen. Qualifizierung ist ein Schlüssel zum Erfolg, egal in
welchem Alter . Gerade im Hinblick auf Arbeiten 4 .0 wird
Weiterbildung einen viel höheren Stellenwert benötigen
als bisher . Heute nehmen gerade einmal 50 Prozent aller
Arbeitnehmer im Laufe ihres gesamten Berufslebens an
einer Weiterbildung teil, auch hier leider mit der typischen Schieflage: Frauen, Migranten und Ältere haben
deutlich weniger Zugang zu qualifizierter Weiterbildung.
Oftmals hat das auch finanzielle Gründe. Besonders junge Menschen können sich weiterbildende Maßnahmen
schlichtweg nicht leisten, weil sie sich, wie wir gerade
schon gehört haben, neben dem Einstieg ins Berufsleben
eine Zukunft für ihre Familie aufbauen wollen . Dabei ist
vor allem eine gute Ausbildung der wesentliche Faktor,
der vor prekärer Arbeit schützt . Hier werden wir künftig
noch mehr Möglichkeiten schaffen .
Herzlichen Dank und Glück auf!
({7})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Markus Kurth
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem wir jetzt eine - Herr Gerdes, ich muss es so
sagen - doch etwas ermüdende Spiegelstrichliste mit
Details, die mit dem Thema wenig bis gar nichts zu tun
haben, gehört haben,
({0})
will ich ein bisschen auf die gesamte Debatte blicken,
die, wie ich finde, gerade wenn man die ersten Wortbeiträge von der Linken und auch von der Union gehört hat,
bisher ein bisschen grobschlächtig verlaufen ist .
Herr Kurth, lassen Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Gerdes zu?
Ja, bitte schön .
({0})
- Er hat ja Druck .
({1})
Ich höre gerade, Sie hätten noch nichts gesagt; dem
kann ich so nicht zustimmen . - Sind Sie wie ich der
Meinung, dass im Antrag sehr wohl steht, wie wir für
junge Menschen berufliche Qualifizierung durchführen
wollen? Oder haben die Maßnahmen, die ich gerade vorgeschlagen habe, damit nichts zu tun? Schützen sie also
nicht vor prekärer Beschäftigung?
Hier geht es im Wesentlichen um Regelungen tarifvertraglicher Natur und um solche, die das Arbeitsvertragsverhältnis betreffen . Ich würde doch niemals in Abrede stellen, dass - das ist selbstverständlich - Dinge wie
spezialisierte Jugendberufsagenturen, Qualifizierung und
dergleichen mehr eine gute Voraussetzung und überhaupt
erst die Bedingung der Möglichkeit sind, prekärer Beschäftigung zu entfliehen und in ein sicheres Arbeitsverhältnis zu kommen .
({0})
Aber der entscheidende Punkt, Herr Gerdes, über den
wir hier diskutieren, ist, dass sehr viele junge Leute trotz
guter Schulbildung, trotz einer Ausbildung und sogar
trotz eines Studiums nichts anderes bekommen als ein
befristetes Beschäftigungsverhältnis .
({1})
- Bleiben Sie bitte stehen! Ich bin noch nicht fertig . Jetzt
kommen Sie in Nöte; dann setzen Sie sich hin . - Sie haben keine Chance . Das ist der Punkt, über den wir hier
diskutieren und den wir hier besprechen müssen . Das ist
der Kern der Debatte, weswegen ich eben die Eingangsbemerkung zu Ihnen gemacht habe .
({2})
Ich will jetzt zum Thema zurückkommen . Die Debatte
wurde bisher, wie gesagt, etwas grobschlächtig geführt .
Beide Eingangsredner tauchten in die 70er-Jahre ein . Der
eine beschwor die DDR, der andere die Metallwelt in
Schweinfurt von 1971 . So kann man diese Debatte nicht
führen .
({3})
Ich finde, dass das Argument, es handele sich nur um verordnete Arbeitsverhältnisse, und eine Neiddebatte dem
tatsächlichen Problem nicht gerecht werden .
({4})
Aber was dem Problem auch nicht gerecht wird - das
will ich wiederum zur Linken sagen -: Wenn Sie in Ihrem
Antrag „Junge Beschäftigte vor prekärer Beschäftigung
schützen“ schreiben, 25 Prozent aller unter 25-Jährigen
hätten nur einen Minijob, dann finde ich das nicht seriös;
({5})
denn da sind sehr viele Studenten und Schüler dabei .
({6})
- Das steht in Ihrem Antrag drin .
({7})
Ich finde - da war Frau Müller-Gemmeke von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wirklich eine Erholung -,
({8})
wir könnten da differenzierter herangehen, und wir müssen da differenzierter herangehen .
({9})
Ich will das, weil ich mich eigentlich auf einen anderen
Aspekt konzentrieren möchte, nur am Beispiel der Leiharbeit deutlich machen . Wir sind nicht für ein Verbot der
Leiharbeit, weil Leih- und Zeitarbeit bei Auftragsspitzen,
in speziellen Situationen in einem Unternehmen natürlich sehr wohl eine gute und vernünftige Ergänzung sein
können; davor kann doch keiner die Augen verschließen .
Aber auf der anderen Seite, liebe Vertreterinnen und Vertreter der Union: Equal Pay erst nach neun Monaten, das
greift doch nicht! An dieser Stelle wird dann eben doch
eine Tür für Lohndumping geöffnet . Zwischen diesen
beiden Polen müsste man nach einer differenzierten und
sachgerechten Lösung suchen,
({10})
und zwar auch deswegen, weil diejenigen, die jetzt jung
und prekär beschäftigt sind, irgendwann nicht mehr jung
sind, sondern alt . Dann kommt das doppelt und dreifach
zurück .
Die Rente ist der Spiegel des Arbeitslebens . Wer schon
als junger Mensch möglicherweise mehrere Jahre prekär,
niedrig entlohnt beschäftigt war, wird kaum die Chance
haben, ein existenzsicherndes Renteneinkommen zu erzielen .
({11})
Dann fällt die ganze Sache wieder auf die öffentliche
Hand und auf den Staat zurück . Er muss dann als Ausfallbürge im Alter, etwa über Grundsicherungszahlungen,
Leistungen erbringen. Das geht definitiv nicht.
({12})
Ich will das einmal am Beispiel der Zeitarbeit illustrieren . Ein Zeitarbeiter mit abgeschlossener Berufsausbildung verdient laut Statistischem Bundesamt im
Durchschnitt 1 528 Euro brutto . Das ist ein guter halber
Rentenpunkt . Wissen Sie, wie lange er braucht, bis er damit auf 30 Entgeltpunkte kommt? 57 Jahre! Wir hoffen
natürlich, dass das keine durchgehende Vollerwerbsbiografie ist. Aber das mag doch zumindest ein Indikator
dafür sein, dass prekäre Beschäftigung zurückgedrängt
gehört . Da, wo wir Rahmenbedingungen setzen können,
sollten wir sie an dieser Stelle auch setzen .
({13})
Gerade in den betrieblichen Bereichen, in denen prekäre Beschäftigung verbreitet ist, sehen wir, dass auch
das Drei-Säulen-Modell nicht richtig funktioniert . Gerade unter niedrig entlohnten Beschäftigten ist die Verbreitung etwa der Betriebsrente minimal . Sie greift zwar
in großen Industriebetrieben, aber gerade im Bereich der
Leiharbeit ist die zweite Säule praktisch nicht existent .
Und natürlich haben Personen, die sich über ihre weitere
ökonomische Perspektive im Unklaren sind, auch nicht
viele Anreize, die geförderte private Altersvorsorge, die
Riester-Rente, in Anspruch zu nehmen .
Die Kombination dieser Punkte birgt das Risiko, dass
es zu einer verschärften Altersarmut kommt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich plädiere dafür,
die Debatte jetzt nicht nur mit dem Holzhammer weiterzuführen, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
Danke .
({14})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Stephan
Stracke von der CDU/CSU das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Warum führen wir heute eigentlich diese Debatte? Ich habe den Eindruck, der eigentliche Grund liegt
vor allem darin, dass die Plenarplaner der Linken darauf
gesetzt haben, dass die Ministerin nach dem Gewerkschaftstag der IG Metall hier ihre Vorschläge zur Zeitarbeit und zu den Werkverträgen auf den Tisch legen würde . Das hat sie nicht getan . Schade .
({0})
Aber selbst wenn sie es getan hätte, lieber Herr Ernst:
Ihre Vorschläge taugen einfach nicht als Gegenkonzept .
Die komplette Regulierung des Arbeitsmarktes ist mit
uns als Union nicht zu machen .
({1})
Sie wollen die Zeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse und die Minijobs so weit wie möglich abschaffen und
die Werkverträge umfassend regulieren und damit die
Arbeitswelt in Deutschland vollkommen auf den Kopf
stellen . Am Ende vernichten Sie nichts anderes als Arbeitsplätze in unserem Land .
Schauen Sie zu unseren Nachbarstaaten in Europa
und darauf, zu welchen Folgen dort beispielsweise die
Überregulierung im Arbeitsrecht und die höchsten Mindestlöhne geführt haben . All diese Länder schauen voller
Anerkennung nach Deutschland . Sie reden vom deutschen Jobwunder . Europa orientiert sich an Deutschland,
die Linken orientieren sich an diesen Ländern, die in der
Vergangenheit sehr viel falsch gemacht haben . Das ist
doch absurd . Europa will Best Practice, die Linken Worst
Practice . Das ist mit uns nicht zu machen .
({2})
Der deutsche Arbeitsmarkt ist bestens aufgestellt . Es
gibt keine großen Baustellen . Die Zahl der Arbeitslosen
in Deutschland beträgt 2,65 Millionen . Sie ist so niedrig
wie seit 24 Jahren nicht mehr . Der BA-Chef Frank-Jürgen
Weise blickt zuversichtlich auf das, was kommen mag .
({3})
Das zeigt: Die deutsche Erfolgsstory auf dem Arbeitsmarkt geht unvermindert weiter .
Das Statistische Bundesamt hat vorgestern eine Studie
zur Qualität der Arbeit in Deutschland vorgelegt . Fazit:
Die Dauer der Beschäftigung beim aktuellen Arbeitgeber kann als wichtiger Indikator für die Stabilität
der Beschäftigung angesehen werden, die sich auch
auf die Zufriedenheit der Beschäftigten auswirken
kann .
Die Zahlen: Gut 45 Prozent der befragten Erwerbstätigen waren 2014 seit mindestens zehn Jahren bei ihrem
Arbeitgeber beschäftigt, fast 20 Prozent arbeiten seit fünf
bis zehn Jahren am gleichen Arbeitsplatz, und ein Drittel
gab an, eine Beschäftigungsdauer von weniger als fünf
Jahren zu haben . Das zeigt: Die Zufriedenheit der Beschäftigten in Deutschland ist sehr hoch .
Seit 2012 sinkt die Befristungsquote. Sie erreichte im
Jahr 2014 mit einem Wert von 8,1 Prozent wieder das
Niveau von 2005 . Damit liegen wir in Deutschland nicht
weit weg von der Spitze und unter dem EU-Durchschnitt,
der bei 11 Prozent liegt. Damit ist die Befristungsquote
hier in diesem Land eine gute .
Deutschland zählt im Übrigen auch zu den Ländern,
in denen Frauen nicht deutlich mehr befristet beschäftigt
sind als Männer . Auch dieses Verhältnis ist ein gutes und
vorbildlich für Europa .
Das ließe sich - bei allem Missbrauch, der sich im Einzelfall natürlich zeigen mag - weiter fortsetzen . Auf dem
deutschen Arbeitsmarkt gibt es keine großen Baustellen,
und wenn einer weiß, wie man gute Arbeit sicherstellt,
dann sind es Arbeitgeber und Gewerkschaften .
Wie hat es die Kanzlerin auf dem Tag der Deutschen
Industrie gesagt? Die besseren Bauarbeiter sind die Sozialpartner, nicht die Politiker . Ich ergänze: Die Linken
sind dies erst recht nicht .
({4})
Was sind unsere arbeitsmarktpolitischen Themen? Wir
wollen den Schwachen eine Brücke in den Arbeitsmarkt
bauen . Jeder soll seine Chance erhalten . Dazu brauchen
wir die Zeitarbeit und auch die Befristung von Arbeitsverhältnissen .
Die Kollegin Müller-Gemmeke hat die Überlassungsdauer bei Zeitarbeit bereits zu Recht angesprochen . Der
Vorschlag der Linken, der darauf zielt, die Überlassungsdauer auf drei Monate zu begrenzen, reißt gerade
die Brücken - Sie haben es dankenswerterweise sehr
pointiert herausgestellt - in den Arbeitsmarkt ein . Das
bedeutet vor allem für die andere Hälfte derer mehr Unsicherheit, weniger Einkommen, mehr Arbeitslosigkeit .
Der Vorschlag der Linken schadet den in der Zeitarbeit
Beschäftigten, und deswegen machen wir so etwas auch
nicht .
({5})
- Ich glaube nicht, dass die das anders sehen . Die Vollzeitarbeitsquote in der Zeitarbeit ist ja deutlich höher als
beim Durchschnitt der sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsplätze . Das zeigt, dass hier durchaus Zufriedenheit da ist . Ich weiß nicht, ob die Wahl, keinen Job zu
haben oder einen Job zu haben, der auch gut bezahlt und
häufiger in Vollzeit ausgeübt wird als im Durchschnitt der
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze, tatsächlich
so schlecht ist . Sie sollten eher daran denken, dass den
Menschen hier ein sicherer Arbeitsplatz durchaus etwas
wert ist .
({6})
Wir schaffen hier gerade auch für Geringqualifizierte
Chancen, auch dafür steht die Zeitarbeit .
Wir wollen die unternehmerische Grundentscheidung
darüber, ob die Wertschöpfung in den Unternehmen
selbst durchgeführt oder auf Werk- und Dienstleistungsverträge zurückgegriffen wird - dies ist Teil der freien
Unternehmensentscheidung -, im Grunde nicht verändern . Deswegen gibt es auch keinen Grund, die klassischen Werkverträge einzuschränken .
Herr Stracke, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Aber selbstverständlich, ja .
Frau Krellmann .
Vielen Dank, Herr Stracke, das ist absolut souverän .
Meine Frage ist: Ist Ihnen bekannt, dass nur 7 Prozent
der Leiharbeitsbeschäftigten aus der Leiharbeit heraus
ein Dauerarbeitsverhältnis erhalten?
Ja, liebe Frau Kollegin Krellmann, das ist mir sehr
wohl bekannt .
({0})
Wir wissen allerdings auch, dass zwei Drittel derer, die
in der Zeitarbeit beschäftigt sind, vorher arbeitslos waren, und jeder Zweite übt eine Helfertätigkeit aus . Das
heißt, es ist sehr wohl eine Chance gerade für Geringqualifizierte oder Nichtqualifizierte, in den Arbeitsmarkt
zu kommen .
({1})
Dass die Klebeeffekte im sogenannten Arbeitsmarkt, den
Sie mit dem Normalarbeitsverhältnis beschreiben - was
ich in Abrede stelle -, nicht so groß sind, Frau Krellmann,
ist richtig. Aber es ist ein sozialversicherungspflichtiges
Arbeitsverhältnis, in dem ich als Zeitarbeiter stehe . Ich
werde in keiner Weise diskriminiert, sondern habe hier
die gleichen Rechte wie jeder andere in einem Arbeitsverhältnis auch .
({2})
- Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln . Sie können gern eine Nachfrage stellen, dann können wir gern
noch darüber diskutieren .
Aber das zeigt: Die Zeitarbeit ist etwas, was eine Brücke in den Arbeitsmarkt darstellt und insbesondere Geringqualifizierten nutzt und nicht schadet.
({3})
- Ja, und das freut mich .
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen
sicherlich vor Herausforderungen, zum einen, was den
digitalen Wandel in der Arbeitswelt angeht, zum anderen
aber auch, was die Integration von Hunderttausenden von
Flüchtlingen, die in unser Land kommen, angeht . Wir
wissen, dass diese Herausforderungen gewaltig sein werden . 90 Prozent derer, die zu uns kommen und erwerbsfäStephan Stracke
hig sind, sind nicht unmittelbar in den Arbeitsmarkt integrierbar. Eine Berufsqualifikation ist bei über 80 Prozent
nicht vorhanden. Die Analphabetenquote liegt bei über
20 Prozent, und Sprache und Schrift müssen auch neu
erlernt werden . Das zeigt beispielhaft, vor welchen Herausforderungen wir hier stehen, was den Arbeitsmarkt
angeht . Diesen Herausforderungen begegnen wir mit
entsprechenden Maßnahmen . Das zeigt aber auch: Wenn
Integration gelingen will, und zwar langfristig, brauchen
wir auch eine Reduzierung bzw . Begrenzung der Flüchtlingszahlen, sonst wird dies in diesem Land nicht nachhaltig funktionieren .
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Land
steht derzeit gut da . Die Regierung und die Koalition
sind ins Gelingen verliebt . Sie denken in Lösungen . Die
Linken denken in Defiziten. Ich habe den Eindruck: Was
wirklich prekär ist, ist nicht unsere Arbeitswelt, sondern
sind die Vorschläge und Anträge der Linken .
Herzliches Dankeschön .
({6})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Bernd Rützel
von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren!
Es kann doch niemand bestreiten, dass die Kernfunktion von Leiharbeit ist, Auftragsspitzen abzufedern, und
Werkverträge nur dort sinnvoll sind, wo es um Spezialisierung über das Fachgebiet eines Betriebes hinaus geht .
Für Befristungen von Arbeitsverhältnissen gibt es eine
Reihe guter Sachgründe . Aber wenn das so wäre, dann
würden wir uns heute über dieses Thema, und zwar zu
Recht, nicht zum x-ten Mal unterhalten .
({0})
Manche Arbeitgeber - ich sage: nur manche; es gibt
sehr vorbildliche Arbeitgeber - haben den Bogen überspannt . Man hat ihnen den Finger gegeben, und sie haben
den Arm herausgerissen .
Zu weit getrieben, verfehlt die Strenge ihres weisen
Zwecks, und allzu straff gespannt, zerspringt der
Bogen .
Das ist nicht von mir, sondern von Friedrich Schiller . Er
hat aber recht .
({1})
- Nein, das glaube ich nicht . - Wir haben heute schon viel
über diesen enormen Anstieg der atypischen Beschäftigung gesprochen . Die Leiharbeit ist in den letzten zehn
Jahren um das Zweieinhalbfache gestiegen . Leiharbeit,
Werkverträge und Befristungen dürfen nicht zu Lohndumping und Tarifflucht führen. Leider ist das so. Deshalb reichen die geltenden Regelungen zum Schutz der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr aus .
Diese Wirtschaft tötet … Der Mensch an sich wird
wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen
und dann wegwerfen kann .
Auch diese Sätze stammen nicht von mir . Sie stammen
von Papst Franziskus, der diese Sätze in seiner Enzyklika
Evangelii Gaudium 2013 - das ist noch gar nicht lange
her - ausgeführt hat . Weil der Papst recht hat und auch
wir das wollen, werden wir die Leiharbeit und die Werkverträge wieder auf ihre Kernfunktion begrenzen .
({2})
Zu dieser Kernfunktion gehört es nicht, dass man das Unternehmerrisiko auf die Beschäftigten abwälzt, so wie es
heute gemacht wird: Wenn sich die wirtschaftliche Lage
verschlechtert, dann müssen sie als Erste gehen .
Ich will an dieser Stelle aber auch nicht verschweigen, dass sich manche Betriebsräte und manche Gewerkschafter mit Leiharbeit und mit Werkverträgen arrangiert
haben . Manche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
lassen sich auf einen Leiharbeitsvertrag ein . Wir haben
gehört, dass manche das sehr gerne machen . Ich sage:
Die wenigsten tun das freiwillig .
({3})
Die meisten tun es aus der Not heraus .
Betriebe erkaufen sich damit Flexibilität - das ist
nichts Schlimmes, das ist in Ordnung -, trotz deutlich
höherer Monatskosten . Die Belegschaft weiß zwar, dass
Leiharbeiter Konkurrenz für sie sind, aber sie sieht auch
den großen Vorteil dieses Polsters von Leiharbeitern, die
zuerst in den sauren Apfel beißen müssen, wenn sich im
Betrieb etwas verändert .
({4})
Die hohe Anzahl an Werkverträgen ist nichts anderes als
verschleierte Leiharbeit . Es darf keine Leiharbeit unter
dem Deckmantel der Werkarbeit geben . Deswegen werden wir ganz genau der Frage nachgehen, was ein Werkvertrag und was ein Scheinwerkvertrag ist .
({5})
Lassen Sie mich noch einen Punkt anführen, weshalb
diese Regulierung auch für die Unternehmen sehr wichtig ist, dass wir also Leiharbeit und Werkverträge wieder
auf die Beine stellen . Betrachten wir die Deutsche Post
und DHL . Durch den enormen Druck durch Dumpingkonkurrenz werden Betriebe wie die Deutsche Post und
die DHL, die eigentlich gute Tarifbindung und ordentliche Arbeitsbedingungen haben oder hatten, zu „Strukturen“ gezwungen, die von Leiharbeit und Werkverträgen
bestimmt sind . Dieser Entwicklung müssen wir entgegentreten .
Eines möchte ich deutlich sagen: Nicht die Leiharbeit
und die Werkverträge sind die Garanten für gute Betriebsergebnisse bei großen Playern - heute könnten wir
auch sagen: bei großen Autobauern -,
({6})
sondern Ehrlichkeit und Geradlinigkeit .
({7})
Dass die von uns geplanten Regelungen eingehalten
werden, dafür brauchen wir starke Betriebsräte .
({8})
Ich freue mich, dass wir sehr bald einen Entwurf vorlegen werden, wodurch die Leiharbeit und die Werkverträge auf ihre ursprünglich gedachte Funktion zurückgeführt werden sollen .
Herzlichen Dank .
({9})
Das Wort hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Internationale Arbeitsorganisation hat unlängst einen Bericht vorgelegt,
der in der Tat besorgniserregend ist . Danach haben weltweit immer weniger Menschen einen festen Job . Von
den Menschen, die nach unserem Verständnis einer abhängigen Beschäftigung nachgehen, die also Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer sind, haben weltweit nur noch
42 Prozent einen unbefristeten Vertrag .
Ich nenne das deswegen, weil man einfach einmal einen Vergleich zum deutschen Arbeitsmarkt wagen muss .
Das Statistische Bundesamt hat bekannt gegeben, dass im
Jahr 2014 die Zahl der sogenannten Normalarbeitsverhältnisse, also das, was wir uns als Ideal wünschen, auf
24,5 Millionen zugenommen hat und dass sich damit der
Anteil der Beschäftigten im sogenannten Normalarbeitsverhältnis im Vergleich zu allen anderen Erwerbstätigen
auf 68,3 Prozent entwickelt hat, gegenüber 67,5 Prozent
im Vorjahr .
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, weltweit geht
es mit prekärer Beschäftigung nach oben . Bei uns in
Deutschland geht es mit prekärer Beschäftigung nach
unten . Das ist die gute Nachricht .
({0})
Im Vergleich dazu die anderen Zahlen: Das, was unter prekärer Beschäftigung zusammengefasst wird, was
nicht immer unbedingt prekär sein muss, also Personen
in Minijobs, in befristeter Beschäftigung, Teilzeitarbeit
bis 20 Stunden und Zeitarbeit oder Leiharbeit, wie immer
Sie wollen, hat von 21,4 Prozent auf 20,9 Prozent abgenommen . Das Statistische Bundesamt stellt fest: Damit
setzte sich der bereits 2012 beobachtete Rückgang der
atypischen Beschäftigung fort .
Die Bundesagentur für Arbeit hat erst kürzlich den
bereits zitierten Rekordstand von 31,3 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen
bekannt gegeben - Höchststand der Beschäftigung in
Deutschland .
Dabei ist auch wichtig: Die BA teilt uns mit, dass die
Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen
proportional stärker gestiegen ist als die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse insgesamt . Die Behauptung der
Opposition, prekäre Beschäftigung in Deutschland nehme zu, stimmt also nicht . Das Gegenteil ist der Fall . Das
sollten wir heute einmal erfreut feststellen .
({1})
Damit jetzt hier nicht ein falscher Gegensatz aufgebaut wird: Selbstverständlich wollen auch die Koalitionsfraktionen, CDU/CSU und SPD, dass die Zahl der
Normalarbeitsverhältnisse weiter ansteigt, dass möglichst viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die
Gelegenheit haben, in ein festes Arbeitsverhältnis mit
ordentlicher Entlohnung zu kommen . Das ist unser Ziel,
nicht das Gegenteil .
Ich behaupte: Mit einer wachstumsorientierten und
vernünftigen Politik wird die Große Koalition es schaffen, auf diesem erfolgreichen Weg zu mehr Normalarbeitsverhältnissen in Deutschland weiter voranzuschreiten - im Gegensatz zu dem, was leider in der Welt sonst
los ist .
({2})
Bei der Zeit- oder Leiharbeit ist der Prozentsatz nach
dem Höchststand 2011, als 2,9 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland Leih- oder Zeitarbeitsverhältnisse waren, wieder nach unten gegangen . Auch
da sollte man keinen falschen Gegensatz aufbauen . Leihbzw . Zeitarbeit ist ein Flexibilisierungsinstrument .
Genauso sind Werkverträge in Deutschland traditionell üblich und auch notwendig . Auch die Gewerkschaften sehen das so . Aber der Punkt ist: Selbstverständlich
wollen wir nicht, dass die Instrumente Leiharbeit, Zeitarbeit und Werkverträge für Dinge missbraucht werden, für
die sie nicht vorgesehen sind . Das ist unser Ziel .
({3})
Da haben wir in den vergangenen Jahren nicht einfach nichts getan . Ich will einmal daran erinnern: Wir
haben den Drehtüreffekt bei der Zeitarbeit gesetzlich unterbunden . Wir haben - mühsam genug - die Arbeitgeberverbände dazu gebracht, dass sie mitgemacht haben,
für die Zeitarbeit eine gesetzlich verankerte eigene Mindestlohnregelung zu schaffen - im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz -, damit nicht möglicherweise irgendwelche
Dumpinglöhne, wie sie im Ausland üblich sind, bei uns
angewandt werden können .
({4})
Das ist ein großer Erfolg .
({5})
- Verehrte Frau Kollegin Krellmann, in der Tat: Dieser
Mindestlohn in der Zeitarbeit liegt über dem gesetzlichen
Mindestlohn . Auch das muss man hervorheben .
({6})
Er steigt nächstes Jahr noch einmal entsprechend an .
({7})
Genauso haben wir uns - das war auch ein mühsamer
Prozess - dafür eingesetzt, dass bei Zeitarbeit branchenbezogene Zuschläge möglich werden . Das, was in der
Chemie- oder Metallindustrie vereinbart worden ist - das
Gehalt des Zeitarbeiters wird nicht erst nach neun Monaten, sondern bereits vorher schrittweise angehoben -, ist
ein wirklich gutes Modell, für das wir den Arbeitgebern
und den Gewerkschaften Anerkennung zollen .
({8})
Wenn wir uns jetzt an eine Neuregelung machen, wie
wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben, dann wollen wir dafür sorgen, dass solche tarifvertraglichen Möglichkeiten, durch branchenbezogene Zuschläge den Lohn
eines Zeitarbeiters schon vor Ablauf von neun Monaten
zu erhöhen, nicht kaputtgemacht werden, sondern wir
wollen für solche Tarifverträge einen starken gesetzlichen Rahmen schaffen, damit auch in Zukunft Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam ihre Verantwortung
für die Lohnfindung wahrnehmen können.
({9})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man kann auch
über das Thema Befristung trefflich streiten und diskutieren . Ich erinnere nur an unsere Debatte vorhin über
das Wissenschaftszeitvertragsgesetz . Nirgendwo sind
Befristungen schlimmer ausgestaltet als bei unserem
wissenschaftlichen Nachwuchs . Wir, die Große Koalition, machen ein Gesetz, mit dem wir mit dieser ständigen Befristerei Schluss machen und endlich auch für den
wissenschaftlichen Nachwuchs verlässliche Rahmenbedingungen schaffen . Wir handeln, und zwar konkret .
({10})
Deswegen will ich zusammenfassen .
Kollege Weiß, dafür ist jetzt nicht mehr die Zeit . Sie
müssen einen Punkt setzen .
Frau Präsidentin, ein letzter Satz . - Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die gute Entwicklung des deutschen
Arbeitsmarkts schafft uns die Möglichkeit, das Normalarbeitsverhältnis zu stärken . Das ist und bleibt im Gegensatz zu dem, was die Opposition heute an grauen und
schrecklichen Bildern gemalt hat, Ziel dieser Koalition .
Vielen Dank .
({0})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6362 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Leiharbeit und Werkverträge
eingrenzen und umfassend regulieren“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/5449, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/4839 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 28. März 2014 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern
vom Einkommen und vom Vermögen
Drucksache 18/6449
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({1}) Nr. 1007/2011
Peter Weiß ({2})
und zur Ablösung des Textilkennzeichnungsgesetzes
Drucksache 18/6488
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr
Drucksache 18/5406
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 i auf . Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 32 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung vom 10. Dezember 2014
des Übereinkommens vom 27. Juni 1980 zur
Gründung des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe
Drucksache 18/6294
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({4})
Drucksache 18/6576
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6576,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6294 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 32 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({5})
Übersicht 6
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten
Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
Drucksache 18/6572
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen .
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 32 c
bis 32 i und damit zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses .
Tagesordnungspunkt 32 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 236 zu Petitionen
Drucksache 18/6354
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 236 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 32 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 237 zu Petitionen
Drucksache 18/6355
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 237 ist ebenfalls einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 32 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 238 zu Petitionen
Drucksache 18/6356
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Sammelübersicht 238 ist mit den
Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 32 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 239 zu Petitionen
Drucksache 18/6357
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 239 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 32 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 240 zu Petitionen
Drucksache 18/6358
Vizepräsidentin Petra Pau
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 240 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke
gegen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 32 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 241 zu Petitionen
Drucksache 18/6359
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 241 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen .
Tagesordnungspunkt 32 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 242 zu Petitionen
Drucksache 18/6360
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Die Sammelübersicht 242 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten
Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das
Haushaltsjahr 2015 ({13})
Drucksachen 18/6090, 18/6447
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({14})
Drucksachen 18/6580, 18/6581
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({15})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ingbert
Liebing, Artur Auernhammer, Norbert Barthle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Bernhard
Daldrup, Johannes Kahrs, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Für gleichwertige Lebensverhältnisse Kommunalfreundliche Politik des Bundes
konsequent fortsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Christian Kühn ({16}),
Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Dauerhafte und strukturelle Entlastungen
für Kommunen in Not
Drucksachen 18/6062, 18/6069, 18/6582
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({17}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna
Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und
Straßen befreien
Drucksachen 18/3051, 18/6570
Zu dem Entwurf eines Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Sobald in der Unionsfraktion die notwendige Aufmerksamkeit hergestellt ist, kann ich auch die Debatte
eröffnen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Norbert Brackmann für die CDU/CSU-Fraktion .
({18})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der zweite Nachtragshaushalt 2015 ermöglicht den
Ländern und Kommunen größere finanzielle Spielräume
bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise . Damit kommen wir unserer Pflicht und auch unserer Verantwortung
nach, die der Bund hier trägt, und zwar nicht aus juristischen, sondern aus moralischen Gründen .
Wir entlasten zum einen die Länder in diesem Jahr mit
einer Summe in Höhe von 2 Milliarden Euro . Diese Mittel gehen unmittelbar in die Landeshaushalte und stärken
dort die Finanzkraft . Das Zweite ist, dass wir in diesem
Jahr so gut gewirtschaftet haben, dass wir 5 Milliarden
Euro bereits in eine Rücklage überführen können, damit
wir auch im Jahr 2016 handlungsfähig sind und unseren
Verpflichtungen gegenüber Ländern und Kommunen
nachkommen können . Wir stellen sicher, dass damit die
Haushaltsüberschüsse aus diesem Jahr auch im nächsten
Jahr noch zur Verfügung stehen .
Wir unterstützen darüber hinaus die Länder und Kommunen bei der Schaffung von Wohnraum und Unterkünften für Flüchtlinge . Mit dem Bundeshaushalt 2016 werden wir die Mittel für die Wohnraumförderung auf über
1 Milliarde Euro verdoppeln und die nächsten vier Jahre
verstetigen . Das ist, glaube ich, ein deutliches Signal für
mehr günstigen Wohnraum für unsere Bevölkerung .
Diese Zusagen halten wir ein, ohne das Ziel der
schwarzen Null aufgeben zu müssen . Jedenfalls für 2015
werden wir die schwarze Null noch einmal schaffen . Wir
streben sie auch für 2016 an; denn wir wissen: Ohne den
Willen und ohne die Pflicht zum Haushaltsausgleich werden wir auf die Dauer keine anderen Pflichten mehr erfüllen können . Das ist aber nur der eine Teil .
Vizepräsidentin Petra Pau
Die Bewältigung der Flüchtlingskrise ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, und deshalb müssen wir die Länder
gleichermaßen in die Verantwortung nehmen . Dass die
Länder ihrer Verantwortung nachkommen, stelle ich aber
bisher nur sehr bedingt fest . So zeigen Länder und Kommunen zum Beispiel bei der Frage, wer die Kosten trägt,
immer zuallererst auf den Bund . Gerade heute hören wir
wieder eine solche Forderung von dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, der mit dem Finger gezielt auf den Bund zeigt .
Bei solchen Einlassungen weise ich gerne darauf hin,
dass wir Länder und Kommunen bei der Unterbringung
der Flüchtlinge in vielfältiger Form bereits heute unterstützen .
({0})
Bis zum heutigen Tag hat alleine der Bund in seinen Liegenschaften über die BImA 115 000 Unterbringungsplätze zur Verfügung gestellt . Er wird sie in großen Teilen in
der nächsten Zeit auch betreiben . Da ist der Bund selbst
aktiv, und dafür muss er einmal deutlich gelobt werden .
({1})
Gleichzeitig unterstützt der Bund die Länder mit einer
Pauschale von 670 Euro pro Flüchtling im Monat . Diese
Pauschale ist auf der Grundlage der Vollkostenrechnung
im Jahr 2014 errechnet worden . Dadurch, dass wir von
diesen Vollkosten einen großen Teil jetzt selbst übernehmen, indem wir eigene Liegenschaften zur Verfügung
stellen und mit Bundesmitteln herrichten, ist das ein gutes Geschäft für die Länder; auch darauf will ich einmal
hinweisen . Ich erwarte allerdings gleichzeitig, dass die
Länder ihrerseits den Kommunen von diesem Geld etwas abgeben; denn es kann nicht sein, dass die Länder
sich, zum Teil jedenfalls, bereichern und die Kommunen,
die die Arbeit und den Ärger vor Ort haben und die das
ehrenamtliche Engagement zur Verfügung stellen, von
diesen Mitteln des Bundes unter dem Strich nichts bekommen .
({2})
Ich will aber noch auf einen anderen Aspekt hinweisen;
denn insgesamt haben wir schon eine größere Krise zu
bewältigen . Diese werden wir nur dann erfolgreich hinter
uns bringen können, wenn Bund, Länder und Kommunen ihre Kräfte bündeln und gemeinsam vertrauensvoll
zusammenarbeiten . Da hat man doch manchmal Zweifel .
Wir befinden uns hier in Berlin. Die Situation hier ist so,
dass uns der Berliner Senat gerade in diesen Tagen den
Verkauf eines Grundstückes besonders erschwert: Ich
meine das Dragoner-Areal, um das sehr gekämpft wurde .
Wir haben wüste Beschimpfungen des Berliner Finanzsenators hinnehmen müssen . Der Berliner Senat war nur
bereit, 15 Millionen Euro zu bezahlen . Der Bund hätte
beim Verkauf an einen privaten Investor einen Preis von
37 Millionen Euro erzielen können . Im Finanzausschuss
des Bundesrates ist das Ganze hintertrieben worden . Der
Bundesrat ist gefolgt, weil es doch nicht sein könne, dass
der Bund zulasten eines Landes meistbietend verkaufe .
Der Bundesregierung ist vorgeworfen worden, Hedgefonds begünstigen zu wollen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss
sich auch mit dem eigenen Tun in Verhältnis zu dem setzen lassen, was man nach außen vertritt . Gerade vor wenigen Tagen sind verschiedene Exposés der BIM, einem
100-prozentigen Tochterunternehmen des Landes Berlin,
bekannt geworden, in denen der Berliner Senat zum Teil
nur 200 Meter vom Dragoner-Areal entfernt Grundstücke zum Verkauf anbietet . Zum Beispiel in Bezug auf
„Dorfstraße 35, 36, Hausvaterweg 19“ heißt es - ich darf
vorlesen -:
Die BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH
weist vorsorglich darauf hin, dass bis zum Vertragsabschluss eingehende höhere Angebote berücksichtigt werden müssen . Wir sind gehalten, stets an den
Höchstbietenden zu veräußern .
So kann man nicht miteinander umgehen . Das ist schon
doppelzüngig .
({3})
- Na, der Finanzsenator gehört nun nicht zu unserer Partei .
({4})
Mit ihm habe ich auch bei Podiumsdiskussionen zusammengesessen . Er hat uns vorgeworfen, Mieter zu vergrau len .
Aber was macht der Berliner Senat? Er bietet in diesem Exposé auch noch an:
Ein Teil der Verträge kann jährlich, ein anderer Teil
kann mit einer Zwei- bzw . Drei-Monats-Frist gekündigt werden .
Damit macht sich der Senat auch noch selbst zum
Handlanger von Hedgefonds, indem er noch ein deutliches Stück weiter geht, als wir es machen . So kann man
nicht miteinander umgehen, und das werden wir auch
berücksichtigen, wenn wir aus sozialen Gründen darüber entscheiden, wie wir das große Grundstückspaket,
das der Berliner Senat mit der Bundesregierung gerade
verhandelt, im Ausschuss zu bewerten haben .
In diesem Sinne, glaube ich, ist der Nachtragshaushalt
eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit von Bund,
Ländern und Kommunen . Alle, die sich nicht daran halten, werden wir an ihr eigenes Tun erinnern .
Vielen Dank .
({5})
Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! So viel Selbstkritik wie eben habe ich von der
Christlich Demokratischen Union lange nicht gehört .
({0})
Bekanntlich gehört die CDU ja dem hier vielkritisierten
Senat Berlins an .
Der Nachtragshaushalt ist in der Regel eher eine
Angelegenheit für wenige im Parlament damit befasste
Abgeordnete . In der Regel geht es um ein paar Ausgabenerhöhungen auf der einen Seite, um ein paar Deckungsvorschläge bei den Einnahmen auf der anderen
Seite . Aber hier, stellen wir fest, sind wir natürlich nicht
in normalen Zeiten . Dieser Nachtragshaushalt steht vor
einer enormen Herausforderung von gesellschaftspolitischer Dimension . Leider - das müssen wir Ihnen sagen ist dieser Nachtragshaushalt an diesen Herausforderungen komplett gescheitert .
({1})
Der Nachtragshaushalt wird vor allem mit enorm gestiegenen Flüchtlingszahlen begründet, und das Wort von
der Flüchtlingskrise geht um . Ich meine, dieses Wort ist
falsch .
({2})
Vor der Kritik an der Bundesregierung will ich jedoch etwas anderes tun, weil in diesem Nachtragshaushalt etliche Mittel als Zuweisungen an Kommunen zur
Flüchtlingsunterstützung stehen. Da finde ich es mehr
als angebracht, Dank an ungezählte ehrenamtliche und
hauptamtliche Helferinnen und Helfer auszusprechen,
die in diesen Situationen Tag für Tag wirklich Hervorragendes leisten .
({3})
Das Wort „Flüchtlingskrise“ ist meines Erachtens deshalb falsch, weil die Schutzsuchenden, die zu uns kommen, uns nur die Krise unseres hiesigen gesellschaftlichen Systems, ja, auch die Krise der herrschenden
europäischen Politik vor Augen führen, meine Damen
und Herren . Den Unterschied machen wir .
({4})
Hatten wir denn vor der Ankunft der Geflüchteten ein
gutes Bildungssystem mit genügend Lehrerinnen und
Lehrern? Nein . Hatten wir genügend bezahlbare Wohnungen in den großen Städten? Nein . Waren wir auf dem
Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit? Nein . Erst in diesen
Tagen veröffentlichte das Statistische Bundesamt die Bilanz für 2014 und stellt darin fest: Mehr als jeder fünfte
Mensch in Deutschland ist von Armut bedroht; Tendenz
leider steigend . - Eine offenbar gut unterrichtete Zeitung
titelte vor einigen Tagen mit Blick auf die Haushaltssituation des Bundes „Das letzte goldene Jahr“, weil ab 2016
mit einem Einnahmerückgang zu rechnen ist . Heute wird
der Bundesfinanzminister noch die Ergebnisse der Steuerschätzung kundtun, wozu das Bundesfinanzministerium gestern im Haushaltsausschuss noch nicht bereit oder
in der Lage war .
Ich gestatte mir, an dieser Stelle festzustellen: Nur die
Linke thematisiert die Einnahmeseite des Bundes . Nur
die Linke macht hier Vorschläge, wie wir wirklich zu
mehr Einnahmen für den Bund für eine sozial gerechte
Politik kommen können . Das werden wir fortsetzen .
({5})
Gemeint sind damit natürlich nicht Mehrwert- oder
Lohnsteuererhöhungen, sondern eine gerechte Besteuerung von Superreichen und eine Besteuerung von internationalen Spekulationsgeschäften .
({6})
Meine Fraktion hält vor diesem Hintergrund diesen
Nachtragshaushalt für kleingeistig, halbherzig und - ja,
das muss man Ihnen auch sagen - zum Teil auch starrsinnig . Vor aller humanitären Hilfe soll die sogenannte
schwarze Null bestehen bleiben . Aus meiner Fraktion
wurden Ihnen Alternativen vorgeschlagen . Wir haben
vorgeschlagen, ein staatliches Konjunkturprogramm zur
gesellschaftlichen Integration der Hiesigen und der Ankommenden aufzulegen . Wir werden das für 2016 wieder
vorschlagen; aber wir hätten ja jetzt schon einmal anfangen können: mit mehr sozialem Wohnungsbau - man
muss natürlich jetzt auch mit dem staatlich geförderten
Abriss aufhören -, mit der Ausbildung von Lehrerinnen
und Lehrern, von Erzieherinnen und Erziehern, mit einem Breitbandausbau auf einer völlig neuen Stufe . Kollege Brackmann hat ja angesprochen, dass der Bund eine
Rücklage bilde, weil er gut gewirtschaftet habe . Dabei
hat der Bund Mobilfunkfrequenzen für 4,5 Milliarden
Euro versteigert, verkauft und entgegen dem Versprechen, den Großteil dieser Erlöse in den Breitbandausbau
zu stecken, genau daraus diese Rücklage gebildet . Das ist
nicht hinzunehmen .
({7})
Wir wollen natürlich auch, dass Menschen, die zu uns
kommen, möglichst zügig in Arbeit und Ausbildung integriert werden können und dass deren Qualifizierungen
auch anerkannt werden . Wir haben deshalb gestern im
Haushaltsausschuss auch höhere Zuweisungen an Landkreise und Kommunen beantragt . Das wurde bekanntlich
abgelehnt .
Ganz neu im Nachtragshaushalt ist: mehr Geld für die
UNHCR-Organisation, also die internationale Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen - bei Zustimmung aller Fraktionen im Haushaltsausschuss . Obwohl
wir alle dem zugestimmt haben, kam es uns doch ein
bisschen so vor wie ein Ablasshandel: ein zugegeben beträchtlicher Batzen Geld gegen sehr viel schlechtes Gewissen . Wir haben ja bei der ersten Lesung dieses Etats
darauf hingewiesen, dass es uns darum gehen muss, auch
Fluchtursachen zu bekämpfen . Es ist doch nun Fakt, dass
genau in diesen Tagen, wo wir hier über diesen Etat sprechen, mit deutschen Waffen im Jemen Krieg geführt wird
und damit die nächsten Flüchtlingsbewegungen in Gang
gesetzt werden . Damit muss Schluss sein, meine Damen
und Herren .
({8})
Kollege Claus, achten Sie bitte auf die Zeit .
Meine Damen und Herren, im Nachtragshaushalt stehen einige Vorhaben, die wir durchaus unterstützen . Aber
insgesamt ist dieser Nachtragshaushalt eine Fortsetzung
von Staatsversagen; und dafür stehen wir nicht zur Verfügung .
({0})
Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe dem Kollegen Claus aufmerksam zugehört: Vom Staatsversagen hatte er relativ viel Ahnung,
von der Sache in diesem Fall allerdings nicht .
Wenn man sich den Nachtragshaushalt, den wir hier
vorlegen, anschaut, dann kann man feststellen, dass es
diese Große Koalition auf eine anständige Art und Weise
schafft, den Haushalt vernünftig zu gestalten .
Das liegt zum einen daran, dass wir in den letzten
Jahren gut gewirtschaftet haben . Ich betone es an dieser
Stelle immer wieder - das ist der SPD-Werbeblock -: Es
war die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder, die
damals mit der Agenda 2010 die Grundlagen dafür gelegt
hat, dass es bei uns in diesem Staat vernünftig und wirtschaftlich gut läuft .
({0})
Gleichzeitig haben wir - das haben wir in den letzten
Jahren gezeigt - unsere Hausaufgaben gemacht, weswegen wir besser dastehen als viele unserer Nachbarländer .
Auf der anderen Seite tun wir aber auch viel, um die
jetzige Krise zu bewältigen . Wir helfen also konkret, im
Großen wie im Kleinen . Wir stocken die Soforthilfe für
Länder und Kommunen in 2015 auf 2 Milliarden Euro
auf . Es werden Rücklagen gebildet, und zwar mindestens
5 Milliarden Euro, mit denen wir im nächsten Jahr helfen können, die anstehenden Belastungen zu bewältigen .
Wir werden aber auch dem THW - das muss man erwähnen - 20 Millionen Euro für seinen Einsatz im Bereich
der Flüchtlingshilfe zukommen lassen .
({1})
Außerdem werden wir beim Bundeskriminalamt und
beim BAMF helfen . Das heißt, sowohl im Großen wie
im Kleinen werden wir zielgerichtet helfen .
An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal
ganz herzlich beim Kollegen Rehberg und der CDU/
CSU-Fraktion bedanken . Die Zusammenarbeit auf der
Arbeitsebene im Haushaltsausschuss ist wunderbar . Da
der Kollege Spahn auch da ist und aufmerksam zuhört:
Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium!
Dieser Nachtragshaushalt zeigt, dass wir kurzfristig
reagieren können, dass wir keine neuen Schulden machen müssen, dass wir denjenigen helfen, die helfen,
dass wir da unterstützen, wo es notwendig ist . Wenn man
den Kollegen Claus hört, könnte man glauben, die Republik gehe unter . Im Kern haben wir große Probleme; das
ist richtig . Und wir hätten diese Flüchtlingsproblematik
nicht bewältigt, wenn wir nicht so viele Ehrenamtliche
gehabt hätten, die eingesprungen sind, als die staatlichen
Stellen, um es freundlich zu sagen, noch nicht ganz so
weit waren .
({2})
Wenn es das nicht gegeben hätte, wenn in den Kommunen nicht ganz viele über sich selbst hinausgewachsen
wären und wenn nicht die Mitarbeiter der Kommunalund Landesverwaltungen, die mit diesem Thema beschäftigt sind, rund um die Uhr gearbeitet hätten ({3})
sie haben vieles rausgerissen, was aufgrund mangelnder
Planung in Grundsatzfragen schiefgegangen ist -, dann
hätten wir das auch nicht hinbekommen .
({4})
Deswegen sagen wir: Wir wollen helfen, aber eben
nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen . Deswegen muss man immer wieder darauf hinweisen: Es ist
ganz wichtig, dass wir dem THW - große Leistung - und
der Bundespolizei - das sind diejenigen, die ganz vorne
stehen, immer wieder gerufen werden und helfen - helfen und für die etwas tun .
({5})
Das, was wir tun, finanzieren wir aber auch anständig.
Deswegen ist das gegenfinanziert und ohne neue Schulden zu machen. Ich finde, auch das kann man einmal
betonen . Es gibt ja viele in diesem Land, die durch die
Gegend rennen und Unsinn erzählen .
({6})
Da wird zum Beispiel erzählt, wir müssten in Deutschland einen Flüchtlingssoli einführen . Das halte ich ernsthafterweise für groben Unfug . Es gibt andere, die fordern, wir bräuchten einen niedrigeren Mindestlohn für
Flüchtlinge .
({7})
Das heißt, die kriegen für die gleiche Arbeit nur die Hälfte . Das heißt aber im Umkehrschluss: Kaum ein Deutscher wird noch einen Mindestlohnjob kriegen, weil man
ja Flüchtlinge dafür hat . Gleichzeitig wollen einige die
Steuern erhöhen .
({8})
All das kann man diskutieren, aber das bringt natürlich auch eine Art Brandfackel in die Diskussion . Das
führt am Ende dazu, dass die AfD und andere Profiteure dieser Krise richtig nach oben befördert werden . Nur
wer ein Konjunkturprogramm für die AfD möchte - bei
der Linken soll man erst einmal nachdenken, bevor man
rumplappert -,
({9})
kann das fordern . Wir wollen das nicht . Wir sind bekannt
dafür, dass wir das Notwendige tun, aber eben auch keine
neuen Schulden machen, solange es irgend geht . Im Moment geht es, weil wir vorher selber gut gearbeitet haben .
({10})
Jetzt ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Hilfen
ankommen . Wir sind der Meinung, dass wir den Ländern
stark helfen . Wichtig ist aber auch, dass das Geld, das wir
ausgeben, von den Ländern für die Zwecke ausgegeben
wird, für die wir es vorgesehen haben .
({11})
Das gucken wir uns genau an; da muss man auch genau
schauen, dass es läuft .
Ich möchte mich am Schluss bei all denjenigen bedanken, die so viel gute Arbeit gemacht haben, die vor Ort
helfen: die Freiwilligen, die Bundespolizei, das THW,
die Feuerwehren, alle, die dabei sind, auch die Bundeswehr, die jetzt entsprechend stark dabei ist . Ganz herzlichen Dank! Unsere Unterstützung haben Sie .
({12})
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Lieber Kollege Claus, wir sollten bei Geld, das
für die UN bestimmt ist, nicht von Ablasshandel reden .
Ich halte das für unangemessen . Es ist kein guter Hinweis
für die Zukunft .
({0})
Ich muss auch noch einen weiteren Aspekt erwähnen:
Diesen Nachtragshaushalt vor dem Hintergrund dessen,
was im Moment von den staatlichen Institutionen und
den vielen Ehrenamtlichen, die zu Recht genannt wurden, geleistet wird, mit Staatsversagen zu etikettieren,
nützt niemandem . Das ist falsch, und auch keine treffende Kritik .
({1})
Aber jetzt zum Nachtragshaushalt, den wir beschließen sollen . Wir Grüne gestehen zu: Es ist wichtig, dass
die Einigungen aus dem Asylkompromiss umgesetzt
werden . Beispielhaft greife ich die Entlastung der kommunalen Ebene heraus . Das ist richtig und wichtig . Sieht
man sich aber einmal die Agenturmeldungen von heute
an, dann findet man, dass dort bestätigt wird, dass die
im September geschätzte Zahl von 800 000 Flüchtlingen
faktisch heute erreicht ist . Wir wissen also heute, dass
durch die Beschlüsse von Ende September die kommunale Ebene, die am meisten mit der Umsetzung zu tun
hat, finanziell nicht ausreichend ausgestattet ist. Deswegen muss man diesen Nachtragshaushalt kritisieren . Deswegen haben wir Verbesserungsvorschläge vorgelegt .
Wenn man jetzt von mindestens 1 Million Flüchtlingen
spricht, dann wäre es folgerichtig, den Kommunen eine
halbe Milliarde Euro mehr zur Verfügung zu stellen . Ich
verstehe nicht, warum Sie so stur an den Zahlen festhalten, statt jetzt nachzubessern . Das macht doch keinen
Sinn .
({2})
Wir werden das Haushaltsjahr 2015 mit einem Plus
abschließen . Heute Nachmittag bekommen wir die Steuerschätzungen für 2015 und 2016 . Im Ergebnis wird das
für 2015 zu erwartende Polster wahrscheinlich eher noch
etwas größer . Es wird eher über als unter 5 Milliarden
Euro liegen . Setzen wir doch dieses Geld ein und geben
den Kommunen Sicherheit und Klarheit, dass sie die
Mittel für Unterkünfte und die Bereitstellung der notwendigen Arbeit bekommen . Dies hätten Sie jetzt wirklich korrigieren müssen .
({3})
Ich möchte noch etwas zu dem Thema „Zusammenarbeit und Vertrauen der staatlichen Ebenen“ sagen . Ich
finde es richtig, dass Sie mit Ihrem Antrag die Länder
verpflichten wollen, genau zu berichten, wo die Gelder
ankommen, die der Bund in der Tat, Herr Brackmann,
zusätzlich zur Verfügung stellt . In diesem Zusammenhang haben wir allerdings auch die Verpflichtung, das
Vertrauen der staatlichen Ebenen ineinander und miteinander zu stärken . Hier muss ich Ihnen sagen: Es ist mehr
als überfällig, dass es perspektivisch eine Lösung für
Bund-Länder-Finanzbeziehungen gibt . Es holt uns schon
jetzt spürbar ein, dass die Länder nervös werden - auch
vor dem Hintergrund der großen Integrationsaufgabe -,
ob sie auf mittlere Frist die Schuldenbremse überhaupt
einhalten können .
Es wird uns bei der Lösung einer langfristigen Aufgabe nicht helfen - das ist die Bewältigung der Integration -, darüber nachzudenken, ob unsere Finanzverfassung
gelockert werden müsse . Wenn man sich eine solche
Diskussion nicht ins Haus holen möchte, dann muss
man Vertrauen geben, indem der Bund und die Länder
gemeinsam zu einer verlässlichen Vereinbarung hinsichtlich der Bund-Länder-Finanzbeziehungen kommen . Diese Lösung hat die Große Koalition bisher nicht zustande
gebracht. Sie scheitern daran, der Bundesfinanzminister
vorneweg mit den Bundesländern . Das können wir uns
heute eigentlich gar nicht leisten .
({4})
Ich komme ganz konkret zum Nachtragshaushalt zurück .
Integration müssen wir jetzt zügig und entschlossen angehen . Wir sind uns, glaube ich, darüber einig, dass der
Erwerb der deutschen Sprache einer der zentralen Faktoren für gute Integration ist . Deswegen können wir eines nicht verstehen: Warum packen Sie eigentlich nicht
auch die Integrationsmittel in den Nachtragshaushalt und
steigern sie in dem Maße, wie wir es jetzt brauchen? Es
macht doch keinen Sinn, Integrationsmittel für die Bereiche Spracherwerb und Migrationsberatung erst wirksam
zum 1 . Januar 2016 zu erhöhen . Es ist doch jetzt nicht
die Zeit, zwei Monate einfach so verstreichen zu lassen,
ohne entsprechende Änderungen vorzunehmen .
Ich sage Ihnen das aus einer ganz bestimmten Sorge .
Ich habe nämlich die Sorge, dass wir jetzt im Bereich
der Integration schon wieder notwendige Maßnahmen
zeitlich verschleppen . Wir haben doch in diesem Jahr
zur Kenntnis nehmen müssen, dass die mangelnde Vorbereitung auf die Flüchtlingsbewegung dazu geführt hat,
dass zum Beispiel auch das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge heute nicht die Personalstärke hat, die es
gebraucht hätte . Ich befürchte, dass wir im Bereich der
Integration, bei der Besetzung der Stellen für Sprachlehrer, dasselbe Problem kriegen . Herr Minister de Maizière
sollte Ende des Jahres 2015 nicht noch einmal denselben
Fehler machen . Wir müssen die Integrationsmittel und
auch die Mittel für die Migrationsberatung ab jetzt steigern . Bessern Sie nach!
Einen qualitativ guten, angemessenen Nachtragshaushalt haben insbesondere die Ehrenamtlichen verdient, die
hier auch von den Vertretern der Opposition zu Recht gelobt werden . Wir sind noch nicht da, wo wir hinmüssen .
Deswegen: Gehen Sie bitte in sich, und lassen Sie uns
spätestens nächste Woche im Haushaltsausschuss dafür
sorgen, dass mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden .
Schönen Dank .
({5})
Der Kollege Alois Rainer hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz schaffen wir
die haushaltsmäßigen Voraussetzungen für die Umsetzung der Beschlüsse der Bundesregierung und der Länder
zur Asyl- und Flüchtlingspolitik . Die damit verbundenen
finanziellen Auswirkungen auf die Haushalte von Bund,
Ländern und Kommunen - das wissen wir - sind in den
letzten Monaten zu einer enormen Belastung geworden .
Der vorliegende Entwurf eines Nachtragshaushaltes
sieht vor, dass die Länder im Jahr 2015 um weitere 1 Milliarde Euro, also nunmehr um 2 Milliarden Euro entlastet
werden; im Jahr 2016 ist eine Entlastung um rund 5 Milliarden Euro vorgesehen. Damit nutzen wir die finanziellen Möglichkeiten in diesem Jahr, um die Länder und
Kommunen, wie vereinbart, bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen umfassend zu unterstützen .
Auch bleibt es mit dem zweiten Nachtragshaushalt - das
ist sehr wichtig - bei einem ausgeglichenen Bundeshaushalt ohne neue Schulden .
Für die Herausforderungen in den kommenden Jahren wird eine Rücklage in Höhe von 5 Milliarden Euro
gebildet . Ferner wird sichergestellt, dass mögliche Überschüsse zum Abschluss des jeweiligen Haushaltsjahres
ebenfalls in diese Rücklage fließen.
Darüber hinaus schaffen wir mit diesem Nachtragshaushalt auch die Voraussetzungen dafür, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben den Ländern und
Kommunen die nötigen Kosten zur Renovierung von
Flüchtlingsunterkünften auf mietzinsfrei überlassenen
Liegenschaften erstatten kann .
Zudem verdoppelt der Bund mit dem Bundeshaushalt
2016 die Mittel für die Wohnraumförderung . Das heißt,
dass in den kommenden vier Jahren jährlich rund 1 Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung
stehen . Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch
wenn das Programm vor dem Hintergrund der aktuellen
Flüchtlingssituation auf den Weg gebracht wird, ist es
unser Ziel, dass mehr bezahlbarer Wohnraum für alle sozial schwachen Menschen und Familien in unserem Land
entsteht .
({0})
Mit den vorgenannten Maßnahmen setzt der Bund
seinen eingeschlagenen Weg der Entlastung der Länder
und Kommunen stetig fort . Ab 2016 wird sich der Bund
strukturell, dauerhaft und dynamisch an der Finanzierung
der gesamtstaatlichen Aufgaben der Asyl- und Flüchtlingspolitik beteiligen .
Meine Damen und Herren, der Präsident des Bundesrechnungshofes hat im Januar dieses Jahres in seinem
Bericht zu den Finanzbeziehungen zwischen Bund und
Ländern kritisch angemerkt, dass Prüfungs- und Kontrollrechte des Bundes gegenüber den Ländern fehlen .
