Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich und möchte Ihnen vor Eintritt in
die Tagesordnung eine Vereinbarung zwischen den Fraktionen vortragen, zu der ich Sie um Ihre Zustimmung bitte. Es ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in
der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag
in Ankara
({0})
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({1})
a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/
CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Einsetzung des 3. Untersuchungsausschus-
ses
Drucksache 18/6330
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen
- Völkerstrafprozesse in Deutschland voranbringen
Drucksache 18/6341
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({3})
Federführung strittig
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes
({4}) zu dem Dritten Gesetz
zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes
Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4164,
18/4189, 18/4514, 18/6370
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn ({5}), Kai Gehring, Sven-Christian
Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bund-Länder-Aktionsplan „Studentisches
Wohnen, Integration und soziale Infrastruktur“ auflegen
Drucksache 18/6336
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Monika Lazar, Christian Kühn ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sport und Alltag verbinden - Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpassen
Drucksache 18/4329
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({7})
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 5 a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung
einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten
Drucksache 18/5088
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht
und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten
Drucksache 18/5171
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({8})
Drucksache 18/6391
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André
Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Auf Vorratsdatenspeicherung verzichten
Drucksachen 18/4971, 18/6391
Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Der Tagesordnungspunkt 5 f - hier geht es um den
Antrag mit dem Titel „Besonders gefährdete Flüchtlinge
in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften besser schützen“ - soll heute abgesetzt werden.
Ebenso soll der Tagesordnungspunkt 15, der Antrag
zum Thema Sport und Fankultur, abgesetzt und stattdessen der Antrag auf Drucksache 18/4329 zum Thema
„Sport und Alltag verbinden“ aufgerufen werden.
Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.
Ich mache schließlich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Der am 25. September 2015 ({10}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({11}) sowie
dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({12}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie
Drucksache 18/5922
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({13})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Der am 25. September 2015 ({14}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({15}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung
des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes
an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Drucksache 18/5923
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({16})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Der am 25. September 2015 ({17}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Innenausschuss ({18}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Stärkung der pflegerischen Versorgung
und zur Änderung weiterer Vorschriften
({19})
Drucksache 18/5926
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({20})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Der am 24. September 2015 ({21}) überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss
für Wirtschaft und Energie ({22}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn ({23}),
Oliver Krischer, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zum Schutz der Verbraucher - Unzutreffende Angaben beim Spritverbrauch und Schadstoffausstoß
von PKW beenden
Drucksache 18/6070
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({24})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden sind. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann
ist das so beschlossen.
Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 4 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am
15./16. Oktober 2015 in Brüssel
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 77 Minuten vorgesehen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Also verfahren wir so.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin Frau Angela Merkel.
({25})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Zusammenhalt Europas
ist auch 58 Jahre nach Verabschiedung der Römischen
Verträge nicht selbstverständlich, sondern er ist ein kostPräsident Dr. Norbert Lammert
barer Schatz. Er wird - auch das lehrt die Erfahrung der
letzten 58 Jahre - immer wieder auf die Probe gestellt,
manchmal sogar auf eine sehr harte Probe. Und doch ist
dieser Zusammenhalt Europas so wie damals vor 58 Jahren auch heute unverzichtbar, um die drängenden Fragen,
denen wir gegenüberstehen, zu beantworten.
Denken wir dabei zunächst an die unverändert große Aufgabe, die europäische Staatsschuldenkrise nicht
einfach irgendwie, sondern dauerhaft und nachhaltig zu
überwinden, also so, dass Europa nach der Krise stärker
ist als vor der Krise. Es ist erst wenige Wochen her, dass
die Lage in Griechenland uns alle in Atem hielt und täglich die Hauptschlagzeilen prägte. Mittlerweile scheint
das fast schon Ewigkeiten zurückzuliegen. Dennoch
dürfen wir natürlich in unseren Bemühungen nicht nachlassen, die Reformprozesse in Europa auf der Grundlage
nationaler Eigenverantwortung und europäischer Solidarität fortzusetzen, vorneweg in den von der Krise ganz
besonders betroffenen Staaten.
Wir dürfen auch nicht nachlassen - da sind wir längst
nicht am Ende -, die Gründungsfehler der Europäischen
Wirtschafts- und Währungsunion zu beheben. Dazu
müssen wir weiter daran arbeiten, zum Beispiel die wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa zu verbessern
und zu intensivieren. Denn die gemeinsame Währung
steht wie keine zweite Entscheidung des europäischen
Einigungsprozesses auch dafür, wie und wie stark wir
weltweit unsere Werte und Interessen behaupten können,
und dies gerade in einer Zeit schwierigster außen- und
sicherheitspolitischer Herausforderungen.
Das gilt ganz besonders mit Blick auf die Lage in
der Ukraine. Wir werden weiter an der Umsetzung der
Minsker Vereinbarung arbeiten, gemeinsam mit Frankreich - im Normandie-Format - und in enger Abstimmung mit unseren europäischen und transatlantischen
Partnern.
({0})
Dazu gehört auch, dass unser Vorgehen bei den gegen
Russland verhängten Sanktionen an die Umsetzung eben
genau dieses Minsker Abkommens gekoppelt ist und
bleibt.
Der seit September weitgehend eingehaltene Waffenstillstand, der begonnene Abzug schwerer und leichter
Waffen und ganz besonders die Absage der Wahlen bzw.
die Verschiebung des Wahltermins in den Gebieten der
Separatisten sind der Hoffnungsschimmer, der sich realisiert und von dem ich im Februar, als wir die Minsker
Vereinbarung abgeschlossen haben, gesprochen habe.
Ich spreche immer noch von einem Hoffnungsschimmer - nicht mehr, aber auch nicht weniger ist es -, aber
das bietet uns jetzt die Chance, endlich auch auf dem
Weg zu einer politischen Lösung voranzukommen. Der
unabdingbare Schlussstein von Minsk ist der vollständige Abzug aller sich illegal in der Ukraine aufhaltenden
Truppen und Söldner sowie die vollständige Kontrolle
der Ukraine über ihre eigene Grenze. Unser Ziel ist und
bleibt die Wiederherstellung der freien Selbstbestimmung der Ukraine und ihrer territorialen Unversehrtheit.
({1})
Meine Damen und Herren, auf dem heute beginnenden Europäischen Rat werden wir auch über den weiteren
Prozess zum Referendum in Großbritannien sprechen.
Es versteht sich von selbst, dass wir dabei konstruktiv
mit der britischen Regierung zusammenarbeiten werden.
Das habe ich bei meinem Besuch am letzten Freitag auch
dem britischen Premierminister David Cameron noch
einmal zugesichert. Aber es versteht sich von selbst, dass
es Unverhandelbares gibt, dass es Errungenschaften der
europäischen Integration gibt, die nicht zur Disposition
gestellt werden können, wie etwa das Prinzip der Freizügigkeit und das Prinzip der Nichtdiskriminierung. Auch
das habe ich natürlich deutlich gemacht.
({2})
Jetzt wird es vor allen Dingen an der britischen Seite
liegen, in den kommenden Wochen ihre inhaltlichen Vorstellungen noch einmal zu präzisieren. Ich bin überzeugt
davon, dass wir am Ende einen tragfähigen Kompromiss
finden können. Ich wünsche mir Großbritannien weiterhin als aktiven Partner in einer starken Europäischen
Union.
({3})
Denn gerade in Anbetracht der großen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen, die wir zu meistern
haben, brauchen wir ein Europa, das näher zusammenrückt, statt ein Europa, das auseinanderdriftet.
Kein anderes Thema macht in diesen Tagen so deutlich, wie groß die Herausforderung ist, die Europa angesichts der vielen Menschen zu bestehen hat, und wie
stark diese uns fordert. Deshalb müssen wir eine europäische Antwort auf die Frage finden, wie Europa auf
Herausforderungen wie Krieg und Verfolgung in unserer
Nachbarschaft reagiert. Es ist nicht übertrieben, diese
Aufgabe als historische Bewährungsprobe Europas zu
bezeichnen. Es ist klar, dass die Bewältigung dieser Bewährungsprobe nur gelingen kann, wenn wir parallel an
vielen Stellen und auf allen Ebenen ansetzen: national, in
den Kommunen, den Ländern, beim Bund genauso wie
in Europa und global in der Außen- und Entwicklungspolitik. Denn es gibt ihn nicht, den einen Schalter, den wir
zur erfolgreichen Bewältigung dieser Herausforderung
einfach umlegen könnten, und dann wäre es geschafft.
Abschottung im 21. Jahrhundert ist angesichts des
Internets ebenfalls eine Illusion. Sie wäre weder für
Deutschland noch für die Europäische Union als Ganzes eine vernünftige Alternative. Also: Nur gemeinsames
Handeln aller Ebenen ist der Weg, der den Anforderungen unserer globalisierten und digitalisierten Zeit gerecht
wird und mit dem wir es schaffen werden, diese historische Bewährungsprobe zu meistern. In den letzten Wochen haben wir hierbei einiges erreicht, jedenfalls viel
mehr als in vielen Monaten und Jahren zuvor. Denken
wir nur an das Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs am 23. April dieses Jahres, das keine wirklich weitreichenden Beschlüsse zustande gebracht hat. Damals
gab es umfangreiche Kritik. 800 Menschen waren im
Mittelmeer umgekommen. Nur wenig war als Schlussfolgerung zu sehen.
National sind viele ganz zentrale innenpolitische
Maßnahmen in dem jetzigen Gesetzespaket enthalten,
das dem Bundestag heute zur Entscheidung vorliegt und
das in enger Abstimmung mit den Ländern erarbeitet
wurde. Ich möchte mich bei allen bedanken, die daran
mitgewirkt haben. Es zeigt, dass unser Land nicht nur
in Finanzkrisen schnell, flexibel und im Geiste des Miteinanders reagieren kann - Bund, Länder, Städte und
Gemeinden -, sondern dass wir, wenn es um alles geht auch um Kern und Inhalte unserer Grundwerte, also um
unsere deutsche und europäische Verfasstheit -, in der
Lage sind, zu handeln. Das ist eine gute Botschaft an die
Menschen.
({4})
Ich will hier nur die wesentlichen Stichworte nennen, die unser Gesetzespaket vorsieht. Das sind die
Verpflichtungen des Bundes zur finanziellen Unterstützung der Länder und Kommunen, so die Einführung von
Pauschalbeträgen, die sich nach der Zahl der tatsächlich
aufgenommenen Personen und nach der Dauer der Bearbeitung der Anträge richten. Es sind die Förderung
des sozialen Wohnungsbaus, die Förderung bei der Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, die
Erleichterung des Zugangs zu Integrationskursen, zur
Sprachförderung und zum Arbeitsmarkt für Menschen
mit guter Bleibeperspektive und die Beschleunigung der
Verfahren für Menschen mit geringer Bleibeperspektive,
auch um sie anschließend deutlich schneller in ihre Heimatländer zurückführen zu können. Weiter sind es die
Einstufung von Albanien, Kosovo und Montenegro als
sichere Herkunftsstaaten, die laufende Verbesserung der
Ausstattung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, damit Asylanträge künftig schneller bearbeitet und
entschieden werden können. Die Verringerung der Anreize, die dazu führen können, dass Menschen aus rein
finanziellen Gründen nach Deutschland kommen, bedeutet beispielsweise, dass wir in den Erstaufnahmeeinrichtungen vor allem Sachleistungen zur Verfügung stellen.
({5})
Das waren einige der Punkte, die wir heute beschließen
werden und die wichtig und ein Beispiel für schnelles
Handeln sind.
So kann man sagen: Es ist Bund und Ländern gemeinsam gelungen, ein gutes nationales Gesamtpaket zu vereinbaren, und ich werbe heute um Ihre Zustimmung.
({6})
Ich sage ganz offen: Sich zu enthalten, ist aus meiner
Sicht in einer solchen Frage keine Option, die den Menschen im Lande hilft.
({7})
Mit diesem in kürzester Zeit erarbeiteten Paket verbessern wir zum 1. November dieses Jahres, also in weniger als einem Monat, die Voraussetzung dafür, dass
diejenigen, die aus wirtschaftlicher Not zu uns kommen
und sich daher zu Unrecht auf unser Grundrecht auf Asyl
berufen, unser Land schneller als bisher wieder verlassen, damit diejenigen, die tatsächlich vor Krieg und Verfolgung zu uns geflohen sind, sehr viel besser und effizienter als bislang Hilfe von uns allen bekommen.
({8})
Der Bund und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
haben, glaube ich, durch die Entscheidung, gerade die
finanziellen Leistungen des Bundes zu erhöhen, deutlich
gemacht: Wir alle halten dies für eine nationale Kraftanstrengung, für eine nationale Gesamtaufgabe. Und das ist
auch richtig so.
({9})
Gerade um denjenigen zu helfen, die länger bei uns
bleiben - wobei ich auch noch einmal darauf hinweisen
möchte, dass nach der Genfer Flüchtlingskonvention der
Aufenthaltsstatus für Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten erst einmal auf drei Jahre beschränkt ist und dann geschaut wird, ob sich die außenpolitischen Bedingungen
verbessert haben -, ist es wichtig, dass wir ein Gesetzespaket geschaffen haben, mit dem auch die Integration
schneller und besser stattfinden kann, und zwar auf der
Grundlage unserer Verfassung, auf der Grundlage unserer Werte und auf der Grundlage unserer Gesetze.
({10})
Meine Damen und Herren, so wichtig, so richtig und
so unverzichtbar alle Maßnahmen unseres Gesetzpaketes auch sind - ihnen werden im Übrigen weitere folgen;
wir reden im Augenblick über die Umsetzung von zwei
EU-Richtlinien inklusive der Option eines Transitverfahrens im Landgrenzenbereich -, so richtig bleibt es, dass
all diese Maßnahmen auf nationaler Ebene bei weitem
nicht ausreichen werden, um die historische Bewährungsprobe zu bestehen, von der ich vorhin sprach. Dafür
braucht es mehr, und dafür braucht es vor allen Dingen
ein gesamteuropäisches Vorgehen. Ich habe dafür beim
letzten Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs am
23. September geworben, der Bundesinnenminister hat
das beim letzten Innenministertreffen am 8. und 9. Oktober getan. Ich habe dafür in der vergangenen Woche
zusammen mit dem französischen Präsidenten François
Hollande im Europäischen Parlament geworben. Genau
dafür werde ich mich heute beim regulären Treffen des
Europäischen Rates mit aller Entschiedenheit einsetzen.
({11})
Ganz konkret wird es heute in Brüssel darum gehen,
die Umsetzung der am 23. September getroffenen Beschlüsse zu überprüfen und, wo notwendig, neue Maßnahmen anzustoßen. Ich danke ausdrücklich dem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der mehrere
konkrete Maßnahmenpakete vorgelegt hat, die wichtige
Schritte beinhalten und in die richtige Richtung weisen.
Wir erleben so direkt wie nie, dass in unserer globalisierten Welt Kriege, Konflikte und Perspektivlosigkeit,
die es vermeintlich nur sehr weit von uns entfernt gibt,
immer häufiger bis vor unsere Haustüren gelangen. Die
wichtigste Ursache für die aktuelle Flüchtlingsbewegung
nach Europa ist und bleibt der Krieg in Syrien. Um die
Situation in diesem von Terror und Gewalt so furchtbar
gequälten Land zu stabilisieren und langfristig zu befrieden, brauchen wir natürlich einen Prozess des politischen
Dialogs, der auch Russland und andere internationale
Akteure, auch regionale Akteure, einbezieht.
Um auch das gleich zu sagen: All das braucht einen
langen Atem, vielleicht sogar einen sehr langen. Seit
Beginn des Bürgerkriegs in Syrien vor über vier Jahren
mussten wir erleben, dass viele Millionen Menschen
flüchten. Das ist einfach nur deprimierend. Wir müssen
auch konstatieren: Alle bisherigen diplomatischen Bemühungen haben nicht den geringsten Erfolg gebracht, und
nichts - auch das will ich nicht verschweigen - macht
uns derzeit Mut, dass sich an der desolaten Lage des Landes, dessen Menschen von Assad und IS gleichsam in die
Zange genommen werden, schon in allernächster Zeit etwas Entscheidendes zum Guten wenden könnte.
Sollen wir es dann also gleich sein lassen? Sollen wir
erst gar nicht versuchen, weiterzumachen? Sollen wir
aufgeben? Nein, das kann keine vernünftige Option sein.
Deshalb wählen wir sie auch nicht. Wir wollen vielmehr
in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft
unseren ganz bescheidenen Teil dazu beitragen, dass der
Prozess eines politischen Dialogs in Gang gesetzt werden
kann. Dem diente die Reise des Bundesaußenministers
nach Kuwait, dem dient die Reise des Bundesaußenministers in den nächsten Tagen nach Iran und Saudi-Arabien, dem dient auch meine Reise in die Türkei.
Wir verstärken gleichzeitig unsere Bemühungen, immer auch die Länder zu unterstützen, die im Moment den
weit überwiegenden Teil der Flüchtlinge aus Syrien bei
sich beherbergen und dies auch weiter tun werden. Das
sind allen voran die Türkei, der Libanon und Jordanien.
Diese Länder verdienen größte Anerkennung für die Hilfe, die sie für die Menschen leisten, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen sind, und sie verdienen unsere
Unterstützung, meine Damen und Herren, und zwar ganz
konkret.
({12})
Das verlangt, dass wir uns finanziell stärker als bisher engagieren. Deshalb haben wir auf dem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am 23. September
dazu aufgerufen, den vor Ort tätigen Hilfsorganisationen
1 Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Die
EU-Institutionen haben rasch gehandelt. Im Eilverfahren
hat der Rat bereits zusätzlich 200 Millionen Euro aus
dem diesjährigen EU-Haushalt genehmigt; dem hat gestern Abend auch das Europäische Parlament zugestimmt.
Im kommenden Jahr soll dann die humanitäre Hilfe aus
dem EU-Haushalt um zusätzliche 300 Millionen Euro
aufgestockt werden. Deutschland hat darüber hinaus seinen eigenen Beitrag bereits um 100 Millionen Euro erhöht. Und ich sage zu: Sollte sich herausstellen, dass diese Zusagen gerade mit Blick auf den anstehenden Winter
nicht ausreichen, um die Lebensmittelleistungen wieder
zu erhöhen, dann werden wir weitere Mittel einsetzen.
({13})
Denn je besser es uns gelingt, menschenwürdige Bedingungen und Lebensperspektiven in der Nähe der Heimatstaaten der Flüchtlinge wiederherzustellen, desto
weniger werden sich Menschen gezwungen sehen, den
gefährlichen Weg nach Europa auf sich zu nehmen.
Meine Damen und Herren, ohne Zweifel: Eine Schlüsselrolle in dieser Situation spielt die Türkei; denn mit
über 2 Millionen Schutzsuchenden trägt sie derzeit die
Hauptlast der Fluchtbewegung aus Syrien. Die meisten
Kriegsflüchtlinge, die in die Europäische Union kommen, reisen über die Türkei ein. Wir werden die Flüchtlingsbewegung daher nicht ordnen und eindämmen
können, ohne mit der Türkei zusammenzuarbeiten. Das
beinhaltet, dass wir der Türkei für die Versorgung der
Flüchtlinge und für die humanitäre Hilfe größere Unterstützung zuteilwerden lassen. Das beinhaltet auch, dass
wir bei der Grenzsicherung und bei der Bekämpfung krimineller Schlepperbanden zusammenarbeiten; denn es
ist nicht hinnehmbar, dass die schmale Meeresrinne, die
zwischen der türkischen Küste und den griechischen Inseln und damit zwischen zwei NATO-Partnern liegt, im
Augenblick von Schleppern beherrscht wird.
({14})
Zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Türkei hat die Europäische
Kommission einen Aktionsplan vorgelegt, den wir nun
rasch mit der Türkei vereinbaren müssen; gestern war der
stellvertretende Kommissionspräsident Timmermans in
der Türkei. Die Bundesregierung unterstützt diese Bemühungen zusätzlich durch den deutsch-türkischen Migrationsdialog, zu dem morgen die ersten Gespräche stattfinden werden. Ich werde am Sonntag nach Istanbul reisen,
um mit den Vertretern der Türkei über die Ergebnisse des
heute beginnenden Europäischen Rates zu sprechen.
Meine Damen und Herren, ich verstehe, dass manche
von uns besorgt sind, ob es Europa in den Beratungen
mit der Türkei gelingt, nicht nur aktuelle Interessen in
der Flüchtlingsfrage zum Ausdruck zu bringen, sondern
immer auch unsere Werte zu behaupten. Führen wir uns
dazu vor Augen: Mit der Türkei finden Verhandlungen
über den Beitritt zur Europäischen Union statt. Es gilt das ist selbstverständlich - das Prinzip: Pacta sunt servanda, Verträge werden eingehalten. Die Verhandlungen
der EU mit der Türkei werden ergebnisoffen geführt. DaBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
ran hält sich die Bundesregierung, daran halte auch ich
mich.
In diesem Geiste habe ich in der Vergangenheit alle
meine Gespräche mit der Türkei geführt, und so wird es
auch am Sonntag wieder sein. Am Sonntag werden alle
Fragen - wie die Lage in Syrien, Visafreiheit, sichere
Herkunfts- und Drittstaaten, der gemeinsame Kampf gegen Terrorismus und die Situation der Menschenrechte in
der Türkei - auf den Tisch kommen. Wir dürfen jedoch
nicht den Fehler machen, jetzt nur noch auf die Fluchtbewegungen über die Türkei in Richtung Europa zu schauen, so wie wir, wenn wir ehrlich sind, im Frühling - also
noch vor wenigen Monaten, jedenfalls viel zu lange - nur
auf die Fluchtbewegungen über Italien in Richtung Nordeuropa geschaut haben.
In einer globalisierten Zeit müssen wir alles mit allem im Zusammenhang betrachten. Deshalb werden wir
auch die Zusammenarbeit mit den vielen anderen Transit- und Herkunftsstaaten verstärken, insbesondere in
Afrika. Mitte November werden wir mit den dortigen
Partnerstaaten auf Malta zu einem EU-Afrika-Gipfel
zusammenkommen, von dem wir konkrete und spürbare Fortschritte erwarten; der Europäische Rat wird auch
dieses Treffen heute vorbereiten. Wir arbeiten darauf
hin, dass die Europäische Union 1,8 Milliarden Euro für
eine bessere Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika
zur Verfügung stellt. Dabei geht es um die Verbesserung
der wirtschaftlichen Perspektiven für die dort lebenden
Menschen, aber auch um die Stärkung der Kapazitäten
der afrikanischen Staaten im Kampf gegen kriminelle
Schlepperbanden.
Aber nun noch einmal zurück zur Europäischen Union: Dies umfasst auch, dass wir entschieden weiter daran arbeiten müssen, die Lage an den Außengrenzen der
Europäischen Union besser in den Griff zu bekommen.
Mit der Entscheidung für Dublin haben wir die Kontrolle
im Wesentlichen an die europäischen Außengrenzen verlegt. Das war ein Vertrauensvorschuss, den wir gegeben
haben. Wir müssen heute konstatieren, dass diese Kontrolle an den Außengrenzen nicht funktioniert. Deshalb
muss sie stärker auf die europäische Gemeinsamkeit gestellt werden, deshalb muss sie effektiver gemacht werden, deshalb müssen wir Personal zur Verfügung stellen.
Die Kommission hat bis zu 1 100 Personen angefordert.
Gemeldet haben wenige Mitgliedstaaten, unter anderem
Deutschland, unter anderem Österreich; aber ich erwarte - das muss Ergebnis dieses Europäischen Rats sein -,
dass alle ihren Beitrag dazu leisten. Das ist selbstverständlich.
({15})
Dazu gehört, dass wir die europäische Grenzschutzagentur Frontex stärken. Die Mitgliedstaaten müssen, wie
gesagt, ihr Personal entsenden. Frontex lebt davon, dass
Mitgliedstaaten Personal zur Verfügung stellen. Die Meldungen sind enttäuschend; ich sagte es schon.
Dazu gehört, dass wir Hotspots einrichten. Die ersten
Arbeiten haben begonnen. An diesen Hotspots an der
Außengrenze sollen Flüchtlinge - das wissen Sie -, die
in Europa ankommen, unmittelbar untergebracht, registriert und auf ihre Schutzbedürftigkeit überprüft werden.
Wir haben im Kreise der Staats- und Regierungschefs
vereinbart, dass die Hotspots bis Ende November voll
funktionsfähig sein sollen. Die ersten Einrichtungen - es
gibt wenige, aber es gibt immerhin Fortschritte - haben
inzwischen in Italien und Griechenland ihre Arbeit aufgenommen. Deutschland trägt zum Aufbau der Hotspots
bei, indem wir Italien und Griechenland personell und
materiell unterstützen. Auch hier sage ich: Das wird nur
gelingen, wenn wir das als eine gesamteuropäische Aufgabe verstehen.
({16})
Die sogenannten Hotspots sind sozusagen der Ausgangspunkt einer fairen Verteilung in Europa. Wir haben
nach kontroversen Diskussionen und auch einer kontroversen Abstimmung die Verteilung von 160 000 Flüchtlingen beschlossen. Die Umsetzung dieses wichtigen
Beschlusses der Justiz- und Innenminister hat begonnen.
Ende letzter Woche wurden die ersten Flüchtlinge aus
Eritrea von Italien nach Schweden gebracht. Es werden
weitere folgen, die von Griechenland nach Luxemburg
gebracht werden.
Ich weiß, das ist nur ein erster, kleiner Anfang; aber
damit ist der Rahmen gesetzt. Seit dem Sondergipfel der
Staats- und Regierungschefs im September 2015 sind
hierzu wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht worden. Ich bleibe unverändert - und das ist die Meinung
der ganzen Bundesregierung - davon überzeugt, dass wir
einen dauerhaften und verbindlichen Verteilungsmechanismus in Europa benötigen, genauso wie ihn die Europäische Kommission vorgeschlagen hat. Deshalb werden
wir weiter daran arbeiten.
({17})
Da wird noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein;
aber wir werden nicht nachlassen.
Neben der fairen und solidarischen Verteilung ist ein
weiteres ganz wichtiges gesamteuropäisches Thema die
Rückführung von Menschen, die keinen Anspruch auf
Schutz in der Europäischen Union haben. Die Rückführungsquote in der Europäischen Union lag im letzten Jahr
bei unter 40 Prozent. Das ist alles andere als zufriedenstellend; da müssen wir besser werden. Aber - ich habe
mir die Zahlen sehr genau angeguckt - Deutschland liegt
hier nirgends an der Spitze. Deshalb müssen vor allen
Dingen wir besser werden; unser nationales Maßnahmenpaket trägt ja genau dazu bei.
({18})
Ich habe bereits im Europäischen Parlament gesagt,
dass das Dublin-Verfahren in der Praxis nicht funktioniert. Deshalb ist es gut und richtig, dass die Europäische
Kommission angekündigt hat, im Frühjahr kommenden
Jahres einen Vorschlag zur Änderung von Dublin vorzulegen. Wir werden uns auch mit eigenen Vorschlägen
daran beteiligen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, die
Themen, die wir heute beim Europäischen Rat in Brüssel
besprechen werden, machen einmal mehr deutlich, wie
sehr wir ein Europa brauchen, das sich solidarisch verhält, statt gesamteuropäische Herausforderungen zu Problemen einzelner Mitgliedstaaten zu erklären. Ein Europa, das in einer globalisierten Welt seiner Verantwortung
gerecht wird, weil es seine Werte und Interessen weltweit
behaupten will, das muss ein solidarisches Europa sein.
Alles andere wird scheitern.
({19})
Ein Europa, das diese Solidarität annimmt und auch
lebt das wird noch ein mühevoller Prozess; aber ich glaube, dass wir erfolgreich sein können , ein solches Europa,
das auf dieser Grundlage arbeitet, wird auch stärker aus
dieser Krise hervorgehen, als es in diese Krise hineingegangen ist. Ich werde mich heute beim Europäischen Rat
dafür einsetzen und bitte um Ihrer aller Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({20})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau
Bundeskanzlerin! Es gibt Werte, die man mit Blick auf
die großen Traditionen von der Antike bis zur Aufklärung mit gutem Grund und im besten Sinne als europäische Werte bezeichnen kann. Demokratie, Solidarität und
auch Gerechtigkeit gehören dazu. Wie wenig die Europäische Union mit solchen Werten zu tun hat, zeigt sich in
der Flüchtlingskrise besonders krass. Europäische Einigkeit besteht gegenwärtig eigentlich nur darin, mehr in die
Abschottung der EU-Außengrenzen zu investieren - ein
Konjunkturprogramm für die Stacheldrahthersteller und
für die Schleusermafia statt einer verantwortungsvollen
europäischen Flüchtlingspolitik.
({0})
Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für Europa.
({1})
Natürlich weiß jeder, dass die Lösung nicht darin
liegt, die vielen Millionen verzweifelten Menschen, die
weltweit auf der Flucht vor Krieg, vor Bürgerkrieg und
vor Terror sind,
({2})
in die EU oder gar nach Deutschland zu holen. Aber gerade deshalb wäre es endlich an der Zeit, über die Beseitigung von Fluchtursachen nicht nur zu reden, sondern
auch real etwas dafür zu tun, dass es auf dieser Welt
weniger Krieg, weniger Bürgerkrieg und weniger Terror
gibt.
({3})
Sagen Sie jetzt nicht, das liege nicht in Ihrer Macht.
Die Vereinigten Staaten haben ihre Öl- und Gaskriege
immer mit Beteiligung europäischer Länder geführt.
US-Drohnen morden mit logistischer Unterstützung aus
Deutschland. Die Saudis führen ihren Krieg im Jemen
unter anderem mit deutschen Waffen. Es ist doch zutiefst
verlogen, über die Beseitigung von Fluchtursachen zu
reden und gleichzeitig die Waffenexporte ausgerechnet
nach Saudi-Arabien zu verdreifachen. So bekämpft man
Fluchtursachen nicht, sondern so macht man glänzende
Geschäfte mit ihnen.
({4})
Deshalb muss ich Ihnen sagen: Solange Sie Waffenexporte in Spannungsgebiete nicht endlich verbieten, ist
das ganze Gerede über die Bekämpfung von Fluchtursachen vollkommen unglaubwürdig.
({5})
Darüber hinaus brauchen wir endlich eine eigenständige europäische Politik gegenüber den Vereinigten Staaten, gerade wenn sie sich als oberster Feldwebel dieser
Welt aufspielen und bomben und töten, wo immer es
ihnen passt. Ohne den Irakkrieg gäbe es den „Islamischen Staat“ nicht, der heute in Syrien wütet. Das jüngste Kriegsverbrechen in Kunduz mit 22 zivilen Toten,
Ärzten und Patienten zeigt erneut den ganzen Zynismus
dieser angeblichen Antiterrorkriege. Genau diese Kriege
mit ihren Tausenden zivilen Opfern sind es doch, die den
Hass säen, auf dem der islamistische Terror gedeiht.
({6})
Deshalb unterstützen wir es durchaus, dass Sie, Frau
Merkel, eben noch einmal für eine politische Lösung für
Syrien plädiert haben. Ich denke, es gibt keinen anderen
Weg. Auch der IS, der sich in Städten mit Tausenden zivilen Einwohnern versteckt, lässt sich nicht mit Bomben
stoppen, und zwar weder mit amerikanischen noch mit
russischen.
({7})
Wenn man den IS stoppen will, dann muss man ihn
von Waffenlieferungen und Finanzen abschneiden. Eines
der Länder, die in der Vergangenheit genau das Gegenteil
getan haben und immer noch tun, die den IS also direkt
und indirekt unterstützt haben, ist allerdings die Türkei,
und ausgerechnet die soll jetzt unser großer Partner in der
Flüchtlingskrise werden, ausgerechnet Erdoğan, der sein
eigenes Land durch die Aufkündigung des Friedensprozesses mit den Kurden an den Rand eines Bürgerkrieges
führt.
({8})
Einen Augenblick, Frau Wagenknecht. - Ich darf sowohl auf der Regierungsbank als auch im Plenum um ein
gewisses Maß an Aufmerksamkeit bitten.
({0})
Vielen Dank. - Wie gut die Türkei zum sicheren Drittstaat taugt, hat der furchtbare Anschlag mit über 100 Toten am letzten Wochenende gezeigt. Ich finde, es ist eine
humanitäre Bankrotterklärung, mit einem Regime zu
paktieren, das Journalisten, Kurden und Gewerkschafter
verfolgt.
({0})
Frau Merkel, sagen Sie deshalb Ihre Türkei-Reise ab.
So kurz vor den Wahlen ist sie nichts anderes als direkte
Wahlkampfhilfe für Erdoğan.
({1})
Natürlich ist es wichtig, dass die Lager vor Ort, in denen sich ungleich mehr Flüchtlinge aufhalten als in der
gesamten EU, besser ausgestattet werden. Das erreichen
wir aber doch nicht dadurch, dass wir uns für Erdoğans
Machtpolitik einspannen lassen,
({2})
sondern indem wir Hilfsorganisationen wie die Welternährungsorganisation der UN besser ausstatten, damit sie
ihre Aufgaben dort erfüllen können.
({3})
Ich muss sagen: Sie können doch nicht im Ernst glauben, dass Sie mit einer zusätzlichen Milliarde, die die EU
jetzt in Aussicht gestellt hat, die Lebensbedingungen von
etwa 10 Millionen Flüchtlingen, die es derzeit in und um
Syrien gibt, wirklich verbessern können. Wer so etwas
erzählt, der ist doch einfach unseriös.
({4})
Inzwischen ist davon auszugehen, dass in diesem Jahr
über 1 Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Die Willkommenskultur, die große Teile der Bevölkerung in den letzten Wochen und Monaten an den Tag gelegt haben, ist wirklich bewundernswert. Es ist jetzt aber
auch langsam an der Zeit für eine Verantwortungskultur
der Politik, und zwar vor allem der Bundespolitik,
({5})
die damit beginnen muss, dass man sich den vorhandenen Problemen stellt, statt sie kleinzureden.
Die hundertste Wiederholung Ihres „Wir schaffen
das“, Frau Bundeskanzlerin, hilft dem Bürgermeister
einer Gemeinde unter Haushaltsnotstand, der eine winterfeste Unterbringungsmöglichkeit für die Flüchtlinge
braucht und schon überlegt, in welchen anderen Bereichen er dafür kürzen muss, nicht. Wir erleben zurzeit
doch ein eklatantes Staatsversagen, und jetzt rächt es
sich, dass die politischen Weichen in diesem Land seit
vielen Jahren in die falsche Richtung gestellt wurden.
Es ist doch nicht erst seit dem Zuzug der Flüchtlinge so, dass bezahlbarer Wohnraum gerade für diejenigen
fehlt, die kein dickes Portemonnaie haben. Das ist seit
vielen Jahren so. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass
die Kommunen durch Steuersenkungen für Reiche und
Unternehmen finanziell ausgehungert wurden, sodass
viele unter diesem Druck eben ihren Wohnungsbestand
verkauft haben. Das ist doch eine Realität.
Genauso ist es nicht erst seit dem Zuzug der vielen
Flüchtlingskinder so, dass in diesem Land Lehrer fehlen.
Schon seit vielen Jahren werden Lehrerstellen abgebaut,
weil die Verkleinerung des öffentlichen Dienstes natürlich immer das leichteste Mittel ist, um im Korsett der
Schuldenbremse klarzukommen.
Einige von Ihnen reden hier von Leitkultur, aber Sie
schaffen es noch nicht einmal, zu verhindern, dass wegen
des Lehrermangels immer mehr Deutschstunden ausfallen und viele Kinder die Schule verlassen, ohne jemals
einen Zugang zu Thomas Manns Der Zauberberg oder
Goethes Faust gefunden zu haben.
({6})
Dieses Bildungselend, die Wohnungsnot und auch
den riesigen Niedriglohnsektor gab es schon, bevor die
Flüchtlinge kamen, aber natürlich werden diese Probleme jetzt ins Extremste verschärft. Die Stimmen, die den
ohnehin schon lückenhaften Mindestlohn weiter aufweichen wollen, werden immer lauter. Das heißt, die Zuwanderung soll jetzt auch noch für Lohndumping missbraucht werden. Ich finde das unerträglich. Das muss
verhindert werden.
({7})
Wir brauchen stattdessen dringend bessere Sicherungen gegen Lohndrückerei. Wir brauchen ein groß angelegtes öffentliches Wohnungsbauprogramm. Wir brauchen eine massive Aufstockung der Bildungsausgaben.
Wer jetzt immer noch meint, dieses Problem ließe sich
dadurch lösen, dass man die Budgets ein bisschen umschichtet, der hat, finde ich, den Ernst der Lage nicht begriffen.
Natürlich können wir es schaffen. Deutschland ist ein
reiches Land. Aber dann muss man eben auch den Mut
haben, sich das Geld bei den Reichen zu holen und nicht
bei den Armen.
({8})
Allein die 500 reichsten Familien in Deutschland haben
ein Privatvermögen in Höhe von über 600 Milliarden
Euro. Die zehn reichsten Familien kassieren zusammen
Dividenden in Höhe von 2,4 Milliarden Euro im Jahr.
Aber statt solch unverschämten Reichtum höher
zu besteuern, lassen Sie es zu, dass die Kosten für die
Flüchtlinge als Argument dafür herhalten müssen, warum wir unsere Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas
nicht ordentlich bezahlen können. Sie lassen es zu, dass
Mietern in kommunalen Wohnungen gekündigt wird, um
Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Wissen Sie nicht,
was Sie damit anrichten?
Frau Merkel, Sie haben mehrfach Ihre Aussage wiederholt, dass Sie Menschen in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen wollen. Aber ganz abgesehen
davon, dass das freundliche Gesicht mit den geplanten
Internierungslagern an der Grenze zu einer ziemlich
hässlichen Grimasse zu werden droht,
({9})
fragen sich auch viele: Wo war und wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber Menschen in Notsituationen
hier im Land? Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber
denen, die von Jobcentern gedemütigt und in miese Billiglohnjobs gedrängt werden?
({10})
Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber der alleinerziehenden Mutter, die ihre Kinder nur noch dank des Angebots der Tafeln satt bekommt?
({11})
Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber der wachsenden Zahl von Menschen, denen nach einem langen Arbeitsleben Armut im Alter droht?
({12})
All diese Notsituationen lassen Sie seit vielen Jahren
zu - mit einem ziemlich ungerührten Gesicht.
({13})
Ich erinnere Sie daran, wie viel Geld Sie über Nacht
bereitgestellt haben, als deutsche Banken ins Taumeln
gerieten. Heute taumeln in Deutschland Städte und Gemeinden, aber Sie hantieren mit Kleinbeträgen.
({14})
Ich sage Ihnen: Wer selbst von Zukunftsangst gequält
wird, der ist selten bereit, anderen mit offenen Armen
eine Perspektive zu bieten.
({15})
Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung wahr, statt zuzulassen, dass AfD, Pegida und Co. dort ernten gehen, wo
Sie Spannungen und Überforderung gesät haben,
({16})
sonst - das muss ich Ihnen sagen - wird mir angst und
bange, wenn ich daran denke, wie dieses Land in ein oder
zwei Jahren aussehen wird.
({17})
Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte
Frau Wagenknecht, auch in Ihrer ersten Rede als neu gewählte Fraktionsvorsitzende ist es Ihnen nicht gelungen,
mich mit Ihren Ausführungen zu überzeugen.
({0})
Ich möchte Ihnen trotzdem zu Ihrer Wahl gratulieren.
Viele Menschen verändern sich, wenn sie ein solches
Amt ausüben. Das wünsche ich auch Ihnen von ganzem
Herzen.
({1})
Meine Damen und Herren, auf dem heutigen Europäischen Rat müssen die Staats- und Regierungschefs den
nächsten großen Schritt zur Bewältigung der Flüchtlingskrise gehen. Diese Krise kann Deutschland auch zusammen mit Österreich und Schweden nicht allein bestehen.
Dazu brauchen wir die Hilfe von ganz Europa.
Finanzminister Wolfgang Schäuble hat aus italienischen und französischen Zeitungen zitiert, Deutschland
habe mit seiner Entscheidung, die Flüchtlinge aus Ungarn aufzunehmen, die Ehre Europas gerettet. Es ist gut,
dass uns die Aufnahme von Flüchtlingen überall viel
Respekt einbringt, aber nach meinem Verständnis ist es
nicht die Aufgabe Deutschlands, Europas Ehre zu retten.
Europa kann seine Ehre nur selber retten.
({2})
Ein erster Schritt dazu war der Beschluss über die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen und die Errichtung von
Hotspots in Griechenland und Italien. Dem müssen jetzt
weitere Schritte folgen. Das heißt für mich zuallererst:
Europa muss an vorderster Stelle stehen, wenn es darum
geht, die Fluchtursachen zu beseitigen. Viele Menschen
fliehen zu uns, weil es in den Flüchtlingslagern im Nahen
Osten nicht mehr genug zu essen gibt. Das können wir
schnell ändern. Wir müssen den Ländern, die den größten
Teil der Flüchtlinge aufnehmen, mit aller Kraft helfen.
Ich möchte Frank-Walter Steinmeier danken: Aufgrund seiner Initiative wurde in New York vereinbart,
dass die Etats des Welternährungsprogramms und des
UN-Flüchtlingshilfswerks um 1,8 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Das ist ein guter Anfang.
({3})
Aber ich finde, auch die EU muss mehr Mittel mobilisieren, als es auf dem letzten Gipfel vereinbart wurde.
({4})
Das geht allerdings nur, wenn die EU ihren Haushalt auf
den Prüfstand stellt. Er scheint mir völlig aus der Zeit
gefallen zu sein. Man kann ihm in keiner Weise ansehen,
dass sich diese Welt total verändert hat. Im Jahr 2016 gibt
die Europäische Union 150 Milliarden Euro aus, 40 Prozent davon für Agrarsubventionen. 34 Prozent fließen in
die Strukturfonds. Für Migration und Entwicklungshilfe
gibt es dagegen nur Kleckerbeträge.
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen Haushalt, der der weltpolitischen Rolle und Bedeutung Europas gerecht wird, und das heißt für mich: mehr Geld für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und mehr Geld für die
Bewältigung der Flüchtlingskrise.
({5})
Die zweite große Aufgabe Europas ist die Sicherung
der europäischen Außengrenzen. Die Freizügigkeit bzw.
die Reisefreiheit, um die uns viele Menschen in der ganzen Welt beneiden, wird nur dann erhalten bleiben, wenn
es gelingt, die EU-Außengrenzen zu sichern. Wenn die
EU-Außengrenzen offen bleiben, wird Schengen fallen,
und das müssen wir unbedingt verhindern.
({6})
Sichere Außengrenzen bedeuten keineswegs die Abschottung von Europa. Ganz im Gegenteil: Deutschland
wird auch in Zukunft viele Flüchtlinge aufnehmen. Aber
das muss in einem geordneten Verfahren geschehen, an
dem sich alle Länder Europas beteiligen.
Mittelfristig brauchen wir ohnehin ein europäisches
Asylverfahren, ein Verfahren, in dem nicht nationale,
sondern europäische Gerichte entscheiden. Wir brauchen
gemeinschaftliche europäische Standards für Asylbewerber. Denn das, was wir derzeit erleben, ist die Nationalisierung des Asylrechts. Das überfordert einige wenige
Länder, und das spaltet am Ende ganz Europa.
({7})
Für eine bessere Flüchtlingspolitik brauchen wir die
Kooperation mit der Türkei. Wir alle wissen, dass die
Ausgangslage nach dem furchtbaren Terroranschlag in
Ankara und nach dem Kriegseinsatz Russlands in Syrien
nicht einfacher geworden ist. Trotzdem müssen wir mit
allen Beteiligten reden. Daran führt kein Weg vorbei.
Ich finde es richtig, dass die Bundeskanzlerin am
Sonntag in die Türkei fährt, und ich bin sicher - das hat
sie eben auch klargemacht -, dass sie dort auch die richtigen Worte findet. Nur eine rechtsstaatliche und demokratische Türkei kann ein starker Partner für Europa sein.
({8})
Meine Damen und Herren, die ersten Reaktionen
der Deutschen auf die vielen Flüchtlinge waren offene
Herzen und Optimismus. Fast jeder zweite Deutsche hat
mittlerweile entweder für die Flüchtlinge gespendet oder
ist in irgendeiner Weise selbst aktiv geworden. Das ist
das größte zivilgesellschaftliche Engagement, das wir in
unserem Land je erlebt haben. Dafür möchte ich allen,
die dabei mitgemacht haben, ganz herzlich danken.
({9})
Aber neben diesem anhaltenden Engagement haben
sich auch viele Ängste und Sorgen in der Mitte unserer
Gesellschaft entwickelt. Und die müssen wir ernst nehmen.
Ich war in der vergangenen Woche mit den Kollegen
Jürgen Trittin und Fritz Güntzler bei einer Bürgerversammlung in Friedland. In Friedland leben im Augenblick auf 700 Plätzen 3 000 Flüchtlinge. Zu dieser Bürgerversammlung kamen 450 Menschen. Die haben ihre
Sorgen auf den Tisch gepackt. Da war von Überforderung die Rede, von Müll auf den Straßen, von Bedrohungssituationen und Regelverletzungen.
({10})
Ich bin aber am Ende trotzdem optimistisch aus dieser
Veranstaltung herausgegangen; denn es gab überhaupt
keine Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit. Und das Ergebnis spricht am Ende auch für sich. Der Bürgermeister hat zugesagt, dass er die Straßenlaternen nachts nicht
mehr abdimmt. Das stärkt das subjektive Sicherheitsgefühl. Die Polizei hat zugesagt, dass sie die Präsenz im
Lager erhöht, sodass sie bei Konflikten schnell eingreifen
kann. Und wir waren uns alle einig, dass wir Flüchtlinge mit Sprachkenntnissen und sozialer Kompetenz viel
stärker in die Flüchtlingshilfe einbinden müssen. Was ich
sagen will, ist: Man kann etwas gegen Ängste unternehmen.
({11})
Wir dürfen die Menschen nicht wegen ihrer Ängste abstempeln. Wir dürfen die Probleme nicht verschweigen,
sonst wenden sich die Bürger von der Politik ab und gehen zu Pegida. Und das müssen wir unbedingt verhindern, meine Damen und Herren!
({12})
Das Motto „Wir schaffen das“ ist ein guter Appell an
die ehrenamtlichen Helfer; aber der Satz darf jetzt keine
bloße Durchhalteparole werden. Jetzt muss der Staat seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Vom „Wir
schaffen das“ müssen wir jetzt übergehen zum „Wir machen das“. Das erwarten die Menschen von uns.
({13})
Ich bin deshalb froh, dass wir heute gemeinsam ein
Asylpaket verabschieden werden. Dazu gibt es - und
das ist gut - in beiden Koalitionsfraktionen Entscheidungen ohne Gegenstimmen. Wir sind uns einig, dass
die Flüchtlinge mit Bleiberecht schnell integriert und die
ohne Bleiberecht schnell zurückgeführt werden sollen.
Wir sind uns einig, dass die Geschwindigkeit, mit der die
Flüchtlinge zu uns kommen, deutlich verringert werden
muss. Auch wollen wir bessere Kontrollen an der Grenze. Aber Grenzhaftlager für Tausende von Flüchtlingen
werden mit uns nicht zu machen sein.
({14})
Davon bin ich genauso wenig überzeugt wie von der
Idee, ausgerechnet den integrationswilligen Asylbewerbern die Sozialhilfe zu kürzen.
Im Übrigen glaube ich, dass es uns im Augenblick
nicht hilft, wenn wir jeden Tag eine neue Idee zur Diskussion stellen. Wir sollten uns vielmehr darauf konzentrieren, das, was wir beschlossen haben, auch tatsächlich
umzusetzen.
({15})
Um das zu schaffen, war es richtig, dass die Bundeskanzlerin die Flüchtlingsfrage zur Chefsache gemacht und
Peter Altmaier als Gesamtkoordinator bestellt hat. Seine
wichtigste Aufgabe ist es, vor dem Wintereinbruch dafür
zu sorgen, dass alle Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf
bekommen, dass wir in diesem Winter keine Obdachlosigkeit von Flüchtlingen in Deutschland haben.
({16})
Das ist eine große Herausforderung. Dafür wünsche ich
ihm ganz persönlich eine glückliche Hand.
({17})
Die noch viel größere Herausforderung ist aber natürlich die Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen
mit Bleiberecht. Das ist keine Frage des Krisenmanagements, sondern eine Daueraufgabe für die nächsten 10
oder 15 Jahre. Sie wird die Politik in Deutschland grundlegend verändern. Ich will das an drei Beispielen aufzeigen:
Das erste Beispiel bezieht sich auf den Bereich Bildung. Schätzungen zufolge kommen allein in diesem
Jahr 325 000 schulpflichtige Kinder nach Deutschland.
Aufgrund der seit Jahren sinkenden Schülerzahlen haben die Länder in erheblichem Umfang Schulkapazitäten
abgebaut. Ich würde es als einen ganz schweren Fehler
ansehen, wenn wir jetzt die zusätzlichen Schüler aufnehmen, indem wir die Klassen vergrößern und am Ende die
Unterrichtsqualität für alle Schülerinnen und Schüler im
Lande verschlechtern. Das darf nicht passieren, meine
Damen und Herren!
({18})
Deshalb brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche
Kraftanstrengung.
({19})
Das werden die Länder allein nicht bewältigen können.
Ich sage ganz klar: Mit dem Kooperationsverbot betreffend Bund und Länder wird das auch nicht gehen.
({20})
Wenn wir sagen: „Wir brauchen eine Verantwortungsgemeinschaft von Bund, Ländern und Kommunen bei der
Integration“, dann passt ein Kooperationsverbot dazu in
keiner Weise. Die beiden Dinge gehören nicht zusammen.
({21})
Ich glaube, dass die Flüchtlingskrise auch eine große
Chance bietet, den Reformstau in diesem Land anzugehen, nicht nur bei der Bildung, sondern auch in anderen
Bereichen. Wir dürfen keine Angst vor den Kosten der
Integration haben. Deutschland hat nach Japan die älteste Bevölkerung aller Industrieländer. 50 Prozent der
Flüchtlinge sind jünger als 25 Jahre. Das ist eine riesige
Chance. Deshalb muss diese Krise auch genutzt werden,
Probleme zu lösen, die wir sonst nur hätten schwer lösen
können.
({22})
Zweites Beispiel: Wohnen. Wohnungsnot hatten wir
schon, bevor die vielen Flüchtlinge gekommen sind. Nun
kommt zu der alten Wohnungsnot in den Ballungszentren die neue Wohnungsnot der Flüchtlinge hinzu. Jetzt
stellen wir fest: Wir müssen beides angehen. Wir werden
praktisch durch die Flüchtlinge gezwungen, auch die alte
Wohnungsnot zu beseitigen, und zwar in einer viel höheren Geschwindigkeit, als wir uns das bisher gedacht
haben.
({23})
Jedem ist klar, dass wir schnell handeln müssen. Die
Flüchtlinge können nicht jahrelang in Notunterkünften
belassen werden; das wäre ein sozialer Sprengsatz. In
Notunterkünften kann Integration nicht gelingen. Klar ist
aber auch: Beim Wohnungsbau müssen wir darauf achten, dass es keine Konkurrenz zwischen Flüchtlingen und
Mietern gibt, die schon lange eine bezahlbare Wohnung
suchen.
({24})
Mein letzter Punkt. Integration kann nur gelingen,
wenn die Neuankömmlinge unsere Grundwerte und Regeln kennen und akzeptieren. Deshalb haben wir die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes in arabische Sprache
übersetzen lassen und verteilen sie in Flüchtlingswohnheimen,
({25})
verbunden mit der Aufforderung, mit uns ins Gespräch
zu kommen. Die Menschenrechte, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen sowie Religions- und
Meinungsfreiheit, all diese Rechte gelten ohne Wenn und
Aber. Nur wer das akzeptiert, kann einen Platz in unserer
Gesellschaft finden.
({26})
Ich bin übrigens optimistisch, dass das den meisten
gelingen wird; denn die meisten Flüchtlinge sehnen sich
nach einem Leben in Freiheit, nach einem Leben ohne
korrupte Verwaltung und nach einem Leben ohne religiöse Fanatiker; davon haben sie bislang genug kennengelernt. Aber die Werte sind nicht nur für die Flüchtlinge verbindlich, und Ordnung brauchen wir nicht nur
an unseren Grenzen, sondern auch in der Mitte unserer
Gesellschaft. Zur Wirklichkeit in unserem Land gehört
leider, dass Flüchtlingsheime brennen, Andersdenkende
verfolgt werden sowie rassistische und rechtsextreme
Hassbotschaften im Internet verbreitet werden. Ich finde es unerträglich, dass hierzulande Bürgermeister und
Land räte mit Gewalt bedroht werden, nur weil sie sich
um Flüchtlinge kümmern.
({27})
Ganz schlimm finde ich die Radikalisierung der Pegida-Bewegung in Erfurt und Dresden.
({28})
Heribert Prantl hat in der Süddeutschen Zeitung zu Recht
geschrieben: „Die Hetze auf der Dresdener Pegida-Demo ist der Begleitchor zu den Gewalttaten gegen Flüchtlingsunterkünfte.“
({29})
Ich meine, dass die Polizei nicht dulden darf, wenn bei
solchen Demonstrationen zu Straftaten aufgerufen wird.
({30})
Die Bürgerinnen und Bürger dürfen bei all den Turbulenzen und Verwerfungen, die jetzt auf uns zukommen
mögen, nicht das Gefühl haben, dass wir die staatliche
Ordnung preisgeben und darauf verzichten, die Schwächeren in dieser Gesellschaft zu schützen; darauf müssen
wir achten. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.
({31})
Das Wort erhält nun die Kollegin Katrin GöringEckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
In der vergangenen Woche haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, etwas Richtiges getan. Sie haben die Flüchtlingspolitik zur Chefinsache gemacht; das ist konsequent,
nachdem Sie nicht als Beschwörung, sondern aus Überzeugung gesagt haben: „Wir schaffen das“, während Ihr
Innenminister weiterhin den Eindruck erweckt hat: Ich
will es gar nicht schaffen.
({0})
In Zeiten, in denen jeder Landrat schnelle Unterstützung braucht, macht sich ein Innenminister Gedanken
darüber, warum Flüchtlinge eigentlich noch Geld für ein
Taxi haben. Ich will Ihnen das sehr klar sagen: Wenn jemand, nachdem er zwischen 1 000 und 5 000 Euro für
fünf, sechs, sieben, acht oder neun Schlepper bezahlt hat,
hier ankommt und weiß, dass hier seine Familie oder Verwandte oder Freunde wohnen, zu denen er gehen könnte,
dann hat er wahrscheinlich in der Not und in der Hoffnung auf Sicherheit auch noch die Euros, um mit dem
Taxi durch Deutschland zu fahren. So eine Diffamierung
halte ich für Stimmungsmache, die uns in dieser Situation überhaupt nicht hilft.
({1})
Das gilt auch für Sie, Herr Schäuble, der Sie der Meinung waren, man sollte doch jetzt bitte einmal die Unterstützungsleistung für die Flüchtlinge, die eine Integration
wollen und die bei uns Deutsch lernen wollen, kürzen.
Sie wissen genau, dass das verfassungsrechtlich gar nicht
geht. Deswegen auch hier: Warum solche Stimmungsmache? Wofür ist sie eigentlich notwendig, meine Damen
und Herren?
({2})
Frau Wagenknecht, eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Auch nachdem Sie heute, für mich zum ersten Mal
hörbar, Herrn Putin kritisiert haben, muss ich Ihnen leider
sagen, dass es mich aufregt, dass Sie hier eine Feststellung nach dem Motto treffen: Wer in Deutschland arm
ist, wird auch schnell rechtsextrem. - So geht es nicht.
({3})
Ich kenne ganz viele Menschen in Deutschland, die
verdammt wenig Geld haben, die aber helfen, helfen,
helfen. Nein, es geht darum, Zusammenhalt in der Gesellschaft zu schaffen, und nicht darum, Stimmung gegen
andere zu machen und die einen gegen die anderen aufzubringen. Das gilt für alle Seiten.
({4})
Ich finde: Ja, wir müssen uns Gedanken um die Sorgen
der Bürgerinnen und Bürger machen, wir alle gemeinsam. Aber wir sollten nicht Ängste und Neid verstärken.
Wir sollten doch Zutrauen ausstrahlen. Gerade die Union
sollte Zutrauen ausstrahlen. Mich wundert es sehr, dass
die CDU/CSU ausgerechnet in dem Moment in eine Identitätskrise gerät, in dem auf der einen Seite christliche
Werte und auf der anderen Seite ökonomische InteresThomas Oppermann
sen zusammenkommen. Empathie und Ökonomie - das
könnte doch Ihre Stunde sein. Kommen Sie doch heraus
aus der Angstecke. Nehmen Sie es in die Hand, und sagen Sie mit Überzeugung und mit Engagement, von mir
aus sogar mit Enthusiasmus: Ja, wir machen jetzt Politik,
und wir kriegen das hin, liebe Bürgerinnen und Bürger.
({5})
Ich bin fest überzeugt: Unser Land ist nicht überlastet, sondern es ist auch nach Monaten, nachdem die Zahl
der Anträge sprunghaft angestiegen ist, nicht ausreichend
leistungsfähig. Das ist der Punkt. Wir können es und
müssen es leistungsfähig machen. Die Frage ist nicht, ob
wir es schaffen, sondern wie wir es schaffen, wer sich
darüber Gedanken macht und wo der große Plan ist. Ich
glaube, dass wir wirklich in einer Situation sind, in der
es sehr darauf ankommt, dass die Menschen Vertrauen in
die Handlungsfähigkeit der Politik haben können.
({6})
Wenn es nicht gelingt, dieses Vertrauen herzustellen,
dann werden wir weiter große Pegida-Demonstrationen
haben. Wenn wir uns zum Anwalt der Angst machen statt
zum Anwalt der Bürgerinnen und Bürger, die wollen,
dass es funktioniert, dann haben wir als politische Klasse
in der Tat ein großes Problem.
({7})
Ja, das ist eine große Herausforderung für Europa.
Wir sind das stärkste Land in Europa, und wir werden
die Hunderttausende, die auf der Flucht sind, nicht auf
arme und fragile Staaten abwälzen können. Da hilft übrigens auch kein schmutziger Deal mit Herrn Erdoğan. Die
Vereinbarungen mit der Türkei helfen den Flüchtlingen
aus Syrien, dem Irak und der Türkei nicht. Sie sind ein
Wahlkampfgeschenk für Herrn Erdoğan,
({8})
für einen Präsidenten, der die Pressefreiheit abschafft, der
unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung Kurden
bombardiert. Herrn Erdoğan muss man klar sagen, was
europäische Werte sind. Ja, man kann der Türkei bei der
Aufnahme von Flüchtlingen helfen, aber nicht um den
Preis eines Rabatts bei der Frage der Menschenrechte.
({9})
Der Umgang mit den Flüchtlingen ist und bleibt eine
gesamteuropäische Aufgabe, eine Aufgabe, die erst in
Ansätzen entwickelt ist. Vor zwei Jahren haben die Mitgliedstaaten verbindliche Vorgaben zur Aufnahme festgelegt. Die Umsetzung ist bis heute nicht passiert. Wir
brauchen eine gerechte Verteilung. Der Vorschlag der
EU-Kommission ist kein Allheilmittel, aber er ist zumindest einmal ein erster Schritt. Doch Achtung: Die Verteilung rein nach Statistik statt nach Sinnhaftigkeit schafft
nur neue Probleme. Manche Flüchtlinge haben besondere Sprachkenntnisse, andere haben Familie in Europa. Es
geht hier weiterhin um Menschen und nicht um Nummern. Auch das müssen wir berücksichtigen, wenn wir es
gut schaffen wollen, und darum muss es ja wohl gehen.
({10})
Meine Damen und Herren, die Auffangstationen, die
sogenannten Hotspots, in Italien, in Griechenland laufen
auf gut Deutsch - Herr Kauder, das ist Ihnen ja immer
besonders wichtig - Gefahr, vom Hotspot ganz schnell
zum Brennpunkt zu werden. Frau Merkel drängt ja dazu,
diese Zentren einzurichten. Aber dann muss man bitte
einmal wissen, wozu sie eigentlich da sein sollen. Sind
diese Hotspots eigentlich dazu da, um zu registrieren,
eine erste Notaufnahme vorzunehmen, oder sind sie eigentlich dazu da, um Ingewahrsamnahme und Abschreckung zu organisieren? Diesen Unterschied müssen wir
machen, und wir müssen wissen, wofür sie da sind. Es
wird nicht funktionieren - auch nicht mit Hotspots -, die
europäischen Grenzen auf eine neue Art dichtzumachen.
Frau Merkel, Sie haben ja gesagt: Das Dublin-System
ist obsolet. Ja, dann erkennen Sie das bitte auch an, und
dann sagen Sie: Das System wird nicht mehr funktionieren, wir brauchen da wirklich ein neues.
({11})
Wenn man sich die Situation in den Nachbarländern
anschaut, stellt man fest - ich habe das hier schon gesagt -: Immer noch hat das World Food Programme nicht
genügend Geld zur Verfügung. Immer noch leben die
Menschen in den Unterkünften im Libanon und in Jordanien in einer katastrophalen Situation. Da hilft es nicht,
nur ein Bekenntnis abzugeben. Da hilft es nur, eine Geldüberweisung vorzunehmen. Hier muss wirklich Druck
ausgeübt werden, damit das am Ende auch passiert.
Das ist übrigens noch nicht die Bekämpfung von
Fluchtursachen. Fluchtursachen bekämpft man ganz bestimmt nicht wie Herr Putin mit seiner Intervention zugunsten von Assad, die die Lage in Syrien noch weiter
verschlimmert. Eine militärische Antwort auf ein humanitäres Problem ist immer falsch. Das gilt auch für die
Mission im Mittelmeer.
({12})
Diese Mission heißt jetzt „Sophia“, und sie soll die
Schlepper bekämpfen. Aber solange wir keinen anständigen Weg nach Europa haben, machen wir das Geschäft
der Schlepper mit, und das sollten wir nicht wollen.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt: Wir schaffen
das. - Das war der erste Schritt. Jetzt geht es um Kraft;
jetzt geht es um Mühe; jetzt geht es um Haltung. Ich
hoffe sehr, dass das auch in der Unionsfraktion endlich
und in Gänze so gesehen wird. Ich hoffe, dass sich diese
Haltung, die ich nun wirklich für eine absolut christliche
halte, auch ausweist in dem, was wir sagen, und in dem,
was wir tun.
({13})
Dazu gehört die Ehrlichkeit, über Probleme zu reden;
viele sind hier angesprochen worden. Dazu gehört es, zu
sagen, was es kosten wird, wie viele Lehrer, wie viele
Sozialarbeiter, wie viele Wohnungsbauer wir brauchen
werden. Dazu gehört es, ehrlich zu sagen: Ja, es wird an
vielen Stellen in Deutschland erst einmal eng werden;
aber wir haben eine gemeinsame Perspektive.
Sorgen wir dafür, dass der rechte Mob, der auf der
Straße ist, mit seiner Angstmache in der Ecke steht. Wir
als demokratische Kräfte müssen sagen: Die Menschen,
die hierherkommen, werden Neubürgerinnen und Neubürger sein, und wir werden mit ihnen zusammenleben,
und wir werden alles dafür tun, dass diese Gesellschaft
Zusammenhalt organisiert und erlebt und dass wir mit
Überzeugung und Kraft gute Politik machen.
Vielen Dank
({14})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat Volker Kauder nun
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Der Anlass für die heutige Debatte und die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin ist eine Sitzung des Europäischen Rates heute und morgen. Da steht natürlich in erster Linie die Frage „Was tut Europa in einer der größten
Herausforderungen in der Nachkriegsgeschichte?“ auf
der Tagesordnung. Wir alle wissen: Bei allem, was wir
national tun - darauf werde ich noch kommen -, werden
wir diese Herausforderung nicht allein von Deutschland
aus, sondern nur in und mit Europa bewältigen können.
({0})
Der Umgang mit dieser Situation - das muss jeder in
Europa wissen - entscheidet auch darüber, ob die Menschen noch Vertrauen in Europa setzen und hier eine
Zukunftsperspektive sehen. Europa muss wissen: Wenn
jetzt keine richtige Antwort kommt, dann werden sich
viele fragen, welchen Sinn Europa überhaupt noch hat.
Deshalb ist es richtig, was die Bundeskanzlerin vorhin
gesagt hat. Man muss alles daransetzen, dass sich Europa
dessen auch bewusst ist.
Es kommt jetzt darauf an, dass Europa erkennt, dass
man nicht im Kleinteiligen groß sein kann, aber im Großen kleinteilig bleibt. Das ist die entscheidende Herausforderung, um die es nun geht.
({1})
Da wünschen wir Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, natürlich
viel Erfolg und Überzeugungskraft.
Dazu gehört auch, dass sich Europa in der Flüchtlingspolitik noch einmal neu sortiert. Die Sicherung der Außengrenzen und Dublin III funktionieren im Augenblick
nicht richtig. Vielleicht muss man auch sagen: Schengen
kann nur funktionieren, wenn jeder seine eigene Außengrenze sichert. Solange es um ein paar Tausend Flüchtlinge geht, mag dies jeder kleinere Staat mit Außengrenze
schaffen, aber wenn es um Hunderttausende geht, zeigt
sich, dass dies nicht zu machen ist.
Deswegen dürfen wir - dazu brauchen wir eine klare
Aussage - die Sicherung der Außengrenzen nicht allein
in nationalstaatliche Verantwortung geben, sondern da
trägt Europa eine gemeinsame Verantwortung.
({2})
Dazu muss sich Europa bekennen. Das wird natürlich
Geld kosten. Aber ich kann gut nachvollziehen und verstehen, dass Länder wie Italien, Griechenland und andere, die eine Außengrenze haben, sagen: Den Deutschen
fällt es leichter, über die Sicherung von Schengen zu
sprechen, weil sie keine Schengen-Außengrenze haben.
Darauf antworte ich: Wir sind bereit, mitzuhelfen, dass
Europa seine Außengrenzen sichern kann, dass dies auch
in Zukunft so geschieht, wie es notwendig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Auch darüber muss gesprochen werden, Frau Bundeskanzlerin. Da ist, salopp gesagt, höchste Eisenbahn
geboten, damit in der Welt klar wird: Europa ist bereit,
Flüchtlinge aufzunehmen. Europa ist aber auch bereit,
die beschlossene Sicherung der Außengrenzen durchzuführen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist richtig, darüber zu reden, dass wir den Ländern, die erste
Anlaufstellen sind - Italien, Griechenland -, bei der Registrierung und Unterbringung von Flüchtlingen helfen.
In Richtung der Grünen sage ich: Ich habe wenig Verständnis, wenn man - der Begriff „Hotspot“ ist wirklich
nicht besonders toll, vielleicht fällt einem da auch ein
verständlicherer Name ein - die Erstaufnahmeeinrichtungen als Anstalten diffamiert. Nein, das sind notwendige Maßnahmen, um den Flüchtlingsstrom koordinieren
zu können. Deswegen unterstützen wir - ich denke, die
Regierung und die Koalition insgesamt - den Aufbau solcher Erstaufnahmeeinrichtungen in Griechenland und in
Italien mithilfe der EU.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der
Satz richtig ist, dass Politik mit dem Betrachten der
Wirklichkeit beginnt, dann ist es doch völlig klar - wenn
man sich diese Wirklichkeit anschaut -, dass die Türkei, wie die Bundeskanzlerin zu Recht formuliert hat,
eine wesentliche Rolle spielt. Jetzt kann man sagen: Die
Türkei spielt zwar eine wichtige Rolle - wenn sie ihre
Aufgabe nicht so wahrnimmt, wie wir glauben, dass sie
wahrgenommen werden muss, dann wird das Chaos riesengroß -, aber egal; wir reden nicht mit denen. - Dies
ist aber eine Form von Politikverweigerung, der wir uns
nicht anschließen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({5})
Frau Göring-Eckardt, nach der Rede der Bundeskanzlerin wäre der Hinweis auf die besondere Situation in der
Türkei gar nicht mehr notwendig gewesen.
({6})
- Frau Kollegin Roth, das machen wir untereinander aus.
({7})
Es ist doch wirklich bemerkenswert mutig, wenn die
Bundeskanzlerin sich in aller Öffentlichkeit an dieses
Rednerpult stellt und sagt: „Ich werde, weil es notwendig ist, mit der Türkei reden. Aber es wird kein Thema
ausgeblendet. Das geht bis hin“ - wie formuliert worden
ist - „zur Situation der Menschenrechte.“ Da kann ich
nur sagen: Respekt, wenn man so etwas öffentlich formuliert - und weiß, dass dies im Zweifel auch Erdoğan
hört -, weil man weiß, dass man diese Aufgabe anpacken
muss. Auch dafür wünschen wir viel Erfolg.
({8})
Es ist aber nicht nur eine große Herausforderung in
Europa, sondern es ist auch eine große Herausforderung
in unserem Land. Darüber ist schon mehrfach gesprochen worden, und darüber werden wir auch beim nächsten Tagesordnungspunkt sprechen, bei dem es um das
Asylpaket geht. Ich bin froh, dass wir diese Vereinbarungen haben treffen können, auch mit den Bundesländern.
Bei manchem, das wir jetzt erreicht haben, haben wir
uns vor einigen Wochen noch gar nicht vorstellen können, dass es erreicht werden könnte. Deshalb kann ich
nur sagen: Wir sind handlungsfähig - ein entsprechendes
Signal geben wir auch -, aber wir verschließen uns auch
nicht den Fragen der Kommunen und der Menschen. Wir
reden mit den Menschen und den Vertretern der Kommunen über das, was getan werden muss.
Beispielsweise haben wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für heute Nachmittag die Landräte sowie die
Oberbürgermeister der kreisfreien Städte eingeladen unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Weit über 200
werden da sein. Wir werden mit ihnen reden und ihnen
sagen, was wir jetzt auf den Weg bringen. Manche Forderung, manche kritische Anmerkung ist zu einem Zeitpunkt gemacht worden, als dieses Paket noch gar nicht
verabschiedet war und es natürlich auch noch nicht
wirken konnte. Darüber werden wir mit den Menschen
reden. Ich finde, es ist notwendig, dass man mit den Leuten redet und ihnen auch sagt: Das und das haben wir
vor. - Wir dürfen die Katastrophenstimmung nicht immer weiter verstärken, sondern müssen sagen: Wir haben
Möglichkeiten, zu handeln, um die Dinge zu verbessern.
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen - da gebe ich Ihnen recht -,
ist wichtig, damit so Sachen wie die Radikalisierung bei
Pegida nicht noch weiteren Zulauf bekommen. Ich teile
die Kritik. Was dort geschehen ist, geht überhaupt nicht.
Galgen zu zeigen, Schilder dranzuhängen, das ist in einer
Demokratie unwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({9})
Aber man darf auf keinem Auge blind sein. Ich fand
auch nicht in Ordnung, was die TTIP-Gegner gemacht
haben. Eine Guillotine aufzubauen, das ist um kein Haar
besser, als einen Galgen zu zeigen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Beides geht nicht. Beides muss auch klar angesprochen
werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin einigermaßen überrascht und auch ohne Verständnis, wenn
ich von den ganzen Dingen höre, die mit dem World
Food Programme und dem UNHCR zu tun haben. Wie
viele andere habe ich Flüchtlingslager im Nahen und
Mittleren Osten besucht und mir dort ein Bild verschafft.
Dabei hatte ich eindrückliche Begegnungen mit Menschen, die aus dem Süden Syriens kamen, also nicht aus
der Gegend um Aleppo herum, mit einfachen Menschen,
die mir mittels Dolmetscher gesagt haben: Wir sind Fellachen, kleine Bauern. Wir können nicht lesen, wir können nicht schreiben. Deswegen glauben wir nicht daran,
dass eine Zukunft in Europa für uns einfach sein würde.
Wir möchten gerne wieder in unser Land, nach Syrien
zurück, wenn dort der Bürgerkrieg zu Ende ist. Deswegen sind wir hier an der Grenze zu Syrien - in Jordanien
beispielsweise.
Wenn diese Menschen aber nun erfahren, dass ihnen
die Rationen für Essen und die Mittel, die notwendig sind,
um das tägliche Leben zu fristen, von 36 Dollar auf 16,
15 und dann auf unter 10 Dollar gekürzt werden, machen
sie sich natürlich auch Gedanken, ob sie es unter diesen
Umständen drei Jahre aushalten können oder nicht. Wenn
man also etwas als Skandal bezeichnen kann, dann ist
das ein Skandal, was da in den Flüchtlingslagern passiert.
({11})
Deswegen erwarte ich, Frau Bundeskanzlerin, dass auch
das heute Abend im Europäischen Rat angesprochen
wird und die Regierungen einmal nachfassen, wann das
Geld nun zur Verfügung gestellt worden ist.
Frau Wagenknecht, Sie haben kritisiert, dass man nur
1 Milliarde Euro gebe. Ich will Ihnen dazu einmal sagen:
„Sie müssen genau hinhören“, und sollten nicht nach
dem Motto verfahren: Ideologisch höre ich das, was ich
will. - Es ist ausdrücklich gesagt worden: Das Geld, was
nötig ist, um ordentliche Existenzen für die Flüchtlinge
zu sichern, wird auch gegeben.
({12})
Es bleibt nicht bei der 1 Milliarde, wenn sich herausstellen sollte, dass mehr nötig ist. Das machen wir dann
schon.
Aber ich will wissen, warum es so lange braucht, bis
das Geld ankommt. Wenn die EU Geld gegeben hat darunter 100 Millionen Euro von Deutschland -, jetzt
350 Millionen Euro und dann 1 Milliarde Euro, warum braucht es dann so lange, bis das Geld ankommt?
Dazu kann ich nur sagen: Neben der konkreten Aufgabe, die wir hier haben, ist natürlich die Bekämpfung von
Fluchtursachen eine wichtige Aufgabe. Es wird aber
nicht möglich sein, in kurzer Zeit alle Fluchtursachen zu
beseitigen. Aber eine Fluchtursache für die Menschen in
den Flüchtlingslagern ist auf jeden Fall dann gegeben,
wenn sie den Eindruck haben, mit ihnen werde nicht
anständig umgegangen. Hier kann man schnell Abhilfe
schaffen; das kann schon morgen geschehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und das erwarten wir auch.
({13})
Wir haben mit dem Paket, das nachher beraten und
verabschiedet wird, gezeigt, dass wir in diesem Land,
wenn die Aufgaben groß sind, auch verantwortlich handeln können. Wahrscheinlich ist es schon so, Kollege
Oppermann, dass man, wenn man vor einer bestimmten
Aufgabe steht, auch spürt, welche Verantwortung man
hat. Und deswegen, weil sie die Verantwortung spüren,
sind grüne Oberbürgermeister in Baden-Württemberg
und ein grüner Ministerpräsident bei diesem Paket dabei.
Die Grünen hier im Bundestag sind in der Opposition.
Okay. Ich erinnere mich aber noch sehr gut daran, dass
wir als Union, als wir in der Opposition waren und es
um große Aufgaben in der Außenpolitik ging, gesagt haben: Da machen wir mit. Auch wenn die SPD und die
Grünen regieren, machen wir da mit, um zu zeigen, dass
wir zusammenstehen. - Das hätte ich eigentlich in dieser
Situation von Ihnen erwartet.
({14})
Vielleicht sind ja meine Informationen nicht ganz richtig.
Deswegen will ich mich korrigieren und sagen: Das erwarte ich von Ihnen.
({15})
- Ganz ruhig. Ich war doch ganz friedlich. Ich habe doch
nur eine Erwartung geäußert. Das werde ich doch noch
tun dürfen. Aber wenn Sie mich schon provozieren, dann
muss ich Ihnen sagen: Enthaltung hat mit Verantwortung
in schwerer Zeit nichts zu tun.
({16})
Frau Bundeskanzlerin, viel Erfolg heute Abend.
Es steht viel auf dem Spiel: dass sich Europa in einer
schwierigen Zeit als handlungsfähig erweist.
Herzlichen Dank.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Spinrath für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Europäische Union kommt aus dem Krisenmodus nicht heraus. Sie muss
sich ständig neu behaupten und ihre befriedende, stabilisierende Wirkung und die Werte, auf denen sie sich
gründet, immer häufiger gegen vordergründige nationale
Interessen behaupten. Es bleibt zu hoffen, dass zu den
augenblicklichen Krisensituationen nicht noch eine neue
hinzukommt, dass das Vereinigte Königreich nicht für
neue Krisen sorgt.
In diesem Zusammenhang muss ich sagen, dass ich es
außerordentlich bedauerlich finde, dass es mangels konkreter Vorschläge durch Premier Cameron heute in Brüssel keine substanzielle Debatte über das britische Referendum geben wird, wie das ursprünglich vorgesehen
war. Das zeigt mir vor allen Dingen eins: Cameron ist
eben nicht der gewiefte Taktiker, als der er oft beschrieben wurde. Er ist eher ein Getriebener. Er handelt ohne
Konzept. Er hat sich im Wahlkampf in eine Sackgasse hineinmanövriert. Mit seiner populistischen Kampagne gegen Europa wird er seinem Land langfristig schaden. Um
es ganz klar zu sagen: Wir wollen, dass das Vereinigte
Königreich Mitglied der EU bleibt. Sollte Cameron aber
aus seiner Not heraus Vorschläge zur Renationalisierung
oder zur Schaffung neuer Blockademöglichkeiten vorlegen, dann müssen wir sie ganz klar ablehnen.
({0})
Ich hatte eigentlich erwartet, dass Cameron seine Vorschläge auf dem Gipfel im Dezember 2015 präsentiert.
Der heutigen britischen Presse muss ich aber entnehmen,
dass er das auf den März 2016 verschieben will. Vielleicht sollte er das Referendum ganz absagen; denn wenn
man den Umfragen Glauben schenkt, sind die Werte sehr
besorgniserregend. Ich glaube, Cameron täte für sein
Land und für die gesamte Union Besseres, wenn er auf
dieses Referendum verzichtete.
In der EU müssen die Spielregeln für alle gleichermaßen gelten. Auch die Werte der Europäischen Union
müssen weiterhin gelten. Die Europäische Union muss
mehr sein als eine Freihandelszone und ein gemeinsamer Binnenmarkt, nämlich eine Wertegemeinschaft, die
durch gemeinschaftliche Ziele, solidarisches Handeln
und sozialen Zusammenhalt geprägt ist. Gerade die aktuelle Flüchtlingskrise zeigt doch auf, dass die EU auf
dieser Grundlage handlungsfähig sein muss. Ich habe
durchaus Verständnis dafür, dass angesichts der immensen Herausforderungen Sorgen wachsen, Sorgen vor einer Überforderung, die sich auch bei uns in Deutschland,
insbesondere aber in den jüngeren EU-Mitgliedstaaten
zeigen. Aber ich sage ganz nachdrücklich: Bei allem
Verständnis für derartige Sorgen müssen wir auch weiterhin dem Vertrauen der Bevölkerung gerecht werden.
Wir müssen deutlich machen, dass wir Lösungen haben.
Wir müssen die Herausforderungen annehmen, ohne sie
zugleich in Überforderungen umzudeuten.
({1})
Wir müssen unsere europäischen Partner eben nicht
nur auffordern, Solidarität zu üben. Vielmehr müssen wir
sie mit unserem so hohen Engagement davon überzeugen, dass die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingssituation nur gemeinsam in der EU zu lösen ist. Dabei müssen
wir viele nationale Ressentiments überwinden, die mir
in den letzten Tagen und Wochen immer wieder in Gesprächen mit europäischen Nachbarn begegnen. Aber wir
müssen uns auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst
mahnen, unseren eigenen Sprachgebrauch in Richtung
auf etwas mehr Demut zu verändern. Wie klingt es, wenn
wir der EU und Brüssel im Sommer Versagen vorgeworfen haben, obwohl wir wussten, dass Kommission und
EP mutige Maßnahmen vorgeschlagen haben, die aber an
einer Reihe von Mitgliedstaaten und nicht an der EU gescheitert sind? Das muss man so klar benennen.
({2})
- Danke, lieber Kollege Schäfer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie klingt es aus
unserem Mund, Europas Solidarität hart einzufordern,
wenn wir selbst unseren Partnern in der EU Dublin I, II
und III aufgedrängt haben und in Deutschland davon am
meisten profitierten
({3})
und genau dann, wenn in den letzten Jahren unsere italienischen und griechischen Freunde nach Hilfe gerufen haben und Solidarität nicht forderten, sondern erwarteten,
mit der kalten Schulter auf Dublin I, II und III verwiesen
haben?
({4})
Wundert es uns noch, wenn wir gerade jetzt bei unserer
aktuellen - ich sage einmal - Überflutung mit Flüchtlingszahlen plötzlich Solidarität in seiner wahren Bedeutung definieren, dass unsere Nachbarn irritiert sind und
diese Dinge als deutsches Problem bezeichnen?
Wir haben in diesen Wochen in Deutschland gemeinsam mit großen Teilen der Verwaltung, mit vielen Organisationen, die dort unterwegs sind, mit vielen Menschen
aus der Bevölkerung die Situation zwar mit sehr großen
Anstrengungen, aber auch mit großer Empathie vorbildlich bewältigt. Nebenbei bemerkt, Frau Wagenknecht:
Wer diese großartige Leistung so kleinredet, wie Sie es
tun, muss sich nicht wundern, wenn Pegida und AfD
Aufwind erfahren.
({5})
An die Verantwortlichen in Dresden gerichtet: Wer Galgen zeigt und damit zur Lynchjustiz auffordert, gehört
nicht in die Abendausgabe der Tagesschau oder in das
heute journal und nicht auf die Titelseiten der Presse,
sondern der gehört in den Knast.
({6})
Aber gerade weil wir diese Situation so vorbildlich
bewältigt haben, versetzt uns das nun in die Lage, gemeinsam und partnerschaftlich, nicht mit dem großen
Knüppel fordernd, mit den anderen Mitgliedern der europäischen Familie neue Wege zu suchen, neue Wege hin
zu einer echten gemeinsamen europäischen Flüchtlingsund Asylpolitik. Wir müssen das Dublin-System ablösen.
Wie schon die Bundeskanzlerin ausführte, ist es nicht
mehr zielführend. Es hat nie wirklich funktioniert. Wir
müssen das vom JI-Rat beschlossene Quotensystem um
einen permanenten Verteilungsmechanismus erweitern.
Dies sind richtige Ansätze, die aber allein das Problem
nicht lösen können.
Wir müssen dafür sorgen, dass wir Anreize für die
Mitgliedstaaten schaffen, das Quotensystem dann auch
zu erfüllen. Dafür müssen sie nach meinem Verständnis
Mittel aus dem EU-Haushalt erhalten, aber auch zurückzahlen, wenn sie ihre Quote nicht erfüllen oder die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge das Land wieder verlassen. Der Haushalt muss dafür aufgestockt werden. Wir
brauchen gleiche Standards beim Asylverfahren. Wir
brauchen gleiche Standards bei der Verfahrensdauer, bei
Anerkennungsquoten. Wir brauchen vergleichbare Standards bei Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen.
Nur dann wird es möglich sein, auch den Flüchtlingen
klarzumachen, dass sie in jedem Land in der Europäischen Union bleiben können, das ihnen zugewiesen wird.
Dazu können wir uns auch weitere Anreize vorstellen,
auch für Flüchtlinge. Aber wir müssen insgesamt dafür
Sorge tragen, dass wir wirklich zu einer echten gemeinsamen europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik kommen.
Herr Kollege.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wenn dies
nicht gelingen sollte, wenn sich die Mitgliedstaaten auch
weiterhin auf ihre Kirchtürme und ihre egoistischen nationalen Interessen zurückziehen, wenn sie wieder Zäune
bauen und Kontrollen an den Binnengrenzen aufnehmen,
dann liebe Kolleginnen und Kollegen, verliert die EU ihr
Fundament, ihre Werte.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, die überwiegende Mehrzahl des Deutschen Bundestages unterstützt die
humanitäre Politik, die wir hier betreiben. Der Europäische Rat muss dem heute Abend folgen und muss eine
menschliche, insbesondere aber eine solidarische europäische Antwort auf diese europäische Flüchtlingsfrage
finden, Norbert Spinrath
Herr Kollege, es hilft alles nichts.
- sowie für die Aufnahme von schutzsuchenden Menschen und bei der Bekämpfung der Fluchtursachen. Setzen Sie sich heute und morgen in Brüssel dafür ein.
Danke.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben die Präsidentin des Seimas der Republik
Litauen, Frau Graužinienė, und ihre Delegation Platz
genommen.
({0})
Ich begrüße Sie herzlich im Namen aller Kolleginnen
und Kollegen. Ich bedanke mich für die intensiven und
guten Gespräche, die wir gestern miteinander geführt
haben. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit
unserer beiden Parlamente.
Nun hat der Kollege Hans-Peter Friedrich für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Europa lebt seit 70 Jahren in Frieden, abgesehen von
einigen Auseinandersetzungen beispielsweise auf dem
Balkan. Aber die Welt ist nicht friedlicher geworden. Es
gibt zig Millionen Menschen, die ihre Heimat, die Region, in der sie geboren und aufgewachsen sind, verlassen
mussten und in der Welt umherirren. Mit jeder Krise, mit
jedem Konflikt, meine sehr verehrten Damen und Herren,
steigen die Flüchtlingszahlen - heute Af ghanistan und
Syrien, morgen Pakistan und Bangladesch, übermorgen
die Sahelzone, Subsahara-Afrika und Afrika insgesamt.
Deswegen ist die Frage, welche Rolle Europa in diesem Szenario, das sich nicht von selbst auflösen wird, in
Zukunft spielen wird. Haben wir, so stellt sich die Frage,
die Pflicht, diesen vielen Millionen Menschen auf der
Welt zu helfen? Ich kenne niemanden in diesem Haus,
der nicht sagen würde: Ja, wir haben die Verpflichtung,
nach unserer Kraft und unserer Leistungsfähigkeit das zu
tun. - Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das
bedeutet doch nicht, dass wir diese zig Millionen Menschen alle zu uns holen können - auch das weiß doch
jeder.
({0})
Wir müssen ihnen in ihrer Heimat, in der Nähe ihrer
Heimat helfen, wir müssen Fluchtalternativen schaffen.
Jeder weiß, dass wir sie nicht alle hierherholen können.
