Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet .
Ich rufe die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung
einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten
Drucksache 18/5088
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten
Drucksache 18/5171
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({0})
Drucksache 18/6391
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Jan Korte, Dr . André Hahn, Ulla
Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten
Drucksachen 18/4971, 18/6391
Über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner erteile
ich das Wort dem Abgeordneten Dr . Johannes Fechner,
SPD-Fraktion .
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Über wohl kaum ein
anderes Thema ist in den letzten Jahren in der Rechtspolitik so intensiv diskutiert worden wie über das Thema
Vorratsdatenspeicherung, zu Recht, wie ich finde. Denn
wenn die Daten von Bürgern gespeichert werden, ist dies
unbestritten ein Grundrechtseingriff, der gerechtfertigt
werden muss; darüber müssen wir intensiv diskutieren .
Wir meinen, dass die Vorratsdatenspeicherung ein
wichtiges Mittel sein kann, um Beweismittel zu erlangen, die Täter überführen . Es gibt genügend Beispiele
aus der kriminalpolizeilichen Praxis, die dies belegen . Es
kann durch die Erhebung der Telekommunikationsdaten
nachgewiesen werden, dass ein Täter entgegen seinen
Beteuerungen doch am Tatort war, weil sein Handy von
der den Tatort abdeckenden Funkzelle erfasst wurde . Es
gab beispielsweise den als Flensburger Bahnhofsfall bekanntgewordenen Mordfall, bei dem der Täter vor allem
deshalb über die Telefonverbindungsdaten überführt werden konnte, weil die Telefongesellschaft die Daten noch
gespeichert hatte, was sie nach der geltenden Rechtslage
nicht hätte tun müssen . Aber es gab auch Fälle, in denen
es zu Freisprüchen kam, etwa den Fall eines Angeklagten vor dem Landgericht Hamburg, der freigesprochen
wurde, weil die Telefonverbindungsdaten, die noch da
waren, nachwiesen, dass er an einem anderen Ort und
nicht am Tatort war .
Es geht uns also um genau die Fälle, in denen für oder
gegen einen Angeklagten ein Beweismittel da sein kann,
wenn die Verbindungsdaten noch gespeichert sind, was
nach heutigem Recht nicht verpflichtend geregelt ist. Wir
wollen es nicht dem Zufall überlassen, ob Daten noch
vorhanden sind, sondern wir wollen mit einer klaren Regelung sicherstellen, dass Anbieter von Telefondiensten
die Verbindungsdaten, also Rufnummer, Datum und Uhrzeit eines Telefonats, für zehn Wochen speichern müssen
und die Standortdaten für vier Wochen . Wohlgemerkt:
Es geht uns nicht um die Inhalte der Kommunikation . Es
wird nicht gespeichert, was per E-Mail verschickt wurde
oder worüber telefoniert wurde, sondern es geht nur um
die Verbindungsdaten .
Wir sind im internationalen Vergleich äußerst restriktiv . In der Sachverständigenanhörung war der zentrale
Kritikpunkt der Mehrheit der Sachverständigen, dass
dieser Gesetzentwurf nicht weit genug geht . Es wurde
vorgeschlagen, sechs Monate oder noch länger zu speichern . Aber wir meinen, dass wir hier in ein Grundrecht
eingreifen und dass dieser Eingriff daher auf das Nötigste beschränkt werden muss . Die Beschränkung auf zehn
bzw . vier Wochen ist also ausreichend .
Wir regeln zudem die Verpflichtung, dass Betroffene,
deren Daten abgefragt werden, informiert werden müssen. Es gibt die klare Verpflichtung, dass die nach diesem
Gesetz gespeicherten Daten nach Ablauf der Speicherfristen zu löschen sind . Wenn ein Unternehmen dies nicht
tut, dann erhält es ein hohes Bußgeld .
Zu erwähnen ist auch, dass wir mit diesem Gesetz
den Straftatbestand der Datenhehlerei schaffen . Wer zum
Beispiel illegal erlangte Daten weiterverkauft, riskiert
eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren . Ich halte dies für
angemessen, weil der Schutz von Daten gerade heute
noch viel mehr gewährleistet werden muss und Verstöße
gegen den Datenschutz hart bestraft werden sollten .
Zu diesem neuen Straftatbestand gab es in den vergangenen Wochen Kritik, etwa von Journalisten, die befürchteten, dass dadurch journalistische Datenrecherche
strafbar werden könnte . Dazu ist klarstellend festzuhalten, dass wir auf diese Kritik reagiert haben; denn der
Tatbestandsausschluss in dem neuen § 202 d Absatz 3
StGB ist so gefasst, dass er journalistische Tätigkeiten
ausnimmt .
({0})
Eine Erfüllung konkreter beruflicher Pflichten - das
ist das entscheidende Tatbestandsmerkmal - liegt bei
journalistischer Tätigkeit bereits dann vor, wenn die
Handlungen nur der Recherche dienen und in eine Veröffentlichung münden können .
Wie gesagt, wir haben gerade im europäischen Vergleich äußerst restriktive Regelungen: kurze Speicherfristen, Zugriff nur bei abschließend genannten schweren
Straftaten, keine Speicherung von Inhalten, keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft, und die Daten sind im
Inland gespeichert, also in Deutschland . Ganz besonders
wichtig ist der Richtervorbehalt . Es gibt keinen staatlichen Datenabruf ohne richterlichen Beschluss . Das zeigt,
dass wir eine äußerst restriktive Speicherpflicht in diesem Gesetzentwurf geregelt haben .
({1})
Ein paar Sätze noch zu den Einwänden der EU-Kommission . Die Europäische Kommission hat am vorliegenden Entwurf zu bemängeln, dass die Dienstleistungsfreiheit dadurch beeinträchtigt wäre, dass die Daten zwingend
in Deutschland gespeichert werden müssen . Diesen Einwand kann ich nicht nachvollziehen. Ich finde, es ist ein
wichtiges Element des Datenschutzes und vor allem auch
der Rechtsdurchsetzung, dass die Daten in Deutschland
gespeichert sind . Die Rechtsdurchsetzung im Ausland,
etwa die Vollstreckung des Löschungsanspruchs, den
wir normieren, wäre erschwert, wenn nicht gar unmöglich, wenn die Daten im Ausland gespeichert wären . Hier
muss die Dienstleistungsfreiheit hinter einem effektiven
Datenschutz zurücktreten . Deswegen können wir, glaube
ich, einem Vertragsverletzungsverfahren, wenn es denn
eingeleitet würde, gelassen entgegensehen . Der effektive
Datenschutz ist wichtiger als die Dienstleistungsfreiheit .
({2})
Der letzte Konvent meiner Partei, der SPD, hat sich
intensiv mit dem Pro und Kontra dieser Regelung beschäftigt . Gerade weil wir hier einen Grundrechtseingriff
sehen - gerechtfertigt, aber es gibt ihn -, wollen wir eine
Evaluierung . Deswegen haben wir im Gesetzgebungsverfahren noch eine Evaluierungsklausel eingeführt, die
die Bundesregierung verpflichtet, das Gesetz über einen
Zeitraum von drei Jahren zu überprüfen . Dann wird ein
mit dem Bundestag im Einvernehmen zu bestimmender
unabhängiger Sachverständiger ein Urteil abgeben, und
wir können mögliche Konsequenzen ziehen .
Abschließend möchte ich sagen, dass wir hier einen
vernünftigen Kompromiss zwischen den Grundrechten
und den Freiheitsrechten einerseits, aber auch den Erfordernissen einer effektiven Strafverfolgung andererseits
gefunden haben . Es gibt genügend Beispiele, dass die
Vorratsdatenspeicherung für den Angeklagten sowohl
zu einem Freispruch führen kann als auch im Sinne der
Strafverfolgung zu einer Verurteilung. Ich finde, Herr
Maas hat hier einen äußerst ausgewogenen Kompromissvorschlag vorgelegt . Dem können wir nur zustimmen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Vorratsdatenspeicherung heißt jetzt Höchstspeicherfrist . Was heißt das konkret? Bisher dürfen Telekommunikationsanbieter zu Abrechnungszwecken Daten
speichern .
({0})
Dürfen heißt aber nicht müssen, und so können die
Telekommunikationsanbieter auch darauf verzichten,
wenn sie wollen, zum Beispiel wenn sie ein datenschutzfreundliches Geschäftsmodell anbieten wollen . Wenn
die Vorratsdatenspeicherung durchkommt, dann müsDr. Johannes Fechner
sen sie aber Daten speichern . Sie dürfen gerade nicht
darauf verzichten . Was wird nun wie lange gespeichert?
Verkehrsdaten für zehn Wochen, Standortdaten für vier
Wochen . Das Telekommunikationsgesetz regelt klar, was
Standortdaten und was Verkehrsdaten zu Abrechnungszwecken sind .
Die Neuregelung verpflichtet die Telekommunikationsanbieter nun zur Speicherung unter anderem folgender Daten: Rufnummer und Kennung des angerufenen
und anrufenden Anschlusses; Datum und Uhrzeit von
Beginn und Ende der Verbindung; Angaben zum genutzten Dienst, wenn unterschiedliche Dienste genutzt werden; die internationale Kennung des anrufenden und des
angerufenen Endgerätes - das ist neu -; bei Internettelefondiensten die Internetprotokolladressen des anrufenden
und des angerufenen Anschlusses sowie die zugewiesene
Benutzererkennung - das ist neu ; die Übermittlung einer Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachricht - das
ist neu ; unbeantwortete oder wegen eines Eingriffs des
Netzwerksmanagements erfolglose Anrufe - das ist neu ;
für die Internetnutzung die zugewiesene Internetprotokolladresse - das ist neu ; die eindeutige Kennung des
Anschlusses über den Internetzugang - das ist neu ; Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung und der zugewiesenen Protokolladresse - das ist
neu . Mit anderen Worten: Die Telekommunikationsanbieter werden nicht nur gezwungen, Daten zu speichern,
sondern sie werden auch noch gezwungen, mehr Daten
als vorher zu speichern .
Wenn Sie jetzt richtig zugehört haben, dann haben
Sie gemerkt: Jegliche Kommunikation mit ihren technischen Geräten mit Ausnahme der E-Mail wird erfasst .
Jetzt kommt noch hinzu, dass im Falle der Nutzung mobiler Telefondienste die Funkzellen gespeichert werden,
die vom anrufenden und angerufenen Anschluss genutzt
werden . Ihnen ist jetzt schon klar, dass damit nachvollziehbar ist, wann Sie sich wo aufgehalten haben . Wenn
Ihnen das gefällt, dann müssen Sie der Vorratsdatenspeicherung zustimmen . Wenn Ihnen das nicht gefällt, dann
stimmen Sie dagegen .
({1})
Dem Gesetzentwurf fehlt eine Überwachungsgesamtrechnung . Gerade die hat das Bundesverfassungsgericht
aber eingefordert . Schauen wir uns an, was wir da schon
haben: Ich nenne beispielsweise die Rasterfahndung,
die akustische Wohnraumüberwachung, die anlassunabhängige Funkzellenabfrage, die Videoüberwachung
im öffentlichen Raum und, nicht zu vergessen, die Möglichkeiten der Geheimdienste, in die Telekommunikationsfreiheit einzugreifen .
({2})
Ich habe einen Tipp für Sie: Lesen Sie in den nächsten
beiden sitzungsfreien Wochen einfach einmal Was macht
ihr mit meinen Daten? von Malte Spitz . Er hat ein ganzes
Buch darüber geschrieben, was mit Daten passiert .
({3})
Sie von der Großen Koalition haben bislang nicht
die Frage beantwortet - Sie können sie auch nicht beantworten -, warum Sie Telekommunikationsanbieter
verpflichten wollen, die Verkehrs- und Standortdaten zu
speichern - wohlgemerkt: verpflichten. Das Standardargument ist: weil Straftaten begangen werden und die
gespeicherten Daten möglicherweise, unter Umständen,
vielleicht zur Aufklärung benötigt werden können . Das
ist aber ein Generalverdacht . In einer Demokratie gehört
sich das nicht .
({4})
Ich habe mir unter freiheitlich-demokratischer Grundordnung etwas anderes vorgestellt .
({5})
Sie haben immer wieder behauptet, die Vorratsdatenspeicherung sei notwendig für die Strafverfolgung und
die Gefahrenabwehr; ohne Vorratsdatenspeicherung entstünden Schutzlücken .
({6})
Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wer diese These in den
öffentlichen Raum geblasen hat .
({7})
Sie wabert da herum, wird ständig wiederholt, und, ich
bin geneigt, zu sagen: Sie ist zur Ideologie geworden .
({8})
Wie es sich für ordentliche Ideologen gehört, sind Sie
blind für alles, was diese Ideologie erschüttern könnte .
({9})
Es interessiert Sie nicht, dass es keinerlei Nachweis dafür
gibt, dass für die Strafverfolgung und für die Gefahrenabwehr die Vorratsdatenspeicherung erforderlich ist . Sie
verfahren einfach nach der Devise: Irritieren Sie mich
bitte nicht mit Fakten . Ich habe schon eine Ideologie
({10})
- Ich weiß, dass Sie das aufregt; aber ich kann nichts
dafür, dass Sie an dieses Thema ideologisch herangehen .
Herr Minister Maas hat bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs gesagt, er habe in der Vergangenheit Gespräche geführt und es habe viele Fälle gegeben, in denen
Straftaten nicht hätten aufgeklärt werden können, weil
Daten nicht gespeichert worden seien .
({11})
Als ich nachfragte, welche Fälle das konkret gewesen
seien und welche Fakten zu dieser Erkenntnis geführt
hätten, lautete die Antwort wie folgt: Es handelt sich
um allgemeine Erkenntnisse, die in Gesprächen gewonnen wurden . - Aha . - Die Aussage beziehe sich nicht
auf konkrete Einzelfälle . - Interessant . Ich kann mich
da nur wiederholen: Es gibt offensichtlich weder viele
Fälle noch konkrete Fälle . Es gibt, mit anderen Worten,
keinerlei Beleg für die Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung . In einem demokratischen Rechtsstaat bedeutet das dann: Finger weg von der Einschränkung von
Grundrechten .
({12})
Herr Maas, Sie sind in einer misslichen Situation:
Sie haben einen Koalitionspartner, der gar nicht genug
Überwachungsinstrumente bekommen kann und jeden
Tag nach einem neuen schreit, und dann erklärt Ihr Parteivorsitzender in bester Schröder’scher Art und Weise auch noch: Basta, die Vorratsdatenspeicherung wird
gemacht . - Wofür braucht man einen Koalitionspartner,
wenn man so einen Parteivorsitzenden hat!
({13})
Zurück zur Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung . In der Anhörung wurde versucht, die Erforderlichkeit zu belegen . Das misslang deutlich . Es wurde davon
geredet, sie sei ermittlungstechnisch nicht ausreichend .
Es gebe unzählige Tatsachen, die belegten, eine sechsmonatige Speicherung sei erforderlich . Es konnte nicht
gesagt werden, warum die Regelung nicht ausreicht . Es
konnte auch nicht gesagt werden, welche unzähligen
Rechtstatsachen es denn konkret sind . Im Gegenteil:
Herr Frank vom Richterbund hat uns noch aufgeklärt: Es
gibt keine Statistiken über Fälle, die ohne Vorratsdatenspeicherung nicht gelöst werden konnten .
Der Versuch des Sachverständigen Berger, doch noch
etwas zur Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung
beizutragen, indem er auf 25 Seiten 20 Einzelfälle auflistete, scheiterte . Das Problem ist nämlich: Wenn es
in 17 von 20 Fällen einen Angeklagten gab, obwohl es
keine Vorratsdatenspeicherung gegeben hat, dann ist die
Vorratsdatenspeicherung nicht erforderlich . Wenn es in
den drei anderen Fällen, bei denen es die frühere Vorratsdatenspeicherung gab, eine Anklage wegen freiwilliger
Datenweitergabe und in einem Fall geständige Angaben
gab, dann ist auch das ein Beleg dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht erforderlich ist .
({14})
Ich fasse zusammen: Eine Schutzlücke durch eine
fehlende Vorratsdatenspeicherung gibt es nicht . Sie können es nicht schaffen, die Erforderlichkeit nachzuweisen .
In einem demokratischen Rechtsstaat muss für einen
Grundrechtseingriff die Erforderlichkeit aber begründet
werden . Bei der Vorratsdatenspeicherung geht das nicht .
Wenn das so ist, dann ist es in einem demokratischen
Rechtsstaat ganz einfach: Finger weg von der Einschränkung von Grundrechten! Finger weg von der Vorratsdatenspeicherung!
({15})
Ich sage Ihnen sehr deutlich: Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung verteidigen den Rechtsstaat, die Befürworter gefährden ihn .
({16})
Nun klopfen Sie von der Sozialdemokratie sich auf die
Schulter, weil Sie in den Gesetzentwurf eine Evaluierung
hineinverhandelt haben . Ich verstehe das sogar ein wenig; denn die Union ist bei dem Thema so vernagelt, dass
das aus Ihrer Sicht vermutlich tatsächlich ein Erfolg ist .
Aber wenn Sie der Vorratsdatenspeicherung nun mehrheitlich zustimmen, liebe Genossinnen und Genossen
von der SPD: Richtig sozialdemokratische Politik wäre
eine Befristung des Gesetzes gewesen .
({17})
Lassen Sie mich noch auf einen Punkt eingehen, der
Gefahr läuft, in der Debatte unterzugehen . Ich rede vom
Straftatbestand der Datenhehlerei . Sie wollen unter Strafe stellen, wenn jemand Daten, die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft,
einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich
macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen. Ich finde das angesichts der
Vorfälle um netzpolitik .org ein ziemlich starkes Stück .
Da hilft auch der Absatz 3 nicht weiter, der die Strafbarkeit unter bestimmten Umständen ausschließt .
Natürlich fallen Journalistinnen und Journalisten wegen ihres Zeugnisverweigerungsrechts in der Strafprozessordnung grundsätzlich unter diesen Absatz . Aber Sie
schreiben, dass die Daten entgegengenommen, ausgewertet oder veröffentlicht werden müssen . In der Begründung schreiben Sie, dass unter die beruflichen Pflichten,
die zum Strafausschluss führen können, journalistische
Tätigkeiten in Vorbereitung einer konkreten Veröffentlichung fallen . Ja, da steht tatsächlich „Tätigkeiten in Vorbereitung einer konkreten Veröffentlichung“ . Sie können
ja etwas anderes gemeint haben . Aber dann gilt: Augen
auf bei der Gesetzesformulierung! Wenn der Journalist
oder die Journalistin noch gar nicht weiß, ob er oder sie
überhaupt etwas veröffentlichen will, dann gilt nach Ihrer Gesetzesbegründung der Ausschluss der Strafbarkeit
nicht . Ich habe jetzt noch nicht einmal über WhistlebloHalina Wawzyniak
wer geredet . Sie machen ein Whistleblower-Bestrafungsgesetz . Nötig wäre aber ein Whistleblower-Schutzgesetz .
({18})
Ich komme zum Schluss . Die Erforderlichkeit der
Vorratsdatenspeicherung ist nicht erwiesen . Der Straftatbestand der Datenhehlerei führt zu einem Whistleblower-Bestrafungsgesetz . Die Linke lehnt den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung ab . Ich kann Sie alle
nur auffordern, das ebenso zu tun .
({19})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Selbst bei der EU-Kommission ist
angekommen, dass die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung oder über die Anordnung von Höchstspeicherfristen sehr emotional und ideologisiert geführt wird .
({0})
Ich glaube, das war jetzt gerade ein besonderer Beweis
dafür, dass das richtig ist und dass es gut ist, dass wir
diese Diskussion heute hier zu einem sehr guten Ende
führen . Wir bringen eine gute Regelung ins Gesetzblatt .
({1})
Ich bin froh, dass wir den Koalitionspartner überzeugen konnten, dass wir damit ein sehr wichtiges Ermittlungsinstrument haben, auch wenn die Regelung - das
sage ich auch ganz klar - einen Kompromiss darstellt .
({2})
Gerade nach der Anhörung der Sachverständigen am
21 . September ist klar geworden, dass es sinnvoll gewesen wäre, in einigen Punkten auch über die jetzt vorgesehenen Regelungen hinauszugehen . Aber das, was wir
jetzt als Kompromiss erarbeitet haben, stellt auf jeden
Fall einen wichtigen Fortschritt dar .
Wir haben uns bei der Sachverständigenanhörung genau erklären lassen, worum es geht .
({3})
Es geht um schwere Kriminalität, bei der der Zugriff auf
Verbindungsdaten erforderlich ist, um diese aufzuklären
und um zu Verurteilungen kommen zu können . Aus der
einjährigen Praxis eines Strafsenats beim BGH wurden
uns viele Fälle geschildert, in denen Verkehrsdaten genau
der entscheidende Ansatz waren, um Ermittlungen aufzunehmen und zu Beweisen zu kommen . Es ging in 20 Beispielsfällen aus einem Jahr um sieben Tötungsdelikte,
({4})
vier Raubdelikte, vier Bandendiebstähle, zwei Erpressungen, dazu um Betrug in Form des Enkeltricks, Brandstiftung und Betäubungsmittelkriminalität . In all diesen
Fällen waren die Verbindungsdaten ein erster Ermittlungsansatz, der als Hebel gedient hat, um zu weiteren
Beweisen zu kommen . In der Regel sind die Verbindungsdaten selber nicht aussagekräftig genug, um jemanden zu überführen . Sie sind aber ein ganz wichtiges
Element, um weitere Aufklärung vornehmen zu können
und dafür zu sorgen, dass Täter überführt werden .
Die genannten Beispiele fallen in der Tat in eine Zeit,
in der keine verpflichtende Speicherung angeordnet war;
aber in diesen Fällen konnte auf Verbindungsdaten zugegriffen werden,
({5})
weil die Provider diese Daten von sich aus zu geschäftlichen Zwecken gespeichert hatten .
({6})
Bisher hängt es eben vom Zufall ab, ob in entsprechenden Fällen auf Daten in Deutschland zugegriffen werden
kann oder nicht .
({7})
Wenn wir das verbindlich regeln, können deutlich mehr
Straftaten aufgeklärt werden . Genau das ist unser Ziel .
({8})
Da Sie davon sprachen, dass wir hier dem Datenschutz
nicht genügen, muss ich Ihnen entgegnen: Sie betreiben
an dieser Stelle Täterschutz .
({9})
Die Beispiele, die genannt wurden, gingen auch noch
weiter . Das waren jetzt Beispiele aus dem Bereich des
BGH . Wir hatten einen weiteren Sachverständigen, der
uns aus dem Bereich der Internetkriminalität Beispiele
genannt hat, nämlich der frühere Leiter der Zentralstelle
zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Hessen . Er
hat uns dargelegt, dass über ein Fünftel der Bürger bereits davon ausgehen, dass ihre Daten, ihre Identität im
Internet gestohlen worden sind, um sie zu missbrauchen .
Drogenhandel, Waffenhandel, Beschaffungsdelikte oder
Kinderpornografie sind andere Dinge, die ihren Marktplatz im Internet haben .
Die Zunahme an Straftaten gerade auch im Internet,
der Missbrauch von persönlichen Daten - das ist für uns
auch mit ein Grund, warum wir den neuen Straftatbestand der Datenhehlerei einführen; denn hier gibt es eine
Strafbarkeitslücke: Derjenige, der sich die Daten illegal
beschafft, macht sich strafbar, derjenige, der sie dann
nutzt, um Betrügereien zu begehen, macht sich strafbar,
aber derjenige, der dazwischen sitzt und mit den Daten
handelt, macht sich nicht strafbar . Hier schließen wir eine
Lücke .
Meine Damen und Herren, die Beispiele zeigen nicht
nur, welche ermittlungstechnische Bedeutung die Verbindungsdaten haben, sondern sie zeigen auch, um welche Straftaten es geht, nämlich schwere Kriminalität,
und sie zeigen auch, wie diese Daten erhoben werden .
Sie werden nicht beliebig zusammengeführt, einmal herumgerührt und dann irgendwie missbraucht, sondern
sie werden immer nur punktuell im Zusammenhang mit
ganz konkreten Ermittlungen in Fällen schwerer Kriminalität herangezogen . Das zeigt vor allem, worum es
nicht geht: Es geht nicht um Meinungskontrolle, nicht
um Generalverdacht, nicht um generelle Überwachung
oder das Erstellen von Bewegungsprofilen. Hier werden
in unverantwortlicher Weise Ängste geschürt .
({10})
Die Beispiele zeigen aber auch, wer bisher davon profitiert hat, dass wir auf dieses Ermittlungsinstrument verzichtet haben . Das waren nicht die kritischen Geister, die
Journalisten, die Bürger in ihrer privaten Lebensführung,
sondern es waren kriminelle Täter, skrupellose Mörder,
Räuber, Bandendiebe, Erpresser, Händler und Nutzer
von Kinderpornografie. Das muss jeder wissen, der sich
bisher gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen
hat . Es ist richtig: Sie ist noch nicht empirisch aufgearbeitet worden . In der Tat haben die Ermittler bisher Besseres zu tun, als festzuhalten, was sie mit der Vorratsdatenspeicherung hätten machen können . Wenn sie ihnen
nicht zur Verfügung steht, dann hat das im Moment keinen praktischen Wert . Wir haben uns deshalb vorgenommen, das im Rahmen einer Evaluation aufzuarbeiten . Ich
kann die Anwender in der Praxis jetzt nur bitten, wirklich
festzuhalten,
({11})
was der Zugriff auf Verkehrsdaten für sie bedeutet, sei
es, dass sie mit solchen Daten wirkliche Ermittlungsfortschritte erzielen, oder sei es, dass sie unter der jetzigen Regelung noch keinen Zugriff haben und ebendeshalb nicht weiterkommen . All das wird im Rahmen der
Evaluation wichtig und hilfreich sein .
Bei unserer heutigen Entscheidung stützen wir uns auf
diese zahlreichen Beispiele aus der Praxis . Meine Empirie ist da schon ziemlich umfangreich - das muss ich
wirklich sagen -, und die Beispiele sind absolut plausibel . Diese Verkehrsdaten erlauben einen Blick in die
Vergangenheit und erlauben deshalb eben auch, Tatverläufe zu rekonstruieren . Das muss sein . Der Staat hat das
Monopol zur Strafverfolgung, und er darf sich bei der
Verfolgung von Tätern nicht von vornherein schwächer
machen, als es die Täter sind, die diese Kommunikationsmittel ohne Weiteres nutzen .
({12})
Vielfach wird gesagt, dass hier ein Missbrauchsrisiko
besteht . Ich darf sagen: Es ist aus der Zeit, in der die Vorratsdatenspeicherung geregelt war, kein einziger Fall des
Missbrauchs bekannt geworden .
({13})
Auch die Internet-Community hat keinen einzigen Fall
auftun können, in dem hier irgendetwas schiefgegangen
ist .
({14})
Wir gehen auch in Zukunft auf Nummer sicher und erhöhen den Sicherheitslevel noch weiter . Uneingeschränkter
Richtervorbehalt, Vier-Augen-Prinzip, Verschlüsselung,
Trennung vom Internet bei der Speicherung: Dieses Niveau ist extrem hoch - wohlgemerkt für dieselben Daten,
die bei den Telekommunikationsunternehmen selber aus
betrieblichen Gründen allein nach den Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes gespeichert werden können, und
zwar mit deutlich geringeren Standards .
Meine Damen und Herren, ich möchte noch kurz auf
die Bedenken der EU-Kommission eingehen, vor allem
auf die Reaktion der Netzgemeinde darauf . Unser Gesetzentwurf sieht bekanntlich vor, dass Daten nur in Deutschland gespeichert werden dürfen, und zwar deshalb, damit
wir hier die Einhaltung dieser allerhöchsten Sicherheitsstandards gewährleisten können . Die Kommission hatte
angemerkt, dass das eventuell eine Benachteiligung von
Anbietern aus dem EU-Ausland darstellen könnte . Was
tut die Netzgemeinde? Angesichts der erneuten Kritik
aus Brüssel an der deutschen Vorratsdatenspeicherung
lautet eine Überschrift: „Wir veröffentlichen“ - hu, hu,
alles geheim - „die Stellungnahme der EU-Kommission
zu Vorratsdatenspeicherung: Noch viele weitere Mängel
({15})“ .
Da wird der Eindruck erweckt, hier hätte die EU-Kommission wieder Datenschutzmängel in unserer Regelung
aufgezeigt . Das Gegenteil ist der Fall: Der EU ging es
in diesem Zusammenhang nicht etwa um unzureichenden Datenschutz, sondern um Wettbewerbsinteressen .
Es ging ihr darum, dass die Wettbewerber im EU-Ausland nicht schlechtergestellt werden . Hier hätte man eine
Kommentierung erwartet, in der die EU-Kommission
kritisiert wird und die Regierung bzw . die Koalition dazu
aufgefordert wird, am hohen Schutzstandard und an der
Speicherung in Deutschland festzuhalten . Die Überschriften gingen genau in die andere Richtung . Das zeigt
mir, dass hier nicht redlich argumentiert wird . Hier wird
Panikmache betrieben und Ideologie verbreitet . Deshalb
sind wir froh, dass wir das jetzt gut unter Dach und Fach
bekommen . Es ist ein guter Tag für den Rechtsstaat .
Vielen Dank .
({16})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ich bisher von den Koalitionsfraktionen gehört habe, fand ich ziemlich dünn .
({0})
Der Kollege der SPD hat so getan, als hätte man grundsätzlich und sehr intensiv beraten . Aber, Herr Kollege Fechner, davon habe ich nichts gemerkt . Sie haben
gezeigt, gerade die SPD, dass Sie ein ewiges Hin und
Her vollendet haben . Erst ist Herr Maas lange Zeit rumgelaufen und hat gesagt: Nein zur Vorratsdatenspeicherung . Denn sie sei mit der Rechtsprechung und unseren
Grundrechten nicht vereinbar . Dann ist er irgendwie über
Nacht, nachdem er vorher als ein kleines Vögelchen im
Baum saß und den Mund spitzte, vom Ast gefallen, statt
das Lied der Grundrechte zu singen .
({1})
Anders kann man es gar nicht bezeichnen . Plötzlich war
er weg . Oder wenn er uns hier später zehn Minuten etwas
erklärt: Er hat zu keinem Zeitpunkt etwas erklärt . Er hat
sich nicht einmal getraut, am letzten Mittwoch oder zu
einem anderen Zeitpunkt in den Ausschuss zu kommen
und sich zu seinem Meinungswandel, zu den Beispielen
befragen zu lassen . Wahr ist doch - Herr Fechner, Sie
sagen: Wir müssen eine große Debatte über Grundrechte
führen -: Sie haben in Ihrer eigenen Rede diese Debatte
gar nicht geführt .
({2})
- Nein, im Parteikonvent! Wer ist der Parteikonvent?
Hier ist der Deutsche Bundestag mit seinen Ausschüssen .
Auch hier müssen Sie diese Beispiele bringen .
Ich sage Ihnen: Kein Beispiel, das ich hier oder im
Ausschuss gehört habe, hat am Ende Bestand gehabt . Das
Putzigste war, dass ein Ermittler sagte: Wenn man nach
dem Ausbrennen des Wohnwagens der NSU-Terroristen
die Handys hätte auswerten können, was hätte man dann
alles über den NSU erfahren . - Meine Damen und Herren, was hätten wir alles über den NSU erfahren, wenn
die deutschen Behörden zehn Jahre lang ordentlich gearbeitet hätten, und zwar ohne Vorratsdatenspeicherung?
({3})
Es gibt viele Argumente, aber dafür reicht meine Redezeit nicht .
Sie haben gesagt, Sie wollen Grundrechte diskutieren
und haben am Ende - ich finde: ideologisch - nur Sicherheitsaspekte gebracht, wobei Sie nicht einmal Alternativen diskutiert haben . Was würde eigentlich nach einer
Tat gegen Quick Freeze sprechen? Das kommt bei Ihnen
gar nicht vor .
({4})
Sie könnten die Daten einer bestimmten Region, die Sie
grundsätzlich speichern wollen, per Quick Freeze speichern, um alle Daten der Menschen, die in einem bestimmten Umkreis eines Tatortes anwesend waren, zu
haben . Diese Alternative könnte man ja erörtern . Aber
nein, Sie machen alle in dieser Bundesrepublik zu Verdächtigen, alle und nicht nur die Netzgemeinde, sondern
jeden, der kommuniziert .
({5})
Sie tun so, als ginge es um ein paar Daten . Unser Kollege Malte Spitz ist schon erwähnt worden . Er hat das bei
der Telekom abgefragt und in einem Buch niedergelegt .
Meine Damen und Herren, gehen Sie getrost davon aus:
Alle drei, vier Minuten wird von jedem von uns, von jedem, der technische Geräte hat, festgestellt, wo er sich
aufhält, wie lange er dort ist, mit wem er kommuniziert .
Das hat Orwell in 1984 gar nicht so gut beschreiben können, wie es heute passiert . Dann kommen die Fluggastdaten dazu, demnächst, denke ich, die Pkw-Maut, Wohnraumüberwachung und Ähnliches .
Keiner kann begründen, warum wir alle derartig verdächtig sind .
({6})
Niemand von Ihnen hat bis jetzt die Frage der Datensicherheit beantwortet . Man muss ja Mitleid mit den
Providern haben, die wieder einmal dreistellige Millionenbeträge ausgeben müssen, um angeblich ein Sicherheitsniveau herzustellen . Wenn das beim EuGH scheitert,
können Sie einmal schauen, wie es mit dem Geld ist, meine Damen und Herren . So macht man Mittelstandsförderung à la SPD . Wo ist eigentlich der Wirtschaftsminister,
der hier immer von digitalen Agenden spricht?
Zur Datensicherheit nach Snowden . Wie naiv sind
Sie? Oder was glauben Sie, wie naiv wir sind, dass wir
glauben, man könnte Daten an einem Ort über zehn Wochen speichern, ohne dass die NSA da rankommt? Da
können Sie noch so viel spielen . Sie müssen sich mit der
Frage auseinandersetzen: Jeder Tag der Speicherung an
zentralen Orten führt dazu, dass Geheimdienste dieser
Welt, im Zweifelsfalle sogar unser eigener, auf diese Datenmengen und das Profil, das man damit bilden kann,
Zugang haben .
({7})
Jetzt sagen Sie vielleicht, meine Damen und Herren:
Das können wir alles schützen, das entwickeln wir . - Ich
sage Ihnen: Ich traue unseren Geheimdiensten auch keinen halben Meter, nicht nur wegen der aktuellen Enthüllung . Einem Geheimdienst, der sagt, er wisse nicht, nach
welchen Adressen in den Selektorenlisten der USA gefragt wird, traue ich nicht zu, dass er meine Daten schützt .
({8})
Ihre Vorlage verstößt gegen europäisches Recht; denn
der EuGH hat gesagt, dass die anlasslose Verarbeitung
der Daten unzulässig ist . Er hat ganz klar gesagt: Es
muss irgendeinen Bezug zwischen mir als Person, dem
überwachten Bürger, und dem Risiko oder dem Verdacht
geben . - An keiner Stelle haben Sie so etwas aufgezählt .
Sie verlagern das nach hinten, in die Verwertung, meine
Damen und Herren .
({9})
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident . - Das Urteil
des EuGH besagt auch: Sie müssen differenzieren, zum
Beispiel bei Berufsgeheimnisträgern . - Was sagen Sie
uns in den Ausschüssen? Na ja, dann hört man halt in das
Gespräch rein, und dann wird man schon rausfinden, ob
es ein Anwalt oder ein Abgeordneter ist .
({10})
- Entschuldigung . Ich meinte: Man guckt sich die Dinge
an und stellt später fest,
({11})
dass es zu XY gehört . - In dem Augenblick sind die Daten vorhanden, und da hilft es mir nicht, dass gesagt wird,
das dürfte am Ende nicht für eine Urteilsbegründung verwertet werden . Sie sagen, technisch gehe das nicht . - Wir
leben im 21 . Jahrhundert! Billionen Daten werden verarbeitet, und Sie sagen: Es geht nicht .
({12})
Es gehe nicht mal, die Anschlüsse des Deutschen Bundestags herauszunehmen . - Das glauben Sie doch selbst
nicht!
({13})
Ich sage Ihnen: Dieses Gesetz widerspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des
EuGH, die im Zusammenhang mit Safe Harbor bekräftigt wurde . Das, was Sie hier machen, ist weder erforderlich noch geeignet noch verhältnismäßig, meine Damen
und Herren . Deshalb kann man, um die Freiheit dieses
Landes zu schützen, dieses Gesetz heute nur ablehnen .
({14})
Wer die Sicherheitsideologie so weit treibt, dass er die
Freiheit opfert, hat am Ende weder Sicherheit noch Freiheit, und das wollen wir nicht .
({15})
Für die Bundesregierung erteile ich das Wort Bundesminister Heiko Maas .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir Justiz und Polizei bei schwersten Straftaten ein zusätzliches Instrument an die Hand . Wir geben
es ihnen an die Hand, um dabei mitzuhelfen, dass Straftaten wie Mord und Totschlag sowie Straftaten gegen die
sexuelle Selbstbestimmung besser aufgeklärt und damit
weitere Straftaten der betreffenden Straftäter verhindert
werden können .
Wir wägen die Rechtsgüter untereinander ab: Es ist
ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung .
Aber in der Abwägung der Rechtsgüter kommen wir zu
dem Ergebnis, auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass dieser Eingriff nicht nur verhältnismäßig,
sondern auch zulässig ist, meine sehr verehrten Damen
und Herren .
({0})
Er ist auch verhältnismäßig, weil nun im Vergleich zur
früheren Vorratsdatenspeicherung weniger Daten gespeichert werden, weil sehr viel kürzer gespeichert wird und
weil der Zugriff auf die Daten deutlich erschwert worden
ist . Nicht gespeichert wird der Inhalt von Telefongesprächen, welche Internetseiten aufgerufen werden . Und jetzt
werden auch sämtliche E-Mails ausgenommen; es wird
nicht gespeichert, wann eine E-Mail gesendet oder empfangen worden ist .