Deshalb kann der Bund bei der Gewährung von Finanzhilfen im Ergebnis nicht prüfen, ob die Mittel zweckgerichtet oder zweckentfremdet verwendet wurden . Ich
appelliere daher eindringlich an die Länder, die Mittel
vereinbarungsgemäß einzusetzen . Es wäre ein falsches
Signal und zugleich ein Affront gegenüber den vielen helfenden Bürgerinnen und Bürgern, die in dieser
schwierigen Situation mit anpacken . Die Mittel müssen
schlichtweg dort ankommen, wo sie am dringendsten
benötigt werden . Eine Zweckentfremdung in Form von
Schuldentilgung oder Haushaltskonsolidierung darf es
mit diesen zusätzlichen Mitteln nicht geben .
({1})
Ich halte es daher auch für erforderlich, dass die Länder
verpflichtet werden, nach dem Ende eines Haushaltsjahres über die vom Bund erhaltenen Mittel einen Bericht
abzugeben .
Ich bin mir sicher, meine sehr verehrten Damen und
Herren, dass wir die vor uns liegende Aufgabe, die
eine der größten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist, bewältigen werden . Wir haben in
Deutschland und gerade in Bayern in den vergangenen
Monaten eine enorme Hilfsbereitschaft erlebt . Ich möchte mich heute stellvertretend bei den Verantwortlichen
und den Menschen - ich bitte um Verständnis - in meiner
Heimat in Bayern, besonders in Niederbayern, ganz herzlich bedanken, die in diesen Tagen und Wochen herausragende Leistungen erbringen .
Aber, meine Damen und Herren, auch unsere Kapazitäten sind begrenzt . Wir müssen daher dringend für eine
Begrenzung des Zustroms sorgen . Die von uns zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel sind ein wichtiger
Schritt . Viel wichtiger wird jedoch die Integration der
Flüchtlinge in unsere Gesellschaft sein . Deshalb ist es
nach meiner Auffassung besonders wichtig, dass wir die
bestehenden Gesetze adäquat und mit aller Entschlossenheit anwenden und umsetzen . Wir müssen vorrangig den
Menschen helfen, die bei uns einen Asylanspruch haben .
Vielen herzlichen Dank .
({2})
Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir beraten heute den zweiten Nachtragshaushalt; ich
betone: den zweiten . Ich betone das deshalb, weil schon
vielfach die Rede von all den Ehrenamtlichen und Hilfskräften war, denen wir dankbar sind und sehr viel Respekt
entgegenbringen dafür, wie sie auf die große Herausforderung durch die Flüchtlinge in unserem Land reagieren,
und weil wir als Abgeordnete natürlich auch wissen, dass
diese Menschen zu Recht von uns fordern, dass wir sie
in dieser Situation nicht im Regen stehen lassen und als
Staat ihnen das Maß an Sicherheit und Unterstützung gewähren, das sie in dieser Situation dringend brauchen .
Das tun wir mit diesem zweiten Nachtragshaushalt .
({0})
Ich betone das auch deshalb, weil es eben schon einen
ersten Nachtragshaushalt gegeben hat; dieser wurde im
Mai dieses Jahres beschlossen . All den Menschen, für die
Haushaltspolitik nicht so wie für uns Haushälter, die hier
überwiegend sitzen, das tägliche Brot ist, sage ich: Durch
einen Nachtragshaushalt erhöht man die Einnahmen und
die Ausgaben . Das sind, wenn ich beide Nachtragshaushalte zusammenzähle, in diesem Jahr bisher schon - man
höre und staune - über 20 Milliarden Euro . Das ist wirklich eine gewaltige Summe . Ich betone das deshalb, weil
viele Menschen, auch bei mir im Wahlkreis, fragen: Wo
kommt denn bloß das ganze Geld her für das, was ihr auf
den Gipfeln ständig beschließt? Wie soll das eigentlich
gehen? Müssen wir uns jetzt verschulden, oder müssen
wir möglicherweise die Steuern anheben? Mit den beiden Nachtragshaushalten können wir öffentlich belegen:
Nein, Letzteres wird, jedenfalls in absehbarer Zeit, nicht
nötig sein,
({1})
nicht, solange die konjunkturelle Lage so ist, wie sie ist .
Die Konjunktur brummt nämlich, und unsere Einnahmeseite ist sehr gut . Wir haben hier Mehreinnahmen in genau dem Umfang, den ich gerade beschrieben habe .
Ich schlüssele das einmal auf: In beiden Nachtragshaushalten zusammen sind Steuermehreinnahmen für
den Bund in Höhe von 4,64 Milliarden Euro und geringere Ausgaben für Zinsen von 2,6 Milliarden Euro enthalten . Wenn ich dann noch berücksichtige, dass wir in
diesem Jahr aus Frequenzversteigerungen Erlöse in Höhe
von fast 5 Milliarden Euro erzielt haben, von denen knapp
4 Milliarden Euro in diesem Haushalt enthalten sind,
komme ich auf deutlich über 10 Milliarden Euro Mehreinnahmen . Das ist schon eine gewaltige Summe . Damit
will ich zum Ausdruck bringen, dass wir, ohne überheblich zu sein, sagen können: Ja, wir können uns das leisten . Wir haben aktuell eine große Herausforderung zu bewältigen, aber - und darauf sollten wir gemeinsam stolz
sein - wir können uns das leisten . Wir sind ein großes,
starkes Land, das für diese Situation gewappnet ist .
({2})
Weil viele sagen: „Ach, guck mal, jetzt kommt das
ganze Geld, und das gebt ihr alles für die Flüchtlinge
aus“, ist es mir ganz wichtig, zu unterstreichen, dass in
den beiden Nachtragshaushalten neben all dem, was hier
schon genannt worden ist, dass neben all den Mitteln,
die wir für das, was auf den Flüchtlingsgipfeln vereinbart worden ist, bereitstellen - auch für die Länder und
Kommunen -, auch enorme Beträge enthalten sind, die
allen Menschen in diesem Land zugutekommen . Erst
im Mai haben wir beschlossen, fast 5 Milliarden Euro
für Investitionen in Infrastruktur zusätzlich auszugeben,
für Straßen, für Schienen, für Brücken, für Wasserwege,
für den Breitbandausbau, also für Bereiche, in denen die
Menschen von uns Politikern etwas erwarten . Ja, auch
dafür stellen wir zusätzliche Mittel bereit . In diesem
Nachtragshaushalt geht es auch um eine Erhöhung des
Kindergeldes und um Mittel, die über die Jobcenter den
Menschen zugutekommen .
Es geht auch darum - das ist ja zumeist in Sonntagsreden zu hören -, die Fluchtursachen zu bekämpfen . In
der Summe werden wir dafür allein im Haushalt des Auswärtigen Amtes 475 Millionen Euro bereitstellen . Damit
werden wir UNHCR, UNICEF und andere Welthilfsorganisationen bei ihrem Einsatz in den Flüchtlingslagern
in Libyen, Syrien und Jordanien unterstützen .
Es ist gut und richtig, dass wir das gemeinsam hinkriegen . Allen, die daran mitwirken, vielen Dank für die
Unterstützung .
Danke .
({3})
Der Kollege Christian Haase hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sprechen heute ja auch über Anträge, in
denen es um die Kommunen geht . Städte, Gemeinden
und Kreise sind für Bürgerinnen und Bürger unseres Landes die Orte, die ihre Lebensqualität bestimmen. Kommunen sorgen für gute Schulen, intakte Straßen, Kindertagesstätten, Mobilität und Nahversorgung . Sie tragen
zur sozialen Sicherheit und zu sozialem Frieden bei . Sie
sorgen durch Initiativen beim Umbau der Energiewelt,
der Abfall- und Abwasserversorgung oder dem Ausbau
der digitalen Infrastruktur für die Zukunftsfähigkeit unserer Regionen .
Meine Damen und Herren, Kommunen werden zu
Recht als Keimzelle der Demokratie bezeichnet . Ehrenamtliches Engagement findet auf der lokalen Ebene statt.
Und Tausende Haupt- und Ehrenamtliche engagieren sich
in den Gremien für ihre Stadt . Doch wir spüren, dass die
Motivation, sich für ein kommunales Amt zur Verfügung
zu stellen, schwindet. Mangelnde finanzielle Spielräume
und immer stärker einengende rechtliche Rahmenbedingungen fördern nicht das Bewusstsein, Verantwortung zu
übernehmen . Hier sind besonders die Länder gefordert,
die Attraktivität der kommunalen Ebene nicht zu gefährden .
Spiegelbildlich zeigt sich das bei der Wahlbeteiligung .
Beispiel Köln: ein von allen Seiten engagiert geführter
Wahlkampf um das Oberbürgermeisteramt . Eine Richtungsentscheidung stand an . Politische Paukenschläge
im Vorfeld fanden ihren traurigen Höhepunkt in dem
Anschlag auf Henriette Reker, der ich von hier aus gratuliere . Ihr wünsche ich, sicherlich auch in Ihrem Namen,
gute Besserung .
({0})
Aber trotz des Anschlags auf die Demokratie und des
Aufrufs zum Aufstand der Anständigen gingen nur
40 Prozent der Berechtigten zur Wahl . Bei vielen Bürgermeister- und Landratswahlen sah es noch viel schlechter
aus . Ich fordere daher alle Landesparlamente auf, sich
hierüber Gedanken zu machen . Den überfraktionellen
Antrag, der in NRW zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für das kommunale Ehrenamt gestellt wurde,
begrüße ich daher ausdrücklich .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz der originären
Zuständigkeit der Länder für die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommunen ist sich der Bund seiner Verantwortung für die Kommunen bewusst, um gleichwertige
Lebensverhältnisse in unserem Land zu fördern . Wir helfen daher, die Investitionskraft der Kommunen zu stärken, um den enormen Investitionsstau zu mildern, und
setzen bei der finanziellen Unterstützung bewusst bei den
Sozialkosten an . Dabei setzen wir nicht auf Gleichmacherei, sondern auf Chancengleichheit .
Bei allen finanziellen Unterschieden in der kommunalen Familie gibt es aber ein Thema, das alle gleich
stark belastet: die Betreuung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen. Die Zahl der Armutsflüchtlinge,
Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber hat sich in diesem
Jahr explosionsartig entwickelt - in einem Umfang, den
niemand vorhersehen konnte . Selbst wenn alle beschlossenen und eingeleiteten nationalen, europäischen und
internationalen Initiativen erfolgreich wirken, müssen
wir, wenn sich nicht noch mehr ändert, in der nächsten
Zukunft mit anhaltend hohen Flüchtlingszahlen rechnen .
Das ist ein Fakt .
Klar ist auch: Je mehr Flüchtlinge kommen, umso
schwieriger und langsamer wird sich der Integrationsprozess gestalten . Denn eine schnelle Integration der
bereits in Deutschland lebenden und der neu ankommenden Flüchtlinge setzt voraus, dass der Zustrom rasch und
spürbar begrenzt wird . Man kann die Ressourcen, wenn
sie denn überhaupt im Augenblick noch vorhanden sind,
nur einmal einsetzen .
Mein Dank gilt daher zunächst einmal den Bürgermeistern, den Mitarbeitern in den Stadtverwaltungen,
den Hilfskräften und den unzähligen ehrenamtlichen
Helfern für ihre Arbeit . Wir packen gemeinsam an . Wir
leisten humanitäre Hilfe in Not . Das ist Deutschland . Wir
sind ein weltoffenes und attraktives Land, auf das wir
stolz sein können .
Wir sind uns sicherlich einig: Der Hauptdruck liegt
augenblicklich bei den Kommunen und ehrenamtlichen
Helfern . Weil zurzeit zu viele Menschen auf einmal kommen, Asylverfahren deshalb noch zu lange dauern und
Abschiebungen schwierig sind und dazu oft auch der politische Wille fehlt, steigt dieser Druck auf die Kommunen trotz großer Bereitschaft unaufhörlich .
Ich will trotz aller organisatorischen Probleme allen
Bürgermeistern Mut machen, sich an die Spitze der Integrationsbewegung für die Schutzbedürftigen zu stellen .
Wir müssen - da will ich den Bürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold, zitieren - die Menschen
mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten sehen . Wir müssen
zur Lösung dieser Herausforderung aber die Schlagzahl
innen- und außenpolitisch erhöhen . Wir müssen Umsetzungsdefizite beseitigen. Das Familien-, das Arbeits- und
das Bauministerium bitte ich, mit den Ländern die Integrationsaufgabe intensiver in den Blick zu nehmen .
Wir brauchen nicht nur Ideen, Beschlüsse und Absichtserklärungen, sondern vor allen Dingen spürbare Erfolge . Die Flüchtlingszahlen müssen kurzfristig sinken,
und Abschiebungen müssen umgesetzt werden . Ich sage
auch: Wir brauchen etwas mehr Ordnung im System . Gemeinsam müssen Bund und Länder daran arbeiten, dass
Kommunen und ehrenamtliche Helfer Zuversicht und
Mut behalten .
Unser Land war immer dann am stärksten, wenn die
Herausforderung am größten war . Ich erwarte vom Gipfel ein starkes Signal für die Kommunen .
Schönen Dank .
({1})
Das Wort hat der Kollege Bernhard Daldrup für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Ähnlich wie Herr Haase will auch ich darauf hinweisen, dass wir heute nicht nur den zweiten
Nachtragshaushalt 2015, sondern auch den Antrag „Für
gleichwertige Lebensverhältnisse“, der der Entlastung
der Kommunen dient, verabschieden . Ich glaube, dass
wir in der Großen Koalition damit zeigen, dass die Kommunen eine Stimme haben, die gehört und ernst genommen wird .
Die schnelle Verdoppelung der Soforthilfe auf 2 Milliarden Euro - auch wenn man möglicherweise noch
schneller reagieren könnte -, das kommunale Investitionsprogramm und überhaupt die strukturelle Beteiligung
des Bundes an den Kosten für die Unterbringung und
Integration sowie an den Mitteln für den Wohnungsbau
und die Kinderbetreuung - das alles zeigt: Wir wollen
die Kommunen dauerhaft und strukturell unterstützen .
Wir nehmen ihre Forderungen sehr ernst . Diese Große
Koalition ist kommunalfreundlich .
({0})
Im Kern stehen die Kommunen mit uns vor zwei zentralen Herausforderungen: Auf der einen Seite - darauf
ist mehrfach eingegangen worden - geht es um die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen, auf der
anderen Seite um die Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen in den Kommunen, oder wie es gerade der
Städtetag formuliert: „Die Zukunftschancen eines Kindes dürfen nicht davon abhängen, wo es aufwächst .“
Unser heutiger Antrag greift, glaube ich, diese beiden
Herausforderungen auf und gibt drei zentrale Antworten:
eine Begrenzung des Anstieges der Sozialausgaben, eine
Stärkung von Investitionskraft und eine Begrenzung von
Verschuldung, insbesondere auch von Kassenkrediten .
Denn neben der bisherigen Unterstützung werden wir die
Kommunen 2017 um 2,5 Milliarden Euro und ab 2018
jährlich um 5 Milliarden Euro entlasten . Wir wollen
weiterhin, dass das Bundesteilhabegesetz zum 1 . Januar 2017 in Kraft tritt . Aber wir wollen die Kommunen
auch für Zukunftsaufgaben stärken, angefangen beim
Breitbandausbau bis hin zur Energiewende; Kollegin
Hagedorn hat darauf hingewiesen .
Überlagert werden diese Probleme durch den größten
Flüchtlingsstrom seit dem Zweiten Weltkrieg . Denkt man
an das gesellschaftliche Engagement, von dem mehrere
Kolleginnen und Kollegen gesprochen haben, macht diese Aufgabe auch deutlich, welche Systemrelevanz unsere
Kommunen eigentlich haben . Sind die Kommunen nicht
handlungsfähig, ist es der Staat bei diesen Aufgaben auch
nicht .
({1})
Dabei steht den Kommunen die eigentliche Herausforderung noch bevor . Das heißt mit anderen Worten: Ich
würde mir wünschen, dass die gleiche Verwaltungskraft,
die gleiche Flexibilität, die gleiche Umsetzungsorientierung und -geschwindigkeit auch bei der Bereitstellung
von Liegenschaften, bei der Besetzung offener Stellen,
bei der Beschleunigung von Verfahren durch den Bund
vorhanden wären . Das alles wäre besser, als täglich neue
Vorschläge zur Verschärfung der Regelungen zur Flüchtlingsaufnahme zu machen . Es geht den Kommunen nämlich nicht um eine Verschärfung der Asylpolitik . Der Gemeindefinanzbericht sagte Folgendes - ich zitiere -:
Es stellt sich nicht die Frage, ob die Ausgaben für
die Flüchtlinge richtig sind oder nicht, sie sind derzeit schlicht notwendig . Humanität ist nicht zum
Nulltarif zu haben .
({2})
Der Bund bleibt in der Pflicht, die Länder ebenso. Wir
erwarten, dass das Bundesgeld auch bei den Kommunen landet, und verpflichten die Bundesregierung, dem
Parlament darüber zu berichten . Das ist eine dauerhafte,
eine strukturelle und eine notwendige Aufgabe . Unsere
Gesellschaft braucht in dieser Frage Ermutigung, nicht
Entmutigung .
Herzlichen Dank .
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 . Der Haushaltsauschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/6580 und 18/6581, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6090 und
18/6447 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/6588 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf
Drucksache 18/6582. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/6062 mit dem Titel „Für gleichwertige
Lebensverhältnisse - Kommunalfreundliche Politik des
Bundes konsequent fortsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/6069 mit dem Titel „Dauerhafte und
strukturelle Entlastungen für Kommunen in Not“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr
und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Kommunen von den Kosten für
bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen
und Straßen befreien“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6570, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3051
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von
Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen
Drucksachen 18/5924, 18/6177
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
Drucksache 18/6579
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen zügig
vorzunehmen, sodass die notwendige Aufmerksamkeit
hergestellt werden kann .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die aktuelle epochale
Herausforderung der Flüchtlingskrise viele andere wichtige innenpolitische Themen verdrängt, dürfen wir eines
nicht außer Acht lassen: Die Gefahr des islamistischen
Terrorismus ist nach wie vor nicht gebannt . Ganz im Gegenteil: Der islamistische Terrorismus hat Europa und
auch Deutschland erreicht .
Die Zeit ist sehr schnelllebig, sodass man viele Ereignisse wieder verdrängt . Es ist aber noch gar nicht viele
Monate her, als Anfang Januar ein schrecklicher Anschlag
einer Terrorzelle zu mehreren Toten geführt hat . Bei den
Angriffen auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt haben 17 Menschen ihr Leben verloren . Danach
gab es Anschläge in Kopenhagen und einen geplanten
Anschlag auf ein Radrennen in Eschborn bei Frankfurt
am Main am 1 . Mai dieses Jahres . Daneben dürfen wir
auch nicht außer Acht lassen, dass es nur einer glücklichen Fügung zu verdanken ist, dass in den Sommermonaten ein geplanter Anschlag in einem Thalys-Zug noch
rechtzeitig verhindert werden konnte .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, erst
vor wenigen Tagen stürzte eine Passagiermaschine kurz
nach dem Abheben vom Flughafen in Scharm al-Scheich
ab . Die ersten Erkenntnisse deuten darauf, dass ein terroristischer Anschlag zumindest nicht ausgeschlossen werden kann . Das zeigt: Wir sind nach wie vor im Fokus des
islamistischen und dschihadistischen Terrorismus .
Bislang sind aus Deutschland bekanntermaßen
750 Dschihadisten nach Syrien und in den Irak ausgeVizepräsidentin Petra Pau
reist . Etwa 200 davon sind mittlerweile wieder zurückgekehrt . Ich glaube, bei aller derzeitigen Konzentration
auf die wichtigen Themen, um die Flüchtlingskrise in
den Griff zu bekommen, müssen wir uns auch verstärkt
darauf fokussieren, was wir noch tun müssen, um die anhaltende Gefahr durch den islamistischen Terrorismus effektiv bekämpfen zu können . Dafür - davon bin ich fest
überzeugt - brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen,
sowohl im präventiven als auch im repressiven Bereich .
Im präventiven Bereich geht es vor allem darum, auf dem
Gebiet der Deradikalisierung dafür zu sorgen, dass es erst
gar nicht dazu kommt, dass Menschen, die leicht verführbar sind und die vielleicht gewisse Brüche in ihrer Vita
haben, willfährige Opfer von Islamisten werden . Da sind
die Länder, da ist der Bund gefordert . Da ist die Gesellschaft insgesamt gefordert .
Wir müssen daneben aber auch mit Vereinsverboten agieren . Ich bin unserem Bundesinnenminister sehr
dankbar, dass er am 12 . September letzten Jahres den
sogenannten „Islamischen Staat“ und die Sympathiewerbung für den „Islamischen Staat“ in Deutschland verboten hat . Wir werden mit Sicherheit auch in Zukunft noch
weiter gehende Vereinsverbote in diesem Bereich prüfen
und erlassen müssen .
Wir haben - das ist durchaus erfreulich - mit wichtigen gesetzgeberischen Maßnahmen sehr schnell auf die
gestiegene Gefahr durch den islamistischen Terrorismus
reagiert . Wir haben in der Großen Koalition ein Gesetz
verabschiedet, das es ermöglicht, nach den gleichen Regularien, nach denen in der Vergangenheit der Reisepass
entzogen werden konnte, nun auch den Personalausweis
zu entziehen, wenn klar ist, dass jemand die Ausreise
nach Syrien oder in den Irak plant, um sich dort dem sogenannten „Islamischen Staat“ anzuschließen . Wir haben
in § 89 a und § 89 c des Strafgesetzbuches gesetzliche
Verschärfungen in Bezug auf die Terrorfinanzierung und
auf die Ausreise aus Deutschland vorgenommen . All das
waren wichtige Maßnahmen . Ich möchte aber, meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, nicht verhehlen: Es wird weiterer Maßnahmen bedürfen .
Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, sich in der Regierungskoalition einvernehmlich darauf zu verständigen, dass das Terrorismusbekämpfungsgesetz, das kurz
nach den Anschlägen vom 11 . September 2001 geschaffen wurde, um weitere fünf Jahre verlängert wird .
({0})
Die Befristung läuft noch bis zum 10 . Januar des nächsten Jahres . Es beinhaltet vor allem nachrichtendienstliche Auskunftsbefugnisse gegenüber Reiseunternehmen,
Fluggesellschaften, Kreditinstituten und Telekommunikationsdienstleistern .
Es wird dann sehr schnell vonseiten der Opposition
wieder behauptet werden: Wir leben in einem Überwachungsstaat; dies ist eine übermäßige Totalüberwachung
der Gesellschaft; es gibt hier einen massenhaften Missbrauch dieser Maßnahmen .
({1})
Wir haben dieses Gesetz richtigerweise von dem Institut
für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation in Speyer
evaluieren lassen . Es kam - nachdem der Zeitraum von
November 2013 bis November 2014 untersucht worden
war - zu dem Ergebnis, dass in sehr maßvoller und verantwortungsvoller Weise von diesen Auskunftsmöglichkeiten durch die Nachrichtendienste Gebrauch gemacht
wurde . In dem genannten Zeitraum von genau einem Jahr
gab es insgesamt 72 Auskunftsersuchen . Ich glaube, das
ist eine Größenordnung, die klar macht, dass hier keine
massenhafte Überwachung des deutschen Volkes stattfindet, sondern die in wenigen Ausnahmefällen veranlassten
selektiven Auskunftsersuchen durchaus zielführend sind .
({2})
Zum Beispiel wurde aufgrund einer solchen Auskunft ein
Täter der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation überführt .
Man sieht anhand des Evaluationsberichts des Instituts für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation in
Speyer also ganz klar: Dieses Gesetz hat sich bewährt, es
ist richtig und ist von unseren Sicherheitsbehörden, von
den Nachrichtendiensten in sehr verantwortungsvoller
Weise angewandt worden .
({3})
Sehr wichtig ist für mich auch, zu erwähnen, dass dieses Gesetz die Möglichkeit umfasst, Ausschreibungen
zur Beobachtung im Schengener Informationssystem
vorzunehmen . Im genannten Evaluierungszeitraum sind
insgesamt 329 Ausschreibungen für die verdeckte Beobachtung vor allem vom Bundesamt für Verfassungsschutz
vorgenommen worden . Es ist eine wichtige Maßnahme,
dass die Nachrichtendienste jemanden zur verdeckten
Beobachtung ausschreiben können . Das war auch im Fall
des Herrn Nemmouche so, der dann leider den schrecklichen Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel verübte . Er war von den französischen Sicherheitsbehörden
zur verdeckten Beobachtung ausgeschrieben worden .
Wir werden in dem laufenden Gesetzgebungsverfahren noch zwei kleine materielle Änderungen vornehmen .
Die erste Änderung schafft auf Betreiben und auf Begehr
des Bundesverteidigungsministeriums eine Ausnahmemöglichkeit . Drittpersonen, die dem Bundesverteidigungsministerium nicht angehören und dort nur temporär
tätig sind, müssen zum Zwecke des Sabotageschutzes
nicht sicherheitsüberprüft werden, wenn die Anstellung
nicht länger als einen Monat umfasst .
Die zweite Änderung, die wir an diesem Gesetz materiell vornehmen, betrifft die Auskunftsersuchen gegenüber Grundbuchämtern . Es wird dann so sein, dass
in Zukunft der Betroffene nicht mehr informiert werden
muss, wenn ein Auskunftsersuchen beim Grundbuchamt
erfolgt . Bisher war es so, dass nur bei einem Auskunftsersuchen von Strafverfolgungsbehörden der Betroffene
Stephan Mayer ({4})
aus nachvollziehbaren Gründen darüber zunächst nicht
informiert wurde .
Ich glaube, auch dies zeigt, dass wir als Gesetzgeber sehr moderat und sehr reduziert an dieses - wohlgemerkt - bewährte Gesetz materiell-rechtlich Hand
anlegen . Ich bin der festen Überzeugung, dass die Fristverlängerung der Gültigkeit dieses Gesetzes um weitere
fünf Jahre mit dazu beitragen wird, dass unsere Nachrichtendienste weiterhin effektiv und, wie ich hoffe, auch
im Sinne von uns allen erfolgreich arbeiten können .
Ich möchte zum Schluss noch eine Anmerkung machen, die ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofes
bezüglich der Verschärfungen in § 89 a StGB betrifft, die
wir vorgenommen haben . Dieses Urteil vom 27 . Oktober
zeigt mir ganz klar, dass wir weiterhin gut daran täten,
intensiv zu überlegen, ob man die Sympathiewerbung für
ausländische terroristische Organisationen nicht wieder
unter Strafe stellen sollte .
({5})
Dieser Straftatbestand galt bis 2002 . Er ist dann bedauerlicherweise von Rot-Grün abgeschafft worden . Das
war damals ein Kompromiss . Aber aus meiner Sicht ist
es jetzt Zeit, dass wir diese Sympathiewerbung wieder
unter Strafe stellen . Ich kann nur an uns alle appellieren,
dass wir im Lichte dieses aktuellen Urteils des Bundesgerichtshofes diese Maßnahme schnellstmöglich umsetzen und ein entsprechendes Gesetzeswerk auf den Weg
bringen .
Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Aufmerksamkeit .
({6})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion
Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat
wird heute von der Regierung die Verlängerung der Befristung einer Reihe von Antiterrorgesetzen verlangt, mit
denen es vor allen Dingen Geheimdiensten erlaubt wird,
Konten zu überwachen, Kommunikationsdaten einzusehen, Reisebewegungen zu beobachten und zu erfassen
und vieles mehr . Diese Maßnahmen, meine Damen und
Herren, sind tiefe Einschnitte in die Grundrechte . Die
Linke ist der Meinung, dass man diese Grundrechte nicht
so einfach beschränken darf, wie das eben der Kollege
Mayer gefordert hat, sondern man muss wirklich sehr genau prüfen, ob die Gefahr noch besteht und ob wir diese
Gesetze wirklich noch brauchen . So, wie diese Gesetze
heute verabschiedet werden sollen, wird die Linke nicht
mitmachen .
({0})
Bei der damaligen Einführung dieser Gesetze im Jahr
2002 aufgrund der Anschläge von 9/11 hat man uns noch
erzählt, dass alles nur vorübergehend sei und dass die
Gesetze befristet seien . Wir sehen heute, dass die Befristung regelmäßig verlängert wird, ohne dass der praktische Nutzen dieser Gesetze für die Terrorbekämpfung
tatsächlich nachgewiesen wurde .
Hier ist eben schon gesagt worden, dass die Geheimdienste diese Sonderbefugnisse, die sie bekommen
haben, nur in einigen Dutzend Fällen pro Jahr nutzen .
Aber das allein sagt nicht viel darüber aus, ob die Grundrechtseingriffe verhältnismäßig und notwendig sind . Im
Evaluationsbericht, der als Grundlage für die Verlängerung der Befristung der Gesetze dienen soll, heißt es ich möchte das gerne zitieren -:
Die Kumulation von Grundrechtseingriffen erhöht
die Intensität des Grundrechtseingriffs . Mehrere für
sich betrachtet möglicherweise angemessene oder
zumutbare Eingriffe in grundrechtlich geschützte
Bereiche können in ihrer Gesamtwirkung zu einer
schwerwiegenden Beeinträchtigung führen, die das
Maß der rechtsstaatlich hinnehmbaren Eingriffsintensität überschreitet .
Im Klartext heißt das: Notwendig ist eine Gesamtschau, eine Art Überwachungsgesamtrechnung . Dies hat
übrigens auch das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung
angemahnt . Denn nur wenn man auch die anderen Überwachungsgesetze und die technischen Möglichkeiten der
Datenvernetzung berücksichtigt, wird klar, in welchem
Maß die Grundrechte insgesamt betroffen sind . Das Problem im Zusammenhang mit dem Evaluierungsbericht
wird hier ganz klar genannt - ich zitiere -:
Eine solch umfassende Analyse ist jedoch vom
Evaluationsauftrag nicht abgedeckt gewesen . . .
Mit anderen Worten: Das BMI hat hier einen sehr eng
gefassten Auftrag zur Evaluierung erteilt .
Wir haben am Montag dieser Woche ein Berichterstattergespräch über zwei Stunden mit den Wissenschaftlern gehabt, die die Evaluation durchgeführt haben, und
mit ihnen diskutiert . Sie haben bestätigt, dass die eben
angesprochenen Fragen bei einer grundrechtlichen Auswertung eigentlich hätten geprüft werden müssen . Doch
dafür hatten sie weder die Zeit noch den Auftrag . Den inhaltlichen und zeitlichen Rahmen für die Evaluierung hat
das Bundesinnenministerium so eng angesetzt, dass eine
wirklich sorgfältige Prüfung des Themas verhindert wurde . Auf diese Weise lässt sich natürlich leicht sicherstellen, dass das Ergebnis dem eigenen Interesse, also dem
des BMI, entspricht . Entschuldigen Sie, meine Damen
und Herren, aber das ist alles andere als ein sorgfältiger
Umgang mit den Grundrechten, so wie wir ihn uns vorstellen . Das ist eine Irreführung der Öffentlichkeit .
({1})
In Bezug auf den angeblichen Nutzen der Antiterrorgesetze haben wir ebenfalls erhebliche Zweifel . Zwar sagen die Geheimdienste, die gewonnenen Informationen
seien wertvoll für ihre Arbeit . Aber das sind Behauptungen beispielsweise des BND, aber auch des Verfassungsschutzes, an denen wir in der letzten Zeit wirklich große
Stephan Mayer ({2})
Zweifel haben . Ich nenne nur die Stichworte „NSA“ und
„NSU“ . Es verbietet sich von selbst, dass man diesen Geheimdiensten so einfach glaubt, wenn man keine Fakten
vorgelegt bekommt . Die Aussagen der Schnüffelbehörden können wir einfach nicht hinnehmen . Wir brauchen
bei einer Evaluierung Fakten und Daten, um zu gucken:
Was brauchen wir an Gesetzen, und was brauchen wir
nicht?
({3})
Da muss man sich wirklich fragen: Für wie naiv halten
uns eigentlich die Ministerien wie beispielsweise das
Bundesinnenministerium?
Was wir tatsächlich brauchen, sind unabhängige Einschätzungen, die auf aussagekräftigen und vollständigen
Daten basieren . Bis heute hat noch niemand nachgewiesen bzw . nachweisen können, dass wegen der neuen Gesetze auch nur ein einziger Anschlag verhindert
werden konnte . Es fehlt an jeder Rechtfertigung für die
erheblichen Grundrechtseingriffe durch diese Gesetze .
Von daher fordert die Linke nicht eine Verlängerung der
Gültigkeit dieser Gesetze, sondern ihre Abschaffung . Die
Abrüstung der Geheimdienste ist der beste Grundrechteschutz .
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({4})
Das Wort hat der Kollege Uli Grötsch für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, dass es bei dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf eigentlich gar nicht um die Frage
gehen kann, ob wir die Verlängerung der Gültigkeit dieses Gesetzes brauchen, also ob wir unseren Sicherheitsbehörden weiterhin Befugnisse zur Terrorismusbekämpfung geben oder nicht . Ich war bis jetzt der Meinung,
dass es im ganzen Haus oder zumindest in weiten Teilen
eigentlich unstrittig sein müsste,
({0})
dass die Sicherheitsbehörden in Deutschland auch in
Zukunft die Befugnisse brauchen, die sie in den letzten
Jahren hatten . Denn niemand wird doch behaupten wollen, dass sich die Gefährdungslage hinsichtlich terroristischer Bedrohungen in Deutschland etwa entspannt hat
oder dass sie sich gar erledigt hat und wir somit auf diese
Gesetze verzichten könnten .
Osama bin Laden ist zwar längst tot . Aber al-Qaida
steht bei weitem nicht mehr allein im Fokus der Öffentlichkeit . Auch das Thema Terrorismus entwickelt sich
weiter .
Uns zeigt in diesen Tagen - man kann schon fast sagen: in diesen Jahren - das selbsternannte Kalifat des „Islamischen Staates“ eine Form des Terrors, die uns bislang
unbekannt war . Diese Form des Terrors des „Islamischen
Staates“ bedroht uns ganz konkret hier in Deutschland:
durch radikalisierte Islamisten, ausreisende Dschihadisten und vor allem durch Syrien-Rückkehrer, von denen
die allermeisten über Kampferfahrung verfügen .
Es geht heute nicht um die Frage, was die Ursachen
des Terrorismus in all seinen Erscheinungsformen sind,
und es geht auch nicht um die Frage der Bekämpfung der
Ursachen . Mit dem zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf geht es nur um die Befugnisse, also sozusagen
um den Rahmen, den wir den Nachrichtendiensten und
den Sicherheitsbehörden in Deutschland geben, um in
angemessener Weise auf diese Bedrohungen reagieren zu
können .
Ich glaube, ohne Auskunftseinholung etwa bei Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommunikationsdienstleistern geht es heutzutage nicht . Deshalb gibt
es zu diesem Gesetzentwurf keine Alternative .
({1})
Die SPD-Bundestagsfraktion weiß sehr wohl, dass
mit diesen Befugnissen auch immer ein teilweise nicht
unerheblicher Grundrechtseingriff einhergeht und wir
die Freiheitsrechte mancher Bürger damit einschränken
müssen . Wir sind aber auch dafür verantwortlich, dass
sich die Menschen in unserem Land auch in Zukunft vor
Terrorismus sicher fühlen können . Deshalb haben wir
den Spagat zwischen Bürgerrechten und erforderlichen
Grundrechtseingriffen jederzeit bei jedem Gesetzentwurf
im Blick und somit auch bei diesem . Deshalb haben wir
den Gesetzentwurf fast so belassen, wie er war .
({2})
Es gibt keine wesentliche Ausweitung der nachrichtendienstlichen Befugnisse .
Eine kleine Änderung betrifft das Grundbuchrecht .
({3})
Künftig können nicht nur Strafverfolgungsbehörden,
sondern auch Nachrichtendienste verdeckt in Grundbücher und Grundakten Einblick nehmen,
({4})
um beispielsweise herauszufinden, wem ein Grundstück
gehört, auf dem sich regelmäßig rechte Vereinigungen
oder islamistische Vereinigungen treffen . Dem Eigentümer darf die Grundbucheinsicht für eine bestimmte
Dauer nicht mitgeteilt werden, um Ermittlungen nicht zu
gefährden . Das halte ich für richtig, und das ist in diesem
Zusammenhang auch wichtig .
({5})
Für die SPD war es von entscheidender Bedeutung,
dass wir das Terrorismusbekämpfungsgesetz erneut beUlla Jelpke
fristen, und zwar bis 2021, und dass wir es dann erneut
auf seine Notwendigkeit und Wirksamkeit überprüfen,
weil sich dieses Phänomen bis zum Jahr 2021 wieder
verändert haben wird . Wir hoffen und glauben, dass wir
mit unserer Gesetzgebung dazu beitragen, dass es sich
zurückentwickelt, statt sich weiter auszubreiten .
Die Evaluierung der Durchführungspraxis des Gesetzes hat einerseits gezeigt, dass die nachrichtendienstlichen Befugnisse maßvoll angewandt wurden, und andererseits, dass sie sich sehr bewährt haben . Nicht immer
sind die Erfolge der Sicherheitsbehörden öffentlich
wahrnehmbar, wie etwa bei der Verhaftung von Terrorverdächtigen in Oberursel im April dieses Jahres . Als
wir damals das Gesetz gemacht haben, haben wir es sehr
bewusst von vornherein befristet, weil wir um die eben
schon angesprochene Sensibilität der Befugnisse wussten .
Nun geht es um die dritte Verlängerung, weil die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus nach wie
vor besteht, der heutzutage - wir alle kennen die Videos
des „Islamischen Staates“ - viel brutaler und hemmungsloser ist als jemals zuvor . Wir wissen, dass schreckliche
Terroranschläge wie im Mai 2014 im Jüdischen Museum
in Brüssel oder wie im Januar dieses Jahres auf das Satireblatt Charlie Hebdo in Paris auch bei uns in Deutschland passieren können .
Der „Islamische Staat“ ruft ganz konkret zu individuellen Terrortaten in Deutschland auf . Wir können und
wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass zivile Helden
wie im Thalys-Schnellzug weiterhin für ihre Mitbürger
ihr Leben riskieren, liebe Kolleginnen und Kollegen . Das
muss Aufgabe des Staates sein . Wir müssen den Rahmen
schaffen und den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit
geben, diese Taten zu verhindern .
({6})
Deshalb stellt die Große Koalition unsere Sicherheitsbehörden weiterhin gut auf . Das Bundeskriminalamt und
das Bundesamt für Verfassungsschutz bekommen neue
Planstellen in erheblichem Umfang
({7})
und eine angemessene Sachmittelausstattung auch und
gerade im Cyberabwehrbereich, der auch in diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema darstellt . Auch die
Bundespolizei wird über die bereits in diesem Jahr erfolgte und für 2016 vorgesehene Aufstockung hinaus
weitere 3 000 Stellen erhalten .
({8})
Wir wissen dabei sehr wohl, dass Paragrafen und repressive Maßnahmen allein noch keine effektive Terrorismusbekämpfung gewährleisten . Die SPD-Bundestagsfraktion und die CDU/CSU-Fraktion, also die gesamte
Große Koalition, setzen deshalb genauso sehr - der Kollege Mayer hat das eben in seiner Rede angedeutet - auf
Prävention wie auf Repression .
Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten
mit sehr vielen im Bereich der Extremismusprävention
engagierten Vereinen und Trägern getroffen und mir ein
Bild von ihrer Arbeit gemacht . Ihre Arbeit ist gefragter
denn je . Etwa Informationsveranstaltungen der Bundeszentrale für politische Bildung sind völlig überlaufen .
Ich denke etwa an Ufuq e. V., an die Beratungsstelle
Hayat, die Aussteigern und Angehörigen radikalisierter
Personen konkrete und wirksame Hilfe anbietet, oder an
das Projekt „Wegweiser“ in Nordrhein-Westfalen sowie
an das Violence Prevention Network; Sie alle kennen
diese Organisationen . Es gibt in den für die Prävention
originär zuständigen Bundesländern viele solcher niedrigschwelligen Projekte, die sich gegen den gewaltorientierten Islamismus wenden und dabei sehr erfolgreich
sind . Deshalb war es richtig, dass wir im letzten Jahr den
Mittelansatz für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ um 10 Millionen Euro auf nun 40,5 Millionen Euro
aufgestockt haben . Ich meine, dass wir diesen Weg weitergehen müssen . Das ist der richtige Weg .
({9})
Ich danke in diesem Zusammenhang unserer Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, die früher als andere erkannt hat, dass
es auf Prävention genauso ankommt wie auf die Arbeit
der Sicherheitsbehörden . Wer sich mit den verschiedenen
Beratungsstellen unterhält und sieht, dass das Telefon
nicht eine Minute stillsteht, der merkt schnell, dass in das
Bundesprogramm „Demokratie leben!“ in den aktuellen
Haushaltsberatungen mehr Geld fließen muss, weil Prävention genauso wichtig ist wie Repression .
Ich meine, dass es in diesem Bereich eine zentrale
Koordinierungsstelle braucht, unter deren Dach sich die
Träger und Vereine organisieren, austauschen und vernetzen können . Als Vorbild könnte etwa die Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“ dienen, die
sich seit Jahren erfolgreich um ausstiegswillige Rechte
kümmert . Extremismus in jeder Form ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung .
Vor fast genau vier Jahren hat die Selbstenttarnung der
NSU-Terroristen Deutschland erschüttert, und sie tut das
immer noch . Seitdem versuchen wir, die Umstände aufzuklären . In der nächsten Woche wird der Deutsche Bundestag zum NSU-Terror einen zweiten Untersuchungsausschuss einsetzen . Dabei ist das Ziel klar: lückenlose
Aufklärung, damit so etwas nie wieder passieren kann .
Auch vor diesem Hintergrund bin ich sehr besorgt über
das erneute Aufkeimen einer rechtsterroristischen Szene
in Teilen unseres Landes .
({10})
Nichts anderes ist es nämlich, wenn sich organisierte,
rechte Schlägertrupps aufmachen und vor Krieg und Terror zu uns geflüchtete Menschen und ihre Unterkünfte
angreifen . Die Beobachtung dieser Rechtsterroristen ist
ein Fall für unsere Sicherheitsbehörden, insbesondere für
den Verfassungsschutz .
({11})
Wenn sich das zuständige Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen und sein Präsident dieser Aufgabe
nicht annehmen wollen, dann muss das Bundesamt für
Verfassungsschutz die Zügel in die Hand nehmen .
({12})
Die gesetzlichen Grundlagen für diese Zuständigkeit haben wir noch vor der Sommerpause geschaffen . Ich gehe
davon aus, dass der Bundespräsident das Gesetz bald unterschreiben wird .
Sowohl Rechtsterror als auch islamistischer Terror
sind verabscheuungswürdig und müssen von unseren Sicherheitsbehörden bekämpft werden . Dafür geben wir ihnen unter bestimmten und gesetzlich geregelten Voraussetzungen das Werkzeug mit diesem Gesetz an die Hand .
Ohne dieses Gesetz katapultieren wir uns in die Steinzeit
der Terrorabwehr; das wäre fatal und verantwortungslos .
Deshalb fordere ich insbesondere die Grünen auf, der
Verlängerung der Geltungsdauer eines Gesetzes aus gemeinsamen Zeiten zuzustimmen .
({13})
Vielen Dank .
({14})
Das Wort hat die Kollegin Irene Mihalic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Herr Mayer, ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie beim Thema Terrorismus immer sofort auf den islamistischen Terrorismus kommen . Der
fällt Ihnen sehr schnell ein, aber Sie beziehen nie die allgegenwärtige Gefahr des Rechtsterrorismus in Ihre Rede
ein .
({0})
Deswegen bin ich dem Kollegen Grötsch für den
Schluss seiner Rede sehr dankbar, in dem er diese Bezüge hergestellt hat. Das finde ich wichtig, wenn es in einer
Debatte um Terrorismus geht .
({1})
Der 11 . September 2001 hat uns mit einer neuen Dimension des Terrors konfrontiert . Unter diesem Eindruck
hat gerade die westliche Staatenwelt viele nach innen
wie auch nach außen wirkende Maßnahmen entwickelt,
um auf die terroristische Bedrohung zu reagieren . Aber
diese Maßnahmen hatten, gelinde gesagt, doch einen
ziemlich unterschiedlichen Erfolg . Wenn ich mir die
letzten 14 Jahre und die aktuellen Krisenherde dieser
Welt anschaue, dann frage ich mich heute schon, wie eigentlich die sicherheitspolitische Gesamtbilanz bei der
Bekämpfung des Terrorismus ist und ob die Antworten
der zivilisierten Welt am Ende nicht vielleicht doch mehr
Schaden in Afghanistan, im Irak und in Syrien angerichtet haben, als sie Nutzen gebracht haben. Ich finde, diese
Frage sollte man einmal eingehend untersuchen, gerade
im Hinblick auf zukünftige Debatten zum Thema Terrorbekämpfung .
({2})
Ebenfalls untersucht oder - besser gesagt - evaluiert
wurden die Terrorismusbekämpfungsgesetze, deren Geltung Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, heute hier verlängern wollen . Zwar wurde dieses
Mal - endlich, muss man sagen - auf wissenschaftlicher
Basis evaluiert, aber trotzdem hart am Thema vorbei;
denn wenn der Nutzen eines Gesetzes unter dem Aspekt
der Verhältnismäßigkeit ermittelt werden soll, dann muss
man auch den Erfolg der Maßnahmen nach klaren Kriterien überprüfen . Genau das ist aber nicht geschehen .
({3})
Es wurde überhaupt nicht ermittelt, ob die zusätzlichen Befugnisse der Geheimdienste in auch nur einem
einzigen Fall dazu beigetragen haben, Terroranschläge
zu verhindern . In Ihrem Gesetzentwurf kommen Sie zu
einer ziemlich spannenden Schlussfolgerung, wenn Sie
sagen, die neuen Befugnisse seien alle nur ganz sparsam
angewendet worden und deshalb sollte die Geltungsdauer der Gesetze verlängert werden . Das kann doch kein
Grund für eine Verlängerung sein, sondern das kann
nur, wenn überhaupt, der Nachweis der Wirksamkeit der
Maßnahmen zur Terrorbekämpfung sein .
({4})
Genau diesen Nachweis bleiben Sie aber schuldig .
Kollege Grötsch, gestatten Sie mir eine Anmerkung
zu den Vorgängen in Oberursel . Da war es die Kassiererin im Baumarkt, die Schlimmeres verhindert hat, und es
waren eben nicht die Nachrichtendienste .
({5})
Umso gravierender sind dann die mit den Maßnahmen
verbundenen Grundrechtseingriffe . Ohne einen klaren
Beweis für den Erfolg der Terrorismusbekämpfungsgesetze sind wir hier im Parlament doch überhaupt nicht
in der Lage, die Verhältnismäßigkeit dieser Befugnisse
festzustellen . Aber genau das wäre die Grundlage für die
Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, nämlich ob
wir die Geltungsdauer der Gesetze wirklich guten Gewissens für weitere fünf Jahre verlängern können .
Es geht auch nicht nur um eine Verlängerung, nein,
so ganz nebenbei sollen die Befugnisse der Dienste auch
noch ausgeweitet werden; denn bis jetzt ist es nur den
Strafverfolgungsbehörden gestattet, und zwar nur in begründeten Einzelfällen, wenn der Erfolg strafrechtlicher
Ermittlungen gefährdet ist, die Grundbücher einzusehen,
ohne der betreffenden Person darüber Auskunft zu erteilen . Jetzt sollen das nach Ihrem Willen auch die Nachrichtendienste dürfen .
Ich finde, die aktuellen Geheimdienstskandale haben
uns eine Sache deutlich gezeigt, nämlich wie schwer das
Vorgehen der Dienste und ihre Methoden kontrollierbar
sind. Deswegen finde ich nicht, dass man die Befugnisse
dieser Behörden jetzt quasi im Vorbeigehen auch noch
erweitern sollte .
({6})
Ich will daran erinnern, dass vier von sechs Untersuchungsausschüssen dieser und der letzten beiden Wahlperioden das zweifelhafte Vorgehen von Sicherheitsbehörden, allen voran der Geheimdienste, zum Thema
hatten . Uli Grötsch hat vorhin darauf hingewiesen: Wir
setzen jetzt einen weiteren Untersuchungsausschuss zum
NSU-Skandal ein, der auch die Arbeit des Verfassungsschutzes auf den Prüfstand stellt . Der NSA-Untersuchungsausschuss befasst sich mit der Arbeit des BND .
Vielleicht wäre es klug, abzuwarten, was alles dabei herauskommt, bevor man die Dienste mit neuen Kompetenzen ausstattet .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben weder
den tatsächlichen Nutzen der bestehenden Gesetze nachgewiesen, noch haben Sie eine schlüssige Begründung
dafür geliefert, dass die Befugnisse jetzt auch noch ausgeweitet werden sollen . Daher bleibt für uns in der Bilanz
ein ganz klares Minus und uns als Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen nichts anderes übrig, als Ihren Gesetzentwurf abzulehnen .
Vielen Dank .
({8})
Das Wort hat der Kollege Clemens Binninger für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich will damit beginnen, auf die Redebeiträge der Opposition einzugehen . Frau Jelpke, ich würde mich gern mit
Ihnen einmal in der Sache streiten . Nur, dann müssten
Sie wenigstens ein Mal sagen, was Sie gegen die Gefahr
des internationalen Terrorismus tun würden . Sie sagen
kein Wort dazu, wie Sie es machen würden,
({0})
und deshalb ist eine Debatte mit Ihnen gar nicht möglich .
({1})
Wer keine eigenen Lösungsvorschläge präsentiert, der,
finde ich, vergibt sich ein bisschen das Recht, immer
über das zu nörgeln, was die anderen angeblich falsch
machen .
Ich komme zum Beitrag der Grünen . Man muss noch
einmal daran erinnern: Wir stimmen hier über die Verlängerung der Gültigkeitsdauer eines von Rot-Grün auf den
Weg gebrachten Gesetzes ab .
({2})
Ich habe immer gesagt: Als Otto Schily Koalitionspartner der Grünen war, sind Sie in erster Linie strammgestanden und haben gemacht, was er wollte . Aber in der
Sache hatte er recht .
({3})
Wie Sie sich heute vom Acker machen, ist nicht sehr
heldenhaft . Sie haben hier zu vielem geredet; aber Sie haben nichts dazu gesagt, warum die Befugnisse nötig sind .
Ich erinnere mich an die Debatten, als wir dieses Gesetz
beschlossen bzw . seine Geltungsdauer verlängert haben .
Einer der Hauptvorwürfe dagegen hieß immer: Jetzt wird
massenhaft in Kommunikation eingegriffen . Jetzt wird
massenhaft überwacht . Jetzt werden massenhaft Daten
gewonnen . - Das waren die Hauptkritikpunkte, mit denen man diese Maßnahmen irgendwie ins Unrecht zu
drängen versucht hat .
Schauen wir uns die Zahlen an - ich habe mir noch
einmal den Berichtsstand 2013 angesehen -: Von Anfang 2002 bis Ende 2013, also in zwölf Jahren, wurden
diese Befugnisse von drei Nachrichtendiensten - MAD,
BND und BfV - gerade einmal rund 770-mal angewandt .
Ich wiederhole: Sie wurden in zwölf Jahren 770-mal
durch drei Nachrichtendienste angewandt . Das ist mehr
als maßvoll . Von der üblichen Kritik, es werde massenhaft und ziellos überwacht, ist nichts, aber auch gar
nichts übrig geblieben . Das ist das heutige Fazit .
({4})
Nach meiner nächsten Anmerkung verlasse ich Ihren
Beitrag; denn er hat nicht so sehr zur Sache beigetragen .
({5})
- Ja, es stimmt leider .
({6})
Frau Mihalic, Sie haben ja einen guten Einstieg vollzogen . Sie haben darauf hingewiesen, dass wir ({7})
- Frau Lazar, wenn Sie mir nicht zuhören, können Sie es
nicht verstehen .
Frau Mihalic, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es nicht nur um den internationalen Terrorismus geht, dass Rechtsterrorismus eine ernste Bedrohung
für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft ist und
dass wir alle aufgefordert sind, alles dafür zu tun, diese
Gefahr gar nicht erst aufkommen zu lassen . Ich glaube,
darüber besteht im ganzen Haus Konsens .
({8})
Vor diesem Hintergrund können Sie doch nicht ernsthaft sagen: Durch die Neuregelung der Grundbuchauskunft würden nebenbei und maßlos Befugnisse ausgeweitet . Worum geht es da? Da geht es um den Kampf
gegen Rechtsterrorismus . Im Hinblick auf Vereinsverbote - da muss man beispielsweise wissen, wem die Hütte
gehört, wo sich die Neonazis immer treffen, damit man
angemessen gegen sie vorgehen kann; die Betroffenen
sollen ja nicht erfahren, dass man entsprechende Vorbereitungen trifft - zu kritisieren, dass die Grundbuchämter
einem amtsbekannten Neonazi nicht mitteilen müssen,
dass sich der Verfassungsschutz nach seinen Eigentumsverhältnissen erkundigt - das ist doch sinnvoll -, macht
doch keinen Sinn . Wenn Sie das kritisieren, widersprechen Sie Ihrer eigenen Position, die Sie zu Beginn Ihrer
Rede dargelegt haben . Das ist mein Fazit .
({9})
Noch ein paar Sätze dazu, warum wir diese Befugnisse
brauchen . Es ist doch entscheidend, dass wir beim Kampf
gegen Terror wissen, wohin Terrorverdächtige reisen, mit
wem sie kommunizieren und wohin Geld fließt. Das sind
die entscheidenden Informationen schlechthin .
Es geht doch darum, den Diensten zu erlauben, genau diese Daten der Terrorverdächtigen abzufragen - in
zwölf Jahren gerade einmal 770-mal -: bei der Bank,
beim Telefonunternehmen oder bei der Airline . Wir wissen, dass wir zurzeit eine Bedrohungslage durch den IS
haben, die zahlenmäßig alles übersteigt, was wir bisher
an Terrorbedrohung hatten: mehrere Hundert IS-Kämpfer allein aus Deutschland, mehrere Tausend aus Europa,
die entweder dort sind oder zurückkommen und hier eine
latente Gefahr darstellen . Will ich da ernsthaft sagen: „Es
interessiert mich nicht, mit wem die Kontakt haben; es
interessiert mich nicht, wohin die reisen; ich will nicht
wissen, wohin die Geldbewegungen gehen“? - Das muss
ich wissen . Wenn Nachrichtendienste im Terrorkampf erfolgreich sein sollen, brauchen sie dieses Wissen, und genau das ermöglichen wir ihnen mit diesen Befugnissen .
Sie sind mehr als notwendig, sie sind maßvoll angewandt
worden, und sie sind evaluiert worden . Deshalb, glaube
ich, kann man diesem Gesetz wirklich nur zustimmen .
In einem Punkt will ich noch einmal deutlich machen,
dass wir die Dinge nicht so nebenbei machen . Diese Gesetze sind nicht nur von dem Institut in Speyer evaluiert
worden; auch das Parlamentarische Kontrollgremium
befasst sich in kurzen Abständen und jährlich in einem
öffentlichen Bericht mit diesen Maßnahmen . Auch dort
wird ein positives Fazit gezogen, nämlich dass man diese Maßnahmen braucht, dass sie maßvoll sind . Deshalb,
glaube ich, kann es an der Stelle gar keine Frage sein, die
Frist erneut um fünf Jahre zu verlängern .
Ich will ganz offen sagen: Die Idee kommt nicht von
uns . Wir hätten es auch gern ohne Befristung gehabt . Es
ist ein Wunsch und eine Idee des Koalitionspartners .
({10})
Ich habe aber nichts dagegen . Wir stimmen ja zu . Aber:
Dienste sagen uns immer wieder: Die Terrorgefahr hat
sich nicht verändert . Wir wissen, dass sie sich auch in
fünf Jahren nicht verändert haben wird . Warum befristet
ihr überhaupt? Ist das praktikabel? - Das wird uns immer
entgegengehalten .
Ich sage: Eine Befristung macht durchaus Sinn . Dadurch sind wir in der Pflicht, wenigstens alle fünf Jahre
transparent und öffentlich diese Debatte zu führen, und
wir können darlegen, dass wir diese Maßnahmen brauchen,
({11})
dass sie maßvoll angewandt werden, dass sie sinnvoll
sind . Insofern muss ich sagen: Ich war zwar nie ein
Freund der Befristung, aber ich habe mich nicht nur daran gewöhnt, sondern sage mittlerweile: Sie hat schon
auch ihren politischen Effekt, selbst wenn die Praktiker
sagen: Uns wäre es ohne Befristung lieber . - Dass wir es
verlängern, glaube ich, ist sinnvoll, und die Debatte ist
allemal sinnvoll .
({12})
Sie heben immer darauf ab - das muss man zum
Schluss noch einmal sagen -: War das überhaupt erfolgreich?
({13})
- Ja . - Man muss aber doch einmal zur Kenntnis nehmen: Gott sei Dank - das hat sicher immer auch etwas
mit Glück zu tun, aber nicht nur - sind wir in Deutschland mit Ausnahme dieses fanatischen Einzeltäters am
Frankfurter Flughafen bislang all die Jahre - denken Sie
einmal daran, wo überall Anschläge waren! - von erfolgreichen Terroranschlägen verschont geblieben . Das hat
mit Glück und Fügung zu tun, aber es hat auch damit zu
tun, dass wir unseren Sicherheitsbehörden die richtigen
Instrumente an die Hand gegeben haben: die Maßnahmen
nach diesem Gesetz, die Antiterrordatei, das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum, die Möglichkeit des Passentzuges, andere Dinge im Bereich des Strafgesetzbuches .
Das ist doch ein Erfolg . Wenn Anschläge nicht passieren,
ist das ein Erfolg . Wie kann man das in Zweifel ziehen
und fragen: „War das alles überhaupt erfolgreich?“?
({14})
Die Gesetze sind richtig . Sie waren erfolgreich . Eigentlich kann man einer Verlängerung nur zustimmen .
Sie haben beim ersten Mal mitgemacht . Ich bitte Sie:
Überprüfen Sie Ihre Position noch einmal! Es wäre in
der Sache mehr als richtig und notwendig . Wir werden
zustimmen - im Interesse der Sicherheit unseres Landes
und der Bürger .
Herzlichen Dank .
({15})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den
Terrorismusbekämpfungsgesetzen . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6579, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/5924 und 18/6177 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Luise
Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes über die Einführung
von Gruppenverfahren
Drucksache 18/1464
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Drucksache 18/6422
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dirk Wiese für die SPD-Fraktion .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Bereits anlässlich der ersten Lesung vor
der Sommerpause hatte ich darauf hingewiesen, dass
ich dem Gesetzentwurf der Grünen interessiert, offen,
aber skeptisch gegenüberstehe . Insbesondere die enorme
Belastung der Justiz, die Ihr Vorhaben mit sich brächte,
und das zusätzliche Streitpotenzial, das durch die äußerst
komplexe Verfahrensstruktur aus meiner Sicht entstehen
würde, hielt ich für nicht zielführend . Die Beratungen im
Fachausschuss und die Anhörung konnten meine Skepsis nicht ausräumen, ja haben sie sogar noch einmal verstärkt .
