Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich .
Bevor wir unsere Haushaltsdebatte fortsetzen, möchte
ich den Kollegen Volker Mosblech als neues Mitglied
im Deutschen Bundestag begrüßen, der für den verstorbenen Kollegen Philipp Mißfelder nachgerückt ist . Ich
begrüße Sie herzlich, und wir freuen uns auf die Zusammenarbeit .
({0})
Wir müssen noch eine Wahl durchführen . Für den
aus dem Kuratorium der Bundesstiftung Magnus
Hirschfeld als ordentliches Mitglied ausscheidenden
Kollegen Jens Spahn soll das bisherige stellvertretende
Mitglied Dr. Jan-Marco Luczak als ordentliches Mitglied gewählt und als dessen Nachfolger der Kollege
Matthias Hauer als persönliches stellvertretendes Mitglied berufen werden . Sind Sie damit einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall . Dann sind die beiden
gerade genannten Kollegen Luczak und Hauer in ihrer
jeweiligen Funktion als Mitglieder des Kuratoriums gewählt .
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um den in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkt zu erweitern:
ZP 1 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
({1})
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Luftverkehrsabkommen vom 16. und 21. Juni
2011 zwischen den Vereinigten Staaten von
Amerika als erster Partei, der Europäischen
Union und ihren Mitgliedstaaten als zweiter
Partei, Island als dritter Partei und dem Königreich Norwegen als vierter Partei und zu
dem Zusatzabkommen vom 16. und 21. Juni
2011 zwischen der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten als erster Partei, Island
als zweiter Partei und dem Königreich Norwegen als dritter Partei, betreffend die Anwendung des Luftverkehrsabkommens vom
16. und 21. Juni 2011
Drucksache 18/5580
Überweisungsvorschlag:
A . f . Verkehr und digitale Infrastruktur
Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Die am 3 . Juli 2015 gemäß § 80 Absatz 3 der Geschäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrichtung
soll zusätzlich dem Ausschuss für Gesundheit ({2}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Unterrichtung durch die Bundesbeauftragte für
den Datenschutz und die Informationsfreiheit
Tätigkeitsbericht 2013 und 2014 der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
- 25. Tätigkeitsbericht Drucksache 18/5300
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Sportausschuss
A . f . Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
A . f . Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
A . f . Familie, Senioren, Frauen und Jugend
A . f . Gesundheit
A . f . Verkehr und digitale Infrastruktur
A . f . Menschenrechte und humanitäre Hilfe
A . f . Tourismus
A . f . Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Ich möchte auch hier fragen, ob es Widerspruch gibt . -
Das ist nicht der Fall . Dann verfahren wir so .
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungs-
punkt 1 - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2016 ({4})
Drucksache 18/5500
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019
Drucksache 18/5501
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Wir haben am Dienstag für die heutige Aussprache
eine Redezeit von insgesamt achteinhalb Stunden beschlossen .
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Einzelplan 09.
Das Wort hat der Bundeswirtschaftsminister Sigmar
Gabriel .
({5})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir in dieser Woche den Bundeshaushalt 2016
beraten, dann sind die Gedanken aller hier im Parlament
und die Gedanken derjenigen, die uns beobachten, nicht
nur bei diesem Zahlenwerk, sondern bei der vermutlich
größten nationalen und europäischen Herausforderung
seit der Wiedervereinigung: 800 000 Menschen suchen Sicherheit und Lebensperspektive hier bei uns in
Deutschland; Millionen Menschen sind auf der Flucht, so
viele wie nie zuvor; Hunderttausende davon setzen ihre
Hoffnung auf uns und rufen nach Aufnahme in Deutschland .
Alle Routine ist verschwunden . Zahl und Wucht dieser Menschenflucht haben wahrhaft historische Dimensionen . Angesichts dieser großen Herausforderung kann
man schon sagen: Selten hat Deutschland so zusammengestanden wie jetzt . Das tut uns gut, und das tut den
Flüchtlingen gut .
({0})
Denen, die Menschen in Not helfen, möchte ich, wie Sie
sicherlich alle auch, nicht nur Respekt ausdrücken, sondern vor allen Dingen danken . Das gilt aber auch - auch
das darf man einmal sagen - für die Angehörigen unseres
öffentlichen Dienstes. Ich finde, die Arbeit von Angestellten und Beamten des öffentlichen Dienstes widerlegt
in diesen Tagen und Wochen alle Vorurteile, die es ihnen
gegenüber gelegentlich gibt .
({1})
Deutschland ist gefordert, aber Deutschland ist auch
stark . Ohne die wirtschaftliche Stärke unseres Landes,
ohne Wachstum und sichere Arbeit würden wir diese
Herausforderung wohl nicht so optimistisch anpacken .
Erst die wirtschaftliche Leistungskraft unseres Landes,
gepaart mit soliden Finanzen, erspart uns jetzt schwere Entscheidungen und Konflikte darüber, wie wir die
Aufnahme und die Integration so vieler Menschen in
Deutschland schaffen und finanzieren wollen. Hätten wir
in den Jahren zuvor auf die gehört, die uns aufgefordert
haben, diesen soliden Pfad zu verlassen - mehr Schulden
zu machen, nicht so sehr auf wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu achten -, hätten wir heute nicht die Kraft,
ein so großes Paket für die Flüchtlingshilfe auf den Weg
zu bringen, wie wir es am Sonntag getan haben, ohne
dass es zu Leistungskürzungen für unsere Bürgerinnen
und Bürger und zu Steuererhöhungen kommt . Dass wir
gemeinsam Kurs gehalten haben, meine Damen und
Herren, zahlt sich jetzt aus - für die Flüchtlinge und die
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes .
({2})
Die deutsche Wirtschaft ist auf einem soliden Wachstumspfad . Die Entwicklung in diesem Jahr zeigt, dass die
Prognose der Bundesregierung von 1,8 Prozent Wirtschaftswachstum in diesem und im nächsten Jahr realistisch ist . Das zahlt sich für die Menschen aus . Auch 2015
rechnen wir mit einer steigenden Zahl von Erwerbstätigen - ausgehend von einer Rekordbeschäftigung von
über 42 Millionen Menschen in Deutschland .
Das Wachstum wird auch von einer robusten Binnenkonjunktur getragen . Diese wiederum wird durch gute
Tarifabschlüsse, den Mindestlohn, höhere Investitionen
und übrigens auch den Verzicht auf Rentenkürzungen getragen . Dazu kommen positiv wirkende Außenfaktoren
wie die Erholung der Vereinigten Staaten, der niedrige
Ölpreis und der Wechselkurs des Euro .
Wachstum und Beschäftigung bringen uns auch in
diesem Jahr höhere Steuereinnahmen als erwartet . Der
Bund bzw . die Koalition hat am letzten Sonntag verabredet, dass wir diese gestiegene Finanzkraft jetzt einsetzen
wollen, um Länder und Kommunen noch einmal dauerhaft, strukturell und übrigens auch dynamisch - und
nicht, wie gestern in einem Redebeitrag gesagt wurde,
einmalig - zu entlasten . Es wird eine Hilfe zur Verfügung
gestellt werden, die am Ende natürlich von der Entwicklung der Flüchtlingszahlen abhängig sein muss .
Länder und Kommunen brauchen diesen Beistand für
die menschenwürdige Unterbringung und Versorgung,
aber vor allen Dingen auch für die Integration von Flüchtlingen . Vergessen wir nicht: Von den Hunderttausenden,
die zu uns kommen, werden viele auf Dauer bleiben . Wir
müssen sie integrieren, und auch dem müssen wir uns
gesamtstaatlich widmen .
Der Bund muss die Voraussetzungen bei der Grundsicherung des SGB II, aber auch bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik, bei Sprachkursen und bei der Qualifizierung schaffen, um eine größere Zahl von Menschen in
den Arbeitsmarkt zu integrieren . Hier liegen Chancen
und Risiken der Zuwanderung ganz dicht beieinander .
Schaffen wir es, die Menschen, die zu uns kommen,
schnell auszubilden bzw . weiterzubilden und in Arbeit
zu bringen, dann lösen wir eines unserer größten Probleme im Hinblick auf die wirtschaftliche Zukunft unseres
Landes, den Fachkräftemangel .
Präsident Dr. Norbert Lammert
Deutschland hat ja ein Experiment vor sich, das noch
kein anderes Industrieland der Erde hat schaffen müssen .
Bis 2030 werden wir 6 Millionen Arbeitskräfte weniger
haben - 6 Millionen Menschen, die nicht für die Erarbeitung unseres Wohlstands am Arbeitsmarkt zur Verfügung
stehen werden . Das ist nicht nur eine Gefahr für die betroffenen Unternehmen vor allem im Mittelstand und im
Handwerk, sondern auch eine Gefahr für den Wohlstand
der ganzen Gesellschaft; denn alternde Gesellschaften
wachsen langsamer, sind weniger innovativ und verlieren an wirtschaftlicher Dynamik .
Die Zuwanderer, die jetzt kommen, können uns helfen, das zu ändern . Wenn es gut läuft, wenn wir es gut
machen, dann nutzen wir einen Willen, den alle diese
Menschen haben, nämlich zu einem besseren und sicheren Leben zu kommen . Sie haben Kinder bei sich, denen
sie das versprechen wollen, was uns unsere Eltern versprochen haben, nämlich: Du sollst es einmal besser haben als wir . - Wenn wir es schaffen, das zu nutzen, wenn
wir sie zu gleichberechtigten Bürgerinnen und Bürgern
unseres Landes machen, dann erinnern wir uns vielleicht
auch selbst an manche der Tugenden, die wir in unserem
Land haben . Manchmal verschwinden dann vielleicht
auch ein bisschen Trägheit und Selbstzufriedenheit .
Die, die kommen, können uns wirklich im wahrsten
Sinne des Wortes bereichern, wenn sie Bürgerinnen und
Bürger dieses Landes werden . Aber auch das Risiko liegt
auf der Hand . Kümmern wir uns zu spät um Sprachausbildung, suchen wir nicht nach der Qualifikation der
Menschen, die zu uns kommen, und lassen wir sie monatelang oder noch länger untätig bleiben, dann werden die
Integrationsprobleme wachsen .
Dann werden aus Leistungsträgern Leistungsempfänger . Ich appelliere deshalb an die Unternehmen, die
Wirtschaftsverbände und die Kammern, gemeinsam mit
Betriebsräten, Gewerkschaften und mit uns in der Bundesregierung eine Ausbildungsinitiative für Flüchtlinge
zu starten . Zu einem entsprechenden Gespräch haben wir
schon eingeladen .
({3})
Fragen Sie in den Unternehmen ihre Meister und ihre
Ausbilder! Diese wissen, was man braucht, um Menschen, die noch nicht über ausreichende Qualifikationen
verfügen, anzulernen .
Die Bereitschaft vieler Unternehmen, jetzt zu helfen,
ist groß . Ich habe ein wunderbares Erlebnis gehabt . Ein
mittelständischer Industrieller, der in diesem Jahr 66 Jahre alt wurde, hat mich gefragt: Was kann ich eigentlich
machen, um zu helfen? Ich habe ihm gesagt: Du musst
Ausbildungsplätze schaffen . Einen Tag später hat er
66 neue nur für Flüchtlinge geschaffen . Das ist ein großartiges Beispiel .
({4})
Wir müssen Sprachkurse anbieten und die Anerkennung von Abschlüssen weiter beschleunigen . Wir müssen die richtige Nachqualifizierung finden, und wir müssen umdenken . Flucht und Asyl dürfen nicht jahrelanges
Nichtstun bedeuten . Ausbildung und Arbeit sind die beste Integration . Integration und soziale Teilhabe bedeuten vor allem auch Kindertagesstätten- und Schulplätze
sowie bezahlbarer Wohnraum, übrigens für alle, die ihn
brauchen, nicht nur für Flüchtlinge .
({5})
Bund, Länder und Kommunen werden in den kommenden Jahren das damit verbundene Ausgabenwachstum spüren . Das ist keine einmalige Angelegenheit .
Wir müssen die Ausgaben nicht nur in diesem und im
nächsten Jahr, sondern auch in den nächsten fünf, zehn
Jahren absichern . Deshalb müssen wir vor allem in der
Wirtschaftspolitik neue Anstrengungen unternehmen .
Denn klar ist uns allen: Nur eine Wirtschaft, die wächst,
kann einen Staat und eine Gesellschaft finanzieren, die
so große Aufgaben wahrnimmt . Schaffen wir das nicht,
werden Verteilungskonflikte entstehen und wird der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ganz schnell
in Gefahr geraten . Die Bundesregierung hat sich deshalb
zum Ziel gesetzt, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft weiter nachhaltig zu stärken . Wir erhöhen Investitionen . Wir bauen Bürokratie ab . Wir entlasten Bürgerinnen und Bürger und stärken die Kommunen .
Die Bundesregierung hat die öffentlichen Investitionen erhöht . Das wollen wir fortsetzen und haben das in
Haushalts- und Finanzplanung verankert . Bis einschließlich 2019 werden die investiven Ausgaben des Bundes
jährlich bei rund 31 Milliarden Euro liegen; vor ein paar
Jahren waren das noch etwas mehr als 20 Milliarden
Euro . Das wird auch private Investitionen auslösen und
die Konjunktur stützen . Zu den herausragend wichtigen
Zukunftsinvestitionen zählen natürlich in allererster Linie die Digitalisierung, ihre Infrastruktur und vieles andere, was damit zusammenhängt . Aber ich zähle auch
die im Rahmen unserer Klimaschutzziele vorgesehene
Steigerung der Energieeffizienz dazu. Diese ökologische
Modernisierung senkt den CO2-Ausstoß . Sie senkt aber
zugleich auch Kosten und erhöht unsere Wettbewerbsfähigkeit . Die Bundesregierung wird deshalb sicherstellen,
dass die Mittel des Bundes für die Energieeffizienz auf
Rekordhöhe steigen .
Wir werden außerdem mit dem Gesetzespaket zum
neuen Strommarkt mehr Markt und Wettbewerb bei der
Energiewende ermöglichen . Auch das wird Wirtschaftlichkeitsreserven heben und Kosten senken . Übrigens
sind die Strompreise in diesem Jahr gesunken . Die
EEG-Umlage ist zum ersten Mal seit 15 Jahren gefallen,
und zwar ohne dass wir, wie manche behauptet haben,
einen dramatischen Einbruch bei den erneuerbaren Energien zu verzeichnen haben .
({6})
- Herr Krischer, bei der Windenergie hatten wir 2,5 Gigawatt vorgesehen . Wir lagen letztes Jahr, glaube ich, bei
4,7 Gigawatt .
({7})
Das ist nicht gerade ein Einbruch, Herr Krischer . Ich
bin sicher, dass die Entwicklung bei der Solarwirtschaft
ähnlich verlaufen wird, wenn wir die Förderung wieder
verstetigen .
({8})
- Das tun wir, unter anderem mit den Ausschreibungsmodellen, die übrigens exzellent laufen, ganz im Gegensatz zu Ihren Prognosen .
({9})
Es beteiligen sich Energiegenossenschaften und Bürger .
({10})
- Sir, Sie wissen ganz genau, dass wir erst vor der zweiten Runde stehen. Ich finde das eigentlich gut: Sie machen die Prognose, und wir zeigen später, dass sie nicht
stimmt . Das ist schon okay .
({11})
Auch bei der regionalen Strukturpolitik stellen wir
in Ost und West mehr Geld für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
zur Verfügung . Die Lage in Ostdeutschland hat sich in
den letzten 25 Jahren natürlich drastisch verbessert, aber
nicht gut genug . Deshalb wird es über das Jahr 2019 hinaus nötig sein, die strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands weiter zu fördern .
Die Förderprogramme des Wirtschaftsministeriums
dafür wachsen auf . Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ werden von 580 Millionen Euro im Jahr 2013 auf
jetzt 600 Millionen Euro erhöht . Davon gehen übrigens
80 Prozent in die ostdeutschen Bundesländer . Beim Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand sind es immerhin 42 Prozent .
Auch der hier im Haus so umstrittene Kompromiss mit
der Braunkohlewirtschaft hat etwas mit der Unterstützung Ostdeutschlands und mit Strukturpolitik insgesamt
zu tun . Ja, wir haben im Wirtschaftsministerium, wie wir
finden, ein nach wie vor relativ preiswertes Instrument die Klimaabgabe - zur Erreichung der CO2-Ziele bis
zum Jahr 2020 entworfen . Aber wir haben jetzt eine Alternative gewählt . Und ja, die Alternative zum Erreichen
dieser Ziele ist teurer . Wir erreichen die Ziele genauso
wie mit der Klimaabgabe . Aber es stimmt: Die Alternative ist teurer; sie kostet deutlich mehr Geld . Die stärkere Förderung von KWK, die Sicherung der Existenz der
Stadtwerke und auch die Begleitung des Strukturwandels
in der Braunkohle kosten Geld . Aber das Risiko einzugehen, dass es zu Strukturbrüchen in der Braunkohle
kommt, hätte uns noch viel mehr Geld gekostet .
({12})
Ob es wirklich klug ist, zu sagen: „Wir in der Politik
mit unseren Gutachten wissen das am Ende besser als
die, die vor Ort das Risiko tragen“, wenn sich herausstellte, dass man sich geirrt hat? Da waren wir eben anderer Meinung .
({13})
10 000 Arbeitsplätze sind keine Kleinigkeit für Regionen, die den Schock der Deindustriealisierung nicht
vergessen haben . Die vergütete Stilllegung von Braunkohlekraftwerken senkt die CO2-Emissionen erheblich;
aber sie kostet Geld - klar . Außerdem hilft sie den Unternehmen und den Beschäftigten, den Strukturwandel
sozial sicher zu vollziehen . Wer dagegen ist und dagegen
polemisiert, dem rate ich, mal hinzufahren und mit den
Menschen zu reden .
({14})
Die Zukunft unserer Unternehmen und unseres Landes liegt in den Investitionen, natürlich auch in Investitionen in die öffentliche Infrastruktur . Dafür haben wir
mit Professor Fratzscher Vorschläge entwickelt, die im
November dieses Jahres ins Kabinett kommen, damit wir
sie umsetzen können .
Unsere Wirtschaft wird aber nur stark bleiben, wenn
auch die privaten Unternehmen mehr investieren . Die
Nettoinvestitionsquote deutscher Unternehmen muss einem seit mehr als zehn Jahren große Sorge machen; sie
ist nämlich viel zu niedrig . Dafür wollen wir die Rahmenbedingungen weiter verbessern . Es geht um mehr Innovationen, um Fachkräftemobilisierung, um das Lösen von
Investitionsbremsen . Das Bürokratieabbaugesetz schafft
eine Entlastung von 700 Millionen Euro . Für die Mobilisierung von Venture Capital für die Wachstumsphase von
Unternehmen verabschieden wir gemeinsam mit dem Finanzministerium in diesen Tagen die Vorschläge .
Von der günstigen Wirtschafts- und Finanzentwicklung profitieren auch die Bürgerinnen und Bürger vor allen Dingen durch sichere Beschäftigung und ordentliche
Löhne . Große Ungleichheit, sagen IWF, OECD und jetzt
auch das Weltwirtschaftsforum, behindert und blockiert
eine Wirtschaft . Mehr Chancen und bessere Zugänge für
mehr Menschen hingegen vergrößern das Wachstumspotenzial . Die Entwicklung der Reallöhne in Deutschland
ist gut . Im vergangenen Jahr sind die Löhne je Arbeitnehmer um knapp 4 Prozent gestiegen . Ordentliche Tarifabschlüsse, Tarifbindung, mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung stehen dahinter . Das ist gut und muss
weitergehen .
Verteilungsfragen sind soziale und wirtschaftliche Zukunftsfragen . Wir können ein durchlässiges Bildungssystem am Ende nur finanzieren, wenn wir dafür die Kraft
und die Mittel haben . Also geht es immer wieder auch
um eine gerechte und faire Steuerpolitik . Insbesondere
die in Europa nach wie vor existierende Ungerechtigkeit
beim Steuerzahlen müssen wir beseitigen . Es kann nicht
sein, dass sich große Konzerne vor einem angemessenen
Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens drücken
können .
({15})
Wer nach dringend notwendigen Reformen in Europa
fragt, der hat hier eine Antwort: Die großen Konzerne
müssen endlich mehr zahlen, damit wir die mittleren und
niedrigen Einkommen von der zu hohen Last der Steuern
und Sozialabgaben, die Weltwirtschaftsforum, OECD
und andere kritisieren, entlasten können . Europa ist nicht
durch Griechenland in Gefahr, sondern durch den wachsenden nationalen Egoismus seiner Mitgliedstaaten .
({16})
Wenn wir den nicht überwinden, dann werden wir die
Menschen von der europäischen Idee nicht mehr überzeugen können .
Insofern müssen wir den Blick auch auf die Zukunft
und die vor uns liegenden zehn Jahre richten . Wir müssen eine Vorstellung davon entwickeln, wovon wir 2025
leben wollen . Wir müssen die Quellen unserer wirtschaftlichen Stärke beachten . Im Inland geht es um höhere Investitionen - aber wahrlich nicht nur in Beton, Glasfaser
und Maschinen -, vor allen Dingen aber geht es um die
Menschen, die wir hier haben: soziale Teilhabe, gleicher
Lohn für gleiche Arbeit, übrigens auch gleicher Lohn für
gleichwertige Arbeit;
({17})
denn die Art und Weise, wie wir Menschen in Pflegeberufen bezahlen - schlecht nämlich -, ist der eigentliche
Grund, warum wir dort Nachwuchssorgen haben .
({18})
- Ich glaube schon, dass das so ist .
Das gilt im Inland wie übrigens auch in der internationalen Vernetzung; denn die internationale Vernetzung ist
die zweite Quelle unseres wirtschaftlichen Wohlstands .
Deutschland bekommt jede internationale Krise zu spüren . Wo sich Märkte verschließen, droht unsere Produktion zu erlahmen . Ukraine, Russland, Strukturprobleme,
Börsenturbulenzen in China, Wachstumsschwäche in
Schwellenländern, Unsicherheiten in der Eurozone und
in Europa - wenn alles zusammenkommt, ist unsere wirtschaftliche Entwicklung nicht mehr sicher .
Deshalb glaube ich: Zusammenhalt, Stabilität und
Vertiefung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ist in unserem vitalen Interesse . Der Kollege
Schäuble hat richtigerweise gefordert, dass sich die Mitgliedstaaten der Währungsunion an die Regeln halten
müssen; keine Frage. Aber zur finanziellen Stabilität des
Euroraums gehören ganz sicher auch die Harmonisierung
von Steuerbemessungsgrundlagen und eine weitgehende
Harmonisierung der Körperschaftsteuer . Dazu gehört übrigens auch, dass wir nicht immer nur sehr klar wissen,
wie finanzielle Solidität organisiert wird, sondern endlich
genauso klar wissen, dass wir die zweite Säule brauchen .
Wir brauchen Klarheit darüber, wie Wachstum und Beschäftigung sowie Arbeit und Innovation in Europa finanziert werden .
({19})
Daran mangelt es in Europa .
Meine Damen und Herren, für Deutschlands Stärke
im kommenden Jahrzehnt gibt es, glaube ich, wichtige
Grundwerte in unserer Republik . Wir dürfen uns nicht
abschotten oder abkehren von der internationalen Entwicklung, nicht von Europa und nicht vom Nahen Osten
oder von Afrika . Das Signal, dass Deutschland Flüchtlinge nicht abweist, sondern aufnimmt, ist übrigens ein Zeichen der Stärke, das unsere Partner in der Welt gut verstehen . Jedenfalls international wird es klar verstanden .
({20})
Natürlich müssen wir Fluchtursachen bekämpfen . Wir
müssen für Stabilität sorgen .
Gestern ist in der Debatte zu Recht, ich glaube, von
Frau Göring-Eckardt, auf die Rüstungsexportthemen
hingewiesen worden . Sie hat gesagt: Das dürft ihr nicht
machen . - Sie hat, glaube ich, zu mir gesagt, dass sie
mich am Handeln messen möchte . Deswegen habe ich
mir vorgenommen, heute dazu zumindest ein paar Bemerkungen zu machen .
({21})
- Da gibt es welche, die ihr das sicher erzählen werden .
({22})
Wenn ich fertig bin, könnte es sein, dass sie es ihr lieber
nicht erzählen .
Der Gesamtwert der Rüstungsexporte, Herr Krischer,
ist 2014 um 1,8 Milliarden Euro gesunken . Das sagt aber
eigentlich gar nichts über die Qualität von Rüstungsexporten aus .
({23})
Es können kleine Summen sein, weil Kleinwaffen
preiswert sind . Sie sind aber viel gefährlicher als vielleicht ein teures, großes Schiff .
Wir haben die Verkaufszahlen von Kleinwaffen, Herr
Krischer, halbiert, und wir haben den Rüstungsexport
in Entwicklungsländer ebenfalls halbiert . Die Top Vier
bei Kleinwaffen sind heute: NATO, EU, NATO-gleichgestellte Länder . 2015 haben wir in Deutschland den
Kleinwaffenexport so stark reduziert, dass für das erste
Halbjahr der geringste Wert seit 15 Jahren ausgewiesen
wird . Ehrlich gesagt, ich lasse mich bei dieser Bilanz
gern an meinem Handeln messen. Ich finde, das kann
noch besser werden, aber so schlecht wie in der Vergangenheit ist es in Deutschland Gott sei Dank nicht mehr .
({24})
Die Große Koalition ist weit restriktiver als alle Vorgängerregierungen, deren Genehmigungen übrigens noch
immer zum Teil die Ausfuhrstatistik prägen . Ich gebe zu,
dass ich mich darüber ärgere, dass ich immer noch Ausfuhrgenehmigungen mittragen muss, die von Vorgängerregierungen erteilt wurden . Die Bilanz wäre noch besser,
wenn ich das nicht müsste. Allerdings finde ich es besonders ärgerlich, wenn ausgerechnet Kollegen von den
Grünen mich dafür kritisieren; denn ich habe jedenfalls
keine Lizenzen erteilt, Fabriken für deutsche Gewehre
in Spannungsgebieten zu errichten . Im Gegenteil: Wir
haben in der Bundesregierung mit unseren Kleinwaffengrundsätzen gerade beschlossen, dass es solche Lizenzfertigungen in Zukunft gar nicht mehr geben wird . Wir
haben Schluss gemacht mit dem Liefern und Vergessen .
Wir verschärfen die Endverbleibskontrolle vor Ort, und
wir haben keine Kampfpanzer für Regionen genehmigt,
in denen Krieg herrscht und aus denen die Leute fliehen.
Vorgängerregierungen haben das getan .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
schlimm genug, dass es auch eine rot-grüne Regierung
gewesen ist, die das gemacht hat. Ich finde es nur nicht
ganz fair, wenn ausgerechnet ich für die Politik kritisiert
werde, die wir gemeinsam mit Ihnen - ich nicht; ich war
nicht dabei, aber ein paar von Ihnen
({25})
damals gemacht haben . Deswegen würde ich doch herzlich darum bitten, dass wir in der Debatte anständig und
fair miteinander umgehen .