({1})
Außerdem werden die Standortdaten nur noch für vier
Wochen erfasst, alle übrigen Daten zehn Wochen . Danach müssen sie gelöscht werden . Damit werden wir der
höchstrichterlichen Rechtsprechung vollumfänglich gerecht .
({2})
Meine Damen und Herren, schließlich haben wir auch
den Katalog der Straftaten, bei deren Verfolgung die DaRenate Künast
ten genutzt werden dürfen, stark eingeschränkt; die Anzahl der entsprechenden Delikte haben wir halbiert .
({3})
- Das kann man ganz einfach nachzählen, Frau Künast .
({4})
Ich möchte insbesondere auf drei Aspekte eingehen,
die in der Beratung eine besondere Rolle gespielt haben .
Der erste Aspekt ist die schon angesprochene Stellungnahme der Europäischen Kommission . Ich bin ein
bisschen verwundert, dass die Europäische Kommission
in der Lage ist, sich so intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen,
({5})
aber sich anscheinend dennoch nicht in der Lage sieht,
eine neue Richtlinie auf den Weg zu bringen, um die
Dinge in Europa vielleicht etwas einheitlicher zu regeln .
Nichtsdestotrotz: Die Kommission hat kritisiert, dass
wir in dem Gesetzentwurf vorsehen, dass die erhobenen
Daten ausschließlich in Deutschland gespeichert werden
dürfen . Die Kommission meint, es müsse eben auch zulässig sein - und zwar aus Wettbewerbsgründen; es hat
nichts mit Datenschutz zu tun, sondern bedeutet, wie wir
finden, genau das Gegenteil -, die Daten in anderen Mitgliedstaaten der EU zu speichern .
Meine Damen und Herren, es ist sicherlich nicht so,
dass es nur in Deutschland einen Datenschutz gibt . Aber
der Europäische Gerichtshof hat erst vor wenigen Tagen
das Safe-Harbor-Abkommen für ungültig erklärt und hat
sehr deutlich gezeigt, dass Brüssel mit dem Datenschutz
bisher vielleicht doch etwas zu leichtfertig umgegangen
ist .
Deshalb bleibt es für uns dabei: Deutsche Daten sind
ausreichend und gut geschützt, aber das können wir im
Zusammenhang mit den Höchstspeicherfristen nur gewährleisten, wenn die Daten weiterhin in Deutschland
gespeichert werden .
({6})
Wenn die Daten auf Servern im Ausland liegen, können
wir nicht rechtssicher nachvollziehen, ob sie dort von
Behörden, Polizei und Diensten abgegriffen werden .
Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, den Gesetzentwurf an dieser Stelle trotz der Einwendung der Kommission nicht zu verändern .
Der zweite Punkt ist hier auch schon angesprochen
worden, nämlich der Schutz des Berufsgeheimnisses .
Für Personen und Institutionen, die anonyme Hilfe und
Beratung anbieten, stellen wir sicher, dass Verbindungsdaten zu ihren Anschlüssen überhaupt nicht gespeichert
werden; das betrifft die Telefonseelsorge oder ähnliche
Einrichtungen . Wichtig ist aber, noch einmal klarzustellen: Viele andere Berufsgruppen, bei denen es auch ein
Berufsgeheimnis zu wahren gilt, arbeiten nicht anonym:
Rechtsanwälte arbeiten nicht anonym, sie können auch
gar nicht anonym arbeiten . Das Berufsgeheimnis will
hier nicht die Anonymität schützen, sondern ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Mandanten oder - bei
Ärzten - zum Patienten .
({7})
Deshalb schreiben wir ins Gesetz, dass für alle Berufsgeheimnisträger ein umfassendes Erhebungs- und
Verwertungsverbot, also auf der Zugriffsebene, gilt .
Solche Verbote kennt das Gesetz auch schon heute, zum
Beispiel bei so gravierenden Eingriffen wie der akustischen Wohnraumüberwachung . Auch dort bietet das Erhebungs- und Verwertungsverbot umfassenden Schutz das wurde bisher auch nicht kritisiert -, und genau diesen
Schutz wird es zukünftig auch bei den Verkehrsdaten geben . Das ist in unserem Gesetz so gesichert .
({8})
Der dritte Aspekt betrifft den neuen Straftatbestand
der Datenhehlerei; darüber ist in den letzten Wochen einiges geschrieben worden . Wenn wir einerseits den Pool
gespeicherter Daten erweitern, dann müssen wir andererseits diese Daten in Zukunft wirksamer schützen . Das
sind wir nicht nur den Betroffenen schuldig, sondern das
ist eine Erkenntnis aus der zunehmenden Digitalisierung
unserer Gesellschaft, an der wir uns nicht vorbeimogeln
können .
Der Vorwurf, damit würden auch Whistleblower kriminalisiert, trifft nicht nur nicht zu: Er ist völlig falsch
und an den Haaren herbeigezogen . Datenhehlerei gilt nur
für gestohlene Daten, die zum Beispiel durch einen Hackerangriff erbeutet werden . Ein Whistleblower besitzt
aber in der Regel seine Informationen völlig rechtmäßig .
Der entscheidende Punkt bei ihm ist die Weitergabe der
Information, aber diese Weitergabe ist weder für den
Whistleblower eine Datenhehlerei noch für denjenigen,
der die Information entgegennimmt; das ist eigentlich relativ einfach nachvollziehbar .
Wir stellen außerdem sicher, dass Journalisten durch
den neuen Straftatbestand nicht beeinträchtigt werden .
Ihre Tätigkeit wird von diesem Straftatbestand nicht erfasst; das schreiben wir sogar explizit ins Gesetz .
({9})
Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Journalist schon
bei der Beschaffung der Daten eine konkrete Veröffentlichung vor Augen oder einen Artikel in der Schublade hat .
Geschützt werden zwar nicht die rein privaten Aktivitäten
eines Journalisten, aber es reicht, wenn die Handlungen
der Recherche dienen und in eine Veröffentlichung münden können . Insofern ist vieles, was in den letzten WoBundesminister Heiko Maas
chen zu diesem Thema gesagt und veröffentlicht wurde,
einfach völlig falsch . Ich bitte, das zu berücksichtigen .
({10})
Damit diese Bestimmung wirkt, gilt der Tatbestandsausschluss nicht nur für hauptberufliche Journalisten,
sondern er schützt auch freie Mitarbeiter und nebenberufliche Journalisten, und auch Blogger können sich grundsätzlich darauf berufen . Das heißt, es gibt an der Stelle
keine Schutzlücke .
Meine Damen und Herren, der Bundestag hat im Rahmen seiner Beratungen den Gesetzentwurf an einer wichtigen Stelle ergänzt: Er hat eine verbindliche Evaluierung
vorgesehen . Ich glaube, dass das eine sehr vernünftige
Ergänzung ist, weil darüber diskutiert wird, was die
Speicherung von Daten überhaupt nutzt . Nach der Evaluierung, wenn die Daten ausgewertet sind, wissen wir,
welche Kosten dabei anfallen und wie diese Daten den
Ermittlern helfen . Wenn das Ergebnis der Evaluierung
vorliegt, werden wir darüber eine Debatte führen können,
und zwar auf einer vernünftigen, empirischen Grundlage,
die es bisher noch nicht gibt .
Ich danke den Abgeordneten des Bundestages für diese Ergänzung, auch für die sicherlich nicht immer einfachen Beratungen . In diesen Dank will ich auch die Mitarbeiter meines Hauses einschließen, denen wir in diesem
Verfahren einiges an Arbeit abverlangt haben .
Herzlichen Dank .
({11})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der
Vorratsdatenspeicherung, über die wir seit Jahren hier
diskutieren, ist die Kernfrage der Bürgerrechte in unserer
digitalisierten Welt . Die Massenspeicherung der Kommunikations- und Bewegungsdaten aller Bürgerinnen
und Bürger in Deutschland auf Vorrat stellt einen rechtsdogmatischen Dammbruch par excellence dar .
({0})
Deswegen gehört er auf den Müllhaufen der Geschichte
und nicht wieder hier ins Parlament .
Herr Maas, wirklich: Sie halten hier diese lapidare
Rede und sagen, das, was dazu veröffentlicht worden
ist, sei alles komisch . Sie sprechen nicht den EuGH und
nicht das Bundesverfassungsgericht an .
({1})
Ich lese Ihnen einmal Ihre eigene Veröffentlichung vor .
Sie haben, Gott sei Dank, bei Twitter mal was Richtiges gesagt: Die Vorratsdatenspeicherung lehne ich entschieden ab . Sie verstößt gegen das Recht auf Privatheit und Datenschutz . Kein deutsches Gesetz und keine
EU-Richtlinie!
({2})
Das war Ihre Aussage, und die war richtig . Und jetzt erzählen Sie hier lapidar das Gegenteil . Ich sage Ihnen: Das
ist schlecht für Sie . Das bricht Ihnen das Rückgrat, aber
auch Ihrem Haus, das jahrelang gegen dieses Instrument
gearbeitet hat .
({3})
Das haben Sie an das Bundesinnenministerium verkauft,
und das ist das Letzte .
({4})
Als wir das letzte Mal hier darüber diskutiert haben,
haben Sie gesagt: Das muss umgesetzt werden; das ist
ein schwieriges Gesetz, aber das müssen wir machen;
denn es gibt diese EU-Richtlinie . - Jetzt stehen wir hier,
nachdem zwei höchste Gerichte gesagt haben: „Das ist
verfassungswidrig“, und jetzt sagen Sie: Es gibt keine
EU-Richtlinie; deswegen muss das umgesetzt werden . Ihnen ist jedes Argument recht . Aber das ist eben unseriös .
({5})
Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht nur Gift für
unsere Demokratie; sie ist auch Gift für unsere Wirtschaft . Laut Bundesnetzagentur sind circa 3 000 kleine
Anbieter betroffen . Die genauen Kosten sind unabsehbar, liegen bei den Kleinstanbietern pro Betrieb aber bei
über 100 000 Euro . Das heißt, Sie machen auch noch
die Kleinstanbieter platt . Das, was Sigmar Gabriel im
Wirtschaftsministerium gegen die Megagiganten aus den
USA versucht hochzuziehen - für mehr Wettbewerb -,
das reißen Sie mit dem Hintern wieder ein .
({6})
Das geht alles überhaupt nicht . Da hilft Ihnen auch kein
IT-Gipfel .
Zur Datenhehlerei . Das ist doch wirklich unfassbar:
Vor wenigen Wochen hatten wir - unter Ihrer fröhlichen
und traurigen Beteiligung, Herr Maas - den Landesverratsskandal, und jetzt bringen Sie hier einen Gesetzentwurf ein, mit dem Whistleblower in einen - so sage ich
jetzt einmal - Graubereich gestellt werden . Sie versuchen, die Journalistinnen und Journalisten auszunehmen,
in § 202 d StGB-E ist der Straftatbestand aber unzureichend klar formuliert . Nur ein Beispiel: In der Begründung Ihres Gesetzentwurfs steht, dass bei der Schädigung ein immaterieller Nachteil - beispielsweise beim
Datenhandel „zum Zwecke der öffentlichen Bloßstellung
im Internet“ - genügen soll . Na, herzlichen Dank! Das
heißt, auch bei der Kohl-Spendenaffäre wäre durch die
öffentliche Bloßstellung ein immaterieller Nachteil eingetreten . Schon in diesem Bereich kriminalisieren Sie .
Das geht nicht, und das lehnen wir ab .
({7})
Das schadet dem, was wir brauchen . Wir brauchen einen
Whistleblowerschutz . Unklare Strafgesetze sind gefährlich . Sie schaffen die dem Gesetzgeber zuzurechnende
Gefahr von Ermittlungen gegen Journalisten und Whistleblower und - das ist wahrscheinlich - von Fehlurteilen .
Diese Einschüchterung, die zwangsläufig - so ist es ja
von der Union auch gemeint - zu Chilling Effects führt,
und zwar dadurch, dass sich Leute nicht mehr trauen, Informationen weiterzugeben, ist genau das Gegenteil von
dem, was wir heute brauchen, meine Damen und Herren .
({8})
Zum Schluss ein Wort zu der Sozialdemokratie .
({9})
- Ja, ja; jetzt wird es traurig .
({10})
- Da lacht sogar die Union . - Herr Oppermann hat nach
Snowden - da war ja Wahlkampf und so - gesagt: Die
Vorratsdatenspeicherung muss die Sozialdemokratie
gänzlich neu bewerten . - Gänzlich neu bewerten!
({11})
- Ja, genau .
Er sagte auch, die SPD wolle - jetzt wird es noch fröhlicher - die neue Bürgerrechts- und Internetpartei werden . Dass ich nicht lache! Dann hat Sigmar Gabriel aus
reinstem politischem Opportunismus
({12})
die ganze Überlegung, man müsse mehr für die Bürgerrechte machen, zulasten seines Ministers abgeräumt .
({13})
Das zeigt, wie hoch der Stellenwert dieses Themas bei
Ihnen ist . Auf Sie ist beim Thema Bürgerrechte kein Verlass . Das ist wirklich hochbedauerlich, vor allen Dingen,
nachdem Sie schon das letzte Mal mit den gleichen Argumenten angetreten sind und von zwei höchsten Gerichten
korrigiert werden mussten . Wenn man den Freiheitsrechten der Menschen und der Verfassung zu Leibe rückt, wie
Sie es tun, wie es die GroKo jetzt tut, dann hat man schon
verloren, wenn einem offenbar jedes Argument recht ist .
Deswegen sage ich Ihnen hier heute: Wir werden gegen
dieses Gesetz klagen - da haben wir gute Chancen -, und
wir werden versuchen, es auf diesem Wege zu verhindern .
({14})
Wer es mit der Großen Koalition gut meint, der kann
sagen: Das letzte Mal ist Ihnen das so durchgerutscht .
Oder: Das war grob fahrlässig, meine Damen und Herren . - Diesmal aber gehen Sie vorsätzlich gegen das
Grundgesetz vor . Dagegen werden wir uns wehren .
Ganz herzlichen Dank .
({15})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Dr . Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben im Gegensatz zu Ihnen, meine Kollegen
vom Bündnis 90/Die Grünen, eine intensive und sachliche Debatte über die Einführung von Speicherpflichten
für Verkehrsdaten geführt .
({0})
Um mit einem Missverständnis, das in der öffentlichen
Debatte immer wieder aufkommt, aufzuräumen, möchte
ich hier heute klarstellen: Der Staat speichert nicht .
({1})
Der Staat legt keine staatliche Datensammlung an . Wir
verpflichten durch das heutige Gesetz die Telekommunikationsanbieter, Verbindungsdaten für zehn Wochen
und IP-Adressen und Anrufkennungen ebenfalls für zehn
Wochen zu speichern; Standortdaten von Mobiltelefonen
werden für vier Wochen gespeichert .
Um ein weiteres Missverständnis aus der Welt zu
schaffen: Diese Speicherung wird im Wesentlichen nicht
neu begründet, sondern die Telekommunikationsanbieter
halten diese Daten bereits vor, zu Rechnungszwecken
oder zu Wartungs- und Reparaturzwecken .
({2})
Bereits jetzt können Strafverfolgungsbehörden nach
richterlichem Beschluss auf diese Daten zugreifen . Nur
hängt es im Augenblick vom Zufall ab, ob die Daten
noch gespeichert sind oder nicht . Ich sage Ihnen ehrlich:
Zufälligkeit ist für uns kein gültiges Rechtsprinzip .
({3})
Wann darf der Staat auf diese Daten zugreifen? Er darf
nur dann zugreifen, wenn es der Aufklärung oder Verhinderung schwerster und allerschwerster Straftaten dient,
({4})
wenn es um die Gefahrenabwehr, zum Beispiel die Abwehr von terroristischen Anschlägen, oder um Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder der Länder
geht .
({5})
Dieser Zugriff darf nur nach richterlichem Beschluss und
nur im Einzelfall erfolgen . Die Daten von Berufsgeheimnisträgern unterliegen einem absoluten Verwertungsverbot .
Warum brauchen wir das? Wir brauchen das, weil sich
beispielsweise im Bereich des Kindesmissbrauchs und
der Kinderpornografie Ermittlungsansätze bald nur noch
in der digitalen Welt finden lassen.
({6})
Wir brauchen das, weil wir bei Mord und Totschlag oftmals durch die Funkzellen feststellen können: Wer hat
sich denn im Umfeld eines Tatortes aufgehalten? Wir
brauchen das, um Schleuserkriminalität zu bekämpfen,
und wir brauchen das auch, um möglichen Hinweisen auf
islamistische, rechtsextreme und andere Attentate nachzugehen .
({7})
Der wehrhafte Rechtsstaat braucht diese Instrumente .
({8})
Viele Delikte vollziehen sich heute in der digitalen
Sphäre . Dieser Gesetzentwurf trägt dazu bei, eine digitale Spurensicherung sicherzustellen .
Der Gesetzentwurf eröffnet den Strafverfolgungsbehörden nicht alle Möglichkeiten .
({9})
Er schafft aber im begrenzten Umfang zumindest Chancengleichheit mit Verbrechern; er behebt Defizite in der
Strafverfolgung . Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir wollen
nicht, dass Verbrecher ihre Taten mit Smartphones planen und ausführen, während die Strafverfolgungsbehörden, wenn es nach Ihnen ginge, nur Schreibmaschinen
und Kohlepapier haben .
({10})
Dieser Gesetzentwurf wahrt auch einen hohen Datenschutzstandard . Bei der Speicherung und beim Abruf der
Daten wird der Stand der Technik der Jahre 2015, 2016
und 2017 zugrunde gelegt . Die Daten sind im Inland zu
speichern . Hier rufe ich der Kommission zu: Wie wir unsere Sicherheit und Ordnung gestalten, ist eine Frage der
inneren Sicherheit und nicht des Wettbewerbs und des
Binnenmarkts .
({11})
In diesem Gesetzentwurf ist auch geregelt, dass die
Daten eine Woche nach Ablauf der Frist zwingend zu
löschen sind und dass die Telekommunikationsanbieter,
die gegen diese Löschungspflicht verstoßen, teilweise
hohe Bußgelder riskieren . Das ist ein Goldstandard des
Datenschutzes .
({12})
Auch um Missverständnissen vorzubeugen, sei auf
das Bundesverfassungsgericht hingewiesen . Das Bundesverfassungsgericht hat die damalige Regelung des
Jahres 2007 für verfassungswidrig erklärt, weil wir in
einigen Punkten zugegebenermaßen nicht präzise genug
waren . Es hat aber nicht gesagt, dass die Speicherung
von Verbindungsdaten per se verfassungswidrig ist . Wer
das sagt, nimmt das Verfassungsgericht in eine Geiselhaft . Das ist nicht anständig . Im Gegenteil!
({13})
Das Bundesverfassungsgericht hat einen rechtlich zulässigen Rahmen aufgezeigt, in welchem eine Speicherung und ein Abruf von Verbindungsdaten zulässig sind .
Wir halten uns nicht nur an diesen Rahmen, sondern wir
bleiben sogar weit hinter dem, was der zulässige Rahmen
möglich macht, zurück .
Auch in Bezug auf die Erforderlichkeit hat das Bundesverfassungsgericht ganz deutlich gesagt - ich zitiere -:
Der Gesetzgeber darf eine sechsmonatige Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten auch
als erforderlich beurteilen .
Mich ärgert in diesem Zusammenhang, dass Sie
manchmal eine sehr unsensible Sprache wählen . Im
Vorfeld ist viel von „Massenüberwachung“ und „Generalverdacht“ gesprochen worden . Sie können einen Gesetzentwurf mit Argumenten zutreffend oder auch weniger zutreffend kritisieren oder hinterfragen - gar keine
Frage -, aber wenn Sie darüber sprechen, dann haben Sie
auch die Verantwortung, sensibel mit Begriffen umzugehen . Wer bei rechtsstaatlichen, engen Ermittlungsansätzen von Überwachung spricht, der ist geschichtsvergessen .
({14})
Herr Kollege, Herr von Notz begehrt eine Zwischenfrage . - Sie lassen sie nicht zu . Okay .
({0})
Wir haben festzustellen, dass dieser Gesetzentwurf in
engen Grenzen selbstverständlich einen Grundrechtseingriff bedeutet; das ist gar keine Frage;
({0})
das haben wir auch nie bestritten . Wir gehen mit diesem
Umstand auch sehr verantwortungsvoll um . Aber die
Ziele dieses Gesetzentwurfs haben ebenfalls einen hohen Verfassungsrang . Es ist von hohem Verfassungsrang,
schwere und schwerste Straftaten gleichermaßen aufzuklären . Es ist von hohem Verfassungsrang, Gefahren für
Leib und Leben abzuwenden . Es ist von hohem Verfassungsrang, den Opferschutz sicherzustellen . Wir stellen
den Täterschutz nicht über den Opferschutz . Für uns sind
die Opfer wichtig, und wir kümmern uns um die Opfer,
indem wir schwere und schwerste Straftaten aufklären .
({1})
Es gibt in dieser Frage keinen Gegensatz von Freiheit
und Sicherheit . Ganz im Gegenteil: Freiheit und Sicherheit bedingen sich . Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit . Mit diesem Gesetz wird die notwendige Freiheit
ein Stück weit gewährleistet, weil wir Gefahren, die es
heute gibt, aus dem Weg schaffen oder zumindest dafür
sorgen, dass schwerste Straftaten aufgeklärt werden . Wir
übernehmen damit Verantwortung für die Freiheit und
die Sicherheit der Menschen in diesem Land . Deswegen
empfehle ich die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf .
Vielen Dank .
({2})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten von Notz das Wort .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Ich möchte auf den
doch sehr harten Vorwurf der Geschichtsvergessenheit
kurz zu sprechen kommen; denn das kann man so nicht
im Raum stehen lassen, Herr Kollege Ullrich .
Die Menschenrechte und die Grundrechte, die in unserer Verfassung stehen, sind vor allen Dingen die Lehre
aus einer schlimmen Diktatur, in der der Staat gegenüber
seinen Bürgerinnen und Bürgern massiv übergriffig war,
und zwar auf schlimmste Weise . Dazu kommt eine grauenvolle Diktatur, die wir im Osten dieses Landes lange
hatten . Deswegen haben wir Grund- und Bürgerrechte,
Abwehrrechte, die uns gegen den Staat schützen .
({0})
Jetzt könnten Sie sagen, das sei eine grüne Mindermeinung . Nur, Sie haben hier einen solchen Gesetzentwurf
mit denselben Argumenten vor ein paar Jahren schon
einmal eingebracht . Uns haben zwei höchste Gerichte
in unserer Auffassung recht gegeben, dass Sie damit die
Linien, die die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes
gezogen haben, überschritten haben .
({1})
Deswegen sind Sie geschichtsvergessen . Wir lassen uns
diesen Vorwurf nicht gefallen .
({2})
Wollen Sie antworten?
({0})
Herr Kollege Dr . von Notz, Sie haben das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts offenbar nicht gelesen . Das
Verfassungsgericht nimmt eine sehr kluge Abwägung
vor zwischen Freiheitsrechten einerseits und andererseits dem notwendigen Anspruch des Staates, Straftaten aufzuklären und damit Sicherheit zu gewährleisten .
Grundrechte stehen immer in einem Spannungsverhältnis . Der wehrhafte Rechtsstaat hat die Aufgabe, dieses
Spannungsverhältnis aufzulösen . Für uns steht bei dieser
Auflösung der Opferschutz im Mittelpunkt, weil es nicht
sein kann, dass der wehrhafte Rechtsstaat in einer digitalen Welt auf dieses Ermittlungsinstrument verzichtet und
damit schwerste Straftaten unaufgeklärt bleiben . Das ist
unser Anspruch .
({0})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Christian Flisek, SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, nahezu zum Schluss der heutigen Debatte lohnt
es sich durchaus, noch einmal, wenn man so will, auf die
Geschäftsgrundlage unserer Diskussion hier zu blicken
und sie sich noch einmal klarzumachen .
Wir haben im Jahre 2010 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bekommen wegen Verstoßes gegen
das Fernmeldegeheimnis, das die damalige Regelung
zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt hat . Wir
haben vier Jahre später ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs bekommen, das die zugrundeliegende Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen
die Grundrechtecharta für unwirksam erklärt hat . Aber,
liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Wahrheit der Analyse gehört eben auch, dass keines der beiden Urteile - der
Kollege Dr . Ullrich hat darauf zu Recht hingewiesen eine Regelung zur Speicherung von Kommunikationsverkehrsdaten per se für unzulässig erklärt hat .
({0})
Beide Urteile sehen einen sehr engen, einen klar umrissenen Möglichkeitsraum für eine solche Regelung vor .
Das ist, wenn Sie so wollen, die Geschäftsgrundlage, die
wir seit 2014 vorfinden. Damit war auch klar, dass die
Debatte um die Wiedereinführung einer wirksamen und
rechtskonformen gesetzlichen Regelung nicht beendet
war - und ich füge hinzu: insbesondere nicht in Zeiten,
in denen wir durchaus eine Bedrohungslage durch terroristische Anschläge haben, wie zuletzt in Paris Anfang
des Jahres auf die Redaktionsräume von Charlie Hebdo .
Man kann das ignorieren; aber ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger erwarten auch von uns, dass wir diese
Belange hier aufmerksam und sachlich diskutieren, dass
sie hier eine Rolle spielen .
Wir haben in den letzten Monaten hierzu eine intensive Debatte geführt, auch in meiner Partei; ich sage das
mit Stolz . Das ist keine Schwäche . Es ist eine Stärke der
Sozialdemokratie, dass wir uns bei diesen Fragen mit einer intensiven Debatte auseinandersetzen .
({1})
Das ist im Übrigen einer der Gründe, warum wir seit
152 Jahren existieren .
Herr Kollege, der Kollege Ströbele würde gerne eine
Zwischenfrage stellen . Lassen Sie die zu?
Momentan nicht .
Bitte schön . Fahren Sie fort .
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die Kunst war es jetzt, diesen verbliebenen
Möglichkeitsraum so auszuloten, dass er unter strikter
Achtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und unter Wahrung der Grundrechte und unter Wahrung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausgefüllt wird . Die
einzelnen Stellschrauben der Regelung waren so auszutarieren, dass eine wirksame, aber vor allem eine grundrechtsschonende Regelung herauskommt . Und es ist der
SPD - vor allen Dingen auch Bundesminister Maas - zu
verdanken, dass das in dieser Form gelungen ist .
({0})
Ich bin davon überzeugt, dass dieser Gesetzentwurf unter
anderen zeitlichen oder auch unter anderen politischen
Verhältnissen eine ganz und gar andere Handschrift tragen würde. In der Form, wie wir ihn jetzt vorfinden, trägt
er eine sozialdemokratische Handschrift, und das ist gut
so . Die Tonlage dieses Gesetzes ist eine ruhige und keine
hitzige, eine abwägende und keine überdrehte Tonlage .
Wir wissen auch aus der öffentlichen Anhörung, dass
die Forderungen aus Sicherheitskreisen sehr viel schärfer
waren . Wir haben aber auch gesagt: Sicherheitspolitik ist
kein Wunschkonzert, sondern gerade das Geschäft eines
Abwägens mit Augenmaß . Deswegen kann ich sagen:
Vor uns liegt heute der mit Sicherheit grundrechtsschonendste Ansatz, den wir jemals - zumindest in Europa,
auf jeden Fall in Deutschland - zu Speicherfristen gesehen haben . Herr Bundesminister Maas hat diesen Gesetzentwurf bereits in seinen Einzelheiten vorgestellt .
Lieber Kollege von Notz, wir verbringen viel Zeit miteinander,
({1})
zum Beispiel im Untersuchungsausschuss, ja gestern, an
jedem Donnerstag, sehr, sehr lange .
({2})
Wir teilen nicht jedes Argument . Ich höre dir sehr intensiv zu; aber ich würde nie sagen, dass das eine lapidare Rede war . Auch ich würde mir manchmal wünschen,
dass man sich gerade auch bei den Debatten, die hier besonders hitzig geführt werden, nicht in der Tonlage vergreift, insbesondere wenn man selber, wie du das gerade
getan hast, mit Interventionen klarmacht, dass man sehr
viel Wert auf die Wahl von Begriffen legt .
({3})
Meine Damen und Herren, es bleibt zusammenfassend festzustellen: Diese Regelung sieht vor: Es werden
erheblich weniger Daten gespeichert . Es wird sehr viel
kürzer gespeichert, und vor allen Dingen unter sehr viel
strengeren Voraussetzungen, und zwar im Inland, gespeichert .
Frau Künast, lassen Sie mich eines sagen: Sie benutzen
ja nahezu jedes Urteil, um es auf Ihre Linie zu bringen .
Wir greifen dem Safe-Harbor-Urteil, wenn Sie so wollen,
mit der Umsetzung dieses Gesetzes geradezu vor, eben
weil wir eine im Rahmen der EU-Kommission durchaus
strittig diskutierte Regelung im Inland vorsehen .
({4})
Genau aus diesen Gründen, die im Safe-Harbor-Urteil
stehen, sagen wir: Wir wollen, dass die Daten im Inland
gespeichert werden, und wir stellen uns mit denselben
Argumenten der Kommission entgegen. Ich finde, das ist
gut .
Frau Künast, eines will ich auch sagen: Ich kann nicht
verstehen, dass Sie als Vorsitzende des Rechtsausschusses, als jemand, der das gesamte Verfahren begleitet hat,
behaupten, hier werde ein Gesetz im Schweinsgalopp, im
Eiltempo, durch den Bundestag gepeitscht,
({5})
noch dazu, man nutze die Flüchtlingskrise aus, um diesen Gesetzentwurf jetzt zu verabschieden . Liebe Frau
Künast, ich sage Ihnen ganz offen: Ich verstehe das nicht .
Die Eckpunkte liegen seit dem 15 . April vor .
({6})
Wir haben den ganzen Sommer darüber debattiert . Wir
haben eine öffentliche Anhörung durchgeführt . Wir haben hier eine sachliche erste Lesung gehabt .
({7})
So ein Beitrag, Frau Künast, ist ein Beitrag zur Politikverdrossenheit. Ich finde das von der Vorsitzenden des
Rechtsausschusses nicht in Ordnung .
({8})
Die Zeit .
Ich möchte zum Schluss kommen . - Meine Damen
und Herren, man muss kein euphorischer Anhänger der
alten Vorratsdatenspeicherung gewesen sein, um dennoch diesem Gesetzentwurf heute mit gutem Gewissen
zustimmen zu können; denn es ist ein Gesetzentwurf mit
Augenmaß .
Herzlichen Dank .
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Ströbele das Wort .
Herr Kollege Flisek, leider haben Sie meine Frage
nicht zugelassen . Ich höre genau zu, auch wenn Sie reden, und ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie diese
grauenhafte Tat in Paris hier zur Begründung der Vorratsdatenspeicherung missbrauchen .
({0})
Herr Kollege Flisek, Sie sind genauso wie ich bestens
darüber informiert, dass die Täter dieses Anschlages der
Polizei vorher nicht nur als Gewalttäter bekannt waren,
sondern auch legitim abgehört worden sind, und dass
sämtliche Überwachungsmaßnahmen gegen sie angewandt worden sind . Der eine war lange im Gefängnis; sie
waren einschlägig vorbestraft . Das heißt, gerade das ist
ein Beispiel, warum man Vorratsdatenspeicherung nicht
braucht,
({1})
wenn man seine Pflicht tut - Kollegin Künast hat darauf
hingewiesen - und die ganz normalen Ermittlungsmaßnahmen gegen Verdächtige konsequent durchführt . Sie
sollten sich schämen,
({2})
wenn Sie dies als Argument für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung missbrauchen wollen .
({3})
Möchten Sie antworten? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Flisek .
Herr Kollege Ströbele, schämen tue ich mich gar
nicht . Wenn es nach Ihnen ginge, müssten wir uns im Untersuchungsausschuss jede Stunde schämen . Das ist nicht
meine Wortwahl; das sage ich Ihnen ganz offen .
Mein Eindruck ist - den kann ich Ihnen einmal wiedergeben -: Ich komme aus Passau . Das ist momentan in
der Flüchtlingskrise, wenn Sie so wollen - der Begriff
ist schon anderweitig verwendet -, einer der Hotspots .
Wenn ich in meinem Wahlkreis mit Bürgerinnen und
Bürgern rede, bekomme ich von sehr vielen Menschen
aus allen politischen Lagern, auch von denen, die sehr
hilfsbereit sind und die Bereitschaft haben, Menschen
aufzunehmen, momentan sehr viele Bedenken und Ängste signalisiert . Wenn Sie mir vorwerfen, ich würde unter
Verweis - das war ein sachlicher Verweis - auf eine terroristische Bedrohungslage, die vielleicht selbst Sie nicht
negieren können, diese missbrauchen, dann verkennen
Sie, glaube ich, völlig die Stimmung der Bürgerinnen
und Bürger in diesem Land .
({0})
Ich sage Ihnen: Ich kann Ihren Ansatz überhaupt nicht
teilen .
({1})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr . Patrick Sensburg, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren der Opposition, ich
kann es Ihnen nicht ersparen: Sie täuschen, Sie tarnen,
Sie blenden in Ihrer Argumentation zu diesem Gesetzentwurf . Sie schüren Ängste in unserer Bevölkerung,
({0})
indem Sie hier Inhalte und einzelne Punkte erwähnen,
aber immer wieder falsche Dinge berichten .
({1})
- Herr Kollege von Notz,
({2})
Sie können gar nicht so laut schreien, um die Dinge richtigzustellen .
({3})
Frau Künast, Sie haben eben gesagt: Man hört die Gespräche mit .
({4})
Sie haben sich dann korrigiert . Ich habe es aber wörtlich
mitgeschrieben . Ihre Formulierung war: Man hört ins
Gespräch rein .
({5})
Aber Sie wissen genau, dass man das nicht tut . Sie sagen immer wieder, dass Inhaltsdaten erhoben werden .
Der Minister hat es gerade richtiggestellt: Es werden keine Inhaltsdaten erhoben . Es werden keine E-Mails und
keine Webseiten gespeichert . Alles, was Sie behaupten,
stimmt nicht .
({6})
Der Kollege Ullrich hat es gerade ebenfalls richtiggestellt: Der Staat speichert nicht die Daten . Trotzdem
behaupten Sie immer wieder das Gegenteil . Sie führen
diese Debatte unseriös .
({7})
Sie spielen mit den Ängsten der Bürgerinnen und Bürger . Aber auch in einer politischen Debatte muss man ein
bisschen der Wahrheitspflicht nachkommen. Das gehört
dazu .
({8})
Es ist richtig: Wir müssen einen Ausgleich finden - das
ist schwierig, und die Koalition hat es sich nicht leicht
gemacht - zwischen dem notwendigen Schutzinteresse,
das die Bürgerinnen und Bürger auch dann haben, wenn
sie sich im Internet, in der digitalen Welt, bewegen - es
besteht ein grundgesetzlicher Anspruch, dass der Staat
den Schutz der Bürger gewährleistet -, und dem Schutz
der informationellen Selbstbestimmung, also der digitalen Privatsphäre, wie der Bundesminister gerade dargelegt hat. Dieser Ausgleich, diese Balance muss stattfinden. Das ist nicht leicht. Aber ich finde es ärgerlich, dass
diejenigen, die sich zu einer Seite hingezogen fühlen, lediglich mit ihren Interessen argumentieren . Die einen sagen: „Die Ermittlungsansätze stehen über allem .“ - Die
anderen sagen: „Im Internet darf gar nichts angetastet
werden“, und nehmen lieber in Kauf, dass Straftaten ungesühnt bleiben und dass Menschen geschädigt werden .
Wenn wir uns trotz dieser unterschiedlichen Positionen
nicht einigen, haben wir politisch versagt . Da haben wir
als Koalition gesagt: „Wir wollen den Gestaltungsanspruch wahrnehmen“, und haben das Spannungsfeld mithilfe eines guten und ausgleichenden Gesetzes aufgelöst .
({9})
Dass ein Spannungsfeld besteht, haben die Gerichte,
die eben zitiert wurden - das Bundesverfassungsgericht
und der Europäische Gerichtshof -, in ihren Urteilen und
Begründungen sehr dezidiert aufgezeigt . Sie haben gesagt, was durch den Gesetzgeber als erforderlich angesehen werden kann . Sie haben aber nicht gesagt, dass die
Vorratsdatenspeicherung per se unzulässig ist .
({10})
Die Gerichte, insbesondere das Bundesverfassungsgericht, haben uns als Gesetzgeber in einer Art Maßnahmenkatalog aufgezeigt, welche Voraussetzungen
gegeben sein müssen, damit Vorratsdatenspeicherung
rechtlich - sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich - zulässig ist . Der Minister und das Ministerium haben auf sehr kluge Art und Weise - genauso wie
wir in zweiter und dritter Lesung hier im Parlament - die
Voraussetzungen geschaffen und das Spannungsfeld zu
einem Ausgleich gebracht . Ich glaube, dass wir heute einem klugen und guten Gesetz zustimmen .
({11})
Bei vielen Fällen, auf die hingewiesen wurde - ich
kann Ihnen, Frau Kollegin Wawzyniak, sicherlich gleich
noch welche nennen, wenn es die Zeit zulässt; vielleicht
geben Sie mir die Möglichkeit, auf eine Frage zu antworten -, handelt es sich oft um erste Ermittlungsansätze,
die dazu dienen, Hintermänner bzw . weitere Beteiligte
in einem Geschehen zu finden. Immer mehr Straftaten
werden ausschließlich im Internet begangen . Bei solchen
Straftaten ermöglicht einzig die Vorratsdatenspeicherung
Ermittlungsansätze . Es kann doch nicht vom Provider
abhängen - der Kollege Ullrich hat das ebenfalls gerade
gesagt -, ob wir Straftaten ermitteln können . Frau Kollegin Wawzyniak, Sie haben in Ihrer Rede durchaus etwas
Richtiges gesagt . Sie haben gesagt: Schon jetzt können
Telekommunikationsanbieter Daten speichern .