Deswegen, meine Damen und Herren: Hören Sie bitte
auf, die deutsche Bevölkerung einzuteilen in diejenigen,
die den Flüchtlingen helfen wollen, und diejenigen, die
nicht helfen wollen. Alle wollen helfen, nur haben die
einen andere Vorstellungen als die anderen, wie man helfen kann.
({1})
Unser Asylrecht und auch die Flüchtlingskonvention
sehen vor, dass wir Menschen in Deutschland und Europa aufnehmen. Aber wie viele kann Europa aufnehmen?
5 Millionen, 10 Millionen, 50 Millionen, 200 Millionen?
({2})
Wer beantwortet diese Fragen?
({3})
Und wie beantwortet man diese Frage, nach welchen Kriterien? Die Zahl derjenigen, die wir aufnehmen, kann nur
so hoch sein, dass wir unsere eigenen Lebensgrundlagen,
unsere eigene Stabilität nicht gefährden.
({4})
Wir können nur so viele aufnehmen, wie wir integrieren
können, ohne unsere Kultur, unsere Identität zu gefährden.
({5})
Wie viele das sind, entscheidet jedes Land in seiner
eigenen Souveränität. Wir Deutschen entscheiden das in
unserer Souveränität. Meine sehr verehrten Damen und
Herren, unsere europäischen Nachbarn entscheiden das
in ihrer Souveränität. Ich höre immer, dass die Deutschen
sagen: Wissen Sie, unsere Geschichte zwingt uns zu diesem und hält uns von jenem ab. - Aber auch die anderen haben eine Geschichte - die Ungarn, die Tschechen,
die Slowaken, die Kroaten, die Slowenen, die baltischen
Länder -,
({6})
und sie entscheiden mit ihrer Mentalität und aus ihrer
Geschichte heraus, wie viele aufgenommen werden können. Das ist europäisch.
({7})
Sie brauchen nicht unseren moralischen Zeigefinger,
sondern sie haben ihre eigene Souveränität.
Die Bewältigung der Flüchtlingskrise und die Reduzierung des Zustroms auf das verkraftbare Maß, meine
Damen und Herren, ist eine Herausforderung für die gesamte Europäische Union; aber sie ist auch eine Chance.
({8})
Es ist eine Chance, weil Europa beweisen kann, dass es
nicht nur in der Lage ist, technokratische Vorschriften,
Richtlinien und Verordnungen zu schaffen, sondern auch
in der Lage ist, existenzielle Probleme der Bürgerinnen
und Bürger unserer Länder zu lösen. Darin besteht eine
Chance, und diese Chance muss Europa jetzt ergreifen.
({9})
Ich will ganz konkret werden und sagen, was jetzt geschehen muss:
Erstens. Wir müssen die territoriale Integrität Deutschlands und Europas wirksam wiederherstellen.
({10})
Jeder Staat muss in der Lage sein, sein Staatsgebiet und
seine Grenzen zu schützen, sonst verliert er seine Sicherheit, seine Staatlichkeit und das Vertrauen seiner Bürger.
Deswegen ist das das oberste Prinzip.
Wir haben heute die Situation, dass wir die Sicherung
unserer Grenzen auf die europäische Ebene übertragen
haben, jedenfalls teilweise. Wir haben gesagt: Ja, wir verzichten auf Grenzkontrollen, wenn wir Europäer gemeinsam unsere Außengrenzen schützen. - Deswegen, meine
sehr verehrten Damen und Herren, geht es darum - und
das ist das allerwichtigste Ziel, das jetzt erreicht werden
muss -, die Außengrenzen Europas wirksam und lückenlos zu schützen und dafür zu sorgen, dass nur so viele
nach Europa kommen, wie wir verkraften können und
wie mit unserer Integrationskraft auch aufgenommen
werden können.
({11})
Herr Kollege Friedrich, lassen Sie eine Zwischenbemerkung zu?
Nein, keine Zwischenbemerkung. - Es ist entscheidend, dass wir das jetzt schaffen, und zwar nicht irgendwann, nicht nächstes Jahr, auch nicht irgendwann in ein
paar Monaten, sondern jetzt.
({0})
Deswegen ist der Europäische Rat heute von ganz großer Bedeutung; denn er stellt genau diese Aufgabe in den
Mittelpunkt. Wir müssen alle Kräfte dafür verwenden,
diese Aufgabe zu erfüllen.
({1})
Und ich sage auch: Wenn es uns nicht gelingt, die Sicherheit und die Integrität Europas herzustellen,
({2})
dann ist nicht nur Dublin, sondern dann ist auch Schengen beendet. Dann wird uns nichts anderes übrig bleiben,
({3})
als wieder unsere deutschen nationalen Grenzen zu
schützen. Auch das ist eine Wahrheit, die auf dem Tisch
liegt und über die wir reden müssen.
({4})
Zweitens. Was muss noch geschehen? Wir müssen gegenüber den Menschen in den Krisenländern und in den
Flüchtlingslagern das klare Signal aussenden: Wir können nicht mehr aufnehmen, als es unsere Integrationsfähigkeit zulässt. Unsere Kapazitäten sind weitgehend
erschöpft. Es ist kein besonderer Ausweis von Nächstenliebe, den Menschen dort Illusionen zu machen, die
dann wie die Seifenblasen platzen, wenn sie hierherkommen. Deswegen war es richtig, dass wir vor drei Wochen
Grenzkontrollen eingeführt haben; da ist viel rumkritisiert worden. Es war wichtig, das Signal zu setzen: Hier
gibt es eine Grenze,
({5})
hier beginnt ein Gebiet, in dem wir in der Lage sind, unser Recht durchzusetzen.
Drittens. Es ist ganz wichtig, dass wir - Volker Kauder
hat recht, wenn er sagt: „Hotspots“ ist kein schöner Begriff - die Aufnahme- und Registrierungszentren an den
europäischen Außengrenzen errichten und dort trennen
zwischen denen, die eine Bleibeperspektive haben, und
den anderen, die zurückgeschickt werden müssen, und
das auch tun. Das ist jetzt wichtig. Das ist ein zentrales
Anliegen. Das ist ein wichtiges Zeichen.
({6})
Bayern hat Erstaufnahmezentren für die Balkanzuwanderer errichtet; das ist oft kritisiert worden, wird aber
jetzt von allen Bundesländern kopiert. Man hat klipp und
klar gleich gesagt: Wir brauchen schnelle Verfahren, und
wir müssen, wenn die Voraussetzungen nicht gegeben
sind, die Menschen zurückschicken. - Ich glaube, dass
diese Erstaufnahmeeinrichtungen, zum Beispiel in Bamberg - jetzt entstehen sie im ganzen Land -, dazu beigetragen haben, dass die Quote der Balkanzuwanderer
nachhaltig reduziert worden ist. Das ist ein erster Erfolg
und zeigt, dass man nur die richtigen Signale aussenden
muss.
Wir brauchen Transitzonen an den deutschen Grenzen,
({7})
die nicht, wie die SPD behauptet hat, Hafteinrichtungen
sind,
({8})
Dr. Hans-Peter Friedrich ({9})
weil das ein notwendiges Stoppsignal an unseren Grenzen ist, ein Stoppsignal, das gesendet werden muss, damit es verstanden wird.
({10})
Viertens. Wir müssen sichtbar und erkennbar zurückführen. Das passiert an den Hotspots. Die Europäische
Kommission hat eine Migrationsagenda vorgelegt, in der
Rückführung vorgesehen ist. Diese Migrationsagenda
wird im Europäischen Parlament beraten, leider nur unterstützt von der EVP und bekämpft von den Sozialisten,
an der Spitze die deutschen Sozialdemokraten.
({11})
Ich möchte Sie wirklich bitten, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD: Sie können hier doch nicht so
reden, aber in Brüssel Ihre Leute laufen lassen, die permanent die Rückführungsbemühungen der Europäischen
Kommission torpedieren. Sorgen Sie auch da für Ordnung!
({12})
Fünftens. Wir brauchen eine stärkere Kooperation mit
unseren Nachbarländern außerhalb der Europäischen
Union. Deswegen sind die Gespräche mit der Türkei von
zentraler Bedeutung. Wir brauchen diese Kooperation,
und zwar nicht nur, weil die Türkei bei der Beseitigung
von Fluchtursachen eine Schlüsselrolle hat,
({13})
sondern auch, weil die Türkei bei der Steuerung der
Flüchtlingsströme eine entscheidende Rolle spielt.
Ich glaube, dass es ganz selbstverständlich ist, dass wir
dem Anliegen der Türkei auf finanzielle Entlastung nachkommen. Wir können den Türken nicht zumuten, dass sie
die Menschen dort aufnehmen, sie nicht weiterleiten und
gleichzeitig die Kosten in vollem Umfang tragen.
({14})
Hier müssen sich die Europäer, hier müssen auch wir
uns beteiligen. Ich halte das für ein wichtiges Anliegen.
Und wenn man den Türken in anderer Weise entgegenkommen kann - natürlich immer unter Beibehaltung der
Kriterien, die wir beispielsweise hinsichtlich Visaliberalisierung aufgestellt haben -,
({15})
dann ist das ein Thema.
Nur eines sollte nicht auf die Agenda kommen, weil es
damit überhaupt nichts zu tun hat, und das ist die Frage
des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union.
({16})
Das ist ein Thema von so grundsätzlicher Bedeutung,
dass es nicht im tagespolitischen Handel gelöst werden
kann.
({17})
Meine Damen und Herren, es geht darum, Grenzen
zu sichern, Signale zu setzen, Kooperationen einzugehen
und darum, lieber Gerd Müller, sich gemeinsam in Europa Afrika zu widmen, und zwar noch bevor sich die
Afrikaner auf den Weg machen,
({18})
bevor alle nach Europa kommen wollen. Es geht darum,
sich darum zu kümmern, dass dieser Kontinent, Afrika,
den Menschen eine Zukunft bieten kann.
({19})
Vielen Dank.
({20})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Klaus
Ernst das Wort.
Herr Dr. Friedrich, das war ja eine sehr schneidige
Rede.
({0})
Stellen wir uns mal vor, Sie wären bei Anne Will gewesen und nicht die Kanzlerin, und Sie hätten das bei Anne
Will gesagt. Stellen wir uns das mal einen Moment lang
vor. - Ich möchte bei dieser Gelegenheit der Kanzlerin
ausdrücklich für dieses Interview danken, das sie Anne
Will gegeben hat.
({1})
Das war eine ganz klare Botschaft.
({2})
Herr Friedrich, nachdem Sie sehr deutlich gesagt haben, wo Sie in dieser Auseinandersetzung stehen, hätte
ich von Ihnen gerne eine Frage beantwortet: Die GrenDr. Hans-Peter Friedrich ({3})
zen zu sichern, die Außengrenzen, möglicherweise auch
die der Bundesrepublik, das ist, wenn 10 kommen, noch
möglich, bei 100 vielleicht auch noch, bei 1 000 - schauen Sie sich das in Ungarn an - wird es schon kompliziert.
Aber was wollen Sie bei 10 000, bei 100 000 oder bei
200 000 machen? Wie wollen Sie die Grenze sichern?
Glauben Sie, dass da ein kleines Zäunchen reicht? Meinen Sie, dass Sie die Menschen, die kommen, weil sie bedroht sind, in dieser Größenordnung aufhalten können?
Das ist eine berechtigte Frage, die auch die Kanzlerin gestellt hat. Glauben Sie wirklich, dass Sie mit einem Zaun
oder drei, vier Grenzpolizisten, die ein bisschen mit dem
Knüppel wedeln, die Menschen daran hindern können,
ihre Existenz zu sichern, wenn sie das wollen? Wollen
Sie - das wäre ja die Konsequenz, Herr Friedrich -, dass
irgendwann an den Grenzen geschossen wird, um die
Grenzen zu sichern? Wo hören Sie auf?
({4})
- Die Frage ist doch berechtigt.
({5})
Wie wollen wir denn die Menschen aufhalten, wenn sie
kommen? Darauf haben Sie in Ihrer schneidigen Rede
keine Antwort gegeben, Herr Friedrich. Ich hätte darauf
aber gerne eine. Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen:
„Wir machen zu“? Mit welchen Mitteln wollen Sie die
Menschen aufhalten, wenn sie mit ihren Kindern im Arm
am Zaun stehen und rüber wollen?
({6})
Herr Friedrich, ich habe den Eindruck, diese Rede, die
Sie hier gehalten haben, war vielleicht wichtig für die
AfD in Bayern,
({7})
aber nicht so sehr für die Auseinandersetzung, die wir in
dieser Frage hier eigentlich zu führen haben.
({8})
Lieber Herr Ernst, an dem, was Sie hier sagen, wird
deutlich, dass Sie ein Radikaler sind.
({0})
Sie sind ein Radikaler. Es ist unglaublich, dass Sie mir
unterstellen, dass ich wollte, dass an Grenzen geschossen
wird. Das ist unsäglich. Nehmen Sie das bitte zurück!
Das, was jeder Staat, was jedes Staatsgebilde ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen kann, verlange
ich auch für Europa; und wenn Europa dazu nicht in der
Lage ist, verlange ich das für unser Land,
({1})
nämlich dass wir unsere Grenzen sichern und dafür sorgen, dass wir über unsere Grenzen die zu uns reinkommen lassen, die wir nach unseren Vorschriften und nach
unseren Möglichkeiten hereinlassen können. Das ist das,
was ich fordere, und das ist das, was auch die Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa von ihrem Staat erwarten:
dass die Staaten wirksam in der Lage sind, ihr Staatsgebiet zu schützen. Wir können das doch nicht aufgeben!
Das ist ein staatsrechtliches Thema.
({2})
Es ist doch unglaublich, was Sie hier sagen: Wir sind
nicht in der Lage, unsere Grenzen zu schützen.
({3})
Wir müssen in der Lage sein, unsere Grenzen zu schützen. Das ist etwas, was wir auch erreichen können. Das
ist der Sinn und Zweck des Europäischen Rates von heute, und das ist auch der Sinn und Zweck all der Verabredungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden.
({4})
Ich hoffe, dass sie funktionieren; denn wenn sie europäisch nicht funktionieren, müssen sie national eingeführt
werden. Das ist meine Forderung. Das habe ich gesagt
und sonst nichts, Herr Ernst.
({5})
Das Wort erhält nun der Kollege Manuel Sarrazin für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kollege Friedrich, entschuldigen Sie
bitte - ich respektiere Sie durchaus -, aber das gerade
war eher eine persönliche Transitzone, die Sie hier auf
dem Weg nach irgendwohin abgeliefert haben.
({0})
Ich möchte Ihnen gerne einen Satz entgegenhalten, den
der ehemalige CDU-Sozialminister aus Nordrhein-Westfalen, Konrad Grundmann, gesagt hat. Er hat in Bezug
auf den Karneval - Ihre Rede hat mich gerade daran erinnert -,
({1})
einmal gesagt, man solle das Unglück der Vertriebenen
und Flüchtlinge nicht zum Gegenstand von Büttenreden
machen.
({2})
Jetzt frage ich mich: Warum klatschen Sie nicht mit denn Ihre Partei hat doch die Leistung vollbracht, Vertriebene und Flüchtlinge in dieses Land zu integrieren -,
statt zu sagen: „Das Boot ist voll; wir haben keinen Platz
mehr“? Es ist doch auch Ihre Geschichte, die Sie hier erwähnen könnten, auch und gerade in Bayern, und auch
als CSU!
({3})
Ich glaube, Sie müssen der Größe der Herausforderung gerecht werden. Dieses Niveau der Debatte wird es
nicht. Denn wir müssen erkennen: Selbst wenn wir versuchen würden, uns vollständig abzuschotten, sogar bewusst um den Preis, dass Menschen an unseren Grenzen
zu Schaden kommen könnten, wäre damit niemandem
gedient: den betroffenen Menschen sowieso nicht - sie
würden trotzdem Mittel und Wege suchen und finden, zu
uns zu gelangen - und auch uns selbst in Europa nicht.
Denn Abschottung und Abriegelung im Zeitalter des
Internets sind eine Illusion, Herr Friedrich. Und jetzt
klatschen Sie! Das ist nämlich etwas, was Ihre Kanzlerin letzte Woche im Europäischen Parlament gesagt hat.
Aber bei Ihnen rührt sich keine Hand. Keine Hand rührt
sich bei Ihnen dazu!
({4})
Kanzlerin Merkel hat letzte Woche dargelegt, dass
Europa seine Rolle in der Welt nur behalten kann, wenn
es bei dieser historischen Herausforderung zu seinen
Werten steht. Die Werte der Europäischen Union sind
christlich, humanistisch, jüdisch, und ganz oben steht der
Wert der Nächstenliebe. Dass ich das den Parteien mit
dem „C“ hier erklären muss - Ihre Kanzlerin schafft das
anscheinend schon nicht -, ist eine Schande; das muss
ich wirklich sagen.
({5})
Ich möchte noch eines sagen, Frau Merkel. Wir haben
in Europa die Angewohnheit, immer die aktuelle Krise
nach ganz oben zu stellen; das haben auch Sie angesprochen. Europa wird der Herausforderung, die die Geflüchteten mit sich bringen, und den Anstrengungen, die von
uns gefordert werden, auch im Hinblick auf die Stabilität
in unserer Nachbarschaft, nur dann gerecht werden können, wenn wir auch die Reformen, die wir zu Hause machen müssen, entschlossen angehen, die Wirtschafts- und
Währungsunion geschlossen vertiefen, für starke europäische Institutionen sorgen, dabei auch die Demokratiefrage stellen und nicht zulassen, dass sich neue Spaltpilze in
Europa entwickeln.
Nichts wird einfacher zu lösen sein, wenn man einzelne Staaten hinausdrängt oder einen Kahlschlag bei
den Werten zulässt, wie man ihn bei Herrn Cameron zum
Teil vermuten kann. Auch dafür wird Ihr Einsatz auf dem
Europäischen Rat gebraucht. Lassen Sie nicht länger die
ökonomische Herausforderung der Euro-Krise hinten herunterfallen. Wir müssen auch hier entschlossen vorangehen. Nur ein starkes Europa, das zusammenhält, wird
in der Lage sein, die Herausforderungen zu bewältigen.
Danke sehr.
({6})
Ich erteile nun dem Kollegen Gunther Krichbaum für
die CDU/CSU das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
gibt Herausforderungen, für die jeder Mitgliedstaat der
Europäischen Union zu klein ist - und sei er auch noch
so groß, wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland. Genau dann muss die Antwort natürlich eine europäische sein.
Das gilt vor allem für die Bewältigung der gegenwärtigen Flüchtlingsströme. Es ist richtig, dass wir sagen:
„Wir schaffen das“, aber richtig ist auch, dass wir vor
allem die europäischen Partner noch stärker in die Pflicht
nehmen und ihnen sagen müssen: Wir schaffen es nicht
alleine.
Anfänge sind gemacht. Auch wenn sich beispielsweise der britische Premierminister anfangs noch weigerte,
syrische Flüchtlinge aufzunehmen, so lenkte er später
ein - zugegebenermaßen auf noch viel zu niedrigem Niveau. Auf dem JI-Rat gelang es dann erstmals, eine Verteilungsquote festzulegen. Mein persönlicher Dank gilt
hier ganz besonders auch Ihnen, Herr Innenminister de
Maizière.
Was wir aber keinesfalls akzeptieren können, ist die
Totalverweigerung einiger Staaten, wie beispielsweise,
um sie namentlich zu nennen, der Slowakei. Deren sozialistischer Ministerpräsident Fico sagt auch noch geradezu pharisäisch, er würde Flüchtlinge aufnehmen, aber
nur, wenn es Christen seien. Man sollte ihm womöglich
einmal ein Exemplar der Europäischen Menschenrechtskonvention, aber ganz bestimmt eines des Neuen Testaments zuschicken;
({0})
denn darin heißt es:
Was du einem meiner geringsten Brüder getan hast,
das hast du mir getan.
Das ist Solidarität, Nächstenliebe und Humanität, wie
sie niemand anderes als Jesus Christus selbst vorgelebt
hat.
({1})
Er hat die Menschen bestimmt nicht nach ihrer Religionszugehörigkeit gefragt, bevor er geholfen hat. Deswegen darf dieses Denken - namentlich das Denken von
Herrn Fico - wirklich als bizarr bezeichnet werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der Abg. Claudia Roth ({2}) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Axel Schäfer ({3}) [SPD]: Herrn Orbán nicht zu verges-
sen!)
Die Europäische Union ist eine Solidargemeinschaft.
Wir erleben hier jedoch eine Entsolidarisierung innerhalb
der Europäischen Union, aber eben auch gegenüber den
in Not geratenen Menschen. Das ist nicht akzeptabel, und
das dürfen wir diesen Staaten auch nicht durchgehen lassen.
({4})
Hier wünsche ich mir in der Tat einen noch stärkeren
Druck der Europäischen Kommission; denn der Umgang mit der gegenwärtigen Krise ist gewissermaßen der
humanitäre Lackmustest für die gesamte Europäische
Union. Wir sind kein Wirtschaftsklub, wir sind eine Werteunion.
({5})
Gerade vor diesem Hintergrund war das Handeln unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Nacht vom
4. auf den 5. September 2015 die einzig richtige Vorgehensweise.
({6})
Es war ein Freitagabend, an dem der österreichische
Bundeskanzler Werner Faymann anrief und die dramatische Lage schilderte. Es gibt sicherlich Momente, in denen Entscheidungen gefragt sind und keine Arbeitskreise
oder Zirkel, die man vorher einrichten könnte. Deswegen
war es wichtig, die Flüchtlinge, die ja bereits in der Europäischen Union waren, an der Grenze hereinzulassen.
Diese Entscheidung war mutig und verdient Respekt. Sie
ist gerade der Beweis für die Humanität und die Werte,
für die wir in dieser Europäischen Union insgesamt stehen, und hat eine Eskalation vermieden.
({7})
Ich möchte auch darauf eingehen, was Herr Oppermann
vorhin über die Europäisierung des Asylrechts gesagt
hat. Ja, das ist richtig, aber leider auch leichter gesagt
als getan; denn das hat auch Auswirkungen auf uns. Bedingt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben wir mit das höchste Leistungsniveau in
Europa. Deswegen brauchen wir in der Tat Vereinheitlichungen, um Fehlanreize auszuschließen. Das heißt, wir
müssen eine Anpassung vornehmen, durch die wir logischerweise auf ein niedrigeres Niveau als gegenwärtig
kommen. An dieser Stelle, Herr Dr. Strengmann-Kuhn,
ist mit Blick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 das letzte Wort mit
Sicherheit noch nicht gesprochen; denn der Kontext ist
jetzt ein anderer.
({8})
({9})
- Stellen Sie bitte eine Zwischenfrage! Ansonsten geht
das von meiner Redezeit ab. - Die Flüchtlinge werden
auch in Rumänien, in Bulgarien und anderen Ländern der
Europäischen Union in Sicherheit leben können. Es geht
darum, hier eine Lösung zu finden. Wir brauchen eine
echte Vergemeinschaftung. Von diesem Ziel sind wir gegenwärtig noch weit entfernt.
({10})
Frau Bundeskanzlerin, ich glaube, es gibt niemanden
in diesem Hause, der Sie im Hinblick auf den bevorstehenden Europäischen Rat heute Abend beneidet. Gerade
deshalb wünschen wir Ihnen allen eine glückliche Hand.
Vielen Dank.
({11})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei
aller Notwendigkeit für die innenpolitischen Weichenstellungen hin zu besseren Systemen, schnelleren Verfahren und geringeren Anreizen ist uns allen klar, dass
die Migrationswelle nach Europa angesichts ihrer Größe,
Komplexität und auch Dynamik letztlich nur in einem
gesamteuropäischen und internationalen Ansatz zu bewältigen ist. Deshalb ist es umso enttäuschender, dass
diese Aufgabe nicht von allen europäischen Ländern als
das angenommen wird, was sie ist, nämlich als eine echte
Herausforderung und Bewährungsprobe für die Glaubwürdigkeit und Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union.
({0})
Das hat zwei wesentliche Gründe. Zum einen ist es so,
dass sich durch die sozialen und ökonomischen Anreize,
die wir in Deutschland setzen, eine Sogwirkung auf die
Menschen in ihren Ländern entwickelt. Darauf antworten wir unter anderem mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz. Zum anderen ist es eben so, dass sich 21
von 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union derzeit
darin gefallen, diese epochale Entwicklung als Zaungäste
zu verfolgen, statt ihre Verantwortung wahrzunehmen.
Es ist nicht akzeptabel, wenn täglich 9 000 oder
10 000 Menschen nach Deutschland kommen, wenn
Deutschland in einer Woche so viele Asylbewerber aufnimmt wie Frankreich im ganzen Jahr und wenn deutlich
mehr als die Hälfte der Menschen, die in die 28 Staaten
der Europäischen Union kommen, ihren Asylantrag in
Deutschland stellen. Deshalb erwarten wir, dass von diesem Gipfel in Brüssel das Signal ausgeht, dass alle Länder der Europäischen Union bereit sind, ihren Teil der
Verantwortung entsprechend ihrer Größe und Leistungsfähigkeit zu tragen.
({1})
Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung darauf hingewiesen, dass wir dieser Herausforderung letztlich nur gerecht werden können, wenn es uns
gelingt, an den Fluchtursachen in den Herkunftsländern
anzusetzen. Es ist klar, dass die Herausforderungen sehr
differenziert sind, und zwar bei jedem betroffenen Land.
Darauf braucht es individuelle Antworten. Aber richtig ist
eben auch, dass man dieser Herausforderung nur gerecht
werden kann, wenn man alle Aspekte der Außen- und Sicherheitspolitik, der Entwicklungspolitik, aber auch der
Klima- und Umweltschutzpolitik zusammenfasst und ein
Gesamtbild zur Lösung zeichnet.
Das alles wird Zeit kosten - Zeit, die wir nicht haben,
Zeit, die insbesondere die Städte und Gemeinden nicht
haben, die die Flüchtlingskrise operativ zu meistern haben. Wir brauchen schnellere Antworten, um die Flüchtlingsströme einzudämmen. Dazu gehört die Sicherung
der Außengrenzen; darauf ist in dieser Debatte bereits
eingegangen worden. Es geht hier um mehr als nur um
die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Wer nicht in der
Lage ist, die Grenzen zu sichern, der legt Hand an die
Freizügigkeit in Europa. Das wollen wir nicht.
({2})
Deshalb müssen die Außengrenzen der Europäischen
Union wirkungsvoll geschützt werden. Darum geht es,
meine sehr verehrten Damen und Herren.
({3})
Es geht darum, dass wir es schaffen, in der Region stärker
mit einer Stimme zu sprechen. Das gilt für die Gespräche
mit der Türkei, die notwendig sind, um die Sicherung der
Außengrenzen zu erreichen. Es geht aber auch darum,
dass die europäischen Länder bereit und in der Lage sind,
die Sicherung der Außengrenzen zu erreichen.
Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Aus meiner Sicht mangelt es manchen Ländern - ich nenne in
diesem Zusammenhang Griechenland - nicht nur an den
Möglichkeiten, sondern auch am Willen, die Außengrenzen zu schützen.
({4})
Denn es ist auffällig, dass nicht mehr, wie es bis Ende
des Jahres 2014 vor der Übernahme der Regierung durch
Tsipras gelungen ist, nur wenige Zehntausend über die
östliche Mittelmeerroute nach Europa gekommen sind,
sondern allein in diesem Jahr schon mehr als eine halbe
Million Menschen.
({5})
Es sind auch ideologische Gründe, die diese Regierung
davon abhalten, Außengrenzen wirkungsvoll zu sichern.
Ich glaube, es ist keine unzulässige Verknüpfung von
Sachverhalten, wenn ich sage: Solidarität bei der Bewältigung der Staatsschuldenkrise in Griechenland ist keine
Einbahnstraße. Man darf schon erwarten, dass die eingegangenen Verpflichtungen auch eingehalten werden.
({6})
Herr Kollege.
Herr Präsident, ich komme zum Ende.
Sie hätten schon längst zum Ende kommen müssen.
Das ist das Problem.
Herr Präsident, ich verspreche es Ihnen. - Wir müssen mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen.
Das wird Geld kosten; das müssen wir in der öffentlichen Debatte deutlich machen. Ich glaube, dann werden
die Menschen auch mehr Verständnis dafür haben, dass
wir diesen internationalen Einsatz als Teil der Lösung der
Probleme in Europa brauchen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre
Geduld, Herr Präsident.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/6335. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stim-
men der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Zu-
stimmung der Fraktion Die Linke.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 e auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes
Drucksache 18/6185
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
Drucksache 18/6386
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/6387
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Jan Korte, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Flüchtlinge willkommen heißen - Für einen
grundlegenden Wandel in der Asylpolitik
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Jan Korte, Sabine Zimmermann ({3}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Alle Flüchtlinge willkommen heißen - Ge-
gen eine Politik der Ausgrenzung und Dis-
kriminierung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine faire finanzielle Verantwor-
tungsteilung bei der Aufnahme und Versor-
gung von Flüchtlingen
Drucksachen 18/3839, 18/6190, 18/4694,
18/6386
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur schnelleren Entlastung der Länder
und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern ({4})
Drucksache 18/6172
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
Drucksache 18/6381
d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder
und Jugendlicher
Drucksachen 18/5921, 18/6289
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({6})
Drucksache 18/6392
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({7})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert
Müller ({8}), Ulla Jelpke, Sigrid Hupach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit
einer starken Jugendhilfe aufnehmen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Beate WalterRosenheimer, Luise Amtsberg, Dr. Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das Kindeswohl bei der Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge absichern
Drucksachen 18/4185, 18/5932, 18/6392
Zu dem Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Zu diesem Gesetzentwurf werden wir später fünf namentliche Abstimmungen
durchführen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich Bundesminister Dr. Thomas de Maizière für die Bundesregierung das Wort.
({9})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf
treffen wir wichtige Entscheidungen für unser Land. Das
ist die größte und umfassendste Änderung des Asylrechts
seit Anfang der 90er-Jahre.
Wir beschleunigen die Asylverfahren. Wir erklären
Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern. Wir wollen, dass in Deutschland aussichtslose Asylanträge gar nicht erst gestellt werden. Wir
verpflichten die Flüchtlinge - nicht die Länder - zur Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung; das entlastet auch die Kommunen. Wir setzen auf eine konsequente Rückführung der Menschen ohne Bleibeperspektive.
Wer unser Land nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel
verlassen muss, wer seinen Pass wegwirft, um einer Abschiebung zu entgehen, dem streichen wir die bisherigen
Leistungen. Es gibt mehr Sachleistungen statt Bargeld.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die eine Seite.
Das Gesetzespaket hat aber auch eine andere Seite,
und die ist genauso wichtig. Wir bekennen uns zur Aufnahme und Integration der schutzbedürftigen Flüchtlinge. Wir öffnen früher die Integrationskurse für Menschen
mit Bleibeperspektive. Wir wollen, dass die, die bleiben - jedenfalls in den nächsten Jahren -, früher in Arbeit
kommen. Sprache und Arbeit sind die besten Mittel zur
Integration. Wir erleichtern und vereinfachen eine rasche
und vernünftige Unterbringung.
Zu all dem kommen umfangreiche finanzielle Hilfen
in Milliardenhöhe für Länder und Kommunen, auch für
den sozialen Wohnungsbau. Wir gehen also neue Wege,
um dieser großen Herausforderung gerecht zu werden.
Vizepräsident Peter Hintze
Das ist ein großes Paket und ein großer Schritt, und ich
bedanke mich für die breite Zustimmung.
({0})
Die Regelungen betreffen viele einzelne Schicksale,
unterschiedliche Schicksale. Sie betreffen zum Beispiel
einen jungen Mann aus Eritrea, der vor einer Diktatur
und dem Wehrdienst geflüchtet ist. Sie betreffen einen
syrischen Akademiker mit Familie, und sie betreffen einen älteren Mann aus Afghanistan, der weder lesen noch
schreiben kann. Sie betreffen eine junge jesidische Frau,
die so gerade eben vor dem Terror des „Islamischen Staates“ geflüchtet ist. Sie betreffen auch einen Antragsteller
aus Albanien, der schon zum zweiten oder dritten Mal
einen Asylantrag stellt, weil er hier arbeiten möchte. Die
Maßnahmen betreffen also Menschen mit unterschiedlichen Biografien, unterschiedlichen Lebenswegen. Wir
werden mit diesem Gesetz vielen Menschen helfen können, aber eben nicht jedem. Asyl- und Flüchtlingspolitik
heißt auch, unterschiedliche Schicksale unterschiedlich
zu behandeln.
({1})
Meine Damen und Herren, die Maßnahmen dieses Gesetzes betreffen uns alle, nicht nur die Flüchtlinge. Die
ganze Flüchtlingskrise betrifft uns alle. Die Sorgen werden größer - Herr Oppermann hat das gesagt ; das dürfen
wir auch aussprechen. Es sind auch unsere Sorgen. Es
gibt keine Differenz zwischen Sorgen von Politikern und
Sorgen der Bevölkerung.
({2})
Aber Aufgabe einer Regierung ist es, Sorgen nicht nur zu
verstehen, sondern zu handeln und sie abzubauen. Das
tun wir unter anderem mit diesem Gesetzespaket.
({3})
Die Zahl derer, die in diesem Jahr zu uns kommen, ist
einfach zu hoch. Ich kenne niemanden, der das ernsthaft
bestreitet.
({4})
Wir arbeiten mit Hochdruck daran, diese Zahl zu verringern - international, europäisch und national. Keine
Maßnahme alleine ist geeignet, die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen. Nur zusammen wirken sie. Auch unser heute vorliegendes Gesetzespaket leistet dazu einen
wichtigen Beitrag. Herr Abgeordneter Sarrazin, die Alternative ist nicht totale Abschottung oder totale Öffnung. Es ist eine Frage des Maßes. Darauf kommt es an,
und daran arbeiten wir.
({5})
Meine Damen und Herren, ich habe den Präsidenten
des Bundeskriminalamts damit beauftragt, gemeinsam
mit den Bundesländern erstmals ein Lagebild zur Kriminalität in und um Aufnahmeeinrichtungen sowie über
Straftaten, begangen von Flüchtlingen, zu erstellen. Dieses Lagebild werden wir dann vorstellen. Es soll einer
Legendenbildung in die eine oder andere Richtung entgegenwirken und mit Fakten Klarheit und Ehrlichkeit in
dieser Debatte herbeiführen.
Ja, Frau Göring-Eckardt, ich habe das Verhalten mancher Flüchtlinge - einer Minderheit - kritisiert und bin
dafür kritisiert worden. Bitte schön.
({6})
Sie haben es jetzt wieder getan. Ich will gar nicht auf
die Taxikosten eingehen, sondern auf einen ganz anderen Punkt, wo wir einen grundlegenden Meinungsunterschied haben. Wenn man das, was Sie sagen, nämlich
dass es verständlich ist, dass ein Flüchtling mit seiner
Familie kommen möchte, zu Ende denkt, kommt man
zu dem Schluss: Dahinter steckt der Anspruch, dass es
jedem Flüchtling in Deutschland das Recht gibt, sich seinen Wohnsitz auszuwählen. Da bin ich anderer Meinung.
({7})
Wenn der Asylantrag abgelehnt ist, muss der Betreffende
unser Land verlassen. Wenn der Asylantrag angenommen wird, dann kann er bleiben. Aber in dieser Phase
der Aufnahme müssen wir darauf bestehen, dass die Lasten in Deutschland gleich verteilt werden und dass der
Flüchtling dahin geht, wohin er im Rahmen der Verteilung geschickt wird - und nicht in den Ort seiner Wahl.
({8})
Realitäten zu verschweigen, hilft niemandem. Das
würde manchen Bürger eher in die Arme der Extremen
treiben, als wenn solche Sorgen auch ausgesprochen
werden.
({9})
Ich kritisiere genauso und massiv die steigende Anzahl von Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte und
Straftaten im Zusammenhang mit diesen. Diese Entwicklung ist erschreckend und beschämend. Menschen, die
Flüchtlinge hassen, hassen in Wahrheit auch unser Land,
und Menschen, die Galgen zeigen, verlassen - neben der
Tatsache, dass sie sich strafbar machen - jeden Boden für
Dialog in unserem Land.
({10})
Ich sehe jedenfalls meine Aufgabe als Innenminister darin, jeder Art von Hass, Gewalt und Straftaten - wer auch
immer sie begeht, und aus welchem Motiv sie auch immer erfolgen - entschieden entgegenzutreten.
({11})
Das vorliegende Gesetzespaket ist eine Gemeinschaftsleistung, und zwar länderübergreifend. Ich glaube,
wenn wir vor sechs Monaten oder sogar noch vor zwei
Monaten so etwas vorgeschlagen hätten, hätten wir sicherlich nicht eine solche Zustimmung bekommen. Ich
sage das besonders mit Blick auf die Länder mit grüner
Regierungsbeteiligung. Realität schafft Mehrheiten. Das
ist nun einmal so in der Politik, und das ist auch richtig
so.
In den letzten Wochen werde ich fast jeden Tag gefragt, wie hoch die Zahl der Flüchtlinge sein wird und
ob es eine Obergrenze gibt. Ich glaube, eine Antwort
auf diese Frage gibt es nicht. Das wird dieser Aufgabe
nicht gerecht. Die Herausforderung zeigt ihren Umfang
erst auf dem gemeinsamen Weg. Jede neue Zahl würde
umgedeutet, um nach innen die Sorgen zu vergrößern
und um nach außen mehr Menschen in Kriegsgebieten
vorzutäuschen, sie würden geradezu eingeladen nach
Deutschland, was natürlich nicht stimmt. Wir haben viel
zu tun mit den Menschen, die zu uns kommen. Wir stellen uns dieser Aufgabe mit großer humanitärer und administrativer Verantwortung. Aber dass wir Menschen aus
Krisengebieten geradezu einladen, nach Deutschland zu
kommen, trifft einfach nicht zu.
({12})
Ja, es geht auch um Veränderung. Das Zusammenleben mit so vielen Flüchtlingen einerseits und das Aushalten harter Maßnahmen andererseits, das ist neu für
die einen wie für die anderen. Die Flüchtlinge müssen
unsere Gesetze und Gewohnheiten akzeptieren und einhalten. Das mag für manche auch eine Veränderung bedeuten. Aber das ist nötig. Es gibt nur einen zentralen
Bereich, wo wir uns nicht verändern wollen und verändern werden: bei der Achtung unseres Grundgesetzes, bei
der Wahrung unserer Grundwerte sowie bei Respekt und
Anstand im Zusammenleben.
In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu diesem
Gesetzespaket.
({13})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Jan Korte, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gleich zu Beginn - sicherlich zur Freude der CSU - ein
Zitat der Bundeskanzlerin:
Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte
kennt keine Obergrenze.
({0})
Das gilt auch für die Flüchtlinge, die aus der Hölle
eines Bürgerkriegs zu uns kommen.
({1})
Ich tue das selten, aber ich kann der Bundeskanzlerin
hier nur recht geben. Asyl und Grundrechte kennen keine
Kontingente. Dafür haben Sie meine volle Zustimmung.
({2})
Ich will aber auch sagen: Das ist kein revolutionärer Satz
der Bundeskanzlerin. Das ist eigentlich eine humanistische Selbstverständlichkeit und nichts anderes als die
Wiedergabe des Grundgesetzes. Das muss man so einordnen.
({3})
Es ist schon bezeichnend, dass diese Selbstverständlichkeit in den Reihen der CSU zum völligen Austicken führt. Ja, sie ticken völlig aus: Söder, Herrmann,
Seehofer. Es gibt kein Halten mehr. Ich will es deutlich
sagen - auch an die Adresse der Bundeskanzlerin -: In
diesem Fall haben Sie die Unterstützung der Linken
gegen die Extremisten in Ihren eigenen Reihen. Darauf
können Sie sich voll und ganz verlassen.
({4})
Allerdings steht das vorangestellte Zitat in einem eklatanten Widerspruch zu dem, was Sie - auch Sie, Frau
Bundeskanzlerin - heute vorlegen. Die Dauer der Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung für geflüchtete Frauen, Kinder und Familien von drei auf sechs Monate verpflichtend zu erhöhen, ist inakzeptabel. Es sind
Menschen, und Menschen haben das Recht, menschenwürdig untergebracht zu werden.
({5})
Es soll des Weiteren ein Zurück zu Sachleistungen geben. Das ist nicht nur viel teurer und bürokratischer. Das
entmündigt vielmehr Menschen. Wir dürfen nicht vergessen: Es geht um Menschen. Was Sie heute vorgelegt
haben, ist daher inakzeptabel.
({6})
Ich will noch etwas erwähnen: Das Kosovo soll ein
sicheres Herkunftsland sein. Darf ich kurz daran erinnern, dass wir hier jedes Jahr einen Bundeswehreinsatz
im Kosovo beschließen sollen, weil es dort so unsicher
ist? Fällt Ihnen irgendetwas auf? Das ist doch unlogisch.
Das ist Ideologie und nichts anderes. Das lehnen wir ab.
({7})
Dann begehen Sie einen offenen Verstoß gegen ein
klares Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Blick
auf die Leistungskürzung. Das kann doch nicht sein. Es
gibt ein aktuelles Urteil dazu, und Sie gehen einfach darüber hinweg. Auch das ist nicht zu akzeptieren und wird
von uns klar abgelehnt.
({8})
Der Kollege Klaus Ernst hat hinsichtlich der Transitzonen eben wunderbar sachlich im Disput mit dem Kollegen Friedrich argumentiert. Was ist das für ein Gerede?
Wenn man das wirklich macht, dann schafft man Massenhaftanstalten und dann macht es nach Ihrer Logik nur
Sinn, wenn die Grenzen komplett geschlossen und neue
Mauern gebaut werden. Das ist das Ende der europäischen Idee, das Ende von Schengen. Helmut Kohl hält
es nicht aus, was Sie mit Europa machen, um auch das
einmal klar zu sagen.
({9})
Ich will meine Kritik gerecht verteilen. Ich würde mir
auch von der SPD und Sigmar Gabriel bei all diesen Fragen wenigstens einmal, in einem Punkt eine klare Haltung wünschen.
({10})
Sagen Sie, wo Sie in dieser Debatte stehen. Wo stehen
Sie eigentlich?
({11})
Eine Anmerkung auch zu den Grünen. In Hessen und
in Baden-Württemberg - das waren die Schlüsselländer gab es die Chance, das Vorhaben der Koalition zu verhindern. Die wurde leider nicht ergriffen. Ich freue mich im
Übrigen, dass Thüringen und Brandenburg dem in dieser
Form am Freitag im Bundesrat nicht zustimmen werden.
({12})
Ich will noch einmal die Bundeskanzlerin zitieren das ist heute schon mehrfach geschehen -, und zwar ihren Satz: Wir schaffen das. - Die entscheidende Frage ist:
Was wollen wir schaffen? Diese Frage müssen wir diskutieren und beantworten. Eigentlich bietet die Situation,
in der wir jetzt sind, die große Chance für eine soziale,
weltoffene und demokratische Modernisierung der Bundesrepublik, für eine Öffnung der Bundesrepublik und
für eine wirkliche Integrationspolitik.
Erstens. Die Kommunen waren vor der Ankunft der
Flüchtlinge völlig unterfinanziert, sie sind es jetzt genauso. Neu und gut für alle wäre es, in dieser Zeit endlich
die Finanzierung der Länder, des Bundes und der Kommunen neu zu regeln, damit die Misere ein Ende hat. Das
wäre gut für alle.
({13})
Zweitens. Der soziale Wohnungsbau wurde vor der
Ankunft der Flüchtlinge kurz und klein frikassiert. In elf
Jahren wurden 1 Million Sozialwohnungen abgebaut.
Neu und gut für alle wäre es, jetzt massiv in den sozialen
Wohnungsbau zu investieren.
({14})
Drittens. Es gäbe jetzt die große Chance, endlich das
Bildungssystem in diesem Land zu reformieren und mit
dieser Kleinstaaterei Schluss zu machen. Neu und gut
für alle wäre ein Topbildungssystem in der ganzen Bundesrepublik. Das ist die richtige Antwort, die wir geben
müssen.
({15})
Viertens. Egal ob Flüchtling oder Nichtflüchtling,
natürlich brauchen wir eine Reregulierung des Arbeitsmarkts. Neu und gut für alle, ob für Inländer, Ausländer
oder Flüchtling, wäre ein Verbot der Leiharbeit - das
steht an -, wären ein vernünftiger Lohn und ein Mindestlohn von 10 Euro für alle, ohne jegliche Ausnahme.
Das wären die richtigen Antworten, die man jetzt geben
müsste.
({16})
Ich will noch kurz etwas zum Flüchtlingssoli anmerken, den es angeblich geben müsse, wie es durch die Gazetten geisterte, was im Zweifel von der CSU - ich weiß
es aber nicht - kam. Dazu will ich sagen: Wenn jemand
einen Flüchtlingssoli zahlen sollte, dann ist das die deutsche Rüstungsindustrie. Die sollte zahlen, und das Geld
sollte direkt an den UNHCR überwiesen werden. Das
wäre richtig.
({17})
Ich habe einige Punkte aufgezählt, die aufzeigen, was
man kurzfristig machen könnte. Dazu gehört auch - das
ist kurzfristig machbar - ein Verbot von Rüstungsexporten; das ist die richtige Antwort.
({18})
All das könnte man tun. Diese kleinen Punkte, die eine
soziale, weltoffene Modernisierung in diesem Land darstellen könnten, würden übrigens dazu führen, dass am
Ende aus dem ganzen Krisengerede ein großer Aufbruch,
sozial, demokratisch, weltoffen, entstehen könnte. An
dessen Ende könnte eine massive Steigerung der Lebensqualität durch eine angekurbelte Binnenkonjunktur und
Solidarität stehen. Was wir jetzt brauchen, ist nicht das,
was Sie vorgelegt haben. Was wir jetzt brauchen, ist eine
neue Ära der Solidarität, der Mitmenschlichkeit, eine
klare Haltung gegen Rassismus. Es gibt auch eine Gefahr
aus der Mitte.
Namens der Linken sage ich: Die Linke wird niemals
zulassen, dass die Schwachen gegen die Allerschwächsten ausgespielt werden. Dagegen werden wir aufstehen.
Vielen Dank.
({19})
Als nächste Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr. Eva Högl, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! 25 Jahre nach der deutschen Einheit und
70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist
Deutschland für Menschen aus allen Teilen der Welt ein
Land der Hoffnung, des Friedens, des Schutzes und der
Sicherheit, und darauf können wir sehr stolz sein.
({0})
Diesen Gedanken hat dieser Tage Wolfgang Thierse formuliert. Ich finde, er hat recht. Ungefähr bis zu 10 000
Menschen kommen jeden Tag nach Deutschland. Sie fliehen vor Krieg, vor Terror, vor Verfolgung, vor Not und
Elend. Ich sage es in dieser Debatte ganz deutlich: Wir
helfen Menschen in Not. Wir geben ihnen Schutz, und
wir geben ihnen Sicherheit.
({1})
Deutschland ist ein starkes Land. Wir sind weltoffen.
Wir sind reich. Wir heißen die Menschen hier willkommen, und wir sind hilfsbereit. Außerdem ist unser Arbeitsmarkt in einer guten Verfassung. Hinzu kommt - auch
das gehört in diese Debatte -, dass wir Einwanderung
brauchen. Deswegen sage ich ganz klar: Ja, wir schaffen
das. Trotzdem müssen wir sehr klar und deutlich die Frage beantworten: Was schaffen wir, wie schaffen wir das,
und wer schafft das? Damit wir das schaffen, brauchen
wir einen handlungsfähigen Staat. Deshalb ist das Asylpaket, das wir heute hier beraten und hoffentlich auch
verabschieden, ein richtiger und wichtiger Beitrag.
({2})
In diesem Asylpaket steckt eine ganze Reihe von
Maßnahmen, die dazu beitragen, dass wir die Menschen,
die zu uns kommen, schnell registrieren, gut unterbringen und menschenwürdig versorgen, dass wir die Verfahren kurz und stramm führen und dass wir die Menschen,
die hier keine Perspektive haben, die hier keinen Schutz
bekommen können, wirksam zurückführen. Auch das
gehört dazu, auch das gehört in dieses Paket. Alle anderen, die die Perspektive haben, in unserer Gesellschaft
bleiben zu können, sollen eine Zukunft in Deutschland
bekommen.
Ich möchte zwei Punkte aus diesem Paket herauspicken, die besonders wichtig sind. Der eine Punkt betrifft
das Thema „Verfahren verkürzen“. Es ist absolut menschenunwürdig, dass die Personen, die jetzt hierherkommen - sie kommen in großer Zahl -, monatelang darauf
warten müssen, dass sie registriert werden, dass sie ihr
Anliegen vortragen können, dass sie überhaupt einen
Antrag stellen können, und dann monatelang oder sogar
jahrelang darauf warten, dass eine Entscheidung getroffen wird. Deswegen müssen wir die Verfahren verkürzen.
({3})
Es ist richtig, dass die Menschen so lange in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben, bis die Verfahren abgeschlossen sind. Das ist ein wichtiger und richtiger Beitrag zur Verkürzung der Verfahren.
Zweiter Punkt. In dem Asylpaket steckt ganz viel zum
Thema Integration. Auch das ist ein ganz wichtiger Baustein. Viele der Menschen, die zu uns gekommen sind
und noch kommen, werden länger oder auch für immer
bei uns bleiben. Deswegen ist es so wichtig, dass sie
schnell unsere Sprache lernen, dass sie ihre Qualifikationen verbessern, dass sie einen Arbeitsplatz finden, dass
sie eine Ausbildung machen und eine Wohnung bekommen, dass sie sich mit unseren Werten und unserer Kultur
vertraut machen und dass wir gemeinsam mit ihnen das
Zusammenleben in unserer Gesellschaft gestalten. Damit
investieren wir in die betroffenen Menschen, aber auch in
unsere gesamte Gesellschaft. Das ist wichtig.
({4})
Ein weiterer Aspekt ist ebenfalls ganz wichtig: Wir
machen Politik für alle Menschen hier in Deutschland
und in Europa. Wir denken bei unserer Politik für Wohnungsbau und Integration, für Arbeitsmarkt und Ausbildung auch an alle anderen: an die Rentnerinnen und
Rentner, an die Obdachlosen, an die Familien, an die Alleinerziehenden und an Arbeitslose.
({5})
Wir machen Politik für alle, und das ist ganz entscheidend. Diese Botschaft geht auch von diesem Asylpaket
aus.
({6})
Natürlich wissen wir: Wir müssen, wenn wir helfen
wollen, auch helfen können. Das heißt, dass dauerhaft
nicht 10 000 Menschen jeden Tag nach Deutschland
kommen können. Deshalb sind wir uns im Deutschen
Bundestag einig, dass wir die Zuflucht begrenzen müssen.
({7})
Aber wir antworten darauf nicht damit, dass wir die
Grenzen schließen, wir senken nicht unsere Standards für
die Menschen, die zu uns kommen, und wir antworten
auch nicht mit Abschreckung,
({8})
sondern wir antworten mit menschenwürdiger Politik.
Wir wollen die Fluchtursachen bekämpfen. Dazu ist heute Morgen schon viel gesagt worden, was ich nicht wiederholen möchte.
Aber ich möchte noch etwas sagen, was ich für ganz
entscheidend halte: Es geht um Europa. Meiner Meinung
nach ist das Thema „Flüchtlinge und Zuwanderung“ eine
Bewährungsprobe für Europa. Ich will es ganz deutlich
sagen: Schengen ist wichtiger als der Euro. Wenn wir
die zentrale Errungenschaft Europas nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges, nämlich die offenen Grenzen und
die Freizügigkeit, das, was Europa für die Bürgerinnen
und Bürger ausmacht, preisgeben, nur weil wir nicht in
der Lage sind, eine gute und vernünftige Flüchtlingspolitik zu machen, dann wäre das wirklich ein Skandal.
({9})
Deswegen muss unser Engagement in Richtung Europa
gehen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe in Europa. Wir
brauchen gleiche Standards, einheitliche Verfahren, eine
gerechte Verteilung, eine solidarische Finanzierung, und,
ja, wir brauchen auch besser gesicherte Außengrenzen.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das
Asylpaket richtig und wichtig. Ich bitte darum, dem heute zuzustimmen und es so zu verabschieden. Es ist ein
wichtiger Schritt, wenn auch nicht der letzte; es bleibt
noch viel zu tun.
Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Das ist
ein tolles Wort, ich weiß, aber ich meine es ganz ernst.
Wir kapitulieren nicht davor, sondern gehen diese Herausforderung engagiert und beherzt im Sinne der Menschen an, die zu uns kommen und hier Schutz suchen.
Herzlichen Dank.
({10})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Derzeit erreichen Deutschland mehr Flüchtlinge als jemals zuvor
seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie kommen
zweifellos aus sehr unterschiedlichen Gründen, aber die
überwältigende Mehrheit von ihnen kommt nach dramatischer Flucht und in größter Not. In dieser Zeit gibt es
in Deutschland Zehntausende von Menschen, die nicht
lange fragen, was dieses Land, sondern was sie selbst
für Flüchtlinge tun können. Hauptamtliche und Ehrenamtliche, Junge und Alte, sie alle leisten vorbildliche und
großartige Arbeit, oftmals bis an den Rand der Erschöpfung. Diesen Menschen gebührt zunächst einmal unser
aller Dank.
({0})
Jetzt erwartet man zu Recht Antworten von uns, aus
dem Deutschen Bundestag. Wir sehen in dem heute vorliegenden Paket zwar durchaus gute Instrumente, aber
leider auch zahlreiche schlechte, verfassungsrechtlich
problematische und vielfach einfach untaugliche.
Wir sagen Ja zu einer strukturellen und dauerhaften
finanziellen Entlastung der Länder und Kommunen. Wir
sagen Ja zu überfälligen Verbesserungen im Asylrecht,
dazu, 16- und 17-Jährige endlich nicht einfach wie Erwachsene zu behandeln. Wir sagen Ja zu einem einfacheren Planungsrecht, das hoffentlich möglichst viele
Flüchtlinge vor dem kommenden Winter aus den Zelten
holt.
Aber wir sagen Nein zu dem nutzlosen und verfassungsrechtlich problematischen Konstrukt der sicheren
Herkunftsstaaten.
({1})
Wir sagen Nein dazu, Asylsuchende länger in Erstaufnahmeeinrichtungen festzusetzen; das ist unpraktikabel,
und es verhindert die Integration, die wir doch gerade
wollen. Wir sagen Nein zu immer weiteren Anspruchseinschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz; da
verweise ich auf die klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Herr de Maizière, gerade haben Sie
von der Achtung gegenüber dem Grundgesetz gesprochen. Das gilt auch für Sie.
({2})
Wir lehnen eine immense Bürokratisierung durch Sachleistungen ab, die Flüchtlingen und den Helferinnen und
Helfern das Leben zusätzlich erschwert und immense
Kosten erzeugt.
({3})
Das alles sind bürokratische Placebos, die uns in der derzeitigen Situation einfach nicht weiterhelfen.
In Abwägung der positiven und der negativen Argumente werden wir uns heute bei dem von Ihnen vorgelegten Gesamtpaket enthalten.
Tatsächlich effektive Maßnahmen liegen aber längst
auf dem Tisch: Anerkennung und Rechtssicherheit für
die Asylsuchenden, die seit Jahren bei uns leben;
({4})
die überfällige Abschaffung der Vorrangprüfung, die ausgerechnet von der SPD verhindert wurde, Frau Högl herzlichen Glückwunsch! -;
unbürokratische Anerkennung derjenigen aus Staaten mit
hohen Anerkennungsraten; entschlossene Maßnahmen
für Integration, vor allen Dingen eine Bildungsoffensive.
All das schlagen wir seit langem und heute erneut vor,
und all das ignorieren Sie noch immer. Das ist einfach zu
wenig, meine Damen und Herren.
({5})
Statt Entschlossenheit und Geschlossenheit in der
CDU/CSU-Fraktion Meuterei auf der Bounty . Aus Kreisen ausgerechnet der Fachpolitiker der Union wurde
offen mit - ich zitiere - „Regierungsabwahl“ gedroht.
Regierungsabwahl! Man muss es sich einmal vorstellen! Diese Drohung soll offensichtlich von Ihren eigenen
massiven Versäumnissen ablenken.
({6})
CSU und CDU tragen seit zehn Jahren die Verantwortung für die Innen- und auch für die Flüchtlingspolitik
in diesem Land. Um dies zu kaschieren und um ein dringend erforderliches Einwanderungsgesetz zu verhindern,
riskieren Sie lieber das politische Ende Ihrer eigenen
Bundeskanzlerin. Das ist ein Skandal, meine Damen und
Herren.
({7})
Früher hieß konservativ sein: auch Verantwortung
übernehmen in schwierigen Zeiten. - Heute haben wir einen Innenminister, der ohne irgendeine Faktenbasis über
taxifahrende Flüchtlinge schwadroniert, um allen Ernstes
den Eindruck zu erwecken, Herr de Maizière, er habe mit
der katastrophal schlechten Ausstattung des BAMF, mit
der unakzeptabel langen Verfahrensdauer und mit dem
ganzen Chaos der letzten Monate nichts zu tun. Das ist
absurd. Das ist peinlich, Herr de Maizière. Man kann nur
hoffen, dass der Chef des Bundeskanzleramts es besser
und sachbezogener angeht als Sie.
({8})
Und Horst Seehofer? Der macht seit Wochen die unsozialen, unchristlichen, antieuropäischen Positionen der
„neuen Rechten“ hoffähig. Ich sage Ihnen: Das wird Ihnen noch leidtun, meine Damen und Herren.
({9})
Nun will er - Herr Seehofer - die eigene Bundesregierung verklagen - vor dem Bundesverfassungsgericht.
Das ist nur noch grotesk, meine Damen und Herren. Unfassbar!
({10})
Ich möchte der Bundeskanzlerin an dieser Stelle sagen: Ich habe, auch im Sinne meiner Partei und Fraktion,
vieler Leute dort, durchaus Respekt für Ihre bisherige
Haltung in der Flüchtlingsfrage. Aber wer solche Koalitionspartner hat, der muss sich fragen, ob er für die größte
Herausforderung unserer Geschichte seit der Wiedervereinigung tatsächlich gewappnet ist.
({11})
Wenn 24 Stunden nach der Regierungsabwahldrohung
von Herrn Uhl die irrsinnige Forderung, die Türkei ernsthaft zu einem sicheren Herkunftsstaat zu machen, übernommen wird, dann erweckt das schlicht den Eindruck
der Erpressbarkeit, Herr Kauder.
({12})
Wenn die Autorität erodiert wie am Dienstag in der
Sitzung Ihrer Bundestagsfraktion, wenn in der Partei
Putsch in der Luft liegt wie gestern Abend offenbar in
Schkeuditz,
({13})
dann fehlt das Vertrauen, das Sie dringend brauchen. Ich
sage Ihnen: Sie müssen das in Ihren Reihen klären; denn
wir brauchen eine Haltung - eine Haltung! -: die Bundesregierung, dieses Parlament und das ganze Land.
({14})
Wir brauchen Geschlossenheit und Mut. Wir brauchen
ein klares Ja zur Einwanderungsgesellschaft und zur
Integration. Wir können das schaffen. Wir können das
schaffen, aber nur, wenn alle, die es schaffen wollen, an
einem Strang ziehen.
Ganz herzlichen Dank.
({15})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege von Notz, ganz klar ist mir nicht geworden,
wie wir es eurer Ansicht nach schaffen wollen, wenn die
grüne Fraktion sich enthält.
({0})
Seit vielen Wochen und Monaten diskutieren wir
über das Thema Flüchtlinge. Gemeinsam haben wir bereits zahlreiche Reformen auf den Weg gebracht, um die
stark gestiegenen Flüchtlingszahlen und die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen. Vieles hat
sich verändert. Wir sprechen heute von einer der größten
Flüchtlingskrisen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Doch eines hat sich nicht geändert: unsere feste Überzeugung, dass unser Asylsystem nur funktionieren kann,
wenn die geltenden Regeln von allen Beteiligten eingehalten werden.
({1})
Mehr denn je stellt sich heute im Angesicht der nicht
nachlassenden Flüchtlingsströme nach Deutschland die
Frage: Was ist ein gerechtes Asylsystem? Je nachdem,
wohin man in diesem Hohen Haus schaut, wird es verschiedene Antworten darauf geben. Ich möchte mich daher auf vier Kernpunkte konzentrieren, die wir wohl fast
alle teilen.
Ein Asylsystem ist dann gerecht, wenn es denjenigen
Schutz bietet, die vor politischer Verfolgung, Krieg, Plünderung und Vergewaltigung aus ihrer Heimat fliehen.
Ein Asylsystem ist dann gerecht, wenn es seine Kapazitäten für diejenigen zur Verfügung stellt, die den Schutz
wirklich benötigen.
Es ist gerecht, wenn es verlässlich und anerkannt ist:
verlässlich für unsere internationalen Partner, für die
Schutzsuchenden und - das wird häufig vergessen - anerkannt durch die eigene Bevölkerung.
Ein Asylsystem ist aber auch nur dann gerecht, wenn
es den Verfolgten eine angemessene menschenwürdige
Aufnahme und die Chance zur Integration bieten kann.
Seit Anfang September - das wird sicherlich niemand
hier bestreiten - befinden wir uns bei der Flüchtlingsfrage im Ausnahmezustand. Wir erleben einen massiven
Zustrom von bis zu 10 000 Asylbewerbern am Tag, die
alle registriert, versorgt und untergebracht werden müssen. Die hauptamtlichen und die ehrenamtlichen Helfer
leisten in diesen Tagen großartige Arbeit und manchmal
fast schon Übermenschliches: die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Ausländerbehörden, Polizisten, Soldaten
und die vielen Helfer vom THW, vom Roten Kreuz, von
den freiwilligen Feuerwehren und vielen weiteren Organisationen, wie sie zum Beispiel auch heute auf den Zuschauertribünen Platz gefunden haben. Dafür möchte ich
ihnen herzlich danken.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der
aktuellen Lage verstehe ich, wenn es in Landkreisen,
Städten und Gemeinden, aber auch bei freiwilligen und
hauptamtlichen Helfern heißt: Wir können diese Massen
nicht mehr bewältigen. - Genauso verstehe ich die Sorgen und Bedenken der Menschen bei uns im Land, wenn
es gilt, auf einmal 1 000 Flüchtlinge innerhalb weniger
Stunden in einer kleinen Gemeinde unterzubringen, wie
zum Beispiel im Fall von Hardheim in meiner Heimatregion.
Für mich steht fest: Wir dürfen unsere Kommunen und
die Helfer nicht grenzenlos belasten. Wir brauchen dringend geordnete Strukturen und Verfahren. Deshalb ist es
von fundamentaler Bedeutung, dass wir mit der heutigen
Debatte und ihren rechtlichen Folgen ein Signal an die
Bürgerinnen und Bürger senden, dass wir die Sorgen
ernst nehmen und unserer Verantwortung nachkommen,
Herr der Lage zu sein. Es ist deshalb richtig, dass wir mit
dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz eine konsequente Trennung einhalten zwischen den Schutzbedürftigen und denen, die keinen Anspruch auf Asyl haben,
eine Trennung, die sich wie ein roter Faden durch unser
komplettes Asylsystem ziehen muss.
Wir haben nun in diesem Sinne ein Gesamtpaket auf
den Weg gebracht, durch das die Verfahren beschleunigt
werden, Anreize reduziert werden sowie die Schaffung
von Unterbringungsmöglichkeiten und die Integration
von Asylbewerbern mit Bleibeperspektive erleichtert
werden. Ein wichtiger Baustein dabei ist, dass nun alle
Balkanländer als sichere Herkunftsstaaten eingestuft
werden, weil dort keine systematische Verfolgung droht.
Damit können nun auch Anträge von Asylbewerbern aus
Albanien, dem Kosovo und Montenegro schneller bearbeitet werden.
({3})
Antragsteller aus sicheren Herkunftsländern müssen
zudem künftig bis zum Ende des Asylverfahrens in der
Erstaufnahmeeinrichtung bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine weitere Voraussetzung für ein geordnetes Verfahren und ein faires Asylsystem ist die Beseitigung von Fehlanreizen. Ein wichtiger Anreiz für die Menschen, die in unser Land kommen,
ohne schutzbedürftig zu sein oder obwohl sie bereits in
einem anderen Land Schutz gefunden haben, sind die
Geldleistungen, die bei uns gewährt werden. Diese mögen manchem gering erscheinen, übersteigen jedoch oft
die Monatslöhne in den Heimatländern der Menschen um
ein Vielfaches. Es ist deshalb das richtige Signal, dass die
Auszahlung von Geldleistungen längstens einen Monat
im Voraus erfolgen darf. In den Erstaufnahmeeinrichtungen soll der Bargeldbedarf künftig, soweit möglich,
durch Sachleistungen ersetzt werden. Ich möchte an dieser Stelle eindringlich appellieren, diese Regelung auch
konsequent umzusetzen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Sinne der Akzeptanz des Asylsystems sind auch die vorgesehenen Einschränkungen im Leistungsbezug. Nimmt ein vollziehbar Ausreisepflichtiger, bei dem das Ausreisedatum und
die Reisemöglichkeit feststehen, die Ausreise nicht wahr,
steht ihm nach dieser Frist bis zur Ausreise nur noch ein
Anspruch auf Deckung des Bedarfs an Ernährung und
Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und
Gesundheitspflege zu. Gleiches gilt für Geduldete, bei
denen eine Abschiebung aus selbst zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Diese Einschränkungen stehen das hat auch die Anhörung ergeben - im Einklang mit
dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
({5})
Bei diesen Asylbewerbern ist nämlich nicht von einem
dauerhaften Aufenthalt und daher von einem geringeren
Bedarf zur Deckung der Kosten für die Lebensführung
auszugehen.
({6})
Nachholbedarf besteht bei der Abschiebung der Ausreisepflichtigen. Nach wie vor klaffen die Zahl der abgelehnten Asylbewerber und die Zahl der Abschiebungen
weit auseinander. Aber auch hier sage ich: Wir müssen
die Akzeptanz und die Berechenbarkeit unseres Asylsystems beibehalten. Dazu gehört, dass wir unsere Regeln
endlich konsequent durchsetzen und damit auch abgelehnte Asylbewerber zügig wieder nach Hause schicken.
({7})
Alles andere ist angesichts der Lage in den Kommunen
nicht mehr zu vermitteln. Auch hier machen wir mit dem
Gesetz unsere Hausaufgaben und geben den Ländern entsprechende Instrumente an die Hand. So dürfen Abschiebungen künftig nicht mehr angekündigt werden. Mit der
bislang gängigen Praxis wurden viel zu häufig diejenigen
geschützt, die sich ihrer Abschiebung durch Untertauchen entziehen wollten.
({8})
Jetzt liegt der Ball im Feld der Länder. Für die gilt: Kommen Sie Ihrer Pflicht nach, und verweisen Sie diejenigen schneller des Landes, die kein Recht haben, hier zu
sein, und die lediglich die Kapazitäten für die tatsächlich
Schutzbedürftigen blockieren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn uns dies alles gelingt und unser Asylsystem akzeptiert, berechenbar
und fair bleibt und wir ein geordnetes Verfahren haben,
dann bin ich mir sicher, dass wir auch die wichtigste Aufgabe erfolgreich bewältigen: die Integration der zu uns
kommenden Menschen. So sorgen wir mit dem Gesetzespaket, etwa mit der Öffnung der Integrationskurse für
Asylbewerber und Geduldete mit guter Bleibeperspektive, dafür, dass sich diese Menschen bei uns im Land
schneller eine eigene Zukunft aufbauen können. Gleichzeitig gebe ich dem Bundesinnenminister recht, wenn er
betont, dass Integration keine Einbahnstraße sein dürfe.
Nicht nur wir müssen Integrationsangebote und eine gelebte Willkommenskultur schaffen, sondern auch umgekehrt erwarten wir von den Flüchtlingen, dass sie unsere
Werte und unsere Gesetze achten und annehmen. Eines
muss auch gesagt werden: Wer sich zum Beispiel von
Frauen das Essen nicht reichen lässt oder sich weigert,
mit ihnen zusammen einen Deutschkurs zu besuchen,
den werden wir, egal wie sehr wir uns bemühen, nicht
integrieren können, und der sollte sich fragen, ob wir das
richtige Land für ihn sind.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das vorliegende Gesetzespaket ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Wenn der Flüchtlingsstrom weiter anhält,
werden jedoch weitere Maßnahmen folgen müssen.
Bundespräsident Gauck hat es vor kurzem auf den Punkt
gebracht: Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich. - Letzteres ist uns sehr wohl bewusst.
Deshalb sollten wir bereits heute über weitere Schritte
nachdenken, wie etwa die Möglichkeit, Asylverfahren
auch direkt an der Grenze durchzuführen. Wie auch Bundeskanzlerin Merkel heute betont hat, können wir die
Flüchtlingskrise nicht allein in Deutschland lösen. Wir
brauchen eine faire Verteilung der Flüchtlinge innerhalb
Europas.
Frau Kollegin, die Sache mit der Endlichkeit gilt auch
für die Redezeit. Die ist schon überschritten.
({0})
Ich komme zum Ende. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der gegenwärtigen Situation gibt es nicht die
eine Lösung. Wir brauchen eine ganze Reihe von Maßnahmen. Einige davon können wir sofort in Angriff nehmen, für andere brauchen wir einen langen Atem. Auf
nationaler Ebene gehen wir mit dem Gesetzespaket den
richtigen Schritt und geben den Ländern gute Instrumente in die Hand. Ich fordere diese nochmals auf, sie zu nutzen. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, rufe ich zu:
Stimmen wir dem Gesetz mit breiter Mehrheit zu, und
senden wir ein Signal nicht nur an die Flüchtlinge, sondern vor allem auch an unsere Bürgerinnen und Bürger!
Vielen Dank.
({0})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Kollegin, weil Sie von „Fehlanreizen“ gesprochen
haben, möchte ich hier eines doch einmal betonen: Die
Menschenwürde ist kein Fehlanreiz. Auch Menschen, die
nach Deutschland kommen und deren Asylantrag abgelehnt wird, haben ein Recht darauf, hier in Menschenwürde zu leben.
({0})
Das garantiert unser Grundgesetz. Der Schutz der Menschenwürde und des Grundgesetzes sollte eigentlich
auch Ihnen wie uns allen hier oberste Verpflichtung sein.
({1})
Heute steht eine historische Abstimmung an. Nach
dem Asylkompromiss im Jahr 1992 ist dies der gravierendste Angriff auf das Grundgesetz und auf das Recht
auf Asyl. Es ist ein schwarzer Tag für das Asylrecht.
Diesmal sind es leider nicht nur Union und SPD, die
die Axt an die Restbestände dieses Grundrechtes legen,
sondern es sind leider - ich bedauere das aus tiefstem
Herzen - die grün mitregierten Länder Baden-Württemberg und Hessen. Ich finde, auch eine Enthaltung, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist angesichts dieser massiven Eingriffe in die rechtsstaatlichen Garantien, in dieses
Recht auf Asyl, ein Armutszeugnis.
({2})
Das sollten Sie sich noch einmal überlegen.
Dieser Gesetzentwurf atmet lediglich den Geist der
Abwehr und der Abschreckung. Deshalb wird er nur dazu
führen, dass Flüchtlinge schlechter gestellt werden. Er atmet auch den Geist der Abschottung. Wir Linke weisen
ihn deshalb scharf zurück, weil wir der Auffassung sind,
das Grundrecht auf Asyl und das Grundgesetz dürfen
nicht zum Steinbruch der Abschottungspolitik werden.
({3})
Sie reden immer von Integration. Dabei bringen Sie
hier ein Regelwerk auf den Weg, das Integration verhindert. Welchen integrationspolitischen Nutzen soll es
denn haben, dass Menschen hier sechs Monate lang nicht
arbeiten dürfen? Welchen integrationspolitischen Nutzen
soll es denn haben, dass Menschen sechs Monate lang
zwangskaserniert werden sollen? Und welchen integrationspolitischen Nutzen soll es haben, dass Menschen nur
noch Sachleistungen bekommen? Sie wissen, dass das
nicht zur Integration der Menschen führen wird.
({4})
Das ist auch Ihr Kalkül, meine Damen und Herren. Sie
wollen diese Abschreckung, und Sie wollen diese AusNina Warken
grenzung und Schlechterstellung der Flüchtlinge. Das ist
einfach schändlich, meine Damen und Herren.
({5})
Wir brauchen Integration statt Abschreckung und
Ausgrenzung der Schutzsuchenden. Deshalb hat mein
Kollege Korte richtig gesagt: Wir brauchen ein soziales
Integrationsprogramm, mehr Lehrer, mehr öffentlichen
Wohnungsbau, mehr Ärzte, mehr Krankenhäuser statt
Entrechtung und Ausgrenzung von Flüchtlingen.
({6})
- Eines will ich noch erwähnen, weil meine Kollegin
auch überzogen hat.
({7})
Die Zeit.
Angesichts der Bombardierung kurdischer Gebiete durch Erdoğan und die AKP und angesichts dieses
furchtbaren Bombenanschlags und der Verfolgungswelle
in der Türkei, angesichts des Krieges gegen den eigenen
Teil der Bevölkerung von Erdoğan: Möchten Sie diesen
Terrorunterstützer, der den IS und andere islamistische
Terrormilizen bewaffnet - das wissen Sie auch -, zum
sicheren Herkunftsstaat erklären? Das ist doch wirklich
schäbig, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Die Zeit, Frau Kollegin.
Es ist schäbig und schändlich. Hören Sie damit auf!
Bekämpfen Sie die Fluchtursachen und paktieren Sie
nicht mit der personifizierten Fluchtursache Erdoğan!
({0})
Nächste Rednerin ist die Bundesministerin Dr. Barbara
Hendricks für die Bundesregierung.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
erleben gerade eine Situation, die unsere Gesellschaft im
Ganzen fordert. In der Hoffnung auf Frieden und eine
Zukunft vertrauen sich vor Krieg und Hoffnungslosigkeit
geflüchtete Menschen uns an. Es ist unsere menschliche
Pflicht, sie aufzunehmen und willkommen zu heißen.
Es ist unsere politische Verantwortung, Sorge zu tragen,
dass aus Fremden Nachbarn werden können.
({0})
Es geht jetzt vor allem um pragmatische Schritte, um
konkrete Maßnahmen, die den Menschen wirklich helfen, ganz egal, ob sie hier geboren sind oder erst seit kurzem bei uns leben. Unsere Politik muss in diesem Sinne
jetzt auch sicherstellen, dass für alle Menschen Wohnraum oder - sofern noch kein endgültiger Wohnraum
vorhanden ist - vorübergehende Unterkünfte zur Verfügung stehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die
Realität betrachten. Der Winter steht nun wirklich unmittelbar vor der Tür, die Temperaturen bewegen sich schon
jetzt um den Gefrierpunkt. Das heißt, wir haben keine
Zeit zu verlieren. Alle Menschen brauchen ein Dach über
dem Kopf. Wir sind - das wissen wir alle - ein starkes
Land.
({1})
Wir sind bei allen Schwierigkeiten, die ich nicht kleinreden will, durchaus in der Lage, diesem überlebenswichtigen Bedürfnis der Menschen gerecht zu werden. Das
muss, wird und kann unser Land auch wirklich leisten.
Wir brauchen - erstens - kurzfristige Lösungen für
neue Unterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtungen. Mein
Haus hat seinen Beitrag zu dem vorliegenden Gesetzestext mit weitgehenden Änderungen im Bauplanungsrecht
geleistet, insbesondere um die Situation in den Kommunen zu verbessern. Mit unseren Regelungsvorschlägen
machen wir in sämtlichen Gebietsarten - in Bebauungsplangebieten, im nicht beplanten Innenbereich und im
Außenbereich - sowohl Erstaufnahmeeinrichtungen als
auch Gemeinschaftsunterkünfte zulässig.
Im Übrigen haben wir eine Art Generalklausel vorgelegt: Wenn auch mit allen bereits genannten Erleichterungen dringend benötigte Aufnahmeeinrichtungen und
Gemeinschaftsunterkünfte nicht rechtzeitig bereitgestellt
werden können, ermöglichen wir auch generelle Abweichungen von den Vorschriften des Baugesetzbuches.
Wir müssen - zweitens - den Wohnungsneubau in
Deutschland kräftig ankurbeln. Viele Menschen, die zu
uns kommen - das wissen wir -, werden auf Dauer oder
zumindest für eine Reihe von Jahren bleiben. Sie werden
sich, wie viele Deutsche auch, auf die Suche nach gutem
und bezahlbarem Wohnraum machen. Ich sage hier ganz
klar: Wir werden dabei nicht zulassen, dass der Eindruck
entsteht, dass für Flüchtlinge gebaut wird und für Einheimische nicht.
({2})
Das kann nicht sein. Unser Ziel ist und bleibt dauerhafter
bezahlbarer Wohnraum für alle Menschen mit niedrigem
und mittlerem Einkommen.
({3})
Wir investieren deshalb 2 Milliarden Euro zusätzlich und
damit insgesamt 4 Milliarden Euro bis zum Jahr 2019
in den sozialen Wohnungsbau. Ich freue mich, dass die
Länder die zweckentsprechende Verwendung der Mittel
zugesagt haben.
Der Bund wird den Kommunen zudem weitere Immobilien und Liegenschaften schnell und verbilligt für den
sozialen Wohnungsbau überlassen.
({4})
Ich setze mich darüber hinaus für steuerliche Anreizinstrumente ein. Hierzu stehe ich bereits mit dem Bundesfinanzminister im Dialog. Ich bin sehr zuversichtlich, dass
wir hier gemeinsam mit den Ländern schon sehr bald zu
einem guten Ergebnis kommen werden.
Grundsätzlich gilt: Wir brauchen die Länder und
Kommunen genauso wie private Investoren und Flächenvermarkter. Alle geeigneten Flächen müssen für den
Wohnungsneubau aktiviert werden. Und wir brauchen
mehr private Investitionen in den Wohnungsneubau.
({5})
Niemand kann allerdings mit Sicherheit vorhersagen, ob
die Maßnahmen ausreichen oder ob wir nicht in einigen
Monaten weitere Schritte beraten müssen. Denn wir alle
wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wohnen ist ein
kein Luxus; Wohnen ist nichts, worauf ein Mensch, und
sei es auch nur vorübergehend, einfach einmal so verzichten könnte.
({6})
Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Dem Rechnung zu tragen, ist eine gesamtgesellschaftliche Pflicht, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir nur gemeinsam
lösen können.
Herzlichen Dank.
({7})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen.
Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil wir es schaffen wollen, ist es längst überfällig
und wichtig und richtig, dass sich der Bund nun endlich
bereit erklärt hat, die Länder und Kommunen strukturell
und dynamisch bei der Versorgung von Flüchtlingen finanziell zu unterstützen.
({0})
Der Bedarf und die Not sind doch augenscheinlich, wenn
wir sehen, wie die Menschen tagelang im Freien auf ihre
Registrierung warten oder gar bei Temperaturen unter
null auf der Straße schlafen müssen. Deshalb: Die finanzielle Unterstützung durch den Bund ist ein guter Teil
dieses Pakets.
({1})
Was wir eben auch brauchen, sind schnellere Verfahren.
Nur kommt es weder zu einer Aufhebung der Widerrufsprüfung noch zu einer Altfalllösung. Genauso fehlen
erleichterte Verfahren bei besonders Schutzbedürftigen
oder unbürokratische Möglichkeiten zur privaten Unterbringung und zur familiären Zusammenführung.
({2})
Das betrifft übrigens Artikel 6 unseres Grundgesetzes.
Das als Asylverfahrensbeschleunigung zu bezeichnen,
das ist wirklich Etikettenschwindel, und dem stimmen
wir nicht zu.
({3})
Was ich im vorliegenden Gesetzentwurf wirklich
schmerzlich vermisse, das ist die Rückbesinnung auf Artikel 1 und auf Artikel 18 unseres Grundgesetzes. Denn
das müsste heißen: keine Verschärfung, sondern eine Politik aus der Perspektive des Flüchtlings und gemessen
an der Realität von großen Fluchtbewegungen, eine Politik, die die Würde des Flüchtlings und das individuelle
Grundrecht auf Asyl achtet und es nicht traktiert.
({4})
Wer Integration und ein friedliches Zusammenleben
wirklich will, der verlängert doch nicht die Verweildauer
in Erstaufnahmeeinrichtungen und der entwürdigt auch
Schutzsuchende nicht mit Sachleistungen, sondern er
sorgt dafür, dass die Menschen unsere Sprache lernen
können und dass sie schnell in Bildung, Ausbildung und
Arbeit, übrigens ohne Vorrangprüfung, kommen können.
({5})
Anders als die Rhetorik von Angela Merkel atmen die
fast enthemmten Debattenbeiträge mancher - dazu gehört auch Hans-Peter Friedrich - in diesen Tagen immer
weniger den Geist der humanitären Schutzverantwortung, der so viele Helfer in unserem Land beseelt, übrigens auch und gerade in Bayern.
({6})
Vielmehr atmen sie den Geist von Abwehr, von Abschreckung und von Anreizminderung. Ein Baustein dafür ist
die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsländer,
wie im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen. Die AbBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
surdität dieses Konstrukts wird am Beispiel Kosovo deutlich - da hat Kollege Korte doch recht -, das nicht einmal
in der EU von allen Ländern als unabhängiger Staat anerkannt wird und in das wir - alle, die zugestimmt haben noch vor der Sommerpause deutsche Soldaten geschickt
haben, weil die Lage dort so instabil ist. Wenn jetzt sogar
die Türkei, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten
werden, wo es entgrenzte Gewalt gibt, zum sicheren Herkunftsland umdefiniert werden soll - und nichts anderes
ist das -, dann zeigt das doch auch die Willkürlichkeit
des Konzepts insgesamt.
({7})
Wir erleben mehr und mehr eine von innenpolitischen
Interessen getriebene Außenpolitik. Aber wie soll eine
solche Politik menschenrechtsbasiert und wertegeleitet
sein? Darauf haben Sie keine Antwort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist in
diesen Tagen leicht entflammbar. Wenn wir sehen, dass
im Durchschnitt täglich zwei Flüchtlingsunterkünfte angegriffen werden, wenn wir angesichts der fürchterlichen
Entgleisungen der Pegida nach Dresden blicken, wenn
wir angesichts der widerlichen Hetze der AfD nach Erfurt blicken, dann erwarte ich, dass wir uns alle unserer
Verantwortung für unser Land und für alle Menschen in
diesem Land bewusst sind.
({8})
Deswegen meine Bitte: Zündeln Sie nicht mit! Hören
Sie auf mit der Kriegsrhetorik! Die Flüchtlinge bedrohen
uns nicht; sie sind doch in Not und nicht wir in Notwehr.
Setzen Sie klare Zeichen, dass Hass und Ausgrenzung in
unserem Land nichts verloren haben!
Vielen Dank.
({9})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren!
Da muss ich widersprechen: Es sitzt ein Präsident hinter Ihnen. Aber das macht nichts.
({0})
Seit Monaten sorgen die Verantwortungsträger in den
Kommunen, unsere Polizisten und Soldaten, die Mitarbeiter in den Ausländerbehörden und Hilfsorganisationen
und die vielen ehrenamtlichen Helfer in einem beispiellosen Kraftakt dafür, dass Deutschland seinen hohen
humanitären Ansprüchen in dieser Ausnahmesituation
gerecht wird. Sie sind die stillen Helden in dieser historischen Flüchtlingskrise, und wir können ihnen gar nicht
oft genug Danke sagen.
({0})
Wer diese beeindruckende Leistung ernsthaft anerkennt,
der muss aber auch erkennen, dass diese Leistung auf
Dauer nicht tragbar ist und dass die Menschen in unserem Land in diesen Tagen von uns Lösungen erwarten.
Vorrangiges Ziel des Asylpaketes ist die Entlastung
der Kommunen. Die kommunalen Spitzenverbände halten die finanziellen Hilfen für ausreichend,
({1})
und ich hoffe sehr, dass die Leistungen, die der Bund
zusätzlich zur Verfügung stellt, auch umfassend an die
Kommunen weitergegeben werden. Bayern ist da ein
Vorbild.
Bevor ich auf den Gesetzentwurf eingehe, möchte ich
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien danken, die in den letzten Wochen und Tagen Tag und
Nacht an der Umsetzung gearbeitet haben. Hierfür heute
einmal ein herzliches Dankeschön.
({2})
Frau Kollegin, der Kollege Veit von der SPD-Fraktion
möchte Sie etwas fragen. Wollen Sie das zulassen oder
weitersprechen?
Nein, ich rede weiter.
Bitte.
Der Gesetzentwurf soll im Grunde fünf Vorhaben umsetzen: erstens die Asylverfahren weiter beschleunigen,
zweitens Fehlanreize minimieren, drittens die Ausreisepflicht konsequent durchsetzen, viertens die Unterbringung der Asylbewerber erleichtern und fünftens die Integrationshilfen für Menschen mit guter Bleibeperspektive
verbessern. Der letzte Punkt ist entscheidend, um die
gesellschaftlichen Folgen dieser Krise zu meistern. Wir
wollen den Menschen, die tatsächlich schutzbedürftig
sind, die Chance geben, sich schnell zu integrieren und
sich schnell selbst zu versorgen. Deshalb heben wir auch
das Leiharbeitsverbot auf und öffnen früher die Integrationskurse.
Wichtig ist - das wird heute zum wiederholten Male
nicht gesagt -, dass künftig nur Menschen mit guter Bleibeperspektive auf die Kommunen verteilt werden und
nur aussichtslose Asylbewerber bis zum VerfahrensabVizepräsidentin Claudia Roth
schluss in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben sollen, und das ist auch richtig so. Darum bitten uns im Übrigen auch Kommunen und Ehrenamtliche, weil sie ihren
Fokus im Wesentlichen auf diejenigen richtigen wollen,
die ein Bleiberecht bei uns erhalten werden.
({0})
Mit diesem Gesetzespaket stufen wir auch Albanien,
Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsstaaten
ein. Schon im letzten Jahr hatte die Union dies gefordert.
Das ist richtig so; denn allein in diesem Jahr wurden rund
80 000 Asylanträge aus dem Kosovo und aus Albanien
registriert, aber zu 99 Prozent abgelehnt. Selbst Oberbürgermeister, die den Grünen oder der SPD angehören,
schließen sich mittlerweile unserer Meinung an, weil sie
nah an der Realität, nah an den Menschen vor Ort sind.