({26})
Statt Waffen brauchen wir einen neuen Nord-Süd-Dialog . Das fängt damit an, mehr Mittel für internationale
Hilfsorganisationen zur Verfügung zu stellen . Es ist ja
eine Schande, wie die derzeitige Lage in Syrien ist . Das
UN-Flüchtlingshilfswerk verzeichnet für Syrien eine Finanzierungslücke von 200 Millionen Euro . 65 Prozent
der notwendigen Kosten sind nicht gedeckt . Dem regionalen Hilfsprogramm für syrische Flüchtlinge im Nahen
Osten fehlen 800 Millionen Euro - eine Unterfinanzierung von 60 Prozent . Das Welternährungsprogramm für
Syrien ist ebenfalls zu 60 Prozent unterfinanziert. Das ist,
finde ich, eine große Schande für die internationale Staatengemeinschaft .
({27})
Herr Minister, darf ich Sie nur darauf aufmerksam
machen, dass Sie fröhlich die Redezeit Ihrer Fraktion
verbrauchen?
({0})
Ich habe damit überhaupt kein Problem, möchte nur vermeiden, dass Sie ein Problem mit Ihrer eigenen Fraktion
bekommen .
({1})
Herr Präsident, ich würde sagen: Solange die noch
klatschen, geht es .
({0})
Dann wollen wir einmal abwarten, wie lange das anhält .
Wenn es das einzige Problem bleibt, dann ist doch alles gut .
({0})
Ich will der Ermahnung gerne nachkommen .
Zwei abschließende Bemerkungen .
Ich glaube, dass wir neben der Hilfe in den Herkunftsländern und den Nachbarstaaten dringend einen legalen
Zugang nach Europa und nach Deutschland brauchen .
Wir brauchen eine Alternative zu Schlepperbanden und
zu Menschenhändlern . Solange Menschen keine andere
Chance sehen, als über Schlepper und Menschenhändler
nach Europa zu kommen, werden wir das Elend an unseren Grenzen nicht los . Migration lässt sich nicht verbieten
oder verhindern . Die Migration, wie wir sie jetzt haben,
wird stattfinden, auch auf lange Zeit. Was wir brauchen,
sind Wege geordneter Migration . Deswegen rate ich uns
dringend, in Deutschland das Thema Einwanderungsgesetz voranzutreiben und übrigens auch in Europa für
eine solche Politik zu werben .
({1})
Ich fand die gestrigen Worte des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker bewegend und bin froh,
dass wenigstens ein erster Schritt getan wurde . Aber ich
finde, angesichts der Zahlen, die jetzt in Rede stehen,
muss man auch realistisch bleiben . Wenn Jean-Claude
Juncker 160 000 Flüchtlinge, die sich derzeit in Italien und Griechenland aufhalten, auf die europäischen
Mitgliedstaaten gerecht verteilen will und Deutschland
noch einmal 31 000 davon aufnehmen soll, also 20 Prozent, dann muss man die Zahlen ein bisschen einordnen: Deutschland hat bis vorgestern den Zugang von
450 000 Flüchtlingen registriert . Allein im August waren
es 105 000, und in den ersten acht Tagen des September
waren es bereits 37 000 . Vielleicht werden es im September mehr als 100 000 . Das zeigt, ehrlich gesagt, dass
die Umverteilung von 160 000 Flüchtlingen in Europa
ein erster Schritt ist, wenn man es freundlich bezeichnen
will . Man kann auch sagen: ein Tropfen auf den heißen
Stein .
({2})
Damit darf nicht alles erledigt sein . Wenn wir Europa erhalten wollen, haben wir viel zu tun . Aber vor allen
Dingen muss Europa zeigen, dass es seine humane Orientierung beibehält . Wir sind hier in Europa keine ZuBundesminister Sigmar Gabriel
gewinngemeinschaft, bei der man mitmacht, wenn man
Geld kriegt, sondern eine Verantwortungsgemeinschaft .
Juncker hat den ersten Schritt getan; die Mitgliedstaaten
Europas müssen deutlich mehr Schritte tun .
Vielen Dank .
({3})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Roland
Claus das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Bundes minister Gabriel, Sie haben, wie ich finde, berechtigterweise den Zusammenhang zwischen Ihrem Etat
und den aktuellen Flüchtlingsfragen beschrieben . Die
gute Absicht dabei will ich Ihnen auch nicht absprechen,
aber bei den Konsequenzen mangelt es erheblich .
Die gravierendste Ursache von Flucht und Vertreibung
sind bekanntlich Kriege . Vertreter der Koalition haben in
dieser Haushaltswoche zu Recht häufig gesagt, es gehe
darum, die Fluchtursachen zu überwinden . Für Kriege benötigt man Waffen . Deutschland liefert nach wie
vor Waffen, auch in Kriegsgebiete . Zum Beispiel führt
Saudi-Arabien mit deutschen Waffen Krieg im Jemen .
Das Wirtschaftsministerium ist für Waffenexportgenehmigungen zuständig, freilich nicht allein, aber
maßgeblich . Herr Bundesminister, Sie sind auf diesen
Vorgang eingegangen . Ich will Ihnen belegen, dass Sie
die Zahlen, die Sie ausgewählt haben, in Ihrem Sinne geschönt haben .
({0})
In der Welt vom 24 . Juni werden Sie, Herr Bundesminister, mit den Worten zitiert: Waffenexporte dürfen
„kein Mittel der Wirtschaftspolitik“ sein . Wie wahr . Fakt
ist aber - auch das ist nachzulesen -, dass im ersten Halbjahr 2015 Waffenexporte in Höhe von 6,5 Milliarden
Euro genehmigt wurden . Das sind genauso viele wie im
ganzen Jahr 2014, Herr Bundesminister . Das ist die
Wahrheit . Hier hilft es nicht, wenn Sie sich einzelne Zahlen heraussuchen .
({1})
Nachzulesen ist das im Spiegel vom 9 . August dieses
Jahres, und zwar in der Auswertung einer Anfrage meines Fraktionskollegen Jan van Aken . Der Spiegel vermutet - ich denke, nicht zu Unrecht -, dass das Jahr 2015 ein
Rekordjahr deutscher Waffenexporte ist . Herr Minister,
konsequent im Sinne der Bekämpfung von Fluchtursachen wäre es doch, zu sagen: Schluss mit den Waffenexporten! Verbieten Sie sie! Das wäre eine Konsequenz .
({2})
Eine zweite Konsequenz im Umgang mit dem Flüchtlingsproblem wäre, sich mit Industrieverbänden und
Kammern dafür einzusetzen, dass Flüchtlinge und Asylsuchende schnell in Arbeit und Ausbildung kommen . Das
will die Industrie bekanntlich . Aber Sie wissen wie wir,
dass das Asylrecht, das Zuwanderungsrecht dem enge
Grenzen setzt . Sie müssten sich doch zusammen mit
Bundesministerin Nahles und den Vorschlägen, die der
Chef der Bundesagentur für Arbeit, Herr Weise, gemacht
hat, auf den Weg machen und ein großes Programm auflegen, um die Situation zu vereinfachen und Flüchtlingen
und Asylsuchenden den Zugang zu Ausbildung und Arbeit zu ermöglichen .
({3})
Ich höre immer, man solle die Regeln vereinfachen, man
solle entbürokratisieren . Das wäre genau die Stelle, bei
der Sie beginnen sollten .
({4})
Die Linksfraktion hat zu diesem Problem Anfang
Juni eine Anhörung zum Thema „Industriepolitik in Ostdeutschland“ durchgeführt . Dort hat die Bundesagentur
für Arbeit ihre Vorschläge vorgetragen . Wir wundern uns
schon darüber, dass diese Vorschläge nicht im großen Stil
aufgegriffen werden . Wir fordern Sie auf, hier etwas zu
tun .
Der Wirtschaftsetat, meine Damen und Herren, ist
nach wie vor zur Hälfte für die Subventionierung staatsnaher Monopolisten vorgesehen, insbesondere in der
Luft- und Raumfahrt . Das so hoch gepriesene Zentrale
Innovationsprogramm für den Mittelstand macht gerade
ein Drittel der Subventionen für die staatsnahen Monopolisten aus . Das ist keine vernünftige Mittelstandspolitik .
({5})
Ich will noch ein Wort zur wirtschaftlichen Situation
in Ostdeutschland sagen . Ich freue mich darüber, dass der
Bundesminister heute auf dieses Thema eingegangen ist,
im Unterschied zu vorherigen Reden . Offenbar hat die
Kritik der Opposition doch einige Wirkung erzielt . Ich
habe bereits gesagt, dass wir im Juni zum Thema „Industriepolitik in Ostdeutschland“ mit Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft gesprochen und ihre Erkenntnisse wahrgenommen haben. Wir finden, dass es noch
immer eine große Reserve in diesem Land gibt . Ostdeutsche Industrieunternehmen haben einen ungeheuren
Erfahrungsvorsprung beim Bewältigen von Transformationen, mit denen wir es in der Wirtschaft noch zu tun
haben werden . Wir fordern Sie auf: Nutzen Sie diese Erkenntnisse! Bringen Sie sie ein! Nutzen Sie sie auch für
eine gesamtdeutsche Entwicklung! Hier ist noch vieles
zu leisten .
({6})
Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf verweisen, dass wir in Ostdeutschland ein großes Problem
mit dem hohen Anteil an Niedriglohn-, Zeitarbeits- und
Fristverträgen haben . Im Osten ist diese Gruppe der Beschäftigten trotz Mindestlohn nach wie vor etwa doppelt
so stark vertreten wie im gesamten Bundesdurchschnitt .
Da müssen endlich Änderungen auf den Tisch gebracht
werden .
({7})
Herr Bundesminister, Sie sagen häufig wohlklingende Worte zur Energiewende . Sie haben ja auch die Zuständigkeit für die erneuerbaren Energien . Wir möchten
Sie aber darauf hinweisen - das haben wir auf Anfrage
herausgefunden -, dass beim Umweltbundesamt die vorgesehenen Haushaltsmittel aus Ihrem Ministerium noch
immer nicht angekommen sind .
Also: Machen Sie nicht nur flotte Sprüche, sondern erledigen Sie die Hausaufgaben! Und vergessen Sie nicht:
Die Fluchtursachen können Sie angehen, indem Sie Waffenexporte einstellen und verbieten .
({8})
Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
800 000 Flüchtlinge in 2015, das müssen wir uns einmal plastisch vorstellen: Das ist so viel, wie die Stadt
Frankfurt am Main an Einwohnern hat . Das heißt, eine
Stadt wie Frankfurt kommt neu zu uns . Das ist eine gewaltige Herausforderung für uns alle . Und machen wir
uns nichts vor: Das ist nur eine Momentaufnahme . Denn
wer garantiert uns denn, dass das am 1 . Januar 2016
nicht so weitergeht, wie es bis zum 31 . Dezember 2015
läuft? Wer sagt uns denn, dass wir nächstes Jahr nicht
vor der gleichen Herausforderung stehen? Für uns alle
bedeutet das eine gewaltige Kraftanstrengung . Wir müssen uns gemeinsam, und zwar in allen Bereichen dieses
Landes, zusammenreißen und dafür sorgen, dass wir diese Herausforderung meistern . Dass so viele Leute eine
Willkommenskultur zeigen, ist nur erfreulich und zeigt,
wie reif unsere Demokratie ist und wie reif und auch wie
reich unser Land ist, weil wir uns das leisten können .
Die Flüchtlingsherausforderung meistern wir allerdings nur, wenn die deutsche Wirtschaft gut läuft . Machen wir uns bitte nichts vor: Ohne ein funktionierendes
Wirtschaftssystem in Deutschland werden wir solche
Herausforderungen nicht bewältigen können . Denn nur,
wenn die Wirtschaft gut läuft, gibt es haushälterische
Spielräume, die wir Gott sei Dank zurzeit haben und die
uns in die Lage versetzen, diese Herausforderung ohne
Neuverschuldung - dazu kann man dem Bundesfinanzminister nur gratulieren - zu meistern . Nur dann haben
wir auch einen aufnahmefähigen Arbeitsmarkt und vor
allen Dingen einen aufnahmefähigen Ausbildungsmarkt,
sodass gerade die jungen Leute, die zu uns kommen, untergebracht werden können . Das Wichtigste aber ist für
mich: Die gesellschaftliche Akzeptanz für den Zustrom
der Flüchtlinge ist umso höher, je besser die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist und je weniger sich die Einheimischen um ihren Arbeitsplatz Sorgen machen .
({0})
Volker Kauder hatte vollkommen recht, als er gestern
sagte: Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass die Wirtschaft weiterhin so gut läuft . - Ich bin ihm dafür dankbar .
Das muss für uns eine Mahnung sein, der wir nachkommen sollten .
Ich möchte an dieser Stelle einen Dreiklang nennen:
Erstens . Wir brauchen mehr Flexibilität und keinen zusätzlichen bürokratischen Schnickschnack;
({1})
den können wir uns gerade in der jetzigen Situation nicht
leisten .
({2})
Zweitens . Es darf zu keinen weiteren oder neuen Belastungen für die Wirtschaft kommen . Drittens . Jeglicher
Rückenwind, den wir ihr geben können, ist wichtig .
Ich komme zu den einzelnen Punkten . Zur Flexibilität . Wer als Flüchtling anerkannt ist, der sollte schnellstmöglich hier arbeiten können . Das heißt, wir müssen die
Arbeitsagentur schon jetzt, und zwar im frühen Stadium,
in die Flüchtlingscamps, die es gibt, einbinden . Gleichzeitig müssen wir Leute finden, die wir einsetzen können,
um die Sprachkenntnisse zu verbessern . Da kann man
auch unkonventionelle Methoden anwenden . Man kann
zum Beispiel darüber nachdenken, ob wir Pensionäre
bitten, mitzuhelfen; das ist ja durchaus denkbar . Wenn
wir das nicht schaffen, dann werden wir das Problem
auch nicht gelöst bekommen . Ohne Sprachkenntnisse
wird es nicht gehen .
Aber auch die Unternehmen müssen ein Stück weit
Flexibilität zeigen . Wir können nicht erwarten, dass jeder
hannoverisches Hochdeutsch spricht .
({3})
- Herr Krischer, Sie können das nicht . Deswegen regen
Sie sich nicht auf .
({4})
Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung am
Wochenende zum Beispiel beschlossen hat, dass es einen erleichterten Zugang von Flüchtlingen zur Zeitarbeit
gibt . Ich halte das für richtig; denn die Zeitarbeit ist immer eine vernünftige Brücke in den ersten Arbeitsmarkt
gewesen und ist gerade für Flüchtlinge eine Chance . Das
gilt aber auch für Werkverträge . - Jetzt ist die Ministerin
nicht da; aber Sie werden es ihr bestimmt ausrichten: Wir
brauchen hier keine Verschärfungen . Die Überlegungen,
die es im BMAS gibt, lassen wir lieber in der Schublade .
Zurzeit brauchen wir auf dem Arbeitsmarkt mit Sicherheit keine neuen Hürden .
({5})
Zur notwendigen Flexibilität gehört auch der zielgenaue Einsatz der Angestellten und Beamten . Ich bin
einem SPD-Kollegen dankbar, der einmal nachgefragt
hat, was denn mit den ganzen Zöllnern passiert, die zum
1 . Januar ihre Arbeit aufgenommen haben, um die Einhaltung des Mindestlohns zu kontrollieren . Wir sollten
uns die Zahlen einmal auf der Zunge zergehen lassen:
Es sind 24 970 Betriebe überprüft worden . Nun raten
Sie einmal, was man dabei festgestellt hat . - In 146 Fällen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet . Das heißt,
0,58 Prozent der überprüften Unternehmen haben sich
nicht an den Mindestlohn gehalten .
({6})
Prima vista, und die Einleitung eines Verfahrens bedeutet
ja nicht, dass wirklich etwas falsch gemacht wurde . Das
muss erst einmal bewiesen werden . - Das zeigt also, dass
wir hier vielleicht einen Fehler gemacht haben und die
1 600 Zöllner vernünftiger einsetzen können .
({7})
Ich halte es deswegen für völlig richtig, dass Wolfgang
Schäuble gesagt hat: Die nächsten 400 Zöllner stellen
wir nicht für die Kontrolle des Mindestlohns ein, weil
wir ein Misstrauen gegenüber den Unternehmen nicht
in dem Maße begründen können, wenn es maximal um
0,58 Prozent geht, sondern schicken wir zum BAMF und
sorgen dafür, dass die Integration und die Asylverfahren
beschleunigt werden . Genau das ist der richtige Weg .
Hier sollten wir umdenken .
({8})
Wir müssen auch bei den Prinzipien des Asylrechts
klare Kante zeigen . Ich bin dafür, dass wir das Asylrecht
so beibehalten, wie es ist . Es muss und darf in keiner
Weise infrage gestellt werden . Wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Aspekte müssen sich einer stringenten
Asylpolitik unterordnen . Dazu gehört auch eine konsequente Abschiebepraxis .
({9})
Derjenige, der langfristig kein Bleiberecht und kein
Asylrecht in Deutschland bekommen kann, weil er aus
einem sicheren Herkunftsland kommt, der muss zurückgeführt werden, und zwar nicht erst nach sechs Monaten,
sondern so schnell es geht .
({10})
Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg ist, über das
Thema Arbeitsmarktzuwanderung zu diskutieren, wenn
wir über 500 000 Leute noch nicht integriert haben . Wir
sollten uns da sehr zurückhalten und jetzt keine Diskussion darüber führen, weil das momentan nicht zielführend wäre .
Auch bei allen anderen Entscheidungen, die wir treffen müssen, sollten wir uns fragen: Nützen oder schaden
sie der Wirtschaft? Lieber Herr Minister, ich denke da
an Gesetzgebungsvorhaben, über die wir in nächster Zeit
heftig zu diskutieren haben werden, gerade zum Thema
Energiepolitik . Sie haben eben selbst davon gesprochen:
Mir macht der Kostenanstieg bei der Energiepolitik erhebliche Sorgen .
({11})
Wir werden ganz sicher deutliche Kostenerhöhungen
beim Netzausbau haben . Wir werden für die Kapazitätsreserve Geld zahlen müssen . Machen wir uns nichts vor:
Das geht nicht kostenlos .
({12})
All das wird über den Strommarkt und über den Strompreis zu finanzieren sein.
Meine Damen und Herren, machen wir uns bitte nichts
vor: Wir haben schon heute die höchsten Strompreise der
Welt .
({13})
Schauen wir einmal auf die USA . Die Amerikaner haben
sich vorgenommen, über niedrige Energiepreise ihren
industriellen Standort zu reindustrialisieren . Es kommt
zu einer Welle von Einwanderungen großer Firmen in die
USA, weil die Energiepreise so fantastisch niedrig sind,
dass es sich für sie lohnt, wegzugehen . Das darf uns nicht
passieren . Vor allem darf nicht passieren, dass dadurch
Wertschöpfungsketten kaputtgemacht werden . Hier sind
wir gefordert .
({14})
Ich denke auch, dass wir bei der Klimapolitik vorsichtig sein müssen; denn der Emissionshandel muss
zumindest auf dem europäischen Feld so sein, dass wir
das berühmte Level Playing Field erhalten und dass wir
keine zusätzlichen Kosten für unsere Unternehmen verursachen, die andere Unternehmen in Europa nicht zu
tragen haben . Auch bei sozialpolitischen Entscheidungen
müssen wir sehr vorsichtig sein . Die Rente mit 63 ist kein
Renner . Es sind zwar sehr viele in die Rente gegangen insofern ist es schon ein Renner -; aber es ist insofern
schlecht, dass gerade die, die jetzt so früh in Rente gegangen sind, als Leistungsträger und auch als Ausbilder
in den kleineren Betrieben wegfallen . Genau die Leute
könnten wir zurzeit gut brauchen .
({15})
Das war kein Erfolgsmodell .
Für mich gilt natürlich, dass wir alles tun müssen, um
der Wirtschaft Rückenwind zu geben . Ich bin froh, dass
der Bundesverkehrsminister höhere Investitionen in die
Infrastruktur und auch in die Digitalisierung vornimmt .
Das ist richtig .
Last but not least muss es unser Ziel sein - Herr Minister, wir sollten gemeinsam daran arbeiten; ich weiß,
dass Sie da voll auf unserer Seite stehen -, TTIP voranzutreiben . Ich ärgere mich darüber, mit welcher VerDr. Michael Fuchs
ve in Deutschland NGOs wie Campact etc . gegen TTIP
kämpfen .
({16})
Ich frage mich allerdings auch, woher diese Herrschaften
überhaupt das Geld bekommen .
({17})
Wir sollten da mal über Transparenz diskutieren . Es wäre
ja ganz nett, wenn wir von denen die Transparenz erhalten würden, die sie von uns permanent erwarten .
({18})
Da ich gerade bei TTIP bin, möchte ich gerne ein Beispiel dafür nennen, wie positiv ein Freihandelsabkommen wirken kann . Die EU hat vor drei Jahren mit Korea
ein Freihandelsabkommen geschlossen . Das ist für uns
Deutsche eine dicke Erfolgsstory . Wir haben innerhalb
von drei Jahren fast 32 Prozent mehr Exporte nach Korea
erreicht . Ich weiß, dass die Automobilindustrie am Anfang Angst davor hatte . Wenn man heute über koreanische Straßen fährt, dann stellt man fest, dass dort gerade
unsere teuren Autos sehr präsent und überall vertreten
sind . Das heißt: Das Freihandelsabkommen ist ein Erfolgsmodell .
Warum soll das nun mit den Amerikanern anders
laufen? Wir haben 176 Abkommen geschlossen . Diese
176 Abkommen machen einen Großteil unseres Erfolges aus . Das wird bei einem Abkommen mit der größten
Wirtschaftsmacht genauso sein . Insofern hoffe ich, dass
das schnell passiert . Am besten wäre es, unser Abkommen mit den Amerikanern würde vor dem Freihandelsabkommen geschlossen, das die Amerikaner zurzeit mit
den Asiaten aushandeln . Denn eines steht fest: Wenn mit
den Asiaten Standards gesetzt sind, dann wird man uns
vermutlich von amerikanischer Seite sagen: Wir haben
mit 1,8 Milliarden Menschen ein Freihandelsabkommen
geschlossen; da müsst ihr 500 Millionen Europäer euch
schon an diese Standards angliedern .
({19})
Da ist also dringender Handlungsbedarf gegeben . Ich
würde mir wünschen, dass das schnell vorangetrieben
wird .
Bei allen Herausforderungen der aktuellen Flüchtlingswelle gibt es auch Chancen . Ich sehe die Chance darin -die Bundeskanzlerin hat das in ihrer Rede gesagt -,
dass wir ein Stück weit entbürokratisieren, wieder flexibler werden und die Verkrustungen, die wir uns mittlerweile geleistet haben, aufbrechen . Ich will ein Beispiel
nennen: Wer aus Syrien geflohen ist, der braucht kein
Lärmschutzgutachten, wenn er neben einer Tischlerei
wohnt . Wer in eine neue Unterkunft kommt, der braucht
nicht unbedingt den allerletzten Energieeffizienzstandard . Wir haben uns über die Jahre Dinge geleistet, die
alle schön sind - „nice to have“, wie es so schön heißt -;
aber wir können uns das in dieser Phase nicht leisten .
Wenn wir das eine oder andere jetzt auf den Prüfstand
stellen, dann kann das durchaus ein Programm sein, das
sich für uns alle lohnt . Ich glaube, dass wir das schaffen
können . Wir sollten die Verkrustungen, die wir haben,
aufbrechen, und wir sollten jetzt gemeinsam Lösungen
finden, die der Wirtschaft helfen, die schwierigen Aufgaben zu lösen .
Danke .
({20})
Zu einer klarstellenden Erklärung zur Aussprache
nach § 30 unserer Geschäftsordnung erhält nun der Bundeswirtschaftsminister noch einmal kurz das Wort .
Herr Kollege Claus, Sie haben mich persönlich angegriffen und gesagt, ich hätte im ersten Halbjahr 2015
Lieferungen von Waffen in einer Größenordnung von
über 6 Milliarden Euro vor allen Dingen in Spannungsgebiete genehmigt . Sie haben Saudi-Arabien genannt .
Ich will nur zur Klarstellung sagen: Dieser Betrag - das
weiß Ihr Kollege, weil wir ihm korrekt geantwortet haben - ist deshalb so hoch, weil darin allein 1,1 Milliarden
Euro für Tankflugzeuge enthalten sind, aber für Großbritannien, und auch ein U-Boot für Israel . So zu tun, als
sei der übergroße Teil der Lieferungen im Umfang von
6 Milliarden Euro in Spannungs- und Kriegsgebiete gegangen, weise ich ausdrücklich zurück .
({0})
Herr Kollege Claus .
Herr Bundesminister, wenn Sie in Ihrer Rede nicht so
vollmundig und so selbstgefällig auf die Waffenlieferungen eingegangen wären,
({0})
wäre die Kritik nicht so klar ausgefallen . Aber Fakt
ist: 6,5 Milliarden Euro im gesamten Jahr 2014 stehen
6,5 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2015 gegenüber .
Das ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung,
nachzulesen im Spiegel.
({1})
Das können Sie nicht wegreden, indem Sie hier einen
Einzelposten hervorheben .
({2})
Deshalb sage ich noch einmal an Ihre Adresse gerichtet:
Ein Stopp der Rüstungsexporte wäre der richtige Weg
und nicht die Rechtfertigungsversuche, die Sie hier unternehmen .
({3})
Nun hat der Kollege Hubertus Heil das Wort .
({0})
- Nein? - Entschuldigung .
({1})
Zunächst hat der Kollege Oliver Krischer das Wort, danach der Kollege Heil .
({2})
Herr Präsident, ich hoffe, ich muss das nicht persönlich nehmen . Aber der Kollege Heil redet, glaube ich,
auch gerne nach mir .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gabriel, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie hier klare
Worte zum Thema Flüchtlinge, zum Thema Integration
und zum Thema Einwanderung gefunden haben . Ich
kann mich erinnern, dass sich der Privatmann Sigmar
Gabriel vor nicht allzu langer Zeit in Debatten noch ganz
anders geäußert hat . Ich begrüße es, dass Sie offensichtlich einen Erkenntnisgewinn haben . Ich hoffe, dass sie
angesichts der Herausforderungen, vor denen wir hinsichtlich der Integration der Flüchtlinge stehen, Führung
zeigen - gerade Sie als Wirtschaftsminister haben hier
eine herausragende Aufgabe -,
({0})
indem Sie dafür sorgen, dass die Menschen, die in unser
Land kommen, eine Perspektive haben, indem Sie klarmachen, dass Flüchtlinge aufgrund des demografischen
Wandels eine Chance für unser Land sind . Ich hoffe, dass
der Wirtschaftsminister hier, anders als manche Populisten - dafür ist Herr Seehofer zuständig -, klare Kante
zeigt und eine vernünftige Politik macht .
({1})
Wozu Sie überhaupt nichts gesagt haben, Herr Minister Gabriel, ist das Thema Investitionen . Das wundert
mich ehrlich gesagt; denn wir alle wissen, dass es in unserem Land sowohl im staatlichen als auch im privaten
Sektor ein riesiges Defizit bei den Investitionen gibt. Sie
haben mit großem Tamtam die Fratzscher-Kommission
ins Leben gerufen, die vor ein paar Monaten ihre Ergebnisse vorgestellt hat . Ich würde nun erwarten, dass der
Wirtschaftsminister unseres Landes im Zuge der Haushaltsberatungen sagt, was jetzt passiert . Aber darüber haben Sie kein einziges Wort verloren .