({12})
Das tun sie auch . Aber sie machen das in einer großen
Bandbreite . Manche speichern die Daten für statistische
Zwecke sehr lange . Andere Anbieter speichern die DaDr. Patrick Sensburg
ten nur sehr kurz, weil sie sie nicht mehr brauchen . Um
dies zu vereinheitlichen und um für Klarheit zu sorgen,
schaffen wir ein Gesetz, das man eigentlich Gesetz zur
Bekämpfung der Kriminalität im Internet nennen müsste;
denn darum geht es bei diesem Gesetz .
({13})
Frau Künast, auch Ihren Vorschlag muss ich unter das
Motto „Tarnen, täuschen, blenden“ stellen, Stichwort
„Quick Freeze“ . Ihnen muss doch klar sein - wir hatten
die Debatte in der letzten Legislaturperiode -, dass man
nur etwas „freezen“ kann, wenn man es vorher gespeichert hat .
({14})
Wenn Sie also sagen, Sie wollten es erst speichern, dann
sind Sie bei uns . Stimmen Sie dann einfach mit uns .
({15})
Dann können wir auch „quick freezen“ . Sie müssen sich
einmal die Praxis in den Vereinigten Staaten anschauen. Dort findet Quick Freeze statt, weil im Rahmen der
Ermittlungsverfahren möglicherweise Daten gelöscht
werden und sie dann in einem Prozess nicht mehr eingebracht werden können . Das ist der Grund, warum in
Amerika Quick Freeze stattfindet. Daten müssen aber
erst vorliegen . Wenn Sie das wollen, dann können Sie
heute guten Gewissens diesem Gesetz zustimmen .
Eine zweite Tatsache, die zur Klarheit gesagt werden
muss: Wir haben in diesem Gesetzentwurf eine Regelung,
die ganz deutlich besagt, dass die entsprechenden Daten
beim Teledienstanbieter, also bei dem Vertragspartner
des jeweiligen Kunden, gespeichert werden, nicht beim
Staat . Edward Snowden, den Sie immer zitieren, sagt zur
amerikanischen Praxis, die jetzt geändert worden ist nicht mehr der Staat speichert, sondern die Teledienstanbieter -: Das ist ein Fortschritt . So soll es sein . Das Gute
ist, dass nicht der Staat speichert, sondern der Vertragspartner der Teledienstanbieter . - Dann stimmen Sie doch
zu, wenn Sie die Forderungen selbst erheben . Es ist ein
guter Gesetzentwurf .
({16})
Die Fälle, die Sie hier negieren, debattieren wir jetzt
seit mehreren Jahren . Vertreter der Polizei, des Bundeskriminalamts und der Staatsanwaltschaften haben uns
immer wieder Fälle genannt - das betraf den Bereich der
Kinderpornografie, Gewaltvideos auf YouTube oder anderen Plattformen, die Anbahnung von sexuellen Handlungen mit Minderjährigen über ICQ -, in denen wir im
Grunde nur über IP-Adressen und andere Informationen
digitaler Art erfahren konnten, wer dahinter steht . Sie
können natürlich sagen: Das wollen wir nicht ermitteln . Dann führen Sie aber eben nicht den Ausgleich der unterschiedlichen Grundrechte, die im Raume stehen, herbei .
Dann schlagen Sie sich auf eine Seite, und das sollte der
Rechtsstaat nicht tun .
Ich glaube, dass wir im Ergebnis ein ausgewogenes
Gesetz geschaffen haben, das den Ansprüchen des Bundesverfassungsgerichts und auch den Forderungen des
Europäischen Gerichtshofs Rechnung trägt . Ich bitte Sie,
diesem Gesetz zuzustimmen und es ehrlich und offen zu
debattieren .
Danke schön .
({17})
Ich erteile nun das Wort dem Abgeordneten Thorsten
Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es bleibt dabei: Unser Staat sammelt keine Verkehrsdaten . Wir beschließen heute vielmehr eine klare Regelung
für Provider, wie mit anfallenden Daten umzugehen ist .
Darüber freue ich mich sehr .
Der Schutz persönlicher Daten ist uns ein hohes Gut .
Dazu gehören längst auch die Verbindungsdaten der Telefon- und Handynutzung . Diese Daten ermöglichen auch
die Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen . Gelangen sie in falsche Hände, wissen zum Beispiel
Einbrecher, wann wir zu Hause sind . Ich glaube nicht,
dass wir das möchten . Deshalb ist es dringend nötig, dass
wir heute ein Gesetz verabschieden, das den Umgang mit
diesen Verkehrsdaten regelt .
Es darf nicht sein, dass die Dauer der Speicherung
allein im Ermessen von Unternehmen liegt . Die Speicherung erfolgt völlig willkürlich, so zum Beispiel für
8 Tage oder aber für 24 Monate . Deshalb müssen wir
diese sensiblen Verkehrsdaten künftig besser schützen .
Sie sollen nur noch 10 Wochen gespeichert werden,
Standortdaten sogar nur 4 Wochen . Besonders wichtig
ist in diesem Zusammenhang, dass die Gesprächs- und
Kommunikationsinhalte nicht gespeichert werden . Dieser innerste Kern der Kommunikation unterliegt einem
besonderen Schutz . Übrigens: Bei Facebook, Google und
WhatsApp ist das anders . Dort geben wir freiwillig die
Kontrolle über unsere Daten und Kommunikationsinhalte ab . Auch hier im Plenum und auf den Zuschauerrängen
nutzt fast jeder diese Dienste . Da bin ich mir sehr sicher .
Mit der Verabschiedung des nun vorliegenden Gesetzentwurfs übernehmen wir Verantwortung für die Sicherheit unserer Daten und sorgen zugleich für die innere
Sicherheit unseres Landes; denn Freiheit und Sicherheit - das ist schon des Öfteren angeklungen - sind keine
Gegensätze . Es gibt sie nur gemeinsam . Wir stehen in
der Verantwortung, das richtige Verhältnis zu finden. Ich
denke einmal, das haben wir hier geschafft .
({0})
Indem wir der Polizei unter einem strengen Richtervorbehalt und nur bei schwersten Straftaten die Nutzung
von Verbindungsdaten ermöglichen, sorgen wir für eine
deutliche Verbesserung im Kampf unter anderem gegen
die organisierte Kriminalität, gegen Terrorismus, gegen
extremistische Straftaten von links und rechts . Dies steht
in der besten Tradition unseres Rechtsstaates . Es muss
uns möglich sein, unsere Gesetze zur Anwendung zu
bringen . Unser Staat muss auch im digitalen Zeitalter
effektiv und handlungsfähig sein . Die Nutzung der Speicherdaten ist dabei natürlich oft nur ein Strang in einem
Strauß von polizeilichen Maßnahmen . Sie sind nur eine
Möglichkeit, um Verbrechen zu bekämpfen und Kriminelle dingfest zu machen . Das möchte ich noch einmal
betonen: In einigen Fällen sind diese Daten der einzige
Weg und der einzige Ermittlungsansatz zur Aufklärung
schwerer Straftaten .
Die derzeitige unterschiedlich lange Speicherdauer
bei den einzelnen Unternehmen ist in den meisten Fällen
ein Hindernis bei der Strafverfolgung . Statistische Erhebungen des Bundeskriminalamtes machen dies deutlich .
Bislang laufen mehr als 80 Prozent der Auskunftsersuche
ins Leere . Die Daten sind gelöscht, weil es keine Speicherpflicht gibt. So wird die Aufklärung schwerer Straftaten verhindert . Täter kommen davon, und Opfer erhalten keine Gerechtigkeit . Die Aufklärung von Verbrechen
darf aber nicht von willkürlichen Unternehmensentscheidungen abhängen .
Eines werde ich zudem klar sagen - das muss deutlich
werden -: Die Auswertung von Verbindungsdaten durch
die Polizei kann Straftaten zwar zunächst möglicherweise nicht verhindern; aber sie kann helfen, Netzwerke und
Strukturen zu erkennen . Indem wir in der Lage sind, diese Zusammenhänge zu verstehen, dient diese Neuregelung eben nicht nur der Strafverfolgung, sondern auch
der Gefahrenabwehr, und sie wirkt somit präventiv .
({1})
Glauben Sie mir: Als ehemaliger Kriminalbeamter und Fahnder, der im hochkriminellen Milieu über
2 000 Festnahmen in ganz Deutschland getätigt hat, weiß
ich ganz genau, wovon ich rede . Wenn ich mit meinen
Kollegen vor Ort in Dortmund spreche, gibt es zu diesem Thema keine zwei Meinungen . Ich fordere Sie auf:
Hören Sie auf diese Experten! Vertrauen wir dem Urteil
unserer Polizistinnen und Polizisten, Staatsanwaltschaften und Gerichte!
({2})
Sie können ihre Aufgaben nämlich nur effektiv wahrnehmen, wenn sie entsprechend ausgestattet sind, nicht nur
mit Personal und Material, sondern eben auch mit Ermittlungsinstrumenten . Wenn es durch die Nutzung von
Verkehrsdaten die Möglichkeit gibt, schwere Verbrechen
aufzuklären, müssen wir unserer Polizei den Weg zur
Nutzung dieser Daten ebnen . Unsere Polizistinnen und
Polizisten stehen jeden Tag im Einsatz für unsere Sicherheit ein . Sie haben unser Vertrauen verdient, und dafür
möchte ich ihnen an dieser Stelle ganz herzlich danken .
({3})
Noch einmal: Die Nutzung der gespeicherten Verkehrsdaten wird nur dann möglich sein, wenn es sich
um schwerste Kriminalität handelt, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet ist, ein Richter darüber entschieden hat und es keinen anderen Ermittlungsansatz
gibt . Erst dann dürfen die Daten von der Polizei genutzt
werden . Zuvor aber müssen die betroffenen Personen
über den Abruf der Daten informiert werden . Passiert
das nicht, muss auch hier ein Richter die Genehmigung
erteilen .
Die Erhebung von Verkehrsdaten bestimmter Berufsgruppen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, ist
zudem unzulässig . Die Verkehrsdaten von E-Mails sind
ebenfalls ausgenommen . Im Übrigen wird auch der Handel mit gestohlenen Daten unter Strafe gestellt; der neue
Straftatbestand der Datenhehlerei schließt nun endlich
eine Strafbarkeitslücke . Eine klare gesetzliche Regelung
zur Speicherung der Daten bei den Anbietern schafft eine
verlässliche Grundlage zur Verbesserung des Datenschutzes, der Strafverfolgung und auch der Gefahrenabwehr .
Ich freue mich, dass das nun auch der Justizminister so
sieht . Vielen Dank, Herr Maas!
({4})
In 36 Monaten haben wir die Chance der Evaluierung,
und das ist gut so . Ich bin mir sicher, dass dann eines
deutlich wird: Mit der heutigen Entscheidung für eine
Speicherpflicht und eine Höchstspeicherfrist haben wir
uns für die Sicherheit und für die Freiheit entschieden .
({5})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Sie
herzlich um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und einer
Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten .
({0})
- Langsam, langsam! Es kommt noch nicht die nament-
liche Abstimmung . So weit sind wir noch nicht . Erst ein-
mal bitte sitzen bleiben . - Es liegen dazu eine Reihe von
Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6391, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5088 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Stimmzeichen . - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Dann ist er mit den Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei einigen
Gegenstimmungen und Enthaltungen aus der SPD-Frak-
1) Anlagen 2 bis 5
Thorsten Hoffmann ({1})
tion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und ge-
gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in
zweiter Beratung so angenommen worden .
Jetzt kommen wir zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Wir stimmen über den Ge-
setzentwurf auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die dafür vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen . - Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Wir
brauchen noch einen Oppositionsschriftführer auf der
rechten Seite . Herr Petzold eilt herbei . Gut . - Sind jetzt
alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall . Dann eröffne ich
die Abstimmung .
Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme
noch nicht abgegeben hat? - Wie sieht es jetzt aus? Gibt
es jetzt noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stim-
me nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall . Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen . Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben .1)
Wir sind noch bei den Abstimmungen zu Zusatzpunkt 5; das darf ich denen, die noch hier sind, sagen .
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten . Unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6391 empfiehlt
der Ausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/5171 für erledigt zu erklären . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist das bei Nichtteilnahme zahlreicher Kolleginnen und Kollegen einstimmig so beschlossen .
Zusatzpunkt 5 b . Wir setzen die Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz auf Drucksache 18/6391 fort . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/4971 mit dem Titel „Auf
Vorratsdatenspeicherung verzichten“ . Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist das mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann ({2}),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Krankenhäuser gemeinwohlorientiert und be-
darfsgerecht finanzieren
Drucksache 18/6326
1) Ergebnis Seite 12780 B
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte diejenigen, die jetzt noch andere Dinge beraten wollen, das außerhalb des Saales zu tun,
({4})
und gebe das Wort der Abgeordneten Kathrin Vogler .
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meiner Heimatstadt Emsdetten
haben in den letzten zwölf Monaten Tausende Menschen
demonstriert, sind auf die Straße gegangen für den Erhalt
ihres von Schließung bedrohten Krankenhauses . 26 000
Menschen haben eine Petition unterschrieben, und das in
einer Stadt von 36 000 Einwohnern . Der Stadtrat und die
Gesundheitskonferenz des Kreises Steinfurt haben sich
einstimmig für den Erhalt des Krankenhauses ausgesprochen . Die Reaktion aus der Landeshauptstadt Düsseldorf
ist bisher fast null . Das sorgt natürlich vor Ort für Wut,
Empörung, Frust . Ich kann diese Leute gut verstehen . Ich
finde, sie haben recht.
({0})
Was wir im Kreis Steinfurt und anderswo erleben,
ist, dass inzwischen ein zynisches Monopoly gespielt
wird; und bezahlt wird mit der Gesundheitsversorgung
der Menschen . Wir Linke lehnen es ab, dass die Gesundheitsversorgung verspielt wird . Deswegen haben wir
heute einen Antrag eingebracht, durch den die Finanzierung der Krankenhäuser wieder vom Kopf auf die Füße
gestellt werden soll .
({1})
Wir sagen: Aufgabe eines Krankenhauses ist es nicht,
Gewinn zu erzielen, sondern es ist die Aufgabe eines
Krankenhauses, die Bevölkerung zu versorgen . Das und
nur das muss das Ziel sein .
({2})
Die Krankenhausreformen der letzten 20 Jahre der
verschiedenen Bundesregierungen haben vielerorts eine
Situation geschaffen, die man wirklich nur noch als katastrophal beschreiben kann: marode Häuser, überarbeitetes Pflegepersonal, Pflege im Sekundentakt. Hier in
Deutschland muss eine Pflegefachkraft zehn Patientinnen
und Patienten betreuen, während das Verhältnis zum Beispiel bei unseren niederländischen Nachbarn gerade halb
so hoch ist . Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder,
dass in den Niederlanden die Strategien zur Bekämpfung
Vizepräsident Peter Hintze
von Krankenhauskeimen viel erfolgreicher sind; denn es
ist natürlich auch eine Frage, wie viel Zeit ich bei der Arbeit wirklich für die notwendigen Verrichtungen und Hygienemaßnahmen habe. Den Pflegekräften ist überhaupt
kein Vorwurf zu machen . Sie reißen sich tatsächlich das
Bein aus für ihre Patientinnen und Patienten und schieben Überstundenberge noch und nöcher vor sich her . So
kann es nicht weitergehen .
({3})
Ursächlich für diese Situation ist auch das System der
Fallpauschalen, das die Krankenhäuser in einen ruinösen
Wettbewerb getrieben und in den Häusern eine unglaubliche Bürokratie erzeugt hat . Man muss sich das einmal
vorstellen: In Deutschland verdienen Kodierexperten,
die wissen, wie man durch geschickte Abrechnung das
meiste Geld rausholt, mehr als eine OP-Schwester im
Nacht- und Schichtdienst . Deswegen sagen wir: Diese
Fallpauschalen, die das verursacht haben, müssen weg .
({4})
Die Krankenhäuser müssen wieder zu Einrichtungen
der Daseinsvorsorge werden, in denen Kranke gesund
werden können und in denen die Beschäftigten gute
Arbeitsbedingungen vorfinden. Das Krankenhausstrukturgesetz, über das diese Bundesregierung hier in drei
Wochen abstimmen lassen wird, wird die Probleme nicht
lösen, sondern im Gegenteil: Es wird sie verschärfen . Das
wurde ja auch in der Anhörung im Gesundheitsausschuss
deutlich, in der Ihnen die Expertinnen und Experten ganz
klar gesagt haben, dass damit mehr Krankenhäuser in die
roten Zahlen kommen werden . Dafür haben Sie sogar
einen sogenannten Strukturfonds vorgesehen, der aber
nichts anderes sein wird als eine Abwrackprämie . Das
Ziel ist allein, Krankenhäuser aus dem Markt zu nehmen,
ohne dass man dafür politische Entscheidungen treffen
muss . Ich sage Ihnen: Wenn Sie weiter auf Markt und
Wettbewerb setzen, dann werden Sie weitere Kliniken in
die Insolvenz treiben .
({5})
Die Zeche dafür zahlen dann vor allem die Menschen in
den ländlichen Regionen . Auch das ist ein Ausdruck von
Zweiklassenmedizin in diesem Land .
({6})
Wir sind uns ja alle einig: Krankenhäuser müssen
wirtschaftlich arbeiten, und sie müssen Qualität erbringen . Für diese Qualität ist aber eine ausreichende Personalausstattung notwendig, nicht die 6 000 Stellen, die Ihr
lächerliches Pflegestellenprogramm vorsieht. Viel mehr
Stellen werden gebraucht . Die Experten haben uns in
der Anhörung vorgerechnet, dass zwischen 78 000 und
100 000 Pflegestellen in diesem Land fehlen. Deshalb
fordert die Linke gesetzliche Regelungen, wie viel Pflegepersonal eingestellt werden muss .
({7})
Darüber hinaus soll die Vergütung der Krankenhäuser
künftig nach noch festzulegenden Qualitätskriterien erfolgen . Das hat aber doch den Fehler, dass Sie noch nicht
einmal wissen, was das eigentlich ist und wie das gemessen werden soll . Auch der Vorsitzende des Gemeinsamen
Bundesausschusses, der diese Qualitätskriterien festlegen soll, hat einmal gesagt, er wisse überhaupt nicht, wie
Pay for Performance gehen solle, und das habe ihm auch
noch niemand erklären wollen . Na, viel Spaß! Klar ist
auf jeden Fall: Der Dokumentationsaufwand in den Kliniken und die damit verbundene Bürokratie werden weiter ansteigen . Die Kodierexperten und die Fachanwälte
jubeln, und das Pflegepersonal wird weiter ächzen.
({8})
Ein Krankenhaus, das im Krankenhausplan steht,
muss die Mittel bekommen, die es für die Versorgung
seiner Patientinnen und Patienten braucht - nicht mehr,
aber auch nicht weniger . Die Linke ist der Auffassung:
Wer Gewinne erwirtschaften will, der soll gerne Staubsauger verkaufen, aber nicht Gesundheit; denn Gesundheit ist keine Ware .
({9})
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und
SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für
Verkehrsdaten, Drucksachen 18/5088 und 18/6391, bekannt: abgegebene Stimmen 559 . Mit Ja haben gestimmt
404, mit Nein haben gestimmt 148, 7 Kolleginnen und
Kollegen haben sich enthalten . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 559;
davon
ja: 404
nein: 148
enthalten: 7
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({2})
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({3})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Christian Hirte
Dr . Heribert Hirte
Robert Hochbaum
({4})
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({5})
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dietrich Monstadt
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({6})
Stefan Müller ({7})
Dr . Gerd Müller
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({8})
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({9})
Gabriele Schmidt ({10})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({11})
Dr . Kristina Schröder
({12})
Dr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster
({13})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({14})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({15})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({16})
Dr . Anja Weisgerber
Sabine Weiss ({17})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Heinz Wiese ({18})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Bernhard Daldrup
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Hubertus Heil ({19})
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Arno Klare
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({20})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Susanne Mittag
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({21})
Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Joachim Poß
Achim Post ({22})
Florian Pronold
Martin Rabanus
Dr . Carola Reimann
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({23})
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({24})
Marianne Schieder
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({25})
Matthias Schmidt ({26})
Dagmar Schmidt ({27})
Carsten Schneider ({28})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Dirk Wiese
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
SPD
Klaus Barthel
Lothar Binding ({29})
Marco Bülow
Dr . Daniela De Ridder
Saskia Esken
Angelika Glöckner
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Dirk Heidenblut
Gabriela Heinrich
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({30})
Frank Junge
Thomas Jurk
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Detlef Müller ({31})
Michelle Müntefering
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Florian Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Simone Raatz
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Sönke Rix
Dennis Rohde
Susann Rüthrich
Dr . Nina Scheer
Swen Schulz ({32})
Frank Schwabe
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Gabi Weber
Gülistan Yüksel
Dr . Jens Zimmermann
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({33})
Dr . Alexander S . Neu
Petra Pau
Harald Petzold ({34})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({35})
Volker Beck ({36})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({37})
Christian Kühn ({38})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({39})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Dr . Julia Verlinden
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
SPD
Helga Kühn-Mengel
Dr . Sascha Raabe
Andreas Rimkus
Udo Schiefner
Ewald Schurer
Martina Stamm-Fibich
({40})
Für die Bundesregierung erteile ich nun der Parlamentarischen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz das
Wort .
({41})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der heute Vormittag hier zur Debatte stehende Antrag der Linken - liebe Frau Vogler, daran hat
Ihre Rede nichts geändert ({0})
ist ein „Wünsch dir was“ der Sozialpolitik . Im Ergebnis
sind die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen nicht
finanzierbar;
({1})
aber sie sind vor allen Dingen und in erster Linie in
der Sache falsch . Sie sind nur kosten- und nicht qualitäts- und leistungsorientiert, sie negieren jede Form von
selbstverantwortlichem Handeln .
({2})
Sie würden damit Strukturen zementieren, die weder
dem Patienten noch den Beschäftigten noch den Beitragszahlern nutzen . Wir, die Große Koalition, wollen
mit unserem Krankenhausstrukturgesetz - der Name sagt
es auch - Krankenhausstrukturen verändern . Wir wollen
sie vor allen Dingen patientengerecht weiterentwickeln
und damit zukunftsfähig machen .
Unser Reformpaket beinhaltet entscheidende Neuregelungen zur Stärkung der Qualität der Krankenhausversorgung, zur Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung und zum bedarfsgerechten Umbau vorhandener
Krankenhauskapazitäten . Dabei spielen natürlich die
Themen „Pflegepersonal“ und „ausreichende Finanzierung des Personals in den Krankenhäusern“ eine wichtige Rolle .
({3})
Uns war stets bewusst, dass wir mit der Themenauswahl, die wir uns vorgenommen haben, ein ehrgeiziges
Reformprojekt anschieben . Die Einführung von Qualitätsvorgaben für die Krankenhausplanung oder die Einführung einer qualitätsorientierten Vergütung sind zwei
Paradebeispiele und Herausforderungen, die wir meistern wollen . Wir gehen diesen Schritt . Er ist ambitioniert,
aber wir leiten damit einen grundlegenden Strukturwandel für eine zukunftsfeste Krankenhauslandschaft ein .
({4})
Ihre Vorschläge sind im Gegensatz dazu alles andere
als zielführend . Ein pauschales Weiter-so, das heißt, undifferenziert in vorhandene Strukturen einfach nur weiter
Geld geben oder sogar bewährte Instrumente abschaffen,
ist genau der falsche Weg .
({5})
Ich teile Ihre Auffassung nicht, dass das DRG-basierte
Vergütungssystem abgeschafft werden muss . Ich kenne
im Übrigen auch kein Krankenhaus und keine Krankenhausgesellschaft, die diesen Rückwärtsgang einlegen
will . Die geforderte Wiedereinführung - das drücken Sie
explizit aus - des Selbstkostendeckungsprinzips wäre ein
total falsches Signal . Solche Vorschläge sind ein Rückschritt in die Krankenhausfinanzierung des letzten Jahrhunderts. Aber da befinden Sie sich mit vielen Vorschlägen Ihrer Fraktion .
({6})
Ich kann nur sagen: Die Einführung des Fallpauschalensystems als ein leistungsorientiertes Entgeltsystem
war richtig . Es gehört nicht abgeschafft, sondern es sollte
klug weiterentwickelt werden . Das ist unsere Aufgabe .
Die Wiedereinführung des Selbstkostendeckungsprinzips würde die Vergütung nicht in die Krankenhäuser
lenken, in denen ein hoher Behandlungsaufwand anfällt,
sondern dorthin, wo hohe Kosten entstehen . Da spielt es
keine Rolle, ob sie durch Unwirtschaftlichkeit entstanden
sind . Das kann doch nicht richtig sein .
Ich möchte zu Ihrem Antrag zwei Dinge anmerken .
Erstens . Ich glaube, gute Krankenhausversorgung und
Wettbewerb schließen sich nicht aus . Nein, sie vertragen
sich sogar . Ich habe keine Hinweise dafür, dass die Behandlungsqualität in Krankenhäusern und in Krankenhausbetrieben, die Gewinne erwirtschaften, schlechter
ist als in anderen Krankenhäusern . Im Gegenteil: Das
Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung
kommt in seinen Krankenhausratingreporten zu dem Ergebnis, dass Qualität, Patientenzufriedenheit und Wirtschaftlichkeit vielfach sogar Hand in Hand gehen .
({7})
Sie, die Gegner des Wettbewerbs, müssen sich schon
einmal fragen lassen: Sollen sich unsere Krankenhäuser
oder die Konkurrenz dem Wettbewerb um gute Versorgungsqualität und effiziente Versorgungsstrukturen stellen oder sich davor verstecken? Warum sollen wir nicht
zum Wohle der Patienten und der Solidargemeinschaft
die Grundlagen dafür schaffen, dass die Krankenhäuser
in Sachen Qualität und Effizienz auch vorhandene Potenziale heben?
Zweitens . An dieser Stelle möchte ich der Behauptung
vehement entgegentreten, unser Krankenhausstrukturgesetz ändere an der Not der Krankenhäuser nichts . Sie
schreiben das in Ihrem Antrag . Ihre Formulierung lässt
klar vermuten, dass Sie die vereinbarten Veränderungen
an unserem Gesetzentwurf zumindest nicht wahrgenommen haben . Am 2 . Oktober haben sich Bund und Länder
darauf verständigt . Tatsache ist einfach: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat ein Änderungspaket vereinbart,
das den Krankenhäusern im Vergleich zum ursprünglichen Gesetzentwurf nochmals Mehreinnahmen von
jährlich circa 800 Millionen Euro bringen wird, ab dem
Jahr 2018 insgesamt jährlich bis zu 2,2 Milliarden Euro,
ab 2020 bis zu 4 Milliarden Euro Mehreinnahmen .
Dieses Paket umfasst zum Beispiel die Einführung
eines Pflegezuschlags mit einem Volumen von 500 Millionen Euro als Ersatz für den wegfallenden Versorgungszuschlag . Wir schaffen mit diesem Instrument neben dem
Pflegestellensonderprogramm einen finanziellen Anreiz,
vor allen Dingen auch einen systematischen Anreiz, in
Zukunft Pflegestellen nicht wieder abzubauen.
Ich erinnere an die Regelungen zum Fixkostendegressionsabschlag, dessen Ansatz wir von fünf auf drei Jahre
verkürzen, und insbesondere daran, dass wir tarifbedingte Kostensteigerungen über der Obergrenze in Zukunft
hälftig refinanzieren. Das sind nachhaltige Instrumente
zur Refinanzierung von Personalkostensteigerungen. Sie
wirken in den Krankenhäusern genau dort, wo sie gebraucht werden .
({8})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir verbessern die Vergütung der Notfallversorgung, sowohl hinsichtlich der Höhe als auch hinsichtlich der Zuständigkeit
für die Vergütung . Wir schaffen den Investitionskostenabschlag vollständig ab . Auch über den Strukturfonds,
über den wir Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung für die Finanzierung von Investitionen bereitstellen, erleichtern wir vielen Ländern den Zugang zu entsprechenden Umstrukturierungsmaßnahmen . Auch das
ist ein wichtiger Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unserer
Krankenhauslandschaft .
({9})
Auch hinsichtlich der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsstrom geben wir Antworten, nämlich dahin gehend, dass
die Mittel, die die Krankenhäuser für die Erbringung von
Leistungen für Asylbewerber erhalten, nicht durch Mehrerlösausgleiche und Mehrleistungsabschläge gekürzt
werden .
Schließlich erreichen wir auch dadurch eine wichtige Verbesserung für die Patientinnen und Patienten, dass
wir das Hygieneförderprogramm um drei Jahre verlängern und ausweiten . Damit leisten wir einen enormen
Beitrag zu mehr Qualität und Sicherheit in unseren Krankenhäusern .
({10})
Bund und Länder haben mit diesem Paket auf die Kritik und die Anregungen unserer Krankenhäuser reagiert .
Wir ermöglichen den Krankenhäusern, ihre Entwicklung
am Bedarf und an der Qualität zu orientieren, und sichern
ihnen damit eine solide Finanzierungsbasis . Das sehen
die Krankenhäuser im Übrigen auch so . Man muss ja nur
in die Zeitungen schauen und die Erklärungen zur Kenntnis nehmen .
({11})
Wie man an dieser Stelle überhaupt zu einer anderen Einschätzung kommen kann, wie Sie es heute getan haben,
ist mir unverständlich .
Ich kann Ihnen von der Linken nur sagen: Nutzen Sie
doch jetzt die Chancen in den Bundesländern, in denen
Sie mitregieren! Machen Sie die Landesregierungen von
Thüringen und Brandenburg darauf aufmerksam, welche
Verantwortung sie jetzt wahrnehmen können und welche
Unterstützung durch die gesetzliche Krankenversicherung man an dieser Stelle erhalten kann!
({12})
Ich bin mir sicher, dass wir mit der Krankenhausreform, die wir in der nächsten Sitzungswoche hier zu einem parlamentarischen Abschluss bringen wollen, das
Interesse der Patienten an einer qualitativ hochwertigen
Krankenhausversorgung auf der einen Seite und das Interesse der Krankenhäuser an einer auskömmlichen Finanzierungsgrundlage auf der anderen Seite zu einem guten
und angemessenen Ausgleich bringen werden . Das wird
dann insbesondere im Bereich der pflegerischen Patientenversorgung bemerkbar sein .
Herzlichen Dank .
({13})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr . Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, guten Morgen! Herr
Präsident! Es gibt sicher gute Gründe, sich ausgedehnt
über die Krankenhäuser in unserem Lande zu unterhalten . Ich hoffe, dass der heutige Tagesordnungspunkt
nicht der Anlass dafür ist, dass die Große Koalition dann,
wenn die Verabschiedung des Krankenhausstrukturgesetzes ansteht, nur 45 Minuten Debattenzeit vorsieht . Eigentlich müssten wir da länger debattieren .
({0})
Zurück zu den guten Gründen . Woher kommen die
denn? Sie kommen - das wird im Antrag der Linken
auch beschrieben - daher, dass insbesondere an der Basis
Unmut herrscht: Unmut über Arbeitsverdichtung, Unmut
über Ökonomisierung - eine Frage, der wir uns sicherlich noch einmal stellen müssen, weil Ökonomisierung
natürlich im Widerspruch zum Anspruch von Gesundheitsberufen steht, weil hier nach Indikationen gearbeitet wird - und auch Unmut darüber, dass trotz der vielen
Anstrengungen, die in den Krankenhäusern unternommen werden, am Ende trotzdem rote Zahlen geschrieben
werden .
Man muss sich mit den Argumenten und Forderungen
der Linken auseinandersetzen .
({1})
Das möchte ich anhand einiger Punkte machen .
In der Beschreibung Ihres Antrags ist sehr viel von § 8
des Krankenhausfinanzierungsgesetzes die Rede und von
höchstrichterlichen Entscheidungen aus dem Jahr 1997,
bei denen es um Pflegesätze usw. ging. Das ist für mich
ein Anlass, darauf hinzuweisen, dass das zu verabschiedende Krankenhausstrukturgesetz gerade unter diesem
Gesichtspunkt überprüft werden muss . Denn wir haben
die Situation, dass das Krankenhausfinanzierungsgesetz
uns manchmal daran hindert, Versorgungsstrukturen zu
modernisieren . Man kann zwar Krankenhäuser aufnehmen . Aber wenn aus der Planung hervorgeht, dass sie
eigentlich geschlossen werden müssten, dann ist es sehr
schwer, sie wieder loszuwerden . Das ist ein Problem, und
ich weise darauf hin, dass wir es lösen müssen .
Zu den Punkten im Einzelnen . Sie haben unter Punkt 1
darauf abgehoben, dass eine sektorenübergreifende, am
Gemeinwohl orientierte Krankenhausplanung notwendig
ist . Wir haben in einem früheren Antrag ausgeführt, dass
es eine Weiterentwicklung hin zu einer umfassenden Versorgungsplanung geben muss, von der die Krankenhausplanung dann ein Teil ist . Es kann aber nicht sein, dass
die Krankenhausplanung selbst die sektorenübergreifende Versorgungsplanung beinhaltet; deswegen heißt sie ja
auch Krankenhausplanung .
Die Krankenhausplanung muss auf wissenschaftlich
fundierten Ergebnissen beruhen, was die Bedarfe in den
Regionen betrifft . Da ist es mir viel zu unscharf, zu sagen: Man muss die Gesellschaft allgemein daran beteiligen . Vielmehr muss es ganz klare Aussagen dazu geben,
worauf sich eine solche weiterentwickelte Versorgungsplanung bezieht .
({2})
Ich komme zu Punkt 2 . Hier ist von Gemeinwohlorientierung die Rede . Ich persönlich benutze viel lieber
den schärferen Begriff und sage: Die Krankenhäuser gehören zur Daseinsvorsorge . Denn das hat auch Folgen
für die Finanzierungsentscheidungen, die man trifft . Gemeinwohlorientiert - das ist zwar ein emotional schöner
Begriff, aber er ist etwas zu unklar . Das täuscht nicht darüber hinweg, dass wir uns als Gesetzgeber darüber Gedanken machen müssen, ob es eigentlich richtig ist, dass
solidarisch aufgebrachte Mittel, die in die Krankenhäuser
fließen, von Krankenhauskonzernen zur Profiterzielung
sozusagen herausgelöst werden können .
({3})
Wir erleben häufig, dass auch die Kommunen gerne
handgreiflich am Budget des Krankenhauses werden,
um damit etwas ganz anderes zu finanzieren. Das sind
Gelder, die von den Versicherten - das gilt im Übrigen
für alle Versicherten, sogar für die Privatversicherten zur Gesundheitsversorgung aufgebracht werden . Dass
die dann für etwas ganz anderes ausgesteuert werden, ist
nicht in Ordnung . Darüber müssen wir uns unterhalten .
({4})
Nichtsdestotrotz ist der Vorschlag, wieder zum Selbstkostendeckungsprinzip überzugehen, ein Griff ins JenParl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz
seits . Denn, machen wir uns doch nichts vor - wer sich
daran erinnert, weiß dies -: Das Selbstkostendeckungsprinzip war ein ineffizientes und auch kostentreibendes
System . Es werden auch Individualbudgets für Kliniken
gefordert . Das hatten wir gerade in der Diskussion über
Landesbasisfallwerte und die Konvergenz bei Basisfallwerten, die die Vergleichbarkeit in den Regionen ermöglicht, abgeräumt, und das auch zu Recht .
({5})
Zu Punkt 3. Ohne Zweifel liegt ein Pflegenotstand
vor . Wir als Gesetzgeber haben zu gewährleisten, dass
ausreichend Geld für Pflege einkalkuliert wird und dass
das einkalkulierte Geld auch in der Pflege ankommt. Zunächst einmal sind wir dafür verantwortlich .
({6})
Klar ist auch, dass man sich über Regelungen hinsichtlich der Personalbemessung Gedanken machen
muss . Wenn ich in dem Antrag lese, dass „eine bundesgesetzliche, für sämtliche Krankenhäuser verbindliche
Personalbemessung“ eingeführt werden soll, dann weiß
ich nicht, was das bedeuten soll .
({7})
Sollen wir als Gesetzgeber in Berlin festlegen, ob Ueckermünde soundso viele Pflegekräfte oder soundso viele Pflegekräfte hat? Wir haben nur dafür zu sorgen, dass
ausreichend Geld einkalkuliert wird und dieses Geld in
der Pflege ankommt. Ansonsten muss man den Krankenhäusern eine gewisse Freiheit zugestehen .
({8})
Zu Punkt 4. Ich glaube, zur Investitionsfinanzierung
haben wir Bündnisgrüne genug gesagt . Ich glaube nicht,
dass wir die Investitionen aus Bundessteuergeldern finanzieren werden . Es gibt andere gute Vorschläge, wie
man das regeln kann .
Fazit: Der Antrag hat den Charakter eines Entschließungsantrags, der nachgeliefert wird . Ich hätte mir gewünscht, dass so etwas in der Anhörung mitbetrachtet
worden wäre . Ich glaube, dass damit zumindest teilweise
ein deutlicher Griff ins Jenseits getan worden ist .
Danke .
({9})
Vielen Dank, Harald Terpe . - Schönen guten Morgen,
liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen schönen guten
Morgen auch unseren Gästen auf der Tribüne!
Der nächste Redner in der Debatte: Dr . Edgar Franke
für die SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe in der Sommerpause über 30 Krankenhäuser
besucht, die mich als Ausschussvorsitzenden eingeladen
haben . Ich habe mich viel mit Klinikpersonal unterhalten, ich habe mit Verdi-Vertretern diskutiert, vor allen
Dingen mit Landräten, Oberbürgermeistern und Krankenhausdirektoren .
Nicht jede Podiumsdiskussion war vergnügungssteuerpflichtig; das muss ich sagen. Viele haben wider
besseres Wissen einiges behauptet . Vor allen Dingen
wurde behauptet, wir hätten im Krankenhausbereich gespart . Das Gegenteil ist richtig: Wir haben von 2007 bis
2012 20 Prozent mehr ausgegeben . Wir haben 15 Milliarden Euro mehr ausgegeben . Wir sind jetzt bei 70 Milliarden Euro . Das ist schon eine beträchtliche Summe .