({1})
Mit dem Asylpaket setzen wir heute auch die bayerische Forderung nach einer bundesweiten Verteilung von
unbegleiteten Minderjährigen um. Auch das ist richtig
so. Bayern wird bis zum Jahresende rund 15 000 Flüchtlinge in der Jugendhilfe versorgen. Bundesweit sind das
aktuell rund 35 000 Flüchtlinge. Es ist wichtig, dass auch
diesbezüglich die Solidarität der Bundesländer untereinander endlich greift. Der Bund unterstützt mit 350 Millionen Euro pro Jahr die Versorgung. Ich will an dieser
Stelle nochmals sagen, dass auch diesbezüglich unter anderem Bayern die Hauptlast trägt.
({2})
Natürlich müssen abgelehnte Asylbewerber ihrer Ausreisepflicht nachkommen. Wir können nicht hinnehmen,
dass nur rund 10 Prozent aller Ausreisepflichtigen zurückgeführt werden.
({3})
Es ist gerechtfertigt, die Leistungen für Menschen, die
nicht ausreisen, die sich der Ausreise entziehen oder widersetzen, in Zukunft konsequent zu kürzen. Das wird
auch verfassungsrechtlich standhalten. Insgesamt ist der
Gesetzentwurf ein wichtiger Zwischenschritt, mit dem
wir auf nationaler Ebene nach der Reform des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom Juli 2015 für
wichtige Verbesserungen sorgen.
Aber auch die Länder müssen noch nachbessern. Wir
brauchen an den Verwaltungsgerichten noch mehr Richter, noch mehr Personal, damit dort nicht der nächste
Flaschenhals entsteht. Das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge hat allein im September 23 000 Asylanträge
entschieden. Wir wollen - das ist auch richtig -, dass
mehr Entscheidungen erfolgen. Da aber jeder zweite Bescheid beklagt wird, brauchen wir an den Gerichten mehr
Richter, damit dort nicht der nächste Stau entsteht.
({4})
All diese Maßnahmen, die wir heute beschließen, werden nicht ausreichen. Sie sind ein wichtiger Zwischenschritt. Wir müssen auch alles daransetzen, die unkontrollierte Zuwanderung von bis zu zehntausend Menschen
pro Tag nach Deutschland einzudämmen, und zwar zügig
und spürbar. Nach Niederbayern und Oberbayern strömen seit Wochen tagtäglich Tausende von Menschen.
Die Kommunen und alle Verantwortlichen sind an ihren Belastungsgrenzen angekommen. Es ist daher nachvollziehbar, dass der bayerische Ministerpräsident vom
Bund, der die Entscheidungen hierzu zu treffen hat, erwartet, dass richtige Entscheidungen getroffen werden,
Entscheidungen, die Bayern entlasten. Ich appelliere an
dieser Stelle auch an die Solidarität der anderen Bundesländer. Sie müssen zügig und gemäß dem Königsteiner
Schlüssel im erforderlichen Maß Flüchtlinge aufnehmen
und Bayern entlasten.
({5})
Deutschland ist stark wie kein anderes Land, und es
hilft wie kaum ein anderes Land, auch in der Flüchtlingskrise. Aber auch unsere Aufnahmefähigkeit ist nicht
unbegrenzt. Ein Bevölkerungswachstum von jährlich 1
bis 2 Prozent kann kein Land, auch Deutschland nicht,
schultern. Das wäre weder gegenüber der deutschen Bevölkerung noch gegenüber den Helfern noch gegenüber
den Flüchtlingen verantwortungsvoll.
Unsere Bundeskanzlerin hat heute Morgen in ihrer
Regierungserklärung eindrucksvoll dargestellt, dass es
keine einfache Lösung gibt. Die Menschen vor Ort fragen uns - zumindest mich und viele meiner Kollegen aus
der CDU/CSU-Fraktion - tagtäglich: „Was könnt ihr machen, was könnt ihr tun?“, und uns erreichen Hunderte
von E-Mails. Wir müssen den Menschen erklären, dass
es sich nicht um eine einfache Lösung handelt. Es wird,
wie Angela Merkel gesagt hat, keinen Schalter geben,
den man einfach umlegen kann. Diese Herausforderung
ist vielschichtig, und sie kann nur auf europäischer Ebene
bewältigt werden, nur mit Maßnahmen der Außen- und
Entwicklungspolitik, nur vor Ort und in den Anrainerstaaten.
Trotzdem kann es nicht sein, dass Deutschland in Europa die Hauptlast trägt. Trotzdem kann es nicht sein,
dass wir den effektiven Grenzschutz quasi aufgegeben
haben; das gilt für Europa wie für Deutschland. Der
Schutz der eigenen Grenzen ist kein Ausdruck von Menschenfeindlichkeit, sondern er ist die verfassungsgemäße
Pflicht eines jeden Staates.
({6})
Auch unser Bundespräsident hat in Mainz klargestellt, dass unsere Hilfsbereitschaft groß ist, aber unsere
Kapazitäten begrenzt sind. Ja, die Kanzlerin hat recht:
Das faktische Limit wird sich wohl nur schwer beziffern
lassen. Aber die Lage in den Kommunen ist dramatisch.
In Bayern gibt es Kommunen, die an der Belastungsgrenze sind. Es kann daher kein Weiter-so geben. Das haben
auch die kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung
am Montag eindrucksvoll bestätigt. Wir müssen dieser
Entwicklung Rechnung tragen.
Natürlich lassen sich Grenzen nicht per Kabinettsbeschluss schließen. Natürlich will niemand Grenzen
schließen oder eine Abschottung Deutschlands oder Europas. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir in der
aktuellen Ausnahmesituation nicht auch effektivere Kontrollen und Zurückweisungen an den eigenen Grenzen
erwägen sollten. Das Landgrenzenverfahren, das in der
EU-Asylverfahrensrichtlinie vorgesehen ist, kann neben
der Sicherung der Außengrenzen und der Einführung von
Hotspots ein Baustein sein.
Gemeinsam müssen wir es schaffen, in Deutschland
und Europa ein tragfähiges Asylsystem unter den aktuellen Bedingungen für die Zukunft zu gestalten. Daran
müssen wir alle gemeinsam verantwortlich mitarbeiten.
Aber auch innerhalb Deutschlands können wir diese Herausforderung nur gemeinsam bewältigen. Das geht nur,
wenn wir ohne Hysterie und ohne Dramatik weiterhin
mit überlegtem Handeln auf allen Ebenen zusammenarbeiten und nicht vergessen, dass es um Menschen mit
individuellen Schicksalen geht, die aus unterschiedlichen
Gründen bei uns Schutz suchen.
Wir können stolz sein auf die vergangenen Monate und Wochen, in denen die Menschen in Deutschland
Herausragendes geleistet haben. Ich wünsche mir, dass
wir in diesem Sinne und in dieser Rhetorik weitermachen
und gut zusammenarbeiten. Ich werbe heute um die Zustimmung zu diesem Gesetzespaket, dem sicherlich noch
weitere Schritte folgen müssen.
Vielen Dank.
({7})
Zu einer Kurzintervention - mit der Bitte, es wirklich
kurz zu machen, weil wir schon lange bei diesem Thema
sind -: Rüdiger Veit, SPD-Fraktion.
Frau Kollegin Lindholz, ich wollte mit meiner Zwischenfrage nichts Böses wie die Unterbrechung Ihres
Redeflusses bewirken. Ich wollte Ihnen nur Gelegenheit
geben, einen eventuellen Versprecher zu korrigieren oder
aber Ihre Aussage zu präzisieren. Sie haben nämlich ausgeführt, dass die Kommunen das, was wir ihnen jetzt als
finanziellen Ausgleich geben wollen, als ausreichend
empfinden.
({0})
Das kann man, glaube ich, so nicht sagen.
({1})
Denn wir müssen erst einmal erreichen, dass die Länderfinanzminister diese Mittel so an die Kommunen weitergeben, dass sie in ihren kommunalen Haushalten keine
nennenswerte Unterdeckung mehr haben; das ist das Entscheidende.
({2})
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass den Kommunen
im Hinblick auf die Finanzierung der Infrastruktur - Kindergärten, Schulen usw. - noch weitere Kosten entstehen.
Ich habe die Anhörung der Vertreter der kommunalen
Spitzenverbände also nicht so verstanden, wie Sie es gesagt haben. Vielleicht möchten Sie das korrigieren.
({3})
Wollen Sie darauf antworten?
Ja. - Ich habe die kommunalen Spitzenverbände sehr
wohl so verstanden, dass sie die jetzt weiter zugesagten
finanziellen Hilfen für ausreichend halten. An dieser
Stelle lobe ich Bayern, das die Leistungen eins zu eins an
die Kommunen weitergibt - im Gegensatz zum Beispiel
zu Nordrhein-Westfalen -, noch einmal ausdrücklich,
und ich wünsche mir, dass das in anderen Bundesländern
ebenso erfolgt.
({0})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Bundesministerin Manuela Schwesig für die Bundesregierung.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! In jeder Notsituation und bei
jeder Rettungsaktion gilt das Prinzip „Kinder und Frauen zuerst“. Wenn viele Menschen aus guten Gründen in
unser Land flüchten - das ist hier vielfach angesprochen
worden - und wir nicht alles für alle sofort leisten können, dann, so finde ich, muss ein Schwerpunkt auf denjenigen liegen, die einen besonderen Schutz brauchen, und
das sind für mich die Kinder.
({0})
Deshalb legt Ihnen die Bundesregierung heute ein
Asylpaket mit Schwerpunkt auf der Unterstützung von
Kindern und Familien und gleichzeitig den Entwurf eines Gesetzes zur besseren Versorgung und Betreuung der
Kinder und Jugendlichen, die unbegleitet zu uns kommen, vor.
60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht;
die Hälfte davon sind Kinder. Über 200 000 Kinder und
Jugendliche kommen zu uns nach Deutschland, und es ist
wichtig, dass diese Kinder und Jugendlichen so schnell
wie möglich nicht nur gut untergebracht werden, sondern
auch Anschluss finden. Dazu gehört für die Kleinen der
Zugang zu den Kitas, um schnell die Sprache zu erlernen, und für die Schulkinder, schnell in die Schule zu
kommen, wo sie die Sprache lernen und Freundschaften
schließen. Das ist der beste Weg, um hier eine neue Heimat zu finden.
({1})
Deshalb ist es gut und richtig, dass wir im Asylpaket
festgehalten haben, dass wir die freiwerdenden Mittel aus
dem Betreuungsgeld zur Verbesserung der Kinderbetreuung nutzen und sie bis auf fast 1 Milliarde Euro jährlich
aufstocken und dass wir mit dem Gesetzentwurf, den ich
Ihnen als Ministerin vorgelegt habe, dafür sorgen, dass
die geflüchteten Kinder und Jugendlichen genauso wie
die hier geborenen und aufwachsenden Kinder und Jugendlichen auch Zugang zu den Kinder- und Jugendleistungen haben. Ich möchte nicht, dass wir Flüchtlingskinder gegen einheimische Kinder stellen - oder umgedreht.
Jedes Kind muss eine Chance haben, in unserem Land
gut aufzuwachsen.
({2})
Die Kinder und Jugendlichen können eine gute Integration der Familien voranbringen.
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei
allen Abgeordneten der Regierungskoalition - ich weiß,
dass das zu großen Teilen auch aus der Opposition unterstützt wird - und bei meinem Kollegen Herrn de Maizière
bedanken.
Natürlich müssen wir gemeinsam eine gute Balance
finden. Es stellt doch gar keiner infrage, dass die Menschen bei uns ein Asylrecht haben, und ich glaube, unser
Land zeigt, wie offen wir sind. Zwischen dem Satz „Wir
schaffen das“ und den gleichzeitig berechtigten Sorgen
und Forderungen derjenigen, die das praktisch vor Ort
umsetzen müssen - unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die Landrätinnen und Landräte, die vielen
hauptamtlichen und freiwilligen Helfer, die uns sagen,
dass das aber auch praktisch funktionieren und es praktische Kapazitäten geben muss -, gibt es keinen Widerspruch, sondern das gehört zusammen.
Wir haben gemeinsam versucht, diese Balance zu finden, und uns gefragt, wer den Schutz am nötigsten hat,
wer die meiste Unterstützung braucht und wer vielleicht
zu denjenigen gehört, die gute Gründe haben, zu uns zu
kommen, denen wir das alles aber nicht bieten können.
Das gehört zur Ehrlichkeit und zur Sicherung unseres
Asylrechts dazu.
Deshalb bin ich dem Innenminister dankbar, dass wir
bei dem Schutz für Kinder und auch bei den Kinder- und
Jugendleistungen keine Abstriche machen, sondern dass
wir diese Standards in der heutigen Zeit weiter sichern.
Es ist ein wichtiges Signal, dass wir nicht sagen: „Jetzt
funktioniert das alles nicht mehr“, wodurch die Kinder
unter die Räder kämen, sondern dass wir weiterhin betonen: Die Kinder und Jugendlichen sind uns wichtig, egal
wie schwer es ist.
({3})
Zu dieser wichtigen Schutzgruppe gehören vor allem die Kinder und Jugendlichen, die unbegleitet zu uns
kommen. Denken Sie noch einmal daran, wie es war, als
Ihr eigenes Kind das erste Mal alleine zur Schule gegangen und von der Schule zurückgekommen ist. Man
schaut dann schon auf die Uhr und fragt sich, ob das alles
klappt. Ich gehöre zu diesen besorgten Eltern. Denken
Sie daran, wie es ist, wenn man seinem 12-jährigen Mädchen oder Jungen gesagt hat, er oder sie solle am Abend
zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein. Spätestens zehn
Minuten nach der vorgegebenen Zeit guckt man auf die
Uhr. Wer von uns kann sich vorstellen, dass der 14-jährige Sohn auf seiner Flucht vier Monate lang durch viele
Länder allein unterwegs ist? Ich kann das nicht.
Ich weiß, dass es das gibt, weil diese Jugendlichen zu
uns gekommen sind und ich mit ihnen gesprochen habe.
Aber ich glaube, wirklich zu ermessen, wie groß das Leid
für Familien sein muss, um diesen Weg zu gehen, also
ihre Kinder zu uns zu schicken, ist fast unvorstellbar.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir diesen unbegleiteten
Kindern und Jugendlichen, die hier erst einmal niemanden haben, eine Heimat und Schutz bieten, als ob sie unsere eigenen Kinder wären.
({4})
Deshalb gibt es besondere Schutzmaßnahmen für
diese Unbegleiteten, die aber vor Ort nicht mehr funktionieren. Wenn über hundert dieser Unbegleiteten in
Passau ankommen - ich weiß, dass es im Bereich des
Jugendamtes in Passau so viele sind -, über tausend in
ganz Bayern, über tausend in Dortmund oder in Hamburg, also in diesen sogenannten Drehkreuzen, dann ist
es ganz praktisch nicht mehr möglich, für alle jungen
Menschen an diesen Orten Jugendwohngruppen, Sozialarbeiter und das, was wir an dieser Stelle alles brauchen,
bereitzustellen. Deshalb ist es eine Frage der Solidarität,
aber vor allem eine Frage des Kindeswohls, dass zukünftig die Kapazitäten der Kinder- und Jugendhilfe überall
in Deutschland genutzt werden, um diesen Kindern und
Jugendlichen, die hier ohne Familie ankommen, ein gutes Zuhause zu geben.
({5})
Das machen wir mit dem neuen Gesetz und stellen damit das Kindeswohl in den Mittelpunkt. An dieser Stelle
möchte ich mich bei meinem Kollegen, Bundesfinanzminister Schäuble, bedanken, weil es gelungen ist, auch für
diese besonders schutzwürdige Gruppe zusätzlich Geld
zur Verfügung zu stellen. Es ist immer ein Spagat, auf
der einen Seite das Geld zusammenzuhalten und auf der
anderen Seite zu schauen, wofür wir es ausgeben. Aber
ich glaube, dafür zu sorgen, dass die Kinder und Jugendlichen hier gut ankommen und gut integriert werden, ist
eine Investition in die Zukunft. Wenn wir das nicht machten, würde das ein großes Risiko bedeuten.
Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass wir
vieles von dem, was heute besprochen worden ist, nur
leisten können, weil es die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer gibt. Ja, sie kommen an ihre Belastungsgrenze. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir
mit diesem Paket dafür sorgen, dass es ein SonderproBundesministerin Manuela Schwesig
gramm geben wird, auf dessen Grundlage dem Bundesfreiwilligendienst 10 000 Stellen bewilligt werden, damit
Bundesfreiwillige Flüchtlingen helfen können, damit
aber auch Flüchtlinge anderen Flüchtlingen helfen. Wir
sollten das Potenzial, das Flüchtlinge mitbringen, nicht
vernachlässigen. Dass Flüchtlinge selbst mit anpacken,
ist für die Akzeptanz in der Gesellschaft und für ihre Integration wichtig. Das werden wir mit dem neuen Programm machen.
({6})
Ich sage vielen herzlichen Dank für die Unterstützung.
Wer hier fordert, es müsse Kitaplätze geben, es müsse
Schulplätze geben, und wir sollten etwas für Kinder und
für die Freiwilligen tun, der kann dem Gesetzentwurf
heute nur zustimmen.
({7})
Der Schwerpunkt dieses Paketes liegt auf der Integration.
Ich finde nicht, dass man auf der einen Seite sagen kann,
man müsse etwas tun, aber auf der anderen Seite nichts
akzeptiert, was gemacht wird.
Herzlichen Dank an die Regierungsfraktionen, dass
sie diese wichtigen Sachen mit uns auf den Weg bringen.
({8})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Nadine Schön, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
sind Bilder und Begegnungen, die in diesen Tagen die
Debatte um die Flüchtlinge prägen, medial und auch bei
jedem von uns vor Ort. Es sind Bilder aus Hamburg von
Kindern, die bei einstelligen Temperaturen in unbeheizten Zelten übernachten, die krank sind, die husten, die
frieren.
Es gibt aber auf der anderen Seite auch die Familie,
die nicht in die ihnen angebotene Wohnung einziehen
will, weil einer anderen Familie ein ganzes Haus angeboten wurde. Es gibt den Imam, der einer deutschen Politikerin nicht die Hand geben will. Aber es gibt auch die
Flüchtlinge, die sich selbst einbringen: als Arzt in den
Aufnahmestellen, als Berater in der Kommune, als Helfer
vor Ort. Es gibt die deutschen Schülerinnen und Schüler,
die voller Neugierde und Offenheit auf ihre neuen Mitschüler zugehen, sie als neue Freunde akzeptieren und zu
Hause davon berichten. Es gibt aber auch die Menschen,
die abends Angst haben, allein durch den Park zu gehen.
Es gibt nicht den einen Flüchtling. Es gibt nicht den
einen Bürger, und es gibt auch nicht den einen Politiker.
Vor allem gibt es nicht die eine Lösung für all die Probleme und Fragen, die so plötzlich auf unser Land zukommen.
In ganz Deutschland diskutieren wir darüber, ob wir
das schaffen. Man muss sich doch erst einmal die Frage
stellen: Was heißt es denn, es zu schaffen? Es so hinzubekommen, dass keiner etwas merkt, dass alles picobello
rundläuft und dass keiner irgendwelche Einbußen hat?
Das wird es nicht heißen. Das sagen wir den Menschen
in unserem Land offen und ehrlich.
„Wir schaffen es“ kann auch nicht heißen, dass einer
oder eine ein Patentrezept hat. Deshalb, lieber Kollege
Konstantin von Notz, ist es völlig verrückt, dass Sie uns
vorwerfen, dass wir in einer Volkspartei und in einer
Fraktion um den richtigen Weg ringen
({0})
und über das, was jetzt zu tun ist, diskutieren. Sie bezeichnen das als „Meuterei auf der Bounty“. Ich bezeichne es als das, was Demokratie ausmacht. Es ist das
Selbstverständlichste in einem demokratischen System,
dass über den richtigen Weg gerungen wird.
({1})
Dabei ist jeder in diesem Haus, aber auch draußen eingeladen, mitzudiskutieren. Ich sage aber auch: Mitdiskutieren heißt, konkrete Vorschläge zu machen, wie man es
besser machen kann und was man machen kann,
({2})
statt nur zu sagen, dass wir es nicht schaffen, wieso wir
das nicht schaffen und was alles nicht geht. Das ist ein zu
einfacher Weg.
({3})
Jeder ist aufgefordert, in dieser schwierigen Situation
konstruktive Vorschläge zu machen.
„Wir schaffen es“ heißt meiner Ansicht nach, dass
wir alle gefordert sind, mitzumachen, anzupacken und
die Probleme zu lösen. Das fängt bei jedem Einzelnen
an und geht von den Ländern, den Kommunen und dem
Bund weiter bis zu den Verhandlern auf europäischer und
internationaler Ebene.
Meiner Meinung nach gibt es drei Ziele, für die wir
Lösungen erarbeiten. Das Paket, das wir heute vorlegen,
hält schon viele dieser Lösungen bereit. Andere müssen
erst erarbeitet werden.
Unser erstes Ziel muss es sein, dass in den kommenden Jahren nicht noch einmal so viele Menschen zu uns
kommen - kommen müssen - wie in diesem Jahr. Dazu
trägt der Gesetzentwurf bei, indem ganz klar zwischen
denen, die aus Krisengebieten zu uns fliehen, und denjenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen, differenziert wird. Für Letztere sind alle Anreize, hierherzuBundesministerin Manuela Schwesig
kommen, zu reduzieren, und genau das tun wir mit dem
Gesetzentwurf.
Es ist aber auch völlig klar, dass wir nicht alle Flüchtlinge aus den Krisengebieten in unserem Land aufnehmen können. Eine Zahl als Obergrenze zu definieren,
wäre völlig unseriös. Ich sage aber auch: Hier haben
auch die anderen europäischen Länder eine Verantwortung. Hier hat die Türkei eine Verantwortung. Der Libanon und Jordanien brauchen mehr Unterstützung bei
der Versorgung der Flüchtlinge vor Ort. Deshalb ist es
wichtig, dass heute wie auch in den nächsten Tagen und
Wochen auf europäischer und internationaler Ebene darüber gesprochen und verhandelt wird. Dabei ist unsere
Bundeskanzlerin Angela Merkel die Frau, die mit ihrer
Macht und ihrem Einfluss auf internationaler Ebene viel
erreichen kann. Auch Bundesaußenminister Steinmeier
muss entsprechende Gespräche führen. Auf internationaler Ebene liegt der Hebel, wenn es darum geht, den
Flüchtlingsstrom zu begrenzen.
({4})
Unser zweites Ziel ist: Wir müssen Lasten verteilen
und entlasten. Wir tragen als Familienpolitiker in diesem
Hause zwei entscheidende Punkte zu dem Gesetzespaket
bei, die in den nächsten Wochen zu genau dieser Entlastung führen werden. Das betrifft zum einen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Dazu hat die Ministerin gerade viel gesagt. Künftig werden alle Bundesländer
in die Versorgung der minderjährigen Flüchtlinge eingebunden. Wir entlasten damit die Länder, in denen sie
derzeit zu Zehntausenden ankommen und von wo aus sie
bisher nicht weiterverteilt werden konnten, weil das nationale Recht dem entgegensteht. Nun wird eine Weiterverteilung möglich. Das dient dem Kindeswohl. Es dient
aber vor allem auch der Entlastung der Länder und der
Kommunen vor Ort.
Ich komme aus dem Saarland, einem Land, das viele
unbegleitete Minderjährige bestens aufgenommen und
versorgt hat. Aber hier ist eine Entlastung dringend notwendig, und das machen wir mit diesem Gesetz.
({5})
Wir schaffen im Bundesfreiwilligendienst 10 000 neue
Stellen an der Schnittstelle zwischen Ehrenamtlichen
und Hauptamtlichen und entlasten somit in den Kommunen und Hilfsorganisationen sowohl die Ehrenamtlichen
als auch die Hauptamtlichen. Ich hoffe, dass viele Kommunen und viele Organisationen von diesem Angebot
Gebrauch machen werden.
Mit dem Paket sorgen wir auch für eine finanzielle
Entlastung - das ist schon gesagt worden -, indem der
Bund viele Kosten übernimmt: für die unbegleiteten
Minderjährigen, für Bauen und Wohnen, für die Kinderbetreuung und die Versorgung der Flüchtlinge vor Ort.
Wir entlasten aber auch organisatorisch, vor allem die
Hauptamtlichen, die ebenfalls an ihre Grenzen kommen.
Das klare Ziel von Kanzleramtsminister Peter
Altmaier und auch BAMF-Chef Weise ist, die Verfahren stringenter, weniger bürokratisch und einfacher zu
machen. Ich plädiere entschieden dafür, dabei auch die
digitalen Möglichkeiten besser zu nutzen. Mit digitalen
Lösungen kann Doppel- und Dreifacharbeit vermieden
werden. Damit können Kosten gespart werden. Digitale
Mittel zur Koordinierung der Ehrenamtlichen entlasten
diese. Sie leisten Großartiges, aber sie verzweifeln an der
schieren Menge. Sie verzweifeln oft an der Organisation,
die sich ständig ändert. Deshalb an dieser Stelle ein ganz
herzliches Dankeschön an die Hauptamtlichen, aber auch
an die Ehrenamtlichen in unserem Land.
({6})
Der Bund entlastet auch durch konkrete Hilfe vor Ort,
bei uns im Saarland etwa, indem er bei der Registrierung
hilft. Wenn man hört, dass so viele Menschen in unserem Land und in anderen Ländern nicht registriert sind,
dann ist das ein Offenbarungseid. Das können wir nicht
hinnehmen. Die Menschen haben ein Anrecht darauf,
zu wissen, wer in unserem Land ist. Denn nur wenn die
Flüchtlinge registriert sind, wenn wir wissen, wer bei uns
ist, können wir die Versorgung garantieren sowie für Sicherheit und auch Integration sorgen.
Damit bin ich bei dem dritten Punkt, den wir gemeinsam bewältigen müssen, nämlich bei dem wichtigen Thema Integration. Zu Recht stellen sich die Menschen in
unserem Land die Frage, ob das funktionieren kann, ob
die Menschen, die zu uns kommen, denn bereit sind, die
Werte zu akzeptieren, die wir hier leben. Rechtsstaatlichkeit, die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau,
Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit - wird all das akzeptiert werden?
Für uns als Union ist klar, dass das die Prinzipien sind,
die unser Land so stark gemacht haben. Deshalb sagen
wir deutlich: Wer bei uns und mit uns leben will, wer von
dieser Stärke unseres Landes profitieren will, der muss
diese Regeln des Zusammenlebens auch akzeptieren. Er
muss sie verstehen, er muss sie leben. Das ist die klare
Aufforderung an alle, die zu uns kommen.
({7})
Es ist wichtig, dass wir das so schnell wie möglich vermitteln.
Apropos Regeln!
Herr Präsident, ich habe gesehen, dass ich zum Schluss
kommen muss.
Nein, Sie hätten schon zum Schluss kommen müssen.
Dann gestatten Sie mir noch einen Abschlusssatz. Ich plädiere dafür, dass sich all diejenigen, die heute die
Frage stellen, ob wir es denn schaffen können, bei dem
wichtigen Thema Integration einbringen. Jeder, der heute
Nadine Schön ({0})
diese Frage stellt, muss spätestens morgen damit anfangen, etwas mit dazu beizutragen, dass wir es schaffen.
Denn nur alle gemeinsam können wir die Probleme lösen.
({1})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Burkhard Lischka, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben
Sie mir zum Ende dieser Debatte eine simple Feststellung, die Herr Kauder heute Morgen schon einmal getroffen hat, nämlich: Gute Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.
Was wir in diesen Tagen erleben, ist eine Gesellschaft,
die schwankt. Sie schwankt zwischen einer wirklich einzigartigen Hilfsbereitschaft, über die sich viele in der
Welt verwundert die Augen reiben, auf die sie aber auch
mit großer Hochachtung schauen, auf der einen Seite und
Zweifeln und Sorgen, ob unser Land eine so große Zahl
von Flüchtlingen bewältigen kann, auf der anderen Seite.
Es steht die bange Frage im Raum, ob es Grenzen der
Aufnahmefähigkeit gibt. Fast jeder von uns, auch hier
im Haus, spürt, dass beides in diesen Tagen irgendwie
zusammengehört: das Helfenwollen, aber auch die Ahnung, dass uns die Realität Grenzen setzt, Grenzen, die
wir mit keiner noch so gut gemeinten Wunschvorstellung
verschieben können.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Probleme
lassen sich nicht lösen, indem man sie einfach ignoriert.
Es ist wichtig und richtig, die Probleme zu benennen, die
die Aufnahme so vieler Menschen bis in den Lebensalltag
hinein mit sich bringt. Das muss ohne Schwarzmalerei
und Übertreibung und mit klarer Kante gegen Fremdenhass und Rassismus geschehen. Aber die Augen vor den
Problemen und Herausforderungen zu verschließen, das
wird nicht funktionieren.
({0})
Was wir brauchen, sind passende Lösungen und Antworten, um mit der großen Zahl von Flüchtlingen umzugehen. Deshalb brauchen wir schnelle Asylverfahren,
den Abbau falscher Anreize und eine klare Priorität für
Kriegsflüchtlinge.
({1})
Wer eine Bleibeperspektive hat, den wollen wir schnell
integrieren und auf diese Weise rasch aus Flüchtlingen
Mitschüler und Arbeitskollegen machen.
({2})
Wer allerdings nicht vor Krieg und Vertreibung flüchtet,
den wollen wir zurückführen. Das sind die klaren Botschaften des heutigen Gesetzentwurfs, und es sind angemessene und vernünftige Botschaften.
Aber wir wissen auch: Das heutige Gesetzespaket ist
nur ein kleiner Teil der Lösung. Der eigentliche Treibsatz
für die Flüchtlingsströme sind der Krieg in Syrien und
die katastrophale Situation in den Flüchtlingslagern.
({3})
Wer den Flüchtlingsstrom auch nur ansatzweise verringern will, der muss bereit sein, die Flüchtlinge in der Krisenregion viel stärker als bisher zu unterstützen.
({4})
Die Flüchtlingswanderung können wir nicht mit einem
Machtwort beenden. Aber wir können etwas tun, wenn
Nahrung und Hoffnung in den Flüchtlingslagern schwinden, und zwar sofort. Alles andere wird sich bitter rächen.
({5})
Meine Damen und Herren, Deutschland hat in den
letzten Wochen und Monaten bei der Flüchtlingsaufnahme Großartiges geleistet, und wir bleiben auch in Zukunft aufnahmebereit. Aber wir können auch nicht Unmögliches leisten. Gerade deshalb werden wir in diesen
Tagen Europa nicht aus der Verantwortung entlassen.
({6})
Diese Flüchtlingskrise wird die Europäer auch dazu
zwingen, ganz grundlegend über sich, ihr Verhältnis untereinander und zum Rest der Welt nachzudenken. Wir
brauchen europäische Lösungen. Aber diese können
nicht darin bestehen, dass wir - 25 Jahre nach Fall des
Eisernen Vorhangs - zwischen den europäischen Staaten
wieder Mauern und Stacheldraht errichten.
({7})
Wenn jeder Staat die Krise für sich regelt und wir in nationalstaatliche Abschottung zurückfallen, dann ist die europäische Idee am Ende - und übrigens die Flüchtlingskrise noch immer nicht gelöst.
({8})
Wir können nur gemeinsam unsere Außengrenzen
kontrollieren, Anmelde- und Registrierzentren an den
EU-Außengrenzen schaffen und dann diejenigen, die unseren Schutz benötigen, in einem fairen und gerechten
Verfahren auf 28 europäische Staaten verteilen. Ja, wir
können das schaffen in einem Europa mit 508 Millionen
Einwohnern. Aber was jetzt hinzukommen muss, ist der
feste politische Wille, die Probleme gemeinsam anzugehen. Sonst werden wir sehr schnell zu der Einsicht kommen: Ja, wir wollen helfen. Aber nein, wir können nicht
Unmögliches schaffen.
Recht herzlichen Dank.
({9})
Nadine Schön ({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-
wurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes.
Hierzu liegen eine Reihe von Erklärungen nach § 31
der Geschäftsordnung des Bundestages vor.1) Der In-
nenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/6386, den Ge-
setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/6185 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat bean-
tragt, über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
getrennt abzustimmen, und zwar erstens über Artikel 1
Nummern 15, 16 und 19 - Änderung der §§ 47, 48 und
59 a des Asylverfahrensgesetzes -, zweitens über Arti-
kel 1 Nummer 34 - Neufassung der Anlage II zu § 29 a
des Asylverfahrensgesetzes -, drittens über Artikel 2 -
Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes -, viertens
über Artikel 8 - Änderung des Finanzausgleichsgeset-
zes - und Artikel 12 - Änderung des Entflechtungsgeset-
zes - sowie fünftens über den Gesetzentwurf im Übrigen.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat hierzu vier
namentliche Abstimmungen verlangt, die wir nacheinan-
der durchführen werden. Nach einer Unterbrechung der
Sitzung zur Auszählung folgt eine weitere namentliche
Abstimmung auf Verlangen der Fraktion Die Linke zur
dritten Lesung des Gesetzentwurfes.
Wir kommen zur ersten namentlichen Abstimmung:
über Artikel 1 Nummern 15, 16 und 19 des Gesetzent-
wurfes in der Ausschussfassung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be-
setzt? - Ich eröffne die Abstimmung.
Hat ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht
abgegeben? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Ab-
stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, mit der Auszählung zu beginnen.2)
Wir kommen jetzt zur zweiten namentlichen Abstim-
mung: über Artikel 1 Nummer 34 des Gesetzentwurfes in
der Ausschussfassung, hier: Neufassung der Anlage II zu
§ 29 a des Asylverfahrensgesetzes.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen
besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung
über Artikel 1 Nummer 34 des Gesetzentwurfes in der
Ausschussfassung.
1) Anlagen
2) Ergebnis Seite 12595
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.3)
Wir kommen nun zur dritten namentlichen Abstim-
mung: über Artikel 2 des Gesetzentwurfes in der Aus-
schussfassung, Änderung des Asylbewerberleistungsge-
setzes. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung über Artikel 2 des Gesetz-
entwurfes in der Ausschussfassung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.4)
Wir kommen jetzt zur vierten namentlichen Abstim-
mung: über Artikel 8 und Artikel 12 des Gesetzentwur-
fes in der Ausschussfassung, Änderung des Finanzaus-
gleichsgesetzes und Änderung des Entflechtungsgesetzes.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Plätze einzunehmen. - Ist das der Fall? - Jawohl. Ich er-
öffne die Abstimmung über Artikel 8 und Artikel 12 des
Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung.
Ist jemand im Haus, der bei dieser vierten Abstimmung
noch nicht abgestimmt hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.5)
Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der vier namentlichen
Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. - Da
wir jetzt auch noch mündliche Abstimmungen durchfüh-
ren werden, bitte ich alle, zu ihren Plätze zu gehen.
Ich verlese die vier Protokolle.
Erstes Protokoll des von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentli-
chen Abstimmung über Artikel 1 Nummern 15, 16 und
19 des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
eingebrachten Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung,
Drucksachen 18/6185 und 18/6386: abgegebene Stim-
men 601. Mit Ja haben gestimmt 478, mit Nein haben
gestimmt 117, Enthaltungen 6. Damit ist Artikel 1 Num-
mern 15, 16 und 19 des Gesetzentwurfs in der Ausschuss-
fassung angenommen.
3) Ergebnis Seite 12598
4) Ergebnis Seite 12601
5) Ergebnis Seite 12604
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 598;
davon
ja: 477
nein: 116
enthalten: 5
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E. Fischer
({2})
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Astrid Freudenstein
({3})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({5})
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({7})
Stefan Müller ({8})
Dr. Gerd Müller
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({9})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({10})
Gabriele Schmidt ({11})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({12})
Dr. Kristina Schröder
({13})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({14})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({15})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({16})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({17})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({18})
Sabine Weiss ({19})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({20})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({21})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({22})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({23})
Thomas Hitschler
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({24})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({25})
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({26})
Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({27})
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({28})
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({29})
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({30})
Matthias Schmidt ({31})
Dagmar Schmidt ({32})
Carsten Schneider ({33})
Elfi Scho-Antwerpes
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Nein
SPD
Cansel Kiziltepe
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({34})
Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold ({35})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Sabine Zimmermann
({36})
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({37})
Volker Beck ({38})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({39})
Christian Kühn ({40})
Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({41})
Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Enthalten
SPD
Klaus Barthel
Marco Bülow
Hilde Mattheis
Swen Schulz ({42})
Zweites Protokoll des von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über Artikel 1 Nummer 34 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, Neufassung der
Anlage II zu § 29 a des Asylverfahrensgesetzes, Drucksachen 18/6185 und 18/6386: abgegebene Stimmen 598.
Mit Ja haben gestimmt 477, mit Nein haben gestimmt
118, Enthaltungen 3. Artikel 1 Nummer 35 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 594;
davon
ja: 473
nein: 118
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({43})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({44})
Axel E. Fischer
({45})
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Astrid Freudenstein
({46})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({47})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({48})
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({49})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({50})
Stefan Müller ({51})
Dr. Gerd Müller
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({52})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({53})
Gabriele Schmidt ({54})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({55})
Dr. Kristina Schröder
({56})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({57})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({58})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({59})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({60})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({61})
Sabine Weiss ({62})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({63})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({64})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({65})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({66})
Thomas Hitschler
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({67})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({68})
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({69})
Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({70})
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({71})
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({72})
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({73})
Matthias Schmidt ({74})
Dagmar Schmidt ({75})
Carsten Schneider ({76})
Elfi Scho-Antwerpes
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Nein
SPD
Klaus Barthel
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Mechthild Rawert
Frank Schwabe
Kerstin Tack
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Niema Movassat
Norbert Müller ({77})
Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold ({78})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Sabine Zimmermann
({79})
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({80})
Volker Beck ({81})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({82})
Christian Kühn ({83})
Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({84})
Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Enthalten
SPD
Marco Bülow
Dr. Ute Finckh-Krämer
Swen Schulz ({85})
Drittes Protokoll des von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über Artikel 2 des Gesetzentwurfs
in der Ausschussfassung, Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, Drucksachen 18/6185 und 18/6386:
abgegebene Stimmen 603. Mit Ja haben gestimmt 476,
mit Nein haben gestimmt 120, Enthaltungen 7. Artikel 2
des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung ist damit
angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 597;
davon
ja: 474
nein: 117
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({86})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({87})
Axel E. Fischer
({88})
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Astrid Freudenstein
({89})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({90})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({91})
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({92})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({93})
Stefan Müller ({94})
Dr. Gerd Müller
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({95})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({96})
Gabriele Schmidt ({97})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({98})
Dr. Kristina Schröder
({99})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({100})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({101})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({102})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({103})
Sabine Weiss ({104})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({105})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({106})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({107})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({108})
Thomas Hitschler
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({109})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({110})
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Mahmut Özdemir ({111})
Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({112})
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({113})
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({114})
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({115})
Matthias Schmidt ({116})
Dagmar Schmidt ({117})
Carsten Schneider ({118})
Elfi Scho-Antwerpes
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Nein
SPD
Cansel Kiziltepe
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({119})
Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold ({120})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Sabine Zimmermann
({121})
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({122})
Volker Beck ({123})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({124})
Christian Kühn ({125})
Renate Künast
Markus Kurth
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({126})
Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Enthalten
SPD
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr. Ute Finckh-Krämer
Hilde Mattheis
Swen Schulz ({127})
Frank Schwabe
Viertes Protokoll des von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über Artikel 8 und Artikel 12 des
Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, Änderung des
Finanzausgleichsgesetzes und Änderung des Entflechtungsgesetzes, Drucksachen 18/6185 und 18/6386: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 544, mit
Nein hat keiner gestimmt, Enthaltungen 57. Artikel 8 und
Artikel 12 des Gesetzentwurfs sind in der Ausschussfassung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 599;
davon
ja: 542
nein: 0
enthalten: 57
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({128})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({129})
Axel E. Fischer
({130})
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Astrid Freudenstein
({131})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({132})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({133})
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({134})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({135})
Stefan Müller ({136})
Dr. Gerd Müller
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({137})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({138})
Gabriele Schmidt ({139})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({140})
Dr. Kristina Schröder
({141})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({142})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({143})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({144})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({145})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({146})
Sabine Weiss ({147})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({148})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({149})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({150})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({151})
Thomas Hitschler
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({152})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({153})
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({154})
Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({155})
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({156})
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({157})
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({158})
Matthias Schmidt ({159})
Dagmar Schmidt ({160})
Carsten Schneider ({161})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({162})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({163})
Volker Beck ({164})
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({165})
Christian Kühn ({166})
Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({167})
Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Enthalten
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({168})
Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold ({169})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Sabine Zimmermann
({170})
Pia Zimmermann
Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs in
der Ausschussfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich? - Die übrigen Teile des Gesetz-
entwurfs sind mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den
Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion Die Linke na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, ihre Plätze an den Urnen einzunehmen. - Sind
alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich
eröffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/6393. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist
mit Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Frak-
tion bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 5 b. Wir setzen die Abstimmun-
gen über die Beschlussempfehlungen des Innenausschus-
ses auf Drucksache 18/6386 fort.
1) Ergebnis Seite 12609
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3839 mit dem Titel
„Flüchtlinge willkommen heißen - Für einen grundlegenden Wandel in der Asylpolitik“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache
18/6190 mit dem Titel „Alle Flüchtlinge willkommen
heißen - Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
({0})
- Ja, c.
({1})
- Gut. Dann wiederholen wir die Abstimmung. Jetzt passen alle bitte mal auf.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6190 mit dem Titel „Alle Flüchtlinge willkommen heißen - Gegen eine Politik der Ausgrenzung und
Diskriminierung“.
({2})
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
({3})
- Darf ich vielleicht noch einmal wiederholen - ich weiß,
es ist jetzt sehr anstrengend -: Unter Buchstabe b lautete
der Antrag der Linken: „Flüchtlinge willkommen heißen“ - das ist gleich -, aber dann folgt: „Für einen grundlegenden Wandel in der Asylpolitik“. Die entsprechende
Beschlussempfehlung ist angenommen worden. Jetzt
kommt Buchstabe c. Da lautet der Antrag der Linken:
„Alle Flüchtlinge willkommen heißen - Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung“. Auch hierzu
gibt es eine Beschlussempfehlung des Ausschusses, die
besagt: Dieser Antrag soll abgelehnt werden.
Jetzt bitte ich noch mal alle, über die Beschlussempfehlung zu Buchstabe c abzustimmen. Wer ist für die
Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Wunderbar.
({4})
Die Beschlussempfehlung ist also mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Ablehnung der Fraktion Die
Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-
be d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/4694 mit dem Titel „Für eine faire finanzielle
Verantwortungsteilung bei der Aufnahme und Versor-
gung von Flüchtlingen“. Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.
Jetzt kommt Tagesordnungspunkt 5 c. Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses
zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur schnelleren Entlastung der Länder
und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung
von Asylbewerbern. Der Haushaltsausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6381,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/6172 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung ein-
stimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 d. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge-
setzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung
und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher.
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6392, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksachen 18/5921 und 18/6289 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 e. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend auf der Drucksache 18/6392. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlus-
sempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/4185 mit dem Titel „Un-
begleitete minderjährige Flüchtlinge mit einer starken
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Jugendhilfe aufnehmen“. Wer stimmt für diese Beschlus-
sempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo-
sition angenommen.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/5932 mit dem Titel „Das Kindeswohl
bei der Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flücht-
linge absichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Kerstin Andreae, Stephan Kühn ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aus dem Pkw-Abgasskandal Konsequenzen
ziehen - Wettbewerbsfähigkeit der Automobilindustrie sichern
Drucksache 18/6334
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die notwendigen Konsequenzen aus dem Betrugsskandal um Kfz-Abgase ziehen
Drucksache 18/6325
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Ihnen
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt
geben: abgegebene Stimmen 600. Mit Ja haben gestimmt
475, mit Nein haben gestimmt 68, Enthaltungen 57. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 599;
davon
ja: 475
nein: 68
enthalten: 56
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({8})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. Andre Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({9})
Axel E. Fischer
({10})
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Astrid Freudenstein
({11})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({12})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({13})
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({14})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h.c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({15})
Stefan Müller ({16})
Dr. Gerd Müller
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({17})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({18})
Gabriele Schmidt ({19})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({20})
Dr. Kristina Schröder
({21})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({22})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({23})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({24})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({25})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({26})
Sabine Weiss ({27})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({28})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({29})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({30})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({31})
Thomas Hitschler
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({32})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller ({33})
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({34})
Aydan Özoguz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({35})
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({36})
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({37})
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({38})
Matthias Schmidt ({39})
Dagmar Schmidt ({40})
Carsten Schneider ({41})
Elfi Scho-Antwerpes
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Nein
SPD
Cansel Kiziltepe
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Annette Groth
Dr. Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({42})
Dr. Alexander S. Neu
Harald Petzold ({43})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Sabine Zimmermann
({44})
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({45})
Agnieszka Brugger
Sven-Christian Kindler
Stephan Kühn ({46})
Peter Meiwald
Corinna Rüffer
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Enthalten
SPD
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr. Ute Finckh-Krämer
Hilde Mattheis
Mechthild Rawert
Swen Schulz ({47})
Christoph Strässer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({48})
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Christian Kühn ({49})
Renate Künast
Markus Kurth
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Omid Nouripour
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({50})
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Anton
Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Man kann sich leider des Eindrucks nicht
erwehren, dass VW und die Bundesregierung in einem
Punkt sehr deutlich etwas gemeinsam haben: Beiden waren saubere Autos nicht wirklich wichtig; die einen haben
geschummelt, und die anderen haben wunderbar weggeschaut.
({0})
Wir sehen allerdings, wohin das führt: VW ist schwer
angeschlagen, „made in Germany“ ist in manchen Regionen in Verruf geraten. Es gilt der alte Spruch - diesmal gilt er wirklich, meine Damen und Herren von der
CSU -: Wer betrügt, der fliegt - und zwar aus dem Markt.
({1})
Leider ist der schöne Spruch „Vorsprung durch Technik“ ersetzt worden durch „Vorsprung durch Betrug“.
({2})
So was funktioniert auf Dauer allerdings nie; denn die
Schummelei kommt am Ende immer heraus. Durch das
Wegschauen des Verkehrsministeriums wurde das zur
größten Gefahr für die Arbeitsplätze bei uns in Deutschland.
({3})
Das Problem ist - das merkt man auch an den Zwischenrufen -, dass weder Regierung noch Koalitionsfraktionen oder Autoindustrie bis jetzt gemerkt haben,
dass diese Grenzwerte keine lästige Erfindung sind. Man
hat sie nicht eingeführt, weil man sich gesagt hat: Wir ärgern jetzt mal die Autoindustrie und erlassen Grenzwerte. - Nein, diese Grenzwerte gibt es aus einem sehr einfachen Grund. Es gibt sie, weil die Autoabgase toxisch
für Menschen sind, weil die Autoabgase die Gesundheit
der Menschen gefährden, insbesondere in den Städten,
wo die Autodichte höher ist. Deshalb gibt es diese Grenzwerte, und nicht, um die Autoindustrie zu ärgern. Und
deshalb sind diese Grenzwerte einzuhalten.
({4})
Die Grenzwerte gibt es noch aus einem weiteren
Grund: Weil wir verhindern wollen, dass der CO2-Ausstoß am Ende zu einem so starken Klimawandel führt,
dass unsere Lebensgrundlagen gefährdet werden. Deswegen gibt es diese Grenzwerte.
Es ist schon bedenklich, wenn Vertreter der Autoindustrie sagen: Uns war natürlich klar, dass das alles gar
nicht so ernst gemeint war. Die Autokäufer wissen doch
eigentlich, dass ein Auto, für das ein Verbrauch von 5 Litern angegeben wird, in Wirklichkeit 7 Liter verbraucht.
Diese Grenzwerte sind doch eigentlich dazu da, um
Autos untereinander vergleichen zu können. Auch das
Umweltbundesamt sagt uns: Wir wissen auch, dass diese NOx-Grenzwerte eigentlich gar nicht ernst gemeint
waren. Die wirkliche Belastung ist ein Vielfaches dieses Wertes. - So ist das Ganze allerdings nicht gedacht.
Diese Grenzwerte waren politisch dafür gedacht, unser
Klima und die Gesundheit der Menschen in den Städten
zu schützen.
({5})
Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wie konnte der größte Autokonzern Deutschlands und Europas in
so große Schwierigkeiten geraten, dass man jetzt insgesamt überlegen muss, wie es weitergeht? Es konnte so
weit kommen, weil es eine unheilige Allianz zwischen
der Bundesregierung und den Automanagern gibt, weil
es zu oft Autokanzler gab, weil es sowohl bei den Sozialdemokraten als auch in der Union zu viele Leute gab, die
sagten, dass sie Benzin im Blut haben.
({6})
Das ist eines der Hauptprobleme dahinter.
Es kam auch deshalb so weit, weil die Autoindustrie
nach und nach größenwahnsinnig geworden ist. Vertreter
der Autoindustrie konnten einfach bei Frau Merkel anrufen, und Frau Merkel hat dann auf Wunsch der Autoindustrie einen bereits ausgehandelten Kompromiss zu den
CO2-Grenzwerten zerschossen. Dass eine Autoindustrie,
die so viel Macht und Einfluss hat, am Ende glaubt, über
den Gesetzen zu stehen, und zwar nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch in den USA, das ist naheliegend. Und das ist ein Riesenproblem für unser Land.
({7})
Was ist jetzt zu tun, damit VW nicht so endet wie
Eon und RWE? Können Sie sich noch daran erinnern,
wie arrogant Eon und RWE waren? Sie haben gesagt:
Ach, die erneuerbaren Energien werden nie mehr als 3,
4 Prozent zur Stromerzeugung beitragen; wir setzen weiter auf klassische, alte Kohlekraftwerke. Und wie stehen
sie jetzt da? Jetzt stehen sie am Rand der Pleite, und die
Kommunen in NRW sind in höchster Not.
Genau diese Gefahr kann uns bei den Autokonzernen
drohen. Die Autokonzerne sind von großer Bedeutung
für die Bundesrepublik Deutschland;
({8})
denn die Autoindustrie ist eine der zentralen Industrien
bei uns. Die Autokonzerne sind von großer Bedeutung
für Tausende von Menschen, die dort arbeiten. Sie sind
von großer Bedeutung für die Kommunen, die auf die
Steuerzahlungen dieser Konzerne angewiesen sind. Sie
sind insgesamt für die ökonomische Entwicklung in der
Bundesrepublik Deutschland von großer Bedeutung,
weil die Autoindustrie eine zentrale Industrie ist.
Deshalb können die Konzerne nur eine einzige logische Konsequenz daraus ziehen: In Zukunft bauen wir
nicht nur bequeme und gute und schöne Autos - das bestreitet niemand -, sondern in Zukunft bauen wir auch
die saubersten Autos;
({9})
in Zukunft überlassen wir die Technologieführerschaft
nicht Toyota, das zum Beispiel ein Wasserstoffauto entwickelt hat, oder Hyundai. Das ist die ganz entscheidende Frage. Dafür bedarf es guter Rahmenbedingungen,
die von der Politik gesetzt werden müssen. Da muss das
Verkehrsministerium endlich handeln, und da muss auch
Frau Hendricks endlich handeln, statt nur zu reden!
({10})
Wir brauchen Kaufprämien, wir brauchen vernünftige
Grenzwerte, und wir brauchen ein Ministerium, das nicht
nur von Kontrollen redet, sondern diese Kontrollen auch
real, auf der Straße, umsetzt. Denn es ist doch absurd,
dass das Kraftfahrt-Bundesamt de facto ein paar Häkchen auf ein paar Zetteln macht, aber nicht in der Lage
ist, irgendetwas selber zu kontrollieren. Deshalb meine
Aufforderung an das Verkehrsministerium: Handeln Sie
endlich! Sorgen Sie für vernünftige Kontrollen! Sorgen
Sie für vernünftige Rahmenbedingungen! Eine Autoindustrie, die in Zukunft saubere Autos baut und nicht
schummelt, hat die besten Chancen, eine führende Industrie für die Zukunft Deutschlands zu werden.
({11})
Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss, Herr Hofreiter;
das wäre gut. Sonst muss ich Ihren Leuten Zeit abziehen.
Das war schon der Schluss, und die CSU ist glücklich.
({0})
Für die Bundesregierung hat jetzt der Staatssekretär
Ferlemann das Wort.
({0})
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zuallererst möchte ich meinen Minister
entschuldigen, der heute sicherlich sehr gerne eine Rede
zu diesem Tagesordnungspunkt gehalten hätte.
({0})
Aber er ist, wie Sie wissen, auch auf Ihren Wunsch im
Haushaltsausschuss gebunden, und das Haushaltsrecht
ist das höchste Recht des Parlaments. Das bitte ich zu
respektieren.
Zum Zweiten möchte ich sagen: Ich komme aus dem
VW-Land, aus Niedersachsen. Die Auswirkungen, die
dieser Skandal hat, werden bei uns bis in jedes Dorf zu
spüren sein. Die Auswirkungen auf die Struktur unseres
Landes und auf die dortigen Bedingungen werden enorm
sein. Deswegen ist man als Niedersachse äußerst betroffen. Denn man sagt bei uns nicht zu Unrecht: Wenn VW
erkältet ist, liegt Niedersachsen schon mit einer Grippe
im Bett. - Jetzt ist VW wahrscheinlich nicht nur erkältet, sondern schwer erkrankt. Deswegen müssen wir uns
auch um unser Land, um Niedersachsen, durchaus Sorgen machen.
Die von Volkswagen eingestandenen Manipulationen
bei den Emissionen von Dieselfahrzeugen sind ein sehr
ernstzunehmender Vorgang. Sie sind unzulässig und illegal, und sie erfordern sowohl eine vollumfängliche
Aufklärung als auch eine zügige Beseitigung der entsprechenden Einrichtungen. VW steht in der Verantwortung,
den Schaden zu beheben, eine damit verbundene Belastung seiner Kunden auszuschließen und verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Das ist ein großer
Schaden für die Marke VW; so viel steht jetzt schon
einmal fest. Ein Weg, den ich allerdings nicht mitgehe,
ist, jetzt eine ganze Branche, so wie Herr Hofreiter es
gemacht hat, unter Generalverdacht zu stellen
({1})
und wegen der Manipulationen Einzelner Hunderttausende von fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
zu verunglimpfen.
({2})
Wenn die Grünen in ihrem Antrag der gesamten Automobilbranche Schönfärberei oder Greenwashing vorwerfen und ihr grüner Vorzeige-Verkehrspessimist Winnie
Hermann sagt: „Mit 750 000 Arbeitsplätzen ist die Automobilindustrie nicht ... so bedeutend, wie sie tut“ - Zitat
Ende -, dann ist das eine unglaubliche Respektlosigkeit
gegenüber den Menschen, die in den vergangenen Jahrzehnten an vorderster Stelle für unser aller Wachstum
und unseren Wohlstand gearbeitet haben und es auch
heute noch tun.
({3})
Deutschland ist und bleibt das Autoland Nummer eins.
Wir sind seit 130 Jahren Innovationsführer beim Automobil. Alle wichtigen Erfindungen - vom Viertaktmotor
bis zum Antiblockiersystem - kommen aus Deutschland.
Darauf beruht ein wesentlicher Teil unseres Wohlstands,
und darauf können wir alle miteinander zu Recht stolz
sein.
({4})
Was Sie machen, ist teilweise unanständig und auch eine
unzulässige Vermischung verschiedener Sachverhalte.
({5})
Insgesamt geht es um drei unterschiedliche Komplexe,
die unabhängig voneinander zu betrachten sind: erstens
um die Manipulation bei Dieselfahrzeugen durch VW,
zweitens um die Optimierung von Prüfmechanismen in
der Typengenehmigung und drittens um die Überprüfung
des ordnungsgemäßen Wartungszustandes. In allen drei
Bereichen sind wir aktiv und Ihrem Anti-Auto-Antrag
sehr weit voraus.
Zum ersten Komplex. Wir haben sofort nach Bekanntwerden der Vorwürfe der US-Behörden das Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen, strenge spezifische Nachprüfungen bei Volkswagen durch unabhängige Gutachter
vornehmen zu lassen. Diese Nachprüfungen erstrecken
sich auch auf Fahrzeuge anderer Hersteller im In- und
Ausland. Dabei wird sowohl auf dem Prüfstand, der sogenannten Rolle, als auch unter realen Verkehrsbedingungen auf der Straße kontrolliert.
Darüber hinaus haben wir eine Untersuchungskommission unter der Leitung von Staatssekretär Odenwald,
besetzt mit Fachleuten aus dem Bundesverkehrsministerium und dem Kraftfahrt-Bundesamt, eingesetzt, die bereits wenige Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe in
Wolfsburg zu ersten Gesprächen war und Einsicht in die
Unterlagen genommen hat. Das Kraftfahrt-Bundesamt
hat VW im Zuge dessen aufgefordert, einen verbindlichen Maßnahmen- und Zeitplan vorzulegen und technische Details zu der installierten Software mitzuteilen.
Dieser Plan ist bei uns Mitte letzter Woche fristgerecht
eingegangen.
Das Kraftfahrt-Bundesamt hat heute eine rechtsverbindliche Anordnung zum verpflichtenden Rückruf der
Fahrzeuge gegenüber VW erlassen. Die zugrundeliegende EG-Verordnung sieht vor, dass das Kraftfahrt-Bundesamt zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur
Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits
im Verkehr befindlicher Fahrzeuge nachträglich Nebenbestimmungen anordnen kann. Von dieser Möglichkeit
macht das Kraftfahrt-Bundesamt nunmehr Gebrauch.
({6})
Dieser Bescheid kommt im Hinblick auf den Sachverhalt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem von VW
in bestimmte Diesel-Kfz eingebauten Softwareprogrammen um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.
Er auferlegt VW, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit insbesondere der
Emissionen des genehmigten Systems nach der Entfernung dieser zu ergreifen und dies durch entsprechende
Nachweise zu belegen.
Er auferlegt VW außerdem, den von VW am 7. Oktober 2015 vorgelegten Zeit- und Maßnahmenplan einzuhalten und über den Erfolg der Rückrufaktion dem Kraftfahrt-Bundesamt regelmäßig zu berichten.
Hinsichtlich der Fristen sieht der Bescheid ferner Folgendes vor: Für Fahrzeuge mit einem 2-Liter-Aggregat
ist bis zum Ende dieses Monats eine generelle Lösung
für die Mängelbehebung anhand eines Fahrzeugs mit
Testsoftware verbindlich aufzuzeigen. Für Fahrzeuge mit
einem 1,6-Liter-Aggregat ist bis Mitte November eine
generelle Lösung für die Mängelbehebung verbindlich
aufzuzeigen. Für Fahrzeuge mit einem 1,2-Liter-Aggregat ist bis Ende November eine generelle Lösung für die
Mängelbehebung verbindlich aufzuzeigen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Leidig?
Nein, ich möchte im Zusammenhang berichten.
Danke schön.
Die entsprechenden Rückrufaktionen beginnen Anfang 2016. Deren Einleitung und auch deren Fortgang
werden ebenso vom Kraftfahrt-Bundesamt überwacht
werden.
Fest steht, dass VW bei allen Maßnahmen die Verbraucherinteressen vollumfänglich berücksichtigen
muss. Das heißt konkret: Alle Maßnahmen, die der Schadensbehebung dienen, und auch mögliche Folgeauswirkungen dürfen nicht zulasten der Kunden gehen. Wir
haben gegenüber VW keinen Zweifel daran gelassen,
dass wir die Aufklärung und Problemlösung aufmerksam
begleiten und nicht nachlassen werden, bis der ganze Fall
aufgeklärt ist.
Zum zweiten Komplex. Mit den Manipulationen bei
VW nichts zu tun hat unser Engagement auf europäischer
Ebene, die Prüfmechanismen bei der Typengenehmigung
so zu optimieren, dass wir näher an die Realemissionen
herankommen.
({0})
Wie Sie alle wissen, stehen wir in Brüssel seit 2011 in
Verhandlungen mit der Kommission und den Nationalstaaten, um neben dem Test auf der Rolle auch einen Test
mit portabler Messtechnik im Realverkehr auf der Straße, den sogenannten RDE-Test, einzuführen.
({1})
Das entspricht im Wesentlichen dem Verfahren, das wir
jetzt bereits bei den strengen spezifischen Nachprüfungen anwenden.
Die Verkehrsminister der Länder sind sich seit langem
darüber einig, dass diese RDE-Tests eingeführt werden.
Vor diesem Hintergrund wurden bereits mehrere Verordnungspakete verabschiedet. Jetzt geht es darum, letzte
Details zu klären und einen verbindlichen Zeitplan zur
Einführung der neuen Prüfmechanismen einzuführen.
Gleichzeitig setzen wir uns mit großem Nachdruck
auf internationaler Ebene dafür ein, ein weltweit einheitliches Testverfahren zur Ermittlung von Abgasemissionen, das sogenannte WLTP, zu entwickeln und in die
europäischen Vorschriften zur Typengenehmigung zu
überführen.
Bereits heute sind bei der Typengenehmigung nach
EU-Recht sogenannte nationale Überwachungsprogramme möglich. Dies wird umgangssprachlich auch
Feldüberwachung genannt. Dabei wird nach der Typengenehmigung stichpunktartig die Konformität der Serienfahrzeuge überprüft.
Zum dritten Komplex. Ein weiteres, wieder anderes Thema, das man eben nicht vermischen darf, ist die
Überprüfung des ordnungsgemäßen Wartungszustandes
der Fahrzeuge, die sich bereits im Betrieb befinden. Hier
greift die sogenannte AU, die periodische Abgasuntersuchung, die sich in den vergangenen Jahren sehr bewährt
hat.
({2})
Um auch hier noch näher an die Realemissionen heranzukommen, arbeiten wir an einer Kombination der
Messungen am Überwachungssystem und am Endrohr.
Eine sachgerechte Umsetzung dieser Erweiterung wird
derzeit geprüft und anschließend auf den Weg gebracht.
Ungeachtet unserer Maßnahmen in diesen drei Feldern müssen wir auch einmal ganz klar sagen: Wir haben
in den vergangenen Jahren bei den Emissionen durchaus
deutliche Fortschritte gemacht.
({3})
Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der Verhandlungen zur europäischen CO2-Richtlinie stark dafür eingesetzt, dass wir in Europa heute die weltweit anspruchsvollsten Zielwerte haben.
({4})
Dadurch sind allein in den letzten fünf Jahren die
CO2-Emissionswerte von Pkw um mehr als 25 Prozent gesunken. Gleichzeitig hat die Einführung der Euro-Grenzwertstufen seit 1992 zu einer über 90-prozentigen Reduzierung der NOx-Grenzwerte geführt.
({5})
Das ist die Lösung: näher ran an die Realemission und
nicht noch weiter runter mit den Grenzwerten, wie es die
Grünen in ihrem Antrag wieder einmal fordern.
({6})
Ihnen geht es bei der ganzen Diskussion, so hat man den
Eindruck, nicht um Aufklärung, nicht um Lösungen und
nicht um Fortschritte. Sie schrecken nicht davor zurück,
völlig unterschiedliche Sachverhalte wild zusammenzuwürfeln und Wahrheit und Klarheit Ihrer Ideologie zu opfern. Ihnen geht es ausschließlich um einen Fundamentalangriff auf das Auto an sich als Symbol für Mobilität,
Flexibilität und Individualität.
({7})
Herr Staatssekretär, ich muss Sie noch einmal fragen,
ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer zulassen.
Nein, danke. - Wir klären die Vorgänge bei VW auf
und sorgen dafür, dass die Maßnahmen zur Behebung
der Manipulationen vollumfänglich umgesetzt werden.
Wir wahren die Verbraucherinteressen und stellen sicher,
dass die Umrüstung nicht zulasten der Kunden geht. Wir
treiben die Einführung der RDE-Tests auf europäischer
Ebene weiter voran. Deutschland bleibt Autoland Nummer eins: für unser Wachstum, unseren Wohlstand und
unsere Arbeit von morgen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank. - Als Nächste spricht die Kollegin Caren
Lay, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der sogenannte Dieselgate ist wirklich so ein
Hammer, dass die Story inzwischen filmreif ist. Der Hollywoodschauspieler Leonardo DiCaprio sicherte sich
vor ein paar Tagen die Rechte. Das ist leider kein Witz.
Leonardo DiCaprio mimt bekanntermaßen am liebsten
den Schurken. Das sollte vor allen Dingen dem Minister
etwas mehr Ansporn sein, sonst spielt DiCaprio am Ende
nämlich nicht Martin Winterkorn, sondern Alexander
Dobrindt.
({0})
Meine Damen und Herren, ob die Spiegel-Meldung
stimmt, dass bis zu 30 Manager in diesen Betrug involviert sind oder nicht, wissen wir nicht. Aber kein Mensch
glaubt doch wirklich, dass es hier einzelne Manager und
einzelne Ingenieure gewesen sind, die diese Schummelsoftware heimlich und völlig unbemerkt von allen anderen eingebaut haben. Das ist organisierter Betrug. Dieser
organisierte Betrug muss ohne Wenn und Aber aufgeklärt
werden.
({1})
Herr Ferlemann, Sie können uns als Linke glauben:
Wir nehmen die Interessen der Beschäftigten ernst. Aber
ich bin wirklich entsetzt, wenn Sie im Grunde argumentieren, dass ausgerechnet diejenigen, die Aufklärung verlangen, den Standort schlechtreden. Ich sage: Gerade im
Interesse der Beschäftigten gehören die Fakten endlich
auf den Tisch und nicht länger unter den Tisch.
({2})
Ich habe aber leider das Gefühl, dass die Wahrheit
nur scheibchenweise ans Licht kommt. Auch das Krisenmanagement der Bundesregierung ist wirklich nicht
gerade vorbildlich. Jahrelang haben Sie die Hinweise der
Umweltverbände und der EU ignoriert und buchstäblich
in den Wind geschlagen. Offenbar konnte sich die Autolobby in diesem Land sehr sicher fühlen, dass dieser
Schwindel nicht auffliegt. Sie durfte sich auch sicher fühlen: Martin Winterkorn als einer der Cheflobbyisten war
in der letzten Legislaturperiode neun Mal bei der Bundeskanzlerin. Auch andere Vertreterinnen und Vertreter
der Branche gingen wie selbstverständlich bei ihr ein und
aus. Aus meiner Sicht ist Regel Nummer eins - schreiben
Sie sich diese ins Stammbuch -: Diese Kumpanei, diese
Klüngelei zwischen Automobilindustrie und Politik muss
endlich ein Ende haben.
({3})
Es geht aber immer noch weiter. Heute haben wir in
der Zeitung gelesen: Die EU ist entsetzt darüber, dass die
Bundesregierung nicht genügend aufklärt. Die Abgaswerte überschreiten die zulässigen Höchstgrenzen in der
Realität um sage und schreibe 400 Prozent. Dazu sagt die
EU: Oh, das ist zu viel. Jetzt dürfen diese Werte nur noch
um 60 Prozent überschritten werden. - Ich meine, das ist
an sich schon ein bemerkenswerter Vorgang. In welchem
anderen Bereich beschließt man, dass bestehende Grenzwerte nur zu 60 Prozent überschritten werden dürfen?
Das ist doch wirklich unmöglich.
({4})
Selbst das ist der Bundesregierung offenbar noch zu
streng. Sie blockieren, wenn man den Presseberichten
glauben kann. Ich kann nur sagen: Geben Sie diese Haltung auf! Hören Sie mit der Blockade auf! Machen Sie
den Weg für schärfere Kontrollen und bessere Gesetze
frei!
({5})
Offenbar glauben einige, Umweltverschmutzung sei
ein Kavaliersdelikt. Aber Luftverpestung durch Dieselabgase in diesem Maßstab gefährdet die Gesundheit von
Millionen von Menschen. Deshalb dürfen wir das nicht
dulden.
({6})
Es ist außerdem auch Verbrauchertäuschung in großem Maßstab. Ab heute haben wir mit dem Rückruf
von 2,4 Millionen Autos eine Kennziffer. Es sind also
2,4 Millionen Autokäufer betroffen. Im Verbraucherausschuss des Bundestages wollten Sie das Thema nicht
kommentieren, und zwar mit dem absurden Argument,
das sei kein Verbraucherthema. Wer das nicht mitbekommen hat, dem ist nicht mehr zu helfen.
({7})
Meine Damen und Herren, zum Schluss stellt sich die
entscheidende Frage: Wer wird für diesen Schlamassel
bezahlen? Sind es am Ende die Verbraucher und die Beschäftigten? Bei den Familien Piëch und Porsche ist in
jedem Fall einiges zu holen. Mit einem Vermögen von
12 Milliarden Euro müssen die keine Existenzängste haben, ganz anders als die Beschäftigten, die jetzt
um ihre Jobs fürchten müssen. Oder nehmen wir Herrn
Winterkorn: Er fällt mit einem stattlichen Jahreseinkommen von 16 Millionen Euro ganz schön weich. Er soll es
angeblich auch im nächsten Jahr bekommen.
Meine Damen und Herren, dort sitzt das Geld. Da ist
etwas zu holen, und ich finde, da sollten wir es uns auch
holen.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Arno Klare das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Von Max Frisch stammt der
Satz: „Krise ist ein produktiver Zustand.“ Der Satz ist
gut und richtig, und ich stelle dazu fest: Lamento und
Bashing sind kein produktiver Vorgang.
({0})
Was muss jetzt getan werden? Wir brauchen so etwas
wie eine Zukunftslandkarte bzw. eine produktive und innovative To-do-Liste, was wir jetzt machen müssen. So
bewältigt man Krisen. Das ist der erste Punkt.
Wir brauchen natürlich Aufklärung: rückhaltlos und
transparent, ohne dass irgendwelche Reste von Zweifeln
bleiben. Wir brauchen natürlich Real-Driving-Emissions-Tests. Aber ob dann die NTE-Limits, die es dabei
gibt, mit einem CF-Wert von 1,5 oder 1,2 angegeben
werden, ist zwar wichtig, aber nicht zukunftsentscheidend.
Herr Kollege Klare, ich muss Sie unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leidig aus
der Fraktion Die Linke?
Nein, danke. Ich möchte das jetzt in Ruhe vortragen.
Also generell keine Zwischenfragen.
({0})
Zweiter Punkt. Unter dem Gesichtspunkt, Krise als
produktiven Wendepunkt zu begreifen, bin ich sehr dankbar - es ist fast untergegangen -, dass sich am Dienstag dieser Woche sechs Unternehmen in Deutschland,
und zwar keine kleinen Unternehmen, zum H2-Mobility-Joint-Venture zusammengeschlossen haben. Das ist
ein ganz wichtiger Schritt, weil dabei nämlich sichergestellt wird, dass es bis 2023 in dieser Republik 400 Wasserstofftankstellen geben wird.
Warum sage ich das? Diese Tankstellen sind die Bedingung, um Möglichkeiten neuer schadstoffarmer
Antriebe zu nutzen. Es geht nicht darum, Schadstoffe
herauszurechnen, was ohnehin illegal ist, oder herauszufiltern, was technisch möglich ist und sein muss, sondern
schlicht darum, sie gar nicht erst entstehen zu lassen.
({0})
Dritter Punkt. Ich war erfreut, aber auch gleichzeitig
verärgert - ich sage gleich etwas zu beiden Punkten -,
dass VW deutlich gemacht hat, jetzt einen anderen Weg
zu gehen, was die Antriebsformen angeht, und sich stärker auf Brennstoffzellen und Elektromobilität zu stützen.
Das ist gut so, und das können sie auch gut.
Ich war auf der IAA enttäuscht - das ist schon gesagt
worden, und das kann ich teilen -, dass das erste serienreife Brennstoffzellenfahrzeug nicht aus Wolfsburg oder
von einem der anderen deutschen Premiumhersteller
kam, sondern von Toyota vorgestellt worden ist.
({1})
Für mich ist klar: Die Mobilität der Zukunft ist elektrisch, und sie gehört der batteriebetriebenen Mobilität
und der Brennstoffzellenmobilität. Wir alle wissen vom
Hofmannschen Apparat, was Wasserstoff bewirken kann.
Das muss ich niemandem erklären, der im Chemieunterricht aufgepasst hat. Der Hofmannsche Apparat hat
ein kleines Effizienzproblem: Man muss mehr Energie
hineinstecken, als man nachher an Wasserstoffenergie
gewinnen kann. Das gilt aber nicht, wenn die hineingesteckte Energie aus erneuerbaren Quellen stammt. An
dieser Stelle wird daraus ein industriepolitisches Thema. Denn dann hat man Wasserstoff als Speicher für den
überschüssigen Strom, der im Moment abgeregelt werden muss.
({2})
Das ist der entscheidende Punkt. Hier kommen zwei Pole
zusammen.
Man könnte über die Methanisierung sogar Kohlekraftwerke cleanen, also sauber bekommen, indem man
das CO2 in CH4 umwandelt, das wiederum in Motoren
verbrannt oder sogar wieder zu Strom gemacht werden
kann. So geht das vonstatten. Diese Vernetzung aber vermisse ich in all Ihren Reden.
({3})
Solche Pläne, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen auch Gesetze bzw.
gesetzliche Flankierungen. Diese gesetzlichen Flankierungen gehen aber nicht über das Strafrecht, sondern
eher über das Steuerrecht; denn da geht es um eine Sonder-AfA für E-Fahrzeuge, die wir unbedingt brauchen,
um einen Hochlauf hinzubekommen.
({4})
Wir brauchen wahrscheinlich auch keine Kaufprämien, die haushalts- und kassenwirksam sind, sondern wir
sollten eher darüber reden, ob wir nicht Tilgungszuschüsse für private Käufer über die KfW organisieren. Das ist
nämlich haushaltsneutral, bewirkt aber genau dasselbe.
({5})
Ich sage Ihnen zum Abschluss, was wir auf keinen
Fall brauchen. Wir brauchen auf keinen Fall irgendeinen
schwachsinnigen Hollywoodfilm à la Watergate oder so
ähnlich - egal wer ihn dreht. Wenn schon ein Film gedreht werden soll, dann bitte doch einmal einen mit einer
positiven Utopie über die H2-angetriebene Mobilität der
Zukunft.
({6})
Ich bin relativ sicher: Wenn den Kollegen Rimkus oder
mich einer fragen würde, ob wir an einem entsprechenden Drehbuch mitschreiben wollten, dann würden wir
das sogar ohne Honorar tun.
Danke schön.
({7})
Vielen Dank. - Das Wort zu einer Kurzintervention
hat jetzt die Kollegin Leidig.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Nachdem beide Kollegen nicht gestattet haben, dass ich eine Zwischenfrage
stelle, nutze ich die Möglichkeit, jetzt darauf aufmerksam zu machen, dass die von Ihnen ins Feld geführte
Untersuchungskommission - das haben wir gerade gehört - von Staatssekretär Odenwald geleitet wird. Wir
wissen - das ist akribisch belegt -, dass die Betrügereien mit den Abgaswerten nicht neu sind. Das ist bereits
im Februar 2009 von der Deutschen Umwelthilfe dem
Verkehrsministerium dargelegt worden. Es haben dort
Gespräche stattgefunden. Danach haben noch weitere
Gespräche stattgefunden. Es sind Briefe geschrieben
worden, und es sind Probemessungen gezogen worden.
Die Deutsche Umwelthilfe hat wieder und wieder auf die
Problematik aufmerksam gemacht. Im Verkehrsministerium wurde das zur Kenntnis genommen und abgebügelt.
Staatssekretär Odenwald ist seit 2009 in leitender Funktion im Verkehrsministerium tätig. Von 2010 bis 2012
war er dort Leiter der Zentralabteilung. Danach wurde
er Staatssekretär.
Ich bin der Meinung, dass weder das Verkehrsministerium noch das Kraftfahrt-Bundesamt, das in dieser Zeit
keine einzige Kontrollmessung durchgeführt hat, dazu
geeignet sind, jetzt die Verwicklungen bzw. die Sachverhalte umfassend aufzuklären und für Alternativen zu sorgen. Wir bestehen darauf, dass eine wirklich unabhängige
Untersuchung stattfindet und dass das Umweltbundesamt
in Zukunft für die Messungen verantwortlich ist - und
nicht diejenigen, die für den Schlamassel verantwortlich
sind.
({0})
Danke schön. - Herr Kollege Klare, möchten Sie darauf antworten?
Selbstverständlich. - Erst einmal bitte ich darum, zwei
Sachverhalte - das ist gerade schon von Herrn Ferlemann
gesagt worden, ich sage es jetzt noch einmal - auseinanderzuhalten. Frau Leidig, Sie wissen, dass ich im Februar
dieses Jahres auf einer Veranstaltung der Deutschen Umwelthilfe - da haben wir, glaube ich, auf demselben Podium gesessen - darauf hingewiesen habe, dass wir dafür
Sorge tragen müssen, dass die werksseitig angegebenen
Werte möglichst mit denen übereinzustimmen haben, die
dann auch auf der Straße erreicht werden.
({0})
- Also, ich habe selber darauf hingewiesen, dass es
dort Differenzen gibt. - Das alles aber ist auf dem Weg.
All das wird passieren. Und die Real-Driving-Emissions-Tests, von denen wir gerade geredet haben, werden
diese Labortests ergänzen.
Man muss aber, wenn man sich das einmal technisch
anschaut, auch sehen, wie das bei diesen Tests, die dann
auf der Straße passieren, funktionieren muss. Tests müssen, damit sie vergleichbar sind, wiederholbar und obArno Klare
jektivierbar sein. Wenn eine Strecke im Schwarzwald abgefahren wird, gibt es einen großen Unterschied zu einer
Strecke in Mühlheim, wo eben die Topografie eine ganz
andere ist.
({1})
Man muss Folgendes sehen: Diese RDE-Tests sind
zur Ergänzung dessen vorgesehen, was in den Labors gemessen wird. Wir wollen da auch diesen anderen Zyklus
haben, der wesentlich realistischere Werte liefert.
({2})
Wir sind alle dafür, dass sich diese Werte stärker annähern. Das hat etwas mit Verbraucherschutz und Ehrlichkeit zu tun. Aber wir dürfen zwei Sachverhalte nicht
durcheinanderbringen, nämlich die in Rede stehende
Manipulation durch willentlich falsch eingestellte Software und die Lücke, die es zwischen den Verbrauchswerten im Labor und den tatsächlich auf der Straße erzielten Verbrauchswerten gibt. Das sind zwei verschiedene
Sachverhalte, um die wir uns natürlich beide vehement
kümmern müssen.
({3})
Vielen Dank. - Der nächste Redner in der Debatte ist
der Kollege Oliver Wittke, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eines vorweg: Jawohl, auch wir sind entsetzt über das Ausmaß des
Skandals. Es ist völlig klar, dass der zur Diskussion stehende Betrug nicht nur ein Betrug im Hinblick auf staatliche Vorgaben und europäische Normen ist, sondern auch
ein Betrug an Kunden des VW-Konzerns sowie an den
eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die exzellente Arbeit leisten. Es wird in diesen Tagen im Übrigen
immer klarer, dass es sich nicht um das Fehlverhalten einiger weniger handelt. Vielmehr hat eine bestimmte Unternehmenskultur diesen Skandal ermöglicht. Daher geht
es nun nicht nur um eine umfassende und transparente
Aufklärung, sondern auch um einen Wechsel der Unternehmenskultur im VW-Konzern. Das ist dieser Konzern,
insbesondere die Führung dieses Konzerns, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Kundinnen
und Kunden sicherlich schuldig.
Aber genauso klar ist auch - das will ich hier in aller
Deutlichkeit sagen -: Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stehen zu einem erstklassigen Unternehmen, in
dem erstklassige Arbeit geleistet wird und erstklassige
Automobile gebaut werden.
({0})
Meine Damen und Herren von den Grünen und der
Linksfraktion, wir werden es nicht zulassen, dass Sie
hier eine effiziente Technologie, nämlich die Dieseltechnologie, ein exzellentes Unternehmen, nämlich den
VW-Konzern, sowie eine innovative und leistungsstarke
Branche, nämlich die deutsche Automobilindustrie, Pars
pro Toto in Misskredit bringen.
({1})
Das haben diese drei Institutionen nicht verdient. Ganz
im Gegenteil: Sie sind Leistungsträger unserer Wirtschaft in Deutschland.
({2})
Meine Damen und Herren von den Grünen, ich lese
Ihnen gerne vor, was in Ihrem zur Debatte stehenden Antrag steht: „Die Schönfärberei ... der Automobilindustrie
ist gescheitert.“
({3})
Weiter ist die Rede von systematischer „Verbrauchertäuschung, Gesundheitsgefährdung und Klimazerstörung“.
({4})
Wenn das kein Automobil-Bashing ist, wenn das nicht
die Fortsetzung Ihres Antiautokurses ist, dann frage ich
mich, wo hier die inhaltliche Auseinandersetzung mit
den tatsächlichen Themen stattfindet, die auf der Tagesordnung stehen.
({5})
Liebe Frau Lay, wenn Sie vorgeben, Arbeitnehmerinteressen zu vertreten, und so tun, als würden Ihnen die
Jobs am Herzen liegen, dann hören Sie bitte auf, von
Kumpanei zu reden, wenn die Bundeskanzlerin mit den
Chefs der deutschen Automobilkonzerne spricht. Das ist
richtig, und das fordern wir auch von ihr. Es ist gut, dass
sich die Kanzlerin um die Arbeitsplätze kümmert und sie
sichert.
({6})
Im Zusammenhang mit der Dieseltechnologie möchte
ich noch etwas sagen. Es gibt kaum eine Technologie, die
in den vergangenen Jahren in puncto Sauberkeit solche
Fortschritte gemacht hat wie die Dieseltechnologie.
({7})
Die durchschnittlichen CO2-Emissionen von Pkw sind
seit 1995 um 30 Prozent gesunken. Seit Euro 3 wurden
die NOx-Emissionen von Diesel-Pkw um 84 Prozent reduziert.
({8})
Mit modernen Dieselsystemen lässt sich der Kraftstoffverbrauch um 20 Prozent im Vergleich zum Ottomotor
reduzieren. Wenn wir im Übrigen über neue Technologien sprechen und beispielsweise die Hybridtechnologie
voranbringen wollen, dann brauchen wir die Dieseltechnologie; denn Hybridtechnologie ohne Dieseltechnologie ist unsinnig und wird es nicht geben. So lange, bis
der elektroenergetische Antrieb oder der Wasserstoffantrieb zu 100 Prozent im Automobilverkehr eingesetzt
werden können, brauchen wir Zwischenlösungen. Deshalb brauchen wir eine Fort- und Weiterentwicklung der
Dieseltechnologie. Diese lassen wir uns von Ihnen nicht
kaputtreden.
({9})
Herr Kollege Wittke, lassen Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Krischer zu?
Ja, bitte, gerne.
Danke, Herr Kollege Wittke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Ich habe eben schon versucht, Herrn
Staatssekretär Ferlemann eine Zwischenfrage zu stellen - die hat er nicht zugelassen -, als er die Pressemitteilungen des Bundesverkehrsministeriums aneinandergereiht und hier vorgelesen hat.
Mich würde interessieren, ob Sie die Auffassung von
Herrn Staatssekretär Ferlemann, die er hier vorgetragen
hat, teilen, wonach bei Stickoxiden - Sie haben gerade
selber über die Dieseltechnologie gesprochen - keine
weitere Grenzwertreduzierungen im Realbetrieb erforderlich sind, oder ob das gilt, was die Bundesumweltministerin gestern, nachzulesen in einem Gastbeitrag
für die Süddeutsche Zeitung - ich kann Ihnen das gerne
vorlesen -, fordert, nämlich dass es bei Stickoxiden im
Realbetrieb deutliche Emissionsreduktionen geben muss.
Könnten Sie mir bitte diese Frage beantworten? Gilt das,
was Herr Ferlemann sagt - es gibt keine weitere Veränderung bei den Grenzwerten -, oder gilt das, was die Bundesumweltministerin gestern in dem Gastbeitrag für die
Süddeutsche Zeitung gesagt hat?
Herr Kollege Krischer, Sie wissen vielleicht, dass der
Verkehrsministerrat am 8. Oktober dieses Jahres, also
vor wenigen Tagen, sich mit genau dieser Problematik
beschäftigt hat und beschlossen hat, dass es eine Veränderung der Grenzwerte bei den Stickoxiden geben wird.
Das heißt, wir werden dort einen großen Schritt weiterkommen. Ich wäre im Verlauf meiner Rede noch darauf
gekommen. Das ist keine Forderung, sondern das ist ein
Fakt. Das geschah auf Betreiben auch der Bundesrepublik Deutschland; das ist ein Fakt, mit dem wir vorangekommen sind, und damit machen wir die Dieseltechnologie im Übrigen noch sauberer.
({0})
Eines will ich noch anschließen, Herr Kollege
Krischer. Wir müssen ein ganz klein wenig auch darauf
achten, dass wir hier nicht das Geschäft ausländischer
Automobilkonzerne betreiben.
({1})
Dass wir führend sind in der Dieseltechnologie, dass wir
eine Technologie entwickelt haben, die über die Jahre
hinweg Stück für Stück sauberer geworden ist, und dass
beispielsweise amerikanische Automobilunternehmen
und auch andere ausländische Automobilkonzerne kein
Interesse daran haben, diese europäische Technologie
weiter zu fördern, liegt doch offen auf der Hand.
({2})
Da geht es um schlichte wirtschaftliche Interessen,
da geht es um Arbeitsplätze. Wir sind dafür da, deutsche
Arbeitsplätze zu sichern und nicht Arbeitsplätze in den
Vereinigten Staaten.
({3})
Herr Kollege Wittke, weil Sie so temperamentvoll
sind, hat jetzt der Kollege Ostendorff das Bedürfnis, Ihnen eine Frage zu stellen, damit Sie ungebrochen weitermachen können.
Frau Präsidentin, das machen wir vielleicht im Anschluss an diese Debatte. Ich würde jetzt gerne mit meiner Rede fortfahren.
Gut.
Ich habe eine Frage zugelassen. Wir wollen jetzt nicht
ein Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Wittke und der
grünen Bundestagsfraktion machen. Das wäre, glaube
ich, auf Dauer etwas langweilig für die anderen ZuhöreOliver Wittke
rinnen und Zuhörer hier im Saal. - Vielen Dank für Ihr
Verständnis.
({0})
Es ist deutlich geworden - Staatssekretär Ferlemann
hat das ausdrücklich gesagt -, dass es auch Handlungsbedarf gibt. Darum ist es gut, dass wir über Real Driving
Emissions nicht nur debattieren und nicht nur Forderungen aufstellen, sondern dass das System im Januar 2016
kommen wird und die Labortests endlich durch Untersuchungen und Tests auf der Straße ergänzt werden. Damit
verbessern wir die Kontrollen. Ich halte das für einen
ganz wichtigen Schritt. Da kommen wir tatsächlich weiter voran.