({2})
Wir haben nachgefragt: Was wird denn nun aus den Ergebnissen der Fratzscher-Kommission? Die Antwort ist:
Die Bundesregierung prüft . - Ja, meine Damen und Herren, es wundert schon, dass Sie angesichts der Investitionsschwäche, die wir haben, einen Haushalt vorlegen, in
dem die Investitionen weiter zurückgehen,
({3})
und dass die ohnehin schon verfehlte OECD-Quote in
der mittelfristigen Finanzplanung noch weiter abgesenkt
wird .
({4})
Das ist nicht nachhaltig, das ist nicht zukunftsfähig . Das
macht den Erfolg, den wir im Moment haben, in Zukunft
kaputt .
({5})
Sie haben viele Punkte angesprochen; ich möchte einen herausgreifen . Sie haben über die Digitalisierung der
Wirtschaft gesprochen . Was genau Sie vorhaben, habe ich
ehrlich gesagt nicht verstanden . Aber eines ist doch klar:
Wir bekommen in Deutschland nicht einmal die Basics
der Digitalisierung hin . Vom unzureichenden Breitbandausbau will ich gar nicht reden . In ländlichen Regionen
beklagen sich die Unternehmen ständig, dass sie deswegen ihre Geschäfte nicht richtig betreiben können . Aber
was ist mit dem kostenlosen Zugang zu WLAN? Das haben uns einige Länder voraus . Sie verhindern mit Ihrer
Politik und dieser absurden Regelung zur Störerhaftung,
dass es in unserem Land endlich überall und flächendeckend kostenloses WLAN gibt . In anderen Ländern gibt
es das längst .
({6})
Es ist doch ein Treppenwitz der Geschichte, dass eine
Graswurzelbewegung namens Freifunk nun ein Problem
löst, wozu Sie als Regierung nicht in der Lage sind . Ich
sage an dieser Stelle ganz deutlich: Danke Freifunk!
({7})
Zum Thema „Energiewende und Klimaschutz“ . Den
Klimaschutz haben Sie einmal erwähnt, nur am Rande,
und das trotz über 20 Minuten Redezeit . Vor zwei Jahren
habe ich gelesen, das Management der Energiewende sei
für Sigmar Gabriel der Weg zur Kanzlerschaft . Von einer
erfolgreichen Energiewende sind wir genauso weit entfernt wie von der Kanzlerschaft von Sigmar Gabriel . Der
Zusammenhang trifft zu, aber im Negativen .
({8})
Ich frage mich: Wo im Haushalt spiegelt sich die Energiewende wider? Wo spiegelt sich all das wider, was wir in
Sachen Klimaschutz im Vorfeld der Konferenz in Paris
tun müssen? Das ist alles viel zu wenig . Das ist dieser
globalen Herausforderung nicht angemessen .
({9})
Ganz offen gesagt: Was haben wir in der Zeit der
Großen Koalition in Sachen Energiewende eigentlich
gemacht?
({10})
Sigmar Gabriel hat einen einzigen relevanten Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht, den Entwurf einer EEG-Novelle, der vor einem Jahr verabschiedet worden ist . Das Ergebnis dieser EEG-Novelle ist: Die
Biogasbranche ist tot . Beim Solarausbau liegen wir weit
unterhalb der Korridore . Im Bereich Windenergie gibt es
einen Schlussverkaufseffekt, und kein Mensch weiß, wie
es nach 2017 in dieser Branche weitergeht; das wird Ihnen jeder bestätigen . Sie machen Ausschreibungen, die
eines beweisen: Es wird teurer und bürokratischer . Die
Bürgerenergiewende wird ausgebremst . Dazu sage ich:
Die Abrissbirne der Energiewende funktioniert ganz offensichtlich .
({11})
Bei allen anderen Themen kommt überhaupt nichts im
Bundestag an . Wir diskutieren über Strommarktdesign .
Es gibt Grünbücher, Weißbücher, Gelbbücher, was weiß
ich alles . Es gibt ein Vertragsverletzungsverfahren der
EU-Kommission bezüglich der Energieeffizienz. Es gibt
etliche Projekte, zum Beispiel das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz . Herr Post, es wurde vor einem Jahr angekündigt, hundertmal versprochen, aber es liegt nichts vor .
Sie simulieren, Politik zu machen . Das Ministerium kündigt an und formuliert Überschriften . Vielleicht erstellen
Sie das eine oder andere bunte Konzept; aber hier, wo die
Musik spielt, im Bundestag, kommt am Ende nichts an .
({12})
Das ist genau das Problem . Sie simulieren an dieser Stelle Politik, aber die notwendigen Entscheidungen werden
nicht getroffen . Sie erwecken den Eindruck, dass Sie etwas tun, aber in der Praxis passiert nichts .
({13})
An einer Stelle wäre es mir lieber, wenn nichts passieren würde . Aus dem sinnvollen Instrument der Kohleabgabe haben Sie das exakte Gegenteil gemacht - man
hätte auch etwas anderes vorschlagen können -: Wir steigen jetzt, just zu dem Zeitpunkt, zu dem wir es geschafft
haben, endlich die Subventionierung des Steinkohlebergbaus zu beenden, in die Subventionierung der Braunkohle ein . Es ist doch ein Treppenwitz, dass Deutschland
vor der Konferenz in Paris anfängt, die Braunkohle zu
subventionieren .
({14})
Das hat nichts mit Energiewende zu tun . Das hat nichts
mit Klimaschutz zu tun . Das ist die Zementierung der
Vergangenheit .
Lieber Herr Krischer .
Wir sollten eigentlich aus den Defiziten der Subventionierung des Steinkohlebergbaus gelernt haben . Das
wäre eine richtige Botschaft, die der Wirtschaftsminister
vermitteln müsste . Das tut er aber nicht .
Danke schön .
({0})
Und nun erhält der bereits angekündigte Kollege Heil
das Wort für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In fünf Minuten Redezeit einige Sätze
zu meinen Vorrednern:
Erstens . Herr Claus, das Notwendige zum Thema Rüstungsexporte hat der Minister selbst klargestellt . Winston
Churchill wird folgendes Zitat zugeschrieben: Glaube
nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast . - Wenn Sie
Durchschnittszahlen nehmen und sie nicht unterlegen,
wenn Sie nicht sagen, worum es geht, um Ihre Argumentation zu bekräftigen, dann ist das nicht nur wahrheitswidrig, sondern dann steckt im Kern auch eine ideologische Lüge dahinter . Das müssen Sie sich sagen lassen .
({0})
Zweitens . Geschätzter Kollege Fuchs, eine Bitte habe
ich für diese Debatte: Das Flüchtlingsthema ist mir zu
wichtig, um hier alte ideologische Debatten über den Arbeitsmarkt zu führen . Das muss ganz klar sein .
({1})
Es kann nicht sein, dass diese Herausforderung zum Vorwand genommen wird, um alles, was man schon immer
richtig gefunden hat, hier auf die Tagesordnung zu setzen .
Worum geht es praktisch? Wir haben einen großen
Konsens in der Koalition, dass wir das gemeinsam schaffen wollen, dass wir die Stärke dieses wirtschaftlich
starken und mitfühlenden Landes aktivieren wollen, um
diese Riesenherausforderung bewältigen zu können, um
die - wie hat der Minister das genannt? - dreifache Integrationsaufgabe leisten zu können: Erstens soll die große
Zahl derjenigen, die hier eine Perspektive haben, die das
Recht haben, dauerhaft hier zu bleiben - nicht alle haben
das Recht, hier dauerhaft zu bleiben -, integriert werden .
Dafür haben wir alles zu tun . Zweitens müssen wir unsere Gesellschaft während dieses Prozesses zusammenhalten . Drittens müssen wir Europa zusammenhalten und
auch auf dieser Ebene für Integration sorgen .
Das sind die drei Integrationsaufgaben, die wir haben . Da
ist die Investition in Sprache, in den Zugang zum Arbeitsmarkt etwas, Herr Kollege Fuchs, was wir gemeinsam
sehen . Was aber nicht passieren darf, ist, dass in der deutschen Bevölkerung der Eindruck erweckt wird, dass das
zum Vorwand für eine Deregulierung am Arbeitsmarkt
führt, damit mit Billiglohnkräften hier gesellschaftlicher
Unfrieden gestiftet wird .
({2})
Das muss ganz klar sein . Wenn das Konsens ist, dann
ist das an dieser Stelle gut . Deshalb habe ich den Zusammenhang mit den Kontrollen beim Mindestlohn nicht
ganz begriffen . Aber das besprechen wir vielleicht noch
einmal .
({3})
Lieber Kollege Krischer, ich weiß nicht, womit Sie
sich vor den Debatten immer betanken . Das muss irgendein Zaubertrank sein .
({4})
In der kurzen Redezeit so eine Suda von Polemik und
Unterstellungen loszulassen,
({5})
ist vielleicht dem innerparteilichen Wettbewerb um die
Listenplätze der Grünen beim nächsten Mal geschuldet .
Aber mit der Sache hat es wenig zu tun .
({6})
- Ich sage noch einmal: Wir können uns damit auseinandersetzen .
Wir haben in dieser Legislaturperiode energiepolitisch
eine ganze Menge vorgelegt, nicht nur die EEG-Reform .
Sie wissen ganz genau, dass jetzt ein sehr großes Paket
vor uns steht .
({7})
Sie werden genug Gelegenheit haben, Ihre Kompetenz
in der Energiepolitik, die Sie zweifelsohne haben, außerhalb der Polemik in diesem Hause unter Beweis zu stellen . Da können Sie sich ein bisschen mehr austoben als
mit solchen Reden .
({8})
Der Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen
Stärke und der Bewältigung der Aufgaben, die wir jetzt
vor uns haben, liegt in der Frage, dass wir uns eben nicht
zurücklehnen, sondern dass wir investieren .
Herr Kollege Krischer, Sie haben die Fratzscher-Kommission angesprochen . Zweifelsohne hat dieses starke
Land eine ganze Menge zu tun, zu investieren, damit es
auch langfristig ein starkes Land bleibt . Das betrifft öffentliche Investitionen, das betrifft privatwirtschaftliche
Investitionen . Sie haben gesagt, da täte diese Bundesregierung nichts - eine glatte Unwahrheit . Schauen Sie
einmal in den Haushalt! Schauen Sie sich an, was wir
getan haben, um Kommunen zusätzlich zu entlasten! Wir
werden jetzt dafür sorgen, dass den Kommunen durch die
Flüchtlingshilfe gezielt geholfen wird, damit diese Entlastung nicht wieder aufgefressen wird . 60 Prozent der
öffentlichen Investitionen sind kommunale Investitionen .
({9})
Diese zu stärken und zu stützen, damit wir tatsächlich
eine gute Infrastruktur, eine gute Daseinsvorsorge vor
Ort haben, ist auch wirtschaftlich vernünftig und im Interesse von kleinen mittelständischen Unternehmen in
diesem Land .
({10})
Genau das tun wir mit den zusätzlichen Paketen, die wir
beschlossen haben, mit den 5 Milliarden Euro, die wir
in diesem Jahr für die kommunale Entlastung zur Verfügung stellen .
({11})
Zusätzlich unterstützen wir finanzschwache Kommunen, die strukturelle Probleme haben . Wir haben die Mittel im Bereich der Infrastruktur deutlich erhöht . Wir haben zusätzlich 4,3 Milliarden Euro für Verkehrswege und
digitale Infrastruktur . Auch das kann sich sehen lassen .
Nicht zuletzt bei Bildung und Forschung haben wir
einen Rekordhaushalt, über den wir gleich noch reden
werden . Es gibt über 16 Milliarden Euro für Bildung und
Forschung in diesem Land .
({12})
Es geht nicht nur um physische Infrastruktur, sondern es
geht um die Potenziale, die wir im Bereich Bildung und
Bereich Forschung in diesem Land heben .
({13})
- Nein, wir investieren mehr . Das kann man auch nicht
verfälschen .
({14})
Sie haben gefragt, was wir für Energieeffizienz tun.
Wir haben in diesem Haushalt zusätzlich 1,2 Milliarden
Euro für Energieeffizienz.
Herr Kollege Krischer, ich weiß nicht, ob Sie evangelischer oder katholischer Christ sind - an was Sie glauben, ist Ihre private Sache -, aber auch für Sie gilt der
Satz: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen
Nächsten,
({15})
Hubertus Heil ({16})
was die Frage der Investitionsquoten in diesem Haushalt
betrifft .
({17})
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland ist ein starkes und mitfühlendes Land .
Wir haben eine ganze Menge vor uns, damit dieses Land
wirtschaftlich stark bleibt und damit es die Aufgaben
in der Welt, die vor uns stehen, auch bewältigen kann:
ob es die Frage der Digitalisierung ist, die Frage der
Fachkräfte sicherung, die Frage der Energiewende und
auch die Frage, wie wir uns als exportorientiertes Land
international aufstellen .
Dieses Land hat alle Chancen, das zu schaffen . Die
Voraussetzungen sind ausgezeichnet . Wer aber, wie zumindest die Linkspartei, in diesem Land so tut, als sei
Deutschland auf dem Weg in die Verelendung, der ist
nicht nur am Lebensgefühl der Menschen vorbei, sondern auch an der Realität . Es geht darum, berechtigte
Hoffnungen zu machen und ohne Träumereien die harten
Aufgaben anzugehen . Wir können das schaffen . Diese
Bundesregierung leistet einen Beitrag, dass wir auf dieses Land wirtschaftlich stolz sein können .
Herzlichen Dank .
({18})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Ernst für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Heil, wir würden den Weg in die
Verelendung propagieren oder so tun, als wäre - Woher
haben Sie das? Sie werfen hier dem Kollegen Krischer
Polemik vor . Wenn es nicht die höchste Form der dummen Polemik war, so einen Quatsch zu erzählen, dann
weiß ich es wirklich nicht mehr . Ein Linker vertritt nie
eine solche Position .
({0})
Herr Fuchs, Stichwort TTIP: Jetzt fahren Sie doch
einmal nach Korea, dann sehen Sie dort deutsche Autos,
fahren Sie nach Japan, dann sehen Sie dort deutsche Autos . Warum Handelsabkommen?
({1})
Schauen Sie einmal, wir waren doch zusammen in China .
Haben wir ein Freihandelsabkommen mit China? Nein .
Was haben wir dort gesehen? VW, Audi . Was sehen wir,
wenn wir in den USA sind? Deutsche Autos . Sie tun ja
so, als wäre der Export der Bundesrepublik tot, wenn es
kein TTIP gibt . Sie wissen, dass es bei TTIP um etwas
anderes geht . Es geht darum, die Regeln nach unten zu
drücken . Deshalb sind wir gegen TTIP, Herr Fuchs .
({2})
Herr Minister, Sie haben natürlich die positive Entwicklung Deutschlands angesprochen . Da sind wir uns
einig . Ja, Wachstum toll, Beschäftigung gut, Steuermehreinnahmen . Aber einige Punkte müssen wir schon noch
aufgreifen .
({3})
Der erste Punkt ist: Wir haben Exportüberschüsse, die
den Zusammenhalt Europas gefährden . Das wissen Sie .
Jetzt kann man natürlich Exportweltmeister sein . Das ist
nicht schlimm, im Gegenteil . Wir sind nicht gegen Exporte - das werfen Sie uns ja auch immer vor -, aber wir
sind dagegen, dass wir zu wenig Importe haben . Darüber müssen wir reden . Warum haben wir zu wenig Importe? Weil die Lohnentwicklung in der Bundesrepublik
Deutschland in den letzten zehn Jahren eben nicht mit
der wirtschaftlichen Entwicklung mitgehalten hat, weil
die Löhne von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt wurden . Deshalb ist natürlich zu wenig Kaufkraft in der Bundesrepublik vorhanden, übrigens auch zu
wenig Mittel für Investitionen und auch dafür, dass wir
genügend Importe haben . Dazu habe ich - das tut mir
leid - in Ihrem Vortrag überhaupt nichts gehört .
({4})
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau sagt:
. . . der Staat vernachlässigt mit den langjährig negativen Nettoinvestitionen in die Infrastruktur eine
seiner ökonomischen Kernaufgaben .
Viel zu wenig Initiative . Sie wissen: Was Sie machen, ist
ein Tropfen auf den heißen Stein . Auch mit diesem Haushalt bleibt das Investitionsvolumen weit hinter den Anforderungen zurück; das wissen Sie . Warum? Weil sich
diese Bundesregierung nicht traut, die wirklich Reichen
über angemessene Steuern für das Gemeinwohl heranzuziehen . Das ist das Problem .
({5})
Wenn die CSU diskutiert, die Erbschaftsteuer sogar
ganz abzuschaffen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Das
ist ein sehr interessanter Vorschlag . In der Bayerischen
Verfassung heißt es wörtlich:
Die Erbschaftsteuer dient auch dem Zwecke, die
Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen
einzelner zu verhindern .
Schlau waren die Bayern damals bei der Formulierung
ihrer Verfassung .
({6})
Ein wenig dieser Klugheit würde ich ihnen heute wünschen .
({7})
Hubertus Heil ({8})
Wenn Sie als bayerische Abgeordnete einer Abschaffung der Erbschaftsteuer wirklich zustimmen und dieses
Vorhaben vorantreiben, kann ich Ihnen sagen: Dann sind
Sie ein Fall zumindest für den bayerischen Verfassungsschutz . Der müsste sich dann um Sie kümmern .
({9})
Dabei ist es dringend notwendig, die massive Ungleichheit in Deutschland anzugehen . Das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung sagt: Das reichste Tausendstel der Deutschen besitzt 17,3 Prozent des Nettovermögens .
({10})
Ein Tausendstel! Die untere Hälfte, also 50 Prozent der
Deutschen, müssen sich mit 2,5 Prozent des Nettovermögens begnügen . Da wäre es doch tatsächlich eine
Möglichkeit, diese Gruppe von Superreichen zumindest
ein wenig mehr bei der Finanzierung des Gemeinwohls
heranzuziehen . Aber da scheuen Sie sich, da trauen Sie
sich nicht heran .
Das führt dazu, dass Sie dann bei der Frage der Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur auf ganz absurde
Ideen kommen . Herr Krischer hat darauf hingewiesen .
Sie kommen auf die Idee, die Privaten sollen doch bitte
die öffentlichen Aufgaben übernehmen und die öffentliche Infrastruktur finanzieren. Glauben Sie eigentlich,
dass die das umsonst machen? Die machen das nur gegen
Rendite, und zwar gegen ausreichende Rendite . Weil Sie
ihnen das Geld, das sie zu viel haben, nicht abschöpfen,
versuchen sie natürlich, das Geld gewinnbringend anzulegen . Das gelingt ihnen zurzeit nicht so richtig . Also will
der Staat diesen hohen Vermögen auch noch die Rendite
garantieren . Deshalb machen Sie diese Förderung von
öffentlich-privaten Partnerschaften bei der öffentlichen
Infrastruktur .
({11})
Die Zeche zahlt der Bürger über höhere Steuern, weil
er die Rendite finanziert, oder über die Gebühren bei der
Maut, dem dümmsten Projekt seit dem Turmbau zu Babel . Das ist der Punkt .
({12})
Genau darum geht es . Da sagen wir: Mit diesen Vorstellungen sind wir überhaupt nicht einverstanden . Das, was
Sie hier dargestellt haben, ist keine Lösung .
Einen Punkt möchte ich noch ansprechen . Es ist ja
wirklich kaum zu glauben . Herr Fuchs, ich weiß, dass
Ihnen der Mindestlohn nicht gefällt und dass Sie sich nur
zähneknirschend bereit erklärt haben, dem zuzustimmen .
Jetzt haben wir den Mindestlohn . Jetzt haben Sie endlich
endlich! eine Begründung gefunden, warum man die Finanzkontrolle Schwarzarbeit nicht so schnell ausbauen
muss: Weil doch Flüchtlinge kommen, die aufgenommen
werden sollen! Wenn sich die Bundesrepublik Deutschland, unser Land, nicht mehr Finanzkontrolleure und zusätzliche Personen leisten kann, die die Menschen, die
zu uns kommen, registrieren, dann kann ich wirklich nur
sagen: Armes Deutschland!
({13})
Aber Ihnen geht es um etwas anderes . Sie wollen die
Flüchtlingsproblematik benutzen, um die Finanzkontrolle Schwarzarbeit nicht auszubauen . Oder nehmen Sie das
Beispiel, wie viele Fälle tatsächlich zu Verfahren geführt
haben . Herr Fuchs, mit dieser Argumentation kann man
sämtliche Blitzer auf Autobahnen abschaffen,
({14})
wenn man sagt: Moment einmal, es ist ja nur ein kleiner
Teil, den es betrifft .
({15})
- Ich weiß gar nicht, wie Sie darauf kommen, dass ich
davon betroffen wäre . - Ich sage Ihnen nur: Wenn Sie die
Blitzer abbauen, dann fährt jeder schneller . Genauso ist
es beim Mindestlohn . Wenn Sie ihn nicht kontrollieren das wollen Sie nicht -, dann führt das dazu, dass es mehr
Menschen gibt, die ihn nicht einhalten .
Herr Kollege Ernst .
Deshalb sage ich Ihnen - ich bin gleich fertig, Herr
Präsident -: Ihr eigentliches Ziel ist, den Mindestlohn zu
sabotieren, und deshalb auch dieser Vorschlag . Das ist
unerträglich .
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner der
Kollege Joachim Pfeiffer .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland
geht es gut, und zwar trotz permanenter Krisen seit 2008,
egal ob Finanzkrise, europäische Unsicherheiten, Strukturkrisen, Verschuldungskrisen, Ukraine-Krise oder jetzt
auch Flüchtlingen . Den anderen Ländern geht es nicht
so gut .
Warum geht es Deutschland gut? Ich glaube, das hat
eine ganze Reihe von Gründen . Ich will einen nennen,
der heute und gestern so nicht erwähnt wurde: Deutschland geht es auch gut, weil wir in Deutschland stabile
politische Verhältnisse haben,
({0})
weil wir in den letzten zehn Jahren stabile, gute Regierungen hatten,
({1})
die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa
und weltweit anerkannt sind und weltweit mithelfen, die
Krisen zu bewältigen . Deshalb haben wir auch sozialen
Frieden in Deutschland . Deshalb kommen viele Investitionen aus dem Ausland nach Deutschland . Es wird hier
investiert: in Infrastruktur - darauf komme ich nachher
noch -, in Immobilien oder in Werte. Davon profitieren
wir . Diese Investitionen befeuern auch unser Wachstum .
Deutschland geht es gut, weil wir heute die Ergebnisse der Saat ernten, die mit Strukturreformen am Arbeitsmarkt ausgebracht wurde . Ich nenne ausdrücklich - auch
an den Koalitionspartner gerichtet - die Agenda 2010 .
Heute profitieren wir davon, dass die SPD damals den
Mut hatte, dieses Thema anzugehen . Ich würde mir heute
wünschen, Sie wären ein bisschen stolzer auf das, was
Sie damals getan haben .
({2})
Manchmal hat man den Eindruck, dass die Agenda
2010 ein vaterloses oder mutterloses Kind ist . Wir haben
sie damals aus der Opposition heraus und im Bundesrat
unterstützt, weil wir sie für richtig hielten. Heute profitieren wir in Deutschland gemeinsam davon .
Wir haben die Negativspirale von immer weniger
Beschäftigung, damit weniger Einnahmen in der Sozialversicherung und weniger Steuereinnahmen durchbrochen . Heute sind wir in einer positiven Spirale . Wir
haben mit über 43 Millionen Menschen den höchsten
Beschäftigungsstand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, wir haben die höchsten Einnahmen
in der Sozialversicherung und können deshalb trotz verschiedener Ausgaben, über deren Sinnhaftigkeit man sich
in der Tat streiten kann, beispielsweise den Beitragssatz
zur Rentenversicherung senken . Wir haben die höchsten
Steuereinnahmen, und wir haben, Herr Finanzminister,
eine Nullverschuldung, einen ausgeglichenen Haushalt .
Das ist das Beste, was wir den nachfolgenden Generationen hinterlassen können, dass sie nicht unsere Schulden
abzahlen müssen . Wir machen keine neuen Schulden und
führen sogar Schulden zurück .
Wir haben aber auch positive Effekte, die sicher nicht
von Dauer sein werden . Allein die niedrigen Energiepreise bringen in diesem Jahr einen positiven Effekt für
die Volkswirtschaft in Höhe von ungefähr 50 Milliarden
Euro . Ich glaube, das wird nicht von Dauer sein .
Auch bei anderen Rohstoffen ist die Versorgung heute
günstiger und sicherer, als es vor Jahren zum Beispiel bei
den Seltenen Erden der Fall war . Aber auch hier müssen
wir, glaube ich, rechtzeitig handeln, weil auch dies nicht
gottgegeben ist .
Auch die Zinsen werden auf Dauer nicht so niedrig
bleiben, wenngleich wir durch kluges Umschulden jetzt
erreichen können, diese niedrigen Zinsen für längere Zeit
zu sichern, indem man heute lang laufende oder länger
laufende Staatsanleihen auflegt, die mit ihren niedrigen
Zinsen dazu beitragen, diesen Effekt, wenn es ihn nicht
mehr geben sollte, für die nächsten 10, 15 oder 20 Jahre
zu sichern . Das ist solides und nachhaltiges Wirtschaften
unter Führung der Union in Deutschland . Deshalb steht
Deutschland heute in Europa und in der Welt so gut da .
({3})
Wir dürfen uns aber nicht ausruhen . Denn dieser
Wohlstand, den wir erarbeitet haben, braucht weiterhin
Wachstum, und Wachstum braucht freien Handel . Wachstum braucht Innovation, und Wachstum braucht Freiheit
und Wettbewerb . Deshalb sind das die Stellschrauben,
die wir bedienen müssen .
Ich will noch einmal zum Freihandel kommen . Es ist
seit Ricardos Zeiten unbestritten, dass die Nationen, die
sich am freien Handel beteiligen, Vorteile davon haben,
und zwar beide Beteiligten und auch die Menschen in
diesen Ländern .
({4})
Alle Länder dieser Welt, die sich nicht am Freihandel beteiligen, geht es schlechter als denen, die sich beteiligen .
Nordkorea geht es in der Tat nicht besser als Südkorea,
um damit das Thema Freihandelsabkommen noch einmal anzusprechen . Kollege Ernst, in der Tat haben wir
auch vorher Autos nach Südkorea exportiert . Nur: Vor
drei Jahren lag in Südkorea der Anteil deutscher Autos
im Premiumsegment - der Kollege Fuchs hat es angesprochen - unter 20 Prozent . Die Mehrheit kam aus Japan und Südkorea . Heute hat sich dies durch veränderte
Rahmenbedingungen beim Zoll, beim Import und bei
den Standards umgedreht . Heute beträgt der Anteil deutscher Autos im Premiumsegment in Südkorea mehr als
80 Prozent . Das ist das Ergebnis des Freihandelsabkommens, und deshalb ist Freihandel gut für Deutschland, für
unsere Wirtschaft, die Arbeitsplätze und die Menschen in
diesem Land .
({5})
Deshalb wollen wir mit CETA, dem Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada, und dem
Freihandelsabkommen mit den USA, das verhandelt
wird, neue Standards in der Welt setzen, und zwar in allen Bereichen die höchsten Standards, die wir haben .
Alles, was Sie vorhergesagt haben, ist nicht eingetroffen . Was haben Sie nicht alles bemüht . Das Chlorhühnchen ist in der Versenkung verschwunden,
({6})
weil alle gemerkt haben, dass das so nicht stimmt . Die
Verbraucherschützer haben gesagt: Nein, das ist überhaupt nicht gesundheitsgefährdend .