Im Krankenhausbereich ist also gerade vom Bund nicht
gespart worden .
({0})
Liebe Linken, wir werden in Zukunft nicht weniger,
sondern mehr Geld ausgeben . Wir werden es nur strukturiert ausgeben, für eine sinnvolle und moderne Versorgungsstruktur; denn wir haben in einigen Krankenhäusern noch Strukturen der 70er-Jahre . Wir brauchen aber
Spezialisierungen . Wir haben Behandlungsteams im
Bereich Onkologie, und es werden kardiologische Interventionen durchgeführt . Das eine oder andere Krankenhaus auf Kreisebene kann inzwischen zwar Herzkatheter
legen; aber ich glaube, in diesen Bereichen müssen wir
die Qualität verbessern und für Spezialisierungen sorgen .
Das ist das Thema, dem wir uns widmen sollten, und wir
sollten nicht Geld mit der Gießkanne ausgeben .
({1})
Im internationalen Vergleich haben wir - auch das
muss man ehrlich sagen - eher zu viele als zu wenig Betten . Deswegen ist eine grundlegende Krankenhausreform
wichtig . Wir - die Frau Staatssekretärin hat es schon erwähnt - wollen zwei Themen auf die politische Agenda
setzen: Qualität und verbesserte Personalausstattung .
Bei den Krankenhäusern gibt es eine Abstimmung
mit den Füßen: Wo gehen die Leute hin? Sie gehen in
die Krankenhäuser, die Qualität bieten . Sie gehen in die
Krankenhäuser, in denen Qualitätsberichte die hohe Qualität dokumentieren und in denen sie erfahrungsgemäß
gut betreut werden . Daran kann kein Beschluss etwas
ändern . Deswegen ist die Qualität der Maßstab unserer
Politik, und so muss das auch sein, liebe Freundinnen
und Freunde .
({2})
Es kann sein, dass in Ballungszentren ein Krankenhaus entbehrlich ist, weil die Qualität nicht stimmt oder
weil es zu viele gibt. Dann ist es vernünftig, finanzielle
Anreize zu setzen, damit das Krankenhaus zum Beispiel
in eine geriatrische Einrichtung oder ein Hospiz umgewandelt wird. Dafür finanzielle Mittel zur Verfügung zu
stellen, ist genau richtig . Das ist der richtige Weg und
Ausdruck einer zukunftsorientierten Politik; das muss
ich sagen .
({3})
Ich sage Ihnen auch: Zielgerichtete Ausgaben, strukturierte Ausgaben sind viel vernünftiger, weil wir damit
etwas bewirken, weil wir dann eine Politik in die richtige
Richtung machen . Wenn wir Qualität, eine ausreichende
Anzahl von Leistungen und Erfahrungen zum Maßstab
nehmen, ist auch das wichtig, weil dann nämlich das Patientenwohl und eben nicht das Geldausgeben im Vordergrund steht .
Gleichzeitig brauchen wir neben Qualität aber auch
Versorgungssicherheit . Wir haben viele Krankenhäuser
im ländlichen Bereich - ich komme aus Nordhessen -,
die eben nicht die nötigen Fallzahlen und die entsprechende Größe haben . Genauso ist es in Bayern . Ich
war bei der Kollegin Bärbel Kofler, die da hinten sitzt,
in Südostbayern . Dort gibt es in der Fläche natürlich
Krankenhäuser, die nicht die Quantität haben, die aber
für die Versorgung wichtig sind, weil auch ambulant tätige Ärzte aus der Fläche gehen . Diesen Krankenhäusern
müssen wir helfen . Dafür gibt es auch ein vernünftiges
Instrument: Diesen Krankenhäusern geben wir mit Sicherstellungszuschlägen finanzielle Anreize, weil sie
einfach nicht so hohe Einnahmen erwirtschaften können
wie andere Krankenhäuser, die ganz andere Fallzahlen
haben . Auch das ist ein richtiger Weg, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
({4})
Sie schreiben in Ihrem Antrag von Länderfinanzierung
und DRGs. Zunächst ist es so: Dass wir eine Unterfinanzierung und ökonomischen Druck haben, liegt vielleicht
weniger an den DRGs als vielmehr daran, dass wir aus
den Betriebsausgaben Investitionen erwirtschaften müssen .
({5})
Das ist der eigentliche Grund für die Unterfinanzierung.
Das ist aber kein struktureller Grund . Herr Terpe hat ja
so schön gesagt, das Selbstkostendeckungsprinzip sei ein
Griff ins Jenseits . Es reicht nicht, wenn wir jetzt vollkommen überholte Rezepte recyceln, sondern wir müssen moderne Strukturen schaffen, damit sich die Versorgung aus Sicht der Patienten verbessert . Wir dürfen aber
nicht in die sozialistische Mottenkiste greifen, meine
sehr verehrten Damen und Herren .
({6})
Das Problem der dualen Finanzierung werden wir
nicht lösen; denn wir haben gar keinen Durchgriff . Wir
haben, sehr verehrte Frau Vogler, gar keinen Durchgriff
auf die Länder, weil wir im Föderalismus leben . Das kann
auch die Große Koalition nicht ohne Weiteres machen;
das geht eben nicht . Aber man muss auch festhalten, dass
sich die Länder in dem Bund-Länder-Papier ausdrücklich
verpflichtet haben, ihrer Investitionspflicht in stärkerem
Maße gerecht zu werden . Auch das ist ein Weg in die
richtige Richtung .
({7})
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Punkt,
der mir und vielen in der Koalition am Herzen liegt, ansprechen: die Verbesserung der Personalsituation in den
Krankenhäusern. Eine Pflegekraft in Deutschland - da
haben Sie recht - muss mehr als doppelt so viele Patienten betreuen wie eine Pflegekraft in den skandinavischen
Ländern oder in den Niederlanden . Da ist Ihre Analyse
richtig. Wir alle wissen, dass die Arbeit der Pflegekräfte
eine höhere Wertschätzung verdient .
({8})
Deswegen werden wir vier Maßnahmen durchführen:
Wir werden nicht nur das Pflegestellenförderprogramm
mit 6 000 bis 7 000 zusätzlichen Pflegestellen auf den
Weg bringen, wir werden nicht nur eine Expertenkommission einsetzen, um den Pflegebedarf besser abzubilden - sei es durch Personalbemessung, sei es in den
DRGs -, sondern wir werden auch die steigenden Kosten
infolge von Tarifabschlüssen, die die Obergrenze überschreiten, hälftig refinanzieren. Wir werden schließlich
den sogenannten Versorgungszuschlag in einen Pflegezuschlag umwandeln . Das wird für die Krankenhäuser
500 Millionen Euro zusätzlich bringen . Ich glaube, das
ist ein riesiger Fortschritt im Hinblick auf die strukturelle Situation der Krankenhäuser bei uns in Deutschland,
meine sehr verehrten Damen und Herren .
({9})
Denken Sie an Ihre Redezeit?
Ich komme sofort zum Schluss .
So erhalten die Krankenhäuser einen finanziellen Anreiz, ein angemessenes Personalbudget vorzuhalten . Da
sie über die Mittel sogar frei verfügen können, ist sozusagen das Indiz für die Höhe des Pflegezuschlags, wie
hoch das Personalbudget ist . Das ist vernünftig, das ist
kreativ, und das ist die zielgerichtete Gesundheitspolitik
der Koalition . Denn eine solche Politik ist am Patienten
orientiert und nicht am Geldausgeben mit der Gießkanne .
Vielmehr werden die Strukturen und damit die Versorgung aus dem Blickwinkel des Versicherten verbessert .
Das ist zukunftsorientierte Politik . Das ist die Gesundheitspolitik, die maßgeblich auch von der SPD betrieben
wird .
Ich danke Ihnen .
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege . - Ich möchte Sie wirklich
bitten, die Redezeiten einzuhalten, weil wir noch einiges
auf der Tagesordnung haben .
Nächster Redner ist Lothar Riebsamen für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die Linke fordert mit ihrem Antrag eine
bedarfsgerechte Krankenhausfinanzierung. Dem könnte
man sich anschließen . Daran ist zunächst einmal nichts
falsch .
({0})
Was ist aber die Voraussetzung für eine bedarfsgerechte
Krankenhausfinanzierung? Voraussetzung ist, dass man
zunächst einmal eine objektive Krankenhausbedarfsplanung betreibt, die an Erreichbarkeit und Qualität ausgerichtet ist - das werden wir in dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz auch so verankern -, bei der aber nichts
nur deshalb so bleibt, wie es ist, weil es immer so war .
({1})
Schauen wir jetzt doch einmal nach Thüringen, in ein
Bundesland, in dem die Gesundheitspolitik voll in den
Händen der Linken liegt . Am 21 . November 2014 war
in der ÄrzteZeitung zu lesen, was im dortigen Koalitionsvertrag steht: Die Koalition gibt den Krankenhäusern
Bestandsgarantie .
({2})
Na toll! Das könnte man ja noch verstehen, wenn es in
Thüringen zu wenige Krankenhäuser und zu wenige
Krankenhausbetten gäbe . Wenn man dort hinguckt, dann
sieht man aber, dass Thüringen unter den Flächenländern
der absolute Spitzenreiter ist, wenn es um die Zahl der
Krankenhausbetten geht .
({3})
Eine Krankenhausbedarfsplanung kann nicht so funktionieren, dass man zunächst eine Bestandsgarantie gibt
und erst anschließend die Bedarfsplanung durchführt .
Ich kann Ihnen sagen: Das wäre ein Offenbarungseid bei
der Krankenhausbedarfsplanung . So wird es nicht funktionieren .
({4})
Richtig ist, dass wir in unserem Land aufgrund der
demografischen Entwicklung vor großen Herausforderungen stehen. Erfreulicherweise werden wir häufig in
Gesundheit älter . Daran haben die Krankenhäuser einen
beachtlichen Anteil . Auch der medizinisch-technische
Fortschritt ist hier eine große Herausforderung .
Weil wir immer älter werden, steigt natürlich auch
das Risiko, dass wir möglicherweise - keinem ist es zu
wünschen - an Demenz oder an Krebs erkranken, deren Behandlung sehr teuer ist . Gerade weil dies so ist,
ist es umso nötiger, bedarfsgerechte Strukturen und ein
Finanzierungssystem für die Zukunft zu schaffen, sodass
wirtschaftlich und nicht mit Methoden der Steinzeit Selbstkostenfinanzierung und all diese Dinge - gearbeitet werden kann .
({5})
Im Grunde haben wir in den Krankenhäusern vier
Grundbaustellen: Es geht um Erlöse und um Kosten hier sind wir mit dem Krankenhausentgeltgesetz gefordert -, es geht um Strukturen - hier sind die Länder mit
einer Bedarfsplanung und vor allem auch die Träger vor
Ort gefordert -, und es geht um die Investitionskostenfinanzierung .
Ich beginne mit den Kosten und mit den Erlösen . Hier
gibt es zunächst einmal ein systemimmanentes Problem,
das uns die Krankenhäuser immer wieder einmal nicht
ganz zu Unrecht vorgehalten haben, nämlich die Tarifschere . Immer dann, wenn der Tarifabschluss höher war
als die Veränderungsrate des Grundlohns, ist logischerweise ein Defizit entstanden. Über die Jahre hinweg
musste hier immer wieder einmal mit Notprogrammen
nachgesteuert werden, wie zuletzt mit dem Versorgungszuschlag .
Genau an dieser systemimmanenten Stelle werden wir
mit dem Krankenhausstrukturgesetz Abhilfe schaffen, indem die Krankenkassen zukünftig, wenn dieser Fall eintritt, 0,5 Prozentpunkte dieser Differenz übernehmen und
den entsprechenden Betrag an die Krankenhäuser bezahlen müssen . Das ist ein ganz gewaltiger Fortschritt, den
wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen . Damit kommen
wir den Krankenhäusern sehr entgegen .
({6})
Diese Lücken - ich habe es angesprochen - sind entstanden, und der Versorgungszuschlag, der ausläuft, hat
hier geholfen . Deswegen ist es richtig, ihn weiterlaufen
zu lassen. Dieser muss aber an das Pflegepersonal gebunden werden. Über das Pflegestellenförderprogramm hinaus, das ja schon im ursprünglichen Gesetzentwurf steht,
werden diese 500 Millionen Euro also an das Pflegepersonal gebunden, um die Pflegesituation in den Krankenhäusern in Deutschland zu verbessern . Früher war das
einmal der größte Budgetblock in einem Krankenhaus .
Das ist heute nicht mehr unbedingt so . Deswegen besteht
hier dieser Nachholbedarf, und ich denke, hier sind wir
auf einem absolut richtigen Weg, indem wir dies jetzt
entsprechend korrigieren .
({7})
Dann geht es um ein Thema, das über Jahre hinweg
kritisch diskutiert wurde, die doppelte Degression . Das
heißt, die Krankenhäuser, die nicht mehr Patienten versorgt haben als vereinbart, mussten für die bluten, die
diese Mehrleistungen erbracht haben . Das war ungerecht . Wir schaffen die doppelte Degression ab und helfen damit in erster Linie den kleinen Krankenhäusern,
vor allem im ländlichen Raum; das ist wichtig .
Auf der anderen Seite gleichen wir hier aber aus . Da
gab es zunächst Kritik an der Organisation . Aber auch
hier haben wir in den vergangenen Wochen im Rahmen
der Berichterstattergespräche und zusammen mit den
Vizepräsidentin Claudia Roth
Vertretern der Länder Lösungen gefunden, auf deren
Grundlage auch mit Blick auf den sogenannten Fixkostendegressionsabschlag - jeder, der dieses Wort ohne Unfall aussprechen kann, ist ein Fachmann - deutliche Verbesserungen gegenüber dem Entwurf erreicht werden .
({8})
Ein anderes Thema sind die Landesbasisfallwerte .
Wenn wir Wert auf das Prinzip „gleiches Geld für gleiche Leistung“ legen, dann ist es notwendig, an dieser
Stelle nachzujustieren und die großen Preisunterschiede
zwischen den Ländern bis zum Jahr 2021 auf ein notwendiges Maß zu korrigieren . Auch wird es uns mit dem
Gesetz gelingen, im Bereich Orientierungswert einen
sachgerechten Warenkorb für die Krankenhäuser zu definieren.
Nun zu den Strukturen . Ich habe es erwähnt: Letztlich
kommt es auf die Träger vor Ort an . Die Krankenhausbedarfsplanung ist zwar wichtig - dazu habe ich das Notwendige gesagt -, aber letztlich müssen die Träger vor
Ort sie umsetzen . Es ist für die Landräte, die Bürgermeister, die Ehrenamtlichen, Gemeinderäte und Kreisräte die
größte Herausforderung, die Entscheidung zu vertreten,
wenn eine Abteilung oder gar ein ganzes Krankenhaus
geschlossen werden soll . Selbst wenn es nur um Fusionen geht, ist das eine äußerst schwierige Diskussion .
Wir können diesen Menschen die Diskussion nicht
abnehmen; das ist so . Aber wir können sie konstruktiv
begleiten . Das machen wir mithilfe des Strukturfonds .
Ich bitte darum, diesen Punkt nicht zu unterschätzen . Ich
glaube, dass wir mit den 500 Millionen Euro aus dem
Fonds und den 500 Millionen Euro aus den Ländern, also
1 Milliarde Euro, den Kommunen - denn die sind hauptsächlich betroffen - richtig helfen können,
({9})
und zwar in der Argumentation gegenüber der Bevölkerung, aber auch, wenn es darum geht, einen Krankenhausstandort in etwas anderes, Vernünftiges umzuwandeln . Das kann die Schaffung von ambulanten Strukturen
sein, die von der Qualität her möglicherweise besser sind
als das, was bisher da war . Das kann vielleicht auch die
Verbesserung von ambulanten Notfallstrukturen sein,
etwa durch Förderung der Telemedizin; das ist ein Punkt,
den wir bereits auf der Agenda haben und der für die Zukunft äußerst wichtig sein wird . Das kann auch die Einrichtung von Hospizen sein . Mit 1 Milliarde Euro kann
man an dieser Stelle einiges anfangen . Deswegen ist dieser Strukturfonds, den wir mit diesem Gesetz schaffen,
so wichtig .
({10})
Darüber hinaus - dafür bin ich sehr dankbar - werden
zukünftig auch die gesetzlichen Krankenkassen in die
Lage versetzt, Mittel beizusteuern, um Krankenhausumwandlungen zu finanzieren oder Krankenhausanpassungen mit abzufedern . Diese Möglichkeit hat in der Vergangenheit gefehlt .
Zu fragen ist auch: Was machen wir mit noch nicht
abgeschriebenen Fördermitteln? Müssen wir diese zurückzahlen, wenn wir ein Krankenhaus schließen? Das
ist natürlich ein Unding . So kann ich gegenüber der Bevölkerung, dem Gemeinderat oder dem Kreistag nicht
argumentieren: Ich mache das Krankenhaus zu und muss
an das Land zusätzlich ein paar Millionen Euro überweisen, sozusagen als Dankeschön . - Diese Fehlsteuerung in
der Gesetzgebung werden wir ebenfalls angehen . Auch
das wird äußerst hilfreich sein, wenn es um Strukturen
vor Ort und um Krankenhausbedarfsplanung geht .
({11})
Zu den Investitionskosten noch ein Satz . Hier können
wir nicht helfen, weil wir als Bund nicht zuständig sind .
Die Länder sind für die Förderung der Investitionskosten zuständig . Hier ergeht der Appell an die Länder, ihrem Auftrag nachzukommen, die Investitionskosten zu
100 Prozent zu fördern . Mit Blick auf die Schließungen das habe ich gerade erwähnt - werden wir die Krankenkassen einbinden . Wir werden sehen, wie diese Entwicklung weitergeht . Wir werden uns sicher auch zukünftig
über Krankenhausstrukturen unterhalten .
Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen . Ich hätte gerne noch etwas zu den Notfallstrukturen gesagt; auch das
ist wichtig . Ich will aber die Geduld der Vorsitzenden
nicht überstrapazieren .
({12})
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
Ich bin sicher, dass wir in der nächsten Sitzungswoche
ein hervorragendes Gesetz für unsere Krankenhäuser
verabschieden werden .
Herzlichen Dank .
({13})
Vielen Dank, Herr Kollege . Vorsitzende ist bei Ihnen
jemand anders .
({0})
- Gut, danke schön . - Nächste Rednerin in der Debatte:
Birgit Wöllert für die Linke .
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Fresenius, der Gesundheitskonzern, der unter anderem auch mit Helios hier in
Deutschland 111 Kliniken betreibt, hat 2013 erstmals
über 1 Milliarde Euro Gewinn gemacht und möchte dieses Ergebnis bis 2017 auf mindestens 1,4 bis 1,7 Milliarden Euro erhöhen . Er verspricht Anlegern hervorragende
Gewinnaussichten . Der Zweck eines Krankenhauses ist
das aber gerade nicht . Und das ist Gegenstand unseres
Antrages .
({0})
Der Zweck eines Krankenhauses ist eben nicht die
Gewinnerzielung, sondern - da sind wir uns ja völlig einig - die Versorgung der Bevölkerung mit notwendigen
gesundheitlichen Leistungen . Diesem Zweck steht allerdings die gegenwärtige Orientierung an Markt und Wettbewerb genau entgegen . Das muss geändert werden . Ich
sage Ihnen jetzt auch, warum .
({1})
Es wird deutlich, dass sich die bisherige Politik weder für die Krankenhäuser noch für die Patientinnen und
Patienten bewährt hat . Die Krankenhäuser kommen in
immer größere Nöte . Das prägt unter anderem die jetzt
mit 151 000 Unterschriften eingegangene Verdi-Petition .
Sie macht deutlich, dass das Limit beim Personalabbau
längst überschritten ist .
({2})
Das wird - die Pflegekräfte sagen das auch - zunehmend
zur Gefahr für Patientinnen und Patienten . Zur Gefahr
für Patientinnen und Patienten wird aber auch, dass sie
sich gar nicht mehr sicher sein können, ob ausschließlich
medizinische oder nicht doch ökonomische Gründe für
die gewählte Behandlungsform ausschlaggebend sind .
Da besteht schlicht und einfach Änderungsbedarf .
({3})
Auf der Strecke bleibt dabei nämlich auch die notwendige Versorgung vor Ort . Ich gebe Ihnen ein weiteres
Beispiel: Die Kinder- und Jugendmedizin - sie kam übrigens auch in der Anhörung vor - ist sehr speziell, weil
es sich bei Kindern nicht um kleine Erwachsene handelt,
sondern es muss die ganze Familie ins Auge gefasst
werden . Das erfordert einen besonderen Aufwand . Dieser Aufwand wird aber durch die Fallpauschalen gerade
nicht abgebildet . Dafür ist bisher nichts vorgesehen . Deshalb wird in großen Kliniken oftmals quersubventioniert .
Je weiter man ins Land hinein kommt, umso geringer ist
diese Möglichkeit; denn das geht dem Krankenhaus vom
Gesamtgewinn ab . Das wollen viele nicht mehr tragen .
Deshalb werden in der Fläche Abteilungen zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen geschlossen . Das
muss beendet werden .
({4})
Ob ein Krankenhaus nämlich Gewinne oder Verluste
macht, hat nichts mit der Bedarfsnotwendigkeit zu tun .
Es darf auch kein Grund für die Schließung von Abteilungen sein . Da bin ich durchaus bei unserem Vorsitzenden Dr . Franke . Ich sage nur: Versorgungsqualität und
Erreichbarkeit müssen zusammengehen; denn das gehört
auch zusammen. Es muss dann auch gemeinsam finanziert werden .
({5})
Dabei muss Folgendes gewährleistet werden:
Erstens . Die Krankenhausplanung der Länder muss
sektorenübergreifend und transparent unter Einbeziehung der Gesamtgesellschaft erfolgen . Herr Terpe, wir
hatten ja auch ein Versorgungsstärkungsgesetz behandelt . Dazu hatten wir einen Antrag zur Bedarfsplanung
vorgelegt . In ihm war all das, was Sie hier benannt haben,
genau beschrieben worden . Wir haben deshalb gedacht,
dass Sie alle ein so gutes Gedächtnis haben, dass wir das
hier nicht noch einmal machen müssen .
({6})
Zweitens . Betrieb und Finanzierung der Krankenhäuser sind am Gemeinwohl auszurichten . Dazu höre ich
eigentlich immer großes Einverständnis . Ich habe gar
nicht gedacht, dass es da irgendwelche Meinungsunterschiede zwischen uns gibt . Eine Kapitalrendite bzw . ein
gewinnorientierter Betrieb müssen ausgeschlossen werden . Übrigens sagen das leitende Krankenhausärzte und
Krankenhausdirektoren selber . Auch das macht ihnen
nämlich das Leben schwer .
({7})
Drittens . Es soll schnellstmöglich eine gesetzliche,
für alle Krankenhäuser verbindliche Personalbemessung
eingeführt werden . Das ist übrigens Gegenstand der Petition von Verdi . Das heißt, dass wir es spätestens in der
öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses auf der Tagesordnung haben werden . Wir können es uns dann - das
gilt auch für Sie - von den Betroffenen selbst erklären
lassen .
Viertens. Wir fordern eine Anschubfinanzierung des
Bundes, damit die Mehraufwendungen für die Beseitigung des Investitionsstaus bei den Ländern aufgebracht
werden können . Dies ist übrigens vorrangig in den alten
Bundesländern notwendig; denn in die neuen Bundesländer ist bereits wirklich viel Geld gegeben worden, mit
dem sie ihren Investitionsstau abbauen konnten . Deshalb
wollen wir diese Anschubfinanzierung.
Vielleicht denken Sie ja einmal darüber nach, und wir
finden gemeinsam noch bessere Lösungen, als in unserem Antrag stehen .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank, Birgit Wöllert . - Nächste Rednerin:
Marina Kermer für die SPD .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Rängen und an den Bildschirmen! In drei Wochen werden
wir das Krankenhausstrukturgesetz verabschieden . Damit sichern wir den Erhalt unserer guten Krankenhausversorgung für die Zukunft . In intensiven Beratungen mit
den Bundesländern haben wir die entscheidenden Weichen für die erfolgreiche Weiterentwicklung der bedarfsBirgit Wöllert
gerechten, patientenorientierten und qualitativ hochwertigen stationären Versorgung gestellt .
Wir legen einen Gesetzentwurf zur Abstimmung vor,
der von einer breiten Mehrheit getragen wird: von den
Ländern, den Regierungsfraktionen des Bundestages bis
hin zu den Krankenhäusern und Gewerkschaften . Für uns
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren und
sind zwei Punkte des Krankenhausstrukturgesetzes von
herausragender Bedeutung . Beide werden wir umsetzen:
erstens die Stärkung von Qualität und Transparenz für
die Patientinnen und Patienten und zweitens Verbesserungen für die Pflegekräfte in den Krankenhäusern als
Voraussetzung für mehr Qualität .
({0})
Das ist auch dringend nötig . Denn die Personaldecke
in vielen Krankenhäusern ist zu dünn. Die Pflegerinnen
und Pfleger sind an ihrer Belastungsgrenze. Wir wollen
und werden Pflege am Bett sichern. Es muss mehr Pflegepersonal eingestellt werden . Dazu können die Kliniken
660 Millionen Euro im Rahmen des Pflegestellenförderprogramms abrufen. Weil schon die geringe Kofinanzierung für manche Kliniken nicht realisierbar ist, werden
wir ab 2017 jährlich 500 Millionen Euro zusätzlich bereitstellen . Hier möchte ich unserem Koalitionspartner
dafür danken, dass Sie unsere guten Argumente und den
vorgeschlagenen Pflegezuschlag mittragen. Vielen Dank.
({1})
Die Kliniken, die bereits auf gute Personalausstattung in der Pflege gesetzt haben, werden gestärkt, aber
auch jene, die dies bisher nicht getan haben . Sie erhalten gemessen an ihrer Personalausstattung einen geringeren Anteil . Damit können sie ihre Personalausstattung
verbessern, um im Folgejahr einen anteilig höheren Zuschlag zu erhalten .
Wenn ein Krankenhaus seine Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter anständig bezahlt, darf es nicht auf den Kosten sitzen bleiben . Dafür wird es Mittel zum Ausgleich
von Tariflohnanpassungen geben. Gute Bezahlung wird
zukünftig nicht nur für Arbeitnehmer von Interesse sein .
Der Fachkräftemangel führt dazu, dass sich die Menschen ihren Arbeitsplatz aussuchen können . Sie werden
sich für Kliniken mit guten Arbeitsbedingungen und mit
fairen Gehältern entscheiden .
Pflege sichern heißt auch, langfristig mehr Menschen
für den Pflegeberuf zu gewinnen. Das kann nur mit einem guten Image und besseren Bedingungen in der Pflege gelingen . Dazu geben wir jetzt den Krankenhäusern
die Mittel an die Hand. Heute heißt Pflege oft Hetzen von
Bett zu Bett statt Fürsorge . Viele arbeiten in Teilzeit, weil
sie die Belastung nicht aushalten . Weil die Belastungen
hoch sind, steigen die Krankheitsausfälle . Man springt
ein, die Zahl der Überstunden explodiert, die Zeit der Erholungsphasen sinkt, es kommt zu noch mehr Ausfällen .
Also muss die Belastung auf mehr Personal verteilt werden. Viele Pflegerinnen und Pfleger würden dann in die
Vollzeitbeschäftigung zurückkehren oder für den Beruf
neu gewonnen werden können . Wenn mehr Personal zur
Verfügung steht, kann man auch für besonders sensible
Bereiche wie Intensivstation oder die Nachtbetreuung
über Personalbemessung nachdenken, aber so, dass dabei
in den Kliniken bedarfsorientiert und flexibel gehandelt
werden kann .
Im Gegensatz dazu steht der Antrag der heutigen Debatte, der zwar Personalbemessungen fordert, aber nicht
erklärt, wie, wo und wann. Woher soll das Pflegepersonal
kommen, Frau Vogler? Keine Angaben . Wofür soll es einen Pflegeschlüssel geben? Für alle Stationen im Krankenhaus oder nicht? Keine Angaben .
({2})
Sucht man im Antrag nach Umsetzungsstrategien für die
vielen Forderungen und Handlungsfelder, findet man
keine Angaben. Die Frage, wie das alles finanziert werden soll, wird nicht gestellt . Aus Bundesmitteln, das ist
klar, aber mehr erfahren wir nicht .
Wir geben den Krankenhäusern und den Ländern mit
dem Krankenhausstrukturgesetz mehr Geld, aber kontrolliert und gezielt . Die Krankenhäuser müssen mit
angemessener Bezahlung und guten Arbeitsbedingungen für das Geld sowie mit qualitativ guter Versorgung
geradestehen . Das ist der Unterschied zwischen verantwortlichem Regierungshandeln und willkürlicher Flickschusterei .
Wir geben mit dem Pflegestellenförderprogramm
Geld zweckgebunden für die Pflege am Bett. Die Zuwendung aus dem Pflegezuschlag richtet sich nach dem Anteil, den das Krankenhaus für Pflegepersonal aufwendet.
Der Strukturfonds unterstützt bei regional erforderlichen
Strukturreformen . Eine Expertenkommission wird langfristig dafür sorgen, dass der Pflegeaufwand besser in der
Abrechnung abgebildet wird .
({3})
Wir sorgen für mehr und besser bezahltes Personal . Das
kommt uns allen zugute . Das ist gemeinwohlorientiert .
Sie wollen das Geld mit der Gießkanne verteilen; es würde versickern . Das könnten wir uns wahrscheinlich auch
gar nicht leisten .
Wir starten eine Qualitätsoffensive, um den wachsenden Ansprüchen auch zukünftig gerecht zu werden .
Die Partner der Selbstverwaltung beim G-BA tragen hier
besondere Verantwortung; denn sie werden Qualität definieren und geeignete Kriterien für eine vergleichbare
Qualitätsmessung erarbeiten . Man soll sich gut informieren können . Wir wollen Transparenz, damit man entscheiden kann, für welches Krankenhaus man Vertrauen
empfindet.
Ich komme zum Schluss . Das Krankenhausstrukturgesetz ist ein Gesetz im Interesse der Patientinnen und
Patienten sowie der Pflegerinnen und Pfleger. Es ist ein
Gesetz, das unser Gesundheitssystem zukunftsfähig und
zukunftsfest gestaltet . Deshalb werde ich gegen den vorliegenden Antrag stimmen .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Kermer . - Nächste Rednerin in der Debatte: Maria Klein-Schmeink von Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Der Antrag der Linken wirft durchaus
richtige Fragen auf . Auch die Ansprüche, die formuliert
werden, sind nicht von der Hand zu weisen . Natürlich
muss es darum gehen, die Gemeinwohlorientierung gerade in der Krankenhausversorgung sicherzustellen . Natürlich muss es bedarfsgerecht sein, und natürlich müssen
wir uns endlich der Situation der Pflege in den Krankenhäusern stellen . Das kann man, glaube ich, sogar für alle
Beteiligten in diesem Parlament sagen .
({0})
Aber die Antworten, die im Antrag nahegelegt werden, sind in sich weder schlüssig, noch sind es nach vorne
gerichtete Vorschläge . Man muss ehrlich sagen: Es wäre,
wenn man schon so einen Antrag stellt, gut gewesen, ihn
so zu stellen, dass er auch Gegenstand von Anhörungen
werden kann, damit man etwaige Vorschläge aufnehmen
und mit den Praktikern reflektieren kann. Das ist jetzt leider nicht geschehen .
Bei den Problemen, die Sie angesprochen haben, geht
es letztendlich nicht um das Verhältnis von privaten Kliniken zu öffentlich-rechtlichen oder freigemeinnützigen
Kliniken und um die Gewinnentnahme . Vielmehr müssen
wir schauen, wie es um die Situation der kommunalen
Krankenhäuser bestellt ist; denn diese weisen in großem
Stil Probleme auf . Wenn Sie sehen, welche öffentlichen
Krankenhäuser in private umgewandelt werden, dann
stellen Sie fest, dass es sich in der Regel um kommunale
Krankenhäuser handelt . Hier müssen wir uns Fragen stellen . Eine wichtige Frage ist, warum das Krankenhausfinanzierungsgesetz einen Extrapassus zum Schutz der
freigemeinnützigen und privaten Krankenhäuser, aber
nicht einen zum Schutz der kommunalen Krankenhäuser
enthält . Da sollten wir noch einmal genau hinschauen .
Das wäre eine Grundsatzdebatte wert .
({1})
Nun zur Koalition . Die Koalition hat in der Tat mit
diesem großen Paket einige wichtige, längst überfällige
Probleme zwar nicht in den Griff bekommen,
({2})
wohl aber ansatzweise angefasst . Von einer Großen Koalition im Zusammenspiel mit den Ländern hätten wir
aber andere und weiter reichende Reformen gebraucht;
das muss man ganz klar feststellen .
({3})
Das geht zuallererst in Richtung Pflege. Die Situation in den Kliniken vor Ort ist in der Tat katastrophal:
eine absolut zu hohe Arbeitsverdichtung und zu wenige
Stellen in der Pflege. Das zeigt die Statistik deutlich. Seit
1996 haben wir einen Personalabbau von 11 Prozent bei
gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Fälle zu verzeichnen . Das kann nicht gut gehen . Das geht zulasten der
Qualität . Dagegen müssen wir etwas tun .
({4})
Das Erste, was nötig wäre, wäre eine tatsächliche Verbesserung der Personalsituation, aber nicht in so kleinen
Schritten, wie Sie sie jetzt vorgenommen haben und die
am Ende vier Stellen in einem Krankenhaus ausmachen
werden, mehr nicht .
({5})
Wir brauchten ein viel größeres Programm . Wenn Sie die
Voraussetzungen der alten Pflegesatzrelation zugrunde
legen, dann müssten Sie mehr als das Vierfache bereitstellen . Das wäre ein Schritt, den Sie mindestens einleiten müssten . Das, was Sie jetzt machen, ist zu wenig .
({6})
Ich sage Ihnen auch: Wer den Versorgungszuschlag in
einen Pflegezuschlag umwandelt, macht inhaltlich einen
richtigen Schritt . Er hat damit aber nicht mehr Geld ins
System gegeben, sondern Geld verwendet, das schon im
System war . Das ist nicht die Lösung des Problems .
({7})
Da müssen wir deutlich vorankommen. Die Pflege
im Krankenhaus muss besser ausgestattet werden . Sie
braucht ein anderes Arbeitsfeld, sonst werden wir auch
den Nachwuchs in den Krankenhäusern gefährden . Das
darf so nicht weitergehen . So, wie es heute ist, geht es
zulasten der Patienten .
({8})
Vielen Dank, Maria Klein-Schmeink . - Nächster Redner: Reiner Meier für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heutige Debatte zeigt, dass die Krankenhausreform
die Menschen in unserem Land berührt und bewegt .
Nicht nur Ärzte, Pflegekräfte und Fachpolitiker, sondern
auch viele Patienten haben mich in den vergangenen Wochen und Monaten besucht und mir berichtet . Dabei waren für mich Besuche und Diskussionen vor Ort durchaus
wichtig und hilfreich .
Besonders auf dem flachen Land stelle ich fest, dass
viele Menschen verunsichert sind und sich fragen, wie
die Krankenhausversorgung künftig aussehen wird . Heute kann ich mit gutem Gewissen sagen: Mit dem Krankenhausstrukturgesetz stärken wir eine flächendeckende
und qualitativ hochwertige Krankenhausversorgung in
unserem Land .
({0})
Ein wichtiger Baustein hierzu ist eine gute Personalausstattung in den Krankenhäusern, insbesondere bei den
Pflegekräften. Ich möchte schon deutlich machen, dass
wir als CSU uns besonders für den Pflegezuschlag eingesetzt haben und den Krankenhäusern pro Jahr 500 Millionen Euro für Pflegepersonal zur Verfügung stellen. Es
wurde heute schon oft gesagt, aber man kann es nicht oft
genug sagen: Dieses Geld werden wir nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern zielgenau dort einsetzen, wo
Krankenhäuser Geld für gute Pflege in die Hand nehmen.
({1})
Auf der anderen Seite werden Häuser, die Pflege künftig gar abbauen, dies finanziell spüren müssen. Der Pflegezuschlag wird übrigens unabhängig vom Pflegestellenförderprogramm gewährt, das ab 2016 für den Aufbau
der Pflegepersonalstellen nochmals 660 Millionen Euro
bereitstellt .
({2})
Mit diesen Maßnahmen verbessern wir ganz wesentlich
die finanziellen Grundlagen der Pflege in unseren Krankenhäusern .
({3})
Den 1,2 Millionen Pflegekräften verschaffen wir dadurch eine dringend nötige Entlastung . Weniger Druck
und weniger Hektik in der Pflege werden auch vom Patienten wahrgenommen werden .
({4})
Meine Damen und Herren, uns ist doch allen klar,
dass die Arbeit im Krankenhaus viel Personal erfordert .
Entsprechend hoch sind die Ausgaben für die Gehälter
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Steigende Tariflöhne stellen die Krankenhäuser manchmal vor finanzielle
Probleme; denn Personalkosten fließen erst allmählich in
die Vergütungssätze ein . Auf unsere Initiative hin werden
wir deshalb künftig auch jene Tarifsteigerungen, die die
Obergrenze für Preiszuwächse übersteigen, zur Hälfte
ausgleichen . Damit unterstützen wir die Krankenhäuser
dabei, die steigenden Personalausgaben kurzfristig besser aufzufangen .