Was aber das Grundziel Ihres Anliegens betrifft, besteht jedoch, glaube ich, Einigkeit zwischen uns, nur der
Weg dorthin ist ein anderer . Denn dass Verbraucher, die
in großer Zahl zum Beispiel unlauteren Geschäftspraktiken, unzulässigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen
oder kartellbedingt überhöhten Preisen zum Opfer gefallen sind, in der Lage sein müssen, ihre Rechte vor Gericht möglichst wirksam durchzusetzen, steht auch für
uns Sozialdemokraten völlig außer Frage . Klar ist aber
auch, dass die Möglichkeit, eine angemessene Kompensation für erlittene Schäden zu erstreiten, verfahrensmäßig so ausgestaltet sein muss, dass keine abschreckenden
wirtschaftlichen oder bürokratischen Hürden bestehen,
die jeweils mit dem Ziel der Verzögerung oder Zermürbung - möglicherweise als prozessualer Nebenkriegsschauplatz - genutzt werden können .
Andererseits müssen wir aber auch verhindern, dass
die Möglichkeit von Sammelklagen missbraucht wird
und spezialisierte Großkanzleien die Gruppenklage zukünftig zu ihrem Hauptgeschäftsfeld machen, weil dort
der Profit höchstmöglich ist. Ich gebe Ihnen ein Beispiel:
Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn der Klagegegner in teure Vergleiche gezwungen wird, die von vielen
betroffenen Unternehmen unabhängig von der Rechtslage und der Aussicht auf Erfolg im Prozess nur deshalb
angenommen werden, um einem öffentlichen, negativen
und geschäftsschädigenden Fokus in einem etwaigen
langwierigen Prozess zu entgehen .
Betrachtet man also diese beiden Seiten, so stellt sich
die Frage, wie eine solche Klageform aussehen könnte .
Ich persönlich finde, dass die Musterfeststellungsklage
aus dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz hier das
Grundgerüst für eine entsprechende Klageform liefern
könnte, die dann natürlich einen sachlich unbeschränkten Anwendungsbereich hätte . Der Vorteil an solch einem Musterfeststellungsverfahren liegt aus meiner Sicht
auf der Hand: Qualifizierte Verbände könnten auch bei
einem sehr hohen Aufkommen an verbraucherrechtlichen Streitigkeiten zu einer Sache mit nur einer Klage,
die auf das Ziel der Klärung zentraler Voraussetzungen
und Rechtsfragen in diesem speziellen Fall gerichtet ist,
den gesamten Sachverhalt zum Abschluss bringen . Gerichte und auch die streitenden Parteien könnten sich in
diesem Prozess auf die Klärung immer wiederkehrender
Kernfragen konzentrieren . Damit würden die Ressourcen
der Justiz, anders als im heute hier vorliegenden Entwurf,
eine massive Entlastung erfahren, und die Verbraucher
würden von der Vereinheitlichung der Rechtsprechung
profitieren.
Zusätzlich wäre es dann natürlich sinnvoll, ein Klageregister zu schaffen, in dem Verbraucherinnen und Verbraucher nach Bekanntmachung ihrer Klage bei bereits
bestehendem Musterfeststellungsurteil ihre Ansprüche
niedrigschwellig, kostenfrei und mit verjährungshemmender Wirkung anmelden können . Klar ist, dass das
Musterfeststellungsurteil für diese Ansprüche natürlich
dann aber auch Bindungswirkung entfalten müsste . Dadurch würde aus meiner Sicht die Wahrscheinlichkeit
auf eine außergerichtliche Abwicklung der einzelnen
Ansprüche signifikant erhöht. Denkbar ist hier etwa
eine einvernehmliche oder im Rahmen der kostenfreien
Streitschlichtung erzielte Einigung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie ahnen bzw . viele
von Ihnen wissen es: Was ich hier vortrage, entspricht
den Ankündigungen aus dem Bundesministerium der
Justiz und für Verbraucherschutz . Dort wird bereits an
entsprechenden Eckpunkten gearbeitet .
({0})
Auch mit der Praxis wird dieser Entwurf rückgekoppelt
werden, was natürlich seine Zeit braucht . Das ist aber
aus meiner Sicht genau der richtige Weg; denn bei solch
komplizierten und schwierigen rechtlichen Themenbereichen wie der Gruppenklage gilt nun einmal der alte
Grundsatz: Schneller ist manchmal eben nicht besser .
Deswegen lehnt die SPD-Bundestagsfraktion heute
Ihren Gesetzentwurf ab, obwohl wir uns im Ziel durchaus einig sind . Wir halten den Weg über ein Musterfeststellungsverfahren für wesentlich zielführender und ressourcenschonender . Sie ist für den Verbraucher auch ein
wesentlich einfacheres Verfahren, das mit weniger Risiken verbunden ist .
({1})
Ich freue mich, mit Ihnen über entsprechende Vorhaben zeitnah an dieser Stelle zu diskutieren .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion
Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! „Allein machen sie dich ein .“ Das sang die Band
„Ton Steine Scherben“ schon in den 70er-Jahren . Sie hatte wahrscheinlich nicht die Einführung von Gruppenverfahren vor Augen, aber das bringt es ganz gut auf den
Punkt. Ich finde, allein kann der einzelne Verbraucher
wenig gegen ein Unternehmen ausrichten, das ihn abgezockt hat . Gemeinsam können sich die Verbraucher viel
besser wehren .
({0})
Gemeinsam können wir uns viel besser wehren . Das
heißt übersetzt ins Beamtendeutsch: Einführung von
Gruppenverfahren oder Einführung von kollektiver statt
individueller Rechtsdurchsetzung .
In zehn EU-Staaten gibt es bereits diese Möglichkeit .
Zuletzt wurde sie in Frankreich eingeführt . Auch die
Europäische Kommission hat schon vor einigen Jahren
die Einführung von Gruppenverfahren empfohlen . Nur
Deutschland ist leider hinter dieser Entwicklung zurückgeblieben und hat es versäumt, seine Rechtsschutzinstrumente zu modernisieren . Wir sagen: Es wird höchste
Zeit, dass auch in Deutschland Verbraucherinnen und
Verbraucher in ihren Rechten gestärkt werden .
({1})
Ein gutes Beispiel ist der aktuelle VW-Skandal . Es ist
nicht nur ein riesengroßer Umweltskandal, sondern es
ist auch Verbrauchertäuschung in großem, in riesigem
Ausmaß . Es ist also höchste Zeit, gerade in diesem Zusammenhang über Gruppenverfahren nachzudenken . Sie
könnten nämlich dafür sorgen, dass nicht der einzelne geschädigte und getäuschte Autokäufer auf den Goodwill,
den guten Willen, des VWKonzerns angewiesen ist . Es
wäre eine Möglichkeit, die geschädigten Verbraucher in
ihrem Recht zu stärken, das sie auch gemeinsam gegenüber einem Gericht und gegenüber dem Konzern einklagen können .
Die Koalition, vor allem die SPD, hat das Musterfeststellungsverfahren ins Spiel gebracht . Wir sagen:
Das wäre besser als gar nichts . Es wäre ein Schritt in die
richtige Richtung . Aber aus unserer Sicht hat es einen
entscheidenden Nachteil: Das Gericht würde zwar entscheiden, dass ein bestimmtes Unternehmen rechtswidrig gehandelt hat, aber es folgte automatisch noch nichts
daraus . Jeder einzelne Geschädigte müsste vor Gericht
ziehen und die Entschädigung individuell einklagen . Diesen Gang scheuen erfahrungsgemäß viele Verbraucherinnen und Verbraucher, vielleicht weil nicht alle ein
abgeschlossenes Jurastudium haben . Insofern sind wir
der Auffassung, dass ein Gruppenverfahren dem Musterfeststellungsverfahren eindeutig überlegen ist .
In der Praxis heißt es, dass das Unternehmen den
unrechtmäßig erworbenen Gewinn weiter einstreichen
kann, weil viele Verbraucherinnen und Verbraucher nicht
wissen, dass sie deshalb extra vor Gericht ziehen müssen .
Dass die Unternehmen diesen unrechtmäßig erworbenen
Gewinn einbehalten können, ist völlig absurd . Das müssen wir endlich ändern .
({2})
Wir wissen das nicht erst seit gestern . Bereits 2010,
also vor fünf Jahren, hat die Fraktion Die Linke im Rahmen des Gesetzes zur Bekämpfung unlauterer Telefonwerbung erstmalig auch für die Einführung von Gruppenverfahren plädiert . Auch die Verbraucherzentralen
haben sich in der Zwischenzeit dafür ausgesprochen .
Ich finde, dass ein Gruppenverfahren besser wäre als ein
Musterfeststellungsverfahren . Aber das geht der Union
offensichtlich noch zu weit . Anders kann ich es mir nicht
erklären, dass wir im Verbraucherausschuss dreimal die
Situation hatten, dass sie mit ihrer Mehrheit dagegen gestimmt hat, dass wir uns dort über die Frage der Auswirkungen des VW-Skandals auf die Verbraucherinnen und
Verbraucher unterhalten können .
({3})
Ich finde, das ist ein Skandal. Das können wir Ihnen so
nicht durchgehen lassen .
({4})
Wir unterstützen den Vorschlag der Grünen, der hier
auf dem Tisch liegt . Vage Ankündigungen, dass irgendwann einmal von der Regierung etwas kommt, stehen
heute nicht zur Abstimmung . Wir werden den Gesetzentwurf der Grünen unterstützen, auch wenn wir im Detail
andere Vorschläge sowie Ergänzungen und Änderungswünsche hätten, die vielleicht in eine andere Richtung
gehen. Wir finden beispielsweise, dass die Erfahrungen
in Großbritannien gezeigt haben, dass bei Bagatell- und
Streuschäden kaum jemand mitklagt . Deswegen hätten
wir bei den kleinen Bagatell- und Streuschäden für ein
Opt-out-Verfahren plädiert . Aber das sind jetzt die Details . Die Annahme dieses Gesetzentwurfes würde die
Situation für viele Verbraucherinnen und Verbraucher in
der Realität verbessern . Deswegen plädiere ich für die
Annahme dieses Gesetzentwurfes .
({5})
Vielleicht zum Schluss noch einige Sätze . Bei diesem
Thema wird gerne gesagt: Wir wollen ja keine amerikanischen Verhältnisse haben . - Amerikanische Verhältnisse will hier niemand haben . Sie zu schaffen, wird im
Gesetzentwurf auch überhaupt nicht vorgeschlagen . Insofern kann man jetzt aufhören, hier Panik zu machen
und einen Pappkameraden aufzubauen .
„Allein machen sie dich ein .“ Das heißt umgekehrt:
Gemeinsam sind wir stärker . - Ich kann es nicht hundertprozentig sagen; aber ich bin mir, ehrlich gesagt,
ziemlich sicher: Auch die „Scherben“ wären für die Einführung von Gruppenverfahren . Stimmen auch Sie für
diesen Gesetzentwurf! Die Verbraucherinnen und Verbraucher würden es Ihnen danken .
Vielen Dank .
({6})
Nächster Redner ist der Abgeordnete Sebastian
Steineke, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben bereits vor einem Jahr - Kollege Wiese hat darauf hingewiesen - in diesem Haus über den Gesetzentwurf debattiert . Auch wenn dies lange her ist, hat sich
in der Zwischenzeit an unserer Auffassung zu dem Gesetzentwurf nichts geändert . So hat auch die öffentliche
Anhörung keinerlei neue Erkenntnisse gebracht, die uns
zu einer Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bringen
könnten . Die Unionsfraktion wird diesen Gesetzentwurf
wiederum ablehnen .
Wir sperren uns nicht gegen Verbesserungen bei den
Rechten der Verbraucherinnen und Verbraucher .
({0})
Im Gegenteil: Wir haben gerade vor zwei Wochen im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Veränderungen herbeigeführt, denen die Grünen übrigens nicht zugestimmt
haben .
({1})
Dass der nun vorliegende Entwurf aber gerade nicht verbraucherfreundlich ist, werde ich später bei den Einzelheiten darlegen . Da geht es um handwerkliche Fehler,
über die wir auch noch diskutieren werden .
Es geht aber auch und vor allen Dingen um die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit . Es hakt schon
bei der Erforderlichkeit . Wir haben in unserem Rechtssystem - bereits in erster Lesung haben wir viel darüber
nachgedacht und gesprochen - schon jetzt viele effiziente, kostengünstige Instrumente und Möglichkeiten des
kollektiven und individuellen Rechtsschutzes . Darauf
sind auch viele Sachverständige in der Anhörung eingegangen . Neben den üblichen Individualklagewegen gibt
es mehrere ähnlich gelagerte Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes . In den vergangenen Jahren wurden
die schon jetzt bestehenden Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes erfolgreich bei diversen Sammelklagen gegen Energieversorger, Banken und Versicherungen
genutzt .
Verbände können nach dem Unterlassungsklagengesetz oder nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bereits heute Sammelklagen erheben . Schon heute
sieht die ZPO eine Streitgenossenschaft vor und regelt in
§ 147 die Prozessverbindung . Hinzu kommt das bereits
erwähnte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz . Damit
haben wir beim kollektiven Rechtsschutz bereits einen
relativ weiten Spielraum .
Die zweite Frage ist die nach der Verhältnismäßigkeit
des Entwurfs . Die Verbraucherinnen und Verbraucher in
Deutschland sollen den bestmöglichen Rechtsschutz erhalten . Unabhängig davon muss man sich trotzdem fraCaren Lay
gen, ob dieses Auf-den-Kopf-Stellen der 130 Jahre alten
ZPO notwendig und verhältnismäßig ist .
({2})
Ich will hier zwei Dinge nennen . Auch wenn immer
wieder betont wird - wir haben gerade darüber gesprochen -, dass hier keiner amerikanische Verhältnisse will,
sollte man den Vergleich immer mal wieder anstellen .
Weit mehr als 90 Prozent der Sammelklagen in den USA
enden mit einem Vergleich . Wieso ist das so? Weil es
meistens um für die Bürgerinnen und Bürger existenzielle Rechtsfragen geht und durch die Medien ein enormer
Druck aufgebaut wird, der die Firmen dazu zwingt, einen
Vergleich einzugehen, selbst wenn die Beklagtenseite
den Prozess im Falle eines Urteils nicht verlieren würde .
Öffentlicher Druck darf doch in Deutschland nicht dazu
führen, dass auf die rechtsstaatlichen Grundsätze eines
Gerichtsverfahrens Einfluss genommen wird. Gerade für
mittlere und große Unternehmen, die in vielen Fällen Beklagte sein dürften, würde ein Auswuchs an Sammelklagen eine erhebliche und unangemessene Belastung darstellen . Dieser Überzeugung sind wir weiterhin . Für die
Wahrung des öffentlichen Interesses im Einzelfall haben
sowohl Aufsichtsbehörden als auch Verbraucherverbände schon jetzt die Möglichkeit, vorbeugenden Rechtsschutz für die Betroffenen in Anspruch zu nehmen .
Der zweite Punkt ist die hohe Missbrauchsanfälligkeit
von Sammelklagen . Es ist durchaus zuzugestehen - das
haben wir schon in der ersten Lesung gesagt -, dass Sie
sich bemüht haben, diesen Risiken Rechnung zu tragen,
gelungen ist Ihnen dies aber nicht . Wir sind nach wie vor
der festen Überzeugung, dass gerade dem Instrument der
Sammelklage die Gefahr des Missbrauchs immanent ist .
Gehen wir ruhig weg aus den USA, und schauen wir
nach Europa, zum Beispiel nach Schweden . In Schweden
ist bei der Gruppenklage zum Beispiel explizit eine erfolgsabhängige Erhöhung des Honorars vorgesehen . Wir
haben bereits im letzten Jahr vor dem Entstehen einer
„Sammelklageindustrie“ gewarnt; Kollege Wiese hat darauf hingewiesen . Der Grundsatz des „loser pays“-Prinzip darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass durch die
Vereinbarung von Erfolgshonoraren ein Kläger vollkommen risikolos klagen kann . Gerade bei Kollektivklagen
bieten diese Erfolgshonorare Anreize für Rechtsanwälte .
Vergessen wir dabei nicht, dass wir in Deutschland seit
2008 in § 4 a RVG Erfolgshonorare impliziert haben .
Viele Rechtsanwälte verfolgen mit ihrer Arbeit ein eigenes wirtschaftliches Interesse; das ist vollkommen in
Ordnung, davon leben sie .
({3})
Ein redlich arbeitender Anwalt hat natürlich die feste
Absicht, das Beste für seinen Mandanten herauszuholen;
auch das ist vollkommen in Ordnung . Bei einer Sammelklage mit möglichst vielen Teilnehmern kann, nach dem
Entwurf der Grünen, ein Anwalt deutlich mehr verdienen, als wenn er einen Einzelnen vertritt . In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es wörtlich:
Damit erweist sich das Gruppenverfahren aus Sicht
der Klägeranwältin oder des Klägeranwalts vor allem für solche Fälle als attraktiv, in denen eine große Anzahl von Betroffenen als Mandanten entweder
bereits vorhanden sind oder zumindest in Betracht
kommen .
Das ist geradezu eine Aufforderung zum Rechtsstreit . Es
geht darum, möglichst viele hinter die eigene Position
zu bringen . Das kann nicht im Interesse eines effektiven
Rechtsschutzes liegen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({4})
Was für uns vor allem sehr wichtig ist und auch in
der Anhörung von fast allen Sachverständigen deutlich
gemacht wurde, das sind die massiven verfassungsrechtlichen Bedenken, die dem vorliegenden Gesetzentwurf
innewohnen .
({5})
In Artikel 103 unserer Verfassung ist das Grundrecht
auf rechtliches Gehör verankert . Dies wäre durch den
Kern der allumfassenden Sammelklage explizit betroffen . Jedes einzelne Individuum, das seine Rechte gerichtlich geltend machen will, hat Anspruch auf rechtliches
Gehör . Diesem Grundsatz würde die Einführung einer
Sammelklage in keiner Weise gerecht; darauf haben
mehrere Sachverständige hingewiesen . Der Teilnehmer
würde sich einer Gruppe anschließen, die durch einen
Gruppenführer vor Gericht vertreten wird . Zwar kann
dieser Ihrem Entwurf zufolge bei Schlechtleistung ausgewechselt werden - das ist allerdings enorm schwierig -, das verhindert jedoch nicht, dass der Betroffene
vor Gericht nicht mehr gehört wird . Es ist weiterhin nicht
auszuschließen, dass der Einzelne trotz gleich gelagerter
Ansprüche etwas zur Beurteilung der Sachlage beizutragen hat . Je größer die Gruppe, umso geringer ist die
Möglichkeit der Einflussnahme für den Einzelnen. Dies
ist ein klarer Verstoß gegen Artikel 103 des Grundgesetzes und mit uns nicht zu machen .
Abgesehen von den generellen Zweifeln am Gesetzentwurf: Lassen Sie mich einige Beispiele nennen, weshalb die Regelungen auch handwerklich ungeeignet sind .
Los geht es schon mit der im Entwurf festgelegten Zulässigkeit in § 606 ZPO . Dort ist weder geregelt, wie groß
eine Gruppe sein muss noch welches Verfahren infrage
kommt und um welche tatsächlichen Ansprüche es sich
handelt . In Anbetracht der Tatsache, dass wir die ZPO
vom Kopf auf die Füße stellen wollen, ist das ein völlig
unbrauchbarer Ansatz .
Ich zitiere aus § 619 Absatz 2 Ihres vorgelegten Gesetzentwurfes:
Die Stellung als Gruppenkläger begründet kein
Schuldverhältnis gegenüber den Teilnehmern des
Gruppenverfahrens .
Die Konsequenz daraus ist, dass derjenige, der die
Klage führt, machen kann, was er will; um es salopp zu
sagen . Er kann bei Schlechtleistung ausgewechselt werSebastian Steineke
den, aber dann ist das Kind im Regelfall schon in den
Brunnen gefallen . Verhandelt er schlecht, sind alle weiteren Teilnehmer daran gebunden . Das persönliche Schicksal des eigenen Anspruchs liegt einzig und allein in den
Händen des einen Klägers . Das kann am Ende des Tages
nicht der Wahrheit letzter Schluss sein .
({6})
- Das ist vollkommen richtig . Lesen Sie Ihren eigenen
Entwurf!
({7})
Nicht zuletzt führt § 615 zu einer deutlichen Kostenbelastung für die Verbraucherinnen und Verbraucher,
weil Sie den Anwaltszwang bei der Anmeldung für
Streu- und Bagatellschäden einführen wollen; es ist unglaublich, dass das in Ihrem Entwurf enthalten ist . Das
Ziel des Gesetzes, Hemmungen vor Klagen abzubauen
und kostengünstiger zu werden, ist somit klar verfehlt .
Wir haben die angekündigte Prüfung der Bundesregierung zur Kenntnis genommen . Wir warten ab, was an
Eckpunktepapieren und Entwürfen vorgelegt wird . Wir
von der Union werden sehr genau prüfen, ob über das
Instrumentarium hinaus, das uns zurzeit zur Verfügung
steht, Verbesserungsmöglichkeiten überhaupt notwendig
sind, und werden dann mit dem Koalitionspartner in gemessener Form darüber sprechen . Das, was die Grünen
heute vorschlagen, geht auf jeden Fall deutlich zu weit
und am Ziel vorbei . Deswegen werden wir den Gesetzentwurf ablehnen .
Vielen Dank .
({8})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Steineke, im Ergebnis habe ich nichts anderes
erwartet, weil die CDU schon immer dagegen war . Die
wirklich spannende Frage war ja nur: Mit welcher Pirouette argumentieren Sie heute?
({0})
- Na ja, wie das mit dem Verfassungsrecht ist, sehen wir,
wenn es so weit ist, wenn es so ein Gesetz als Vorlage
gibt .
({1})
Das können Sie gerne behaupten . Ich behaupte das Gegenteil .
Wissen Sie was? Ich meine, dass wir aktuell sagen
können, dass es Gruppenverfahren braucht . Warum aktuell? Weil wir sehen, dass sich die Verfahren in dieser
Gesellschaft immer mehr verändern . Wie viele Verträge
gibt es, bei denen es um ganz kleine Summen geht? Die
Zahl dieser Verträge nimmt durch das Internet stark zu,
und wir stellen fest - dazu gibt es Zahlen; das haben wir
vor ein paar Tagen mit hochrangigen Richtern in der niedersächsischen Landesvertretung erörtert -, dass die Zahl
der Klagen vor den Zivilgerichten abnimmt, insbesondere die der Klagen, bei denen es um kleine Summen geht .
Das hat meines Erachtens nicht nur damit zu tun, dass die
Gerichte für die Bearbeitung viel zu lange brauchen, sondern auch damit - das sagt man mittlerweile so -, dass
die Leute klein beigeben . Zwar sind 50 oder 20 Euro für
sie persönlich extrem viel Geld, aber sie haben nicht den
Mut, das Risiko einzugehen, zum Anwalt und womöglich durch mehrere Instanzen zu gehen .
({2})
Das ist doch keine Frage der Beutelschneiderei von Anwälten, sondern die Frage ist, ob sich das kleine Individuum angesichts eines größeren, mächtigeren Gegners,
der mehrere Juristinnen und Juristen beschäftigt, überhaupt traut, sein Recht wahrzunehmen . - Dazu haben Sie
kein Wort gesagt .
({3})
Anlässlich des Themas Muster- und Gruppenklagen
hätten Sie ja auch einmal ein Wort zum pikanten Thema
VW sagen können . Hunderttausende Kunden von VW,
dieses großen Unternehmens, fragen sich heute: Was gilt
eigentlich? Es gibt skandalöse Mängel bei der Aufsicht
und der Aufklärung, und Sie sagen hier kein Wort zur
Situation der Verbraucherinnen und Verbraucher .
({4})
Die Frage, ob es sich um einen Motormangel oder einen
Softwaremangel handelt, legt doch nahe, zu überlegen,
ob sich Kunden zusammentun können, um gemeinsam
auf Schadensersatz zu klagen .
({5})
Meine These lautet: Das wäre am Ende für VW sogar
besser als 100 000 einzelne Klagen . Von Ihnen kam kein
Wort dazu .
({6})
- Wenn Sie das Thema im Rechtsausschuss nicht immer
vertagen würden, wenn Sie den Punkt VW nicht immer
wieder von der Tagesordnung nehmen würden - mittlerweile zum dritten Mal -, dann wäre Ihnen vielleicht klar,
gegen wen und auf was sie klagen sollen . Der Probleme gibt es genug: Wie setze ich Rücktritts- oder MinSebastian Steineke
derungsrechte durch? Was ist mit Schadensersatzansprüchen? - Ich glaube, dass die Politik die Verantwortung
hat, eine Handreichung zu erstellen, wie man klagen
kann, und zu sagen, wie die Regelungen für die Zukunft
verändert werden .
Für die von uns vorgeschlagene Änderung wäre VW
ein klassischer Anwendungsfall . Wir haben gesagt: Es
müssen mindestens zehn Gruppenmitglieder sein, die
Ansprüche müssen den gleichen zugrundeliegenden
Lebenssachverhalt betreffen und das Gruppenverfahren
muss vorzugswürdig sein gegenüber Individualklagen .
Das wäre der Fall .
Das wäre sinnvoll, und zwar nicht, weil die Anwälte
besonders viel Geld verdienen, nein, solche Gruppenverfahren wären auch effizienter für die Amtsgerichte als
Hunderte oder Tausende Einzelverfahren . Herr Steineke,
Sie haben gesagt, dass es viel besser sei, wenn die Anwälte die Fälle individuell bearbeiten . Vielleicht können
Sie nachher einmal sagen, wie viele einzelne Klagen mit
einem Streitwert von 10 oder 50 Euro Sie in Ihrem Büro
bearbeiten, obwohl das für Sie als Anwalt ein Zuschussgeschäft ist . Ich bin der festen Überzeugung, dass das,
was Sie hier erzählt haben, wirklich gaga war . Das war
Kokolores .
({7})
Unsere Frage muss im Interesse der Verbraucher lauten - das hat die Anhörung für meine Begriffe ergeben -,
wie die Barrieren, die angesichts des Risikos und der langen Wege bestehen, aufgelöst werden können . Ich muss
Ihnen sagen: Ein Musterfeststellungsverfahren könnte
eine gute Ergänzung eines Gruppenfeststellungsverfahrens sein, aber auch nicht mehr als das .
Wen und was wollen Sie eigentlich schützen? Die
Reinheit der Lehre? Die Unantastbarkeit der ZPO? An
anderen Stellen ändern Sie die Gesetze doch auch . Das,
was 1879 beim Verfassen der ZPO galt, muss heute nicht
mehr unbedingt gelten . Damals wussten Sie direkt, wer
Ihr vertragliches Gegenüber ist . In der heutigen Zeit ist
dies anonymer . Heute gehen Sie nicht mehr in Tante-Emma-Läden, sondern bestellen online . Sie haben mit großen Unternehmen zu tun. Unsere Verpflichtung ist, die
Checks und Balances, die aus den Anfangszeiten der
ZPO und des BGB stammen, heute und in Zukunft sicherzustellen .
({8})
Ich meine, man sollte den Kunden eine Möglichkeit
geben, zu ihrem Recht zu kommen . Ich muss ehrlich sagen, Herr Steineke: Das, was Sie mit Blick auf die USA
gesagt haben - Sie haben erzählt, was in den USA gilt -,
interessiert mich gar nicht .
({9})
Denn es gibt keinen Automatismus, dass US-Recht bei
uns gilt . Hier in unserer Vorlage heißt es „opt-in“ . Nur
wenn man Ja sagt, nimmt man am Verfahren teil und
muss ausdrücklich eine Teilnahmeerklärung abgeben .
Die Kostengrundentscheidung des § 91 ZPO bleibt .
Wenn Sie mitleidig darauf hinweisen, welche Schwierigkeiten man hat, wenn man vielleicht Kritik am Anwalt
hat, sage ich Ihnen: Niemand muss mitmachen .
Sie haben keine Antwort auf die Frage gegeben, wie
kleine Schäden von kleinen Bürgern gegenüber größeren
Vertragspartnern eingeklagt werden können . Da kann ich
nur sagen: Wer ein C im Namen hat, sollte sich eigentlich
damit beschäftigen .
({10})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr . Silke Launert, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem
vorliegenden Gesetzesentwurf soll der kollektive Rechtsschutz gestärkt und insbesondere der Verbraucherschutz
ausgebaut werden . Ohne Frage ist das ein ehrenwertes
Ziel . Das Verbraucherschutzrecht ist eine ebenso notwendige wie legitime Staatsaufgabe . Schließlich geht es
hier um Rechte für Menschen, die als Konsumenten gegenüber Herstellern und Vertreibern von Waren und gegenüber Anbietern von Dienstleistungen oft - das haben
Sie zu Recht gesagt - tendenziell unterlegen sind .
Die Rede ist von den schwarzen Schafen unter den
Banken, den Energieversorgern oder den Versicherungen, die mit ihrem Verhalten den Ruf nach einer Regulierung durch den Vater Staat immer lauter werden lassen .
Ja, der Staat hat gegenüber seinen Bürgern eine Pflicht.
Er hat die Pflicht, einen verlässlichen Rahmen zu schaffen, der ein etwaiges Kompetenzgefälle auszugleichen
vermag . Dabei hat er gleichermaßen zielgenaue Schutzvorkehrungen zu treffen und für eine effektive Rechtsdurchsetzung zu sorgen .
Doch der Zweck heiligt nicht alle Mittel, und vor allem befreit er nicht davon, bei der Rechtsetzung Präzision und Genauigkeit walten zu lassen .
({0})
Verliert man das aus den Augen,
({1})
droht ein gefährlicher Gesetzesaktionismus
({2})
- ja, doch, das ist so -, dessen Ergebnis in der Praxis
nicht besteht und der in der Folge einen Rattenschwanz
aus Desorientierung und Nachbesserungen nach sich
zieht . Deutlich wird dies jetzt an Ihrem Entwurf, bei dem
man den Eindruck hat, dass der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ ins Gegenteil verkehrt wird . Im
Gesetzentwurf wird angeführt, dass die Bürgerinnen und
Bürger ihre privatrechtlichen Ansprüche nicht durchsetzen können oder wollen und dadurch das Recht seine
gesellschaftliche Steuerungsfunktion nicht mehr ausreichend erfüllen könne. Die Bürger würden aus Bequemlichkeit oder rationaler Abwägung mehr oder weniger
bewusst auf die Durchsetzung der eigenen Rechte verzichten . Begründet wird dies mit zu hohen Hürden beim
Rechtszugang .
Wenn Sie, liebe Fraktion der Grünen, dies wirklich
annehmen, warum schaffen Sie dann in Ihrem Entwurf
eine ausschließliche Zuständigkeit am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten, also Wohnsitz oder Sitz des
Beklagten? So nehmen Sie dem Kläger die im Moment
noch bestehende Möglichkeit, eventuell über einen besonderen Gerichtsstand an seinem Wohnsitz zu klagen .
({3})
- Das ist schön . Das wäre der erste Punkt .
({4})
Warum müssen sich die Teilnehmer anwaltlich vertreten lassen, wenn doch der Gang zum Anwalt - das wurde
von meinem Kollegen Steineke schon verdeutlicht - eine
weitere psychologische Hürde darstellt? Warum es einen
Anwaltszwang für die Teilnehmer gibt, frage ich mich
überhaupt, wenn doch die Prozesshandlungen erheblich beschränkt sind, und zwar auf Fälle, die auch ohne
Rechtsbeistand wahrgenommen werden können .
({5})
Meinen Sie nicht, dass diese Umstände die Hürden für jeden potenziellen Teilnehmer noch höher werden lassen?
({6})
Frau Künast, Sie haben die kleinen Beträge angesprochen . Aber meinen Sie, gerade dann, wenn es darum
geht, kleine Beträge einzuklagen, sind die Leute auch
noch bereit, Anwaltsgebühren dafür zu bezahlen?
({7})
In kleinen Verfahren ist das beim Amtsgericht auch ohne
Anwalt möglich . Das ist doch eine ganz einfache Kosten-Nutzen-Rechnung . Für die Teilnehmer führt der Anwaltszwang gerade zum Gegenteil . Gerade bei kleinen
Fällen lohnt es sich nicht, durch Ihr Gruppenverfahren
einen Haufen Anwaltskosten auf sich zu nehmen .
({8})
Ganz ehrlich: Wenn höhere Summen im Spiel sind,
dann wird der Teilnehmer auch ein gesteigertes Interesse
daran haben, mitzuwirken und Einfluss auf das gerichtliche Verfahren zu nehmen . Dann geht es wirklich um
etwas . Bei größeren Verfahren mit Tausenden von Klägern, wie in Kapitalanlagefällen zum Teil der Fall, mag
es gerechtfertigt sein, zu sagen: Es kann nicht jeder von
den Tausenden mitreden . - Aber bei kleinen Gruppenverfahren sieht das anders aus. Ich finde, da sollte das anders
geregelt sein .
Nicht nur das . In Ihrem Gesetzentwurf haben Sie vorgesehen - das wurde von meinem Kollegen Steineke
schon angesprochen -, dass keine vertragliche Beziehung zwischen dem Teilnehmer und dem Gruppenkläger
begründet werden soll . Das heißt, der Teilnehmer hat
keinerlei Kontrollmöglichkeit, und der Gruppenkläger
und dessen Anwälte sind nicht verpflichtet, die Teilnehmerinteressen zu schützen und auf sie Rücksicht zu
nehmen . Es bedarf doch wahrlich keiner Glaskugel, um
vorherzusehen, dass unter diesen Umständen einer Individualklage der Vorrang vor einem Gruppenverfahren
einzuräumen ist .
({9})
Unklar bleibt schließlich auch die Frage, wer sich als
Gruppenkläger zur Verfügung stellen soll bzw . welchen
Anreiz es gibt, dies zu tun . Die Kostenbeteiligung der
Teilnehmer ist auf einen Höchstbetrag beschränkt . Für
die darüber hinausgehenden Kosten haftet dann allein
der Gruppenkläger .
({10})
Für ihn kann ein solches Verfahren somit zu einem unkalkulierbaren Risiko werden .
Auf die zahlreichen weiteren Kritikpunkte im Hinblick auf diesen Gesetzentwurf möchte ich nicht weiter
eingehen, weil wir in der ersten Lesung und in der öffentlichen Anhörung schon ausführlich davon gehört haben .
Insgesamt hat sich gezeigt, dass der vorgelegte Gesetzentwurf wenig geeignet ist, die von Ihnen beschriebenen Zugangshürden zu reduzieren . Ihr Gesetzentwurf
kann diesem durchaus wichtigen rechtspolitischen Anliegen daher leider nicht genügen .
({11})
Fest steht, dass die Welt und damit die Herausforderungen für die Politik und die Verbraucher komplexer
geworden sind . Auch der Trend zur globalisierten Welt,
in der sich der Zugang zu Waren nicht mehr nur auf das
eigene Land beschränkt, erfordert ein Umdenken . Nicht
ganz ohne Grund widmet sich die EU zunehmend dem
Verbraucherschutz . Es ist für mich nicht überraschend,
dass die Europäische Kommission in ihrer Empfehlung
aus dem Jahr 2013 verlangt, den kollektiven Rechtsschutz weiter voranzutreiben . Es ist daher unsere Aufgabe, uns immer wieder die Frage zu stellen: Genügen unsere bewährten nationalen Instrumente diesen aktuellen
Gegebenheiten, oder besteht Handlungsbedarf? Ich denke, wir sind uns hier im Plenum einig: Handlungsbedarf
bejahen wird grundsätzlich .
Mit Blick auf den kollektiven Rechtsschutz und die
Empfehlung der Kommission arbeitet das Bundesjustizministerium gerade an einem Konzept für ein Musterfeststellungsverfahren . Darüber hinaus wird geprüft, ob der
Gewinnabschöpfungsanspruch im Bereich des Rechts
gegen den unlauteren Wettbewerb verändert ausgestaltet
werden sollte . Es wird auch darum gehen, ob die Ansprüche im Unterlassungsklagengesetz um Ansprüche
ergänzt werden sollten, mit denen Verbraucherverbände und andere klagebefugte Einrichtungen bei den Unternehmen das durch rechtswidriges Verhalten Erlangte
abschöpfen können . Auch dieser Frage wird sich das Ministerium stellen .
Ich meine, manchmal ist es besser, das bereits Bestehende zu pflegen und es gegebenenfalls weiterzuentwickeln, anstatt sich einem stimmungsgeleiteten politischen
Aktionismus hinzugeben; denn mehr Gesetze bedeuten
nicht automatisch mehr Recht .
Vielen Dank .
({12})
Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich
dem Abgeordneten Metin Hakverdi, SPD-Fraktion, das
Wort .
({0})
Vielen Dank . - Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Zum effektiven Schutz von
Verbraucherinnen und Verbrauchern gehört erstens, dass
der erforderliche materiell-rechtliche Rahmen geschaffen wird . Zweitens gehört aber eben auch dazu, dass eine
effektive Rechtsdurchsetzung möglich ist . Recht, das
nicht oder nur unzureichend durchsetzungsfähig ist, ist
ein bloßer Papiertiger .
Der von den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Gesetzentwurf zur Einführung von Gruppenverfahren gibt uns Anlass, darüber
nachzudenken, ob der Verbraucherschutz im Bereich der
Rechtsdurchsetzung weiter ausgebaut werden muss .
Unsere Prozessordnung beruht auf dem Grundgedanken, dass der Einzelne sein Recht selber durchsetzt .
Daran ist erst einmal nichts auszusetzen . Seit der Etablierung dieses Grundgedankens im 19 . Jahrhundert hat
sich allerdings vieles geändert . Der Anwendungsbereich
des Zivilrechts ist deutlich größer geworden . Heute sind
viel mehr Rechtsverhältnisse zivilrechtlich organisiert:
Die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser erfolgt heute
auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge . Der öffentliche Transport erfolgt heute auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge . Das Versicherungswesen beruht auf der
Grundlage zivilrechtlicher Verträge . Die Altersversorgung durch Kapitalanlagen erfolgt heute auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge .
Die Rechtsverhältnisse sind gleichzeitig komplexer
geworden . Wenn man heute einen Vertrag zur Altersvorsorge abschließt, bekommt man neben dem Vertrag eine
CD, auf der die geleistete Beratung dokumentiert ist . Es
ist so viel, dass niemand mehr das Ganze auf Papier ausdrucken mag .
Der Kauf einer App über das Internet setzt die Erteilung einer Zustimmung zu einem seitenlangen Konvolut
mit vielen Vertragsklauseln voraus . Selbst der Kauf einer Zahnbürste im Supermarkt oder eines Pullovers in
einem Kaufhaus ist heutzutage wegen der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen, die irgendwo in den jeweiligen
Läden aushängen, eine höchstkomplizierte rechtliche
Angelegenheit geworden .
Diese Komplexität der Rechtsverhältnisse führt dazu,
dass der Einzelne schnell an den Punkt gelangt, auf die
Durchsetzung seines Rechts zu verzichten . Das sogenannte rationale Desinteresse an der Rechtsdurchsetzung, insbesondere bei kleineren Schäden, ist deshalb
besonders groß . Nicht durchgesetztes Recht führt dazu,
dass das objektive Recht insgesamt verzerrt wird . Eine
rechtswidrige Praxis etabliert sich .
Mit einer effektiven Rechtsdurchsetzung helfen wir
also nicht nur dem einzelnen Verbraucher und der einzelnen Verbraucherin, sondern verschaffen wir dem Recht
insgesamt Geltung .
({0})
- Kollegin, ich danke Ihnen .
Für die effektive Rechtsdurchsetzung haben wir in
dieser Legislaturperiode bereits einiges auf den Weg gebracht . Dazu gehören zum Beispiel die Marktwächter .
Wir haben die Marktwächter installiert, die den Bereich
„Digitales und Finanzen“ beobachten . Die Verbraucherschutzverbände können jetzt auf der Grundlage der
Marktbeobachtung die Verbraucherinnen und Verbraucher informieren . Sie können aber auch Verbandsklagen
anstrengen .
Wir werden weiterhin eine Reform des Unterlassungsklagengesetzes auf den Weg bringen . Im Kern geht es bei
dieser Reform darum, den Anwendungsbereich von Verbandsklagen auszuweiten . Die wesentlichen Punkte dieser Reform sind mit dem Koalitionspartner ausgehandelt .
Mein Appell heute an die Kolleginnen und Kollegen der
Union lautet: Geben Sie sich einen Ruck, damit wir den
Gesetzentwurf bald zügig zu Ende bringen und auch in
diesem Bereich den Verbraucherschutz weiter voranbringen können .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die
Grünen, wir stimmen mit Ihnen überein: Die Verbraucher müssen ihre Rechte wirksam vor Gericht durchsetzen können . Wir sind der Auffassung, dass ein solches
Verfahren keine großen Hürden in wirtschaftlicher und
bürokratischer Hinsicht haben darf .
Das von Ihnen vorgeschlagene Gruppenverfahren ist
ein Denkanstoß in die richtige Richtung . Wir haben jedoch wegen der konkreten Ausgestaltung Bedenken . In
der Zivilprozessordnung sind bereits heute Instrumente
vorhanden, mit denen gleichgerichtete Ansprüche gebündelt werden können . Ich verweise auf die objektive und
subjektive Klagehäufung . Auch andere Instrumente sind
hier schon genannt worden . Auf dieser Grundlage sind
bereits erfolgreich Sammelklagen angestrengt worden .
In der öffentlichen Anhörung sind auch weitere Bedenken vorgetragen worden . Dazu gehört die Kritik,
die hier schon genannt wurde, dass das Grundrecht auf
rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz nicht hinreichend bedacht wurde . Ferner wurde
kritisiert, dass der von Ihnen vorgeschlagene Anwendungsbereich im Hinblick auf die Problemlage zu eingeschränkt sei .
Insgesamt stelle ich fest, dass wir Ihre Problembeschreibung und den aufgezeigten Handlungsbedarf teilen . Wir wollen im Ergebnis jedoch eine andere Lösung,
nämlich die Musterfeststellungsklage . Wir glauben, dass
die Musterfeststellungklage gegenüber der Gruppenklage vorzugswürdig ist . Die Musterfeststellungsklage
bietet nämlich ebenfalls die Möglichkeit, eine Vielzahl
von gleichgelagerten Sachverhalten in einem Verfahren
zu bündeln . Ein Kläger, zum Beispiel ein Verbraucherschutzverband, kann in einem Musterverfahren feststellen lassen, ob die Voraussetzungen für eine Vielzahl von
Ansprüchen gegeben sind .
Im Justizministerium wird an einem Eckpunktepapier
zu einem solchen Gesetzentwurf gearbeitet; wir haben
es heute schon gehört . Wir freuen uns darauf, mit Ihnen auf der Grundlage des Eckpunktepapiers die Debatte über den kollektiven Rechtsschutz fortzuführen .
Heute werden wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen .
Vielen Dank .
({2})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über die Einführung
von Gruppenverfahren . Der Ausschuss für Recht und Ver-
braucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6422, den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1464 abzu-
lehnen . Abstimmen werden wir über den Gesetzentwurf .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab-
gelehnt . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung
({0})
Drucksache 18/5372
- Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung
({1})
Drucksache 18/5867
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({2})
Drucksache 18/6586
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/6587
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann ({5}),
Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Versorgungsqualität und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verbessern - Bedarfsgerechte Personalbemessung gesetzlich regeln
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Harald
Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Maria KleinSchmeink, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gute Versorgung, gute Arbeit - Krankenhäuser zukunftsfest machen
Drucksachen 18/5369, 18/5381, 18/6586
Interfraktionell wurden 38 Minuten für die Aussprache vereinbart . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist
das so beschlossen .
Ich bitte diejenigen, die der Debatte nicht folgen wollen, den Plenarsaal zu verlassen .
Als erstem Redner erteile ich Bundesminister
Hermann Gröhe für die Bundesregierung das Wort .
({6})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit dem Krankenhausstrukturgesetz legen wir die
Grundlagen für eine gute Weiterentwicklung der qualitativ hochwertigen Krankenhausversorgung in unserem
Land . Die Gewinner sind die Patientinnen und Patienten .
Es geht um eine Stärkung der Pflege auf der Station.
Es geht um eine gut erreichbare Grund- und Regelversorgung. Es geht um eine qualitätsorientierte Arbeitsteilung,
eine Arbeitsteilung also, die die Qualität der Behandlung
in den Mittelpunkt rückt . Es geht schließlich um die Unterstützung der Länder bei der Weiterentwicklung der
Krankenhauslandschaft in unserem Land .
Zum ersten Punkt . Ohne Zweifel verlangt eine gute
Krankenhausversorgung nicht allein medizinisches Können von Ärztinnen und Ärzten, sondern auch den Einsatz
der Pflegerinnen und Pfleger. Wir brauchen - und bekennen uns dazu - eine Stärkung der Pflege auf der Station.
({0})
Dazu ergreifen wir drei konkrete Maßnahmen: Erstens ist
ein Pflegestellen-Förderprogramm zu nennen, mit dem
wir in den nächsten drei Jahren 660 Millionen Euro für
zusätzliche Pflegestellen in die Hand nehmen.
Zweitens wird der Versorgungszuschlag in einen Pflegezuschlag umgewandelt - dabei wird eine Idee des parlamentarischen Verfahrens aufgegriffen; sicherlich wird
Georg Nüßlein Weiteres dazu ausführen -, und werden
diese Mittel an die Mittel, die ein Krankenhaus für die
Pflege zur Verfügung stellt, gebunden. Wir schaffen einen Anreiz zur dauerhaften Beschäftigung von Pflegepersonal .
Wir führen zum dritten eine Regelung ein, die die Tarifkostensteigerung im Bereich der Pflege refinanziert;
denn gutes Pflegepersonal hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung .
Der zweite Bereich ist die wichtige gut erreichbare
Grund- und Regelversorgung . Wir werden mit speziellen Zuschlägen dafür sorgen, dass Krankenhäuser, die in
einer Region einen unverzichtbaren Beitrag zur dortigen
Versorgung leisten, auch erhalten bleiben .
Des Weiteren sind, wenn es schnell gehen muss, gut
erreichbare Angebote der Notfallversorgung ganz wichtig . Wir werden daher die Notfallversorgung durch die
niedergelassene Ärzteschaft und das, was die Krankenhäuser in diesem Bereich leisten, besser miteinander
verzahnen und zugleich den Anteil der Krankenhäuser
an dieser Versorgung fairer vergüten . Es ist wichtig, dass
die Menschen wissen: Wenn es schnell gehen muss nach einem Unfall oder einem Herzinfarkt, wann auch
immer -, dann gehört gute Erreichbarkeit zur Qualität der
Versorgung .
Drittens ist eine Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft durch Spezialisierung und damit Qualitätssicherung etwa in Form von Zentren für seltene Erkrankungen wichtig, die in Krankenhausnetzwerken vorgehalten
werden . Diese Tätigkeiten, nicht zuletzt vieler unserer
Universitätskliniken, aber auch anderer Maximalversorger oder auch Häuser, die sich besonders spezialisiert
haben, werden wir durch bestimmte Zentrenzuschläge
besonders fördern . Mit einer Reihe von wichtigen Schritten fördern wir die Qualität . Mit Qualitätszuschlägen es gibt aber auch Abschläge, wenn eine entsprechende
Qualität nicht erreicht wird - belohnen wir besondere
Anstrengungen . Wir werden mit Qualitätsverträgen erproben, wie auch hier ein zusätzlicher Anreiz zu besonders hoher Qualitätsleistung gesetzt werden kann .
Etwas anderes ist mir ganz wichtig, wenn wir über
Qualität reden: die Sicherstellung, die Förderung von
Krankenhaushygiene . Es ist besorgniserregend, wenn
Menschen zuallererst die Frage stellen: „Hole ich mir
eine neue Krankheit?“, und nicht die Frage haben: Werde ich dort optimal versorgt? Wir haben bereits vor einigen Jahren ein HygieneFörderprogramm auf den Weg
gebracht . Aber wir werden dieses Programm ausbauen,
über die nächsten Jahre noch einmal 280 Millionen Euro
in die Hand nehmen und das Programm inhaltlich ausweiten, um die Hygiene in unseren Krankenhäusern voranzutreiben, ein wichtiger Schritt zu mehr Qualität in der
Krankenhausversorgung .
({1})
Nicht alles kann in gleicher Weise überall in gleicher
Qualität geleistet werden . Deswegen ist es richtig, zu
einer vernünftigen Arbeitsteilung zwischen ortsnah und
gut erreichbarer Grund- und Regelversorgung und Spezialisierung zu kommen . Das wird auch zu einem Umbau in der Krankenhauslandschaft führen . Hier braucht
es auch Mut, den Maßstab der Qualität, den wir in der
Krankenhausplanung neu verankern, tatsächlich umzusetzen . Deswegen stärken wir die Fähigkeit der Länder,
mit krankenhausplanerischen Entscheidungen die Krankenhauslandschaft weiterzuentwickeln, indem wir über
einen Strukturfonds Mittel zur Verfügung stellen, die
einerseits den Abbau von Überkapazitäten ermöglichen,
aber andererseits deren Umbau in erforderliche Versorgungsangebote .
Meine Damen, meine Herren, die Länder, denen ich
für eine gute Zusammenarbeit auf dem Weg zu dieser
Krankenhausreform danke, haben sich ausdrücklich dazu
bekannt, nicht nur eine gute Krankenhausplanung zu verantworten, sondern auch angemessene Investitionsmittel
zur Verfügung zu stellen . Da werden wir sie beim Wort
nehmen .
({2})
In der Tat brauchen wir eine angemessene Ausstattung
unserer Krankenhäuser mit Investitionen . Wir begleiten dies durch den schon genannten Strukturfonds, aber
auch über die Mittel, die im Rahmen des kommunalen
Finanzierungsprogramms auch für die Krankenhäuser
zur Verfügung gestellt werden . Gemeinsam tragen wir
Verantwortung: der Bund für die Behandlungs- und Betriebskostenfinanzierung, die Länder für die Investitionskostenfinanzierung.
Wir nehmen mit dieser Reform zusätzliches Geld in
die Hand . Das ist auch kritisiert worden, nachdem es dem
einen oder anderen zunächst nicht ausreichend erschien .
Ich sage: Wir tun dies einerseits zum Wohle der Patientinnen und Patienten; aber durch die Weiterentwicklung
der Krankenhauslandschaft leisten wir andererseits einen Beitrag, diese Krankenhauslandschaft nachhaltig
zu finanzieren. Insofern investieren wir auch in die wirtschaftliche und qualitätsorientierte Weiterentwicklung
der Krankenhauslandschaft zum Wohle der Patientinnen
und Patienten . Ich bitte Sie: Stimmen Sie diesem Gesetz
zu!
Herzlichen Dank .
({3})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Harald Weinberg, Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte zunächst einmal um
Verständnis, dass ich mich bei meiner geringen Redezeit
nur auf einen Aspekt beschränken werde und beschränken muss .
Irgendwo in einem beliebigen Krankenhaus in
Deutschland, Nachtschicht auf einer Station der Inneren
Medizin: 49 Patientinnen und Patienten, davon 22 absolut pflegebedürftig, 7 bedingt pflegebedürftig, davon 2
verwirrt und mit Weglauftendenz, 3 ungeplante Notaufnahmen in der Nacht und 1 - in Worten: eine - examinierte Krankenschwester plus 1 Pflegekraft als Springer,
zuständig für insgesamt vier solcher Stationen .
Wichtige Tätigkeiten wie Mobilisation, Verbandwechsel, Vitalzeichenkontrolle, Lagerung, Hygiene, Medikamentengabe und Dokumentation können nicht, verspätet
oder nur durch Ableistung von noch mehr Überstunden
erbracht werden . Diese traurige Zustandsbeschreibung
stammt aus einer Gefährdungs- bzw . Überlastungsanzeige, die mir vorliegt . Das ist kein Einzelfall, sondern das
kommt zigtausendfach in unseren Krankenhäusern vor .
Der Pflegenotstand ist schon länger da. Er ist eine Gefährdung für die Pflegenden und für die Gepflegten. Das
ist unerträglich und muss dringend behoben werden .
({0})
Die zentrale Frage lautet daher: Bietet das vorliegende Gesetz hierfür eine zureichende Lösung? Die Antwort
lautet leider: Nein . Sie wissen das ganz genau . Sie wissen auch genau, dass es an der Basis brodelt . Deswegen
können Sie das Problem auch nicht länger ignorieren und
machen ein Pflegestellen-Förderprogramm, einen Pflegezuschlag und eine Expertenkommission zur Krankenhauspflege.
({1})
Das alles hört sich gut an . Wenn man sich die Maßnahmen aber genau anschaut, muss man zu dem Schluss
kommen, dass sie nicht zureichend sind, dass sie womöglich nur einen Placeboeffekt haben .
Das Pflegestellen-Förderprogramm ist vom Volumen
viel zu gering - das wissen Sie auch - und führt bei einer
optimistischen Schätzung zu 6 500 zusätzlichen Stellen .
Es fehlen aber 70 000 bis 100 000 Stellen, nur wenn wir
in das Mittelfeld der europäischen Länder aufschließen
wollen . Bisher sind wir Schlusslicht in Europa . Mit zweieinhalb Stellen pro Krankenhaus wird das durch die zu
erwartende Steigerung der Krankenhausfälle überkompensiert und ist nicht mehr als der berühmte Tropfen auf
den heißen Stein .
Die Expertenkommission, die eingerichtet wurde und
bereits einmal getagt hat, hat von Ihnen, Herr Minister,
einen Auftrag erhalten, bei dem eine gesetzliche Personalbemessung ausgeschlossen ist . Auch von hier ist keine
zureichende Lösung zu erwarten .
Dann haben Sie den bisherigen Versorgungszuschlag
in Höhe von 500 Millionen Euro doch nicht gestrichen
wie zunächst beabsichtigt, sondern in einen Pflegezuschlag umgewandelt .
({2})
Durch ihn wird wohl keine einzige zusätzliche Pflegestelle geschaffen, weil ein Krankenhaus nach dieser Regelung lediglich rund 3 Prozent Personalkosten spart,
wenn es eine neue Stelle schafft . Warum sollte es das unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen, die wir
in den Krankenhäusern haben, tun? Das frage ich Sie .
Der Protest, den es gegeben hat, hat sich dennoch insofern gelohnt, als dass die Krankenhäuser erst einmal
keine Kürzungen erwarten müssen . Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und andere Verbände feiern dies .
Und nun, liebe SPD, schaue ich mir einmal Ihre eigenen Ansprüche an, die man auf der Website von Herrn
Lauterbach nachlesen kann . Sie fordern dort - Zitat „die Entwicklung verbindlicher bundeseinheitlicher
Mindestpersonalstandards“ . Wo steht davon etwas in
dem Gesetz? Nirgendwo . Das gibt das Mandat der Expertenkommission nicht her .
Sie fordern weiter, „Krankenhäuser mit Vergütungsabschlägen zu sanktionieren, wenn sie ohne eine regionale Besonderheit die vereinbarten bundeseinheitlichen
Mindestpersonalstandards unterschreiten“ . Wo steht das
in dem Gesetz? Darin gibt es gar keine vereinbarten bundeseinheitlichen Mindestpersonalstandards, die unterschritten werden könnten, geschweige denn Sanktionen .
Sie fordern, „Krankenhäuser mit Vergütungsabschlägen zu sanktionieren, wenn sie Pflegepersonal unter Tarif
vergüten“ . Auch davon steht kein Wort in dem Gesetz .
Ferner wollen Sie eine verbindliche Fachkraftquote
in der stationären Kinderkrankenpflege prüfen und einen
Frauenförderplan samt einer 40-prozentigen Frauenquote bei Führungspositionen .
({3})
Sie wissen genau: Auch das finden wir in dem Gesetz
nicht . Gemessen an Ihren eigenen Ansprüchen sind Sie,
was dieses Gesetz betrifft, relativ stark und gnadenlos an
Ihren Vorgaben gescheitert,
({4})
die die personelle Situation im Pflegedienst der Krankenhäuser spürbar hätten verbessern können .
Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang
noch auf eine Petition von Verdi, die eine Mindestpersonalbesetzung fordert . Über 160 000 Menschen haben
diese Petition unterschrieben . Nach diesem Gesetz ist sie
leider genauso nötig und aktuell wie vor diesem Gesetz .
Erledigt ist sie durch dieses Gesetz schon gar nicht .
({5})
Zum Schluss bleibt mir daher nur, denjenigen, denen diese 160 000 Unterschriften etwas wert sind, eine
Empfehlung zu geben: Stimmen Sie mit uns gegen den
Gesetzentwurf und für unseren Antrag, der eine bundesweite gesetzliche Personalbemessung vorsieht!
Vielen Dank .
({6})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Hilde Mattheis, SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese 38 Minuten Debatte spiegeln in der Tat nicht das
wider, was wir mit diesem Gesetz auf den Weg bringen .
Nach monatelangen Verhandlungen und sehr intensiven
Beratungen können wir heute feststellen, dass wir das,
was über die Sommerpause überall in den Wahlkreisen
bei uns angekommen ist, nämlich dass Kommunalpolitiker, Landrätinnen und Landräte bei uns vorstellig geworden sind und gesagt haben: „Wir brauchen eine gute
Finanzierung der Krankenhäuser, gekoppelt mit einer
Verbesserung der Versorgungsqualität“, in den Fraktionen umgesetzt und gut auf den Weg gebracht haben .
Ich glaube, man kann durchaus sagen: 10 Milliarden
Euro mehr für die Finanzierung für die Krankenhäuser
sind nicht banal, und sie verpflichten uns gegenüber denjenigen, die die Beiträge zahlen, dafür zu sorgen, dass sie
gut angelegt sind .
({0})
Und die 10 Milliarden Euro sind gut angelegt .
Ich beginne beim Pflegepersonal. Wenn Sie sagen,
dass das Pflegestellen-Förderprogramm nicht unbedingt
der große Wurf ist, dann sollten Sie den Gesetzentwurf
wenigstens bis zum Ende lesen . Darin steht nämlich,
dass sich das Programm über drei Jahre erstreckt . Das
eigentliche Ziel ist dann zu verwirklichen, wenn die Expertenkommission, die Sie ein bisschen herabwürdigen ich finde das nicht in Ordnung -, uns ihre Vorschläge zur
Verbesserung der Abbildung des Pflegepersonals entweder innerhalb oder außerhalb der DRGs vorlegt .
Stellen Sie sich vor, wir hätten gesagt: „Das geht auch
so“ und hätten Verdi nicht einbezogen . Verdi ist nämlich
in der Expertenkommission dabei . Wir werden sehr intensiv beraten müssen . Darin gebe ich Ihnen sehr gerne
recht, Herr Weinberg . Die Ausgestaltung muss richtig
gut sein, damit dem, was auch unsere Debatten geprägt
hat, Rechnung getragen wird, nämlich der Frage, wie
die Situation der Fachpflege zu verbessern ist, damit in
Zukunft die Pflegeberufe und somit diejenigen entlastet
werden, die in den Krankenhäusern unglaublich gute Arbeit leisten . Denn das wollen wir .
Das Pflegestellen-Förderprogramm, das Sie kleinreden, wenn Sie von zweieinhalb Stellen sprechen - je
nachdem, wie man es rechnet, ist es eine Stelle mehr
oder weniger -, ist ein Übergangsförderprogramm, und
so steht es auch im Gesetzentwurf .