Dann haben Sie von Geheimverhandlungen gesprochen . Auch das ist an Dummheit nicht zu überbieten .
Auch dazu wurden Sie eines Besseren belehrt .
Die Schiedsgerichtsverfahren haben Sie unter anderem als Paralleljustiz bezeichnet . Dabei sind wir nicht
nur diejenigen, die es erfunden haben, sondern wir wären
auch die größten Profiteure.
Herr Kollege Pfeiffer, der Kollege Gambke möchte
eine Zwischenfrage stellen .
Gerne . Die Redezeit geht eh so schnell um . Vielen
Dank .
Bitte schön .
Herr Pfeiffer, Ihre Behauptungen in Richtung Freihandelsabkommen bedürfen einer Bemerkung von meiner
Seite . Sie sagen, dass nur mit einem Freihandelsabkommen - Sie sagen aber nicht, mit welchem - der Autoexport
nach Südkorea hätte gesteigert werden können . Ich frage
Sie: Würden Sie, wenn Sie heute einen Kreditvertrag abschließen wollen, einen Vertrag über 10 Prozent Zinsen
unterzeichnen und sagen: „Jeder Kreditvertrag ist gut“?
Oder würden Sie nicht auch meiner Meinung folgen, dass
1,5 bis 2 Prozent Zinsen angemessen wären? Das Gleiche
gilt für Freihandels- und Handelsabkommen . Sie können
heute Autos in die USA exportieren . Es geht allein um
den Zoll, der übrigens für Pick-ups 14 Prozent beträgt .
({0})
Das heißt, es geht um die Inhalte eines Abkommens und
nicht um ein Abkommen als solches .
({1})
Das ist doch unstrittig . Da haben Sie völlig recht . Genau deshalb verhandeln wir doch über dieses Freihandelsabkommen .
({0})
Wir als Bundesrepublik Deutschland und die anderen
27 Länder der Europäischen Union haben der Europäischen Union, die federführend über das Abkommen verhandelt, ein Mandat erteilt . Darin wurden klare Rahmenbedingungen gesetzt, zum Beispiel, dass die Kommunen
hinsichtlich der Daseinsvorsorge keiner Privatisierungspflicht oder Sonstigem, was Sie erwähnen, unterliegen.
Die Kommunen können weiterhin entscheiden, ob sie
Dienstleistungen der Daseinsvorsorge selber erbringen
oder beispielsweise von Dritten erbringen lassen . Wenn
sie sie von Dritten erbringen lassen, dann sind diese Dritten - egal ob sie aus Deutschland, aus Westeuropa, aus
den USA oder aus Kanada kommen - aber selbstverständlich gleichzubehandeln wie Inländer . Das Gleiche
wollen wir in den USA, wo wir heute vom öffentlichen
Beschaffungsprozess weitestgehend ausgeschlossen
sind . Dort gibt es diese Gleichbehandlung also noch
nicht . Deshalb verhandeln wir das . Da haben Sie recht .
Die allermeisten der Grünen - von den Linken sowieso - und andere Empörungsaktivisten, die davon leben,
dass sie solche Dinge hochziehen, wissen aber anscheinend schon vorher, was dabei herauskommt .
({1})
Wir wissen noch nicht, was dabei herauskommt,
({2})
sondern wir verhandeln ernsthaft mit den USA, mit Kanada und auch mit anderen Ländern, zum Beispiel, wie
Sie wissen, mit den ASEAN-Staaten und mit China, über
ein Freihandelsabkommen . Im Ergebnis wird dies hoffentlich dazu führen, dass der Freihandel weiter zunimmt
und damit alle Beteiligten einen positiven Effekt erzielen . Deshalb lohnt es sich, dafür zu kämpfen .
Der Bundeswirtschaftsminister hat an dieser Stelle ja
auch mehrfach eigene Vorschläge gemacht, zum Beispiel
für Schiedsgerichtsverfahren, und gesagt, dass man hier
neue internationale Handelsgerichtsbarkeiten etablieren
könnte . Daran wird hart gearbeitet .
({3})
Ich bin eigentlich immer noch bei der Beantwortung der
Frage des Herrn Gambke .
Ja, ja .
Ich sehe gerade aber, die Uhr läuft weiter . - Nach dem
Thema „freier Handel“ möchte ich nun auch auf die Innovationen und den Bereich „Forschung und Entwicklung“ eingehen .
Der Kollege Heil hat es angesprochen: Allein für den
Forschungsetat stellen wir 16,4 Milliarden Euro zur Verfügung, und 3 Milliarden Euro zusätzlich fließen aus
dem Etat des Wirtschaftsministers in die anwendungsorientierte Forschung . Dieses Jahr werden also über
19 Milliarden Euro dafür ausgegeben . Seit 2005, seitdem die Union in die Regierung gekommen ist und sie
seither führt, hat sich dieser Betrag mehr als verdoppelt .
Damals waren es 7,5 Milliarden Euro, heute geben wir
über 19 Milliarden Euro und damit mehr als 3 Prozent
des Bruttosozialprodukts dafür aus .
Insbesondere Sie von den Linken sagen zum wiederholten Male, die Ausgaben für Luft- und Raumfahrt
wären vergebliche Liebesmühe . Entweder Sie wollen
es nicht verstehen, oder Sie können es nicht verstehen .
Wahrscheinlich beides . Sie fordern auch den digitalen
Wandel . Als Stichworte seien nur einmal genannt: Internet der Dinge, Industrie 4 .0, Connected Cars . Wie soll
das denn ohne Satelliten und ohne eine genaue Navigation funktionieren?
({0})
Dafür brauchen wir Galileo, das europäische Satellitennavigationssystem . Ohne dieses System würde keine Anwendung funktionieren . Flutbewältigung, Registrierung
des Waldwachstums und der CO2-Emissionen, Klimaschutz: Für all dies ist heute eine Erdbeobachtung mithilfe von Satelliten zwingend notwendig . Anders funktioniert es nicht . Hierin sind wir weltweit führend .
Wie bringen wir die Satelliten ins All? Mit Raketen,
und hoffentlich nicht nur mit russischen, amerikanischen
oder chinesischen, sondern mit europäischen Trägersystemen . Deshalb ist es richtig, dass wir die Ariane 6 entwickeln und wir in diesem Bundeshaushalt zusätzliche
Mittel für die internationale und die europäische Luftund Raumfahrt einstellen . Genau das Gleiche gilt auch
in Bezug auf Airbus . Wir müssen hier die Forschung und
Entwicklung vorantreiben .
({1})
Das hilft dem Mittelstand und schafft Arbeitsplätze .
Für den digitalen Wandel ist in der Tat eine digitale
Infrastruktur notwendig . Deshalb fördern wir den Breitbandausbau mit zusätzlich über 1,4 Milliarden Euro aus
dem Bundeshaushalt . Dies geschieht aber technologieoffen . Wir brauchen hier mehrere Technologien .
Durch den digitalen Wandel ergeben sich auch ganz
neue Herausforderungen für den Mittelstand . Ich nenne
nur einmal das Stichwort „Cybersicherheit“ . Es ist auch
für mittelständische Unternehmen eine der größten Herausforderungen, dass ihr Know-how gesichert bleibt
und nicht auf irgendwelchen Servern in anderen Ländern
dieser Welt auftaucht und die getätigten Investitionen
und erzielten Innovationen verloren gehen . Auch dafür
müssen wir sorgen . Dabei ist das IT-Sicherheitsgesetz ein
erster Punkt .
Herr Kollege Krischer, Störerhaftung ist in der Tat
ein Problem . Das haben wir erkannt und diskutiert . Am
16 . September ist dies im Kabinett, und das Problem
wird abgestellt . Sie aber haben sich in der Sache, etwa
durch Vorschläge, nicht beteiligt .
({2})
Das ist ein schwieriges Thema, bei dem man zwischen
Datenschutz und Sicherheit abwägen muss . Wir aber
werden dieses Problem am 16 . September, also nächste
Woche, im Kabinett lösen .
({3})
Der WLAN-Zugang ist dann künftig über ein Passwort
möglich . Ich glaube, dieser Vorschlag ist eine gute Lösung .
({4})
Public-private-Partnership ist angesprochen worden .
Das, was Sie gesagt haben, Herr Ernst, ist an Dummheit wirklich nicht zu überbieten . Was kann denn daran
schlecht sein, wenn man privates Geld mobilisiert? - Ich
sehe, der Kollege Ernst meldet sich zu einer Zwischenfrage .
({5})
Nein, mit Blick auf die Gesamtredezeit, die wir vereinbart haben,
({0})
muss ich darauf achten, dass wir im Rahmen bleiben .
({1})
Ich weiß, dass Sie gerne eine beliebige Zahl von Zwischenfragen zulassen würden . - Bitte schön . Sie haben
jetzt noch zehn Sekunden .
({2})
Was kann schlecht daran sein, wenn deutsche Versicherer ihr Geld, privates Geld, in die deutsche Infrastruktur investieren? Warum sollen sie es im Ausland investieren?
({0})
Was kann schlecht daran sein, dass ausländische Pensionsfonds in deutsche Infrastruktur investieren? Gar
nichts, im Gegenteil .
({1})
Insofern sind Ihre Vorbehalte wirklich nicht nachvollziehbar .
Es gäbe noch viel zum Thema Energie, zum Thema
Wettbewerb und auch zum Thema Arbeitsintegration zu
sagen .
({2})
Aber das müssen wir offensichtlich in der zweiten Runde
nachholen . - Sie sehen: Deutschland ist gut regiert und
auf gutem Kurs . Wir wollen, dass das weiterhin so bleibt .
Die Union wird zusammen mit der SPD in den nächsten
Jahren dafür sorgen .
({3})
Julia Verlinden ist die nächste Rednerin für die Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Ziele des Energiekonzepts aus
dem Jahre 2010 hätten für die Bundesregierung weiterhin
Bestand - das sagen Sie zumindest immer . Wir Grüne
haben diese, also Ihre Ziele für das Jahr 2020, mit den
aktuellen Zahlen aus diesem Sommer verglichen . Das
Ergebnis ist erschütternd: Deutschland ist bei fast allen
Indikatoren noch weit von seinen Zielen entfernt . Ob
beim Energiesparen im Verkehr, beim Heizen oder beim
Stromverbrauch: Das Erreichen Ihrer eigenen Ziele liegt
in weiter Ferne, obwohl uns nur noch fünf Jahre bleiben .
Auch bei der Nutzung der erneuerbaren Wärme oder der
Elektromobilität geht es absolut gar nicht voran . In der
Schule gäbe es für dieses Ergebnis eine glatte Sechs .
({0})
Jetzt könnte man erwarten, Sie machen das wie jede
professionelle Organisation oder wie ein Wirtschaftsunternehmen: Sie analysieren die Zahlen, merken, dass Sie
nicht auf dem richtigen Pfad sind, und steuern um . Dazu
böten jetzt die Haushaltsberatungen eine wunderbare Gelegenheit, etwa Programme aufzulegen, damit Sie das,
was Sie sich selbst vorgenommen haben, bis zum Jahr
2020 auch schaffen . Aber das Gegenteil ist der Fall . Es
gibt ein gelangweiltes Schulterzucken, und Sie machen
einfach weiter wie bisher . So kann man Sie als Regierung
echt nicht ernst nehmen!
({1})
Die Energiewendeziele sind ja kein Selbstzweck,
sondern sie sind angesichts der Klimakatastrophe überlebensnotwendig . In diesem Haushalt sehe ich: Sie haben
den Ernst der Lage noch nicht begriffen .
({2})
Im Haushalt sind viel zu wenig Mittel für Effizienz und
Erneuerbare, und Sie fördern weiter fossile Energieträger, anstatt endlich den Ausstieg einzuleiten .
Beispiel Energieeffizienz. Die steuerliche Förderung
der energetischen Gebäudesanierung ist bekanntlich an
Ihrem Rumpelstilzchen aus Bayern, an Herrn Seehofer,
gescheitert . Die Ersatzmaßnahmen, die Sie nun planen,
werden wohl kaum dieselbe Wirkung wie die steuerliche
Förderung erzielen .
Oder die erneuerbaren Energien im Wärmebereich .
Seit Jahren dümpelt der Anteil bei 10 Prozent vor sich
hin . Sie erzählten uns noch im Frühjahr, Sie hätten die
Förderungsbedingungen für das Marktanreizprogramm
verbessert, stellen jetzt dafür aber nur 1 Prozent mehr
Mittel ein . Warum trauen Sie Ihren eigenen Verbesserungen nicht mehr zu?
({3})
Für Kanzlerin Merkel und Minister Gabriel gehen
Lobbyinteressen der fossilen Energiewirtschaft vor Klimaschutz und Energiewende . Mit dieser Politik werden
Sie beim Klimagipfel in Paris wahrlich niemanden beeindrucken .
({4})
Die Frage, die man sich stellen müsste, ist doch: Wen und
was wollen wir mit staatlichen Mitteln und Maßnahmen
eigentlich unterstützen? Diejenigen, die die Energiewende blockieren, die gegen unsere oder Ihre Ziele arbeiten,
weil sie ihre dahinschmelzenden Besitztümer auf Kosten
der Allgemeinheit retten wollen? Oder besser diejenigen,
die mithelfen wollen, unsere Klima- und Energiewendeziele umzusetzen?
RWE, Vattenfall und E .ON haben sich bisher nicht
als Verbündete der Energiewende hervorgetan . Im Gegenteil: RWE versucht verzweifelt, das Auslaufmodell
Braunkohle weiter am Laufen zu halten . Wie verzweifelt
muss ein Konzern sein, der auf friedliche Protestaktionen
mit Gewalt antwortet, den Konflikt auf dem Rücken der
Polizei austrägt und Journalisten bei ihrer Arbeit hindert?
Und dennoch richten Sie, Herr Gabriel, Ihre Energiepolitik ausgerechnet an den großen Unternehmen aus, an
denen, die die Energiewende bisher weitgehend verpennt
haben .
({5})
Arbeiten Sie statt mit den quengelnden Konzernen doch
lieber mit den vielen Verbündeten zusammen, mit denen,
bei denen die Energiewende immer viel weiter im Vordergrund stand als bei der Politik . Arbeiten Sie doch mit
den Bürgerinnen und Bürgern zusammen, die seit Jahren in Erneuerbare und Effizienzprojekte investieren, mit
Handwerksbetrieben, die sich auf die Montage von Photovoltaik- und Solarthermieanlagen spezialisiert haben,
mit den innovativen Betrieben aus dem Mittelstand, die
Energiespartechniken entwickeln, an Speichertechnologien arbeiten oder dezentrale Energieversorgungskonzepte voranbringen . Das sind die wirtschaftlichen Akteure, die mithelfen wollen, die Klimaziele zu erreichen .
({6})
Auf die Unterstützung von E .ON, Exxon, Shell oder
RWE können Sie lange waren .
Nun gut, Herr Gabriel, die Kohleabgabe war ein Versuch; aber die Lobby hat nun einmal beste Drähte ins
Kanzleramt . Deswegen hat Merkel dieses Ansinnen kassiert, bevor es ernst werden konnte - und das nur wenige Tage nach Ihren eigenen Klimabeschlüssen beim
G-7-Gipfel . Worte und Taten klaffen bei dieser Bundesregierung leider nach wie vor meilenweit auseinander .
Geben Sie doch einfach zu, dass es Ihnen egal ist, ob Sie
Ihre eigenen Energiewendeziele erreichen oder nicht .
Das wäre wenigstens ehrlich .
({7})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,
möchte ich den früheren Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, auf der Gästetribüne des
Bundestages herzlich begrüßen .
({0})
Lieber Herr Annan, uns ist nicht nur Ihre verdienstvolle Arbeit als Generalsekretär in respektvoller Erinnerung,
viele von uns erinnern sich auch gerne an die Rede, die
Sie hier im Deutschen Bundestag im Februar 2002 gehalten haben . Wir verfolgen mit nicht geringerem Respekt
die Arbeit, die Sie mit Ihrer Stiftung nach dem Ausscheiden aus Ihrem hohen Amt bei den Vereinten Nationen
weiter für Frieden und nachhaltige Entwicklung auf sich
genommen haben .
Wir wünschen Ihnen einen guten und interessanten
Aufenthalt in Berlin und viele aufschlussreiche und informative Gespräche . Seien Sie uns herzlich willkommen .
({1})
Thomas Jurk ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion .
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Beinahe wäre ich geneigt, auf die
Ursachen für Krieg, Flucht und Vertreibung einzugehen,
die ja allzu oft ökonomischen Interessen geschuldet sind .
Dabei geht es um mehr als um Waffenlieferungen . Mich
hat die polemische Debatte insbesondere vonseiten der
Opposition unangenehm berührt . Ich begrüße ausdrücklich die rigide Genehmigungspraxis des Bundeswirtschaftsministers in diesen Fragen, auch wenn ich mir
persönlich vorstellen könnte, dass es gar keine Waffenlieferungen gibt .
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist zu
Recht beschrieben worden, dass sich die Wirtschaft in
Deutschland momentan in gutem Zustand befindet. Das
wollen wir auch fortsetzen, und ich glaube, dass der
Bundeswirtschaftsminister der Garant dafür ist .
Andererseits operieren wir in einem wirtschaftspolitisch
schwierigen Umfeld . Ich konnte vor wenigen Wochen
Bundeswirtschaftsminister Gabriel auf seiner Reise nach
China begleiten . Ich war als sächsischer Wirtschaftsminister zweimal in China . Ich gestatte mir den Vergleich,
dass sich dort vieles zum Negativen verändert hat . Gerade die aktuelle Situation in China sollte uns hellhörig
machen, weil sie nicht nur Auswirkungen auf unsere Exporte nach China hat, sondern auch generell enorme konjunkturpolitische Effekte haben kann . Deshalb müssen
wir das alles im Auge behalten .
Es ist richtig, dass wir das, was wir in der Vergangenheit getan haben, fortsetzen müssen . Wir müssen die
deutsche Wirtschaft weiter stärken, Innovationen vorantreiben, Investitionen unterstützen und unsere Fachkräftebasis sichern sowie die Energiewende zum Erfolg führen . Dafür tut diese Bundesregierung eine ganze Menge .
Das will ich an dieser Stelle einmal ausdrücklich festhalten .
({1})
- Schön, dass das beniest wird .
Wenn man sich den Haushaltsplan anschaut, dann
stellt man fest - das erspare ich der geschätzten Vorrednerin Frau Verlinden und Herrn Krischer nicht -: Sie dürfen nicht nur den Einzelplan 09 des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Energie sehen . All diejenigen, die auf
der Zuschauertribüne sitzen, kennen unser Fachchinesisch nicht unbedingt . Deshalb sage ich: Es gibt auch einen Einzelplan 60 . Dort ist beispielsweise das Zukunftsinvestitionsprogramm verankert. Da fließen im nächsten
Jahr 340 Millionen Euro in Aufgaben der Wirtschaft und
der Energiewende . Wenn man das addiert, stellt man fest:
Das ist eine großartige Leistung . Das wird uns weiter voranbringen .
({2})
- Lieber Kollege Mitberichterstatter Andreas Mattfeldt,
du hast völlig recht: Wir müssen weiter aufklären . Wir
müssen aufklären, dass sich insbesondere die Digitalisierung in diesem Haushaltsplan wiederfindet. Wir stocken
dort um 10 Millionen Euro auf und erreichen ein Mittelvolumen von 85 Millionen Euro . Es könnte immer noch
mehr sein. Aber wir haben auch andere Verpflichtungen
im Rahmen dieses Haushaltes zu bewältigen .
Sehr positiv ist - darauf ist Minister Gabriel bereits eingegangen - die Erhöhung der Mittel für die
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“, ein ganz besonders bewährtes Instrument, das dazu dient, durch Investitionszuschüsse insbesondere die mittelständische Wirtschaft voranzubringen . Hier erreichen wir übrigens, wenn man die Mittel
aus dem Einzelplan 09 und dem Einzelplan 60 addiert,
wieder das Mittelvolumen von 2009, nämlich 624 Millionen Euro . Das ist ein gutes Signal . Gemeinsam mit
den Ländern wollen wir im Rahmen der GRW auch die
Wirtschaft in den Bundesländern voranbringen .
({3})
Nicht nur in Zeiten der großen Migrationsanforder-ungen wird es wichtig sein, in Ausbildung, Weiterbildung
und Qualifizierung zu investieren. Wir tun dies unter
anderem bei den Fortbildungseinrichtungen des Handwerks . Die entsprechenden Mittel erhöhen wir im Vergleich zu 2015 um 7 Millionen Euro . Damit unterstützen
wir sowohl die digitale Ausbildung als auch die technologieorientierte Fort- und Weiterbildung im Mittelstand .
Wo viel Licht ist, gibt es auch Schatten im Haushalt .
Es wurde bereits angesprochen: Ich bin nicht bereit, zu
akzeptieren, dass wir den Mittelansatz bei dem Zentralen
Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, und der industriellen Gemeinschaftsforschung reduzieren .
({4})
Ich denke, dass wir während der Haushaltsberatungen
noch eine Lösung finden werden; denn gerade diese beiden Bereiche sind wichtige Innovationsmotoren für die
mittelständische Wirtschaft in Deutschland . Ich denke,
dass wir uns über den Kreis der Berichterstatter hinaus
Präsident Dr. Norbert Lammert
einig sind und dafür sorgen werden, dass sich das verändert .
({5})
Es wurde bereits angesprochen, dass es eine Reihe
durchaus sehr sinnvoller Projekte im Rahmen der Luftund Raumfahrt gibt . Man muss nicht unbedingt ein großer Freund der Ariane 6 sein, der neuen Trägerrakete,
die Satelliten ins All befördern soll . Ich hätte mir auch
eine Weiterentwicklung der Ariane 5 vorstellen können .
Nun ist das aber am 2 . Dezember vergangenen Jahres
auf europäischer Ebene anders vereinbart worden . Daran
kommen wir nicht vorbei . Wir müssen die Mittel bereitstellen . In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den
Hinweis, dass wir in Deutschland andere Branchen haben, die es in besonderem Maße verdient hätten, mehr
Unterstützung zu erfahren . Ich erinnere beispielsweise
an die maritime Wirtschaft, die in Deutschland immerhin
380 000 Menschen Arbeit bietet . Dafür sollten wir während der Haushaltsberatungen Lösungen finden.
({6})
Mein geschätzter Bundesminister Gabriel hat mir
zwei Minuten Redezeit geklaut . Deshalb will ich nun zusammenfassen: Wir sind in einer schwierigen, einer ernsten Situation. Wir sprechen seit Tagen darüber. Ich finde,
dass das Problembewusstsein in diesem Haus wächst .
Mich hat aber an der Debatte gestört, dass die Opposition über manches Klein-klein diskutiert hat . Es ist jetzt
nicht die Stunde der Zauderer und Bedenkenträger . Wir
müssen diese Aufgaben anpacken . In diesem Sinne freue
ich mich auf die Beratungen über Einzelplan 09 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie .
({7})
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter
für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern wurde der Referentenentwurf für ein neues Energiewirtschaftsgesetz vorgelegt . Ich habe schon Reaktionen gehört wie: Alles toll! Alles super! Wir erreichen die
Klimaziele . Es gibt ein neues Strommarktdesign . - Jetzt
kann ich nur sagen: Das wesentliche Ergebnis ist: Die
Energiekonzernchefs haben wieder einmal erfolgreich
die Hand aufgehalten . Herr Krischer, da wird nichts simuliert, sondern die Regierung schiebt Kohle rüber .
({0})
Sie macht ein Geschenk in Höhe von Hunderten von
Millionen Euro jährlich für eine Kraftwerksreserve, die
eigentlich niemand braucht .
({1})
Herr Gabriel hat immer wieder von Überkapazitäten
gesprochen . Jetzt frage ich mich: Wozu braucht man
diese teure Reserve? Wer vergoldet die überflüssigen
Braunkohleruinen? Die Bürgerinnen und Bürger - wer
auch sonst? - entweder über ihre Stromrechnung oder
mit ihren Steuern . Jetzt nennen Sie das auch noch Kapazitäts- und Klimareserve . Dabei nutzt diese Reserve dem
Klima eben nicht, auf jeden Fall nicht genug . Sie nutzt
nur den Konten der Kohlekonzerne; so ist es .
({2})
Die Kohleindustrie profitiert sogar doppelt:
Erstens . Ihr werden von 22 Millionen Tonnen CO2, die
einzusparen sie verpflichtet ist, fast 10 Millionen Tonnen,
also knapp die Hälfte, einfach geschenkt .
Zweitens . Die CO2-Einsparung, zu der sie verpflichtet
wäre und die mittels Abschaltung einiger Kohlekraftwerke nun in Reserven überführt wird, bekommt sie großzügig vergütet . Es ist also ein weiterer Superdeal . Das
ist blanker Hohn gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag des Klimabeitrags, der durchaus sanft und klug
den schrittweisen Kohleausstieg marktgerecht eingeleitet
hätte . Diesen Ausstieg hätten wir auch unterstützt, Herr
Gabriel . Jetzt können Sie von der Regierung nicht einmal abschätzen, ob die sogenannte Klimareserve überhaupt die erwünschten Einsparungen bringen wird . Das
weiß man also noch gar nicht . Das ist einfach schwach,
schwach, schwach und enttäuschend . Das muss ich Ihnen
leider auch sagen: schwach .
({3})
In den Sommermonaten gab es in Garzweiler an den
Kohlebaggern Aktionen, nämlich friedlichen Protest von
Klimaaktivistinnen und -aktivisten und Braunkohlegegnern bei der Aktion „Ende Gelände“ . Ich war zu dieser
Zeit in Bayern . Ich habe mich darüber sehr gefreut . Ich
kann hier nur sagen: Die Linke ist mit diesem Protest solidarisch .
({4})
- Genauso .
Wenn die Politik in Berlin bei der Kohlefrage versagt,
müssen die Bürgerinnen und Bürger umso mehr aufwachen und hellhörig sein und Druck von der Straße ausüben . Das gilt nicht nur für die Kohle, sondern auch für
anderes . Da wird es endlich einmal Zeit .
({5})
Ich wünsche, dass es noch mehr werden, die sich gegen
die Besitzstandswahrung der Kohleindustrie, aber auch
der anderen Konzerne stemmen .
Statt der Kohleindustrie ihr vermeintliches Ende zu
vergolden, brauchen wir Mittel - Regionalmittel, Strukturmittel -; denn wir brauchen den schrittweisen Ausstieg aus der Kohle . Er ist dringend notwendig . Ob dies
mittels Kohleausstiegsgesetz, wie es die Linke vorgeschlagen hat, oder ob dies via Klimabeitrag geschieht,
den wir auch unterstützen, das ist für mich egal . Wichtig
ist, es wird gemacht . Es wird jetzt endlich Zeit, dass das
Ganze beginnt, und zwar jetzt sofort .
({6})
Ich kann nur sagen: Schade für die betroffenen Regionen, dass Sie deren Chance wegen kurzfristiger politischer Ziele verspielen . Die Regionen bräuchten nämlich
die Unterstützung .