({5})
Im Bereich der ambulanten Notfallversorgung vertiefen wir - auch das wurde heute schon erwähnt - die
Kooperation zwischen Krankenhäusern und den niedergelassenen Ärzten . Wie werden wir das erreichen? In den
Krankenhäusern wird es künftig Portalpraxen der niedergelassenen Ärzte geben . Diese Praxen werden als erste
Anlaufstelle für die Patienten dienen . Dort bekommt jeder unbürokratisch die Behandlung, die er benötigt, und
zwar unabhängig davon, ob sie ambulant vom niedergelassenen Arzt oder stationär im Krankenhaus erbracht
wird . Flankierend sorgen wir mit der Abschaffung des
Investitionsabschlags und direkten Vergütungsverhandlungen zwischen den Verantwortlichen für eine solide
Finanzierung der Krankenhausambulanzen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir sind
bereit, wo es erforderlich ist, viel Geld in die Verbesserung der Strukturen der Patientenversorgung zu investieren . Das heißt aber auf der anderen Seite nicht, dass sich
unsere Krankenhäuser nicht weiterentwickeln werden .
Patientenströme ändern sich ebenso wie die Anforderungen der Bevölkerung an die medizinische Infrastruktur
vor Ort . Gleichzeitig sehen wir, dass Patienten heute bei
planbaren Leistungen mobiler sind als je zuvor .
Ich habe vor kurzem mit einem Patienten im Krankenhaus Tirschenreuth gesprochen, der für seine Operation
quer durch Bayern gefahren ist . Was zeigt uns das? Im
Notfall kommt es auf die Nähe an . Bei planbaren Eingriffen wollen unsere Patienten erfahrene Spezialisten und
bestmögliche Qualität .
({6})
Mit dem Strukturfonds reagieren wir auf diese Entwicklungen und unterstützen die Länder und die Krankenhäuser mit insgesamt 1 Milliarde Euro bei der Optimierung der Versorgungslandschaft . Dabei haben wir
bewusst nur wenige Vorgaben gemacht . Wir wollen keinen Einheitsbrei für alle, sondern einen gesunden Wettbewerb um maßgeschneiderte und innovative Versorgungslösungen für die Verhältnisse vor Ort .
({7})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss noch etwas Grundsätzliches zum vorliegenden
Antrag der Fraktion die Linke sagen: Wir führen im Gesundheitsausschuss ja in der Regel sachliche und fundierte Diskussionen über alle Parteigrenzen hinweg . Ich
kann deshalb nicht verstehen, warum heute solch ein offenkundiger Schaufensterantrag vorliegt, ein Antrag, von
dem Sie selbst wissen, dass er mit seiner Planwirtschaft
Grundrechte und Länderkompetenzen verletzt und damit
auch verfassungswidrig ist .
({8})
Ich kann daraus nur schließen, dass Sie in unserem Gesetzentwurf keinen Anhaltspunkt für Kritik mehr finden.
Ich würde mir wünschen, dass Sie das heute einmal offen
zugeben .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege Meier . - Jetzt wollte ich
Ihnen als nachträgliches Geburtstagsgeschenk - gestern
hatten Sie Geburtstag; alles Gute! - eine zusätzliche Minute Redezeit schenken; aber Sie haben diese Minute gar
nicht in Anspruch genommen . Vielleicht nächstes Mal .
({0})
- Nein, nein . Herr Meier hat Geburtstag gehabt . Nächstes
Jahr versuche ich, mich daran zu erinnern .
({1})
- Jetzt fängt er schon an zu handeln . Na, schauen wir
mal .
Nächste Rednerin in dieser Debatte: Heike Baehrens
für die SPD .
({2})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Nachdem nun schon viel über das Thema Krankenhausfinanzierung gesprochen wurde, möchte ich gerne einen Punkt aufgreifen, der zwar in der Begründung des
Antrags der Linken vorkommt, für den es aber keinen
konkreten Lösungsansatz gibt . Sie haben ja vor allem die
verbesserte Kooperation der Leistungserbringer eingefordert, vor allem auch im Übergang vom Krankenhaus
zum ambulanten Bereich, und darauf möchte ich gerne
eingehen . Wir haben ja bereits im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz Verbesserungen beim Entlassmanagement geregelt . Krankenhäuser und Rehakliniken können
künftig für bis zu sieben Tage Arzneimittel, Heil- und
Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege und Soziotherapie
verordnen und sogar die Arbeitsunfähigkeit feststellen .
Mit dem Krankenhausstrukturgesetz, das wir im November verabschieden werden, schließen wir - das ist
wichtig - eine weitere Lücke zwischen ambulanter und
stationärer Versorgung . Wir schaffen nämlich einen neuen Leistungsanspruch auf Überleitungspflege.
({0})
Warum ist das wichtig, und wen haben wir dabei im
Blick? Ich denke da beispielsweise an eine befreundete
Familie mit drei Kindern . Ein Kind ist noch im Kindergarten, zwei Kinder sind in der Schule . Die Mutter ist
schwer an Krebs erkrankt . Immer wieder hat sie Phasen
von Krankenhausaufenthalten, aber auch Phasen von intensiver ambulanter Behandlung . Das sind Zeiten, wo die
Familie Unterstützung und Entlastung im Haushalt benötigt. Hierfür erweitern wir den Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung nach § 38 SGB V .
Der Anspruch besteht dann nicht nur, wie es heute geregelt ist, um einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden,
sondern auch, damit einer solchen Familie im Alltag geholfen und für Entlastung gesorgt werden kann .
({1})
- Genau . - Wir ermöglichen beispielsweise auch, dass
diese Leistung der Haushaltshilfe Familien mit Kindern
bis zu zwölf Jahren zukünftig sogar für bis zu 26 Wochen im Jahr gewährt wird . Das ist bei solch extremen
Krankheitsfällen enorm wichtig und ein bedeutender
Fortschritt .
Ich will aber noch ein anderes Beispiel nennen . Ich
hatte einen Mitarbeiter, der relativ jung war, Single,
allein lebend . Er ist als Motorradfahrer schwer verunglückt; ihm wurde die Vorfahrt genommen . Er hatte
Glück im Unglück, weil er keine schweren inneren Verletzungen erlitt; aber er hatte einen gebrochenen Fuß und
mehrfache Brüche in beiden Armen . Operation, Krankenhausaufenthalt . Und dann? Wie geht es nach dem
Krankenhausaufenthalt zu Hause weiter? Er hatte große
Schwierigkeiten, damit umzugehen .
Genau für solche Situationen schaffen wir jetzt einen
Leistungsanspruch auf Kurzzeitpflege; denn Haushaltshilfe wie im ersten Beispiel reicht nur dann aus, wenn
Angehörige im häuslichen Bereich mithelfen können .
Wenn das nicht der Fall ist, steht man im Grunde vor
dem Nichts . Deshalb schaffen wir dieses Angebot . In der
Pflegeversicherung besteht ein Anspruch auf Pflege nur
dann, wenn der Pflegebedarf absehbar über sechs Monate hinausgeht und eine Einstufung in eine entsprechende
Pflegestufe vorhanden ist. Deshalb braucht es ein solches
Leistungsangebot im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, und genau dieses schaffen wir mit dem
Krankenhausstrukturgesetz .
({2})
Um auch das noch zu sagen, Frau Vogler und Frau
Wöllert: Das ist nicht erst eine Folge der Einführung der
DRGs . Aber durch die Einführung der DRGs ist der Zustand sozusagen noch einmal zugespitzt worden, weil es
natürlich zu früheren Krankenhausentlassungen kommt .
({3})
Deshalb ist dieser Bedarf da .
Es gibt im Landkreis Göppingen einen Arbeitskreis
„Kurzzeitpflege für Jüngere“, der seit Monaten genau für
ein solches Angebot kämpft, wie wir es jetzt schaffen .
Ich freue mich, dass wir mit der Überleitungspflege, die
wir vereinbart haben, und vor allem mit diesem Angebot
einer Kurzzeitpflege auch für Jüngere wichtige Bausteine
für die Versorgungskette schaffen, damit der Übergang
vom Krankenhaus in die ambulante Versorgung und vor
allem auch das Sich-wieder-zu-Hause-Einfinden deutlich
erleichtert und verbessert werden .
({4})
Ich bin davon überzeugt, dass dieser Arbeitskreis und
auch Initiativen an anderen Orten den Finger in die richtige Wunde gelegt haben, und kann nur sagen, Frau Vogler,
Frau Wöllert: Die Koalition setzt um, was sie versprochen hat . Darum muss sich, wer nach schwerer Krankheit
das Krankenhaus verlassen darf, zukünftig keine Sorgen
machen, dass er danach nicht angemessen unterstützt und
versorgt wird .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({5})
Vielen Dank, Heike Baehrens . - Nächste Rednerin in
der Debatte: Maria Michalk für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Antrag
der Linken wird heute ziemlich viel Debattenzeit eingeräumt . Das wäre eigentlich Ihre Chance gewesen . Wenn
Sie, Frau Vogler, aber bei der Einbringung Ihres Antrages
sagen, dass wir mit den Krankenhäusern ein „zynisches
Monopoly“ spielen,
({0})
ist das einfach an der Sache vorbei . Ich muss Ihnen noch
etwas vorwerfen: Wenn Sie die Organisation eines Krankenhausbetriebes - das ist ein hochkomplexer Prozess mit dem Verkauf von Staubsaugern vergleichen, kann ich
Ihnen dazu nur sagen, dass ich das zynisch finde.
({1})
Frau Wöllert, Sie haben in Ihrer Rede beklagt, dass die
Fallpauschalen, die DRGs, den wirklichen Bedarf, die
tatsächlichen Kosten nicht wirklich widerspiegeln . Sie
wissen ganz genau, dass es sich von Anfang an um ein
lernendes System handelte, das laufend überprüft wird .
Inzwischen analysiert eine Kommission aus Politikern
und Wissenschaftlern unter Federführung des BMG genau den tatsächlichen Istzustand . Also auch diese Kritik
zielt ins Leere . Das muss man einfach einmal sagen .
({2})
Wir alle zusammen, das Parlament und die Regierung, müssen zwei Megatrends im Gesundheitsbereich
bewältigen, und zwar müssen wir auf der einen Seite
die Ergebnisse und den Nutzen des medizinischen Fortschritts allen Patienten zugutekommen lassen und auf der
anderen Seite den demografischen Wandel in einer älter
werdenden Gesellschaft mit Mehrfacherkrankungen und
vielen chronischen Erkrankungen, die natürlich den laufenden Betrieb in einem Krankenhaus massiv verändern,
gestalten . Da das Krankenhausgeschehen insgesamt den
größten Ausgabenblock im Bereich der gesetzlichen
Krankenversicherung darstellt, ist es natürlich nur logisch, dass wir hier immer wieder austarieren müssen .
Wir müssen somit auf der einen Seite dafür sorgen, dass
die Leistungen da sind, und auf der anderen Seite dafür,
dass das System für all die Beitragszahler, die dieses System finanzieren, wirtschaftlich bleibt.
({3})
Weil das so ist und wir nicht nach dem Sankt-Florians-Prinzip weiterarbeiten können, hat die Koalition schon im Koalitionsvertrag beschlossen, eine große
Krankenhausreform durchzuführen . Es gab dazu eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe, wir haben das Krankenhausstrukturgesetz in erster Lesung intensiv diskutiert,
wir haben Anhörungen durchgeführt, wir haben nachgebessert, und in drei Wochen werden wir, wie schon mehrfach heute hier gesagt - Wiederholung ist die Mutter des
Erfolgs; deswegen hoffe ich, dass Sie das auch verstehen -,
({4})
die große Krankenhausreform beschließen .
Ich will Ihnen an einigen Punkten noch einmal klar
darlegen, warum Ihr Antrag eigentlich völlig überflüssig
ist .
Sie sprechen gleich in der ersten Forderung zur Krankenhausreform davon, dass sektorübergreifend geplant
werden soll und die Planungsprozesse transparent sein
sollen . Sie verkennen dabei, dass wir die Überwindung
der verschiedenen Sektoren nicht erst jetzt mit dem neuen Gesetz vertiefen, sondern dieses schon seit längerer
Zeit auf den Weg gebracht haben . Seit 2011 gibt es Instrumente, damit sich gerade die Zusammenarbeit zwischen ambulantem und stationärem Bereich besser entwickeln kann .
Wir wollen auch keine staatlich verordnete Planung
der Krankenhausstrukturen . Dieses sozialistische Instrument hat in der Realität versagt . Das wissen Sie auch .
({5})
Deshalb finde ich es komisch, dass Sie das in Ihrem Antrag wiederum bringen; denn in keinem einzigen Industrieland dieser Welt hat dieses Instrument funktioniert .
({6})
Die Beweise liegen auf dem Tisch .
Vielmehr ist es richtig, dass wir unser gegliedertes
Versorgungssystem weiter ausbauen mit starken Krankenhäusern, die strukturell genau das tun, was heute hier
schon mehrfach betont wurde, nämlich sich in Fachkrankenhäusern auf Fachgebiete zu spezialisieren und
zugleich die wohnortnahe Versorgung für Notfälle zu
gewährleisten . Unser Ansatz ist deshalb genau der, dass
wir auf der einen Seite mehr Qualität einbringen, auch
mit finanziellen Instrumenten wie Boni und Stimuli, die
finanziell wirken, und auf der anderen Seite die wohnortnahe Versorgung stärken . Dabei ist der Aspekt zu berücksichtigen, dass nicht jeder so lange im Krankenhaus
ist, bis er wieder total eigenständig zu Hause leben kann .
Frau Baehrens hat es gerade sehr schön erklärt, welche
Instrumente wir in diesem Gesetzentwurf vorgesehen
haben, die genau auf solche Wechselfälle des Lebens jeder muss ja individuell seine Situation meistern - AntHeike Baehrens
wort geben. Deshalb wird das, wie ich finde, ein richtig
gutes Gesetz werden .
({7})
Zu den DRGs, die Sie ja in der Weiterentwicklung haben wollen, habe ich Ihnen schon gesagt, dass wir die
Landeskrankenhausplanung natürlich beibehalten und
dass wir die Länder deshalb nicht aus ihrer investiven
Verantwortung für die Krankenhäuser entlassen können,
auch wenn wir es wollten . Der Bund war ja vor einiger
Zeit schon einmal dazu bereit . Damals waren die Länder
nicht so weit und haben dem nicht zugestimmt . Deshalb
bleibt es bei der dualen Finanzierung der Krankenhauslandschaft . Das heißt aber auch: Die Länder müssen ihrer
Pflicht nachkommen. Wir unterstützen sie mit unserem
Programm im Umfang von 500 Millionen Euro, das auf
1 Milliarde Euro aufgestockt werden kann . Das ist Jahr
für Jahr ziemlich viel Geld . Das übersteigt auf die Jahre
gesehen weit die 2,5 Milliarden Euro, die Sie in Ihrem
Antrag angesetzt haben, wenn ich richtig gelesen habe .
Im Grunde genommen müssen Sie doch einfach einmal zugestehen, dass das, was wir jetzt verhandelt haben,
an der Stelle eine weiter gehende Verbesserung ist, der
Sie eigentlich nur zustimmen können . Deshalb sage ich
Ihnen noch einmal etwas zur Personalbemessung, die Sie
in Ihrem Antrag thematisieren . Sie wollen die Zahl der
Pflegekräfte erheblich erweitern. Ja, wir sind uns einig,
dass da noch mehr passieren muss . Die 5 000 Stellen sind
im Grunde genommen ein guter Beitrag . Wenn Sie diese
Zahl jetzt verdreifachen oder gar vervierfachen wollen das kann man ja alles machen -,
({8})
dann müssen Sie sich doch selber auch einmal die Frage
stellen: Sind denn auf unserem freien Arbeitsmarkt die
qualifizierten Fachkräfte im Pflegebereich wirklich präsent? Gibt es wirklich so viele arbeitslose Fachkräfte?
({9})
Wir stocken die 5 000 Stellen aus dem Sofortprogramm
Jahr für Jahr auf . Ich denke, dass das auch in den Regionen machbar sein wird und dass wir das hinkriegen . Aber
nach Ihrem Antrag müssen diese Leute sofort zur Verfügung stehen . Wir müssen jedoch auch ausbilden; das ist
doch wohl logisch .
({10})
Das Instrument, das wir vorsehen, nämlich der Ausgleich
der Tarife und die Kopplung an die tatsächliche Zahl der
Pflegekräfte in den Krankenhäusern, ist viel besser geeignet, um das zu steuern. Insofern finde ich Ihren Antrag ausgesprochen problematisch. Das Pflegestellenprogramm im Umfang von 660 Millionen Euro ist da genau
die richtige Antwort .
Sie schreiben in Ihrem Antrag auch, dass wir nach der
UN-Behindertenrechtskonvention die Barrierefreiheit
garantieren müssen . Das kann man mit dem Programm,
das in unserem Strukturreformpaket enthalten ist, alles
machen .
Unser Gesetzentwurf gibt Antwort auf die vielleicht
noch offenen Fragen, die Sie zu Recht thematisiert haben . Ihre sozialistischen Planungsinstrumente wollen wir
nicht . Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu, und ziehen Sie Ihren Antrag zurück .
({11})
Das wäre die richtige Antwort .
Vielen Dank .
({12})
Vielen Dank, Frau Kollegin Michalk . - Auf unserer
Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich Handwerksgesellen auf der Wanderschaft . Zumindest sehen Sie so
aus, als wären Sie Zimmerleute auf der Walz . Schön, dass
Sie auf Ihrer Walz kurz im Bundestag haltgemacht haben . Herzlich willkommen bei uns!
({0})
Nächste und letzte Rednerin in dieser Debatte: Bettina
Müller für die SPD .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war schon
ein ziemlich heißer Krankenhaussommer, den wir alle in
unseren Wahlkreisen hinter uns gebracht haben . Wenn
es Kolleginnen und Kollegen gab, die noch nicht alle
Kliniken in ihrer Region kannten, dann werden sie sie
spätestens seit August kennen durch die vielen Brandbriefe, die wir bekommen haben, einschließlich aller
wirtschaftlichen Kennzahlen . Dass die Opposition das
als Steilvorlage nutzt, ist nachvollziehbar . Die Linke hat
in ihrem Antrag aber auch kein echtes Gegenkonzept . Im
Gegenteil: Mit Ihrer Kernforderung nach einer Rückkehr
zum Kostendeckungsprinzip und der Finanzierung über
Tagessätze kommen Sie mit Ansätzen von vorgestern daher . Ich lese bei Ihnen nichts von Qualität, nichts über
Innovationsförderung und auch nichts über Anreize zu
Strukturveränderungen .
Genau darauf setzt aber die Koalition mit dem neuen Krankenhausstrukturgesetz . Dabei geht es vorrangig
darum, mit einem neuen, erweiterten Instrumentarium
die Versorgung im ländlichen Raum mit einer Verteilwirkung zu sichern, die insbesondere den Häusern der
Grundversorgung zugutekommt . Und dabei müssen wir
auch die Neuordnung der stationären Versorgung immer im Zusammenhang mit dem sehen, was wir schon
beschlossen und durchgesetzt haben - im ambulanten
Bereich mit dem GKV-Versorgungsgesetz und bei der
Finanzierung mit dem GKV-FQWG . Dort haben wir
nämlich Qualität als Maßstab und Finanzierungskriterium eingeführt sowie den Abbau von Überversorgung
und die Umverteilung von Mitteln dahin, wo es Unterversorgung gibt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist
der sektorenübergreifende rote Faden, der sich durch die
Gesundheitspolitik der Koalition zieht und den die Linke
letztendlich in ihrem Antrag von uns einfordert .
Die Maßnahmen, die wir im stationären Bereich mit
dem KHSG umsetzen wollen, stärken - das ist mir ein
persönliches Anliegen - vor allem die Krankenhäuser
in kommunaler Trägerschaft, die ja einen Großteil der
Grundversorgung in der Fläche leisten . Diese Häuser
verdienen einen Vertrauensvorschuss . Anders als etwa
privatwirtschaftlich geführte Kliniken großer Konzerne
fühlen sie sich der Daseinsvorsorge verpflichtet und gehen in der Regel anders mit ihrem Personal um, sowohl
im Hinblick auf Tariffragen als auch im Hinblick auf die
Personalbemessung .
Hier funktionierte - das fordert die Linke ja auch - die
gesellschaftliche Kontrolle schon immer, weil die politischen Vertreter auf der kommunalen Ebene nah dran
sind, weil sie Einfluss nehmen können und dies auch tun.
Als Mitglied im Kreistag eines Kreises, der Träger eines
großen Klinikums ist, weiß ich sehr gut, wovon ich rede .
Insofern freue ich mich ganz besonders, dass es der
SPD gelungen ist, in den Verhandlungen zum KHSG den
Versorgungszuschlag in Form eines Pflegezuschlags zu
erhalten . So werden noch einmal 500 Millionen Euro
vorrangig an die Krankenhäuser ausgeschüttet, die in den
letzten Jahren eben nicht beim Pflegepersonal gespart
haben und auf zusätzliche Einnahmen durch mehr Ärzte
gesetzt haben . Das sind vor allem auch die kommunalen
Krankenhäuser . Für andere Häuser wird ein Anreiz gesetzt, beim Pflegepersonal endlich wieder aufzustocken.
Dieses Instrument in Verbindung mit dem Pflegestellenförderprogramm in Höhe von 600 Millionen Euro hat
eine wichtige Brückenfunktion und wird zu mehr Personal führen, bis uns eine Expertenkommission Vorschläge
unterbreitet, wie wir in Zukunft eine sinnvolle Personalbemessung hinbekommen .
({0})
Zu den Maßnahmen zur Verbesserung der Personalausstattung gehört aber auch, die Pflegeberufe insgesamt
zu stärken, aufzuwerten und auf den Versorgungsbedarf
der Zukunft auszurichten . Dafür werden wir auch die Reform der Pflegeberufe schnell angehen.
Pflegestellen in den einzelnen Stationen der Krankenhäuser zu schaffen, ist eine Sache, sie zu finanzieren ist
eine weitere. Aber diese Stellen am Ende mit qualifiziertem Fachpersonal zu besetzen, ist noch einmal eine ganz
andere Sache . Kolleginnen und Kollegen, dazu kann ein
aufgewerteter, moderner Pflegeberuf, wie wir es mit dem
Pflegeberufegesetz noch in dieser Wahlperiode planen,
noch vieles beitragen .
Eine neu ausgerichtete Ausbildung unter Einbeziehung der Altenpflege - denn die beiden Versorgungsbereiche wachsen aus demografischen Gründen immer
mehr zusammen - ist ein weiterer wichtiger Baustein im
Gesamtgefüge der Gesundheitspolitik der Koalition .
Kommen Sie bitte zum Ende .
Sofort, Frau Präsidentin . - Alle Bausteine zusammen
ergeben damit eine gute Grundlage, um die stationäre
Versorgung, auch im ländlichen Raum, zukunftsfest gestalten zu können .
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6326 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Möglicherweise gibt es jetzt einen Platzwechsel . Dann
bitte ich Sie, ihn zu vollziehen, obwohl für die Gesundheitspolitiker das nächste Thema auch interessant ist .
({0})
Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Den Lebensstart von Kindern in Entwicklungs- und Schwellenländern verbessern Grundlagen für stabile Gesellschaften schaffen
Drucksache 18/6329
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .
Dann eröffne ich die Debatte . Es spricht Dr . Georg
Kippels für die CDU/CSU-Fraktion .
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Mit unserem Antrag wollen wir nichts Geringeres,
als den steinigen und unsicheren Weg von Kindern aus
Entwicklungs- und Schwellenländern ins Leben leichter, besser und zukunftsfähiger zu gestalten . Kinder sind
die Zukunft . Kinder sind die zerbrechlichsten Wesen auf
dieser Erde . Kinder brauchen Schutz und Fürsorge; denn
sie brauchen ihre Kraft und ihre Fähigkeiten, um die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu meistern .
Die Kinder der Entwicklungsländer und ihre Chancen im
Leben werden ihre und auch unsere Gesellschaften gestalten . Sie werden das Angesicht der zukünftigen Welt
prägen .
Mit unserem Antrag möchten wir dabei die wechselseitige Bedeutung von Gesundheit und Bildung für eine
nachhaltige und stabile Gesellschaft hervorheben, und
zwar gerade am Anfang des Lebens, weil dort gemachte
Fehler meist nicht mehr korrigiert werden können . Insofern ist der Anfang des Lebens die mit Abstand wichtigste Phase der Entwicklung - einmalig und uneinholbar .
Gesundheit ist die Basis von gesellschaftlicher und
wirtschaftlicher Entwicklung . Ohne eine gesunde Bevölkerung von Kindesbeinen an ist keine erfolgreiche
Entwicklung einer Gesellschaft möglich . Ohne Gesundheit als Fundament von Bildung und Bildung als Fundament einer qualifizierten Arbeit führt der Lebensweg
eines Kindes nicht aus der Armut heraus; es verliert die
Eigenverantwortlichkeit und damit seine Würde . Der
Antrag beschreibt daher die zwingende Bedingung, ohne
die eine erfolgreiche Entwicklung von Staaten gar nicht
stattfinden kann. Alles, was danach kommt, sind nur unvollständige Reparaturmaßnahmen .
Dies lässt sich an belastbaren Befunden festmachen .
In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Themen besonders betonen:
Das ist zum einen die Rolle der Frauen in der Gesellschaft . Die Entwicklung der Kinder ist untrennbar mit
der Achtung der Frauen und damit der Mütter verbunden .
Missachtet man die Rechte der Frau, wird zwangsläufig
auch das Kind in seiner Entwicklung verletzt . Werden
Frauen geachtet, wird den Rechten von Frauen umfassend Rechnung getragen, ist dies ausschlaggebend für
Müttergesundheit und gesellschaftliche Selbstbestimmung .
({0})
Damit ist der Start ins Leben gesichert, und die Mutter ist
immer die Anwältin der Kinderrechte .
Zum anderen ist die Erstellung von belastbaren Gesundheitssystemen von zentraler Bedeutung für eine
leistungsfähige und damit auch produktive Gesellschaft .
Hierzu bedarf es der koordinierten und ganzheitlichen
Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, die Situation in den Entwicklungs- und Schwellenländern signifikant zu verbessern und auf Standards zu bringen,
die nach unseren langjährigen Erfahrungen absolut zwingend notwendig sind .
Dies will ich gerne an einem konkreten Beispiel belegen . Seit fast neun Monaten erleben wir in meinem Büro
hier in Berlin die Schwangerschaft einer Mitarbeiterin
mit . Es ist eine Freude, zu sehen, wie gut es Mutter und
Tochter - dass es ein Mädchen ist, weiß sie schon - in
dieser Zeit geht . Dies verdankt sie unserem frei zugänglichen und modernen Gesundheitssystem, in dem Mutter
und Kind von der ersten Minute der Schwangerschaft an
optimal betreut werden . Dies wird sich bis zur Entbindung und sofort darüber hinaus im Leben der neuen Erdenbürgerin fortsetzen .
In den Industrieländern ist dies eigentlich nichts wirklich Bemerkenswertes mehr . Aber wie viele Risiken
entstehen für Mutter und Kind, wenn all diese Versorgungsleistungen fehlen? 2014 starben in Deutschland im
ersten Lebensjahr weniger als vier Kinder je 1 000 Lebendgeburten . Diesem Ideal stehen nun die Realitäten
der Entwicklungs- und Schwellenländer gegenüber . Hier
ist Millenniumsentwicklungsziel 5 - Verbesserung der
Gesundheitsversorgung der Mütter - eines der Ziele, bei
denen immer noch großer Handlungsbedarf besteht . Die
Todesursachen sind Mangelernährung, auch schon in der
Schwangerschaft, Malaria, HIV/Aids, Pneumonie und
Durchfall . Vieles ist behandelbar und manches allein
durch Aufklärung vermeidbar . Deshalb hat die Verbesserung der Gesundheit von Müttern bei den Zielen der
2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung Priorität; sie
ist Teil des sogenannten SDG 3 .
Millenniumsentwicklungsziel 4 - die Senkung der
Kindersterblichkeit - hatte die Reduzierung der Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren um zwei
Drittel angestrebt . Zwischen 1990 und 2015 konnte die
Sterblichkeitsrate fast halbiert werden . 2012 starben damit 6 Millionen weniger Kinder als 1990 . Der Erfolg ist
beachtlich, aber er ist auf keinen Fall zufriedenstellend .
Und die Ursachen sind im Grunde geblieben: Krankheiten, fehlende Hygiene und nicht nur keine, sondern auch
fehlerhafte Ernährung; „satt“ heißt eben nicht zwingend
auch „gesund“ .
Krankheiten stellen ein besonderes Problem für die
Entwicklung von Kindern dar, vor allen Dingen, wenn
sie schon während der Schwangerschaft übertragen
werden . Die Geißeln der Menschheit heißen auch heute
noch: HIV/Aids, Tuberkulose, Malaria und 17 vernachlässigte Tropenkrankheiten, die NTDs . Kinder sind diesen Bedrohungen besonders ausgesetzt; allein 500 Millionen Kinder bei den NTDs . Die Infektion mit einer oder
gar mehreren Krankheiten bedeutet eine existenzielle
Benachteiligung der Kinder in ihrer physischen wie mentalen Entwicklung, und dies vor allen Dingen, wenn dies
in den ersten drei Lebensjahren geschieht . Die Verarbeitung von Bildung setzt aber auch körperliche Gesundheit
voraus .
Die Schwangeren- und Neugeborenenversorgung und
vor allen Dingen die Vorsorge sind immer noch unzulänglich . Wir brauchen dringend Geburtshelfer, Gesundheitsfachkräfte, auch unterhalb der Qualifikation eines
Arztes, und vor allen Dingen Hebammen . Der Bedarf
wird immerhin auf 350 000 Hebammen geschätzt .
Unsichere Abtreibungen sind nach wie vor in erschütternd hoher Zahl Todesursache von schwangeren Frauen . Ungefähr die Hälfte aller schwangeren Frauen in den
Entwicklungs- und Schwellenländern leiden unter Anämie . Als Folge dessen sterben jährlich 100 000 Frauen
bereits bei der Geburt .
Die körperliche und geistige Unterentwicklung eines
Kindes lässt sich zu 50 Prozent auf die Ernährung der
Mutter während der Schwangerschaft zurückführen . Ein
Fünftel aller Behinderungen weltweit sind Folge von
Hunger und Unterernährung . Die Todesursache bei Kindern unter fünf Jahren ist in 45 Prozent der Fälle eine
vermeidbare Mangelernährung . Dabei zeigte eine Studie
des Welternährungsprogramms, dass das Wissen um die
Zusammenhänge von Hygiene, Gesundheit und Ernährung wichtiger ist als der reine Zugang zu Lebensmitteln .
Wie einfach die Vermittlung von Wissen helfen kann,
zeigt ein Beispiel aus Myanmar, das die Wirkung von
Hygiene- und Ernährungsinformationen auf das Leben
von Mutter und Kind beschreibt . Die 30-jährige Ngwar
Sa Ra hat vier kleine Kinder . Nach dem Training wurde ihr allerdings erstmals klar, dass das Stillen genauso wichtig ist wie das gesunde Zufüttern . Davor gab sie
ihrer Tochter immer Wasser zu trinken, weil sie dachte,
Wasser sei wichtiger als Muttermilch . Nach der Schulung
begann sie, ihre Tochter voll zu stillen und später gesund
zu füttern .
Um immer mehr Kindern zu einem guten Start ins Leben zu verhelfen, fordern wir in unserem Antrag deshalb
nicht nur mehr Eigenverantwortung von den Partnerländern beim Auf- und Ausbau von Gesundheitssystemen,
einschließlich professioneller Geburtshilfe, sondern auch,
bei dem Beitrag der Bundesregierung zur Umsetzung der
2030-Agenda einen Schwerpunkt auf ganzheitliche Gesundheitsförderung für Kinder zu legen . Wir fordern deshalb, weitere Partnerländer dabei zu unterstützen, Mangelernährung bei Kindern zu bekämpfen und Mittel zur
Förderung von außerschulischer Hygiene-, Ernährungsund Gesundheitsbildung bereitzustellen .
Und last but not least fordern wir die Bundesregierung
auf, mit den Partnerländern an einer erheblichen Verbesserung bei der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf reproduktive und sexuelle Rechte
und Gesundheit zu arbeiten .
Ich möchte, dass mehr Kindern, wie der alsbaldigen
Tochter meiner Mitarbeiterin, die den Namen Emilia tragen soll, ein bestmöglicher Start ins Leben ermöglicht
wird . Daher schließe ich mit einer Liedzeile von Herbert
Grönemeyer:
Die Welt gehört in Kinderhände, dem Trübsinn ein
Ende . . . Kinder an die Macht!
Herzlichen Dank .
({1})
Vielen Dank, Dr . Georg Kippels . - Nächster Redner in
der Debatte: Niema Movassat für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich kann fast allem zustimmen,
({0})
was im Analyseteil Ihres Antrags steht, liebe Kolleginnen
und Kollegen von Union und SPD . Denn Sie beschreiben
die Situation von Kindern in Entwicklungsländern sehr
zutreffend . Trotzdem ist mir ein wenig die Kinnlade heruntergefallen, als ich den Antrag das erste Mal gelesen
habe; denn obwohl Sie das Richtige sagen, machen Sie
eine völlig entgegengesetzte Politik .
({1})
So beschreiben Sie in Ihrem Antrag die fatalen Auswirkungen von Krieg, Flucht, Folter und Zwangsrekrutierungen von Kindersoldaten ganz richtig; aber in den
vergangenen zehn Jahren hat Deutschland unter Ihrer
Regie allein Kleinwaffen und Munition im Wert von fast
1 Milliarde Euro exportiert . Was glauben Sie, wer vor allem die Opfer dieser Waffen sind? Oft genug Frauen und
Kinder . Die besten Programme und Ideen für frühkindliche Bildung und Schwangerschaftsberatung helfen nicht
weiter, wenn Frauen und Kinder auch mit deutschen
Waffen ermordet werden .
({2})
Wenn Sie sagen: „Krieg ist schlecht für Kinder; Kinder
sollen überall auf der Welt friedlich aufwachsen“, dann
verbieten Sie endlich Waffenexporte .
({3})
Wichtigste Abnehmer deutscher Kleinwaffen sind übrigens - und die Exporte steigen - arabische Diktaturen,
Länder wie Saudi-Arabien, Länder, die Frauenrechte mit
Füßen treten . Gleichzeitig fordern Sie in Ihrem Antrag
mehr selbstbestimmte Lebensführung für junge Frauen
und verurteilen zu Recht Zwangsehen und Frühverheiratung von Mädchen . Sie unterstützen also mit Waffenlieferungen frauenfeindliche Diktaturen, aber verurteilen
Zwangsehen . Das ist schlicht und einfach schizophren .
({4})
Ziehen Sie die logische Konsequenz aus Ihrem Antrag,
aus Ihrer eigenen Analyse, und beenden Sie die Kumpanei mit den reaktionären Golf-Monarchien!
({5})
Auch beim Thema Kinderarbeit vergießen Sie Krokodilstränen . Entgegen aller praktischen Erfahrung der
letzten 15 Jahre setzen Sie im Bereich „globale Unternehmensverantwortung“ weiterhin auf die Freiwilligkeit
der Konzerne .
({6})
Zwingen Sie die Konzerne endlich gesetzlich dazu, ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen, damit sie in ihren
Produktionsketten Kinderarbeit ausschließen; denn die
Menschenrechte von Kindern müssen mehr wiegen als
die Profitinteressen der Konzerne.
({7})
Auch wie Sie das Thema „frühkindliche Bildung“ in
Ihrem Antrag verarbeiten, finde ich ein bisschen frech.
Seit Jahren kritisieren Nichtregierungsorganisationen,
dass Deutschland viel zu wenig Mittel in die Grundbildung investiert und stattdessen vor allem die berufliche
Bildung in Kooperation mit der Wirtschaft fördert . GeDr. Georg Kippels
rade einmal 2 Prozent des gesamten Entwicklungshaushalts fließen in die globale Grundbildung. 2 Prozent!
Wenn Sie nun kritisieren, dass zu wenig internationale
Entwicklungsgelder in die Grundbildung fließen, kann
ich nur sagen: Fassen Sie sich einmal an die eigene Nase .
({8})
Übrigens: Wer Kinderrechte global durchsetzen will,
muss auch bereit sein, die nötigen Mittel dafür zu geben .
Auf meine Frage, wie die Bundesregierung in den nächsten Jahren das 0,7-Prozent-Ziel erreichen will, hat man
mir gerade erst erklärt, dass sie die ODA-Quote schlicht
bei 0,4 Prozent halten will . Es gibt keinen Plan, wie man
die versprochenen 0,7 Prozent erreichen möchte . Wie
wollen Sie die ganzen Forderungen in Ihrem Antrag
durchsetzen, wenn es die Mittel dafür nicht gibt?
({9})
Den Widerspruch in Ihrem Antrag haben Sie anscheinend selbst bemerkt . Schließlich stellen Sie an die erste Stelle die Eigenverantwortung der Partnerländer . Mit
dem alleinigen Verweis auf die Eigenverantwortung zeigen Sie, dass Sie verkennen, dass wir als globaler Norden
einen gehörigen Anteil daran haben, dass die Menschen
in den Ländern des Südens in Armut und Elend leben:
Der globale Norden liefert die Waffen, der globale Norden zerstört vor Ort lokale Strukturen und Märkte durch
aufgezwungene Freihandelsverträge, der globale Norden
setzt sich vor allem für die Interessen seiner Großkonzerne ein und nicht für Menschenrechte .
Wir brauchen eine gänzlich andere Politik, wenn wir
Kinderrechte weltweit durchsetzen wollen .
({10})
Es bräuchte eine friedensorientierte Außenpolitik, die
keine Waffen liefert, keine Kriege führt und keine Drohnenkriege unterstützt . Es bräuchte eine solidarische Handelspolitik, die armen Ländern keine für sie nachteiligen
Freihandelsverträge aufzwingt . Es bräuchte eine globale
Bildungspolitik, die nicht primär am Bedarf der Wirtschaft an geeignetem Humankapital ausgerichtet ist, sondern dafür sorgt, dass jedem Kind Lesen und Schreiben
beigebracht wird .