Zum Pflegezuschuss: Wir haben alle darüber debattiert . Verschiedene Player des Gesundheitswesens waren
ständig in unseren Büros . Es ging darum, die Finanzierung der Krankenhäuser zu verbessern . Wenn wir uns in
den Wahlkreisen in den kommunalen Krankenhäusern
darüber informiert haben, wie es mit der Finanzierungssicherheit bei denjenigen aussieht, die Versorgungssicherheit bieten sollen, dann haben wir alle feststellen
müssen, dass die Finanzierungssituation in der Tat bei
fast 50 Prozent der Krankenhäuser sehr schwierig ist .
Was machen wir jetzt mit dem Pflegezuschuss? Dabei
geht es um 500 Millionen Euro . Wir geben Anreize, dass
die Krankenhäuser etwas aus diesem Topf bekommen,
wenn sie dafür wirklich sicher in Pflegestellen investiert
haben .
({1})
Das ist doch ein Anreiz . Da können Sie nicht sagen: Das
hat mit Versorgungssicherheit nichts zu tun .
({2})
Natürlich werden wir im Blick behalten, wie die Wirkungsweise tatsächlich ist . Das ist ein lernendes System . Es wird auch zu Verschiebungen kommen . Das ist
eine einfache Rechnung . Von daher werden wir, glaube
ich, unsere Vorstellung in der SPD davon, wie ein Gesundheitssystem aufgebaut werden muss und wie wir
sektorenübergreifend Ansätze unterstützen müssen, mit
diesem Gesetzentwurf und übrigens auch mit dem Versorgungsstärkungsgesetz weiter umsetzen .
Ich finde, man darf durchaus darauf hinweisen, dass
wir uns in dieser Legislaturperiode in der Tat mit vielen
gesundheitspolitischen Aspekten beschäftigen, die zusammengenommen einen unglaublichen Schritt zu mehr
Qualität und Versorgungssicherheit bedeuten . Dabei beziehe ich auch gleich die Pflege mit ein. Was wir da auf
den Weg bringen, ist ein solcher Meilenstein, dass man
das auch einmal zusammenhängend darstellen muss . Wir
sollten das in dieser Weise einmal im Parlament behandeln; das ist für uns Gesundheitspolitiker ein bisschen
schwierig .
({3})
Frau Kollegin, das war doch ein wunderschöner
Schlusssatz . Er war zwar schon außerhalb der Redezeit .
Aber mit dem Hinweis auf den Meilenstein hätte man
schön abschließen können .
({0})
Ich mache einen Punkt und bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
({0})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr . Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Gleich vorab: Wir werden
den Entwurf eines Krankenhausstrukturgesetzes ablehnen,
({0})
nicht weil das Gesetz gar keine vernünftigen Detailregelungen enthält - zum Beispiel haben wir bei der Palliativmedizin ausdrücklich zugestimmt -,
({1})
auch nicht, weil wir etwa meinen, dass die bis 2020 bereitgestellten Milliardenbeträge den Krankenhäusern
nicht helfen würden .
({2})
Nicht einmal das Argument, das alles sei nicht ausreichend, werden wir bemühen . Vielmehr stimmen wir aufgrund des Versäumnisses nicht zu, dass mit dem Gesetz
kein Schritt hin zur Lösung der völlig unzureichenden
Investitionsfinanzierung gegangen wird.
({3})
Dies sowie die verschleppte Reform der bedarfsorientierten, regionalen und sektorenübergreifenden Versorgungsplanung stellen die grundsätzlichen Bedenken dar,
die wir gegen dieses Gesetz haben und weshalb wir es
ablehnen; denn sie führen zur Ausdünnung der Mittel für
den Krankenhausbetrieb mit gravierenden Folgen . Das
möchte ich Ihnen an zwei Beispielen klarmachen .
Das erste Beispiel ist der Pflegenotstand. Die Mittel
für den Krankenhausbetrieb werden für dringend notwendige Investitionen geplündert, und zwar zulasten des
Personals .
({4})
- Das ist so; das trifft auf viele Krankenhäuser zu .
Schon seit vielen Jahren fordern wir, dass für die
Pflege ausreichend zu kalkulierende Mittel auch dort
ankommen, sich also beim Personal widerspiegeln müssen. Auch wenn nunmehr die Fördermittel für die Pflege bereitgestellt werden, decken diese nicht annähernd
den Bedarf und sind in dieser Größenordnung auch keine
ausreichende Kompensation für die fehlenden Investitionsmittel . Ihr Stopfpilz wird immer zu klein bleiben .
({5})
Ähnliches gilt auch bei der Hygiene . Wer sollte schelten, dass Mittel für Hygiene - modifiziert - weiterhin
bereitgestellt werden? Aber mangelnde sachliche Investitionen und Investitionen zulasten des Personals stellen
eine latente Gefahr für die Hygiene dar . Auch hier wurde
das Pferd politisch von hinten aufgezäumt .
({6})
- Man könnte auch sagen: Man legt zuerst Feuer und holt
dann die Feuerwehr .
Nun höre ich das schon bekannte Argument: Die Länder sind doch für die Investitionen zuständig .
({7})
Aber was hindert den Bund daran, den Ländern gesetzlich ein Angebot zu machen - ruhig mit der Option, dass
die Länder entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht ({8})
und Investitionsbeteiligungen an Planungsbeteiligungen
zu koppeln?
({9})
Dabei kommt es dann zu stringenten Planungsentscheidungen . So lässt sich der Knoten lösen, den es eigentlich seit über einem Jahrzehnt gibt . Beim Strukturfonds
scheinen Sie auch ein Zusammenspiel von Kassen und
Ländern geplant zu haben .
Noch ein Gedanke zur Notfallmedizin . Im Rahmen
des Gesetzentwurfs bringen Sie dazu etwas auf den Weg .
Ein Teil läuft längst - Stichworte: Praxen und Krankenhäuser -, wenn auch bundesweit in unterschiedlichem
Tempo. Aber es gibt ein erhebliches Defizit, das man
schon jetzt, am Anfang, beseitigen kann . Damit meine
ich die vorstationären Notfallleistungen, die weder personell noch sächlich vom Notfalldienst der KBV erbracht
werden können, wie wir alle wissen . Hier gibt es ein Gap,
das man schon jetzt schließen könnte . Das hat nichts mit
Investitionsfinanzierung oder anderen Finanzierungsarten zu tun . Das ist ein echter Finanzierungsbedarf, dem
entsprochen werden muss .
({10})
Ich sage: Mit einer couragierten Entscheidung zur
gemeinsamen Investitionsfinanzierung und Versorgungsplanung lassen sich der Pflegenotstand beenden, die
Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern unter dem
Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
verbessern und die Fehlallokation beenden, und das zum
Wohle der Patienten .
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({11})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Dr . Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Sehr
geehrter Herr Terpe, wenn Sie auf die Rolle der Länder
in diesem Zusammenhang eingehen, dann wäre es doch
richtiger gewesen, wenn Sie gesagt hätten, dass wir alle
miteinander erwartet hätten, dass sich die Länder endlich
einmal zu ihrer Aufgabe bekennen, nämlich die Investitionen zu bezahlen .
({0})
Kern des Problems, das die Krankenhäuser momentan
haben, ist doch, dass sie verdienen müssen, um das auszugleichen, was die Länder nicht zahlen .
({1})
Sie vermissen angeblich ein Angebot an die Länder .
Der Strukturfonds ist dieses Angebot an die Länder . Es
ist ganz spannend, was da von den Ländern kommt . Die
einen sagen: Wir sind nicht in der Lage, die Hälfte zu
finanzieren. - Es gibt aber noch schlimmere. Hamburg
zum Beispiel sagt: Wenn man nur Geld bekommt, wenn
man seine eigenen Budgets nicht senkt, dann ist das ganz
schwierig . - Man hat nämlich im Wahlkampf die Budgets
künstlich erhöht und müsste jetzt wieder auf das normale
Maß zurück . Das beschreibt die Situation der Länder an
dieser Stelle . Der Bund kann nicht bei jeder Gelegenheit
in die Bresche springen . Ich bin es langsam leid, dass
wir immer die Aufgaben der Länder machen und sie auch
noch finanzieren sollen. Das wird nicht gehen.
({2})
Wir waren nach der ersten Einigung mit den Ländern
in der Tat in einer schwierigen Ausgangslage, weil heftige Kritik geübt wurde . Es gab Demonstrationen und
teilweise eine Diffamierung dessen, was beschlossen
worden ist . Ich denke da an den Strukturfonds, der als
Abwrackprämie herabgewürdigt wurde, was gar nicht
zutrifft . In dieser schwierigen Ausgangslage war es wichtig, jetzt wieder zusammenzufinden.
Ich nehme in Anspruch, dass wir dieses Zusammenfinden durch den Pflegepersonalzuschlag geschafft haben . Es geht um 500 Millionen Euro extra . Das sage ich
explizit; denn es gab einige, die eine falsche Rechnung
aufgemacht haben . Lassen Sie mich zur Genese Folgendes sagen: Wir hatten die doppelte Degression . Die haben wir gestrichen . Wir hatten als Ausgleich schon in der
letzten Legislaturperiode den Versorgungszuschlag, die
500 Millionen Euro, beschlossen . Das war das Gegengeschäft damals . Auch den haben wir gestrichen . So ist das
Thema Personalzuschlag ein neues Thema . Es handelt
sich um neues Geld, 500 Millionen Euro .
Um zu diesem Ergebnis zu kommen, ist mir eingefallen, dass man doch die 500 Millionen Euro - eine Kernforderung der Deutschen Krankenhausgesellschaft auf das Personal beziehen könnte, und ich habe an das
nichtärztliche Personal gedacht . Aus der SPD kam in
Person des Kollegen Lauterbach der Hinweis, es sei politisch sinnvoller, sich nur auf das Pflegepersonal zu beziehen .
({3})
Die Idee, das so zu machen, ist richtig, um klarzustellen,
dass es um die Pflegequalität geht, darum, Pflegestellen
zu schaffen, und insbesondere darum, Pflegestellen dauerhaft zu erhalten . Das Spannende im Zusammenhang
mit den 500 Millionen Euro ist, dass es den Zuschlag pro
Krankenhaus nur gibt, wenn man den Pflegebereich nicht
als Steinbruch nutzt und in Zukunft nicht an der Stelle
spart . Das ist ein klares Signal .
Das muss man sich leisten; denn wenn Sie heute mit
Pflegekräften, aber auch mit Ärzten reden, dann hören
Sie, dass sie in einer kritischen Situation sind . Deshalb
reagieren wir richtig, zum Beispiel mit dem Hygiene-Förderprogramm in Höhe von 100 Millionen Euro
und mit dem Pflegestellen-Förderprogramm in Höhe von
660 Millionen Euro für neue Stellen . Dank der Initiative
unseres Berichterstatters Lothar Riebsamen sehen wir einen hälftigen Ausgleich für Tarifanpassungen vor . Auch
das ist ein ganz wichtiges Signal dafür, dass wir Tarifsteigerungen in Zukunft finanzieren.
({4})
Das ist allemal besser als ein fester Pflegeschlüssel. Ein
solcher Schlüssel wäre wie Planwirtschaft und wäre auch
deshalb nicht zielführend, weil das von der individuellen Situation abhängt . Es hängt doch von den Krankenhausstrukturen, von den Patienten, von der Erfahrung der
Pflege vor Ort ab, wie viel Pflege man an welcher Stelle
braucht . Deshalb glaube ich, dass es schwierig ist, zentrale Regelungen von hier aus vorzunehmen .
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Notfallversorgung sagen . Ja, das ist ein Problem . Zum einen
begeben sich Patienten im Notfall gern direkt in ein
Krankenhaus . Zum anderen gibt es aber auch hie und da
Ärzte, die sagen: Am Wochenende und nachts sehen wir
eine Notfallversorgung nicht so gern . Wenden Sie sich
bitte direkt an ein Krankenhaus! - Deshalb baut unser
Lösungsversuch zum einen darauf, dass wir den Investitionskostenabschlag streichen - das sind 75 Millionen
Euro -; zum anderen setzen wir auf die Selbstverwaltung .
Bei drei Parteien ist eine Einigung nicht ganz einfach . Ich
gebe zu, ich persönlich hätte mir auch nur zwei Parteien
vorstellen können . Aber eines lasse ich mir nicht gefallen, nämlich dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung durch die Lande zieht und unseren Lösungsversuch
in einer bemerkenswerten Art und Weise abqualifiziert.
Vielleicht haben die Herrschaften Grund, von sich selDr. Harald Terpe
ber abzulenken . Sie sollen über die Patientenversorgung
nachdenken und nicht über die Eigenversorgung .
({5})
In diesem Sinne: Schönen Tag, gute Beratungen!
({6})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Marina Kermer, SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nach einer intensiven und gestaltungsreichen
Verhandlungszeit liegt heute der Entwurf eines Krankenhausstrukturgesetzes auf dem Tisch . Das ist ein Grund,
Danke zu sagen . Ich sage Danke für die sachliche, zielorientierte und erfolgreiche Zusammenarbeit mit Ihnen,
Herr Bundesminister Gröhe, mit Ihnen, Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz, und mit Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Koalition .
Unser Gesundheitssystem steht auf einem bewährten
und guten Fundament . Um bildlich zu sprechen: Das
Fundament hält . Das Haus, das darauf steht, wackelt; es
entspricht nicht mehr den Standards . Die Betriebskosten
sind hoch . - Wir sind an einem Punkt angekommen, wo
die Entscheidung zu treffen ist, Jahr für Jahr immer höhere Kosten zu tragen oder einmal so zu investieren, dass
unser Haus modernisiert und damit zukunftssicher wird .
Mit dem Krankenhausstrukturgesetz werden wir in
eine zukunftsfeste Krankenhausversorgung investieren,
ebenso in zukunftssichere Strukturen, auch in den ländlichen Regionen. Wir werden den Pflegenotstand beheben,
und zwar - ich wiederhole es gern - mit dem Pflegestellen-Förderprogramm in Höhe von insgesamt 660 Millionen Euro, einem Pflegezuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich ab 2017 und einem Infrastrukturfonds .
Mit dem Mehr an Pflegepersonal in den Krankenhäusern
wird die Versorgungsqualität am Bett steigen und den
Patientinnen und Patienten zugutekommen . Das sind die
großen Stellschrauben . Hinzu kommen zur Feinjustierung noch viele kleinere Stellschrauben wie die Verbesserungen beim Sicherstellungszuschlag oder bei der Notfallversorgung . Wir stimulieren Qualitätsverbesserung
durch Qualitätszu- und -abschläge . Außerdem dämmen
wir Wildwuchs bei Mengenentwicklungen ein .
Im Zentrum unserer Planungen stehen dabei immer die
Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten . Ihre Interessen zu stärken und zu verbessern, ist zentrales Anliegen
unseres Gesetzes; denn die Menschen vertrauen darauf,
dass sie heute und in Zukunft erreichbare und bestmögliche medizinische Versorgung in unseren Krankenhäusern bekommen . Deshalb erfährt die Qualität als gleichberechtigtes Kriterium für die Krankenhausplanung eine
Aufwertung und spielt zukünftig eine bedeutende Rolle .
({0})
Werden die Leistungen durch ein Krankenhaus qualitativ nicht oder nicht ausreichend erbracht, hat das Konsequenzen: Das betroffene Krankenhaus bleibt nicht im
Krankenhausplan .
Wir haben uns auf die zu erwartenden Rahmenbedingungen vorausschauend eingestellt .
Insgesamt steigt der Anspruch an die behandelnden
Ärztinnen und Ärzte . Die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten werden vielfältiger und komplizierter . Die
Patientinnen und Patienten werden älter und damit anfälliger für eine Häufung von zeitgleichen Erkrankungen .
Deshalb sagen wir Ja zu einer flächendeckenden
Grundversorgung und Nein zum Beispiel zu Hirnchirurgie in jedem Kreiskrankenhaus . Dafür ist weder Fachpersonal ausreichend verfügbar, noch gibt es in der Fläche
genügend Fälle, um ausreichend Erfahrungen zu sammeln und damit Qualität zu sichern .
Genau darum zögern wir nicht, das Instrument der
Mindestmengen im Interesse der Qualitätssicherung für
unsere Patientinnen und Patienten strenger als bisher
anzuwenden . Wenn ein Krankenhaus zukünftig dagegen
verstößt, werden die Behandlungskosten nicht mehr erstattet .
Allerdings bedeuten viele Operationen nicht automatisch bessere Qualität . Es darf nicht sein, dass den Patientinnen und Patienten neue Gelenke nur der Gelenke
wegen eingesetzt werden . Eine Operation darf nur dann
erfolgen, wenn sie medizinisch notwendig ist, und nicht,
weil eine Krankenhausbilanz ausgeglichen werden muss .
Wir alle wollen nicht, dass Ärztinnen und Ärzte derartigen Fehlsteuerungen und einem Fallzahlenleistungsdruck ausgesetzt sind .
Wir alle wollen nicht, dass Patientinnen und Patienten
zu Geldautomaten werden .
Apropos Geld . Ja, Herr Dr . Terpe, ein Problem können wir mit dem Krankenhausstrukturgesetz nicht lösen;
denn das liegt nicht in der Hand des Bundes .
({1})
Die Länder kommen ihren Zahlungsverpflichtungen an
die Krankenhäuser nicht ausreichend nach; das haben wir
gehört .
({2})
Wir wissen, dass in fast allen Bundesländern die Finanzdecke dünn ist . Trotzdem darf man die Zukunft der stationären Versorgung nicht aus dem Blick verlieren . Der
Bund stellt dafür mit dem Infrastrukturfonds - er wurde
heute schon mehrfach erwähnt - 500 Millionen Euro zur
Verfügung . Wenn also strukturelle Veränderungen nötig
sind und die Länder Akutpflegeabteilungen umwandeln
wollen, müssen sie nicht die gesamten Kosten tragen,
sondern die Mittel nur zur Hälfte gegenfinanzieren. Die
Länder werden unter Beweis stellen müssen, dass sie ihrem Gestaltungsauftrag auch nachkommen .
Wir beraten in dieser Woche nicht nur das Krankenhausstrukturgesetz . Heute haben wir bereits das Gesetz
zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung
beschlossen, und morgen stehen die Regelungen zur
Sterbebegleitung auf der Tagesordnung . Wie auch immer
die Patientinnen und Patienten ihre persönliche Entscheidung für die letzten Lebenstage fällen: Wir wollen dafür
sorgen, dass das Leben dort zu Ende gehen kann, wo die
Menschen es wollen - auf der Palliativstation im Krankenhaus, im Hospiz oder zu Hause .
Nicht alle Regionen in Deutschland werden umstrukturieren müssen, aber die, die Bedarf haben, bekommen
die Infrastrukturförderung . Und niemand braucht Sorge
zu haben, dass nötige Krankenhausbetten abgebaut werden .
Zusätzlich zu den drei bereits genannten wichtigen
Unterstützungsmaßnahmen wird eine Expertenkommission eingesetzt; darauf wurde schon Bezug genommen .
Gute Pflege meint nicht nur gut ausgebildete Fachkräfte, sondern Pflegerinnen und Pfleger, die ihren Beruf aus
Überzeugung für die Arbeit am Menschen ausüben . An
der fachlichen Qualifikation besteht auch jetzt kein Zweifel, aber es fehlt an der notwendigen Zeit für Zuwendung
in der Krankenpflege. Genau deshalb kommt der Pflegezuschlag vor allem den Krankenhäusern anteilig zugute,
die bereits heute nicht am Pflegepersonal sparen, sowie
den pflegeintensiven Bereichen wie Kinderstationen.
({3})
Wir wollen zukünftig Engpässe bei der pflegerischen
Versorgung verhindern . Das ist zentrale Aufgabe der Expertenkommission .
Ich komme zum Schluss. Mehr Geld für Pflegepersonal, Hilfe für die notwendigen Strukturanpassungen in
den Ländern, Stärkung der Qualität und mehr Transparenz für die Patientinnen und Patienten und die Weiterführung des Hygiene-Förderprogramms sind die zentralen Punkte unseres Gesetzes .
({4})
Unser Gesetzentwurf beruht auf einem breiten Konsens
der Ländervertreterinnen und -vertreter, der Gewerkschaften und der Krankenhausvertretungen . All jenen,
die an unserem Kompromiss mitgearbeitet haben, danke
ich für die Unterstützung . Ebenso danke ich für die Kritik
der Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Opposition . Beides zusammen macht dieses gute Gesetz erst
möglich . Ich lade Sie daher ein: Stimmen Sie dem Gesetz
allumfassend zu!
Vielen Dank .
({5})
Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich
das Wort dem Abgeordneten Lothar Riebsamen, CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts einer demografischen Entwicklung, bei der wir
in Gesundheit älter werden - darüber freuen wir uns in
der Regel -, und angesichts der Tatsache, dass wir einen
innovativen medizinisch-technischen Fortschritt haben,
stehen wir, was unser Gesundheitswesen im Allgemeinen
und die Krankenhäuser im Besonderen anbelangt, vor
ziemlich großen Herausforderungen; denn das alles kostet Geld . Es ist nicht zum Nulltarif zu haben . Gerade deswegen ist es notwendig, dass wir die Strukturen anpassen
und die gute Qualität, die wir in unseren Krankenhäusern
haben, auch in der Zukunft weiterentwickeln . Diesen Anspruch haben wir an das Krankenhausstrukturgesetz, und
genau das werden wir damit auch erreichen .
Es gibt zunächst einmal Bereiche, für die wir als Bundesgesetzgeber originär Verantwortung tragen, und es
gibt Bereiche, bei denen die Länder und natürlich auch
die Träger angesprochen sind .
Wo sind wir selber als Bundesgesetzgeber angesprochen?
Erstens hatten wir, was die Refinanzierung der Betriebsmittel angeht, in der Vergangenheit die Situation,
dass sich immer dann, wenn die Tarifsteigerungen höher waren als die Erlöse durch die Veränderungsrate,
eine Tarifschere geöffnet hat . Das war ein strukturelles
Problem . Genau dieses Problem gehen wir mit diesem
Gesetz strukturell an . Das werden wir abstellen . Wir
werden nicht mehr, wie dies in der Vergangenheit nötig
war, durch Versorgungszuschläge oder Ähnliches Löcher
stopfen, sondern mit diesem Gesetz dafür sorgen, dass
diese Löcher zukünftig gar nicht mehr entstehen .
({0})
Zweitens geht es natürlich auch darum, dass wir die
Entwicklung der Mengen immer mit einem kritischen
Blick zu verfolgen haben . Aber eines war in der Vergangenheit schlicht und ergreifend nicht nachvollziehbar und ungerecht, nämlich die Kollektivhaftung aller,
auch derer, die gar keine Mehrmengen verursacht haben .
Das werden wir mit diesem Gesetz ebenfalls abstellen .
Mehrmengen, die manchmal notwendig sind, manchmal
vielleicht nicht, werden dort zu Abschlägen führen, wo
diese Mehrmengen entstehen . Ich freue mich darüber
und bedanke mich herzlich bei allen, die mitgewirkt haben, dass wir an dieser Stelle mit den Änderungsanträgen
eine Entschärfung erreicht haben, indem wir zielgenau
für die Krankenhäuser, die diese Mehrmengen - oft auch
notwendigerweise - verursachen, einen umfangreichen
Ausnahmekatalog vereinbaren konnten .
Drittens ist es so, dass aufgrund der Lücken, die in
der Vergangenheit entstanden sind - das haben die KolMarina Kermer
leginnen und Kollegen Vorredner durchaus zu Recht
angesprochen -, immer wieder im Bereich des Pflegepersonals gespart wurde. Wir haben mit dem Pflegestellen-Förderprogramm und der Tatsache, dass wir den
Versorgungszuschlag von 500 Millionen Euro in einen
Pflegezuschlag umwandeln, dafür gesorgt, dass wir auch
an dieser ganz wichtigen Stelle nachjustieren . Wir setzen also mit diesem Gesetz klare Schwerpunkte bei der
Verbesserung der Situation des Pflegepersonals und beim
Abbau der durch die Tarifschere verursachten strukturellen Probleme .
({1})
Ich komme nun zu den Bereichen, für die nicht wir
originär verantwortlich sind, sondern die Länder mit
der Krankenhausbedarfsplanung und natürlich auch die
Träger vor Ort. Wenn Defizite entstehen, ist zukünftig
deutlich zu identifizieren, wo diese entstehen. Sie werden nicht mehr bei den Betriebsmitteln entstehen, sondern dadurch, dass die Länder ihrer Verpflichtung, die
Krankenhausinvestitionsförderung zu 100 Prozent zu
erbringen, nicht nachkommen . Das wird zukünftig der
entscheidende Punkt sein, und es ist dann auch klar zu
identifizieren, wo die Defizite entstehen.
Aber natürlich darf man auch die Träger nicht ganz aus
der Verantwortung entlassen . Es gibt nach wie vor eine
unternehmerische Verantwortung . Die Krankenhausträger vor Ort stehen im Qualitätswettbewerb . Sie müssen
sich diesem stellen, müssen sich absprechen und können
nicht gleiche Angebote auf engstem Raum anbieten . Es
ist im System der DRGs schlicht und ergreifend nicht
möglich, in einem 100- oder 150-Betten-Krankenhaus
die Grund- und Regelversorgung rund um die Uhr zu gewährleisten . Das geht einfach nicht . Genau diese Punkte
werden dann ganz deutlich werden, wenn die strukturell
bedingten Probleme aus der Welt geschafft sind .
Mit dem Strukturfonds in Höhe von 500 Millionen
Euro und den 500 Millionen Euro der Länder versetzen
wir die Länder und die Kommunen in die Lage, diese wichtigen Strukturanpassungen vor Ort tatsächlich
durchzuführen . Aber es bleibt dabei, dass es bei den
Investitionskostenförderungen eine offene Flanke gibt .
Deswegen zum Abschluss der Appell an die Länder, ihrer
Verpflichtung nachzukommen. Wir werden in den kommenden Jahren im Auge haben müssen, Kollege Terpe,
wie es vorangeht . Wenn wir unsere Hausaufgaben gemacht haben,
({2})
dann wird ganz deutlich, wo diese strukturellen Probleme entstehen .
Herr Kollege!
({0})
Das werden wir im Auge behalten .
Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem
wir unsere Hausaufgaben erledigt haben .
({0})
Die Länder haben das noch nicht im notwendigen Umfang getan . Deswegen ist es ein gutes Gesetz und ein guter Tag für die Krankenhäuser in Deutschland .
Herzlichen Dank .
({1})
Herr Kollege, Sie haben hartnäckig ignoriert, dass die
rote Lampe leuchtet . Der Schlussappell war interessant,
lag aber weit außerhalb der Redezeit . Wir nehmen ihn
trotzdem in das Protokoll auf . Aber ich bitte alle Kollegen im Sinne der Fairness, ab und zu einen Blick auf die
Uhr zu werfen
({0})
und sich danach zu verhalten, zumal die Regierungskoalition insgesamt über viel Redezeit verfügt . Das muss
man schon sagen .
({1})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Kranken-
hausversorgung . Dazu liegt eine Erklärung zur Abstim-
mung gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/6586, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5372 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Wir stimmen jetzt über
den Gesetzentwurf ab . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen . - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben . - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .
Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlus-
sempfehlungen des Ausschusses für Gesundheit auf
Drucksache 18/6586 fort . Der Ausschuss für Gesund-
1) Anlage 3
heit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-
fehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung auf
Drucksache 18/5867 für erledigt zu erklären . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Be-
schlussempfehlung einstimmig angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 9 b . Der Ausschuss für Gesund-
heit empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfeh-
lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/5369 mit dem Titel „Versorgungsqua-
lität und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern ver-
bessern - Bedarfsgerechte Personalbemessung gesetzlich
regeln“ . Wir stimmen über die Beschlussempfehlung ab .
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .
Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/5381 mit dem Titel „Gute Versorgung,
gute Arbeit - Krankenhäuser zukunftsfest machen“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen worden mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes
Drucksache 18/5
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({2})
Drucksache 18/6200
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert
Müller ({4}), Sigrid Hupach, Nicole
Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Betreuungsgeld für den Kitaausbau nutzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Franziska
Brantner, Katja Dörner, Beate WalterRosenheimer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Betreuungsgeld in Kitas investieren
Drucksachen 18/6041, 18/6063, 18/6200
Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr . Fritz Felgentreu,
SPD-Fraktion .
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
gehört, dass auch eine Gruppe aus Neukölln da ist . Ich
begrüße Sie als Abgeordneter Ihres Wahlkreises natürlich
besonders herzlich .
Wir stimmen heute über einen, wie ich finde, inhaltlich ganz hervorragenden Gesetzentwurf der Linken ab .
({0})
Allerdings wird die SPD-Fraktion ihn trotzdem ablehnen . Ganz hervorragend ist der Inhalt des Gesetzentwurfs
schon deswegen, weil die SPD ihn geschrieben hat - in
der vergangenen Wahlperiode .
({1})
Ablehnen werden wir ihn, weil inzwischen etwas passiert
ist, wovor auch der beste Inhalt nicht schützt: Die Erde
hat sich weitergedreht und die Gesetzgebung dadurch
überflüssig gemacht.
({2})
Das, worum es in dem Entwurf und im begleitenden Antrag geht, nämlich die Abschaffung des Betreuungsgeldes und die Umwidmung der dafür vorgesehenen Mittel,
ist bereits erfolgt .
({3})
Über das Betreuungsgeld brauchen wir hier zum
Glück gar nicht mehr zu diskutieren . Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass wir dafür keine
Gesetzgebungskompetenz haben und sie auch niemals
hatten . Damit ist das Betreuungsgeld nur noch eine Fußnote der Geschichte bundesdeutscher Familienpolitik,
und - um einen legendären Bürgermeister dieser Stadt zu
zitieren - das ist auch gut so .
({4})
Das zweite Ziel bleibt jedoch unverändert aktuell . Der
Ausbau und die Verbesserung der Kinderbetreuung sind
Grundpfeiler der Familienpolitik dieser Koalition; denn
eines ist doch vollkommen klar: Kinder und Familien
fördern wir am besten mit erstklassigen Kitas und Schulen .
({5})
Deshalb stockt die Koalition das Sondervermögen „Kinderbetreuungsfinanzierung“, das Kindern unter drei Jahren zugutekommt, um 550 Millionen Euro auf 1 Milliarde Euro auf . Deshalb stellen wir für Kinderkrippen und
Tagespflegestellen ab sofort jährlich 845 Millionen Euro
zur Verfügung . Deshalb erhöht der Bund seine Beteiligung an den Betriebskosten von Kitas 2017 und 2018
nochmals um 100 Millionen Euro . Und deshalb stärken
wir gerade mit weiteren 400 Millionen Euro die Sprachförderung in den Kindertagesstätten .
({6})
Wem das alles noch nicht reicht - mir reicht es übrigens auch nicht -, der wird mit Freude feststellen, dass
die Koalition gerade die Flüchtlingskrise zum Anlass
genommen hat, bei der Kinderbetreuung noch einmal
nachzulegen . Mit dem sogenannten Asylpaket, das wir
hier vor drei Wochen beschlossen haben, werden die für
das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel nach und nach
auf die Länder übertragen, damit sie dieses Geld ihrerseits so, wie sie es vor Ort brauchen, in den Ausbau der
Betreuung und in Kitaqualität investieren. Diese Politik,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nützt allen: den Kindern, die hier geboren sind, und den Kindern,
die jetzt neu dazukommen . Gerade die Flüchtlingskinder
gehören doch in die Kitas . Dort lernen sie Deutsch . Dort
erleben viele von ihnen zum ersten Mal das gleichberechtigte Miteinander der Geschlechter . Dort erfahren sie,
wie man sich streitet und wieder verträgt oder - um es
einmal etwas hochtrabender auszudrücken - wie Kompromissfähigkeit und gewaltfreier Interessenausgleich
unser Sozialverhalten und unsere Gesellschaft prägen .
Deshalb war es richtig, dass wir die Verwendung der Betreuungsgeldmittel im Rahmen des Asylpakets geregelt
haben, obwohl mit dem Geld nicht nur Flüchtlingsfamilien, sondern alle Kinder gefördert werden .
({7})
Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass die Koalition bei der Kinderbetreuung die richtigen Schwerpunkte
setzt . Trotzdem bleibt es auch in Zukunft unsere Aufgabe, die Kinderbetreuung weiter auszubauen und ihre
Qualität zu verbessern .
An dieser Stelle sei mir der Hinweis erlaubt, dass die
SPD-Fraktion ein kontinuierliches Engagement des Bundes für Bildung und Betreuung für notwendig hält . Solange wir die Länder damit alleinlassen, wird es immer
wieder dazu kommen, dass zu wenig Geld für strukturelle Verbesserungen zur Verfügung steht .
({8})
Die Gefahr der Unterfinanzierung von Bildung und Betreuung ist eine der wenigen problematischen Folgen
unserer föderalen Ordnung . Deshalb ist es auch richtig,
über Lösungen nachzudenken, wie das Engagement des
Bundes verstetigt werden kann, aber selbstverständlich
ohne in die Kompetenzen der Länder einzugreifen .
Eine Möglichkeit ist zweifellos die Lockerung des
Kooperationsverbotes im Grundgesetz . Das Kooperationsverbot erlegt dem Bund jedes Mal ziemliche Verrenkungen auf, wenn er Geld für Bildung und Betreuung bereitstellen will . Eleganter als eine Änderung des
Grundgesetzes finde ich allerdings eine Idee, die von der
Kollegin Carola Reimann entwickelt worden ist, nämlich
einen familienpolitischen Werkzeugkasten des Bundes
und der Länder, wie Sie es genannt haben, Frau Kollegin
Reimann . Ein solcher Werkzeugkasten kann durch einen
Vertrag des Bundes mit den Ländern entstehen . Der Bund
würde sich dabei verpflichten, den Kasten mit dem für
familienpolitische Instrumente notwendigen Geld zu befüllen . Die Länder würden als Vertragspartner die Mittel,
die der Werkzeugkasten enthält, ausschließlich für Familien- und Bildungspolitik ausgeben, und zwar für die
Maßnahmen, die vor Ort gerade am dringendsten nötig
sind . Ich würde mich freuen, wenn wir die zweite Hälfte der Legislaturperiode nutzen könnten, um diese Idee
weiterzuentwickeln .
Ich komme zum Schluss . Den vorliegenden Gesetzentwurf sowie den Begleitantrag lehnen wir ab, weil sie
sich durch tätiges Handeln erledigt haben . Die Anregung,
gemeinsam weiter darüber nachzudenken, wie Bund und
Länder in der Familienpolitik besser zusammenarbeiten
können, greifen wir gerne auf . Wir freuen uns auf die
weitere Debatte .
Danke schön .
({9})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Norbert Müller, Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen!
Die Qualität der Kindertagesbetreuung soll aktiv
weiterentwickelt, finanziell sichergestellt sowie
durch eigene Maßnahmen befördert werden . Zudem
soll der bedarfsgerechte Ausbau von Betreuungsplätzen, auch für Kinder aus Flüchtlingsfamilien,
weiter vorangetrieben werden . Eine gute Kindertagesbetreuung stärkt als erste Bildungsinstitution
außerhalb der Familie die Bildungschancen aller
Kinder .
Deswegen ist Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe .
({0})
Eigentlich habe ich langanhaltenden Applaus vor allem
bei der SPD-Fraktion erwartet .
({1})
Herr Präsident, vielleicht können wir die Redezeit anhalten, damit die SPD noch darüber nachdenken kann .
Diesem Vorschlag können wir leider nicht folgen,
Herr Kollege .
Schade . - Denn dieser Text, Herr Präsident, ist gar
nicht von mir, sondern er stammt aus einer Erklärung
vom heutigen Tage aus dem Bundesfamilienministerium,
und das Bundesfamilienministerium hat in diesem Punkt
auch recht .
({0})
Frühkindliche Bildung verringert soziale Ungleichheit, weil sie hilft, soziale Benachteiligung zu kompensieren; das Betreuungsgeld war übrigens auch deswegen
falsch . Wir wollen frühkindliche Bildung für alle nicht
nur, weil sie inklusiv ist, sondern weil das Recht von
Kindern auf Bildung eine völkerrechtliche Maßgabe ist,
und das muss auch für Kleinkinder gelten .
({1})
Deswegen wollen wir, dass frühkindliche Bildung auch
Kleinkindern zugutekommt .
({2})
Wir sind mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung
und der Kindertagespflege in Deutschland weit gekommen . Aber wir sind noch lange nicht am Ziel . Es gibt
hohe Investitionsbedarfe; Herr Kollege Felgentreu hat
das beschrieben . Es gibt einen Mehrbedarf zur Deckung
der Kosten in Ländern und Kommunen, die diese nicht
alleine schultern können .
Es geht auch darum, Qualität auszubauen . Wir wollen
bundesweit die Fachkraft-Kind-Relation auf einen guten
Standard absenken; in vielen Ländern müssen wir sie absenken . Wir wollen nach Möglichkeit die Elternbeitragsfreiheit, damit nicht am Ende die Beiträge entscheiden,
ob ein Kind in die Kita geht oder zu Hause bleibt . Wir
wollen gutes, hochwertiges Mittagessen . Wir wollen die
Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, die dieses Jahr zu
Recht für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt haben,
durch weniger Stress und bessere Bezahlung deutlich
verbessern .
({3})
Wir wollen ein sogenanntes Kitaqualitätsgesetz. Die
im Haushalt ursprünglich für das Betreuungsgeld eingestellte Milliarde hätten wir gerne für ein solches Kitaqualitätsgesetz gesichert .
({4})
Jetzt werden Sie sagen - das wird vor allen Dingen
von den Kollegen der Union kommen -, dass frühkindliche Bildung eine Aufgabe der Länder und Kommunen ist
und der Bund im Übrigen schon sehr viel tut; das hat der
Kollege Felgentreu ausgeführt . Aber frühkindliche Bildung ist eben nicht nur eine Aufgabe von Ländern und
Kommunen, sondern sie ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe . Deswegen muss der Bund seiner Verantwortung mehr nachkommen . Er kann nicht nur den Rechtsanspruch schaffen, sondern er muss deutlich stärker in
die Grundfinanzierung der Kindertagesbetreuung einsteigen .
({5})
Frau Schwesig hat völlig recht gehabt, als sie nach
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Juli dieses
Jahres gesagt hat, dass wir die Milliarde, die im Haushalt
für das Betreuungsgeld vorgesehen war, für frühkindliche Bildung sichern wollen . Genau an dieser Stelle hat
sie sich und hat sich die Sozialdemokratie aber nicht
durchgesetzt . Das will ich anhand von drei Punkten belegen .
Erstens . Die Milliarde in dem Haushalt ist keine Milliarde . Etwa zwei Drittel dieser Milliarde gehen effektiv
an die Länder .
Zweitens . Das Geld geht völlig kontrolllos an die
Länder. Ob Bayern damit das Landesbetreuungsgeld finanziert, was ich grundlegend falsch finde, ob anderswo
der Betreuungsschlüssel verbessert wird oder ob irgendwo ein Haushaltsloch gestopft wird, unterliegt überhaupt
keiner Kontrolle . Deswegen haben Frau Schwesig, die
Grünen und wir gefordert: Lasst das Geld im Bundeshaushalt; nur so können wir garantieren, dass es tatsächlich für frühkindliche Bildung ausgegeben wird, nicht für
ein Landesbetreuungsgeld und auch nicht zur Stopfung
von Haushaltslöchern .
({6})
Drittens. 2018 ist Schluss damit. 2018 fließt das letzte
Geld an die Länder . Ab 2019, wenn die Schuldenbremse
greift, wenn es in den Landeshaushalten interessant wird,
gibt es nichts mehr von diesem ehemaligen Betreuungsgeld .
Das ist der falsche Weg . Deswegen lautet unser Antrag - darüber lassen wir namentlich abstimmen -: Lasst
das Geld im Bundeshaushalt, und setzt es als Basisfinanzierung im Rahmen eines Kitaqualitätsgesetzes ein!
({7})
Alles andere ist nicht nachhaltig . Alles andere ist kurzsichtig .
Wenn 2019 die Schuldenbremse greift und die Zuwendungen an die Länder wegfallen - die letzte Zuwendung
in Höhe von 870 Millionen Euro fließt 2018 an die Länder -, werden wir wissen, welche Folgen das in einem
föderalen System für die frühkindliche Bildung hat wir können die Folgen jetzt schon erahnen; der Kollege
Felgentreu hat sie gut beschrieben -: Am Ende werden
die Länder am Betreuungsschlüssel und an den Gehältern der Erzieherinnen und Erzieher sparen, Zuwendungen werden gekürzt werden usw . All das wird eintreten,
und das trifft am Ende die sozial Benachteiligten in dieser Gesellschaft . Das Schlimme ist, dass diese Politik am
Ende die sozial Benachteiligten in dieser Gesellschaft
trifft .
Ich komme zum Schluss . Die Bertelsmann-Stiftung
hat Anfang des Jahres eine Studie zur Kinderarmut vorgelegt, über die wir bereits diskutiert haben . Zu den gravierenden Folgen von Kinderarmut will ich jetzt nichts
weiter sagen, auch nicht dazu, dass diese Bundesregierung die Aufgabe, Kinderarmut zurückzudrängen, nicht
ernsthaft anpackt .
({8})
Wenn Sie das alles nicht wollen, dann seien Sie wenigstens konsequent. Nehmen Sie die Vorschläge der Bertelsmann-Stiftung, die keine besonders linkslastige Stiftung
ist, an, die sagt: Wenn Sie Kinderarmut nicht bekämpfen,
dann investieren Sie wenigstens kräftig in die frühkindliche Bildung, um die grassierenden Folgen von Kinderarmut abzumildern . Dazu ist eine gute Kindertagesbetreuung sinnvoll .
Deswegen: Machen Sie den Weg frei für ein Kitaqualitätsgesetz . Stimmen Sie unserem Antrag und unserem
Gesetzentwurf zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes heute zu .
Vielen Dank .
({9})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Josef Rief, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besucher auf der Plenartribüne und liebe Zuschauer vor dem
Parlamentsfernsehen! Bereits im September haben wir
uns im Plenum mit den Vorschlägen von Bündnis 90/Die
Grünen und Linken beschäftigt . Damals wie heute unterstützt der Bund den Ausbau der Kindertagesbetreuung .
Es ist unstrittig: Im ganzen Land werden Kitaplätze benötigt und zur Verfügung gestellt . Wir waren es
schließlich, die vor vielen Jahren den Rechtsanspruch auf
einen Kitaplatz eingeführt haben . Die Mütter und Väter,
die ihren Beruf wieder aufnehmen möchten, sollen ausreichend Kitaplätze zur Verfügung haben . Darin sind wir
uns, glaube ich, alle einig .
({0})
Der Kitaausbau wurde und wird stark gefördert . Dies
wird auch so bleiben .
Den Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen geht es hier aber um etwas ganz anderes . Bei Ihnen,
meine Damen und Herren von der Opposition, liegt der
Fokus ganz klar auf der Kinderbetreuung durch den Staat .
Das ist sehr einseitig . Häusliche Betreuung dagegen wird
von der Opposition weder anerkannt noch geschätzt .
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie sollen
sich die Familien fühlen, die erstmals, nach harten politischen Kämpfen, für die häusliche Betreuung ihrer Kinder
monatlich einen Betrag als kleine Anerkennung erhalten
haben, wenn sie diese Gelder jetzt nicht nur nicht mehr
bekommen, sondern diese hart erkämpften Mittel nach
Meinung der Opposition besser in Kitas investiert werden, wenn mit dem Geld also genau das Gegenteil dessen passiert, wofür es eigentlich gedacht war? An dieser
Stelle betone ich es noch einmal: Kinder brauchen in den
ersten Lebensjahren eine verlässliche Bindung . Bindung
ist in den ersten Lebensjahren wichtiger, als es Bildung
je sein kann . Deshalb ist die häusliche Betreuung gut und
sinnvoll .
({2})
Wie uns das Bundesverfassungsgericht mitteilte, war
der Bund nicht der zuständige Gesetzgeber für das Betreuungsgeld . Ich fürchte, auch für andere Leistungen ist
der Bund nicht zuständig . Wir können nur hoffen, dass
da nie jemand klagt . Das Betreuungsgeld bleibt trotzdem
richtig und wichtig . Inhaltlich wurde das Betreuungsgeld
nicht geprüft . Die Länder können es sehr wohl einführen .
Ich lobe hier ausdrücklich die Bayern, die es weiterführen .
({3})
Wir haben dies bei den Änderungen des Finanzausgleichsgesetzes berücksichtigt . Durch den Wegfall des
Betreuungsgeldes sind finanzielle Spielräume entstanden; das haben meine Vorredner schon gesagt . Der Bund
wird die Länder und Kommunen in den kommenden drei
Jahren bei Maßnahmen zur Verbesserung der Kinderbetreuung unterstützen . Ich wiederhole ausdrücklich: Verbesserung der Kinderbetreuung . Damit ist gerade nicht
vorgegeben, dass die Gelder in staatlich geförderte Kinderbetreuungseinrichtungen fließen müssen. Die Länder können mit diesem Geld sehr wohl - dafür plädiere
ich - die häusliche Betreuung der Familien finanziell anerkennen . Wir stellen den Ländern 339 Millionen Euro
im Jahr 2016, 774 Millionen Euro im Jahr 2017 und für
2018 noch einmal 870 Millionen Euro zur Verfügung .
({4})
In meinem Heimatland Baden-Württemberg hat ein
weitaus größerer Teil der Eltern für ihre Kinder Betreuungsgeld bezogen, als dass sie ihre Kinder in staatlich
geförderte Kindertagesbetreuungseinrichtungen gegeben
hätten . Das muss hier einmal gesagt werden, und das
sollte Ihnen allen, auch Ihnen von der Opposition, zu
denken geben . Auch ist interessant - das gibt die Statistik her -, dass in den Gebieten in Baden-Württemberg,
in denen die Anzahl der Bezieher von Betreuungsgeld
besonders hoch ist, auch die höchsten Geburtenraten zu
verzeichnen sind . Genauere Untersuchungen sollten diesen Zusammenhang klären und vertiefen .
({5})
Die große Mehrheit der Eltern in Baden-Württemberg
hat sich im ersten Halbjahr für das Betreuungsgeld entschieden . Ich bin gespannt, wie die grün-rote Landesregierung, die diese Zahlen kennt, darauf reagiert . NatürNorbert Müller ({6})
lich weiß ich, dass sich der Beifall der SPD bei diesem
Thema in Grenzen hält . Aber als große Volkspartei muss
sie schon zur Kenntnis nehmen, dass der Mehrheit der
Eltern mit kleinen Kindern etwas weggenommen wird,
für das sie sich entschieden haben . Zumindest in Baden-Württemberg, ja, ich denke, in ganz Deutschland ist
die Möglichkeit, sich für einen Kitaplatz zu entscheiden,
gegeben . Trotzdem hat sich die große Mehrheit bis zum
Sommer für die 150 Euro Betreuungsgeld monatlich entschieden, also für einen Betrag, der vergleichsweise sehr
niedrig ist .
Warum hat das die übergroße Mehrheit getan? Ganz
einfach: weil sich die Mütter und Väter eben nicht im
Hamsterrad von Beruf, Familie und Freizeit Duelle liefern möchten, sondern mehr Zeit für die Kinder haben
wollen . Entschleunigung in der Gesellschaft bei der Kindererziehung müsste doch in erster Linie ein Ziel gerade
von Grünen und Linken sein .
({7})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
verraten mit Ihren Anträgen Ihre eigenen angeblichen
Ideale .
({8})
Deshalb streben wir bei einem Wahlerfolg genau diese
Ideale der Wahlfreiheit, mehr Zeit für Kinder, vor allem
für kleine Kinder, eine finanzielle Anerkennung aller Lebensentwürfe, ja ein klares Bekenntnis zu Familien mit
einem Kind, zwei, drei oder mehr Kindern an . Gerade
Mehrkindfamilien verdienen mehr Wertschätzung und
Unterstützung . Hier muss noch viel getan werden, zum
Beispiel im Hinblick auf ausreichenden und bezahlbaren
Wohnraum .
({9})
Was empfehlen Sie zum Beispiel Eltern mit mehreren
kleinen Kindern, die beide voll berufstätig sind, ihre Kinder in die Kita bringen und merken, dass sie Berufstätigkeit und Kindererziehung nicht unter einen Hut bringen
oder einfach nur überlastet sind? Nichts . Sie haben nichts
anzubieten, weil es nicht in Ihre Ideologie passt .
({10})
Ich bin allen Familien dankbar, die Berufstätigkeit und
Kinder schaffen . Ich schätze aber auch in gleichem Maße
alle Familien, die merken, dass es zu viel ist, und dann
teilweise auf Arbeitsstunden zugunsten von Kindern verzichten . Auch dafür bräuchten wir das Betreuungsgeld .
({11})
Die Mehrheit der jungen Menschen im Süden und
Westen - wahrscheinlich nicht nur dort - will mehr Kinder und auch mehr Zeit für ihre Familien . Ich bin überzeugt, dass die Attraktivität von Politik und Parteien
größer wird, wenn eine Politik gemacht wird, in der das
Betreuungsgeld gewährt und auch Mehrkindfamilien gefördert werden .
({12})
Es gibt nicht das eine Modell Familie . Eltern kennen ihre
Kinder am besten . Nur sie können entscheiden, welche
Betreuung zu ihren Kindern und zu ihrer aktuellen und
individuellen Lebenssituation passt .
({13})
Alle Familien sollten bei ihren Entscheidungen - sei es
für eine staatliche oder eine häusliche Betreuung und
Förderung ihrer Kinder - durch die Politik auch finanziell unterstützt werden, und zwar möglichst in allen Bundesländern .
({14})
Statt den vorliegenden Anträgen der Opposition zuzustimmen, fordere ich die Landesregierungen - vor allem
in Stuttgart, aber auch in allen anderen Bundesländern auf, das von der Bevölkerung gewollte und akzeptierte
Betreuungsgeld auf Landesebene den Familien zur Verfügung zu stellen .
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({15})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Dr . Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir sind froh,
dass das Thema Betreuungsgeld durch ist, und es ist gut,
dass es durch ist .
({0})
- Ich glaube, es ist gut, dass es durch ist, und es ist durch .
Wir werden das Thema bestimmt in Wahlkämpfen haben . In Baden-Württemberg tut uns die CDU den Gefallen, das Betreuungsgeld zu fordern . Das ist ein gutes Rezept für die Großstädte in Baden-Württemberg . Es wird
im baden-württembergischen Wahlkampf natürlich eine
Auseinandersetzung darüber geben, was man mit den
Geldern aus dem Betreuungsgeld macht . Ich kann Ihnen
jetzt schon sagen, lieber Kollege aus Biberach: Das Geld
wird, zumindest wenn die jetzige Koalition fortgesetzt
wird, in die Kitas fließen. Denn ich habe, ehrlich gesagt,
das Gefühl, dass die Debatte, die wir über das Betreuungsgeld geführt haben - wir führen sie auch jetzt wieder -, von den Bedürfnissen der Familien total ablenkt .
({1})
Schauen wir uns die aktuelle Lage an . Von Frau
Schwesig wurde heute schon gefordert, dass jedes
Flüchtlingskind einen Platz in einer Kita braucht . Das ist
die Herausforderung, die es aktuell zu stemmen gilt, um
sicherzustellen, dass dort von Anfang an Chancengleichheit garantiert wird .
({2})
Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann stellt man
fest: Von den derzeit zu erwartenden 800 000 Asylsuchenden - vielleicht sind es auch mehr - sind ungefähr
110 000 Kinder im Alter von unter sechs . Wenn man das
umrechnet und annimmt, dass nur 90 Prozent der Dreijährigen und über Dreijährigen und nur 30 Prozent der
unter Dreijährigen in eine Kita gehen, weiß man, dass
man auf jeden Fall bzw . mindestens 68 000 Plätze extra braucht . Wenn man also von 800 000 Asylsuchenden
ausgeht, dann braucht man schon allein für diese Kinder
zusätzliche 68 000 Plätze . Das sind ziemlich viele Plätze .
Sie kommen bei den 185 000 Plätzen, die wir sowieso
brauchen, weil sie schon vorher fehlten, on top . So viel
zum Ausbau .
Das heißt, hier brauchen wir zusätzliche Gelder . Ich
bin mir nicht sicher, ob das Geld, das jetzt an die Länder
fließt, dafür reichen wird, und da sprechen wir noch gar
nicht von der Qualität, die wir vor Ort brauchen, zum
Beispiel im Hinblick auf die Sprachförderung . Herr
Felgentreu, Sie haben jetzt von 400 Millionen Euro extra
gesprochen, die es on top geben soll . Vor zwei Wochen
haben wir vom Ministerium die Antwort bekommen,
dass es keine Aufstockung gibt . Wenn Sie jetzt sagen, es
kommen 400 Millionen Euro extra, dann sehen wir das
natürlich mit Freude .
({3})
Ich glaube, dass das genau die Gelder sind, die jetzt in die
Sprachförderung und in die Qualität der Kitas vor Ort zu
investieren sind . Das hilft nämlich allen . Dann braucht
man auch nicht zwischen Flüchtlingskindern und Kindern, die schon länger hier leben, zu differenzieren .
({4})
Wir brauchen Ganztagsangebote - auch das ist ein
Punkt, der unserer Meinung nach noch zu kurz kommt und eine Debatte über das Kitaqualitätsgesetz. Wenn wir
bei der Diskussion den Blick nach vorne richten, sehe
ich immer noch eine große Herausforderung vor uns,
auf die wir noch keine Antworten haben . Die Arbeitsgruppen sollen erst Ende 2016 einen Zwischenbericht
liefern . Das heißt, in dieser Legislaturperiode passiert
bei diesem Thema nichts. Ich finde es eigentlich sehr
schade, dass man mit dem Signal „Das Betreuungsgeld
ist weg“ jetzt nicht stärker das nächste Thema angeht .
Das ist nämlich die Erhöhung der Kitaqualität durch
ein Kitaqualitätsgesetz. Ich hoffe, dass wir von Frau
Schwesig noch etwas mehr dazu bekommen werden als
nur die Einrichtung von Arbeitsgruppen und irgendwelche Zwischenberichte kurz vor der nächsten Wahl . Wir
brauchen hier echte Ergebnisse, durch die vor Ort etwas
verändert wird .
({5})
Erlauben Sie mir, noch einmal auf Bayern zurückzukommen . Ich kann wirklich nur hoffen, dass das Betreuungsgeld in Bayern nicht dazu führen wird, dass es in den
Kitas weniger Geld für die Flüchtlinge geben wird, die zu
uns kommen werden .
({6})
Wie der Kollege gerade gesagt hat, ist Prinzip der CSU
eigentlich immer „Sachleistungen vor Geldleistungen“ .
Es ist interessant, dass das gerade hier jetzt nicht gilt .
({7})
Auch hier muss gesagt werden: Die Kitas, die die Integration ermöglichen, brauchen diese Hilfe . Ich hätte es
gerne, wenn sich die CDU und die CSU an ihre eigenen
Vorschläge halten würden .
Ich danke Ihnen .
({8})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Gudrun Zollner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Im heute vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke lese ich
von wandelnden „Bedingungen für die Gründung von
Familien“, wandelnden Bedingungen für das „Leben
mit Kindern“ und wandelnden Bedingungen für eine
„moderne Familienpolitik“ . Natürlich wandeln sich die
Lebensbedingungen, aber die Bindung zwischen Mutter
und Kind wandelt sich nicht .
({0})
Ich freue mich immer wieder, wenn ich Kolleginnen
begegne, die ihren Babybauch ganz stolz zeigen, und ich
bin mir sicher, dass jede junge Mutter ihr Kind gleich
nach der Geburt und in der frühen Lebensphase nur ungern in fremde Obhut gibt . Die Mutter-Kind-Bindung in
dieser Zeit ist mit nichts zu vergleichen und durch nichts
zu ersetzen . Bitte hören Sie auf, den jungen Müttern mit
Schlagwörtern wie „Heimchen am Herd“ und „HerdpräDr. Franziska Brantner
mie“ ein schlechtes Gewissen oder Schuldgefühle einzureden, wenn sie sich dazu entschließen, mit den Kindern
zu Hause zu bleiben und die Erziehung selbst zu übernehmen .
({1})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen
ein klares Bekenntnis pro Familie, wir brauchen Wertschätzung, und wir brauchen Anerkennung für die großartige Leistung, die Familien durch Erziehungsarbeit erbringen .
({2})
Der wichtigen frühkindlichen Bildung steht doch
nichts im Wege, wenn ich mein Kind im Alter von drei
Jahren in einen Kindergarten gebe .
({3})
Es ist dann immer noch genug Zeit zum Erlernen von
sozialen Kompetenzen und für die Sprachförderung, bevor das Kind in die Schule kommt . Unsere Erzieherinnen
in den Kitas leisten hervorragende, qualifizierte Arbeit,
die man mit der Betreuung in früheren Zeiten überhaupt
nicht mehr vergleichen kann .
({4})
Natürlich gibt es gute Gründe, die Angebote an Kindertageseinrichtungen in Anspruch zu nehmen . Besonders Alleinerziehende sind darauf angewiesen . Wenn sich
eine Frau für Kind und Karriere entscheidet, dann freut
mich das umso mehr . Es macht doch keinen Sinn - ich
persönlich finde es unfair -, Mütter, die zu Hause bleiben, und Mütter, die frühzeitig wieder zur Arbeit gehen,
gegeneinander auszuspielen .
({5})
Genauso wenig macht es Sinn, das Betreuungsgeld
und den Kitaausbau gegeneinander auszuspielen . Wir
brauchen beides . Das ist moderne Familienpolitik .
({6})
Hören wir endlich auf, in Schwarz und Weiß zu denken
und nur über Richtig oder Falsch zu debattieren .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir in der
Union waren immer für eine echte Wahlfreiheit der Familien . Wir setzen für beide Modelle Anreize und haben
beide Seiten im Blick . Wir sind uns der Erziehungsleistungen der Eltern bewusst .
({7})
Unsere Intention war es daher immer, mit dem Betreuungsgeld denjenigen Eltern eine Anerkennung für
die heimische Erziehungsleistung zukommen zu lassen,
die nicht auf staatliche Einrichtungen zurückgreifen . An
dieser Zielsetzung hat sich bei uns auch durch das Urteil
des Bundesverfassungsgerichts nichts geändert .
({8})
Das Betreuungsgeld ist mit der Begründung für nichtig
erklärt worden, dass dem Bund die Gesetzgebungskompetenz hierfür nicht zusteht . Zur materiellen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hat das Gericht dagegen nichts
geäußert . Nur die Zuständigkeit wurde geändert, nicht
mehr und nicht weniger .
({9})
Es ist daher nur richtig, dass die freiwerdenden Mittel aus dem Betreuungsgeld nun den Ländern zur Verfügung gestellt werden, um bedarfsgerechte Maßnahmen
zur Verbesserung der Kinderbetreuung umzusetzen . Wir
werden genau darauf achten, wie die Länder diese Gelder
verwenden . Deshalb fordern wir die Bundesregierung in
unserem Entschließungsantrag auf, darzustellen, wofür
die Länder diese Mittel einsetzen .
({10})
Der Freistaat Bayern geht mit gutem Beispiel voran .