Jetzt noch etwas zu den Ausschreibungen . Ich habe
dazu gehört: Alles super, alles toll, usw . Die Akteursvielfalt ist wirklich gewährleistet . - Ja, bewerben dürfen sich
alle, klar . Aber die Ergebnisse sind eben nicht so, wie wir
uns das vorstellen . Es sind eben nicht die Bürgerenergiegenossenschaften, die da den Zuschlag erhalten, sondern andere . Der Zuwachs der Bürgerenergiegenossenschaften wird immer geringer . Von 2013 bis 2014 hat er
sich um 60 Prozent reduziert . Wir haben immer gesagt:
Wir halten diese Ausschreibungen für falsch . Wir waren
immer dagegen . Es ist ein Ausstieg aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz . Deswegen sagen wir: Es ist ein
kompletter Systemwechsel .
Die Bundesregierung bastelt schon am EEG 2016 .
Wieder wird beschlossen, Ausschreibungen vorzunehmen . Die Ergebnisse der letzten sind noch nicht richtig
da, aber alles ist toll . Wir wollen die Bürgerenergie stützen . Wir wollen die Energiegenossenschaften stützen .
Wir wollen eine demokratische Energie und nicht zurück
zu den Konzernen . Wir brauchen Akzeptanz für die regenerativen Energien, vor allem auch für die Windkraft . So,
wie Sie das jetzt betreiben, wird die Akzeptanz sinken .
Wir brauchen aber einen großen Klimabeitrag, und wir
brauchen auch Taten vor Paris .
({7})
Das Wort erhält nun der Kollege Karl Holmeier, dem
ich gleichzeitig zu seinem heutigen Geburtstag herzlich
gratuliere . Alles Gute für das neue Lebensjahr!
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Seit Jahren schaut Europa bewundernd auf Deutschland .
Unser Land ist unter der Regierungsverantwortung der
Union, unter unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel die
unbestrittene schwarze Lokomotive Europas . Dank unserer soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik haben wir eine
wertvolle finanzielle Handlungsfähigkeit erarbeiten können . Dank dieser Handlungsfähigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, können wir die aktuellen finanziellen Herausforderungen bewältigen, und wir können
darauf reagieren .
({0})
Darüber hinaus halten wir an unserem Ziel einer dauerhaften schwarzen Null fest . Wir stärken die Investitionen des Bundes und vor allem der Kommunen . Wir
sichern die Finanzierung der Energiewende und des
Breitbandausbaus . An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich einen Dank an unseren Finanzminister Dr . Wolfgang
Schäuble richten .
Sehr verehrte Damen und Herren, Wirtschaft und
Märkte verlangen nach Vertrauen . Dieses notwendige
Verlangen haben wir mit Inhalt und Rückhalt erfüllt . Der
Erfolg gibt uns recht: Deutschland steht heute im europäischen Vergleich sehr gut da . Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht . Ganz Europa blickt immer wieder,
wie ich schon eingangs gesagt habe, nach Deutschland .
Deutschland ist die Lokomotive für Wachstum und Beschäftigung . Deutschland ist aber auch der Garant für ein
stabiles Europa . Den Aufschwung in Deutschland haben
wir nicht mit Worten herbeigeredet; es waren vielmehr
umfassende Anstrengungen auf allen Ebenen des Staates, der Wirtschaft und auch der Beschäftigten . So konnten die Weichen für diese hervorragende Entwicklung
in Deutschland gestellt werden . Wichtiger Kompass der
Union war und ist der in die soziale Marktwirtschaft eingebettete ordnungspolitische Rahmen .
Trotz aller Erfolge dürfen wir in Zukunft aber nicht
übermütig werden . Hohe Steuereinnahmen wecken Begehrlichkeiten, und so lauert die größte Gefahr für die
Zukunft im Erfolg der Gegenwart . Es kommt daher jetzt
darauf an, den konjunkturellen Rückenwind zu nutzen
und die Weichen für die Zukunft zu stellen . Die Herausforderungen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
sind groß:
Die Globalisierung wird uns einen noch härteren
Wettbewerb aufzwingen . Mit dem Abschluss von TTIP
und CETA stellen wir uns hier aber aktuell darauf ein .
Die Digitalisierung wird alle Lebensbereiche durchdringen, miteinander verbinden und so die Wertschöpfungsketten unserer Wirtschaft, aber auch unsere Arbeitswelt grundlegend verändern .
Die Demografie trifft kein Land Europas stärker als
Deutschland . Deutschland hat nach Japan die zweitälteste Bevölkerung der Welt . Diese Herausforderung muss
uns stets im Bewusstsein bleiben und auch unser Handeln prägen .
Wir stehen vor der Aufgabe, Deutschland zukunftsfest
zu machen . Unser Ziel ist: Schaffung der bestmöglichen
Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen
unter dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft . Dabei,
meine Damen und Herren, müssen wir der deutschen
Wirtschaft so viel unternehmerische Freiheit und Eigeninitiative wie möglich lassen . Bei aller Freiheit und Eigeninitiative hat die deutsche Wirtschaft - darauf legt die
CSU besonderen Wert - auch eine gemeinsam zu tragende soziale Verantwortung .
Sehr verehrte Damen und Herren, viele Staaten beneiden uns um unseren weltweit einzigartigen ordnungspolitischen Rahmen . Ihn gilt es immer wieder aufs Neue
auszubalancieren - für eine gute Zukunft, an der alle
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes teilhaben .
Wir haben Solidität und finanzielle Stabilität wieder
zum Kern der Politik gemacht . „Chancen statt Schulden“
lautet die Devise . Für die Union hat das Erwirtschaften
von finanzieller Stabilität Vorrang vor dem Verteilen.
In Bayern haben wir die schwarze Null schon seit zehn
Jahren, beim Bund nun seit 2015 . Andere wollten mehr
Schulden, neue und höhere Steuern, eine Anhebung des
Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung der Vermögensteuer . Wir blieben besonnen . Schulden und höhere Steuern: Beides ist Gift für die Wirtschaft und für die
Konjunktur .
({1})
Der Erfolg gibt uns recht: Wir haben 2015 den ersten ausgeglichenen Haushalt seit 45 Jahren beschlossen .
Diesen Kurs werden wir fortsetzen und auch 2016 sowie
in den nächsten Jahren eine schwarze Null schreiben . Unsere Wirtschaft wächst seit 2010 . Das Jahr 2014 konnte
mit einem Wachstum von etwa 1,6 Prozent abgeschlossen werden . Die Wirtschaftsschätzungen sehen für 2015
ein Wachstum zwischen 1,6 und 2,2 Prozent und für 2016
zwischen 1,7 und 2,3 Prozent vor . 42,99 Millionen Menschen, also fast 43 Millionen, sind derzeit in Deutschland erwerbstätig - ein neuer Rekordwert . Der Erfolg aus
dem Vorjahr konnte nochmals um 160 000 Menschen gesteigert werden . Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist mit einem Rekordwert von
30,72 Millionen so hoch wie noch nie . Das ist ein Plus
von 1,2 Millionen Beschäftigten innerhalb der letzten
zwei Jahre .
Deutschland setzt auf Jugend . Die Jugend hat Chancen
wie nie zuvor . Liegt der Durchschnitt der Jugendarbeitslosigkeit im Bereich der Euro-Zone bei 21,9 Prozent, so
bescheinigt das Statistische Amt der Europäischen Union
Deutschland eine Arbeitslosenrate von 7,0 Prozent bei
den Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren . Wir sind
damit die Besten in Europa . Der unter Verantwortung der
Union eingeschlagene Weg aus Wachsen, Konsolidieren
und Reformieren war und ist richtig . Er wird immer mehr
zum Vorbild für ganz Europa . Darauf können wir stolz
sein .
({2})
Mit dem vorliegenden Bundeshaushalt 2016 tragen
wir dazu bei, diese guten Aussichten weiter zu festigen .
Der klare Kurs der Haushaltskonsolidierung wird trotz
neuer Belastungen, die 2016 auf uns zukommen, auch
in den nächsten Jahren fortgesetzt werden . Der Haushalt
weist 2016 zum zweiten Mal in Folge eine schwarze Null
aus . Der Erfolgsweg aus Wachsen und Konsolidieren
wird unbedingt fortgesetzt .
Sehr verehrte Damen und Herren, wir fördern den Mittelstand . Wir fördern Innovationen und investieren weiter in Forschung und Entwicklung; all das wurde bereits
angesprochen . Wir unterstützen die Energiewende und
setzen auf Energieeffizienz. Der Haushaltsentwurf 2016
ist ein echter Investitionshaushalt . Wir beginnen mit der
Umsetzung des bis 2018 angelegten 10-Milliarden-Euro-Investitionsprogramms des Bundes . Der Schwerpunkt
liegt dabei auf Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur,
in den Breitbandausbau, in Energieeffizienz, in den Klimaschutz und in die Städtebauförderung . Im Jahr 2016
werden die Investitionsausgaben um rund 3,9 Milliarden
Euro gegenüber 2015 steigen . Wir werden die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land durch die Verbesserung
der familienpolitischen Leistungen und den Abbau der
kalten Progression um 5 Milliarden Euro steuerlich entlasten . Wir stehen zu unserem Versprechen: keine neuen
Schulden, keine Steuererhöhungen . Das ist für uns Kern
einer verlässlichen und wachstumsfreundlichen Haushaltspolitik .
Den mit Abstand größten Anteil an den Ausgaben des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie bilden
mit über 3 Milliarden Euro die Mittel für Forschung, Entwicklung und Innovation . Wesentlicher Förderschwerpunkt für den Mittelstand als Innovationsmotor ist auch
in Zukunft das bislang sehr erfolgreiche technologieoffene Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM
genannt . Es ist mit einem Volumen von knapp 538 Millionen Euro das wichtigste auf Innovation ausgerichtete
Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums .
Wir erhöhen die Fördermittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“,
wie im Koalitionsvertrag verankert, um 24 Millionen
Euro auf insgesamt 624 Millionen Euro . Es ist ein extrem
wichtiges Programm, gerade für die ländlichen Räume
und auch für die Grenzregionen .
({3})
Deutschland, meine Damen und Herren, ist Gründerland . Wir unterstützen Unternehmensgründungen im
Jahr 2016 mit knapp 71 Millionen Euro . Das sind wichtige Zukunftsinvestitionen in den Standort Deutschland .
Mit der Digitalen Agenda haben wir ambitionierte
Ziele gesetzt . Wir wollen, dass im Jahr 2018 jeder in
Deutschland schnelles Internet mit 50 Megabit hat, auch
und vor allem im ländlichen Raum . Ein schnelles Internet und eine gute Verkehrsinfrastruktur sind von großer
Bedeutung für die deutsche Wirtschaft . Wir bauen beides
weiter aus, und dies kräftig . Wir stärken damit den Standort Deutschland .
Sehr verehrte Damen und Herren, die Energiewende
ist beschlossen . Sie ist auf den Weg gebracht . Sie ist ein
richtiger und notwendiger Schritt auf dem Weg in eine
Industriegesellschaft der Nachhaltigkeit . Eine der Hauptaufgaben der Großen Koalition ist, die Bürgerinnen und
Bürger bei der Energie der Zukunft, bei der Energiewende mitzunehmen . Begeistern wir die Menschen für die
Energiewende, dann wird sie auch gelingen . Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und
die Zukunft unserer Energieversorgung beschäftigt die
Menschen .
Für die CSU ist eine sichere, bezahlbare und saubere
Energieversorgung entscheidend für unsere Lebensqualität, unseren Wohlstand, eine intakte Umwelt und eine
liebenswerte Heimat . Bayern war schon in der Vergangenheit ein Vorreiter der Energiewende . Bayern setzt die
Energiewende vor Ort hervorragend um . Lassen Sie mich
ein Beispiel nennen: In meinem Heimatlandkreis Cham
in der Oberpfalz wurden bereits im Jahr 2014 56,2 Prozent des gesamten Stromverbrauchs, ob für Private oder
Wirtschaft, durch erneuerbare Energieträger erzeugt . Wir
werden 2015/16 die 60-Prozent-Marke schaffen .
Wir brauchen ein neues Marktdesign, mehr Energieeffizienz, Speicherkapazitäten und ein leistungsfähiges
Stromnetz .
({4})
Ein zweiter Schwerpunkt des Haushaltsentwurfs 2016 ist
daher die kontinuierliche Umsetzung der Energiewende .
Es stehen große Herausforderungen an . Dazu werden wir
gewisse Fördermaßnahmen auf den Weg bringen .
Insgesamt stehen dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie knapp 3 Milliarden Euro für die Gestaltung der Energiewende zur Verfügung .
Abschließend, meine sehr verehrten Damen und Herren: Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf stellt die
Bundesregierung unter Beweis, dass sie einen Zukunftsplan hat . Wir planen und gestalten die Zukunft Deutschlands . Wir stärken die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes nachhaltig und langfristig . Deutschland ist
das starke Herz im Zentrum Europas . Darauf können wir
stolz sein, genauso wie auf unsere Bürgerinnen und Bürger, auf unsere Wirtschaft und auf unser Land .
Vielen Dank .
({5})
Nach der Gratulation zu Ihrem Geburtstag gratuliere
ich Ihnen jetzt auch zur Punktlandung bei der Einhaltung
Ihrer Redezeit .
Ich erteile nun dem Kollegen Dr . Thomas Gambke für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege
Holmeier, auch ich gratuliere zum Geburtstag, aber nicht
zu dieser Rede .
({0})
Sie sprachen das Projekt ZIM an . Es ist natürlich ein
sehr wichtiges Projekt . Kollege Jurk hat Gott sei Dank
darauf aufmerksam gemacht, dass die Mittel hoffentlich
noch erhöht werden . Sie haben aber nicht gesagt - das
hat Ihnen Ihr Büro anscheinend nicht aufgeschrieben -,
dass der Umfang reduziert wurde . Weder Herr Jurk noch
irgendjemand hat gesagt, dass dieses Programm leider
wegen zu später Ausschreibung des Projektträgers erst
einmal fünf Monate auf Eis gelegt wurde . Das ist keine
vernünftige Wirtschaftspolitik . Das ist Verhinderung . Ich
hoffe, dass wir das im Rahmen der Haushaltsberatungen
beheben können .
({1})
Ich möchte gar nicht darum herumreden: Es heißt immer,
wir haben eine gute wirtschaftliche Situation . Aber ich
sage: Wir haben eine hervorragende wirtschaftliche Situation . Das ist gar keine Frage . Peinlich ist es manchmal,
zu hören, wer sich die Orden an das Revers heftet . Als
Unternehmer sage ich: Auch bei den Unternehmen muss
man sehen, dass es eine Menge Windfall Profits - so sagt
man - gibt . Das ist der Dollarkurs, das ist der Ölpreis .
Das deutet darauf hin, dass wir uns nicht notwendigerweise auf einem Wachstumspfad befinden, sondern dass
wir erhebliche Herausforderungen vor uns haben, und
zwar nicht nur in der Frage der Flüchtlinge, was hier dankenswerterweise sehr nüchtern, verantwortungsvoll und
in großer Breite von uns diskutiert wurde, sondern auch
in den Bereichen, die sehr wenig angesprochen wurden:
Digitalisierung, demografische Veränderung, Änderung
in der Mobilität . Weil wir hier ja gar nicht so viel über
Zahlen, sondern mehr über Inhalte reden, hätte ich erwartet, dass die Herausforderungen, die damit verbunden
sind, hier auch einmal angesprochen werden .
({2})
Wenn Sie mit dem Mittelstand sprechen, stellen Sie
fest, dass man sich da heute große Sorgen macht . Unter
anderem fragt man sich: Was passiert mit China? Die Abhängigkeit der deutschen Automobilindustrie von China
ist eben sehr hoch . Vor vier Wochen war ich in Asien,
als gerade die Börsenkurse fielen. Da habe ich sehr viele
besorgte Gesichter gesehen . Vor dem Hintergrund, dass
ein bayerischer Automobilbauer aus dem Premiumsegment ein Drittel seines Gewinns in China erzielt, weiß
man auch, was da auf uns zukommen kann .
Insofern - ich sage es noch einmal - sind die Rahmenbedingungen, die wir setzen, wichtig . Damit können wir
der Wirtschaft helfen und sie unterstützen . Herr Fuchs,
das tun wir aber nicht - Herr Heil hat es in Bezug auf
den Mindestlohn gesagt; ich sage es jetzt in Bezug auf
die Werkverträge -, indem wir notwendige strukturelle Verbesserungen verhindern . Ganz im Gegenteil: Wir
brauchen diese Verbesserungen . Denn das Instrument des
Werkvertrags lässt es zu, dass für 3,50 Euro die Stunde
gearbeitet wird . Das müssen wir verhindern . Herr Fuchs,
da sollten Sie jetzt nicht die alten Dinge ausgraben .
({3})
Rahmenbedingungen zu thematisieren, bedeutet auch,
zu sagen, dass nicht nur der Wirtschaftsminister, sondern
auch andere Ministerien gefordert sind . Bei der Digitalisierung geht das gründlich in die Hose . Vier Ministerien streiten sich . Wir sind so zu spät dran . Wir sind nicht
koordiniert . Ein Mittelständler sagte mir, er hat gerade
privat 3 Millionen Euro in ein Glasfasernetz investieren
müssen, um seinen im Schwäbischen angesiedelten Betrieb ans Netz anzubinden und ihn so leistungsfähig zu
halten . Ja, das kann doch nicht sein! Erwin Huber hat immer wieder versucht, dieses Problem in Niederbayern dadurch zu lösen, das privat investiert wird . Herr Holmeier,
das war vor fünf Jahren falsch, und das ist auch heute
falsch, weil es im ländlichen Bereich eben nicht ohne
eine substanzielle Unterstützung geht . Herr Dobrindt
sagt: Hier sind 3 Milliarden Euro . Macht, was ihr wollt . Das ist nicht koordiniert . So wird das nicht funktionieren .
({4})
Es sind aber auch andere Bereiche gefordert . Kommen
wir noch einmal auf die Digitalisierung zurück . Als Uber
auf den Markt kam, waren wir alle - ich auch - ja erschüttert, dass die Firma keine Steuern zahlt, keinen Verbraucherschutz gewährleistet und anderes . Die Idee, die
dahintersteckt, ist allerdings gut, nämlich über das Netz
individuelle Mobilität zu organisieren, gerade im ländlichen Raum . Deshalb ist es notwendig, dass man „proactive“, also in die Zukunft schauend, darüber nachdenken
muss, wie man die juristischen bzw . die verbraucherschutzrechtlichen Rahmenbedingungen schafft . Dazu
höre ich aber gar nichts . Dabei wäre hier wie in vielen
anderen Bereichen Rahmensetzung so wichtig .
({5})
Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein wenig dazu
sagen, was ich als Finanzpolitiker für notwendig erachte . Wir müssen nämlich auch mithilfe der Finanzpolitik
für fairen Wettbewerb sorgen; aber den Begriff habe ich
weder bei Herrn Gabriel noch bei Herrn Fuchs gehört,
und Herr Pfeiffer hatte schon angekündigt, dass er aus
Zeitgründen nicht dazu kommt . Herr Gabriel, wir haben
einen Umsatzsteuerbetrug im Umfang von 6 bis 10 Milliarden Euro . Das wird im BMF verleugnet; die Länder
jedoch sehen einen wettbewerbsverzerrenden Umsatzsteuerbetrug im Umfang von 6 bis 10 Milliarden Euro .
Die Methoden liegen auf der Hand . Die sind im Hamburger Taxigewerbe eingeführt worden . Dass hier etwas
geschieht, wird aber von der Bundesregierung blockiert .
Bitte denken Sie darüber einmal nach .
({6})
Ich will jetzt gar nicht auf die Hotelsteuer und andere
Branchensubventionen zu sprechen kommen, bei denen
wir eigentlich auch etwas tun müssten .
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung
hat verflucht viele Hausaufgaben zu machen, nicht nur
im Bereich der Flüchtlinge . Ich denke, dass es absolut
notwendig und wichtig ist, entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen, um das hinzukriegen, was wir brauchen, nämlich mehr Investitionen, vor allen Dingen im
privaten Bereich . Das bekommen wir nur hin, wenn Sie
endlich Ihre Hausaufgaben machen .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat Andreas Lämmel,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Gestern Abend hat der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Herr Kramer, anlässlich des Parlamentarischen Abends von BDI,
BDA und DIHK noch einmal deutlich gemacht, dass die
deutsche Wirtschaft - das ist ja von niemandem bestritten worden - sich in einer sehr guten Verfassung befindet, allerdings geschmiert durch einen niedrigen Ölpreis,
niedrige Zinsen und einen günstigen Wechselkurs . Er hat
auch noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass diese
positive Entwicklung kein Selbstläufer ist, sondern dass
sich erstens die Weltwirtschaft immer wieder in durchaus
fragilen Zuständen befindet und zweitens auch die Politik in Deutschland immer wieder einmal dazu neigt, mit
Überregulierung und Bürokratisierung den Unternehmen
das Leben schwer zu machen . Und er warnte davor, dies
weiter auszubauen .
Meine Damen und Herren, wenn wir heute über den
Haushaltsplan des Bundeswirtschaftsministers diskutieren, den Einzelplan 09, dann muss man erst einmal ganz
grundsätzlich sagen: Wirtschaftspolitik ist Zukunftspolitik . Denn die Maßnahmen, die wir heute zum ersten Mal
diskutieren und im November dann beschließen werden,
wirken ja nicht kurzfristig, sondern sie sind eigentlich
alle mittel- und langfristig angelegt . Deswegen muss man
sich, wenn man sich den Haushaltsentwurf anschaut, erst
einmal - das möchte ich klar sagen - die Frage stellen:
Werden die Haushaltsansätze des Wirtschaftsministers
letztendlich diesem Grundsatz gerecht, und werden hier
die Grundlagen gelegt für eine zukünftige wirtschaftliche
Entwicklung?
Positiv an dem Haushaltsentwurf ist, dass er deutlich
übersichtlicher geworden ist . Die fünf Kapitel, die man
jetzt im Haushaltsentwurf findet, sind doch dazu angetan, die Titel etwas besser zu sortieren, obwohl ich sagen
muss, dass durch die vielen Querverweise, durch Deckungsvermerke und letztendlich durch die hohe Vorbindung über Verpflichtungsermächtigungen ein klares Bild
nicht sofort ablesbar ist . Man muss sich vielmehr bei jedem Titel die Arbeit machen und genau schauen, wie die
wirkliche Situation ist .
Grundsätzlich kann man aber sagen: Der Haushaltsplanentwurf zeichnet sich aus durch eine hohe Investitionsquote, durch hohe Ausgaben im Bereich Forschung
und Technologie . Deswegen kann ich überhaupt nicht
verstehen, dass die linke Seite meint, hier werde nicht an
der Zukunft gearbeitet . Vielleicht haben Sie ja den Plan
von vor zehn Jahren in der Hand gehabt, meine Damen
und Herren .
({0})
Das Programm ZIM wurde ja schon mehrfach angesprochen . Hier wird sich die Sache daran entscheiden das muss man noch einmal ganz klarstellen -, dass erstens
der Ansatz nicht zurückgeht - über diese Notwendigkeit
sind wir uns, glaube ich, hier im Hohen Hause einig und dass zweitens genau geguckt wird, wie viele Mittel
überhaupt noch frei verfügbar sind . Die hohe Vorbindung
aus früheren Jahren schränkt im Prinzip die Neuvergabe
von Mitteln ein, und das ist - glaube ich - ein Punkt,
den wir in den nächsten Wochen noch einmal gründlich
diskutieren müssen .
Das Gleiche gilt bei der Investitionsförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe GRW . Hier gibt es aus
meiner Sicht zwei Randbedingungen: Zum Ersten müsDr. Thomas Gambke
sen die Länder ihre Verpflichtungen erfüllen, das heißt,
sie müssen ihren 50-prozentigen Finanzierungsanteil
auch bereitstellen . Zum Zweiten ist auch hier die Frage
zu stellen: Wie viele freie Mittel sind noch da? Welchen
Umfang hat die sogenannte freie Spitze, um überhaupt
Neubewilligungen auszusprechen? Hier gibt es also noch
einigen Diskussionsbedarf .
Ich möchte nun noch auf ein paar kleinere Titel zu
sprechen kommen, Herr Minister, die mir aufgefallen
sind .
Das Explorationsprogramm wird eingestellt .
({1})
Das Explorationsprogramm diente ja dazu, deutschen
Unternehmen den Weg zur Exploration von Rohstoffen
zu erleichtern, und es war eigentlich ein neues Programm .
Nun schreibt das Bundeswirtschaftsministerium dazu:
Der Bedarf war in den letzten Jahren nicht da, deswegen
wird das Programm eingestellt . - Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, ob das wirklich der richtige Weg ist
oder ob man nicht noch einmal klarer analysieren müsste,
warum es denn so schlecht gelaufen ist . Gab es wirklich
keinen Bedarf? Oder sind die Bedingungen schlecht gewesen? Muss man also daran etwas ändern?
({2})
Ich weiß nicht, ob es wirklich gut ist, neu beschrittene
Wege so schnell wieder zu beenden .
Dann zu dem Themenbereich Außenwirtschaft: Das ist
im Prinzip auch ein sehr wichtiger Punkt; denn Deutschland ist wieder Exportweltmeister, und die Begleitung
und Unterstützung vor allen Dingen kleiner und mittlerer
Unternehmen im Ausland durch den Staat und die Kammern sowie die Präsenz Deutschlands im Ausland sind
eine ganz wichtige Sache . Hier bleiben die Ansätze erst
einmal bestehen . Man schreibt auch in den Begleittexten:
Es werden wieder einige Dependancen etwas aufgewertet . Aber wenn man in Außenhandelskammern nachfragt,
zeigt sich das Problem, dass zwar die Grundausstattung
vieler Außenhandelskammern finanziell gesichert ist,
aber man eigentlich nicht wirklich etwas machen kann,
weil die großen Außenhandelskammerstandorte oftmals im Verhältnis zu den kleineren finanziell wesentlich schlechter ausgestattet sind und eigentlich weniger
Projektmittel zur Verfügung haben, um ihren Aufgaben
gerecht zu werden .
Jetzt komme ich auf mein Lieblingsthema: die Präsenz Deutschlands in Afrika . Natürlich weiß ich um das
Problem, dass man nicht in jedem der afrikanischen Länder eine Außenhandelskammer oder ein Delegationsbüro
eröffnen kann . Aber ich würde trotzdem anregen, Herr
Minister, dass man dieses Thema im Außenwirtschaftsbeirat mit auf die Tagesordnung setzt, um einfach für die
nächsten Jahre eine Strategie zu entwickeln, wie wir in
Afrika präsenter werden können . Zumindest besteht da
bei uns ein großes Interesse .
({3})
Ich komme jetzt auch zum Thema Fluchtursachenbekämpfung . Da haben Sie, Herr Minister, einen Haushaltstitel, über den Mittel für Transformationspartnerschaften
bereitgestellt werden . Der Ansatz für Transformationspartnerschaften in Ihrem Haushalt ist mit 1 Million Euro
ausgestattet, die zunächst vorrangig für Partnerschaften
mit Ägypten und Tunesien bereitgestellt werden . Ich halte das grundsätzlich für eine gute Idee . Ob man mit der
Million hinkommt, kann ich im Moment nicht einschätzen . Herr Minister, da wäre doch jetzt eigentlich die große Chance, sich mit dem BMZ zusammenzusetzen . Das
BMZ hat ja einen enormen Aufwuchs an Mitteln .