({11})
Zum Schluss will ich sagen: Ich habe vor kurzem gelesen, dass die CSU den syrischen Flüchtlingen verbieten
will, ihre Kinder und Frauen nach Deutschland zu holen
({12})
und damit in Sicherheit zu bringen . Wie sehr können
Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der CSU, eigentlich heucheln? Sie fordern in Ihrem Antrag, den Sie mit
eingebracht haben, Verbesserungen für Kinder weltweit,
({13})
aber wollen gleichzeitig Kinder in einem Bürgerkriegsland lassen .
({14})
Ich finde das unglaublich. Wenn Sie Ihren eigenen Antrag
ernst nehmen, müssen Sie diese Forderung zurückziehen .
({15})
Und wenn Sie sagen: „Das stimmt nicht“, sage ich: Die
Zitate können Sie im Internet selber nachlesen; das hat
die CSU mehrmals gefordert .
Danke schön .
({16})
Danke, Kollege Movassat . - Nächste Rednerin:
Michaela Engelmeier für die SPD .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer könnte etwas dagegen haben, den Lebensstandard von Kindern zu verbessern? Wie kann es in praktischer Hilfe aussehen, die Fluchtursachen zu bekämpfen?
Wie können Kinder mit internationaler Hilfe besser aufwachsen? Mit genau diesen Fragen befasst sich der Antrag unserer Koalition, den wir heute im Plenum beraten .
Er befasst sich umfassend mit der Lebenssituation von
Kindern - genau wie wir es immer fordern -, um nachhaltig die Lebenssituation von Kindern und damit auch
von Familien zu verbessern .
Laut aktuellen Schätzungen von UNICEF sind derzeit
59 Millionen Kinder in 50 Ländern auf lebensrettende
humanitäre Hilfe angewiesen . Wie diese Hilfe aussehen
soll, beantwortet uns die UN-Kinderrechtskonvention,
die 1989 verabschiedet wurde . In dieser ist ganz genau
geregelt, welche Rechte Kinder haben . Die Konvention
hat eine hohe Bedeutung, weil immerhin 195 Staaten
dieser Welt mit ihr einen Vertrag geschlossen haben, in
dem festgelegt wurde, wie Kinder aufwachsen und leben
sollen . Der Kinderrechtskonvention sind mehr Staaten
beigetreten als allen anderen UN-Konventionen, nämlich
alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme der USA .
In Artikel 1 ist formuliert, dass ein „gleiches Recht für
alle Kinder“ gelten soll . Wie aber soll das Recht wahrgenommen werden, wenn Armut, Hunger, keine Chancen
auf Bildung und Gesundheit das Leben der Kinder prägen? Wie können Kinder Schutz erfahren, wenn in ihrem
Heimatland Krieg herrscht? Was ist, wenn die Staatsgewalt weitgehend die Kontrolle verloren hat, wenn Kinder Opfer von Menschenhandel, Zwangsrekrutierung,
Zwangsverheiratung und Versklavung werden? Was ist,
wenn Kinder dem entfliehen und in Flüchtlingslagern
landen oder als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in
Europa ankommen? Ja, meine Damen und Herren, dann
sind sie auf unsere Hilfe angewiesen . Genau damit befasst sich unser Antrag .
Unabhängig davon, wo sie leben, benötigen alle Kinder Gesundheit, auch im präventiven Sinn . Sie müssen
Schutzimpfungen erhalten . Sie brauchen frühkindliche,
primäre, sekundäre und berufliche Bildung. Sie brauchen
Nahrung und Zugang zu gesundem Wasser . Sie brauchen
Schutz vor Versklavung, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung, Kinderarbeit und Krieg . Insbesondere
Mädchen sind von extremer sozialer und ökonomischer
Ungleichheit und Ungerechtigkeit betroffen .
Am letzten Wochenende, am 11 . Oktober, war der Internationale Mädchentag; die Welt wurde pink . Dieser
fand zum dritten Mal statt . Es ist der Tag, an dem international auf die Situation von Mädchen aufmerksam
gemacht wird . Dieser Tag hat für mich eine hohe Bedeutung - deswegen heute das pinke Halstuch .
({0})
Das Motto „Because I am a Girl“ von Plan International
macht mehr als deutlich, dass es die Mädchen sind, die
immer noch in vielen Gesellschaften als minderwertiger
angesehen werden als Jungen, die häufiger Opfer von
Gewalt, Ausbeutung, Ausgrenzung und Benachteiligungen sind .
Hier im Deutschen Bundestag müssen wir uns für die
Kinder und besonders für die Mädchen einsetzen, um die
Kinderrechte Wirklichkeit werden zu lassen . Mit einem
klaren Bekenntnis zu den Ende September von den Vereinten Nationen verabschiedeten Nachhaltigkeitszielen,
kurz SDGs, verbinden wir, wie in unserem Antrag formuliert, politisches und finanzielles Engagement für die
Umsetzung aller nachhaltigen Entwicklungsziele unter
besonderer Berücksichtigung der Verwirklichung von
Geschlechtergerechtigkeit . Wir begrüßen hierbei ausdrücklich das große Engagement der Bundesregierung
im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit und
Rechte . Dahinter verbirgt sich ein Prozess von immenser
historischer Bedeutung um das Bemühen um Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit .
Probleme, die wir lösen müssen, gibt es genug . Laut
UNICEF werden mehr als 60 Millionen Mädchen vor ihrem 18 . Lebensjahr gegen ihren Willen verheiratet . Sie
werden nicht nur ihrer Kindheit beraubt, sondern auch
ihrer Chancen auf Bildung und Beruf . Mädchen aus den
ärmsten 20 Prozent der Haushalte haben ein dreifach höheres Risiko, als Kind verheiratet zu werden . Im Zusammenhang mit extremer Armut geraten Mädchen häufiger
in die Zwänge von Prostitution, die ihre gesundheitliche
Situation weiter verschärft, erst recht, wenn aus der Prostitution eine Schwangerschaft hervorgeht . Frauen werden
oft gezwungen, ihren Peiniger zu heiraten . Nicht selten
werden Frauen Opfer eines Ehrenmordes, wenn sie durch
Prostitution oder Vergewaltigung schwanger geworden
sind .
Alle zehn Minuten stirbt irgendwo auf dieser Welt ein
Mädchen, weil es Opfer von Gewalt geworden ist . Noch
mehr Mädchen leiden ihr Leben lang an den körperlichen und psychischen Folgen von Gewalt . Frühe Ehen
bedeuten für die Mädchen nicht nur ein abruptes Ende
ihrer Kindheit . Viele müssen ihre Schul- und Ausbildung
abbrechen . Frühe Schwangerschaften bergen das höchste
Sterberisiko .
Mädchen stellen einen Besitz des Mannes dar und
werden auch so behandelt . Stirbt ein Mädchen, wird sie
durch ein neues Mädchen ersetzt . Das bedeutet für die
Männer sogar einen finanziellen Zugewinn, weil sie eine
Mitgift erhalten . Diese Mitgift müssen Mädchen oft unter harten und gesundheitsgefährdenden Bedingungen
selbst erwirtschaften, zum Beispiel als Textilarbeiterin in
Indien .
Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass es selten
der Wille der Eltern ist, ihre Mädchen früh zu verheiraten, sondern das ist oft allein dem finanziellen Druck geschuldet . Je älter ein Mädchen wird, desto mehr Mitgift
müssen die Eltern an die Familie des Bräutigams entrichten . Diesen Teufelskreis kann man nur mit einem umfassenden querschnittsorientierten Ansatz durchbrechen,
wie ihn die SDGs ermöglichen und wie wir es in unserem
Antrag zugrunde gelegt haben .
Wir alle wissen, dass Bildung der Schlüssel für eine
zukunftsfähige Entwicklung darstellt . Durch mangelnde
Bildung ist die Kinderversorgung oft nicht gewährleistet .
Die Armut vererbt sich . Daher müssen wir unser besonderes Augenmerk auf die Bildungsangebote für Kinder
richten .
Ich komme zum Schluss: Es gibt mehr als die schwarze Null . Jede Investition in die Bildung von Kindern ist
die Rendite für unsere Zukunft .
({1})
Vielen Dank, Michaela Engelmeier . - Nächster Redner in der Debatte: Uwe Kekeritz für Bündnis 90/Die
Grünen .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Der Antrag, über den wir heute diskutieren, enthält,
glaube ich, eine sehr gute statistische Zusammenstellung
schockierender globaler Zahlen über die Situation von
Kindern und Minderjährigen weltweit .
Wir wissen: Es gibt eine Menge zu tun, um die Situation von Kindern in Schwellen- und Entwicklungsländern
zu verbessern . Der vorliegende Antrag hierzu leistet jedoch nichts dafür .
({0})
Er ist ein Paradebeispiel für die Schaufensterpolitik ({1})
nicht der Regierung, sondern der Abgeordneten der Koalition, deren Antrag das ja ist . Oder sollte man vielleicht
sogar besser von dem verlängerten Arm der Exekutive
sprechen?
Ich frage mich jetzt aber schon, ob wir und die Öffentlichkeit aus Ihrem Antrag herauslesen sollen, dass diese
Regierung auf diesem Gebiet nichts macht . Herr Fuchtel,
Sie müssten einmal mit der Koalition reden . Partnerländer dabei unterstützen, Kinder vor Gewalt zu schützen,
Mangelernährung bei Kindern bekämpfen, Bildung von
Frauen und Mädchen verbessern: Tun Sie das alles nicht?
Herr Kippels, Sie haben einfach den Zielkatalog des
BMZ abgeschrieben und daraus einen Forderungskatalog
gemacht . Das ist aber noch nicht das Schlimme daran .
Das Schlimme daran ist, dass Sie diesen Zielkatalog eingrenzen und unter die Prämisse stellen, dass der Zielkatalog nur dann erfüllt werden kann, wenn die haushaltspolitische Zielsetzung das erlaubt . Diese Zielsetzung
kennen wir alle; das ist nämlich die schwarze Null .
Ich halte es für ziemlich geschmacklos, zu sagen, dass
die Regierung endlich etwas dazu beitragen soll, die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu verhindern, aber nur,
wenn die haushaltspolitische Zielsetzung das erlaubt . Mit
Verlaub: Ich halte das für zynisch .
({2})
Herr Westermayer, Herr Kippels, es wäre wirklich
verdienstvoll gewesen, sich einmal die Regierungspolitik etwas genauer anzuschauen . Minister Müller kündigte
in seiner Antrittsrede nämlich vollmundig an, die Haushaltsmittel für Bildung auf 400 Millionen Euro jährlich
zu erhöhen . Geschehen ist an dieser Stelle nichts . Es
wäre Ihre Aufgabe gewesen, einmal nachzufragen, wo
das Geld ist .
Ein weiteres Beispiel ist die Globale Partnerschaft für
Bildung . Der Fonds ist das zurzeit einzige multilaterale
Gremium zur langfristigen Unterstützung armer Länder
zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Bildung .
Trotzdem wurde der Fonds vonseiten der Bundesrepublik Deutschland zuletzt gerade einmal mit 7 Millionen
Euro jährlich unterstützt . Angesichts eines globalen Finanzierungsdefizits von 34 Milliarden Euro jährlich ist
das ein erbärmlicher Beitrag Deutschlands .
Dieses Beispiel macht deutlich: Die Bundesregierung
setzt sich bei Großveranstaltungen wie im Zusammenhang mit GAVI gerne wunderbar in Szene, zieht eine
Sonderinitiative nach der anderen aus der Schublade
und lässt sich feiern . Wenn es allerdings um gravierende Finanzlücken geht, wie zum Beispiel im Bereich der
Grundbildung, da machen Sie nichts . Das ist auch verständlich; denn damit kommt man nicht großartig in die
Medien .
({3})
Aber ich kann Ihnen sagen: Entwicklungspolitik ist eben
weit mehr als Public Relations . Leider konzentrieren
sich bestehende Projektinitiativen der Bundesrepublik
Deutschland zu einseitig, wie ich finde, auf Weiterbildungsmaßnahmen und Erwachsenenbildung . Auch sie
sind wichtig . Aber man muss auch in dem anderen Bereich sehr viel mehr tun .
Es muss uns allen doch klar sein: Der Erfolg der
Post-15-Entwicklungsagenda, das Erreichen der SDGs,
hängt entscheidend davon ab, ob wir Kindern einen guten
Lebensstart in einem funktionierenden Gesundheitssystem mit ausreichenden Bildungschancen ermöglichen .
Dafür muss wesentlich mehr getan werden .
Wir sollten uns auch darüber im Klaren sein, dass
die Ausgaben für Bildung und Gesundheit keine Kosten
sind, sondern Investitionen, die eine enorm hohe gesellschaftliche Profitrate abwerfen. Sie sind Voraussetzung
für Entwicklungsländer, um den Weg hin zu einer positiven Entwicklung überhaupt einschlagen zu können .
Bildung hat eine Basisfunktion; da stehen wir auf einer
Seite . Dafür brauchen wir aber solche Anträge wie den
vorliegenden wirklich nicht . Wir benötigen langfristige
Strukturpolitik und einen politischen Willen, der nicht
vom Geiste der schwarzen Null dominiert wird .
Danke schön .
({4})
Vielen Dank, Kollege Kekeritz . - Nächster Redner
in der Debatte: Waldemar Westermayer für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Es ist die Aufgabe der Opposition, auch einen so guten Antrag zu zerreden . Das ist Ihnen
jedoch nicht gelungen, Herr Kekeritz und Herr Movassat;
({0})
denn wir blicken in die Zukunft . Dazu sage ich nachher
noch etwas . Ansonsten halte ich mich jetzt an mein Manuskript . Das ist nämlich sehr gut und sehr klug ausgearbeitet .
Denn aus der Stille kamen tausende Stimmen . Die
Terroristen dachten, sie könnten meine Ziele verändern und meinen Ehrgeiz stoppen . Aber in meinem
Leben hat sich nichts verändert mit einer Ausnahme: Schwäche, Angst und Hoffnungslosigkeit sind
verschwunden, Stärke, Kraft und Mut sind geboren .
Ein Jahr ist es her, dass Malala für ihre Stärke, für ihre
Kraft und für ihren Mut den Friedensnobelpreis erhalten
hat . Ein Jahr ist es her, dass auch hier im Bundestag über
sie geredet wurde . Ein Jahr ist es her, dass die Welt die
Stimme einer jungen Frau hörte, die zuvor von den Taliban fast getötet worden wäre, und das nur, weil sie lesen
und schreiben lernen will und weil sie sich als Kind und
junge Frau frei entwickeln möchte .
Ein Jahr ist es also auch her, dass besonders wir als
Entwicklungspolitiker aufgefordert wurden, der Bedeutung von Kindern für nachhaltige Entwicklung gerechter
zu werden . Deshalb lautet unser Antrag heute: „Den Lebensstart von Kindern in Entwicklungs- und SchwellenUwe Kekeritz
ländern verbessern - Grundlagen für stabile Gesellschaften schaffen“, und nicht mehr .
Das Anliegen des Antrags ist dringend; denn Kinder
leben und leiden jetzt in diesem Moment an vielen Orten der Erde . Kinder sind überall auf der Welt das Fundament unserer Zukunft . Dieses Fundament müssen wir
jetzt stärken und nicht erst in zehn Jahren . Wenn über ein
Viertel der Weltbevölkerung unter 15 Jahren ist und sogar jeder zehnte Mensch auf der Erde unter 8 Jahren ist,
dann können wir von Kindern nicht mehr nur als einer
Minderheit sprechen . Wir müssen uns ernsthafte Gedanken machen, wie wir für diese und mit diesen 25 Prozent
Menschen das Morgen gestalten wollen .
Als stark vernetzte Weltgemeinschaft ist es unsere einzige Aufgabe, friedlich zusammenzuleben . Das können
wir schaffen, wenn wir uns engagieren . Konkret heißt
das: Wir müssen die Situation von Kindern in Krisenund Entwicklungsländern verbessern .
({1})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung vom Kollegen Liebich von der Linken?
Bitte .
Herr Kollege Westermayer, vielen Dank, dass Sie die
Frage zulassen . - Mein Kollege Niema Movassat hat vorhin in seiner Rede darauf hingewiesen, dass es Vorschläge aus der Unionsfraktion gibt, den Familiennachzug zu
begrenzen . Daraufhin gab es große Empörung, und Sie
alle haben gesagt, das würde nicht stimmen .
({0})
Ich habe einfach einmal nachgeschaut, weil ich das
gar nicht glauben mochte, aber es ist in Wirklichkeit noch
viel schlimmer . Das ist gar kein Vorschlag der CSU, sondern offenkundig einer der Unionsfraktion insgesamt .
Ich darf wörtlich zitieren: „Es ist in Anbetracht der exorbitant hohen Zahlen nicht sachgerecht, es jedem Syrer
zuzugestehen, seine Familie nachzuholen .“ Das hat der
innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gesagt .
({1})
Er hat gleichzeitig angeregt, nicht nur das nationale
Recht, sondern auch die entsprechende EU-Richtlinie zu
ändern .
Dass das Kinder in Entwicklungs- und Schwellenländern betrifft, können Sie ja nicht bestreiten . Deshalb
würde ich gerne von Ihnen wissen: Was ist denn nun die
Linie der Unionsfraktion? Ist es das, was Herr Mayer hier
gesagt hat? Oder das, was hier eben hineingerufen wurde, dass das nicht stimmen würde?
({2})
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten; denn
ich weiß jetzt nicht, was Herr Mayer genau gesagt hat .
({0})
- Ja gut, Sie können viel vorlesen .
({1})
Wir haben diesen Antrag jetzt eingebracht, um die Situation der Kinder in der Welt insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Bildung zu verbessern . Darum
geht es . Es geht jetzt nicht um Zuzug und sonstige Dinge,
sondern um die vielen Kinder in der Welt, die dringend
Hilfe brauchen . Das, was Sie angesprochen haben, ist ein
Thema, das man extra behandeln muss . Herzlichen Dank .
({2})
Auch das Recht auf eine freie und friedvolle Entwicklung für Kinder haben wir eingefordert . Geben wir dieses Wissen um die Würde und den besonderen Schutz
eines jeden Kindes weiter . Deshalb sollte die deutsche
und europäische bzw . internationale Entwicklungsarbeit
den Fokus stärker auf die langfristige und umfassende
Arbeit mit Kindern in Entwicklungs- und Schwellenländern richten. Die offizielle Unterstützung muss vorbeugend und ganzheitlich - und damit auch nachhaltiger und
kosteneffizienter - erfolgen.
Die bekannten Teufelskreisläufe, die vor allem bei den
Ärmsten von Generation zu Generation weitergegeben
werden, können wir am besten bei den Kindern durchbrechen . Ihnen müssen wir eine Chance auf Bildung geben, damit sie Strukturen nachhaltig verändern können .
Die großen Förderbereiche sind allen bekannt . Es geht
um Gesundheit, Bildung, Hygiene, Ernährung und angemessene Betreuung . Weiter geht es um die Einforderung
universaler Rechte . Und es geht um die soziale Verantwortung von Gesellschaften gegenüber ihren Jüngsten;
denn diese gestalten, ob wir es wollen oder nicht, die
Welt von morgen .
Um dieses Gestalten positiv zu beeinflussen, müssen wir vor allem bessere Bildungssysteme für Kinder
in Entwicklungs- und Schwellenländern einfordern .
Dabei stützten wir uns bisher auf das Millenniumsentwicklungsziel 2 . Dieses wurde nun von den Agenda-2030-Zielen 4 .1 und 4 .2 abgelöst . Alle Kinder sollen
die Möglichkeit haben, eine Vorschule, eine Grundschule und dann auch eine Sekundarschule zu besuchen . Sie
sollen in erreichbaren und bezahlbaren bzw . kostenlosen
Einrichtungen und Schulen mit ausgebildeten Erziehern
und Lehrern lernen können . Sie sollen ihre Schule nicht
abbrechen müssen, sondern sollten in der Lage sein, nach
mehreren Schuljahren lesen, schreiben und rechnen zu
können .
Mit der aktuellen Flüchtlingswelle nach Europa und
Deutschland sind auch die Themen Bildung, Integration
und Inklusion im eigenen Land zu komplexen Herausforderungen geworden . Diesen müssen wir uns auf vielen
Ebenen neu stellen .
Entwicklungspolitik muss also zukünftig noch mehr
national und weiterhin international ausgerichtet werden . Es leben bereits genügend Kinder und unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge aus gescheiterten Staaten in
unserem Land . Als Entwicklungspolitiker konzentrieren
wir uns auf die Bekämpfung der Ursachen von Flucht,
Vertreibung und Krieg in den Herkunftsländern . Als Abgeordnete sind wir aber tagtäglich in unseren Wahlkreisen mit den Auswirkungen der Krisen bei uns vor Ort
konfrontiert . Daher sollten wir mit unserer Unterstützung
bei den Kindern - hier und weltweit - ansetzen .
Die Investitionen in die ganzheitliche Bildung von
Kindern sind elementar für stabile Gesellschaften . Das
habe ich auf meiner letzten Reise nach Guatemala - einige von Ihnen waren ja dabei - in mehreren Kinderbildungsprojekten selbst erfahren . Die Kinder waren aufgeweckt, froh, wissensdurstig und auch dankbar .
Wenn es eine flächendeckende Bildungsförderung der
Kleinsten gäbe, müssten wir uns nicht mehr den verlorenen Generationen und ihren gewaltsamen Folgen stellen . Derzeit sind aber - das wurde vorhin schon einmal
angesprochen - in 50 Staaten 59 Millionen Kinder auf
humanitäre Hilfe angewiesen . Knapp die Hälfte der
60 Millionen Flüchtlinge weltweit sind Kinder und Jugendliche . Man kann nur erahnen, was diese Dimensionen anschließend für die internationale Entwicklungszusammenarbeit, aber vor allem auch für Deutschland und
seine Bürger hier bedeuten werden . Klare und vielfältige,
aber vor allem integrale Ansätze sind deshalb dringend
zu unterstützen und auszubauen .
Es geht um das allgemeine Kindeswohl, und es geht
um die individuelle Förderung von Mädchen . Es geht um
mehr Sport-, Kultur- und Spielmöglichkeiten und den
Ausbau und besonderen Schutz der kinderfreundlichen
Räume in Krisenregionen . Es geht um eine verstärkte
psychosoziale Begleitung der vom Krieg, von Kinderarbeit und von der Flucht traumatisierten Kinder . Es geht
um die Bekämpfung von Analphabetismus, um Chancengleichheit und Erreichbarkeit von Bildung für Kinder aus
ländlichen Regionen . Es geht vor allem auch um die Förderung der Eigenverantwortung der Partnerländer beim
Aus- und Aufbau von Bildungssystemen . Die Förderungen sind dringend notwendig, wenn wir in Zukunft hier
in Deutschland, in Europa und auf der Welt in Frieden
leben wollen .
Seit fast 16 Monaten - so lange bin ich mittlerweile im
Bundestag - beschäftige ich mich nun mit den verschiedenen Dimensionen der Entwicklungspolitik . Als Vater
von fünf Kindern und als Großvater muss ich jedoch kein
Entwicklungspolitiker sein, um zu erklären, dass die Förderung und Begleitung von Kindern unser wichtigstes
Anliegen sein muss, auch zu unserer eigenen Sicherheit
und aus unserer politischen Verantwortung heraus . Unser
Antrag ist nach vorne gerichtet und hilft den Kindern in
den Schwellen- und Entwicklungsländern .
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Westermayer . - Letzter
Redner in der Debatte: Stefan Rebmann für die SPD .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf
der Zuschauertribüne! Wir reden heute über einen Antrag, der das Liebste und das Wichtigste betrifft, das wir
haben . Wir reden über einen Antrag, der sich um unsere Kinder dreht . Wir alle haben hoffentlich diesen Urinstinkt, diesen Beschützerinstinkt, wenn es um Kinder
geht .
Gleichwohl müssen wir leider feststellen, dass weltweit 168 Millionen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren täglich arbeiten müssen, 85 Millionen davon in gefährlichen
Arbeitsverhältnissen . Das sind Zahlen der ILO . 85 Millionen - die Bundesrepublik Deutschland hat im Moment
81,4 Millionen Einwohner . 85 Millionen Kinder arbeiten,
wie gesagt, laut ILO in gefährlichen Arbeitsverhältnissen . Die Schätzungen der Vereinten Nationen besagen,
dass 215 Millionen Kinder täglich arbeiten müssen, davon 115 Millionen Kinder in gefährlichen Arbeitsverhältnissen . Das ist die Bevölkerungsanzahl der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs, der Schweiz und der
Niederlande zusammengenommen .
Gefährliche Arbeit bedeutet: Das sind Kinder barfuß in
Gießereien, das sind Kinder barfuß in Gerbereien in der
Lauge, wo edles Leder hergestellt wird, das wir hier teuer erwerben können, der coolste neueste Style . 7 Prozent
dieser Kinder arbeiten unter gefährlichen Arbeitsbedingungen, in Schuldknechtschaft in Minen, beispielsweise
in Pakistan . 50 000 Kinder arbeiten allein im Kongo in
sogenannten Mineralminen, wo Coltan gefördert wird,
damit wir unser neuestes hippstes Smartphone - Galaxy
Trallala - und sonst irgendwas haben . Aus unseren Handys, aus unseren Smartphones fließt zum Teil Blut. Den
stillen Schrei dieser Kinder überhören wir, wenn wir die
Kopfhörer, aus denen das Wummern irgendwelcher Bässe kommt, aufgesetzt haben .
Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass 59 Prozent
der Kinder in der Landwirtschaft arbeiten, dass ganz
viele Kinder in Kambodscha, in Indien, in Nepal und
in Bangladesch in den Nähstuben der Industriestaaten
schuften, dann wird auch klar, dass der Catwalk, der hier
in der Nähe immer für die Fashion Week aufgebaut wird,
eigentlich in Bangladesch beginnt - blutig, schmutzig
und mit Leichen gepflastert. Das ist die Realität.
Wir befassen uns nun mit einem Antrag, der zum Teil
kritisiert und zum Teil gelobt wird . Ich will den Kollegen
Kekeritz und Movassat sagen: Sie beide wissen, dass wir
im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung eine ganze Reihe kritischer Geister haben,
die sich auch kritisch zu Wort melden . Wir hatten schon
die eine oder andere Debatte, in der wir ganz klar gesagt
haben, dass das nicht ausreicht und dass wir mehr Verbindlichkeit und mehr finanzielle Mittel brauchen. Ich
finde, das müssen wir schon hinzufügen.
Wir müssen den Teufelskreis durchbrechen, der daraus
besteht, dass Kinder arbeiten müssen, deshalb nicht zur
Schule gehen können, deshalb eine schlechte Ausbildung
haben, deshalb schlechte Arbeitsverhältnisse haben, dann
schlecht bezahlt werden, wieder schlechte Arbeitsbedingungen haben und dadurch wieder krank werden . Das
setzt sich dann von Generation zu Generation fort . Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen .
({0})
Wenn wir die Ende September in New York verabschiedeten SDGs ernst nehmen, dann müssen wir fragen, was
wir hier bei uns zum Erreichen dieser Ziele tun können .
Wir erarbeiten im Moment einen nationalen Aktionsplan
zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen. Ich hoffe, dass
wir auf diese Weise für wesentlich mehr Verbindlichkeit
sorgen werden . Der Kollege Raabe hat lange dafür gekämpft, dass das Thema Konfliktmineralien deutlicher
hervorgehoben wird .
Wir haben einen hervorragenden Antrag mit dem Titel
„Gute Arbeit weltweit“ vorgelegt . Hier geht es um gute,
faire Arbeitsbedingungen . Niemand ist ein schlechter
Mensch, weil er in einem Discounter Schokolade kauft;
denn kaum jemand weiß, dass weniger als 1 Prozent der
Schokolade, die in Deutschland gehandelt wird, fair produziert wurde . Es ist unsere Aufgabe, im Zusammenhang
mit dem vorliegenden Antrag, über den wir erstmalig beraten, dafür zu sorgen, dass verbindliche Regeln eingeführt werden und Kinderarbeit verboten wird .
({1})
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . Mit Blick
auf die folgende Debatte über die Modernisierung des
Vergaberechts sage ich: Auch hier können wir verbindliche Regeln schaffen .
Darauf achten, Kollegen!
Wenn eine öffentliche Verwaltung Handys kauft, dann
sollte sie darauf achten, dass es sich um Handys handelt,
die fair produziert und gehandelt wurden, die kein Coltan
enthalten und nicht durch Kinderarbeit hergestellt wurden .
({0})
Das ist möglich . Diese Handys sind sogar preiswerter als
andere, von vielen als cool angesehene Handys .
Ich wünsche Ihnen allen noch eine schöne Debatte .
So, jetzt reicht es .
Reden Sie, wenn Sie zu Hause in Ihren Wahlkreisen
sind, darüber, wie engagiert im Bundestag debattiert
wird .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin .
({0})
Man merkt, woher Sie kommen . Das sind die Rheinland-Pfälzer, gell?
({0})
- Gut, die Kurpfälzer .
Vielen Dank, lieber Kollege Stefan Rebmann .
Ich schließe damit die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6329 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Dann kommen wir zum nächsten Tagesordnungspunkt, zu dem Kollege Rebmann schon eingeführt hat .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts ({1})
Drucksache 18/6281
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Dann gebe ich dem ersten Redner in der Debatte das
Wort . Das ist Marcus Held für die SPD .
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe verbleibende Zuhörerinnen
und Zuhörer! Zunächst ein herzliches Dankeschön für
das Lob an die Rheinland-Pfälzer . Das möchte ich aufgreifen, auch wenn es eigentlich um das Vergaberecht
geht .
Wenn bisher zum Beispiel in Kommunalparlamenten
über Vergaben entschieden wurde, wurde letztendlich nur
über den Preis entschieden, und das führte in der Regel
bei Kommunalpolitikern zu Ärger und Unzufriedenheit .
Andere Vergabeverfahren kennen wir zwar aus vielen
anderen europäischen Ländern oder auch aus den Zeiten
beispielsweise der Konjunkturprogramme I und II, bisher
sind wir in Deutschland aber leider immer wieder in die
alten Vergabemuster zurückgefallen .
Dies wird sich nun glücklicherweise mit der heute zu
beratenden Modernisierung des Vergaberechts ändern,
nämlich mit der Umsetzung von drei EU-Richtlinien .
Auch wenn das Gesetz nur im Oberschwellenbereich
gilt, das heißt bei Bauaufträgen mit einem Volumen von
über 5,1 Millionen Euro und bei Dienstleistungen ab
207 000 Euro: Das Gesetz wird natürlich auch Auswirkungen auf die Länder haben, die sich bei ihren Vergabegesetzen daran orientieren werden . Es ist auch unser
großes Ziel, dass hier möglichst eine Vereinheitlichung
über die Länder hinweg erfolgt .
Das neue Vergaberecht ist ein großer Wurf; denn wir
erreichen eine wesentliche Vereinfachung in der Struktur
des Vergaberechts . Waren Vorschriften zur Vergabe bisher über ganz viele unterschiedliche Regelwerke verteilt,
so haben wir nun die wesentlichen im GWB, im Gesetz
gegen Wettbewerbsbeschränkungen, zusammengeführt .
Dies schafft Übersichtlichkeit, dies schafft aber auch eine
Entbürokratisierung in den Verwaltungen .
({0})
Dort, wo sich Strukturen bewährt haben, belassen wir
sie, so zum Beispiel im Baurecht . Hier gilt die eigene
Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen auch in
Zukunft, nämlich die Ihnen allen bekannte VOB/A .
Viel diskutiert wurde im Vorfeld die strategische Zielsetzung bzw . die damit verbundenen Inhalte des Gesetzes, nämlich Nachhaltigkeit, aber auch soziale Kriterien .
Öffentliche Auftraggeber können diese in Zukunft sehr
viel stärker als bisher gewichten, und dies gleich in mehreren Phasen der Vergabe: schon zu Beginn, nämlich
wenn die Leistungsbeschreibung zusammengestellt wird,
aber auch bei den Eignungskriterien, bei den Zuschlagskriterien oder am Ende, wenn es um die Ausführungsbedingungen des Auftrags geht .
Erstmals wird es mit diesem Gesetz künftig möglich
sein, Unternehmen aus Vergabeverfahren auszuschließen, wenn sie beispielsweise gegen Arbeits- oder Sozialrecht verstoßen haben . Hierfür sind extra die §§ 123
und 124 in dem Entwurf des GWB aufgeführt, die zwingende, aber auch fakultative Ausschließungsgründe beschreiben, zum Beispiel wenn Straftatbestände vorliegen, aber auch wenn Sozialversicherungsbeiträge nicht
bezahlt worden sind oder wenn in der Vergangenheit bei
öffentlichen Aufträgen das jeweilige Unternehmen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen nicht eingehalten hat .
Auch Vorgaben zur Herstellung von Waren, zum Beispiel die uns allen bekannten ILO-Kernarbeitsnormen,
oder zum Handel mit Waren, zum Beispiel Fair-Trade-Anforderungen, finden in Zukunft im neuen Vergaberecht Berücksichtigung .
({1})
Wir werden darüber hinaus Regelungen für Gütezeichen
treffen, mit denen die Anforderungen an den Herstellungsprozess und die damit verbundene teilweise sehr
lange Lieferkette nachgewiesen werden können .
Wir sind für die Prüfung der Einrichtung eines Korruptionsregisters . Aber uns muss bewusst sein: Wir können noch so schöne und wünschenswerte Regelungen in
dieses Gesetz als Ziel aufnehmen, entscheidend ist am
Ende die Überwachung und die Einhaltung der Regelungen in der Praxis . Hier appelliere ich an alle Ausführenden des Gesetzes, gegenwärtig und auch in Zukunft
genügend Zollbeamte und Kontrolleure einzustellen, die
auf den Baustellen und bei der Realisierung der Maßnahmen tätig werden . Bei den Lieferketten obliegt die Überwachung dem jeweiligen Auftraggeber, was natürlich zu
besonderem Aufwand und zu besonderen Herausforderungen führt .
Aber alle rechtlichen Verpflichtungen sind einzuhalten . Hier besteht kein Ermessensspielraum, auch wenn
dies im Vorfeld der Diskussion immer wieder einmal
anders dargestellt worden ist . Ich möchte hier ganz explizit auf § 128 im neuen GWB eingehen, nach dem im Wortlaut - „Unternehmen … bei der Ausführung des
öffentlichen Auftrags alle für sie geltenden rechtlichen
Verpflichtungen einzuhalten“ haben. Dann kommt ein
ganz langer Katalog mit entsprechenden Punkten: Steuern, Abgaben, Sozialversicherungsbeiträge, Mindestlohn, Tarifvertragsgesetze, aber auch alle Wirkungen, die
mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu tun haben, und
vieles mehr .
Das Gesetz ist aber auch deshalb ein großer Wurf, weil
soziale Dienstleistungen künftig in einem erleichterten
Verfahren vergeben werden können . Auch im sogenannten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis stehen alle Verfahren der Vergabe künftig parallel zur Verfügung . Auch
hier werden wir für die Praxis alle wichtigen Details in
entsprechenden Verordnungen parallel zum Gesetz regeln .
Dieses Gesetz ist auch deshalb ein großer Wurf, weil
wir die Belange von Menschen mit Behinderung stärker
berücksichtigen als bisher - hier verweise ich auf den
§ 118 -, weil wir die kommunale Zusammenarbeit erleichtern - wir ermöglichen sogenannte Inhouse-Vergaben für Kommunen, was mehr Freiräume schafft -, weil
wir die Rettungsdienste privilegieren, wenn sie in der
Trägerschaft von gemeinnützigen Organisationen stehen .
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die gegenwärtige Flüchtlingsproblematik eingehen . Was wären wir in
unseren Ländern, in unseren Kommunen ohne diese Rettungsdienste! Deshalb bin ich froh, dass wir mit dieser
Privilegierung ihnen auch etwas zurückgeben können .
({2})
Abschließend ein weiterer sozialer Aspekt, nämlich
der Personalübergang beim Betreiberwechsel im Schienenpersonennahverkehr . Hier bedanke ich mich ganz besonders für die Initiative der Länder, insbesondere des
Landes Rheinland-Pfalz . Durch diese Bundesratsinitiative soll künftig nämlich geregelt sein, dass bei Personenübernahmen Tarifverträge fortgelten .
Ich glaube, Sie haben an meinen Ausführungen erkannt, wie wichtig die Modernisierung des Vergaberechts
ist . Es bringt Verbesserungen für mittelständische Unternehmen durch Teil- und Fachlosvergabe . Es bringt auch
Verbesserungen für die Kommunen und die öffentlichen
Einrichtungen insgesamt, weil sie mehr Flexibilität bei
der Vergabe bekommen, aber auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil mehr soziale Kriterien
berücksichtigt werden müssen . Außerdem bringt es Verbesserungen für Menschen in aller Welt, deren Produkte
zur hiesigen Verwendung eingesetzt werden, durch die
Beachtung von Nachhaltigkeits- und Umweltkriterien .
Nicht zuletzt bringt es Verbesserungen für Menschen mit
Behinderung und für unsere Rettungsdienste .
Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen in den
kommenden Wochen . Ich kann Sie schon heute um Ihre
Zustimmung zu diesem Gesetz bitten .
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank, Marcus Held . - Nächster Redner: Klaus
Ernst für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! 400 Milliarden ist die Summe, die Bund, Länder
und Kommunen für die öffentliche Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen ausgeben - eine Riesensumme . Welche Möglichkeiten hätten wir, mit unserer Vergabepraxis in den Betrieben Dinge positiv zu beeinflussen!
({0})
Das, was Sie hier angesichts der Möglichkeiten, die
die Europäische Kommission jetzt bietet, vorlegen, ist
gewaltig . Wenn es weiterhin so ist, dass nur der Preis
entscheidet, dann bekommt oft der den Zuschlag, der der
Billigste ist und der soziale und ökologische Gesichtspunkte nicht berücksichtigt .
({1})
Jetzt wollen wir uns Ihren Gesetzentwurf genau anschauen; Kollege Held, ich habe ihn bereits studiert . Wir
haben folgende Probleme:
Erstens . In § 123 des vorliegenden Gesetzentwurfs ist
geregelt, wann ein Unternehmen vom Vergabeverfahren
zwingend ausgeschlossen wird - zwingend . Nach § 124
gibt es die Möglichkeit - das Ganze ist also fakultativ -,
jemanden auszuschließen . Nun frage ich: Warum sollen
Verstöße gegen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche
Verpflichtungen nicht zwingend zum Ausschluss führen?