Ich habe gerade etwas zu den NOX-Grenzwerten gesagt. Der Verkehrsministerrat hat, wie ich gerade schon
in der Antwort auf die Frage des Kollegen Krischer ausgeführt habe, am 8. Oktober beschlossen, dass es eine
Veränderung der Grenzwerte geben wird. Es wird eine
Verschärfung geben. Das ist gut so und vernünftig. Auch
da gab es sicherlich Handlungsbedarf.
Ich will auch offen eingestehen: Es reicht eben nicht
aus, dass wir als Koalitionsfraktionen ein Elektromobilitätsgesetz als ersten Schritt auf den Weg gebracht haben,
sondern es müssen weitere Schritte folgen. Wir wollen
die Elektromobilität weiter fördern, und wir werden sie
weiter voranbringen.
({1})
- Entschuldigung, Kollege Kühn, was haben Sie in Ihrer
Regierungszeit
({2})
- die ist gar nicht einmal so lange her; Sie waren damals
noch nicht dabei - vorangebracht? Nichts haben Sie hinbekommen. Wir haben die Elektrotechnologie bei Kraftfahrzeugen vorangebracht.
Ich will eine persönliche Bemerkung anschließen,
weil ich auch da für Offenheit und Transparenz bin.
({3})
- Herr Hofreiter, hören Sie gut zu. Vielleicht gefällt Ihnen
das, was ich jetzt sage. - Ich bin dafür, dass beispielsweise Untersuchungsergebnisse des Kraftfahrt-Bundesamtes
veröffentlicht werden, weil die Zeiten vorbei sind, in denen man solche Untersuchungsergebnisse irgendwo unter der Decke halten konnte. Da gibt es nichts zu verstecken. Die müssen auf den Tisch gelegt werden, und dann
muss darüber debattiert werden. Nur so bekommt man
Änderungen hin. Darum werde ich mich ganz persönlich dafür starkmachen, dass wir zu einer Offenlegung
solcher Untersuchungsergebnisse kommen. Das tue ich
alleine, um Ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen
und der Behauptung entgegenzutreten, dass da Kumpanei, Vertuschung oder sonst etwas im Spiel seien. Das ist
es nämlich beileibe nicht.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass wir
aus dieser Krise lernen. Ich hoffe, dass auch andere Unternehmen, im Übrigen nicht nur in der Automobilindustrie, aus dieser Krise lernen. Ich bin mir ganz sicher: Die
deutsche Automobilindustrie und auch der VW-Konzern
werden gestärkt aus dieser schwierigen Situation hervorgehen, weil wir sie dabei begleiten, weil wir die Rahmenbedingungen setzen
({5})
und weil wir nicht wie Sie Bashing betreiben, weil wir
keinen Feldzug gegen das Automobil betreiben, sondern
weil wir an der Seite dieses wichtigen deutschen Industriezweiges stehen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Kollege Ostendorff.
Schönen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir als Betroffenem gestatten, Ihnen, Herr Wittke - Sie waren ja
einmal Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen -, die
Frage zu stellen, wie Sie Betroffenen diejenigen Fragen
beantworten, die sie vom VW-Konzern nicht beantwortet
bekommen.
Meine Frau und ich haben in unserem Betrieb einen
Caddy-Lieferwagen. Wir haben uns umgestellt, weil wir
dachten, der Opel, den wir vorher hatten, ist nicht das
Richtige, und wir haben uns auf den Kauf eines VW Caddy geeinigt. Damit verbunden war das Versprechen des
Händlers, dass damit ein wesentlich höherer Wiederverkaufswert verbunden ist. Das hat sich mittlerweile marginalisiert.
In unser Auto ist der Motortyp EA 189 eingebaut worden. Das Vorhandensein dieses Motortyps ist durch das
Internet mühsam erkannt worden, nachdem die Marketing-Chefin des VW-Konzerns, die ich als Abgeordneter
erreichen konnte, nicht in der Lage gewesen war, mir
Antwort auf die Frage zu geben, ob mein Auto von dem
Skandal betroffen ist oder nicht. Ich glaube, das Verfahren, das hier gewählt worden ist, ist alles andere als kundenfreundlich; denn man braucht Wochen, bevor man
erst im Internet erfährt, ob der Motor des eigenen Autos
betroffen ist oder nicht, und man bekommt keine direkOliver Wittke
te Antwort. Mir wurde das Versprechen gegeben, dass
dieser 1,6-Liter-Motor eventuell Anfang nächsten Jahres
umgebaut wird. Das kann uns doch nicht befriedigen. Ist
das Ihre Antwort, Herr Wittke? Unterstützen Sie dieses
Vorgehen? Halten Sie es für verbraucherfreundlich, dem
Kunden, der betroffen ist, der getäuscht worden ist, so
Antwort zu geben?
Wir, die wir den Caddy auch deshalb gekauft haben,
weil wir Kunden in den Umweltzonen im Ruhrgebiet Ihre Heimat wie meine Heimat - beliefern, fragen uns
zu Hause natürlich, ob dieser Caddy möglicherweise zu
Unrecht eine Betriebserlaubnis und eine Umweltplakette hat. Damit hätten wir uns als Halter strafbar gemacht.
Wie beantworten Sie als ehemaliger Verkehrsminister
mir die Frage, in welchem Rechtszustand ich mich befinde? Darf ich dieses Auto in einer Umweltzone, etwa in
der Stadt Dortmund, noch betreiben oder nicht? Was ist
Ihre Antwort?
Herr Kollege Wittke, möchten Sie erwidern?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Ostendorff, ich will Ihre Fragen gerne
beantworten, vor allem, weil Sie mich als ehemaligen
Verkehrsminister und nicht als Verkaufsberater von VW
angesprochen haben. Die Fragen, die Sie gestellt haben,
gingen ja wohl eher in Richtung VW als an einen Menschen, der politische Verantwortung trägt.
Staatssekretär Ferlemann hat Ihnen gerade dargelegt ich hoffe, Sie haben richtig zugehört -, wie die Bundesregierung gehandelt hat. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat
dem VW-Konzern aufgegeben, binnen kürzester Zeit man sollte nicht von Wochen, sondern kann fast schon
von Tagen reden - Konzepte aufzuzeigen, wie diese
Missstände abgestellt werden. Natürlich hat jeder Kunde ein Anrecht darauf, dass diese Missstände abgestellt
werden. Natürlich müssen diese Fahrzeuge nachgerüstet
werden. Natürlich müssen diese Fahrzeuge umgerüstet
werden. Das ist Verbraucherschutz, der praktiziert wird.
Wir sind dazu da, diesen Verbraucherschutz sicherzustellen, und wir werden ihn sicherstellen. Am Ende - Gott
sei Dank verfügt VW über diese Technologien - wird Ihr
Auto so sauber sein wie das, das Sie eigentlich kaufen
wollten. Dafür steht das Kraftfahrt-Bundesamt; dafür
gibt es die politischen Rahmenbedingungen.
Was Ihr Vertrauensverhältnis zu diesem Konzern anbelangt: Das ist eine Geschichte, die Sie mit sich ausmachen müssen. Auf Ihre Frage dazu kann ich Ihnen sicherlich keine Antwort geben. Aber Sie werden am Ende
dieses Prozesses einen Wagen haben, der so sauber ist
wie der, den Sie bestellt haben. Damit haben sich alle anderen Fragen, die Sie gestellt haben, erübrigt. Das heißt,
Sie werden in die Umweltzonen fahren können, Sie werden keinen Wertverlust erleiden, sondern Sie haben ein
technologisch hochwertiges Fahrzeug erworben, für das
Sie einen angemessenen Preis bezahlt haben.
({0})
Jetzt hat Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke, das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im August war die Welt für die Beschäftigten
bei VW noch in Ordnung. Seit September wissen sie vom
systematischen Betrug einzelner Manager. Verbraucherinnen und Verbraucher werden verprellt, Umwelt und
Kommunen belastet. Gleichzeitig erleben wir, wie dafür
verantwortliche Topmanager mit fast 30 Millionen Euro
abgefunden werden und weich fallen. Das alles ist nicht
zu entschuldigen.
({0})
Jetzt aber stellt sich die Frage: Wer muss dafür eigentlich den Kopf hinhalten? Mit Sicherheit trifft es diejenigen, die keine Schuld an dem Skandal und an dem ganzen Schlamassel haben, nämlich die Beschäftigten.
Die Bundesregierung und die niedersächsische Landesregierung können sich sicher sein, dass wir sehr genau
darauf schauen, was sie in den nächsten Tagen machen
werden. Als Abgeordnete aus Niedersachsen und erst
recht als Gewerkschafterin der IG Metall weiß ich nur zu
gut, wie wichtig VW als Arbeitgeber für die Menschen in
diesem Bundesland ist.
Es geht hier aber nicht nur um die niedersächsischen
Beschäftigten.
({1})
In Deutschland arbeiten 160 000 Menschen bei VW,
weltweit sind es 600 000. Hinzu kommen die Beschäftigten aus den Zulieferbetrieben, die befristet beschäftigten
Leiharbeiter und die Werkvertragsbeschäftigten. Sie alle
sorgen sich derzeit um ihren Arbeitsplatz, ihre Zukunft
und die Sicherheit ihrer Familien, und das alles wegen
organisierten Betrugs von Managern.
Ich fordere Sie auf, die Befürchtungen und Ängste
der Menschen ernst zu nehmen. Sie sind schockiert, dass
so etwas bei VW passieren konnte. Können Sie sich eigentlich vorstellen, wie Angst und Unsicherheit die Menschen im Moment umtreiben? In diesem Zusammenhang
ist jetzt Arbeitsplatzsicherung das A und O bei VW.
({2})
Dabei sind alle gefragt, allen voran der Arbeitgeber VW.
Das erwarten die Arbeiter zu Recht, insbesondere dieFriedrich Ostendorff
jenigen, die bald ihre Miete nicht mehr zahlen können,
weil der befristete Leiharbeitsvertrag ausläuft.
Die Gewerkschaft und die betrieblichen Interessenvertreter haben viel Erfahrung mit Beschäftigungssicherung in Krisenzeiten. Sie wissen, wie man mit Arbeitszeitkonten, mit Arbeitszeitverkürzung und Kurzarbeit
umgeht. Nun muss endlich auch die Bundesregierung die
notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür
schaffen. Sie muss zusehen, dass jetzt alles unternommen wird, damit die Folgen des VW-Skandals nicht auf
die Beschäftigten und die Kommunen abgewälzt werden.
({3})
Auch Leiharbeitsbeschäftigte verdienen den Schutz
durch Kurzarbeit. Es kommt darauf an, die Arbeitsplätze
der Beschäftigten zu erhalten. Klar ist: Wenn VW hustet,
dann wackelt ganz Niedersachsen, und es wackeln unzählige Firmen über VW hinaus.
Die Bosse können sich entspannt zurücklehnen und
werden sich möglicherweise auf einer sonnigen Insel
ausruhen - nicht jedoch die Beschäftigten -, werden sie
doch alle vielleicht in Millionenhöhe abgefunden.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
die Verantwortung für die Beschäftigten bei VW.
({4})
Sie hat auch die Verantwortung für die zig betroffenen
Beschäftigten in den umliegenden Bereichen: den Bäckereien, den Kiosken, den Supermärkten und allen anderen, die dazugehören. Nehmen Sie Ihre Verantwortung
wahr, damit dort Beschäftigung weiter erhalten bleibt.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Birgit Kömpel,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! VW stand stets für deutsche Wertarbeit ({0})
hier bei uns und in der ganzen Welt. Der VW-Käfer zum
Beispiel war das Sinnbild für das deutsche Wirtschaftswunder nach dem Krieg. VW wurde in einem Atemzug
mit Wörtern wie Zuverlässigkeit, Wertbeständigkeit und
Sicherheit genannt. Diese Eigenschaften haben VW groß
gemacht und den Erfolg des Unternehmens begründet.
Auch zu Beginn des Jahres hat VW wieder Erfolge
verkündet. Die Marke von 600 000 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern sollte erstmals in der Geschichte des Autobauers überschritten werden. VW war damit auf dem besten Weg, zum größten Autobauer der Welt aufzusteigen.
Diese einmalige Erfolgsgeschichte ist nun vorerst zu
Ende erzählt. Das ist sehr bedauerlich, und das ist auch leider - selber verschuldet. VW hat in großem Maß Abgasmessungen bei seinen Dieselfahrzeugen manipuliert.
Insgesamt - Stand heute - sind davon circa 11 Millionen
Fahrzeuge betroffen.
Noch kann keiner diesen langfristigen Imageschaden
auch nur annähernd beziffern. Ich persönlich allerdings
bedauere vor allem, dass es nun wohl zum großen Teil
die VW-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter sein werden,
die die Suppe auslöffeln müssen, die ihnen ihre Führungsetage eingebrockt hat. Sie haben gut gearbeitet. Sie
trifft keinerlei Schuld. Auch wenn noch nicht klar ist,
welches Ausmaß der Abgasskandal von VW erreicht eines muss sicher sein: Die Affäre muss offensiv aufgedeckt und vollumfänglich aufgearbeitet werden, und bei
der Aufarbeitung darf es keine Tricks geben.
({1})
Leider gehen die Folgen noch ein bisschen weiter;
Herr Ferlemann hat es bereits erwähnt. Die Kommunen
mit VW-Standorten sind unmittelbar betroffen. Wenn
Wolfsburg beispielsweise eine Haushaltssperre verhängt,
ist für Standorte wie Baunatal in meinem Heimatland
Hessen nicht sicher, ob die für die nächsten Jahre geplanten Modernisierungen nun auch realisiert werden
können. Wir alle wissen: Fehlende Investitionen in einen
Standort können diesen mittel- und langfristig als Ganzen gefährden. Daher darf VW jetzt keine Fehler mehr
machen: nicht bei der Aufarbeitung des Skandals, nicht
im Hinblick auf die notwendigen Konsequenzen daraus
und schon gar nicht beim Entwurf einer Strategie für die
nächsten Jahre.
Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir
ins Spiel. Hier ist auch die Politik gefragt. Ich fordere
Folgendes:
Erstens. Abgaswerte müssen zukünftig einheitlich und
unabhängig vom Unternehmen festgestellt und überprüft
werden. Dazu müssen die neuen realitätsnahen Messverfahren zügig eingeführt werden.
Zweitens. Messungen im realen Fahrbetrieb dürfen
nicht mehr wesentlich von den Laborergebnissen abweichen. Es müssen klare Konsequenzen bei Verstößen auf
nationaler und internationaler Ebene vereinbart werden.
Last, but not least: Die Aufarbeitung des Skandals
muss eng begleitet und genauestens beobachtet werden,
damit weitere negative Folgen von den Arbeitnehmerinnen und den Arbeitnehmern abgewendet werden können.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es wird ein harter Weg werden, um das verlorengegangene Vertrauen
im In- und Ausland wiederzugewinnen. Aber ihn zu gehen, sind wir vor allem den Menschen schuldig, die im
Vertrauen auf den guten Ruf von VW täglich an vielen
Standorten in Deutschland und auf der ganzen Welt ihr
Bestes für das Unternehmen geben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Vielen Dank. - Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt
der Kollege Stephan Kühn das Wort.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein einziges Mal hat das Kraftfahrt-Bundesamt
in der Vergangenheit die Angaben der Automobilhersteller kontrollieren lassen. Erst durch die VW-Affäre soll
nunmehr untersucht werden, ob das, was typgenehmigt
wurde, auch tatsächlich verbaut wurde.
Das Kraftfahrt-Bundesamt kann diese Aufgabe nicht
selber wahrnehmen; denn das Kraftfahrt-Bundesamt besitzt keinen einzigen Rollenprüfstand, um zum Beispiel
Abgasuntersuchungen vorzunehmen. Das ist in etwa
so, als wenn die Polizei Verkehrskontrollen durchführen soll, aber keine Fahrzeuge dafür zur Verfügung hat.
Das Kraftfahrt-Bundesamt ist vollständig auf technische
Dienstleister angewiesen. Diese wiederum werden für
die Zulassung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen direkt
von der Automobilindustrie bezahlt. Da sind wirtschaftliche Interessenkonflikte vorprogrammiert. Wir brauchen
daher eine unabhängige europäische Typgenehmigungsbehörde.
({0})
Die Feldüberwachung der im Verkehr befindlichen Fahrzeuge sollte künftig durch das Umweltbundesamt übernommen werden.
Herr Ferlemann, Sie haben die Abgasuntersuchung
angesprochen. Das war interessant. Sie haben von der
Endrohrmessung gesprochen. Ihnen müsste eigentlich
bekannt sein, dass seit 2006 - so meine Erinnerung - gar
keine Endrohrmessungen mehr durchgeführt werden.
({1})
War das jetzt ein Hinweis darauf, dass sie künftig wieder stattfinden werden? Dann wäre das ja sehr positiv zu
bewerten.
({2})
Autos, die Schadstoffgrenzwerte nur im Labor einhalten, aber nicht auf der Straße, sie dort vielmehr um ein
Vielfaches überschreiten, sind nicht zukunftsfähig. Das
ist Greenwashing, und das ist gescheitert.
({3})
Messverfahren für Straßentests werden aktuell in
Brüssel verhandelt. Bei den sogenannten Real Driving
Emissions, kurz RDE, geht es um Abgastests unter realen Fahrbedingungen. Die Kommission hat am 6. Oktober einen Vorschlag dazu vorgelegt. So sollen die realen
Emissionen ab 2017 nur noch maximal um das 1,6-Fache
oberhalb der festgesetzten Abgasgrenzwerte liegen dürfen, ab 2019 nur noch um das 1,2-Fache und damit im
Bereich der Messunsicherheit des RDE-Verfahrens. Morgen, also am Freitag, dem 16. Oktober, muss die Bundesregierung der Kommission antworten, wie sie zu diesem
Vorschlag steht. Erfreulich, dass sich die Bundesumweltministerin gestern öffentlich zu diesem Vorschlag
bekannt hat. Nur scheint 24 Stunden vor Rückmeldefrist
keine abgestimmte Position der Bundesregierung vorzuliegen; denn gestern hat der Parlamentarische Staatssekretär Norbert Barthle im Verkehrsausschuss bekräftigt,
dass es dazu noch keine abgeschlossene Meinung der
Bundesregierung gibt. Deshalb stellt sich die Frage, ob
Verkehrsminister Dobrindt mal wieder auf der Bremse
steht.
Ich erwarte von dieser Bundesregierung, dass sie sich
jetzt konsequent für den Schutz der Menschen vor gesundheitsgefährdenden Stickoxiden und für eine bessere Luftqualität in Städten einsetzt. Das ist das Gebot der
Stunde.
({4})
Die Krise der deutschen Automobilindustrie kann
auch eine Chance sein, wenn sie für die Umstellung auf
emissionsfreie Antriebe genutzt wird. Wer es mit Klimaund Umweltschutz ernst meint, muss jetzt auf Elektromobilität setzen - und nicht länger auf den Diesel.
({5})
Denn damit wäre man international schlecht aufgestellt:
In den USA ist der Markt für Diesel praktisch tot, in China gibt es keine Diesel-Pkw, dort setzt man gleich auf die
Elektromobilität.
Industriepolitisch gesehen, darf die deutsche Automobilindustrie nicht den Anschluss verlieren. Dafür hängen
von ihr in Deutschland zu viele Arbeitsplätze ab. Die
Politik muss jetzt unterstützend eingreifen: Wir brauchen ein Marktanreizprogramm mit einer Kaufprämie
für Elektroautos, wenn die Elektromobilität - ob nun mit
Batterie- oder Brennstoffzellentechnologie - endlich aus
der Nische kommen soll.
({6})
Wir brauchen ein Investitionsprogramm für Elektromobilität, um zum Beispiel den Aufbau öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur voranzutreiben. Eine klare Linie der Bundesregierung kann ich an dieser Stelle nicht
erkennen: Frau Hendricks ist für eine Kaufprämie, Herr
Dobrindt dagegen.
Meine Damen und Herren, jetzt muss gehandelt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie langfristig zu sichern.
({7})
Vielen Dank. - Der Kollege Matthias Heider spricht
jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird heute wohl
nicht das letzte Mal sein, dass wir uns mit diesem Thema beschäftigen müssen. Wir alle haben aber, wie ich
glaube, inzwischen den Eindruck gewinnen können, dass
es mehr darum geht, politisches Kapital aus dem Fehlverhalten von einzelnen Personen zu schlagen. Das, was
Sie uns heute hier verquickt vortragen, macht jedenfalls
deutlich, dass Sie allen Anspruch auf diese Lösung erheben.
Meine Damen und Herren von den Grünen, es gibt
durchaus ein paar Punkte, die vernünftig sind. Da gibt
es auch gar keinen Widerspruch zu den Forderungen in
Ihrem Antrag, nämlich dass Aufklärungsarbeit zu leisten ist. Dass es allen Beteiligten angelegen sein muss,
Schaden vom Unternehmen Volkswagen und damit auch
Schaden von der deutschen Wirtschaft abzuwenden, das
ist ein Gebot, dem Sie alle schon im Interesse der Arbeitsplätze in Deutschland zustimmen müssten.
Es wird eine Menge Aufklärungsarbeit betrieben.
VW hat eine externe Revision in Form von Anwälten in
den USA und Deutschland beauftragt. In Deutschland
ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Betruges. Der
Verkehrsminister hat eine Kommission aus Experten von
Kraftfahrt-Bundesamt und Ministerium einberufen, die
ebenfalls an der Aufklärung des Fehlverhaltens arbeitet.
Es gibt einen Austausch mit den amerikanischen Behörden. Und die Bundesregierung berichtet dem Bundestag
und seinen Ausschüssen.
Ich stelle zunächst einmal fest, dass all das, was notwendig ist, im Moment getan wird, um die Situation aufzuklären.
Ich lese in Ihrem Antrag aber beispielsweise auch,
dass Sie glauben, es sei jetzt ein Wendepunkt im Hinblick
auf die Dieseltechnologie erreicht. Das klingt, als hätten
Sie schon die Abschaffung des Diesel-Pkw beschlossen.
Das ist aber genau der falsche Weg, und das hat der Kollege Wittke in seiner Rede gerade eindrucksvoll belegt.
Natürlich brauchen wir saubere Dieselmotoren, aber wir
brauchen auch Dieselmotoren, die effizient sind. Dabei
ist es ein hoffnungsvolles Potenzial, dass die meisten
Hersteller von Dieseltechnologie sagen, dass der Verbrauch um weitere 15 bis 20 Prozent verbessert werden
kann. Wenn wir eine saubere und gleichzeitig sparsamere
Technologie behalten können, warum sollen wir sie dann
schon abschaffen, nur weil Sie das heute hier fordern?
Zum Antrag der Linken wollte ich eigentlich nichts
sagen. Nur so viel: Sie geben vor, dass Sie Arbeitsplätze schützen wollen. Sie schlagen dafür kompliziertere
Strukturen beim Umweltbundesamt und beim Kraftfahrt-Bundesamt vor. Sie wollen gleich auch noch die
Gruppenklage als neue Klageart einführen und damit
wahrscheinlich Sammelklagen nach amerikanischem
Vorbild Vorschub leisten. Sie sprechen von einem Unternehmensstrafrecht.
({0})
Dabei bestrafen Sie eigentlich die Mitarbeiter des
VW-Konzerns; denn Unternehmensstrafrecht ist so etwas wie eine kollektive Schuldzuweisung. Bei uns in
Deutschland ist es Gott sei Dank so, dass Schuld an ein
persönlich vorwerfbares Verhalten geknüpft ist. Gerade
diesem persönlichen Fehlverhalten der entsprechenden
Mitarbeiter des Konzerns sind wir auf der Spur. Wir wollen nicht diejenigen bestrafen, die mit guter Arbeit dazu
beitragen, dass ein vernünftiges Produkt entsteht.
({1})
Lassen Sie uns einen Blick auf das Ausmaß des Schadens werfen. Weltweit sind 11 Millionen Fahrzeuge betroffen, allein in Deutschland 2,4 Millionen. Das Vertrauen der Verbraucher ist tief enttäuscht, weil sie Autos
von VW als ein solides und zuverlässiges Produkt aus
Deutschland kennen. Das Bild der seriösen deutschen
Ingenieurskunst insgesamt ist angekratzt. Wenn Sie mit
Besuchern aus dem Ausland sprechen, dann erfahren Sie,
dass man dort auch die große Sorge hat, dass die Marke
„made in Germany“ damit beschädigt wird. Wie konnte
es eigentlich zu diesem dolosen und massiven Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter bei VW kommen? Das ist
die Frage, die uns hier heute interessieren muss.
Die Ursachen sind wohl insbesondere innerhalb des
Konzerns zu suchen,
({2})
weil dieser Skandal zeigt: Wenn eine solche Manipulation an einem so zentralen Bauteil wie dem Motor
in einem Konzern möglich ist, dann müssen nicht nur
dringend die manipulierten Fahrzeuge in die Werkstatt,
sondern dann brauchen auch die Compliance-Regeln in
diesem Konzern dringend eine Inspektion. Ich habe die
Hoffnung, dass der VW-Konzern das jetzt sehr vorbildlich lösen wird.
Die Ursachen sind aber auch außerhalb des Konzerns
zu suchen, weil wir prüfen müssen, ob unsere bisherigen
Regelungen - das hat der Kollege Kühn gerade richtig
angesprochen - zur Erteilung der Typgenehmigungen
durch das Kraftfahrt-Bundesamt im Rahmen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung ausreichend sind.
Es hat wohl nicht funktioniert, dass man das, was das
Kraftfahrt-Bundesamt möglicherweise auch mit eigenen
Kräften nachprüfen könnte, konsequent auf Labore und
Zertifizierungsstellen outgesourct hat.
({3})
Wenn die Industrie in einem solchen Umfang von einer
Bürokratieentlastungsregelung Gebrauch macht, dass
man schon von einem Missbrauch sprechen muss, dann
gehört auch diese auf den Prüfstand, gar keine Frage.
({4})
- Klatschen Sie ruhig. Ich habe ja schon eingangs gesagt:
Es gibt Punkte, da sind wir uns durchaus einig.
({5})
Wie reagiert jetzt der VW-Konzern auf diese drohenden hohen Kosten - es wird wohl einen hohen MilliarDr. Matthias Heider
denbetrag erfordern - in seinem Hause? Ein Sparprogramm wird auf den Weg gebracht.
({6})
1 Milliarde Euro soll dieses Sparprogramm erbringen.
Das wird einen Kostendruck bei vielen Zulieferern, die
auch bei Ihnen zu Hause in den Wahlkreisen angesiedelt
sind, auslösen. Das hat das Potenzial, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze zu gefährden. Es wird auch dafür sorgen - das haben die Kollegen aus Niedersachsen
schon damals in der Aktuellen Stunde vorgetragen -, dass
es Gewerbesteuereinbrüche in Städten und Gemeinden
gibt. Braunschweig und Wolfsburg haben schon Haushaltssperren verhängt. Wir haben deshalb überhaupt keine Freude an den Folgen dieses Skandals. Im Gegenteil:
Wir müssen durch konsequente Aufklärung dafür sorgen,
dass ein solcher Vorfall nicht wieder geschehen kann.
Die Industrie - das ist eines der klaren Ziele - muss
zeigen, dass der Diesel weiter neben den verschiedenen
Möglichkeiten der Elektromobilität eine Zukunftstechnologie ist. Wir müssen zeigen, dass Produkte aus Deutschland für Verlässlichkeit stehen, dass „made in Germany“
weiterhin das Signet für Qualität ist und dass Deutschland auf diesen Feldern Technologieführer ist. Letztens
müssen die Verbraucher vor Täuschungen dieser Art
geschützt werden. So kann Vertrauen wiederhergestellt
werden - das ist die vordringliche Aufgabe -, so schützen wir den deutschen Automarkt, eine Schlüsselbranche
unserer Industrie, ohne daraus - diese Bitte habe ich politisches Kapital schlagen zu wollen.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Dr. Birgit
Malecha-Nissen, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hört
sich an wie ein Wirtschaftskrimi und ist doch Realität.
Im Frühjahr 2014 gab es erste Hinweise, dass europäische Dieselmodelle der Marke VW die strengen amerikanischen Abgasnormen nicht einhalten. Während man
in der Folge noch von technischen Problemen sprach,
kam dann im September dieses Jahres der Paukenschlag:
Der VW-Konzern gab erstmals öffentlich zu, bei Abgastests manipuliert zu haben. Nun haben sich die Ereignisse überschlagen und den vorläufigen Höhepunkt
erreicht: Texas verklagt VW wegen des Verstoßes gegen
Verbraucherschutz- und Umweltgesetze, und das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet, ganz aktuell, den Rückruf von
2,4 Millionen Autos an.
Inzwischen ist auch klar: Insgesamt sind etwa 11 Millionen VW-Fahrzeuge von der Manipulation betroffen.
Meine Kollegin Birgit Kömpel hat gesagt: Gerade unsere
Generation ist der Marke VW sehr verbunden. Sie hat
auch ein Stück weit unser Leben begleitet.
Wir müssen dabei fest im Blick haben: Die Automobilindustrie hat für den Standort Deutschland eine enorme
wirtschaftliche Bedeutung - damals wie heute. Deutsche
Fahrzeughersteller und ihre Zulieferer sind in vielen Bereichen Innovationsführer, und das muss auch in Zukunft
so bleiben. Die Folgen dieses Skandals werden jedoch
noch lange nachwirken. Unsere besondere Sorge gilt dabei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
({0})
großartig ausgebildeten Facharbeiterinnen und Facharbeitern, Ingenieurinnen und Ingenieuren. Sie sind verunsichert, wissen nicht, wie es für sie weitergeht, und haben
Angst um ihren Arbeitsplatz.
Warum geht ein erfolgreicher Konzern einen solchen
Weg? Das werden sich viele fragen. Warum so viel Energie in die Manipulation stecken, statt ein Produkt weiterzuentwickeln? Fakt ist - hier widerspreche ich meinem
Vorredner -: Die Dieseltechnologie stößt bei hohen Leistungen, bei hohen Geschwindigkeiten an ihre Grenzen,
was die Einhaltung der Abgasnorm angeht. Lassen Sie
uns deshalb den Skandal als echte Chance nutzen, unsere
Energie und unseren Erfindergeist in die Weiterentwicklung alternativer Antriebe zu investieren! Mein Kollege
Arno Klare hat uns heute schon eine innovative To-doListe vorgestellt. Die Zukunft gehört der Elektromobilität.
({1})
Denn wir haben reichlich Strom aus erneuerbaren Energien. Damit ist der Weg zu wirklich sauberer Mobilität
frei.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wenn wir heute ein Auto kaufen, dann
können wir viele technische Errungenschaften als Extras dazukaufen: vernetzte Navigation, klimatisierte Sitze, Einparkhilfen, automatische Distanzregelung, Fernlichtassistenten, um nur einige zu nennen. Mittlerweile
machen diese Extras einen beträchtlichen Teil des Kaufpreises aus. Automatische Distanzregelung und Fernlichtassistenten sind jedoch nicht nur Luxus, sondern
tragen auch wesentlich zur Verkehrssicherheit bei.
({2})
Vielleicht müssen wir an dieser Stelle einmal umdenken
und diese Fahrerassistenzsysteme auch zur Standardausrüstung eines Fahrzeugs erklären, ähnlich wie früher den
Airbag.
({3})
Katalysatoren zur Steuerung der Abgaswerte, über
die wir heute sprechen, gehören zur Standardausrüstung.
Wird deswegen alles unternommen, die Kosten zu senken, zu manipulieren und gesetzliche Vorgaben zu umgeDr. Matthias Heider
hen, weil es eine Standardausrüstung ist? Wird etwa auch
bei anderen Standardausrüstungen gespart und der Fokus
zu stark auf gewinnbringende Extras gelegt? Diese Frage werden wir heute nicht beantworten können, aber mir
war es wichtig, sie heute einmal in den Raum zu stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Umweltministerin Barbara Hendricks hat bereits schärfere Abgasvorschriften und -kontrollen für alle Dieselfahrzeuge gefordert. Die Kosten für das Kontrollsystem sollen dabei
die Hersteller tragen. Was heißt das jetzt konkret? Mein
Kollege hat es zum Teil schon genannt - ich möchte es
noch einmal erwähnen -: Das neue Testverfahren WLTP
mit weltweiten strengen Prüfstandards muss schnellstmöglich eingeführt werden, möglichst noch vor 2014.
({4})
Dieses Verfahren löst ein altes Messverfahren ab, das
schon in den 90er-Jahren entwickelt wurde. An der Stelle
ist es mir wichtig, zu sagen: Man kann sich gut vorstellen, dass ganz viel Raum für Manipulationen besteht,
wenn man ein Messsystem nutzt, das fast 20 Jahre alt
ist, aber die Software auf dem Stand des Jahres 2015 ist.
Als Zweites werden wir natürlich
Ich darf Sie an die Zeit erinnern.
Ja. Es gibt zu diesem Thema so viel zu sagen.
({0})
Ja, aber das geht leider nicht. Es sitzen noch ganz viele
hier im Saal, die viel zu sagen haben.
Okay, noch zwei Sätze. - Zweitens werden wir uns
umgehend auf EU-Ebene für die Einführung der Messung der Realemissionen von Pkws als weiteres Kontrollverfahren einsetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass
neben den theoretischen Messungen natürlich auch auf
der Straße gemessen und geprüft wird, um das Verbrauchsverhalten realistisch abzubilden.
Jetzt!
Ich bedanke mich ganz herzlich.
({0})
Danke schön. - Letzter Redner in dieser Debatte ist
der Kollege Johann Saathoff, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In Ostfriesland gibt es gerade eine ganze Liste von Sorgen; aber meine kleinste Sorge ist derzeit, wen Leonardo
DiCaprio denn als Nächstes spielen wird,
({0})
es sei denn, er kandidiert für den Deutschen Bundestag.
Nach Bekanntwerden des Abgasskandals werden
schnell Konsequenzen gefordert. Aber eines muss zunächst klargestellt werden: Die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Werken von VW haben gute Arbeit geleistet,
nicht nur in den letzten Jahren. Sie sind es, die VW in
den letzten Jahrzehnten durch ihren Einsatz zur weltweit
größten Automarke gemacht haben.
({1})
Es sind nicht nur die Arbeiterinnen und Arbeiter in den
Werken, sondern auch an den Werken, also die Zulieferer, die gute Arbeit geleistet haben. Es ist gute Arbeit in
den Standortkommunen geleistet worden, die sich auf die
Automobilindustrie eingestellt haben. Als Kind von der
Küste kann ich sagen, dass stets auch in den Häfen gute
Arbeit geleistet wurde, die die wichtige Aufgabe des Exports übernommen haben.
Insofern liegt eigentlich eine unfaire Situation vor,
wenn die eigentlichen Leistungsträger plötzlich zur Verantwortung gezogen werden sollen. Verantwortung haben die Menschen in den Managementetagen, nicht die
Menschen, die am Band arbeiten.
({2})
Wir müssen dafür Sorge tragen, dass am Ende nicht die
Menschen an den Werkbänken und an den Bändern die
Suppe für inakzeptable Managemententscheidungen auszulöffeln haben.
Es ist richtig, Konsequenzen zu fordern. Allerdings ist
es genauso richtig, erst alle Sachverhalte gründlich aufzuklären.
({3})
Nur auf Grundlage der Erkenntnis der Aufklärung können wirksame Konsequenzen gefordert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, keine Frage: Durch
den Abgasskandal ist Vertrauen zerstört worden. Das ist
besonders schlimm, weil Deutschland weltweit als klimapolitischer Vordenker gilt. Das ist besonders schlimm,
weil Deutsche den Ruf haben, auch nachts um drei an
einer vollkommen leeren Straße vor einer Fußgängerampel auf Grün zu warten, also Rechtsstaatlichkeit zu leben.
({4})
Es kommt darauf an, wie man nun beispielgebend
mit der Situation umgeht, und man kann darin auch eine
Chance sehen. Zum Beispiel kann ich mir gut - wir haben
das heute schon mehrfach gehört - einen konsequenten
Einstieg in die Elektromobilität vorstellen. Seite 44 des
Koalitionsvertrags kann in dieser Frage deutlich helfen.
({5})
Ich möchte an dieser Stelle ein Lob für den Neun-Punkte-Plan der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks
aussprechen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Art, wie man die
Krise aufklärt, wie man Transparenz schafft, wie man dafür sorgt, dass die Verantwortlichen zur Verantwortung
gezogen und die Nichtverantwortlichen geschützt werden, und wie man sich aus der Krise heraus für die Zukunft aufstellt, schafft neues Vertrauen - neues Vertrauen in neue VW-Modelle, aber auch neues Vertrauen in
„made in Germany“. Die Dieseltechnologie würde ich an
dieser Stelle nicht gleich kaputtreden; denn Dieselantriebe sind energieeffizient und außerdem im Sinne unserer
Klimaziele. Dass die Stickoxidproblematik beherrschbar
ist, sei an dieser Stelle auch mal erwähnt.
({7})
Allein in diesem Bereich gibt es 70 000 Arbeitsplätze.
Wer hat eigentlich vor einem Jahr seinen angegebenen
Abgas- und Verbrauchswerten getraut? Das gilt übrigens
auch für Energieausweise an Gebäuden. Ich will das ausdrücklich nicht kleinreden. Eine wirksame unabhängige
Kontrolle ist jetzt wichtiger denn je; wir haben viel über
Real Drive Emission gehört. Neue Testverfahren sind
wichtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es in abgeänderter Form schon gehört: Wenn VW hustet, dann hat
Ostfriesland eine Lungenentzündung. Die Auswirkungen
auf die Region sind enorm. Aber es gibt auch bundesweit
Auswirkungen, wegen der Zulieferer von VW. Wir sind
gefordert, dafür zu sorgen, dass es nicht zu unumkehrbaren Strukturbrüchen kommt, und zwar wir alle.
({8})
Für die Menschen in den Werken, denen man keinen
Vorwurf machen kann, müssen wir uns einsetzen. Diese
Menschen haben ihre ganze Kraft eingesetzt - oder wie
wir Ostfriesen sagen: Knooit hett lüttje Mann sük genug.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, in-
terfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 18/6334 und 18/6325 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich bitte Sie um Ihre Aufmerksamkeit; denn wir haben
eine Reihe von Abstimmungen vorzunehmen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 e so-
wie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf. Es handelt sich
um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne
Debatte.
Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-
sungen. Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 e sowie Zu-
satzpunkt 2 a:
30 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Seearbeitsgesetzes
Drucksache 18/6162
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auswahl und zum Anschluss von Telekommunikationsendgeräten
Drucksache 18/6280
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung vom 10. Dezember 2014 des Überein-
kommens vom 27. Juni 1980 zur Gründung
des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe
Drucksache 18/6294
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Harald Ebner, Kordula Schulz-Asche,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den
Lebenswissenschaften stärken
Drucksache 18/6204
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Herdenschutz ist Wolfsschutz - Jetzt ein bundesweites Kompetenzzentrum aufbauen
Drucksache 18/6327
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({2})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
ZP 2a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses
Drucksache 18/6330
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/6327 soll federführend beim Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist.
Zusatzpunkt 2 b:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen Völkerstrafprozesse in Deutschland voranbringen
Drucksache 18/6341
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({3})
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({4})
Federführung strittig
Interfraktionell wird Überweisung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6341 mit dem Titel „Keine Straflosigkeit bei
Kriegsverbrechen - Völkerstrafprozesse in Deutschland
voranbringen“ an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Federführung beim
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU, SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD - Federführung beim
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 f auf.
Hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 31 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partnerschaftsund Kooperationsabkommen vom 11. Mai
2012 zwischen der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits
Drucksache 18/5577
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({5})
Drucksache 18/6374
Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6374, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5577
anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 b:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 7. Mai 2015 zwischen
der Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung
der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften
Drucksache 18/6157
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015
zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und
Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern
Drucksache 18/6158
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({6})
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Drucksache 18/6369 Buchstabe b und Buchstabe c
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6369,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6157 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis in dritter
Lesung angenommen.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6369,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6158 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({7}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Vierte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
Drucksachen 18/5891, 18/5976 Nr. 2.1, 18/6180
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6180, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 18/5891 nicht zu verlangen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.
Tagesordnungspunkte 31 d bis 31 f. Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 31 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 233 zu Petitionen
Drucksache 18/6210
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 233 ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 234 zu Petitionen
Drucksache 18/6211
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 234 ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 235 zu Petitionen
Drucksache 18/6212
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 235 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Opposition angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes
({11}) zu dem Dritten Gesetz
zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes
Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4164,
18/4189, 18/4514, 18/6370
Berichterstatter ist der Kollege Abgeordnete Michael
Grosse-Brömer. Der Kollege Michael Grosse-Brömer
gibt als Berichterstatter des Bundestages im Rahmen ei-
ner schriftlichen Erklärung eine Protokollerklärung der
Bundesregierung zur Kenntnis. Diese Erklärung nehmen
wir zu Protokoll.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Absatz 3 Satz 1 seiner Geschäfts-
ordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag
über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungs-
ausschusses auf Drucksache 18/6370? - Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung
ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Die maritime Wirtschaft stärken und ihre Be-
deutung für Deutschland hervorheben
Drucksache 18/6328
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
1) Anlage 7
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Vierter Bericht der Bundesregierung über die
Entwicklung und Zukunftsperspektiven der
maritimen Wirtschaft in Deutschland
Drucksache 18/5764
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({12})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung Ausschuss für Tourismus
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Matthias
Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Amt des Maritimen Koordinators aufwerten
Drucksache 18/6347
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({13})
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsausschuss
Ich bitte, die Plätze zu tauschen,
({14})
soweit das geht. Alles im Rahmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der
Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer für die
Bundesregierung. - Bitte schön.
({15})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir debattieren dieses wichtige Thema heute im
Vorfeld der Nationalen Maritimen Konferenz, die Anfang
der kommenden Woche, am 19./20. Oktober, in Bremerhaven stattfindet. Diese Konferenz hatte im Gegensatz zu
den Vorgängerkonferenzen schon im Vorfeld verschiedene neue Merkmale aufzuweisen. Wir haben diese Konferenz mit sechs Branchenforen vorbereitet. Wir haben dort
einen sehr intensiven fachlichen Austausch zwischen den
Branchen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den
Verbänden und der Politik durchführen können. Wir legen großen Wert darauf, dass bei dieser Konferenz am
kommenden Montag und Dienstag, obwohl sie eine nationale Konferenz ist, der internationale Aspekt eine große
Rolle spielt; denn es geht um Branchen, die sich im internationalen Rahmen tummeln müssen.
Wenn wir über die maritime Branche in Deutschland
sprechen, dann reden wir nicht nur über Unternehmen
und Verbände, die ihre Heimat in Norddeutschland haben, sondern auch über Industrien und Dienstleistungen
von Flensburg bis zum Bodensee. Wir haben große Motorenhersteller, die in Friedrichshafen für die Welt produzieren und auf dem nationalen, aber auch dem internationalen Markt im Antriebsgeschäft aktiv sind. Wir haben
große Werften. Wir haben große Schifffahrtsunternehmen in Deutschland, die auf dem Weltmarkt eine wichtige Rolle spielen. Diese Unternehmen haben am Ende des
Tages immerhin 400 000 Direktbeschäftigte in Deutschland. Es sind, um einige Kennzahlen zu benennen, 2 800
Unternehmen mit einem Umsatz von 30 Milliarden Euro.
Bei dieser Nationalen Maritimen Konferenz geht es ich bin den Koalitionsfraktionen sehr dankbar, dass sie
die Eckpunkte, die für die Branche wichtig sind, in ihrem
Antrag unterstrichen haben - um die Zukunftsfähigkeit
der Unternehmen. Eine Konferenz wie die am kommenden Wochenanfang stattfindende muss, denke ich, eine
Antwort auf die Fragen geben: Wie sieht diese Branche
in der Zukunft, in den nächsten zehn Jahren, aus? Was
haben wir zu gewärtigen? Was müssen wir seitens der
Politik tun, um Rahmenbedingungen zu setzen, die diese
Branche auch in den nächsten zehn Jahren gut dastehen
lassen? Ich glaube, das ist das entscheidende Thema, vor
dem wir uns nicht drücken werden und nicht drücken
dürfen.
Die Koalitionsfraktionen haben in ihrem Antrag und
in ihren Beschlussfassungen Wesentliches und Richtungsweisendes dazu ausgeführt. Die Ziele, die wir uns
vornehmen müssen, sind auch im Hinblick auf die Gestaltung der maritimen Politik in der Bundesrepublik
Deutschland in den nächsten zehn Jahren entscheidend.
Wir müssen die maritimen Zukunftsmärkte im Auge
behalten, dabei bestehende und zukünftige maritime
Wachstumsmärkte genau identifizieren und unsere hohen
technologischen Standards auch zum Schutz der Umwelt
einsetzen.
Wir müssen die Technologieführerschaft in Deutschland sichern und ausbauen und unsere internationale
Wettbewerbsfähigkeit stärken. Das heißt auch, dass wir
chancengleiche Wettbewerbsbedingungen für unsere
Unternehmen schaffen müssen, damit deutsche Unternehmen auch auf den Exportmärkten bestehen können.
Wir wollen das Green Shipping fortsetzen, und ich
glaube, das haben wir gemeinsam mit der Industrie gut
entwickelt. Der Klima- und Umweltschutz im Seeverkehr sorgt dafür, dass umweltfreundliche Technologien
eingeführt werden - zwangsweise auch von Dritten. Es
war und ist ein gutes Werk, einheitliche Umweltstandards auf internationaler Ebene zu schaffen.
Wir müssen die Infrastruktur für unsere Häfen verstärken - sowohl see- als auch landseitig. Die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur ist von immenser Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Häfen.
Ausbildung und Beschäftigung haben etwas mit dem
maritimen Know-how zu tun, das wir am Schifffahrtsstandort Deutschland für unsere Unternehmen, die auf
das Kapitäns-Know-how zurückgreifen möchten, auch in
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
der nächsten Dekade dringend benötigen. Daneben brauchen wir im Bereich der maritimen Industrie auch eine
Antwort darauf, wie es mit „Industrie 4.0“ weitergeht.
Dort geht es spezifisch auch um die Frage, wie es mit
„Hafen 4.0“ weitergeht. Ich denke, hier ist eine innovative Seehafentechnologie in großem Maße gefordert.
Das Thema „Maritime Sicherheit“ und die Sicherheitspolitik haben wir in unseren Branchenforen auch
besprochen. In Deutschland wurden Anti-Piraterie-Maßnahmen entwickelt. Wir haben Standards gesetzt, die
international beachtet werden. Die IMO empfiehlt sie,
und ich denke, wir haben auch bei der Überwachung von
sensiblen Seegebieten industrielle Standards zu setzen.
Diese werden uns auf dem Weltmarkt Dritten gegenüber
helfen, dass unsere Instrumente und Technologien, mit
denen wir sensible Seegebiete überwachen lassen, Beachtung finden.
Ich will zu diesen Zielen sagen, dass wir bei der strategischen Ausrichtung unserer einzelnen Maßnahmen
aktuell Gutes vorzuweisen haben. Im Bereich der Innovationsförderung, bei der Technologieentwicklung und
in Bezug auf die umfassende Strategie eines Nationalen
Masterplans Maritime Technologien haben wir Gutes im
Köcher. Auf der Maritimen Konferenz werden wir dazu
noch einiges Wegweisendes ausführen.
Ich bedanke mich bei den Koalitionsfraktionen für ihren wegweisenden Antrag
({0})
und bitte das Haus um den entsprechenden Beschluss
dazu.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Für die Fraktion
Die Linke erhält jetzt Herbert Behrens das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Thema hätte eigentlich ein bisschen mehr Zeit verdient. Nach der normalen Parlamentsplanung war dieses
Thema für morgen früh vorgesehen. Aber die Bundesregierung muss morgen früh noch die Vorratsdatenspeicherung durchsetzen, sodass wir heute weniger Zeit haben,
uns mit dieser entscheidenden Frage der maritimen Wirtschaft auseinanderzusetzen.
Ich will mich deshalb auch auf nur einen oder zwei
wesentliche Punkte konzentrieren, die uns als Linke
wichtig sind, wenn wir hier über das Thema „Maritime
Wirtschaft“ verhandeln.
In der Handelsschifffahrt haben wir es mit Begriffen
wie „Klabautermann“ und „Pfeffersäcke“ zu tun gehabt.
Die Klabautermänner sind inzwischen verschwunden,
seitdem die Schiffe nicht mehr aus Holz sind. Aber die
Pfeffersäcke sind noch da. Das spiegelt sich sowohl in
dem Antrag, den die Regierungsfraktionen vorgelegt haben, als auch in den Branchenforen, die in Vorbereitung
der Maritimen Konferenz stattgefunden haben, und in
dem Bericht der Bundesregierung wider, der vor einiger
Zeit vorgelegt worden ist.
Darin wird festgeschrieben, was es alles fortzuführen
gilt. An dieser Stelle will ich einsetzen und nachfragen:
Was soll eigentlich fortgeführt werden? Ist es etwa der
Arbeitsplatzabbau? Inzwischen fahren weniger als 7 000
Seeleute unter deutscher Flagge. Soll die Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation fortgesetzt werden? Laut
Zentraler Heuerstelle in Hamburg gibt es ein immer
krasser werdendes Missverhältnis zwischen der Zahl der
nachgefragten Arbeitsplätze und der Zahl der offenen
Stellen. Insbesondere Nautiker suchen unmittelbar nach
ihrer Ausbildung händeringend nach Arbeitsplätzen, um
ihre Patente ausfahren zu können. Das ist für sie entscheidend, um nicht ihre teure Qualifikation zu verlieren und im Nichts zu landen. Andernfalls wäre ihre teure
Ausbildung umsonst gewesen.
Auf der Maritimen Konferenz kann kein wirklicher
Fortschritt festgestellt werden. Im Bericht der Bundesregierung, den ich eben erwähnt hatte, wird darauf an
mehreren Stellen hingewiesen. Die Schifffahrtskrise ist
nicht überwunden:
Die deutsche Handelsflotte hat sich reduziert, und
die Anzahl der Schifffahrtsunternehmen ist zurückgegangen. Der Anteil der Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, ist gesunken - mit Auswirkungen auf Beschäftigung und Ausbildung deutscher
Seeleute.
Diese Bilanz vor der 9. Nationalen Maritimen Konferenz
ist vernichtend. Die Konsequenz daraus muss heißen: Es
darf kein Weiter-so geben.
Die Linke will erreichen, dass die maritime Wirtschaft
sichere, saubere und dauerhafte Arbeitsplätze schafft.
({0})
Wir sehen nicht zu, wenn immer weniger Schiffe unter
deutscher Flagge fahren. Die Reeder flüchten nämlich
unter Flaggen von Niedriglohnländern und umgehen
Tarifverträge mit guten Heuern und guten Arbeitsbedingungen. Sie wollen ihre Schiffe künftig zunehmend unter
Flaggen fahren lassen, die ihnen genehme Arbeitsbedingungen, das heißt billige Arbeitskräfte, liefern. Trotzdem
haben sich die Reeder immer alles gut bezahlen lassen.
Da sind sie wieder, die Pfeffersäcke. Während der Klabautermann deutlich hörbar gewirkt hat, geht es bei den
Pfeffersäcken sehr ruhig zu. Das Ergebnis: Sie werden
subventioniert, indem sie für ihre Mannschaften nur
40 Prozent Lohnsteuer zahlen müssen, während andere
Arbeitgeber für ihre Beschäftigten 100 Prozent Lohnsteuer zahlen müssen. Die Reeder wollen aber noch mehr
gefördert werden. Jetzt sollen 40 Prozent Lohnsteuereinbehalt nicht mehr ausreichen; man will 100 Prozent
Lohnsteuereinbehalt. Damit sollen Wettbewerbsnachteile ausgeglichen werden, so wird argumentiert, die sie angeblich gegenüber anderen Flaggenstaaten haben.
Wenn wir uns das einmal genauer ansehen, merken
wir, dass da mit falschen Zahlen operiert wird. So wird
behauptet, in den Niederlanden gebe es schon heute einen 100-prozentigen Lohnsteuereinbehalt. Das ist falsch.
Er liegt dort bei 40 Prozent für Beschäftigte auf Schiffen unter niederländischer Flagge und bei 10 Prozent
für Beschäftigte auf Schiffen, die unter der Flagge eines
europäischen Staates fahren. Richtig ist, dass in Italien,
Belgien, Malta und Portugal der 100-prozentige Lohnsteuereinbehalt gilt. Aber selbst die marktbeherrschenden griechischen Reeder haben keinen 100-prozentigen
Lohnsteuereinbehalt. Sie zahlen 85 Prozent Lohnsteuer für die Kapitäne und 90 Prozent Lohnsteuer für die
Mannschaften. Es wird also deutlich: Hier wird auf die
Politik der Bundesregierung massiv Einfluss genommen
und versucht, sich weitere Vorteile zu verschaffen und
eine neue Runde im Subventionswettlauf auf dem Markt
zu beginnen. Hier muss dringend eine Änderung erfolgen. Ansonsten haben wir eine subventionierte Schifffahrtsbranche, die auch noch versucht, andere vom europäischen Markt zu verdrängen. Das darf nicht sein.
({1})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Rüdiger
Kruse.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Will Deutschland führende Schifffahrtsnation bleiben? Diese Frage steht seit längerem im Raum. Wenn
Fragen längere Zeit unbeantwortet im Raum stehen, dann
werden sie durch Zeitablauf beantwortet, und zwar in der
Regel mit Nein. Man muss also schon etwas tun. Die eingangs gestellte Frage darf aber nicht erst auf der Maritimen Konferenz diskutiert werden. Vielmehr müssen wir
mit einer Antwort in die Maritime Konferenz gehen - mit
dem klaren Willen, Schifffahrtsnation zu bleiben.
Das ist keine Frage von Seefahrtsromantik. Man kann
Geschichten über Klabautermänner erzählen, etwa in
einem Museumshafen in Hamburg, Rostock oder sonst
wo. Man kann nette Bücher vorlesen, zum Beispiel wenn
Vorlesetag ist. Das hat aber nichts mit einer Schifffahrtsnation zu tun.
({0})
Wenn man Exportnation sein will - wir haben vorhin
über unsere Automobilindustrie gesprochen; das ist eine
Exportindustrie -, dann muss man auch Logistiknation
sein. Es gibt keinen Export ohne Logistik, und es gibt
keine Logistik ohne Schifffahrt.
({1})
Man könnte sich zwar damit trösten, dass andere Länder
auch schöne Schiffe haben; aber es ist ein deutlicher Unterschied, ob man die Organisation der Logistik selber in
der Hand hat und mitentscheidet, wo und unter welchen
Bedingungen die Handelsströme verlaufen, oder nicht.
Die Bedingungen in der deutschen Schifffahrt, auch
was die Arbeitnehmer angeht, sind vorbildlich. Wir sind
aber längst nicht mehr die einzigen, die vorbildliche
Bedingungen schaffen. Es gibt - das müsste Ihnen bekannt sein - international entsprechende Listen der Gewerkschaften. Schiffe, die nicht positiv auf diesen Listen
vermerkt sind, werden in den Häfen auch gerne einmal
abgewiesen. Unsere europäischen Mitbewerberstaaten es geht nicht um irgendwelche Südseeinseln - halten die
Bedingungen ebenfalls alle ein. Sie machen aber noch
etwas anderes, nämlich ein gutes Angebot. Wir wollen
nichts anderes, als die Möglichkeiten, die das EU-Beihilferecht bietet, ausnutzen. Man muss sie voll und ganz
ausnutzen; denn sonst hat man keinen Vorteil.
Wir wollen natürlich unsere Bundeskanzlerin nicht
mit leeren Händen zur Maritimen Konferenz schicken.
Daher haben die Koalitionsfraktionen diesen Antrag erarbeitet. Ich bin dem Kollegen Saathoff und seiner Küstengang sehr dankbar für die gute Zusammenarbeit. Man
muss auch feststellen: Ohne uns gäbe es keine Verlängerung von ISETEC. Ohne uns gäbe es auch keine Weiterentwicklung von maritimer Technologie der nächsten
Generation. Mit uns gibt es eine Aufstockung des Innovationsprogramms, und zwar ohne dass die Länder mitziehen müssen, sondern dadurch, dass der Bund seinen
Anteil verdoppelt. Das heißt, wir haben 50 Prozent mehr
im Spiel und können wesentlich mehr fördern. Die Länder bekommen für jeden Förder-Euro, den sie einsetzen,
2 Euro vom Bund dazu. Besser geht es nicht, liebe Länder. Jetzt nutzt auch die Chance!
({2})
Wir haben uns auch mit Umweltfragen beschäftigt,
und irgendwie haben wir schon vor Wochen gewusst,
dass man den Schiffsdiesel nur schwer - wahrscheinlich
nur mit Software - sauber bekommt.
({3})
Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen ein anderes
Antriebssystem fördern. Mit diesem Beschluss machen
wir den Weg frei für ein LNG-Förderprogramm. Das
heißt, dass wir neue Schiffsantriebe mit gasbetriebener
Technologie bekommen werden. Das ist eine Technologie, die weltweit nachgefragt werden wird. Schon jetzt
verlangen die Häfen an der amerikanischen Küste von
ihren Liniendiensten, dass sie in ihrer Flotte jedes Jahr
die Umweltwerte verbessern. Mit dieser Technologie, die
dann führend aus Deutschland käme, sichern wir unseren
Export und tun gleichzeitig etwas Gutes für Klima- und
Umweltschutz.
({4})
Erstmalig werden wir uns auf der Maritimen Konferenz auch einem Thema widmen, dem wir vielleicht in
der Kantine begegnen, ohne es zu wissen. Es wird auch
in Deutschland sehr viel Fisch aus illegaler Fischerei angelandet, die eine Hälfte wahrscheinlich auf dem Frankfurter Flughafen und der Rest verteilt auf Bremerhaven
und Hamburg. Das muss man zurückweisen, und zwar
nicht nur, weil das illegal ist, sondern auch weil dadurch
unsere mühsam ausgehandelten Ziele, was die Fischfangquoten angeht, zerstört werden und weil die illegale
Fischerei für die Besatzungsmitglieder unter unmenschlichsten Bedingungen erfolgt. Damit sind Menschenhandel und Kriminalität mit nach allgemeiner Schätzung bis
zu 15 Milliarden Euro Umsatz verbunden. Wir wollen
der Bundesregierung Möglichkeiten an die Hand geben,
das zu überwachen und Transporte, die nicht entsprechend zertifiziert sind, zurückzuweisen. So kann man
Globalisierung im positiven Sinne für den Umweltschutz
betreiben, und das machen wir auf dieser Konferenz.
({5})
Die Kollegen von den Grünen haben den Vorschlag
gemacht, das Amt des Maritimen Koordinators beim
Verkehrsministerium anzusiedeln und es aufzuwerten.
Die Ansiedlung beim Verkehrsministerium werte ich als
Kompliment, weil das ein von uns geführtes Haus ist.
({6})
Was die Aufwertung des Amtes angeht, ist festzustellen:
Mit dem Antrag, den wir heute beschließen, werten wir
den Maritimen Koordinator extrem auf; denn es gibt jetzt
verdammt viel zu koordinieren. Dabei werden wir ihn
massiv unterstützen.
Herzlichen Dank.
({7})
Die Kollegin Dr. Valerie Wilms spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Die Politik für die maritime Wirtschaft tritt
seit Beginn der Schifffahrtskrise auf der Stelle, obwohl
Sie hier eben wieder blumige Reden gehört haben, dass
es angeblich anders wird. Neue Ideen liefert diese Große
Koalition nun wirklich nicht. Es wird immer nur an ein
paar kleinen Schräubchen gedreht. Mit diesem Herumdoktern kommen wir nicht weiter. Sie müssten jetzt wirklich einmal einen großen Wurf wagen.
({0})
Ansonsten geht die maritime Wirtschaft in Deutschland um im Bild zu bleiben - wirklich unter.
Wir geben jedes Jahr mindestens 60 Millionen Euro
in die Schifffahrtsförderung, ohne dass die Branche ihre
Zusagen einhält. Die Zahl der Schiffe unter deutscher
Flagge geht kontinuierlich zurück. Jetzt sind es schon
deutlich unter 200 anstelle der von den Reedern ursprünglich zugesagten 600 Schiffe. Scheinbar will sich
die Bundesregierung immer weiter das Geld aus der Tasche ziehen lassen. Das ist GroKo-Politik. Wann wird es
endlich neue Ideen im sogenannten Maritimen Bündnis
geben? Hier regiert seit Jahren großer Stillstand. Ich
sage: Die Bundesregierung wagt sich aus Bequemlichkeit nicht an Veränderungen; denn damit sind gewisse
Risiken verbunden.
({1})
Bequem, werte Kolleginnen und Kollegen, ist vor allem der Maritime Koordinator, Herr Beckmeyer. Er soll
die maritime Politik dieser Bundesregierung koordinieren. Doch wo ist er? Heute ist er mal da.
({2})
Gestern aber, im Verkehrsausschuss, wo es um das
Thema „Lotswesen“ ging, war er trotz ausdrücklicher
Einladung nicht anwesend. Man kann nur festhalten:
Ihn interessieren die wirklichen Probleme der maritimen
Wirtschaft nicht.
({3})
Er will nicht mit dem Parlament zusammen Lösungen
erarbeiten. Wir müssen feststellen: Der Maritime Koordinator versagt. In Wirklichkeit hat er ja auch nichts zu
koordinieren. Im Wirtschaftsministerium, wo sein Amt
angesiedelt ist, gibt es in Sachen Maritimes nichts zu
entscheiden. Die Schifffahrtsthemen nehmen ihm täglich
das Verkehrsministerium oder andere Ressorts ab. Das
Maritime Bündnis zwischen Reedern, Gewerkschaft,
Küstenländern und dem Bund sowie die Verkehrswegeplanung und die Anbindung der Seehäfen darf er nicht
koordinieren. Auch hier hat der Maritime Koordinator
keinen Einfluss. Er beschäftigt sich noch nicht einmal am
Rande damit.
Aber eines, Herr Beckmeyer, haben Sie in den zwei
Jahren Ihrer Amtszeit wirklich geschafft. Sie haben die
Maritime Konferenz zu sich nach Hause geholt, nach
Bremerhaven. Wird das die Veranstaltung zur Verabschiedung in Ihren wohlverdienten Ruhestand?
({4})
Werte Kolleginnen und Kollegen, maritime Politik
wird vor allem im Verkehrsministerium gemacht. Deshalb gehört der Maritime Koordinator dahin, und zwar
jetzt und sofort.
({5})
Liebe Großkoalitionäre, für Ihren Antrag haben Sie
ja sehr lange gebraucht. Darum hatte ich doch eine gewisse Hoffnung, dass Sie wirklich zu neuen, zündenden
Ideen kommen. Aber jetzt kam die Ernüchterung: 13 eng
beschriebene Seiten ohne irgendetwas Neues. Das reicht
nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Küstengangs der Großkoalition. Fassen Sie doch zumindest ein
einziges Thema ernsthaft an und führen es dann auch zu
Ende!
Dass Sie wirklich nichts zu Ende führen, sieht man
an der Schifffahrtsförderung ganz deutlich. Auch wenn
Sie den Lohnsteuereinbehalt nach dem Vorschlag Hamburgs auf 100 Prozent erhöhen, lösen Sie die Probleme
nicht. Damit erhöhen Sie nur den Bürokratieaufwand.
Mit den etwa 60 Millionen Euro jährlich fördern wir jeden Mitarbeiter an Bord eines deutschen Seeschiffes mit
etwa 1 300 Euro pro Monat. Die Zahl deutscher Seeleute
nimmt trotzdem stetig ab. Derzeit sind weniger als 5 000
deutsche Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge
beschäftigt, und jeden Tag werden es weniger.
Werfen wir einen Blick auf das komplizierte System
des Lohnsteuereinbehalts: Dabei zahlen die Reeder den
Seeleuten erst einmal den Bruttolohn und ziehen die
Lohnsteuer ein. Teile davon - irgendwann sollen nach Ihren Plänen 100 Prozent einbehalten werden - dürfen sie
aber selbst behalten, anstatt sie an das Finanzamt zu geben. Da wiehert der deutsche Amtsschimmel bei diesem
bürokratischen Aufwand. Aber das sind wir von dieser
Großen Koalition schon gewohnt.
Warum sind Sie nicht offen für wirklich neue Ideen?
Mein Vorschlag ist, erstens den internationalen Heuertarif für die Seeleute anstelle des höheren deutschen einzuführen. Nur damit werden deutsche Seeleute wieder
international wettbewerbsfähig.
({6})
Zweitens. Gleichzeitig gibt es - das gehört automatisch
dazu - volle Lohnsteuerfreiheit, und der Staat bezahlt die
Sozialversicherung. Die Seeleute hätten dann netto das
Gleiche in der Tasche wie bisher. Die deutsche Seeschifffahrt würde wieder wettbewerbsfähig werden. So sichern
wir die Arbeitsplätze der deutschen Seeleute dauerhaft
und schaffen endlich wieder neue. Dann kommt wieder
Schwung in das Maritime Bündnis. Gehen Sie diesen
Weg!
Herzlichen Dank.
({7})
Der Kollege Johann Saathoff spricht jetzt für die SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Een groot Schkipp will vööl Water hebben. Da ich gerade gebeten wurde, meinen plattdeutschen Ausspruch
zu übersetzen: Ein großes Schiff braucht viel Wasser. Im vorliegenden Antrag geht es um ein großes Schiff.
Es geht nämlich schlicht um die Zukunft der nationalen
maritimen Wirtschaft. Der Antrag erfolgt in Vorbereitung
der Maritimen Konferenz, die in der nächsten Woche in
Bremerhaven stattfindet. Der Konferenz sind erstmalig
Fachforen vorausgegangen. Ich habe bei einigen dieser Foren dabei sein können und muss sagen: In diesen
Fachforen wurde hervorragende Arbeit geleistet. Diese
Konferenzen haben sich weiterentwickelt. Das ist das
Verdienst unseres Staatssekretärs Uwe Beckmeyer. Dafür herzlichen Dank!
({0})
Wenn der eine oder andere an dieser Stelle meint, dass
der Maritime Koordinator in das Verkehrsministerium
gehört, dann greife ich diesen Ball gerne auf. Wenn Uwe
Beckmeyer in das Verkehrsministerium wechselt, dann
passiert dort auch einmal etwas.
({1})
Es geht um die Zukunft der nationalen maritimen
Wirtschaft und darum, sich ehrlich zu machen. Wollen
wir noch deutsches Know-how in unseren Häfen und auf
unseren Schiffen? Brauchen wir noch die deutsche Flagge? Aus meiner Sicht ist es nicht egal, ob ein Toaster über
Rotterdam oder Hamburg nach Deutschland kommt. Wir
reden über 400 000 Arbeitsplätze und über 30 Milliarden Euro Wertschöpfung pro Jahr, übrigens nicht nur in
Norddeutschland, sondern in der gesamten Republik.
Mir ist an dieser Stelle wichtig, darauf hinzuweisen Uwe Beckmeyer hat das bereits getan -, dass Schiffsmotoren vornehmlich in Süddeutschland produziert werden.
3 000 Handelsschiffe sind noch in deutschem Eigentum,
350 - etwas mehr als 10 Prozent - unter deutscher Flagge. Daran müssen wir etwas ändern.
In Vorbereitung dieses Antrags hat es eine sehr gute
Zusammenarbeit gegeben, Herr Kruse. Ich möchte mich
ganz herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit bei
Ihnen bedanken, genauso wie bei Birgit Malecha-Nissen,
meiner Mitlotsin in der SPD-Küstengang, die von der
Verkehrsseite her zugearbeitet hat. Wir haben gut zusammengearbeitet. Ich glaube, das können wir öfter so machen. Herzlichen Dank euch beiden!
({2})
Das Sprichwort lautet „Schifffahrt tut not“ und nicht
„Schifffahrt macht Not“. Im Moment trifft aber eher
Letzteres zu. Was beschreibt der Antrag im Einzelnen?
Er beschreibt die Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts
von 40 auf 100 Prozent. Mehr geht dann auch nicht mehr.
Dies ist bis 2025 befristet. Dann wird evaluiert. Die
183-Tage-Regelung, die dafür sorgte, dass die Menschen
kontinuierlich 183 Tage auf einem Schiff angestellt
sein mussten - das war in der Praxis kaum möglich -,
fällt weg. Mit diesen Regelungen schaffen wir Anreize,
wieder deutsche Seeleute auf Schiffen zu beschäftigen.
Deutsche Flagge und deutsche Besatzung sind Voraussetzung für den Ausbildungspakt „Bündnis für Ausbildung
und Beschäftigung in der Seeschifffahrt“. Für diesen
Pakt zahlt der Bund 60 Millionen Euro, die Reederschaft
30 Millionen Euro. Das ist gut angelegtes Geld auf beiden Seiten; denn es geht um die dauerhafte Sicherung des
maritimen Know-hows in Deutschland.
In unserem Antrag geht es des Weiteren um Innovationsförderung im Schiffbau. Wir heben den Bundesanteil
von 50 auf 66 Prozent an. Wir hatten im Vorfeld Probleme beim Kofinanzierungsanteil auf Landesebene.
({3})
Es ist jedenfalls richtig, diesen Anteil anzuheben. Der
Ansatz des Bundes soll von 15 Millionen auf 20 Millionen Euro angehoben werden. Ich hoffe, dass wir das in
den Haushaltsberatungen gemeinsam hinbekommen.
Wichtig ist, dass die Innovationen im Schiffbau von
Deutschland ausgehen. Aber wir müssen auch aufpassen, dass es uns im Schiffbau nicht so geht wie beim
MP3-Player, bei dem die Innovation erst einmal in
Deutschland ermöglicht wurde, die Produktion und das
Geldverdienen jedoch woanders stattfanden.
Lassen Sie mich noch einige Worte zum Thema
Offshore sagen. Ich denke, man kann konstatieren, dass
das eine Erfolgsgeschichte der Koalition ist. Ein Windpark nach dem anderen wird derzeit eingeweiht und
macht Deutschland Stück für Stück umweltfreundlicher.
Kaum einer hier im Haus hat das für möglich gehalten.
Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass Rechtssicherheit und Planungssicherheit für die Investoren geschaffen
werden. In diesem Zusammenhang müssen wir besonders auf die Gestaltung der Ausschreibungen achten.
Wir brauchen auch eine bedarfsgerechte Netzanbindung. Ich gebe zu: Persönlich hätte ich mir da mehr Fortschrittlichkeit in unseren Forderungen gewünscht. Das
Problem „800 Megawatt von Nord- und Ostsee zusammen“ besteht weiterhin. Ein Netzanschlusspunkt sind
450 Megawatt; 900 Megawatt wäre also die logische
Lösung des Problems auf dem Meer. Aber die Projekte,
die ab 2020 realisiert werden, sind jetzt in der Phase der
Projektierung. Deswegen müssen wir uns Gedanken darüber machen, dass die Lücke zwischen 2020 und 2025
gar nicht erst entsteht und dass wir die Planungs- und
Investitionssicherheit gewährleisten.
Wir haben zum Thema LNG eine ganze Menge Regelungen gefunden. Aber wir sollten in dieser Frage auch
bei eigenen Schiffen mit gutem Beispiel vorangehen.
({4})
Wir haben die Weiterentwicklung des nationalen Hafenkonzeptes in unserem Antrag behandelt. Sorgen wir
also gemeinsam dafür, dass unser großes Schiff „Deutsche maritime Wirtschaft“ immer mindestens eine Handbreit Wasser unter dem Kiel hat.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Als Nächstes spricht der Kollege Hans-Werner
Kammer, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch wir
hätten uns für diese maritime Debatte etwas mehr Zeit
gewünscht. Aber unser Antrag zeigt, dass wir Kurs halten
und auch Fahrt aufnehmen. Im Zusammenhang mit der
Debatte über die Autoindustrie und jetzt über die maritime Wirtschaft wird eines sehr deutlich: Die Linke und
die Grünen wollen alles schlechtreden.
({0})
Sie wollen nicht, dass wir uns in Deutschland weiterentwickeln, sondern reden alles schlecht, während wir Kurs
halten und sagen: Wir setzen auf die Innovationen von
Industrie und Wirtschaft und unterstützen sie als Große
Koalition. Wir wollen, dass Deutschland auf den Weltmeeren nicht den Anschluss verliert. Wir wollen, dass
Deutschland als maritimer Standort Spitzenklasse bleibt.
({1})
Die erfolgreichen Bemühungen der vergangenen Jahre
führen wir daher konsequent fort. Zugleich setzen wir
neue Impulse, etwa beim Maritimen Bündnis, bei der
Frage des Lohnsteuereinbehalts, beim Umweltschutz
und bei der Meerestechnologie.
Ich nehme einen Punkt heraus, nämlich LNG. Verflüssigtes Erdgas ist ein Treibstoff mit großer Zukunft.
Diesen Trend wollen und werden wir nicht verschlafen.
Deshalb fordern wir ein Förderprogramm für LNG-betriebene Schiffe, den Ausbau der entsprechenden Infrastruktur inklusive eines LNG-Terminals und die Optimierung des Rechtsrahmens für LNG.
Ein Thema, das sämtliche Vertreter der maritimen
Wirtschaft eint, ist die Infrastrukturpolitik. Gerade bei
den Hinterlandanbindungen der Seehäfen mit Bahn,
Straße und Binnenwasserstraße steht unserem Land noch
viel Arbeit bevor. Daher räumen wir der Engpassbeseitigung rund um die deutschen Seehäfen Priorität ein.
Die deutliche Steigerung der Infrastrukturausgaben wird
hier besondere Wirkung entfalten. Ich erinnere an den
Nord-Ostsee-Kanal, für den wir fast 1 Milliarde Euro
ausgeben. Herr Saathoff, an der Stelle braucht das Verkehrsministerium keine Unterstützung. Wir leisten dort
hervorragende Arbeit und sind auf einem tollen Weg.
({2})
Leider - das muss man in dieser Debatte sagen - ziehen wir in dieser Frage nicht an einem Strang. Gestern
haben Grüne und Linke im Verkehrsausschuss gemeinsam gegen die Vertiefung von Elbe und Weser gestimmt.
({3})
Das sei nicht erforderlich, sagen sie, weil der Verkehr zukünftig über Wilhelmshaven abgewickelt werden könnte.
({4})
Ich kenne Wilhelmshaven etwas besser als die meisten in
diesem Saal, und ich kann Ihnen sagen: Der JadeWeserPort kann sehr viel; aber er kann nicht Bremerhaven und
Hamburg ersetzen. Auch das müsste klar sein.
({5})
Von einer unzureichenden Anbindung Hamburgs und
Bremerhavens würden vor allem niederländische Häfen
profitieren. Das hätte fatale Konsequenzen für die mariJohann Saathoff
time Wirtschaft in Deutschland. Sie müssen sich fragen,
ob Sie das wollen.
({6})
Gleiches gilt übrigens für die Blockadehaltung der
niedersächsischen Grünen, die dem Infrastrukturausbau
im Hafenhinterland regelmäßig im Weg stehen. Niedersachsen ist ein Schlüsselland für die Durchleitung der
Verkehre. Solch ein ideologisch begründeter Stillstand
schadet der Branche; denn in der Schifffahrt gilt: Wer
den Motor stoppt, wird abgetrieben. Gut, dass die Verantwortung in diesem Bereich beim Bund, also in unseren
Händen, liegt.
Frau Wilms, zu Ihrem Antrag, das Amt des Maritimen
Koordinators vom Wirtschaftsministerium ins Verkehrsministerium zu verlagern, hat der Kollege Kruse schon
etwas gesagt. Ich freue mich, dass Sie ein solch großes
Vertrauen in das Bundesverkehrsministerium, den Minister und seine Staatssekretäre setzen. Das ist absolut
gerechtfertigt. Dieses Vertrauen habe ich in manchen
Debatten bei Ihnen bisher nicht feststellen können; aber
man lernt ja dazu. Ich finde das klasse.
({7})
Es ist aber zu bezweifeln, dass diese Maßnahme der
maritimen Wirtschaft wirklich hilft. Sie zählen in Ihrem
Antrag zahlreiche maritime Themen auf, die im Verkehrsministerium federführend bearbeitet werden. Fast
alle Ministerien arbeiten dem Maritimen Koordinator
zu, sei es im Bereich der Offshorewindkraft, sei es beim
Lohnsteuereinbehalt. Nahezu jedes Bundesministerium
befasst sich regelmäßig mit maritimen Fragen. Folglich
braucht es einen Koordinator, der die Arbeit der Ministerien zusammenführt. Die Frage, wo sein Schreibtisch
steht, ist nicht entscheidend. Die maritime Branche hat
drängendere Probleme. Daher lehnen wir Ihren kleinkarierten - so bezeichne ich ihn - Antrag ab.
Es ist der Antrag der Koalition, der die maritime Wirtschaft voranbringen wird. In der nächsten Woche wird
von der Maritimen Konferenz ein deutliches Zeichen für
den maritimen Standort Deutschland ausgehen. Da bin
ich absolut sicher.
Herzlichen Dank.
({8})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Dr. Philipp Murmann für die CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als geborener Kieler möchte ich darauf hinweisen,
was für ein Netzwerk die maritime Wirtschaft eigentlich
bedeutet. In Kiel werden U-Boote mit Brennstoffzellentechnik gebaut; das ist einmalig in der Welt. Vor zwei
Wochen ging die „Sailing Yacht A“ in die erste Testphase; das ist das größte Segelschiff, das neu gebaut wird.
Es ist 143 Meter lang, 25 Meter breit und hat 100 Meter
hohe Karbonmasten. Es soll einmal besondere Segelgäste
aufnehmen. Auch dieses Schiff wurde auf einer Werft in
Kiel gebaut. Wir haben einen Hafen, in dem viele Kreuzfahrer anlegen. Wir haben zahlreiche mittelständische
Unternehmen im technischen Bereich, von Sonartechnik
bis Signaltechnik für Schiffe. Wir haben ein Gleisnetz,
das an den Hafen angeschlossen ist, und wir haben mit
GEOMAR ein Forschungsinstitut, das Meeres- und Klimaforschung betreibt und auch im Tiefseebergbau einiges macht. Das soll nur einmal zeigen, wie umfangreich
der maritime Bereich ist.
Das gilt nicht nur für den Standort Kiel; das Gleiche
könnte man über Lübeck, Rostock, Bremen und Bremerhaven sagen. Es gibt bei uns zahlreiche maritime Zentren, nicht nur im Norden, sondern auch im Süden, etwa
in Friedrichshafen oder in Nürnberg. Dort gibt es genauso viele Kapazitäten, genauso viel Know-how und Wertschöpfung. Man kann also sagen, dass es sich nicht um
eine norddeutsche, sondern um eine nationale Aufgabe
handelt, so gerne ich Norddeutschland auch hier vertrete.
Deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn sich vielleicht
auch der eine oder andere Süddeutsche in diese Debatte
einbringen würde.
Wir haben noch eine ganze Menge zu tun; denn es gibt
hier ein Wahrnehmungsdefizit. Deshalb, Herr Beckmeyer,
würde ich Sie bitten, ein bisschen mehr Dynamik in die
maritime Wirtschaft zu bringen. Jedem Euro für die maritime Wirtschaft entsprechen 16 Euro für die Luft- und
Raumfahrt; das Verhältnis ist noch nicht ausgegoren. Insofern müssen wir, denke ich, da noch angreifen, noch
mehr für die maritime Wirtschaft arbeiten.
({0})
Warum müssen wir das tun? Die maritime Wirtschaft
befindet sich in einem der globalsten Wettbewerbe, den
die deutsche Wirtschaft zu bestehen hat. Die Wettbewerber kommen aus Korea, aus China, aus Japan und natürlich auch aus Europa. Wir sind in einem Wettbewerb um
Subventionen; auch das muss man sagen.
Lieber Herr Behrens, den Lohnsteuereinbehalt machen wir ja nicht, weil wir es lieben, uns solchen Themen
anzunähern - das kann ich gerade für die CDU sagen -,
aber wenn Sie mit Ihren Verdi-Kollegen sprechen, dann
werden Sie feststellen, dass gerade die das fordern.
({1})
Wir machen das auch deswegen, um unseren Seeleuten,
für die Sie ja gesprochen haben, im Kostenwettbewerb
die Chance zu geben, ihr Patent ausfahren zu können; das
können sie sonst nämlich nicht. Nur deswegen haben wir
uns auf diese Sache eingelassen.
({2})
Ich denke, das ist eine gute Lösung. Es ist wichtig, dass
wir das so hinbekommen haben.
({3})
Aus meiner Sicht müssen wir vier Dinge tun: Wir
müssen erstens dafür sorgen, dass es in vielen Bereichen
ein Level-Playing-Field gibt. Dafür ist noch mehr Einsatz in der IMO notwendig. Gerade wir Europäer müssen uns zusammentun, um die Standards hochzuhalten,
müssen aber sicherlich auch noch gemeinsam mit Bund
und Ländern arbeiten. Insofern bin ich den Mitgliedern
des Haushaltsausschusses sehr dankbar, die es jetzt in
der zweiten Runde des Haushalts geschafft haben, einige Themen voranzubringen. Auch der Dank an das Verkehrsministerium, das ISETEC-Projekt wieder auf die
Schiene gehoben zu haben, sodass es uns nicht verloren
geht. Da haben wir doch einiges geschafft. Vielen Dank
allen, die dazu beigetragen haben.
({4}) - Eckhardt Rehberg [CDU/
CSU]: Sonst wäre das tot!)
Wir müssen zweitens das Fördern angehen. Der Lohnsteuereinbehalt ist ein Thema, ISETEC sicherlich ein anderes. Auch LNG wurde angesprochen. Hier müssen wir
zunächst staatlich fördern, weil wir erst einmal genügend
Masse hineinbringen müssen. Ich hoffe, dass wir dann zu
einer wirtschaftlichen Lösung kommen, damit die Unternehmen, die da jetzt Geld hineinstecken, am Ende Erfolg
damit haben.
({5})
Drittens ist es ganz besonders wichtig, die Systemfähigkeit in Deutschland zu erhalten. Das gilt nicht nur für
den Marinebereich, aber auch da, im Überwasserschiffbau. Ein Schiff ist eben ein komplexes System. Es besteht aus Stahl, aber auch aus sehr viel Elektronik. Alles
muss exakt aufeinander abgestimmt sein. Da müssen
große Projekte gemanagt werden, um die Systemfähigkeit zu erhalten. Das müssen wir weiterhin vorantreiben
und uns dafür einsetzen.
Vierter und letzter Punkt - darüber wurde schon viel
gesprochen -: Infrastruktur. Auch daran müssen wir
weiterarbeiten. Beim Nord-Ostsee-Kanal sind wir ganz
gut vorangekommen, die Elbevertiefung steht noch aus.
Offshore ist ein wichtiges Thema; Sie haben es angesprochen. Die Netzanbindung und all diese Dinge müssen vorangetrieben werden. Wir haben es sehr begrüßt, dass das
Verkehrsministerium mit großer Priorität an dem Hafenkonzept arbeitet.
Deutschland ist eine Schifffahrtsnation, meine Damen
und Herren. Wir wollen dafür sorgen, dass das auch so
bleibt. Meine Vorfahren waren Wikinger, nehme ich jedenfalls an. Die hatten auch schon eine ganze Menge Ahnung vom Maritimen; denn sie wussten schon: Den Wind
können wir nicht bestimmen, aber die Segel können wir
richtig setzen. - Mit unserem Antrag haben wir die Segel
gut gesetzt, denke ich. Insofern bitte ich Sie, dem Antrag
zuzustimmen.
Vielen Dank.
({6})
Damit schließe ich die Aussprache, und wir kommen
zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6328 mit dem
Titel „Die maritime Wirtschaft stärken und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben“. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist
damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 b und 25 c. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
18/5764 sowie 18/6347 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind, weil es keinen Widerspruch
gibt. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem
Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der
Verordnung ({0}) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgesetzes
Drucksache 18/5321
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll von Nagoya vom 29. Oktober
2010 über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden
Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt
Drucksache 18/5219
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
({1})
Drucksache 18/6384
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll
liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Das ist somit beschlossen.
Deshalb eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita
Schwarzelühr-Sutter das Wort für die Bundesregierung.
({2})
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Biologische Vielfalt ist wertvoll. Das ist ein
Schatz. Die Natur ist nicht nur Grundlage für unsere
Existenz und alles menschliche Leben - sie ist auch eine
geradezu unerschöpfliche Quelle für neue Ideen und Innovationen. Häufig sind Pflanzen, Tiere und andere Lebewesen - als genetische Ressourcen - Grundlage für
neue Produkte. So wird aus einer Heilpflanze ein neues
Medikament, ein neu entdecktes Enzym wird zum Ausgangspunkt für ein biotechnologisches Verfahren, und
wilde Pflanzen werden zu neuen Pflanzensorten oder
Kosmetikprodukten entwickelt.
Diese Zusammenhänge hatte die internationale Staatengemeinschaft vor Augen, als sie 1992 auf der Konferenz in Rio das Übereinkommen über die biologische
Vielfalt, die sogenannte CBD, beschloss. Die CBD hat
drei Ziele: die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die
nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile aus der
Nutzung von genetischen Ressourcen. Dieses dritte Ziel
der CBD erlaubt es biodiversitätsreichen Ländern, auch
wirtschaftlich davon zu profitieren, dass sie biologische
Vielfalt schützen und bewahren. Hier wird das Phänomen
der Biopiraterie bekämpft: Wer auch immer Forschung
und Entwicklung an solchen genetischen Ressourcen betreibt, hat dies mit dem Land zu vereinbaren, aus dem
die Ressource stammt. Vorteile aus der Nutzung werden
geteilt.
({3})
Um das dritte Ziel der CBD umzusetzen, hat die internationale Staatengemeinschaft 2010 in Japan, in Nagoya,
das Nagoya-Protokoll beschlossen. Es konkretisiert
dieses Ziel des Übereinkommens und setzt klare internationale Regeln für den Zugang zu genetischen Ressourcen, für ihre Nutzung und für den Vorteilsausgleich.
Das Nagoya-Protokoll ist auch ein Erfolg der deutschen
CBD-Präsidentschaft von 2008 bis 2010. Denn auf der
9. Vertragsstaatenkonferenz der CBD 2008 in Bonn hat
Deutschland - unter dem damaligen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel - den Grundstein für dieses völkerrechtliche Verbot der Biopiraterie gelegt.