({11})
Der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung ist in
Bayern erfüllt; denn Bayern investiert in eine gute und
ausgewogene Familienpolitik . Hier nur einige Zahlen aus
den letzten Jahren: Rund 1,5 Milliarden Euro sind für den
Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige ausgegeben worden . Seit 2013 wurden jährlich 30 Millionen
zusätzlich für Bildung und Erziehung für Kinder unter
drei Jahren, einen personellen Zuwachs von 53 Prozent
für den quantitativen und qualitativen Ausbau und rund
7 Millionen Euro staatliche Förderung zur Qualifizierung
„Fachkraft in Kindertageseinrichtungen“ zur Verfügung
gestellt . Auch die Sprachförderung ist Bayern wichtig . Der Einsatz von Sprachberatern in Kitas wurde mit
11,8 Millionen Euro gefördert . Insgesamt übernimmt der
Freistaat Bayern 53 Prozent der für die Kinderbetreuung
notwendigen Mittel . In anderen Bundesländern sind es
durchschnittlich 39 Prozent . Das zeigt, es geht beides:
Betreuungsgeld und Kitaausbau .
({12})
Weder die Parteien noch der Staat sollen Familien
bevormunden . Familien entscheiden selbst über ihre Lebensplanung . Deswegen soll die reale Wahlmöglichkeit
zwischen Betreuungsplatz und Betreuungsgeld
({13})
gegeben sein . Deswegen macht es Sinn, die freiwerdenden Mittel den Ländern zur Verfügung zu stellen . Wir
sind davon überzeugt: Das Geld gehört den Familien,
und zwar allen,
({14})
egal für welches Familienmodell sie sich entscheiden .
Bei uns in Bayern wird es ein Landesbetreuungsgeld
geben . Die Vorbereitungen laufen . Es wird sich zeigen,
wie andere Bundesländer ihre dort lebenden Familien
unterstützen . Es wird sich zeigen, ob diejenigen, die jetzt
am lautesten davon sprechen, die Kinderbetreuung unterstützen, die Mittel auch tatsächlich für Verbesserungen
für alle Familien einsetzen .
Wir lehnen eine Bevormundung der Väter und Mütter
ab .
({15})
Deshalb lehnen wir auch den vorliegenden Gesetzentwurf sowie die Anträge ab .
Vielen herzlichen Dank .
({16})
Vielen Dank . - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr . Dorothee Schlegel für
die SPD-Fraktion .
({0})
Vielleicht darf ich alle bitten, den Geräuschpegel etwas zu senken .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal freue ich mich - gemeinsam mit Kollegen Felgentreu - darüber, dass wir heute nicht mehr über
das Betreuungsgeld debattieren müssen, sondern endlich
über die Frage diskutieren können: Wohin mit dem freiwerdenden Geld? Wir können nun noch präziser darüber
diskutieren, an welchen Stellen wir Kinder am besten unterstützen können .
Danke übrigens an unsere Familienministerin Manuela
Schwesig, die beharrlich und letztendlich erfolgreich dafür gekämpft hat, dass die Mittel bei den Familien bleiben und nicht in den allgemeinen Bundeshaushalt gehen .
({0})
Die Gelder stehen nun den Ländern für Ausbau und
Verbesserung der Kinderbetreuung zur Verfügung . Dieses absolut nicht kinderleichte Milliardenpaket - ich
mache jetzt keine mathematischen Spielchen - motiviert
dazu, in der Kinderbetreuung weitere qualitative Schritte
zu gehen . Wohin genau, wissen bei genauer Bestandsaufnahme und Betrachtung das Bundesland, die Kommune,
die jeweiligen Träger und vor allem Erzieherinnen, Eltern und Kinder . Braucht also eine Kommune einen Ausbau oder eine Renovierung der Kita? Geht es um neues
Spielzeug, bessere Stühle, einen Herd oder gar eine ganz
neue Küche? Brauchen die Kinder Sprachförderung oder
Bewegungsangebote? Oder brauchen Eltern mehr Beratung oder die Fachkräfte mehr Zeit für die Kinder? Nicht
alles muss zentral geregelt werden . Aber der vom Bund
angestoßene Kitaqualitätsprozess hat bereits Kreise gezogen . Er begann übrigens vor der Einführung und auch
unabhängig vom Betreuungsgeld .
({1})
Gleiche Lebensverhältnisse für alle zu schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen zu meiner Linken, ist ein
hehres Ziel . Unsere Regionen, die Kinder, deren Förderund Lernbedürfnisse und deren Eltern sind zu verschieden, ob Stadt oder Land, ob Nord, Süd, Ost oder West .
Auch in vielen anderen Bereichen wird eine Angleichung
schwer . Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir bundesweite Mindestqualitätsstandards formulieren.
({2})
Unabhängig vom Betreuungsgeld haben wir zwischenzeitlich einiges erreicht, zum Beispiel die Einführung des
Elterngeldes Plus oder die des Kita-Plus-Programms,
das jetzt angelaufen ist . Die teilnehmenden Kitas können ihre Öffnungs- und damit Betreuungszeiten flexibler
gestalten . Zielgruppen sind unter anderem Schichtarbeiterinnen und Schichtarbeiter, Berufsrückkehrerinnen,
Selbstständige sowie Berufsgruppen, deren Arbeitszeiten
außerhalb der üblichen Kitaöffnungszeiten liegen . Zielgruppe sind auch Alleinerziehende . Gerade für Alleinerziehende - sie machen selbst in meinem ländlichen
Wahlkreis in Baden-Württemberg annähernd 20 Prozent
aus, darunter sind übrigens ein Fünftel Väter - sind diese
Öffnungszeiten eine große Entlastung .
({3})
Sehr geehrte Damen und Herren, festzuhalten bleibt:
Der flächendeckende Ausbau der Kinderbetreuungsangebote ist ein Erfolg der SPD . Mein Bundesland, sehr
geehrter Herr Kollege Rief, hat nach dem Regierungswechsel hin zu Grün-Rot im Jahre 2011 enorm aufgeholt .
({4})
Das war nicht schon 2008, sondern erst 2011 . Von einem
der letzten Plätze gestartet, haben wir mittlerweile bundesweit den besten Betreuungsschlüssel .
({5})
Auf diesen Erfolgen wollen wir uns aber nicht ausruhen, weder auf Landes- noch auf Bundesebene . Die Weichen sind nun gestellt . Die Verhandlungen waren nicht
leicht . Und es gibt in Sachen Qualität noch viel zu tun,
aber bitte ein Schritt nach dem anderen .
Zum Schluss möchte ich ein aktuelles Papier der
Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem Titel erwähnen:
„Wie viel Mutter braucht das Kind?“ Es unterstützt unseren Weg . Darin heißt es: Gute Kitas ermöglichen neue
Lernerfahrungen,
({6})
fördern kognitive, sprachliche und soziale Fähigkeiten .
Auch für jüngere Kinder wird eine hochwertige Betreuung bis zu 30 Stunden pro Woche für förderlich erachtet .
({7})
Nebeneffekt ist übrigens - auch das steht in dieser Studie -, dass die Betreuung positive Folgen für die Berufstätigkeit von Frauen und die Entwicklung der Kinder
habe .
Schön, dass all diese Entwicklungen durch die zusätzlichen Mittel einen weiteren Schub bekommen .
({8})
Damit können wir möglichst allen Kindern die Schritte in
ihre Zukunft wesentlich leichter machen .
Herzlichen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der
Fraktion Die Linke zur Aufhebung des Betreuungsgeldes . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6200, den Gesetzentwurf der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5 abzulehnen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
abgelehnt . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung .
({0})
Wir setzen die Abstimmung fort .
({1})
- Ich bitte um etwas Ruhe .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Ab-
stimmung zu der Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/6200 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6041
mit dem Titel „Betreuungsgeld für den Kitaausbau nut-
zen“ . Die Fraktion Die Linke hat namentliche Abstim-
mung verlangt . Bevor wir zur Abstimmung kommen,
möchte ich darauf hinweisen, dass wir auch zu dem an-
schließend folgenden Tagesordnungspunkt 11 eine na-
mentliche Abstimmung durchführen werden .
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer,
ihre Plätze einzunehmen . - Sind alle Plätze an den Urnen
besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall . Ich eröffne die Ab-
stimmung über Buchstabe b der Beschlussempfehlung zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke .
Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimmkarte
noch nicht abgeben konnte? - Haben alle ihre Stimmkar-
ten abgegeben? - Ich sehe jetzt niemanden mehr . Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung der Stim-
men zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben .1)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen jetzt
noch eine weitere Abstimmung durchführen . Ich darf Sie
bitten, Platz zu nehmen . Wer unbedingt noch etwas bereden muss, macht das bitte außerhalb des Saales . Das gilt
auch für die Regierungsmitglieder .
Ich darf noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit bitten; denn wir setzen jetzt die Abstimmungen zur Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6200 fort . Unter
Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6063 mit dem Titel „Betreuungsgeld in Kitas
investieren“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen
Drucksache 18/6160
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({2})
Drucksache 18/6438
Über den Gesetzentwurf wird später namentlich abgestimmt . Ich weise Sie darauf hin, dass zur Annahme des
Gesetzentwurfs nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit - das sind 316 Stimmen erforderlich ist .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Hermann Färber, CDU/CSU-Fraktion .
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren!
Warten Sie noch ganz kurz, Herr Kollege . - Ich bitte
Sie, jetzt ein bisschen Rücksicht zu nehmen . Diejenigen,
1) Ergebnis Seite 12981
die sich noch unterhalten möchten, tun das bitte außerhalb des Saales . Denn der Kollege Färber hat es verdient,
dass wir ihm zuhören . - Danke schön .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf zur Umsetzung des neuen Agrarmarktrechts der
Europäischen Union . Die von der EU beschlossene Verordnung zur gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte
umfasst insgesamt 183 Seiten des EU-Amtsblattes . Sie
besteht aus 207 Erwägungsgründen, 232 Artikeln und
14 Anhängen . Dazu kommen noch zahlreiche Durchführungsverordnungen und delegierte Rechtsakte . Meine
Damen und Herren, Sie sehen: Entbürokratisierung bei
der europäischen Agrarpolitik ist und bleibt dringend
notwendig .
Aber nun zum Inhalt: Die Reform der gemeinsamen
Marktordnung geht grundsätzlich in die richtige Richtung . Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass in einem
globalisierten Markt, wie wir ihn haben, direkte Interventionsmechanismen wie staatliche Mengenregulierung
nicht zufriedenstellend funktionieren . Sie mussten auch
in der Vergangenheit immer wieder geändert und nachjustiert werden, und letztlich waren diese staatlichen Regelungen immer zu langsam oder nicht spezifisch genug,
oder es wurde das eigentliche Ziel durch politische Kompromisse am Ende verfehlt .
Die Milchmengenregelung ist nur ein Beispiel dafür:
Trotz mehr als 40 Änderungsverordnungen in 30 Jahren
wurde nie das erreicht, was man sich zuvor davon erhofft
hatte . Deshalb gilt grundsätzlich auch für Lebensmittel:
In normalen Zeiten ist der Markt der beste Mechanismus
zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage . Diese Orientierung am Markt ist richtig und wichtig . Trotzdem
muss die Politik im Fall von Marktstörungen noch Möglichkeiten zum Eingreifen haben .
({0})
Das setzen wir heute um . Es gibt Marktstörungen, die
nicht auf Überproduktion oder normalem Nachfragerückgang beruhen . Im Gesetzentwurf sind solche Fälle
ausdrücklich genannt . Es handelt sich zum Beispiel um
Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung von Tierseuchen oder Marktstörungen, die auf einem akuten Vertrauensverlust bei den Verbrauchern infolge von Risiken
für die menschliche, tierische oder pflanzliche Gesundheit zurückzuführen sind . Wir alle kennen solche Fälle
der Berichterstattung über Risiken, zum Beispiel über
EHEC-Bakterien bei Biosprossen oder vermeintliche Risiken wie Dioxinfunde in Eiern . In den Medien wird von
einem Einzelfall berichtet . Der Verbraucher verallgemeinert dies, und die gesamte Branche kann ihre Produkte
über einen gewissen Zeitraum hinweg nahezu gar nicht
mehr verkaufen, und das, obwohl die weit überwiegende Zahl der Erzeuger überhaupt nicht von dem konkreten Problem betroffen ist . Ein anderer Fall, bei dem die
EU-Kommission schon tätig geworden ist, sind die russischen Sanktionen im Agrarsektor . Auch hier liegt eine
Marktstörung vor .
Dass Politik in solchen Fällen reagieren kann, ist aus
zwei Gründen wichtig . Zum einen ist jedem klar: Die
Versorgung mit Lebensmitteln muss auf jeden Fall gesichert werden . Zwar ist es für unsere Wirtschaft auch
schädlich, wenn etwa Zulieferteile für Autos nicht rechtzeitig geliefert werden können . Aber die Ernährung unserer Bevölkerung hat noch immer einen wesentlich höheren Stellenwert .
({1})
Aus diesem Grund sind hier Sicherheitsnetze für den
Ausnahmefall unverzichtbar .
Die Landwirtschaft in Deutschland genügt den weltweit höchsten Standards, was Umweltschutz und Qualität der Lebensmittel angeht . Darum halten wir an unserem Leitbild der bäuerlichen Landwirtschaft fest, das
getragen ist von den Landwirten und ihren Familien vor
Ort . Das wollen wir dauerhaft sichern . Dazu benötigen
wir politische Handlungsmöglichkeiten in Krisenfällen,
auch zur Sicherung dieser von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung gewünschten bäuerlichen Struktur .
Wir können diese Strukturen und das damit zusammenhängende Landschaftsbild nur dann erhalten, wenn die
Produktion in unserem Land bleibt und nicht ins Ausland
verlagert wird .
({2})
Ein wichtiger Ansatz im Gesetz ist die Möglichkeit,
dass in Krisenfällen nicht nur der Staat handeln darf, sondern auch Agrarerzeugerorganisationen Absprachen treffen dürfen . So können sie sich zum Beispiel auf Marktrücknahmen oder die kostenlose Verteilung der Produkte
einigen und gemeinsame Absatzfördermaßnahmen oder
Qualitätsanforderungen beschließen . Das Wichtigste ist:
Dazu können sie zeitlich befristet vom Kartellverbot freigestellt werden . Diese Einbindung der direkt Betroffenen
in die Problembewältigung ist nur zu begrüßen .
Die Unionsfraktion stimmt deshalb dem vorliegenden
Gesetzentwurf zu, und wir bitten auch Sie um Ihre Zustimmung .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Bevor ich der nächsten Rednerin das
Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene
Stimmen 577 . Mit Ja haben gestimmt 461, mit Nein 60,
Enthaltungen 56 . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen .
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 577;
davon
ja: 461
nein: 60
enthalten: 56
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Dr . Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E . Fischer
({2})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({3})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Florian Hahn
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr . Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({5})
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({7})
Stefan Müller ({8})
Dr . Gerd Müller
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({10})
Gabriele Schmidt ({11})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({12})
Dr . Kristina Schröder
({13})
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster
({14})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Erika Steinbach
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({15})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({16})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({17})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({18})
Sabine Weiss ({19})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({20})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({21})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({22})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({23})
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christian Lange ({24})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({25})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({26})
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({27})
Florian Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({28})
Susann Rüthrich
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({29})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({30})
Matthias Schmidt ({31})
Dagmar Schmidt ({32})
Carsten Schneider ({33})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({34})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Gabi Weber
Bernd Westphal
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
Nein
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({35})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann
({36})
Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn ({37})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({38})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder, Fraktion Die Linke .
({39})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit,
die Existenzgrundlagen derjenigen besser zu schützen,
die uns mit Lebensmitteln versorgen . Wenn dies mithilfe der seit dem 1 . Januar 2014 geltenden Gemeinsamen
Marktorganisation der EU ermöglicht wird, muss dies
endlich auch in deutsches Recht umgesetzt werden .
({0})
Herr Färber, der Markt wird es schon richten . - Genau
das ist der falsche Ansatz . Dann brauchten wir diese gemeinsame Ordnung nicht .
Die Bäuerinnen und Bauern sind heute mehr denn je
den Fliehkräften eines globalen Marktes ausgeliefert .
Die Profitgier großer lebensmittelverarbeitender Konzerne und Handelsunternehmen macht auch vor den Ställen
und Äckern nicht halt . Der Druck auf die Erzeugerpreise
ist enorm . Da kann die kleinste Schwankung die Existenz
eines landwirtschaftlichen Betriebes gefährden .
({1})
Künftig können die EU und die deutsche Regierung
die Betriebe unterstützen, wenn außergewöhnliche Umstände eintreffen . Dazu gehören Auswirkungen von
Tierseuchen oder die Beeinträchtigung durch Lebensmittelskandale, Ernteausfälle oder auch die großen Preisschwankungen, wie sie durch die Russland-Sanktionen
verursacht wurden . Abgesehen vom Wetter sind jedoch
die allermeisten außergewöhnlichen Ereignisse hausgemacht . Preisschwankungen fallen meist nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis einer neoliberalen Politik, die in erster Linie die kurzfristige Profitmaximierung
großer Konzerne bedient und auch nicht vor Spekulationen mit Lebensmitteln haltmacht .
Die Milchpreise sind im Keller, weil dieser Bundesregierung die Globalisierung heiliger ist als die Kuh . Die
Erzeugerpreise sind im Keller, weil ein marktmächtiges
Oligopol den Lebensmitteleinzelhandel beherrscht und
den Betrieben Dumpingpreise für ihre Erzeugnisse abnötigt . Das Aldi-Prinzip ist zynisch und unmoralisch .
({2})
So geht man nicht mit hart arbeitenden Bäuerinnen und
Bauern und auch nicht mit unser aller Lebensgrundlage,
den Lebensmitteln, um . Das Kartellrecht muss endlich so
gestaltet werden, dass die Marktmacht der großen Supermarktketten gebrochen wird .
({3})
Die Linke sagt: Die Regierung und das Parlament
müssen für Fairness zwischen Erzeugern und Handel
sorgen . Selbst der Boden, die Grundlage jedes landwirtschaftlichen Betriebs, ist Preisspekulationen und Immobilienspekulanten ausgeliefert . Wenn der Boden, seine
Bewirtschaftung und die Lebensmittelerzeugung globalen Profitinteressen zu folgen haben, hat das nichts mehr
mit den Menschen vor Ort zu tun . Dann stirbt der ländliche Raum, und dann ist das nicht mehr unser Land .
Die Linke will deshalb mehr regionale Wertschöpfung,
({4})
von der Erzeugung über die Verarbeitung bis hin zu den
Verbraucherinnen und Verbrauchern . Die Bundesregierung preist stattdessen den Agrarexport als das Allheilmittel . Fleisch und Milch sollen auf der Suche nach
höchstem Profit rund um den Globus geschickt werden.
Wir haben es hier aber nicht mit Fernsehern oder Handys zu tun . Die allermeisten Lebensmittel könnten dort
erzeugt und verarbeitet werden, wo sie benötigt werden
und wo wir sie essen wollen . Lebensmittel müssten nicht
Zigtausende Transportkilometer hinter sich bringen, um
den Bedarf einer Bevölkerung zu decken .
({5})
Doch die Marktgläubigkeit der Bundesregierung
kennt keine Grenzen . Mit den sogenannten Freihandelsabkommen zwischen Europa und Nordamerika - CETA,
TTIP und Co . - sollen weitgehende Sonderrechte für internationale Konzerne geschaffen werden . Ich sage Ihnen voraus: Weder kleine oder mittelständische Betriebe noch die Verbraucherinnen und Verbraucher werden
davon profitieren, dass der Schwarzwälder Schinken
künftig aus Texas kommt . Ich sage Ihnen auch voraus:
Die außergewöhnlichen Maßnahmen, die wir heute beschließen, werden durch diese Abkommen für die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland zur Regel und
zur Notwendigkeit .
Die Notwendigkeit zur Änderung der Agrarmarktbestimmungen in der EU weist uns auf drei Dinge hin:
Erstens . Wenn es um unser Essen geht, müssen wir die
Kirche und den Markt im Dorf lassen .
({6})
Zweitens . Globalisierungsgläubige Agrarpolitik rechnet
sich nicht . Drittens . Finger weg von CETA, TTIP und Co .
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist der Kollege Dr . Wilhelm Priesmeier .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ach, Frau
Binder, hätten Sie doch die Kirche im Dorf gelassen .
Dann hätten Sie heute etwas Gutes getan .
({0})
Ich frage mich allen Ernstes, was die Umsetzung der gemeinsamen Marktordnung in deutsches Recht - mit dem
ermöglichen wir erst die Anwendung in Krisensituationen ({1})
mit TTIP und globalisierten Märkten zu tun hat . Ich glaube, nicht so besonders viel .
({2})
Wir sind gehalten, für das geltende EU-Recht, das seit
dem 1 . Januar 2014 in Kraft getreten ist und das an sich
sowieso schon gilt, die Voraussetzungen zu treffen, damit im Krisen- und im Notfall dieses Recht in Deutschland anwendbar gemacht werden kann . Dazu bedarf es
letztendlich auch der Umsetzung des Artikels 220 der
EU-Verordnung Nr . 1308/2013 . Darauf bezieht sich im
Wesentlichen der Gesetzentwurf, den wir heute hier beraten .
Die Anwendung ist auf nationaler Ebene zu regeln .
Im Wesentlichen geht es darum, dass wir Verordnungsermächtigungen des Marktorganisationsgesetzes, des
Agrarmarktstrukturgesetzes und des Weingesetzes entsprechend anpassen - um nicht mehr, aber auch um nicht
weniger .
Ich glaube, dass wir gut daran tun, diesen Gesetzentwurf in diesem Hause mit breiter Mehrheit zu verabschieden . Ich glaube, es hat selten einen Gesetzentwurf
gegeben, der in namentlicher Abstimmung mit so großer
Mehrheit angenommen wird . Die Bundesländer haben
sich im Bundesrat dazu nach meinem Kenntnisstand poKarin Binder
sitiv geäußert . Es hat keinen Widerspruch gegeben, auch
nicht aus dem Land Thüringen, wo die Linke die Landwirtschaftsministerin stellt . Insofern kann ich die Aufgeregtheiten hier heute überhaupt nicht verstehen .
({3})
Diese gesetzliche Regelung hat an sich nichts mit
mächtigen Monopolen und auch nichts mit Dumping
zu tun . Es geht darum, dass wir im Weiteren natürlich
auch bestimmte Vorgaben, sei es die Bezeichnung der
Bundesministerien, seien es entsprechende Vorschriften zum Datenschutz, anpassen . Es geht also um ganz
banale Dinge, die nicht zu Aufgeregtheiten taugen . Das
Marktorganisationsgesetz bedarf der Zustimmung der
Mehrheit des Deutschen Bundestages, weil wir mit diesem Gesetz die Möglichkeit schaffen, im Krisenfall, der
in absehbarer Zeit hoffentlich nicht eintritt, zum Beispiel
die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung,
BLE, oder auch die Bundesfinanzverwaltung mit der
Durchführung entsprechender Maßnahmen zu betrauen, und das in einem vereinfachten Verfahren, ohne die
Bundesländer dabei anzuhören . Auf der Grundlage von
Artikel 87 Absatz 3 unseres Grundgesetzes ist dafür die
Kanzlermehrheit erforderlich . Dieses Thema bietet wenig Raum, um sich hier partei- oder sonst wie politisch
zu positionieren . Es hat im Regelfall einen überwiegend
technischen Charakter .
Die Marktordnungsmaßnahmen sind zu gegebener
Zeit notwendig . Wir haben das gesehen . Der Kollege
Färber hat das eben schon einmal erwähnt . Im Hinblick
auf das russische Embargo hat es in bestimmten Bereichen, vor allen Dingen in den baltischen Ländern, Störungen des Milchmarktes vor Ort gegeben . Da ist das zur
Anwendung gekommen, aber auch nur bezogen auf diese
einzelnen Mitgliedstaaten . Voraussetzung ist immer, dass
ein Mitgliedstaat die Möglichkeiten des EU-Rechts in einer solchen Situation nutzt .
Ich erinnere noch einmal daran, wie es bei uns war, als
wir es mit der Vogelgrippe zu tun hatten . Damals haben
14 EU-Mitgliedstaaten diese Möglichkeit in Anspruch
genommen . Damals war der Markt kurz vor dem Zusammenbruch . Das schützt die Produzenten davor, dass sie
kurzfristig in Schwierigkeiten und in existenzielle Probleme geraten . Damals ging es darum, dass wir vorzeitig Zuchttiere oder auch legereife Hennen geschlachtet
haben, um das Angebot zu verringern . Das alles sind
Maßnahmen, die zulässig sind . Zu gegebener Zeit sollte
man sie auch ergreifen . Der EU-Haushalt trägt dazu bei,
dass diese Möglichkeiten genutzt werden können; denn
die Maßnahmen, die auf nationaler Ebene in Kraft gesetzt werden können, werden im Regelfall zu 60 Prozent
aus dem EU-Haushalt über den normalen Rahmen hinaus
mitgetragen .
Ein weiteres Beispiel ist die BSE-Krise; der ein oder
andere mag sich noch daran erinnern . Damals war es
unerlässlich, diese Regelungen anzuwenden, weil sonst
Ähnliches wie bei der Vogelgrippe in den Märkten passiert wäre und viele Betriebe in akute wirtschaftliche Gefahr geraten wären .
Im Grundsatz kann man sich über Marktordnungen
natürlich streiten . Wir haben die Marktordnungen einmal
eingeführt, um die Europäer mit qualitativ hochwertigen
Lebensmitteln dauerhaft versorgen zu können . Das war
in den 50er-Jahren . Zwischenzeitlich ist die agrarische
Produktion gewachsen, und zwar auf ein Maß, das wir
uns damals nicht vorstellen konnten . Wir haben diese
Politik begonnen, weil die marktregulierenden Eingriffe letztendlich bis 1992 zu teuer geworden sind: Fast
70 Prozent des europäischen Haushaltes wurden für entsprechende Subventionen und Marktordnungsmittel ausgegeben . Dem mussten wir entgegensteuern .
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es relativ wenige Ansätze für Marktordnungseingriffe . Diese Eingriffe entsprechen im Regelfall nicht mehr dem, was wir kennen:
Beispielsweise ist das Dumping 2007 mit der Abschaffung der Exporterstattung weggefallen . Auch das stellt
also keine Gefahr mehr dar, Frau Binder - sie ist nicht
mehr da . Jetzt müssen Sie einmal schauen, wie das denn
in der Vergangenheit war .
Ich glaube, Markt, auch der Agrarmarkt, braucht klare
Vorgaben . Wir bewegen uns in einem Umfeld, in dem
die europäische Landwirtschaft, gerade auch unsere
Landwirtschaft, zunehmend durch Wettbewerb geprägt
ist . Da brauchen wir keine Angst zu haben . Wir brauchen
entsprechende Eingriffe nicht mehr unmittelbar . Mir ist
auch nicht bange um die Entwicklung der deutschen
Landwirtschaft und der deutschen Agrarwirtschaft .
Hier ist als Möglichkeit erwähnt worden, lokale Produktion, lokale Vermarktung zu fördern . Dazu sage ich
letztendlich: D’accord! Dagegen gibt es nichts zu sagen . - Aber ich hoffe einmal, dass Marktordnungen in
Zukunft - zu der Einschätzung kommt man, wenn man
sich die Situation insgesamt anschaut - eine noch geringere Rolle spielen als heute .
Im Prinzip wollen wir uns nicht vom Weltmarkt abschotten . Wir tun das aber in Teilen noch; das ist auch
Bestandteil dieser Marktordnung . Man könnte vielleicht
einmal darüber nachdenken, ob wir uns bestimmten Ländern verstärkt öffnen . Aber es gibt natürlich auch andere
Bedingungen, die man zu berücksichtigen hat: Es gibt
das Tierseuchenrecht, es gibt SPS-Abkommen . Beide
schützen uns davor, dass Krankheiten eingeschleppt werden . All das muss man im Hinterkopf haben . Aber eine
pauschale Verurteilung von Marktordnungen kann ich
nicht nachvollziehen .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege
Friedrich Ostendorff, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit Januar 2014 gilt die neue EU-Verordnung zur Gemeinsamen Marktorganisation für landwirtschaftliche
Erzeugnisse . Diese Verordnung regelt unter anderem die
Umsetzung möglicher Maßnahmen, um auf Marktkrisen, zum Beispiel durch erhebliche Preisrückgänge, zu
reagieren . Wir Grüne stimmen dem vorliegenden Gesetzentwurf zu,
({0})
auch deshalb, damit das Gesetz endlich in Kraft tritt .
({1})
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz stehen
Sie, Herr Minister Schmidt - er muss allerdings gerade
Haushaltsgespräche mit Eckhardt Rehberg führen -,
({2})
aber auch in der Verantwortung, die Ihnen gegebenen
Möglichkeiten jetzt endlich einmal zu nutzen . Viele
von uns wissen doch, wovon ich spreche . Die augenblickliche Situation auf den Agrarmärkten ist katastrophal, besonders auf dem Milchmarkt mit den ständigen
Preisrückgängen . Wir Grüne haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die Preise auf dem Milchmarkt
die Kosten der Erzeugung bei weitem nicht decken, dass
wir dringend durchgreifende Maßnahmen brauchen, um
unseren Milchbäuerinnen und -bauern eine Zukunftsperspektive zu bieten .
({3})
Für diese unsere Sorge werden wir angefeindet . Uns wird
vorgeworfen, wir würden die schlechten Preise herbeireden .
An dieser Stelle möchte ich einmal das Ministerium
zitieren, das vor wenigen Tagen erklärte: Zusätzlich zum
andauernden weltweiten Rückgang der Nachfrage nach
Milch und Milcherzeugnissen insbesondere infolge des
Rückgangs der Ausfuhren nach Russland und China und
nach Ende der Milchquote ist es zu einer weiteren Belastung des Milchmarktes gekommen . - Welche Einsicht!
Sehr spät! Warum haben wir nicht darüber geredet? Warum haben Sie immer erklärt, dass die Grünen im Unrecht
sind und keine Ahnung vom Markt haben?
({4})
Wir brauchen endlich weiter gehende Schritte als
den, 70 Millionen Euro an Liquiditätshilfen auszuschütten . Wir stehen vor einem Strukturbruch, Herr Minister
Schmidt - er hört immer noch nicht zu; das ist auch egal;
Sie können es ihm erzählen -,
({5})
wenn Sie nicht endlich handeln . Denn was kommt nach
den 70 Millionen Euro? Mit planlosem Geldverteilen mit
der Gießkanne, wie Sie es machen, bekämpfen wir nicht
die Ursachen der Preismisere; denn die Krise ist eine
strukturelle,
({6})
wenn inzwischen selbst hoch geförderte Wachstumsbetriebe aufgeben müssen .
Neuseeland und Irland produzieren zu niedrigeren
Kosten als Deutschland, weil sie auf konsequente Grünlandnutzung setzen, darauf ihre Produktion gründen . Das
deutsche Patentrezept dagegen ist: Investitionen in immer größere Ställe, Konzentration der Tierhaltung in wenigen Regionen mit immer stärker auf Mais und Soja gestützter, oft flächenunabhängiger Produktion, aber eben
auch massive Exportbeihilfen mit deutschem Steuerzahler geld . Dem Problem der Exportbeihilfen wird man sich
noch an anderer Stelle zu widmen haben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Rechnung
geht nicht auf . Wir brauchen ein Umdenken . Wir müssen
uns von dem Wahn lösen, die Welt mit deutscher Billigmilch und deutschem Billigfleisch zu überfluten.
({7})
Stattdessen müssen wir die Milcherzeugung für unseren
heimischen Markt auf Grünland und die Verarbeitung
in den Regionen zu guten, leckeren und regionalen Produkten fördern . Wir als Grüne wollen nicht die weitere
Konzentration entlang der Überseehäfen, damit sich Sojaschrot aus Brasilien zu Milchpulver für China verwandelt, wo die Wiese zum Maisacker wird, und die Gülle in
endlosen Lkw-Karawanen in die entlegensten Regionen
verklappt wird. Nein, wir wollen die konsequente Grünlandnutzung, die Kuh auf der Weide und den Erhalt der
Milcherzeugung in der Fläche . Wir Grünen wollen den
Erhalt der Kulturlandschaft, den Erhalt der bäuerlichen
Landwirtschaft .
({8})
Dafür, Frau Connemann, müssen wir eine Landwirtschaft fördern, die Vielfalt und gute Lebensmittel schafft .
Herr Minister, nutzen Sie die Möglichkeiten, die dieses Parlament Ihnen heute gibt . Handeln Sie endlich
einmal . Wir befürchten: Leider wird auch dieser Appell
nutzlos bleiben und verhallen .
({9})
Wertvolle Zeit für viele vom Untergang bedrohte bäuerliche Betriebe wird weiter verstreichen .
({10})
Vielen Dank . - Als Nächste spricht jetzt die Kollegin
Marlene Mortler, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Grünen, lieber Kollege Ostendorff, werden nicht angefeindet, weil sie anders über den Markt
denken als wir, sondern weil ihr es euch zur Aufgabe
gemacht habt, Landwirtschaft, Bäuerinnen und Bauern
pauschal schlechtzureden .
({0})
Wir leben in einer Zeit, in der wir alle brauchen - auch
unsere Bäuerinnen und Bauern . Wir haben Herausforderungen zu bewältigen - Stichworte „Flüchtlingskrise“,
„weltweite Hungerkrisen“ - bei der jeder Bauer, jede
Bäuerin gefragt ist . Das war der emotionale Aspekt .
Heute reden wir eigentlich über ein Artikelgesetz,
das wirklich wenig spannend ist, etwa wenn man daran
denkt, dass es um die Angleichung der Benennungen der
Bundesministerien an den Status quo oder andere unspektakuläre Dinge geht .
Andererseits hat das Gesetz auch eine weiter gehende Bedeutung . Es schafft nämlich die Voraussetzung für
die Durchführung der in der Gemeinsamen Marktorganisation vorgesehenen außergewöhnlichen Maßnahmen
zur Marktstützung . Die Kommission kann zum Beispiel
dann zu Stützungsmaßnahmen auf den Märkten für tierische Produkte greifen, wenn Tierseuchen zu einem Absturz der Erzeugerpreise führen oder die Verbraucher aus
solchen Gründen restlos verunsichert sind - Ehec war
zum Beispiel so ein Fall -, und sie kann die Regeln der
Marktordnung an die Bedürfnisse in Krisenzeiten anpassen .
Diese Bestimmungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind richtig . Dass wir in Deutschland die Voraussetzungen für ihre Anwendung schaffen müssen, steht
deshalb außer Frage . Ich möchte deshalb Sie alle an dieser Stelle um Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf bitten .
({1})
Richtig spannend ist der Entwurf, weil er deutlich
macht, wie sehr im Agrarsektor Markt und Marktverantwortung zusammengehören . Das ist in diesem Jahr ein
hochaktuelles Thema . Kaum ein Jahr hat weite Teile der
deutschen Landwirtschaft so gefordert wie dieses . Erst
gab es einen Einbruch der Erzeugerpreise für Milch,
Schweinefleisch und Zucker, dann eine Hitze- und Dürreperiode, wie sie viele von uns noch nicht erlebt haben .
In Unterfranken mussten zum Beispiel viele Betriebe nicht nur schmerzhafte Ernteeinbußen verkraften,
nein, die Ernteausfälle lagen teilweise sogar bei 70 bis
100 Prozent .
Was macht ein Familienbetrieb, von dem zwei, drei
Generationen leben, in einem solchen Jahr? Er lebt von
der Substanz, wenn er welche hat . Er macht Schulden,
wenn das noch geht . Er schnürt den Gürtel so eng wie
möglich und versucht, mit geringen Einnahmen und Direktzahlungen zu überleben, oder er schließt, wenn die
Politik nicht handelt, seine Tore .
Ich will eine Landwirtschaft, meine Damen und Herren, in der nicht nur Große den Ton angeben, sondern
in der auch bäuerliche Familienbetriebe in Zukunft eine
Chance haben .
({2})
Das hat nichts mit Romantik zu tun . Vielmehr macht es,
wie ich meine, die Vielfalt, die gute Mischung . Es ist deshalb wichtiger denn je, unseren Dörfern ihre landwirtschaftlichen Betriebe zu belassen . Bauernhöfe sind die
Lebenslichter . Für manche sind sie die Seele ländlicher
Regionen . Deshalb können wir aus diesem langsam dem
Ende zugehenden Jahr einige klare Botschaften mitnehmen .
Erstens . Direktzahlungen für die Landwirtschaft sind
wichtiger denn je . Nur so sind kleine und mittlere Betriebe in der Lage, immer neue Anforderungen zu erfüllen .
Nur so können sie den besonderen Schwankungen der
Agrarmärkte gerecht werden .
Zweitens . Wie gut, dass wir in Deutschland eine Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur
haben . Wir können diese um eine Förderung der ländlichen Räume erweitern, doch ihren landwirtschaftlichen
Kern dürfen wir nicht infrage stellen .
Drittens . Es ist richtig, die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung sukzessive zurückzuführen, aber noch nicht in diesem Jahr . Lassen Sie uns
den Bundeszuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung noch einmal anheben .
Viertens . Wir brauchen eine aktive EU-Kommission,
die im Fall von Marktkrisen handelt, die unsere Interessen gegenüber Russland vertritt, die - unser Agrarminister Christian Schmidt hat das nach erfolgreichen
Verhandlungen erreicht - Mittel aus der Superabgabe
für Krisenmaßnahmen bereitstellt und die - hier schließt
sich der Kreis - im Ernstfall das Instrumentarium der
Gemeinsamen Marktordnung nutzt . Das ist gut, aber das
kann sie nur, wenn der zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf angenommen wird . Deshalb bitte ich noch
einmal um Ihre Zustimmung .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen dann zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen . Der Aus-
schuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6438,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/6160 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Niemand . Wer enthält
sich? - Niemand . Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenom-
men .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Nach Artikel 87 Absatz 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die
absolute Mehrheit - das sind 316 Stimmen - erforder-
lich . Wir stimmen nun über diesen Gesetzentwurf na-
mentlich ab .
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Alle besetzt . Dann eröffne ich die
Abstimmung .
Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die ihre Stimm-
karte noch nicht abgeben konnten? - Ich sehe, alle ha-
ben jetzt ihre Stimmkarte abgegeben . Dann schließe ich
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, auszuzählen . Das Ergebnis der Abstim-
mung wird Ihnen später bekannt gegeben .1)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Ihre
Plätze einzunehmen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Omid Nouripour, Tom Koenigs,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Frieden und keine Stabilität ohne Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit - Für
eine weitsichtige europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber den Staaten Nordafrikas
Drucksache 18/6551
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Dr . Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und
Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher! Heute ist
eigentlich ein guter Tag, um uns mit Nordafrika zu befassen . Der tunesische Ministerpräsident Habib Essid hat
vor wenigen Stunden Bundeskanzlerin Merkel getroffen .
Und Tunesien ist das Land, das uns beim Blick auf den
Raum Nordafrika noch Hoffnung gibt .
Frau Kollegin, einen Moment . - Ich bitte jetzt alle, die
sich dort hinten unterhalten, den Saal zu verlassen .
({0}) Ergebnis Seite 12990
Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ruhe oder raus!)
So, Frau Kollegin Brantner, jetzt können Sie weiterreden .
Danke schön . Das war sehr nett . Dann fange ich jetzt
noch mal an . - Tunesien ist also der Hoffnungsstrahl, den
wir noch sehen . Diese Hoffnung kulminierte gleichsam
in der Verleihung des Friedensnobelpreises an das tunesische Dialog-Quartett . Ich glaube, da müssen und können
wir noch wesentlich mehr tun .
({0})
Bis jetzt haben wir viel beim Polizeiaufbau und bei der
Kooperation im Bereich der Terrorismusbekämpfung geleistet .
Bei dem, was Tunesien jetzt braucht, nachdem der
Tourismus aufgrund der Anschläge eingebrochen ist,
nämlich Hilfe für seine Wirtschaft und Vereinfachungen beim Export in unseren gemeinsamen europäischen
Markt, können wir aber noch wesentlich mehr tun . Wir
wissen, dass es schwierig ist, innerhalb der Europäischen
Union Mehrheiten dafür zu bekommen, weil die Spanier, die Italiener und die Portugiesen natürlich darunter
leiden würden, wenn die Orangen billiger aus Tunesien
importiert würden, als sie bei ihnen zu haben sind . Das
ist aber klassisch für die Europäische Union: Wenn es
uns wichtig ist, dass Tunesien stabilisiert wird und stabil
bleibt, und wenn es dafür wirtschaftliche Hilfe braucht,
dann müssen wir bei Ländern in der EU, die von den
Maßnahmen betroffen sind, für einen Ausgleich sorgen .
({1})
Das ist nichts Neues . Wir haben Milliarden für die Agrarpolitik . Vielleicht könnten wir sie gezielt einsetzen, um
Tunesien auf seinem schwierigen Weg zu begleiten .
Wir müssen auch über die Zustimmung zu den Hermesbürgschaften für den Siemens-Deal mit Ägypten
gestern im Haushaltsausschuss sprechen . Es geht um
Milliarden für Kraftwerke . Leider entsprechen diese
nicht wirklich den ökologischen und sozialen Kriterien;
diese wurden sehr gedehnt . Man muss auch erwähnen, in
welchem Kontext sie geschlossen wurden . Es ging ja um
mehr als nur um Kraftwerke .
Damit komme ich zum Kern unseres vorliegenden
Antrages, nämlich zu der Frage, wie man momentan
mit den Ländern in Nordafrika, deren Regierungen nicht
auf dem Weg der Demokratisierung sind oder sich auch
nicht mehr dahin bewegen wollen, umgeht . Was wir momentan beobachten und was uns Sorge bereitet, ist, dass
man bereit ist, auf dem Altar der Flüchtlingsbekämpfung
alles preiszugeben . Um den Preis, dass die Flüchtlinge
dort zurückgehalten, aufgefangen oder zurückgewiesen
werden, ist man bei uns bereit, jegliche Menschenrechtsansätze aufzugeben . An den Beispielen Türkei, el-Sisi in
Ägypten und Libyen sieht man, dass man schnell vorVizepräsidentin Ulla Schmidt
ankommen möchte und die Augen vor dem verschließt,
was vor Ort passiert . Wir glauben, dass dies schon unter
Mubarak, Ben Ali und Gaddafi die falsche Politik war.
Wir halten es auch jetzt für falsche Politik, nur noch zu
sagen: Wir setzen auf die Stabilität dieser Länder . Denn
das ist eine Scheinstabilität, das ist eine Friedhofsruhe,
aber keine echte Stabilität .
({2})
Dieser Kurs ist gescheitert; aber für ihn haben wir jetzt
aufgrund der Flüchtlingskrise anscheinend wieder Begeisterte . Wir sehen das auf europäischer Ebene . Erst
besucht Frau Mogherini Ägypten, dann wird el-Sisi in
London willkommen geheißen, ohne dass man darüber
spricht, dass die Zivilgesellschaft in seinem Land keinerlei Chancen mehr hat . Trotzdem hat Ägypten mittlerweile wieder unsere komplette Unterstützung. Ich finde, das
Minimum für europäische Unterstützung muss sein, dass
eine Zivilgesellschaft, auch eine kritische Zivilgesellschaft, vor Ort existieren darf .
({3})
Das muss gewährleistet sein, bevor die Länder Gelder
von uns bekommen . Das ist das Minimum, das wir erwarten .
Ich wünsche mir wirklich, dass wir nicht die Fehler
der Vergangenheit wiederholen, sondern bei unserer Haltung zu Menschenrechten bleiben, intern wie extern .
Ich danke Ihnen .
({4})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege
Dr . Egon Jüttner, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Es ist von jeher Praxis der Europäischen Union gewesen, mit ihren unmittelbaren Nachbarn im Osten
und im Süden einen intensiven Dialog zu führen . Ziel
des Dialogs und der Zusammenarbeit auf politischer,
wirtschaftlicher, sozialer und humanitärer Ebene ist die
Förderung des demokratischen Gedankens in diesen
Ländern . Unbestritten ist, dass Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit grundlegende Bestandteile demokratischer Strukturen sind . Für den Dialog mit den Staaten
Nordafrikas waren Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit schon bisher grundlegende Faktoren der in den
Jahren 2003/2004 entwickelten Europäischen Nachbarschaftspolitik, ENP . Als CDU/CSU-Fraktion treten wir
dafür ein, im Rahmen unserer werteorientierten Außenpolitik diese Gewichtung bei der strategischen Nachbarschaftspolitik weiterhin beizubehalten .
Sehr geehrte Damen und Herren, die Europäische
Nachbarschaftspolitik zielt darauf ab, eine möglichst
enge bilaterale politische und wirtschaftliche Bindung
zwischen der EU und den einzelnen Partnerstaaten aufzubauen . Diese Bindung soll auf gemeinsamen Werten und Interessen basieren, nämlich auf Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit sowie Respektierung und Einhaltung
der Menschenrechte . Im Rahmen von Aktionsplänen
zwischen unseren Partnerländern und der Europäischen
Union kann Europa die spezifische Situation in den einzelnen Ländern beurteilen, auf Veränderungen schnell
reagieren und individuelle Strategien zur Erreichung des
angestrebten Ziels entwickeln .
({0})
Die finanzielle Ausstattung der Europäischen Nachbarschaftspolitik durch das Europäische Nachbarschaftsinstrument, ENI, ist umfangreich . Sie wurde von 13 Milliarden Euro für die Jahre 2007 bis 2013 auf nunmehr
15 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 bis 2020 angehoben . Diese Hilfeleistungen und der Zugang zu den
Märkten der Europäischen Union, der den 16 Partnerstaaten ein jährliches Handelsvolumen von über 200 Milliarden Euro ermöglicht, erlauben es uns Europäern, unsere
Vorstellungen von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit
und Demokratie gegenüber unseren Partnern einzufordern .
2011 wurde die Europäische Nachbarschaftspolitik
als erste Reaktion auf den Arabischen Frühling einer
Revision unterzogen . Ergebnis dieser Revision war eine
stärkere Fokussierung auf die sogenannte nachhaltige demokratische Entwicklung, was sich in freien und fairen
Wahlen, in dem Recht auf freie Meinungsäußerung, in
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, in der Unabhängigkeit der Gerichte und im Kampf gegen Korruption widerspiegeln sollte . Man verständigte sich auf das
„More for more“-Prinzip, durch das die Unterstützung
für die Partnerstaaten stärker an Bedingungen geknüpft
wurde . In der Praxis bedeutet das, dass diejenigen Länder
in eine engere Bindung zur Europäischen Union treten
können, in denen der Reformprozess weiter fortgeschritten ist .
Das „More for more“-Prinzip, meine sehr geehrten
Damen und Herren, ist Konsequenz der flexiblen Grundlagen der Europäischen Nachbarschaftspolitik . Diese ist
bilateral organisiert; denn nicht alle Partnerstaaten befinden sich auf einer einheitlichen politischen oder wirtschaftlichen Entwicklungsstufe .
Wir halten das „More for more“-Prinzip vom Ansatz
her nach wie vor für richtig . Leider hat sich die mittelfristige Entwicklung in einigen Staaten Nordafrikas seit
2011 so gestaltet, dass an diesem Grundsatz nicht uneingeschränkt festgehalten werden kann . Dies ist jedenfalls
dann nicht möglich, wenn Europäische Nachbarschaftspolitik ihre Flexibilität bewahren möchte . Wir müssen
den Tatsachen ins Auge schauen . Die Länder, in denen
der Reformprozess gut vorankommt, verdienen unsere
Anerkennung und unsere weitere Unterstützung . Wir
dürfen aber gleichzeitig diejenigen Länder und Gesellschaften, die sich von den Werten Europas derzeit eher
wegbewegen, nicht abstrafen, sondern wir müssen unsere Anstrengungen intensivieren, damit auch dort Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte gewährleistet werden .
Die Ereignisse in Syrien, die Flüchtlingskrise, der
sich Europa derzeit ausgesetzt sieht, sowie die innenpolitischen Entwicklungen etwa in Ägypten und in Libyen erfordern eine erneute Anpassung der Europäischen
Nachbarschaftspolitik . Dabei steht außer Zweifel, dass
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ihren Stellenwert auch nach der Anpassung behalten müssen . Als
CDU/CSU sind wir der Auffassung, dass nur die Einhaltung der Menschenrechte und die Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien einen dauerhaften Frieden und dauerhafte Stabilität garantieren können .
In Libyen beispielsweise sollte unser Fokus in erster
Linie auf der Befriedung des Landes, auf dem Aufbau
staatlicher Strukturen und auf der Sicherung der Grenzen
liegen . Nur wenn dies gewährleistet ist, können wir dem
Land dabei helfen, den Nährboden für Menschenrechte
und Rechtsstaatlichkeit bereitzustellen . Für vertragliche
Beziehungen in Form eines eigenen Aktionsplans ist die
Lage im Land noch zu instabil . Die Finanzierung einzelner zivilgesellschaftlicher Projekte kann jedoch durchaus
in Angriff genommen werden . In den Königreichen Jordanien und Marokko ist nicht die fehlende Staatlichkeit
das Problem . Europa kann diese Länder aber bei der
Ausweitung des menschenrechtlichen Dialogs und der
Diversifizierung ihrer Wirtschaft unterstützen.
Wir können nicht erkennen, dass Europa nicht weiter
nachdrücklich Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit
von seinen Partnern im nördlichen Afrika einfordert .
Im Falle von Ägypten haben wir durchaus deutlich auf
Mängel im Vorfeld der Präsidentenwahlen hingewiesen .
Dies schloss berechtigte Kritik an der Pressefreiheit mit
ein . Wir haben Bedenken hinsichtlich verschiedener neuer Gesetze geäußert, etwa hinsichtlich des Gesetzes zu
Nichtregierungsorganisationen oder der Vereinfachung
der strafrechtlichen Verfolgung von Organisationen der
Zivilgesellschaft . Ich sage an dieser Stelle auch, dass es
der falsche Weg für Ägypten ist, die Handlungsfähigkeit
wichtiger Akteure der Zivilgesellschaft einzuschränken .
Wenn von ägyptischer Seite Interesse an der Intensivierung der Zusammenarbeit besteht, müssen die Unabhängigkeit der Justiz ausgebaut und die Zuständigkeit der
Militärgerichtsbarkeit eingeschränkt werden .
In allen Ländern sollten gerade wegen der Instabilität staatlicher Institutionen auch zivilgesellschaftliche
Akteure verstärkt unsere Partner werden . Dies ist eine
wichtige neue Fokussierung der Europäischen Nachbarschaftspolitik . Die Schwäche staatlicher Institutionen
sollte Europa nicht zwingend zum Anlass nehmen, sein
Engagement in den betroffenen Ländern zurückzufahren .
Ganz im Gegenteil: Wir sollten diejenigen Kräfte stärken, die für die Bürgerinnen und Bürger der jeweiligen
Länder oft die einzigen Bezugspunkte darstellen . So
kann Europa klarmachen, dass es - unabhängig von negativen politischen Entwicklungen - konstant an der Seite der Menschen steht und die Zivilgesellschaften stärkt .
Den politischen Eliten unserer Partnerländer geben wir
damit zu verstehen, dass sie für uns nicht die einzigen
Ansprechpartner sind .
Wir sind der Auffassung, dass die Bundesregierung
gemeinsam mit ihren europäischen Partnern auch in Zukunft mit Nachdruck auf die Bedeutung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit hinweisen muss, damit
Frieden und Sicherheit gewährleistet werden können . In
der Neuausrichtung der Europäischen Nachbarschaftspolitik auf zivile Akteure in unseren Partnerländern in
Nordafrika sehen wir einen wichtigen Ansatz, der nicht
im Widerspruch zum Bekenntnis für Menschenrechte
und Rechtsstaatlichkeit steht .
Ich danke Ihnen .
({1})
Vielen Dank . - Ich darf Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen
bekannt geben: abgegebene Stimmen 577 . Mit Ja haben
gestimmt 577 . Damit hat der Gesetzentwurf die erforderliche Mehrheit .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 579;
davon
ja: 579
nein: 0
enthalten: 0
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Dr . Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E . Fischer
({2})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({3})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Florian Hahn
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr . Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({5})
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({7})
Stefan Müller ({8})
Dr . Gerd Müller
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({10})
Gabriele Schmidt ({11})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({12})
Dr . Kristina Schröder
({13})
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster
({14})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Erika Steinbach
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({15})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({16})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({17})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({18})
Sabine Weiss ({19})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({20})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({21})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({22})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({23})
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christian Lange ({24})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({25})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({26})
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({27})
Florian Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({28})
Susann Rüthrich
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({29})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({30})
Matthias Schmidt ({31})
Dagmar Schmidt ({32})
Carsten Schneider ({33})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({34})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Gabi Weber
Bernd Westphal
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W . Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({35})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann
({36})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn ({37})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({38})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
({39})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge Höger, Fraktion Die Linke .
({40})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seien
wir ehrlich: Die Europäische Nachbarschaftspolitik mit
Nordafrika beschränkt sich aktuell weitgehend auf die
Abwehr von Flüchtlingen, oft unter dem Vorwand von
Terrorbekämpfung . Dabei haben die Europäische Union
und die Bundesregierung schon immer mit autoritären
Regimen in der Region kooperiert . Weder Menschenrechte noch Demokratie oder soziale Verbesserungen für
die Armen haben dabei eine Rolle gespielt .
Nach den arabischen Aufständen im Jahr 2011 auch
gegen Bündnispartner der EU und der Bundesregierung,
Mubarak und Ben Ali, sollte die Nachbarschaftspolitik
Süd neu ausgerichtet werden . Unterstützung sollte es nur
noch geben, wenn auch Reformschritte umgesetzt würden . Nun sollte man denken, es gehe der EU um eine Demokratisierung der Staaten des Südens, um Würde und
soziale Gerechtigkeit, wie von den Menschen gefordert .
Aber bei genauem Hinsehen stellt sich das leider als Farce heraus .
Die EU verlangt neoliberale Reformen zur Öffnung
der Märkte der Region . Diese werden dann mit billigen
europäischen Produkten überschwemmt . Auch Kürzungen von Subventionen und Sozialleistungen werden verlangt . Das alles verstärkt Fluchtursachen . Millionen von
Menschen versuchen, der bitteren Armut und den Diktatoren zu entfliehen. Der Umgang der EU und der BRD
damit ist zynisch .
({0})
Statt den Fliehenden zu helfen, wird die europäische
Migrationskontrolle, die für Tausende Tote pro Jahr verantwortlich ist, immer weiter nach Süden ausgeweitet .
Es werden Sicherheitsexperten nach Ägypten, Algerien
und Tunesien geschickt . Es werden Einzelabkommen mit
Staaten der Region geschlossen, die unter dem Vorwand
der Terrorabwehr in der Bekämpfung von Flüchtlingen
münden . Bis vor kurzem sollten noch sogenannte Willkommenslager in der afrikanischen Wüste eingerichtet
werden . Die Bundeswehr wird ins Mittelmeer geschickt,
um Schiffe zu beschlagnahmen und zu zerstören, wie
Herr de Maizière sagte, und höchstens nebenbei Menschen aus Seenot zu retten .
In der Türkei, einem weiteren Land der Europäischen
Nachbarschaftspolitik, führt die Regierung Erdogan einen Bürgerkrieg gegen die Kurdinnen und Kurden . Aber
die Bundesregierung und die Kanzlerin verlieren kein
Wort darüber, sondern erklären die Türkei zum zuverlässigen Partner bei der Abschreckung von Flüchtlingen .
Die Türkei ist kein sicheres Herkunftsland!
({1})
Das grundlegende Ziel der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist es, den Zugang zu lokalen Märkten für
europäische Produkte zu erleichtern und bei der Kontrolle der Rohstoffe im Spiel zu bleiben . Von der in diesem
Spiel sehr erfolgreichen deutschen Firma Wintershall
gibt es einen Werbeslogan, den die Bundesregierung
übernehmen könnte: Wenn unsere Angestellten reisen,
bringen sie immer etwas nach Hause mit . Meistens ist
das Öl oder Gas . - „Und Waffengeschäfte“ möchte die
Koalition sicher ergänzen .
Für die Waffenhersteller Heckler & Koch, Rheinmetall, ThyssenKrupp und Krauss-Maffei Wegmann hat die
Region eine besondere Bedeutung, und die Bundesregierung hilft ihnen bei ihren Geschäften . Das autokratische
Regime in Algerien bekommt eine komplette Panzerfabrik . Die Militärdiktatur in Ägypten erhält modernste
U-Boote, ebenso Israel . Saudi-Arabien und Katar werden weiterhin, wenn auch mit Bedenken, mit schweren
Waffen beliefert, obwohl sie im Krieg im Jemen deutsche
Panzer einsetzen und zum Beispiel ein Krankenhaus der
„Ärzte ohne Grenzen“ bombardiert wurde .
Jeden Tag sterben Menschen. Jeden Tag flüchten Tausende weitere vor den Kriegen und dem Hunger, für die
auch Europa Verantwortung trägt, sei es durch die Kolonialpolitik der vergangenen 100 Jahre oder durch die
Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte . Wie viel
Zukunft hat eine solche Politik?
Notwendig wäre eine Politik auf Augenhöhe, eine
Kooperation im Interesse der wirtschaftlichen und sozialen Teilhabe und der Gerechtigkeit vieler - und nicht
Ausbeutung und Waffengeschäfte im Interesse einzelner Unternehmer . Wir brauchen Partnerschaften mit den
Menschen der Region, nicht mit den Regimen . Ob die
EU dabei eine Hilfe sein kann, bleibt offen . Als Nachbar
würde ich mir aber angesichts der Zerstörung ziviler Infrastruktur und der Verelendung großer Teile der Bevölkerung Griechenlands durch die EU keine großen Hoffnungen auf die EU machen .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Nordafrika sind nicht
nur für die 200 Millionen Menschen, die in dieser Region leben, äußerst wünschenswert . Auch für uns in Europa haben demokratische, friedliche und wirtschaftlich
gesunde Länder nur Vorteile . Kultureller Austausch,
wissenschaftliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche
Chancen sind drei Beispiele, die mir einfallen - jenseits
von Flüchtlingen, die zu uns kommen könnten .
Aber wie können Rechtsstaatlichkeit, Demokratisierung, Menschenrechte und alles, was noch dazugehört,
in Nordafrika gestärkt werden? Ihr Antrag enthält viel
Richtiges . Auch ich sehe die Gefahr, dass das neue Antiterrorgesetz in Tunesien zivilgesellschaftliches Engagement hemmen könnte . Auch ich teile die Einschätzung,
dass sich Algerien mehr öffnen könnte . Auch ich bin dafür, dass die erfolgreichen Transformationspartnerschaften des Auswärtigen Amtes fortgeführt werden . Aber
kann man wirklich sagen - Sie haben das in Ihrer Rede
ja wiederholt -, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik - kurz: ENP - auf dem Weg ist, eine trügerische
Friedhofsruhe diktatorischer Systeme gutzuheißen?
Ich sehe eine Vielzahl an EU-Programmen und -Projekten, die auf den Rechtsstaat, auf Demokratisierung und
auf die Stärkung der Zivilgesellschaft abzielen . Wenn ich
mir die EU-Programme anschaue, die zur ENP gehören,
dann sehe ich, dass vieles den Forderungen Ihres Antrages entspricht . Zu den Schwerpunkten bis 2017 gehören
zum Beispiel auch eine demokratische Regierungsführung in Marokko und eine Justizreform und Stärkung der
Partizipation in Algerien .
({0})
Das Gemeinsame Konsultationspapier vom März 2015
„Auf dem Weg zu einer neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik“ benennt, dass sich die EU künftig unter
anderem auf die Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit,
Demokratie und Achtung der Menschenrechte fokussieren soll . Das ist doch der richtige Ansatz!