Warum nicht?
({2})
Wenn man diese Möglichkeit lässt, dann führt das dazu,
dass es die eine Kommune so und die andere so macht .
Das ist keine vernünftige Regelung . An ihr kann man
sich nach wie vor vorbeischleichen . Ich frage noch einmal: Warum führen diese Verstöße nicht zwingend zum
Ausschluss? Deutlicher kann man eigentlich gar nicht
zeigen, dass man den ganzen Vorgang eigentlich nicht so
richtig ernst nimmt .
Die Forderung der Gewerkschaften, ein zentrales Register einzuführen, in der alle Unternehmen, die gegen
die Vergaberichtlinien schon einmal verstoßen haben,
aufgeführt werden, sodass derjenige, der einen Auftrag
vergibt, schauen kann, ob das interessierte Unternehmen
ein schwarzes Schaf ist oder nicht, ist zu unterstützen .
Leider ist die Schaffung eines solchen Registers im Gesetzentwurf nicht vorgesehen .
({3})
- „Wird geprüft“ . Ihr legt einen Gesetzentwurf vor, und
da steht es nicht drin . So einfach ist die Welt .
({4})
Dann regelt die Schaffung eines solchen Registers im
Gesetzentwurf, wenn ihr es wollt . Ihr habt nichts Entsprechendes hineingeschrieben .
({5})
Zweitens . Kommen wir zur Regelung der Entscheidung, welches Unternehmen einen Zuschlag bekommen
soll . Nach dem Gesetzentwurf müssen bei Ermittlung des
besten Preis-Leistungs-Verhältnisses ökologische und
soziale Kriterien nicht zwingend berücksichtigt werden sie stehen nicht im Gesetz -, sondern es bleibt im Prinzip
dem, der den Auftrag vergibt, überlassen, ob er das macht
oder nicht . Warum? Ihr hättet jetzt die Möglichkeit, mit
Blick auf die 400 Milliarden Euro wirklich ein Zeichen
zu setzen und das ins Gesetz zu schreiben . Das macht ihr
aber nicht . Traurig, traurig!
({6})
Im Übrigen wäre auch die Bestimmung möglich gewesen, dass ein Angebot mit einem ungewöhnlich niedrigen Preis zwingend abgelehnt werden muss, wenn davon auszugehen ist, dass bei diesem Angebot etwas nicht
stimmen kann .
Herr Kollege Ernst, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder -bemerkung vom Kollegen Held?
Sehr gern .
Das habe ich mir gedacht . - Herr Held .
Lieber Kollege Ernst, wenn es um soziale, aber auch
um Umweltkriterien geht, dann muss ich sagen: Wir haben in den letzten Wochen sehr intensiv über Probleme ich nenne es einmal so allgemein - bei einem großen
deutschen Automobilhersteller diskutiert .
({0})
- Sie rufen „Betrug“ . Ich will es nicht werten . - Wenn
wir vorgeben, solche Umweltkriterien zwingend zu berücksichtigen, ist die Frage an Sie alle, aber vor allem an
den Redner Ernst doch die: Wollen Sie tatsächlich alle
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei VW dadurch
bestrafen, dass Sie ein Unternehmen wie VW bei Ausschreibungen dauerhaft nicht mehr berücksichtigt sehen
wollen, auch wenn es zum Beispiel um die Beschaffung
von Polizeiautos hier in Berlin geht?
({1})
Das kann doch nicht unser Interesse sein . Da stimmen
Sie mir doch hoffentlich zu .
({2})
Ich kann Ihnen sagen: Es fehlt das Register . Es wäre ja
schon schön, wenn es ein Register gäbe . Bei VW braucht
man es nicht . Das weiß jetzt die ganze Welt .
({0})
Aber es ist trotzdem notwendig, ein solches Register zu
haben .
Ich sage Ihnen: Ja, ich bin dafür, dass der, der wirklich
in erheblichem Maß gegen entsprechende Bestimmungen verstoßen hat, künftig nicht berücksichtigt wird . Es
gibt übrigens in Deutschland auch noch andere Hersteller
als VW, bei denen man Polizeiautos kaufen könnte .
({1})
- Ich bin mit der Beantwortung Ihrer Frage, Kollege
Held, eigentlich noch nicht ganz fertig, aber bequemer
ist es, zu sitzen . Es wäre vielleicht gar nicht so schlecht,
wenn man solche Unternehmen für ein Jahr ausschließen würde, damit sie wissen, was sie da angestellt haben .
Wenn wir dann noch Regelungen schaffen, dass das nicht
zulasten der Beschäftigten geht, sondern zulasten derer,
die den Saustall verursacht haben, dann hätten wir was
gewonnen, Kollege Held .
({2})
- Wollen Sie eine Frage stellen?
({3})
Ich fahre mit meiner Rede fort, Frau Präsidentin . Nach dem Gesetzentwurf muss sich ein Auftragnehmer
nur an Tarifverträge halten, die nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz allgemeinverbindlich sind . Was
ist eigentlich mit den anderen Tarifverträgen? Warum
schreiben Sie in das Gesetz nicht hinein, dass man sich
prinzipiell an Tarifverträge zu halten hat?
({4})
Das wäre eine Möglichkeit . Das ist übrigens auch eine
Forderung der Gewerkschaften .
Weil ich die Frauen hier sitzen sehe, muss ich auch
einmal Folgendes sagen: Jetzt haben wir eine Frauenquote, zwar eine schlechte, aber wir haben zumindest eine
in großen Aktiengesellschaften . Warum schreiben wir in
das Gesetz nicht hinein, dass ein öffentlicher Auftrag nur
dahin vergeben wird, wo die Frauenquote eingehalten
wird? Das wäre doch mal was für die Frauen, oder nicht?
({5})
Warum klatschen Sie da nicht mit, Frau Gundelach? Weil
Sie in der Union die Frauenquote vielleicht gar nicht
wollen?
({6})
Das wäre zum Beispiel eine Möglichkeit, da etwas zu erreichen . Sie machen das nicht .
({7})
Meine Damen und Herren, weil Sie das nicht machen,
bleibt der Gesetzentwurf weit hinter den Möglichkeiten
zurück, die die Europäische Union einräumt .
Ich nenne Ihnen einen weiteren Punkt, Herr Held . Was
ist mit den Subunternehmern? Was ist, wenn einer einen
Auftrag von der öffentlichen Hand annimmt und dreimal
weitergibt? Sie regeln dazu in dem Gesetz überhaupt
nichts . Das wird im Ergebnis zu dem führen, was wir
auch in Dortmund schon erlebt haben . Ein Auftrag, der an
die Bundesdruckerei vergeben wurde, ist dann irgendwo
in Ungarn gelandet . Man muss doch im Gesetz regeln,
dass auch die Subunternehmer unter die gesetzlichen Bestimmungen fallen; denn sonst läuft das ins Leere .
({8})
Deshalb kann ich Ihre Auffassung, dass das ein ganz
großer Wurf ist, überhaupt nicht teilen . Ich kann Ihnen
sagen: Das ist ein Würfchen, was Sie hier machen . Ich
hoffe, dass es uns im weiteren Verfahren zu diesem Gesetzentwurf gelingt, die Dinge hineinzubringen, die dringend notwendig sind, und dass wir als Gesetzgeber die
Möglichkeit nutzen, Dinge in den Betrieben tatsächlich
zu verändern . „Tarifautonomie stärken“, das heißt zum
Beispiel, dass man festlegt: Ein Auftrag wird nur an ein
tarifgebundenes Unternehmen gegeben, sofern ein solches vorhanden ist . - So einfach wäre das zu regeln .
({9})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Dr . Herlind
Gundelach das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen heute über ein Thema, das in der Regel eigentlich nur Spezialisten interessiert und von dem vermutlich auch die meisten Bürgerinnen und Bürger noch
nie etwas gehört haben, nämlich über das Vergaberecht .
({0})
- Die meisten nicht . - Oder wie kürzlich jemand so treffend formulierte: Das ist ein Rechtsbereich im Wesentlichen von Juristen für Juristen .
({1})
- Aber es beschäftigen sich meistens die Juristen damit .
({2})
Das Vergaberecht strukturiert und regelt die Vergabe
von Aufträgen und die Beschaffung von Waren und Leistungen durch die öffentliche Hand . Und da, Herr Ernst,
möchte ich Ihnen schon einmal gleich energisch widersprechen: Das Vergaberecht ist keine verkappte Gesellschafts- und Sozialpolitik . Das sind zwei getrennte Paar
Stiefel . Das muss man einmal ganz klar sehen . Man kann
nicht immer alles durcheinandermischen .
({3})
Anlass für die Reform sind die im März 2014 veröffentlichten drei EU-Vergaberichtlinien; das hat ja der
Kollege Held schon gesagt . Wir stehen heute deswegen
auch vor dem bisher umfangreichsten vergaberechtlichen
Gesetzgebungsverfahren . Die Umsetzung wird weiterhin
im GWB erfolgen, wie es jetzt auch schon der Fall ist; ich
denke, das ist auch vernünftig . Es wird also kein eigenes
Vergabegesetz geben . Warum das so ist, darauf möchte
ich später noch einmal eingehen .
Unser erklärtes Ziel bei der Gesetzgebung ist es, das
Vergaberecht einfacher, unbürokratischer, anwenderfreundlicher und rechtssicherer zu gestalten . Außerdem
wollen wir insbesondere die Möglichkeiten des Zugangs
für kleinere und mittlere Unternehmen verbessern . Insgesamt - und da stimme ich dem Kollegen Held absolut
zu - ist der Regierungsentwurf aus meiner Sicht gelungen . Die Vorschläge gehen in die richtige Richtung . Ich
denke, es gibt aber auch noch ein paar Punkte, bei denen
wir nachbessern könnten . Dazu würde ich gerne ein bisschen ausholen .
Oberstes Prinzip bei der Vergabe ist, dass öffentliche
Auftraggeber zu den wirtschaftlichsten und sachlich besten Konditionen beschaffen sowie Wettbewerb, Gleichbehandlung und transparente Verfahren gewährleisten .
Diese Grundsätze sind wie bisher in § 97 GWB geregelt .
Dadurch verhindern wir Korruption und Vetternwirtschaft . Alle zusätzlichen Regelungen im Vergaberecht
müssen im Prinzip diesen Grundprinzipien folgen .
Aus meiner Sicht gibt es zwei wesentliche Punkte im
Regierungsentwurf, die nicht ganz konform mit diesen
Grundsätzen sind . Ich denke, auf diese müssen wir im
weiteren Gesetzgebungsverfahren eingehen .
Da ist zunächst einmal die Einbeziehung der sogenannten strategischen Ziele . Früher wurden diese übrigens als vergabefremde Kriterien bezeichnet . Ich denke,
das zeigt auch schon die Problematik, die dahinterliegt .
Die europäische Richtlinie gibt nämlich ausdrücklich
vor, dass geltende umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche
Verpflichtungen eingehalten werden müssen - ich denke,
das ist in einem Rechtsstaat eine schiere Selbstverständlichkeit - und zusätzliche Auflagen, die allerdings in direktem Zusammenhang mit dem Auftrag stehen müssen,
gemacht werden können . Diesen Vorstoß begrüße ich
außerordentlich; denn das gibt der Exekutive insgesamt
einen deutlich breiteren Handlungsspielraum .
Der Regierungsentwurf formuliert nun aber wie bei
den sozial- und umweltbezogenen Aspekten „werden“,
das heißt in dem Fall ein Muss . Sozial- und umweltbezogene Aspekte erhalten insoweit auch die gleiche Wertigkeit wie die Aspekte Qualität und Innovation . Die
Maßgabe in Artikel 67 der Richtlinie ist aber, dass ein
direkter Bezug dieser Kriterien - und darauf müssen wir
Wert legen - zum Auftragsgegenstand bestehen muss .
Außerdem liegt es im Ermessen des Auftraggebers, ob er
strategische Ziele verfolgen möchte oder nicht . Er muss
es nicht, aber er kann es machen .
Ich sehe hier ein praktisches Problem und vor allen
Dingen auch ein Problem der Rechtssicherheit; denn in
der Vergangenheit hat der EuGH mehrfach Landesvergabegesetze wegen vergabefremder Kriterien gekippt:
2008 das niedersächsische Vergabegesetz im sogenannten Rüffert-Urteil und 2014 das NRW-Vergabegesetz .
Nun ist es so, dass diese beiden Landesvergabegesetze
damals vornehmlich den Bereich Mindestlohn geregelt
haben . Dieser ist in der Zwischenzeit Gott sei Dank geregelt .
({4})
Es bleibt aber dabei: Aus europarechtlicher Sicht werden
an die Einbeziehung strategischer Ziele ganz klare Anforderungen gestellt . Das ist aber so im Regierungsentwurf nicht verankert und sollte daher aus meiner Sicht
im Sinne einer Eins-zu-eins-Umsetzung entsprechend
angepasst werden .
Kommen wir zum zweiten Aspekt, der meines Erachtens wichtig ist und tiefer gehend betrachtet werden muss .
In Artikel 12 Absätze 1 und 4 der Richtlinie werden die
vom EuGH entwickelten Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts bei sogenannten Inhouse-Geschäften - das ist die vertikale Ebene - und bei der sogenannten interkommunalen Zusammenarbeit - das ist die
horizontale Ebene - erstmals geregelt . Demnach fällt ein
zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern geschlossener Vertrag nicht unter das Vergaberecht, wenn
die Zusammenarbeit ein gemeinsames Ziel verfolgt und
dem öffentlichen Interesse dient - das ist gerade schon
dargelegt worden - und die Beteiligten auf dem offenen
Markt weniger als 20 Prozent der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten erbringen . Der damalige Vorschlag der Kommission sah übrigens 10 Prozent vor und
entsprach auch einem Urteil des EuGH .
Nun ist es so: Auch wenn wir die europäische Vergaberichtlinie noch nicht abschließend in deutsches Recht
umgesetzt haben, ist sie dennoch bereits geltendes Recht .
Daher beschäftigen sich zum Teil auch schon unsere Gerichte damit . Dieser Bereich ist eben sehr kompliziert .
Das Oberlandesgericht Koblenz hat sich vor diesem
Hintergrund im Dezember 2014 mit der Definition des
Wortes „Zusammenarbeit“ beschäftigt . Das Gericht hat
ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der
interkommunalen Zusammenarbeit um eine echte Zusammenarbeit handeln muss - die Betonung liegt auf
„Arbeit“ und nicht auf „zusammen“ -, das heißt, es kann
sich nicht nur um die Erbringung einer Leistung gegen
Bezahlung handeln . Das ist in den Kommunen momentan eigentlich eher gängige Praxis . Ich denke, auch darüber müssen wir im laufenden Gesetzgebungsverfahren
noch einmal nachdenken .
Darüber hinaus hat das OLG Celle ebenfalls im Dezember 2014 um eine Vorabentscheidung beim EuGH
zum Thema Zweckverband gebeten . Die Gründung eines
Zweckverbandes ist nämlich häufig die Folge, wenn die
soeben beschriebene interkommunale Zusammenarbeit
in die Kritik gerät . Das OLG Celle möchte ganz konkret
wissen, ob die Aufgabenübertragung auf einen Zweckverband ein öffentlicher Auftrag sein kann, und falls ja,
ob dieser Vorgang als Fall der Inhouse-Vergabe oder der
interkommunalen Zusammenarbeit in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt und daher ausgeschrieben
werden muss .
Die Kommunen vertreten in der Regel die Ansicht,
dass die Gründung eines Zweckverbandes und die damit verbundene Aufgabenübertragung ausschreibungsfrei ablaufen kann, da es keinen Vertrag zwischen dem
öffentlichen Auftraggeber und dem Unternehmer und
somit auch keinen Beschaffungsvorgang gebe . Die
Gründung eines Zweckverbandes wird als Aufgabenbewältigung durch Eigenleistung der beteiligten öffentlichen Auftraggeber betrachtet, durch die nur öffentliche
Interessen berührt werden und die durch das kommunale Selbstverwaltungsrecht nach Artikel 28 Absatz 2 des
Grundgesetzes geschützt ist. Ich finde es deswegen äußerst spannend, wie der Europäische Gerichtshof diesbezüglich entscheiden wird; denn daran werden wir uns
dann halten müssen . Grundsätzlich denke ich aber, dass
wir national so oder so das Wort „Zusammenarbeit“ im
Zuge des Gesetzgebungsverfahrens klar definieren sollten, damit in der Zukunft schlicht keine vielfältigen Interpretationen stattfinden.
Insgesamt halte ich die Vorlage, wie gesagt, für ausgewogen, wobei ich zugeben muss, dass ich mir auch
noch weiter gehende Regelungen hätte vorstellen können . Denn mit der Vergaberechtsreform - das haben wir
gehört - erhalten wir weder ein eigenes Vergabegesetz
noch führen wir einen konsequenten Systemwechsel
durch . Das Kaskadensystem bleibt in Teilen erhalten, anderes geht im Gesetz und in der dazugehörigen Verordnung auf . Mir ist klar, dass diese Forderungen vielleicht
manchmal ein bisschen zu weit gehen, aber ich denke,
wir nähern uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf diesen Vorstellungen an . Vielleicht gelingt uns ja dann bei
der nächsten Novellierung des Vergaberechts der große
Wurf .
Gestatten Sie mir zum Abschluss noch eine persönliche Bemerkung . Sie zielt auch ein bisschen auf das ab,
was der Kollege Held schon gesagt hat . Wir alle reden
immer von Bürokratieabbau . Es wäre mit Sicherheit eine
große Erleichterung, vor allem für unsere KMUs, wenn
die Länder ihre Landesvergabegesetze an das neue Recht
anpassen würden, vor allem vor dem Hintergrund, dass
die elektronische Vergabe die Vergabe der Zukunft sein
wird . 16 verschiedene Softwares und Regularien sind mit
Sicherheit nicht das, was unsere Unternehmen brauchen
können . Der Bund regelt mit diesem Gesetz - auch das
ist schon erwähnt worden - ja nur die Vergabe oberhalb
bestimmter Schwellenwerte; denn nur diesen Bereich
geben auch die Richtlinien vor . Insofern wäre es ein Gewinn für die Wirtschaft, wenn man sich auch unterhalb
dieser Schwellenwerte auf ein einheitliches Vergaberecht
verständigen könnte, und vermutlich sogar auch eine
Vereinfachung für die ausschreibenden Behörden; denn
die Bundesländergrenzen sind für Bieter und Auslober
aus meiner Sicht eine unliebsame und bürokratische
Hürde, die wir mittel- und langfristig beseitigen könnten . Das wäre aus meiner Sicht einer der besten Beiträge
zum Bürokratieabbau, den Bund und Länder gemeinsam
leisten können .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({5})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin spricht Katharina
Dröge von den Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Dr . Gundelach, Sie haben zu
Beginn Ihrer Rede gesagt, dass das Vergaberecht keine
verkappte Gesellschafts- und Sozialpolitik sein soll . Ich
muss sagen: In dieser Zuspitzung, so wie Sie sie formuliert haben, teile ich Ihre Aussage nicht .
({0})
Wenn man sich anschaut, was wir in der Vergabepolitik machen, muss man sagen: Die öffentliche Hand bewegt Milliarden . Jeder sechste Euro in der Europäischen
Union wird durch die öffentliche Hand bewegt . Das ist
ein Riesenvolumen . Damit ist der Staat der wichtigste
Nachfrager für die Wirtschaft . Die Kriterien, die wir uns
durch die Vergabepolitik geben, gestalten in erheblichem
Ausmaße, wie wir unsere Wirtschaft lenken und ob wir
auf dem Weg zu einer nachhaltigen und sozial gerechten
Wirtschaft sind oder eben nicht . Darum geht es in der
Vergabepolitik . Und damit hat die Vergabepolitik eine
erhebliche Lenkungswirkung für ganz viele gesellschaftliche Bereiche, für ganz viele Bereiche unseres alltäglichen Lebens .
({1})
Um diese Kriterien, die wir heute mit der Novellierung
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beachten, geht es . An erster Stelle steht in der Vergabepolitik
natürlich immer die Garantie eines fairen Wettbewerbs .
Es geht darum, dass beispielsweise in einer Stadt - ich
komme aus Köln - ein Auftrag an ein Unternehmen nicht
allein deshalb vergeben wird, weil der Bürgermeister den
Chef dieses Unternehmens vom Fußball kennt .
({2})
Darum geht es an erster Stelle in der Vergabepolitik .
An zweiter Stelle geht es in der Vergabepolitik darum,
dass die öffentliche Hand nicht nach der Maxime „Geiz
ist geil“ verfahren darf .
({3})
Sie darf nicht durch Vorgaben, die sie macht, und durch
Preisgrenzen, die sie setzt, die Unternehmen, die die
Angebote machen, zu Lohndumping und Preisdumping
veranlassen . Das ist aus meiner Sicht nicht nur ein soziales, sondern auch ein ökonomisch sinnvolles, ein wirtschaftliches Kriterium; denn das billigste Angebot ist
in ganz vielen Fällen nicht immer das wirtschaftlichste
Angebot . Wenn man für die öffentliche Hand arbeitet,
spielen Qualitätskriterien an vielen Stellen eine ebenso
wichtige Rolle. Deshalb finde ich es so wichtig, dass die
EU-Vergaberichtlinie den Begriff der Wirtschaftlichkeit
hier noch einmal ausdrücklich verankert hat, um dieser
Politik entgegenzuwirken .
({4})
Ich habe die EU-Vergaberichtlinien an verschiedenen
Stellen angesprochen . Herr Kollege Held, Sie haben sehr
ausführlich und - wie ich finde - auch an vielen Stellen richtig geschildert, um welche Verbesserungen es
bei der Novellierung des Vergabegesetzes geht . In erster
Linie - das gehört auch zur Wahrheit - ist der Entwurf,
den Sie als Bundesregierung vorlegen, eine Umsetzung
von EU-Richtlinien . Das ist richtig und Ihr gutes Recht .
Aber zur Wahrheit gehört auch dazu, dass man sagt, dass
die EU-Vergaberichtlinien in erheblichem Maße dadurch
verändert wurden, dass zum Beispiel meine Kolleginnen
und Kollegen im Europaparlament - ich möchte hier insbesondere Heide Rühle als Berichterstatterin erwähnen in erheblichem Maße Veränderungen daran durchsetzen
konnten .
({5})
Im Bereich „nachhaltige und soziale Beschaffung“, im
Bereich „Fair Trade“, im Bereich „erleichterte Bedingungen für kleine und mittelständische Unternehmen“ hat
meine Fraktion im Europaparlament Änderungen vorgenommen . Die können wir heute gemeinsam begrüßen .
Die setzen Sie auch um, das ist richtig. Aber ich finde, das
zu erwähnen, gehört zur Wahrheit der Geschichte dazu .
({6})
Ich habe gesagt, Sie setzen mit Ihrem Gesetzesentwurf
viele richtige Vorgaben der Richtlinien um . Wir stehen
erst am Anfang des Beratungsprozesses . Wir haben noch
eine Ausschussanhörung . Wir haben noch eine Ausschussberatung . Ich hoffe, dass wir auch in einen Dialog
treten können . An der einen oder anderen Stelle nutzen
Sie nämlich Spielräume, die Ihnen der EU-Gesetzgeber
gegeben hat, aus meiner Sicht nicht ausreichend . Darüber
müssen wir miteinander sprechen .
Zum Beispiel geht es um soziale Dienstleistungen . Wir
haben in der Vergangenheit erfahren, dass die Vergabepolitik gerade im Bereich der Arbeitsmarktdienstleistungen
und der sozialen Dienstleistungen dazu geführt hat, dass
Preisdumping und Lohndumping die Folge waren . Wenn
Träger, die einen Qualitätsanspruch hatten, oder Träger,
die auf Tariflöhne gesetzt haben, bei der Vergabe nicht
ausreichend berücksichtigt wurden, bekamen sie deswegen keinen Zuschlag und mussten sich vom Markt zurückziehen . Insolvenz war dann die Folge, und Personal
wurde entlassen . Teilweise hat es dann zwar bei anderen
Trägern neue Beschäftigung gefunden, aber zu deutlich
schlechteren Bedingungen . Das wiederum hat negative
Auswirkungen auf die Qualität der Dienstleistungen .
Hier hat der EU-Gesetzgeber Spielräume vorgesehen,
die in Ihrem Gesetzentwurf aus meiner Sicht - wir haben viele Stellungnahmen der Sozialverbände gelesen;
Sie haben sie genauso bekommen wie wir - nur unscharf
umgesetzt wurden . Hier gibt es noch Präzisierungsspielraum, den Sie nutzen sollten . Ich hoffe, dass wir in der
Anhörung in einen konstruktiven Dialog eintreten können, um den Gesetzentwurf an dieser Stelle verbessern
zu können .
({7})
Mit Blick auf die Zeit möchte ich es an dieser Stelle
damit bewenden lassen . Ich habe noch eine Reihe von
Punkten, die wir in der Anhörung beraten können . Ich
muss ganz ehrlich sagen: Das Vergaberecht ist das wichtigste Steuerungsinstrument, das wir haben, um die Wirtschaft zu lenken . Es geht nicht um die Sanktionierung
von Geschäftsmodellen, sondern es geht um das Befördern einer positiven, einer nachhaltigen, einer sozial gerechten Wirtschaft . Mit der Novellierung des Vergabegesetzes haben wir eine große Chance . Diese sollten wir
im Parlament gemeinsam nutzen . Darauf freue ich mich .
({8})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Barbara
Lanzinger von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Auch
wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint: Das Vergaberecht ist eine wirklich spannende und vor allem wichtige Materie . Es geht um die Frage: Wie erteilt die öffentliche Hand Aufträge an die Wirtschaft?
Vergaberecht muss fairen Wettbewerb garantieren .
Nur wenn Unternehmen wissen, dass sie faire Chancen
haben, gibt es auch viele Bewerberinnen und Bewerber sonst nützen die ganzen Ausschreibungen nichts . Das ist
wichtig für die öffentliche Hand, damit sie gute, innovative Angebote erhält und wirtschaftlich handeln kann . Das
Vergaberecht ist aber auch wichtig für die Wirtschaft, vor
allem für den Mittelstand . Öffentliche Aufträge haben
ein Volumen von circa 300 Milliarden Euro im Jahr; Sie
haben sogar von 400 Milliarden Euro gesprochen . Insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen ist
das ein attraktiver Markt .
Seit langem ist aber auch klar, dass das Vergaberecht
komplex und auch sehr verschachtelt ist . Das erschwert
gerade mittelständischen Unternehmen die Teilnahme an
solchen Verfahren sowie ihre Durchführung . Nachdem es
2009 schon einmal einen Ansatz zur Vereinfachung des
Vergaberechts gab, unternehmen wir nun einen neuen
Anlauf . Anlass für die Reform sind auch diesmal neue
Regelungen auf europäischer Ebene . Nicht alle europäischen Regelungen freuen uns, aber hier ist es aus meiner
Sicht schon so . Wir erhalten die Gelegenheit zur weiteren Straffung und Vereinfachung des deutschen Vergaberechts . Wir sollten sie nutzen, und wir nutzen sie auch .
({0})
Wir müssen drei EU-Richtlinien in deutsches Recht
umsetzen: die Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe, die Sektorenrichtlinie und die Konzessionsrichtlinie . Diese Modernisierung ist gut für die deutsche
Wirtschaft; denn wir verschlanken die Struktur des Vergaberechts, wir schaffen klarere, flexiblere Regeln und
bauen Bürokratie ab .
Das Vergaberecht wird übersichtlicher . Die bisherige
dreistufige Kaskade aus GWB - Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen -, Vergabeverordnung und Verdingungsordnungen wird teilweise aufgehoben - so wie
es Kollegin Gundelach schon gesagt hat . Die Verdingungsordnungen - mit Ausnahme der für den Bau - werden in die Vergabeverordnung integriert .
Die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen,
VOL, und die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen, VOF, gehen künftig in der neuen Vergabeverordnung auf . Die Einzelheiten der Vergabeverfahren werden
dort geregelt . Das ist geradezu ein Paradigmenwechsel .
Deshalb ist es wichtig, dass das Parlament ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der Verordnung bekommt,
und zwar auch dann, wenn künftig Änderungen anstehen .
Ein Paradigmenwechsel ist es auch, was die Struktur
der Vergabeverfahren betrifft . Auftraggeber erhalten jetzt
eine größere Wahlfreiheit hinsichtlich des Vergabeverfahrens . Ich denke, das ist sehr wichtig . Damit können
sie Ausschreibungen noch besser an die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Auftrags anpassen .
Diese neue Wahlfreiheit hat auch Vorteile für Auftragnehmer: Wenn künftig häufiger das nichtoffene Verfahren gewählt wird, profitieren die Bieter davon. Die Angebotserstellung ist einfacher . Unternehmen können so ihre
Ressourcen je nach Erfolgsaussicht der Bewerbung effizienter einsetzen . Dadurch fördern wir die Bereitschaft
der Unternehmen, an öffentlichen Ausschreibungen
überhaupt teilzunehmen . Das ist gut für den Wettbewerb .
Transparenz und Chancengleichheit bleiben trotzdem
gewahrt; denn auch jedem nichtoffenen Verfahren geht
ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb voraus . So steht
jedem Unternehmen bei beiden Verfahrensarten eine Bewerbung grundsätzlich offen .
Die Vereinheitlichung des Vergaberechts auf europäischer Ebene ist auch gut für den Wettbewerb innerhalb
Europas; denn bei öffentlichen Ausschreibungen können
sich Bieter aus dem gesamten europäischen Wirtschaftsraum bewerben - natürlich auch deutsche Firmen bei
Ausschreibungen im Ausland .
Je einheitlicher die Regelungen innerhalb der EU sind,
desto weniger Barrieren gibt es für internationale Bewerbungen . Das liegt auf der Hand . Wichtig ist aber schon,
die Verordnungen möglichst eins zu eins umzusetzen und
möglichst wenige Ausnahmen zu machen . Die EU-Vergaberichtlinien lassen viel Spielraum, sie enthalten viele
Kannvorschriften . Diese Spielräume sollten wir - das ist
meine und unsere Meinung - möglichst erhalten . Denn
sie machen das Vergaberecht flexibler und handhabbarer - für die öffentlichen Auftraggeber, aber auch für die
Unternehmen . Ich nenne ein Beispiel: die Losvergabe .
Die Richtlinie sieht vor, dass es den Auftraggebern überlassen bleibt, ob sie einen Auftrag gesamt oder aufgeteilt
in mehrere Lose vergeben . Die Losaufteilung soll vor allem bewirken, dass sich mittelständische Unternehmen,
KMUs, um Aufträge bewerben können . Wenn der Auftrag nicht geteilt wird, dann muss dies begründet werden .
Ich meine, das ist eine sehr gute Lösung: Sie gewährleistet den Vorrang der Losaufteilung, schreibt ihn aber nicht
zwingend vor . Damit ist die Flexibilität für Auftraggeber
gewährleistet, und die Interessen des Mittelstandes bleiben ebenfalls gewahrt .
Die strategischen Ziele wurden heute schon angesprochen . Auch hier müssen wir die Spielräume der EU-Vorgaben nutzen . Die sogenannten strategischen Ziele, also
qualitative, umweltbezogene und soziale Aspekte, sind
nicht neu, sie gibt es schon . Auch im aktuellen GWB haben Auftraggeber die Möglichkeit, solche Aspekte in die
Vergabeentscheidung mit einzubeziehen . Ich denke, auch
das hat sich bewährt . Eine stärkere Betonung dieser Ziele
halte ich nicht für richtig; denn bei allen gutgemeinten
Nebenzielen dürfen wir nicht das Wesen des Vergaberechts aus den Augen verlieren . Es geht darum, die zu
vergebenden Mittel im Sinne der Steuerzahler effizient
einzusetzen und das wirtschaftlichste Angebot auszuwählen .
Wichtig ist aber, dass wir Wirtschaftlichkeit definieren . Es kommt zu oft vor, dass die Wirtschaftlichkeit
vorrangig über Kosten und Preis definiert wird - das ist
angesichts knapper Kassen manchmal verständlich -,
aber nicht alles, was auf den ersten Blick wenig kostet,
ist langfristig günstiger, nämlich dann nicht, wenn die
Qualität nicht stimmt und kostenintensive Nachbesserungen notwendig sind . Daher meine ich, wir müssen die
Wirtschaftlichkeit so definieren, dass sie neben Preis und
Kosten zwingend auch die Qualität beinhaltet .
({1})
- Danke .
Konzentration auf das Wesentliche heißt auch: Das
Vergaberecht darf keine Spielwiese - das sage ich ganz
bewusst - für vergabefremde Ziele werden . Unternehmer, die öffentliche Aufträge übertragen bekommen,
müssen gesetzestreu sein . Aber nicht jeder Verstoß muss
zum Ausschluss aus dem Vergabeverfahren führen .
Sanktionen für Verstöße gegen das Mindestlohngesetz
oder auch gegen die Regelungen zur Frauenquote zum
Beispiel sollten nicht indirekt über das Vergaberecht erfolgen; das wäre unverhältnismäßig . Ich sage ganz bewusst: Leistungserbringung hat nichts mit Quoten zu tun .
({2})
Vorhin wurde das Thema Gemeinnützigkeit in Bezug auf Rettungsdienste angesprochen . Es geht hier aber
nicht um Gemeinnützigkeit - das ist wichtig, zu erwähnen -, sondern es geht um den Zivil- und Katastrophenschutz; somit können die Aufträge frei an die Unternehmen vergeben werden .
Ich komme zum Schluss;
({3})
ich hätte zwar noch ein paar Punkte, aber die Zeit ist zu
kurz . Was wollen wir mit dem neuen Vergaberecht erreichen? Wir wollen Qualität und Wettbewerb stärken, wir
wollen Bürokratie abbauen und den Mittelstand fördern .
Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche, dann sind
wir auf einem guten Weg .
Ich möchte mit Ludwig Erhard schließen, der gesagt
hat:
Je freier die Wirtschaft, desto sozialer ist sie auch .
({4})
Helmut Schmidt hat einmal sehr gut gesagt:
Märkte sind wie Fallschirme - sie funktionieren nur,
wenn sie offen sind .
In diesem Sinne: Lassen Sie uns weiter diskutieren .
Danke schön .
({5})
Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Bernd Westphal von der SPD das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die wesentlichen Regelungen
der neuen EU-Vergaberichtlinie in deutsches Recht umgesetzt . Im Grundsatz geht es darum, faire Ausschreibungsbedingungen, aber auch soziale und Umweltbelange mit einzubeziehen . Es sollen jene Unternehmen von
den öffentlichen Vergaben profitieren, die zum Beispiel
durch Tarifverträge, durch die Einhaltung von Arbeitsschutzstandards oder durch Mitbestimmung wichtige Aspekte der sozialen Marktwirtschaft erfüllen .
Es geht heute um die Regeln, nach denen unser Staat
die öffentlichen Aufträge vergibt . Es geht - wir haben es
eben gehört - um riesige Milliardenbeträge jedes Jahr .
Der Staat, der auf allen Ebenen gefordert ist - das erleben
wir gerade in den letzten Wochen und Monaten -, muss
bestimmen, nach welchen Regeln das erfolgt . Deshalb
gibt es ein ausgefeiltes System im Vergaberecht mit verschiedenen Verordnungen, Richtlinien und Gesetzen, die
die Beschaffung der öffentlichen Hand regeln .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir erstmals seit zehn Jahren die Chance, das Vergaberecht zu
modernisieren . Ziel ist, das bestehende Recht in Anpassung an die europäischen Regelungen flexibler und übersichtlicher zu gestalten . Die Möglichkeiten zur Berücksichtigung zusätzlicher sozialer Kriterien bei der Vergabe
werden erweitert . Die Nachhaltigkeit spielt bei der Beschaffung eine wichtige Rolle . Als Mitglied des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung finde
ich diesen Aspekt besonders wichtig .
({0})
Eine Modernisierung versprechen wir uns auch von
der elektronischen Vergabe . Für das eine oder andere
kleinere Unternehmen ist das sicherlich eine Hürde; aber
das ist ein Beitrag - Stichwort: E-Governance -, um die
Modernisierung der Verwaltung auf den Weg zu bringen .
Voraussetzung für diese Vergaben ist, dass die öffentliche Hand in der Lage ist, Investitionen zu tätigen . Deshalb hat sich gerade die Sozialdemokratie für eine Entlastung der Kommunen eingesetzt; denn dadurch haben
sie den notwendigen finanziellen Spielraum, um diese
Aufträge vergeben zu können, um diese Infrastrukturmaßnahmen leisten zu können .
Wir haben von der Fratzscher-Kommission, die vom
Wirtschaftsministerium eingesetzt wurde, eine ganze
Reihe von Vorschlägen aufgezeigt bekommen, wo öffentliche Investitionen getätigt werden müssen . Dabei
geht es vor allen Dingen um die Infrastruktur, also um
die Sanierung von Brücken und Straßen, um die Sanierung von öffentlichen Gebäuden, aber natürlich auch um
Investitionen im Bildungsbereich . Dafür sind Mittel zur
Verfügung zu stellen . Im Bereich der Infrastruktur ist es
wichtig, dass wir nicht nur Schlaglöcher, sondern auch
Funklöcher beseitigen und die digitale Entwicklung unseres Landes voranbringen .