2014 hat die Europäische Union eine Verordnung
beschlossen, die das Nagoya-Protokoll umfassend und
wirksam in europäisches Recht umsetzt. Die heute vorgelegten Gesetze sorgen - gemeinsam mit der europäischen
Verordnung - dafür, dass Deutschland das Nagoya-Protokoll umsetzt und ratifizieren kann. Der Biopiraterie
wird somit wirksam ein Riegel vorgeschoben. Das Bundesamt für Naturschutz wird zukünftig kontrollieren, ob
sich Nutzer von genetischen Ressourcen an die Gesetze
von Herkunftsländern halten.
Mit dieser Umsetzung des Nagoya-Protokolls erweist
sich Deutschland erneut als zuverlässiger Partner und
treibende Kraft in der internationalen Naturschutzpolitik.
Diese Umsetzung ist gerade für die Entwicklungsländer
von großer Bedeutung. Das Abholzen von wertvollen
Tropenwäldern und die Ausbeutung von anderen Ökosystemen erscheinen dort häufig kurzfristig verlockend und
profitabel, zerstören aber langfristig unsere gemeinsame
Lebensgrundlage. Hier hilft das Nagoya-Protokoll; denn
es trägt dazu bei, biologische Vielfalt in Wert zu setzen,
und bietet so einen starken wirtschaftlichen Anreiz für
den Naturschutz weltweit. Naturschutz wird zur wirtschaftlichen Alternative.
Die Umsetzung des Nagoya-Protokolls nimmt auch
den Privatsektor in die Verantwortung. Wenn zum Beispiel ein Wirtschaftsunternehmen Naturgüter nutzt, Produkte daraus entwickelt und davon auch wirtschaftlich
profitiert, dann muss dieses Unternehmen auch zur Erhaltung dieser Naturgüter beitragen.
Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir
kommenden Generationen denselben Reichtum an biologischer Vielfalt hinterlassen, den wir geerbt haben. Wer
die Natur erforscht und von ihr profitiert, der muss sie
auch schützen. So leistet das Nagoya-Protokoll einen
wertvollen Beitrag für die nachhaltige Entwicklung. Ich
denke, es ist ein gutes Zeichen, dass wir das Nagoya-Protokoll in diesem Jahr nach der Nachhaltigkeitskonferenz
in New York ratifizieren können.
Ich möchte mich ganz herzlich auch für die gute Zusammenarbeit mit den Parlamentariern bedanken.
Vielen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Menz für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Liebe Gäste! Es war ein hartes Ringen, bis sich die
193 Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention auf die
Verabschiedung des Nagoya-Protokolls einigen konnten.
Auf Drängen der Entwicklungsländer wurde 2010 mit
dem völkerrechtlich verbindlichen Protokoll das dritte
große Ziel der Konvention - der faire Ausgleich von Vorteilen, die durch die Nutzung und Kommerzialisierung
genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens erlangt werden - endlich umgesetzt.
Lassen Sie mich eines klarstellen: Wir begrüßen ganz
ausdrücklich die Ratifizierung des Nagoya-Protokolls.
({0})
Begründung: weil es einen entscheidenden Beitrag zum
Schutz der Artenvielfalt und zu mehr Gerechtigkeit leistet.
Gerade weil uns die Wirksamkeit des Protokolls am
Herzen liegt, ist uns der vorliegende Gesetzentwurf
zu dessen nationaler Umsetzung nicht gut genug. Wir
lehnen ihn deshalb in der bestehenden Form ab. Der
deutsche Gesetzentwurf schafft weder für die Grundlagenforschung noch für die Wirtschaft ausreichende
Rechtssicherheit. Das ist ein großes Problem.
Wenn der Gesetzentwurf Forschung und Innovation
nicht hemmen soll, muss vor allem die nichtkommerzielle Grundlagenforschung mit Informations- und Beratungsangeboten unterstützt werden.
({1})
Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
Das Bundesamt für Naturschutz als zuständige Behörde
sagt schon jetzt, dass mit den vorhandenen Stellen weder eine solche Beratung noch - viel schlimmer; ich zitiere - „ein völker- und europarechtskonformer Vollzug
von Nagoya-Protokoll und europäischer Verordnung“
gewährleistet werden kann. Das darf nicht sein.
({2})
Die Linke fordert deshalb, die notwendigen Planstellen
zu schaffen, und hat einen entsprechenden Antrag für die
Haushaltsdebatte verfasst.
({3})
Auch die geforderten Offenlegungspflichten gehen
nicht weit genug, um dem Patentamt eine wirkungsvolle Kontrolle zu ermöglichen. Hier muss dringend nachgebessert werden: Statt „Angaben zum geographischen
Herkunftsort“ muss ein Nachweis über den legalen Zugang zu den genetischen Ressourcen verlangt werden.
Fehlende Angaben würden zur Konsequenz haben, dass
ein Patentgesuch nicht weiter verfolgt wird. Außerdem
muss auch hier neben den genetischen Ressourcen traditionelles Wissen explizit einbezogen werden.
Das gravierendste Problem aber ist, dass der Gesetzentwurf Unklarheiten gerade da schafft, wo Klarheiten
unbedingt erforderlich sind, nämlich bei der kommerziellen Nutzung. Es stimmt: Die Definition von „Nutzung“
und „Nutzer“, die die EU-Verordnung zugrunde legt, ist
hier wenig hilfreich. Die Bundesregierung hätte aber
durchaus genug Spielraum gehabt, hier eine Verbesserung vorzunehmen. Spanien macht uns das vor. Der spanische Gesetzentwurf sieht vor, dass bei Missachtung der
Sorgfaltspflichten die sofortige Aussetzung nicht nur der
Nutzung genetischer Ressourcen, sondern explizit auch
der Kommerzialisierung verfügt werden kann. Mit diesen Vorschriften kann also direkt in die illegale Vermarktung eingegriffen werden.
Um es klar zu sagen: Der deutsche Gesetzentwurf
verhindert nicht, dass deutsche Patente vergeben werden
können, die auf illegalem Zugang oder der unrechtmäßigen Nutzung von genetischen Ressourcen und damit verbundenem traditionellem Wissen beruhen. Er verhindert
ebenso wenig die Vermarktung von Produkten, die aus
illegaler Forschung und Entwicklung entstehen. Einer
der Sachverständigen hat dies als „im entwicklungspolitischen Kontext nur schwer vermittelbar“ bezeichnet. Ich
bezeichne das als ungerecht und unverantwortlich.
({4})
Vor nicht einmal drei Wochen hat die Welt sich in
New York auf eine umfassende Armuts-, Entwicklungsund Umweltagenda geeinigt. Ein zentraler Erfolg dieser
Agenda war, dass sie für alle gilt und dass alle dazu aufgefordert werden, zu handeln. Dieses neue gemeinsame
Handeln soll von einem neuen Miteinander begleitet
werden, der globalen Partnerschaft. Dabei geht es nicht
darum, mehr Verantwortung auf die Entwicklungsländer
abzuschieben, sondern es geht um Gerechtigkeit und gegenseitiges Vertrauen. Was hat das nun mit der heutigen
Abstimmung zu tun? Nicht einmal drei Wochen nach der
Unterzeichnung dieser Agenda soll der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschieden, das geeignet ist, das
Vertrauen von Entwicklungs- und Schwellenländern in
die Verlässlichkeit der Industriestaaten zu beschädigen;
denn die Verlässlichkeit, so legt es der Entwurf nahe,
könnte sehr schnell dort enden, wo der Profit beginnt.
Das wäre ein falsches Zeichen.
({5})
Das können wir nicht unterstützen. Wir brauchen ein
Gesetz, dass das Nagoya-Protokoll im Sinne des Schutzes unserer Umwelt und im Sinne der Gerechtigkeit bestmöglich umsetzt. Was Sie uns hier anbieten, ist schlichtweg nicht gut genug.
Vielen Dank.
({6})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. KlausPeter Schulze.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ratifizierung
und Umsetzung des Protokolls von Nagoya ist auf den
ersten Blick nur etwas für den am Artenschutz interessierten Feinschmecker, aber bei näherem Hinsehen wird
die weitreichende naturschutz- und entwicklungspolitische Bedeutung dieses Themas deutlich. Die vorliegenden Gesetzentwürfe zur Ratifizierung und zur Umsetzung des Protokolls in Deutschland sind der erfolgreiche
Abschluss eines Jahrzehnte währenden Diskussions- und
Verhandlungsprozesses. Daher ist die heutige Verabschiedung beider Gesetzentwürfe ein historischer Moment und unterstreicht Deutschlands führende Rolle in
der internationalen Naturschutzpolitik.
Das Protokoll - darauf hat die Staatssekretärin schon
hingewiesen - ist im Wesentlichen während der deutschen Präsidentschaft zwischen 2008 und 2010 federführend bearbeitet, unter der Mitwirkung vieler einzelner
Mitgliedstaaten vorbereitet und entsprechend unterzeichnet worden.
Worum geht es beim Protokoll von Nagoya? Es regelt den Zugang zu den genetischen Ressourcen und die
ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile, die
sich aus ihrer Nutzung ergeben. Es setzt das dritte Ziel
der CBD um, schafft einen verlässlichen internationalen
Rahmen für den Umgang mit genetischen Ressourcen
und einen ökonomischen Anreiz für die Erhaltung der
biologischen Vielfalt. Es ist ein Instrument zur Verhinderung der Biopiraterie, gibt den Entwicklungs- wie auch
den Nutzerländern einen verlässlichen Rahmen bei der
Nutzung genetischer Ressourcen. Es trägt dazu bei, den
Wert biologischer Vielfalt bei der Herstellung neuartiger
Produkte besser zu berücksichtigen und setzt wirtschaftliche Anreize für die Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Natur. Länder mit hoher biologischer Vielfalt
sollen auch wirtschaftlich davon profitieren, dass sie
Lebensräume und Arten schützen und erhalten. Es soll
gewährleistet sein, dass Forscher die Gesetze der Herkunftsländer respektieren und für ihre Forschung nur
biologisches Material nutzen, das im Herkunftsland legal
erlangt wurde. Durch die In-Wert-Setzung genetischer
Ressourcen wird ein starker Anreiz für den Natur- und
Artenschutz weltweit gesetzt. Es kann ein Beitrag zum
Schutz der Lebensgrundlagen der indigenen Völker sein,
wenn es gelingt, dass die Nationalstaaten die Vorteile,
die sie erhalten, auch an die jeweiligen indigenen Völker
weitergeben.
Den Wert der biologischen Vielfalt und den wirtschaftlichen Nutzen von Ökosystemen und der darin beheimateten Pflanzen und Tiere haben wir Menschen frühzeitig
erkannt. Bis zum Inkrafttreten des Protokolls am 12. Oktober 2014 hatten jedoch die Herkunftsstaaten, zumeist
Entwicklungsländer, keinerlei Vorteile aus der Nutzung
ihrer genetischen Ressourcen, und es verstärkten sich
mehr und mehr die Forderungen nach einem Einschreiten gegen die schon erwähnte Biopiraterie und den Raubbau an biologischer Vielfalt in solchen Ländern. Nicht
erst seit dem Wirken des wohl berühmtesten deutschen
Biopiraten, Alexander von Humboldt, profitiert auch
Deutschland vom Nutzen der Ressourcen anderer Länder, sei es für die Entwicklung von neuen Medikamenten
aus Heilpflanzen, für die Kosmetikproduktion oder für
innovative Erzeugnisse der Biotechnologie.
Das Nagoya-Protokoll wurde infolge der am 5. Juni
1992 in Rio de Janeiro unterzeichneten Biodiversitätskonvention nach einem langen und schwierigen Verhandlungsprozess am 29. Oktober 2010 in Nagoya beschlossen und setzt erstmals international verbindliche
Standards für den Umgang mit genetischen Ressourcen
und fördert so Transparenz und Rechtssicherheit.
Deutschland hat das Protokoll am 23. Juni 2011 unterzeichnet und der Wille, es zu ratifizieren, ist im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD festgehalten.
Parallel zur 10. CBD-Vertragsstaatenkonferenz in Pyeongchang, an der ich zusammen mit meinem Kollegen
Carsten Träger teilnehmen konnte - das hat genau vor
einem Jahr stattgefunden -, fand auch das erste Treffen
der Vertragsparteien zum Nagoya-Protokoll statt, bei
dem weitreichende Entscheidungen für die internationale Fortentwicklung des Protokolls getroffen wurden.
Auf europäischer Ebene wurde das im April 2014 mit der
Verordnung ({0}) Nr. 511/2014 geregelt. Die Bundesregierung hat in der Kabinettssitzung am 29. April dieses
Jahres die vorliegenden Gesetzentwürfe gebilligt.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit hat in seiner Sitzung am 14. Oktober
2015 den Gesetzentwürfen zugestimmt, nachdem am
30. September 2015 hierzu eine öffentliche Anhörung
stattgefunden hat. Die Anhörung im Umweltausschuss
hat noch einmal die gesamte Bandbreite der Wirkung des
Protokolls von Nagoya verdeutlicht und aufgezeigt, wie
anspruchsvoll die Umsetzung in Deutschland in Verantwortung durch das Bundesamt für Naturschutz als zuständige Vollzugsbehörde sein wird und welche Auswirkungen dies für Wissenschaft und Forschung und für die
Wirtschaft haben kann. Das Bundesamt wird aber nicht
nur für den Vollzug der Bestimmungen des Protokolls
von Nagoya verantwortlich sein, sondern soll etwa 600
zu erwartende Nutzer beraten und informieren, insbesondere aus der Pharmazie, der Kosmetikindustrie, der
Biotechnologie, Pflanzenzucht und Gartenbau und natürlich aus dem Bereich der nichtkommerziellen Grundlagenforschung. Auch die Überprüfung der erwarteten
etwa 750 Anträge von Sammlungen zur Aufnahme in das
EU-Register gehört zu dieser Aufgabe.
Aufgrund der Vielzahl von Aufgaben wird für das
Bundesamt für Naturschutz mit zusätzlichem Personalbedarf gerechnet. Im Gesetzentwurf spricht das zuständige Ministerium von insgesamt 16 Stellen. Zunächst
einmal sind für das Haushaltsjahr 2016 3 Stellen vorgesehen. Wir haben gemeinsam mit den Sozialdemokraten
mit einem Entschließungsantrag darauf hingewirkt, dass
zu gegebener Zeit eine Analyse der Anträge erfolgt, geprüft wird, wie hoch der Antragsberg ist, wie die Abarbeitung erfolgt. Auf Grundlage dieser Analyse hat ein
Aufwuchs in den Folgejahren beim Personal zu erfolgen.
Für uns als Fraktion gilt: Wir wollen keinen Papiertiger
als Gesetz haben, aber wir wollen auch keine überbordende Bürokratie. Deshalb ist eine ständige Analyse der
Anträge, die dem Bundesamt für Naturschutz vorliegen,
dringend erforderlich. Wir werden als Gesetzgeber auch
in den nächsten Jahren darauf achten, dass das entsprechend umgesetzt wird.
({1})
Derzeit ist die EU-Kommission dabei, sogenannte
Guidance-Dokumente zu erarbeiten, die eine genauere
Erläuterung von Schlüsselbegriffen regeln sollen. Das
ist, glaube ich, das, was die Kollegin der Linken angesprochen hat. Wir gehen davon aus, dass, wenn diese Dokumente vorliegen, durch das Bundesamt entsprechende
praxistaugliche Formen der Veröffentlichung vorgenommen werden, damit Rechtssicherheit für alle Beteiligten
geschaffen werden kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mittlerweile haben 62 Staaten das Protokoll ratifiziert, darunter die
Europäische Union und die EU-Mitgliedstaaten Kroatien, Dänemark, Ungarn und Spanien. Deutschland wird
nunmehr als fünftes EU-Land die Ratifizierung vornehmen. Es zeigt sich wieder, dass wir international ein zuverlässiger Partner sind.
Ich glaube aber, dass wir mit der Verabschiedung der
Gesetze am heutigen Tag noch nicht am Ziel angekommen sind. Ich hatte heute Vormittag die Möglichkeit,
mit Kollegen aus dem Umweltausschuss ein Gespräch
mit der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen
für die Rechte indigener Völker zu führen. Frau Victoria
Tauli-Corpuz hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass
die Vereinbarung zum Vorteilsausgleich zwischen den
Nationalstaaten nur die eine Seite ist, auf der anderen
Seite muss dafür gesorgt werden, dass die Mittel vor Ort
ankommen. Man muss zukünftig daran arbeiten, dass die
Vorteile aus der Vereinbarung tatsächlich bei den Indigenen ankommen und für den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen genutzt werden können. Deutschland muss in den
verschiedenen Gremien, in denen es vertreten ist, entsprechenden Druck aufbauen.
Ein zweiter Punkt. Leider treten nicht alle Staaten dem
Nagoya-Protokoll bei. Wenn ein so großes Industrieland
wie die USA sich dem bisher verschließt, dann ist das für
unsere mittelständische Wirtschaft nicht gut; denn sie ist
auf faire Wettbewerbsbedingungen angewiesen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Steffi Lemke,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Worum geht
es bei diesem Nagoya-Protokoll, einem Begriff, der sich
nicht von alleine erschließt? Es geht um globale Gerechtigkeit. Es geht darum, die wirtschaftlichen Vorteile auszugleichen, die hauptsächlich Industriestaaten aus
der Nutzung genetischer Ressourcen oder traditionellen
Wissens oft aus Staaten der Erdteile Afrika und Südamerika ziehen, indem dort auf dieser Grundlage Produkte entwickelt und vermarktet werden. Das Anliegen
des Nagoya-Protokolls, einen Gerechtigkeitsausgleich
zwischen den reichen Industriestaaten und den ärmeren
Staaten bzw. den Menschen, die in diesen Regionen leben, zu schaffen, unterstützen hoffentlich wir alle hier im
Haus unisono. Insofern werden wir dem Gesetzentwurf
zur Ratifizierung des Nagoya-Protokolls heute auch zustimmen. Aber dann ist auch Schluss mit lustig.
Denn: Das, was Sie mit der nationalen Übersetzung
des Nagoya-Protokolls, mit Ihrem Gesetzentwurf heute
hier im Deutschen Bundestag, anrichten, ist das Gegenteil von dem, was im Nagoya-Protokoll gefordert wird.
({0})
Sie alle von der Großen Koalition, die Sie hier sitzen,
wissen das auch; denn das haben Ihnen Ihre eigenen
Sachverständigen in der Anhörung des Umweltausschusses so um die Ohren gehauen, dass die Schwarte
kracht. Sie haben Ihnen in der Anhörung des Umweltausschusses nicht gesagt: Da ist irgendwie etwas falsch;
das könnte man besser machen. - Stattdessen haben sie
Ihnen gesagt: Das widerspricht dem Geist, der Intention
des Nagoya-Protokolls ganz grundsätzlich. - Damit wird
Biopiraterie, das heißt die Ausbeutung von Ressourcen in
armen Ländern, eben nicht beendet und nicht reduziert.
Sie als Bundesregierung führen nahtlos die Strategie fort,
die in den letzten Jahren diesbezüglich von einzelnen Firmen und Staaten gefahren worden ist.
Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf - genauso wie in
der EU-Verordnung, die mit tatkräftiger deutscher Unterstützung zustande gekommen ist - eine doppelte Unterteilung vorgenommen. Das heißt, Sie trennen Forschung
und Entwicklung von der Vermarktung von Produkten.
Und dann regeln Sie die Sache so, dass deutsche Pharmaunternehmen - Herr Göppel, stellen Sie sich vor,
Sie verträten ein deutsches Pharmaunternehmen - nicht
anmelden müssen, wenn sie bei der Forschung und Entwicklung solche genetischen Ressourcen nutzen. Das
kriegt vermutlich keiner mit, weil man es eben nicht
melden muss. Man muss die Nutzung solcher Ressourcen erst dann anmelden, wenn das Produkt kurz vor der
Vermarktung steht. Dann wird die Nutzung der Ressourcen zwar angemeldet, aber die Vermarktung nicht mehr
sanktioniert. Das heißt, das, was nicht angemeldet wird,
könnte rein theoretisch sanktioniert werden. Man muss
erst einmal darauf kommen, ein völkerrechtliches Abkommen, das jahrelang verhandelt worden ist, auf eine
solche Art und Weise zu unterminieren und ad absurdum
zu führen.
({1})
Damit werden Sie die Vermarktung von illegal erworbenen Ressourcen eben nicht stoppen können.
Es kommt hinzu - Frau Staatssekretärin, deshalb habe
ich bei Ihrer Rede einen Einwurf gemacht -, dass Sie
Forschung aus Privatmitteln und die Forschung aus öffentlichen Mitteln unterschiedlich behandeln. Das heißt,
wenn privat geforscht wird, dann ist das gemäß Ihrem
Gesetzentwurf nicht meldepflichtig; es ist also schlichtweg falsch, wie Sie es dargestellt haben. Meldepflichtig
ist nur Forschung aus öffentlichen Mitteln oder wenn
mit Drittmitteln geforscht wird. Aber ein privates Unternehmen, das mit rein privaten Mitteln forscht, muss
die Forschungsaktivität nicht einmal melden. Das ist
das Gegenteil dessen, was im Nagoya-Protokoll in Artikel 8 Buchstabe a gefordert wird. Dort wird ausdrücklich gefordert, dass es „vereinfachte Maßnahmen“ für
die „nicht kommerzielle“ Forschung geben soll, weil es
für unsere Gesellschaft wichtig ist, dass Pflanzen und
genetische Ressourcen zum Nutzen des Gemeinwesens
erforscht werden und dieses Wissen der Allgemeinheit
zur Verfügung gestellt wird. An dieser Stelle führen Sie
zusätzliche Bürokratie ein. Ich bin eigentlich immer für
Stellen im Bundesamt für Naturschutz, aber sie müssen
Sinn machen. Die Stellen, die entstehen sollen, werden
die öffentliche Forschung bürokratischer gestalten; es ist
absurd, was Sie da veranstalten.
({2})
Es gibt einen dritten gravierenden Fehler in Ihrem Gesetzentwurf und in der EU-Verordnung; denn eine große
Zahl der genetischen Ressourcen wird dadurch überhaupt
nicht erfasst. Es wird das erfasst, was ab dem Zeitpunkt
des Inkrafttretens des Nagoya-Protokolls bzw. der Umsetzung auf EU-Ebene und in Deutschland genutzt wird.
Das heißt, all die Ressourcen, die in den letzten Jahren
gesammelt worden sind, die sich in öffentlichen oder
privaten Sammlungen befinden, werden hier überhaupt
nicht erfasst.
Meine Bitte ist - ich will hier ja nicht nur Kritik üben;
wobei das bei diesem Thema wirklich schwierig ist -:
Nehmen Sie die Kritik Ihrer eigenen Sachverständigen
aus der Anhörung im Umweltausschuss ernst. Verhandeln
Sie auf europäischer Ebene nach, damit möglichst bald
eine neue EU-Verordnung auf den Weg gebracht werden
kann. Dann können wir hier über einen Gesetzentwurf
verhandeln, der tatsächlich versucht, das Nagoya-Protokoll umzusetzen; was ohnehin schwierig genug ist. Sie
schaden mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf dem
Vorteilsausgleich zwischen armen und reichen Staaten.
Danke.
({3})
Der Kollege Carsten Träger spricht jetzt für die SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte einen anderen Akzent setzen. Betrachte ich die Entwicklung der letzten beiden Jahre,
so scheint mir, dass die Weltgemeinschaft gerade noch
rechtzeitig zur Besinnung kommt. Trotz der aktuellen
internationalen Krisen bleibe ich dabei: Gerade in den
letzten Monaten gelingen im Bereich Klima- und Naturschutz beachtliche internationale Erfolge: Der Nachhaltigkeitsgipfel in New York ist gerade hoffnungsvoll
zu Ende gegangen, für den Klimagipfel in Paris gibt es
positive Aussichten, auch weil der G-7-Gipfel von Elmau in diesem Sommer schon gute Signale gesetzt hat,
und bereits im letzten Jahr trat das Nagoya-Protokoll in
Kraft, eine zentrale Säule des Übereinkommens über den
Erhalt der biologischen Vielfalt, vom Umfang und vom
Anspruch her das umfassendste internationale Naturschutzabkommen.
Die drei großen Ziele des Nagoya-Protokolls wurden
schon genannt: die Erhaltung biologischer Vielfalt, die
nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und die gerechte
Aufteilung der Vorteile, die aus der Nutzung genetischer
Ressourcen erzielt werden. Ein Beispiel: Eine seltene
wertvolle Pflanze in einem Land, meist einem Entwicklungsland, wird von einem Unternehmen, meist in einem
Industrieland, genutzt, um ein Medikament oder ein
Kosmetikprodukt auf den Markt zu bringen. Weder wurde das Herkunftsland um die Zustimmung zur Nutzung
gebeten, noch werden die Gewinne irgendwie mit dem
Herkunftsland geteilt. Das nennen wir Biopiraterie, und
im Nagoya-Protokoll geht es darum, diese zu bekämpfen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den Erhalt der
biologischen Vielfalt ist es unerlässlich, dass Entwicklungsländer auch wirtschaftlich davon profitieren, Lebensräume und Arten zu schützen. Dieser ökonomische
Anreiz wird mit dem Protokoll gesetzt.
Der zweite Aspekt ist auch ganz wichtig: Das schafft
Vertrauen in der Zusammenarbeit zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern. Wir wissen längst,
dass wir zum Beispiel beim Klimaschutz auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern angewiesen sind. Aber wie soll das gelingen, wenn
der reiche Norden die ärmsten Staaten ihrer Ressourcen
beraubt?
Deshalb begrüße ich es sehr, dass Deutschland eine
glaubwürdige Vorreiterrolle in der internationalen Naturschutzpolitik eingenommen hat, gerade auch mit Blick
auf die mitunter sehr, sehr schwierigen Verhandlungen
zum Nagoya-Protokoll. Wir müssen einfach zur Kenntnis
nehmen, Frau Lemke, dass wir hier über das Ergebnis
eines mehrjährigen, um nicht zu sagen: langjährigen Verhandlungsprozesses sprechen, weil die unterschiedlichsten Interessen zum Teil diametral zueinander standen. Ich
selbst durfte bei der letzten Konferenz in Südkorea dabei
sein und kann bestätigen, wie schwierig diese Verhandlungen waren und welch hohes Ansehen Deutschland in
diesen Fragen deshalb genießt.
Mit den heutigen Beschlüssen ermöglicht der Bundestag den deutschen Beitrag zum Nagoya-Protokoll und
wird damit auch in dieser Hinsicht als einer der ersten
EU-Staaten der internationalen Vorreiterrolle gerecht.
Es wurde schon gesagt: Das Bundesamt für Naturschutz
wird zukünftig kontrollieren, ob in Deutschland die Regeln zu Zugang und Vorteilsausgleich in den Herkunftsländern eingehalten werden.
Mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen
haben wir den Sorgen, die in der letzten Woche in der Anhörung zum Ausdruck gebracht wurden, Rechnung getragen: Die Stellenausstattung des Bundesamtes für Naturschutz wird einer jährlichen Evaluierung unterzogen
und damit sichergestellt. Einige Rechtsbegriffe werden
konkretisiert - das war auch ein großer Vorwurf - und
schnell und praxistauglich veröffentlicht. Auch das Patentgesetz wird so geändert, dass nachvollzogen werden
kann, ob das biologische Material aus den anderen Ländern legal erlangt wurde.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe um Zustimmung zu dem Beitritt zum Nagoya-Protokoll, weil
wir damit ein wichtiges Signal für die internationale Zusammenarbeit setzen und weil wir damit einen nachhaltigen Beitrag zum Naturschutz in den Schatzkammern der
Artenvielfalt, in den wirtschaftlich schwachen Regionen
der Erde leisten.
Vielen Dank.
({2})
Für die CDU/CSU spricht jetzt unser Kollege Josef
Göppel.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An
einem Tag, an dem wir die neuen Gesetze für Asylbewerber verabschiedet haben, darf man schon sagen: Hier
geht es um Beseitigung und Eindämmung von Fluchtursachen, und zwar weit in die Zukunft hinein.
({0})
Das ist das Erfreuliche und Hoffnungsvolle an der Umsetzung des Nagoya-Protokolls.
Ich sehe es noch vor mir, wie vor ziemlich genau fünf
Jahren, im Oktober 2010, die Delegierten geradezu erleichtert aufgeatmet und stürmisch Beifall gespendet
haben, weil es endlich gelungen war, zu einem Übereinkommen zu finden, damals, ein Jahr nach dem Desaster
in Kopenhagen in Bezug auf den Klimaschutz.
Dieses Nagoya-Protokoll kommt etwas spröde daher;
das wurde von den Rednerinnen und Rednern vor mir
ganz gut beleuchtet. Ich sehe auch Anlass, drei Punkte zu
markieren, an denen nachgearbeitet werden muss:
Erstens. In der Anhörung hat sogar der Vertreter der
chemischen Industrie gesagt: Wir wissen nicht, wann
die Nutzung beginnt und wann sie endet. Man befürchte
eine Flut von Rechtsstreitigkeiten zulasten der Betriebe,
die umsetzen wollen. In der europäischen Verordnung
fehlt der Bereich der Vermarktung. Im spanischen Umsetzungsgesetz sind Verwendung und Vermarktung enthalten. Auch im französischen Umsetzungsgesetz ist von
Utilisation commerciale die Rede, also der nutzbringenden Verwendung. Deswegen denke ich, das muss in den
weiteren Beratungen darüber, wie man das Ganze handhabbar macht, noch einmal aufgegriffen werden.
Zweiter Punkt. Es geht um gewaltige kulturelle Unterschiede für indigene Völker. Übrigens, heute Abend sind
welche vom Amazonas hier in Berlin; auch dort geht es
um diese Fragen. Für diese Menschen kann etwas, was
der Mutter Erde entnommen wird, niemals Privatbesitz
sein. Deswegen haben sie keinerlei Verhältnis zu dem,
was wir „Patente“ nennen. Es geht also darum, in einem
offenen und durchsichtigen Prozess in den jeweiligen
Ländern ausgiebig und einfühlsam mit den bisherigen
Hütern dieser Schätze zu reden. Sie sehen oftmals ihre
nationale Regierung als Handlanger der Industrie.
({1})
Damit bin ich beim dritten Punkt. Der Vorteilsausgleich, um den es geht - das hat ja mein Kollege Schulze
sehr klar dargestellt -, geht fast immer an die nationale
Regierung, aber noch lange nicht an die lokalen Gruppen,
die in den jeweiligen Gebieten wohnen und in einer Art
Allmendewirtschaft, in einer allgemeinen Wirtschaftsweise, über Jahrhunderte mit diesen Stoffen umgegangen
sind und sie auch zum Wohl ihrer Gemeinschaften verwendet haben.
({2})
Deswegen ist auch an diesem Punkt noch einmal nachzuarbeiten.
Trotzdem: Wenn ich ein Resümee ziehe, kann ich sagen, dass wir heute an einem wichtigen Punkt sind, auch
wenn die Anzahl der Abgeordneten, die an diesem Beschluss teilnimmt, überschaubar ist. Dennoch ist es ein
Beschluss, der die Welt gerechter macht, der weit in die
Zukunft reicht und der uns auch hilft, in einer positiven
Art und Weise auf die Gemeinschaften und Völker, die
diese Schätze besitzen, zuzugehen - so wie das Bild
Deutschlands seit kurzem ja auch durch sein Verhalten
gegenüber Flüchtlingen geprägt wird.
Ich sage nochmals - ich kehre zum Anfang zurück -:
Hier geht es darum, durch einen gerechten Vorteilsausgleich für Lebens- und Entwicklungschancen in diesen
Ländern zu sorgen, damit dort die eigene, gewachsene
Kultur auch im 21. Jahrhundert eine Zukunft hat.
({3})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege René Röspel für die SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man nach den guten Worten von Josef Göppel
als Umwelt- oder, wie ich, als Forschungspolitiker hier
steht, hat man manchmal den Eindruck, in anderen Bereichen unserer Gesellschaft herrsche die Meinung vor,
die Art Homo sapiens sei die einzige, die auf der Welt
bedeutend ist, und es sei gar nicht so schlimm, wenn jeden Tag viele Arten diesen Planeten unwiederbringlich
verlassen, meistens aufgrund menschlichen Handelns.
Deswegen ist es richtig, an die Bedeutung von Artenvielfalt und Biodiversität anzuknüpfen.
Albert Einstein wird ein Zitat zugeschrieben; es klingt
ein bisschen dramatisch, macht aber vielleicht etwas
deutlicher, wie wichtig andere Arten sind und wie abhängig der Mensch von anderen Arten ist. Er soll irgendwann einmal gesagt haben: Wenn die Biene unsere Erde
verlässt, hat der Mensch noch vier Jahre zu leben. - Das
ist vielleicht ein bisschen sehr dramatisch, zeigt aber die
Zusammenhänge zwischen den Arten und die Bedeutung
der Artenvielfalt auf unserem Planeten.
Es ist nicht nur so, dass der Mensch von genetischer
Vielfalt abhängig ist. Vielmehr sind Biodiversität und
Artenvielfalt, wie hier heute schon häufig erwähnt wurde, auch ein großer Schatz, den die Menschheit hat. Als
Forschungspolitiker muss ich natürlich das Beispiel nennen, das vor einigen Wochen in allen Medien war: Der
diesjährige Nobelpreis für Medizin ist an die Forscher
Tu Youyou, Campbell und Omura gegangen. Sie haben
sich Pflanzen und eine Vielzahl von Bakterien, also natürlich vorkommende Arten, angeschaut und sie auf
Wirkstoffe untersucht. Es ist ihnen gelungen, Wirkstoffe zu isolieren, die seit vielen Jahren gegen Malaria und
Wurmkrankheiten eingesetzt werden können und vielen
Millionen Menschen das Leben retten oder erleichtern.
Dieser Zugang zur Forschung und zu genetischen
Ressourcen muss offen sein, und es ist wichtig - das regelt das Nagoya-Protokoll glücklicherweise -, dass der
Nutzen solcher Forschung und solcher Erkenntnisse fair
verteilt wird. Du hast in gute Worte gefasst, Josef, dass
man auch Respekt gerade vor den indigenen Völkern haben muss, die dieses Wissen und diese Ressourcen haJosef Göppel
ben, dass man gut mit ihnen umzugehen hat und nicht zu
deren Nachteil handeln darf.
({0})
Dass dieser Schatz bewahrt werden muss, ist richtig, und
das Nagoya-Protokoll ist hier ein wegweisender Schritt.
Als Forschungspolitiker darf ich trotzdem eine Kritik
bzw. eine Besorgnis ausdrücken, die der Umweltausschuss durch die Mitglieder der Koalitionsfraktionen in
einer Entschließung glücklicherweise aufgegriffen hat:
Seit langen Jahren bearbeiten naturkundliche Sammlungen und die Wissenschaft in Deutschland Hunderttausende genetische und biologische Objekte jedes Jahr
neu, und die Umsetzung des Nagoya-Protokolls führt
dazu, dass der Erfüllungsaufwand bei diesem Verfahren
groß sein wird. Damit wir das Nagoya-Protokoll gut umsetzen können, brauchen die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler also eine gute Unterstützung. Ich sage
das ausdrücklich: Das Bundesamt für Naturschutz wird
für die Genehmigung zuständig sein, aber wir dürfen die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht alleine
lassen, sondern müssen sie durch Beratung und Koordinierung unterstützen.
Das setzt voraus - und das ist nicht nur meine Bitte, sondern meine Aufforderung an die Bundesregierung
und gerade auch an das zuständige Bundesministerium
für Bildung und Forschung -, dass in den nächsten Monaten und Jahren wirklich darauf geachtet wird, dass die
Forschung nicht durch Bürokratie belastet wird, wenn
es nicht sein muss, sondern dass notfalls für eine Übergangszeit auch zusätzliche Personalstellen geschaffen
werden, damit das Nagoya-Protokoll zum Frieden der
Forscher umgesetzt werden kann. Das sollte uns dieser
Schatz der Menschheit wert sein.
Vielen Dank.
({1})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der Verordnung
({0}) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgeset-
zes.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/6384,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/5321 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/6394. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Dieser Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die
Grünen ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zu dem Protokoll von Nagoya über den Zugang zu gene-
tischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte
Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenen Vorteile
zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt. Der
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlus-
sempfehlung auf der Drucksache 18/6384, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5219
anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
ist dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand. Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
des gesamten Hohen Hauses angenommen.
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand.
Der Gesetzentwurf ist mit allen Stimmen des Hohen
Hauses angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss auf Drucksache 18/6384, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer für diese Beschlussemp-
fehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Diese Beschlus-
sempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD
und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen. Damit haben wir auch
diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen.
Ich rufe hiermit die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Heidrun
Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE sowie der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Harald Ebner, Nicole Maisch, weiRené Röspel
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Milchmarkt stabilisieren - Milchkrise beenden
Drucksache 18/6206
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({2})
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD
Auslaufen der Milchquote - Wettbewerbsfähigkeit der Milchviehhalter sichern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Landwirtschaft braucht flächendeckende
Milchviehhaltung - Bäuerliche Milcherzeuger stärken - Milchpreise stabilisieren
Drucksachen 18/4424, 18/4330, 18/5601
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die diesem
Tagesordnungspunkt durch Beratung besonders verbunden sind, Platz zu nehmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Einen Widerspruch höre ich nicht. Dann ist das somit beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin erteile
ich das Wort der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die
Fraktion Die Linke.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Heute legen die Linken und die Grünen einen
gemeinsamen Antrag vor. Das ist sehr ungewöhnlich,
aber die Lage in vielen Milchvieherzeugerbetrieben ist
dramatisch, weil sie seit Monaten für ihre Produkte nur
noch ein Handgeld bekommen. Ich finde, da ist es mehr
als angemessen, Trennendes beiseitezuschieben und gemeinsam zu handeln.
({0})
Ich danke Kollegen Friedrich Ostendorff ausdrücklich
für die sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit, die diesen
Antrag ermöglicht hat.
Wir müssen in der Milchpolitik endlich die Weichen
richtig stellen. Immer mehr Betriebe steigen aus der
Milchproduktion aus, meistens schweren Herzens. Das
sind längst nicht nur Betriebe, die schlecht gemanagt
werden. Als ich 2005 neu in den Bundestag einzog, lagen
wir noch über der Schallmauer von 100 000 Milchviehbetrieben.
({1})
Wir erleben jetzt den dritten Preisabsturz seit 2009. Jeder vierte Betrieb hat unterdessen die Milchproduktion
aufgegeben. Die 75 000 Überlebenden stehen bereits am
Abgrund. Ich verstehe sehr gut, dass sie ihre Not und
Verzweiflung auf die Straße getragen haben.
({2})
Unionskollege de Vries meinte einmal, wer nicht für
32 Cent melken könne, der solle es lassen. - Mag sein.
Aber seit Monaten ist der Milchpreis im Tiefflug Richtung 20 Cent. Statt guten Lohns für gute Arbeit haben
die Betriebe durchschnittlich 23 000 Euro Schulden pro
Hektar angehäuft. Das kann uns doch nicht gleichgültig
sein.
Aber nicht nur kleine Familienbetriebe können Milch
nicht unter 30 Cent pro Liter produzieren. Die Krise trifft
auch Betriebe, die investiert haben. Ja, sie haben häufig, weil sie der Ankündigung des Paradieses nach dem
Wegfall der Quote geglaubt haben, in noch mehr Milch
investiert, aber auch in bessere Lebensbedingungen für
die Tiere im Stall und in bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für die Menschen, die sie betreuen. Diesen
Betrieben sitzen jetzt die Banken im Nacken.
Und was kommt als Alternative aus Brüssel? Wieder
ein Milchpaket mit weiteren 69 Millionen Euro für Liquiditätshilfen in Deutschland. Aber das ist wieder nur
ein Sterbegeld, das letzten Endes in fremden Taschen und
vor allem bei den Banken landet.
({3})
Statt Ursachen zu bekämpfen, bleibt es wieder nur bei
einem Tropfen Milch auf den heißen Stein. So geht das
doch nicht.
Viele Betriebe wollen gar nicht mehr Geld aus Brüssel. Sie fordern faire Bezahlung für ihre schwere Arbeit,
und zwar, wie ich finde, völlig zu Recht.
({4})
Seien wir doch ehrlich: Wer heutzutage Milch produziert,
muss schon positiv bekloppt sein.
({5})
Wir sollten einmal die Plenarsitzungen für den Rest des
Jahres morgens um 3 Uhr beginnen und auf sonnabends
und sonntags ausweiten. Dann ahnen wir vielleicht, wie
viel Lebensqualität dann noch übrig bleibt.
Am meisten ärgert mich aber, dass mit Milch durchaus
Geld verdient wird. Supermärkte und Großmolkereien
machen satte Gewinne auf Kosten der MilchproduzenVizepräsident Johannes Singhammer
ten. Ich finde, hier kann sich die Politik nicht mehr heraushalten.
({6})
Aber wir brauchen ein radikales Umdenken, damit
sich wirklich etwas ändert. Das ist eine Herausforderung,
vor allem für die Union. Ich war selbst einmal in einer
Partei, die geglaubt hat, immer recht zu haben. Ich weiß,
wie schmerzhaft es ist, sich davon zu lösen. Ich weiß aber
auch, wie heilsam und vor allem wie nötig das ist. Denn
für viele Betriebe ist die Milchstraße längst zur Sackgasse geworden.
Es macht doch keinen Sinn, immer mehr Milch zu produzieren, die nicht gebraucht wird. Auch in einer globalisierten Welt wartet längst niemand mehr darauf, unsere
Milchseen und Butterberge zu kaufen. Ich finde es auch,
ehrlich gesagt, zynisch, unsere überflüssigen Lebensmittel auf Drittmärkten quasi zu entsorgen. Wir können doch
die Landwirtschaft vor Ort nicht auch noch die Zeche für
unseren Wachstumswahn zahlen lassen.
({7})
Was schlagen Linke und Grüne gemeinsam vor? Zum
Beispiel ein neues System zur Anpassung der Milchmenge an die Nachfrage. Nein, das ist keine Milchquote 2.0,
sondern es ist die Korrektur der Fehler des alten Systems.
Denn es war eben nicht an der Nachfrage orientiert. Die
Betriebe mussten die Quote teuer bezahlen, und der Börsenhandel hat sie oft weiter verteuert.
Zu diesen Instrumenten der Vergangenheit wollen
wir nicht zurück. Aber es macht doch Sinn, in Zeiten
der Überproduktion den Betrieben einen Ausgleich zu
zahlen, die freiwillig ihre Milchmenge reduzieren. Was
spricht denn dagegen, wenn Milcherzeugerinnen und
-erzeuger gemeinsam mit Molkereien, Wissenschaft und
Verbraucherverbänden die Milchmenge aushandeln?
Beim Wein akzeptiert doch selbst die Union eine Mengenregulierung. Aber bei der Milch sieht sie tatenlos zu,
wie der Markt die Betriebe enteignet. Ich finde das wirklich zynisch.
({8})
Man kann auch von den Biobetrieben lernen, die nämlich erstmals nicht von der Krise betroffen sind. Vielleicht liegt das daran, dass bei Biomilch das Angebot
kleiner ist als die Nachfrage und ihre Verarbeitung und
Vermarktung stärker regional orientiert sind.
({9})
Gunnar Hemme hat uns in der Ausschussanhörung
erklärt, dass man bei regionaler Verarbeitung und Vermarktung auch konventionell erzeugte Milch in Brandenburg fair bezahlen kann. Also müssen wir Handel und
Verarbeitung für faire Milchpreise in die Pflicht nehmen.
Zum Beispiel sollen durchschnittliche Erzeugungskosten
als Mindestbasispreis für Vertragsverhandlungen mit den
Molkereien vorgeschrieben werden. Um die Marktübermacht von Supermärkten und Molkereien zu beseitigen,
muss endlich das Kartell- und Wettbewerbsrecht gestärkt
werden.
({10})
Ich hoffe auf eine offene, aber auch sehr ernsthafte
Diskussion. Ich finde, die Milcherzeugerinnen und -erzeuger haben das verdient.
Vielen Dank.
({11})
Für die Bundesregierung hat jetzt Bundesminister
Christian Schmidt das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Milch ist im Augenblick billig. Sie ist zu billig. Unsere hochwertigen Lebensmittel sind einen besseren Preis wert. Von der guten Milch werden Verbraucher
satt. Es müssen aber auch die Milcherzeuger satt werden können. Wir alle wissen, dass bei diesen Preisen das gilt übrigens nicht nur für Milch, sondern auch für
Schweinefleisch - und durch Trockenheit Bauern in wirtschaftliche Schieflage geraten können und geraten sind.
Das ist nicht gut.
Landwirte, auch mit mittleren und kleinen Betrieben,
brauchen gute Perspektiven. Deswegen ergreifen wir sowohl kurz- als auch mittelfristig Maßnahmen, um den
Markt und die Einkommen zu stabilisieren.
Jetzt geht es allerdings vor allem um die Linderung
der akuten Probleme. Deswegen stellen wir den Landwirten kurzfristige Liquiditätshilfen zur Verfügung. Ich
würde gar nicht darüber reden und fragen, ob man das
mag oder nicht - man braucht es. Deswegen soll das sehr
schnell umgesetzt werden.
({0})
Ich darf bei der Gelegenheit sagen: Wenn wir Bilanz
ziehen, dann müssen wir feststellen, dass die Flexibilität
bei den Direktzahlungen, die im Rahmen der Agrarpolitik an die Milcherzeuger gehen und die einen Teil des
Einkommens darstellen, zu wünschen übrig lässt. Ja, wir
sind dieses Jahr spät dran. Das ist deswegen so, weil sich
die neue Agrarpolitik mit Greening, Junglandwirteprämie und anderen neuen Elementen erst einpendeln muss.
Ich wäre bereit gewesen, die Direktzahlungen aus
Mitteln des Bundeshaushaltes vorzeitig zu finanzieren.
Wenn ich aber erlebe, dass alle 16 Bundesländer, die dafür die Verantwortung tragen, die weiße Fahne hissen und
mir sagen, dass sie administrativ nicht in der Lage sind,
den Tanker Direktzahlungen auf einen schnelleren Kurs
zu bringen bzw. den Kurs zu korrigieren, dann haben wir,
meine Damen und Herren, auch hier eine Baustelle bzw.
ein Problem, das weit über die Milch hinausgeht.
({1})
Wir müssen uns die Strukturen der bürokratisierten
europäischen Agrarpolitik ernsthaft und schnell vornehmen. So kann das nicht weitergehen.
({2})
Mittel- und langfristig müssen die Strukturen anpassungsfähiger werden. Manches muss ausgebaut werden auch die Exportförderung, zu der ich noch kommen werde.
In Brüssel wurde, was die Soforthilfe angeht, über
500 Millionen Euro verhandelt. Die Kommission hat
sie aufgeteilt. Der Anteil von 70 Millionen Euro für unser Land ist der größte. Das ist von Bedeutung für die
Direkthilfe. Ich habe ein Modell vorgestellt, wie diese
70 Millionen Euro so schnell wie möglich bei den Landwirten ankommen können. Dabei ging es mir darum,
die größtmögliche und schnellstmögliche Wirkung zu
erzielen. Landwirte, die von ihrer Hausbank bereits ein
Liquiditätshilfedarlehen erhalten haben, bekommen dazu
einen direkten Zuschuss von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Das ist die Liquiditätshilfe,
Geld, das direkt bei den Bauern ankommt. Das Darlehen
muss unter dem normalen Satz verzinst werden - es müssen 1 bis 1,5 Prozent weniger sein -, es muss im ersten
Jahr tilgungsfrei sein, und es wird eine Laufzeit von vier
bis sechs Jahren haben.
Dieses Angebot - ein ähnliches Modell hat die Landwirtschaftliche Rentenbank bereits seit Juli für die „Superabgabe“ laufen - wird dann durch konkretes Cash in
Form der Liquiditätshilfe noch befördert und beschleunigt, sodass de facto eine Regelung vorhanden ist, die
dazu führt, dass die Konteninhaber, auf deren Konten
gegenwärtig rote Zahlen sind, jedenfalls für die nächste
Zeit wieder flüssig werden können.
({3})
Natürlich ist mir klar, dass das die Probleme nicht löst.
Aber wer schnell hilft, hilft doppelt. Und dann lasst uns
weitersehen, was wir noch tun müssen.
Ich will darauf hinweisen, dass wir den delegierten
Rechtsakt der Europäischen Union noch in dieser Woche
erwarten. Dann werde ich sofort die Eilverordnung auf
den Weg bringen, sodass alles, was die Antragstellung
betrifft, noch im Laufe dieses Jahres über die Bühne gehen kann.
Durch die Kopplung unserer Zuschüsse an die Darlehen stellen wir auch sicher, dass das Geld tatsächlich
ankommt. Die Sorge, dass die Banken besonders viel
verdienen, ist damit unberechtigt.
Wir schaffen Marktentlastung durch ein neues, attraktives Programm der privaten Lagerhaltung für Milch
und Käse - diese wurde, was Magermilchpulver betrifft,
bereits stark in Anspruch genommen - sowie ein verbessertes und praktikables Programm der privaten Lagerhaltung für Schweinefleisch, wenngleich ich nicht verhehlen will, dass das Beispiel der privaten Lagerhaltung für
Schweinefleisch zeigt, dass man mit privater Lagerhaltung, wenn sie nicht klug angelegt ist, Probleme allenfalls in die Zukunft verschiebt, sie aber nicht löst.
({4})
Wir müssen aber auch die Fragen stellen: Was macht
die Landwirtschaft zukunftsfähig? Wie schaffen wir anpassungsfähige Strukturen? Was sichert unseren Milchbauern in Zukunft ein gutes Auskommen? Natürlich ist
es gut, zu wissen, dass die EU-Marktbeobachter davon
ausgehen, dass sich der Milchpreis in den nächsten Jahren bei 35 Cent einpendeln wird; das ist die Grundlage.
Aber auch dann wird es Ausschläge nach oben und unten
geben. Natürlich sind wir gespannt-optimistisch, dass die
Entwicklung der - jedenfalls bei den Produkten - wieder
anziehenden Preise mit einem gewissen Verzug auf die
Rohmilchpreise - so sind unsere Hoffnungen und Erwartungen - übergeht. Aber das löst natürlich das Problem
nicht. Wir wollen daher die Ausschläge mit marktgeeigneten Mitteln abfedern. Wir brauchen einige Grundlagen
dafür: erstens eine hohe Qualität und Regionalität unserer Produkte, zweitens vorausschauende Marktbeobachtung und ein Sicherheitsnetz und drittens weltweite Wettbewerbsfähigkeit. Die Milchquote ist Vergangenheit,
und das ist gut so. Das soll auch so bleiben. Ich kenne
niemanden, der in Wahrheit der Milchquote eine Träne
nachweint.
({5})
Mein Dank gilt bei der Anpassung vor allem den
Landwirtinnen und Landwirten sowie denjenigen, die
den Weg und den Übergang - weg von der Milchquote,
hin zu einem neuen Regime, das nun schon seit einigen
Jahren besteht - vorbereitet und aktiv mitgestaltet haben.
Auch von Verbandsseite wurde dieser Weg - Dank an
den Deutschen Bauernverband - sehr gut begleitet und
unterstützt.
({6})
Ich bin überzeugt: Die Marktorientierung wird den
Milchmarkt langfristig stabilisieren;
({7})
denn mit unserer jetzigen Situation eines geringen Außenschutzes lassen sich die Milchmenge und der Milchpreis nicht vom Weltmarkt entkoppeln. All die Romantiker, die sagen: „Lasst uns doch ohne Außenschutz so
etwas versuchen“ - als ob wir unseren eigenen Markt
alleine regieren könnten -, weise ich auf das hin, was die
Kollegin Tackmann im Hinblick auf die Subventionierung von Exporten gesagt hat. Die sogenannten Exporterstattungen sind Gift für die Länder der Dritten Welt. Ich
will und werde sie nicht akzeptieren.
({8})
Ich will, dass dorthin exportiert wird, wo zahlungskräftige Kunden sind. Dass es zahlungskräftige Kunden zum
Beispiel in den USA und China gibt, ist doch nicht von
der Hand zu weisen.
({9})
Ich will keine Verwischung der Fragen.
Die Wertschöpfungskette muss sich organisieren.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bulling-Schröter?
Mit Interesse, Frau Kollegin Bulling-Schröter.
Danke schön, Herr Minister. - Ich möchte Sie Folgendes fragen: Ich habe in einem Zeitungsartikel gelesen,
dass die USA Zölle auf Butterprodukte aus der EU verhängen. Der Hintergrund ist, dass nach Auffassung der
USA alles zu billig ist und dass die USA beispielsweise Milch- und Joghurtprodukte selber herstellen wollen.
Wie stehen Sie denn dazu?
Vielen Dank, Frau Kollegin.
({0})
Ich habe den Artikel nicht gelesen.
({1})
Wenn es sich aber so, wie Sie sagen, verhält, dann ist das
die beste Vorlage dafür, dass wir TTIP brauchen.
({2})
Die EU wird eine High-Level Group einrichten, die
sich mit Marktmodellen, aber auch mit Ideen zu Risikomanagement und Sicherungsfonds befasst. Dort bestehen
keine Denkverbote. Jede Idee muss aber wirklich weiterhelfen.
Danke, dass Sie sagen: Die Partei hat immer recht.
Der alte SED-Slogan würde nicht mehr funktionieren.
Ich will aber auch allen Verbänden und allen, die auf diesem Gebiet unterwegs sind, sagen: Es gibt keinen, der
immer recht hat. Deswegen bin ich bereit, darüber zu
reden. Aber jeder muss schon den Nachweis erbringen,
dass seine Idee auch wirklich greift.
({3})
Das habe ich bei der Mengensteuerung bisher noch nirgendwo gesehen. Wer ehrlich zu sich selbst ist und wissenschaftliche Bewertungen liest, der kann zu keinem
anderen Ergebnis kommen.
Wir müssen über viele Fragen reden, beispielsweise
über Steuerungsmechanismen bei Preisanpassungen,
über Versicherungsmodelle und die Frage, ob wir mit
Fondslösungen abfedern können, und wir müssen über
das Kartellrecht reden. Ich habe in Kürze mit dem Präsidenten des Bundeskartellamtes ein Gespräch auch über
das Thema „Verkauf unter Einstandspreis“. Das ist ein
Thema, das wir uns natürlich anschauen müssen. Wir
werden darüber auch auf europäischer Ebene offen reden.
Ein letzter Punkt: Export. Der Export in die richtige Richtung ist wichtig. Wer ihn nicht will, der muss
sagen, dass dann die Hälfte unserer Landwirte die Betriebe schließen müsste. Das will ich nicht, sondern ich
will einen fairen und vernünftigen freien Handel haben.
Deswegen werde ich die Mittel für das Auslandsmesseprogramm erhöhen.
({4})
Ein allerletztes Wort noch: Wir haben heute früh das
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz verabschiedet und
darüber debattiert - in der Regierungserklärung hat die
Kanzlerin das dargelegt -, wie wir daran arbeiten müssen, dass nicht so viele Menschen sich auf den Weg zu
uns machen. Die Menschen kommen zu uns aus Flüchtlingslagern, in denen sie - Gott sei’s geklagt - deswegen leben müssen, weil sie aus ihren Häusern gebombt
wurden. Wenn wir, die internationale Gemeinschaft, die
wir über Überfluss reden, nicht in der Lage sind, sicherzustellen, dass die Milch zu den Menschen kommt und
nicht die Menschen zur Milch, dann haben wir versagt.
({5})
Deshalb werden mein Kollege Gerd Müller und ich
ein nationales Programm auflegen und uns darum kümmern, dass die Mütter und ihre Kinder, die im Libanon
oder woanders in den Flüchtlingslagern sind, etwas bekommen. Das ist ein richtiges Verständnis von sozialem
Marktgeschehen.
Herzlichen Dank.
({6})
Der Kollege Friedrich Ostendorff spricht jetzt für
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schönen
Dank zurück an Kirsten Tackmann für die geleistete gemeinsame Arbeit. Ja, es war gut, dass wir das auf die Reise gebracht haben. Wir haben gerade eindrücklich erlebt,
warum es gut war, dass wir unsererseits ein deutliches
Signal an unsere Milchviehbetriebe gesendet haben.
Herr Minister Schmidt, Sie und viele aus Ihren Reihen
haben uns Milchbauern noch vor einem halben Jahr das
Blaue vom Himmel versprochen: Die Zukunft liegt im
Export, die Zukunft liegt auf dem Weltmarkt, die langfristigen Aussichten sind bestens, die Welt wartet auf unsere Milch, sie braucht unsere Milch. - Mit der Realität
hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({0})
Das mag bei Kees de Vries nicht angekommen sein.
Er hat vieles versprochen, zum Beispiel 32 Cent für die
Milch. Wer bei dem Preis nicht wirtschaften könne, solle Beamter werden. Solche Dinge hörten wir von ihm.
Gut, das hat sich alles als Märchenstunde erwiesen. Die
Realität ist leider hart. Sie von der Union, oftmals auch
vom Bauernverband, haben durch Ihr ständiges Wachstumsmantra die Milchviehbetriebe bis an den Rand des
Abgrunds geführt. Gewachsen sind in den letzten Jahren
doch nur die Milchpulvertürme der Exportmolkereien,
geförderte Milchpulvertürme, die uns heute gehörig um
die Ohren fliegen.
Milchpulver als deutsches Premiumprodukt für die
Versorgung der Welt, demnächst dann auch noch über
Syrien abgeworfen - Sie können nicht verhehlen, dass
Sie sehr lange im Verteidigungsbereich waren; ich hoffe,
dass wir dann ein Transportflugzeug haben, das das alles
leisten kann -, Milchpulver als bestmögliche Wertschöpfung für unsere Betriebe, das ist doch völlig absurd, Herr
Minister.
({1})
Diese Botschaft glaubt Ihnen, Herr Minister, doch draußen kein Mensch mehr. Für 25 Cent kann kein Betrieb
melken, keiner in Deutschland,
({2})
vor allem nicht die Betriebe, die Sie so hoch gelobt haben, die Wachstumsbetriebe, die resilient und für die Zukunft gut aufgestellt seien. So waren Ihre Worte. Gerade
diese Betriebe hat es ganz heftig erwischt.
Die Anzahl der Milchbetriebe ist in den letzten zehn
Jahren um ein Drittel gesunken und hat in den letzten
sechs Monaten vor dem Wegfall der Milchquote um
2,2 Prozent auf unter 75 000 abgenommen. Das, meine
Damen und Herren von der Union, das, Herr Agrarminister Schmidt, ist der Erfolg Ihrer Politik. Wo ist denn,
Herr Minister Schmidt, die versprochene rosige Zukunft
für die Milchviehbetriebe? Wo sind denn die Zukunftsmärkte, die Sie versprochen haben? Chinas Importe an
Milchpulver sind von Januar bis Mai dieses Jahres um
54 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen. Ich
sehe da keine großen Märkte. Sie müssen mir erklären,
wie das als Zukunftsabsatzmarkt deklariert werden kann.
Allein Indien hat in den letzten fünf Jahren - auch das
muss man zur Kenntnis nehmen - seine Erzeugung um
25 Prozent gesteigert. Auch da gibt es inzwischen eigene
Bemühungen, die sehr erfolgversprechend sind. Sicher,
es bleiben ja noch so demokratische Freunde - für die
CSU ist das wahrscheinlich nicht so schwierig - wie Saudi-Arabien, Iran und Ägypten. Der Absatz unserer Butter
dort hat sich tatsächlich etwas gesteigert; das ist richtig.
Aber meinen Sie wirklich, unseren Milchviehbetrieben
verkaufen zu können, dass dies der sichere Hafen der
Zukunft ist, auf dem man Existenzen gründen kann, auf
dem man die Zukunft aufbauen kann? Diese Heilsversprechen glaubt Ihnen keiner mehr.
({3})
Wie sonst, Herr Minister Schmidt, sind die anhaltenden Proteste zu erklären, zu denen es kommt, wann immer Sie irgendwo im Land auftauchen? Diese Proteste
entstehen, egal wo Sie hinfahren, ob nach Brüssel, nach
Fulda, nach München oder am vergangenen Samstag zur
Anuga in Köln. Die Milchbauern und -bäuerinnen bezeugen ihre Wut. Sie sind vor Ort. Sie kämpfen gegen
Ihre Politik. Das hat zumindest immerhin dazu geführt,
wie wir heute hörten, dass Ihr Personenschutz deutlich
verstärkt worden ist. Man hat Angst vor den wild gewordenen Milchbauern.
Ihre heilige Dreifaltigkeit aus Union, Bauernverband
und Agrarindustrie hat ausgedient, Herr Minister.
({4})
Bis heute haben Sie nämlich keinerlei Vorschläge zur
Lösung der Probleme vorgelegt. Warum haben Sie denn
auf den Bericht des Bundeskartellamtes zur Situation auf
dem Milchmarkt nicht reagiert? Jetzt wollen Sie darüber
sprechen. 2012 war es an der Zeit, über die Machtlosigkeit der Milcherzeuger zu reden. Ja, Sie vertreten natürlich einseitig nur die Interessen der Molkereien.
Überproduktion muss eingedämmt werden; das ist die
Aufgabe der Stunde, nichts anderes.
({5})
Wir haben zu viel Milch. Der Milchüberschuss in der
Welt beträgt 10 Millionen Tonnen; das kann jeder nachlesen. Genau seit 2010 werden in Europa 10 Millionen
Tonnen mehr erzeugt. Jeder kann doch erklären, dass das
eindeutig zu viel ist.
Ihre Politik führt dazu, dass insbesondere die Wachstumsbetriebe schließen müssen. Wir stehen vor einem
Strukturbruch mit volkswirtschaftlichen Verlusten in
Milliardenhöhe. Da helfen keine freiwilligen Verbindlichkeiten, Herr Minister, die Sie ja so gerne jeden Tag,
fast jede Stunde verkünden. Besonders schlimm: Die
Milch wandert aus den benachteiligten Grünlandgebieten
ab, wo sie hingehört; dort hat sie oft eine hohe Bedeutung
für die Erhaltung der Arten. Wir brauchen endlich ein
Krisenmanagement, das die Menge an den europäischen
Bedarf anpasst.
({6})
Meine Damen und Herren, der Milchmarkt kann nur
mit einer nachfrageorientierten Produktion funktionieFriedrich Ostendorff
ren. Herr Minister Schmidt, wir fordern Sie zum x-ten
Mal auf - diesmal beide Fraktionen der Opposition gemeinsam -: Folgen Sie doch endlich den Empfehlungen
der Länderagrarministerkonferenz. Setzen Sie sich endlich für ein Krisenmanagement, für eine flexible Angebotsregulierung, national und europäisch, ein.
({7})
Nutzen Sie die Möglichkeiten für eine Marktregulierung,
indem Sie die Auszahlung konditioniert an eine Mengenreduzierung binden. Stärken Sie die Marktmacht der
Milcherzeuger durch die Abschaffung der Andienungspflicht
Herr Kollege Ostendorff, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
- lassen Sie mich diesen Gedanken gerade noch zu Ende
bringen, dann gerne -, durch Verbesserungen im Wettbewerbsrecht und eine Stärkung der Erzeugerbündelung.
Helfen Sie den Milchviehbetrieben, die auf Grünland, oft
in benachteiligten Regionen, produzieren.
({0})
Milchbäuerinnen und Milchbauern haben nicht mehr
die Zeit, darauf zu warten, dass dieser Minister endlich
einen Weg findet, ohne Gesichtsverlust zur Vernunft zu
kommen. Vielleicht will der Minister es aber auch gar
nicht.
Jetzt bitte Ihre Zwischenfrage.
Jetzt erteilt der Präsident dem Kollegen Franz-Josef
Holzenkamp das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Präsident, ich habe auch bewusst so lange gewartet, bis Sie mir das Wort erteilen. - Herr Kollege
Ostendorff, ich möchte zunächst bemerken, dass wir ich glaube, da sind wir uns alle einig; das wissen wir
auch von unserer gemeinsamen Ausschussarbeit - uns
alle um die Milchviehbetriebe wirklich sorgen und dass
wir alle um richtige, um bessere Wege für die landwirtschaftlichen Betriebe streiten. Im Übrigen geht es den
Schweinehaltern, insbesondere den Sauenhaltern, schon
seit längerer Zeit nicht viel besser.
Aber ich möchte die Frage stellen: Wie wollen Sie die
Außengrenzen absichern? Denn das muss ja Voraussetzung sein, um innerhalb von Europa ein eigenes, unabhängiges, hohes Preisniveau zu halten. Wie wollen Sie
die Außengrenzen sichern, und wer soll das dann eventuell bezahlen? Wer soll die Kosten für die Kompensation
tragen?
Wie Sie wissen, Kollege Holzenkamp, bewegen wir
uns europäisch. Die Befürchtung, dass dann sofort von
außerhalb Europas Milchmengen in die Europäische
Union fließen, die unsere Freigaben besetzen würden,
habe ich nicht. Das mag uns unterscheiden. Sie mögen
dann bitte erklären, was Sie erwarten, wann Indien den
Markt hier überschwemmt. Ich glaube, in Indien ist im
Moment noch Luft für die eigene Versorgung. Auch der
chinesische Milchbauer wird noch nicht in der Lage sein,
den Gang nach Bayern anzutreten. Ich sehe diese Gefahr
nicht.
Europa ist in der Lage, die Milchmenge mit seiner
Stärke nachfrageorientiert zu regulieren, wie ich es gesagt habe. Das ist die Lösung; anders wird es nicht gehen.
Sie sehen es doch an den Zahlen: 730 Millionen Tonnen Erzeugung in der Welt, 720 Millionen Tonnen Verbrauch. Seit 2010 - ich habe es gesagt - gab es eine Steigerung um 10 Millionen Tonnen, und zwar in Europa.
Sonst hat niemand gesteigert, auch die USA kaum. Diese 10 Millionen Tonnen, die Europa seit 2010 zugelegt
hat - auch Deutschland hat leider erheblich zugelegt -,
machen jetzt den Preis kaputt.
({0})
Darauf mögen Sie dann bitte noch eine Antwort geben.
Das können wir hier leider nicht machen, das müssen wir
gleich bilateral klären.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wilhelm
Priesmeier für die SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man so zuhört, dann glaubt man, Friedrich Ostendorff und die Kollegin Tackmann haben den Stein der Weisen gefunden,
wie man zu einer neuen Marktwirtschaft kommt.
Eins ist doch klar: Wenn wir mit den Beschlüssen von
2003 - unter Rot-Grün von Renate Künast in Luxemburg
in hervorragender Weise durchgesetzt - ernst machen,
dann bedeutet das, dass wir am Ende die Interventionspolitik abgeschafft, den Interventionspreis gesenkt, die
Exporterstattungen gestrichen und uns damit dem Weltmarkt geöffnet haben. Das bietet Chancen, das bietet natürlich auch Risiken.
Mit dem alten System haben wir die Betriebe nicht
stabilisiert; die Zahl der Betriebe ist kontinuierlich zurückgegangen. Zu Recht weist der grüne Antrag darauf
hin, dass seit 1999 die Hälfte der Betriebe aufgegeben
hat. Das ist zu Zeiten passiert, als wir noch einen regulierten Markt hatten. Die Quote hat das nicht verhindern
können.
In den letzten Jahren haben wir zumindest durch Veränderungen des Agrarsystems im Hinblick auf die GeFriedrich Ostendorff
meinsame Agrarpolitik und das Zahlungssystem dafür
gesorgt, dass die Landwirtschaft in Europa erheblich
wettbewerbsfähiger geworden ist. Man sollte sich nicht
einfach von dem verabschieden, was man einmal mitbeschlossen hat. Dazu sollte man stehen, und dazu stehe ich
zumindest in der vollen Verantwortung.
({0})
Als Kassandra braucht man hier nicht aufzutreten. Der
eigentliche Akteur im Milchpulvermarkt ist Neuseeland.
Nicht nur die Europäer haben ihre Produktion drastisch
erhöht, sondern die Neuseeländer haben das Gleiche
getan. Wir finden uns jetzt in einer Situation wieder,
in der wir in der Tat eine Überproduktion haben. Aber
welches Instrument ist denn besser geeignet als Angebot und Nachfrage mit dem daraus resultierenden Preis,
um solche Krisen zu bewältigen? Bisher kann ich nicht
erkennen, dass da jemand wirklich den Stein der Weisen gefunden hat. Wenn ich an alte Zeiten zurückdenke:
Schon der zentral gelenkten Planwirtschaft war kein Erfolg beschieden.
({1})
Das, was wir hier in Ansätzen sehen, ist so etwas Ähnliches.
Meine Damen und Herren, diese Denkweise kann ich
nicht mehr nachvollziehen. Das hat den europäischen
Steuerzahler sehr viel Geld gekostet, nicht zur Stabilisierung beigetragen und auch nicht für wettbewerbs- und
zukunftsfähige Betriebe gesorgt.
({2})
- Die Liquiditätshilfen kommen aus den Steuergeldern,
zum Teil natürlich auch aus den Zahlungen, die durch die
„Superabgabe“ nach Brüssel abgeflossen sind.
({3})
Das heißt, die kommen aus dem Sektor unmittelbar.
Das Vertrauen der deutschen Landwirte, glaube ich,
verliert man durch eine offene und geradlinige Politik
nicht; ich setze darauf. Wenn wir zurückschauen, dann
können wir erkennen, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten viele Milliarden für nichts ausgegeben haben.
Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist ein Konzept, original
übernommen vom BDM. Insofern, glaube ich, sitzt hier
die parlamentarische Speerspitze dieses Verbandes.
({4})
Ob man sich wirklich dazu machen sollte, ist für mich
die Frage; ich glaube, eher nicht. Eigene Ideen dazu, wie
man das Ganze angeht, habe ich heute nicht gehört.
Sie fordern Bonuszahlungen für Betriebe, die ihre
Produktion kurzfristig drosseln. Da muss man natürlich
sehen, dass man das nicht unbedingt nur aus dem bezahlen kann, was Sie als Finanzierung anbieten. Das wird
wesentlich darüber hinausgehen. Das wird dann natürlich
auch die sonstigen Zahlungen, die wir in dem Bereich
noch haben, in ganz erheblichem Umfang belasten. So
einfach ist die Rechnung nicht.
({5})
Das, was Sie auf der einen Seite nehmen, können Sie
dann auf der anderen Seite - linke Tasche/rechte Tasche - wieder ausgeben. So kann man das machen. Sie
wollen eine Abgabe für Erzeuger einführen, die ihre Produktion um mehr als 5 Prozent erhöhen. Warum gerade
5 Prozent? Warum nicht 3,8 oder 4,9? Dafür liefern Sie
keinen überzeugenden Beleg.
({6})
Die durchschnittlichen Erzeugungskosten sollen der
Maßstab für den unteren Preis sein. - Wo sind denn die
durchschnittlichen Erzeugungskosten in Irland, in Estland, in Italien, in Griechenland? Überall sind unterschiedliche Bedingungen im Markt. Überall sind unterschiedliche Kostensituationen.
({7})
In dieser Situation kann man das in einem gemeinsamen
europäischen Markt überhaupt nicht definieren. Der Ansatz, den Sie fahren, ist ökonomisch nicht tragfähig. Das
müssen Sie, finde ich, einmal offen eingestehen.
Private Lagerhaltung halte ich nicht für das Mittel der
Wahl. Das dient den Lagerhaltern, aber nicht den Landwirten. Die Anhebung des Interventionspreises - vielen
Dank, dass Sie das abgewehrt haben - ist auch kein taugliches Mittel, genauso wenig wie der Versuch einer flexiblen Mengensteuerung. Das ist purer Dirigismus, blanke
Bürokratie.
Bürokratie - das haben wir eben schon gehört - funktioniert im Agrarbereich nicht besonders gut. Man ist
noch nicht einmal in der Lage, die Direktzahlungen vorzeitig auszuzahlen.
Liquiditätshilfen für an sich gut aufgestellte Betriebe
in so einer Krisensituation, das kann ich durchaus nachvollziehen. Das ist ein überschaubarer Bereich. Das kann
man politisch vertreten - das haben wir in anderen Bereichen auch -, aber nur für die Betriebe, die in einer entsprechenden Situation sind. So etwas kann man natürlich
nicht dauerhaft darstellen.
Kontrollen und Überwachungsinstrumente - das wäre
ja Ihre Strategie - müssten erst aufgebaut werden. Sanktionen müssten durchgesetzt werden. Überall wäre staatliches Handeln gefragt. Ich sage eines voraus: Bis das
Instrumentarium umgesetzt wäre, würde niemand mehr
über diese Krise reden.
({8})
Ich erinnere mich noch an 2009. Was war unmittelbar danach? Da haben wir eine Kuhschwanzprämie beschlossen. Die haben wir ein Jahr später ausbezahlt; da
war der Preis schon wieder oben. Das sind Instrumente,
die untauglich sind.
({9})
Ich habe das feste Vertrauen in die deutsche Agrarwirtschaft, in die Landwirtschaft, in die Milchviehhalter
und in die Milchbauern, dass sie auch diese Krise überwinden werden; denn die Krise ist endlich.
({10})
Am Horizont scheint sich eine gewisse Entspannung abzuzeichnen. Das kann man nicht einfach negieren. Der
Milchpulverpreis in Neuseeland - Neuseeland ist der
Pulverexporteur - ist auf den Terminmärkten schon um
60 Prozent gestiegen. Das lässt den Rückschluss zu, dass
wir die Talsohle zumindest durchschritten haben und es
vielleicht schon in allernächster Zeit wieder nach oben
geht.
Wenn wir etwas Gutes tun wollen, dann sollten wir
uns Gedanken darüber machen, wie wir im Binnenmarkt
Wettbewerbsfähigkeit und Marktfähigkeit besser darstellen können, wie wir Situationen, in denen es Nachfrageoligopole gibt, angehen können. Vielleicht sollten
wir Andienungsverpflichtungen und solche Dinge in bestimmten Regionen begrenzen, um da dem Erzeuger eine
bessere Marktposition zu geben.
Es gibt auch andere Hinweise. Indem man regionalisierte Produkte auf den Markt bringt, erzeugt man einen
höheren Mehrwert und kann auch mehr vom Verbraucher
erwarten. Man schaue sich nur den Biobereich an! Da
funktioniert der Markt. Also kann das mit dem Markt ja
nicht so ganz falsch sein. Oder soll es da, wo die Preise
steigen, in irgendeiner Form eine Begrenzung geben?
Jeder Eingriff in solche Mechanismen bringt letztendlich einen Wohlfahrtsverlust mit sich.
({11})
Dafür muss ich hinterher die Konsequenzen tragen. Man
kann das auch nicht in Gänze tun; denn im Rahmen der
europäischen Agrarpolitik ist eine Neuorientierung angesagt. Es ist, wie ich glaube, nicht zweckdienlich, dass wir
dazu übergehen, das bisherige System weiterzuführen.
Im Hinblick auf 2017/2020 gibt es eine ganze Reihe
an Handlungsoptionen; diese sollten wir auch wahrnehmen, indem wir beispielsweise Geld aus der ersten Säule
in die zweite packen, es zielgerichtet für die Förderung
von Grünlandstandorten ausgeben und so dafür sorgen,
dass diese Grünlandstandorte nachhaltig bearbeitet und
im Sinne des Klimaschutzes erhalten werden können.
Klimaschutz, Grünlandregionen und Milchproduktion
bilden ja letztlich eine Einheit. Die ersten beiden Faktoren sind dabei die Grundlage für unsere Milchproduktion; das wird auch in Zukunft so sein.
Ich hoffe einmal, dass wir in einem halben oder Dreivierteljahr über die derzeitige Krise in der jetzigen Form
nicht mehr reden werden.
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Einen schönen Nachmittag von meiner Seite Ihnen und den Gästen oben!
Der nächste Redner ist Kees de Vries für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Zuschauer auf den Tribünen!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Milch
mal wieder. Zwei Anträge werden abschließend beraten,
nämlich von den Grünen und von unserer Koalition. Diese Anträge basieren auf dem Milchquotenende am 1. April dieses Jahres. Ein weiterer Antrag stammt nun von den
Grünen, die extra dazu die Linken mit ins Boot geholt
haben,
({0})
der aber wirklich nichts Neues bringt.
({1})
- Nein, so lang bist du nicht.
({2})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von Grünen und Linken, Sie gießen hier erneut die Vorstellungen
des BDM in einen Antrag. Der BDM hat übrigens als Erster - das war im Jahr 1998 - die Abschaffung der Quote
gefordert. Ich habe hier Flugblätter, die zeigen, dass der
BDM schon damals festgestellt hat, dass nur eine - ich
zitiere - Abschaffung der Quote zu einer „Verbesserung
der Wirtschaftlichkeit“ und zur „Nutzung der Chancen
auf den internationalen Märkten“ führt.
({3})
- Ja, die suche ich noch.
Wenn dann jetzt, 15 Jahre später, dieser Wunsch in Erfüllung gegangen ist und alle zusammen feststellen, dass
das auch nicht alle Betriebe retten kann, wird ein freiwilliger Verzicht auf Produktion gefordert. Das war auch
beim ersten Antrag der Grünen zum Milchquotenende
schon der Fall; aber, lieber Friedrich Ostendorff, durch
Wiederholung wird diese Forderung nicht überzeugender. Das hat im Übrigen auch schon das Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut festgestellt. Jeder, der sich mit
dieser Materie auseinandergesetzt hat, weiß schon lange,
dass es für diese Krise keine Lösung im Sinne der Marktregulierung gibt. Das war auch so gewollt, als wir uns
2003 zur Beendigung der Quotierung bekannt haben. Ich
mache es kurz: Ein freiwilliger Verzicht auf Milchproduktion, wie Sie es hier wiederum fordern, ist schlicht
unrealistisch, ja sogar populistisch.
({4})
Bestenfalls können wir versuchen, die Auswirkungen
dieser Preiskrise zu mildern. Ich bin der Meinung, dass
unser Minister Christian Schmidt sich in diesem Fall bis
an die Grenzen seiner Möglichkeiten für unsere Milchbauern eingesetzt hat.
({5})
Maßgeblich durch seinen Einsatz hat EU-Kommissar
Hogan zugestimmt, dass die Gelder aus der „Superabgabe“ - eigentlich zweckentfremdet - für unsere Milchbauern eingesetzt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Krise ist nicht
eine Folge des Auslaufens der Quotierung.
({6})
Nein, meine Damen und Herren - Frau Tackmann, vielleicht können Sie auch noch lernen; wir haben diese
Hoffnung -, zwei verführerisch gute Jahre für die Milchbauern haben zu einer Produktionssteigerung auch bei
uns um mehr als 4 Prozent geführt.
({7})
Das ist zusammen mit dem Nachfragerückgang in China
und den Sanktionen wegen der Ukraine-Krise die Ursache dafür, dass wir eine Überproduktion haben.
({8})
- Friedrich, du wirst lernen: Es ist die Zukunft. - Diese
Überschussproduktion wird in dem von uns allen gewollten freien Markt nun einmal zu sinkenden Preisen führen.
Jetzt sollten wir nicht in Aktionismus verfallen. Der
Sektor wird nicht nur diese Krise überstehen. Der Sektor
hat eine gute Zukunft.
({9})
Tatsache ist, dass wir im Durchschnitt der letzten Jahre
zufriedenstellende oder sogar gute Preise hatten. Trotzdem gab es vor und während der Quotierung einen Strukturwandel, und diesen werden wir auch weiter haben. Ob
dieser freie Markt und die dazu gehörende Volatilität der
Preise für kleinere Betriebe so große Probleme bringen,
dass dies zu einem verstärkten Strukturwandel führen
wird - ich gebe zu, auch ich habe davor Angst -, wird
uns die Zeit lehren. Ganz werden wir den Strukturwandel
nicht aufhalten können, genauso wenig wie den technischen Fortschritt. Aber wenn unsere Gesellschaft das als
ein Problem sehen wird, dann werden wir uns damit auseinandersetzen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe
schon gesagt, dass die aktuelle Krise nur der Markt lösen
kann, indem Angebot und Nachfrage wieder in Balance
gebracht werden. Aber genauso fest steht, dass die nächste Krise kommt.
({10})
Die für mich spannende Frage ist, ob wir dann wieder
diesen Weg gehen oder ob wir in der Lage sind, intelligentere Modelle zu finden. Ich bin unserem Minister
Schmidt sehr dankbar, dass er auf der vorletzten Agrarministerkonferenz gesagt hat, dass es bei der Lösung dieser Frage keine „Denkverbote“ geben darf.
({11})
Ich habe die berechtigte Hoffnung, dass wir in der nächsten Zeit ohne Scheuklappen miteinander über die zukünftige Marktorientierung ins Gespräch kommen werden.
({12})
Ich komme zum Schluss. Der Antrag der Grünen ist
einfach nicht realistisch und deshalb abzulehnen. Folgerichtig muss man dem Antrag der Koalition zustimmen.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank, Kollege de Vries. - Die letzte Rednerin
in der Debatte: Rita Hagl-Kehl für die SPD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Bei uns lernt man schon in der Schule:
Die Bundesrepublik Deutschland folgt dem Prinzip der
sozialen Marktwirtschaft. Sozial bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man Härten abfängt. Dass man dafür
auch Subventionen verwendet, wissen wir alle. Es ist ja
in den letzten Minuten schon darüber gesprochen worden. Marktwirtschaft bedeutet, dass Angebot und Nachfrage den Preis regeln.
Wir haben im Bereich der Milchwirtschaft ein Überangebot an Milch.
({0})
Gleichzeitig besteht in Deutschland eine Nachfrage nach
Biomilch, die wir allein nicht stillen können.
({1})
Wir importieren Biomilch aus Österreich und Dänemark.
({2})
30 Prozent des Umsatzes im Biobereich entfallen allein
auf Milchprodukte und Käse. 3 Prozent der Milchprodukte in Deutschland werden aus Biomilch hergestellt.
Der Preis für Biomilch ist in den letzten Monaten gestiegen. Wir sind jetzt bei durchschnittlich 47,9 Cent pro Liter. Ich glaube, dafür kann man auch melken,
({3})
um die Begrifflichkeit von vorhin aufzugreifen. Meiner
Meinung nach sollten wir uns nicht am Export orientieren, sondern an der Deckung der Nachfrage vor Ort.
({4})
Friedrich, ich habe ein Wort von dir zur Bioproduktion
vermisst.
({5})
- Gut. - Dieser Bereich bietet ganz viele Chancen für
kleinere und mittlere Betriebe. Kleinere und mittlere Betriebe sind es auch, die wir durch die regionalen Wirtschaftskreisläufe fördern müssen. Das heißt, Regionalund Selbstvermarktung müssen gestärkt werden. Der
Verbraucher in Deutschland will immer häufiger wissen,
wo seine Produkte herkommen - auch im Bereich der
Milch.
({6})
- Lassen Sie mich doch bitte einmal ausreden. - Beispiele für solche Regionalprojekte wären Milchtankstellen,
Käseproduktion an den Höfen oder Erzeugergemeinschaften. Mit solchen Modellen kann man auch den
Strukturwandel aufhalten.
Genau das ist auch das Ziel der SPD-Fraktion. Deswegen fordert die SPD-Fraktion schon seit längerem, dass
die zweite Säule auf mindestens 15 Prozent aufgewertet
wird.
({7})
Österreich zum Beispiel, um zu dem Land zurückzukehren, das Milch zu uns exportiert, hat mehr als die Hälfte
in der zweiten Säule. Dadurch ist es Österreich auch gelungen, die Höfe von Bergbauern und die kleinen Strukturen zu erhalten.
({8})
- Genau. Ich wende mich natürlich auch an die Regierungsbank, nicht nur an Sie.
Ich komme zu den Zielen der SPD-Bundestagsfraktion. Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Milchbauern sichern. Wir wollen nachhaltige und tiergerechte Milchproduktion anstreben. Das schont auch die
Umwelt. Wir wollen die Wertschöpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen in den ländlichen Regionen fördern. Genau deswegen müssen wir diesen Strukturwandel aufhalten. Genau dazu dienen solche Mittel wie die
zweite Säule.
Herzlichen Dank.
({9})
Vielen Dank, Frau Kollegin Hagl-Kehl.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6206 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache
18/5601. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache
18/4424 mit dem Titel „Auslaufen der Milchquote Wettbewerbsfähigkeit der Milchviehhalter sichern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/4330 mit dem Titel „Landwirtschaft
braucht flächendeckende Milchviehhaltung - Bäuerliche
Milcherzeuger stärken - Milchpreise stabilisieren“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU
und SPD, Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und
einem Kollegen der Linken sowie bei Enthaltung der übrigen Mitglieder der Linken.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes
Drucksache 18/5865
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0})
Drucksache 18/6234
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Parlamentarischen Staatssekretärin Rita SchwarzelührSutter für die Bundesregierung.
({1})
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich verstehe gar nicht, dass bei so einem interessanten Thema nicht mehr Kolleginnen und Kollegen
im Plenarsaal bleiben.
({2})
- Die wichtigsten sind da.
Die sogenannte Entsorgungsrichtlinie ist teilweise noch in nationales Recht umzusetzen. Sie dient der
Schaffung eines europäischen Gemeinschaftsrahmens
für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle. Die
Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollen geeignete
innerstaatliche Vorkehrungen treffen, um ein hohes Sicherheitsniveau bei der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle zu gewährleisten.
Das deutsche Recht entsprach schon weitgehend den
Vorgaben dieser Richtlinie. Ein erster Schritt zur weiteren Umsetzung ist durch das Standortauswahlgesetz vom
23. Juli 2013 erfolgt. Ich kann mich noch gut erinnern;
das Gesetz wurde am letzten Sitzungstag vor der Sommerpause beschlossen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Umsetzung der Richtlinie jetzt abgeschlossen.
Mit dem Gesetzentwurf wird die Bundesregierung
verpflichtet, in Form eines Nationalen Entsorgungsprogramms darzulegen, wie die Bundesrepublik Deutschland beabsichtigt, die nationale Strategie für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter
Brennelemente und radioaktiver Abfälle umzusetzen.
Das Nationale Entsorgungsprogramm ist künftig regelmäßig zu überprüfen und bei Bedarf zu aktualisieren.