({4})
Man könnte somit versuchen, über das Mischen von Geldern gemeinsame Projekte mit einem größeren Push zu
versehen . Oftmals scheitern die Projekte ja daran, dass
sie weder richtig ins Wirtschaftsministerium noch richtig ins BMZ passen . So wäre zu fragen, ob man bei den
Transformationspartnerschaften nicht einmal - ich halte es für notwendig, diesen Weg zu beschreiten - interministeriell zusammenarbeiten könnte, um in den beiden
Musterländern, mit denen wir diese Partnerschaften eingegangen sind, etwas zu bewegen .
({5})
Das würde ich jedenfalls anregen . Wir können Ihnen
zusagen, dass wir diesen Prozess sehr intensiv begleiten
würden . Denn das könnte ja auch ein Modell für andere
Länder werden und dafür sorgen, dass man in verschiedenen Bereichen vorankommt .
Dann möchte ich hier natürlich eine Lanze für eine
Branche brechen, die während der Haushaltsverhandlungen immer sehr wenig stattfindet: den Tourismus.
({6})
Meine Damen und Herren, der Tourismus ist für Deutschland eine wichtige Wirtschaftsbranche .
({7})
Die Unternehmen im Bereich des Tourismus sind meistens mittlere und kleine Unternehmen . Sie können ihre
Arbeitsplätze nicht in den Rucksack stecken und nach
Tschechien oder nach China gehen, sondern sie müssen
mit den Bedingungen hier in Deutschland klarkommen .
Die Gästezahlen haben sich in Deutschland in den letzten
Jahren sehr positiv entwickelt . Das erfreut uns natürlich
sehr .
({8})
Auch die Mittel für das Marketing von Deutschland haben sich in den letzten Jahren etwas nach oben entwickelt .
Nun hat aber im Haushaltsentwurf eine Verschiebung
stattgefunden, Herr Minister . Dass die Deutsche Zentrale für Tourismus eine halbe Million Euro zusätzlich bekommt, um die Marktbearbeitung im Ausland zu intensivieren, ist erst einmal ganz gut . Aber ich weiß nicht, ob
es überall Zustimmung finden wird, dass man das Geld
innerhalb des Tourismustitels verschiebt und bei den
Mitteln für Studien und Untersuchungen wegnimmt, die
dazu da sind, neue Entwicklungen zu untersuchen und
herauszufinden, welche neuen Wege in Deutschland beschritten werden könnten . Das ist sicherlich diskussionswürdig, auch wenn wir wissen, dass der Bund eigentlich
nicht die Kompetenz im Bereich Tourismus hat,
({9})
sondern die Länder hier verantwortlich sind .
Meine Damen und Herren, wir wissen auch: Tourismuspolitik ist oftmals ziemliche Kirchturmpolitik . Wenn
man also deutschlandweite Initiativen wie zum Beispiel
die Servicequalitätsinitiative installieren will - die Servicequalitätsinitiative ist ein gutes Beispiel, weil man es
hier erstmalig geschafft hat, ein Label für ganz Deutschland zu schaffen -, dann braucht man auch ein paar Mittel, um von der Bundesebene aus solche Vorhaben mit
voranzubringen .
({10})
- Ja, Herr Heil, ich nehme mal an, Sie werden uns dabei
helfen . - Ich denke, dass wir im Ausschuss noch einige
Diskussionen zu führen haben, bis der Haushaltsentwurf
letztendlich verabschiedet werden kann .
Grundsätzlich muss man sagen: Die Entwicklung geht
in die richtige Richtung, die Prioritäten sind gesetzt, und
jetzt kommt es darauf an, die entsprechenden Details zu
regeln . Ich bin insofern optimistisch, dass wir im Haushalt einen guten Einzelplan 09 hinbekommen werden .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank . - Der Kollege Andreas Mattfeldt spricht
jetzt für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Lieber Hubertus Heil, ein bisschen
ernsthaft wollen wir schon sein, da wir ja gerade auch
bei der Beratung des Haushalts des Wirtschaftsministeriums feststellen konnten, dass die Flüchtlingssituation
natürlich auch diese Debatte bestimmt hat . Ich glaube,
wir sind uns einig, wenn ich sage, dass dieses Thema
vor allem ein Wirtschaftsthema ist; denn bei all den zu
bewältigenden Problemen kann Zuwanderung für viele
Unternehmen eine große Chance bedeuten, eine Chance,
dass wir unseren Wohlstand, der auf einer großartigen
Wirtschaftsleistung der vergangenen Jahrzehnte aufbaut,
auch zukünftig erhalten .
Aber zunächst einmal stellen 800 000 Flüchtlinge eine
große Herausforderung dar, vor der wir alle stehen . Zur
Wahrheit gehört, dass wir eine solche Anzahl nicht dauerhaft werden bewältigen können . Dass viele Mitbürger
in unserem Land angesichts einer solchen Anzahl von
Flüchtlingen Ängste haben und sich fragen, wie Bund,
Länder und Kommunen die Unterbringung und auch die
Integration bewältigen wollen, ist, wie ich glaube, nur
allzu verständlich . Nicht alle Mitbürger, die uns kritische
Fragen stellen, sind extrem . Mitnichten, viele Mitbürger
sind ernsthaft besorgt, sie haben Angst, und wir sollten
uns davor hüten - was ich ab und an latent höre -, die
Mitbürger, die kritische Fragen aufwerfen, sofort in eine
extreme Ecke zu stellen .
Wir als Politik müssen Antworten geben, wir müssen Entscheidungen treffen, gerade auch um Ängsten zu
begegnen . Deswegen ist es richtig, dass der Koalitionsausschuss Regelungen zur Bewältigung der Flüchtlingssituation getroffen hat . Diese müssen wir jetzt sehr zügig umsetzen . Ob die Maßnahmen ausreichend sind, das
werden wir heute sicherlich noch nicht bewerten können;
das müssen wir später analysieren .
Auch wenn die Wirtschaftspolitik bei diesem Thema
nicht federführend ist, so kommt der Wirtschaft in dieser
Frage eine besondere Bedeutung zu . Denn nur wenn es
gelingt, gemeinsam mit der Wirtschaft das Potenzial und
die Motivation der Menschen, die zu uns kommen, zu
nutzen, nur dann wird Integration gelingen . Deshalb sage
ich ganz deutlich: Für die deutsche Wirtschaft können die
Flüchtlinge, von denen nicht alle, aber einige mit guter
Ausbildung hierherkommen und die willig sind, sich hier
ausbilden zu lassen und zu arbeiten, eine Chance bedeuten .
Wir müssen aber - auch das gehört zur Wahrheit,
wenn wir keine dauerhaften sozialen Probleme erleben
wollen - erfolgreicher sein als bei den Flüchtlingen, die
vor drei Jahren zu uns gekommen sind . Von denen konnten lediglich 12 Prozent in den Arbeitsmarkt integriert
werden . Ich glaube, wir sind uns einig: Das ist beileibe zu
wenig . Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass gerade das neue Ausbildungsjahr begonnen hat und auch in
diesem Jahr wieder 40 000 Lehrstellen unbesetzt bleiben .
Der Fachkräftemangel führt in einigen Betrieben bereits
so weit, dass Aufträge abgelehnt werden, dass bestehende Produktionskapazitäten nicht ausgenutzt werden .
Wir sollten aber auch so realistisch sein, zuzugeben,
dass wir das Problem des Fachkräftemangels für große
Bereiche unserer Wirtschaft nicht ausschließlich durch
Flüchtlinge werden lösen können . Deshalb haben wir
zur Bekämpfung des Fachkräftemangels zahlreiche Programme, über viele Bundesministerien verteilt, auf den
Weg gebracht, die dazu dienen sollen, Fachkräfte im Ausland anzuwerben bzw . die Menschen im Ausland für eine
Tätigkeit in Deutschland zu interessieren . Einiges davon
ist in dem Einzelplan 09, über den wir heute sprechen,
etatisiert . Allein der Titel „Fachkräftesicherung für kleine und mittlere Unternehmen“ ist mit 17 Millionen Euro
ausgestattet . In anderen Ressorts sieht es bei solchen Titeln nicht anders aus . Auch dort sind reihenweise Gelder
zur Gewinnung von Fachkräften veranschlagt; von den
Initiativen der Länder und der Kommunen möchte ich
gar nicht sprechen .
Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass wir dem
Fachkräftemangel nur zielführend begegnen können, indem wir alle koordiniert vorgehen . Im Moment habe ich
den Eindruck, dass zahlreiche Programme nebeneinander laufen, und ich befürchte, dass das Geld größtenteils
versickert, weil die eine Hand häufig nicht weiß, was
die andere tut . Ich halte es für wünschenswert, diesen
Missstand zu beheben . Vielleicht wäre es zielführend,
eine zentrale Abteilung einzurichten, in der alle Bestrebungen, die in diese Richtung zielen, national koordiniert werden . Ich bin mir sicher, dass wir dann, vielleicht
sogar mit weniger Geld, bessere Ergebnisse erzielen
können als bisher, wenn die Zuständigkeit in einem Ministerium gebündelt wird, wenn ein Minister für dieses
Thema zuständig ist . Dabei ist mir ganz egal, ob das das
Wirtschaftsministerium, das Sozialministerium oder ein
anderes Ministerium ist . Wichtig ist, dass wir einen Ort
haben, an dem alle Fäden zusammenlaufen . Ich halte das
für zwingend erforderlich, um gerade dem Mittelstand
die notwendige Unterstützung bei der Suche nach Fachkräften zukommen zu lassen .
Es mag auch sinnvoll sein, die Gewinnung von Arbeitskräften aus dem Kreis der Flüchtlinge so zu koordinieren; das nur einmal so als Gedankenspiel, bevor jedes
Ministerium im Bereich der Flüchtlinge selbst aktiv wird
und nichts koordiniert stattfindet.
Meine Damen und Herren, zu einem anderen Thema,
das der deutschen Wirtschaft Bauchschmerzen bereitet .
Das ist die wirtschaftliche Situation in China . Die unruhige Börsensituation dort ist natürlich auch an den deutschen Börsen nicht spurlos vorbeigegangen . Noch vermag hier niemand abzusehen, welche Auswirkungen die
Vorgänge in China auf die Weltwirtschaft und somit auch
auf die deutsche Wirtschaft haben werden . Einige befürchten jetzt schon - das sind die Pessimisten -, dass die
nächste Wirtschafts- und Finanzkrise ausbrechen könnte .
Ich persönlich sehe das nicht so pessimistisch . Ich bin
mir vielmehr sicher, dass gerade Deutschland, aber auch
große Teile Europas wirtschaftlich stark genug sind, um
ein Abkühlen des Wirtschaftsklimas in China, welches
vielleicht sogar wirtschaftspolitisch nachvollziehbar ist,
zu verkraften . Wir sollten nicht vergessen, dass China
auch bei einer Abkühlung des Wirtschaftsklimas immer
noch ein sehr hohes Nachfragepotenzial für unsere deutschen und unsere europäischen Unternehmen hat .
Meine Damen und Herren, es sieht gut aus für die
deutsche Wirtschaft . Damit dies auch so bleibt, unterstützen wir mit diesem Haushalt den Mittelstand massiv . So
sieht der Entwurf die Bereitstellung von Fördergeldern
in Höhe von 781 Millionen Euro vor, die im Zuge von
Förderprogrammen wie dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand - übrigens, Herr Gambke, das machen wir schon selber, das setzen wir wieder auf den
alten Stand; da können Sie sicher sein ({0})
und ähnlichen Programmen ausgezahlt werden . Das ist
eine enorme Summe . Dabei belassen wir es aber nicht,
sondern es gibt auch noch eine Reihe von Dienstleistungen, die der Bund mittelständischen Betrieben anbietet .
Ich möchte hier exemplarisch die Arbeit der Außenhandelskammern nennen, für die auch in diesem Haushaltsentwurf 40 Millionen Euro vorgesehen sind . Die
Außenhandelskammern bieten uns Mittelständlern - ich
darf das in meinem Betrieb häufig erleben - große Hilfe,
wenn wir unsere Produkte im Ausland vermarkten wollen . Gerade Mittelständler sind auf das Know-how unserer Außenhandelskammern angewiesen, wenn ein neuer
Markt im Ausland erschlossen werden soll . Die Außenhandelskammern unterstützen häufig eben nicht nur in
rechtlichen Fragen, sondern sie können auch die Marktsituation in den jeweiligen Ländern häufig besser abschätzen, als wir in Berlin das können .
Mit Stolz kann auch die Luft- und Raumfahrtindustrie
auf die vergangenen Jahre zurückblicken, Herr Kollege
Claus . Sie hat sich zu einem festen Beschäftigungs- und
Innovationsfaktor entwickelt . Sie erhält - Sie haben
recht, das ist eine große Summe - 1,6 Milliarden Euro,
also einen erheblichen Anteil an Mitteln aus dem Einzelplan 09 . Diese Investition zahlt sich besonders in der
Luftfahrt aus . Erst kürzlich hat Airbus erneut erfolgreiche Abschlüsse vermelden können . Das Unternehmen
hat den Konkurrenten Boeing weiter hinter sich gelassen .
Die Bestellung von 250 Maschinen des A320neo durch
die indische Airline IndiGo zeigt den Erfolg des Unternehmens . Mit ein wenig Stolz dürfen wir sagen, dass
auch die Politik mit geschickten Förderinstrumentarien
zu diesem Erfolg beigetragen hat . Das führen wir auf einem sehr, sehr hohen Niveau fort .
({1})
Doch, meine Damen und Herren, wir dürfen auch
andere wichtige Industriezweige nicht vernachlässigen .
Der Tourismus ist eben angesprochen worden . Ich spreche jetzt über den Bereich der maritimen Wirtschaft, die
erhebliche Chancen birgt . Von der maritimen Wirtschaft
profitieren nicht nur - das ist häufig ein Trugschluss küstennahe Standorte . Vielmehr gibt es über die ganze
Bundesrepublik verteilt eine ganze Reihe von Produktionsstandorten, die Produkte für die maritime Wirtschaft
zuliefern .
Die maritime Wirtschaft stellt heute inklusive der Zulieferindustrie über 400 000 Arbeitsplätze in Deutschland . Das ist schon eine Hausnummer, meine sehr verehrten Damen und Herren! Allerdings spiegelt sich diese
Hausnummer im Haushaltsansatz kaum wider . Gemessen an 1,6 Milliarden Euro für Luft- und Raumfahrt sind
50 Millionen Euro für die maritime Wirtschaft sicherlich sehr bescheiden . Ich bin fest davon überzeugt, dass
Deutschland im Bereich der maritimen Technologien
noch erhebliches Potenzial und Luft nach oben hat . Wir
sollten in den anstehenden Beratungen überlegen, ob wir
mit klugen Entscheidungen zugunsten der maritimen
Wirtschaft noch in diesem Haushalt dafür Sorge tragen,
noch erfolgreicher zu agieren .
({2})
Als letzter Redner möchte ich damit schließen: Ich
freue mich auf interessante und konstruktive Haushaltsberatungen in diesem Jahr . Auch in diesem Jahr lade ich
die Opposition wieder dazu ein, konstruktiv daran mitzuwirken . Ich bin sicher, wir werden dann, wie schon in den
vergangenen Jahren, auch in diesem Jahr einen erfolgreichen Haushalt verabschieden können .
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Der Kollege Mattfeldt ist allerdings
heute nicht der letzte Redner; da muss ich Sie jetzt enttäuschen .
({0})
Zu diesem Einzelplan jedenfalls liegen keine weiteren
Wortmeldungen mehr vor .
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan
30.
({1})
- Ich darf dann die Herren bitten, ihre Plätze einzunehmen . Wer noch dringenden Gesprächsbedarf hat, der
kann vielleicht außerhalb des Plenarsaals weitersprechen .
Für die Bundesregierung erhält jetzt das Wort Bundesministerin Dr . Johanna Wanka .
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man sich diesen Haushalt anschaut, dann
sieht man, dass das Thema Bildung und Forschung in der
Bundesregierung weiterhin, wie schon seit Jahren und
insbesondere seit dem Beginn dieser Legislaturperiode,
Priorität hat .
({0})
Der Haushalt des BMBF wächst wieder: von diesem
Jahr zum nächsten um über 7 Prozent . Vom Beginn der
Legislaturperiode bis 2016 sind es schon 18 Prozent .
Wenn wir weiter zurückgehen, nämlich in das Jahr 2005,
dann können wir feststellen, dass sich der Haushalt des
BMBF mehr als verdoppelt hat . Im Ergebnis heißt das,
dass für das Jahr 2016 16,4 Milliarden Euro eingeplant
sind . Nun kann man das hoch- und runterdeklinieren und
sich über diese Summe freuen . Wichtig ist aber: Was
macht man mit dem Geld? Wird es richtig eingesetzt?
Wofür wird es ausgegeben?
Für mich steht das Thema Bildungsgerechtigkeit im
Fokus; das ist ganz entscheidend . Wir sind ein reiches
Land . Bildungschancen sind Lebenschancen . Diese Lebenschancen brauchen wir für die Einheimischen und
für die Zuwanderer . Bildungsgerechtigkeit heißt zum
Beispiel, dass wir in den nächsten Jahren verstärkt dafür
sorgen, dass Erwachsene lesen und schreiben können,
Stichwort „Alphabetisierung“ .
({1})
Wir wollen in den nächsten zehn Jahren 180 Millionen
Euro dafür einsetzen . Wir wollen die Erfahrungen, die
wir in den vielen Projekten - über 50 - mit der Wirtschaft
in den Betrieben gesammelt haben, in die Breite tragen
und aufwachsen lassen, um Chancen zu eröffnen .
Zur Bildungsgerechtigkeit gehört auch unser Programm „Kultur macht stark“ . Das ist das größte Programm für kulturelle Bildung, das es je in der Bundesrepublik Deutschland gab . Wir haben jetzt eine
Zwischenevaluation . Sie zeigt, dass wir mit diesem Programm diejenigen erreichen, die wir erreichen wollen:
die Kinder und Jugendlichen, die es schwerer haben, die
aus bildungsfernen Elternhäusern kommen, die zum Teil
Migrationshintergrund haben . Genau sie werden mit diesem Programm erreicht .
({2})
Bildungsgerechtigkeit heißt individuelle und präventive Berufsberatung . Wir machen das auf einem sehr
hohen Niveau . Gemeinsam mit dem Arbeitsministerium
erreichen wir Hunderttausende . Wir wollen jetzt - das
funktioniert schon an der einen oder anderen Stelle, zum
Beispiel in Wismar -, dass es diese individuelle und präventive Beratung auch für Gymnasien gibt, damit ein
Schüler nicht sofort gesagt bekommt, dass er später studieren muss, sondern damit er im Hinblick auf Studium
und Ausbildung beraten wird . Hierzu habe ich alle Länderminister angeschrieben . Es gibt ein großes Interesse
daran . Wir werden das jetzt Stück für Stück in den unterschiedlichsten Bundesländern umsetzen .
({3})
Bildungsgerechtigkeit heißt natürlich auch: Chancen
für die Begabten, Begabtenförderung . Die Mittel hierfür - für Begabtenförderwerke, für Wettbewerbe, die wir
durchführen, und anderes - sind seit 2005 verdreifacht
worden . Begabtenförderung heißt auch Deutschlandstipendium . Ich habe jetzt zum Beispiel eine junge syrische Geigerin kennengelernt . Als sie in Damaskus studierte, brach der Krieg aus . Sie ist zu uns gekommen, ist
in Weimar jetzt Meisterschülerin und kann sich mit dem
Deutschlandstipendium ihren Traum erfüllen . Auch das
ist Bildungsgerechtigkeit .
({4})
Im Zusammenhang mit Bildungsgerechtigkeit muss
man unbedingt KAUSA nennen, das sind die Koordinierungs- und Beratungsstellen für potenzielle Auszubildende mit Migrationshintergrund . Wir haben die Anzahl
dieser Stellen verdoppelt; wir haben jetzt 14 oder 15, jedenfalls eine große Zahl . Wir haben in diesem Bereich
Erfahrung sammeln können . Diese Stellen sind zwingend
notwendig als Ansprechpartner für die jungen Menschen,
die zu uns kommen: Flüchtlinge, Asylbewerber . Wir haben nur vorläufige Zahlen; alle wissen, wie dynamisch
dieses Feld ist. Die vorläufigen Zahlen zeigen, dass mehr
als ein Drittel derjenigen, die zu uns kommen, jünger als
18 ist, und dass diejenigen zwischen 18 und 25 Jahren im
Moment ein Viertel ausmachen .
Es ist ganz entscheidend, dass man für diese Menschen Bildung und Arbeit ermöglicht . Die Voraussetzung
ist natürlich, Deutsch zu können und gute Schulbildung
zu haben . Man kann über vielfältige Möglichkeiten, zum
Beispiel über die angebotenen Kurse, Deutsch lernen . Im
Rahmen der Alphabetisierung hat der Deutsche Volkshochschul-Verband mit Fördermitteln von uns auch ein
Selbstlernprogramm über das Netz entwickelt . Dies hat
in den letzten Jahren 500 000 Lernende erreicht . Wir haben jetzt angeschoben, dass dies auch über Smartphones
verfügbar wird, weil die Flüchtlinge in den Erstaufnahmelagern mit dieser Technik ausgerüstet sind . Das hilft,
ganz viele schnell zu erreichen, zu motivieren und über
Deutschland und Ausbildung zu informieren .
({5})
Wir alle wissen - darüber haben wir hier oft geredet -,
dass es junge Leute gibt, die nicht ausbildungsfähig sind .
Sie ausbildungsfähig zu machen, ihre Ausbildungsfähigkeit zu stärken, ist das Ziel des Übergangssystems . Wir
haben uns dafür auf die Schulter geklopft - ich jedenfalls
habe das getan -, dass es uns in den letzten Jahren gelungen ist, dieses Übergangssystem um etwa 40 Prozent zu
reduzieren . Aber es wird jetzt wieder wachsen; die Zahl
derjenigen, die ausbildungsfähig gemacht werden müssen, wird ansteigen . Denn es wird der Ort sein, wo viele
dieser jungen Leute Ausbildungsfähigkeit erreichen müssen . Wir können froh sein, dass wir dieses Instrumentarium haben . Wir müssen es jetzt entsprechend stärken .
Wenn jemand, der zu uns kommt, eine Qualifikation
hat, dann wird aufgrund des Rechtsanspruches, den er
durch das Anerkennungsgesetz hat, seine Qualifikation
eingeschätzt, sodass die Wirtschaft weiß, was er kann,
auch wenn er keine Papiere hat . Auch das ist jetzt möglich . Hierfür gibt es seit 2012 das entsprechende Instrument .
Wir haben im Bereich der Ausbildung seit 1 . August
geregelt, dass jemand, der eine Ausbildung beginnt, auch
wenn er nur geduldet ist, auch wenn er vielleicht wieder
gehen muss, diese Ausbildung in Deutschland abschließen kann . Damit hat er, wenn er lange hier bleiben kann,
natürlich die beste Chance zur Integration . Wenn er einer
von denen ist, die wieder gehen müssen, dann hat er in
dieser Zeit in Deutschland immerhin etwas für sein Leben gelernt und wird stärker sein in dem Land, in dem er
zu Hause ist und dann lebt .
({6})
Ab 1 . Januar 2016 wird die Wartezeit bis zum Anspruch auf BAföG für diejenigen, die zu uns kommen,
auf 15 Monate reduziert . Das waren einmal über vier
Jahre . Die Hochschulen freuen sich in den Welcome
Centern und an anderer Stelle auf die jungen Menschen,
die zu uns kommen und in der Lage sind, ein Studium
zu beginnen . Das BAföG wird natürlich nicht nur unter
dem Aspekt, dass der Zugang für Flüchtlinge vereinfacht
wird, verbessert . Ganz klar ist: Es ist ein Riesenpaket .
Das kostet wahnsinnig viel Geld, aber es wird dafür
sorgen, dass am Ende dieser Legislaturperiode so viele
junge Menschen wie seit über 30 Jahren nicht mehr in
den Genuss des BAföG kommen . Die Summen, die wir
dafür ausgeben, sind beträchtlich . Sie wissen, dass der
Bund das alleine finanziert.
Als Nächstes zum Meister-BAföG . Wir haben mit den
Koalitionsfraktionen vereinbart, es nicht nur zu modernisieren, sondern auch die Leistungen enorm auszuweiten . Genau das brauchen wir . Da wir ja immer wieder
über Gleichwertigkeit reden und für duale Ausbildung
werben, ist festzustellen: Das Meister-BAföG ist von der
Qualität her, so wie es derzeit ausgestaltet ist, ein ganz
wichtiger Punkt .
({7})
Es gibt eine Frage, über die wir ständig diskutieren,
entweder mit Sorge oder mit Begeisterung - sie ist jedenfalls das Thema -: Wie viele Menschen kann Deutschland aufnehmen? Es ist doch ganz klar: Damit die Aufnahmefähigkeit groß ist und zunimmt, müssen wir gut,
innovativ und wettbewerbsfähig sein . Deswegen müssen
wir dafür sorgen, dass alle, die in diesem Land leben,
Chancen haben, auch die Chance, ein Studium aufzunehmen, wenn sie es denn wollen . Deswegen ist der Hochschulpakt - sehen Sie sich einmal an, wie viel Geld er uns
allein im nächsten Jahr kostet - ein richtiges Instrument .
Er bietet Sicherheit für die nächsten Jahre und ist mit den
Ländern vereinbart . Ich glaube, das war nicht nur angesichts der demografischen Entwicklung, sondern auch
vor dem Hintergrund der Flüchtlingssituation ein ganz
wichtiger und richtiger Schritt .
({8})
Der Bund ist seit vielen Jahren ein ganz wichtiger
Partner im Bereich der Forschung . Während in vielen anderen europäischen Ländern und darüber hinaus, auch in
den USA, der Rotstift angesetzt wurde, war das bei uns
nicht der Fall . Bei uns sind die Summen für Forschung
in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert worden .
Kontinuität gab es zum Beispiel durch den Pakt für
Forschung und Innovation . Es bestand die Gefahr, dass
dieses gute Instrument nicht mehr fortgeführt wird . Deswegen war es eine große Leistung, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, dass der Bund die jährliche
3-Prozent-Steigerung der Mittel für den Pakt für Forschung und Innovation allein finanziert. Das führt schon
in der nächsten Zeit zu einer Entlastung der Länder um
1,2 Milliarden Euro .
Der Pakt für Forschung und Innovation bedeutet nicht
nur Tarifsteigerungen oder dass jetzt also alle ein bisschen mehr Geld bekommen und die Situation dadurch etwas komfortabler ist, sondern er bedeutet Innovationen .
Ein Beispiel ist die Großforschung der Helmholtz-Gemeinschaft; sie möchte mit der Wirtschaft gemeinsam
Labore einrichten .
Oder: Die Fraunhofer-Gesellschaft hat Anwendungszentren als ein tolles neues Instrument für Mittelstand
und Fachhochschulen entwickelt . Diese Anwendungszentren kann sie jetzt ausbauen und neue einrichten . Wir
müssen dort ja etwas in der Breite tun .
Oder: Die Leibniz-Gemeinschaft hat sich vorgenommen - ich glaube, das freut auch diejenigen, die vorhin
miteinander diskutiert haben -, sich stärker für Gründungsmentalität zu engagieren und im Rahmen ihrer
Möglichkeiten aus den Mitteln des Pakts für Forschung
und Innovation Start-ups zu unterstützen .