({1})
Nun ist Papier aber geduldig . Entscheidend ist nur,
was wirklich durchgesetzt werden kann . Auch die frischgebackenen Nobelpreisträgerinnen und -träger der Tunesischen Liga für Menschenrechte haben kürzlich darauf
aufmerksam gemacht, dass es weniger auf Vertragstexte
als vielmehr auf die Implementierung ankommt . Daran
sollten wir uns messen lassen .
Ich sehe vor allem drei Säulen, um Menschenrechte
und Rechtsstaatlichkeit aufzubauen:
Erste Säule ist die Stärkung der Zivilgesellschaft . Warum ist denn Tunesien der Leuchtturm der Region? Tunesien ist deshalb erfolgreich, weil kein starker Mann und
keine Armee das Heft in die Hand genommen haben . Es
war die Zivilgesellschaft, die die Errungenschaften des
Arabischen Frühlings gesichert und weiter ausgebaut hat .
Deshalb ging der Friedensnobelpreis an das tunesische
„Nationale Dialogquartett“, zu dem die erwähnte Menschenrechtsliga gehört .
Ganz besonders wichtig ist die Rolle der Frauen beim
Aufbau der Zivilgesellschaft, und das nicht nur in Tunesien, wo sie eine besondere Rolle gespielt haben und
noch immer spielen . Sie müssen weiter gestärkt werden .
Aus der Vielzahl der entsprechenden Initiativen möchte
ich eine herausgreifen, weil ich einige der Frauen jüngst
getroffen habe . Die GIZ fördert das Projekt „Demokratie
braucht Frauen“ . Ziel ist, die politische Partizipation von
Frauen zu stärken - über Vernetzung, politische Partizipation und Dialog .
Nur am Rande: Die UN-Resolution 1325 wurde in der
letzten Woche 15 Jahre alt . Die Ziele dieser Resolution
sind noch immer wichtig . Nur dann, wenn Frauen in die
Friedensprozesse und in die Versöhnung eingebunden
werden und wenn ihre Rechte gesichert sind, hat dauerhafter Frieden wirklich eine Chance .
({2})
Die zweite Säule ist die Rechtsstaatlichkeit . Das Auswärtige Amt und das BMZ sind hier, wie ich meine, gut
aufgestellt . Es reicht von Menschenrechtsbildung in Mauretanien über Regionalisierung und Dezentralisierung in
Marokko und Unterstützung der tunesischen „Instanz für
Wahrheit und Würde“ bis hin zur Verwaltungsberatung
in Ägypten . All das kann aber nur funktionieren, wenn
es ein funktionierendes Gemeinwesen gibt . In Libyen,
diesem zerfallenden Staat, hat sich die Hoffnung bisher
nicht erfüllt, dass sich die gegnerischen Parteien zu einer
Einheitsregierung zusammenraufen . Sie werden, sicher
mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, einen neuen Anlauf nehmen müssen, um das Leiden und
die Perspektivlosigkeit der Libyer zu beenden .
Nachbarschaftspolitik braucht Sicherheit und Vertrauen - Vertrauen auch beim interkulturellen Austausch .
Wenn der DAAD, das Goethe-Institut oder auch politische Stiftungen in einigen Ländern nicht arbeiten können, ist das ein Hemmnis beim Aufbau einer guten Nachbarschaftspolitik . Die Nachbarschaftspolitik funktioniert
auch von der anderen Seite her .
Die dritte der eingangs erwähnten Säulen ist die Kooperation der Länder Nordafrikas untereinander . Wir
sprechen immer von Nordafrika und meinen höchst heterogene Länder . Sehen sich denn wenigstens die engeren Maghreb-Staaten als eine Region? Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit können nur dann die ganze
Region erfassen, wenn sie sich auch selbst als solche
begreift . Das hört sich banal an, ist es aber nicht . Das
setzt eine engere Zusammenarbeit der Politik mit der
Zivilgesellschaft, aber auch mit der Wirtschaft voraus .
Zumindest mit einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit
und dem Aufbau der nötigen Infrastruktur könnte man
beginnen, wenn es gelänge, alte politische Grabenkämpfe zu überwinden . Auch beim Aufbau dieser Säule können Deutschland und die EU unterstützen, wenn dies gewünscht ist . Wenn Sie mit einzelnen Vertretern über die
Vision einer Region sprechen, werden Sie immer Bestätigung und Bereitschaft dazu finden - übrigens besonders
bei den Frauen, die sich an der Zukunftsgestaltung ihrer
Länder beteiligen wollen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sind
uns im Prinzip völlig einig: Wir müssen Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und die Zivilgesellschaft in
Nordafrika weiter und noch stärker unterstützen - auch
vonseiten der EU . Dazu können wir beitragen .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Damit beenden wir die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6551 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten
Nationen geführten Friedensmission in Südsudan ({0}) auf Grundlage der Resolution
1996 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2241 ({2}) vom 9. Oktober 2015
Drucksache 18/6504
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre hierzu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Staatsminister Michael Roth .
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unsere ganze Aufmerksamkeit richtet sich derzeit auf
Krisen - Krisen allerorten . Wir diskutieren über die Krise, einen furchtbaren Bürgerkrieg, in Syrien . Wir diskutieren, streiten auch über die Flüchtlingsbewegungen auf
der Balkanroute . Wir sollten aber nicht vergessen, dass
es über den engeren Bereich von Europa, über unsere unmittelbare Nachbarschaft hinaus Krisen gibt, die unsere
volle Aufmerksamkeit verdienen .
Der Konflikt im Südsudan führt uns eindrücklich vor
Augen: Die Ursachen von Flucht und Vertreibung liegen
nicht zuletzt auch in Afrika: Bürgerkriege, Vertreibung,
Diktatur, zerfallene Staatlichkeit, Hunger, furchtbarer Terror. Menschen fliehen. Sie fliehen nach Europa,
sie kommen auch zu uns nach Deutschland, vor allem
Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea .
Afrikanische Staaten sind aber nicht nur Herkunftsländer von Flüchtlingen, sondern sind vor allem auch
Transit- und Aufnahmeländer . Von den derzeit 60 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, beherbergt Afrika mit weitem Abstand die meisten Menschen,
und dies unter denkbar schlechten Bedingungen . Davor
dürfen wir nicht länger die Augen verschließen .
Durch einen verheerenden Bürgerkrieg ist auch der
Südsudan in den vergangenen Jahren zu einem Ausgangspunkt von Flucht und Vertreibung geworden . Es
sind erschreckende Zahlen, mit denen wir uns auseinGabriela Heinrich
anderzusetzen haben . Mehr als 2 Millionen Menschen
wurden innerhalb ihres Landes vertrieben oder sind in
die umliegenden Nachbarstaaten - Uganda, Kenia, Äthiopien - geflüchtet, sodass angesichts einer Gesamtbevölkerung von 11 Millionen Menschen jeder fünfte Südsudanese unmittelbar von Flucht und Vertreibung betroffen
ist . Die Zahl derer, die aus dem Südsudan nach Europa
flüchten, ist zwar vergleichsweise gering. Umso schlimmer und beschämender ist für uns jedoch, dass die Hilfsprogramme des Flüchtlingshilfswerks UNHCR auch in
dieser Region dramatisch unterfinanziert sind.
Angesichts der angespannten humanitären Lage droht
in den Flüchtlingslagern ein ähnlicher Dominoeffekt,
wie wir ihn derzeit in den syrischen Nachbarländern Jordanien, Libanon und Türkei erleben . Der Bürgerkrieg im
Südsudan spielt sich daher nur auf den ersten Blick in
weiter Ferne ab . Tatsächlich geht uns alle an, was in dem
kleinen afrikanischen Land geschieht, weil es uns eben
früher oder später auch hier in Europa betreffen könnte nicht nur virtuell, sondern ganz konkret .
Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir uns durch
Mauern und durch Zäune von den Problemen in anderen Teilen der Welt abschotten könnten . Flüchtlingsbewegungen machen nicht an nationalen Grenzen halt . Sie
bahnen sich ihren Weg bis vor unsere Haustür, bis wir sie
nicht länger ignorieren können . Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir nicht wegschauen, wenn
der jüngste Staat der Welt in Chaos und Bürgerkrieg versinkt .
({0})
Vier Jahre nach seiner Unabhängigkeit und nach 20 langen Monaten des Bürgerkriegs braucht der Südsudan
weiterhin die Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
kurz zurückblicken und aufzeigen, wie sich die Lage im
Südsudan seit 2011 entwickelt hat . Ich weiß, dass viele
Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses vor und nach
der Unabhängigkeit den Südsudan besucht haben . Wir
haben den Südsudan sozusagen in die Unabhängigkeit
begleitet . Dass dies kein einfaches Unterfangen werden
würde, war vielen von uns von vornherein klar . Schwache staatliche Strukturen, ungeklärte Machtverhältnisse,
Korruption, streitige Grenzfragen mit dem Sudan, das
waren von Anfang an schwierige Ausgangsbedingungen .
Trotz aller Bemühungen der internationalen Gemeinschaft brach im Dezember 2013, nur zwei Jahre nach der
Unabhängigkeit, ein furchtbarer Bürgerkrieg aus . Die
Folgen sind seitdem schwerste Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten . Zehntausende Südsudanesen
sind umgekommen, darunter auch sehr viele Zivilisten .
Im August dieses Jahres - endlich! -, zwei Jahre nach
dem Bürgerkrieg, haben die Konfliktparteien ein Friedensabkommen unterzeichnet . Doch es mangelt an der
konkreten Umsetzung . Es mangelt an gegenseitigem
Vertrauen. Deshalb brauchen die Konfliktparteien unsere
Unterstützung und eben manchmal auch den Druck der
internationalen Gemeinschaft .
Lassen wir die Menschen im Südsudan an diesem
Wendepunkt in der Geschichte ihres noch jungen Staates
bitte nicht alleine . Lassen Sie uns die Zivilbevölkerung
vor weiteren Gewaltausbrüchen schützen . Lassen Sie uns
den ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe sicherstellen . Lassen Sie uns die Menschenrechtslage im Land
aufmerksam beobachten . Lassen Sie uns die Umsetzung
des Friedensabkommens überwachen . Genau darum geht
es bei der Friedensmission UNMISS im Südsudan, über
deren Verlängerung wir heute debattieren .
Ja, ich weiß, der eine oder andere Kollege wird einwenden, dass UNMISS doch bereits seit 2011 im Einsatz
ist und der Bürgerkrieg trotzdem nicht verhindert werden
konnte . Ich will aber doch darauf hinweisen: Die Mission
hat für Hunderttausende von Vertriebenen die Tore ihrer
Lager geöffnet und ihnen humanitären und militärischen
Schutz geboten . Heute leben rund 200 000 Binnenvertriebene in den UNMISS-Einrichtungen . Damit hat diese
Mission vielen, vielen Menschen das Leben gerettet . Dafür bin ich dankbar . Ich danke auch unseren Polizisten,
unseren Soldatinnen und Soldaten, die sich an diesem
Einsatz beteiligt haben .
({1})
Wir wollen ebendiesen Weg bis 2016 fortsetzen . Daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung . Sie wissen: Wenn
ich heute über den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten
spreche, dann ist das nur ein Teil unserer außen- und sicherheitspolitischen Maßnahmen und Angebote . Es geht
selbstverständlich auch um Entwicklungspolitik . Es geht
um Außenpolitik . Es geht um Versöhnung .
Ich will nur darauf hinweisen, dass die Bundesregierung in vielfältiger Weise aktiv ist . Mein Haus hat in
den letzten zwei Jahren humanitäre Hilfe in Höhe von
34 Millionen Euro geleistet . Das Entwicklungsministerium hat 84 Millionen Euro zur Verfügung gestellt . Das
zeigt doch, dass unser vielfältiges Engagement im Südsudan zwar nur ein kleiner, aber doch ein wichtiger Baustein ist, um die Ursachen von Flucht und Vertreibung in
den afrikanischen Krisengebieten zu bekämpfen und damit auch den Migrationsdruck auf Europa zu verringern .
Ich würde mich darüber freuen, wenn nach einer offensichtlich auch kontroversen und kritischen Debatte
möglichst viele von Ihnen dem Antrag der Bundesregierung folgen würden und diese Mission abermals verlängerten .
Vielen herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
die Kollegin Christine Buchholz .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer über
den Südsudan spricht, der muss über Flüchtlinge sprechen . Ich meine nicht die wenigen, die es aus diesem verarmten Land über die Sahara und das Mittelmeer nach
Europa geschafft haben . Ich meine die Flüchtlinge, die
in den letzten zwei Jahren vor dem Krieg innerhalb des
Südsudans in dessen Nachbarstaaten geflohen sind. Es
handelt sich um 2,2 Millionen Menschen, rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung . 2,2 Millionen Flüchtlinge
im bettelarmen Südsudan - daran sollte man all diejenigen erinnern, die jetzt in diesem reichen Deutschland den
Eindruck erwecken, wir wären überfordert mit denen, die
auf der Flucht vor Krieg und Armut zu uns kommen .
({0})
Genauso wie diejenigen, die zu uns flüchten und unsere Unterstützung brauchen, brauchen die Flüchtlinge
im Südsudan unsere volle Unterstützung . Was sie nicht
brauchen, sind Soldaten .
({1})
Wer trägt die Verantwortung für dieses Desaster?
Zunächst einmal die Führer der verfeindeten Bürgerkriegsparteien . Es handelt sich ja nicht um irgendwelche
Aufständische; es handelt sich um die Truppen des Präsidenten Kiir gegen die seines vormaligen Vizepräsidenten
Riek Machar .
Es war das Ziel der Bundesregierung, mit der militärischen Beteiligung an UNMISS die gemeinsame Regierung von Kiir und Machar zu stützen . Die Begründung
war damals - ich zitiere Kerstin Müller von den Grünen
im Jahr 2012 -, dass allein die Präsenz der Soldatinnen
und Soldaten in der Fläche zur Beruhigung der Gewaltkonflikte beiträgt. Der seit Dezember 2013 tobende Bürgerkrieg zeigt: Das war eine Illusion .
({2})
Ausländische Soldaten sind nicht in der Lage - ob mit
oder ohne UN-Mandat -, einen Frieden von außen zu
schaffen .
Der Bundesregierung ging es damals auch um andere
Motive . Der Einsatz im Südsudan - einem Land, in dem
viel Erdöl zu finden ist - reiht sich ein in das Bemühen,
an möglichst vielen Krisenherden der Welt mit eigenen
Soldaten präsent zu sein . Es ging auch darum, über die
Stabilisierung der Herrschaft Kiirs Einfluss zu gewinnen.
Deshalb, meine Damen und Herren, haben wir von der
Linken die Entsendung der Bundeswehrsoldaten auch
schon damals abgelehnt .
({3})
Aber auch andere vertreten in diesem Bürgerkrieg
ihre Interessen . Neben UNMISS hat Uganda als Verbündeter der USA und auch Deutschlands in der Region
mit Hubschraubern und Bodentruppen aufseiten Kiirs in
den Konflikt eingegriffen. Im Südsudan ist inzwischen
ein Staat entstanden, in dem es keine Rechenschaft darüber gibt, wohin die Öleinnahmen fließen. Der Kampf
zwischen Machar und Kiir ist auch ein Kampf um die
Ölmilliarden . In diesem Kampf wird die Herrschaft Kiirs
zunehmend unberechenbar . Ein UN-Bericht warf Regierungssoldaten im Sommer vor, Frauen und Mädchen vergewaltigt und bei lebendigem Leib verbrannt zu haben .
Auch Machars Truppen haben sich schwerer Verbrechen
schuldig gemacht . Vier Jahre Blauhelmeinsatz nach Kapitel 7 der UN-Charta haben die Eskalation der Grausamkeiten nicht unterbinden können . Die Kämpfe gehen
weiter und ziehen UNMISS mit hinein .
Im Oktober nahmen die Truppen Machars
13 UNMISS-Mitarbeiter und 18 bengalische Blauhelmsoldaten als Geisel, eroberten Waffen, Gerät und 55 000
Liter Treibstoff . Die Aufständischen mutmaßten, es handele sich um eine verkappte Waffenlieferung für Regierungstruppen . Mit demselben Argument haben im letzten Jahr Regierungstruppen UN-Laster angehalten und
beschlagnahmt . Das Problem ist, dass unter dem Dach
von UNMISS zivile und militärische Komponenten nebeneinander bestehen, und das gefährdet letztendlich die
zivile Hilfe .
({4})
Die zivile Hilfe - darüber sind wir uns absolut einig - wird angesichts der katastrophalen Situation in
den Flüchtlingslagern und angesichts der Hungerkatastrophen dringend benötigt . Deswegen sagt die Linke:
UNMISS muss vollkommen entmilitarisiert werden . Wir
werden diesem Militärmandat nicht zustimmen .
({5})
Nächster Redner ist Jürgen Hardt, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Staatsminister Roth hat in seiner Einbringungsrede die
konkreten Fakten und Eckdaten des Mandatsantrags der
Bundesregierung genannt, und wir werden kommende
Woche in den Ausschüssen darüber abschließend beraten . Ich bin sicher, dass wir eine Mehrheit haben werden .
Wenn wir auf die Situation im Südsudan blicken und
uns die Erwartungen in Erinnerung rufen, die wir vor
vier Jahren hatten, als wir im Bundestag diesen jüngsten Staat auf der Erde in der Völkergemeinschaft begrüßt
haben, müssen wir leider feststellen, dass sich von unseren Erwartungen nahezu nichts erfüllt hat . Wir haben
einen aktuellen Bericht der Afrikanischen Union über
die Menschenrechtslage im Süden Sudans . Man kann
gar nicht vorlesen, was dort an Gräueltaten beschrieben
wird: Mord, Vergewaltigung und Folter . Das sind ganz
extrem schlimme Dinge, und es ist kaum vorstellbar, dass
Menschen zu solchen Gräueltaten fähig sind . Deswegen
kann, glaube ich, kein Zweifel daran bestehen, dass die
15 000 Soldaten, die im Rahmen dieses UN-Mandats
dort Dienst tun, einen wichtigen Beitrag leisten, um wenigstens das Allerschlimmste zu verhindern .
Das Mandat der Vereinten Nationen ist aktuell um den
Auftrag zur Unterstützung des Friedensprozesses erweitert worden . Es gibt einen Friedensvertrag, der zwar nicht
eingehalten wird, aber wir haben immerhin eine Gesprächsbasis zwischen den beiden verfeindeten Führern,
und wir haben die Situation, dass die Zivilbevölkerung
von diesen 15 000 Soldaten geschützt wird .
An die Adresse der Linken sage ich: Wenn es diese
Soldaten und die Polizisten dort nicht gäbe, dann würden nicht nur Treibstofftransporte der Vereinten Nationen, sondern im Zweifel auch Lebensmittellieferungen,
Medikamente und Sanitätsmaterial nicht die Betroffenen
erreichen, sondern in irgendwelchen schwarzen Kanälen
der Warlords verschwinden . Von daher kann ich diese
Logik nicht nachvollziehen .
Wir haben seitens der Bundeswehr 16 Soldaten im
Einsatz . Die beantragte Obergrenze sind 50 Soldaten . Ich
hoffe, dass das ausreicht . Angesichts der Gräueltaten sind
die derzeit 16 Soldaten und 10 Polizisten sicherlich ein
kleiner, aber wichtiger deutscher Beitrag . Denn sie haben
in den Stäben Funktionen inne, die auch dafür sorgen,
dass die Soldaten der UNMISS entsprechend gut eingesetzt werden können .
Ich möchte auch kurz auf das Flüchtlingsthema eingehen . 2,2 Millionen Menschen sind im Süden des Sudan
auf der Flucht . Das zeigt schlaglichtartig, in welcher Situation wir in der Welt sind . Wir müssen unbedingt dafür
sorgen, dass die Flüchtlingslager vernünftig ausgestattet
sind . Ich bin dem Außenminister dafür dankbar, dass er
am Rande der Vollversammlung der Vereinten Nationen unter den Außenministern der G-7-Staaten eine Art
Sammelaktion veranstaltet hat, bei der mit 1,8 Milliarden Euro eine erhebliche Summe zur finanziellen Unterstützung der Flüchtlingswerke und des World Food Programmes zugesagt worden ist, sodass wir sagen können:
Die Gefahr, dass die Programme von der Hand in den
Mund leben müssen, wie es dieses Jahr der Fall war, ist
Gott sei Dank für die nächsten Monate gebannt . Aber es
muss weiter konsequent daran gearbeitet werden, dass
diese Hilfswerke nicht von der Hand in den Mund leben,
sondern dass sie überall dort, wo sie gefordert sind, ihre
Hilfsleistungen auf einer vernünftigen finanziellen Basis
erbringen können .
Ich möchte abseits vom Thema Südsudan einen weiteren Aspekt ansprechen . Es gibt alarmierende Meldungen aus einem anderen afrikanischen Land, aus Burundi .
In Burundi droht nach Aussagen einiger Experten ein
Völkermord, wie wir ihn vor 21 Jahren in Ruanda erlebt haben . Ich möchte die Bundesregierung und auch
uns im Deutschen Bundestag auffordern, dass wir uns in
den nächsten Stunden und Tagen diesem Thema intensiv
widmen,
({0})
dass wir die Bundesregierung ermutigen, gegebenenfalls
mit anderen europäischen Staaten bei den Vereinten Nationen aktiv zu werden und dass wir unser Versprechen,
das wir nach dem Völkermord in Ruanda abgegeben haben, dass wir so etwas nie wieder geschehen lassen wollen, auch halten .
Die Meldungen aus Burundi, wo es wieder gegen die
Tutsi geht, sind sehr alarmierend . Es gibt ein Ultimatum,
das am Samstag ausläuft . Ich glaube, dass wir uns gegebenenfalls nächste Woche im Deutschen Bundestag
dieser Frage widmen müssen . Wir werden das im Auswärtigen Ausschuss besprechen .
Ich glaube, dass wir eine gute Vorlage der Bundesregierung für dieses Mandat haben . Ich glaube, dass die
Koalition diesem Mandat guten Gewissens zustimmen
kann, und ich würde mir wünschen, dass dies auch andere Fraktionen tun . Denn UNMISS ist in der Tat auch eine
große Aktion der Menschlichkeit .
Herzlichen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Dr . Frithjof
Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, alle Versuche der internationalen Gemeinschaft, im
Südsudan einen Waffenstillstand zu vermitteln und Frieden zu stiften, sind bisher leider gescheitert; da haben
Sie völlig recht, Frau Buchholz . Aber die entscheidende
Frage lautet, warum das so ist und welche Konsequenzen man daraus zieht . Den Anschein zu erwecken, die
Ursache dafür, dass das gescheitert ist, seien die Bemühungen der Vereinten Nationen, dort Peacekeeping zu
betreiben - das haben Sie im Grunde hier in den Raum
gestellt -, ist absurd und abwegig .
({0})
Man muss sich in der Tat die konkreten Konfliktursachen anschauen; Sie haben auch einige angesprochen .
Aber die letzte Vereinbarung aus dem Sommer wurde von
beiden Parteien wieder gebrochen . Die Untersuchungskommission der Afrikanischen Union unter Leitung von
Herrn Obasanjo, dem ehemaligen nigerianischen Präsidenten, hat in ihrem Bericht klargemacht: Präsident Kiir
und sein Gegner, Exvizepräsident Machar, haben sich
schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht . Beide gehören vor ein internationales Strafgericht .
({1})
Dafür sollten wir uns alle einsetzen, insbesondere die
Bundesregierung . Hier wünsche ich mir ein klares Wort
von der Bundesregierung .
Es wurde schon beschrieben: Die humanitäre Lage
im ganzen Land ist katastrophal . Zweieinhalb Millionen
Menschen sind auf der Flucht . Viereinhalb Millionen
Menschen könnten ohne die Nahrungsmittelhilfe der UN
nicht überleben . Diese Hilfe wäre ohne die Präsenz der
UN-Truppen so auch nicht durchsetzbar . Ganze Landstriche sind verlassen . Die Menschen müssen immer wieder vor Massakern fliehen. Auch die Hilfsorganisationen
werden zunehmend mehr zur Zielscheibe der Gewalt .
Was die Vereinten Nationen unter diesen schwierigen
Umständen leisten, ist enorm und verdient Anerkennung .
({2})
Die 11 000 Soldaten von UNMISS versuchen alles,
um die Zivilbevölkerung zu schützen . Das gelingt nicht
überall und nicht immer . Aber über 200 000 Flüchtlinge
haben Schutz in den UNMISS-Camps gefunden . Das allein ist jedenfalls für mich Grund genug, für die Fortsetzung dieses Einsatzes zu stimmen .
({3})
Auch für die Verteilung der humanitären Hilfe spielt
UNMISS eine Schlüsselrolle . Ohne die Präsenz der
Blauhelme wäre die Versorgung großer Landesteile nicht
möglich . Den Eindruck zu erwecken, dass die Versorgung besser liefe, wenn die Blauhelme nicht mehr da wären, ist völlig abwegig .
({4})
Es gibt aber einen internationalen Skandal; Staatsminister Roth hat ihn bereits angesprochen . Obwohl schon
November ist, ist erst rund die Hälfte der für 2015 zugesagten Gelder zur Versorgung der Flüchtlinge bei
der UNO eingegangen . Hier wiederholt sich das Versorgungsdrama, das wir in diesem Jahr schon in Syrien
erleben mussten; Sie haben darauf hingewiesen . Bald
werden Rationen gekürzt werden müssen . Das darf doch
nicht wahr sein! Herr Staatsminister, ich wünsche mir
eine diplomatische Initiative der Bundesregierung, um
die Finanzierung der humanitären Nothilfe zu sichern .
({5})
Wir dürfen das alles nicht nur beschreiben . Vielmehr
muss gehandelt werden . Sie hätten die entsprechenden
Möglichkeiten . In diesem Punkt erhoffe ich mir mehr
von der Bundesregierung .
Auch in einem weiteren Bereich ist politische Initiative notwendig . Die Bundesregierung muss sich energisch
dafür einsetzen, dass der UN-Sicherheitsrat endlich ein
Waffenembargo für den Südsudan beschließt . Die Europäische Union ist vor einem Jahr vorangegangen, und die
UNO sollte endlich folgen . Wir dürfen nicht nachlassen,
das einzufordern .
UNMISS hat große Probleme . UNMISS schafft es
nicht, alle Menschen im Südsudan zu schützen und zu
versorgen . Aber für Hundertausende ist UNMISS Zuflucht und Rettung. Ich will den Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion deutlich sagen: Eine Schwächung von UNMISS oder gar ein Abzug wären für all
diese Menschen eine Katastrophe . Deswegen sollten wir
alles tun, um UNMISS zu stärken . Deutschland beteiligt
sich derzeit mit 16 Soldaten und 10 Polizisten an der
Mission . Dieses Mandat zu verlängern, ist das Mindeste,
was wir tun sollten .
Danke für die Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege
Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Dr . Schmidt, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie in
Ihrem Beitrag noch einmal explizit darauf eingegangen
sind, dass das, was wir im Südsudan machen, eine Friedensmission ist und dass Gott sei Dank in diesem Haus
eine sehr breite Übereinstimmung darüber besteht, dass
dieser Einsatz fortgesetzt werden muss .
Die Rahmenbedingungen sind eindrücklich und vielfach beschrieben worden . Obwohl der Südsudan an sich
ein Land mit besten Voraussetzungen und umfangreichen
Ölvorkommen ist, ist er auch ein Land, in dem 50 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben,
es 4,7 Millionen Menschen an Lebensmitteln mangelt
und 30 000 Menschen unmittelbar vor dem Hungertod
stehen . Auch die Situation der Flüchtlinge, die ein Fünftel der Bevölkerung im Südsudan ausmachen, ist eindrücklich beschrieben worden .
Es ist eigentlich nicht hinzunehmen, dass der Südsudan nicht nur das jüngste Land der Erde ist, sondern
darüber hinaus auch eines der ärmsten . An dieser Stelle
muss man ansetzen, zumal völlig klar ist, dass die humanitäre Nothilfe aus Sicherheitsgründen kaum möglich ist .
Zum Beispiel beschreiben das World Food Programme
der UN oder auch UNICEF, dass viele Hilfsmaßnahmen
letztlich aufgrund der mangelnden Sicherheit im Land
nicht möglich sind . Hier muss Abhilfe geschaffen werden .
Die beiden Kontrahenten, die sich hier gegeneinander
positionieren, Präsident Kiir und der Oppositions- und
Rebellenführer Machar, kämpfen einen ganz persönlichen Kampf . Es ist ein Kampf entlang ethnischer Linien - auch darüber haben wir in diesem Haus bereits
gesprochen -, zwischen Dinka und Nuer . Es ist im Südsudan ganz offensichtlich, dass Fluchtursachen auch
durch Klimaveränderungen entstehen, die unmittelbar
Auswirkungen auf Gewaltkonflikte haben. Man kann im
Südsudan sehen, dass die Dürreperiode im Sommer dazu
geführt hat, dass die ohnehin schon spärlichen Ernten
noch weiter gemindert worden sind . All das ist ein Kompott, das letztendlich dazu führt, dass Fluchtursachen
entstehen .
Wenn man sich den Südsudan anschaut, kann man eine
Bevölkerung sehen, die zu 65 Prozent jünger als 25 Jahre
ist, man sieht ein Land, in dem eine Geburtenrate von
4 Prozent zu der am schnellsten wachsenden Bevölkerung in der Welt führt, ein Land, wo die Situation der
mangelnden Sicherheit und der mangelnden ökonomischen Entwicklung dazu führt, dass die Menschen keine
Chance und keine Perspektive für sich und ihre Familien
sehen . Das sind genau die Gründe, die zu Flucht und Vertreibung führen . Ich glaube, dass es richtig ist, an dieser
Stelle anzusetzen und dafür zu sorgen, dass wir den Menschen Perspektiven in ihren Herkunftsländern eröffnen .
Herr Staatsminister Roth, Sie sind darauf eingegangen: Das, was die Bundesregierung, die Bundesrepublik
Deutschland auch im europäischen Konzert tut, ist sehr
vielfältig . Denken Sie beispielsweise an die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen - Flüchtlinge reintegrieren“ . Dabei geht es darum, mit 47 Millionen Euro in
der Region etwas zu tun . Mit diesen 47 Millionen Euro
hat man etwa 2 Millionen Flüchtlinge des Südsudans in
der Region erreicht . Denken Sie an die 5,3 Millionen
Euro aus dem Topf des Energie- und Klimafonds oder an
die unmittelbare humanitäre Hilfe, die allein in diesem
und im vergangenen Jahr 46 Millionen Euro betragen
hat . Oder denken Sie an die Entwicklungszusammenarbeit, die auf eine langfristige Verbesserung der Situation
vor Ort hinausläuft .
Wenn man damit die 1,5 Millionen Euro vergleicht,
die uns UNMISS im kommenden Jahr kosten wird, dann
wird doch ganz klar und deutlich, dass wir versuchen, in
einem vernetzten Ansatz auf die unterschiedlichen Bedürfnisse einzugehen . Ich will auch darauf hinweisen,
dass die Verlängerung des UNMISS-Mandats nicht nur
den Einsatz von Soldaten umfasst, sondern ausdrücklich auch von Polizisten der Bundes- und der Länderpolizeien . Diese werden insbesondere dazu eingesetzt, zu
verhindern, dass weiterhin massiv Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere gegen Frauen und Kinder,
verübt wird . Ich glaube, das ist der richtige Ansatz, bei
dem wir nicht über ein Weniger, sondern über ein Mehr
an deutscher Verantwortung unmittelbar vor Ort sprechen sollten .
({0})
Ich will zuletzt auf einen Punkt hinweisen, der mir
wichtig ist und den der Kollege Jüttner in der vorausgegangenen Aussprache angesprochen hat: „More for
more“ . Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir Hilfe
letztlich auch an nachprüfbare Forderungen knüpfen .
Es kann nicht sein, dass Kredite in China aufgenommen
werden, um Waffen zu beziehen, und dass die Versorgung
der gesamten Bevölkerung der internationalen Staatengemeinschaft überlassen bleibt . Ich glaube, wir müssen
sehr viel stärker die politische Elite vor Ort in Haftung
nehmen . Da geht es um ein Waffenembargo; Sie haben es
angesprochen . Da geht es um das Einfrieren von Konten .
Da geht es um Reisebeschränkungen . Da geht es darum,
zu sagen: So geht es nicht .
Es geht nicht, dass man zwei Drittel des Staatshaushaltes für Sicherheit und Verteidigung einsetzt,
nur 11 Prozent für Gesundheit, Bildung und Erziehung
und nur 4 Prozent für Infrastruktur . Das darf man auch
den Machthabern dort nicht durchgehen lassen . Herr
Dr. Schmidt, Sie haben etwas zu den Konsequenzen gesagt . Dem kann man eigentlich nicht widersprechen .
Herzlichen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Da der Kollege Frithjof Schmidt den
Staatsminister Roth direkt angesprochen hat, erteile ich
dem Staatsminister jetzt nach § 30 der Geschäftsordnung
kurz das Wort zu einer Erwiderung . Der Kollege Schmidt
darf dann darauf ebenfalls erwidern .
Bitte, Herr Kollege Roth .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege
Schmidt, Sie haben mich direkt angesprochen, verbunden
mit dem Appell, dass die Bundesregierung eigeninitativ
handeln solle, um der dramatischen Unterfinanzierung
des UNHCR und auch des Welternährungsprogramms zu
begegnen . Ich weiß Sie als einen engen Verbündeten an
unserer Seite wie im Übrigen ganz viele Bundestagsabgeordnete; schließlich hat nicht zuletzt der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages im Rahmen des Nachtragshaushaltes 2015 die Mittel für diese Programme um
75 Millionen Euro erhöht . Das versetzt mein Haus in die
Lage, den Worten auch Taten folgen zu lassen, genau wie
Sie es wollten .
Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass gerade
gestern bei uns im Auswärtigen Amt eine Konferenz
stattfand, zu der der UN-Flüchtlingskommissar eingeladen war, der UN-Sonderbeauftragte für Migration, der
Generalsekretär der Internationalen Flüchtlingsorganisation und der Generalsekretär der Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, um gemeinsam
zu besprechen, was jetzt zu tun ist, um der dramatischen
Situation vor Ausbruch des Winters zu begegnen . Insofern tun wir viel . Danke für Ihre Unterstützung .
({0})
Herr Schmidt, möchten Sie darauf erwidern? - Bitte
schön .
Herr Staatsminister, ich freue mich natürlich, dass die
Bundesregierung da initiativ geworden ist . Ich will nur
die Gelegenheit nutzen, daran zu erinnern, dass wir uns
alle angesichts dieser internationalen Situation an den
Kopf fassen müssen . Wir werden nachher noch über Darfur sprechen . Dort besteht die gleiche Situation .
Wir erleben, was in Syrien geschieht . Wir alle haben
gesagt: Es darf nicht wieder vorkommen, dass die Kassen
der Hilfsorganisationen so leer sind . Wir erleben jetzt,
was im Sudan, im Südsudan und insbesondere in Darfur
geschieht . Es ist einfach dringend notwendig, dass da diplomatische Initiative ergriffen wird . Ich weiß, dass die
Bundesregierung ihre Beiträge dazu leistet. Ich finde gut,
wenn sie diese Beiträge auch verstärkt . Aber mehr ist nötig . Wir dürfen einfach nicht durchgehen lassen, dass die
internationale Gemeinschaft wieder so versagt . Sie haben
recht: Ich unterstütze Sie in Ihren Bemühungen .
({0})
Vielen Dank . - Sie alle haben noch genügend Gelegenheit, das weiter zu diskutieren; denn die Vorlage auf
Drucksache 18/6504 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden . Das ist interfraktionell so vereinbart . - Ich sehe, Sie sind alle damit
einverstanden . Dann ist das so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Kirsten
Tackmann, Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen
einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Nicole Maisch, Christian Kühn
({1}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Zukunft der Tierhaltung - Artgerecht
und der Fläche angepasst
Drucksachen 18/1872, 18/3732, 18/6437
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Auch hier höre
ich keinen Widerspruch . Dann sind Sie alle damit einverstanden, und dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dieter Stier, CDU/CSU-Fraktion .
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute
wiederholt zwei Oppositionsanträge, nämlich erstens den
Antrag der Linksfraktion vom 24 . Juni 2014 und zweitens den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vom 14 . Januar dieses Jahres, beide zur Zukunft der Tierhaltung in Deutschland .
Meine Damen und Herren, bevor ich näher auf diese
beiden Anträge eingehe, will ich zu Beginn meines Redebeitrags abermals die Leistungen der Beschäftigten in der
deutschen Landwirtschaft würdigen, insbesondere derer,
die in der Tierhaltung 365 Tage im Jahr und ungeachtet
der Frage, ob Werktag, Sonntag oder Feiertag ist, tätig
sind und ihre Tiere versorgen, damit unsere Ernährungsgrundlage gesichert ist . Dafür will ich mich an dieser
Stelle herzlich bedanken .
({0})
Ich will das insbesondere auch mit Blick auf die aktuelle Situation in Deutschland, in Europa und in der
Welt tun, in der wir gegenwärtig vermehrt wahrnehmen,
dass ein Leben in Frieden mit einem sicheren Dach über
dem Kopf und ohne Hunger beileibe nicht überall selbstverständlich ist . Ich wünsche mir, dass wir uns das gelegentlich in Erinnerung rufen, wenn wir über Maß und
Schnelligkeit der weiteren Verbesserung von Standards
in unserem Land diskutieren, wie das heute wieder der
Fall ist .
Ich möchte ebenfalls betonen, dass wir in unserem
demokratischen Gemeinwesen selbstverständlich vieles
fordern können, dabei aber immer auch die Erhaltung der
Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Branche, über die
wir reden, im Auge haben sollten .
In meinem Heimatland Sachsen-Anhalt lag die Bruttowertschöpfung im Jahr 2014 im Wirtschaftsbereich
Land- und Forstwirtschaft inklusive Fischerei je Erwerbstätigen bei 47 100 Euro - in Deutschland lag sie
bei rund 30 600 Euro -; das entspricht 154 Prozent des
Bundeswerts . Bei den Lohnkosten des primären Sektors
ist dies ähnlich: Die Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmer lagen mit 26 114 Euro in meinem Heimatland über
dem Bundeswert von 21 560 Euro, damit bei 121 Prozent
des Bundeswerts . Ich nenne Ihnen diese Zahlen, damit
Sie sehen, warum es mir nicht leichtfällt, Anträgen zur
Veränderung von Betriebsstrukturen schnell und ohne
kritische Reflexion zu folgen.
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken,
fordern die Einführung von regionalen Bestandsobergrenzen . Festzustellen ist hier zunächst, dass die Konzentration der Tierhaltung und damit auch die Erhöhung
der Tierdichte pro Hektar, insbesondere in der Veredlung,
in Deutschland kein flächendeckendes, sondern ein eher
regionales Phänomen ist . Deshalb kann eine bundeseinheitliche Regelung nach meinem Dafürhalten nicht Ziel
sein, sondern die Dinge sind nach meiner Meinung durch
verantwortungsvolle Wahrnehmung des Planungsrechts
vor Ort zu entscheiden .
Nicht die Größe der Bestände ist entscheidend, sondern die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter, das Management der Anlage und die Situation vor Ort . Auch
große Tierbestände sind für professionelle Betriebsinhaber tierschutzgerecht handhabbar und von ihnen zu
meistern . Kontrollergebnisse belegen immer wieder, dass
aufgefundene Mängel in keinem Zusammenhang mit der
Bestandsgröße stehen .
Der Antrag ist auch deshalb entbehrlich, weil die Bundesregierung mit der Novelle zum Baugesetzbuch bereits
einen wirkungsvollen Beitrag zur Stärkung der flächengebundenen Tierhaltung geleistet hat .
Sie, meine Damen und Herren von den Grünen,
fordern eine Abschaffung der Privilegierung im AuDr. Frithjof Schmidt
ßenbereich für Tierhaltungsanlagen sowie eine strikte
Flächenbindung: zwei Großvieheinheiten pro Hektar
landwirtschaftlicher Nutzfläche. Ich stelle Ihnen die Frage: Wenn Sie Tierhaltung im Außenbereich einer kommunalen Bebauung nicht mehr zulassen wollen, wo soll
sie denn in unserem Land überhaupt noch hinpassen?
Dann müssen Sie hier auch deutlich sagen, dass Sie die
landwirtschaftliche Tierhaltung immer weiter einschränken wollen . Das unterscheidet uns; denn das wollen wir
von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht .
Ich spreche mich ebenfalls zum wiederholten Mal
und deutlich gegen eine Ausweitung des im Antrag der
Linken geforderten Verbandsklagerechts aus . Es ist nicht
zielführend . Vielmehr glaube ich, dass die Behörden in
unserem Land aufgrund der geltenden Gesetze durchaus
in der Lage sind, verantwortungsvoll zu entscheiden .
({1})
Gleichwohl sind wir uns alle einig, dass wir für die
gesellschaftliche Akzeptanz der Tierhaltung weitere Verbesserungen erreichen wollen und das auch können . Die
Große Koalition arbeitet engagiert an der Erreichung dieses Ziels . Ich erinnere daran, dass wir in den Agrarhaushalt beträchtliche Summen für die Tierschutzforschung
eingestellt haben . Ich erinnere an die Tierwohl-Initiative von Bundesminister Christian Schmidt . Ich bedanke
mich, Herr Staatssekretär, auch bei der Bundesregierung
für die engagierte Zusammenarbeit . Davon, dass verbindliche Freiwilligkeit, die ja manchmal auch kritisiert wird,
durchaus funktioniert, konnten wir uns erst heute Morgen beim Parlamentarischen Frühstück - viele von Ihnen
waren dabei - beim Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft überzeugen. Die Geflügel-Charta 2015 ist
in Kraft - freiwillig und durch Selbstverpflichtung.
({2})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss .
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, leider erlaubt mir die vorgegebene Redezeit hier keine längeren
Ausführungen . Ihre Anträge sind im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ausführlich beraten worden .
Dieser Ausschuss hat dem Hohen Haus die Ablehnung
dieser beiden Anträge empfohlen . Ich darf Sie herzlich
bitten, der Ausschussempfehlung Folge zu leisten .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
Dr . Kirsten Tackmann .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste auf der Tribüne! Vor über einem Jahr hat
die Linke ihren Antrag dem Bundestag vorgelegt . Ja, wir
wollen die Größe von Nutztierbeständen am Standort
und die Anzahl der Nutztiere in den Regionen deckeln .
({0})
Das richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Tierhaltung in landwirtschaftlichen Betrieben . Im Gegenteil:
Hier kämpfen viele tagtäglich um bestmögliche Bedingungen für Tiere, Menschen und Umwelt . Sie brauchen
uns, und wir brauchen sie - für die Lebensmittelproduktion, aber auch zum Erhalt des Grünlandes, der Bodenfruchtbarkeit und zur Pflege der Kulturlandschaft. Der
Widerstand in den Regionen richtet sich gegen die Megaställe, und das völlig zu Recht .
({1})
Seien wir doch einmal ehrlich: Die Skepsis gegenüber
Anlagen mit 400 000 Hähnchen oder 40 000 Schweinen
gibt es doch in allen Fraktionen . Wenn in einem einzigen
Landkreis 100 000 Hektar zur Gülleausbringung fehlen,
dann ist das doch ein real existierendes Problem . Ich sage
ganz klar - auch wenn das in Niedersachsen vielleicht
mancher denkt -: Ostdeutschland ist kein Gülleerwartungsland .
({2})
Zu viele Nutztiere an einem Standort oder in einer Region gehen aber auch auf Kosten der Lebensqualität in
den Dörfern . Ich sage ganz klar: Wer lebendige Dörfer
will, muss auch das im Auge behalten .
Für mich als Tierärztin gibt es aber noch einen weiteren schwerwiegenden Grund für unseren Antrag . Stellen
wir uns doch einmal Folgendes vor: In einem solchen
Megabestand oder in einer so extrem viehdichten Region
gibt es den Verdacht einer gefährlichen Tierseuche, sagen
wir mal: Vogelgrippe oder Schweinepest . Dann müssen
alle Tiere getötet werden . Im August 2007 mussten zum
Beispiel auf einem einzigen Hof in Bayern 160 000 Enten wegen Vogelgrippe gekeult werden . Das war die bisher größte Keulungsaktion, die es in Deutschland gab .
Zwischen 2004 und 2014 mussten wegen Vogelgrippe
deutschlandweit 1,2 Millionen Stück Geflügel getötet
werden . Fast die Hälfte stammte aus dem sogenannten
Geflügelgürtel Niedersachsens. Ich finde, das ist ein Drama .
({3})
Wer solche Folgen minimieren will, muss die Bestandsgrößen deckeln und die Bestandsdichte in den Regionen reduzieren, erst recht, weil das Risiko der Einschleppung von Tierseuchen in der globalisierten Welt
noch steigt . Natürlich brauchen wir für solche Obergrenzen wissenschaftliche Grundlagen . Aber genau das fordert ja die Linke . Hören Sie also heute auf die Stimme
der Vernunft, und stimmen Sie unserem Antrag zu .
({4})
Damit können wir zum Beispiel auch den Frieden
wieder in die Dörfer tragen . Ich sage ganz klar: Damit
stärken wir der regional angepassten landwirtschaftlichen Tierhaltung den Rücken . Diese Betriebe müssen
gerade einiges aushalten: viel körperlich schwere Arbeit,
oft zu wenig familienfreundlichen Zeiten . Statt faire Erzeugerpreise bekommen sie nur Almosen, während sich
Supermarktketten, Schlachthöfe oder Molkereien ihre
Gewinne sichern .
Deshalb kämpfen viele Betriebe tagtäglich ums Überleben . Trotzdem sollen sie für mehr Tierwohl sorgen, die
Umwelt schützen und Mindestlohn zahlen . Ich kann gut
verstehen, wenn sie sich zu Unrecht an den Pranger gestellt fühlen und die Welt nicht mehr verstehen; denn sie
sind die Verlierer einer falschen EU-Agrarpolitik . Sie hat
die Landwirtschaft zum billigen Rohstofflieferanten für
den Weltagrarmarkt degradiert . Aus Sicht der Linken ist
das ein fataler Fehler,
({5})
der übrigens auch die Akzeptanz der Bevölkerung kostet . In der Tierhaltungsdebatte geht es doch nicht nur um
ethische Bedenken, sondern auch darum, dass die Kuh
in der Nachbarschaft eher akzeptiert wird, wenn ihre
Milch die Region versorgt, statt zu Milchpulver verarbeitet nach China geschickt zu werden . Es gibt also gute
Gründe, dem Antrag der Linken heute zuzustimmen . Ich
bitte Sie darum .
({6})
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Christina Jantz .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Bleser, aufgrund der Bewertung der
WHO zum Verzehr von verarbeitetem Fleisch lag der Fokus in den letzten Tagen insbesondere auf der Frage: Was
kann Wurst mit den Menschen machen?
Ich bin dankbar dafür, dass uns die Diskussion der
beiden Anträge der Opposition die Chance gibt, auch die
Frage wieder in unser Blickfeld zu nehmen: Was macht
der Mensch mit Tieren, die zu unserer Wurst, zu unserem
Essen werden?
({0})
Klar ist: Wie der Mensch seine Nutztiere hält, ist allzu
oft nicht artgerecht . Klar ist auch: Hier müssen wir etwas
tun . Nur: Die Hauptpunkte der Anträge der Opposition
gehen am Problem vorbei .
({1})
Die Anträge der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen sehen die Einführung von Bestandsobergrenzen bzw .
die rechtliche Verankerung der flächengebundenen Tierhaltung als Schlüssel zur artgerechten Nutztierhaltung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit machen Sie es
sich leider ein bisschen zu einfach . Gute Tierhaltung lässt
sich nicht nur auf die Größe des Betriebes reduzieren .
({2})
Es ist Symbolpolitik, die wir nicht mittragen können .
({3})
Nach derzeitigem Kenntnisstand hat die Betriebsgröße
gegenüber anderen Einflussfaktoren, wie beispielsweise
die Managementqualität, einen vergleichsweise geringeren Einfluss auf das Tierwohl. Das zeigt auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik,
Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz des
Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft .
Entscheidend ist also immer das Wie der Tierhaltung .
Noch einen weiteren Punkt möchte ich nennen, der
mich in Ihren Anträgen irritiert hat: Ihre Anträge lassen
die Landwirtinnen und Landwirte fast komplett außen
vor . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Veränderungen in
der Nutztierhaltung lassen sich nur im Dialog mit denjenigen erreichen, die tagtäglich im Stall arbeiten .
({4})
Wir wollen spürbare Verbesserungen für die Tiere .
Die SPD steht daher zum Leitbild einer dem Standort
angepassten, regional verankerten und flächendeckenden
Landwirtschaft unterschiedlicher Strukturen und Produktionsausrichtungen . Sehr wohl streben wir dementsprechend einen an die Fläche angepassten Tierbestand
an . So haben wir es auch gemeinsam im Koalitionsvertrag festgehalten .
Einen Beitrag hierzu hat die Bundesregierung zum
Beispiel durch die Novelle zum Baugesetzbuch geleistet .
Gewerbliche Tierhaltungen werden danach beim Bauen
im Außenbereich nicht mehr privilegiert, wenn sie bestimmte Größen überschreiten . Meine Damen und Herren, Sie wissen, das sind zum Beispiel 15 000 Hennen,
1 500 Mastschweine .
Die negativen Auswirkungen der zunehmenden regionalen Konzentration von Tierhaltung im großen Maßstab liegen jedoch weniger im Bereich des Tierwohls als
vielmehr im Bereich der Umwelt - das Stichwort „Gülleentsorgung“ ist schon angeklungen - und im Bereich
der Tiergesundheit - Stichworte „Seuchenrisiko“ und
„Antibiotikaeinsatz“ . Hier sind schon eine Reihe von
Vorhaben abgeschlossen worden, wie zum Beispiel in
Bezug auf die Gülleproblematik die Verbringungsverordnung . Andere Vorhaben sind gerade in der Mache . Hier
spreche ich vom Düngegesetz oder auch von der Düngeverordnung . Eine wirksame Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes - ich glaube, da sind wir uns alle einig - ist
unerlässlich .
({5})
Weitere Maßnahmen müssen hier selbstverständlich folgen .
Als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion möchte ich mich an dieser Stelle nun wieder dem
Kernthema der artgerechten Nutztierhaltung widmen .
Wichtige Impulse für die Diskussion um artgerechte
Tierhaltung in Deutschland kann uns das bereits erwähnte Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ geben, und zwar nicht nur in Bezug
auf das von Ihnen angesprochene Thema Bestandsobergrenzen . Der WBA hat konkrete Empfehlungen vorgelegt, wie man den Tierschutz in der Landwirtschaft auch
schon kurzfristig verbessern kann .
Das Gutachten unterstützt in zentralen Punkten die
Position der SPD-Bundestagsfraktion zur Nutztierhaltung . Es zeigt deutlich: Eine von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptierte Tierhaltung kann nur funktionieren, wenn beispielsweise folgende Maßnahmen zeitnah
umgesetzt werden: die Einführung eines verbindlichen
staatlichen Tierschutzlabels neben freiwilligen Initiativen, die Koordination aller Tierschutzaktivitäten durch
den Bund in einem Bundesprogramm Tierwohl sowie
die Bereitstellung von mehr Finanzmitteln für die zweite
Säule der Agrarpolitik, um Tierschutzmaßnahmen tatsächlich entsprechend fördern zu können .
({6})
Nun geht es darum, die konkreten Maßnahmen auch
umzusetzen . Hier appelliere ich insbesondere an das
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
und an Bundesminister Christian Schmidt . Was das Ministerium bisher in Sachen Umsetzung, gerade auch der
Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats, hat verlauten lassen, reicht absolut nicht aus .
({7})
Beispielsweise ist in der Antwort auf die Kleine Anfrage,
die die Grünen kürzlich zur Umsetzung der Empfehlungen gestellt haben, fast nur von „beobachten“ und „prüfen“ die Rede .
({8})
Meine Damen und Herren, so lassen sich keine Veränderungen herbeiführen .
({9})
Mit dem Koalitionsvertrag haben wir eine gute Grundlage für Veränderungen hin zu mehr artgerechter Tierhaltung, und das WBA-Gutachten gibt da, wie gesagt, einen
wichtigen neuen Input . Herr Bleser, meine Damen und
Herren, nun kommt es darauf an, dass die Umsetzung
tatsächlich erfolgt .
Vielen Dank .
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Ostendorff
für Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Frühjahr dieses Jahres wurde das Gutachten „Wege zu
einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ des
Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesagrarminister
veröffentlicht, das der heute überwiegend praktizierten
Nutztierhaltung nach über 400 Seiten attestiert, nicht zukunftsfähig zu sein - so, wie wir es vor zwei Tagen bei
Herrn Pelzig bewundern durften . Es gibt zahlreiche Veranstaltungen dazu, überall volle Säle, viele Diskussionen
über das Ziel, einen Fahrplan zur artgerechten Tierhaltung aufzustellen . Diese Diskussionen werden im Übrigen immer mit der Landwirtschaft geführt .
Die einzigen, die offenbar kein Interesse an der Debatte haben, sind das Bundeslandwirtschaftsministerium,
der Deutsche Bauernverband und Sie von der CDU/CSU .
({0})
Man scheut sich scheinbar, sich dazu zu äußern, geschweige denn mit der Umsetzung der zahlreichen
Empfehlungen des Gutachtens zu beginnen . Sie sagen:
zu aufwendig, zu teuer, nicht machbar . - Stattdessen beschimpft man sämtliche Unterstützer als „Empörungsindustrievertreter“ . Herr Röring wird es sich gleich nicht
nehmen lassen, das noch mal auszubreiten . Ich glaube,
dass wir gleich von ihm etwas zum Thema Massentierhaltung hören . Ich sage schon mal vorweg, dass weder
im Antrag der Linken noch in unserem Antrag das Wort
„Massentierhaltung“ vorkommt . Trotzdem werden wir
gleich etwas dazu hören . Bei Herrn Stier war es genauso .
Er sprach von der Abschaffung der Privilegierung und
vom Verbandsklagerecht, aber davon steht nichts in unserem Antrag . Ich weiß nicht, wo er es gelesen hat . Aber
es mag ja sein, dass Sie einen anderen Antrag vorliegen
haben als den, den wir heute behandeln .
Minister Schmidt ist sich aber nicht zu schade, sich
mit hübschen Worten wie „Deutschland … Trendsetter
in Sachen Tierwohl“ oder gar „Tierwohlminister“ zu
schmücken . Das im Koalitionsvertrag von Ihnen vereinbarte Ziel, den wissenschaftlichen Diskurs zur tiergerechten Haltung auf den Weg zu bringen, wird mit dem
in der Schublade versenkten Beiratsgutachten als erledigt
angesehen .
Ja, Frau Jantz, Sie haben im Koalitionsvertrag das Ziel
der flächengebundenen Tierhaltung vereinbart. Ja, und?
Sie werden sie heute wieder ablehnen . - Da gibt es einen
gewissen Widerspruch .
({1})
Wir Grüne sind für eine Begrenzung der maximalen
Tierzahlen, sowohl betrieblich als auch regional .
({2})
Ähnlich haben sich auch schon Kolleginnen und Kollegen der Union geäußert, sogar Frau Mortler .
({3})
Wer hätte das gedacht? Der Vorschlag vom Kollegen Holzenkamp einer Bestandsbegrenzung von
50 000 Schweinen pro Betrieb, ist unserer Meinung nach
allerdings mindestens eine Nullstelle zu hoch .
({4})
Eines ist klar: Mit steigender Herdengröße nimmt die
Betreuungsintensität für das Einzeltier deutlich ab . Den
Ansprüchen einer artgerechten, tierbezogenen Haltung
kann der Tierhalter nur gerecht werden, wenn er die
Masse der Tiere noch überblicken kann . Wir haben das
damals, als Bärbel Höhn in Nordrhein-Westfalen Ministerin war, mit dem damaligen Betreuungserlass durchdekliniert und uns gefragt, was notwendig ist . Leider haben
Sie ihn sofort abgeschafft, als Sie an die Regierung kamen .
Es geht vor allen Dingen um die Tierhaltung zwischen
Nordsee und Ruhrgebiet, wo der Gülletourismus mittlerweile stärker wird als der Urlaubstourismus, wo das Seuchenrisiko durch die hohe Konzentration unbeherrschbar
wird, wo die Nitratwerte im Grundwasser als äußerst bedenklich eingestuft werden müssen, wo der Import von
Sojafutter aus Südamerika weitaus höher ist als der Import von Bananen und wo Tiere unter Bedingungen gehalten werden, die alles andere sind, als an die Tiere angepasst . Hoffnung macht wieder, mir insbesondere, dass
sich so viele Bauern und Bäuerinnen auch ohne Sie auf
den Weg zu einer besseren Haltung gemacht haben und
das auch weiterhin tun .
({5})
Meine Damen und Herren, die Zeit ist reif für einen
nachhaltigen Umbau der Tierhaltung, der das Wohl und
die Gesunderhaltung der Tiere, der Umwelt und nicht
zuletzt des Verbrauchers in den Mittelpunkt stellt . Das
Ganze wird Geld kosten: 3,5 Milliarden Euro pro Jahr;
das hat der Wissenschaftliche Beirat in seinem Gutachten
festgestellt. Es muss fließen aus Staatsgeldern, durch eine
Umschichtung der EU-Agrarhilfen, aus dem Handel, den
Schlachtunternehmen und nicht zuletzt aus dem Verbraucherbereich .
({6})
Wir Grüne finden, wir brauchen eine bäuerliche Landwirtschaft und Tierhaltung, die auf regionale Kreisläufe
setzt . Klasse statt Masse - das muss der Leitsatz unserer
Landwirtschaft werden . Zeigen Sie endlich den Mut zu
einer wirklichen Umgestaltung der Landwirtschaft! Das
geht nicht einfach mit freiwilliger Verbindlichkeit oder
verbindlicher Freiwilligkeit - das ging auch bei Pelzig
völlig durcheinander; man weiß gar nicht mehr, was der
richtige Begriff ist - oder mit irgendeinem anderen inhaltsleeren Geschwafel .
({7})
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Johannes Röring für die CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden
Anträge der Opposition setzen im Grunde die Dauerkritik an deutschen Bauernfamilien fort .
({0})
Sie haben wieder die gleiche Platte mit Verbotsankündigungen aufgelegt .
({1})
Wenn man heute mit Bauernfamilien spricht, dann
wird man damit konfrontiert, dass die Dauerkritik die
Bauernfamilien wesentlich stärker schmerzt als die desolate Marktsituation, die wir ohne Zweifel im Moment
haben .
({2})
Menschen, die sich tagtäglich um ihre Tiere kümmern,
darf man nicht unter Dauerkritik stellen . Das muss aufhören .
({3})
Frau Tackmann, ich war ein bisschen amüsiert, als
Sie das Thema „Deckelung der Großmastanlagen“ angesprochen haben . Es ist, glaube ich, 26 Jahre her, da
habe ich mir in den neuen Bundesländern die Tierhaltung
angeschaut. Ich habe dort gelernt, dass Pflanze und Tier
getrennt wurden, dass es sogenannte Kombinate Industrielle Mast gab .
({4})
Frau Tackmann, in einem Versammlungsraum stand an
der Wand der Slogan „Ohne Gott und Sonnenschein fahren wir die Ernte ein“ .