Wir haben im Vorgriff auf diese Regelung und vor dem
Hintergrund der europäischen Verpflichtung zur Vorlage
eines Entsorgungsprogramms bis zum 23. August dieses
Jahres bereits ein Nationales Entsorgungsprogramm erstellt, das vom Bundeskabinett schon beschlossen und
der EU-Kommission übermittelt wurde. Wir haben damit Transparenz geschaffen und eine belastbare, solide
gerechnete und ungeschönte Planung für die Entsorgung
des Atommülls vorgelegt.
Im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung des
Programms bestand für die Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Beteiligung. Wir haben in diesem Programm
die Kritik an der Option der Erweiterung des Endlagers
Schacht Konrad berücksichtigt. In diesem Zusammenhang begrüße ich es, dass sich die Endlagerkommission - ohne Verlängerung ihrer gesetzlich vorgesehenen
Arbeitszeit bis Mitte 2016 - auch mit der Planung für
die Entsorgung der zurückzuholenden Asse-Abfälle und
der möglicherweise endzulagernden Rückstände aus der
Urananreicherung befassen wird.
Der Umweltausschuss hat Ergänzungen des Entwurfs
empfohlen. Hierbei geht es um Regeln für das Verfahren
zur Übermittlung von Abfalldaten und die Erweiterung
von Bußgeldtatbeständen. Ich halte die Änderungen für
sinnvoll. Sie gehen auf die Anregungen des Bundesrates
zurück und werden auch von der Bundesregierung unterstützt.
Daher kann ich Ihnen insgesamt den Gesetzentwurf
einschließlich seiner Änderungen zur Annahme empfehlen und hoffe auf eine entsprechende Beschlussfassung.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter. Nächste Rednerin: Eva Bulling-Schröter für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch nach 40 Jahren Atomenergie sind grundsätzliche
Fragen einer sicheren und dauerhaften Atommülllagerung nicht geklärt. Regelmäßig wird darüber gestritten,
wie und wo Atommüll überhaupt gelagert werden kann nicht nur in der Atommüllkommission. Auch der Bericht
zum Nationalen Entsorgungsprogramm hat eine heftige Debatte ausgelöst. 70 000 Einsprüche hat es zu dem
Berichtsentwurf gegeben. Wir sollen nun hier mit der
14. Novelle des Atomgesetzes sozusagen nachträglich
eine gesetzliche Grundlage schaffen.
Es ist zunächst gut, dass im Bericht zum Nationalen
Entsorgungsprogramm die enorme Menge leicht- und
mittelradioaktiver Abfälle aus Gronau und aus der Asse
thematisiert wird, sodass sich die Atommüllkommission
mit der weiteren Klärung befassen kann. Es wird zumindest vorerst darauf verzichtet, diesen Strahlenmüll in
dem dafür ungeeigneten Schacht Konrad zu verklappen.
Damit reagiert die Bundesregierung offenbar auf den
Protest aus der Region Salzgitter. Gut so! Das Beispiel
macht aber auch klar: Die Probleme, vor denen wir stehen, sind weiterhin gewaltig.
Der Bericht wurde dieses Jahr im Sommer fertiggestellt, aber erst jetzt kommt eine Atomgesetznovelle, die
Vizepräsidentin Claudia Roth
im Grunde Details des Berichts regeln soll. Umgekehrt
wäre es eigentlich besser gewesen.
({0})
Ich hätte mir gewünscht, dass die Novelle strengere Anforderungen an den Bericht beinhalten würde und zum
Beispiel eine problemorientierte Analyse - um festzustellen, wo die Probleme wirklich liegen - und klare Kriterien vorsähe. Dann erst hätte der Bericht geschrieben
werden sollen. Das wäre eigentlich besser gewesen.
70 000 Einwendungen - meine Damen und Herren,
das ist doch schon ein bisschen peinlich, oder? So, wie
der Bericht jetzt ist, stellt er das wahre Ausmaß des
Atommülldesasters nicht dar, sondern tut so, als ob alles
irgendwie lösbar wäre oder gelöst worden ist. Über die
tatsächlichen Probleme schweigt sich der Bericht aus.
Er verschweigt zum Beispiel die rostigen Atommüllfässer in der Asse. Auch die per Gerichtsbeschluss aufgehobene Genehmigung für das Castorzwischenlager am
AKW Bruns büttel und die Frage, welche Probleme das
für künftige Genehmigungsverfahren macht, werden mit
keinem Wort erwähnt.
Ein letztes Beispiel. Im Bericht ist plötzlich von einem „Eingangslager“ für Castorbehälter mit hochradioaktiven Abfällen die Rede. Das ist ein neuer Begriff für
eine alte Sache. Aber warum braucht man ihn? Wir wissen: Irgendwann laufen die Genehmigungen für die Zwischenlager Gorleben und Ahaus aus. Wie geht es dann
weiter: ein neues Zwischenlager oder die alten mit viel
mehr Müll? Im Kleingedruckten, ganz versteckt, steht
dann: In diesem Eingangslager sollen künftig immerhin
500 Castoren für Jahrzehnte zwischengelagert werden. Hört! Hört! Ich finde das interessant, nicht nur für die
Atommüllkommission, sondern auch für die Betroffenen
vor Ort. Ich frage mich: Warum verstecken Sie diese Information? Ich muss Ihnen sagen: Wir, die Linken, halten
das für vollkommen unakzeptabel.
({1})
Über den Inhalt des Berichts werden wir im Umweltausschuss sprechen; wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht. Heute diskutieren wir über die
14. Atomgesetznovelle. Die jetzt von den Regierungsfraktionen eingereichten Nachbesserungen in Bezug auf
die Informationspflichten der Betreiber und auf die Bußgelder finden wir richtig; das ist über den Bundesrat ja
auch schon aufgerufen. Aber die Anforderungen an den
Bericht zum Nationalen Entsorgungsprogramm hätten
schärfer und konkreter sein müssen. Damit würden Sie
das Berichtswesen verbessern und wirklich umfassend
informieren. Aber weil das nicht so ist, werden wir uns
bei der Abstimmung enthalten.
Ich muss noch ein Wort zu den Gerüchten sagen, die
uns hier erreichen: Es soll eine neue Kommission geben,
die sich mit der Finanzierung der Atomlasten beschäftigen soll.
({2})
- Das ist kein Gerücht. - Das ist nun wieder ein Ablenkungsmanöver.
({3})
Denn was wir wirklich brauchen, ist ein öffentlich-rechtlicher Fonds, der die Rücklagen der Konzerne sichert.
Darüber diskutieren wir nicht erst seit heute, sondern
schon länger.
({4})
Nun wird wieder eine Kommission gebildet - es
werden interessante Namen genannt: ein gewisser Herr
Hennenhöfer, uns allen bekannt; da wird wieder einmal
der Bock zum Gärtner gemacht -, unter Ausschluss der
Linken, eine Kommission, die nicht demokratisch legitimiert wird; auch das haben wir schon öfter gesagt. Das
zeigt wieder nur die Hilflosigkeit der Bundesregierung
angesichts der drängenden Milliardenkosten und Probleme, die auf uns zukommen.
Nun ist das Thema wieder auf dem Tisch. Eigentlich
dachte ich, wir wären schon einen Schritt weiter. Aber da
habe ich mich wieder einmal getäuscht.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin Bulling-Schröter. - Nächster Redner: Steffen Kanitz für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Nationale Entsorgungsprogramm, kurz: NaPro,
ist das Herzstück der nuklearen Entsorgungsstrategie in
Deutschland. Der letzte vergleichbare Beschluss stammt
aus dem Jahre 1979. Ich hoffe, dass dieser heutige Beschluss etwas länger hält als der letzte; mindestens jedoch zehn Legislaturperioden, die wir brauchen werden,
um ein Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe zu
finden. Wir wollen es 2050 in Betrieb nehmen. Insofern
hat der heutige Beschluss historische Qualität. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken beim
BMUB für die geleistete Arbeit und dafür, dass wir heute
diesen Beschluss verabschieden können. Vielen Dank für
Ihre Arbeit.
({0})
Der Entwurf des Nationalen Entsorgungsprogrammes
wurde öffentlich diskutiert. Die Einwendungen, die gerade von den Linken zitiert wurden, wurden berücksichtigt.
Es gibt - Kollege Lagosky ist ja da - keine Erweiterung
Konrads durch die Hintertür, was befürchtet wurde. Das
stand in der ersten Fassung des Entwurfs nicht drin, aber
es wurde jetzt noch einmal klargestellt.
Bei der Umsetzung des NaPros werden die Empfehlungen der Endlagerkommission eine wichtige Rolle
spielen. Um diese Rolle sachgerecht auszufüllen, muss
die Endlagerkommission stringent und auch pünktlich
bis Mitte 2016 ihren Arbeitsauftrag abarbeiten.
Eine für die Endlagerkommission zentrale Aussage im
Nationalen Entsorgungsprogramm ist, dass die radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse sowie das angefallene abgereicherte Uran der Firma Urenco bei der Arbeit mitgedacht werden sollen. Vor diesem Hintergrund
gab es in den letzten Wochen eine kontroverse Debatte in
der Endlagerkommission, aber auch in der Presse darüber, wie diese Abfallarten berücksichtigt werden sollen.
Ergebnis der Diskussion ist, dass die Endlagerkommission die Asse-Abfälle behandeln wird und darlegt, wie
die Abfälle konditioniert werden müssten, um zusammen
mit den hochradioaktiven Abfällen entsorgt werden zu
können.
Klar muss aber auch sein, dass der Schwerpunkt der
Kommissionsarbeit auf dem Kriterienkatalog für die
Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle liegt. Alles andere würde die Problemlösung auf zukünftige Generationen verschieben. Ich würde sogar so
weit gehen, dass es wahrscheinlich den gesamten Prozess gefährden würde. Ich möchte gerne anhand einiger
Fakten erklären, warum ich diese Gefahr für die Zukunft
durchaus sehe:
Wir unterscheiden in Deutschland grundsätzlich zwei
Abfallkategorien, zum einen die hochradioaktiven, wärmeentwickelnden Abfälle, die größtenteils aus dem Betrieb der Kernkraftwerke stammen und etwa 10 Prozent
des Abfallvolumens ausmachen, aber eben 99 Prozent
der Radioaktivität - hier liegt also das maßgebliche Gefahrenpotenzial und aus meiner Sicht auch unsere große
Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen -, und zum anderen die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle, die zum großen Teil aus dem Rückbau der
Kernkraftwerke, der Forschung und auch der Medizin
stammen. Sie vereinen rund 90 Prozent des Abfallvolumens; sie sind also mit Abstand die größte Menge der
radioaktiven Abfälle in Deutschland, stehen aber für nur
1 Prozent der Radioaktivität. Das Gefährdungspotenzial
sollte man nicht kleinreden, aber das ist eben ein anderes
Niveau als das der hochradioaktiven Abfälle.
Für 303 000 Kubikmeter dieser schwach- und mittelradioaktiven Abfälle ist bereits ein Endlager gefunden,
das eben schon erwähnte Endlager Schacht Konrad.
Nach den aktuellen Planungen soll die Inbetriebnahme
2022 erfolgen. Um es ganz klar zu sagen: Ohne Konrad
werden wir keinen Rückbau der Kernkraftwerke hinbekommen. Deswegen: Konrad muss kommen. Wir wollen
an dem Zeitplan dringend festhalten.
({1})
Nach dem Nationalen Entsorgungsprogramm der
Bundesregierung müssen auch mögliche zukünftige
schwach- und mittelradioaktive Abfälle durch die Endlagerkommission betrachtet werden: die Urantails der Firma Urenco und die prognostizierten Rückholungsabfälle
aus der Asse. Bei beiden Abfallarten ist aber noch nicht
klar, in welchen Mengen und in welcher Beschaffenheit
sie vorliegen werden. Das gilt insbesondere für die Abfälle aus der Asse. Um es mit den Worten des BfS-Präsidenten König zu sagen: Mit der Frage der Menge und
der Verbackung der Abfälle mit Salz werden wir leben
müssen, bis die Abfälle geborgen werden.
Schätzungen des BfS gehen davon aus, dass die Rückholung der Asse-Abfälle frühestens um das Jahr 2030 beginnen könnte. Wir alle wissen, dass auch dieser Zeitplan
ambitioniert ist angesichts der zeitlichen Verzögerungen,
die wir insbesondere beim Bau eines neuen Schachtes
sehen. Da auch die Rückholung viele Jahre in Anspruch
nehmen wird, gehen wir nach einer aktuellen Studie der
DMT, die vom BfS in Auftrag gegeben wurde, davon
aus, dass wir die gesamten Abfälle der Asse nicht vor
dem Jahr 2065 kennen.
Laut Standortauswahlgesetz soll der Standort für ein
Endlager für insbesondere hochradioaktive, wärmeentwickelnde Abfälle 2031 gefunden sein, das heißt, mindestens drei Jahrzehnte früher. Hier zeigt sich sehr deutlich: Hochradioaktive Abfälle und Asse-Abfälle können
nicht zusammen gedacht werden. Wir planen die Inbetriebnahme des Endlagers für 2050. Das heißt, 15 Jahre
nachdem wir das Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe in Betrieb nehmen, wissen wir erst, wie viele Asse-Abfälle wir haben.
Neben dieser zeitlichen Dimension möchte ich auf
eine zweite Herausforderung hinweisen: Hochradioaktive Abfälle und schwach- und mittelradioaktive Abfälle haben sehr unterschiedliche Anforderungen an das
Wirtsgestein: Hochradioaktive Abfälle produzieren Wärme. Den bestmöglichen Einschluss gewährleisten dichte
Wirtsgesteine wie Tongestein oder Steinsalz. Schwachund mittelradioaktive Abfälle produzieren keine Wärme;
aber aufgrund von Anteilen von Organik und Feuchtigkeit bilden sich Gase. Damit diese Gase ohne Druckaufbau gespeichert werden können, sollte ein poröses
Wirtsgestein gewählt werden, das von einer dichten geologischen Barriere umschlossen wird, zum Beispiel einer Tongesteinsschicht. Konrad verfügt über eine solche
geologische Gesamtsituation.
In der Endlagerkommission haben uns Fachleute klargemacht, dass diese beiden Abfallarten aufgrund ihrer
Eigenschaften nicht unmittelbar zusammen in ein Endlager verbracht werden können. Insbesondere die Asse-Abfälle werden größte Mengen kontaminierten Salzgruß beinhalten, der das Wirtsgestein Ton angreifen würde. Ein
gemeinsames Endlager für beide Abfallarten wäre damit
faktisch eine Vorfestlegung auf das Wirtsgestein Steinsalz. Eine solche Vorfestlegung haben wir über alle Parteien hinweg, gerade auch in der Endlagerkommission,
bisher bewusst vermieden.
({2})
Stellen Sie sich vor dem Hintergrund dieser dargestellten Fakten nun vor, dass wir in der nächsten Legislaturperiode - das ist unser gemeinsames Ziel - mit der
Suche nach einem Endlager für sämtliche Abfallarten beginnen würden. Dann bekommen wir ein Endlager, das
die bestmögliche Sicherheit für alle Abfallarten darstellt,
sehr wahrscheinlich aber eben nicht die bestmögliche Sicherheit für jede einzelne Abfallart. Dann stellt sich im
Rahmen des laufenden Verfahrens möglicherweise heraus, dass sich die Rückholung aus der Asse verzögert
oder womöglich unmöglich wird.
Was wird dann passieren? Völlig klar - das wissen wir
jetzt schon -: Es wird einen Aufschrei derjenigen geben,
die kein Endlager in Deutschland wollen. Hätten wir von
Anfang an ein reines Endlager für HAW-Abfälle gesucht,
dann wären möglicherweise andere Kriterien angewendet und damit auch andere Standorte auf ihre Eignung
hin untersucht worden. Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch ein besser geeigneter Standort für die
reinen hochradioaktiven Abfälle übersehen wurde. Die
Erwartung „Bestmögliche Sicherheit für 1 Million Jahre“ wäre offensichtlich nicht erfüllt. Dann stehen wir
wieder - es ist ja nicht so, dass uns das nicht auch viele
wünschen würden - vor einem Scherbenhaufen, beginnen wieder bei null. Ich meine, dass wir genau dies ganz
dringend und um jeden Preis verhindern müssen, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Wir tragen heute Verantwortung und können die Lösung nicht auf zukünftige Generationen verschieben. Wir
haben maßgeblich von der Kernenergie profitiert - ja, das
ist richtig - und haben jetzt die historische Chance, eine
Lösung zu finden.
Wie könnte diese Lösung aussehen? Ich glaube, wir
brauchen zwei parallele Prozesse:
Das neue Suchverfahren sollte in einem ersten Schritt
nur ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zum Ziel
haben. Hierfür liegen alle Ausgangsparameter, die benötigt werden - Abfallmenge, Radionuklidinventar -, vor,
sodass wir die Suchkriterien verbindlich festlegen können. Wenn wir von Transparenz und Glaubwürdigkeit
des Verfahrens sprechen, dann ist die verbindliche Festlegung der Kriterien vor Beginn des Verfahrens absolut
wichtig.
Wir sollten parallel dazu für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle alle notwendigen Grundlagen
erarbeiten. Nur: Wie gerade ausgeführt, werden wir Gewissheit über sämtliche Parameter wahrscheinlich erst in
50 Jahren haben. Insofern meine herzliche Bitte: Lassen
Sie uns nicht wegen 1 Prozent der Radioaktivität das gesamte Suchverfahren für Jahrzehnte unterbrechen. Auch
das gehört zur Glaubwürdigkeit dazu. Ich bitte alle Beteiligten, sich diese Zusammenhänge klarzumachen und
uns hier zu unterstützen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank, Steffen Kanitz. - Nächste Rednerin in
der Debatte ist Sylvia Kotting-Uhl für Bündnis 90/Die
Grünen.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Atomgesetznovelle, die wir heute beschließen wollen, behandelt den Atommüll, das Gefährlichste und Langlebigste, was die Menschheit je produziert hat. Der Gesetzentwurf in seinen Buchstaben ist für
uns als grüne Fraktion völlig in Ordnung; er ist ja auch
relativ mager. Wir werden ihm zustimmen.
Die Differenzen liegen eher in dem, was dahintersteht:
im Nationalen Entsorgungsprogramm. Deswegen haben
sich auch alle bisherigen Rednerinnen und Redner darauf bezogen. Auch ich will das tun und mit Konrad anfangen. Ich finde es erfreulich und lobenswert, dass das
BMUB sehr stark auf die Einwendungen eingegangen ist
und - das erachte ich auch als einen Ausfluss der Arbeit
der Endlagerkommission - auch die gesellschaftspolitischen Implikationen, die ein solches Endlager hat, sehr
stark in den Vordergrund gerückt hat. Jetzt wird also davon Abstand genommen, als erste Priorität für die Asseund Urenco-Abfälle, wie es noch im Entwurf des NaPro
stand, die Option Konrad zu sehen. Dass dies in den Hintergrund gerückt ist, ist gut.
Aber immer noch ist im Hinblick auf Konrad ein Fehler zu finden - ich bitte, da nachzuarbeiten -: Im Nationalen Entsorgungsprogramm steht, der Stand von Wissenschaft und Technik sei für Konrad erst bei Ende der
Betriebszeit nachzuweisen. Ich glaube, dass man damit
den Menschen im Umfeld von Konrad das Leben mit
dem Endlager noch ein Stück schwerer macht. Der Stand
von Wissenschaft und Technik muss zu Beginn der Einlagerungsphase, also bei Inbetriebnahme von Konrad,
nachgewiesen werden.
({0})
Herr Kanitz hat sehr deutlich ausgeführt - Sie hatten
ja auch ein bisschen mehr Redezeit als ich -,
({1})
welche Aufgaben das NaPro uns in der Endlagerkommission stellt; deswegen will ich darauf nur relativ kurz
eingehen.
Frau Schwarzelühr-Sutter, für uns in der Endlagerkommission ist klar: Ja, wir geben gemäß dem Zeitplan - so
haben wir es zumindest vor - einen Bericht ab. Das wird
aber nicht, wie ursprünglich gedacht, ein wirklicher, vollkommener Abschluss- bzw. Endbericht sein, in dem wir
alles darlegen, wie man das Verfahren zur Endlagersuche
starten kann, sondern er wird bewusst „Bericht“ heißen,
und es werden auch offene Fragen thematisiert. Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen
die Abfälle aus der Asse und von Urenco an demselben
Standort eingelagert werden können - in zwei Endlager,
die auf irgendeine Weise miteinander verbunden sind -,
werden wir nicht beantworten können, sondern diese
Frage wird ein Nachfolgegremium beantworten müssen.
Ein großer Fehler in dem NaPro ist auch die Regelung - Frau Bulling-Schröter hat es schon benannt - zum
Eingangslager. Ich halte es für völlig untragbar, festzulegen, dass ein Eingangslager nach der Benennung des
Standortes durch die Behörde und anschließendem Beschluss des Bundestages errichtet wird. Das wäre in der
Tat ein Rückfall zum Prinzip „Gorleben“.
Nach der Genehmigung des Standortes kann das Eingangslager gebaut und in Betrieb genommen werden,
nicht vorher. Ich bitte wirklich inständig: Lassen Sie uns
einen solch absolut gravierenden Fehler nicht machen.
({2})
Weil das zurzeit sehr stark diskutiert wird, will ich
auch noch kurz etwas zum Nachhaftungsgesetz sagen auch deshalb, weil Sie sich, Herr Kanitz, in Ihrer Rede
zur ersten Lesung dieser Atomgesetznovelle, die Sie ja
zu Protokoll gegeben haben, wie wir alle, sehr stark mit
der Finanzierung befasst haben. Zu dem Nachhaftungsgesetz, das Sie für überflüssig erachtet haben, haben Sie
gesagt, Sie hielten das für einen Startschuss zur Deindustrialisierung unseres Landes.
({3})
Ich zitiere Sie jetzt:
Eine zeitlich und inhaltlich unbegrenzte Haftung
kann nicht verhältnismäßig sein und entfaltet eine
gefährliche Signalwirkung für andere, risikobehaftete Branchen. Heute wollen Sie ein Einzelfallgesetz für die Energieversorgungsunternehmen, und
morgen diskutieren wir über weitere Branchen mit
langfristigen Risiken ...
({4})
Herr Kanitz, weil Ihre Ausführungen ansonsten darauf schließen lassen, habe ich bisher gedacht, Sie hätten erkannt, dass der Atommüll wirklich ganz singulär
langfristige Risiken aufweist und wirklich mit nichts,
aber auch gar nichts und keiner anderen Branche in der
Wirtschaft zu vergleichen ist und es von daher absolut
gerechtfertigt ist, sich extra für diesen Bereich Gesetze
zu überlegen. Ein solches Gesetz ist zum Beispiel das
Nachhaftungsgesetz.
({5})
Dieses Gesetz ist richtig; wir brauchen es dringend. Das
ist ein guter erster Schritt.
({6})
Sie haben des Weiteren gesagt:
Das Nachhaftungsgesetz geht von der verfassungsrechtlich unzutreffenden Prämisse aus, die EVU
hätten alles zu bezahlen, was der Staat für gesellschaftspolitisch wünschenswert hält.
Nein, das haben die EVU nicht, aber die Entsorgung und
die sichere Verwahrung des Atommülls, den sie selbst
produziert haben, haben sie in der Tat zu bezahlen.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin Kotting-Uhl. - Nächste
Rednerin: Hiltrud Lotze für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Unser Debattenthema heute ist die 14. Novelle des Atomgesetzes, aber eigentlich - das haben wir
hier jetzt eben schon gehört - reden wir über das Nationale Entsorgungsprogramm, das NaPro.
Kernpunkte der Novelle sind der Auftrag und die Kriterien für ein Nationales Entsorgungsprogramm, welches die Bundesregierung - das hat die Parlamentarische
Staatssekretärin vorhin gesagt - ja bereits erstellt hat. Im
NaPro wird nicht nur erstmals - und das breit angelegt,
offen, ehrlich und umfassend - der Atommüll bilanziert,
sondern auch ein Konzept dafür entworfen, welcher
Atommüll wo gelagert werden soll.
Ab unter die Erde und dann Schwamm drüber: Das
war - so flapsig könnte man es vielleicht sagen - lange Zeit die gängige Entsorgungsphilosophie, mit fatalen
Folgen, wie wir bei der Asse erkennen mussten. Bei der
Asse, in Gorleben und beim Schacht Konrad wurde auch
klar, dass es nicht ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit
geht.
({0})
Diese Erkenntnis wurde mit dem Standortauswahlgesetz vom Juli 2013 und der Einsetzung der Endlagerkommission aufgegriffen. Damit wurde auch schon der
Richtlinie entsprochen. Endlich sollte ein Verfahren gefunden werden, das die Öffentlichkeit, die Bevölkerung,
miteinbezieht und bei ihr möglichst breite Akzeptanz
findet, damit es nicht so wie bei Gorleben abläuft, wo
der Standort aus zweifelhaften politischen Erwägungen
willkürlich bestimmt wurde.
({1})
Die Kommission ist also dabei, ein Suchverfahren zu
entwickeln, insbesondere für hochradioaktiven Müll. Je
länger die Kommission tagt, desto deutlicher wird die
Dimension der Herausforderungen, die in dem Auftrag
liegen. Das macht das Nationale Entsorgungsprogramm
deutlich: Wir haben nicht nur ein ungelöstes Problem mit
dem hochradioaktiven, sondern auch mit dem mittel- und
schwachradioaktiven Müll.
Es ist hier schon angeklungen: Was passiert mit den
Asse-Abfällen und was mit den sogenannten Uran-Tails
aus Gronau? Das NaPro - auch das wurde schon angesprochen - favorisiert nun die Suche nach einem Endlager, das alle Arten des Atommülls, hochradioaktiv sowie
mittel- und schwachradioaktiv, aufnehmen kann. Dies
geschieht aus einem sehr guten Grund: Die Bedenken der
Bevölkerung gegen Schacht Konrad wurden gehört und
ernst genommen. Das ist ein entscheidender Schritt in die
richtige Richtung. Als Abgeordnete, in deren Wahlkreis
Gorleben liegt, kann ich ein solches Vorgehen nur ausdrücklich begrüßen.
({2})
Ich muss allerdings an dieser Stelle kritisch anmerken,
dass die seit Jahrzehnten vorgetragenen Bedenken der
Menschen aus Lüchow-Dannenberg über lange Zeit leider keine vergleichbare Folgewirkung hatten.
Eine Suche nach einem Kombilager würde alle Voraussetzungen radikal verändern. Wir reden dann vom
zehnfachen Volumen und bei den Asse-Abfällen über
mögliche chemische Reaktionen, Prozesse und Auswirkungen, die wir noch gar nicht kennen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kommission hat
auch in diesem Fall eine, wie ich meine, gute Entscheidung getroffen. Sie wird in dem Bericht, der im Juli 2016
übergeben wird, insbesondere die Auswahlkriterien für
hochradioaktive Abfälle darstellen und sich in einem
weiteren Kapitel mit Empfehlungen für eine Lagerstätte beschäftigen, in der auch die Asse-Abfälle eingelagert
werden können.
Eines muss aber aus meiner und aus unserer Sicht
ganz klar sein: Eine Verengung auf ein wie auch immer
geartetes Kombilager, bei der es aufgrund des benötigten
Volumens von vornherein nur auf Salz als Wirtsgestein
und damit auf Gorleben als einzig möglichen Standort
hinausläuft, ist nicht akzeptabel. Das widerspräche auch
den Zielen und dem Grundgedanken des Standortauswahlgesetzes.
({3})
Auch Akzeptanz wäre so nicht zu erreichen. So wie ich
die Arbeit in der Kommission verfolge, ist das überhaupt
nicht zu erwarten; da bin ich ganz sicher. Ich will das als
Abgeordnete mit Gorleben im Wahlkreis hier nur noch
einmal deutlich sagen, und das ist natürlich auch die Erwartung der Menschen in meiner Region.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen ist es
richtig, dass das Nationale Entsorgungsprogramm explizit unter Vorbehalt der Ergebnisse der Endlagerkommission steht und nicht umgekehrt, wie die Linken es
fordern. Aus all den hier genannten Gründen können wir
der 14. Novelle des Atomgesetzes in der Fassung der Beschlussvorlage mit gutem Gewissen zustimmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank, Kollegin Lotze. - Der letzte Redner in
dieser Debatte: Florian Oßner.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Diese Debatte führt uns vor Augen, dass wir
eine gewaltige Aufgabe zu bewältigen haben. Unser Ziel
ist es, eine sichere Endlagerung für den atomaren Abfall
zu finden. Ja, wir bemühen uns jetzt schon fast ein halbes Jahrhundert darum. Weitere 50 Jahre können wir uns
gerade vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Kernenergie nicht mehr leisten.
({0})
Daher freut es mich, dass wir die 14. Novelle des
Atomgesetzes parlamentarisch nun so zügig behandeln.
Dafür natürlich herzlichen Dank an das Bundesumweltministerium. Wir schaffen hiermit den Rechtsrahmen für
das Nationale Entsorgungsprogramm; das wurde heute schon mehrfach angesprochen. Diesem Programm
kommt die Aufgabe der Erstellung einer strategischen
Gesamtkonzeption und eines umfassenden Verzeichnisses aller atomaren Abfallarten in Deutschland zu.
Wir setzen damit auch Europarecht um. Jetzt sollten
wir zügig weitermachen, um den Zeitplan einzuhalten,
den das Standortauswahlgesetz vorgibt. In der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“, der
Endlagerkommission, haben wir uns laut gesetzlichem
Rahmen bis zum 30. Juni 2016 Zeit gegeben, um Empfehlungen für Kriterien und Verfahren zur Endlagersuche
auszuarbeiten. Diese Zeit müssen wir jetzt sinnvoll nutzen, ohne Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen, was ich
vor allem an die Kollegen der Grünen richte.
({1})
Mit der Beschlussempfehlung für eine Neuordnung
der Behördenstruktur zur nuklearen Entsorgung haben
wir in der Endlagerkommission bereits einen zentralen
Eckpunkt für den Abschlussbericht gesetzt. Allerdings
ist es nach wie vor meine Meinung, dass Regulierung
und Betrieb der Endlagerung strikt getrennt durch unterschiedliche Behörden erfolgen sollten und damit die
Aufsicht durch verschiedene Bundesbehörden durchgeführt wird.
({2})
Dies ist nicht nur im Sinne der EU-Vorgaben, sondern
entspricht auch meinem Verständnis einer effektiven
Kontrolle.
Auch sollten wir uns in der Kommissionsarbeit bei der
inhaltlichen Befassung mit dem Thema Rechtsschutz gut
überlegen, in welchem Umfang und bis zu welchem Stadium wir bei der Endlagererkundung Rechtsschutz empfehlen. Bundestag und Bundesrat müssen aber Letztentscheidungsrecht in dieser Frage behalten. Es darf nicht
sein, dass sich die Endlagerung nach einer Entscheidung
durch den Gesetzgeber durch vielfältige Klagemöglichkeiten und Gerichtsverfahren wiederum um Jahre oder
gar Jahrzehnte verzögert.
({3})
Das Nationale Entsorgungsprogramm mahnt uns mit
der exakten Auflistung und Prognose aller Abfälle gerade dazu, termintreu zu sein und eine Endlagerung in
einem vernünftigen Zeithorizont zu realisieren. Der
Schacht Konrad - er wurde heute schon mehrfach angesprochen - ermöglicht es uns, voraussichtlich ab 2022
den schwach- und mittelradioaktiven Abfall Schritt für
Schritt endzulagern. Den Abschlussbericht sollten wir
auf die wesentlichen Fragen mit dem Schwerpunkt hochradioaktive Abfälle beschränken. Wir müssen ihn nicht
mit historischen und ethischen Betrachtungen überladen.
Die Endlagerkommission ist meines Erachtens auch nicht
als belehrendes Gremium gedacht, sondern als Empfehlungs- und Ratgeber für Legislative und Exekutive.
({4})
Die Bürger verlangen von uns mehrheitlich tragbare
Lösungsvorschläge für dieses komplexe Problem statt
akademischer Spiegelgefechte. Mit einem fristgerechten
Bericht können wir gleichzeitig den vereinbarten Zeitplan zum Ausstieg aus der Kernenergie einhalten und
ein klares Zeichen der Verantwortung gegenüber den
zukünftigen Generationen setzen. Ich denke, das ist ein
ganz wichtiger Punkt.
({5})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass der
Rückbau einzelner Kernkraftwerke bereits läuft. Ab 2022
werden die Rückbaumaßnahmen nach Abschaltung der
letzten Kernkraftwerke - zum Beispiel Isar 2 in Essenbach bei Landshut in meiner Heimatregion - sicherlich
noch intensiver. Das bedeutet, dass weiterer Abfall anfällt.
Wir sollten auch die Sorgen der Menschen an den
Standorten der Kernkraftwerke ernst nehmen. In den
dortigen Zwischenlagern sind bereits die abgebrannten
Brennelemente der Kernkraftwerke verwahrt. Jetzt sehen
sich einige dieser Standorte noch mit der Aufnahme von
26 weiteren Castorbehältern mit radioaktiven Abfällen
aus den Wiederaufbereitungsanlagen La Hague und Sellafield konfrontiert. Das Standortauswahlgesetz sieht das
zwar so vor, doch die Bürgerinnen und Bürger müssen
die Klarheit haben, dass es sich tatsächlich nur um eine
zeitlich begrenzte Zwischenlagerung handelt. Ein Bericht
der Endlagerkommission zum 30. Juni nächsten Jahres
mit Schwerpunkt hochradioaktive Abfälle verdeutlicht,
dass die Politik Befürchtungen der Bevölkerung klar entgegentritt. Denn eines darf nicht passieren: Zwischenlager dürfen sich letztlich nicht in Endlager verwandeln.
({6})
Ebenso ist es für mich ein Gebot, das Standortauswahlgesetz in Bezug auf die geografischen Standorte
ernst zu nehmen. Bei der Ausarbeitung unserer Empfehlungen muss das Prinzip der weißen Landkarte gelten. Kein Standort darf aus irgendwelchen Gründen von
vornherein ausgeschlossen werden. Das bedeutet, dass
das Erkundungsbergwerk Gorleben so weit und so gut,
wie es technisch und rechtlich erforderlich ist, offengehalten werden muss. Das Bundesamt für Strahlenschutz
ist gefordert, dafür Sorge zu tragen. Die Historie und die
Symbolik dieses Standorts für die Umweltbewegung und
letztlich auch ein Stück weit für Sie, liebe Grüne, dürfen
nicht als Rechtfertigung herhalten, den Salzstock Gorleben vorab auszuklammern. Das wäre aus meiner Sicht
ungerecht gegenüber allen anderen möglichen Standorten in Deutschland.
({7})
Das Nationale Entsorgungsprogramm führt aber nicht
nur die Abfälle aus der Kernenergie, sondern auch aus
der Kerntechnik und der Medizin auf. Wir sollten bei unseren Bemühungen, diesen atomaren Abfall endzulagern,
nicht den Forschungsstandort Deutschland gefährden.
Deutschland hat internationale Zusagen zur Nichtverbreitung von hochangereichertem Uran gemacht. Demnach sind wir aufgefordert, dieses Material, das wir für
Forschungszwecke benötigen, immer an die Lieferländer
zurückzuführen.
Wir sollten den kerntechnischen Forschungseinrichtungen auch nicht die Grundlage entziehen, indem wir
den Zugang und die Rücknahme von Brennelementen für
Forschungszwecke gesetzlich unmöglich machen.
({8})
Kerntechnik ist für die Grundlagenforschung in der
Industrie - zum Beispiel bei der Materialforschung; das
wird oft nicht erkannt -, aber auch in der Medizin - zum
Beispiel bei der Krebsforschung - sowie in der Pharmazie unerlässlich. Dort ist sie wichtig. Wir benötigen das
Wissen der Experten auf diesem Gebiet für den Erhalt
der Spitzenposition des Forschungs- und Entwicklungsstandorts Bayern bzw. Deutschland.
Kompetenzerhalt für den Rückbau ist hier absolut erforderlich und überlebensnotwendig. Den Vorwurf, der
Kompetenzerhalt diene dazu, einen Wiedereinstieg in
die friedliche Nutzung der Kernenergie zu ermöglichen,
halte ich daher für eine ideologisch völlig verfehlte Argumentation.
({9})
Aus der Verantwortung gegenüber den nachkommenden Generationen heraus dürfen wir das Thema Endlagerung nicht mehr auf die lange Bank schieben. Darum
sollten wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser
Legislaturperiode ein unverrückbares Zeichen zur Lösung der Endlagerfrage setzen. Daher müssen wir dieser
Novelle zustimmen.
Herzliches „Vergelts Gott“ fürs Zuhören.
({10})
Danke schön, lieber Kollege. - Damit schließe ich die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6234,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf DrucksaFlorian Oßner
che 18/5865 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen.
Wer stimmt zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich die Linken.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/
CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Linken.
Ich kann Sie einladen, auch dem nächsten Tagesordnungspunkt zu folgen. Heute Morgen ging es um ein
starkes Europa. Wollen wir einmal sehen, wie viele sich
dafür einsetzen wollen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({0}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner,
Annalena Baerbock, Marieluise Beck ({1}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsame Grundwerte stärken - Europa
stärken
Drucksachen 18/4686, 18/6196
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Staatsminister Michael Roth für die Bundesregierung.
({2})
Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ihrem Charme sind doch einige Abgeordnete erlegen; das ist schön.
Die Abgeordneten verlassen den Raum.
({0})
Es sind aber auch einige dageblieben. Bekanntermaßen zählt die Qualität und nicht die Quantität. Im Übrigen haben Sie, Frau Präsidentin, versucht, eine Brücke zu
der Debatte anlässlich der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin heute Morgen zu schlagen. Ich finde, dass
die jetzige Debatte unmittelbar an das anknüpft, worüber
wir heute Morgen debattiert und gestritten haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was macht uns zu
Europäern? Ist das die Zugehörigkeit zu einem Kontinent? Ist das der Binnenmarkt? Ist das der Euro? Sicherlich auch. Aber wir sind vor allem eine Gemeinschaft von
Werten, eine Gemeinschaft, die sich verständigt hat auf
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte,
die Würde des Einzelnen, Solidarität und Freiheit. Wir
alle wissen, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist,
weder im globalen Wettstreit noch in der EU als Ganzes.
Deshalb ist es gut, dass wir heute diese Debatte im Deutschen Bundestag führen.
({0})
Ich weiß aus meiner bisherigen Arbeit, dass das Thema innerhalb der EU nicht von allen mit der gleichen Leidenschaft angepackt wird, weil man oft skeptisch ist, ob
es zuträglich ist, sich in die inneren Angelegenheiten von
Mitgliedstaaten der Europäischen Union einzumischen.
Wir sind eine Gemeinschaft. Genauso wie uns Fragen
der Haushalts- und der Wirtschaftspolitik grenzüberschreitend beschäftigen, sind wir alle davon betroffen,
wenn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Zweifel gezogen werden. Deshalb tut eine gesamteuropäische Verständigung not. Es ist auch gut, dass wir in den nationalen Parlamenten, insbesondere im Deutschen Bundestag,
darüber reden.
Unsere europäische Gesellschaft ist wertegebunden.
Das trägt uns und hält uns zusammen. Wir sind zugleich
offen für alle Kulturen, alle Religionen und alle Ethnien.
({1})
Es ist schon merkwürdig, dass sich Deutschland dafür
kritisieren lassen muss, dass es mit Flüchtlingen so umgeht, wie es unsere Werte vorschreiben, nämlich human
und anständig. Auch das muss einmal zur Sprache gebracht werden.
({2})
Wir müssen unsere Werte auch im Innern leben. Das
darf sich nicht alleine darauf fokussieren, dass wir schöne, wohlfeile Reden halten. Es geht auch um konkrete
Taten.
({3})
Deshalb haben die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU
und SPD im Koalitionsvertrag verabredet, einen wirksamen Mechanismus in der Europäischen Union zu implementieren, der Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verstärkt überprüft.
({4})
Dies ist uns nach langen Auseinandersetzungen gelungen.
Nicht alleine die Kommission und das Europäische Parlament beschäftigen sich mit dem Zustand der Werte und
der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union. Vielmehr haben wir seit Dezember 2014 auch im Ministerrat
Vizepräsidentin Claudia Roth
einen entsprechenden Mechanismus entwickelt. Das war
nicht einfach, aber nun haben wir ihn. Wir werden uns
im kommenden November unter luxemburgischer Präsidentschaft zum allerersten Mal darüber austauschen, wie
es um die Werte und die Rechtsstaatlichkeit bestellt ist.
Die luxemburgische Präsidentschaft hat als Thema die
Grundwerte im digitalen Zeitalter vorgeschlagen. Wir
haben uns kürzlich in einem Kolloquium der EU-Kommission über Fragen der Islamophobie und des Antisemitismus ausgetauscht. Genau solche Debatten werden wir
führen müssen; denn wie wir wissen, ist Artikel 7, der das
Verfahren festlegt, das auf den Entzug der Stimmrechte
eines Landes hinausläuft, kein taugliches Instrumentarium. Deswegen brauchen wir einen neuen Mechanismus,
der inklusiv ist und der auch kein einzelnes Land an den
Pranger stellt; denn wir alle haben unsere Hausaufgaben
zu erledigen. Wenn wir über den Antisemitismus in Europa reden, dann wissen wir, dass dieser nicht nur ein Phänomen in einigen wenigen Staaten ist, er ist ein Thema,
das auch uns in Deutschland in besonderer Weise betrifft.
Ich hoffe, dass diese Debatte auch dazu beiträgt, uns
alle zu sensibilisieren, und dass sie dazu beiträgt, dass
wir, wenn konkrete Missstände erkennbar werden, diese
auch benennen. Das darf kein Thema sein, das wir hinter
verschlossenen Türen diskutieren, sondern das Thema
muss in die Parlamente hineingetragen werden. Wenn
der Antrag, der heute zur Debatte steht, dazu beitragen
kann, würde ich mich sehr darüber freuen. Ich zumindest
verstehe ihn als Rückenwind für die Bemühungen der
Bundesregierung.
Ich hoffe, dass es uns gelingt, auch in der Novemberdebatte im Ministerrat ein klares Zeichen zu setzen.
Worauf ich besonders hinweisen möchte, ist, dass bei
einer konkreten Missachtung der Grundwerte auch eine
entsprechende Ad-hoc-Debatte im Ministerrat vorgesehen ist. Wir werden im nächsten Jahr mit Ihrer Unterstützung den Beweis antreten müssen, dass wir uns damit beschäftigen, wie es um die Grundwerte steht, ob sie
für uns nicht nur auf dem Papier stehen, sondern ob wir
sie leben, ob wir sie verteidigen und ob wir sie achten.
Wenn die Bundesregierung dabei auf die Unterstützung
des Deutschen Bundestages zählen kann, wäre ich Ihnen
ausgesprochen dankbar.
Augustinus soll einmal gesagt haben: Nimm das
Recht weg, was ist dann der Staat noch anderes als eine
große Räuberbande? - Dieser Satz verpflichtet nicht nur
Deutschland vor dem Hintergrund seiner schwierigen,
tragischen Geschichte, dieser Satz verpflichtet alle in Europa, 28 Mitgliedstaaten und die Institutionen der Europäischen Union.
Vielen herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank, Michael Roth. - Nächster Redner in der
Debatte: Andrej Hunko für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Staatsminister Roth, Sie haben vorhin einen Brückenschlag zu der Debatte von heute Morgen versucht. Ich
will einen Brückenschlag zur Debatte von gestern machen, in der wir über 70 Jahre UNO diskutiert haben.
Infolge der Gründung der Vereinten Nationen gab es
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Wenige
Jahre später gab es in Europa die Europäische Menschenrechtskonvention, das wichtigste Dokument zur Verankerung von Menschenrechten in Europa. Ich finde es sehr
befremdlich, dass weder im Antrag der Grünen noch in
Ihrer Rede darauf Bezug genommen wurde.
Die Europäische Menschenrechtskonvention ist im
Unterschied zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte völkerrechtsverbindlich. Es gibt einen Gerichtshof
in Straßburg, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der 820 Millionen Bürgern in den Staaten
des Europarates, also in ganz Europa, ein Individualklagerecht ermöglicht. Dieses Recht gibt es für alle Menschen, also auch für die Flüchtlinge, die jetzt nach Europa
gekommen sind. Sie haben die Möglichkeit, vor diesem
Gerichtshof zu klagen. Ich glaube, die Stärkung dieser
Institution, auch ihre Benennung hier in der Debatte, ist
der wichtigste Schutz zur Stärkung der Grundrechte in
Europa. Deswegen will ich damit anfangen.
({0})
Die Europäische Union, die nicht identisch mit Europa ist - sie ist ein Teil von Europa mit bestimmten
Verträgen und bestimmten Institutionen -, hat sich im
Lissabon-Vertrag verpflichtet, dieser Menschenrechtskonvention beizutreten, weil es auf der EU-Ebene keinen vergleichbaren Schutz gibt und auch damit Bürger
in Europa die Möglichkeit haben, bei Verstößen der EU
vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
zu klagen. Dieser Beitritt sollte mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags am 1. Dezember 2009 vollzogen werden.
Das ist jetzt mittlerweile fast sechs Jahre her, und dieser Beitritt ist nicht vollzogen worden. Wenn wir einen
Antrag zu dem Thema in die Debatte einbrächten, wäre
die Forderung nach einem Beitritt der EU zur EMRK die
wichtigste Forderung.
({1})
Aber nicht nur hinsichtlich der Menschenrechte, sondern auch hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit - darum
geht es noch mehr in dem Antrag - gibt es durchaus funktionierende Strukturen auf Europaratsebene.
Ich denke an die Venedig-Kommission; sie wird im
grünen Antrag positiv erwähnt. Die Venedig-Kommission überwacht sozusagen Rechtsstaatlichkeit und vor allen Dingen Verfassungsfragen in den 47 Mitgliedstaaten.
Beispielsweise in Moldawien sollte vor einigen Jahren
ein Gesetz in Kraft treten, das kommunistische Symbole
verbietet. Dieses Gesetz ist von der Venedig-Kommission als Verstoß gegen europäische und demokratische
Prinzipien bezeichnet worden. Deshalb ist es nicht in
Kraft getreten. Ein ähnliches Gesetz, das jetzt in der Ukraine in Kraft getreten ist, wird bald ebenfalls von der
Venedig-Kommission beraten. Ich gehe von einem ähnlichen Ausgang aus.
Es gibt ein Memorandum zwischen dem Europarat
einerseits und der EU andererseits. Darin ist ganz klar
festgehalten, dass der Europarat die Benchmark, also
die Bezugsgröße, für Fragen der Menschenrechte, der
Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie bleibt und dass
eine Doppelung von Strukturen vermieden werden soll.
Ich lese den grünen Antrag so, dass eine ähnliche Struktur auf EU-Ebene aufgebaut werden soll. Ich halte das
nicht für sinnvoll. Es schwächt eher die Strukturen.
({2})
Ich komme zum Ende. Die Linke unterstützt die
Stärkung von Grundrechten. Die Linke ist aber dagegen, wenn es dadurch eine Doppelung von Strukturen
gibt und wenn Kompetenzen, die schon da sind und die
funktionieren, auf EU-Ebene verlagert werden. Die Linke tritt für die Stärkung insbesondere der Europäischen
Menschenrechtskonvention, für die Stärkung des Europäischen Gerichtshofes und auch für die Weiterentwicklung anderer Strukturen wie etwa der Europäischen Sozialcharta ein. Darauf zielt der grüne Antrag leider nicht
ab. Das, was mit diesem Antrag beantragt wird, läuft auf
eine Doppelung dieser Strukturen hinaus. Deswegen lehnen wir ihn ab.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Kollege Hunko. - Nächster Redner in
der Debatte: Thomas Dörflinger für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will mir zu Beginn meiner Rede die Kritik
meines Sohnes an meinem jüngsten Plenarbeitrag zu eigen machen, den ich um eine ehrliche Einschätzung gebeten hatte. Er hat gesagt: War prima; aber verstanden
habe ich leider nichts. - Offenkundig ist das der Beweis
dafür, dass wir, wenn wir es ohnehin schon mit schwierigen Dingen zu tun haben, eine besondere Begabung dafür haben, diese schwierigen Dinge auch noch schwierig
zu erklären.
Deswegen beginne ich mit den Anfängen: Als die
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft - so hieß die
Vorgängerorganisation der heutigen EU damals - Mitte
der 1950er-Jahre gegründet wurde, hat man sich darauf
verständigt, dass sich diejenigen, die damals schon dabei waren, und diejenigen, die dazukommen möchten,
an bestimmte Grundwerte halten. Das sind im Wesentlichen, um es zu vereinfachen, die Dinge, die wir aus
dem Grundgesetz unseres Landes kennen: Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Achtung vor der Menschenwürde, Achtung der Menschenrechte und alle weiteren
dort niedergelegten Grundrechte. Das steht so auch in der
Nachnachnachfolgeversion der Römischen Verträge, im
Lissabon-Vertrag, im Vertrag über die Arbeitsweise der
Europäischen Union.
Die Frage, vor der wir nun stehen, heißt: Was tun
wir, wenn sich ein Mitgliedstaat der Europäischen Union in der politischen Praxis erkennbar nicht an diesen
Grundwerten orientiert oder sogar dagegen verstößt? Ich
verweise auf Artikel 7 des Lissabon-Vertrages, der bestimmte Pönale, also bestimmte Strafen, vorsieht; diese
Strafen sind sehr drakonisch. Es gibt beispielsweise die
Möglichkeit des Entzugs des Stimmrechtes. Das heißt,
das jeweilige Land kann im Rat, also in der Runde der
europäischen Staats- und Regierungschefs, seine Stimme
nicht mehr mitabgeben. Daraus folgt: Wenn die Strafe
so drakonisch ist, dann zieht sie notwendigerweise nur
dann, wenn auch der Verstoß sehr bedeutend war.
Um ein Beispiel zu nennen: Wenn ein Land die Pressefreiheit abschaffen würde, dann würde Artikel 7 des Lissabon-Vertrages vermutlich greifen. Aber wenn ein Land
an der Pressefreiheit nur kratzt oder sie einschränkt, dann
ist dieser Artikel 7 vermutlich ein Schwert, das zu scharf
ist, weil die Strafe zu hoch ist. Daher stellt sich die Frage: Haben wir ein Format, um derartige Verstöße zu ahnden oder um mit dem jeweiligen Land ins Gespräch zu
kommen? Das ist in Artikel 7 so nicht verankert; dieses
Format gibt es so nicht. Das hat den deutschen Außenminister - seinerzeit Guido Westerwelle - im Jahr 2013
zusammen mit seinen Amtskollegen aus Dänemark, den
Niederlanden und Finnland auf die Idee gebracht, die sogenannte europäische Rechtsstaatsinitiative auf den Weg
zu bringen. Diese sieht ein Verfahren unterhalb des relativ komplizierten Verfahrens in Artikel 7 vor, bildlich
gesprochen: ein Format, in dem man zunächst einmal
miteinander spricht und versucht, die Dinge in einem
Dialog, in einem Trilog zu klären. Wenn jemand in der
eigenen Familie über die Stränge schlägt, dann verweist
man ihn auch nicht gleich des Hauses, sondern man setzt
sich zunächst an einen Tisch und versucht, die Dinge in
einem ruhigen, sachlichen Ton miteinander zu klären. So weit, so gut.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der heute
auf dem Tisch liegt, geht aber über das, was die europäische Rechtsstaatsinitiative vorsieht, bei weitem hinaus
und ist auch der Grund dafür, weswegen sich die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion mit dem Inhalt in keiner Weise
anfreunden kann. Bei der Konstruktion der europäischen
Rechtsstaatsinitiative wurde sehr bewusst darauf geachtet, dass eben nicht eine neue Institution geschaffen wird,
sondern dass man mit den vorhandenen Mitteln, die das
Instrumentarium innerhalb der Europäischen Union bietet, das Format abbildet, um miteinander ins Gespräch zu
kommen.
({0})
Wenn ich in dem Antrag nun etwas von Monitoring
Panels und unabhängigen Expertenrunden lese, dann
mag das in Ihrer politischen Intention folgerichtig sein.
({1})
- Das habe ich erwartet, Herr Kollege Sarrazin. Aber ich
bitte gleichzeitig um Verständnis, dass wir diesem Ansatz
so nicht folgen.
({2})
Wir verfolgen den Ansatz auch deswegen nicht - das
fand ich in dem Antrag der Grünen besonders spannend -: Wir sind uns vermutlich einig darüber, dass alle
28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union - wenn auch
in unterschiedlicher Ausprägung - Rechtsstaaten sind. In
Rechtsstaaten gibt es ein Selbstreinigungsverfahren, das
jeder Demokratie eigen ist. Das kommt aber im Antrag
der Grünen nicht einmal im Wort vor, was mich wundert. Ich weiß nicht, wer das Wort „Basisdemokratie“
schlussendlich erfunden hat, aber wenn es um die Urheberrechte geht, könnte es sein, dass die Grünen in die
engere Auswahl kommen. Auch das Wort „Wahl“ kommt
in dem Antrag gar nicht vor. Die Wahl ist im demokratischen Rechtsstaat ein Selbstreinigungsmittel, das die
Bürgerinnen und Bürger selbst zur Anwendung bringen,
indem sie schlicht und ergreifend die Regierung, die sie
möglicherweise in ihren Rechten beschneidet oder einschränkt, abwählen, ohne dass es dazu von außen eines
Hinweises bedurft hätte.
({3})
Das liegt in der Zuständigkeit jedes einzelnen Nationalstaats.
Ich finde es interessant, dass zu den Handlungsempfehlungen, zu den Vorstellungen, die die Europäische
Kommission entwickelt hat, im März des vergangenen
Jahres, wenn ich es richtig im Kopf habe, ein Gutachten
des Juristischen Dienstes des Europäischen Rates herausgegeben wurde. Die Kommission hatte vorgeschlagen,
ein mehrstufiges Verfahren zu etablieren, um die europäische Rechtsstaatsinitiative formal abzubilden. Kernsatz
der Einschätzung des Juristischen Dienstes des Rates ist,
dass die Vorschläge nicht durch die Zuständigkeit der Europäischen Union gedeckt sind.
Dann finde ich es hochinteressant, dass Sie nicht nur
auf der Basis dieses Gutachtens einen Antrag formulieren, der das abbildet, was schon durch den Juristischen
Dienst des Rates als rechtswidrig eingestuft worden ist,
sondern dass Sie noch einen obendrauf setzen und offenkundig glauben, die Rechtswidrigkeit wäre geringer
als bei der Vorlage, auf die Sie sich bezogen haben. Das
erschließt sich mir logisch nicht, meine sehr verehrten
Damen und Herren.
({4})
Wir bleiben dabei - insofern teile ich das, was Staatsminister Roth zu Beginn der Debatte gesagt hat -: Der
Anlass und der Kern der europäischen Rechtsstaatsinitiative, so wie sie durch Guido Westerwelle und seine
Amtskollegen 2013 auf den Weg gebracht worden ist,
finden unsere Zustimmung, weil es ein Format unterhalb
von Artikel 7 ist, in dem Verstöße gegen die europäischen
Grundrechte in den Nationalstaaten besprochen werden
können.
Aber Institutionen neu ins Leben zu rufen, die das Ziel
verfolgen, durch ein auch parlamentarisch nicht legitimiertes Gremium,
({5})
das von irgendwem besetzt wird,
({6})
einen Mechanismus zu installieren, der dazu da ist, bestimmte Fehlentwicklungen - tatsächliche oder vermeintliche - in den einzelnen Mitgliedstaaten zu ahnden
oder zu korrigieren, das halte ich nicht nur für nicht vereinbar mit europäischem Recht, das halte ich auch politisch für nicht angezeigt, meine sehr verehrten Damen
und Herren.
({7})
Deswegen bleiben wir dabei: Wenn die luxemburgische Ratspräsidentschaft im Verlauf dieses Jahres einen
Vorschlag vorlegt - der Staatsminister hatte darauf hingewiesen -, wie in der europäischen Rechtsstaatsinitiative
in diesem Jahre und in den Folgejahren zu verfahren ist,
dann ist das für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion
die Basis, auf der wir in den kommenden Jahren weiterarbeiten. Dafür brauchen wir weder neue Gremien noch
neue Institutionen. Wir arbeiten mit dem, was wir haben.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Kollege Dörflinger. - Nächste Rednerin
in der Debatte: Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/
Die Grünen.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren!
Wir haben in den letzten Tagen und Wochen viel diskutiert: über unsere Werte, über den menschenwürdigen
Umgang mit Flüchtlingen. Wir haben gesehen, wie Orbán
mit Flüchtlingen umgegangen ist, eben nicht menschenwürdig. Wir haben die Weigerung mehrerer Mitgliedstaaten der EU erlebt, Flüchtlinge überhaupt aufzunehmen. Wir erleben ein öffentliches Zerlegen bei diesen
Themen, als ob es nicht um Menschen ginge, sondern um
irgendwelche Waren, die man hin und her schiebt. Es gab
über den Sommer ein öffentliches Zerlegen - das war es
fast schon - in der Griechenland-Debatte: Wer gewinnt?
Wer verliert? Wer zahlt wie viel? Wir haben in unserer
Nachbarschaft im Süden Länder, die eigentlich zerfallen,
und trotzdem keine gemeinsame effektive Außenpolitik.
In diesen Tagen stelle ich mir immer wieder die Frage: Was hält uns in der Europäischen Union eigentlich
noch zusammen? Was verbindet uns noch? Was haben
wir gemeinsam? Ich finde, das sind relevante Fragen, die
man stellen muss. Ich glaube nicht, dass die Antwort „der
Euro“ oder „der Binnenmarkt“ ausreicht, um die Bürgerinnen und Bürger auch in Zukunft mitzunehmen.
In Artikel 2 des EU-Vertrages heißt es:
Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die
Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung
der Menschenrechte einschließlich der Rechte der
Personen, die Minderheiten angehören.
({0})
Das ist es, was uns zusammenhält und was es durchzusetzen gilt.
Sie alle wissen - das hat Herr Dörflinger auch schön
gesagt -: Bis zum Beitritt ist das alles relevant. Da gibt
es Kriterien, Untersuchungen, Überprüfungen. Manchmal macht man ein Auge halb zu, aber es wird überprüft.
Wenn man dann Mitglied ist, kann man sich eigentlich
wieder alles erlauben. Man kann es schlecht finden, dass
es eine liberale Demokratie gibt. Man kann die Medienund Kartellgesetze so weit dehnen, dass es eigentlich
keine Pressefreiheit mehr gibt. Man kann Verfassungsgerichtsrechte beschneiden.
Das Einzige, was wir haben, ist die sogenannte Nuklearbombe - Sie haben sie erwähnt -, die bis jetzt noch
nie genutzt wurde: der Artikel 7. Wir haben in dem Bereich nichts Vergleichbares zum Stabilitätspakt, zu der
Überprüfung der einzelnen Haushalte. Man kann kaum
jemandem erklären, warum wir mitbestimmen oder mitdiskutieren, wie hoch die Mehrwertsteuer auf einer griechischen Insel ist, aber nichts tun können, wenn Menschen unwürdig behandelt werden. Den Bürgerinnen und
Bürgern zu erklären „Das ist die Europäische Union. Das
eine können wir; bei dem anderen haben wir keine Instrumente“, ist sehr schwierig.
({1})
Der bisherige Weg, nämlich „Wir hauen ein bisschen
mehr Geld raus oder üben Druck aus, damit die Länder
sich bewegen“, wird in Zukunft, glaube ich, nicht mehr
funktionieren. Man wird einen Monsieur Hollande nicht
durch mehr Geld dazu bringen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, weil er Angst vor Marine Le Pen hat. Das Gleiche gilt in England für Cameron. In Osteuropa ist es eine
andere Debatte, aber auch dort wird man wegen Geld
nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen.
Worum es geht - das Problem liegt doch wesentlich tiefer -, ist dieses gemeinsame Verständnis unserer
Grundwerte und ihrer Bedeutung auch für unsere politischen Entscheidungen. Da braucht es gemeinsame
Anstrengungen, zu überzeugen und nicht nur anzuprangern. Ich glaube, wir brauchen Instrumente, um dort
hinzukommen, eine Neubesinnung oder Rückbesinnung
auf das, was uns eigentlich ausmacht. Ich glaube, dass
die Kommissionsinstrumente und das, was der Rat jetzt
macht, in die richtige Richtung gehen - Herr Roth, ich
weiß, dass Sie sich dafür eingesetzt haben -, aber das ist
trotzdem zu zahnlos, zu vage.
Deswegen wollen wir ein unabhängiges Gremium. Übrigens: Wenn Sie den Text gelesen hätten, Herr
Dörflinger, hätten Sie gesehen, dass das Gremium mit einem Entsandten aus jedem nationalen Parlament besetzt
sein soll. Das heißt, wir würden über den Verfassungsexperten abstimmen, den wir in dieses Gremium senden.
Das Europäische Parlament würde zehn weitere Experten benennen. Das heißt, die Parlamente wären genau
diejenigen, die über die Zusammensetzung dieses Gremiums bestimmen. Der Vorteil eines solchen Gremiums
wäre, dass Herr Orbán nicht mehr sagen könnte: Ach,
den Gutachter hat sich ja die Kommission ausgesucht;
der hat mit mir nichts zu tun. - Es wäre der große Vorteil
eines solchen Gremiums, dass es eben unparteiisch wäre,
dass jeder mit in der Verantwortung stünde und man nicht
einfach sagen könnte: „Das kommt wieder aus Brüssel“,
sondern für jeden wäre klar: Da sind auch unsere Leute
mit drin, die wir entsandt haben.
({2})
Das ist ein großer Unterschied. Und genau das brauchen
wir: eine gemeinsame Anstrengung.
Von Ihrer Seite kam nun der Einwand, ein solches
Gremium stelle eine Konkurrenz zum Europarat dar. Sie
wissen doch, der Europarat braucht eine EU, die diese
Rechte auch umsetzen kann, und je stärker wir nach innen werden, desto glaubwürdiger ist der Europarat. Deswegen handelt es sich nicht um eine Dopplung oder um
eine Konkurrenz, sondern beides ist absolut komplementär.
({3})
Nötig ist auch, dass die Zivilgesellschaft basisdemokratisch in diesen Prozess eingebunden wird, dass die
Debatten transparent verlaufen und nicht nur im Ministerrat geführt werden, der in kleiner Runde darüber diskutiert. Dieser repräsentiert ja nicht die europäische Familie; die Familie ist größer als die Runde der Minister,
die irgendwo zusammensitzen. Deshalb muss man auch
eine gemeinsame Debatte führen.
Schließlich haben Sie noch auf den Juristischen Dienst
des Europäischen Rates verwiesen. Sie wissen doch, dass
dieser eh nichts einstufen darf. Ich weiß nicht, wie viele
Gesetze in dieser Legislaturperiode schon gegen den Rat
des Wissenschaftlichen Dienstes dieses Hauses verabschiedet wurden. Von daher würde ich auch nicht sagen,
dass das unbedingt der Maßstab aller Dinge ist. Wenn
schon, dann wäre das am Ende eines Entscheidungsprozesses der EuGH.
Ich glaube, dass es notwendig ist, diese Debatten öffentlich, transparent und unabhängig, mit Experten und
trotzdem politisch geleitet zu führen. Wir brauchen solche Debatten in Europa.
Am Ende möchte ich aus der Rede der Bundeskanzlerin vor einer Woche in Straßburg zitieren. Sie hat gesagt:
„Europa ist eine Wertegemeinschaft, eine Rechts- und
Verantwortungsgemeinschaft.“ Als Richtschnur nannte
sie: „Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, die
Achtung von Minderheiten, Solidarität.“
Ich finde, dass unser Antrag eine gute Handhabe bietet, um ohne Vertragsveränderungen diesen europäischen
Werten mehr Geltung zu verschaffen. Herr Roth, nach
Ihren Worten bin ich ganz zuversichtlich, dass die SPD
vielleicht zustimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, geben Sie sich einen Ruck. Es wäre, wie
ich glaube, ein schönes Signal aus diesem Hause, wenn
wir auf diese Weise mehr Diskussionen und eine stärkere
Verankerung der Grundwerte europaweit einfordern.
({4})
Vielen Dank, Kollegin Brantner. - Nächster Redner in
der Debatte: Dr. Lars Castellucci für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, es ist in
diesen Tagen viel von Europas Werten die Rede, und es
ist wichtig, an dieser Stelle einmal festzuhalten, dass sich
nicht jeder aussuchen kann, um welche Werte es geht,
sondern es vielmehr so ist, dass wir diese Werte aufgeschrieben haben. Sie sind aus Artikel 2 des EU-Vertrages
zitiert worden. Ich darf einmal vorlesen, was da weiter
steht. Da steht nämlich auch noch:
Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus,
Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.
Auch der Wert der Solidarität wird erwähnt, den wir ja
gerade in der Flüchtlingsfrage einfordern. Wir fordern
ihn also nicht einfach so ein, sondern wir fordern ihn ein
auf der Basis von gemeinsam verabredeten und verabschiedeten Vertragstexten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch - das
ist ja das eigentliche Thema -, dass diese Grundwerte,
wie Artikel 49 festlegt, zwingend zu erfüllen sind, wenn
jemand Mitglied der Europäischen Union werden will,
aber - das sagt ja selbst Herr Dörflinger - wir eigentlich kein Instrumentarium haben, das sicherstellt, dass,
wenn jemand in der Europäischen Union drin ist, diese
Grundwerte auch eingehalten werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das kann aus meiner Sicht so
nicht bleiben.
({0})
Wir brauchen also ein Instrument. Und diese Rechtsstaatinitiative passt aus meiner Sicht absolut in diese
Zeit; sie ist nötig. Wir laufen in Europa auseinander in
diesen Wochen, in denen es eigentlich auf europäischen
Zusammenhalt ankommt. Wir brauchen dringend die
Rückbesinnung auf das, was uns verbindet.
Es gibt Handlungsbedarf: Es können Flüchtlinge nicht
zurück nach Italien überführt werden, es können Flüchtlinge aufgrund von Gerichtsurteilen nicht zurück nach
Ungarn überführt werden, es gibt Zurückweisungen an
den Grenzen. Es wird europäisches Recht nicht eingehalten, und wir haben nichts in der Hand, um das zu ändern. Deswegen lobe ich auch die Bundesregierung für
die Schritte, die sie in die Wege geleitet hat. Ich finde sie
sehr gut. Ich bin auch dankbar dafür, dass die Grünen diesen Antrag gestellt haben und diese Debatte heute hier ermöglichen. Wir müssen aber weiter gehen, und es stimmt
mich sehr hoffnungsvoll, dass das Europäische Parlament sich vorgenommen hat, einen an den Kopenhagener Kriterien angelehnten Mechanismus zu definieren,
der sogar über das hinausgehen wird, was heute vorliegt.
Zur Union möchte ich noch etwas sagen: Sie sind
doch immer für Sicherheit, Ordnung, Recht, Leitkultur
und all dies. Sie sind doch immer dafür, dass Menschen,
die zu uns kommen, sich an unsere Gesetze zu halten haben. Das ist ja am Ende des Tages auch richtig. An dieser
Stelle ist aber doch eindeutig klar: Regeln, die wir nicht
durchsetzen wollen, brauchen wir auch nicht aufzustellen. Deswegen bitte ich Sie herzlich, sich nicht dagegen
zu versperren, dass wir hier ein Instrumentarium schaffen, das uns hilft, Regeln, die wir gemeinsam aufgestellt
haben, auch wirklich durchsetzen zu können.
({1})
An dieser Stelle einen Appell: Europa soll zu gemeinsamen Vorgehensweisen zurückfinden. Das sagen
wir doch alle hier. Aber mit welchem Recht fordern wir
eigentlich von Europa gemeinsame Vorgehensweisen,
wenn wir noch nicht einmal hier in diesem Saal zu gemeinsamen Vorgehensweisen in der Lage sind, und das
noch beim Thema „Europäische Grundwerte“, die uns
doch alle verbinden?
Vielleicht ist das wirklich einmal ein Punkt, bei dem
wir uns zusammenraufen und zeigen können: Für europäische Grundwerte stehen wir alle in diesem Haus. Wir
werden aus Koalitionsdisziplin diesen Antrag zurückweisen, aber wir werden im Laufe des Verfahrens auf europäischer Ebene noch einmal einen Anlauf unternehmen
und versuchen, zu einem gemeinsamen Text zu kommen. - Das würde ich sehr begrüßen.
({2})
Ein letzter Aspekt. Jetzt ist von blauen Briefen, von
Kontrolle und neudeutsch von „blame and shame“ die
Rede. Ich frage, ob das eigentlich das ist, was uns am
Ende hilft, zusammenzustehen. Oder müssen wir nicht
vielmehr mit jeder Faser und jeden Tag denen, die zu uns
kommen und die eigentlich andere Werte teilen, deutlich
machen, dass wir wirklich hinter unserem Rechtsstaat
und hinter unseren Grundwerten stehen, dass wir denen
dankbar sind, die sie in Generationen vor uns errungen
haben, und dass wir es als Auftrag verstehen, sie voranzutreiben und sie auch in der heutigen Zeit durchzusetzen?
Ich wünsche mir, dass wir nicht nur ein Instrumentarium haben, mit dem wir gegenüber Menschen und Ländern, die die Vorgaben nicht korrekt erfüllen, den Zeigefinger heben können, sondern dass wir im Gegenteil auch
gute Beispiele schaffen und Begeisterung für unser Lebensmodell ausstrahlen. Ich halte es für fantastisch, auf
einem Kontinent zu leben, auf dem wir uns Spielregeln
gegeben haben, und, wenn wir uns in diesem Rahmen
bewegen, frei und ohne Angst aufwachsen können. Das
ist ein Modell des Zusammenlebens für die ganze Welt.
Das müssen wir ausstrahlen. Das ist das Wichtigste, was
wir hier miteinander verabreden können.
Wir dürfen nicht nur dabei stehen bleiben, in Kontrollmechanismen zu denken, sondern wir müssen in Richtung der jungen Generation und der Menschen, die zu
uns kommen, auch wieder unsere Werte wirklich vorleben. Die Menschen müssen bei uns spüren, dass uns das,
was wir von der Türkei oder von denen, die zu uns kommen, fordern, wichtig ist. Diese Grundwerte sind fundamental für unsere Gesellschaft.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Lars Castellucci. - Die letzte Rednerin
in dieser Debatte: Iris Eberl.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der vorliegende Antrag trägt die Überschrift
„Gemeinsame Grundwerte stärken - Europa stärken“.
Diese Aussage hat mich als Nichtjuristin fasziniert. Wir
stärken unsere gemeinsamen Grundwerte, und wir stärken damit ganz Europa, von Lissabon bis Minsk, von
Reykjavik bis Istanbul. Großartig! Ich war begeistert.
Nach gründlichem Studium des Sachverhalts folgte die
Ernüchterung. Seit Jahren geht es in einem zähen Ringen
um die Frage: Werden denn die gemeinsamen Grundwerte in allen EU-Ländern auch brav eingehalten, und wenn
nicht, was dann?
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Grundwerte sind
uns allen ein besonderes Anliegen; denn sie sind unser
kostbarstes Gut. Als überzeugte Europäerin sage ich: Das
gilt auch für die Europäische Union. Das Zusammenwachsen dieser Union macht deutlich, dass sie nicht nur
ein zufälliger Verbund von souveränen Staaten ist. Hier
wurde die Basis für ein gemeinsames Werteverständnis
geschaffen. Weil das so grundsätzlich und wichtig ist, zitiere ich aus Artikel 2 des EU-Vertrages:
Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die
Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung
der Menschenrechte einschließlich der Rechte der
Personen, die Minderheiten angehören.
Die weitere Ausgestaltung der Architektur erfolgte in der
Charta der Grundrechte von 2000 und 2007, wo diese
Werte konkretisiert wurden.
Die Grünen wollen mit ihrem Antrag zum Schutz der
Grundwerte ein Monitoringpanel einführen. Dieses Instrument überzeugt uns von der CDU/CSU gar nicht.
({0})
Mit dem Artikel 7 des EU-Vertrages steht dem Rat ein
Instrument zur Verfügung, das Bestehen einer eindeutigen Gefahr, einer schwerwiegenden Verletzung der in
Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat
festzustellen und darauf zu reagieren. Es ist richtig: Die
Hürden für die Auslösung des Verfahrens nach Artikel 7
sind hoch. Doch die Väter des EU-Vertrages haben diese
Hürden wohlüberlegt so hoch angesetzt, um die Union
in ihrem Bestand zu festigen. Wenn denn vom Volk gewählte Regierungen einzelner EU-Länder über kürzere
oder längere Zeit Maßnahmen ergreifen, die fragwürdig
erscheinen mögen, muss das eine demokratisch gefestigte Union aushalten und ausdiskutieren können. Das war
bis jetzt der Fall.
Ein Verfahren nach Artikel 7 ist seit Bestehen der EU
noch nie ausgelöst worden, obwohl es auch in der jüngeren Vergangenheit in Unionsstaaten immer wieder zu
Verletzungen von Grundwerten gekommen ist. Ich nenne
sie beim Namen: politische Einflussnahme auf Gerichtsverfahren, Korruption und Wahlfälschung, Diskriminierung von Minderheiten, Einschränkung der Presse- und
Meinungsfreiheit.
Der jüngste Jahresbericht der Grundrechteagentur
zeichnet das Bild einer sich verschlechternden Lage von
Migrantinnen und Migranten auf. Eine Ursache dafür ist
die durch Krieg, Not und Elend ausgelöste Flüchtlingskrise. Wir sind der Auffassung: Die Union muss sich als
Staatengemeinschaft mit der Lösung dieses Problems beschäftigen, auch mit dem Problem brutalster Menschenrechtsverletzungen in ihrer Nachbarschaft.
({1})
Werte sind nämlich dazu da, dass man sie lebt. Dafür
brauchen wir aber eine stabile Europäische Union und
nicht eine, deren Mitglieder sich gegenseitig misstrauisch beäugen.
({2})
Aber der Antrag der Grünen taugt in meinen Augen
auch nicht. Die EU-Verträge bieten keine Rechtsgrundlage für einen neuen Aufsichtsmechanismus, schon gar
keinen, der unterhalb der Schwelle des Artikels 7 läge.
Wenn Sie uns nicht glauben, dann lesen Sie das Gutachten vom 27. Mai 2014 des Juristischen Dienstes des Rates der Europäischen Union, den ich für nicht ganz so
unwichtig halte. Jetzt ist ganz sicher nicht die Zeit, sich
mit Vertragsveränderungen zu befassen. Denn bereits
im zweiten Halbjahr 2014 wurde mit der Vereinbarung
über den neuen politischen Rechtsstaatsmechanismus ein
wichtiges europapolitisches Ziel des Koalitionsvertrages
umgesetzt. Kern des Mechanismus ist eine Diskussion
einmal pro Jahr im Allgemeinen Rat. Der neue politische
Mechanismus bleibt, im Gegensatz zum Grünenantrag,
im Rahmen der bestehenden Verträge, und das ist entscheidend. Er öffnet den Weg zu einem Dialog zwischen
allen Mitgliedstaaten im Rat unter Wahrung der Grundsätze der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der
Gleichbehandlung, sein Ansatz ist unparteiisch und faktengestützt. Und das überzeugt.
Auch zusätzliche Ad-hoc-Diskussionen zu spezifischen Problemen einzelner Mitgliedstaaten sind möglich.
Damit hat der Rat ein Instrument, um auch kurzfristig auf
besorgniserregende Entwicklungen innerhalb der Union
zu reagieren. Der luxemburgische Ratsvorsitz wird diesen Rechtsstaatsdialog noch 2015 in Gang setzen, wie
Staatsminister Roth ausführte. Sein Erfolg bleibt abzuwarten. Geben wir doch diesem Instrument eine Chance,
bevor wir neue Instrumente schaffen!
({3})
Schließlich geht der Antrag in seiner aktuellen Form
auch zu weit. Die Partnerländer würden mit einem solchen ständigen Monitoringpanel-Überwachungsapparat
unter Generalverdacht gestellt. Das, liebe Kolleginnen
und Kollegen, zerstört die Vertrauensbasis innerhalb der
Europäischen Union.
Ein solches Monitoringpanel ist in einer Demokratie
auch überflüssig. Es ist die Aufgabe der Presse, Missstände aufzuzeigen. Und sollte das Grundrecht der Pressefreiheit gar verletzt sein, so gibt es heute die sozialen
Netzwerke. Dort wird jede Verfehlung publik gemacht
und löst, je nach ihrer Art, einen Shitstorm aus, den niemand überhören kann. Dass das funktioniert, erleben wir
jeden Tag, oft im Übermaß.
Letztendlich habe ich gegen den Antrag auch politische Bedenken, die in seiner eigenen Begründung liegen.
Dort werden als Länder, deren Entwicklung Anlass zur
Sorge geben, nur - ich zitiere - „Ungarn, Rumänien oder
früher … Italien“ genannt. Warum nicht Griechenland?
Warum nicht die Staaten, die sich bislang weigern, einen
angemessenen Teil der Last der Flüchtlingskrise zu übernehmen? Hier offenbart sich eine wesentliche Schwäche
des vorgeschlagenen Instruments: Das ständige Gremium könnte auch dazu benutzt werden, nur missliebige
Länder an den Pranger zu stellen, was einen ehrlichen
Dialog über die Rechtsstaatlichkeit im Weiteren unmöglich machen würde.
Damit schließe ich meine Ausführungen und sage
ganz einfach: Ich bitte, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Eberl. - Das ganze Haus alle Fraktionen - gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im
Deutschen Bundestag.
({0})
Wir wünschen Ihnen Kraft und viel Begeisterung für ein
starkes Europa. Vielleicht haben wir es noch nie so dringend gebraucht wie heute.
({1})
- Jetzt müssen die Männer erst mal gratulieren. Das verstehe ich.
({2})
Ich mache jetzt trotzdem weiter.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zum
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Gemeinsame Grundwerte stärken - Europa stärken“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/6196, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4686 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Dann bleibt niemand mehr, oder? Wer
will sich enthalten? - Die Beschlussempfehlung ist bei
Zustimmung von CDU/CSU, Teilen der SPD
({3})
und der Linken, bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die
Grünen und zwei Enthaltungen aus der Sozialdemokratie
angenommen.
({4})
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zügig zu wechseln.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
und weiterer Vorschriften
Drucksache 18/6284
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich würde Sie bitten, Platz zu nehmen und der ersten
Rednerin zuzuhören.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist Dagmar
Schmidt für die SPD.
({6})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, mit dem wir uns heute beschäftigen, beinhaltet viele verschiedene Dinge. Unter anderem verbessern wir die Arbeitsmarktintegration von Geduldeten, wir
schaffen Gerechtigkeit für ehemalige NVA-Wehrdienstleistende, die im Dienst verletzt wurden, und wir erleichtern die Situation der Landwirtinnen und Landwirte bei
den Vorschriften zur Hofabgabe.
Wir leisten mit diesem Gesetzentwurf aber auch einen
Beitrag zur Entbürokratisierung - dort, wo es geboten ist.
So verzichten wir mit dem Gesetz auf eine differenzierte
Nachweispflicht der Länder hinsichtlich der Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter durch den
Bund. In Zukunft wird nur noch zwischen Leistungen
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
unterschieden. Das ist eine spürbare und gebotene Entlastung der Länder.
An anderer Stelle dagegen sind wir auf mehr Information angewiesen. Aus diesem Grund sollen die Daten
zum Bildungs- und Teilhabepaket in Zukunft häufiger
und detaillierter erhoben werden. Ich hoffe, dass dies einen Beitrag für eine breite und zuverlässige Datenquelle
leistet, die auch eine Grundlage dafür ist, das Bildungsund Teilhabepaket noch einmal grundsätzlich diskutieren
und beraten zu können. So, wie es heute genutzt und abgerufen wird, erfüllt es jedenfalls seine Aufgabe, für bessere Bildung und Teilhabe armer Kinder zu sorgen, nicht.
({0})
Ein weiterer Punkt ist die Anrechnung von Einkommen im SGB XII. So gibt es bei der Anrechnung von
Einnahmen aus dem Schonvermögen eine Verbesserung.
Zinsen aus dem Schonvermögen in Höhe von 26 Euro
werden nicht auf die Leistungen des SGB XII angerechnet. Und es wird in dem Gesetz die Anrechnung von
einmaligen Einnahmen geregelt. Diese werden im Folgemonat angerechnet, sollten Regelleistungen für den
laufenden Monat schon ausgezahlt sein - das ist überwiegend Technik.
Wie erwähnt klären wir - und das ist keine Technik die Anrechnung der NVA-Verletztenrente. Wie zugesagt,
ist nach Prüfung durch das Ministerium eine Lösung für
das Problem der Ungleichbehandlung von im Wehrdienst
der NVA Beschädigten gegenüber den im Wehrdienst der
Bundeswehr Beschädigten in dem Gesetzentwurf umgesetzt worden. Die Gleichstellung erfolgt durch die Berücksichtigung eines Freibetrags aus der Verletztenrente,
die für die ehemaligen NVA-Wehrdienstleistenden aus
der gesetzlichen Unfallversicherung bezahlt wird. Der
Freibetrag entspricht dabei der Höhe der Grundrente
nach dem Bundesversorgungsgesetz, die den beschädigten Wehrdienstleistenden der Bundeswehr zusteht; jeweils abhängig vom Grad der Schädigungsfolgen. Damit
ist eine Gleichstellung von ost- und westdeutschen Wehrdienstleistenden im SGB XII gewährleistet.
Nicht alles, was das SGB XII betrifft, aber vieles
Wichtige wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf geregelt: Gerechtigkeit für die im Wehrdienst der NVA verletzten Soldaten, Verbesserungen für Landwirtinnen und
Landwirte und für Flüchtlinge bei der Arbeits- und Ausbildungsunterstützung. Ich freue mich auf die kommende
Diskussion.
({1})
Vielen Dank, Kollegin Schmidt. - Nächster Redner in
der Debatte: Matthias W. Birkwald für die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! An Silvester 2014 waren 1 Million Menschen
in Deutschland auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, sprich: auf Sozialhilfe, angewiesen. Sie
mussten aufs Sozialamt, weil ihre Erwerbsminderungsrente durchschnittlich weniger als 735 Euro betrug oder
ihr Alterseinkommen im Schnitt unter 782 Euro lag oder
weil sie sich ihre Miete nicht leisten konnten oder weil
sie sich ihre Medikamente nicht leisten konnten. Was sie
vom Sozialamt dann erhalten, liegt weit unter den gängigen Armutsrisikogrenzen. Die offizielle Armutsgrenze
der Europäischen Union liegt für alleinlebende Menschen in Deutschland bei 979 Euro im Monat. Das ist
der eigentliche Skandal. Und daran ändert Ihr 54 Seiten
langer Gesetzentwurf gar nichts.
({0})
Ihr Gesetzentwurf ändert auch Nullkommanichts daran, dass die Zahl derjenigen Älteren, die aufs Sozialamt
müssen, in den vergangenen zehn Jahren um 76 Prozent
gestiegen ist, und sich bei den Erwerbsgeminderten die
Zahl sogar verdoppelt hat. Jahr für Jahr kommen 30 000
bis 40 000 Betroffene neu dazu. Akzeptieren Sie endlich,
dass viele Altersrenten und noch mehr Erwerbsminderungsrenten nicht vor Armut schützen! Darum sage ich
Ihnen: Schaffen Sie die ungerechten Abschläge für Erwerbsminderungsrentner und -rentnerinnen ab!
({1})
Und: Schaffen Sie die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel ab! Das wäre bitter notwendig.
({2})
Aber davon findet sich selbstverständlich nichts in Ihrem
Gesetzentwurf.
Worum geht es Ihnen? Seit dem 1. Januar 2014 ist die
Grundsicherung im Alter komplett auf den Bund übergegangen. Daraus ergeben sich Auslegungsfragen, Verfahrensänderungen usw.; das machen Sie alles mehr oder
weniger bürokratisch korrekt. Aber dann liest man auf
einmal auf Seite 40 des Gesetzentwurfes, dass sich der
Bundesrat in seiner Stellungnahme einem echten Problem zuwendet, Herr Kollege Weiß, den ich an dieser
Stelle gerne ansprechen möchte, einem Problem, wegen
dessen sich immer wieder Betroffene an uns wenden: Die
Grundsicherung, die die Rente ja oft nur aufstockt - sagen wir zum Beispiel: um 200 Euro -, wird am Beginn
eines Monats ausgezahlt. Die Rente - sagen wir zum Beispiel: in Höhe von 600 Euro - wird aber erst am Ende
des Monats ausgezahlt. Folge: Die Rentnerin muss einen
Monat lang von 200 Euro leben. Wie soll denn das gehen?
Wir hatten der Bundesregierung im November 2014
zu dieser Lücke zwischen Grundsicherung und Rentenauszahlung eine Frage gestellt. Sie wollten prüfen, was
Sie tun können. Der Bundesrat hat zur Lösung des Problems drei leider hochkomplizierte Verfahrensvarianten
vorgelegt. Das ist schon befremdlich; aber dass die BunDagmar Schmidt ({3})
desregierung auf Seite 51 des Gesetzentwurfs ebenfalls
das Problem anerkennt, die vom Bundesrat vorgeschlagene Regelung in epischer Breite auf ihre Schwächen hin
abklopft, um dann am Ende nichts vorzulegen, das ist
wirklich unverschämt.
({4})
Zitat:
Die Bundesregierung lehnt es bereits im Grundsatz
ab, das im SGB XII geltende Zuflussprinzip ... zu
durchbrechen ...
Welcher Grundsatz denn? Ignoranz? Bürokratische
Weltfremdheit? Nein, das ist wirklich ein Schlag ins Gesicht von älteren Menschen, die einen Monat lang von
200 Euro leben sollen.
Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge, wahrlich keine kommunistische Vorfeldorganisation, hatte ganz einfach und elegant gefordert, die Rente
im ersten Monat nicht zu berücksichtigen - ganz einfach.
Man bekäme also im ersten Monat einmalig zum Beispiel 800 Euro Grundsicherung und erst ab dem nächsten Monat dann immer nur 200 Euro Grundsicherung am
Anfang des Monats und 600 Euro Rente am Ende des
Monats. Das ist doch ein guter Vorschlag. Setzen Sie ihn
um. Die Betroffenen werden es Ihnen danken.
({5})
Jetzt nach all der Kritik noch ein bisschen Lob
({6})
und ein bisschen Eigenlob.