({9})
Weil wir leistungsstark sind, sind wir auch für viele
Studenten ein Zielland, was mich sehr freut; denken Sie
nur an Diplomingenieure . Diejenigen, die zu uns kommen, sind in überproportionalem Maße - mehr als in allen
anderen Fächern - Studenten, die in Deutschland einen
Master im Ingenieurbereich machen wollen . Deutschland ist aber nicht nur das drittbeliebteste Zielland für
Studierende aus aller Welt - erster Platz USA, zweiter
Platz Großbritannien - also englischsprachige Länder -,
dritter Platz Deutschland -, sondern mittlerweile auch
ein Standort für hochkarätige Wissenschaftler .
Ein Beispiel sind die Alexander-von-Humboldt-Professuren . Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist das ist jetzt allerdings eine Hypothese -, eine der nächsten Nobelpreisträgerinnen - man kann es zwar noch nicht
ganz genau sagen, aber ich denke, dass es so kommen
wird - zu gewinnen .
({10})
- Ja . - Sicher ist schon, dass wir Herrn Böttinger gewonnen haben . Ab 1 . November dieses Jahres wird er das
Berliner Institut für Gesundheitsforschung leiten .
({11})
Dieses Berliner Institut - ich sage nur: 90 Prozent Bundesfinanzierung - wird unter seiner Leitung, glaube ich,
sehr erfolgreich arbeiten . Er ist jemand, der in den USA
in der ersten Liga gespielt hat, der genau weiß, was dort
läuft, und der dafür sorgen wird, dass wir in der Weltspitze sind . Nur das kann der Anspruch sein, wenn sich der
Bund dort in einem solchen Maße engagiert .
Meine Damen und Herren, natürlich haben die Investitionen in Bildung und Forschung eine Hebelwirkung
für die Wirtschaft . Gerade wurde eine DIW-Studie veröffentlicht, die besagt, dass ein stärkeres Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Forschungsausgaben sehr schnell,
also kurzfristig, zu einer Erhöhung des BIP führt und wir
in Deutschland auf diesem Gebiet besonders stark sind .
Das ist unsere Chance .
Ich könnte Ihnen jetzt noch ein paar schöne Zahlen
nennen und zum Beispiel darauf hinweisen, dass wir
in Europa diejenigen sind, die das meiste Geld für Forschung und Entwicklung ausgeben . Aber: Die anderen
schlafen nicht . Es geht auch nicht nur um Europa, sondern um die ganze Welt . Deswegen ist diese Entscheidung mit Blick auf den Haushalt richtig: Der Schwerpunkt, um den es hier insbesondere geht, ist das Thema
Digitalisierung und digitaler Wandel . Gerade haben wir
die Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“, die ein ganz breites Spektrum abdeckt und mit
wichtigen Menschen besetzt ist, gestartet .
Wir werden - wir machen bekanntlich viel für Frauen
im MINT-Bereich - im Januar eine neue Initiative starten, bei der es darum geht, vor allem den Anteil der Frauen in der Informatik zu erhöhen . Das ist einer der Bereiche unter den MINT-Fächern, in dem es immer noch
nicht so gut aussieht .
Ich glaube, dass wir mit unserem großen Programm
für Cybersicherheit für die Wirtschaft - die größte Sorge
der Wirtschaft gilt dem Datenklau - dort die richtigen
Impulse setzen, und zwar nicht nur für die großen Unternehmen, sondern gerade für den Mittelstand .
({12})
Das Programm „Industrie 4 .0 - Forschung auf den
betrieblichen Hallenboden“, das im April gestartet ist,
funktioniert nur, wenn der Forscher oder die Forscherin
einen Mittelständler an der Seite hat, wo man die Dinge auch ganz handfest vor Ort ausprobieren kann; denn
es geht nicht nur darum, an einer neuen Publikation zu
schreiben . Das brauchen wir .
Ich denke, insgesamt kann man sagen, dass die Politik
in den letzten Jahren sehr viel dazu beigetragen hat, dass
Forschung und Entwicklung in Deutschland gestärkt
worden sind . Wir dürfen aber nicht nachlassen, sondern
müssen diesen Weg weitergehen . Ich freue mich, wenn
Sie uns an dieser Stelle ganz massiv unterstützen .
Danke schön .
({13})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Roland Claus,
Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Bundesministerin, wenn man Ihnen zuhört - und das
mache ich oft -, dann stellt man fest: Bei Ihnen gibt es
eigentlich nur drei gesellschaftliche Aggregatzustände .
Entweder heißt es „Deutschland geht es gut“ bzw . „Wir
sind auf einem guten Weg“, oder wenn die ersten beiden
nicht funktionieren, dann ist die Position der Regierung
„alternativlos“ . So schön und heil ist die Welt aber nicht,
Frau Ministerin .
({0})
Das Hauptargument, das Sie immer anführen, sind die
enorm steigenden Ausgaben für Bildung und Forschung .
Das kann jeder nachlesen, und das ist auch unbestritten .
({1})
Das sagt aber noch nichts über erreichte Ergebnisse und
die Effektivität aus . Gemessen wurden die Bienen nicht
an ihren Flugkilometern, sondern an dem Honig, den sie
nach Hause brachten .
({2})
Niemand im Deutschen Bundestag wird gegen eine
bessere Finanzierung von Bildung und Wissenschaft anreden . Sie wissen auch, wie viele Projekte und Vorhaben
wir durchaus einvernehmlich und gemeinsam unterstützten . Insofern haben wir sehr wohl zur Kenntnis genommen, dass sich der Etat, um den wir heute ringen, seit
2005 mehr als verdoppelt hat .
({3})
Aber man muss zuweilen an Helmut Kohls gewichtige
Aussage erinnern: Wichtig ist dabei, was hinten herauskommt, meine Damen und Herren .
({4})
Dabei muss ich Sie auf ein paar akute Probleme aufmerksam machen . Ein ganz gravierendes Problem sind
die befristeten Arbeitsverhältnisse, die Zeitverträge im
akademischen Bereich, und zwar durchweg .
({5})
Das Statistische Bundesamt hat kürzlich Vergleichszahlen veröffentlicht . Ich will Ihnen einige Beispiele nennen: Bei den unter 30-Jährigen beträgt der Anteil der
Beschäftigten mit einem Zeitvertrag 80 Prozent . Bei den
unter 35-Jährigen sind es noch 70 Prozent, und bei unter
40-Jährigen immer noch 60 Prozent . Jetzt kommt eine
Zahl, die mindestens genauso schlimm ist: Fast die Hälfte dieser befristeten Verträge hat eine Laufzeit von unter
einem Jahr .
Frau Ministerin, diesen Zustand kann man nicht unkommentiert hinnehmen .
({6})
Denn ein solcher Zustand ist weder sozial noch kreativitätsfördernd . Man versetze sich doch einmal in die
Lage eines solchen jungen Menschen, der womöglich
einer fantastischen Idee auf die Sprünge helfen und einen wissenschaftlichen Durchbruch erzielen kann, aber
feststellen muss, dass in drei, vier oder sechs Monaten
sein Vertrag ausläuft und damit auch seine Gehaltszahlung endet . Das ist doch sozusagen wissenschafts- und
kreativitätsfeindlich . Es ist aber auch familien- und kinderfeindlich . Das ist nicht zuletzt ein Zustand, mit dem
jungen Akademikerinnen und Akademikern ein Stück
ihrer Freiheit genommen wird .
({7})
Nun haben Sie, glaube ich, das Problem erkannt und legen eine Novelle des - ich kann nichts für den Begriff Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vor . Was die Analyse
angeht, habe ich, als ich mich damit befasst habe, festgestellt: Das Problem ist erkannt . Aber bei der Lösung des
Problems sehe ich auch in diesem Gesetzentwurf nicht
wirklich weiterführende Schritte . Wir müssen Sie auffordern, energischer daran zu arbeiten, diesen Zustand zu
überwinden, als das bisher der Fall war, Frau Ministerin .
({8})
In Ihrem Text heißt es: Die Bundesregierung hat es
sich zum Ziel gesetzt, mehr Bildungsgerechtigkeit zu
schaffen . - Das hat auch in Ihrer Rede eine Rolle gespielt . Leider belegen die OECD-Studie und andere Studien aber das Gegenteil . Ein ungleicher Zugang zu Bildung und Studium reproduziert nach wie vor eine soziale
Spaltung der Gesellschaft . Darüber, wie sozial gespalten
die Gesellschaft ist, haben wir uns in der Debatte zuvor
ja unterhalten . Die Linke wird auch hierzu Vorschläge
machen, unter anderem für eine umfassende - Sie werden sagen: radikale, und wir werden nicht darüber streiten - BAföG-Reform . Das wäre ein richtiger Schritt hin
zu mehr Bildungsgerechtigkeit .
Sosehr ich mich für Ihre Geigerin in Weimar freue,
Frau Ministerin: Das Deutschlandstipendium ist natürlich nicht der Weg, auf dem wir eine moderne Förderung
erreichen können .
({9})
Wir alle wissen doch, dass es zum Beispiel in Ostdeutschland natürlich unendlich schwer ist, 50 Prozent
Sponsoring einzuwerben .
({10})
Sie sehen sich auch - das können Sie auch nicht
ausblenden - einer anhaltenden Kritik des Bundesrechnungshofs an der Erfolgskontrolle der Förderprogramme
des Ministeriums ausgesetzt . Der Bundesrechnungshof
schreibt Ihnen in seinem Bericht: Inzwischen ist ein
unsystematisches Nebeneinander von Instrumenten entstanden . - Das ist keine Kleinigkeit .
Wir nehmen das Ministerium hier gerne auch ein bisschen in Schutz und sagen: Gerade bei kreativen Leistungen in der Wissenschaft kann man nicht jede Erfolgskontrolle vorgeben . Hier muss es auch die Möglichkeit von
„Versuch und Irrtum“ geben . Das heißt aber noch lange
nicht, dass alles erlaubt ist und dass wir uns eine solche
Projektträgerlobby, wie sie bei Ihnen anzutreffen ist, einfach unwidersprochen gefallen lassen könnten . Das werden wir zur Sprache bringen .
Im Jahr 2014 haben wir Sie dafür kritisiert, dass
18 Beschäftigte des Deutschen Zentrums für Luft- und
Raumfahrt unmittelbar in Ihrem Ministerium beschäftigt
sind . In diesem Jahr stellt der Bundesrechnungshof fest,
dass es 27 sind - allerdings von verschiedenen Projektträgern. Wir weisen darauf hin, dass das einen Konflikt
bedeutet . Das sind Beschäftigte, die auf der einen Seite
Zuwendungsempfänger sind - sie bekommen also Geld
des Bundes - und auf der anderen Seite in dem Ministerium darüber entscheiden, wer das Geld bekommt . Der
Bundesrechnungshof stellt dazu fest: Dies kann zu Interessenkollisionen und Wettbewerbsverzerrungen führen . - Das haben wir Ihnen vor einem Jahr auch gesagt,
aber auf uns haben Sie ja nicht gehört . Nun nehmen Sie
wenigstens den Rechnungshof ernst .
({11})
Ich habe vorhin in der Debatte über den Wirtschaftsetat die Subventionierung des Deutschen Zentrums für
Luft- und Raumfahrt und von Airbus kritisiert . Danach
ist mir, wie ich finde, ziemlich platt Forschungsfeindlichkeit unterstellt worden . Das ist natürlich Käse . Wenn diese Forschung so wichtig ist - auch für die Zukunft der Industrie -, dann frage ich mich, warum sich die Industrie
immer mehr aus der Finanzierung zurückzieht . Warum
musste denn die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau jetzt für einen großen Autokonzern einspringen?
({12})
Da passt doch was nicht zusammen .
({13})
Mein Fazit: Gut, dass es mehr Geld für Bildung und
Wissenschaft geben soll, schlecht, dass so viel Geld in
ein ineffizientes und veraltetes Bildungssystem fließt.
({14})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat Hubertus Heil,
SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kollege Claus, Sie haben der Ministerin unterstellt, sie würde nur drei Aggregatszustände kennen . Ich
würde sagen: Das ist besser, als nur einen, nämlich, alles
schlecht zu finden.
({0})
Ich finde, wir brauchen hier einen realistischen Blick.
Ich bin der Ministerin ausdrücklich sehr dankbar, dass sie
darauf hingewiesen hat, was sie auf den Weg gebracht hat
und was aber auch noch vor uns steht .
({1})
Ganz klar ist: Die Summe, die wir alle miteinander
erfreulich finden - 16,4 Milliarden Euro, was eine Steigerung von immerhin 7,2 Prozent im Vergleich zum
letzten Jahr bedeutet -, sagt an sich noch nichts weiter
aus, als dass dieses Land, diese Regierung und die sie
tragenden Koalitionsfraktionen mehr Geld in Bildung
und Forschung investieren . Das klingt erst einmal gut,
aber die spannende Frage ist: Zu welchem Zweck? Das
ist von allen Seiten angesprochen worden - auch von der
Ministerin .
Es gibt in dieser Koalition einen Konsens, dass wir uns
unter anderem auf bessere, gleiche und gerechte Chancen
im Bereich der Bildung konzentrieren; denn das hat nicht
nur etwas mit der Frage zu tun, ob wir wirtschaftlich erfolgreich sind, sondern auch damit, welches Menschenbild wir haben . Das Menschenbild, das uns prägt, sieht so
aus, dass Menschen unabhängig von sozialer Herkunft,
Hautfarbe, Geschlecht oder religiösem Hintergrund eine
Chance - dafür müssen wir sorgen - auf ein selbstbestimmtes Leben haben . Dafür ist Bildung ein ganz entscheidender Zugang .
Menschen sind nicht durch Geburt und durch Merkmale, für die sie nichts können, in ihren Verhältnissen
gefangen . Dass sie selbstbestimmt leben können, dass
sie Autor ihres eigenen Lebensweges sein können, dafür
schafft Bildung die Voraussetzung . Dafür leistet diese
Koalition eine ganze Menge .
({2})
Um es ganz praktisch zu machen: Natürlich haben
wir, Kollege Claus, in unserem Land - das belegen Studien - nach wie vor eine ganze Menge zu tun, um dieser
sozialen Selektivität entgegenzuwirken . Da ist der Bund
gefragt, da sind die Länder und auch die Kommunen gefragt . Ich will aber auch sagen: Es gibt viele Menschen dafür muss man einmal Danke sagen -, die sich bürgerschaftlich und zivilgesellschaftlich engagieren, um
jungen Menschen eine Chance zu geben . Gerade bei der
aktuellen Flüchtlingshilfe erlebe ich ganz viele Ehrenamtliche, die beispielsweise Nachhilfeunterricht geben,
die anderen Lesen und Schreiben beibringen und damit
dazu beitragen, dass junge, aber auch ältere Menschen
stärker teilhaben können und eine Chance haben, irgendwann in Ausbildung und Arbeit zu kommen . Das, meine
Damen und Herren, nötigt Respekt ab . Dafür muss der
Deutsche Bundestag einmal Danke sagen .
({3})
Aber auch der Bund ist nach wie vor in der Pflicht,
etwas zu tun . Wir tun in vielen Bereichen ganz konkret
etwas, um in diesem Land die Chancen auf Bildung zu
verbessern und gerechter zu machen . Ich will zum Beispiel das Thema der Berufsorientierung und der assistierten Ausbildung ansprechen . Das ist Teil der Ausbildungsallianz, die von Sozialpartnern und der Bundesregierung
gebildet wurde . Ich glaube, dass assistierte Ausbildung
ein wesentlicher Beitrag dafür ist, um benachteiligten
Jugendlichen eine zweite oder dritte Chance zu geben,
voranzukommen . Hier arbeiten die Ministerien Hand in
Hand, nämlich das Bundesarbeitsministerium zusammen
mit dem Bundesbildungsministerium . Das ist ebenso
wichtig wie die Allianz an sich .
Ich komme zu einem weiteren Punkt, den ich ansprechen will . Es ist durch die Allianz für Aus- und Weiterbildung gelungen, mit den Sozialpartnern eine Trendumkehr zu schaffen, was die Entwicklung der Zahl der
beruflichen Erstausbildungsplätze betrifft. Diese Zahl
steigt Gott sei Dank nach vielen Jahren wieder, nachdem
sie lange zurückgegangen war . Nun diskutieren wir darüber, wie wir es schaffen, dass wir keinen Mismatch, also
keine unbesetzten Stellen, haben, und darüber, dass wir
etwas dafür tun müssen, damit Lehrlinge in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen . Aber natürlich - das muss
man ganz klar sagen - haben wir jahrelang erlebt, dass
das Angebot an beruflicher Erstausbildung zurückgegangen war . Jetzt wächst es wieder . Das ist eine gute Nachricht . Auch das war Gegenstand der Gespräche zwischen
Sozialpartnern und Bundesregierung .
({4})
Ich komme zu einem materiellen Punkt . Im Haushalt
von Frau Wanka haben wir die BAföG-Reform durchgesetzt . Immerhin wird es in diesem Land ab kommendem
Jahr, also ab dem Jahr 2016, ungefähr 100 000 junge Menschen mehr geben, die durch BAföG bessere Bildungschancen bekommen . Auch das ist eine ganz maßgebliche
Reform . Nicht zuletzt haben wir - die Bundesregierung
gemeinsam mit den Ländern - den Hochschulpakt bis
2020 verlängert . Das heißt: Bis 2020 gibt es sage und
schreibe 670 000 zusätzliche Studienplätze .
Das sind konkrete Maßnahmen . Es ist einfach, zu sagen: Die Situation ist nicht gut . - Vielmehr geht es darum, sie zu verbessern . Es gibt nichts Gutes, außer man tut
es . Zumindest das hätten Sie einmal erwähnen können,
Herr Claus .
({5})
Trotzdem sage ich: Diese Maßnahmen, die wir auf den
Weg gebracht haben, sind kein Grund, sich zurückzulehnen . Ich erwähne hier das Bildungsbarometer des ifo-Instituts von letzter Woche . Darin wird beschrieben, was
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land von Politik, unabhängig von Zuständigkeiten, erwarten . Die Menschen
in diesem Land erwarten im Bereich der Bildungspolitik
große Lösungen . Sie wollen Ganztagsschulen, gebührenfreie Kitas und nicht zuletzt vergleichbare Schulabschlüsse in der Bundesrepublik Deutschland . Keine Frage: Da sind alle gefragt, Bund, Länder und Kommunen .
Ich will aber nicht verhehlen, dass dem Bund gerade
in der aktuellen Diskussion, in der wir schnell handeln
müssen, nämlich bei der Beantwortung der Fragen: „Was
tun wir in der Flüchtlingshilfe? Was tun wir für diejenigen, die wir langfristig integrieren wollen?“, durch
künstliche, auch durch verfassungsrechtliche Grenzen an
der einen oder anderen Stelle die Hände gebunden sind .
Ich glaube, dass wir, wenn die Entwicklung so weitergeht, über eine neue und gemeinsame Kraftanstrengung
reden müssen, was beispielsweise den Ausbau von Ganztagsschulen in diesem Land betrifft . Hier kann und darf
der Bund durch das Kooperationsverbot, durch den in
Verfassungsrecht gegossenen Irrtum, derzeit leider nicht
tätig werden . Das gilt leider auch für vieles andere, zum
Beispiel für die Frage, ob wir mit Bundeshilfen Sozialarbeit, Sprachklassen und Integrationshilfen auf den Weg
bringen können .
Ich sage: Darüber wird zu reden sein . Aber es ist auch
richtig, sich von dieser Grenze nicht aufhalten zu lassen,
sondern Mittel und Wege zu finden, die wir zusammen
mit der Regierung finden werden und zum Teil auch
schon gefunden haben, um Geld tatsächlich dahin zu
bringen, wo es hingehört .
({6})
Mit der Übernahme der BAföG-Finanzierung haben
wir einen Weg - zugegebenermaßen ist das ein Umweg gefunden, um die Länder so zu entlasten, dass ihnen jährlich zusätzlich 1,2 Milliarden Euro für bessere Bildung
zur Verfügung stehen, um zum Beispiel in den Hochschulen, aber ebenso - auch das ist möglich - in Schulen
der frühkindlichen Förderung die Bildungssituation zu
verbessern .
Ich füge hinzu: Frau Ministerin Wanka, wenn ich Sie
richtig verstanden habe, sind auch Sie der Meinung, dass
die Mittel aus dem Betreuungsgeld, die nach der Verfassungsgerichtsentscheidung zur Verfügung stehen, gezielt
in den Bereichen Familie und Bildung investiert werden
und nicht im allgemeinen Haushalt versickern sollten . Da
haben Sie und Frau Schwesig unsere absolute Unterstützung .
({7})
Die eine Seite der Medaille ist, bessere Bildungschancen zu schaffen . Die andere Seite der Medaille im
Aufgabenbereich des Ministeriums, über dessen Etat wir
gerade diskutieren, betrifft die Frage, wie wir es schaffen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt in
diesem Land zu befördern, um mitzuhelfen, dass aus
wissenschaftlichen und technischen Innovationen auch
gesellschaftlicher und sozialer Fortschritt wird . Beides
ist notwendig . Auch da kann sich sehen lassen, was diese
Regierung auf den Weg gebracht hat .
Sie haben den Pakt für Forschung und Innovation
angesprochen, Frau Ministerin . Der ist ganz wichtig in
diesem Bereich . Und ich füge hinzu: Er stärkt beides . Er
stärkt die erkenntnisorientierte Grundlagenforschung,
die wir in diesem Land genauso brauchen wie anwendungsorientierte Forschung . Es bringt nichts, beides gegeneinander auszuspielen . Wir brauchen Erkenntnisse
und Anwendungen in diesem Land . Daraus erwachsen
Innovationen . Mit dem Pakt für Forschung und Innovation schaffen wir Planungssicherheit und Freiheit für die
Forschung in diesem Bereich .
Ich will die Hightech-Strategie, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, sowie die Verstärkung im
Bereich der Arbeits- und Dienstleistungsforschung ansprechen . Immerhin ist dafür bis 2020 1 Milliarde Euro
vorgesehen . Auch die verstärkte Forschung an Fachhochschulen, die der Bund zusätzlich mit 100 Millionen Euro
fördert, will ich in diesem Zusammenhang erwähnen . All
das kann sich sehen lassen .
({8})
Wir haben allerdings, meine Damen und Herren, in
diesem Herbst noch eine ganze Menge vor uns . Das betrifft den Bereich der beruflichen Bildung. Dabei geht
es nicht nur um die Reform des Meister-BAföG . Ich bin
froh, dass CDU und CSU - sie hatten ja in der letzten
Hubertus Heil ({9})
Woche eine Klausur - mit uns der Meinung sind, dass der
Entwurf der Ministerin eine gute Grundlage ist, wir aber
miteinander mehr tun müssen . Dabei geht es darum, dass
wir im Bereich der beruflichen Erstausbildung - sie steht
im Wettbewerb zu anderen Berufsabschlüssen, die es in
Deutschland gibt - auch Aufstieg ermöglichen bzw . die
Attraktivität dieses Berufsweges stärken müssen . Auch
da können wir, glaube ich, vorankommen . - Herr Claus,
können Sie einen Moment zuhören?
({10})
Er ist ein Mann . Ob er multitaskingfähig ist, weiß ich
nicht . Ihm traue ich das aber zu .
({11})
Herr Claus, Sie haben das Thema der Befristung im
Bereich des Wissenschaftsbetriebes angesprochen . Da
teilen wir den Befund . Die Zahlen sind unstrittig . Deshalb tun wir etwas, und zwar nicht nur das, was Sie beschrieben haben . Wir reformieren das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Und ich finde, der Gesetzentwurf kann
sich durchaus sehen lassen . Wir wollen den Missbrauch
von Befristungen zurückdrängen .
({12})
Wir wollen jungen Menschen die Chance auf eine
planbare Zukunft im Wissenschaftsbetrieb geben . Und
dafür schaffen wir Voraussetzungen, ohne dass wir die
notwendigen Flexibilitäten kaputtmachen . Das gehört
dazu . Mit diesem Recht schaffen wir Perspektiven . Wir
wissen aber, Herr Claus, dass dies allein das Problem
nicht lösen wird, sondern dass es natürlich auch um die
Frage geht, was es an Karrierechancen bzw . Karriere wegen im Wissenschaftsbetrieb gibt . Deshalb bin ich froh,
dass die Koalitionsfraktionen einen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs auf den Weg gebracht haben .
Frau Ministerin, allerdings äußere ich an dieser
Stelle auch einen Wunsch: Ein reines, kleines Tenure-Track-Programm wird nicht ausreichen . Wir müssen
auch etwas für den Mittelbau und vor allen Dingen für
Personalentwicklungskonzepte tun . Dann wird dieser Pakt auch den Namen „Pakt für wissenschaftlichen
Nachwuchs“ verdienen . Beides gehört zusammen: Das
Befristungsrecht muss geändert werden, und es müssen
in diesem Bereich - das ist wichtig - Chancen geschaffen
werden .
({13})
Zum Schluss, meine Damen und Herren, hätte ich noch
gerne etwas zum Thema Exzellenzinitiative gesagt . Denn
das ist die große Königsaufgabe, die wir in den nächsten
Monaten noch vor uns haben . Wir wollen mehr Exzellenz wagen . Die Exzellenzinitiative hat die Forschung in
diesem Land vorangebracht und die internationale Spitzenforschung an unseren Hochschulen gestärkt . Sie hat
das - auch in der Spitze -, was Sie vorhin angesprochen
haben, hervorgebracht . Wir sagen: Das wollen wir fortsetzen . Aber da ist mehr Potenzial in diesem Land .
Wir wollen neben der Forschungslinie bzw . der Förderlinie für Spitzenforscher auch etwas dafür tun, dass
neben der Spitzenforschung auch andere Leistungsprofile - bei Lehre und Transfer beispielsweise - in der Exzellenzinitiative zur Geltung kommen können . Darüber
wird zu reden sein . Auch das schaffen wir gemeinsam .
Ich glaube, dass sich dieser Etat sehen lassen kann aber nicht nur im Hinblick darauf, was die Summe angeht, sondern auch auf die Instrumente . Das wird unser
Land voranbringen .
Herzlichen Dank .
({14})
Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt
Ekin Deligöz das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
es ist richtig, der Etat für Bildung und Forschung steigt .
Aber, um ehrlich zu sein, das ist noch lange kein Grund,
um sich auszuruhen, wenn man das Ziel, 7 Prozent für
Bildung und 3,5 Prozent für Forschung auszugeben, ernst
nimmt . Dieses Ziel ist nämlich noch lange nicht erreicht,
obwohl es eigentlich schon 2010 erreicht werden sollte .
Jetzt sind wir bald im Jahr 2016, aber überhaupt noch
nicht so weit .
Sie wiederholen in allen Reden immer wieder, dass der
Etat steigt . Aber Sie wiederholen das so oft, dass man fast
den Eindruck gewinnt, dass Sie sich dahinter verstecken
und davon ablenken wollen, dass Sie die selbst gesteckten Ziele gar nicht erreichen . Da sollten Sie etwas mehr
Ehrlichkeit einkehren lassen .
({0})
Frau Ministerin Wanka, Sie haben vollkommen recht,
wenn Sie sagen, dass es nicht nur um die Höhe der Mittel,
sondern auch darum geht, wofür das Geld ausgegeben
wird . Aber warum handeln Sie dann nicht entsprechend?
Warum wird uns das in Ihrem Haushalt so nicht bestätigt? Warum setzen Sie das Geld an vielen Stellen falsch
oder schlicht und einfach nicht verantwortungsvoll ein?