({5})
Das ist nicht unsere Vorstellung von Landwirtschaft der
Zukunft . Das ist auch nicht die Realität in den neuen
Bundesländern; denn dort hat sich viel getan, es gab viele Verbesserungen .
({6})
Deswegen bekennt sich die Union ganz klar zur Nutztierhaltung in Deutschland; denn wir wollen weiterhin Tiere
in Deutschland halten und auch deren Verarbeitung zu
wertvollen Lebensmitteln, zu Wurst, zu Fleisch und zu
Convenience-Produkten .
({7})
Tierhalter produzieren gemeinsam mit der verarbeitenden Industrie Lebensmittel von höchsten Standards
und bester Qualität . Aber wir wollen Gutes noch besser
machen . Selbstverständlich ist die Landwirtschaft zu
Verbesserungen bereit . Mehr Tierwohl gibt es aber nicht
zum Nulltarif . Ich muss ganz deutlich sagen: Die deutsche Landwirtschaft hat wirklich verstanden . Sie liefert .
Sie will mitmachen und die Tierhaltung in ihren Ställen verbessern . Zum Beispiel zeugt die große Zahl der
Schweinehalter, aber auch der Geflügelhalter, die sagen:
„Wir machen mit und wollen das verbessern“ - sie stehen
quasi in der Warteposition; aber der deutsche Handel ist
nicht in der Lage,
({8})
das Geld dafür beim Verbraucher wiederzuholen -,
({9})
davon, dass die Tierhalter in Deutschland in diese Richtung weitergehen wollen .
({10})
Ich kann alle nur wirklich bitten, unterstützend zu wirken, damit wir den ersten Schritt hinkriegen: Tierhalter,
Verbraucher und diejenigen, die in Vermarktung und Lebensmittelhandel tätig sind, müssen daran denken, dass
Tierwohl Geld kostet . Das müssen wir bedenken, wenn
wir die Tierhaltung in Deutschland halten wollen .
Die Bundesregierung und wir als Gesetzgeber waren
nicht untätig . Ich will ganz deutlich darauf hinweisen, dass
die Veränderung des Baugesetzbuches in der letzten Legislaturperiode eine deutliche Wirkung zeigt: Die Kommunen haben mehr Mitspracherecht, und die Tierhaltung
ist stärker an die Fläche gebunden als vorher . Ich will
auch deutlich machen, dass die Verbringungsverordnung
dafür gesorgt hat, dass die Nährstoffsituation mittlerweile lückenlos erfasst wird . Dabei geht es um die Frage: Wo
fällt was an, und wo geht es hin? Nordrhein-Westfalen
und Niedersachsen haben diese Verbringungsverordnung
nämlich umgesetzt . Ich glaube, wir müssen auf diesem
Weg sehr schnell weiter vorankommen .
Ich sage auch ganz deutlich: „Immer schneller, immer
größer“ ist nicht unsere Devise . Wir wollen die Akzeptanz der Bevölkerung. Deswegen finde ich es gut, dass
Bundesminister Schmidt einen Kompetenzkreis einberufen hat, um die Frage der Haltung ganz deutlich anzusprechen . Dabei geht es nicht nur um die Haltung der
Tiere, sondern auch um die Haltung der Tierhalter, um
die Haltung im Kopf . Das ist ein guter Hinweis .
Auch der Lebensmittelgipfel und die Dialogplattform
sind wichtig - sie kommen -, um diese Themen anzusprechen: Sind die Kräfte des Marktes noch richtig verteilt, damit sichergestellt ist, dass die Bauernfamilien am
Ende nicht zu kurz kommen, damit sie ihren Anteil von
dem erhalten, was die Verbraucher bezahlen?
Wir haben Erfolge . Die Evaluierung des Arzneimittelgesetzes zeigt, dass die Menge der eingesetzten Arzneimittel deutlich zurückgeht . Wir bekommen Beratungshinweise für ein Benchmarking guter Betriebe, in
Richtung Tierwohl . Wir werden von der Wirtschaft einen
Tierwohlindex einfordern . Ich habe Signale erhalten,
dass er eingeführt wird . Deswegen bin ich sehr guten
Mutes, dass wir hierbei vorankommen .
Tierhaltungsregionen - das will ich noch einmal betonen - sind lebendige Regionen in Deutschland . Dort
brummt es, dort boomt es . Dort geht die Anzahl der
Landwirte nicht zurück, sondern dort gibt es nach wie
vor eine große Anzahl von Landwirten .
Zum Schluss ein Appell: Wir haben gerade gehört,
dass die Menschen in Darfur und im Südsudan sich nach
einer Landwirtschaft, wie wir in Deutschland sie haben,
sehnen . Bitte überdenken Sie, ob es wirklich Sinn macht,
die Landwirtschaft, die Tierhalter, die Bauernfamilien in
Wahlkämpfe hineinzuziehen, sie zum Thema von Wahlkämpfen zu machen .
({11})
Ich glaube, das haben unsere Bauern in Deutschland
nicht verdient . Zeigen Sie, dass die ersten Ansätze gut
sind . Ich weiß, dass Minister Meyer in Niedersachsen
und Minister Remmel in Nordrhein-Westfalen sehr offen
sind für die Anliegen der Bauern und nach vorne gehen .
Ich glaube, das ist auch hier möglich . Dieses Thema eignet sich wirklich nicht als Wahlkampfthema . Ich glaube,
gemeinsam schaffen wir es, die Tierhaltung nach vorne
zu bringen .
Herzlichen Dank .
({12})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft auf Drucksache 18/6437 . Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/1872 mit dem Titel „Bestandsobergrenzen für Tierhaltungen einführen“ Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/3732 mit dem Titel „Die Zukunft der
Tierhaltung - Artgerecht und der Fläche angepasst“ . Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . - Damit verlassen wir diesen Tagesordnungspunkt .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({0}) auf Grundlage
der Resolution 1769 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli
2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2228
({2}) vom 29. Juni 2015
Drucksache 18/6503
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Weil ich keinen Widerspruch höre oder sehe, ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Erster Redner in dieser
Aussprache ist der Kollege Dirk Vöpel von der SPD,
dem ich hiermit das Wort erteile .
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eines ist sicher: Afrika rückt näher an Europa heran . Langsam, aber unaufhaltsam wandert die afrikanische Kontinentalplatte jedes Jahr Zentimeter für
Zentimeter Richtung Norden . Aufgrund dieser geologischen Entwicklung wird das Mittelmeer irgendwann verschwunden und Afrika mit Europa und Asien zu einem
neuen Superkontinent verschmolzen sein .
({0})
Natürlich wird Afrika die Zukunft Europas schon in
weit kürzerer Frist beeinflussen. Auch dies hat mit einer
drückenden wie bedrückenden Wanderungsbewegung zu
tun . Millionen und Abermillionen Menschen in Afrika
haben jede Hoffnung auf eine Besserung ihrer verzweifelten Lage verloren . Ihr gelobtes Land heißt Europa,
dem sie mit aller Macht zustreben, koste es auch das eigene Leben oder gar das der Familie .
Viele haben sich auf den Weg gemacht . Mehr werden
kommen . Der Druck im afrikanischen Kessel wird nicht
nachlassen . Dafür sorgt schon die weltweit einzigartige demografische Entwicklung, die Afrika im 21. Jahrhundert nehmen wird . Von aktuell knapp 1,2 Milliarden
Einwohnern soll sich die Bevölkerung laut jüngster
UNO-Prognose bis 2050 auf 2,4 Milliarden verdoppeln,
bis zum Ende des Jahrhunderts auf 4,5 Milliarden fast
vervierfachen . Bereits jetzt sind in den Ländern südlich
der Sahara 540 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner
unter 18 Jahre alt; zur Mitte des Jahrhunderts wird es
1 Milliarde sein .
Was wir derzeit als Flüchtlings- und Migrationsbewegung aus Afrika wahrnehmen, ist ein Rinnsal verglichen mit dem Tsunami an Not und Elend, auf den wir
in Europa gefasst sein müssen, wenn es nicht gelingt, in
Afrika endlich eine fundamentale und tiefgreifende Wende zum Besseren einzuleiten . Dabei geht es gar nicht darum, größte Fortschritte in kürzester Zeit zu erreichen .
Entscheidend ist aber: Der erwartete Trend, die gefühlte
Richtung muss stimmen . Wenn Menschen darauf vertrauen können, dass sich ihre Lebensverhältnisse langsam, aber stetig verbessern, dass der absolute Nullpunkt
des Elends endlich durchschritten ist, wenn es mit ihnen
und ihren Ländern allmählich, aber erkennbar bergauf
geht und sie sich selbst als handelnde Akteure einer Aufstiegsgeschichte begreifen können, dann wird die absolute Wohlstandsdifferenz zwischen Europa und Afrika als
Wanderungsmotiv rasch an Bedeutung verlieren .
({1})
Damit es besser werden kann, darf es aber zunächst
nicht schlechter werden . Damit komme ich zu Darfur und
UNAMID. Der kriegerische Konflikt, der seit 2003 in
der westsudanesischen Region Darfur tobt und der bisher
weit über 300 000 Menschenleben gekostet und zu millionenfachem Flüchtlingselend geführt hat, gehört zu den
bekannteren Schauplätzen der afrikanischen Tragödien .
Trotz regelmäßiger schwerer Dürreperioden hat sich die
Bevölkerung in Darfur seit 1950 fast verachtfacht . Dass
ein solch rapides Bevölkerungswachstum im Rahmen einer tradierten Subsistenzwirtschaft bei knapper werdenden landwirtschaftlichen Nutzflächen das friedliche Zusammenleben von Menschen nicht begünstigt, liegt auf
der Hand . Hinzu kommen in Darfur etliche zusätzliche
Konfliktherde und Konfliktlinien, Konfliktanlässe und
Konfliktparteien, die sich nahezu unauflösbar miteinander verknotet haben .
Wir haben es unter anderem zu tun mit dem Kampf
der sudanesischen Zentralregierung gegen die Autonomie- oder Separationsbestrebungen verschiedener Rebellengruppen, Konflikten entlang ethnischer Spaltung
zwischen arabischen und afrikanischen BevölkerungsVizepräsident Johannes Singhammer
gruppen, lokalen Auseinandersetzungen über konkurrierende Formen der Landnutzung zwischen sesshaften
Ackerbauern und viehweidenden Nomadenstämmen,
Konflikten über die Kontrolle von Bodenschätzen, Kleinkriegen zwischen kriminellen Banden und vor allem immer wieder neu aufbrechenden Konflikten zwischen den
Rebellengruppen, aber auch zwischen verschiedenen
Fraktionen und Abspaltungen von Abspaltungen innerhalb der Rebellengruppen .
Wir haben es hier mit einem extrem zersplitterten
Konflikt zu tun, mehr Schwelbrand als flammendes Inferno . Kaum noch jemand hat auch nur annähernd einen
Überblick über die widerstreitenden Interessen und die
beteiligten Akteure . Unter solchen Umständen an einer
politischen Lösung zu arbeiten, der alle Parteien und
Gruppierungen zustimmen könnten, dürfte im Moment
zu den frustrierendsten Aufgaben der internationalen
Diplomatie gehören . Vor diesem Hintergrund relativiert
sich aus meiner Sicht das überwiegend schlechte Zeugnis, das der UNAMID-Mission oft ausgestellt wird .
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat jedenfalls als Reaktion auf die geringen Fortschritte bei der
Umsetzung des Doha-Friedensabkommens und angesichts der nach wie vor katastrophalen humanitären
Lage in Darfur im letzten Jahr eine Neuausrichtung der
UNAMID-Friedenstruppe beschlossen . Absolute Priorität haben der Schutz von Zivilpersonen und humanitärem
Personal sowie die Sicherung der Nahrungsmittellieferungen, von denen das Leben von Millionen Menschen
abhängt . Die Patrouillenfahrten wurden verstärkt,
Schutzzonen für die Zivilbevölkerung geschaffen, und es
wird mehr Präsenz in den Flüchtlingslagern gezeigt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Einsätze wie
diesen, ohne das Engagement der internationalen Gemeinschaft würden sich die Verhältnisse drastisch verschlechtern . Die harte Wahrheit ist: Zwischen einem
erneuten Abdriften Darfurs in das totale Chaos, dem jederzeit denkbaren Rückfall in die Schreckensjahre des
systematischen Massenmordes, stehen nur diese knapp
21 000 Frauen und Männer der UNAMID-Mission . Sie
haben unseren größten Respekt und unseren Dank verdient .
({2})
Aber vor allem haben sie und die Menschen in Darfur
verdient, dass wir alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um einer politischen Lösung des Darfur-Konflikts endlich näherzukommen.
Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz,
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Vöpel, ich finde eine Sache wichtig: Wenn
wir über die Fluchtbewegungen nach Europa sprechen,
sollten wir auf Drohszenarien verzichten und nicht von
„Tsunamis“ sprechen . Denn die Fluchtbewegungen sind
keine Naturkatastrophen, die über uns hinwegbrechen,
sondern sie sind menschengemacht . Das gilt auch für die
Flüchtlinge - aus Darfur kommt ja kaum jemand nach
Europa - vom afrikanischen Kontinent .
({0})
Zu Darfur selbst. Über den Konflikt in Darfur wird
heutzutage sehr wenig berichtet . Das war nicht immer
so . Vor zehn Jahren verfolgte die Bevölkerung hier fassungslos über die Medien den Bürgerkrieg in der westsudanesischen Provinz . Manche sprachen von Völkermord . Zehn Jahre später muss man nun feststellen: Es
wird kaum mehr über Darfur berichtet, aber die Gewalt
geht weiter . 2,8 Millionen Menschen sind auf der Flucht,
200 000 Menschen wurden umgebracht . Es darf nicht
sein, dass das Mitgefühl und die Aufmerksamkeit für die
Menschen in Darfur und anderswo von der jeweiligen
geopolitischen Großwetterlage abhängen .
({1})
Vor zehn Jahren wurde die Entsendung deutscher Soldaten mit den Verbrechen des Regimes von Umar al-Baschir gerechtfertigt . Deutschland hat sich schließlich an
UNAMID, der größten und teuersten aller UN-Militärmissionen, beteiligt . 1,3 Milliarden US-Dollar kostet sie
im Jahr .
Heute sind sieben Bundeswehrsoldaten und ein Polizist
vor Ort . Die Bundesregierung nennt das „unverzichtbar“ .
Das ist offenkundig falsch . Weder Zehntausende afrikanische Soldaten noch eine Handvoll Bundeswehrsoldaten haben Darfur dem Frieden nähergebracht . Eine Fortsetzung dieses Mandats wird an dieser Situation nichts
ändern .
({2})
Im vorliegenden Antrag der Bundesregierung lesen
wir nun, dass es gemeinsame Überlegungen mit der sudanesischen Regierung über einen - ich zitiere - „Abzug der Mission“ gibt . Verhandlungen mit dem Regime
al-Baschir zum Abzug der Mission? Wie geht das zusammen?
Die Verhandlungen mit al-Baschir über die Mission
bringen zum Ausdruck, dass die Entsendung deutscher
Soldaten von Beginn an nur einer Logik folgte: einen
Beitrag zum, wie es im Antrag der Bundesregierung
selbst heißt, „beabsichtigten Ausbau des deutschen Engagements in Afrika“ zu leisten .
({3})
Es ging darum, militärische Präsenz um der militärischen
Präsenz willen zu zeigen . An diesem Motiv hat sich
nichts geändert .
({4})
Auch darum lehnt die Linke das Mandat ab .
({5})
Hat sich das Regime geändert? Nein . Im Juni berichtete Human Rights Watch von der Gründung einer
militärischen Sondereinheit unter dem Kommando des
sudanesischen Geheimdienstes . Im Rahmen zweier
Militäroperationen unter dem Namen „Entscheidender
Sommer“ hat diese Einheit ganze Dörfer niedergebrannt
und entvölkert, Brunnen und Nahrungsspeicher zerstört,
Menschen gefoltert und umgebracht .
Das Mandat von UNAMID beruht auf der Fiktion,
dass mit dem Regime al-Baschir zusammen ein Frieden
gesichert werden soll . Dieser Frieden existiert aber nicht .
Blauhelmsoldaten sind weder in der Lage, einen Frieden
zu sichern, noch sind sie in der Lage, einen Frieden zu
erzwingen . Ein nachhaltiger Frieden kann erst entstehen,
wenn die zugrundeliegenden sozialen und politischen
Probleme gelöst werden .
Ganz vorne steht hier natürlich auch die aktuelle Situation der Flüchtlinge in Darfur und in der Region . Dazu
gehört beispielsweise aber auch der Wassermangel, der
Verteilungskämpfe um Weideplätze zwischen den Ethnien anheizt . Der Klimawandel führt zu mehr Dürren in
der Sahelzone und verschärft so den Konflikt in Darfur.
Ernsthafte Maßnahmen gegen diesen Klimawandel wären deshalb beispielsweise ein wirklicher Beitrag zur
Entschärfung der Konfliktursachen. Soldaten sind es
nicht .
({6})
Ich darf mich an dieser Stelle für die Präzision der
Kolleginnen und Kollegen, die bisher geredet haben, bei
der Zeiteinhaltung bedanken .
Als Nächstes erteile ich dem Parlamentarischen
Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe für die Bundesregierung das Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
den Sudan gilt das, was auch für den Südsudan gilt: Er ist
derzeit nicht im Zentrum der weltpolitischen Aufmerksamkeit . Die humanitäre Lage ist aber leider unverändert
prekär; denn inzwischen sind allein in der Region Darfur
mehr als 4 Millionen Menschen, besonders Kinder, auf
humanitäre Hilfe angewiesen .
Es kommt nach wie vor zu Kampfhandlungen zwischen der regulären Armee und der Sudan Revolutionary
Front, einem Zusammenschluss von Rebellen . Aber auch
in den Regionen Darfur, Südkordofan und Blauer Nil
kam es in der Vergangenheit immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen
Milizgruppierungen, die auch in Zukunft jederzeit wieder aufflammen können.
Vor diesem Hintergrund und da wir uns die Lage
nicht so malen können, wie wir sie gerne hätten, bleibt
UNAMID und damit der gemeinsame Einsatz der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union in Darfur
bis auf Weiteres unverzichtbar .
Ich bin Ihnen, lieber Kollege Vöpel, sehr dankbar für
die große Sachlichkeit, mit der Sie genau diese Situation dargestellt haben . Es ist eine schwierige, eine prekäre
Situation . Aber die Soldaten von UNAMID, die dort im
Auftrag der Völkergemeinschaft sind, verhindern ein totales Chaos, und deswegen sind wir ihnen, denke ich, zu
Dank verpflichtet.
Meine Damen und Herren, die Mission steht bei ihrer
Auftragserfüllung weiter vor großen Herausforderungen;
denn sie ist auch selbst Ziel von Angriffen . Seit ihrer Einrichtung sind über 70 Peacekeeper bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen . Das zeigt, wie gefährlich der
Einsatz ist .
UNAMID fehlen weiterhin vornehmlich Hubschrauber- und Aufklärungseinheiten . Die afrikanischen Truppen- und Polizeisteller verfügen in Teilen leider nur über
eine unzureichende materielle Ausstattung . Beispielsweise fehlen gepanzerte Truppentransportfahrzeuge fast
vollständig .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz all dieser
Schwierigkeiten bleibt UNAMID angesichts der bedrückenden Gesamtsituation ein wichtiger stabilisierender
Faktor . Diese Mission wird gebraucht .
Das vom Kollegen Vöpel schon angesprochene 2011
geschlossene Friedensabkommen von Doha wird - wenn
auch langsam, aber immerhin - mit Begleitung der internationalen Gemeinschaft weiter umgesetzt . Und es ist
die Mission UNAMID, die es den zivilgesellschaftlichen
Gruppen ermöglicht hat, im Rahmen des Darfur-internen
Dialogs überhaupt Gehör zu erhalten . Für die Zivilbevölkerung hat UNAMID erst Schutzzonen geschaffen .
Nicht zu vergessen ist auch die logistisch koordinierende Funktion bei Hilfslieferungen für die Bevölkerung,
unter anderem vom Welternährungsprogramm . Das ist
eine Aufgabe, für deren Erledigung sonst niemand bereitstünde . Es ist zynisch, über das Handeln unserer Soldaten
dort zu reden und Kritik zu üben und dabei zu verdrängen, dass diese Aufgaben, die das Welternährungsprogramm erfüllen muss, sonst niemand flankieren würde,
niemand dafür bereitstünde . Dafür stehen die Soldatinnen und Soldaten bereit .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine effektive und
gute Zusammenarbeit mit der jeweiligen Gastregierung das ist wahr - stellt für jede Peacekeeping-Mission eine
wichtige Bedingung für die erfolgreiche Auftragserfüllung dar . Gerade hier gilt es, von der sudanesischen Seite
immer wieder die notwendige Kooperationsbereitschaft
einzufordern . Aber auch wenn diese Kooperationsbereitschaft nicht in dem Maße vorhanden ist, wie es die
Völkergemeinschaft erwarten kann, dürfen wir doch die
bedrängten und bedrohten Menschen nicht im Stich lassen . Im Gegenteil: Wir müssen unsere Anstrengungen
erhöhen, wenn schon die sudanesische Regierung ihrer
Verpflichtung nicht in der Weise gerecht wird, wie wir
das erwarten . Umso mehr sind wir im Interesse der bedrohten und bedrückten Menschen gefordert .
({1})
Deswegen bleibt es dabei, dass wir uns von der sudanesischen Seite mehr Entgegenkommen wünschen würden .
Es kommt hinzu, dass friedensunwillige Rebellengruppen nach wie vor mit ihren Kampfhandlungen Wiederaufbaubemühungen sabotieren und damit für die nach
wie vor schlechte Sicherheitslage Mitverantwortung tragen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einer Verbesserung der Lage in Darfur ist nur dann zu rechnen, wenn
eine umfassende politische Lösung für den Darfur-Konflikt gefunden wird. Etwas anderes haben wir im Übrigen
nie gesagt . An keiner Stelle sind wir mit Soldatinnen und
Soldaten in der Illusion engagiert, damit allein die Probleme lösen zu können . Wir brauchen in Darfur genauso
wie anderswo, wo wir engagiert sind, eine politische Lösung .
Die Initiative der sudanesischen Regierung, mit einem umfassenden nationalen Dialog das Land zu befrieden, hat eben leider auch nach den Wahlen vom April
dieses Jahres noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse
gezeigt . Dieser Prozess braucht offenkundig noch Zeit .
Umso wichtiger ist es deshalb, dass die internationale
Gemeinschaft die VN-Mission UNAMID weiter unterstützt .
Die Bundesregierung ist dazu bereit, sich auf gleichbleibendem Niveau mit Soldatinnen und Soldaten dort
zu engagieren . Deutschland ist das einzige europäische
Land, das sich an einer zu Recht afrikanisch dominierten
Mission personell beteiligt . Aber wir stehen mit vielen
anderen zusammen, um diesen Auftrag zu erfüllen .
Die deutschen Soldatinnen und Soldaten besetzen
Stabsfunktionen in den Bereichen Einsatzsteuerung, Logistik, Aus- und Weiterbildung, Personalplanung, Flugsicherheit sowie Geoinformationswesen . Ich möchte ihnen
an dieser Stelle ausdrücklich für ihren Einsatz danken,
ihnen meine Hochachtung für ihr bemerkenswertes und
forderndes Engagement unter sehr schwierigen Bedingungen aussprechen . Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sie haben es verdient, dafür auch weiterhin die Unterstützung dieses Hohen Hauses zu haben, um die ich Sie
hiermit bitte .
Herzlichen Dank .
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger
für Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für viele
Menschen im Sudan ist die Situation schrecklich: Leid,
Gewalt, Willkür, aber vor allem auch Hunger gehören seit
Jahren zu ihrem Alltag . So verwehrt die Rebellengruppe
SPLA-N Helfern, die dringend benötigte Nahrung und
Medikamente zu den Menschen bringen wollen, mit Gewalt den Zugang zu bestimmten Gebieten im Norden .
Seit Jahren geht aber auch die sudanesische Regierung barbarisch gegen die eigene Bevölkerung vor; darüber geben die regelmäßigen Berichte von Human Rights
Watch ein schreckliches Zeugnis . So setzt die sudanesische Luftwaffe international geächtete Streumunition
ein . In einem Land, in dem extremer Hunger herrscht,
werden Felder und Ernten zerstört . Regelmäßig werden
bei diesen barbarischen Attacken Schulen, Märkte und
Krankenstationen getroffen, und insbesondere Kinder
sind oft die Opfer dieser Attacken . Aber auch die Frauen im Sudan leiden extrem . Immer wieder kommt es zu
Massenvergewaltigungen, wie neulich in Tabit .
Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht wegschauen, auch wenn es im politischen Prozess im Sudan leider
immer wieder große Rückschläge gibt . 2014 ist es beispielsweise gelungen, einen nationalen Dialog zwischen
einigen Gruppen der Opposition und der Regierung auf
den Weg zu bringen . Dieser wichtige Prozess hat im April 2015 aber einen großen Rückschlag erlitten, als sich
der Präsident al-Baschir in einer Wahlinszenierung mit
94 Prozent hat wiederwählen lassen und sich dafür gefeiert hat . Diese Wahlen waren aber weder fair noch frei . Sie
wurden zu Recht von der Zivilgesellschaft kritisiert und
von der Opposition boykottiert .
Trotzdem führt kein Weg am nationalen Dialog vorbei . Die internationale Gemeinschaft muss ihn immer
wieder einfordern . Sie muss auch auf Glaubwürdigkeit
und Inklusion bestehen . Das kann aber nur gelingen,
wenn die internationale Gemeinschaft auch zusammensteht . Da war es wenig hilfreich, dass die Arabische Liga
diese Wahlen als einen Schritt hin zu mehr Demokratie
im Sudan begrüßt hat .
Noch schlimmer aber war im letzten Jahr das Verhalten der südafrikanischen Regierung . Der Internationale
Strafgerichtshof hat 2009 einen Haftbefehl gegen den
Präsidenten al-Baschir erlassen, weil er für Völkermord,
für Menschenrechtsverletzungen und für Folter verantwortlich ist, die in Darfur passiert sind . Als der Präsident
al-Baschir dieses Jahr in Südafrika war, hätte der Haftbefehl vollstreckt werden können und müssen .
({0})
Das hat die dortige Zivilgesellschaft gefordert . Die Justiz hatte schon alles vorbereitet . Aber was ist geschehen?
Die Regierung verhalf diesem Verbrecher - ich finde das
ungeheuerlich - auch noch zur Flucht .
Damit wurde nach so vielen Jahren nicht nur die
Hoffnung vieler Menschen auf Gerechtigkeit enttäuscht,
sondern es wurde natürlich auch der Internationale Strafgerichtshof geschwächt. Ich finde es unerträglich, dass
einem solchen Verbrecher in einigen Staaten dieser Welt
der rote Teppich ausgerollt wird, statt ihn endlich festzunehmen .
Meine Damen und Herren, trotz aller Rückschläge
und Enttäuschungen versucht die Friedensmission der
Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union, wenigstens in der Region Darfur einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Zivilbevölkerung geschützt wird, dass die
Menschen mit dem Lebensnotwendigsten versorgt werden, dass die Helfer besser geschützt werden und dass
der Dialogprozess nicht ganz zum Erliegen kommt .
Eine der Ursachen, warum diese Mission jenseits der
schwierigen Verhältnisse im Land ihre Ziele immer wieder nicht erreichen kann, ist aber auch die mangelnde Unterstützung der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen .
Es ist richtig, dass sich Deutschland an dieser Mission
beteiligt . Aber meine Damen und Herren, acht Soldaten
und ein Polizist - das ist angesichts der drastischen Lage
wirklich wenig .
({1})
Herr Brauksiepe, da reicht es eben nicht aus, hier zu
beschreiben, dass der UN-Mission zu ihrem Schutz gepanzerte Fahrzeuge fehlen, sondern da muss man auch
handeln. Ich finde es fast schon zynisch, wenn man das
Mandat liest und in der Begründung etwas vom deutschen Engagement in Afrika mit dem Schwerpunkt Sudan steht . Dieses Engagement besteht darin, diesen bescheidenen Beitrag beizubehalten .
Meine Damen und Herren, insbesondere auch liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, vielleicht sollten Sie sich einmal Gedanken darüber machen, warum die sudanesische Regierung fordert, dass
die UN-Friedensmission aus dem Land abziehen soll,
und wem es im Sudan eigentlich helfen würde, wenn
UNAMID nicht mehr da wäre . Das wären die bewaffneten Rebellengruppen, und das wären eben die verbrecherischen Teile der Regierung .
({2})
Die sehen wohl nämlich gerne, dass niemand mehr hinschaut, niemand mehr versucht, etwas gegen die Gewalt
und gegen die Willkür zu tun. Ich finde, diesen Gefallen
sollten wir diesen Menschen nicht tun . Deshalb und weil
wir die Hoffnung haben, dass es doch vielleicht einmal
nach vorne geht und besser wird, werden wir Grüne diesem Mandat zustimmen .
({3})
Zum Abschluss dieser Aussprache spricht der Kollege
Florian Hahn für die CDU/CSU .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Themen, die uns aktuell beschäftigen, sind
vielfach miteinander verbunden . So ist es auch mit dem
Bundeswehreinsatz in Darfur .
Aktuell sind allein mit 4 000 helfenden Händen mehr
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise im Inland gebunden, als
derzeit bei Auslandsmissionen eingesetzt sind . Beiden
Gruppen - denen, die einen gefährlichen Dienst im Ausland tun, und denen, die, wie vor allem bei uns in Bayern,
alles in ihrer Macht Stehende tun, um den nicht enden
wollenden Flüchtlingsansturm meistern zu helfen - gilt
an dieser Stelle mein ganz herzlicher Dank .
({0})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mit den
Auslandseinsätzen der Bundeswehr sorgen wir an vielen Orten weltweit für Stabilität und die Schaffung
von Perspektiven, und sei es, indem wir Entwicklungszusammenarbeit überhaupt erst möglich machen . Die
Bundeswehr hilft so an vielen Stellen konkret dabei,
neue Fluchtbewegungen zu vermeiden . Man muss hier
nur an Afghanistan denken . Die letzten Wochen haben
gezeigt: Ein zu früher Abzug unserer Soldaten und der
unserer Verbündeten würde zum Chaos führen und zuerst
die ausländischen Helfer und dann Hunderttausende Afghanen aus dem Land nach Europa treiben . Wir müssen
deshalb auch dort engagiert bleiben . Ähnliches würde bei
der Einstellung unserer Bemühungen in Mali, im Nordirak oder im Kosovo passieren .
Es ist aber auch richtig, dass wir heute eine nicht im
Fokus der Medienöffentlichkeit stehende Region wie
den Sudan und insbesondere Darfur in den Blick nehmen; denn Darfur steht beispielhaft für die vielen ungelösten Konflikte in Afrika und weltweit, die nur noch
sporadisch auf unseren Bildschirmen auftauchen und die
drohen, komplett in Vergessenheit zu geraten . Trotzdem
haben sie für die Menschen vor Ort dramatische Konsequenzen. Wir haben das in den vielen Beiträgen heute in
dieser Debatte schon gehört. Solche Konflikte sind oft
der Grund, sich auf den Weg zu machen, um Leben und
Gesundheit der Familie zu retten, um sein Glück schlicht
anderswo zu suchen .
Darfur ist auch ein Beispiel für das Unglück des afrikanischen Kontinents, der vielerorts ein Kontinent der
Herausforderungen bleibt . Darfur steht für einen Kampf
um magere Ressourcen, um Wasser, um Weideland und
Lebensgrundlagen, der tendenziell in Zukunft eher noch
zunehmen wird . Diese Region liegt inmitten eines großen
Kriegsgebiets, in dem die Probleme von Rebellionen und
Bürgerkriegen, organisierter Kriminalität mit Waffen,
Drogen und Menschenschmuggel sowie islamistischem
Terror ineinander übergehen . Das können wir nicht ignorieren . Deshalb müssen wir uns in vielfältiger Weise
engagieren .
Militärisch sind aktuell sieben deutsche Soldatinnen
und Soldaten als Stabspersonal im Hauptquartier eingesetzt . Frau Buchholz, Sie haben in Ihrem Beitrag die
Vermutung geäußert, dass die Bundesregierung nur der
militärischen Präsenz wegen in Darfur engagiert ist . Darauf kann ich nur sagen: Angesichts von sieben deutschen
Soldatinnen und Soldaten ist das eher ein lächerliches
Argument . Lassen Sie sich das nächste Mal etwas anderes einfallen .
({1})
Deutschland engagiert sich über diese sieben Soldaten
hinaus an UNAMID in vielfältiger Art und Weise - sei
es Mediation und friedliche Konfliktlösung, sei es Hilfe
zur Verfassungsberatung, zum Wiederaufbau sowie zur
Stärkung der Zivilgesellschaft oder zur Verbesserung der
humanitären Lage .
Deutschland hat insgesamt Mittel in Höhe von
16 Millionen Euro zugesagt . Daraus soll zum Beispiel
ab Ende 2015 ein Vorhaben im Bereich der beruflichen
Bildung finanziert werden. Über einen Regionalfonds
werden zusätzliche Maßnahmen von Nichtregierungsorganisationen in den Bereichen Wasser- und Gesundheitsversorgung im Sudan mit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gefördert .
In 2015 hat Deutschland humanitäre Hilfsmaßnahmen
mit 7,1 Millionen Euro unterstützt . Hier setzen wir
Schwerpunkte bei der Verbesserung der Lage von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen .
Kolleginnen und Kollegen, es ist wichtig, noch in Darfur zu bleiben, auch wenn die sudanesische Regierung
die Mission am liebsten so schnell wie möglich beenden
will und durch kleinliche Aktionen versucht, die Mission
zu behindern . Die dauernden Verzögerungen von Einreisebewilligungen für UNAMID-Soldaten sind ärgerlich .
Gleiches gilt für diverse Einschränkungen der Bewegungsfreiheit bis hin zur Blockade der Versorgung der
UNAMID-Mission .
Wir sollten diesem Druck nicht nachgeben . Erst wenn
die Friedensbemühungen echte Fortschritte bringen,
könnte man an einen schrittweisen Abzug der Mission
denken . UNAMID ist ein kleiner Beitrag, der zeigt, dass
die Welt den Konflikt nicht vergessen hat, dass wir weiterhin hinsehen und die Menschen dort nicht alleine lassen .
Deswegen stimmen wir diesem Mandat weiterhin zu .
Danke schön .
({2})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6503 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, dass sich kein Widerspruch erhebt . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 16:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Vielfalt stärkt Wissenschaft - Studienchancen
für Flüchtlinge schaffen
Drucksache 18/6345
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache ebenfalls 25 Minuten vorgesehen . Weil keinerlei Widerspruch erkennbar ist, ist das dann
auch so beschlossen .
Jetzt bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, die in
herausgehobener Funktion an dieser Debatte teilnehmen
wollen, ihre Plätze einzunehmen .
Ich eröffne die Aussprache . Als Erstes erteile ich dem
Kollegen Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Guten Abend, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Rund 1 Million Flüchtlinge wird Deutschland
im Laufe dieses Jahres aufgenommen haben, die Hälfte davon unter 25 Jahren jung . Gerade für diese jungen
Menschen müssen wir alle miteinander Chancengeber
werden . Denn: Wir wollen das schaffen .
({0})
Bildung und Qualifizierung sind zentralste Schlüssel,
Integration wirklich zu schaffen . Das Bundesbildungsministerium müsste sich endlich als Integrationsministerium begreifen und weitsichtig handeln . Es braucht eine
breite Bildungsoffensive: frühkindlich, schulisch, beruflich und hochschulisch .
Frau Wanka fordert ein bisschen Anerkennungsgesetz
hier, ein bisschen Fernsehen für Flüchtlinge da und überlässt lieber Arbeitsministerin Nahles das Feld, die schon
Milliarden für langzeitarbeitslose Flüchtlinge fordert .
Dazu darf es gar nicht erst kommen . Eine breite, wirksame Strategie zur Integration durch Bildung ist dringend
notwendig .
({1})
Wir haben Anfang Oktober Vorschläge für den Zugang
zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge eingebracht . Heute nun unser nächstes Vorschlagspaket; denn
wir müssen Flüchtlingen auch Studienchancen eröffnen .
Schon lange sind die Hochschulen vorne mit dabei,
wenn es darum geht, Flüchtlinge zu unterstützen: Angehende Juristen geben Rechtsberatung, Germanistikstudierende organisieren Deutschkurse, Wissenschaftler
stehen als Mentoren zur Seite - eine Fülle großartiger
Beispiele . Wir sagen Danke für dieses wunderbare und
wichtige zivilgesellschaftliche Engagement zum Wohle
der neuen internationalen Studierenden .
({2})
Wir sagen auch Danke an all die Organisationen,
die ohnehin schon Internationalisierungsexperten sind:
DAAD, AfH, DSW, DFG, HRK und AUFs haben zügig
auf die neuen Chancen reagiert . Auch dafür Danke!
({3})
All dieses Engagement ist wichtig . Bund und Länder
müssen es aber noch stärker unterstützen . Gleich bei
der Ankunft muss es darum gehen, was jemand kann
und was er mitbringt. Qualifikationen müssen schnell
und unbürokratisch ermittelt werden, gerade auch dann,
wenn Zeugnisse fehlen . Für die Flüchtlinge ist es wichtig, Informationen über das Studium in Deutschland und
das Hochschulsystem zu erhalten . Wir wollen dafür eine
bundesweite kostenlose Hotline einrichten und Welcome
Center an den Hochschulen ausbauen .
({4})
- Genau, ein paar gibt es schon . Es können gerne noch
ein paar hinzukommen; denn wir wollen die Willkommenskultur an den Hochschulen weiter pushen, stärken
und fördern .
Ein weiteres Feld ist die Finanzierung . Die Bundesregierung muss Farbe bekennen: Wann kommen mehr
Stipendien für Flüchtlinge? Unsere Zustimmung hätte
sie . Auch der DAAD steht bereit . Darum: Machen wir es
doch gemeinsam!
({5})
Nachlegen müssen wir auch bei der Studienfinanzierung . Es ist ein erster Schritt, dass ab dem 1 . Januar 2016
noch nicht anerkannte Asylbewerber oder Geduldete
nach 15 Monaten BAföG bekommen können . Aber wir
sollten weiterdenken und im Ausschuss intensiv darüber
diskutieren . Unser Vorschlag ist: Wer im Asylverfahren
steckt oder geduldet ist, soll nach drei Monaten Aufenthalt BAföG bekommen können . Das ist wichtig, damit
keine Finanzierungslücken bei den jungen Leuten entstehen .
({6})
Niemand weiß genau, wie viele Flüchtlinge ein Studium aufnehmen können und aufnehmen wollen . Fakt
ist aber: Es werden einige Zehntausend sein . Der Hochschulpakt muss geöffnet werden, damit für die zusätzlichen Studieninteressierten eine ausreichende Zahl an
Studienplätzen bereitsteht . Hinzu kommt: Viele Hochschulen arbeiten ohnehin an der Kapazitätsgrenze, und
ihre Infrastruktur muss vielerorts ausgebaut werden .
Deshalb braucht es mehr Hörsäle und Seminarräume,
mehr Wohnmöglichkeiten für Studierende und mehr Beratungsstellen auf dem Campus . Das muss jetzt erst recht
angepackt werden .
({7})
Flüchtlinge bringen Lust auf Bildung mit . Dafür müssen wir ihnen die Türen der Hochschulen weit öffnen .
Die Zahl der Erfolgsgeschichten wird umso höher sein,
desto entschlossener wir jetzt in die Chancen für alle
investieren . Umgekehrt bin ich fest davon überzeugt:
Wenn wir es noch nicht einmal schaffen würden, Hochqualifizierte zügig zu integrieren, dann riskieren wir, dass
Angstmacher und Hetzer Oberwasser bekommen . Darum: Lassen Sie uns gemeinsam Chancen eröffnen! So
werden Flüchtlinge zu neuen Bürgern, zu studierenden
Akademikern und Fachkräften . Das ist gut für uns alle
und unser Land .
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Cemile Giousouf
für die CDU/CSU .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am Anfang meiner Rede möchte auch ich ausdrücklich den Hochschulen danken, die bereits Flüchtlingen konkrete Hilfe zukommen lassen . Dazu gehören
der Erlass von Semesterbeiträgen, die Übernahme von
Gasthörergebühren, kostenlose Semestertickets sowie
die Nutzung von Härte- und Stipendienfonds . Ich möchte
auch den ehrenamtlichen Initiativen meinen Dank aussprechen, die bereits helfen, studierende Flüchtlinge zu
integrieren . Konkret geht es dabei um Initiativen wie
Buddy-Projekte, Sprachkurse, Refugee Law Clinics oder
gemeinsame soziale Aktivitäten . Sie alle leben mit ihrem Engagement die Universität als Ort der Integration
vor . Beispielsweise hat ein Team Berliner Studenten eine
Onlineuniversität ins Leben gerufen . Es ist großartig, zu
sehen, wie viel Engagement und innovative Ideen entstehen .
Die Überschrift des Grünenantrags lautet „Vielfalt
stärkt Wissenschaft“ . Dem ist ohne Wenn und Aber zuzustimmen .
({0})
- Auch Sie können einmal einen guten Satz formulieren . - Doch der Satz stimmt auch, wenn man ihn umstellt . Momentan ist zu beobachten, dass die Wissenschaftscommunity die Willkommenskultur in unserem
Land stärkt . Nirgendwo haben es die Hetzer von Pegida
und Konsorten so schwer, einen Fuß in die Tür zu bekommen, wie an deutschen Universitäten .
({1})
Das Ziel Ihres Antrages ist, Studienwege für Flüchtlinge zu eröffnen . Leider fehlen uns derzeit valide Zahlen
über die Bildungshintergründe der Flüchtlinge . Es wäre
zu wünschen, dass die Bundesagentur für Arbeit und das
BAMF eine systematische Erfassung der Qualifikationen - am besten bereits in den ErstaufnahmeeinrichtunKai Gehring
gen - etablieren . So aber sind wir auf Schätzungen angewiesen . Wir gehen davon aus, dass allein im Jahr 2015
circa 30 000 bis 50 000 Personen dieser Gruppe für die
Aufnahme eines Studiums qualifiziert sind oder erste
Studienabschlüsse erzielt haben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns über
das Ziel ganz einig . Bildung ist der Schlüssel für gelungene Integration .
({2})
Es ist auch das Ziel der Bundesregierung, die Potenziale
von Flüchtlingen früh zu erkennen . Auch sollten Hochschulen vermehrt digitale Medien nutzen, um Flüchtlingen mit Bleibeperspektive frühzeitig einen Zugang zu
akademischer Bildung zu eröffnen . Die Tore der Hochschulen sollten für Flüchtlinge ganz im Sinne des Wortes
aber auch im virtuellen Raum geöffnet werden .
Wenn Bildung der Schlüssel zur Integration ist, dann
ist das BMBF das entscheidende integrationspolitische
Schlüsselministerium, und dieser Herausforderung wird
das Haus auch gerecht .
({3})
Das Bundesministerium hat ein Maßnahmenpaket beschlossen, das Flüchtlingen den Hochschulzugang erleichtern soll . Um Sprachkenntnisse und die Studierfähigkeit früh festzustellen und zu fördern, werden zukünftig
die Sprachtests mit Mitteln des Bundes in die Sprachen
übersetzt, welche die Flüchtlinge vermehrt sprechen, wie
etwa Arabisch und Dari .
Erst im August hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, mit dem für Geduldete und Inhaber
bestimmter humanitärer Aufenthaltstitel der Zeitraum,
nach dem sie BAföG-berechtigt sind, von 4 Jahren auf
15 Monate verkürzt wird . Zur Beschleunigung des Studiums und Sicherung des Studienerfolgs plant das BMBF,
Mittel für circa 2 400 zusätzliche Studienkollegplätze pro
Jahr für Flüchtlinge bereitzustellen .
Es ist deshalb sehr schade, lieber Herr Kollege, dass
über diese Maßnahmen in Ihrem Text kein einziges Wort
zu finden ist.
({4})
Nicht zustimmungsfähig wird der Antrag aber durch
ganz grundsätzliche Erwägungen . Die Verantwortung für
Hochschulen liegt eben auch bei den Ländern . Im Antrag
wird aber einseitig der Bund in die Pflicht genommen.
Dabei wird unter anderem missachtet, dass der Bund im
Bereich Hochschulbau - Hörsäle, Bibliotheken - keine Kompetenzen hat . Die Änderung des Artikel 91 b
des Grundgesetzes bedeutet eben nicht, dass der Bund
für jede defekte Regenrinne einspringen muss . Kollege
Rossmann hat dies gestern im Ausschuss nochmals betont; vielleicht kann er auch Herrn Kollegen Heil dazu einen Vermerk schreiben . Auch die Anerkennung von Studienleistungen, die Frage von Studiengebühren sowie die
Sicherung und Öffnung des Lehrangebots ist zunächst
Aufgabe der Länder . Gleiches gilt für ein auskömmliches
Studienplatzangebot . Hier unterstützt der Bund die Länder bereits jetzt im Hochschulpakt mit 20,2 Milliarden
Euro .
({5})
Auch beim BAföG sind die weiter gehenden Forderungen nicht zustimmungsfähig . Die notorische Forderung, das erfolgreiche Deutschlandstipendium abzuschaffen, ist und bleibt ein Ladenhüter .
({6})
Diese grundsätzlichen Erwägungen sollen aber nicht
darüber hinwegtäuschen, dass es eben auch grundsätzliche Übereinstimmungen gibt . Es steht uns gut zu Gesicht, wenn wir alle die Willkommensagenda mitgestalten - auch und gerade in der Bildungspolitik .
({7})
Es freut mich, zu sehen, dass auf allen Ebenen unseres
Staatswesens getan wird, was möglich ist . Heute Abend
haben sich die Spitzen der Großen Koalition auf weitere
Maßnahmen geeinigt . Zwischen Kommunen, Ländern
und Bund wird zunehmend Hand in Hand gearbeitet .
Regierung und Opposition machen dies im produktiven
politischen Wettbewerb . In nur wenigen Wochen ist einiges auf den Weg gebracht worden . Das sollte uns optimistisch stimmen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Es ist gut, liebe Grüne, dass Sie mit Ihrem
Antrag „Vielfalt stärkt Wissenschaft - Studienchancen
für Flüchtlinge schaffen“ auf die aktuelle zugespitzte Situation hinweisen . Aber seien wir alle ehrlich: Seit Jahren gibt es Probleme in der Bildung und an Hochschulen und nicht erst, seit von Krieg und Hunger ausgelöste
Flüchtlingsströme Europa erreichen .
Bildungseinrichtungen sind seit Jahren unterfinanziert.
Von Sassnitz bis Passau erleben Eltern sowie Schülerinnen und Schüler marode Schulgebäude, den Mangel an
Lehrkräften und Schulsozialarbeitern . Gerade die Kinder
sozial benachteiligter Familien leiden nach der Schule
unter unfairen Zugangsbedingungen zu den HochschuCemile Giousouf
len . Viele können sich ein Studium schlicht nicht leisten,
ganz zu schweigen von überfüllten Hochschulen, den
schlechten Bedingungen im Wissenschaftssystem mit
Kettenbefristungen, viel Arbeit und oft schlechter Bezahlung . All diese Probleme existieren seit Jahren .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen gemeinsam verhindern, dass Benachteiligte und Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt werden .
({0})
Wir müssen zusammenstehen gegen die Hetze der
Scharfmacher bei AfD und Pegida, die nur Hass und
Misstrauen säen,
({1})
neue Probleme schaffen und echte Lösungen verhindern .
Gelingt es uns, die Probleme im Bildungswesen zu lösen
und dabei die Flüchtlinge mitzudenken, dann graben wir
den Hasspredigern das Wasser ab .
In Thüringen fehlen nach 24 Jahren CDU-geführter
Landesregierungen Hunderte Lehrerinnen und Lehrer .
Über 500 Lehrer wird die rot-rot-grüne Landesregierung 2016 neu einstellen .
({2})
Wir brauchten mehr Lehrkräfte; aber die eingeführte
Schuldenbremse verhindert mehr Investitionen in Bildung . Die neue Landesregierung stockt den Haushalt der
Hochschulen in Thüringen für die nächsten drei Jahre um
232 Millionen Euro gegenüber den letzten drei Jahren
der CDU-geführten Regierung auf . Es könnte mehr sein;
aber es geht nicht mehr auf Landesebene - wegen der
Schuldenbremse .
Die Linke im Bundestag hat daher bereits vor Wochen in einem Antrag Vorschläge zur Verbesserung im
Bildungswesen gemacht: Erstens . Ein Bund-Länder-Programm für mehr Bildung, mehr Erzieherinnen, Lehrer
und Hochschullehrerinnen und mehr Geld für Forschung
und Hochschulen muss aufgelegt werden .
({3})
Zweitens . Jeder, der die fachlichen Voraussetzungen hat
und eine Ausbildung oder ein Studium will, muss dies
beginnen können und das Recht haben, diese Ausbildung
zu beenden . Drittens . Egal ob man aus Jena, Düsseldorf,
Kobane oder Kabul stammt: Wer BAföG braucht, muss
es erhalten,
({4})
damit sich jeder Mensch unabhängig von Herkunft und
Einkommen entwickeln kann .
({5})
Bildung ist ein Menschenrecht und nicht verhandelbar . Bei Bildung kann und darf man nicht warten . Das
Menschenrecht auf Bildung gilt für alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen - ohne Ausnahmen und ungeachtet ihres Aufenthaltsstatus . Wir alle stehen in der Verantwortung, Schulabgängern faire Zugangschancen und
Finanzierungsmöglichkeiten für ein Studium zu sichern
und später für alle Absolventen und Wissenschaftler gute
Arbeitsbedingungen zu schaffen .
Mit einer Millionärssteuer und einer Vermögensabgabe wäre das finanzierbar.
({6})
Dann könnten wir mehr für Bildung tun, für Einheimische und Zugezogene . Wir könnten den drohenden Fachkräftemangel beheben und die Probleme der Demografie
lösen . Wenn wir die heutige Situation als Chance nutzen,
dann profitieren wir in der Zukunft alle davon. Deshalb
gilt: Wir brauchen keine Ausgrenzung . Wir brauchen
mehr Bildung für alle Kinder und für alle jungen Erwachsenen .
({7})
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr . Karamba
Diaby .
({0})
Herr Präsident! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Antrag der Grünen greift ein hochaktuelles Thema auf, das uns dauerhaft beschäftigen wird . Es
geht um die Bildungschancen der nach Deutschland geflüchteten jungen Menschen. Wir stimmen völlig darin
überein, dass ein Ruck durch unsere Bildungslandschaft
gehen muss .
({0})
Wir sind fest davon überzeugt, dass die Integration der
Asylsuchenden eine historische Aufgabe ist . Jeder zehnte
ist im Kitaalter. Jeder dritte ist im schulpflichtigen Alter . Hinzu kommen Tausende junger Menschen, die eine
Ausbildung brauchen oder studieren könnten . Für diese
Aufgabe muss unser Bildungssystem fitgemacht werden.
({1})
Gleichzeitig aber haben wir einen Flickenteppich in
der Bildungslandschaft . Wir stellen fest: Jedes Bundesland, jede Hochschule geht anders mit der Integration
von Asylsuchenden in das Bildungs- und Wissenschaftssystem um . Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich deshalb für eine nationale Bildungsallianz ein .
({2})
Angesichts der großen Herausforderungen wird deutlich:
Wir müssen über neue Formen der Zusammenarbeit auch
im schulischen und frühkindlichen Bereich nachdenken .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den Bildungsbereich gilt: Wir brauchen einen umfassenden und ganzheitlichen Ansatz, von der Kita über die Hochschule bis
hin zur Weiterbildung . Die einzelnen Bausteine müssen
gut miteinander verknüpft werden . Diese Herausforderungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich können
nur gemeinsam bewältigt werden .
({4})
Um es mit den Worten unserer Kanzlerin zu sagen:
Wir brauchen hier pragmatische Lösungen .
({5})
Dafür muss der Bund aber die Länder und Kommunen
tatkräftig unterstützen dürfen, und zwar dauerhaft; denn
die Integration Eingewanderter ist eine Daueraufgabe .
Die Frage ist nun: Wo muss der Bund tätig werden?
Erstens . Der Bund muss bei den Hochschulen tätig
werden . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, hier sind wir durchaus bei Ihnen . Wir sind uns einig:
Vielfalt ist eine Chance, besonders auch für unser Bildungssystem; denn Bildung und Wissenschaft brauchen
den Austausch über Landesgrenzen hinweg . Nur ein internationales Bildungssystem ist modern, innovativ und
dynamisch . Unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind bereits heute Zentren der Internationalität
und stehen seit langem für eine gelebte Willkommenskultur .
({6})
Viele Hochschulen nehmen angesichts der aktuellen
Flüchtlingskrise eine Vorbildfunktion ein .
Mein Bundesland Sachsen-Anhalt plant zum Beispiel,
in Sprach- und Vorbereitungskursen bis zu 600 studieninteressierte Flüchtlinge zu qualifizieren. Dafür werden
knapp 5 Millionen Euro für drei Jahre zur Verfügung gestellt . - Ich nenne auch das Engagement von Studierenden . Viele engagieren sich ehrenamtlich, zum Beispiel
in der Rechtsberatung . Ganz konkret: In einem Projekt
in meinem Wahlkreis, an der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg, engagieren sich Studierende im Praxisprojekt Migrationsrecht . Die Studierenden bearbeiten
reale Fälle von Asylsuchenden in Zusammenarbeit mit
Migrantenorganisationen, Beratungsstellen und Wohlfahrtsverbänden . Das ist nur eines von unzähligen Beispielen für das Engagement an Hochschulen für Geflüchtete .
Wichtig ist auch: Der Bund wird die Hochschulen bei
der Sprachförderung, der Studienberatung und der Feststellung der Zugangsberechtigung unterstützen .
({7})
Hier bauen wir auf das Know-how des DAAD, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und anderer . Ich freue
mich, dass die Verhandlungen mit diesen Organisationen
bereits laufen . So stelle ich mir als Bildungspolitiker die
Unterstützung durch den Bund vor .
Ein zweiter Punkt betrifft das pädagogische Personal
an den Einrichtungen . Wir brauchen mehr Erzieherinnen und Erzieher und mehr Lehrende . Allein in diesem
Schuljahr wurden laut KMK 3 000 zusätzliche Lehrkräfte eingestellt . Der Gesamtbedarf beläuft sich nach Schätzungen aber auf 10 000 bis 20 000 Lehrkräfte . Hier ist
eine Unterstützung der Länder durch den Bund nötig .
({8})
Drittens, Stichwort „Ganztagsschulen“ . Eine ganzheitliche Bildung ist die Voraussetzung, um später einen
Beruf erlernen oder auch studieren zu können . Ganztagsschulen bieten dafür gute Rahmenbedingungen . Dort
können Kinder und Jugendliche besser sprachlich gefördert werden, und sie haben gute Möglichkeiten, Interessen zu entwickeln und Talente auszubauen . Sie können
sich ausprobieren . Beim ersten Ganztagsschulprogramm
haben wir gesehen: Es geht . Zusammenarbeit kann funktionieren . Deshalb sagen wir: Ein zweites Programm
zum Ausbau der Ganztagsschulen ist bitter nötig .
({9})
Viertens . In die Bildungseinrichtungen kommen viele
durch Krieg und Flucht traumatisierte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene . Der Bedarf an sozialpädagogischer und psychologischer Unterstützung ist stark
gestiegen . Auch hier muss der Bund tätig werden dürfen .
Wir brauchen zusätzliche Schulsozialarbeiter und Psychologen für Kitas, Schulen und Hochschulen .
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Integration durch
Bildung kann gelingen . Deshalb begrüßt die SPD-Fraktion die Richtung des vorliegenden Antrags .
({11})
Wir brauchen aber einen ganzheitlichen Bildungsansatz, der den gesamten Bildungsbereich umfasst . Für die
SPD-Fraktion steht fest: Bund, Länder und Kommunen
müssen dafür stärker zusammenarbeiten dürfen - und
dauerhaft .
Danke schön .
({12})
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Dr . Claudia Lücking-Michel von der CDU/
CSU .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind uns heute Abend einig: Viele Flüchtlinge, die
zu uns kommen, bringen große Potenziale mit und die
Hoffnung, mit der sie vielleicht in ein Hochschulstudium
starten möchten . Unsere Aufgabe ist es, für die nötigen
Rahmenbedingungen zu sorgen sowie dafür, dass Integration durch Bildung möglich wird . Ministerin Wanka
war eines der ersten Mitglieder der Bundesregierung,
das mit konkreten Bildungsmaßnahmen und nicht nur
mit leeren Worten darauf reagiert hat; darüber habe ich
mich sehr gefreut . 130 Millionen Euro zusätzlich will das
BMBF für Flüchtlinge investieren . Von diesem Geld soll
durchaus ein Gutteil in den Hochschulbereich fließen. Einige der Vorschläge aus Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, finden sich schon lange
in dem Maßnahmenpaket von Frau Wanka: die zügige
Bestandsaufnahme der Studierfähigkeit, die unbürokratische Anerkennung von Hochschulzugangsberechtigungen und erst recht der Ausbau fachsprachlicher und propädeutischer Studienvorbereitung .
Auch ich hatte mir vorgenommen, heute Abend besonders ausdrücklich und dankend das Engagement zu
erwähnen, das bereits an ganz vielen Hochschulen erfolgt . Viele Beispiele haben wir gehört . Ich brauche sie
nicht zu wiederholen, obwohl sie es wert wären . Ich will
einmal ergänzend die Initiative der Universität Leipzig
nennen, die geflüchtete Wissenschaftler in Kontakt mit
deutschen Kollegen bringen will . Ein Beispiel aus meinem Wahlkreis, über das wir noch nichts gehört haben,
ist die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die schon mittelund langfristige Kooperationen mit örtlichen Unternehmen und Verbänden plant, um eine Art internationale
Talentakademie aufzubauen .
({0})
Wie gut, zu sehen, dass unsere Studierenden sich auch
dann engagieren, wenn es dafür noch lange keine Credit
Points gibt . Dennoch ist es natürlich sinnvoll, das ehrenamtliche Potenzial, das sich hier zeigt, zu unterstützen,
zum Beispiel - auch ein Vorschlag aus dem BMBF - indem studentische Hilfskräfte für die Koordination des
ehrenamtlichen Engagements bezahlt werden .
({1})
Bisher haben wir in dieser Debatte über den Wissenschaftsbetrieb bei uns im Land geredet . Das liegt auch
nahe . Aber erlauben Sie mir, dass ich als Entwicklungspolitikerin zum Schluss auch noch einmal den Blick
auf das lenke, was wir an Hilfe vor Ort leisten sollten .
Jordanien, der Libanon, die Türkei und Marokko haben
große Flüchtlingsgruppen aufgenommen . Sicher, satt
und medizinisch versorgt, das sind die Basics . Aber dann
kommt sehr schnell die Frage nach der Zukunft, und das
heißt bei jungen Leuten: nach Bildung, gerade auch nach
Hochschulbildung . Die jungen Menschen dort sollen
doch auch Chancen auf ein qualitätsvolles Studium haben .
({2})
Es gibt dafür beispielhafte Ansätze . Ich will einmal
das Stipendienprogramm des BMZ für junge Syrer und
Jordanier nennen . Noch mit kleinen Fallzahlen, aber immerhin: Studierende sollen ein Masterstipendium für ein
Studium an einer der vier jordanischen Partnerhochschulen bekommen können . Das ist aus meiner Sicht noch ein
Tropfen auf den heißen Stein; aber es ist ein guter Ansatz
und ein Programm, das unbedingt ausbauwürdig ist .