({7})
Bisher wurde die Verletztenrente bei früheren Wehrdienstleistenden der Nationalen Volksarmee auf die
Grundsicherung angerechnet und die der Wehrdienstleistenden der Bundeswehr nicht. Das war ungerecht, und
das ist ungerecht. Die Linke kritisiert das schon seit der
16. Legislaturperiode.
({8})
Jetzt wollen Sie endlich einen Freibetrag von durchschnittlich 238 Euro im Jahr einführen. Damit würden
Sie immerhin eine der einigungsbedingten Ungerechtigkeiten beseitigen. Das ist gut. Machen Sie weiter so.
({9})
Noch ein Wort zur Hofabgabeklausel bei Bauern.
Ein kurzes Wort.
Die Linke bleibt dabei: Die Hofabgabeklausel ist
anachronistisch. Sie muss gestrichen werden. Sie wirkt
häufig wie eine Zwangsenteignung: Gibt der Landwirt
den Hof ab, bekommt er eine Minirente, kann aber nichts
dazuverdienen; gibt er ihn nicht ab, hat er komplett umsonst eingezahlt. Dass wenigstens die jüngeren Ehepartnerinnen einen eigenen Rentenanspruch behalten,
wenn ihr Gatte den Hof nicht abgibt, wäre ein kleiner
Fortschritt. Das ändert an dem Grundproblem aber nur
wenig. Darüber werden wir in der Anhörung noch reden.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Birkwald. - Nächste Rednerin: Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Morgen eine sehr interessante und wichtige
Debatte hier im Deutschen Bundestag erlebt. Wir haben
das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz und damit, so
will ich es sagen, eines der wichtigsten Gesetze in dieser
Legislaturperiode verabschiedet. Ich denke, eine ähnlich
wichtige Bedeutung haben die Änderungen, die wir jetzt
im Rahmen des Zwölften Sozialgesetzbuches verabschieden.
Mit der heutigen Beratung zum Zwölften Sozialgesetzbuch schaffen wir weitere Verbesserungen in unserer
Sozialgesetzgebung. Zur Erinnerung: Vor zehn Jahren,
am 1. Januar 2005, löste das Zwölfte Sozialgesetzbuch
das damalige Bundessozialhilfegesetz ab. Seitdem regelt das SGB XII die Vorschriften für die Sozialhilfe in
Deutschland. Zur gleichen Zeit wurde für Arbeitsuchende, die zuvor Anspruch auf Sozial- oder Arbeitslosenhilfe
hatten, das Arbeitslosengeld II eingeführt. Diese Reformen waren Teil der Agenda 2010 und brachten - dieser
Auffassung sind wir noch heute - unseren Arbeitsmarkt
damals wieder auf Erfolgskurs.
({0})
Das SGB XII kennt mehrere Leistungsarten. Eine davon ist die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Auf diese Sozialleistung ist erfreulicherweise nur ein kleiner Teil der Rentnerinnen und Rentner in
Deutschland angewiesen.
({1})
Es sind sage und schreibe gerade einmal 3 Prozent; es
sind, genau genommen, in den neuen Bundesländern
2,1 Prozent und in den alten Bundesländern 3,2 Prozent.
Meine Damen und Herren, von der oftmals und viel beschworenen Altersarmut ist, zumindest wenn man nach
diesen Zahlen geht, nicht viel zu erkennen.
Der Bund übernimmt bereits seit zwei Jahren die Finanzierung dieser Sozialleistung von den Bundesländern.
2013 wurden zunächst 75 Prozent der jährlichen Nettoausgaben an die Länder erstattet, und seit 2014 trägt der
Bund 100 Prozent der Kosten der Länder für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Für 2015
haben wir dafür eine Summe von rund 5,9 Milliarden
Euro im Bundeshaushalt vorgesehen. Meine Damen und
Herren, das ist ein Beispiel von vielen, wie der Bund den
Ländern und den Kommunen hilft, sie finanziell entlastet
und ihnen bei der Bewältigung wichtiger Aufgaben hilft.
Doch der heute diskutierte Gesetzentwurf zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch geht noch
weiter. Die Finanzierungsübernahme des Bundes erforderte bisher eine aufwendige Nachweisführung der Länder über deren Verwendung der Gelder. Diese Nachweisund Abrechnungsmodalitäten werden wir jetzt im Sinne
der Länder neu regeln. Wir kehren zu einer vereinfachten
Nachweisführung zurück. 2013 und 2014 haben wir damit schon sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Länder
müssen künftig nicht mehr, wie bisher, nach den einzelnen Bedarfen differenzieren. Eine Unterscheidung soll
künftig lediglich nach den unterschiedlichen Leistungsberechtigten vorgenommen werden.
Wir schaffen weitere Entlastungen: Wir schaffen für
Sparer, die gleichzeitig Leistungsempfänger sind, einen
jährlichen Freibetrag in Höhe von 26 Euro für Einnahmen aus Kapitalvermögen, also insbesondere für Zinseinnahmen. Einmalige Einnahmen werden künftig erst
im Folgemonat angerechnet, und bedarfsdeckende einmalige Einnahmen sind in der Regel auf sechs Monate
zu verteilen. Das bedeutet in der Praxis, dass ein Grundsicherungsempfänger seine Leistung aufgrund einer einmaligen zusätzlichen Einnahme künftig nicht mehr gestrichen bekommt.
Doch der Gesetzentwurf beschränkt sich eben nicht
nur auf sozialpolitische Maßnahmen, er widmet sich
auch einem der Vorzüge der Europäischen Union, nämlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die nicht nur grenzüberschreitende Mobilität ermöglicht, sondern auch den
Bedarfen unseres Arbeitsmarktes und insbesondere dem
Fachkräftemangel in Deutschland Rechnung trägt.
Vor zwei Jahren ist Kroatien der Europäischen Union
beigetreten. Der damals ausgehandelte Beitrittsvertrag
sah vor, dass kroatische Staatsangehörige für maximal
sieben Jahre im europäischen Ausland arbeiten durften.
In der zurückliegenden Zeit gab es dann umfangreiche
Erleichterungen für qualifizierte Fachkräfte, für Saisonkräfte und Auszubildende beim Zugang zum deutschen
Arbeitsmarkt.
Viele, meist jüngere Kroaten haben diese Zugangserleichterungen genutzt. In 2014 waren 93 000 Kroaten
in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Sie arbeiten vor allem in Bereichen, in denen wir einen
immer größeren Fachkräftemangel haben, in denen immer weniger Beschäftigte zur Verfügung stehen, beispielsweise im verarbeitenden Gewerbe, im Baugewerbe
oder auch im Gesundheits- und Sozialwessen.
Seit dem 1. Juli dieses Jahres besteht die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit. Wir gehen damit
von jährlich etwa 10 000 weiteren kroatischen Arbeitskräften aus. Sie tragen dazu bei, dass eine Lücke dort geschlossen wird, wo wir dringend Bedarfe haben.
Meine Damen und Herren, die Arbeitnehmerfreizügigkeit hilft nicht nur, unseren Fachkräftemangel abzuschwächen, sondern sie gibt auch den Menschen in
Europa die Möglichkeit, vielerorts berufliche Chancen
zu nutzen. Während wir hierzulande über die höchsten
Beschäftigungszahlen und die geringste Arbeitslosigkeit seit langem verfügen, sieht die Situation in vielen
europäischen Partnerländern ganz anders aus. Nicht nur
Spanien oder Griechenland beklagen eine hohe Arbeitslosenquote von mehr als 25 Prozent oder eine hohe Jugendarbeitslosenquote von mehr als 48 Prozent. Auch
Kroatien selbst hat enorme Probleme im Hinblick auf
den Arbeitsmarkt. Dort liegt die Arbeitslosenquote bei
17 Prozent, bei den Jugendlichen sogar bei 43 Prozent.
Auch da, meine Damen und Herren, setzt Arbeitnehmerfreizügigkeit an. Sie sorgt aber auch dafür, dass wir einen
Teil unserer Standards bei der Ausbildung, im Bereich
der Weiterbildung oder in verschiedensten Berufsbildern,
zum Beispiel im Handwerk, weitergeben können.
Ich möchte hier an das hohe Ansehen erinnern, das wir
im europäischen Ausland für unser System der dualen
Berufsausbildung oder unser - wir alle kennen es - Innungs- und Kammersystem mit einer Vielzahl an zertifizierten Berufen genießen.
({2})
Aus diesem Grund ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit
Kroatiens nicht nur ein Gewinn für Deutschland und für
Kroatien, es ist ein Gewinn für alle Länder der Europäischen Union.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Frau Kollegin Schimke. - Nächster Redner in der Debatte: Friedrich Ostendorff für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden es ahnen: Ich werde mich heute für die Grünen zur
Hofabgabeklausel der Landwirtschaftlichen Alterskasse
erklären. Das ist für uns ein ganz entscheidender Punkt.
Den ersten kleinen Schritt hat die Koalition vollzogen.
Weit war der Weg, eine Lösung ist aber trotzdem nicht in
Sicht. Wir halten es mit Laotse: „Nur wer sein Ziel kennt,
findet den Weg.“ Wir Grünen halten an unserem Ziel fest.
Der Weg ist kurz und einfach beschrieben: Die Hofabgabe als Bedingung für die verdiente Rente von Bäuerinnen
und Bauern, die ihr Leben lang hart gearbeitet und in die
Landwirtschaftliche Alterskasse eingezahlt haben - oft
jahrzehntelang -, gehört abgeschafft.
({0})
Die agrarstrukturelle Funktion der Hofabgabeverpflichtung wurde von der Realität restlos überholt. Wer
daran festhält, hat nur zwei Dinge im Sinn: eine weitere
große soziale Ungerechtigkeit und die massive Beförderung des Strukturwandels. - Das soll man dann auch
sagen. Dieses Ziel hat man sowieso; deshalb darf man es
auch erklären.
Ich bin seit 36 Jahren Pflichtmitglied der Landwirtschaftlichen Alterskasse. Bei vielen Kolleginnen und
Kollegen der CDU/CSU kann ich das nicht feststellen.
Dort hat man sich auf leisen Sohlen aus dem System verabschiedet, um jetzt machtvoll für den Erhalt von Dingen
zu streiten, von denen man selber überhaupt nicht mehr
betroffen ist.
({1})
1957 wurde die Hofabgabeklausel eingeführt, um
den damaligen Zustand, den Erbgang auf dem Sterbebett, zu beenden. Aber die Welt hat sich weiterentwickelt; die Zustände haben sich verändert. Heute haben
nur noch 30 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe
eine geregelte Hofnachfolge. Für diese Betriebe ist die
Hofabgabeklausel kein Problem. Aber 70 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe haben keine geregelte
Hofnachfolge. Diese Landwirte werden gezwungen, ihre
Höfe abzugeben, um eine Rente zu erhalten, obwohl sie
keine Hofnachfolge haben.
Das führt natürlich zu dubiosesten Scheinverträgen.
Der Sohn als Lufthansa-Pilot ist dann auf einmal Hoferbe
im Ostwestfälischen, obwohl er niemals auf dem Hof ist.
Dadurch hat man dann aber irgendwie der Form Genüge
getan. Mit der Realität hat dies allerdings nichts zu tun.
Wer von diesen Landwirten weitermacht, sich also
entscheidet, auch mit 65 Jahren und mehr seinen landwirtschaftlichen Betrieb weiterzuführen, erhält keine
Rente, obwohl jahrzehntelang Beiträge gezahlt wurden.
Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit wollen wir
Grünen endlich beenden.
({2})
Wir als Grüne wollen es nicht hinnehmen - das tun wir
gemeinsam mit den Linken; wir haben ja gerade schon
Gemeinsamkeiten entdeckt -, dass die Bauern und Bäuerinnen in ehelicher Gemeinschaft ihren Hof abgeben
müssen, um circa 700 Euro Rente im Monat zu erhalten.
Das ist knapp genug und wird durch oft nur sehr kleine
Pachteinnahmen nur etwas angereichert. Dies führt zu
einem sehr bescheidenen Lebensabend der Bauern und
Bäuerinnen.
Andere EU-Länder, wie Österreich, die ein ähnliches
System haben, zeigen, dass es ohne Hofabgabepflicht
geht. Dort hat sich das Durchschnittsalter der Bäuerinnen
und Bauern nach der Streichung der Hofabgabeklausel
nicht verändert. Wir stellen also fest, dass das ein Vorbild
für Deutschland sein könnte.
({3})
Deshalb sind wir mit dem Ausschuss nach Österreich
gefahren. Ich frage mich heute aber, warum wir das getan
haben, wenn Sie in der Union nicht bereit sind, dazuzulernen. Sie wissen doch ganz genau, dass die landwirtschaftliche Alterssicherung eine Ausnahme im System
darstellt. Versicherungspflichtige Selbstständige, die in
der gesetzlichen Rentenversicherung sind, können nach
Erreichen der Altersgrenze Rente beziehen, obwohl sie
ihren Betrieb weiterführen.
Auch an dieser Gesetzesvorlage haben Sie von der
Union wieder einmal halbherzig herumgedoktert. Um
nur eine neue Regelung herauszugreifen: die geänderte
Abgabemöglichkeit vom Ehemann an die jüngere Ehefrau. Das wollen Sie nun ändern. Dies ist eigentlich eine
Streichung der Hofabgabeklausel. Warum macht man es
so verkappt und nicht durchgängig? Es findet ja sowieso
statt. Der Titel wird erhalten, aber der Inhalt restlos ausgehöhlt.
Die meisten Landwirte sind verheiratet. Viele werden die neue Regelung nutzen, die da lautet: Der Mann
geht mit 65 Jahren aufs Altenteil und bezieht Rente. Seine Frau arbeitet selbstständig weiter. - Bauernschläue
wird das Ganze anreichern; Sie von der CDU/CSU kennen das ja bestens. Von daher wird es zu einer weiteren
Aushöhlung der Hofabgabeklausel kommen, die ihren
Namen dann nicht mehr verdient. Sie aber können der
Landjugend erzählen: Wir haben für die Hofabgabeklausel gekämpft. - Sie hat zwar keine Bedeutung mehr, da
sie umgangen wird; aber formal ist sie noch da. Dies hat
insbesondere Frau Mortler von der CSU betrieben, weil
sie jemand ist, der nicht akzeptiert, dass sich die Welt
weiterdreht und wir uns mit ihr weiterentwickeln. Das
will sie nicht zur Kenntnis nehmen. Aber alle anderen
von uns merken das sehr wohl. Hier steht die Union doch
wieder einmal allein auf weiter Flur. Auch die Bundesländer haben bei der letzten Ministerkonferenz gezeigt,
dass sie mehrheitlich gegen diesen Entwurf sind.
Was finden wir in der Bibel dazu? Bei Matthäus, meine Kollegen von der CDU/CSU, heißt es: „Ehre Vater
und Mutter“ und „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie
Dich selbst“. Aber auch hier tragen Sie das Christliche
zu Unrecht in Ihrem Namen. Beenden Sie endlich diesen
Krieg mit den Schwächsten!
({4})
Unsere Alten haben es verdient, ernst genommen zu werden. Es ist bewundernswert und anerkennenswert, mit
welcher Beharrlichkeit und Ausdauer der Arbeitskreis
für die Abschaffung der Hofabgabeklausel seit Jahren für
dieses Ziel kämpft.
({5})
Wir Grünen versprechen, ebenso wie die Kolleginnen
und Kollegen in den grün regierten Ländern, weiter für
die Erreichung dieses Ziels zu streiten. Wir Grünen hätten auch den Vorschlag einer 10-prozentigen Abschlagsrente ohne Hofabgabe, den Dr. Peter Mehl vom Bundesforschungsinstitut gemacht hat, akzeptiert. Hier gilt es,
den Streitern Dank zu sagen, die seit Jahren für vernünftige Regelungen streiten, bei CDU/CSU allerdings kein
Gehör finden. Ich hoffe, dass die SPD als eine Partei,
die immer für die soziale Sicherung in der LandwirtFriedrich Ostendorff
schaft gestanden hat, diese Sorgen ernster nimmt und die
Hofabgabe endlich abschafft.
({6})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Michael Gerdes, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf sieht verschiedenste Neuregelungen vor, einen großen Strauß an Themen, wie wir gerade gehört haben. Zur Hofabgabe werde ich jetzt nichts
sagen; das macht gleich meine Kollegin Schulte.
({0})
Bei den Änderungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch geht es vor allem um Verwaltungsvereinfachungen, einheitliche Begriffe und auch redaktionelle Überarbeitungen. Das ist sinnvoll. Hier gibt es auch keine große
politische Kontroverse. Interessant ist unter anderem,
dass die statistikbezogene Betrachtung von jährlicher
Erfassung auf vierteljährliche Betrachtung zu deutlichen
Verbesserungen in den Kommunen führt. Wurden bisher Leistungen und Aufwendungen für Klassenfahrten,
Schülerbeförderungen, Mittagsverpflegung, aber auch
ergänzende Lernförderung lediglich zum 31. Dezember
erhoben, erfolgt die Erfassung und Abrechnung nun wesentlich zeitnäher im vierteljährlichen Modus. Das führt
zu deutlich besserer Haushaltsklarheit.
Die Änderung der betroffenen Verwaltungsvorschrift
im SGB XII ergibt sich aus der Tatsache, dass der Bund
seit 2014, wie wir gehört haben, die Nettoausgaben der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu
100 Prozent übernimmt. Wie Sie wissen, war und ist das
wesentliche Ziel der Kostenübernahme die Stärkung der
Finanzkraft der Kommunen.
({1})
Hier haben wir in den vergangenen Jahren und Monaten
einiges erreicht. Dennoch ist klar, dass viele Städte und
Gemeinden weiterhin unter knappen Kassen leiden. Die
aktuelle Flüchtlingssituation erhöht den Druck im Kessel.
Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass es
die Sozialdemokraten waren, die an der damaligen Einführung der Grundsicherung federführend beteiligt waren. Aus unserer Sicht ist die Grundsicherung ein erster
Schritt gegen unwürdige Armut im Alter. Sie ist eine gute
soziale Errungenschaft. Gut ist auch, dass der Bund diese
Leistung seit einiger Zeit vollständig zahlt.
({2})
Im März 2015 bezogen in Deutschland rund
512 000 Personen Leistungen der Grundsicherung im Alter. Deshalb bleibt es dabei: Wir müssen für ordentliche
Löhne und Einkommen der Menschen sorgen, damit sich
Altersarmut nicht verfestigt.
({3})
- Lassen Sie mich das vielleicht noch ausführen. - Das
setzt voraus, dass Menschen berufliche Perspektiven haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da setzt eben auch
der Gesetzentwurf an. Er sieht unter anderem Änderungen im SGB III sowie im Bundesausbildungsförderungsgesetz, BAföG, vor. Konkret geht es hier um die schnellere Öffnung der ausbildungsbegleitenden Hilfen auch
für Geduldete. Sicherlich kennen Sie dieses Instrument.
Grundsätzlich geht es darum, jungen Menschen beim
Lernen unter die Arme zu greifen, etwa beim Erfassen
von fachlichen Inhalten, beim Abbau sprachlicher Defizite oder in Form von sozialpädagogischer Hilfe. Sprache
ist der Zugang zur Gesellschaft und zum Arbeitsmarkt.
Deshalb gehören Sprachkurse zu den ersten Maßnahmen,
um Ausbildung zu ermöglichen.
({4})
Je schneller wir ausbilden und fördern, desto eher
eröffnen wir Flüchtlingen die Chance auf Teilhabe und
Eigenständigkeit. Wir brauchen diese Hilfen mehr denn
je. Sie sind eine Chance für die Menschen, die bei uns
Zuflucht und Perspektiven suchen. Sie sind aber auch
eine gute Chance für uns als Einwanderungsland; denn
gut ausgebildete Menschen sind unsere Zukunft. Das gilt
selbstverständlich nicht nur für Flüchtlinge. Wir wollen
allen ausbildungswilligen Menschen in unserem Land
die gleichen Chancen bieten.
({5})
Dabei geht es nicht nur um das Nachholen von Schulabschlüssen. Es lohnt sich, das Bildungsniveau insgesamt
zu stärken. Diese Idee sollten wir im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens diskutieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sich meine Betrachtung in dieser Rede auf die jetzige, außergewöhnliche Situation fokussiert hat, erlauben Sie mir noch einen
grundsätzlichen Satz: Integration gelingt durch Bildung.
Das gilt für diejenigen, die schon immer in unserem Land
gelebt haben, gleichermaßen wie für die Menschen, die
jetzt hinzukommen. Lassen Sie uns diese Chance nutzen.
Wir haben heute Morgen gehört: Wir schaffen das. Aber
wir haben heute Morgen auch gehört: Wir machen das.
In diesem Sinne herzlichen Dank. Glückauf!
({6})
Herzlichen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Albert Stegemann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Neben
den schon genannten sehr wichtigen Punkten liegt mir
ein Thema des Gesetzentwurfs besonders am Herzen,
welches wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart haben,
und zwar die Neugestaltung der Hofabgabeklausel.
({0})
Doch was verbirgt sich hinter diesem etwas sperrigen
Begriff? Um gesetzliche Regelungen zu verstehen, ist es
hin und wieder hilfreich, sich mit deren Entstehung auseinanderzusetzen.
Warum hat man seinerzeit den Rentenbezug der Landwirte an die Abgabe des Hofes geknüpft?
({1})
Als die Bundesregierung unter Konrad Adenauer 1957
das Alterssicherungssystem für Landwirte eingeführt hat,
verfolgte sie damit zwei Ziele: Erstens. Ehemalige Landwirte sollten erstmalig im Alter eine im Umlageverfahren
finanzierte Absicherung erhalten. Zweitens. Landwirtsfamilien sollten ermuntert werden, die Hofabgabe an die
nachfolgende Generation zu vollziehen. Daher bekommen nur Landwirte eine Rente, die den Hof an in der Regel junge Betriebsleiter abgegeben haben. Diese sollen
dadurch früh unternehmerische Verantwortung übernehmen können.
Dem Gesetzgeber war also damals wie heute ein
strukturelles Problem bewusst: Den Landwirten fällt es
hin und wieder äußerst schwer, sich von ihrer Scholle zu
trennen. Das ist verständlich; schließlich hat der Landwirt auf dieser sein Leben lang gewirtschaftet. Allerdings
sind landwirtschaftliche Flächen begrenzt und für die
landwirtschaftliche Tätigkeit unabdingbar. Zugleich ist
es für Junglandwirte aber faktisch nicht möglich, ohne
landwirtschaftliche Fläche unternehmerisch tätig zu werden. Ebendiese jungen, engagierten und gut ausgebildeten Landwirte braucht es aber. Sie haben neue Ideen und
Impulse, um Fragen des Tierwohls, des Gewässerschutzes, aber auch Fragen der Akzeptanz in der Gesellschaft
zu beantworten. Nicht zuletzt geht es auch um die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft insgesamt.
Sie sehen also: Mit dieser Intention war die Hofabgabe von Anfang an Voraussetzung für den Rentenbezug,
und sie hat nie an Berechtigung verloren.
({2})
So hat auch Dr. Mehl vom Thünen-Institut 2013 herausgearbeitet, dass nur 6,6 Prozent der landwirtschaftlichen
Betriebsleiter in Deutschland älter als 65 Jahre sind. Im
EU-Schnitt sind es mehr als viermal so viele, und in
Italien ist sogar jeder dritte Landwirt über 65 Jahre alt.
Die Hofabgabeklausel erzielt also weiterhin die positive agrostrukturelle Wirkung, die bei der Architektur der
Alterssicherung der Landwirte neben der sozialen Sicherungsfunktion von Anfang an eine ganz erhebliche Rolle
gespielt hat.
({3})
Gleichwohl fordert eine kleine, aber sehr lautstarke Gruppe die Abschaffung der Hofabgabeklausel. Sie
begründet das damit, dass sie einen Anspruch auf diese
Rente hätte und von der Politik getäuscht würde. Dabei
gilt der Grundsatz „Rente nur nach Abgabe der unternehmerischen Verantwortung“ seit nunmehr knapp 60 Jahren. Dieses Vorgehen wurde immer wieder höchstrichterlich bestätigt. Die Klausel muss damit jedem Landwirt
seit Beginn des Berufslebens klar gewesen sein.
Übrigens erhalten die Landwirte im Ruhestand im
Gegenzug zur Abgabe des Hofes gegenüber den Beitragszahlern der gesetzlichen Rentenversicherung je eingezahltem Euro eine um rund 10 Prozent höhere Rente.
Dies ist gerechtfertigt, weil der Landwirt mit der Hofabgabe neben dem Erreichen der Regelaltersgrenze und der
Erfüllung der Mindestwartezeit eine zusätzliche Bedingung erfüllen muss, um in den Rentenbezug zu kommen.
Der Großteil derer, welche die Abschaffung der Hofabgabeklausel fordern, will daher schlicht die eigenen Rentenzahlungen maximieren. Es kann aber nicht Unionspolitik sein, eine solche von eigenen Interessen geleitete
Forderung auf Kosten der Allgemeinheit zu goutieren.
Deshalb lehnen wir dies ab.
({4})
Zur Wahrheit gehört aber auch: Es gibt Einzelfälle,
bei denen die Hofabgabe schwerfällt. Gerade in strukturschwachen Regionen ist es nicht für jeden Landwirt
einfach, einen Hofnachfolger zu finden. Betriebsleiter
mit kleinen Betrieben bewirtschaften den Hof daher oftmals über die Regelaltersgrenze hinaus. Dann erhalten
sie nach heutiger Rechtslage jedoch keine Zahlung aus
der Alterssicherung der Landwirte, auf die sie gleichwohl
angewiesen wären.
Wir halten es für richtig, dass der Renteneintritt auch
weiterhin im Grundansatz an die Übergabe des Hofes
geknüpft ist. Die CDU/CSU steht aber an der Seite der
Landwirte, für welche diese Regelung eine besondere soziale Härte bedeutet. Mit der Neugestaltung der Hofabgabeklausel wollen wir diesen Landwirten helfen.
({5})
Wie sehen die konkreten Maßnahmen im vorliegenden Gesetzentwurf aus, über die wir heute beraten? Wir
handeln nämlich nicht nur an einer Stelle, sondern gleich
an mehreren Stellen. Zum Beispiel wurden die Rentenzahlungen an den Ehegatten bisher eingestellt, wenn dessen Ehepartner die Regelaltersgrenze erreicht, den Hof
aber noch nicht abgegeben hat.
({6})
Das wollen wir ändern, indem wir den Rentenanspruch
des Ehegatten in diesem Fall erhalten. Damit schaffen
wir einen Bestandsschutz für die Rente der Ehegatten.
({7})
- Die jetzt abgeschafft wird. Sehr gut!
Bisher dürfen Rentner nur wenig durch Weiterbewirtschaftung hinzuverdienen. Das wollen wir deutlich aufstocken, indem künftig mit knapp 8 Hektar viermal so
viel Fläche wie bisher weiterbewirtschaftet werden darf.
Zur Veranschaulichung: Diese Fläche entspricht ungefähr
der Größe von elf Fußballfeldern. - Damit verbessern wir
die Hinzuverdienstmöglichkeiten der Landwirte. Flankierend ändern wir das Krankenversicherungsrecht, damit
die Einkünfte aus den Hinzuverdienstmöglichkeiten
nicht durch massiv ansteigende Krankenversicherungsbeiträge aufgezehrt werden.
Ein weiterer Punkt: Bisher wurde eine spätere Inanspruchnahme der Rente nicht rentensteigernd gewürdigt. Wir wollen nun eine Regelung aus der gesetzlichen
Rentenversicherung übernehmen, die eine spätere Inanspruchnahme der Rente honoriert.
({8})
Damit machen wir den nächsten logischen Schritt in
Richtung Flexirente.
Bisher gab es nach § 21 Absatz 6 des Gesetzes über
die Alterssicherung der Landwirte eine Regel zur Hofabgabe, die sogenannte Abgabefiktion durch Ermächtigung
zur Veräußerung oder Verpachtung an eine öffentliche
Stelle. So kompliziert, wie die Regelung klingt, ist sie
auch. Folglich wurde diese Möglichkeit bisher kein einziges Mal genutzt. Sie ist schlicht nicht praktikabel, und
deswegen schaffen wir sie ab. Damit leisten wir auch einen Beitrag zum Bürokratieabbau.
({9})
Ferner soll künftig die Hofabgabe erfolgen können,
indem das landwirtschaftliche Unternehmen in eine Gesellschaft eingebracht wird und der ehemalige Landwirt
dort keine Vertretungsvollmacht hat.
({10})
Sie sehen also: Mit diesen Vorschlägen werden die sozialen Härten in den Blick genommen und, wie ich finde,
gute Lösungen gefunden. Ich bin mir sicher, dass wir,
was dieses Thema anbelangt, zu einer Befriedung beitragen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden
sicherlich auch künftig munter über die Hofabgabeklausel diskutieren. Wir müssen aber bei allem, was wir tun,
darauf achten, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig
es ist, dass Landwirte früh Verantwortung übernehmen
können. Daher brauchen wir Rahmenbedingungen, mit
denen jungen Menschen Verantwortung übertragen wird
und die Landwirten einen guten Ruhestand ermöglichen,
in dem sie stolz auf ihr Lebenswerk zurückschauen können, weil sie die ehemals von ihnen bewirtschafteten Flächen in guten Händen wissen.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Ursula Schulte, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute in erster Beratung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. In diesem Zusammenhang steht auch die
Hofabgabeklausel auf der Tagesordnung. Die Hofabgabeverpflichtung, wie es richtig heißen muss, ist eine der
Kernvoraussetzungen für den Bezug einer Altersrente in
der Landwirtschaft. Die Hofabgabe ist kein Thema, das
vergnügungssteuerpflichtig ist; denn über den Sinn dieser Abgabe lässt sich trefflich streiten. Auch unter den
Generationen ist man sich längst nicht immer einig. Unser sozialdemokratischer Anspruch lautet: Wer ein Leben
lang in die Alterssicherung eingezahlt hat, hat am Ende
auch ein Recht auf Rente.
({0})
Wenn ich mit den vielen Gruppen, die mich aus dem
Westmünsterland - durchaus landwirtschaftlich geprägt - in Berlin besuchen, über die Hofabgabeklausel
diskutiere, ernte ich erstaunte Blicke und sehe in viele
ungläubige Gesichter. Die Menschen können nicht nachvollziehen, dass der Bezug einer Regelaltersrente in der
Landwirtschaft nur dann möglich ist, wenn man sein Unternehmen abgibt. Die Mehrzahl meiner Besucherinnen
und Besucher empfindet das als zutiefst ungerecht.
({1})
Damit bin ich bei den Kernfragen, die uns beschäftigen sollten, wenn wir über die Hofabgabeverpflichtung
nachdenken. Wie können wir erstens soziale Härten bei
den älteren Landwirten vermeiden? Wie schaffen wir es
zweitens, junge Landwirte in ihrer persönlichen und unternehmerischen Entwicklung zu unterstützen? Drittens.
Wie schaffen wir es, dass die Ehepartner in der Landwirtschaft sozial und vor allem eigenständig abgesichert
werden? Das sind die Fragen, auf die wir in der Großen
Koalition Antworten geben wollten. Ich denke, dass wir
auch einige Antworten gefunden haben.
Wir haben uns 2013 vorgenommen, die Hofabgabeklausel neu zu gestalten. Immer wieder ist es seit Gründung der landwirtschaftlichen Alterssicherung zur Novellierung und damit auch zur Aushöhlung dieser Klausel
gekommen. Deswegen sage ich an dieser Stelle, dass ich
persönlich - ich denke, ich darf das auch im Namen der
SPD-Fraktion sagen - die Hofabgabeklausel für nicht
mehr zeitgemäß halte.
({2})
Wie sehen nun die geplanten Veränderungen bei der
Hofabgabeverpflichtung aus? In der Koalition haben
wir miteinander vereinbart, den rentenunschädlichen
Rückbehalt auf 99 Prozent der Mindestgröße anzuheben.
Somit kann der Landwirt neben seiner Rente eine landwirtschaftliche Fläche unterhalb der zur Versicherungspflicht führenden Mindestgröße behalten. Das sind immerhin 8 Hektar, wie Sie gerade ausgeführt haben, Herr
Stegemann. Flankiert wird diese Maßnahme durch eine
Änderung im Recht der Krankenversicherung. Bezieher
einer Rente sollen pflichtversichert bleiben können, sofern sie unterhalb dieser betrieblichen Mindestgröße liegen. Wir haben auch eine Anpassung der Alterssicherung
für Landwirte an die Regelung der gesetzlichen Rentenversicherung miteinander verabredet.
Ganz wichtig: Wir haben die rentenrechtliche Stellung
der Ehegatten verbessert; denn die derzeitige Rechtslage
führt doch zu einer eklatanten Benachteiligung der Ehepartner. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Eine jüngere
Fiktivlandwirtin - das ist die Ehefrau eines Landwirts
ohne eigene Flächen - wird nach dem Gesetz, dessen
Entwurf vorliegt, zukünftig auch dann einen Rentenanspruch haben, wenn ihr Ehemann trotz Erreichens der
Regelaltersgrenze den Betrieb nicht abgibt. Damit haben
wir, wie ich finde, eine entscheidende Verbesserung für
die Bäuerinnen erreicht.
({3})
Die eben genannten drei Punkte - die Erhöhung der
Rückbehaltsfläche, die Honorierung verkürzter Rentenlaufzeiten und die Verbesserung der Absicherung der
Ehepartner - sind die zentralen Bestandteile des nun
vorliegenden Gesetzentwurfs. Ergänzung erfahren diese
Punkte durch die Tatsache, dass der landwirtschaftliche
Unternehmer seinen Betrieb nun einfacher in eine neue
Gesellschaft überführen kann. Sicherlich bleiben bei dem
heute vorliegenden Gesetzentwurf noch viele Wünsche
offen. Aber wir stehen erst am Anfang des parlamentarischen Verfahrens. Wie uns die Erfahrung lehrt, kommt
kein Gesetz so aus dem Bundestag, wie es eingebracht
wurde.
Die SPD will eine moderne Agrarpolitik, verbunden
mit einer innovativen Sozialpolitik. Vor allen Dingen
wollen wir eine Landwirtschaft, die von der Gesellschaft
akzeptiert wird. Dazu ist die Novellierung der Hofabgabeklausel ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Die
SPD-Fraktion hätte sicherlich mit diesem Gesetzentwurf
auch gleich die Abschaffung der Hofabgabeklausel beschließen können.
({4})
Aber unser Koalitionspartner hält an der Übergabe des
Hofes bei Renteneintritt fest. Schade, schade, schade!
Aber ich bin mir sicher: Was nicht ist, kann noch werden.
Danke, dass Sie mir zugehört haben.
({5})
Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/6284 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie den Zusatzpunkt 3 auf:
13. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke,
Caren Lay, Diana Golze, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in Hochschulstädten bekämpfen
Drucksachen 18/2870, 18/4512
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn ({1}), Kai Gehring, Sven-Christian
Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bund-Länder-Aktionsplan „Studentisches
Wohnen, Integration und soziale Infrastruktur“ auflegen
Drucksache 18/6336
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich bitte, die Plätze einzunehmen und die Gespräche
zu beenden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Florian
Pronold.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren über zwei Anträge der Opposition, in denen etwas gefordert wird, was wir als Große
Koalition bereits umsetzen.
({0})
Wie immer bei Anträgen der Opposition ist es so, dass
ungefähr das Doppelte von dem gefordert wird, was wir
machen. Da denke ich zum Beispiel an die soziale Wohnraumförderung. Ich kann mich erinnern, dass vor einem
Jahr die Opposition gefordert hat, wir müssten die soziale Wohnraumförderung mindestens verdoppeln. Jetzt,
da wir sie verdoppeln, reicht das nicht aus, und sie muss
mindestens versechsfacht werden. So ist das Geschäft
der Opposition.
Die SPD-Bundestagsfraktion wie die Große Koalition hat auf das Thema „bezahlbares Wohnen“ einen großen Schwerpunkt gelegt. Wir haben das nicht nur in den
Koalitionsvertrag geschrieben, sondern wir haben auch
gehandelt. Dies kommt insbesondere den Studierenden
in den Hochschulstädten zugute. Mittlerweile sind die
Wohnungsmärkte in 40 von etwa 80 Hochschulstädten
angespannt, wodurch dringender Handlungsbedarf besteht. Auch Studierende müssen bezahlbaren Wohnraum
vorfinden, und wir leisten dazu einen großen Beitrag.
({1})
Wir haben die Mietpreisbremse umgesetzt,
({2})
die dazu führt, dass bei Wiedervermietung die Mieten
nicht mehr in dem Maße wie zuvor ansteigen.
({3})
Wir haben umgesetzt, dass ein marktwirtschaftliches
Prinzip wieder gilt, nämlich: Wer bestellt, bezahlt auch.
({4})
Die Maklergebühr war ein Ärgernis für viele Studierende, die das Zweieinhalbfache der Monatsmiete zahlen
mussten, wenn sie sich selber eine Wohnung gesucht haben und so abgezockt worden sind. Das ist seit Sommer
dieses Jahres vorbei.
({5})
Wir haben im Rahmen der BAföG-Reform den Zuschuss deutlich erhöht,
({6})
um den Wohnraum von Studierenden zu finanzieren.
Wir haben vor wenigen Monaten in diesem Haus die
Wohngeldreform beschlossen. Über 40 Prozent steigen
die Ausgaben des Bundes für das Wohngeld. Auch das
kommt Studierenden zugute.
({7})
Wir haben die Mittel für die soziale Wohnraumförderung verdoppelt. Das ist eigentlich Aufgabe der Länder,
so wie die Bereitstellung von Wohnraum für Studierende
eigentlich auch Aufgabe der Länder wäre. Wir unterstützen jetzt die Bestrebungen der Länder, indem wir nicht
nur 500 Millionen Euro im Jahr, sondern 1 Milliarde
Euro pro Jahr für soziale Wohnraumförderung ausgeben.
({8})
Angespannte Wohnungsmärkte bekommen wir nicht
in den Griff, indem wir nur den mietrechtlichen Schutz
verbessern. Wir bekommen sie nur dann in den Griff,
wenn wir zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum vor Ort
schaffen. Deswegen ist es richtig, dass wir neben der
Förderung des sozialen Wohnungsbaus auch die Liegenschaften des Bundes verbilligt abgeben; denn so kann
soziale Wohnraumförderung auch von den Kommunen,
von Genossenschaften und von Baugesellschaften vor
Ort geleistet werden.
({9})
Das führt dazu, dass es zu einer Entspannung auf den
Wohnungsmärkten kommt.
Wir wollen zusätzlich steuerliche Anreize schaffen,
um neben der öffentlich geförderten Wohnraumfürsorge
die Bereitstellung von Wohnraum durch Private zu fördern, insbesondere in angespannten Wohnungsmärkten,
und zwar über verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten,
damit mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht. Auch das ist
wichtig für die Studierenden.
Wir haben als Große Koalition beschlossen, dass
wir, obwohl der Bund für die soziale Wohnraumförderung nicht mehr zuständig ist, etwas machen, was den
Studierenden ganz besonders zugutekommt. Wir werden
nämlich in Modellvorhaben für experimentelles Bauen
120 Millionen Euro ausgeben, um neue Konzepte auszuprobieren, die eine Leuchtturmfunktion für den studentischen Wohnungsbau in der ganzen Republik haben
sollen. Ich war gerade mit dem Kollegen Mindrup in
Berlin unterwegs, um mir ein Projekt zur Planung von
Mikrowohnungen anzuschauen. Auch in anderen europäischen Städten kann man besichtigen, wie heute mit
intelligenten Lösungen auf formal geringem Wohnraum
von vielleicht nur 16 Quadratmetern ganz tolle Wohnsituationen geschaffen werden. So kann man Studierenden
und Auszubildenden bezahlbares Wohnen ermöglichen.
Wir wollen neues nachhaltiges Bauen ausprobieren.
Wer weiß denn, ob in 15 Jahren die StudierendenzahVizepräsidentin Ulla Schmidt
len noch so hoch sind? Warum soll man Gebäude nicht
so gestalten, dass sie künftig auch anderweitig nutzbar
sind? Wenn wir an den Zuzug von Flüchtlingen denken:
Warum sollen Wohnraumgrößen nicht verändert werden?
Warum soll eine Durchmischung von Wohnraum nicht
schon jetzt eingeplant werden?
({10})
Wir reden in Umweltdebatten immer davon, dass wir
das 30-Hektar-Ziel einhalten sollen. Was heißt das in der
konkreten Umsetzung des Vorhabens, mehr Wohnraum
zu schaffen? Das heißt doch, dass die Städte nicht mehr
in die Breite, sondern in die Höhe wachsen müssen. Intelligente und nachhaltige Nachverdichtung, das ist eine
der Aufgaben, die wir in unserem Modellvorhaben für
experimentelles Bauen für Studierende und Auszubildende einfordern.
Ich denke nur an die Universität Regensburg, an der
ich in den 70er-Jahren studiert habe, ein Flachbau. Das
führt mich zu einer anderen Idee: Würde man zum Beispiel darauf in Holzbauweise Studierendenwohnungen
schaffen,
({11})
dann könnten die Studierenden in der Früh auch länger
schlafen. Es wäre mir sehr entgegengekommen und hätte
meine Noten nachhaltig verbessert,
({12})
wenn ich eine solche Möglichkeit zu meinen Universitätszeiten gehabt hätte. Unabhängig davon gibt es direkt
neben der Universität riesige Parkplätze. Warum sollte
dort nicht in Holzständerbauweise neuer Wohnraum
geschaffen werden? Die Parkplätze blieben erhalten.
Trotzdem gäbe es eine intelligente Nachverdichtung, die
übrigens auch dazu führt, dass studentischer Wohnraum
billiger wird. Der Boden gehört ja schon der öffentlichen
Hand. Man hätte 20 bis 25 Prozent weniger Baukosten.
Gegenstand des Modellvorhabens ist auch, besonders
günstiges, aber hochwertiges Bauen zu fördern.
({13})
Wir schaffen Leuchtturmprojekte für den studentischen Wohnungsbau der Zukunft. 120 Millionen Euro
werden wir dafür in die Hand nehmen. Das ist wirklich
ein gutes Zeichen. In der SPD, in der Großen Koalition
ist das Thema „bezahlbares Wohnen auch für Studierende“ in den besten Händen.
({14})
Vielen Dank. - Als Nächstes spricht die Kollegin
Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir
reden heute nicht zum ersten Mal über die großen Probleme von Studierenden, eine Wohnung, und zwar eine
bezahlbare Wohnung, zu finden. Ehrlich gesagt, durch
besonders großen Tatendrang ist die Regierung eigentlich nicht aufgefallen.
({0})
Aber ich kann Ihnen versprechen: Die Linke und die gesamte Opposition werden dafür sorgen, dass dieses Thema zu Semesterbeginn immer wieder auf der Tagesordnung steht.
({1})
Die neuesten Zahlen zu diesem Semester sind noch
schlimmer als die letzten. Mittlerweile zahlen Studierende in München für ein WG-Zimmer weit über 500 Euro.
Die Zahl der Hochschulstandorte mit einem sogenannten
angespannten Wohnungsmarkt ist im letzten Jahr noch
einmal angewachsen. Das heißt, die Studierenden werden auch in diesem Herbst wieder in Turnhallen, Zelten
oder Containern unterkommen müssen. Wenn hier nicht
bald etwas passiert, werden die Studierenden nicht mehr
über die Runden kommen, selbst wenn sie das BAföG
zweimal beantragen könnten.
Zwar wurde jetzt von der Großen Koalition das Programm „Modellvorhaben nachhaltiges Wohnen für Studenten und Auszubildende“ ins Leben gerufen - Sie haben es gerade erwähnt -; aber das wird dem Bedarf nicht
einmal im Ansatz gerecht. Es hat auch bis jetzt, ehrlich
gesagt, noch nicht ein einziges zusätzliches Zimmer geschaffen. Das ist schlicht fahrlässig; denn in der nächsten
Zeit kann sich die Wohnsituation noch einmal zuspitzen.
Wir alle wissen, wie viele Menschen gerade aus Not und
Elend bei uns ankommen.
Es ist höchste Zeit, dass nicht nur die Hochschulen
konsequent für die jungen Zugewanderten geöffnet werden, sondern dass auch die soziale Infrastruktur so auf
Vordermann gebracht wird, dass junge Menschen, egal
ob aus Deutschland, aus Syrien oder Albanien, auch in
München oder Köln studieren können und nicht an unbezahlbaren Mietkosten scheitern.
({2})
Es braucht ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um die
Situation nicht nur für Studierende, sondern auch für die
Mieterinnen und Mieter allgemein zu verbessern, damit
die Studierenden, die ja für ihr Studium oft mehrfach umziehen müssen, nicht auch noch die ohnehin angespannte
Situation auf dem allgemeinen Mietmarkt verschärfen,
weil der Vermieter die Miete bei jeder Neuvermietung
noch einmal erhöht. Das ist das eigentliche Problem. Da
greift Ihre sogenannte Mietpreisbremse, die Sie gerade
angesprochen haben, eben nicht.
Die Linke schlägt ein Bund-Länder-Programm
vor, um innerhalb der nächsten vier Jahre 45 000 neue
Wohnheimplätze in Trägerschaft der Studentenwerke
fertigzustellen und um endlich wieder eine bundesweite
Versorgungsquote von 15 Prozent der Studierenden mit
Wohnheimplätzen zu gewährleisten.
({3})
Solche öffentlich geförderten Maßnahmen hätten übrigens auch enorme Entspannungseffekte auf den allgemeinen Miet- und Wohnungsmarkt. Der hat das wirklich
mehr als nötig, weil die Große Koalition offensichtlich
keine adäquate Antwort darauf hat, dass die Zahl der Sozialwohnungen Jahr für Jahr um Zehntausende zusammenschrumpft, weil öffentlich geförderte Wohnungen
aus der Sozialbindung herausfallen und dann profitorientiert und zu deutlich höheren Preisen vermietet werden.
Diesem Problem ist nicht ohne einen Neustart des sozialen Wohnungsbaus aus öffentlichen Mitteln und ohne
eine Mietpreisbremse, die diesen Namen auch verdient,
die endlich Schluss macht mit Mieterhöhungen bei Neuvermietungen, beizukommen.
({4})
Die Linke will - das wiederhole ich gerne so lange, bis
es auch bei der Regierung ankommt -,
({5})
dass die Wohnkostenpauschale im BAföG wenigstens an
die durchschnittlichen Mietkosten und dann dynamisch
an die Steigerungsraten angepasst wird. Ich finde, es ist
wirklich peinlich, sich derart wie die Bundesregierung
für eine BAföG-Erhöhung abzufeiern, die schon weit unter dem Bedarf liegt, noch bevor sie überhaupt in Kraft
tritt.
({6})
Kolleginnen und Kollegen, verantwortlich ist man bekanntermaßen nicht nur für das, was man tut, sondern
auch für das, was man nicht tut. Fangen Sie endlich an,
zu handeln, und lassen Sie nicht auch noch die Wahl des
Studienorts zu einer sozialen Frage werden!
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt die Kollegin Sylvia Jörrißen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Vor ziemlich exakt einem Jahr, am 17. Oktober
2014, haben wir den Antrag der Linken in erster Lesung
beraten. Wir sprechen also heute über etwas, was eigentlich gar nicht mehr aktuell ist.
({0})
Trotzdem ist es wichtig, dass wir darüber sprechen. Die
Situation am Wohnungsmarkt ist an einigen Studienorten
schwierig. Um das zu erkennen, haben wir Ihren Antrag
nicht gebraucht.
({1})
Eine Wohnung am Studienort und eine gesicherte Studienfinanzierung sind Voraussetzungen für die Aufnahme eines Studiums.
({2})
- Ja. - Wir wissen, dass die Lage angespannt ist. Gerade
dort, wo das bereits der Fall ist, wird sie durch den Zustrom der Flüchtlinge noch angespannter. Die Große Koalition arbeitet sehr erfolgreich an diesem Problem. Das
Wohnen hat für uns eine ganz besondere Schlüsselrolle.
Meine Damen und Herren, wir haben im letzten Jahr
vieles umgesetzt. Ich möchte gar nicht mehr im Detail
auf die Einzelheiten eingehen, wir haben das oft genug
hier im Plenum debattiert. Ich erinnere nur an die Erhöhung des BAföG-Regelsatzes. Der Wohnkostenanteil darin ist überproportional erhöht worden.
({3})
Ich erinnere an die Einführung des Bestellerprinzips im
Mietrecht. Das erspart den Studenten bares Geld, da sie
in aller Regel keine Maklercourtage mehr zu tragen haben.
({4})
Ich erinnere auch an die Einführung der Mietpreisbremse. Aber so, wie die Linken und auch die Grünen sie fordern, nämlich auch für Neubauten, wäre sie kontraproduktiv, da sie dann zur Investitionsbremse würde.
({5})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, obwohl
die Zuständigkeit für die Wohnraumförderung bei den
Ländern liegt, übernimmt die unionsgeführte Bundesregierung hier Verantwortung. Mit dem Programm „Modellvorhaben nachhaltiges Wohnen für Studenten und
Auszubildende“ werden 120 Millionen Euro für innovative und neue Konzepte bereitgestellt. Wir wissen,
es muss jetzt schnell und unkompliziert Wohnraum geschaffen werden.
({6})
Deshalb liegt der Förderschwerpunkt bei Konzepten mit
einer verkürzten Bauzeit, bei Konzepten mit einer flexiblen Nutzbarkeit und bei Konzepten, die eine Einbindung
in das städtische Umfeld ermöglichen;
({7})
denn dort, wo Wohnraum knapp ist, sind auch Grund und
Boden knapp. Unser Staatssekretär hat gerade vieles zu
dem Programm gesagt. Lieber Herr Pronold, ich vertraue
ganz darauf, dass Sie dieses Programm jetzt auch schnell
an den Start bringen.
({8})
Wir wissen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass dieses Programm allein nicht reicht. Deshalb haben wir die Mittel für die soziale Wohnraumförderung,
die wir den Ländern zur Verfügung stellen, für die Jahre 2016 bis 2019 auf über 1 Milliarde Euro aufgestockt
und damit rund verdoppelt.
Ihr Antrag verkennt unser föderales System. Auch wir
wünschen uns eine zweckgebundene Verwendung dieser
Mittel.
({9})
Das ist in der Vergangenheit in vielen Ländern nicht
erfolgt. Die Länder haben dies nunmehr zugesagt und
wollen endlich ihrer Verantwortung nachkommen. Wir
müssen ein strenges Auge darauf richten, dass dies tatsächlich auch so umgesetzt wird.
({10})
Lassen Sie mich auf einen letzten Punkt zu sprechen
kommen, und zwar den Umgang mit den bundeseigenen
Liegenschaften. Wir lassen unsere Städte und Kommunen nicht im Regen stehen. Im Nachtragshaushalt ist vereinbart, dass die BImA solche Liegenschaften, die für die
Schaffung von sozialem oder studentischem Wohnraum
genutzt werden, zu vergünstigten Konditionen an die
Kommunen abgibt. Für Umplanungen von leerstehenden
Kasernen gibt es bereits heute erfolgreiche Beispiele, so
in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen in der Studentenstadt Münster mit der York-Kaserne und der Oxford-Kaserne.
Meine Damen und Herren, die Herausforderungen im
Bereich des studentischen Wohnens und der Schaffung
bezahlbaren Wohnraums allgemein können nur gemeinsam geschultert werden. Wir alle sind verpflichtet, an
dieser Aufgabe mitzuwirken: der Bund, die Länder, die
Kommunen, aber auch private Investoren.
({11})
Hierfür müssen noch zusätzliche Anreize geschaffen
werden, zum Beispiel steuerliche.
Danke schön.
({12})
Vielen Dank. - Als Nächstes spricht Christian Kühn,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen
und Besucher auf der Tribüne! Herr Pronold, ich fand es
wirklich sehr amüsant, Ihre Aufzählung dessen, was diese Regierung alles macht, zu hören; aber der Mieterbund
hat heute eine Pressemitteilung herausgegeben und gesagt: Die Politik in Deutschland befindet sich angesichts
der angespannten Lage auf den Wohnungsmärkten im
Schlaf. - Ich sage Ihnen: Diese Regierung befindet sich
immer noch im Schlaf. Ich werde es in der Rede nachweisen.
({0})
Diese Regierung befindet sich im Schlaf und braucht
jemanden, der sie aufweckt. Ich sage Ihnen: Diese Debatte hier hat sie ein Stück weit aufgeweckt. Deswegen ist
es gut, dass diese Debatte beantragt worden ist und dass
wir sie auch führen.
({1})
Wir haben eine brutal angespannte Wohnungsmarktsituation in den Hochschulstädten. In meiner Heimatstadt
Tübingen sind die Mieten in sieben Jahren um 22 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist deutschlandweit die Studierendenzahl um 700 000 gestiegen.
({2})
Diese Aufgabe können eben die Universitätsstädte selber
nicht mehr stemmen.
({3})
Deswegen braucht es Bundesmittel. Deswegen war es
so wichtig, dass wir bereits letztes Jahr ein Bundesprogramm für Wohnungsbau thematisiert haben. Dadurch
sind Sie überhaupt erst auf die Idee gekommen, ein Programm aufzulegen. Wir als Opposition empfinden es als
einen großen Erfolg, dass Sie 120 Millionen Euro für ein
Wohnheimprogramm in Deutschland lockergemacht haben.
({4})
Es fehlen aber immer noch 25 000 Wohnheimplätze.
Deswegen reicht es nicht, was Sie hier machen. Es reicht
auch nicht aus, die soziale Wohnraumförderung auf
1 Milliarde Euro zu erhöhen. Der Städte- und Gemeindebund selbst sagt, dass wir 2 Milliarden Euro brauchen,
der Mieterbund auch. Wenn ich das, was Frau Barbara
Hendricks heute Mittag gesagt hat, richtig verstanden
habe, dann ist es ja wohl so, dass sie selbst nicht glaubt,
dass die derzeitigen Mittel für die historische Herausforderung, vor der wir auf den Wohnungsmärkten stehen,
ausreicht. Deswegen: Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Da stehen nämlich 2 Milliarden Euro drin. Dann bekommen wir die Lage auch besser in den Griff.
({5})
Frau Jörrißen, die Mietpreisbremse, für die Sie sich
hier jetzt loben, haben Sie von der Union verzögert und
am Ende durchlöchert, und sie kam viel zu spät. Wenn
wir sie ein Jahr vorher bekommen hätten, wenn Sie sie in
den ersten 100 Tagen der Regierungszeit umgesetzt hätten, wären wir heute schon ein deutliches Stück weiter.
({6})
Das Gleiche gilt für die Liegenschaftspolitik. Warum
ist es denn erst heute möglich, dass bei Vorliegen des Kriteriums „sozialer Wohnungsbau“ Bundesliegenschaften
verbilligt abgegeben werden können? Das liegt doch daran, dass sich die Union jahrelang bei dem Thema Bundesliegenschaften gesperrt hat und es erst jetzt möglich
gemacht hat. Wenn wir das früher gemacht hätten, hätten
wir in den letzten Jahren deutlich mehr Wohnheimplätze, aber auch mehr sozialen Wohnungsbau in die Städte
gebracht. Es ist ein Skandal, dass Sie das so lange verhindert haben.
({7})
Dazu, dass Sie sich hier für die Erhöhung des BAföG
loben, ist zu sagen: Es ist eine Erhöhung, aber es ist eine
Erhöhung, die nicht reicht, und sie ist auch nicht intelligent.
({8})
Letztlich haben Sie nämlich bei der BAföG-Mietkostenpauschale keine regionale Staffelung eingeführt. Beim
Wohngeld gibt es eine Staffelung, beim BAföG nicht.
Das passt systematisch nicht zusammen.
({9})
Es handelt sich eben nicht um eine zielgenaue Antwort
auf die Situation der Studierenden in den Hochschulstädten. Ich fordere Sie auf: Ändern Sie das! Es ist nämlich
wohnungspolitisch höchst problematisch, was Sie da machen.
({10})
Ganz toll finde ich an dieser GroKo, dass Sie sich für
Dinge loben, die Sie noch gar nicht gemacht haben,
({11})
für die Sie noch nicht einmal einen Haushaltsbeschluss
haben, für die Sie sozusagen höchstens der Presse
Sprechblasen geben.
({12})
Das betrifft beispielsweise die steuerliche Förderung und
die AfA. Ich sage Ihnen: Das werden Sie nicht hinkriegen. - Und Sie kriegen das deswegen nicht hin, weil Sie
sich mit Ihrem Finanzministerium gar nicht einig sind.
Deswegen steht auch in dem gemeinsamen Beschluss
von Ministerpräsidenten und Kanzlerin nicht „steuerliche Abschreibungen“ oder „steuerliche Anreize“ drin,
sondern da steht nur noch „Anreize“ drin.
({13})
Ich bin mir nicht sicher, ob Sie das wirklich hinbekommen, was Sie hier versprechen. Ich finde, man sollte nur
Dinge versprechen, die man am Ende auch wirklich halten kann.
({14})
Zum Schluss will ich sagen: Die Hochschulstädte sind
ein Brennglas für die wohnungspolitische Entwicklung
in Deutschland. Wir sehen ja, wie die Wohnungsmärkte aus dem Ruder geraten sind. Die Instrumente, die wir
heute alle miteinander versprechen, reichen nicht aus.
({15})
Wir brauchen eine neue Systematik, wir brauchen eine
neue Idee. Ich glaube, dass wir alle miteinander über
eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit sprechen sollten
und diese möglichst in dieser Legislaturperiode umsetzen sollten. Wir stehen nämlich vor einer historischen
Aufgabe.
Danke schön.
({16})
Vielen Dank. - Jetzt hat Yvonne Magwas, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dieser Debatte greifen wir erneut ein aktuelles Thema auf. Wir wissen, Anfang der Woche hat
in vielen Bundesländern das Wintersemester begonnen.
Das heißt auch, dass immer mehr junge Menschen in den
Unistädten eine Unterkunft benötigen. Besonders beliebt
sind Hamburg, Berlin, München.
({0})
Das verschärft die Situation auf den dort ohnehin angespannten Wohnungsmärkten noch weiter.
Das Thema „bezahlbarer Wohnraum“ ist uns nicht nur
hinreichend bekannt, wir reagieren bereits seit Beginn
der Legislaturperiode darauf. Natürlich sind besonders
Studierende auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen.
Doch es wäre zu kurz gegriffen, wenn wir uns nur auf
das Wohnen von Studierenden konzentrieren würden;
denn wir alle wissen: Junge Familien, Rentner oder auch
Flüchtlinge benötigen bezahlbaren Wohnraum.
({1})
Deshalb gibt es auch das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen, und wir freuen uns schon, lieber Florian
Christian Kühn ({2})
Pronold, auf die ersten Ergebnisse, die in den nächsten
Wochen präsentiert werden sollen.
({3})
Diese sind sicherlich vielschichtiger als das, was die Linken und die Grünen uns anbieten,
({4})
nämlich den Wohnungsneubau vor allem staatlich zu finanzieren und staatlich zu steuern. Damit bestätigen Sie
erneut, meine Damen und Herren von den Linken, dass
Sie kein Verhältnis zum Steuergeld und zu generationengerechter Politik haben.
({5})
Zukunftsgerichtete Politik sieht für uns anders aus.
({6})
Wir wollen unseren Kindern Chancen statt Schulden vererben.
({7})
Seit der Föderalismusreform tragen die Länder die
Verantwortung für die soziale Wohnraumförderung. Das
wollten sie auch so.
({8})
Damit sind auch die Länder für die Bereitstellung von
ausreichend bezahlbarem Wohnraum, also auch für die
Studierenden, zuständig. Aber die Länder müssen die
übertragene Verantwortung auch übernehmen, und sie
müssen die ihnen übertragene Verantwortung auch wirklich ernst nehmen. Aber mit Ausnahme von ein oder zwei
Positivbeispielen ist das leider nicht der Fall. Die Länder verwenden die Mittel nicht, wie wir uns das wünschen, und nicht, wie sie es müssten. Die Verdoppelung
der sozialen Wohnraumförderung auf 1 Milliarde Euro
pro Jahr, die wir heute Morgen beschlossen haben, war meine Vorredner haben das schon öfter gesagt - ein
Meilenstein. Das ist ein starkes Zeichen für die soziale
Wohnraumförderung.
({9})
Wir als Union hätten uns gewünscht, dass die Länder
künftig jährlich Bericht ablegen müssen, ob sie das Geld
auch tatsächlich zweckgebunden einsetzen.
({10})
- Frau Nissen, wir bleiben dran, und wir appellieren auch
ein weiteres Mal an die Länder, die Mittel endlich zielgerichtet dafür aufzuwenden.
({11})
Meine Damen und Herren, anders als die Linken sind
wir uns darüber im Klaren, dass staatliche Wohnraumförderung allein den Bedarf nicht decken kann. Darüber
waren sich gestern im Übrigen auch die Experten im
Fachgespräch zu den Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt einig, und zwar vom Mieterbund bis hin zum
BFW. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat beschlossen, dass es dringend Anreize für private Investitionen
in den Wohnungsbau geben muss. Steuerliche Anreize
wären in der derzeitigen Situation ein starkes Zeichen.
({12})
Die Bundesregierung muss deshalb mit allen beteiligten
Ressorts den Beschluss nun auch endlich umsetzen. Unsere Unterstützung haben sie dafür.
({13})
Mit anderen Forderungen, meine Damen und Herren
von den Linken, schießen Sie deutlich über das Ziel hinaus, zum Beispiel mit der flächendeckenden Mietpreisbremse. Wir haben sie so ausgestaltet, dass zum einen
Mieter entlastet werden, zum anderen aber auch der Bau
von neuen Wohnungen ermöglicht und in den Bau von
neuen Wohnungen investiert wird.
({14})
Denn wir wissen: Der beste Mieterschutz, egal ob für
Flüchtlinge, für Studierende oder auch für junge Familien, ist immer noch der Bau von neuen Wohnungen.
({15})
Sie dagegen, meine Damen und Herren von den Linken,
fordern eine Investitionsbremse. So ist es.
Daher kann man abschließend wieder einmal sagen:
ein typischer Antrag der Opposition; denn Sie müssen
die Milliardenforderungen ja auch nicht umsetzen. Wir
dagegen stehen für eine ausgewogene und nachhaltige
Wohnungs- und Finanzpolitik. Aus diesem Grund lehnen
wir den Antrag der Linken heute auch ab.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Vielen Dank. - Damit beenden wir die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Mietwucher in
Hochschulstädten bekämpfen“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4512,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2870 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 3. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6336
mit dem Titel „Bund-Länder-Aktionsplan ‚Studentisches Wohnen, Integration und soziale Infrastruktur‘
auflegen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie
Drucksache 18/6283
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu
Protokoll gegeben werden. - Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden. 1)
Dann kommen wir zur Überweisung. Interfraktionell
wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6283 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es von Ihrer Seite dazu
anderweitige Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht der
Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Monika Lazar, Christian Kühn ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sport und Alltag verbinden - Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpassen
Drucksache 18/4329
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({2})
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
1) Anlage 8
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre hierzu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Monika
Lazar, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Aussage unseres Antrages ist eigentlich ganz einfach: Sport und Wohnen sollen in räumlicher Nähe miteinander vereinbar sein.
({0})
Leider ist das unter den gegebenen Bedingungen in einigen Regionen Deutschlands nicht so einfach möglich;
denn die Rechtslage in Bezug auf die Lärmschutzverordnung bei Sportstätten ist veraltet, uneinheitlich und undeutlich. Das Ergebnis sind verfallene Sportplätze oder
Sportanlagen, die zu weit außerhalb liegen. Der DOSB
beziffert den Investitionsstau bei Sportstätten im Breitenund Spitzensport auf 42 Milliarden Euro. Dabei ist es
nicht so, dass hier keiner handeln will. Selbst wenn Kommunen die Mittel aufbringen könnten, um die Sportanlagen auf Vordermann zu bringen, müssen sie befürchten,
die Standorte gleich ganz zu verlieren. Am Ende also gibt
es entweder moderne Sportplätze in Randlage oder wenig genutzte ältere Sportanlagen vor der eigenen Haustür.
Beispiel Altanlagenbonus: Wenn sich ein Sportverein eine Sanierung seiner Sportstätte wünscht, die auch
neuesten Umweltstandards genügt, dann läuft er Gefahr,
dass die Genehmigung für den gesamten Betrieb auf den
Prüfstand kommt. Das ist in mehrerlei Hinsicht absurd.
({1})
Derzeit befinden wir uns in einer Grauzone. Es ist nie
sicher, ab wann ein Umbau zum Wegfall des Bestandsschutzes führt. Wir fordern deshalb eine bundesweite Regelung, die endlich Klarheit schafft und es erlaubt, ökologische Verträglichkeit auch in der Stadt sicherzustellen.
Ein weiterer Punkt ist die Privilegierung von Kinderlärm. Wir erinnern uns: In der letzten Wahlperiode haben
wir erst klargestellt, dass Kinder natürlich den ganzen
Tag auf dem Spielplatz spielen können. Aber warum sollte das bei Sportplätzen anders sein? Wir sind uns doch
alle einig: Kinder und Jugendliche brauchen Bewegung,
sie sollen Sport treiben und sich austoben dürfen.
({2})
Leider sieht die Wirklichkeit anders aus. Das Robert-Koch-Institut hat in einer 2014 erschienenen Studie
herausgestellt, dass zwar gut drei Viertel aller Kinder und
Jugendlichen regelmäßig Sport treiben und sich ausreichend bewegen, gleichzeitig aber sind nach den aktuell
vorliegenden Zahlen 1,9 Millionen Kinder zwischen 3
und 17 Jahren in Deutschland übergewichtig. Das entspricht 15 Prozent.
Ich sage nicht, dass das an der Lärmschutzverordnung
liegt, aber wir sollten frühzeitig an den Stellschrauben
drehen. Die Lärmschutzverordnung ist eine solche Stellschraube. Wenn es keinen geeigneten Sportplatz vor der
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Tür gibt, dann gibt es auch weniger Anreiz, vor die Tür
zu gehen und Sport zu treiben.
Natürlich gibt es zwei Seiten der Medaille. Die Anwohnerinnen und Anwohner haben selbstverständlich
ein Recht auf Ruhe. Daher lautet unsere Forderung nicht
einfach „Sport frei, und der Rest schert uns nicht“. Man
muss schon unterscheiden, ob der Sportlärm von Kindern
und Jugendlichen kommt, die ihre Freizeit aktiv gestalten
wollen, oder von den Sportereignissen mit einem weitaus
höheren Zuschaueraufkommen. Anlagen, in denen solche Veranstaltungen stattfinden, sollen gegebenenfalls zu
den genehmigungsbedürftigen Anlagen gezählt werden.
Für alle Beteiligten ist es zudem sinnvoll, einheitliche Prüfmethoden zu wählen. Auch dies ist bisher nicht
geregelt. Das Bundesumweltministerium hatte bereits
Anfang des Jahres im Sportausschuss angekündigt, dass
hier etwas geändert werden soll. Bis heute ist noch nichts
passiert. Warum beseitigen Sie nicht diesen Flickenteppich kommunaler Einzelregelungen und schaffen eine
verlässliche gesetzliche Grundlage, die den heutigen Bedürfnissen und Anforderungen entspricht?
({3})
Unser Antrag soll eine Anregung sein, damit wir noch
in dieser Wahlperiode endlich einer Lösung näher kommen. Ich denke, das ist in unser aller Interesse.
Danke schön.
({4})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU spricht jetzt der
Kollege Karsten Möring.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Vertreter der Vereine, die hier im
Raum sein mögen! Lassen Sie mich mit einem Kompliment an die Grünen beginnen:
({0})
Die Grünen verstehen es immer wieder, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen und damit den Eindruck zu
erwecken, sie hätten ihn angeschoben oder säßen gar in
der Lokomotive.
({1})
Das ist auch bei diesem Antrag der Fall.
({2})
Denn wir wissen ja alle, dass der Diskussionsprozess, der
dem zugrunde liegt, schon seit einiger Zeit anhält. Ich
will allerdings nicht verschweigen, dass ich mich freuen
würde, wenn das Ministerium alsbald seine eigenen Vorstellungen einbringen würde.
({3})
- Ob Anschieber oder Antreiber, werden wir sehen.
({4})
- Ja, genau.
Ich wundere mich ein bisschen über die Bereitschaft
der Grünen, die in diesem Antrag zum Ausdruck kommt,
Umweltstandards im Sinne eines Interessenausgleichs zu
reduzieren, indem sie sagen: Wir müssen die Interessen
zusammenbringen. - Bei anderen Themen würde ich mir
bei den Grünen auch ein bisschen mehr Flexibilität wünschen. Das kenne ich sonst nicht von Ihnen. Ich denke an
solche Dinge wie die Forderung von Teilen der Grünen,
eine halbe Stunde Lärm im Jahr zu verbieten, nämlich
das Silvesterfeuerwerk,
({5})
und zwar wegen des Lärms, aber nicht wegen der Luftverschmutzung; das wäre ja vielleicht ein Argument gewesen.
({6})
- Ja nun! Es gibt ein paar Dinge, die ich gerne in den
zehn Minuten unterbringen möchte. Passen Sie auf!
({7})
Sport und Lärm sind leider eine untrennbare Einheit,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Plopp-Plopp auf
dem Tennisplatz, die knallenden Skateboards, der Torjubel - Musik für die einen, nämlich diejenigen, die dabei
sind, Lärm für die anderen, nämlich diejenigen, die nicht
dabei sind.
({8})
- Selten für den Gegner, lieber Herr Schatzmeister des
DFB. Das dürfte unterschiedlich wahrgenommen werden.
Gleichwohl: Als Mitglied des kürzlich hier gegründeten Bundestagsfanclubs des 1. FC-Köln „Koalition RutWiess“
({9})
- um das bei dieser Gelegenheit zu betonen - habe ich
großes Verständnis für die Sporttreibenden und die Vereine. Auch als Leiter einer Schule mit einem benachbarten
Sportplatz am Rand eines Wohngebiets weiß ich, wovon
ich rede. Aber auch als Umweltpolitiker sage ich: Gerade weil der Sport trotz seines Lärms und mit seinem
Lärm so bedeutend ist - Beispiele hat meine Vorrednerin
genannt; ich brauche sie nicht zu wiederholen -, wollen
wir den Interessen des Sports so weit wie möglich, bis zu
den Grenzen des Zulässigen - um es mal so zu sagen -,
entgegenkommen.
Was wollen wir erreichen? Natürlich wollen wir erreichen, dass das, was wir beim Kinderlärm in Bezug auf
Kitas und Spielplätze beschlossen haben, auch für Sportanlagen gilt. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Im Bereich des Jugendlichensports wollen wir die
Regelungen so weit wie möglich fassen. Wir kommen da
wahrscheinlich in eine rechtliche Grauzone - das muss
man prüfen -, aber die Zielsetzung, die wir verfolgen,
ist, den Sport von Jugendlichen so weit wie möglich zu
privilegieren. Unter Umständen muss man da zu differenzierten Regelungen kommen, was Spielzeiten angeht.
Das werden wir sehen, wenn wir uns mit den Details befassen.
({10})
Wir sind auch der Meinung, dass die Kommunen und
die Länder Spielräume brauchen für Regelungen, die den
lokalen und regionalen Verhältnissen besser angepasst
sind als das, was wir von hier aus im Rahmen einer bundeseinheitlichen Regelung machen. Wenn das nicht so
wäre, brauchten wir die Lärmschutzverordnung für die
Sportanlagen überhaupt nicht. Aber wir haben sie, und
wir brauchen sie auch.
Die Sportanlagenlärmschutzverordnung ist eine Erfolgsgeschichte; denn mit ihrer Einführung 1991 kam es
zu einer deutlichen Verringerung der Konflikte. Heute
gibt es vielleicht hundert oder ein paar mehr Problemfälle zwischen Vereinen und Nutzern; demgegenüber stehen
einige tausend Fälle, in denen es keine Probleme gibt.
Aufgrund dieser Verordnung ist eine Befriedung entstanden. Deswegen sage ich: Die Verordnung ist insgesamt
ein Erfolg, auch wenn sie jetzt in einigen Punkten ohne
Zweifel angepasst werden muss.
({11})
In diesem Zusammenhang freue ich mich über die Vorschläge, die der DOSB und der DFB gemacht haben. Wir
werden ihnen wahrscheinlich nicht in allen Punkten folgen können, aber ihre Anregung war wichtig. So konnten
wir einige Punkte zusammenstellen, mit denen wir uns
befassen müssen.
Ich will zwei Bereiche herausgreifen, in denen es zurzeit große Probleme gibt. Das eine Problem ist der sogenannte Altanlagenbonus. Was verbirgt sich dahinter?
Dahinter verbirgt sich die Notwendigkeit oder Nichtnotwendigkeit eines neuen Genehmigungsverfahrens bei
der Modernisierung oder Erweiterung eines bisherigen
Sportplatzes. In der Praxis zeigt sich, dass die Verwaltungen die Sache sehr unterschiedlich handhaben, und
das ist unbefriedigend. Eine sehr unterschiedliche Handhabung hat nämlich auch zur Folge, dass die Verwaltungen aus dem Bedürfnis heraus, möglichst keine Fehler
zu machen, sehr restriktiv mit diesem Thema umgehen.
Da gibt es Beispiele, die belegen, dass die Umwandlung
eines Ascheplatzes zu einem Kunstrasenplatz zum Anlass genommen wird, ein neues Genehmigungsverfahren
durchzuführen.
({12})
Das ist sinnlos.
Die Anwendung der alten Regelung in Bezug auf den
Altanlagenbonus macht auf jeden Fall immer dann Sinn,
wenn Art und Umfang der Belastung, die von diesem
Sportplatz in Form von Lärm oder Ähnlichem ausgehen,
im Großen und Ganzen gleich bleiben. Wenn es grundsätzliche oder erhebliche Änderungen gibt, dann muss
man über neue Genehmigungsverfahren nachdenken.
Aber ohne erhebliche Änderungen ist das nicht notwendig.
Weil die Verwaltung hier solche Probleme hat, sind
wir für eine Klarstellung: Was ist beispielsweise unter einer erheblichen Änderung zu verstehen? Was wird durch
den Altanlagenbonus begünstigt und was nicht? Das gilt
dann auch umgekehrt für den Fall, dass man eine neue
Genehmigung benötigt. Dann wissen alle Beteiligten,
woran sie sind. Sie können sich darauf einstellen und
überlegen, ob sie eine Erweiterung oder Veränderung
vornehmen wollen. Das gilt beispielsweise auch, wenn
Umbauten zu einer deutlich veränderten oder erhöhten
Lärmbelastung führen, zum Beispiel für die Einrichtung
von Skateranlagen auf bestehenden Sportplätzen; denn
deren Lärmimmission ist von anderer Güte und Qualität. Das geht in Wohngebieten in der Tat wahrscheinlich
nicht.
Das zweite Problemfeld ist die sogenannte heranrückende Bebauung. Hierbei muss ich vielfach den Kommunalverwaltungen und den Bauplanungsbehörden den
Vorwurf machen, dass sie dabei nicht sorgfältig vorgehen. Wir haben im Bundes-Immissionsschutzgesetz einen
Leitgedanken formuliert, der für alle Planungsbehörden
verbindlich ist - dieser Leitgedanke steht in § 1, Zweck
des Gesetzes -: „dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen“. Zum Entstehen schädlicher
Umwelteinwirkungen gehören auch Lärmemissionen,
die wir bei Sportplätzen in der Regel haben. Das heißt:
Wenn eine Kommunalbehörde eine heranrückende Bebauung plant, die die Lärmemissionen nicht berücksichtigt, dann ist der Bebauungsplan rechtswidrig. Aber die
Krux in dieser Situation ist, dass ein solcher rechtswidriger Bebauungsplan nur in der Phase der Offenlegung,
also solange er noch nicht rechtsgültig ist, angegriffen
werden kann; in der Regel weiß das kein Vereinsmitglied,
kein Nutzer eines Sportplatzes. In dem Moment, in dem
der Bebauungsplan rechtskräftig wird, hat der Anlieger
Anspruch auf die Einhaltung der Grenzwerte. Hier haben
wir eine Umkehrung der Situation. Es gibt eine Fülle von
Klagen oder juristischen Auseinandersetzungen, die man
einem ehrenamtlichen Vereinsmitglied und dem Kassenwart des Vereins nun wirklich nicht zumuten kann; das
muss klargestellt werden. Die Verantwortung tragen die
Planungsbehörden.
Ich habe bei einem Besuch in Düsseldorf - auch als
Kölner darf man das ({13})
mit einer Reihe von Vertretern von Sportvereinen vor Ort
gesprochen, die mir solche Fälle geschildert haben. Ich
muss ehrlich sagen: Ich war entsetzt darüber, was einfach
grob fahrlässig falsch gemacht worden ist.
Es kommt hinzu, dass Konflikte, die danach auftreten,
von den Kommunalverwaltungen in der Regel auf Kosten der Vereine gelöst werden, indem sie sagen: Ihr müsst
euren Betrieb einschränken, damit an der Stelle XY weniger Lärmbelastung herrscht.
Das alles müssen wir ändern. Wir wollen mit der Änderung ein gedeihliches Miteinander von Wohnen und
Sport in unseren Städten und Gemeinden erreichen.
({14})
Daran muss sich die neue gesetzliche Regelung messen
lassen. Ich freue mich auf eine gemeinsame Kraftanstrengung, mit der wir das erreichen. Ich lade jeden ein,
mitzuwirken. Wir werden im Ausschuss noch intensiver
darüber reden.
Zwei Sekunden Zeitüberschreitung verzeihen Sie mir
bitte. - Danke schön.
({15})
Das wird gerne verziehen. Wenn nur alle anderen auch
so pünktlich wären wie Sie!
Als Nächster hat jetzt der Kollege Ralph Lenkert,
Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Heute geht es um Lärmschutz, ganz emotional darum, mit Freude und Elan am Sonntag mit und
ohne Bälle Sport zu treiben, so wie Sie und ich es machen, oder bei Sportveranstaltungen zu jubeln, was ich
eher tue.
Da die Koalition hinsichtlich der Sportstättenlärmverordnung nicht aus der Hüfte kommt, wie den Antworten
auf die Fragen meiner Kollegin Kunert zu entnehmen
war, danke ich den Grünen dafür, dass sie einen Antrag
zur Anhebung der Geräuschgrenzwerte für Sportanlagen
stellen, wie es die Linke schon in der letzten Legislaturperiode tat.
({0})
Klar ist: Unsere Jugend bewegt sich zu wenig, und
große Teile der Bevölkerung treiben zu wenig Sport.
Und wann haben Schülerinnen und Schüler, Auszubildende oder Berufstätige richtig Zeit für Freizeit- und
Breitensport? Am Wochenende. Aber dagegen steht die
18. Bundesimmissionsschutzverordnung, die mit ihren Lärmgrenzwerten Sportveranstaltungen und Spiele,
selbst einfaches Sporttreiben wegen der für Sportanlagen
unverständlich niedrigen Grenzwerte erschwert und gerade sonntags in enge Zeitfenster - von 9 bis 13 Uhr und
von 15 bis 20 Uhr - gezwängt hat. Im Winterhalbjahr
sind die möglichen Nutzungszeiten auf nicht extra beleuchteten Anlagen real noch viel kürzer.
Wie schon 2010 schlagen wir vor, dass für den Jugend- und Freizeitsport die erlaubten Lärmgrenzwerte in
sogenannten reinen Wohngebieten auf 55 Dezibel angehoben werden.
({1})
Das ist übrigens der heutige Grenzwert in allgemeinen
Wohngebieten. Weiterhin fordern wir, dass dieser Grenzwert tagsüber ohne Mittagsabsenkung gilt. Als Techniker
kann ich Dezibelgrenzwerte einschätzen. Wissen Sie,
was 55 Dezibel bedeuten? Ein ruhiger Bach murmelt mit
50 Dezibel im Wald. Ein Fernseher auf Zimmerlautstärke
verursacht 60 Dezibel, so wie auch ein Gespräch am Kaffeetisch. Pkws dürfen mit 59 Dezibel durch reine Wohngebiete rauschen, und Militärjets dürfen mit 90 Dezibel
darüber hinwegdonnern. Hunde dürfen bellen, das ist ja
ihre Natur - übrigens lauter als 50 Dezibel. Frösche muss
man bis 55 Dezibel ertragen.
({2})
Selbst wenn sie mit 70 Dezibel quaken, dürfen sie meist
bleiben; denn das entspricht ihrer Natur.
({3})
Welchen sinnvollen Grund gibt es angesichts dessen für
Grenzen von 50 oder gar 45 Dezibel für Sportanlagen
und Freizeitsport?
({4})
Sorgen wir für mehr Akzeptanz für Menschen, egal ob
es um Ballspiele, neue Trendsportarten oder Wettkämpfe
geht.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, folgen Sie den Anregungen der Grünen und den Vorschlägen der Linken.
Wir sind für wohnortnahe Sportanlagen. Dann werden
Jugendliche öfter zum Sportplatz gehen. Gemeinsamer
Sport hilft unserer Gesundheit und unserem sozialen ZuKarsten Möring
sammenhalt. Es wäre doch schön, wenn wir mehr solche
Geräusche zulassen würden, oder?
({6})
Gesetze sollten sich am Leben orientieren. Im November 2011 änderte der Bundestag einstimmig das Bundes-Immissionsschutzgesetz, damit sich Kinder herumtollend entwickeln können, damit nie wieder ein Gericht
fröhliches Kinderlachen als Lärmstörung unterbindet.
Setzen wir uns zusammen, diskutieren wir im Ausschuss,
treiben wir das Ministerium, und wenn Sie von der Koalition es wollen, dann finden wir wie 2011 eine gemeinsame Lösung, damit Schilder wie „Sportplatz sonntags von
13 bis 15 Uhr geschlossen“ auf dem Müll landen.
Eine Änderung der 18. Bundesimmissionsschutzverordnung hilft Jugendlichen, Sportlern, Vereinen und
Kommunen, auf rechtssicherer Basis ihre Arbeit und unsere Freizeit zu organisieren. Dann fliegen mehr Bälle
aus Spaß als Flaschen aus Frust. Um Ihnen die Angst zu
nehmen: Auch bei erlaubten 55 Dezibel dürfen Sportlerinnen und Sportler noch immer nicht so viel Lärm verursachen wie Ihre vielgeliebten Pkws.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt Ulli
Nissen das Wort.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Ralph
Lenkert, ich habe bei mir im Garten wütende Eichhörnchen, die pöbeln, wenn ich meine Haselnüsse selber pflücke. Ich weiß nicht, wie viele Dezibel es bei ihnen sind.
Aber ich finde, das ist letztlich auch ein tolles Geräusch.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir alle kennen die Probleme, die mit
wachsenden Städten verbunden sind. Immer mehr Menschen leben auf gleichem Raum. Das bedeutet neben
steigenden Mieten auch Nachverdichtung und engeres
Zusammenwohnen. Das birgt Konfliktpotenzial. Viele
Sportvereine beklagen sich, dass sie wegen Beschwerden von Anwohnern keine ausreichenden Trainings- und
Spielzeiten mehr anbieten können. Für uns alle ist klar:
Sport und Bewegung sind gut für die Gesundheit, für
das persönliche Wohlbefinden, aber auch wichtig für das
soziale Miteinander, und Sport hat ein großes Integrationspotenzial. Gemeinsamer Sport bringt Menschen zueinander. Gerade in der jetzigen Situation ist die Arbeit,
die Sportvereine für die Integration leisten, sehr wichtig.
Stellvertretend für viele Vereine, die hier eine tolle Arbeit leisten, möchte ich die SG Bornheim Grün-Weiß aus
meinem Frankfurter Wahlkreis nennen.
({1})
Der Verein kümmert sich unter anderem um 20 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Diese helfen am
kommenden Samstag bei der Organisation und Durchführung der Feier zum 70-jährigen Jubiläum. Liebe SG
Bornheim, Gratulation zum 70. Jubiläum und danke für
eure großartige Arbeit!
({2})
- Da könnt ihr Grünen und Linken auch ruhig mitklatschen. Also, ein Dank an die SG Bornheim bitte auch von
euch!
({3})
Sport soll integrieren und nicht spalten. Deshalb ist es
wichtig, dass ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen des Sports und der Wohnbevölkerung gefunden wird.
Zum Sportlärm gibt es verschiedenste Diskussionsbeiträge - das ist schon erwähnt worden -, unter anderem vom
Deutschen Städtetag, vom DFB und vom DOSB. Als Berichterstatterin zu diesem Themenbereich führe ich seit
Monaten viele Gespräche mit Verbänden und Betroffenen. Ich möchte zwei Punkte ansprechen, die mir wichtig sind und die schon Entspannung - oder noch besser:
Ruhe - bringen könnten.
Die Sportanlagenlärmschutzverordnung, kurz SALVO, von 1991 regelt die Vorgaben für Sportvereine.
Seitdem hat sich einiges in den Städten und in unserer
Lebenswirklichkeit verändert. Ein Ansatzpunkt ist, den
Altanlagenbonus zu konkretisieren. Auf Sportanlagen,
die es bereits vor Inkrafttreten der SALVO gab, darf es
lauter sein als auf neueren. Unklar ist aber, was passiert,
wenn ein Verein seine Anlage zum Beispiel durch einen
Kunstrasen modernisiert. Verliert er dadurch seinen Bonus? Hier müssen wir wirklich für Klarheit sorgen.
Es ist vorhin schon angesprochen worden: Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat gute Auslegungshinweise vorgelegt, die meiner Meinung nach von uns
aufgegriffen werden könnten. Denn damit erhalten Sportvereine endlich Klarheit und Sicherheit darüber, welche
Modernisierungen und Änderungen an einer Sportanlage
eben nicht zum Verlust des Bonus führen. Für sinnvoll
halte ich auch, das Kinderlärmprivileg, das bisher nur für
Kitas und Kindergärten gilt, auf den Vereinssport auszuweiten. Sport von Kindern auf Sportplätzen sollte nicht
als Lärm gelten.
Jetzt komme ich zu den Ruhezeiten. In Frankfurt setze ich mich wegen des Fluglärms schon lange für ein
Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr morgens ein. Da kann
ich auch bei anderen Lärmquellen nicht sagen: Das ist in
Ordnung. - Ich halte eine Abendruhe ab 22 Uhr grundsätzlich für richtig. Allerdings bin ich flexibel bei den
Mittagszeiten, gerade auch am Wochenende.
Wer in der Stadt wohnt, der weiß, dass es dort nicht
überall leise ist, und wer den Sportplatz schon sieht,
wenn er sich eine Wohnung mietet, der kann sich danach
nicht beschweren, dass dort auch tatsächlich Sport betrieben wird.