({1})
Mit diesem Gesetz kann, wie schon gesagt, eine Menge geregelt werden . Es geht auch darum, Investitionen
anzureizen und abzusichern . Nach Verabschiedung des
vorliegenden Gesetzentwurfs profitiert unser Land von
den sozialen und ökologischen Standards, die damit gesetzt werden . Deswegen freue ich mich auf die weiteren
Beratungen im Ausschuss .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6281 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus
Zdebel, Caren Lay, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bad-Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen - Rückstellungen der
AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Bad Bank für Atom - Rückstellungen der Atomwirtschaft in öffentlich-rechtlichem Fonds sicherstellen
Drucksachen 18/1959, 18/1465, 18/6382
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin hat
Nina Scheer von der SPD-Fraktion das Wort .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über zwei
Anträge der Oppositionsfraktionen und stimmen auch
darüber ab . In den Anträgen geht es um die Folgelasten
der Nutzung von Atomenergie . Uns liegt ein Antrag der
Linken mit dem Titel „Bad Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen - Rückstellungen der AKW-Betreiber
in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen“ und
ein Antrag der Grünen mit dem Titel „Keine Bad Bank
für Atom - Rückstellungen der Atomwirtschaft in öffentlich-rechtlichem Fonds sicherstellen“ vor .
Ich möchte vor allem erst einmal darauf hinweisen,
dass wir schon eine sehr lange Zeit über dieses Thema
sprechen und wir es gesellschaftlich verschlafen haben,
während der Jahrzehnte, in denen wir die Atomenergie
genutzt haben, mitzudenken, was wir mit den Folgelasten
der Atomenergienutzung anstellen .
({0})
Die gesamte Gesellschaft war nicht in der Lage dazu, vom
Beginn der Nutzung der Atomenergie an hierfür Sorge zu
tragen . Das bestätigt sich etwa darin, dass nach Berechnungen des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft
allein von 1970 bis 2014 umgerechnet 219 Milliarden
Euro an Subventionen geleistet wurden . Das FÖS hat
ebenfalls ausgerechnet, dass in Rückbau und Endlagerung 30 bis 70 Milliarden Euro fließen werden. Allein
diese Spanne von 30 bis 70 Milliarden Euro verdeutlicht
vor allem eines: Es ist absolut unabsehbar, wie viel Last
in ökonomischer Hinsicht da wirklich auf uns zukommt .
Wir wissen, dass es bei Großprojekten, die ja für
sich genommen Schritte und Maßnahmen umfassen, die
wir alle beherrschen, zu Kostenexplosionen kommen
kann - ich nenne nur den Berliner Flughafen; es wurde in
Deutschland ja bisher nicht nur ein Flughafen gebaut -,
die wir kaum zu beherrschen wissen .
({1})
Da kann man sich, denke ich, ausmalen, welche Anforderungen beim Umgang mit höchst gefährlichem Material an uns alle gestellt werden . Bis heute gibt es weltweit keine Endlagermöglichkeiten für den Müll . Insofern
finde ich es bezeichnend, aber auch zutreffend, was ich
im Handelsblatt - es ist gut, dass es inzwischen auch
dort solche Stimmen gibt - gelesen habe . Ich möchte das
Handelsblatt zitieren:
Atomkraft? Nie wieder!
Zu riskant, zu teuer: Die Geschichte der Kernenergie
in Deutschland ist ein einzigartiges Fiasko - zumal
jetzt auch noch die Bürger für die finanziellen Folgen geradestehen sollen . Deutschland hätte sich auf
dieses Abenteuer nie einlassen dürfen, das am Ende
mehrere Hundert Milliarden Euro kosten könnte .
({2})
Solche Stimmen nun breit in der Gesellschaft und auch
in den Medien zu vernehmen, ist wichtig; das führt uns
auch die Brisanz der hiermit aufgeworfenen Fragen vor
Augen .
Wenn man sich überlegt, wer dafür die Verantwortung zu übernehmen hat, dann ist an allererster Stelle
das Verursacherprinzip zu nennen, das in unserer Rechtsordnung ganz klar verankert ist . Damit sind natürlich
die AKW-Betreiber und die Konzerne, zu denen die
AKW-Betreiber gehören, angesprochen, und zwar was
die Stilllegung, den Rückbau, aber auch die Endlagerung
betrifft .
({3})
Sie müssen grundsätzlich für alle Folgen aufkommen .
Wenn man sich vergegenwärtigt, was ich zu Anfang
gesagt habe - welche immensen, unabsehbaren Kosten
auf uns zukommen können -, folgt daraus natürlich auch,
dass man eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung
hat, Sorge zu tragen, dass dafür Vermögen vorhanden ist
bzw . dass man dem tatsächlich gerecht wird, wenn diese Pflichten zu erfüllen sind. Wir merken, dass es eine
hochgradige gesellschaftliche Abhängigkeit von der Zahlungsfähigkeit der Konzerne gibt - ich denke, in einem
Ausmaß, das wir noch nie hatten und das, wie ich bereits
sagte, nicht eindeutig zu beziffern ist .
Hier müssen wir eine gesellschaftlich-politische Verantwortung übernehmen . Es ist richtig, dass dieses Anliegen auch in den Anträgen der Oppositionsfraktionen
zum Ausdruck kommt . Aber genauso wichtig ist, hier zu
erwähnen, dass auch vonseiten der Regierungskoalition
bzw . des Wirtschaftsministeriums entsprechende Schritte
unternommen werden, und das nicht erst als Reaktion auf
die Oppositionsanträge .
So möchte ich nennen: Zunächst ist vom Wirtschaftsministerium ein Stresstestgutachten in Auftrag gegeben
worden . Es ist ein Gesetzentwurf zur Konzernnachhaftung in Planung, der auch gleich zu Veränderungen der
Aufspaltungspläne bei Eon geführt hat . Jetzt ist die Einsetzung einer Kommission in Planung, die den Umgang
mit den Konzernen regeln und klären soll, wie man sowohl die Mittel aus den steuerfreien Rückstellungen als
auch die Mittel in Bezug auf die weitergehenden Haftungen, die nach dem Verursacherprinzip gegeben sind,
sicherstellen kann .
In den nächsten Wochen wird sich diese Kommission
zusammensetzen . In den nächsten Wochen wird auch die
Konzernnachhaftung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens parlamentarisch behandelt werden . Trotz der
aktuellen dramatischen Situation - so möchte ich sie nennen - möchte ich den optimistischen Ausblick wagen,
dass in den nächsten Monaten weitere ernsthafte Schritte
in Richtung einer - ja, wie soll man es in den letzten drei
Sekunden mit den besten Worten ausdrücken? - Haftungsübernahme unternommen werden und dass wir es
auf jeden Fall hinbekommen, die notwendigen Schritte
in die Wege zu leiten und einen rechtssicheren Rahmen
zu schaffen .
An dieser Stelle bleibt mir nur, zu sagen: Die vorliegenden Anträge kann man angesichts der geplanten Vorhaben, die ich genannt habe, nur ablehnen, auch wenn
ich anerkenne, dass die Anliegen, die in diesen Anträgen
formuliert sind, natürlich durchaus richtig und lobenswert sind .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Ralph Lenkert
von der Linken das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Wer zahlt die Zeche? Normalerweise der,
der bestellt! Das heißt, für die Lagerung des Atommülls
und für die Stilllegung und den Rückbau der Atomkraftwerke müssten selbstverständlich die Energiekonzerne
Eon, RWE, Vattenfall und EnBW zahlen .
Angeblich haben die Atomkonzerne 35 Milliarden
Euro an Rückstellungen . Egal ob wir von 50 Milliarden
Euro, 80 Milliarden Euro oder 100 Milliarden Euro reden, die wir für den Rückbau der Atomkraftwerke und
für die Endlagerung von Atommüll brauchen: Diese
Rückstellungen werden nicht reichen . Wenn jetzt nicht
gegengesteuert wird, müssen wir fürchten, dass die Hinterlassenschaften von 50 Jahren Atomkraftnutzung der
Gesellschaft aufgedrückt werden . Das lehnt die Linke ab .
Für uns gilt: Wer bestellt, der zahlt .
({0})
Liebe Koalitionäre, haben Sie aus den Manövern von
Eon, RWE und Co . eigentlich nichts gelernt? Zuerst versuchten die Konzerne, sich per Ablasshandel von der
Verantwortung freizukaufen und dann eine Bad Bank zu
gründen - und das alles, um der Gesellschaft den Atommüll anzudrehen . Die Bundesregierung verhinderte wenigstens, dass sich Eon von der Atomsparte trennt . Ihr
Gesetzentwurf zur Haftung der Mutterkonzerne für ihre
Atomtöchter fehlt aber nach wie vor .
Die Rückstellungen sind sicher, sagt die Regierung .
Doch selbst ihr Gutachter, Herr Irrek, zerpflückt die eigenwillige Argumentation bei dieser Betrachtung .
({1})
Liebe Koalitionäre, kennen Sie das Insolvenzrecht?
Maximal zehn Jahre rückwirkend besteht die Möglichkeit, auf ehemalige Vermögenswerte der Atomkonzerne
zuzugreifen . Der Rückbau der AKW und der Aufbau der
Endlager dauern jedoch noch viele Jahrzehnte - genügend Zeit für die Konzerne, das Geld beiseitezuschaffen .
Ich erinnere Sie an den PCB-Skandal in Dortmund .
Dort wurde mit krebserregenden Chlorverbindungen mit PCB - aus Profitgründen nachlässig gearbeitet.
Die Gewinne wurden aus dem Unternehmen gezogen .
Gleichzeitig wurden Mitarbeiter und Umwelt vergiftet .
Dann ließ man das Unternehmen in die Insolvenz gehen,
und für die Sanierung der Umweltschäden fließen jetzt
viele Millionen Euro - aus dem Steuertopf .
Sie haben anscheinend noch nichts gelernt;
({2})
denn wenn Sie etwas gelernt hätten, dann würden Sie
heute die Anträge der Grünen und von uns, den Linken,
nicht ablehnen .
({3})
Wir wollen die Rückstellungen in einem Fonds unter
öffentliche Kontrolle bringen . Aus Erfahrung wissen wir:
Das ist verdammt notwendig . Denn oftmals versuchen
Manager und Aktionäre alles, nur um nicht zahlen oder
haften zu müssen . Dagegen muss sich unsere Gesellschaft wehren .
({4})
Wir müssen verhindern, dass sich die Rückstellungen
der Atomkonzerne in Luft auflösen - sei es, weil alte Anlagen oder Kohlekraftwerke zu Rückstellungen erklärt
werden, weil profitable Unternehmensteile scheibchenweise ausgegründet werden oder weil die leeren Hüllen
der ehemaligen Atomkonzerne letztendlich in Insolvenz
gehen .
Vor diesen Gefahren müssen die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler geschützt werden . Das sehen Sie von
der Koalition doch hoffentlich genauso .
Seit Montag gibt es wenigstens ein bisschen Hoffnung
auf Vernunft bei der Bundesregierung . Jetzt wird nämlich
eine Kommission eingesetzt, die die Höhe, das Vorhandensein und die Verfügbarkeit der Rückstellungen für
den Atommüll untersuchen soll . Ich kann nur wünschen,
dass sich die Kommission durchsetzt und Abstand zu den
Konzerninteressen bewahrt .
Damit aber dauerhaft sichergestellt wird, dass beim
Atommüll die Verursacher die Zeche zahlen, müssen wir
die Rückstellungen in einem öffentlichen Fonds sichern .
Das sagt übrigens auch Ihr eigenes Gutachten, und das
geht auch ganz einfach: Stimmen Sie heute den Anträgen
der Grünen und von uns, den Linken, zu .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Jens Koeppen
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das klingt schon alles sehr abenteuerlich, was
man hier hört, etwa der Kampfbegriff „Bad Bank“ für
Atomrückstellungen . Die gibt es ja gar nicht; das sind
von Ihnen erfundene Kampfbegriffe .
({0})
Es gibt keine Bad Bank für Atomrückstellungen .
Die vorliegenden Anträge stammen aus dem Mai und
dem Juli 2014, wurden jetzt herausgeholt und uns wieder
vorgelegt .
({1})
Sie selbst haben in Ihrem Antrag geschrieben, dass Sie
die Bad-Bank-Pläne Medienberichten entnehmen . Da
muss ich Sie fragen: Wie professionell ist es, Medienberichte zum Anlass zu nehmen, im Deutschen Bundestag
einen Antrag vorzulegen? Ich halte das für abenteuerlich .
Dann kommt wieder die alte Geschichte der vier großen bösen Energieversorger, die, sage ich einmal, die Gewinne privatisieren
({2})
und die Kosten vergesellschaften, die die Steuerzahler
schröpfen, die Gesellschaft zugrunde richten usw . usf .
Dazu muss ich Ihnen sagen: Bei den Rücklagen, die Sie
ansprechen, ist es doch immer so gewesen - das wissen
Sie auch -, dass sie Konsens waren, dass diese Rücklagen natürlich staatlich festgelegt und auch immer gelenkt
waren . Ich komme dazu auch noch auf Ihre eigene Regierungszeit zu sprechen .
Sie wissen auch, dass die friedliche Nutzung der
Kernenergie politischer Konsens war, dass die Nutzung
der Kernenergie dazu beigetragen hat, Deutschland als
Industriestandort zu wirtschaftlichem Erfolg zu verhelfen . Das war eine saubere Energieform .
({3})
Diese Energieform ist verfügbar, grundlastfähig und
auch regelbar .
Auf der anderen Seite - da haben Sie natürlich recht,
deswegen gibt es den Konsens über den Ausstieg - gibt
es die Frage: Was ist mit dieser Risikotechnologie? Vor
allen Dingen - das ist besonders wichtig -:
({4})
Was ist mit den Endlagerkosten? Deswegen ist dieser
Ausstieg im politischen Konsens beschlossen worden .
Den einen ging er zu schnell - auch ich gehöre dazu -, zu
abrupt, weil wir mit den Erneuerbaren und Alternativen
noch nicht so weit sind . Ihnen ging er zu langsam . Aber
jetzt können wir sehen, wie wir damit umgehen . Sie aber
fordern, die Konzerne zu zerschlagen . Wem nützt das?
({5})
Wir werden die vier großen Konzerne benötigen, um den
Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien zu gehen .
Meine Damen und Herren, was ist geplant gewesen?
Welche Überlegungen gab es? Es gab die Überlegung,
möglicherweise eine öffentlich-rechtliche Stiftung zu
gründen und so die Stilllegung und die Endlagerkosten
mit den 36 Milliarden Euro an Rückstellungen zu begleiten . Das war ein Konzeptpapier der Konzerne, die gefragt
haben: Wie wollen wir jetzt damit umgehen? Sie müssen
zugeben, dass diese Überlegung berechtigt ist; denn wir
haben den Konzernen politisch, obwohl es andere Agreements gab, ganz abrupt das Geschäftsmodell entzogen .
Dann wird man auch darüber nachdenken dürfen, was in
dieser Situation zu machen ist .
Bündnis 90/Die Grünen verurteilen in ihrem Antrag
diese öffentlich-rechtliche Stiftung . Zwei Absätze weiter
fordern sie die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen
Fonds - das ist genau das Gleiche - mit Sicherung der
Rücklagen, also der 36 Milliarden Euro, allerdings mit
einem gewissen Unterschied: Sie fordern von den Unternehmen eine Ewigkeitsgarantie .
Meine Damen und Herren, es gibt keine Garantie für
die Ewigkeit, bei keinem Unternehmen und nirgendwo
auf der Welt . Übrigens fordern Sie auch nicht die Ewigkeitsgarantie bei Windkraftanlagen in dem Fall, dass sie
abgebaut werden müssen, oder bei Solaranlagen dafür,
dass sie recycelt werden müssen usw .
({6})
Von diesen Unternehmen fordern Sie keine Ewigkeitsgarantie . Also, warum dort?
Meine Damen und Herren, die Debatte um die Höhe
der Rücklagen ist wirklich sehr alt . Natürlich gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob diese Rücklagen
in Höhe von 36 Milliarden Euro ausreichen oder ob sie
nicht ausreichen . Ich muss noch einmal daran erinnern:
Sie sind politisch festgelegt und gelenkt . Wer allerdings
heute beklagt, dass die Rücklagen nicht ausreichen, der
sollte wissen, dass zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung mächtig in die Kasse der Rücklagen gegriffen wurde . Ich will Ihnen das auch erläutern .
2001 gab es eine Stellungnahme der Bundesregierung
an die Europäische Kommission . Darin hieß es von der
rot-grünen Bundesregierung, also Ihrer Regierung, dass
die deutschen Rückstellungssysteme bewährt seien, dass
die Rückstellungen in der Höhe ausreichend seien und
dass es wirklich keinen Reformbedarf gebe . Darüber hinaus haben insbesondere Sie - auch das ist verbrieft - oft
gesagt, dass die Rückstellungen zu hoch sind, dass sie zu
schnell gebildet werden und die steuerlichen Vorteile für
die Unternehmen daraus einen Wettbewerbsnachteil für
andere Energieträger darstellen . Deswegen müsse man
die Rückstellungen, was die Schnelligkeit ihrer Bildung
und die Höhe betrifft, begrenzen . Das alles kann ich Ihnen zeigen, es sind Ihre Worte .
Deswegen hat der damalige Finanzminister Oskar
Lafontaine - der ja danach die Flucht ergriffen hat - mit
Ihnen zusammen in die Kasse gegriffen . Er sagte, dass
es nachträgliche Besteuerungen für die Atomkonzerne
geben muss . Das hat zur Folge, dass jetzt 50 Milliarden
D-Mark in den Rückstellungen fehlen . Meine Damen
und Herren, das ist zwar gut für den rot-grünen Haushalt
gewesen, aber sehr schlecht mit Blick auf das, was Sie
heute beklagen .
Was ist das Fazit aus dieser Geschichte? Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat jetzt einen
Stresstestbericht vorgelegt . Dort ist die Bewertung der
Rückstellungen ganz klar . Es wird gesagt, dass die Gutachter davon ausgehen, dass die Rückstellungen ausreichend sind . Jetzt gibt es natürlich auch andere Gutachten .
Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn Sie sagen:
Wir brauchen 78 Milliarden Euro . - Dann kommt aber
noch jemand, der mit seiner Zahl genau dazwischen liegt .
Ich gehe von dem Stresstestbericht aus, den die Bundesregierung vorgelegt hat .
Natürlich müssen wir schauen, wie wir jetzt gemeinsam den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren und der alternativen Energien gehen . Ich kann Ihnen nur sagen, dass
es niemandem nützt, wenn wir große Konzerne - deutsche Firmen bzw . international erfolgreiche Firmen zerschlagen . Wir werden die Energieversorgungsunternehmen nach wie vor - gerade auf dem Weg hin zu den
erneuerbaren Energien bzw . im Zeitalter der alternativen
Energien - brauchen . Wir brauchen sie auch bei der Stilllegung bzw . bei der Endlagerung . Weiter brauchen wir
sie, wenn es darum geht, neue Technologien zu entwickeln und auszuprobieren . Das wiederum ist ein gesamtgesellschaftlicher Konsens - genauso wie es damals einen gesamtgesellschaftlichen Konsens im Hinblick auf
die Nutzung der Kernenergie gab .
({7})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Sylvia
Kotting-Uhl von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Koeppen, ich habe keine Lust und leider auch keine
Zeit, mit Ihnen noch einmal die Schlachten der Vergangenheit zu schlagen . Es war wieder erkennbar, wie sehr
Sie den Atomausstieg bedauern und wie sehr Sie gerne
die Zeit zurückdrehen würden . Allein, wir haben ihn .
Und wir haben ihn hier beschlossen .
({0})
Ich will aber - von den vielen Dingen, die Sie so halb
richtig formuliert haben - doch kurz auf einen Punkt eingehen . Sie sagten, wir hätten immer beklagt, die Rückstellungen seien zu hoch . Das war ein Teil der Klage,
in der Tat . Wir haben gesagt: Angesichts mangelnder
Transparenz kann man nicht wissen, ob sie vielleicht zu
hoch oder zu niedrig sind . - Diese Transparenz ist jetzt
ein Stück weit mehr hergestellt . Dafür bin ich auch sehr
dankbar . Aber ich will trotzdem sagen: Dieser Stresstest
stellt keine rein positive Botschaft dar; er sagt nicht: Wir
brauchen uns keine Sorgen zu machen . - Ich will nur
zwei Zitate aus dem Stresstestbericht anführen . Es heißt
auf Seite 19:
Aus dieser Feststellung und daraus, dass das Vermögen der EVU die Verpflichtungen abdeckt,
- das wird festgestellt kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Finanzierung der künftigen Entsorgungskosten sicher ist .
Ein zweites Zitat findet sich auf Seite 100:
Das Risiko, dass über die Gesamtdauer der Entsorgung … eine Unterdeckung eintritt, liegt nach dieser Grafik deutlich über 25 %.
Das ist, finde ich, keine Ausgangslage, die berechtigt,
sich keine Sorgen zu machen .
Ich will ganz ehrlich sagen: Die Koinzidenz, die darin lag, dass die Aktienkurse der Energieversorger abstürzten und dann - nachdem noch wenige Tage vorher
die Nachricht etwas anders lautete - die frohe Botschaft
kam „Macht euch keine Sorgen, es ist alles in Ordnung“,
bringt zumindest mich nicht dazu, hundertprozentiges
Vertrauen in diese Botschaft zu haben .
({1})
Ich glaube, ein gewisses Misstrauen und eine gewisse
Vorsicht sind hier durchaus angebracht .
Ich komme zum Nachhaftungsgesetz. Ich finde, das ist
ein richtiges Gesetz . Es ist der richtige Zeitpunkt dafür .
Das ist ein notwendiger erster Schritt; aber es schützt uns
auch nicht vollkommen .
Die Parole „Eltern haften für ihre Kinder“ ist gut und
richtig, nur haben wir jetzt durch den Abspaltungsvorgang bei Eon nicht mehr die Sorge, dass sich die Mutter
der Haftung entzieht . Vielmehr entzieht sich das Kind natürlich der Haftung; denn es ist ja auch gar nicht vorgesehen, dass es haftet . Das heißt, Uniper wird eben nicht für
Eon haften . Eon ist zuständig für die AKW-Sparte und
damit auch für die Rückstellungen .
Wir haben im Moment eine starke Debatte mit vielen
Akteuren - leider muss ich da auch den NRW-Minister
Duin von der SPD nennen -, die sagen: Halt, was heißt
hier „Eltern haften für ihre Kinder“? Es gab doch zwei
Elternteile . Es gab die Mutterkonzerne, und es gab Vater
Staat . Also muss auch Vater Staat mit in die Haftung, vor
allem in die finanzielle Haftung genommen werden. - Da
muss ich sagen: So haben wir nicht gewettet .
({2})
So waren all die Abmachungen auch nicht von Anbeginn . Es ist richtig: Die Konzerne oder die Vorgänger
der Konzerne mussten damals von der Politik etwas zum
Jagen getragen werden . Aber sie haben nie protestiert,
als es darum ging, über die Jahrzehnte Milliarden über
Milliarden mit diesen Atomkraftwerken zu verdienen .
Sie haben bis heute - das kommt erst jetzt - auch nie
einen Zweifel daran gelassen, dass sie am Ende für die
Entsorgung zuständig sind und dafür Rückstellungen bilden müssen .
Jetzt, wo absehbar wird, dass es etwas eng werden
könnte, jetzt, wo sie sagen: „Huch, plötzlich kommt die
Politik mit lauter Entscheidungen, auf die wir uns ja gar
nicht einstellen konnten, und jetzt verdienen wir ja auf
einmal auch gar nicht mehr so viel“, soll die Politik einspringen . Es ist nicht die Aufgabe der Politik, in vorauseilendem Gehorsam zu sagen: Ja, das machen wir schon .
({3})
Vielmehr ist es Aufgabe der Politik, sich ganz klar an die
Seite der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu stellen
und erst einmal dafür zu sorgen, dass die Verpflichtungen
der Energieversorger auch von ihnen getragen werden .
({4})
Vielleicht noch etwas zum Insolvenzrisiko der Konzerne, das ja jetzt immer auch der öffentlichen Hand, dem
Staat zugeschoben wird . Es heißt: Ihr habt den Atomausstieg gemacht, ihr kommt jetzt plötzlich mit Endlagersuche an . Das konnten wir ja alles gar nicht ahnen . - Ich
will sagen: Das Insolvenzrisiko der Energiekonzerne
hängt nicht davon ab, ob ein öffentlich-rechtlicher Fonds
gegründet wird oder ob jetzt Rückstellungen verlangt
werden, um die lange bestehenden Verpflichtungen zu
sichern . Das Insolvenzrisiko der Konzerne hängt ganz
allein von ihrer Fähigkeit ab, ihr Geschäftsmodell profitabel zu entwickeln . Das ist Aufgabe der Konzerne und
im eigenen Interesse .
Es ist nicht Aufgabe der öffentlichen Hand und der
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, für ein falsches Geschäftsmodell verantwortlich zu sein und am Ende dafür
zu zahlen .
({5})
Ein Konzern wie RWE, der 5 Prozent erneuerbarer Energien in seinem Portfolio hat, muss sich schleunigst umstellen; sonst kann er nicht nur für die Rückstellungen
nicht aufkommen, sondern wird auch sehr schnell insolvent sein .
Zum Schluss . Der Bundestag, wir, liebe Kolleginnen
und Kollegen, müssen uns entscheiden, an wessen Seite
wir stehen . Wir können uns an die Seite der Konzerne
stellen . Wir können uns aber auch an die Seite der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler stellen . Wer das nicht tut,
wer sich nicht an die Seite der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler stellt und dafür sorgt, dass sie nicht die verfehlten Verpflichtungen der Konzerne übernehmen, wird
das den Bürgern erklären müssen .
Stimmen Sie unserem Antrag zu! Dann stehen Sie auf
der richtigen Seite .
({6})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Barbara
Lanzinger von der CDU/CSU das Wort .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und
Kollegen! Besucherinnen und Besucher! Nach dem Beschluss des Bundestages, aus der Atomenergie bis 2020
auszusteigen, heißt es für uns: Wir müssen uns nicht nur
Gedanken darüber machen, wie wir die Umstellung unseres Energiesystems meistern - das ging dann ja doch
recht schnell -, sondern auch, wie wir gemeinsam die
nukleare Energie zurückbauen und entsorgen . Dass diese
Technologie nicht ohne Einschränkungen nutzbar sein
wird, war uns, denke ich, schon von Anfang an klar . Wir
haben bereits 1960 das Atomgesetz erlassen . Ein Gesetz,
in dem klar geregelt wird, dass die Betreiber von Kernkraftwerken auch für den Rückbau und die Entsorgung
verantwortlich sind - getreu dem Verursacherprinzip .
({0})
Und genau dieses Prinzip gilt auch heute noch für uns .
Aus dieser Verantwortung wollen und werden wir die
Energieunternehmen auch nicht entlassen . Das steht für
uns auch gar nicht zur Debatte .
({1})
Deshalb haben wir auch im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir „von den Kernkraftwerksbetreibern ihre
Mitwirkung an der Energiewende und die Wahrnehmung
ihrer Verantwortung für die geordnete Beendigung der
Kernenergienutzung erwarten“ und dass wir auch erwarten, „dass die Kosten für den Atommüll und den Rückbau der kerntechnischen Anlagen von den Verursachern
getragen werden“ . Dafür müssen und mussten die Konzerne Rückstellungen bilden . Eines steht für uns fest:
Betrieb und Rückbau sind ein Gesamtpaket und nicht
verschiedene Teile . Es darf jedoch nicht sein, dass die
Energieversorgungsunternehmen ihre Verantwortung mit
der Auszahlung von Rückstellungen weitergeben bzw .
übergeben . Hierfür müssen wir die rechtlichen Ansprüche und Konsequenzen klären .
Neben der Verantwortung der Kernkraftbetreiber
müssen wir aber auch darauf achten, dass die Rahmenbedingungen für die Betreiber vernünftig sind, um den
Energieversorgern ein Wirtschaften zu ermöglichen und
ihre Vermögenswerte auch nicht zu entwerten . Wenn wir
als Politik ständig über neue Orte diskutieren, die für ein
Endlager geeignet sind, und ständig neue Anforderungen
stellen, dann haben die Unternehmen keine Planungssicherheit . Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die
Rückstellungen dann nicht ausreichen .
({2})
Es ist nicht sinnvoll, ständig über die Insolvenz dieser
Unternehmen zu spekulieren und sie regelrecht herbeizureden, wie Sie das machen . Diese Unternehmen spielen für uns schließlich noch für lange Zeit eine wichtige
Rolle für unsere Versorgungssicherheit . Deshalb haben
wir neben den finanziellen und gesellschaftsrechtlichen
Fragen auch insbesondere verfassungsrechtliche Fragen
zu klären .
Ganz anders lesen sich Ihre Anträge und das von Ihnen in Auftrag gegebene Gutachten . Dieses kommt zu
dem Ergebnis, dass sich die Unternehmen bewusst ihrer Verantwortung entziehen würden . Das kann man so
nicht stehen lassen . Eine Rückstellungsbildung bedeute
zwangsläufig - so Sie und Ihre Gutachten -, dass Gelder
für den Zweck der Finanzierung von Rückbau und Ewigkeitslasten angelegt würden . Diese Argumentation ist
nicht sachgerecht . Ich kann mir die Forderung aus Ihrem
Gutachten, die Versorgungsunternehmen nicht nur finanziell zu belangen, sondern auch noch ihr Eigentum an
Sachanlagen und Beteiligungen im Netzbereich und gegebenenfalls sogar im Energievertriebsbereich in einen
Fonds zu überführen, überhaupt nicht erklären . Das kann
man nicht gutheißen . Das käme einer Enteignung gleich .
Das ist Sozialismus pur . So etwas dulden wir nicht, und
so etwas tragen wir auch nicht mit .
({3})
Vor kurzem habe ich zu dem Thema ein interessantes
Zitat von Ihnen gelesen, Frau Kotting-Uhl . Sie sind zwar
der Meinung, dass man nicht immer auf die Vergangenheit abheben sollte . Aber manchmal ist es wichtig, zu
vergleichen . Sie haben kürzlich im Tagesspiegel gesagt:
Der Stresstest zeigt vielmehr, dass das bisherige
System der Rückstellungen mit großen Unsicherheiten behaftet und schlicht nicht tragfähig ist .
Ich bin schon sehr erstaunt, dass Sie das Rückstellungssystem sowohl in der Presse als auch in Ihren Anträgen
so stark kritisieren; denn mit diesem System wird seit
dem Beginn der Kernenergienutzung in Deutschland,
also seit 50 Jahren, erfolgreich gearbeitet .
({4})
- Schreien Sie doch nicht so!
({5})
- Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu .
({6})
Und 2001 hat die rot-grüne Bundesregierung noch in
ihrer Mitteilung an die EU betont, dass „das deutsche
Rückstellungssystem für die Kernenergie sich seit Jahrzehnten bewährt .
({7})
Es gibt keinen Fall, in dem Rückstellungsmittel nicht
bedarfsgerecht für die Stilllegung zur Verfügung standen
oder nicht künftig zur Verfügung stehen werden .“ Jetzt
sehen Sie das plötzlich ganz anders, obwohl sich nichts
verändert hat . Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Wir
müssen den Fakten ins Auge sehen und vernünftige Rahmenbedingungen für die Energiewirtschaftsunternehmen
schaffen, statt ständig neue Anforderungen zu stellen
und Stimmung zu machen . Um bessere Bedingungen
zu schaffen, wurden am 1 . Juli im Koalitionsausschuss
drei wichtige Schritte beschlossen, die ich wiederholen
möchte .
Der erste Schritt war der Stresstest, mit dem Wirtschaftsprüfer die Höhe der Rückstellungen sowie die
Korrektheit der Bilanzierungspraxis überprüft haben .
Das Ergebnis zeigt: Die Rückstellungen in Höhe von
circa 38 Milliarden Euro wurden sachgerecht gerechnet
und reichen aus . Auch sei die Werthaltigkeit der Güter
gegeben . Die Energieversorger sind grundsätzlich in der
Lage, ihre atomrechtlichen Entsorgungsverpflichtungen zu erfüllen . Die Kostenschätzung zeigt noch etwas
Interessantes; denn es werden verschiedene Beispiele
berechnet: Die Rückbaukosten werden in Deutschland
auf durchschnittlich 857 Millionen Euro je Reaktor geschätzt, während die geschätzten Kosten in anderen
Staaten zwischen 205 Millionen und 542 Millionen Euro
liegen .
Die Endlagerproblematik ist eine große Aufgabe für
die Endlagerkommission . Wenn die Politik ein zusätzliches Endlager möchte - ich wiederhole mich jetzt - und
dann die Rückstellungen nicht reichen, liegt das nicht in
der Verantwortung der Energieversorger .
In einem zweiten Schritt wurde dann gestern die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs eingesetzt . Hier sollen unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Stresstests und der Einbindung
der Endlagerkommission die verschiedenen Modelle
gründlich überprüft werden .
Der dritte Schritt, das Gesetz zur Konzernnachhaftung, wurde heute schon erwähnt . Das brauche ich nicht
noch einmal zu tun, außer Sie wollen es noch einmal hören .
Sie sehen: Wir nehmen die Thematik sehr ernst . Wir
müssen die Fragen im Gesamtzusammenhang sehen und
können diese nicht, wie von der Opposition gefordert,
getrennt voneinander diskutieren und entscheiden . Gerade bei einem solch wichtigen Zukunftsthema gilt - das ist
mein Motto, das wir, das gebe ich zu, oftmals vernachlässigen -: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit .
Vielen Dank für das Zuhören . Ich wünsche Ihnen noch
ein schönes Wochenende .
({8})
Vielen Dank . - Als letzte Rednerin in dieser Debatte
hat Hiltrud Lotze von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! 2022, in sieben
Jahren, wird in Deutschland das letzte Atomkraftwerk
abgeschaltet, und das ist sehr gut .
({0})
Damit beginnt dann ohne Wenn und Aber die Phase des
Rückbaus, die sowohl technisch als auch finanziell sehr
anspruchsvoll ist . Im Ziel sind wir gar nicht auseinander:
Die Energiekonzerne müssen haften, und dafür muss das
Geld da sein, bis das letzte Atomkraftwerk abgebaut und
der Atommüll im Endlager verschlossen ist .
({1})
Für uns als SPD ist es zwingend, dass die Atomkonzerne ihren Verpflichtungen vollumfänglich nachkommen . Deswegen haben wir das auch im Koalitionsvertrag
festgehalten . Wie wir das sicherstellen, über den Weg zur
Erreichung dieses Ziels, darüber diskutieren wir noch .
Gut ist - und dafür danke -, dass unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und die Umweltministerin
Barbara Hendricks in Sachen Atomausstieg, Rückbau
und Endlagerung so viel bewegen wie noch nie zuvor:
Wir haben gestern die 14 . Novelle zum Atomgesetz beschlossen . Das NaPro liegt vor . Die Endlagerkommission
arbeitet . Der Gesetzentwurf zur Nachhaftung liegt vor .
Eine Kommission zur Überprüfung der Finanzen des
Kernenergieausstiegs wurde eingesetzt, und es wurden
die beiden hier schon erwähnten Studien erstellt . Diese
Studien sagen aus, dass es letztlich fast unmöglich ist, die
Kosten für den Rückbau der AKW und die Endlagerung
genau abzuschätzen . Die Studien sagen weiter aus, dass
die Kosten vermutlich immer etwas höher als niedriger
liegen werden und dass es wichtig ist, im Hinblick auf
die Entwicklungen Vorsorge zu treffen .
Ich wiederhole es, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Das Verursacherprinzip gilt uneingeschränkt .
({2})
Wir als SPD werden keiner Lösung zustimmen, bei der
am Ende die Gewinne bei den Konzernen bleiben, die
Folgekosten für Rückbau und Endlagerung aber auf die
Allgemeinheit, auf den Steuerzahler abgewälzt werden .
({3})
Etwas anderes wäre auch nicht zu vermitteln, schon gar
nicht in meiner Heimatregion, zu der auch Gorleben
gehört . Sigmar Gabriel hat mit dem Gesetzentwurf zur
Nachhaftung klargestellt, dass auch im Fall einer Abspaltung der Atomsparte ein Konzern weiter mit seinem
gesamten Vermögen haften muss und sich nicht aus der
Affäre ziehen kann .
({4})
Meine Damen und Herren, besonders diejenigen, die
in der Endlagerkommission mitarbeiten, wir wissen, dass
ein Endlager für hochradioaktive Abfälle voraussichtlich
nicht vor 2050 zur Verfügung steht . Dann wird es noch
mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen, bis der Müll
eingelagert ist . Das Gesetz zur langfristigen Nachhaftung
ist deswegen ein wichtiger erster Schritt dahin, dass die
Verursacher ihrer Verantwortung auf lange Zeit gerecht
werden .
Das Gesetz schützt aber nicht vor einer möglichen
Insolvenz . Deswegen wird in einem zweiten wichtigen
Schritt die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs - ein langer Name, kurz:
KFK -, eingesetzt . Diese Kommission wird bis Ende
Januar 2016 - das ist ein ziemlich ambitionierter Zeitraum - Handlungsempfehlungen erarbeiten, wie die
Finanzierung von Stilllegung und Rückbau der Kernkraftwerke sowie Entsorgung des Atommülls so gestaltet
werden kann, dass dem Verursacherprinzip auch noch
in 2050, in 2060, in 2070 ff . Rechnung getragen wird .
Ich gehe davon aus, dass bei den Überlegungen in dieser
Kommission natürlich auch die Fondslösung diskutiert
wird .
({5})
Dieser Diskussion und den Ergebnissen der Kommission sollten wir doch nicht vorgreifen . Heute ein Gesetz
zu verabschieden, macht keinen Sinn . Warten wir die
Ergebnisse der Kommission ab, und machen wir dann
auf Grundlage dieser Ergebnisse ein Gesetz . Das ist der
richtige Ablauf . Deswegen lehnen wir heute Ihre beiden
Anträge ab .
Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche allen
bis zum 4 . November 2015 eine gute Zeit .
({6})
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
auf Drucksache 18/6382 .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1959 mit dem
Titel „Bad-Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen - Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen“ . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer
stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist diese
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Unter Buchstabe b der Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1465
mit dem Titel „Keine Bad Bank für Atom - Rückstellungen der Atomwirtschaft in öffentlich-rechtlichen
Fonds sicherstellen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Jetzt sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4 . November 2015, 13 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen allen
einige hoffentlich erholsame Tage .