({3})
Dann müsste es weitergehen . Wir sollten Studienvorbereitungskurse auch vor Ort fördern, Stipendien für das
Studium an Hochschulen in der Region vergeben . Ich
denke auch an die Förderung von Ausgründungen deutscher Hochschulen durch das BMBF . Was ist mit der
Türkisch-Deutschen Universität oder der Deutsch-Jordanischen Hochschule? Das sollten doch Partnerinstitutionen sein, an denen wir Flüchtlingen die Möglichkeit
zur Aufnahme eines Studiums in ihrer Herkunftsregion
geben .
({4})
Insgesamt sehe ich die große Herausforderung, dass
wir die Studierenden hier und dort nicht nur für die Aufgaben von heute und morgen, sondern auch für die Aufgaben von übermorgen befähigen müssen . Wo werden
die Verantwortungsträger der Zukunft ausgebildet, wenn
irgendwann - hoffentlich - der Krieg in Syrien zu Ende
ist? Wer kann und will dann die Verantwortung für das
Gemeinwesen dort übernehmen? Im Sinne eines Leadership-Programms braucht es heute Qualifikation und
Ermutigung, damit die Menschen - wahrscheinlich erst
übermorgen - verantwortlich die Zukunft in ihren Heimatländern gestalten können .
({5})
Wenn wir beide Perspektiven, die nationale und die internationale, in unserer Bildungspolitik berücksichtigen,
dann, so glaube ich, werden wir einen ganz wesentlichen
Teil zur Bewältigung der Integrationsaufgabe und der
Flüchtlingsfrage leisten können .
Vielen Dank .
({6})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6345 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Damit verlassen wir den Tagesordnungspunkt 16 und
kommen zum Tagesordnungspunkt 17, den ich hiermit
aufrufe:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Zu den Überlegungen der Europäischen Kommission zur Schaffung einer Europäischen
Einlagensicherung
Drucksache 18/6548
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Da ich
keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie
alle damit einverstanden sind .
Nachdem mittlerweile alle, die an dieser Aussprache
teilnehmen wollen, ihre Sitzplätze eingenommen haben,
eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Antje Tillmann für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrte Damen und Herren! Die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Finanzmarktregulierung war
in den letzten Jahren äußerst erfolgreich . So konnten wir
uns im Juni 2012 darauf einigen, eine Bankenunion mit
gemeinsamer Aufsicht und gemeinsamen Krisenmechanismen zu gründen .
Begonnen hat dieser Prozess mit dem Stresstest . Die
EZB hat die 130 größten Banken in der Euro-Zone einem
Stresstest unterzogen, der Kapitallücken bei 25 Banken
aufgedeckt hat . Dieses Kapital haben die Banken inzwischen aufgebracht . Seit November 2014 stehen diese
Großbanken unter der Aufsicht der EZB . Bankenschieflagen sollen so in Zukunft durch frühzeitiges Eingreifen verhindert werden . Sollte trotzdem eine Bank in
Bedrängnis geraten, haben wir sichergestellt, dass der
europäische Steuerzahler in Zukunft weitestgehend als
Retter außen vor bleibt . Banken und Aufsicht erstellen
außerdem Sanierungs- und Abwicklungspläne für den
Ernstfall .
Wir haben auch dem Prinzip „Wer die Chancen hat,
hat auch die Risiken zu tragen“ wieder zur Geltung verholfen . Statt auf den Steuerzahler zurückzugreifen, haften in Zukunft die Eigentümer und Gläubiger selbst vorrangig für Sanierung und Abwicklung . Für den Fall, dass
die Mittel der Eigentümer und Gläubiger für eine Sanierung oder Abwicklung nicht reichen, gibt es den Abwicklungsfonds, der von den Banken selbst mit 55 Milliarden
Euro gefüllt werden muss . Erst als letzter müsste der jeweilige Staat einspringen, in dem die Bank ihren Sitz hat .
Danach haben wir im letzten Jahr beschlossen, die
nationalen Einlagensicherungssysteme in Europa zu harmonisieren . Alle Banken müssen einem nationalen Einlagensicherungssystem angehören, das mit einem Mindestvermögen von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen
ausgestattet sein muss . Hierdurch werden auf nationaler
Ebene Sicherheiten für europäische Sparer geschaffen .
Im Fall des Zusammenbruchs einer Bank kann die Auszahlung des Guthabens auch über Landesgrenzen hinweg
bis 100 000 Euro sicher und zügig erfolgen . Wir haben
die Auszahlungsfristen verringert und haben für Sondersituationen, zum Beispiel bei einer Abfindung oder einer
Veräußerung des privaten Hauses, die gesicherte Summe
sogar auf 500 000 Euro erhöht .
Also: Bei den rechtlichen Grundlagen sind wir auf
dem Weg zu mehr Sicherheit auf den Finanzmärkten
einen guten Schritt weitergekommen . Wir haben gute
gesetzliche Regelungen geschaffen . Aber bei der Umsetzung konnten nicht alle in Europa Schritt halten . In
Deutschland sind wir auf einem guten Weg . Wir waren
Vorreiter bei der Umsetzung der Abwicklungsrichtlinie;
auch bei der Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie
waren wir ganz vorne dabei . Viele andere EU-Staaten haben diese Richtlinien bisher aber noch nicht umgesetzt .
Nach den letzten Informationen haben bisher 17 Staaten
die Abwicklungsrichtlinie umgesetzt, obwohl die Frist
eigentlich schon Ende 2014 auslief . Auch die Einlagensicherungsrichtlinie wurde trotz Fristendes im Juli 2015
erst von rund der Hälfte der betroffenen Länder umgesetzt .
Mit der Umsetzung und Implementierung in nationales Recht an sich ist es aber noch nicht getan . Tatsächlich müssen die damit einhergehenden Pflichten erfüllt
werden . Erst 2016 sind die ersten Einzahlungen in den
Abwicklungsfonds vorgesehen . Für die vollständige Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie haben die Banken sogar bis zum Jahr 2024 Zeit . Erst dann müssen die
geforderten Mittel in Höhe von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen im System hinterlegt sein . Nötig ist daneben
auch noch, die Risiken zu verringern, die von Staaten auf
Banken ausgehen und umgekehrt . Deshalb wollen wir als
Nächstes die regulatorische Behandlung von Staatsanleihen überprüfen .
Vor dem Hintergrund, dass viele der Maßnahmen noch
gar nicht mit Leben erfüllt sind, kommt der Vorschlag der
fünf Präsidenten, eine europäische Einlagensicherung in
Form einer Rückversicherung zu installieren, zur Unzeit .
Wir sollten erst einmal abarbeiten, was wir beschlossen
haben . Wir sollten erst einmal das mit Leben erfüllen und
wirken lassen, was wir bisher gemeinsam verabredet haben .
({0})
In der Reihenfolge der noch abzuarbeitenden Aufgaben müssen Sorgfalt und Vorsicht vor Geschwindigkeit
gehen . Lassen Sie uns gemeinsam mit aller Kraft das
System der Einlagensicherung, das wir schon geschaffen haben, mit Leben erfüllen und erst dann, wenn die
nationalen Systeme funktionieren, über weitere Schritte
diskutieren . Wir fordern Sie heute mit diesem Antrag auf,
nichts Neues zu implementieren, bevor die Instrumente
in den anderen Bereichen funktionieren .
Ich danke Ihnen .
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Axel Troost,
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
begrüßen sehr, dass sich die Regierungskoalition mit
Vizepräsident Johannes Singhammer
dem Thema europäische Einlagensicherung beschäftigt .
Die Stoßrichtung des Antrags sehen wir aber kritisch .
Uns verbindet in jedem Fall das gemeinsame Interesse, die Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht in
ein europäisches Einlagensicherungssystem zu zwingen,
das im Zweifelsfall mit Spareinlagen riskant operierende Großbanken im europäischen Ausland retten würde;
denn das zentrale Kriterium eines jeden Einlagensicherungssystems muss sein, dass Banken mit seriösem Geschäftsmodell nicht für die Einlagen bei Zockerbanken
geradestehen müssen, egal ob im Inland oder im Ausland .
({0})
Aber wenn Sparkassen und Genossenschaftsbanken
tatsächlich aus einer europäischen Einlagensicherung
ausgenommen würden, dann spräche doch nichts grundsätzlich dagegen, dass Banken mit ähnlichen Geschäftsmodellen und Risikoprofilen in eine einheitliche europäische Einlagensicherung einbezogen würden, und zwar
sinnigerweise, wie eben auch vorgesehen, in ein System
von Rückversicherungen zwischen nationalen Einlagensystemen .
Mit Ihrem Antrag stellen Sie sich aber nicht nur schützend vor die Sparkassen und Genossenschaftsbanken,
sondern vor alle deutschen Kreditinstitute, nach dem
Motto „Kein deutsches Geld zur Sicherung von Einlagen
irgendwo anders“ .
({1})
Aber was spricht denn prinzipiell dagegen, dass auch mit
Einzahlungen einer deutschen Commerzbank oder HypoVereinsbank ein Einlagensicherungssystem gespeist
wird, das notfalls auch Sparer und Sparerinnen einer
französischen BNP Paribas oder der UniCredit, also der
italienischen Mutter der HypoVereinsbank, entschädigt?
Sie sollten diesbezüglich auch folgende Überlegung
anstellen: Auch den deutschen Privatbanken geht es keineswegs so blendend, dass sie sich erlauben könnten, abschätzig auf Großbanken in anderen Ländern zu schauen .
Gerade die Deutsche Bank - wir alle wissen das sehr genau - kommt kaum hinterher, ihre Bußgelder zu begleichen und ihre Schadensersatzverpflichtungen zu erfüllen.
Wer sagt also, dass automatisch Gelder aus Deutschland
ins europäische Ausland abfließen würden? Vielleicht
kommt es ja auch andersherum .
Sie als Koalitionäre und die Bundesregierung werden
nicht müde, immer wieder zu betonen, dass Sie die notwendigen Schlussfolgerungen aus der Finanzkrise gezogen haben, dass Sie auf europäischer Ebene die Bankenregulierung ausreichend verschärft und die Risiken
entschlossen bekämpft haben .
({2})
Wenn man Ihnen glaubt, so werden europäische Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nie wieder für die Verluste
gieriger oder verantwortungsloser Banker haften müssen . Wir als Linke sind bekanntlich sehr viel skeptischer,
wie weit die Finanzmarktreformen der vergangenen Jahre der Gefahr einer neuen großen Finanzkrise wirksam
vorgebeugt haben .
Die aktuelle Krise ist keineswegs vorbei, und die
nächste Krise kommt bestimmt, und die wird sicher
anders aussehen als die derzeitige . Es wäre aus unserer
Sicht deswegen durchaus sinnvoll, schon jetzt wirksame
Maßnahmen zu diskutieren und Einrichtungen zur Einlagensicherung möglichst breit aufzustellen und nicht
selbstgefällig zu glauben, die nächsten Bankenzusammenbrüche und Entschädigungsfälle in Europa würden
immer nur weit entfernt von Frankfurt passieren .
Bei allen Bedenken, dass andere Länder noch nicht so
weit sind: Ich glaube, dass man die Gespräche schon jetzt
aufnehmen muss . Wenn andere Sicherungssysteme stehen, dann muss selbstverständlich sehr schnell eine europäische Lösung angestrebt und auch umgesetzt werden .
Danke schön .
({3})
Das Wort hat als Nächster der Kollege Manfred
Zöllmer für die SPD .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
europäische Bankenunion hat konkrete Gestalt angenommen . Die Politik hat die richtigen Schlussfolgerungen aus
der Krise gezogen, wir haben verstanden und geliefert .
Noch ist nicht alles rosig; so müsste die Zusammenarbeit
der nationalen Behörden mit der EZB nach wie vor verbessert werden . Aber insgesamt funktioniert es . Wir sind
einen guten Schritt nach vorne gekommen .
Mit dem Abwicklungsmechanismusgesetz haben wir
in Deutschland die Umsetzung der Bankenabwicklungsrichtlinie vorgenommen . Damit wollen wir verhindern,
dass in Zukunft Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
noch einmal für die Zockereien der Banken zahlen müssen . Mit dem Einlagensicherungsgesetz haben wir in
Deutschland die europäische Einlagensicherungsrichtlinie in Kraft gesetzt . Damit werden in Europa einheitliche
Regeln für Anforderungen und finanzielle Ausstattung
von Einlagensicherungssystemen geschaffen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Vertrauen ist die
Grundlage für die Funktionsfähigkeit und die Stabilität
des Bankensystems . Wir haben vor kurzem in Griechenland erlebt, was passiert, wenn es kein Vertrauen in die
Stabilität des Bankensystems gibt . In Deutschland gibt
es neben dem gesetzlichen Einlagensicherungssystem
der privaten und öffentlichen Banken die Institutssicherungssysteme der Sparkassen und Genossenschaftsbanken . Deutschland hat seine Hausaufgaben erfolgreich gemacht . Ich glaube, darauf können wir auch ein bisschen
stolz sein . Wir sind in dieser Frage gut aufgestellt .
Wir waren sehr überrascht, als im Bericht der fünf Präsidenten das Stichwort „Errichtung einer europäischen
Einlagensicherung“ auftauchte . Ja, es gibt in Europa Probleme mit der Einlagensicherung; denn eine Reihe europäischer Staaten hat die europäischen Vorgaben bisher
noch nicht in nationales Recht umgesetzt . Im Bereich der
Abwicklungs- und Einlagensicherungsrichtlinien gibt es
teilweise noch erhebliche Umsetzungsdefizite. Diese Defizite sind ein Stabilitätsrisiko. Deshalb wundern wir uns
darüber, dass die Kommission nicht die Umsetzung nationaler Gesetzgebung kontrolliert und einfordert - dies
wäre eigentlich ihre Aufgabe -, sondern ein neues, vergemeinschaftetes System schaffen will .
Wir sagen deshalb: Erst müssen die nationalen Hausaufgaben gemacht werden . Das, was beschlossen ist, muss
wirksam umgesetzt werden, bevor man über weiter gehende Schritte entscheidet . Zuerst müssen die nationalen
Einlagensicherungssysteme funktionsfähig sein; dann
kann man über weiter gehende Schritte verhandeln .
Nun gibt es in der öffentlichen Diskussion ja einige
Vorschläge - Herr Juncker hat sich da hervorgetan -:
Man wolle ja nur ein Rückversicherungssystem schaffen .
Doch was ist ein solches System anderes als eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung? Dann gab es in
der Diskussion den Hinweis, Sparkassen und Genossenschaftsbanken sollen aber außen vor bleiben . Wir fragen
uns: Wie soll das eigentlich rechtlich sauber aussehen,
wo will man die Trennlinie ziehen, und was bedeutet das
für die privaten Banken? Es gibt viele Fragen und bisher
kaum Antworten .
Deshalb wollen wir mit unserem Antrag deutlich machen: Wir wehren uns nicht gegen eine sinnvolle Weiterentwicklung der Bankenunion . Sie kann aber nur Schritt
für Schritt erfolgen . Erst muss das, was in Europa zur
Einlagensicherung beschlossen wurde, auch überall national umgesetzt werden . Wir wollen Europa stärken . Das
geht aber nicht mit unausgegorenen Vorschlägen, nach
denen der deutsche Sparer für Fehlentwicklungen in anderen Ländern in Haftung genommen werden soll . Die
Bankenunion ist nach wie vor eine Baustelle . Es ist dringend notwendig, ein vernünftiges Trennbankengesetz in
Europa zu etablieren und Maßnahmen zu ergreifen, um
die staatlichen Risiken von den Bankenrisiken zu trennen .
Es gibt noch viel zu tun, aber man muss die richtige
Reihenfolge beachten . Wir bitten deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag .
Vielen Dank .
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Gerhard Schick,
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
geht heute um die Frage: Was passiert eigentlich, wenn
das Einlagensystem eines Mitgliedstaates nicht ausreicht, weil die Bankenpleite zu groß ist, als dass das
Einlagensicherungssystem das tragen könnte? Dann gibt
es die Möglichkeit, dass der Nationalstaat einspringt, der
Steuerzahler . Wir haben in Deutschland erlebt, dass eine
Einlagensicherung im Bereich der Privatbanken nicht
ausgereicht hat und der Steuerzahler einspringen musste .
Oder gibt es eine Alternative dazu, die von den Banken
selber finanziert ist?
Wenn man es ernst meint - was häufig gesagt wird -,
dass man die Risiken von Bankenpleiten trennen will,
sodass eine Bankenpleite nicht auf den Steuerzahler
durchschlägt und umgekehrt das Risiko einer drohenden Staatspleite nicht Unsicherheiten im Bankensektor
schafft, dann muss man dafür sorgen, dass bei Problemen
bei einer Einlagensicherung eben gerade nicht das Budget des Nationalstaates herangezogen wird, sondern es
ein anderes Absicherungssystem gibt. Deswegen finden
wir es im Grunde richtig, dass man an einer europäischen
Einlagensicherung arbeitet, um das System insgesamt
stabiler zu machen .
({0})
Da sind wir auch überhaupt nicht allein . Das ist die
zentrale Forderung von sehr vielen Institutionen und kundigen Menschen . Der Internationale Währungsfonds fordert uns dazu auf, die Bankenunion zu vervollständigen,
die dritte Säule, die Einlagensicherung, zu schaffen . Die
fünf Präsidenten, darunter der Christdemokrat Juncker
und der Sozialdemokrat Schulz, sagen: Wir brauchen
jetzt ein europäisches Einlagensicherungssystem . - Sie
haben recht . Es ist interessant, dass Sie Ihren Parteifreunden da nicht folgen wollen, sondern jetzt erst einmal ein
Nein in die Debatte werfen .
Es gibt einen Punkt, den wir uns in Deutschland wirklich anschauen müssen . Wir haben nämlich ein anderes
System als manche anderen Mitgliedstaaten: Mit der Institutssicherung der Sparkassen und Volksbanken haben
wir jeweils eigene Systeme . Wir wollen auch nicht, dass
sie zu einem Nachteil für die Institute werden; denn gerade die kleineren Banken wollen wir nicht über Gebühr
belasten .
Merkwürdig ist aber, dass Herr Zöllmer jetzt sagt: Unausgegorene Vorschläge, wir sind dagegen . - Entschuldigung, die Kommission hat ihren Vorschlag noch gar nicht
gemacht, und Sie sagen schon Nein dazu? Nicht der Vorschlag ist unausgegoren, sondern Ihre Kritik richtet sich
gegen etwas, was Sie noch gar nicht kennen . Das ist nicht
überzeugend .
({1})
Das Zweite ist, dass Sie damit argumentieren, dass
die Sparer in Deutschland bei Bankenpleiten in anderen
Ländern nicht in Anspruch genommen werden sollten .
Jetzt einmal Vorsicht: Wir haben bei der Abwicklung von
Banken festgelegt, dass die Einlagen geschützt sind; im
Fachterminus Depositor Preference . Das heißt, das Einlagensicherungssystem ist gerade nicht dafür da, Bankengläubiger insgesamt zu schonen, sondern Eigentümer
und Anleihegläubiger müssen als Erstes herangezogen
werden . Die Einlagensicherung wird im Wesentlichen
dazu dienen, dass die Sparer nicht lange warten müssen
und nur eine Liquiditätsrolle einnehmen. Deswegen ist
der Vorwurf, den Sie gemacht haben, auch da nicht richtig .
({2})
Wir meinen, dass das, über das jetzt in Europa diskutiert wird, auf jeden Fall eine ernste Betrachtung verdient . Denn jetzt soll ja gerade nicht als Erstes ein großer gemeinsamer europäischer Topf geschaffen werden,
sondern das System der Rückversicherung besagt: Wir
haben nationale Systeme, und nur wenn diese nicht ausreichen, greift ein Rückversicherungssystem . Das kennen wir aus der Privatwirtschaft . Das kann zusätzliche
Stabilität schaffen . Es lohnt deswegen, diesen Vorschlag
der Kommission konstruktiv aufzugreifen, unsere deutschen Besonderheiten einzubringen und jetzt nicht sofort
Nein in Richtung Brüssel und Straßburg zu sagen . Mit
der Subsidiaritätsrüge sind Sie bei dem Thema Einlagensicherung schon einmal gescheitert; damit waren Sie
nicht erfolgreich . Wir meinen, daraus sollte man lernen
und sich konstruktiv in die Debatte einbringen, um die
Euro-Zone insgesamt stabiler zu machen .
Danke schön .
({3})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alexander
Radwan .
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegt
heute ein Antrag zu einem zu erwartenden Entwurf zum
Thema Einlagensicherung vor; das wurde bereits richtig dargestellt . Das Thema Bankenunion wurde schon
beschrieben . Wir sind dort mit den Abwicklungsmechanismen auf dem Weg und haben mit den Einlagensicherungssystemen gute Fortschritte gemacht . Aber wir haben eine ganze Reihe von Gründen, warum wir diesen
Vorschlag in der Form jetzt ablehnen .
({0})
- Hören Sie zu, Herr Schick, dann werden Sie es möglicherweise verstehen .
Die Europäische Kommission geht sehr oft in Vorlage, um ein Thema zu setzen und etwas Bestimmtes zu
erreichen . - Herr Schick, Sie haben doch gerade dazwischengerufen . Nun lassen Sie mich Ihnen doch antworten . - Die Kommission geht also in Vorlage . Sie sagen
schon jetzt: Wir wollen den entsprechenden Vorschlag
prüfen . - Wir sagen mit unserem Antrag: Es ist zu früh
dafür . Jetzt ist nicht die Zeit, über dieses Thema zu diskutieren . - Ich habe bis jetzt keinen Vorschlag der Europäischen Kommission erlebt, der einfach in einer Schublade
verschwunden ist .
Das, was Jean-Claude Juncker jetzt gemacht hat, indem er die Sparkassen und Genossenschaftsbanken herausgenommen hat, Herr Dr . Troost, ist süßes Gift; denn
er möchte das System der Einlagensicherung jetzt europäisieren . Er will einen Fonds . Ihre Argumentation - ich
habe dafür sehr viel Sympathie - greift aus europäischer
Sicht aber nicht . Wir waren gerade heute mit einigen Kollegen bei den privaten Banken . Relativ schnell wird in
der Diskussion gefragt werden: Was haben wir denn für
ein Geschäftsmodell? Der BdB hat als Mitglieder mehr
kleine Banken als große Banken . Relativ schnell wird die
Diskussion kommen: Wieso nehmen wir die einen heraus
und die anderen nicht? - Das ist europäische Politik . Diese Tür wollen Sie, Herr Schick, jetzt aufstoßen, ohne dass
die Risiken in Europa vergleichbar sind, ohne dass die
anderen Staaten entsprechende Systeme implementiert
haben und eine entsprechende Risikovergleichbarkeit
haben . Die Kommission geht hier den dritten Schritt vor
dem ersten Schritt .
({1})
Wenn Sie jetzt sagen: „Wir machen eine Rückversicherung in diesem Bereich“, wenn sie jetzt sagen: „Der
Anreiz ist, dass die, die es umgesetzt haben, zukünftig
auch daran teilnehmen können“, dann sage ich: Die Aufgabe der Kommission ist es, europäisches Recht durchzusetzen - ohne irgendeine Bonuszahlung . Ansonsten
machen wir zukünftig irgendwelche Fonds auf und belohnen die Staaten, die umsetzen . Das ist nicht das europäische Rechtssystem, wie wir es uns vorstellen .
({2})
Wir machen heute - das halte ich für ausgesprochen
gut - im Vorfeld eines europäischen Vorschlages, über
den noch auf europäischer Ebene zwischen den Institutionen diskutiert wird, eine Meinungsbildung des Deutschen Bundestages .
({3})
Für mich ist entscheidend: Wenn wir es ernst meinen, in
diesem Bereich nationale Politik mitzugestalten, sollten
wir nicht warten, wie es einige Redner gefordert haben,
bis die Vorschläge vorliegen, bis möglicherweise die parlamentarische Beratung war . Wenn wir dann in der Umsetzung der Richtlinien sind, dann kommt das große Aufheulen, und dann sagen wir: Jetzt war es zu spät . - Wir
müssen unsere Interessen rechtzeitig einbringen .
({4})
Darum bleiben wir dabei: Hier wird der dritte Schritt
vor dem ersten gemacht . Wir erwarten von der Kommission, jetzt dafür zu sorgen, dass diese Richtlinie in den
Mitgliedstaaten umgesetzt wird, dass wir eine Risikovergleichbarkeit bekommen . Hier gibt es wichtige Punkte,
zum Beispiel bei den Staatsanleihen, wo wir sagen: Wir
müssen das entsprechend handhaben .
Meine Damen und Herren, wenn ich vonseiten der
Kommission höre - das ist nur ein Beispiel für die Vergleichbarkeit in Europa -, dass es bei der Umsetzung des
Bail-in - auf nationaler Ebene war uns ja sehr wichtig,
dass der Bail-in aufgenommen wird; das war in unserem
Interesse - in anderen Staaten durchaus Interpretationsverschiedenheiten gibt und andere Länder nicht so strikte
Regelungen treffen wie wir, dann muss ich sagen: Dieser
Schritt ist eindeutig zu früh . Wir müssen eine Vergleichbarkeit der Regelungen, der Regulierung, der Aufsicht
und des Verständnisses von europäischen Normen herstellen, bevor wir darangehen, all dies zu europäisieren .
Abschließend noch - auch da hatten wir eine triftige
Diskussion -: Wenn wir so weit kämen, uns darauf zu einigen, was die Rechtsgrundlage eines solchen Fonds ist,
kann ich nur sagen: Da bin ich bei Wolfgang Schäuble,
der beim Abwicklungsmechanismus das intergouvernementale Element betont hat und ihn nicht als Sache des
europäischen Rechts angesehen hat . Wir sollten, gerade
wenn es um diese Gelder geht, alles daransetzen, dass
wir als Deutscher Bundestag auf europäischer Ebene unsere Rechte wahren . Das machen wir mit dem heutigen
Beschluss . Wir werden dem Antrag zustimmen .
Besten Dank .
({5})
Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege
Christian Petry für die SPD das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Eines freut mich an der heutigen Debatte: dass
letztlich von keiner Seite infrage gestellt wird, dass wir
zur Verwirklichung der Bankenunion und im Hinblick
auf die dritte Säule am Ende auch ein europäisches Einlagensicherungssystem brauchen . Ich glaube, das Signal,
das dieses Parlament an Europa senden muss, ist, dass
dies für die Einleger ein ganz wichtiger Punkt ist . Im
Zentrum unserer Überlegungen stehen auch nicht die
Banken . Im Zentrum steht der Schutz der Einleger, also
der Sparer, die ihre Vermögen gesichert haben wollen,
die, wie Manfred Zöllmer eben gesagt hat, nicht unter der
Zockerei der Banken leiden sollen .
Eines, Herr Troost, muss ich allerdings sagen: Die
Banken sind nicht per se das Reich des Bösen . Es gibt
Missstände . Aber insgesamt gesehen erfüllen sie volkswirtschaftlich eine wichtige Funktion in unserem Land .
Wirtschaftliche Tätigkeit wäre ohne Banken so natürlich
nicht möglich .
({0})
Wir haben hier ein Einlagensicherungssystem geschaffen . Dieses schützt unsere Einleger - die Beträge
sind genannt worden -; das ist ein ganz wichtiger Punkt .
Im Bericht der fünf Präsidenten wird nun das Ansinnen
formuliert, dass wir ein europäisches System brauchen .
Dem Grunde nach dürfen sich die Präsidenten darüber
auslassen und sagen: Wir brauchen dies . - Die Vorschläge werden noch kommen, und wir werden sie uns natürlich genau ansehen .
Die Rückversicherungen sind genannt worden . Es
stellt sich die Frage: Ist das ein geeignetes System? Wir
haben allerdings auch die Situation - das wurde genannt -, dass die Abwicklungsrichtlinie in 12 Mitgliedstaaten und die Einlagensicherungsrichtlinie in 14 Staaten noch nicht umgesetzt ist . Da, Herr Radwan, gebe ich
Ihnen vollkommen recht: Natürlich müssen diese Staaten
die Richtlinien zunächst einmal umsetzen, damit in Europa insgesamt gesehen Vergleichbarkeit und Sicherheit
gewährleistet sind .
Dann - oder auch parallel dazu - müssen wir, denke ich, darüber diskutieren, wie wir die dritte Säule verwirklichen; denn das wollten wir ja . Wir wollen, dass
wir einen stabilen europäischen Finanzsektor haben, der
Sicherheit für die Einleger, die Sparer und alle Bürgerinnen und Bürger gewährleistet . Ich glaube, das wirklich
wichtige Signal am heutigen Abend ist, dass die Menschen Vertrauen in Europa haben . Wie wichtig Vertrauen
in Europa ist - auch auf ganz anderen Feldern, über die
wir tagtäglich in sehr dramatischer Weise diskutieren -,
brauche ich hier, glaube ich, nicht näher zu erläutern .
Im Finanzsektor ist dies möglich, indem wir sagen:
Im Moment ist noch nicht die Zeit dafür, ernsthaft und
mit Blick auf die Umsetzung darüber zu diskutieren . Wenn entsprechende Vorschläge kommen - wir erwarten
sie mit Spannung -, werden wir sie natürlich diskutieren . Und: Niemand wird uns daran hindern, auch eigene
Vorschläge zu machen, Alternativvorschläge, die unsere
Interessen, etwa die der Volksbanken und der Sparkassen, zum Ausdruck bringen . Wir sind aufgefordert, dies
auch zu tun .
({1})
Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal .
Die finale Säule der Bankenunion wird Gestalt annehmen . Zum jetzigen Zeitpunkt ist in Europa allerdings
noch einiges an Hausaufgaben zu machen . Danach werden wir gründlich diskutieren und eventuell Vorschläge
aufnehmen und eigene Vorschläge machen, die unseren
spezifischen Interessen Rechnung tragen.
Die Stärkung des Vertrauens in den Bankensektor ist
ein wichtiges Signal für die Bürger . Der Anleger und
nicht die Bank steht im Mittelpunkt . Das muss unser Ziel
sein .
In diesem Sinne: Glück auf!
({2})
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6548 mit dem Titel „Zu den Überlegungen der
Europäischen Kommission zur Schaffung einer Europäischen Einlagensicherung“ . Wer für diesen Antrag
stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Antrag ist damit
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Bevölkerungsstatistiken verbessern - Zivile
Registrierungssysteme stärken
Drucksache 18/6549
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Die Reden dazu sollen zu Protokoll gegeben werden .
Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der
Fall . Sie sind also damit einverstanden .1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6549 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch . Ich sehe Ihr Einverständnis,
und die Überweisung ist damit so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
29. Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank
Drucksachen 18/6163, 18/6448
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
Drucksache 18/6568
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/6577
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache ebenfalls 25 Minuten vorgesehen . - Da
sich kein Widerspruch erhebt, gehe ich davon aus, dass
Sie damit einverstanden sind und dass das so beschlossen
ist .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr . Philipp Murmann für die CDU/
CSU das Wort .
({3})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen heute
den Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen zur Grün-
dung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank -
kurz: AIIB - verabschieden . - Über den Namen werde
ich noch das eine oder andere Mal stolpern, wofür ich
schon jetzt um Entschuldigung bitte .
Meine Fraktion unterstützt jedenfalls ausdrücklich,
dass die Bundesregierung die Gespräche dazu schon
frühzeitig aufgenommen und am 29 . Juni dieses Jahres
das Übereinkommen unterschrieben hat, um als Grün-
1) Anlage 5
dungsmitglied von Anfang an bei dieser Bank dabei zu
sein .
({0})
Mit der Gründung der AIIB entsteht neben der traditionellen Weltbank und der Asian Development Bank nun
eine weitere multinationale Entwicklungsbank, bei der
Deutschland ein Mitglied ist . Es ist aber eine ganz besondere Bank; denn auch die Veränderungen in der Weltwirtschaft spiegeln sich in dieser Bank wider . China drängt
als besonders starke Wirtschaftsmacht in Asien natürlich
darauf, auch eine prägende Kraft im Bereich der Entwicklungsbanken zu sein . Nachdem es bei der Neuordnung der Weltbank nicht zu einer Einigung gekommen
ist, haben sich die Chinesen entschieden, diesen Weg der
Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank zu gehen, und
ich denke, es ist wichtig, dass wir mit dabei sind . Das ist
auch eine Chance, die Chinesen auf diese Weise in die
internationale Finanzarchitektur einzubinden . Ich denke,
die AIIB ist eine gute Chance . Deswegen unterstützen
wir die Gründung dieser Bank ausdrücklich .
({1})
Auch geostrategisch ist das für uns Deutsche sicherlich interessant; denn neben China sind auch Russland
und Indien prägende Mitglieder dieser Bank, die gemeinsam mit den regionalen Partnern, die ja immerhin 20 Prozent an dieser Bank halten, die Projekte abstimmen und
natürlich auch Standards erheben und durchsetzen, auf
die ich nachher noch kurz zu sprechen kommen möchte .
Auch diesen Ansatz unterstützen wir ausdrücklich .
Deutschland hat immerhin knapp 4,5 Prozent an dieser Bank . Wir müssen dafür 900 Millionen Dollar Eigenkapital einlegen . Wir danken dem Haushaltsausschuss
ganz besonders, dass er diese Mittel bereitstellt, davon
die ersten 360 Millionen schon im Haushaltsjahr 2016
und weitere je 180 Millionen 2017, 2018 und 2019 . Was
ich nicht ganz verstehe: Die Linke will sich enthalten,
wenn ich es richtig gelesen habe . Im Haushaltsausschuss
haben die Linken allerdings dagegengestimmt und wollten das Geld nicht bereitstellen . Das ist natürlich äußerst
enttäuschend, muss ich sagen .
({2})
Es wird auf Dauer spannend sein, ob sich in einer späteren Phase auch die Amerikaner an dieser Bank beteiligen
werden; denn ein Element dieser neuen Bank ist, dass zusätzlicher Wettbewerb entsteht . Wettbewerb, glaube ich,
belebt auch hier das Geschäft, und es ist für die internationale Finanzstruktur sicherlich gut, hier einen weiteren
Spieler zu haben .
Im Gouverneursrat der Bank, der auch das operative
Direktorium bestimmt, werden wir mit einem direkten
und einem stellvertretenden Sitz vertreten sein . Natürlich
wäre es erstrebenswert - und wir können die Bundesregierung nur dazu ermuntern -, auch einen Sitz im Direktorium selbst zu halten, das mit zwölf Plätzen sehr knapp
bemessen ist . Da wir nur zu den kleineren 20 Prozent gehören, ist natürlich noch nicht ausgemacht, wer am Ende
Vizepräsident Johannes Singhammer
diese Rolle spielt. Aber dort Einfluss zu nehmen, wäre
sicherlich auch für uns wichtig .
Ziel der AIIB ist es, die in Asien dringend benötigte
Finanzierung von Infrastruktur voranzutreiben und damit
auch eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in die
Region zu bringen . Die Art dieser Investitionstätigkeit
hat den großen Vorteil, dass dadurch auch zusätzliches
privates Kapital mobilisiert werden kann . Das wiederum
ist auch eine gute Chance für unsere KfW oder auch andere Banken, sich an diesen Projekten zu beteiligen und
dann auch deutsche Anbieter in diese Projekte einzubinden. Auch das finden wir gut und unterstützen es außerordentlich .
Die AIIB soll sich insbesondere auf große Infrastrukturprojekte konzentrieren . Das können Kraftwerke sein,
Flughäfen, Bildungsinfrastruktur, Krankenhäuser, und
ganz besonders - das ist in Asien wichtig - in ländlichen
Räumen, weil diese in Asien häufig unter einer besonderen Strukturschwäche leiden . Ich kann da aus eigener
Erfahrung berichten, da ich drei Jahre in Malaysia gelebt
habe .
Malaysia ist schon seit Mitte der 90er-Jahre ein sehr
aufstrebendes Land und hat auch davon profitiert, dass
frühzeitig in die Infrastruktur investiert wurde . Es war
nicht nur ein erfolgreicher Rohstofflieferant und ist es
noch heute, sondern ist inzwischen auch eine wichtige
Handelsnation geworden . Viele deutsche Unternehmen
haben Malaysia als Produktionsstandort entdeckt . Insofern haben sich diese Investitionen auch ausgezahlt .
Nun leidet Malaysia wie viele andere Länder in der
Region unter den niedrigen Rohstoffpreisen, auch unter
der Wachstumsschwäche Chinas . Insofern ist es jetzt besonders wichtig, die staatlichen Möglichkeiten zur Infrastrukturfinanzierung auch durch eine Asian Infrastructure
Investment Bank zu unterstützen . Auch das, glaube ich,
ist eine wichtige Rolle der AIIB .
Ich möchte ein weiteres Beispiel nennen: Indonesien,
das drittgrößte Land dieser Welt, wird in den kommenden fünf Jahren ungefähr 450 Milliarden Dollar Kapital
zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten benötigen .
Einen solchen Bedarf kann keine Entwicklungsbank alleine stemmen . Dafür brauchen wir eine Symbiose der
Banken . Die Asian Infrastructure Investment Bank, die
Weltbank und auch die Asian Development Bank müssen solche Projekte gemeinsam stemmen . Deswegen
finde ich es auch gut, dass der designierte Präsident der
AIIB, Herr Jin Liqun, gesagt hat, dass die ersten Projekte bereits zwischen der Asian Development Bank, der
Weltbank und der AIIB in der Diskussion sind, um sie
gemeinsam zu finanzieren.
Dieses Vorgehen ist doch eine gute Absicht. Ich finde,
das muss uns auch motivieren, dafür zu kämpfen, dass
die Standards nicht nur verbessert, sondern eben auch
eingehalten werden; denn wenn wir solche Projekte gemeinsam finanzieren, ist natürlich die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dabei gemeinsame Standards gesetzt und
die dann auch eingehalten werden .
Drei Punkte möchte ich noch kurz nennen .
Erstens. Die Statuten sind natürlich noch nicht final
beschlossen . Wir haben das auch im Finanzausschuss
diskutiert und uns deswegen entschieden, einen besonderen Passus aufzunehmen und der Regierung mit auf den
Weg zu geben . Darin fordern wir sie auf, möglichst hohe
Standards einzufordern, mindestens Weltbankniveau .
Das gilt für die Umwelt-, Sozial-, Arbeits-, Menschenrechts- und auch Governance-Standards . Das gilt aber
auch für die Etablierung eines effizienten Monitoringsystems . Das gilt für die Standards in Bezug auf die Rechenschaftspflicht und Transparenz der AIIB. Und das gilt
auch für einen unabhängigen Beschwerdemechanismus .
Natürlich erwarten wir auch, dass wir als Deutscher Bundestag nach Beitritt zur Asian Infrastructure Investment
Bank den jeweiligen Jahresbericht umgehend zur Kenntnis übermittelt bekommen, lieber Herr Staatssekretär .
Zweitens . Diese Bank - auch das ist mir wichtig - ist
natürlich für die deutsche Wirtschaft eine große Chance .
Ich möchte da ein kurzes Beispiel nennen . In Asien haben wir das überragende Phänomen der Landflucht. Viele
Menschen streben in die großen Städte . Dafür ist es eben
besonders wichtig, öffentliche Infrastruktur bereitzustellen, auch im ländlichen Raum . Für die deutschen Unternehmen sehe ich da großes Potenzial. Sie sind häufig
schon vor Ort präsent . Sie können Projekte planen . Sie
können Projekte auch umsetzen . Überhaupt haben unsere
Unternehmen den großen Vorteil, dass sie nicht nur in der
Lage sind, Produkte zu entwickeln, sondern dass sie diese Produkte auch weltweit vermarkten können . Insofern
bietet auch hier die AIIB ein großes Potenzial .
Drittens: die allgemeine Rolle von Entwicklungsbanken . Gerade wir in Deutschland wissen: Wir würden
ohne die Unterstützung der Weltbank und der Alliierten
damals nach dem Zweiten Weltkrieg heute nicht dastehen, wo wir stehen . Schon der Name der KfW spricht
eine deutliche Sprache: Kreditanstalt für Wiederaufbau .
Genau diese Rolle der Entwicklungsbanken ist eben auch
für Asien besonders wichtig .
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine etwas kühne
These wagen . Wir erleben im Moment eine Völkerbewegung, die vielleicht noch größer ist als die nach dem
Zweiten Weltkrieg . Viele Menschen verlassen ihre Länder, nachdem die demokratischen Bewegungen in vielen
Ländern Afrikas gescheitert sind . Sie machen sich nun
auf den Weg zu Frieden und Wohlstand und kommen
nicht nur nach Europa . Auch in Asien gibt es solche Bewegungen .
Deswegen die These: Die Finanzierung von Infrastruktur vor Ort kann auch in solchen Ländern helfen,
diese Völkerbewegungen einzudämmen und die Flucht
zu begrenzen . Deswegen hoffe ich - das vielleicht als
kleine Hypothese -, dass wir in einem Jahr oder zwei
Jahren über eine MEIIB sprechen, einer Middle East
Infrastructure Investment Bank, die dazu beiträgt, Infrastruktur in diesen Ländern wieder aufzubauen und den
Menschen dort eine Bleibeperspektive zu geben .
Jetzt komme ich aber wieder zu unserer Bank . Ich
möchte Sie herzlich bitten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, und danke Ihnen für die intensiven und guten
Beratungen der letzten Tage . Mein Dank geht auch an die
Bundesregierung . Wir wünschen ihr viel Erfolg bei den
weiteren Verhandlungen über diese Bank .
Herzlichen Dank .
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Axel Troost für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Beitritt zur Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank,
auf Deutsch ganz einfach AIIB, bedeutet weit mehr, als
künftig Projekte in Asien finanziell abzusichern. Es geht
auch um einen Paradigmenwechsel . Die AIIB ist eine
klare Konkurrenzeinrichtung zur Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Asiatischen Entwicklungsbank . Diese Organisationen haben sich in weiten
Teilen der Welt einen verheerenden Ruf verschafft . Vielfach kamen ihre Finanzhilfen nicht der lokalen Bevölkerung zugute, sondern Konzernen und Eliten .
Die Existenz der AIIB ist dem Versagen geschuldet,
dass diese Institutionen, insbesondere die Weltbank, nicht
reformierbar waren, nicht in Bezug auf die Stimmrechte von Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch
nicht wegen der leitenden wirtschaftlichen Prinzipien .
Anders als die westlich geprägten Institutionen wird
die AIIB nicht den freien Markt ins Zentrum von Kreditauflagen stellen. Sie wird nicht, wie bisher üblich,
vorschreiben, Märkte zu deregulieren, Schutzzölle abzubauen und öffentliche Unternehmen oder Infrastruktur zu
privatisieren . Damit verabschiedet sich die internationale
Finanzarchitektur ein weiteres Stück vom Neoliberalismus . Die Bundesregierung ist bereit, das notgedrungen
mitzumachen, und das ist eine gute Botschaft .
Dadurch wird aber die AIIB nicht automatisch rundum ein positives Projekt . Wir dürfen deswegen nicht zulassen, dass Projekte der AIIB zu Ausbeutung, Vertreibung oder Umweltzerstörung führen . Das muss in der
Kreditvergabepraxis festgehalten werden .
Wie wir aus leidvollen Erfahrungen mit der Weltbank
wissen, müssen die entsprechenden Standards dann natürlich auch laufend überwacht und durchgesetzt werden . Das lässt sich nicht durch Heraushalten erreichen,
sondern nur durch Einmischen . Nur durch eine eigene,
aktive Teilnahme können die Praktiken der neuen Bank
beeinflusst werden.
Wir wissen, dass es aus den Reihen der Zivilgesellschaft noch massive Vorbehalte gegen die im Augenblick
verhandelten Kreditvergabeprinzipien der AIIB gibt .
Vor diesem Hintergrund finden wir es ausgesprochen
positiv, dass der Finanzausschuss gestern mit einer von
allen Fraktionen getragenen Resolution bekräftigt hat,
dass die Kriterien der AIIB mindestens denen der Weltbank entsprechen müssen . Über diese Prinzipien hinaus
steht in der Resolution, dass die Finanzierung von fossilen Kraftwerken und auch von Atomkraftwerken nicht
durchgeführt werden soll .
Vor diesem Hintergrund stehen wir dem Beitritt
Deutschlands wesentlich positiver gegenüber, als dies
noch vorher der Fall war . Wir geben aber trotzdem keinen Freibrief; denn das ganze Verfahren - anders als in
anderen europäischen Ländern, wo ein solcher Beitritt
durch öffentliche Anhörungen und auch parlamentarische Zielvorgaben begleitet worden wäre - hat es hier
nicht gegeben .
Uns stimmt auch misstrauisch, dass nur auf Drängen
der Opposition überhaupt eine nennenswerte Befassung
mit diesem Gesetzentwurf stattgefunden hat .
Uns stimmt weiterhin misstrauisch, dass das Entwicklungsministerium mit seinen Expertisen zu sozial und
ökologisch nachhaltigen Projekten vom Finanzministerium in diesem Projekt weitestgehend marginalisiert wird .
Insofern: Es kann noch vieles besser werden . Wir
werden uns insgesamt enthalten, weil wir glauben, dass
nach wie vor nicht gesichert ist, dass das, was in der Resolution festgehalten ist, dann auch wirklich umgesetzt
wird . Aber zumindest ist die Bundesregierung jetzt aufgefordert, in den Verhandlungen vernünftige Prinzipien
durchzusetzen .
Danke schön .
({0})
Als Nächster spricht der Kollege Manfred Zöllmer für
die SPD .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum soll es eigentlich eine weitere multilaterale Finanzinstitution geben? Die Initiative zur Gründung dieser
Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank - Sie sehen,
Herr Kollege, es geht auf Deutsch relativ unfallfrei - geht
von China aus . Die Chinesen haben beim Internationalen
Währungsfonds, also beim IWF, und bei der Weltbank
keine angemessene Vertretung in den Gremien dieser
Institutionen, jedenfalls keine angemessene Vertretung
bezogen auf ihre Wirtschaftskraft . Der Westen dominiert
diese Institutionen . Den IWF leitet stets ein Europäer, die
Weltbank ein US-Amerikaner .
Es hat nun viele Vorschläge gegeben, diese Institutionen zu verändern und auf die Kritik der aufstrebenden
Schwellenländer einzugehen, die mehr Vertretung haben
wollen .
Eine Stimmrechtsreform der Institutionen ist bereits
vor einiger Zeit beschlossen worden . Sie wird aber nach
wie vor vom US-Kongress blockiert . Dann gab es die Reaktion der Chinesen, die im Aufbau alternativer Systeme
besteht . Der wichtigste Teil dieses alternativen Systems
ist der Aufbau der AIIB mit einem Kapital von 100 Milliarden Dollar . Damit - und das begrüßen wir - wird China
ein wichtiger Partner in der globalen Finanzarchitektur .
Nächste Frage: Warum sollte sich Deutschland an der
Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank beteiligen? Es
steht außer Zweifel, dass es in Asien den Bedarf an Investitionen in die Infrastruktur gibt . Der Kollege Murmann
hat eben ein paar gute Beispiele genannt . Dieser wird
durch die vorhandenen internationalen Organisationen
wie die Weltbank aber nur teilweise gedeckt .
Der Förderschwerpunkt der neuen Bank liegt auf öffentlichen und privaten Investitionen in den Bereichen
Energie, Verkehr, Telekommunikation, ländliche Infrastruktur, Stadtentwicklung und Logistik . Der asiatische
Raum ist der am schnellsten wachsende Wirtschaftsraum
der Welt . Für die deutsche Wirtschaft ergeben sich daraus interessante und lukrative Beteiligungsmöglichkeiten . Wir unterstützen deshalb den Vorschlag der Bundesregierung einer deutschen Beteiligung an der AIIB von
4,5 Prozent .
Neben Deutschland wollen sich vier weitere europäische Länder beteiligen . Größter Anteilseigner wird China mit knapp 30 Prozent . Insgesamt haben bisher über
30 Staaten ihre Bereitschaft signalisiert, sich an dieser
multinationalen Finanzinstitution zu beteiligen . Sie soll
ihre Arbeit mit Beginn des neuen Jahres aufnehmen . Die
Verhandlungen über ein entsprechendes Statut sollen bis
dahin abgeschlossen sein .
Derzeit verhandeln die Beitrittskandidaten in mehreren Verhandlungsrunden unter anderem über Umwelt-,
Sozial-, Menschenrechts- und Governance-Standards .
Wir fordern deshalb, dass sich Deutschland in den Verhandlungen für höchstmögliche Standards einsetzt .
Bei den Beratungen im Finanzausschuss haben sich
die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/
Die Grünen - und die Linken haben sich dem angeschlossen - auf eine gemeinsame Protokollerklärung
verständigt . Darin fordern wir die Bundesregierung unter
anderem auf, bei den weiteren Verhandlungen über die
Standards hohe Umwelt-, Sozial-, Menschenrechts- und
Governance-Standards wie mindestens die der Weltbank
einzufordern . Dazu zählt auch der Ausschluss von Investitionen in Atom- und Kohlekraftwerke . Wir fordern auch
entsprechende Rechenschafts- und Transparenzpflichten.
Der Kampf gegen Korruption ist dabei besonders
wichtig . Wir werden allerdings nur dann eine Chance
haben, diese Forderungen in den Verhandlungen durchzusetzen, wenn Deutschland vollumfängliches Mitglied
wird . Nur dann können wir in den Verhandlungen entsprechend auftreten .
Wir lehnen deshalb die Forderungen einzelner NGOs
ab, den Gesetzgebungsprozess aufzuschieben, bis die
Verhandlungen abgeschlossen sind . Die Realisierung einer solchen Forderung würde den Einfluss Deutschlands
auf den Verhandlungsprozess minimieren . Das wäre insgesamt kontraproduktiv .
Sehr schön, dass auch die Fraktion Die Linke im Finanzausschuss dem Gesetzentwurf zugestimmt hat . Im
Haushaltsausschuss habt ihr euch enthalten .
({0})
Hier wollt ihr euch auch enthalten . Wie nennt man das,
wenn man gleichzeitig nach links und nach rechts abbiegen und dabei auf der mittleren Spur bleiben will? Das ist
ein bisschen chaotisch . Der Eindruck, den die Opposition
hinterlässt, ist im Moment etwas schwierig .
({1})
Das gilt für die Opposition insgesamt, also auch für das
Verhalten der Bündnisgrünen . Denn schließlich ist die
Erklärung mit den Bündnisgrünen abgestimmt worden .
Wenn man zuerst eine solche Erklärung mitträgt, ist es
ein bisschen schwierig, wenn man sich dann enthält . Ich
denke, auch als Opposition muss man in der Lage sein,
Verantwortung zu übernehmen . Wer sich erst beteiligt
und dann doch dagegenstimmt, macht sich letztendlich
politisch überflüssig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erwarten nun,
dass die Verhandlungen zeitgemäße Umwelt- und Sozialstandards sowie Transparenz und Rechenschaftslegung sicherstellen . Diese Bank soll letztendlich Projekte
durchführen, die Armut bekämpfen, und damit besonders
den Ländern dienen, die weniger entwickelt sind . Herr
Kollege Murmann, dann halte ich Ihre Hypothese, dass
wir die Menschen vor Ort halten können, für gar nicht
so falsch . Deswegen bitten wir, dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zuzustimmen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Zum Ende dieser Debatte spricht der Kollege
Dr . Thomas Gambke für Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ohne große Medienöffentlichkeit hat die Bundesregierung im Sommer entschieden, der AIIB beizutreten . Es
ist eines der wichtigsten Projekte in dieser Region . Immerhin bis zu 8 Billion Dollars sollen in die Infrastruktur
fließen. Im Interesse der Bekämpfung der Armut, im Interesse einer guten Entwicklung dieser Region und im Interesse der Entschärfung regionaler Konflikte - Stichwort
„Südchinesisches Meer“ - ist ein stärkeres Engagement
Deutschlands in dieser Region unbedingt notwendig .
({0})
Ich füge hinzu: Das liegt auch im Interesse von uns Bürgern . Denn unser Wohlstand beruht eben auf einer starken Exportindustrie . Diese wird gerade im Bereich der
umwelt- und ressourcenschonenden Produktionen und
insbesondere auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien
eine wichtige Rolle übernehmen .
Bei jedem Gespräch, das ich als Vorsitzender der
ASEAN-Parlamentariergruppe führe, treffe ich auf Vertreter nicht nur der Regierungen, sondern auch gesellschaftlicher Gruppen, der Opposition und der Zivilgesellschaft vor Ort . In jedem dieser Gespräche werde ich zu
einem stärkeren Engagement Deutschlands in dieser Region aufgefordert . Ich nenne nur ein paar Stichworte: Die
ASEAN-Staaten umfassen 600 Millionen Menschen und
ein Bruttosozialprodukt von 2,1 Billionen Dollar . Das ist
deutlich größer als das von Indien, das bei 1,8 Billionen
Dollar liegt und wo 1,2 Milliarden Menschen leben .
Nachdem China die AIIB-Gründung vorangetrieben
hat, sind gerade auf Betreiben der ASEAN-Länder, also
der Länder von Myanmar bis Indonesien, nichtasiatische
Länder aufgefordert worden, sich zu beteiligen . Die Rolle, die uns zukommt, ist relativ einfach . Man will erstens,
dass China nicht eine zu dominierende Rolle bekommt,
und man will zweitens die Standards berücksichtigen,
die wir unter anderem in der Weltbank haben . In den erwähnten Gesprächen, die ich mit Vertretern nicht nur der
Regierung, sondern auch der Opposition und der Zivilgesellschaft vor Ort geführt habe, wird eine stärkere Rolle
Deutschlands eingefordert . Dabei wird leider - das muss
ich feststellen - die Rolle Europas als weniger bedeutend
bewertet . Ich persönlich sehe das anders . Aus meiner
Sicht sollte Europa gerade bei den Governance-Strukturen - das bedeutet schlicht Korruptionsbekämpfung, eine
wichtige Aufgabe - mit einer Stimme sprechen . Ich bedauere sehr, dass es keine abgestimmte Vorgehensweise
Europas gibt . Einzelne Länder, insbesondere England,
aber auch die schwache europäische Präsenz vor Ort lassen uns Europäer nicht als starke Verhandlungspartner
erscheinen . Umso wichtiger ist es, dass Deutschland Verantwortung übernimmt und sich viel stärker einbringt, als
das bisher geschehen ist .
({1})
Gemessen an der Geschwindigkeit, mit der die Gründung der AIIB vorangetrieben wurde, ist die Setzung
ökologischer, sozialer und menschenrechtlicher Standards bisher nur unzureichend erfolgt . Umso erfreulicher
ist - mein ausdrücklicher Dank geht an alle Fraktionen,
die sich der Resolution im Finanzausschuss angeschlossen haben -, dass wir einstimmig den Beschluss gefasst
haben, darauf zu achten, dass die Weltbankstandards
nicht unterlaufen, sondern zumindest erreicht und bei der
Kreditvergabe zugrunde gelegt werden .
Und ich darf als Grüner sagen: Ganz besonders hat
mich gefreut, dass wir einstimmig gesagt haben, dass
keine Finanzierung von Atomkraftwerken und Kohlekraftwerken stattfinden soll. Es darf kein Race to the
Bottom, kein Unterbieten der Standards, geben .
({2})
Meine Fraktion und ich wollen ausdrücklich die Beteiligung Deutschlands; die ist richtig . Wenn wir uns der
Stimme enthalten, dann wollen wir ein Zeichen setzen,
dass Deutschland zu wenig präsent ist, dass man sich zu
wenig einsetzt . Nur dann, wenn wir unser Engagement
verstärken, wird das gelingen, was wir wollen und was
wir gestern im Finanzausschuss entschieden haben, nämlich dass ökologische, soziale und menschenrechtliche
Standards eingehalten werden . Nur wer sich mit der Kapazität und Kompetenz, die er hat, einbringt, kann das
tun . Präsident Obama war zweimal in Myanmar, die
Kanzlerin noch kein einziges Mal .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein wichtiger
und entscheidender Schritt . Ich glaube, er wird viel zu
wenig beachtet, auch in unserem Parlament .
({3})
Ich hoffe, dass sich das ändert . In diesem Sinne hoffe ich,
dass wir eine positive Entwicklung dieser Bank feststellen können .
Vielen Dank .
({4})
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
dem Übereinkommen vom 29 . Juni 2015 zur Gründung
der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank . Dazu
liegt mir eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung vor .1)
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6568, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6163 und
18/6448 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD bei Enthaltungen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen der
CDU/CSU und der SPD bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit einer
Ausnahme, weil der Kollege Nouripour zugestimmt hat .
Wir kommen nun zu einer Reihe von Abstimmungen
über Gesetzentwürfe . Ich darf deshalb um entsprechende
Aufmerksamkeit bitten .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans
des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016
({0})
1) Anlage 4
Drucksache 18/6159
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({1})
Drucksache 18/6574
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Da
ich keinen Widerspruch sehe, gehe ich davon aus, dass
Sie alle einverstanden sind .1)
Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung . Der
Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6574,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6159 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall . Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Gibt es jemanden, der dagegenstimmen will? - Enthält
sich jemand? - Das ist nicht der Fall . Der Gesetzentwurf
ist damit einstimmig angenommen .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 21:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten
Drucksache 18/6280
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({2})
Drucksache 18/6575
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . - Widerspruch sehe ich keinen . Dann gehe ich
davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind .2)
Deshalb kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/6575, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 18/6280 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ein Handzeichen . - Wer ist dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen .
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer
stimmt dagegen? - Gibt es jemanden, der sich enthalten
möchte? - Das ist nicht der Fall . Der Gesetzentwurf ist
damit einstimmig angenommen .
1) Anlage 6
2) Anlage 7
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen
den unlauteren Wettbewerb
Drucksache 18/4535
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({3})
Drucksache 18/6571
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch . Dann
ist das so beschlossen .3)
Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung . Der
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6571,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4535 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein Handzeichen . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .
Damit kommen wir zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung
Drucksachen 18/5294, 18/5770
Beschlussempfehlung und Bericht des Fi nanzausschusses ({4})
Drucksache 18/6569
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/6578
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so
beschlossen .4)
Wir kommen unmittelbar zur Abstimmung . Der Fi-
nanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6569, den Gesetzentwurf der Bundes-
3) Anlage 8
4) Anlage 9
Vizepräsident Johannes Singhammer
regierung auf den Drucksachen 18/5294 und 18/5770 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 24 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Siebten Besoldungsänderungsgesetzes
({6})
Drucksache 18/6156
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({7})
Drucksache 18/6583
- Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/6584
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe nur Einverständnis . Dann verfahren
wir so .1)
Wir kommen unmittelbar zur Abstimmung . Der In-
nenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6583, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/6156 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .
1) Anlage 10
Damit kommen wir zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? -
Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und
von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b
auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes
Drucksache 18/6487
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({9})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Tourismus
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Planungen für die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen
Drucksache 18/6547
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({10})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch . Dann
verfahren wir so .2)
Interfraktionell wird, weil es eine erste Lesung ist, die
Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6487
und 18/6547 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so
beschlossen .
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6 . November 2015, 9 Uhr,
ein .
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend . Kommen Sie morgen gesund und ausgeruht wieder! Die Sitzung ist geschlossen .