({4})
Ich kann mich wirklich immer zutiefst darüber ärgern,
wenn sich Menschen beschweren, obwohl sie vorher alles gesehen haben.
Ich danke den Grünen für den Antrag.
({5})
Wir werden das im Interesse der Sportlerinnen und
Sportler und auch aller anderen sicherlich gemeinschaftlich auf einen guten Weg bringen.
Danke schön.
({6})
Vielen Dank. - Als Letzte spricht jetzt Michaela
Engelmeier, SPD-Fraktion, zu diesem Tagesordnungspunkt.
({0})
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Lärm ist seit vielen Jahren
ein Dauerbrenner im Sport.
In den letzten Jahren kam es vermehrt zu Einschränkungen des Betriebes von Sportanlagen, nachdem sich
Nachbarn und Anwohner gegen den Lärm, der von Sportanlagen ausgeht, gerichtlich zur Wehr gesetzt hatten und
damit zum Teil auch erfolgreich waren. Das führte dazu,
dass manche Sportanlagen nur noch sehr eingeschränkt
nutzbar sind, die Kinder dauernd ermahnt werden, beim
Jubel über Tore nicht zu laut zu sein, und vieles mehr. Für
viele Sportvereine, Eltern und Kinder ist das eine absurde
Situation.
Allerdings kann man auch keine einseitige Zuschreibung von Recht und Unrecht vornehmen. Im Gegenteil:
Hier steht Recht gegen Recht.
Daher hat unsere Koalition dieses Thema auch im Koalitionsvertrag verankert. Wir haben uns für gute Rahmenbedingungen im Sport ausgesprochen und die Prüfung der Immissionsregelungen vereinbart. Im Wortlaut
heißt es:
Wir machen uns dafür stark, dass eine attraktive,
ausgewogene und bedarfsorientierte Infrastruktur
für den Spitzen-, Leistungs- und Breitensport erhalten bleibt.
({0})
Die Interessen des Sports sind in immissionsschutzrechtlichen Konfliktlagen angemessen zu berücksichtigen. Deshalb werden wir auch eine Änderung
der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen prüfen.
Die rechtliche Lage ist komplex und leider nicht besonders anwenderfreundlich. Es bestehen zivilrechtliche
Regelungen im BGB, öffentlich-rechtliche Vorschriften
wie das Bundes-Immissionsschutzgesetz, die sogenannte
Sportanlagenlärmschutzverordnung und die Lärmschutzverordnungen der Länder. Wann welche Gesetze zur Anwendung kommen und ob es Bundes- oder Ländersache
ist, hängt vom Einzelfall ab und kann nicht pauschal beurteilt werden.
Genau das ist das Problem, liebe Monika, warum euer
Antrag hier ein bisschen zu kurz greift und uns in die
Pflicht nimmt, einen konkreteren vorzulegen,
({1})
und das werden wir tun.
Wir werden das Bundes-Immissionsschutzgesetz
ergänzen und die Sportanlagenlärmschutzverordnung
sport- und kinderfreundlich weiterentwickeln - und das
konkreter als in eurem Antrag, damit die Maßnahmen zügiger umgesetzt werden können.
Wir wollen den Sportlärm von Kindern und Jugendlichen mit Kinderlärm gleichsetzen, also den Lärm von
Kindern und Jugendlichen auf Sportanlagen privilegieren. Die Geräuscheinwirkungen durch Kinder und Jugendliche, die auf Sportanlagen aktiv sind, sollen nicht
als schädliche Umwelteinflüsse eingestuft werden.
({2})
Wir wollen die Zeiten modern gestalten und die Spielzeiten im Sportbetrieb flexibilisieren. Ruhe- und Spielzeiten auf Sportanlagen sollen mit Blick auf die geänderten Sport- und Freizeitgewohnheiten angepasst werden.
Wir wollen die Altanlagen schützen und einen Bonus
für Altanlagen schaffen. Der Schutz für eine Sportanlage, die vor 1991 gebaut wurde, bleibt erhalten, wenn Änderungen oder Modernisierungen, wie zum Beispiel die
Umwandlung in einen Kunstrasenplatz, keine wesentlichen Änderungen darstellen.
Ich möchte gerne mit einem Zitat von Kurt Tucholsky
schließen, das auch den Sport betrifft:
Im Übrigen ist der Mensch ein Lebewesen, das
klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen lässt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann
ist er tot.
({3})
Vielen Dank. - Damit sind wir am Schluss der Aus-
sprache angelangt.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4329 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe hier kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der
Lebenspartner
Drucksache 18/5901
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({0}), Ulle Schauws,
Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
abschließenden Beendigung der verfassungswidrigen Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften
Drucksache 18/3031
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Drucksache 18/6227
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold ({3}), Sigrid
Hupach, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Ehe für gleichgeschlechtliche Paare -
Der Entschließung des Bundesrates folgen
Drucksachen 18/5205, 18/6379
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor. Außerdem hat die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen einen Änderungsantrag zu ihrem Gesetzentwurf
eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion.
({4})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und
Kollegen! In diesen Tagen sprechen wir in Deutschland
fast ausschließlich über die Frauen und Männer, die als
Flüchtlinge zu uns nach Deutschland kommen. Wir sagen ganz selbstverständlich - das ist auch richtig so -,
dass Menschen, die aus Ländern kommen, in denen sie
unterdrückt, missachtet, verfolgt, diskriminiert werden,
in Deutschland einen Anspruch auf Schutz haben. Wir
sagen gleichzeitig, und zwar mit voller Überzeugung,
dass diese Menschen in Deutschland unser Wertegerüst, unser Grundgesetz, unsere Grundsätze und unsere
Gesellschaftsordnung zu berücksichtigen und zu achten
haben.
({0})
- Danke sehr. - Zu dieser Grundordnung in Deutschland und zu unserem Wertegerüst gehört, niemanden zu
diskriminieren. Dazu gehört: Frauen und Männer sind
gleichberechtigt. Es kann nicht sein, dass man einer Frau
nicht die Hand gibt. Zu diesem Grundgerüst gehört, dass
in diesem Land, nicht nur durch die Entscheidung des
Deutschen Bundestags und die Entscheidung der entsprechenden Gerichte, Männer mit Männern und Frauen
mit Frauen zusammenleben dürfen und können und ein
Teil unserer Gesellschaft sind.
({1})
Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, halte
ich es für fast überflüssig, in einer solchen Diskussion
zu fragen: Warum brauchen wir dann noch ein Gesetz,
wenn wir von den Flüchtlingen in unserem Land verlangen, dass sie sich an unsere Rechtsordnung halten, dass
niemand diskriminiert werden darf? Warum müssen wir
in Deutschland dann noch ein Gesetz auf den Weg bringen, mit dem wir Diskriminierungen in diesem Lande
aufheben? Wir müssen es machen, weil in diesem Land
die Ehe zwischen Menschen gleichen Geschlechts immer
noch nicht die Rechtsstellung hat, die sie eigentlich haben sollte.
Gestern sagte Volker Kauder einen schönen Satz frei
nach Kurt Schumacher: Politik beginnt als Erstes mit
dem Erkennen der Wirklichkeit. - Die Wirklichkeit in
diesem Land ist eine andere als die, die für uns vorgesehen ist. Die Wirklichkeit heißt: Männer leben mit Männern, Frauen leben mit Frauen. Schwule und Lesben haben in diesem Land die gleichen Rechte und können sie
auch in Anspruch nehmen.
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,
liegt nunmehr zu Recht der Entwurf eines Gesetzes zur
Bereinigung des Rechts der Lebenspartner als ein wichtiger, aber, wie ich sage, nicht letzter und endgültiger
Schritt zur zweiten und dritten Beratung in diesem Hause
vor. Er hat den langen Kampf - Martin Luther King würde ihn als langen Weg bezeichnen - von der Verschärfung
der Vorschriften gegen Homosexuelle im Jahr 1935 über
die unsäglichen Bestätigungen durch deutsche Parlamente und das deutsche Verfassungsgericht im Jahre 1959,
dann über die Änderungen 1969 bis hin zum Lebenspartnerschaftsgesetz 2001 und zur Bereinigung des Rechts
geführt.
Ich sage: Heute ist ein guter Tag, aber noch nicht der
letzte Tag in diesem Kampf. Deshalb, liebe Kolleginnen
und Kollegen, bitte ich Sie alle in diesem Haus an dieser
Stelle um Zustimmung zu dem Entwurf eines Gesetzes
zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner.
Gleichzeitig bitte ich die lieben Kolleginnen und Kollegen der Union: Geben Sie sich einen Ruck! Anerkennen
Sie die Wirklichkeit in diesem Land, sodass wir bei den
dann anstehenden Beratungen über die Gesetzentwürfe
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
des Bundesrates, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
der Linken und wie sie so alle vorliegen,
({2})
zu einem vernünftigen Ergebnis für die Menschen dieses
Landes kommen.
In diesem Sinne: Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Als Nächstes spricht der Kollege
Harald Petzold, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Karl-Heinz Brunner, ich schätze
deine Redebeiträge zu diesem Thema immer sehr,
({0})
aber du kannst es drehen und wenden, wie du willst: Der
Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der
Lebenspartner, den wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, verlässt leider den Deutschen Bundestag
genauso schlecht, wie er hineingegangen ist. Dabei war
es eigentlich ein bekannter Sozialdemokrat, der festgestellt hat, dass kein Gesetz das Parlament so verlässt, wie
es hineingekommen ist. Diesen Anspruch habt ihr leider
nicht eingelöst. Dabei hätte es so viel zu ändern gegeben.
({1})
Ich will nur zwei Beispiele nennen. Das gemeinsame
Adoptionsrecht ist völlig aus dem Gesetzentwurf ausgeklammert worden. Damit bleibt es dabei, dass Paare in
gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nicht gemeinsam
Kinder adoptieren können. Das ist und bleibt meiner
Ansicht nach eine klare Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren.
({2})
Dazu kann die Linke nur Nein sagen.
({3})
Dass Sie nicht einmal den Versuch unternehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, auf
die Koalitionspartnerin mehr Druck auszuüben, finde ich
angesichts Ihres Wahlversprechens von „100 Prozent
Gleichstellung nur mit uns“ beschämend. Das ist Betrug
an Ihren Wählerinnen und Wählern.
({4})
Auch die Ehe wird Paaren in eingetragenen Lebenspartnerschaften nach wie vor nicht offenstehen.
Bündnis 90/Die Grünen haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, den Sie leider ablehnen wollen. Darin sind all die
Beispiele, die bereinigt werden müssten, aufgeführt.
Die Große Koalition versucht seit der öffentlichen
Anhörung zu den Gesetzentwürfen der Linken, vom
Bündnis 90/Die Grünen und der Bundesregierung, ihre
flügellahme Argumentation mit dem Hilfsargument zu
stützen, die Anhörung habe ergeben, dass eine Grundgesetzänderung notwendig sei, um die Ehe für alle öffnen
zu können.
({5})
- Ja, genau so. Sehen Sie? - Dabei haben Sie es in der
Anhörung selbst erleben können: Es waren sieben Sachverständige, von denen vier verneint haben, dass eine
Grundgesetzänderung nötig ist.
({6})
Zwei haben sich explizit dafür ausgesprochen, und die
dritte hat gesagt, sie könne es sich vorstellen. Wenn ich
die Grundrechenarten richtig verstanden habe, ist vier
immer noch mehr als drei. Ich wäre der SPD dankbar,
wenn sie dafür sorgen würde, dass die Koalitionspartnerin nicht auch noch die Unwahrheit verbreitet.
({7})
Für mich war an der Anhörung am bemerkenswertesten, dass das SPD-geführte Justizministerium einen
alten Gesetzentwurf aus der Schublade gezaubert hat,
mit dem schon die liberale Justizministerin LeutheusserSchnarrenberger 2012 gescheitert ist, und dass es nur um
redaktionelle Änderungen in gerade einmal 32 Gesetzen
ging. Es hat mir niemand geglaubt, als ich es angesprochen
habe: Wohlgemerkt, es gibt derzeit noch etwa 150 Regelungen in über 50 Gesetzen und Verordnungen, in denen
die Gleichstellung noch nicht vollzogen worden ist.
Deswegen hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme
zum Gesetzentwurf zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner geschrieben - ich finde, das ist konsequent -:
Der Bundesrat hält den Gesetzentwurf jedoch nicht
für ausreichend, da er die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare in wesentlichen Rechtsgebieten, wie dem Adoptionsrecht, ausspart.
Solange Sie auf das Deckblatt des Gesetzentwurfs unter der Rubrik „Alternativen“ schreiben: „Keine“, kann
ich deshalb nur sagen - und ich sage Ihnen das immer
wieder, solange dies so ist -: Das ist eine Lüge. Denn es
gibt Alternativen. Es liegen inzwischen drei Gesetzentwürfe vor: einer der Linken, einer vom Bündnis 90/Die
Grünen und seit September auch einer des Bundesrates.
Deswegen legen wir Ihnen heute erneut unseren Antrag
vor, wenigstens die Entschließung des Bundesrates umzusetzen und endlich die rechtliche und öffentliche Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften
zu beenden.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt die Kollegin Dr. Sabine Sütterlin-Waack.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir befassen uns heute abschließend mit zwei Gesetzentwürfen und einem Antrag. Die drei Drucksachen haben
eine wesentliche Gemeinsamkeit: das Ziel, rechtliche
Ungleichheiten zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft zu beseitigen. Ich sage ganz bewusst
„Ziel“, weil ich überzeugt bin, dass wir auch in der CDU
noch nicht am Ende der Debatte angekommen sind.
({0})
Wir haben, wie es sich in einer Volkspartei gehört, ein
breites Meinungsspektrum. Es sind nicht nur redaktionelle Änderungen, die der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht. Es findet eine umfassende Anpassung des
Zivilrechts, des Sozialrechts und des Verfahrensrechts
statt. Allerdings wurde die Frage der gemeinschaftlichen
Adoption - das wird hier niemanden überraschen - ausgeklammert.
Ich betone abermals: Dort, wo im Vergleich zum
Gesetzentwurf der Grünen keine entsprechenden Regelungen stehen, sind diese nicht ausgelassen worden,
um Ungleichbehandlungen bewusst aufrechtzuerhalten,
sondern weil sie teilweise auf andere Art und Weise reguliert wurden. Das geschah teils durch Wegfall, teils
durch grundlegende Überarbeitung der entsprechenden
Gesetze.
Dem Antrag der Linken und der Initiative des Bundesrates folgend wäre ein Bereinigungsgesetz gar nicht
nötig.
({1})
Mit der Initiative wird nämlich vorgeschlagen, die Ehe
für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen.
({2})
Dazu soll eine einfachgesetzliche Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch gefunden werden, sodass die Ehe nicht
nur von Personen verschiedenen, sondern auch von Personen gleichen Geschlechts geschlossen werden kann.
({3})
Die Initiative, meine Kolleginnen und Kollegen - hören Sie einmal zu! -, setzt aber eine wichtige Prämisse
voraus, nämlich dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ohne Grundgesetzänderung zulässig
wäre.
({4})
Wir sind davon überzeugt, lieber Kollege Petzold, dass
dies falsch ist.
({5})
Die entscheidende Frage hier lautet: Steht der verfassungsrechtliche Begriff der Ehe in Artikel 6 Absatz 1
Grundgesetz diesem Gesetzentwurf entgegen? Der genannte Grundrechtsartikel stellt Ehe und Familie unter
den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.
({6})
Dabei kann nicht bestritten werden, dass die Väter und
Mütter der Verfassung unter Ehe die Verbindung zwischen Mann und Frau verstanden haben.
({7})
- Genau! - Eine andere Form des Zusammenlebens war
zu jener Zeit nicht vorstellbar. Dieses Eheverständnis
aber wurde vom Bundesverfassungsgericht in mehreren
Entscheidungen bestätigt.
({8})
In seinem Urteil von 2002 definierte es die Ehe im Sinne
des Grundgesetzes als - ich zitiere - „die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten
Lebensgemeinschaft“.
({9})
In der Folgezeit hat das Bundesverfassungsgericht
schrittweise in einer Mehrzahl von Urteilen die Lebenspartnerschaft an die Ehe angeglichen. Von seinem
Eheverständnis aber ist es nicht abgerückt.
({10})
Sogar in seiner jüngsten Entscheidung zum Ehegattensplitting im Jahre 2013 wurde die Gleichgeschlechtlichkeit der Lebenspartner als Unterschied zur Ehe erwähnt.
Meine Damen und Herren, ich habe bereits erwähnt,
dass das Grundgesetz die Ehe unter den besonderen
Schutz des Staates stellt. Diese Institutsgarantie gewährleistet neben dem Bestand der Ehe auch - und das ist entscheidend - ihre wesentlichen unantastbaren Strukturen,
wozu die verschiedengeschlechtliche Verbindung zählt.
Vor diesem Hintergrund sind wir als Gesetzgeber bei der
rechtlichen Ausgestaltung der Ehe an die verfassungsrechtlich gesicherten Strukturprinzipien der Ehe gebunHarald Petzold ({11})
den. Über diese Grenze können wir uns nicht einfach hinwegsetzen, indem wir die Ehe im BGB neu definieren.
Auch wenn wir das Leitbild der Ehe als eine Verbindung zwischen Mann und Frau achten, verkennen wir
nicht die gesellschaftliche Wirklichkeit. Während früher
homosexuellen Paaren die gesellschaftliche Anerkennung versagt war, erfahren sie heute die gebotene Akzeptanz.
({12})
Gleichgeschlechtliche Partnerschaften gehören inzwischen zur gesellschaftlichen Realität und Normalität.
Gleichgeschlechtliche Partner übernehmen genauso wie
in einer Ehe dauerhaft die Verantwortung für den Partner.
Sie sind einander zu Fürsorge und Unterstützung verpflichtet.
Aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
gesellschaftliche Akzeptanz rechtfertigt nicht ohne Weiteres die Änderung des Ehebegriffs.
({13})
Mit der Initiative des Bundesrates macht man es sich zu
einfach. Es geht hier um grundlegende Werte unserer
Verfassung, die durch das einfache Recht nicht geändert
werden können. Wir sind der Meinung: Nur eine Verfassungsänderung mit einer Zweidrittelmehrheit beider
Kammern kann das Eheverständnis neu definieren.
Vielen Dank.
({14})
Vielen Dank. - Volker Beck ist der nächste Redner für
Bündnis 90/Die Grünen.
Ich muss ja sagen: Da ich die Debatten zu diesem Thema in diesem Haus schon eine Weile führe, dachte ich:
Ich kann mich nicht mehr aufregen, und ich erlebe nichts
Neues mehr. Frau Sütterlin-Waack, Sie haben mich heute
Abend überrascht. Das mit dem Ehebegriff im Grundgesetz war ja nun samt und sonders Stuss.
({0})
Teil der verfassungsrechtlichen Texte, auf die sich die
Vereinigten Staaten, Frankreich oder Deutschland berufen, ist doch, dass sie in einer bestimmten historischen
Situation geschrieben wurden, wie zum Beispiel die
französische Déclaration des Droits de l‘Homme. Damals war man der Auffassung, dass selbstverständlich
diese Menschenrechte nicht für Frauen gelten. Sie gelten
heute für Frauen, ohne dass der Verfassungstext geändert
wurde.
({1})
Als Amerika die Bill of Rights in seine Verfassung geschrieben hat, war man selbstverständlich der Auffassung, dass das für Weiße gilt, aber nicht für Schwarze,
weil die keine Menschen sind. Als das Grundgesetz vom
Parlamentarischen Rat verabschiedet wurde, war man
der Auffassung, dass Homosexualität strafbar ist. Wenn
es strafbar ist, können gleichgeschlechtliche Paare natürlich nicht auf einem Standesamt eine Ehe schließen;
das wäre widersinnig. Aber das alles waren falsche, menschenrechtswidrige Rechtszustände.
({2})
Diese haben wir überwunden. Deshalb muss man die Begriffe der Verfassung hier in einem neuen Licht lesen.
({3})
Da bin ich schon erstaunt, dass Sie offensichtlich immer
noch in den 50er-Jahren geistig stehen geblieben sind
und nicht akzeptieren, dass Homosexuelle die gleichen
Menschenrechte haben wie Heterosexuelle.
({4})
Damit sind wir beim Kern der Debatte. Dass es Ihnen in der Koalition letztendlich um eine Fortsetzung der
Schikanierung geht, sieht man an dem vorliegenden Gesetzentwurf.
({5})
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben versprochen: 100 Prozent Gleichstellung nur mit uns! Sie
haben es sogar geschafft, in den Koalitionsvertrag aufzunehmen, dass Lebenspartnerschaft und Ehe gleichgestellt
werden sollen. Bloß, warum haben Sie das dann nicht in
den Gesetzentwurf geschrieben?
({6})
Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, dass man, wenn man nicht den Schritt zur Öffnung
der Ehe geht, wenigstens gleiche Rechte von Lebenspartnerschaft und Ehe vorsieht.
Sie können die Differenzen auch nicht so recht begründen. Wir haben in einer Kleinen Anfrage mit 50 Fragen versucht, herauszufinden, was der Sinn der verschiedenen Unterschiede ist.
({7})
Dabei kam heraus: Bei manchen Sachen finden Sie das
Recht nicht so aktuell und halten es eigentlich für renovierungs- und bereinigungsbedürftig. Dann wundert man
sich, warum das nicht im Bereinigungsgesetz gemacht
wird. Bei anderen Sachen kündigen Sie an, darüber wollten Sie - nach zwei Jahren Koalition - jetzt doch noch
einmal nachdenken; beim Sprengstoffgesetz und beim
Bundesvertriebenengesetz plane man etwas.
Dass das Herumdoktern am Lebenspartnerschaftsgesetz keinen Sinn mehr hat, sieht man an Ihrer Antwort
auf die Fragen nach dem Staatsbürgerschaftsrecht und
der Niederlassungserlaubnis. Da sagen Sie nämlich, was
Ihnen bei der Lebenspartnerschaft dauernd passiert:
Bei der fehlenden Einbeziehung von Lebenspartnerschaften in § 51 Absatz 10 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes handelt es sich um ein redaktionelles
Versehen. Dieses wird bei nächster Gelegenheit korrigiert.
Die Gelegenheit wäre heute. Das haben Sie aber nicht
gemacht.
({8})
Wenn Sie die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen
wollen, dann legen Sie Ihren Gesetzentwurf zu den Akten und stimmen wenigstens unserem zu. Machen Sie
Schluss mit der Diskriminierung!
Wir haben hier häufig über die Adoptionsfrage gestritten. Bei dieser Frage geht es eigentlich auch nur noch
um eine Schikane. Selbstverständlich können Schwule
und Lesben in Lebenspartnerschaften über Einzeladoption und dann über Sukzessivadoption gemeinsame Adoptiveltern werden. Warum in zwei Schritten mit zwei
Verwaltungsverfahren und zwei Gutachten? Das alles
kostet Geld und Zeit und ist zum Nachteil der Kinder, die
ohnehin in solchen Lebenspartnerschaften aufwachsen
werden.
({9})
Das alles geschieht nur, um eine symbolische Diskriminierung aufrechtzuerhalten. Das hält vor der Verfassung
nicht stand. Ich finde es nicht anständig, dass Sie daran
festhalten wollen.
({10})
Liebe Sozialdemokraten, beim Griechenland-Hilfspaket haben 60 Abgeordnete nicht mit der Koalition und
der Kanzlerin gestimmt. Machen Sie nun einmal genauso viel Dampf, und zeigen Sie Mut! Stimmen Sie heute
unserem Gesetzentwurf zu! Dann haben wir wenigstens
beim Lebenspartnerschaftsgesetz die gleichen Rechte,
und Sie können sich darauf berufen, dass Sie nur die Vorgabe des Koalitionsvertrages umgesetzt haben, die die
anderen nicht umsetzen wollten.
({11})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Alexander
Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, man kann schon sagen, dass die Geschichte der Gleichstellung heute ein neues Kapitel bekommt. Wir gehen einen richtigen und wichtigen Schritt.
Ich habe schon beim letzten Mal vorangestellt: Wir sind
uns doch im Prinzip und vom Ergebnis her einig: Niemand soll aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden.
({0})
Gerade in diesen Tagen finde ich es wichtig, dass dieses Signal auch nach außen geht,
({1})
in diesen Tagen, da Tausende unser Land als Zufluchtsland aufsuchen. Aber ich möchte an dieser Stelle schon
davor warnen, dass wir dieses Signal mit einer eher konditionierten Diskussion verwässern; denn das schwächt
das Signal nur ab.
({2})
Ich glaube, man kann heute schon sagen, dass wir
trotz aller Diskussion die Geschichte der Gleichstellung
gemeinsam in diesem Land gestaltet haben ({3})
mit unterschiedlichen Positionen, mit gesellschaftspolitischen Prozessen und auch mit innerparteilichen Orientierungsphasen. Aber das werden Sie einer großen Volkspartei wie der CDU einfach zugestehen müssen, einer
Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die unterschiedlichsten Strömungen zu vereinen.
Ich behaupte heute: Der Erfolg gibt uns recht. Den
Erfolg sollten wir nicht an der Bezeichnung messen, sondern an Inhalten.
({4})
Das sage ich ganz bewusst in einer Zeit, in der die Diskussion in eine neue Richtung kommt, in der argumentiert wird, wir müssten die Ehe für alle öffnen, weil wir
nur durch eine Öffnung der Ehe eine hundertprozentige
Gleichstellung erreichen würden.
({5})
Dann werden verschiedene Länder genannt, 20 sind es
mittlerweile an der Zahl, und es wird - das empfinde ich
als problematisch - der Eindruck erweckt, als wären diese Länder mustergültig und hätten eine hundertprozentige Gleichstellung. Schauen wir uns diese Länder an. Ich
Volker Beck ({6})
erinnere an meine These: Der Erfolg der Gleichstellung
wird sich an Inhalten festmachen und nicht an Bezeichnungen. Bei genauerem Hinsehen stellen wir zum Beispiel fest, dass in den USA, wo 2015 der Supreme Court
die Ehe für alle geöffnet hat, über die Hälfte der Bundesstaaten noch heute keinerlei Antidiskriminierungsgesetze
für Homosexuelle im Arbeitsbereich haben.
({7})
Schauen wir nach Mexiko, wo die Ehe für alle im
Jahr 2006 eingeführt wurde. Aktuelle Umfragen zeigen,
dass 63 Prozent der Bevölkerung nach wie vor Homosexuelle nicht akzeptieren. Ganz dramatisch ist es in Brasilien. Seit 2013 gibt es dort in allen Bundesstaaten die Ehe
für alle. Im Jahr 2002 gab es dort tragische 126 Morde an
Homosexuellen. Brasilien ist noch heute an der Spitze
der Länder, in denen es die meiste Gewalt gegen Homosexuelle gibt.
Deswegen ist für mich die Quintessenz daraus: Der
Erfolg der Gleichstellung macht sich nicht an der Bezeichnung fest.
Es ist auch nicht so, wie immer argumentiert wird, dass
aus Artikel 6 Grundgesetz zwingend die Öffnung der Ehe
folgen würde. Artikel 6 schützt die Ehe als Keimzelle der
Gesellschaft, aber eben auch als Ursprung des Lebens.
({8})
Artikel 6 schützt die Familie als sozialen Rückzugsort
der gegenseitigen Solidarität. Es ist vollkommen richtig:
Eine Familie können auch gleichgeschlechtliche Partner
gründen. Ich erlebe das selbst in meinem Umfeld, und
ich sage Ihnen: Das sind tolle Eltern, und die können das.
Aber es gibt eben diesen einen Unterschied: Ursprung
des Lebens kann eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft nicht sein.
({9})
Deswegen sagt das Bundesverfassungsgericht auch die Entscheidung ist vorhin schon von der Kollegin
Sütterlin-Waack zitiert worden -, dass die Ehe als Institution eben Mann und Frau vorbehalten ist. Aus dieser
Argumentation erschließt sich, dass eine Grundgesetzänderung erforderlich wäre. Das sieht im Übrigen - das ist
heute noch überhaupt nicht angeklungen - auch das Bundesjustizministerium so.
({10})
Herr Kollege Petzold, auch ich war in der Anhörung,
und ich wollte konkret wissen, aufgrund welcher Punkte wir die Ehe für alle brauchen, weil sonst die Gleichstellung nicht gelingt. Ich habe diese Frage ausdrücklich
formuliert, und ich habe auf diese Frage keine Antwort
bekommen.
({11})
Ich nehme im Übrigen auch nicht wahr, dass sich
die Bedeutung der Ehe gewandelt hat und dass es eine
Entkoppelung von Ehe und Elternschaft gegeben hat.
70 Prozent der Kinder wachsen in Ehen auf.
Insofern, meine Damen, meine Herren, möchte ich am
Ende für eine Versachlichung der Debatte werben. Ich
möchte auch für Zustimmung werben. Wir machen einen
großen Schritt; wir machen einen richtigen Schritt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Nächste Rednerin ist Susann Rüthrich, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe zwei Kinder. Ich erziehe sie gemeinsam mit meinem Mann. Wir sind nicht verheiratet. Wir
können uns frei entscheiden. Wir könnten jederzeit verheiratet sein. Das unterscheidet uns von anderen Paaren,
die in genau derselben Situation sind, bei denen ebenfalls
Kinder leben oder leben könnten, die das ganz normale Leben miteinander teilen, die heiraten wollen, es aber
nicht können, weil es zwei Männer oder zwei Frauen
sind.
Für mein Familienleben würde es nicht den geringsten Unterschied machen, wenn nebenan zwei Männer
oder zwei Frauen als verheiratetes Paar leben. Ganz im
Gegenteil: Niemand büßte etwas ein. Wenn die Ehe die
Keimzelle der Gesellschaft sein soll, wenn Familien mit
Kindern da sind und wenn wir Familien stärken wollen,
was hindert uns dann daran, allen Menschen die Stabilität
einer Ehe zu gewähren,
({0})
auch den Kindern, die bei gleichgeschlechtlichen Paaren
leben?
Wir regeln heute die weitere Angleichung der Lebenspartnerschaften an die Ehe. Das ist gut; aber es ist
noch nicht das Ende des Weges. Es sind Gesetzentwürfe
in der Diskussion, die die Ehe für gleichgeschlechtliche
Paare öffnen wollen. Mit deren Annahme könnten wir
uns die Debatte um die Angleichung von Ehe und Lebenspartnerschaft ersparen.
({1})
Aber gut, es stehen Bedenken im Raum. Diese Bedenken muss ich nicht teilen. Aber es geht mir doch entschieden gegen den Strich, wenn etwa mit dem Kindeswohl
gegen die Öffnung der Ehe und damit des Adoptionsrechts argumentiert wird.
({2})
Denn es ist auch heute so: Eine Adoption findet immer
am Kindeswohl orientiert statt. Nicht die Eltern suchen
sich ihr Wunschkind aus. Die künftigen Eltern haben keinen Anspruch auf ein Kind. Es gibt viel mehr adoptionswillige Eltern als Kinder, die adoptiert werden können.
Natürlich prüfen die Jugendämter, welches Elternpaar
für das Kind das beste und das geeignetste ist. Warum
sollen das nicht zwei sorgende Frauen oder Männer sein?
Es ist doch bereits jetzt so, dass Kinder in den verschiedensten Konstellationen leben: bei Mama oder
Papa, bei Mama und Papa, bei zwei Mamas, bei zwei Papas. Das Entscheidende ist eben nicht die Konstellation,
sondern die Fürsorge, die Liebe und die sichere Bindung,
die diese Kinder bei ihren Eltern erfahren.
({3})
Ich hoffe, dass wir die Bedenken bald überwinden können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehöre nicht zu
denen, die in den Debatten zu diesem Thema schon 15mal gesprochen haben. Ich habe eine Bitte: Lassen Sie
uns diese Debatte noch zweimal führen: zur ersten Lesung des entsprechenden Gesetzentwurfes zur Öffnung
der Ehe und dann zu seiner Verabschiedung. Und dann
ist gut.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende der Aussprache angekommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Bereinigung des Rechts der Lebenspartner. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6227, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/5901 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag von
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6366. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zur abschließenden Beendigung
der verfassungswidrigen Diskriminierung eingetragener
Lebenspartnerschaften. Der Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6227, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/3031 abzulehnen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6365 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
({0})
Tagesordnungspunkt 14 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ehe für
gleichgeschlechtliche Paare - Der Entschließung des
Bundesrates folgen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6379, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5205
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption
Drucksache 18/4350
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Drucksache 18/6389
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dirk Wiese, SPD-Fraktion.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der in Deutschland durch Korruption entstandene Schaden belief sich nach einer Studie der Johannes
Kepler Universität Linz im Jahr 2012 auf rund 250 Milliarden Euro. 250 Milliarden Euro sind - veranschaulicht ungefähr so viel wie das Bruttoinlandsprodukt der Bundesländer Hessen oder Niedersachsen.
Das zeigt - auch wenn wir es gerne anders hätten -:
Deutschland ist alles andere als frei von Korruption. Das
untermauert auch der Korruptionsindex CPI, Corruption
Perceptions Index, 2014 von Transparency International.
Deutschland liegt dort nach wie vor nur auf Platz 12. Ich
glaube, wir alle in diesem Hohen Hause sind da einer
Meinung: Mit diesem Platz dürfen wir uns nicht zufriedengeben.
Das zeigt auch: Korruption ist keine Randerscheinung. Sie betrifft nahezu alle Bereiche im privaten und
im öffentlichen Sektor. Sie muss mit einem langen Atem
bekämpft werden, und manchmal muss man dabei auch
dicke Bretter bohren. Meine Kolleginnen und Kollegen
von der SPD-Bundestagsfraktion und ich kennen das
sehr gut. Wir mussten in diesem Hohen Hause lange dafür streiten, dass die Abgeordnetenbestechung endlich
strafrechtlich vernünftig geregelt wurde.
({0})
Korruption macht heute auch vor staatlichen Grenzen
nicht mehr Halt. In einer weltweit verflochtenen Wirtschaft mit einer engen Zusammenarbeit vieler Staaten
auf dem Weltmarkt sind Korruptionstaten auch und gerade über Grenzen hinweg vermehrt an der Tagesordnung.
Korruption gefährdet den freien und internationalen
Wettbewerb und das Vertrauen in die staatlichen und internationalen Organisationen. Deshalb ist die effektive
Bekämpfung grenzüberschreitender Korruption für uns
von höchster Priorität. Die rot-schwarze Bundesregierung unterstützt deshalb die Schaffung internationaler
Rechtsinstrumente, um der Korruption entschieden entgegenzutreten. Denn nur so, also indem wir Korruption
im Keim ersticken und als Staatengemeinschaft gemeinsam und koordiniert vorgehen, können wir möglichst faire Wettbewerbsbedingungen für alle auf dem Weltmarkt
schaffen. Damit steigern wir dann auch den Arbeitsschutz und verbessern die Beschäftigungsbedingungen
für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch den heute vorliegenden Gesetzentwurf werden gleich mehrere internationale Vorgaben umgesetzt. Zum einen sieht der Entwurf
eine Ausweitung der Strafbarkeit der Bestechlichkeit und
Bestechung im geschäftlichen Verkehr - § 299 des Strafgesetzbuches - vor, die nach dem EU-Rahmenbeschluss
zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor von
2003 erforderlich ist.
Zum anderen werden zur Umsetzung des Strafrechtsübereinkommens des Europarats über Korruption die
Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit und Bestechung auf
ausländische, europäische und internationale Amtsträger erweitert und das Strafanwendungsrecht angepasst.
So wird in den Straftatbestand der Geldwäsche - § 261
Strafgesetzbuch - ein Verweis auf den mit dem Gesetzentwurf neu geschaffenen § 335 a StGB „Ausländische
und internationale Bedienstete“ aufgenommen werden.
Dadurch wird sichergestellt, dass auch die Bestechlichkeit und Bestechung von Bediensteten und Richtern ausländischer und internationaler Behörden und Gerichte,
soweit sich die Tat auf eine künftige Diensthandlung
oder künftige richterliche Handlung bezieht, als Vortat
der Geldwäsche erfasst wird. Damit wird auch den Vorgaben des Strafrechtsübereinkommens gegen Korruption des Europarats und des Zusatzprotokolls entsprochen
und die Ratifizierung ermöglicht, so wie dies außer uns
übrigens mittlerweile alle EU-Mitgliedstaaten und fast
alle Mitgliedstaaten des Europarats getan haben.
Zusammenfassend heißt das: Wir setzen neue Maßstäbe bei der Korruptionsbekämpfung und beenden damit
den Stillstand, der in der letzten Legislaturperiode im
Korruptionsstrafrecht herrschte.
Lassen sich mich kurz noch einmal ein paar Worte
zum Kernstück des Gesetzentwurfs sagen, der Erweiterung des Straftatbestands der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr. Bei der Bestechung im
geschäftlichen Verkehr wird nicht ein Amtsträger bestochen, sondern ein Angestellter oder Beauftragter eines
Unternehmens. Strafbar ist dies nach geltender Rechtslage nur, wenn mit der Bestechung eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb erkauft werden soll. Vielzitiertes
Beispiel ist hier der Einkäufer eines Unternehmens, der
von einem Zulieferer ein Bestechungsgeld erhält und
dafür im Gegenzug diesem Zulieferer und nicht einem
günstigeren Konkurrenten den Zuschlag erteilt. Mangelt
es jedoch an einer Wettbewerbsverzerrung, scheidet eine
Korruptionsstrafbarkeit derzeit aus.
({1})
Dieser Umstand ist erstens rechtspolitisch nicht hinnehmbar, und zweitens entspricht er auch nicht den Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses. Dieser verlangt eine
ausdrückliche Strafbarkeit nach dem Geschäftsherrenmodell. Ein Beispiel ist der Qualitätsprüfer eines Unternehmens, der sich vom Zulieferer bestechen lässt und
deshalb die fehlerhafte Ware nicht bemängelt. Deshalb
ändern wir hier die Strafbarkeit und schließen somit diese Regelungslücke.
Bei der Neufassung des § 299 des Strafgesetzbuches
zeigte auch das Struck’sche Gesetz seine volle Wirkung:
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde ergänzt
und zum Teil neu gefasst, um insbesondere den Bedenken und der Kritik aus der Sachverständigenanhörung
Rechnung zu tragen. An dieser Stelle noch einmal Dank
an den Kollegen Grindel! Ich denke, hier haben wir die
Sachverständigenanhörung gut ausgewertet und das gut
in den Änderungsantrag eingebracht.
({2})
Wir haben dabei zum einen klargestellt, dass der
bestochene Angestellte seine Pflichten verletzen muss,
indem er eine Handlung vornimmt oder unterlässt. Dadurch wird verdeutlicht, dass die bloße Annahme eines
Vorteils und ein darin liegender Compliance-Verstoß für
die Strafbarkeit nicht ausreichen, sondern die tatsächliche Pflichtverletzung durch eine darüber hinausgehende
Handlung oder Unterlassung erfolgen muss.
Zum anderen soll die Strafbarkeit erfordern, dass die
Tat ohne Einwilligung des Unternehmens erfolgt. Die
Regelung soll die Rechtssicherheit insbesondere für Angestellte und Beauftragte erhöhen, indem sie verdeutlicht, dass bei einem transparenten und vom Unternehmen gebilligten Verhalten kein Risiko einer Strafbarkeit
nach § 299 StGB besteht.
Zusätzlich haben wir in Umsetzung des Koalitionsvertrags die Strafbarkeit der Selbstgeldwäsche entsprechend
den Vorgaben der Financial Action Task Force erweitert.
({3})
Konkret heißt das hier: Wenn ein Vortatbeteiligter einen
aus seiner eigenen Straftat herrührenden Gegenstand in
den Verkehr bringt und dabei dessen rechtswidrige Herkunft verschleiert, gilt der bisher bestehende umfassende persönliche Strafausschließungsgrund in § 261 StGB
nicht mehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir legen einen durchdachten Gesetzentwurf vor, der sich als
geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Korruption in
Deutschland erweisen wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege Jörn
Wunderlich, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nun ist er endlich abschlussreif, der Gesetzentwurf zur
Bekämpfung der Korruption. Wir hatten schon in der vorletzten Legislatur einen fast gleichlautenden Gesetzentwurf. Der ist leider gescheitert. Dann war die Legislatur
vorbei. Woran lag es? Weil da eine Regelung zur Abgeordnetenbestechung mit enthalten war. Das wollte - jetzt
hätte ich fast gesagt: der schwarze Block - der schwarze
Teil der rot-schwarzen Regierung natürlich nicht. - Gut.
In der darauffolgenden Legislatur, unter SchwarzGelb, war das Thema natürlich völlig vom Tisch.
Jetzt, Herr Wiese, muss ich einmal sagen: Der 2014
erlassene § 108 e zur Abgeordnetenbestechung ist eine
Lachnummer. Jeder Richter freut sich darüber, weil der
keine Arbeit macht; denn aufgrund dieses Paragrafen
können nur saudumme Abgeordnete bestraft werden.
Er greift ja nur, wenn etwas auf Weisung oder Auftrag
geschieht. Nur dann, wenn einer hingeht und sagt: „Ein
Lobbyist hat mir 10 000 Euro gegeben. Dafür stimme
ich jetzt entsprechend ab“, macht er sich strafbar. Wenn
er aber sagt: „Ich habe mir die Argumente noch einmal
durchgelesen und sie mir zu eigen gemacht“, dann nicht.
Also so blöd ist, glaube ich, keiner hier im Hause. Aber
das nur mal am Rande.
Jetzt geht es um die EU-Richtlinie, deren Umsetzung
schon länger überfällig ist. Immerhin, jetzt soll es so weit
sein. Gut, es hat etwas Positives - das hat auch schon
mein Kollege Frank Tempel bei der ersten Lesung hier
im Plenarsaal festgestellt -, dass in dem Entwurf Regelungen des EU-Bestechungsgesetzes und des Gesetzes
zur Bekämpfung internationaler Bestechung vom Nebenstrafrecht ins Strafgesetzbuch übertragen werden.
Aber - das ist auch schon angesprochen worden - die
Erweiterung der Strafvorschrift des § 299 StGB durch
Einführung des Geschäftsherrenmodells geht zu weit. So
geht es gegenwärtig im Rahmen des § 299 noch um den
Wettbewerbsschutz und nur mittelbar um Vermögensinteressen von Wettbewerbern oder Geschäftsherren.
Das Beispiel mit dem Materialprüfer, das Sie genannt
haben, hinkt ja ein bisschen. Dabei geht es ja darum, dass
jemand etwas unternimmt bzw. unterlässt, indem er etwa
für die Firma schlechteres Material einkauft. Da entsteht ja auch ein Schaden. Aber dass ein solcher Schaden
entsteht, ist nach dem neuen Modell ja gar nicht mehr
notwendig. Das geschützte Rechtsgut wird jetzt so geändert, dass es nicht mehr auf einen Vermögensnachteil ankommt, sondern es reicht aus, dass ein Angestellter eines
Unternehmens einen Vorteil für sich oder einen Dritten
annimmt und dass er in Bezug auf die Dienstleistungen
seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletzt.
Das klingt jetzt ein bisschen kompliziert. Ich will das
einmal an einem Beispiel verdeutlichen:
Ein Catering-Unternehmen bekommt den Auftrag, für
die Vereinsfeier eines Fußballvereins Essen zu liefern.
Laut Arbeitsvertrag müssen die Mitarbeiter ihre Dienstkleidung mit dem Emblem der Firma tragen. Jetzt kommen sie da an, bauen die Tabletts mit den Schnittchen
auf, und da sagt der Veranstalter: Passt einmal auf, wenn
ihr unsere Fußballtrikots anzieht, dann bekommt ihr für
das nächste Heimspiel Freikarten. - Dann sagen die:
Klasse, das machen wir. - Damit machen sie sich strafbar, weil sie nämlich gegen die Vorschriften des Unternehmens verstoßen, und das ganz unabhängig davon, ob
der Fußballverein anschließend sagt: So ein toller Laden,
da bestellen wir immer wieder. - Also selbst dann, wenn
es einen Vermögensvorteil für den Unternehmer gibt,
würden sich die Mitarbeiter strafbar machen.
Unterliegen sie der Versuchung, droht ihnen Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe,
({0})
aber das alles ins Gutdünken des Arbeitgebers gestellt,
weil es sich ja um ein Antragsdelikt handelt. Ich glaube
nicht, dass die Staatsanwaltschaft da ein besonderes Interesse an Strafverfolgung bejahen würde. Es hängt eben
vom Strafantrag des Auftraggebers ab. Das heißt, hier
wird alles in die Entscheidungsgewalt der Unternehmen
verlagert, ob eine Tat strafrechtlich zu belangen ist oder
nicht. Das ist einfach zu unbestimmt. Da kann sich jetzt
jeder sein eigenes Beispiel ausdenken. Es gibt tausend
Möglichkeiten, wie man das ausgestalten kann. Das ist
nach Artikel 103 Grundgesetz zu unbestimmt, und das ist
nicht nachvollziehbar.
Whistleblower-Schutz fehlt im Gesetz in Gänze; und
damit wird eine wesentliche Vorgabe aus dem Strafrechtsübereinkommen des Europarates nicht umgesetzt,
die sich aus Artikel 22 und 33 des Übereinkommens ergibt. Whistleblower sind aber unbedingt vor Strafverfolgung zu schützen; denn gerade im Bereich Korruption in
Wirtschaft und Politik sind wir im Grunde auf Whistleblower angewiesen.
({1})
Diese müssen geschützt werden, um nachteilige Folgen
für sie abzuwenden.
Außerdem ist hier wieder - das muss man auch einmal feststellen - eine riesige Chance vertan worden, Korruption in den eigenen Reihen zu verhindern. Ein dringend notwendiges, verpflichtendes Lobbyregister fehlt
auch. Das ist erkennbar auch nicht gewollt, wobei ein
solches Register - das muss ich sagen - möglicherweise
die Abgasskandale bei VW transparenter gemacht hätte
und wir vielleicht heute schon wüssten, wer von der Regierung diese Schweinereien gedeckt hat.
Schönen Dank.
({2})
Als nächster Redner hat Reinhard Grindel von der
CDU/CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kernpunkt des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption
sollte nach dem Regierungsentwurf die Einführung des
Geschäftsherrenmodells sein. Dagegen haben sich im
Schrifttum und auch in unserer öffentlichen Anhörung
erhebliche Bedenken ergeben - mit beachtlichen Argumenten.
({0})
Rechtsgut des § 299 Strafgesetzbuch war bisher der
Schutz des lauteren Wettbewerbs. Bestraft wird danach,
wer sich einen Vorteil dafür verschafft, dass er einen anderen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzugt, also
klassischerweise, wie Kollege Wiese das angesprochen
hat, bei Ausschreibungen.
Mit dem neuen § 299 Strafgesetzbuch sollte es nun um
den Schutz der Vermögensinteressen des Unternehmens
gehen. Es sollte auch ein Angestellter bestraft werden,
wenn er beim Bezug von Waren und Dienstleistungen einen Vorteil dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, da er seine Pflicht gegenüber dem Unternehmen
verletzt. Der reine Verstoß gegen Compliance-Vorschriften eines Unternehmens hätte also für den Angestellten
strafrechtliche Konsequenzen haben können.
Dagegen ist zu Recht argumentiert worden, dass es
nicht sein darf, dass ein Privater, also der Unternehmer,
die Reichweite einer Strafvorschrift bestimmt. Der potenzielle Bestecher kann den Pflichtenkreis des Angestellten
auch möglicherweise gar nicht hinreichend kennen. Unternehmen - auch das ist in der öffentlichen Anhörung
angesprochen worden - könnten zudem veranlasst sein,
ihre Compliance-Vorschriften erheblich zusammenzustreichen, um sich nicht quasi selbst solche Korruptionsfälle im Haus zu schaffen, die dann zu Problemen bei der
Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen führen.
Die Koalitionsfraktionen haben im Hinblick auf die
Anregungen in der öffentlichen Anhörung deshalb - das
Kompliment für die gute Zusammenarbeit gebe ich gerne
an Kollege Wiese zurück - zwei gravierende Veränderungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgenommen. Nach dem jetzt neuen § 299 Strafgesetzbuch
reicht die reine Pflichtverletzung für die Begründung der
Strafbarkeit nicht mehr aus, sondern es muss eine Handlung oder Unterlassung hinzutreten, die über die reine
Pflichtverletzung hinausgeht. Das bedeutet: Die bloße
Annahme des Vorteils oder das reine Verschweigen einer
Zuwendung gegenüber dem Geschäftsherrn reicht nicht
aus, sondern es muss ein darüber hinausgehendes Verhalten des Vorteilsnehmers erfolgen.
Mit Blick auf eine Kritik der Kollegin Keul im Ausschuss will ich auch auf unsere Begründung des Änderungsantrages hinweisen, in der es ausdrücklich heißt:
Ein Vorteil, dessen Annahme eine Pflichtverletzung
begründet, ist nicht zugleich Gegenleistung für diese Pflichtverletzung.
Nochmals: Es muss vielmehr im Rahmen der Unrechtsvereinbarung zu einer im Interesse des Vorteilsgebers liegenden gesonderten Gegenleistung des Vorteilsnehmers
kommen.
Wir brauchen also eine Unrechtsvereinbarung, und
wir brauchen eine korrespondierende Handlung oder Unterlassung. Damit wird im Hinblick auf den alten § 299
Strafgesetzbuch, der ja tatbestandsmäßig erhalten bleibt,
und im Hinblick auf die Untreue nach § 266 Strafgesetzbuch der Anwendungsbereich des Geschäftsherrenmodells erheblich eingeschränkt, und das ist auch gut so.
({1})
Nun wissen wir, dass solche Änderungen des Strafrechts immer auch geeignet sind, für Unsicherheiten in
der Rechtsanwendung zu sorgen. Deshalb haben wir
aus Klarstellungsgründen eine weitere Ergänzung des
Regierungsentwurfs vorgenommen: In Zukunft kann
ein Angestellter den Tatbestand der Bestechlichkeit im
geschäftlichen Verkehr nur verwirklichen, wenn er dies
ohne Einwilligung des Unternehmens tut. Wir machen
deutlich, dass bei einem transparenten und vom Unternehmen gebilligten Verhalten kein Risiko einer Strafbarkeit besteht. Das entspricht auch dem Verfahren in vielen,
vor allem größeren Unternehmen, wo man der Compliance- oder Personalabteilung oder seinem Vorgesetzten
eine Einladung oder ein Geschenk anzeigt und sich die
Annahme dann genehmigen lässt. Einer nachträglichen
Genehmigung bedarf es übrigens nicht, weil es sich hier
ohnehin um ein Antragsdelikt handelt.
Nun ist von der Opposition im Ausschuss und auch
heute wieder hier im Plenum gefragt worden: Warum
verzichtet ihr nicht ganz auf das Geschäftsherrenmodell?
Wer meine Rede aus der ersten Lesung nachgelesen hat,
der weiß, dass ich für diese Argumentation eine gewisse
Offenheit zeige. Aber wir mussten bei den Ausschussberatungen zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung
eindringlich darauf verwiesen hat, dass wir aus Anlass
der Übernahme von EU-Richtlinien und Beschlüssen des
Europarats um diesen gesetzgeberischen Schritt nicht
herumkommen, wenn wir uns nicht einem Vertragsverletzungsverfahren aussetzen wollen. Auf die Richtigkeit
dieser Aussage vertrauen wir, wenngleich auch dies in
unserer Anhörung vereinzelt anders beurteilt worden ist.
Alles in allem - das will ich festhalten - haben wir den
Tatbestand aber so klargestellt und auf den strafwürdigen
Kern reduziert, dass er für die Praxis handhabbar ist und
keine Verunsicherungen mit sich bringt.
Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein
Gedanke: Antikorruptionsgesetze, Compliance-Kodex,
Good-Governance-Vorschriften - alles gut und schön.
Die Compliance-Regelungen von VW gelten bis heute unter Experten als absolut vorbildlich. Im Endeffekt
kommt es deshalb nicht allein auf gute Vorschriften an,
sondern auf gute Menschen, die sich im Wirtschaftsverkehr im Zweifel am Grundsatz ausrichten: Das tut man
nicht. Und wo es zu wenige dieser guten Menschen gibt,
können wir noch so viele gute Gesetze machen und werden Fehlverhalten trotzdem nicht verhindern.
Herzlichen Dank.
({2})
Als nächste Rednerin hat Katja Keul von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Hut
ab, Herr Grindel: Problem erkannt, aber mit dem Änderungsantrag leider nicht behoben.
({0})
Sie wollen heute ein Gesetz verabschieden, mit dem
Sie es künftig Arbeitgebern überlassen, festzulegen, was
in diesem Land strafbar ist oder nicht. Nichts anderes
ist die Einführung des sogenannten Geschäftsherrenmodells.
Bislang ist nach § 299 StGB strafbar, wer sich als
Angestellter eines Unternehmens bestechen lässt, um andere in unlauterer Weise zu bevorteilen, und damit den
Wettbewerb verzerrt. Gleiches gilt für den Bestechenden.
Geschütztes Rechtsgut ist dabei der freie Wettbewerb sowie die Vermögensinteressen der Mitbewerber und des
Geschäftsherrn. Wer seinem Geschäftsherrn durch ein
solches Verhalten auch noch einen Vermögensnachteil
verursacht, kann außerdem wegen Untreue nach § 266
StGB bestraft werden. Damit sind alle in Betracht kommenden Rechtsgüter in diesem Zusammenhang ausreichend geschützt.
Künftig soll aber die Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten strafbar sein, unabhängig von einem
Vermögensschaden oder einer Wettbewerbsverzerrung.
Schutzgut soll laut Ihrer Gesetzesbegründung das Interesse des Geschäftsherrn an der loyalen und unbeeinflussten Erfüllung der Pflichten durch seine Angestellten
sein. Das ist doch aber eine zivilrechtliche Angelegenheit
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und kein strafrechtliches Schutzgut.
({1})
Wenn ich mich einer Weisung meines Arbeitgebers
widersetze, muss ich als Arbeitnehmer mit einer Abmahnung rechnen, aber doch nicht mit Gefängnis. Hinzu
kommt: Ob das Interesse des Geschäftsherrn schutzwürdig ist oder nicht, hängt doch wohl ganz von der Pflicht
im Einzelnen ab. Wir wissen doch gar nicht, was das für
Pflichten sind und ob die im Sinne des Allgemeinwohls
liegen. In einem Arbeitsvertrag kann ich alles Mögliche
vereinbaren.
Ein Chef verlangt von seinem Arbeitnehmer, er soll
die Waren nur an Leute mit rot-grünen Armbändern verkaufen. Dann kommt jemand und sagt: Ich gebe dir einen aus, wenn du mir die Ware verkaufst, auch wenn ich
nur ein schwarzes Armband habe. - Das ist künftig eine
Straftat. Was ist denn das für ein Unfug!
Es ist unsere Aufgabe, als Gesetzgeber festzulegen,
was strafbar ist und was nicht. Das erfordert schon das
Bestimmtheitsgebot des Artikels 103 Grundgesetz. Sie
dürfen das gar nicht an Privatpersonen delegieren. Ich
halte das für verfassungswidrig. Dazu werden wir auch
nicht durch europarechtliche Vorgaben verpflichtet, wie
Sie es in Ihrer Gesetzesbegründung behaupten.
Das Geschäftsherrenmodell steht in keiner Richtlinie,
sondern lediglich in einem Rahmenbeschluss aus dem
Jahr 2003. Deutschland hatte dieser Erklärung damals
nur zugestimmt, soweit der Geltungsbereich auf Fälle der
Wettbewerbsverzerrung beschränkt sei. Dieser Vorbehalt
sollte ab 2005 für fünf Jahre, also bis 2010, gelten. Bis
dahin wollte der Rat überprüfen, ob die Geltungsdauer
dieser Erklärung verlängert werden kann. Das hat er aber
nicht getan. Stattdessen wurden Rahmenbeschlüsse als
legislatives EU-Instrument mit dem Lissabon-Vertrag
von 2009 ganz abgeschafft.
Damit trat auch Artikel 83 AEUV in Kraft, wonach
eine Angleichung des Strafrechts hohen Hürden unterliegt, und das zu Recht. Mitgliedstaaten dürfen danach
die Notbremse ziehen, wenn grundlegende Aspekte des
nationalen Strafrechts betroffen sind. Das wäre auch in
diesem Fall eindeutig das Beste gewesen, statt einmal
wieder neue Straftatbestände zu schaffen, die keiner
braucht.
({2})
Da wird es auch nicht besser, dass Sie jetzt im Wege
des Änderungsantrages auch noch die sogenannte Selbstgeldwäsche unter Strafe stellen. Sie wollen jetzt den
Dieb, der das geklaute Geld ausgibt, noch einmal gesondert wegen Geldwäsche bestrafen, wenn er dabei
die Herkunft des Geldes aus dem Diebstahl verschleiert.
Wozu das gut sein soll, erschließt sich mir nicht. In Kurzform heißt das Gesetz jetzt: Wer die Herkunft verschleiert, macht sich strafbar, es sei denn, er ist der Täter, es sei
denn, er verschleiert die Herkunft. Mit Rechtsklarheit hat
das wohl wenig zu tun.
Wenn Sie wirklich etwas gegen Korruption machen
wollen, dann führen Sie endlich einen WhistleblowerSchutz ein, damit kriminelle Netzwerke aufgedeckt und
ermittelt werden können.
({3})
Fazit: Das Geschäftsherrenmodell ist unsinnig und
verfassungswidrig und wird von uns abgelehnt.
Vielen Dank.
({4})
Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr. Ullrich
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beschließen heute das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption und unternehmen damit einen
wichtigen Schritt bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Korruption ist ein schleichendes Gift, das
nicht nur monetäre Schäden anrichtet, sondern auch das
Vertrauen und das Fundament unserer Wirtschafts- und
Wettbewerbsordnung untergräbt.
Im Vordergrund dieses Gesetzes steht der Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Ein wesentliches Element bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität
ist der Kampf gegen Geldwäsche. Man kann zu Recht
zugespitzt formulieren: Folgen Sie dem Geld, und entdecken Sie damit die kriminellen Strukturen! - Wir wollen
und werden diese kriminellen Strukturen bekämpfen.
({0})
Ein wichtiger Schritt ist die Einführung der Strafbarkeit der sogenannten Selbstgeldwäsche. Es ist bislang
so, dass der Täter bei einer Vortat einen persönlichen
Strafausschließungsgrund hat, wenn er das Delikt der
Geldwäsche begeht. Es darf allerdings keine Rolle spielen, ob das Geld, das durch die Vortat erlangt worden ist,
durch Dritte oder durch den Täter selbst in den Verkehr
gebracht wird. Das In-den-Verkehr-Bringen des Geldes
aus der Vortat allein erfüllt den Unrechtsgehalt und schädigt unsere Wirtschaftsordnung. Deswegen hat die Geldwäsche einen eigenen Unrechtsgehalt, und deswegen
müssen und dürfen wir zukünftig den Vortäter bestrafen.
Das, Frau Kollegin Keul, ist ein wichtiger Schritt bei der
Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Ich bitte, das
nicht gering zu achten.
({1})
Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, mit ihrer Untergruppierung Financial Action Task Force hat in mehreren Berichten dringend angemahnt, die Selbstgeldwäsche in
Deutschland endlich unter Strafe zu stellen. Ich bin in
diesem Zusammenhang auch unserem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sehr dankbar,
({2})
der bereits im Jahre 2014 dringend angemahnt hat, diese
Strafbarkeitslücke zu schließen. Wir schließen Sie heute und unternehmen damit einen weiteren Schritt, der
uns davor bewahrt, in ein Überwachungsverfahren der
OECD zu geraten oder international auf den Finanzmärkten Reputation zu verlieren.
({3})
Wir werden, meine Damen und Herren, in den nächsten Monaten in diesem Hohen Hause auch die 4. EUAnti- Geldwäsche-Richtlinie besprechen und sie einer
Umsetzung zuführen. Hier werden weitere Vorschriften
umzusetzen sein.
Es ist schwer verständlich, weshalb Banken den Strafverfolgungsbehörden Transaktionen von Geldbeträgen
ab etwa 15 000 Euro melden müssen, aber es für Spielkasinos und andere Einrichtungen bislang keine korrespondierenden Vorschriften gibt. Auch das werden wir
ändern.
Unser Augenmerk richtet sich darauf, kriminelle
Strukturen zu bekämpfen, indem wir der Spur des Geldes
folgen.
({4})
Heute, meine Damen und Herren, liegt ein sehr ausgewogener, intensiv abgestimmter und guter Gesetzesvorschlag vor.
({5})
Ich kann Ihnen empfehlen, diesen Gesetzesvorschlag anzunehmen.
Vielen Dank.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines GeKatja Keul
setzes zur Bekämpfung der Korruption. Der Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6389, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4350
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition und gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist
der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Opposition angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts und
des Unterhaltsverfahrensrechts
Drucksachen 18/5918, 18/6287
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Drucksache 18/6380
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu
Protokoll gegeben werden. - Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden. Dann geschieht das auch so.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhalts-
verfahrensrechts. Der Gesetzentwurf beinhaltet in der
Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Recht und Verbraucherschutz auch Änderungen der Zi-
vilprozessordnung und kostenrechtlicher Vorschriften.
Wir kommen zur Abstimmung über diesen Gesetz-
entwurf einschließlich der genannten Änderungen. Der
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6380,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/5918 und 18/6287 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Ge-
1) Anlage 9
setzentwurf in dritter Lesung angenommen worden mit
den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes
Drucksachen 18/5925, 18/6292
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({1})
Drucksache 18/6383
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/6388
Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie auch Änderungen weiterer Bestimmungen des
Energiewirtschaftsrechts.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
Dr. Nina Scheer von der SPD-Fraktion das Wort.
({3})
Sehr verehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben heute über das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz zu beraten und abzustimmen. Damit wird ein Vorhaben aus dem NAPE umgesetzt, mit dem in einer vereinfachten Form dargestellt
werden soll, wie effizient eine Heizungsanlage ist.
Wir haben zurzeit recht überschaubare Modernisierungs- und Austauschraten im Gebäudebereich; die Austauschrate von Heizungsanlagen in Gebäuden beträgt
zurzeit 3 Prozent. Jetzt ist die Idee gewesen - und das
ist verbrieft in diesem Gesetzentwurf -, dass man durch
das Aufbringen eines Aufklebers mit der berühmten Skala und einer entsprechenden Buchstabennummerierung
schon auf den ersten Blick ganz leicht erkennen kann,
wie effizient bzw. wie ineffizient eine Heizungsanlage ist;
denn bei einem Durchschnittsalter einer Heizungsanlage
von 17 Jahren ist es opportun, den einen oder anderen
Hauseigentümer oder die eine oder andere Hauseigentümerin darauf hinzuweisen, dass die Anlage nicht mehr so
effizient ist und ausgetauscht werden sollte.
Die Skalen kennt man schon von den Elektrogeräten.
Ich denke, sie sind einfach zu überschauen und inzwischen so bekannt, dass man erwarten kann, dass schon
beim ersten Blick auf die Skala der gewünschte Effekt
erzielt wird.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Man kann davon ausgehen, dass durch dieses Instrument die Austauschrate - der Anstieg ist zwar überschaubar, aber immerhin - auf 3,7 Prozent im Jahr erhöht wird.
({0})
- Ja, auf 3,7 Prozent.
({1})
In Anbetracht des Aufwandes, der damit in Zusammenhang steht - es handelt sich dabei, wie gesagt, nur um das
Aufbringen eines Aufklebers und das Überreichen von
Informationsbroschüren durch den Schornsteinfeger -,
ist das eigentlich ein ganz beträchtlicher Effekt. Die kostenfreie Erstinformation, die dem Eigentümer übergeben
wird, und die ergänzenden Informationen über Investitionszuschüsse und weiter gehende Energieberatungsmöglichkeiten sind frei Haus.
Es gab allerdings schon einige Kritik an dem Gesetzesvorhaben. Unter anderem haben einige Vertreter bemängelt, dass der Fokus allein auf die Heizungsanlage
gerichtet wird; das sei nicht hinreichend. Gesagt wurde
auch, dass die Mieter möglicherweise vernachlässigt
würden; man müsse auch sie einbeziehen. Dazu möchte
ich Folgendes sagen: Auf den ersten Blick kann man sagen, dass sich das charmant anhört. Man denkt spontan:
Ja, vielleicht ist das zu kurz gegriffen. - Auf den zweiten
Blick würde ich das aber verneinen; denn dieses Label
soll nur einen Anstoß geben. Die Information ist an den
Eigentümer zu richten und nicht unbedingt an den Mieter. Das Label könnte dem Mieter nämlich suggerieren,
dass alles in Ordnung ist. Es könnte aber sein, dass mit
den Fenstern und der sonstigen Dämmung im Haus nicht
alles in Ordnung ist. Dann würde diese Information den
Mieter unter Umständen fehlleiten. Das Label auf der
Heizungsanlage und die begleitenden Informationen sollen eine Anstoßwirkung haben. Das ist Sinn und Zweck
der Sache.
Im Vergleich zum vorherigen Entwurf kam es zu einer
Veränderung. Man hat sich darauf verständigt, die untersten beiden Kategorien der Skala zu streichen, weil es nur
sehr wenige Anlagen gibt, die darunter fallen. Durch den
Fortfall der untersten beiden Kategorien landen - das ist
der Effekt - viel mehr Heizungsanlagen mit einem relativ
schlechten Standard in der nunmehr untersten Kategorie
der Skala. Aufgrund dieser Tatsache erreicht man durch
dieses Label eine noch größere Anstoßwirkung.
({2})
- Übrigens würde ich mich freuen, wenn wir hier ein
bisschen mehr Aufmerksamkeit hätten. Für uns alle ist
das eine späte Stunde.
({3})
Ich möchte noch etwas zu dem Signal sagen, das der
Schornsteinfeger aussendet. Bisher ist es so: Wenn der
Schornsteinfeger dem Eigentümer sagt, dass die Heizung völlig in Ordnung ist, kann das bei dem Eigentümer durchaus den Eindruck erwecken, dass die Anlage
auch effizient ist. Dieser Eindruck könnte entstehen.
Man könnte glauben: Okay, mit meiner Heizungsanlage
ist alles in Ordnung. - Wenn der Schornsteinfeger mit
dem Label allerdings die Botschaft überbringt: „Ihre
Heizungsanlage ist zwar für sich genommen in Ordnung,
aber völlig ineffizient“, dann hat der Schornsteinfeger
noch eine andere Botschaft im Gepäck. Vor allem suggeriert er nicht, dass alles in Ordnung sei. Die bis heute
möglicherweise existierende kontraproduktive Wirkung
wird damit also durchbrochen. Ich finde, auch das ist ein
gewisser Charme dieses Gesetzentwurfs.
Damit habe ich diesen Gesetzentwurf zur Genüge vorgestellt. Ich finde, das ist ein wenn auch überschaubarer,
so doch nützlicher Schritt im Konzert der Maßnahmen
zur Effizienzsteigerung, die wir brauchen und noch zu
gestalten haben. Insofern bin ich guten Mutes, dass dieser Gesetzentwurf seinen Weg gehen wird.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Eva BullingSchröter das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Etiketten auf Heizungen zu kleben, ist zunächst einmal
richtig. Wir wollen damit den Hauseigentümern einen
Denkanstoß geben. Die Menschen sollen ihre Heizung
energetisch einordnen können. So weit, so gut. Dies kann
einen Anstoß zu einer dringenden weiterführenden Energieberatung geben, muss es aber nicht. Damit das alles
aber kein Etikettenschwindel wird, braucht es in diesem
Bereich Energiesparen und Effizienz mehr; das wissen
Sie auch alle. Vor allem braucht es endlich mehr Mut,
meine Herren, für die Erneuerbare-Energien-Wärmewende.
({0})
- Ich traue Ihnen Mut zu; das ist doch keine Diskriminierung.
({1})
Hier müssen die Mittel des Marktanreizprogramms erhöht und verstetigt werden. Es ist schwer, Heizungslabels als kleinen Schritt in die richtige Richtung zu würdigen, weil dies gleichzeitig ein Licht darauf wirft, wie
viele Schritte noch vor uns liegen und wie sehr die Bundesregierung hier stolpert.
Nun ist seit dem NAPE, dem Nationalen Aktionsplan
Energieeffizienz, fast ein Jahr ins Land gegangen. Die
Aufbruchstimmung ist verflogen. Wir warten weiterhin
voller Ungeduld auf all die Ankündigungen wie etwa die
„Energieeffizienzstrategie Gebäude“ oder ein EnergieefDr. Nina Scheer
fizienzgesetz. Wann kommen denn die Vorschläge, wie
man die Instrumente DENEFF und Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz sinnvoll zusammenführt und ganzheitliche Ansätze bei der energetischen Sanierung gesetzlich
besser verankert? Darüber wird ja diskutiert. Inzwischen
geht die Debatte aber weiter, und sie wird lauter.
Die Spatzen pfeifen es schon von den Dächern: Sie
haben ein neues Effizienzpaket geschnürt, um die den
Kohlekraftwerken erlassenen CO2-Schulden über den
Effizienzbereich zu stemmen - zusätzlich zum NAPE;
denn irgendwie muss es ja kompensiert werden. Dafür
stellen Sie 1,3 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Ich sage es einmal so: Das ist kein Pappenstiel.
Aber schauen wir uns die Maßnahmen an, die Sie damit
planen: Dabei geht es zum Beispiel um den Austausch
von älteren Pumpen und eine Heizungsoptimierung. Aus
unserer Sicht ist das eine klassische Ersatzhandlung: Sie
tun das eine, weil Sie das andere nicht zustande bringen.
Sie sollten noch entschlossener Anreize für den Wechsel auf die Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmebereich setzen und beim KWK-Ziel nicht nachgeben.
Im Vergleich dazu ist der Austausch der Pumpen eine
Minimalmaßnahme. Sie kann zwar in der Breite wirken
und spart Strom, sie kann aber gleichzeitig Chancen verbauen. Denn wenn die Hauseigentümer das Gefühl haben: „Jetzt habe ich schon etwas getan, und das relativ
preiswert“, dann werden sie überlegen, ob sie sich noch
eine neue Heizung kaufen; das wurde ja vorhin schon angesprochen. Folglich fassen sie die Heizung dann eben
eine Weile nicht mehr an. Notwendig wäre aber eine umfassendere Sicht, die die ernsthafte Prüfung einer Umstellung auf die Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmebereich einschließt.
Die Leute bejahen die Energiewende; das ist mein Gefühl, und das hört man immer wieder. Aber im Energiebereich kommt nur wenig voran. Ich frage mich: Warum
ist das so, und wie kann man das forcieren? Auch wenn
sich die Öl- und Gaspreise nicht so entwickelt haben,
wie es angenommen wurde: Ich denke schon, dass viele
Leute bereit wären, hier etwas zu tun. Auch Sie müssen
noch etwas tun. Die Konzepte sollten sich aber nicht auf
die einzelnen Eigentümer konzentrieren. Vielmehr brauchen wir Quartierslösungen. Wir müssen noch viel mehr
darüber reden, wie das geht und wie man hier vorwärtskommt. Das gibt die gesetzliche Lage aber leider nicht
her. Da müssen Sie nachbessern.
({2})
Wenn der Anteil der erneuerbaren Energien im Wärmebereich von derzeit 10 Prozent auf 14 Prozent im Jahr 2020
steigen soll, ist noch viel mehr Anstrengung erforderlich.
Das müssen wir gemeinsam angehen.
Im Übrigen: Ich habe einmal nachgesehen, wann bei
meiner Heizung zu Hause das Etikett aufgeklebt werden
muss: 2026. Das ist noch lange hin.
Ich danke Ihnen.
({3})
Als nächster Redner spricht Hansjörg Durz von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Im vergangenen Dezember hat das Kabinett den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz beschlossen und damit die Themen Energieeffizienz und Energieeinsparung
deutlich stärker in den Fokus gerückt. Fördern und Fordern, Kommunikation und Beratung - mit dem NAPE
verfügen wir über einen Maßnahmenkatalog, mit dem
wir die von uns gesteckten Ziele im Bereich des Klimaschutzes erreichen.
({0})
- Das sehen wir dann.
Durch die Zusammenschau der unterschiedlichsten
Maßnahmen ist er zudem hilfreich, um sich im weiten
Feld der Energieeffizienz zurechtzufinden. Er zeigt auf,
wo Potenziale liegen und wie diese gehoben werden können.
Es ist gut, dass das Thema Effizienz durch den NAPE
stärker in den Fokus gerückt ist. Genau dieser Fokus ist
auch notwendig, um der Energieeffizienz auch in der Öffentlichkeit zu dem Stellenwert zu verhelfen, den sie als
zweite Säule der Energiewende verdient.
({1})
Nach einer entsprechenden Vorbereitungsphase befinden wir uns nun mitten in der Umsetzung des NAPE.
Eine Vielzahl von Maßnahmen wurde bereits umgesetzt.
Dazu zählen zum Beispiel die Weiterentwicklung der
Energieberatung, die Verstetigung und Aufstockung des
CO2-Gebäudesanierungsprogramms, die Fortentwicklung des Marktanreizprogramms und die Umsetzung des
Artikels 8 der EU-Energieeffizienz-Richtlinie.
({2})
Frau Bulling-Schröter, das sind nur ein paar Maßnahmen, und uns liegt ja auch ein Zeitplan vor, bis wann
die weiteren Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Sie
sehen also: Hier ist sehr viel im Fluss.
Mit der heutigen Verabschiedung der Änderung des
Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes fügen wir
unserer Strategie einen weiteren Baustein hinzu.
Wir sprechen häufig davon, welch hohen Anteil der
Gebäudebestand mit knapp 40 Prozent für den Gesamtenergieverbrauch in Deutschland hat. Dabei liefert die
Heizung wiederum den größten Beitrag innerhalb des
Gebäudes. Deshalb halte ich es auch für äußerst positiv,
dass wir heute die Gelegenheit haben, über genau eine
solche Maßnahme zu diskutieren, die exakt diesen Bereich adressiert. Ich bin froh darüber, dass wir im Bereich der Energieeffizienz über eine konkrete Maßnahme diskutieren, die exemplarisch genau für die Art und
Weise steht, wie wir uns als Union die Steigerung der
Energieeffizienz vorstellen. Wir wollen die Potenziale
nicht durch Zwang, sondern auf freiwilliger Basis heben:
durch Information und Anreize.
({3})
Mit dem Nationalen Effizienzlabel für Heizungsaltanlagen gehen wir genau diesen Weg, indem wir den Verbraucher in den Mittelpunkt stellen. Für die Verbraucher
soll mehr Transparenz entstehen, und sie sollen anhand
objektiver Kriterien selber entscheiden können. Genau so
wollen und werden wir zum Austausch motivieren.
Fest steht: Das Potenzial zur Effizienzsteigerung im
Bereich der Heizungsanlagen von Wohngebäuden ist riesig. 70 Prozent der Heizgeräte in Deutschland werden als
nicht effizient eingestuft. Ein Grund dafür ist das Durchschnittsalter; wir haben es vorhin schon gehört. Es liegt
bei den Geräten bei etwa 17,6 Jahren. Ein Drittel ist sogar
älter als 20 Jahre.
Unser erklärtes Ziel ist es, die Sanierungsrate signifikant zu erhöhen. Deshalb werden mit Start zum 1. Januar 2016 Heizkessel von Heizungsinstallateuren, Gebäudeenergieberatern oder Schornsteinfegern mit einem
Aufkleber versehen, mit dessen Hilfe der Verbraucher
über die Effizienz der Anlage informiert wird - und das
ohne Kosten für den Verbraucher.
Gekennzeichnet werden in einem ersten Schritt jene
Anlagen, die älter als Baujahr 1986 sind. In den folgenden Jahren werden sukzessive auch jüngere Altersklassen
in das Verfahren einbezogen, bis schließlich nach einem
stetigen Prozess im Jahr 2023, also nach acht Jahren, alle
knapp 13 Millionen Anlagen erfasst sind, die dann älter
als 15 Jahre sind.
Der Aufkleber soll den Verbraucher über den Effizienzstatus seines Heizkessels informieren und damit
verdeutlichen, inwieweit aus Effizienzgesichtspunkten
Handlungsbedarf besteht. Gleichzeitig erhält der Besitzer Informationen über Heizungschecks, Vor-Ort-Beratungsmöglichkeiten und mögliche Förderprogramme.
Im Übrigen setzt der Aufkleber auf dem bestehenden
EU-weiten Effizienzlabel für neue Heizkessel auf, das
seit September 2015 gilt. Das Label ist dem Verbraucher
außerdem bereits von Konsumgütern bestens bekannt.
Damit erreichen wir einen hohen Wiedererkennungswert.
Mit dem engen Bezug zu dem EU-Etikett für Neugeräte
stellen wir außerdem eine Vergleichbarkeit von Altgeräten und Neugeräten für den Verbraucher sicher.
Mit unserer Beschlussempfehlung schlagen wir zudem vor - auch das ist bereits angeklungen -, die bisherigen Effizienzklassen F und G zu streichen, da sie für
die Heizungsanlagen in Deutschland quasi keine Rolle
spielen werden.
Nach einer wissenschaftlichen Untersuchung ist das
Heizungslabel dazu geeignet, die Austauschrate von Heizungsanlagen um 20 Prozent pro Jahr zu erhöhen. Das ist
also wirklich ein nicht ganz unwesentlicher Schritt.
Sehr geehrte Damen und Herren, für notwendige
Informationen zu sorgen, ist ein Schritt. Mit dem Heizungslabel haben wir eine hervorragende Möglichkeit,
den Verbraucher direkt zu sensibilisieren. Doch damit
ist zunächst nur der erste Schritt getan. Der zweite muss
folgen, nämlich die Sanierung anzureizen. Dazu ist die
konkrete Ausgestaltung der Förderung von zentraler Bedeutung.
Die Fördermittel im Bereich der Energieeffizienz wurden enorm aufgestockt. Wir nehmen in den kommenden
fünf Jahren, wenn man die Maßnahmen zusammenzählt,
insgesamt etwa 8 Milliarden Euro in die Hand - eine
ganz beträchtliche Summe -, um ein ganzes Bündel an
Maßnahmen im Bereich Energieeffizienz umzusetzen.
Speziell im Bereich Heizung zählen dazu beispielsweise
der Pumpentausch in Gebäuden, mit dem insbesondere
durch den Einbau von modernen und hocheffizienten
Pumpen Energieeinsparungen von 70 bis 80 Prozent erreicht werden können; oder das Programm zur Förderung
der Heizungsoptimierung, mit dem bestehende Anlagen
optimal eingestellt und somit ohne große Baumaßnahmen Effizienzsteigerungen erreicht werden; oder das
Marktanreizprogramm, mit dem das Heizen mit erneuerbaren Energien gefördert wird, das bereits zum 1. April
dieses Jahres modifiziert wurde und seitdem wieder sehr
gut nachgefragt wird.
Die Information und die Förderinstrumente helfen uns
nicht nur, die Klimaziele zu erreichen, sondern werden
auch einen Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft leisten und sind ein
enormes Konjunkturprogramm, also insgesamt eine sehr
sinnvolle Maßnahme.
({4})
Gleichzeitig mit dem Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz treffen wir auch eine Entscheidung im Bereich Energieleitungsbau. Künftig wird der Turnus des
Netzentwicklungsplans neu gefasst und von einem jährlichen auf einen zweijährigen Zyklus umgestellt. Dadurch
wird der Prozess insgesamt schlanker, besser strukturiert
und verständlicher. Damit die Regelung bereits für den
nächsten NEP greift und der neue Turnus bereits 2016
angewendet werden kann, muss die Änderung noch in
diesem Jahr in Kraft treten. Deshalb bitte ich Sie insgesamt um Zustimmung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Als letzte Rednerin in dieser Debatte
hat Dr. Julia Verlinden von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wir sprechen heute, fast ein Jahr
nachdem der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz
verabschiedet wurde, über eine sogenannte Sofortmaßnahme, die hier zur Umsetzung steht. Das, finde ich, ist
sehr amüsant.
In dieser Sofortmaßnahme, nämlich in dem vorgelegten Gesetzentwurf, steht, dass die Bundesregierung
mit diesem Aufkleber für Heizungen das Ziel verfolge,
dass sich die „Inanspruchnahme einer weiter gehenden
Energieberatung“ erhöhe und dass sich die Motivation
der Verbraucher erhöhe, um alte, ineffiziente Heizgeräte
auszutauschen. - Ja, Anreize zum Austausch von alten
Heizungen fordern wir Grüne ja schon lange, um den
Energieverbrauch zu verringern und um natürlich auch
das Klima zu schützen.
Schauen wir uns einmal genauer an, was die Bundesregierung hier vorlegt. Die Schornsteinfeger sollen je
nach Energieeffizienzkategorie ein Label auf die Heizung im Keller kleben. Und sie sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher auf weiterführende Beratungsangebote aufmerksam machen. - Das war’s. Das ist doch
nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Diese Maßnahme
entspricht nicht den notwendigen Klimaschutz- und
Energieeinsparbemühungen in Gebäuden und wird den
vorhandenen Energieeffizienzpotenzialen auch nicht annähernd gerecht.
({0})
Im Vergleich zum Jahr 2008 will die Bundesregierung bis 2020 insgesamt 20 Prozent Energie einsparen.
Geschafft sind bisher genau 6,4 Prozent. Es bleiben also
gerade einmal noch fünf Jahre Zeit. Die Bundesregierung
muss hier ganz schön flott noch sehr viel in Bewegung
setzen, um diese Menge Energie einzusparen. Der Grund
dafür ist nicht nur, dass sie es sich selbst vorgenommen hat. Vielmehr steckt die Bundesregierung mitten
in einem EU-Vertragsverletzungsverfahren, weil sie die
EU-Energieeffizienz-Richtlinie bisher nicht zufriedenstellend umgesetzt hat.
({1})
- Ich weiß nicht, was Sie daran so lustig finden. Das wird
für die Bundesregierung ziemlich teuer.
({2})
Im Zweifel können das ziemlich hohe Strafzahlungen
werden. Aber gut, Sie erklären dann den Steuerzahlern,
dass Sie eben nicht nur die Energiewende riskieren, sondern eben auch die Strafzahlungen vor dem EuGH.
Es ist echt tragisch, wie schwer Sie sich mit einer vernünftigen Energieeffizienzpolitik tun. Wenn dieser bunte
Heizungsaufkleber seine prognostizierte Wirkung erzielt - das muss sich erst noch zeigen -, dann trägt dieses
Instrument mit sage und schreibe - aufgepasst! - 0,3 Prozent zum Einsparziel bei. Das ist zwar besser als nichts,
aber zu einer wirksamen Energieeffizienzpolitik, die den
Klimaschutz wirklich ernst nimmt, gehören weitere politische Maßnahmen. Denn durch die Etikettierung der
Heizkessel werden insbesondere Vermieter überhaupt
keinen Anreiz haben, alte Kessel auszutauschen. Dass
die alten Heizungen viel zu viel Energie verbrauchen,
ist den Vermietern egal. Denn die Heizkosten zahlen die
Mieterinnen und Mieter, und diese erfahren nicht einmal - wir haben es gerade gehört -, ob ihr Vermieter eine
völlig ineffiziente und veraltete Heizungsanlage im Keller stehen hat.
Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, das Instrument
zu verbessern, indem man hier mehr Transparenz für die
Mieter herstellt. Aber dem wollte die Bundesregierung
nicht folgen. Das finde ich äußerst bedauerlich.
({3})
Auch eine bessere Verschränkung des neuen Instruments mit der existierenden Energieeinsparverordnung
haben Sie leider nicht umgesetzt. Denn die Energieeinsparverordnung - Herr Durz hat sehr viel von Freiwilligkeit gesprochen; ich weiß nicht, ob er die Energieeinsparverordnung kennt - sieht bereits seit längerem eine
Austauschpflicht für Heizkessel vor, die älter als 30 Jahre
sind.
Ich glaube nicht, dass es Ihnen mit der Modernisierung des Heizungsbestands so ernst ist wie uns Grünen.
Denn wir Grünen wollen einen wirksamen Instrumentenmix für die Gebäudesanierung. Dazu gehört aus unserer
Sicht vor allem eine massive Förderung von Quartierssanierungen dort, wo viele einkommensschwache Haushalte zur Miete wohnen. Denn wir wollen nicht, dass diese
Menschen den stetig steigenden Heizkosten quasi ausgeliefert sind. Und für Hauseigentümer und -eigentümerinnen eignet sich eine ausführliche, qualitativ hochwertige
Beratung wie ein individueller Gebäudesanierungsfahrplan deutlich besser zur Planung der Erneuerung der Heizungsanlage als ein Aufkleber.
Kommen Sie endlich in die Puschen!
({4})
Es wäre doch beschämend, wenn wir beim Thema Gebäudesanierung weiter nur in kleinen Tippelschritten
vorankommen.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6383,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5925 und 18/6292 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in
der Rechtssache C-72/12
Drucksachen 18/5927, 18/6288
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0})
Drucksache 18/6385
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden.1)
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6385, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/5927 und 18/6288 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Der
Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen worden. Das passiert ja auch nicht so häufig.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Batteriegesetzes
Drucksache 18/5759
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1})
Drucksache 18/6233
1) Anlage 10
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.2)
Dann kommen wir jetzt gleich zur Abstimmung. Der
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6233, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5759 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalition und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des
Bundeszentralregistergesetzes
Drucksache 18/6186
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Drucksache 18/6390
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.3)
Dann kommen wir gleich zur Abstimmung. Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6390, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
auf Drucksache 18/6186 anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Oppo-
sition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Gibt es jemanden, der sich ent-
hält? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der
Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom
2) Anlage 11
3) Anlage 12
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
3. Dezember 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2011 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und Irland zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur
Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen
Drucksache 18/5579
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3})
Drucksache 18/6369 Buchstabe a
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.1)
Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6369, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/5579 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Gibt es jemanden, der sich enthält? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf
mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der
Opposition angenommen worden.
Über die Buchstaben b und c der Beschlussempfehlung wurde bereits unter Tagesordnungspunkt 31 b abgestimmt. Es gibt - weil es Verwunderung gab - nur eine
zweite Lesung, da es sich um ein Vertragsgesetz handelt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes
Drucksache 18/6164
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({4})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
1) Anlage 13
Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.2)
Hier wird interfraktionell die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/6164 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der aufsichts- und berufsrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur
Ausführung der entsprechenden Vorgaben
der Verordnung ({5}) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse ({6})
Drucksache 18/6282
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({7})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Ich
sehe, dass Sie damit einverstanden sind.3)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6282 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 16. Oktober 2015, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen schönen Abend.