Ich will Ihnen ein paar konkrete Beispiele nennen, damit Ihnen das, was ich Ihnen sage, auch augenscheinlich
wird .
Beispiel Nummer eins: In der Erhöhung der Mittel des
Einzelplans für Bildung und Forschung sind nach wie
vor die Kosten des Rückbaus kerntechnischer Versuchseinrichtungen enthalten . Hier geht es um 328 Millionen
Euro, die den Zukunftsinvestitionen entzogen werden
und mit denen die Vergangenheit finanziert wird. Dieser
Ansatz hat sich in den letzten Jahren verdoppelt - Sie
wissen genauso gut wie wir, dass die Kosten explodieren werden; das verschweigen Sie auch nicht . Aber die
Kosten steigen unter anderem deshalb, weil die Steuerungsprozesse innerhalb Ihres Hauses unverantwortlich
und unkoordiniert ablaufen . Das sage nicht ich, sondern
der Bundesrechnungshof . Übernehmen Sie doch endlich
Hubertus Heil ({1})
einmal Verantwortung, und sorgen Sie dafür, dass das
Geld richtig eingesetzt wird, anstatt es zu verschwenden!
({2})
Beispiel Nummer zwei ist die Projektmittelüberwachung. Wegen der Defizite bei der Überwachung verjähren Ansprüche des Bundes; sie gehen uns unwiderruflich
verloren . Wir reden hier immerhin über 6 Milliarden
Euro, die das BMBF jedes Jahr für Bildungs- und Forschungsprojekte gewährt . Auch hier sagt der Bundesrechnungshof: Etwas mehr Verantwortung in diesem
Hause täte der Sache gut . - Wir können keinen einzigen
Cent aus dem Fenster werfen . Aber genau das machen
Sie hier . Übernehmen Sie Verantwortung! Es geht auch
darum, wofür das Geld eingesetzt wird .
({3})
Beispiel Nummer drei . Sie weisen ständig auf das
Deutschlandstipendium hin . 2016 werden wir die Mittel
dafür wieder aufstocken . Das verwundert niemanden .
Aber ich nenne Ihnen ein paar Zahlen . Im Jahre 2014
wurden gerade einmal 63 Prozent der dafür vorgesehenen Mittel abgerufen . Im laufenden Jahr - die Hälfte des
Jahres liegt ja bereits hinter uns - liegt die Quote bei den
abgerufenen Mitteln bei noch nicht einmal 40 Prozent .
Das bedeutet, dass Sie an einer Ideologie um der Ideologie willen festhalten . Das widerspricht den Grundsätzen
der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit; denn in einem solchen Fall müssten Sie die Mittel anpassen .
({4})
Das tun Sie aber nicht . Lieber investieren Sie das Geld
in die Deckung hoher Verwaltungskosten, um an dieser
Ideologie festhalten zu können . Sie sollten das Geld - dieses Beispiel haben Sie selber genannt - in die Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen investieren . Stattdessen führen Sie seltsame Projekte
durch und öffnen zum Beispiel Alphabetisierungskurse
für Deutsche auch für Menschen, die überhaupt nicht die
deutsche Sprache beherrschen . Diese Menschen brauchen jedoch Unterricht im Fach „Deutsch als Fremdsprache“ . Das ist aber etwas komplett anderes . Und deshalb
brauchen wir in diesem Land 11 000 Lehrerinnen und
Lehrer für Deutsch als Fremdsprache . Aber dafür haben
Sie keinen einzigen Cent übrig . Das wäre eine gute Investition und würde bei den Menschen besser ankommen
als die seltsamen Pseudoprojekte, die Sie durchführen .
({5})
Wir unterstützen Sie darin - um einmal etwas Positives zu nennen -, dass Sie den Flüchtlingen den
BAföG-Zugang erleichtern . Das ist gut und wichtig . Das
ist eine Investition in die Zukunft dieser Menschen und
dieses Landes . Aber warum sollen die Menschen 15 Monate warten? Warum reduzieren Sie die Wartezeit nicht
auf drei Monate? 15 Monate im Leben eines jungen
Menschen, der zum Nichtstun verdammt ist, ist eine sehr
lange Zeit . Geben Sie sich einen Ruck, und machen Sie
daraus drei Monate! Wir sind dann sofort dabei .
({6})
Bleiben wir bei den Zukunftsinvestitionen . Die Infrastrukturen des Wissens bekommen von Ihnen keinen
Cent . Was wir brauchen, ist ein Modernisierungsprogramm, gemeinsam aufgelegt von Bund und Ländern,
meinetwegen auch zeitlich begrenzt . Der Investitionsstau
in diesem Bereich ist jedenfalls unverantwortlich . Auch
dafür müssen Sie Verantwortung übernehmen .
({7})
Ein innovatives Land wie Deutschland braucht Orte, wo
gedacht, geforscht, gelehrt und auch gelebt werden kann .
Hier brauchen wir Investitionen statt Verschwendung .
Bei diesen Zukunftsinvestitionen müssen Sie sich noch
mehr anstrengen .
Ich sage zum Schluss noch etwas Positives die überbetrieblichen Berufsbildungsstätten betreffend . Das wird in
der dualen Ausbildung Möglichkeiten schaffen und dafür
sorgen, dass Betriebe ausbilden, die das bislang nicht getan haben . Ich bin froh darüber und sehr dankbar dafür,
dass meine Fraktion diese Forderung hier immer und immer wieder hartnäckig eingebracht hat .
({8})
Dass Sie sehr lange dafür gebraucht haben, das zu übernehmen, tut der Sache keinen Abbruch; vielmehr ist es
wichtig, dass Sie das umsetzen .
({9})
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben noch eine ganze
Menge guter Ideen, die Sie sie alle übernehmen können .
Das werden wir alle gut finden, und ich werde Sie hier
dafür loben . Aber an guten Ideen mangelt es bei Ihnen,
und das ist wirklich sehr bedauerlich .
({10})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
Albert Rupprecht das Wort .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Die Debatte über unseren Haushalt 2016 fällt
zusammen mit zehn Jahren Regierungszeit der Unionsfraktion und zehn Jahren Kanzlerschaft von Angela
Merkel . Deswegen erlauben Sie mir, dass ich das, was
wir jetzt debattieren, ein Stück weit in diese zehn Jahre
einzuordnen versuche .
Wir starteten als Unionsfraktion mit der Überzeugung,
dass das, was Franz Josef Strauß - er hätte in diesen Tagen seinen 100 . Geburtstag gefeiert - einmal gesagt hat,
richtig ist: „Konservativ … heißt an der Spitze des Fortschrittes marschieren .“
({0})
Das ist keine Banalität;
({1})
denn diese Überzeugung durchzieht alle politischen
Bereiche . Wir sind der festen Überzeugung, dass Wohlergehen, Wohlstand, aber auch Gemeinsinn und gesellschaftlicher Zusammenhalt nur zu sichern sind, wenn wir
innovativ sind, wenn wir den technischen Fortschritt in
unserem Land vorantreiben, ob das die Energieversorgung ist, ob das die Mobilität ist oder ob das die Krebsbehandlung ist .
({2})
- Das ist überhaupt keine Binsenweisheit . Wenn man sich
das Ganze konkret anschaut - ich hatte heute schon zwei
Besprechungen zu genau diesem Thema -, dann stellt
man nämlich fest, dass neben den Allgemeinplätzen, die
überall von sich gegeben werden, manche sagen: Ach,
Transfer, darum brauchen wir uns gar nicht zu kümmern .
Das macht die Wissenschaft von allein usw . - Wenn man
diese Grundsätze ernst nimmt, dann heißt das, die gesamte Produktionskette ständig anzuschauen, zu optimieren,
zu verbessern, dazuzulernen . Grundlage für Innovation
ist eben nicht die Sonntagsrede, sondern es sind Bildung
und Forschung, aber auch der Anspruch, den man an Bildung und Forschung und an Forscher stellt .
({3})
Wir sind vor zehn Jahren gestartet als der „kranke
Mann in Europa“; Deutschland hatte 5 Millionen Arbeitslose . Zehn Jahre später sind wir eines der innovativsten und begehrtesten Länder der Welt . Wir erleben
es im Zusammenhang mit den Flüchtlingen - mit allen
Schwierigkeiten und Herausforderungen, die damit verbunden sind . Wir erleben es aber auch im Zusammenhang mit den Studierenden: Die Zahl der Studierenden,
die nach Deutschland kommen, ist so hoch wie noch nie .
Immer mehr Wissenschaftler sagen: Deutschland ist das
Land, in dem ich forschen und in dem ich tätig werden
möchte . Wir sind bei allen internationalen Rankings zur
Frage „Was ist das innovativste Land?“ auf einem der
Plätze vier, fünf oder sechs. Ich finde, das ist ein tolles
Ergebnis, und darauf können wir auch stolz sein .
({4})
Das DIW hat vor Kurzem eine Studie herausgegeben
und herausgearbeitet, dass Forschung der Wachstumsund Innovationstreiber schlechthin ist . Das DIW hat festgestellt, dass die Forschungsausgaben in Deutschland
seit 2007 enorm gestiegen sind, vor allem deswegen,
weil sich die öffentliche Hand - ich füge hinzu: vor allem
der Bund - an die Decke gestreckt hat, und dass der Anstieg im internationalen Vergleich nur in Südkorea noch
größer ist als in Deutschland. Ich finde, das ist ein herausragendes Ergebnis . Auch darauf können wir stolz sein .
({5})
Die Zahlen zum BMBF-Haushalt sind mehrfach genannt worden: Seit 2005 wurde dieser Haushalt mehr als
verdoppelt, auf 16,3 Milliarden Euro . Das ist ein Anstieg
von 116 Prozent . Frau Ministerin Wanka, das ist ein internationaler Spitzenwert .
({6})
In den Jahren, in denen Rot-Grün regiert hat, also in
den sieben Jahre zwischen 1998 und 2005 - einen solchen Rückblick vorzunehmen, kann ich den Grünen und
unserem Koalitionspartner nicht ersparen -, ist der Haushalt von 8 Milliarden Euro im Jahre 1998 auf schlappe
8,5 Milliarden Euro im Jahre 2005 gestiegen . Das heißt,
in sieben Jahren gab es einen Anstieg um sechs Prozent .
Bei uns ist dieser Haushalt in zehn Jahren um 116 Prozent gestiegen . Darin besteht einfach der Unterschied .
Ich wende mich noch einmal an die Grünen . Lieber
Herr Gehring, ich schätze all die intelligenten Reden, die
Sie hier halten . Nur zu reden, ist aber einfach zu wenig .
Man muss als politische Kraft seine Vorhaben irgendwie auch aufs Gleis setzen . Während der grünen Regierungszeit gab es im Bereich der Forschung und Bildung
schlichtweg nur finanzielle Stagnation, nicht mehr und
nicht weniger .
({7})
Noch einen Tipp an unsere Kollegen der SPD - Frau
Schieder, jetzt kommen wir zu Ihnen -: Wenn Sie Ihre
forschungs- und bildungspolitischen Träume Wirklichkeit werden lassen wollen, dann haben Sie eine Chance:
Regieren Sie mit uns als Juniorpartner . Wir ziehen den
Karren! Regieren Sie mit uns! Dann kriegen wir die Sachen auch durch .
({8})
Der Haushalt 2016 ist wiederum gelebte Priorität für
Forschung und Bildung: plus 1,1 Milliarden Euro . Der
Haushalt steigt damit auf 16,3 Milliarden Euro . Es ist der
viertgrößte Fachhaushalt im Bundeshaushalt . Es ist eine
Steigerung um 7,2 Prozent gegenüber einer Steigerung
des Gesamthaushalts um 3,4 Prozent . Das ist gelebte Prioritätensetzung . Ich bedanke mich auch im Namen der
Fachpolitiker bei unseren Kollegen in den Fraktionen der
SPD und der Union, die das mittragen . Ich bedanke mich
an dieser Stelle aber auch ganz besonders bei Ihnen, Frau
Wanka, weil es keine einfache Übung ist, den Bundesfinanzminister zu überzeugen, dass er im Haushalt über
1 Milliarde Euro drauflegt. Danke schön!
({9})
Es ist mehrfach gesagt worden: Ohne Moos nix los . Aber das allein reicht nicht, sondern es geht um die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen . Unsere Grundsätze,
Leitbilder und Ziele haben sich seit 2005 im Wesentlichen nicht geändert . Da gibt es Kontinuität . Für die stehen wir .
Erstens . Wir setzen auf Freiheit und Eigenverantwortung . Deswegen haben wir seit 2012 das Wissenschaftsfreiheitsgesetz - ein historischer Meilenstein .
Zweitens . Wir setzen auf Verlässlichkeit . Deswegen
gibt es den dritten Pakt für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen von 2016 bis 2020 mit einem Aufwuchs von über 4 Milliarden Euro . Den Aufwuchs, liebe
Kolleginnen und Kollegen, zahlen wir vom Bund allein;
das ist nicht selbstverständlich . Auch da strecken wir uns
wieder nach der Decke .
({10})
Drittens . Wir setzen auf Breite, aber auch auf Spitze
und Exzellenz . Wir wissen aus der Diskussion über die
Exzellenzinitiative: Ohne eine gesunde, eine ausreichende Breite wird es keine stabile Spitze geben . Deswegen
ist das Austarieren einer der entscheidenden Punkte .
({11})
- Dazu komme ich gleich, zu dem, was wir schon machen und was wir machen werden .
({12})
Ich sage einmal ein paar Punkte dazu, was wir in der
Breitenförderung machen:
Wir fördern die Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen in der Breite, insbesondere beispielsweise
die Fachhochschulen . Die Zahlen: Seit 2005 - lieber
Herr Kollege Gehring, damals haben wir die Regierung
übernommen; vorher ward ihr dran - haben wir die Mittel für die Fachhochschulen verfünffacht, nämlich von
damals 10 Millionen Euro auf jetzt 48 Millionen Euro .
1 400 Forschungsvorhaben - 286 Millionen Euro - an
125 Fachhochschulen, das ist Förderung der Breite, sehr
geehrte Damen und Herren!
({13})
Wir haben den Overhead-Anteil für die Projektförderung gesteigert . Von 2016 bis 2020 werden wir 2 Milliarden Euro, wiederum Bundesmittel, zur Verfügung
stellen . Das ist Breitenförderung, liebe Kolleginnen und
liebe Kollegen .
Qualitätspakt Lehre . Es sind 2 Milliarden Euro, die
wir vonseiten des Bundes zur Verfügung stellen . Das ist
Breitenförderung, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen .
Hochschulpakt, das Megathema . In der Gesamtlaufzeit gibt es insgesamt über 20 Milliarden Euro zum Aufbau von Studienplätzen . Das sind Mittel, die wir vom
Bund zur Verfügung stellen, obwohl es nicht unsere Verantwortung ist .
({14})
Ohne diese 20 Milliarden Euro würde die Hochschullandschaft unseres Landes in der Breite vollkommen anders ausschauen . Das ist Breitenförderung, die wir stemmen - auf Ebene des Bundes .
({15})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es gibt einen Riesenabstand zwischen Breitenförderung und Spitzenförderung . Dennoch braucht es auch die Spitzenförderung .
({16})
Sie ist notwendig . Sie ist zwingend . Wenn wir Deutschland im globalen Maßstab vergleichen, stellen wir fest:
Wir sind in vielen Bereichen sehr gut aufgestellt, aber
in der absoluten Spitze gibt es in der Tat etwas zu tun .
Das Schanghai-Ranking 2015 zeigt uns, dass unter den
100 besten Universitäten nur vier deutsche sind, nämlich
die Uni Heidelberg auf Platz 46, die TU München auf
Platz 51, die LMU auf Platz 52 und die Uni Bonn auf
Platz 97. Da ist, finde ich, noch etwas zu tun. Da müssen wir noch einmal etwas drauflegen. Das muss besser
werden .
Das zeigt sich auch bei der Zahl der Nobelpreisträger .
Von 1900 bis 1930 gab es 35 deutsche Nobelpreisträger, die auch in Deutschland tätig waren . In den letzten
30 Jahren waren es 22 deutsche Nobelpreisträger, die
in Deutschland tätig waren, ein erheblicher Teil bei der
Max-Planck-Gesellschaft . Das heißt im Ergebnis, dass es
da an den deutschen Hochschulen im Vergleich zu 1900,
1910, 1920 ziemlich mau ausschaut .
Deswegen war es ein richtiger, ein notwendiger
Schritt, die Exzellenzinitiative zu begründen . An dieser
Stelle sei explizit noch einmal anerkannt, dass es die
SPD-Ministerin Bulmahn war, die sie angestoßen hat .
({17})
- Ja, das ist die Wahrheit . - Es wurde aber von der Ministerin Schavan nach der Regierungsübernahme durch uns
finanziell, technisch und organisatorisch umgesetzt, und
zwar in der Großen Koalition .
({18})
Es gab damals einen breiten Konsens, dass Exzellenz
sowie Spitzenforschung und -förderung notwendig sind .
Es war ein Urgestein, der SPD-Minister Zöllner, der dafür gestanden hat .
({19})
- Ein guter Mann, absolut . - Neben den Bundespolitikern waren es der CDU-Minister Frankenberg und der
CSU-Minister Goppel,
({20})
die gesagt haben: Natürlich ist es einfacher, 50 statt
8 Universitäten zu sagen: „Ihr bekommt Geld“ . Aber
es braucht Mut und Weitsicht, zu entscheiden: „Was ist
exzellent?“ und es auch mit den Akteuren zu besprechen . - Exzellenz ist nicht, wenn 50 Universitäten nach
dem Gießkannenprinzip Geld bekommen, sondern Exzellenz ist, wenn die absoluten Spitzenuniversitäten Geld
bekommen . Es heißt nämlich Exzellenzinitiative und bewusst nicht Gießkanneninitiative .
({21})
Insofern wünsche ich mir und hoffe, dass die
SPD-Kollegen, Herr Kollege Heil, sich in den nächsten
Wochen bei diesem Thema ein Vorbild an großen sozialdemokratischen Bildungsministern wie Herrn Zöllner
nehmen und den Weg gemeinsam mit uns beschreiten .
Wo Exzellenzinitiative draufsteht, muss auch Exzellenz
drin sein . Das heißt: Förderung von einigen wenigen
Spitzenzentren mit internationaler Ausstrahlung, aber
auch von Forschungsfeldern . Ein Forschungsfeld kann
durchaus auch ein Fachbereich sein, es kann ein Cluster
sein oder anderes, also ausdifferenzierte Strukturen .
Ich muss leider enden, weil die Redezeit abgelaufen
ist .
({22})
Das ist schade; denn ich würde gerne zur beruflichen
Bildung und zum wissenschaftlichen Nachwuchs noch
etwas sagen . Aber meine nachfolgenden Redner werden
das machen .
Herzlichen Dank .
({23})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
die Kollegin Dr . Rosemarie Hein .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss Ihnen mit ein paar Zahlen kommen . 7 Prozent
Steigerung im Einzelplan für Bildung und Forschung:
Das klingt nach viel,
({0})
doch es ist wenig angesichts der permanenten und inzwischen chronisch gewordenen Unterfinanzierung des
gesamten Bildungsbereiches .
Schauen wir einmal in die einzelnen Kapitel hinein .
Im Wissenschaftsbereich, dem größten Haushaltsbereich in diesem Einzelplan, wird der Etat um 9,5 Prozent
aufgestockt . Für die Forschungsförderung sind immerhin
noch 4 Prozent mehr Geld vorgesehen . Für die allgemeine und die berufliche Bildung, in der die Weiterbildung
und die gesamte Nachwuchsförderung untergebracht
sind, bleibt gerade einmal eine Steigerung um 2 Prozent .
Ich finde, eine ausreichende Bildungsfinanzierung und
mehr Chancengerechtigkeit sehen anders aus .
({1})
In diesen Einzelplan gehört auch die gesamte
BAföG-Erhöhung hinein . Das heißt, von den 85 Millionen Euro, die hier mehr ausgegeben werden, werden
allein schon 40 Millionen Euro für die BAföG-Erhöhung
benötigt . Diese 40 Millionen Euro - das haben Sie von
uns mehrfach gesagt bekommen - werden nicht ausreichen, um auch nur die Steigerung der Lebenshaltungskosten für Studierende in irgendeiner Weise zu kompensieren . Sie sind also schon jetzt zu wenig . Wenn Ihnen
Bildung so wichtig ist, wie Sie immer vorgeben, hätten
hier andere Zahlen stehen müssen .
({2})
In dieses Kapitel gehört auch die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ mit den etwa 50 Millionen Euro, die
Sie dafür ausgeben wollen . Wir wissen alle, dass in den
letzten Jahren die Lehramtsstudierenden darüber klagen,
dass ihre Ausbildung nicht hinreichend ist . Wir wissen
um die mangelnde Qualität der Lehramtsausbildungen .
Wir wissen, dass das ein ungeliebtes Kind der Hochschulen war, weil man dafür keine Drittmittel einwerben
kann . Deshalb gibt es jetzt dieses Programm, um die
Qualität der Lehramtsausbildung zu verbessern . Es soll
ein Wettbewerbsprogramm um die besten Konzepte sein .
Die erste Ausschreibungsrunde ist gelaufen . Die ersten
70 Prozent des Etats sind vergeben . 19 Projekte von
Hochschulen haben Förderzusagen erhalten . Es gibt aber
120 Hochschulen, die Lehramtsstudierende ausbilden .
Drei Viertel der Bewerbungen wurden abgelehnt . Aber
eine bessere Lehramtsausbildung brauchen wir doch an
allen Hochschulen und nicht nur an 19 oder vielleicht
noch an fünf mehr .
({3})
Ich finde, das Instrument des Wettbewerbs ist wenig
geeignet, um eine Lehramtsausbildung in dieser Qualität
flächendeckend in relativ kurzer Zeit umzusetzen.
({4})
Das eignet sich nicht dafür . Hören Sie damit auf . Suchen
Sie dafür einen anderen Weg .
Aber es geht nicht nur um die Qualität der Lehramtsstudienplätze, sondern auch um ihre Anzahl . Ende August klagte der Philologenverband, dass derzeit etwa
30 000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen . Das war absehbar. In meinem Bundesland hat man aus Effizienzgründen vor einigen Jahren einen ganzen Ausbildungsstandort geschlossen . Inzwischen gibt es nicht mehr genügend
Lehrkräfte, um alle frei werdenden Stellen zu besetzen .
Die meisten Bundesländer haben in den vergangenen
Jahren zu wenige Lehramtsstudienplätze bereitgestellt .
Das haben sie in Erwartung sinkender Schülerzahlen getan . Nun wissen wir, dass sich die Prognose geändert hat .
Es werden 800 000 junge Menschen mehr sein, die zur
Schule gehen werden . Dafür brauchen wir Lehrkräfte .
({5})
- Nun ist es falsch, die Schuld einfach auf die Länder zu
schieben, Herr Brase . Das ist eine sehr billige Ausrede .
Sie konnten nicht wissen, wie sich die Situation entwickelt .
Wir haben Ihnen seit 2010 abverlangt, die Ausweitung
des Hochschulpaktes zu befördern, und zwar bezogen
auf die Lehramtsausbildung mit 30 000 zusätzlichen Studienplätzen . Diese Zahl kommt Ihnen bekannt vor, ich
habe sie gerade genannt . Hätten Sie damals auf uns gehört und nicht einfach den Antrag vom Tisch gewischt, so
hätten wir heute zumindest ein paar Probleme weniger .
({6})
In die Schülerzahl ist die Anzahl der Flüchtlingskinder
noch nicht eingerechnet . Sie kommt noch obendrauf .
({7})
- Die haben auch wir damals noch nicht gewusst, obwohl
man bestimmte Dinge schon absehen konnte .
Hier brauchen wir zusätzliche Fachkräfte, nämlich
Psychologen, Therapeuten sowie Lehrkräfte, die Deutsch
als Zweitsprache oder Deutsch als Fremdsprache unterrichten können . Das können die allermeisten Lehrkräfte
nicht . Ich bin Deutschlehrerin, ich könnte es auch nicht .
Ich habe es nie gelernt .
In meiner Heimatstadt Magdeburg wurde die Aufnahme von Kindern aus Flüchtlings- und Zuwandererfamilien bisher auf wenige Schulen konzentriert . Das wird nun
nicht mehr gehen . Sie werden an allen Schulen aufgenommen werden müssen . Dort sind die Lehrkräfte aber
nicht darauf vorbereitet . Sie können es auch nicht einfach
nebenbei leisten . Dazu ist die Aufgabe viel zu groß .
({8})
In dieser Haushaltsdebatte wurde in jeder zweiten
Rede betont, dass die Bildung von Flüchtlingskindern
wichtig ist . Das ist richtig, und sie können nicht mehr
monatelang darauf warten . Sicher müssen die Hochschulen etwas tun, aber wir brauchen die Lehrkräfte schnell .
Ich frage mich: Warum bieten Sie nicht wenigstens ein
Weiterbildungsangebot für Deutsch als Zweitsprache
oder Deutsch als Fremdsprache an?
({9})
Der Weiterbildungsbereich ist der Bereich im Haushalt,
der gekürzt wird .
Ganz zum Schluss noch etwas zum Deutschlandstipendium; ich kann es Ihnen nicht ersparen . Die Bundesregierung hat sich sehr gefreut: 22 500 Förderfälle gebe
es im Jahr 2014, ein Anstieg um 14 Prozent . Die Bundesregierung verschweigt: Die Zahl der Deutschlandstipendien macht gerade einmal 0,84 Prozent der Zahl
der Studierenden aus, also nicht einmal 1 Prozent; ein
Verhältnis von 1 100 . Ich kenne Lotterien mit höheren
Gewinnchancen .
({10})
Schlimmer ist aber noch: Dem Zuwachs von 2 800 zusätzlichen Deutschlandstipendiaten steht im gleichen
Zeitraum ein Rückgang von über 19 000 BAföG-Empfängern gegenüber; und das bei steigenden Studierendenzahlen. Ich finde, das ist ein ausgesprochen schlechtes
Signal . Darum bleiben wir dabei: Das Deutschlandstipendium gehört abgeschafft und in das BAföG überführt .
Vielleicht können Sie bis zum Ende der Haushaltberatungen noch einmal über die eine oder andere Anregung
nachdenken . Vielleicht können wir hier oder da etwas
verbessern .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Swen Schulz .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf als
Haushälter einmal sagen: Man kann sich immer mehr
wünschen oder noch mehr wünschen, gerade vonseiten
der Opposition . Auch der eine oder andere Koalitionsabgeordnete wünscht sich mehr . Aber insgesamt ist es ein
beachtlicher Rekordhaushalt .
({0})
Herr Rupprecht, ich will hinzufügen: Ohne SPD wäre
das nicht möglich .
({1})
Ich erinnere einmal an die Finanzplanung der Koalition von CDU/CSU und FDP . Die Finanzplanung
Ihrer letzten Koalition sah für das Jahr 2016 lediglich
13,6 Milliarden Euro vor . Jetzt sind es etwa 3 Milliarden
Euro mehr . Ich will jetzt nicht von einem SPD-Bonus für
Bildung und Forschung sprechen, aber auffällig ist das
schon .
({2})
Wie auch immer . Ministerin Wanka darf sich über die
tatkräftige Unterstützung der SPD freuen, und wir alle
freuen uns über die gute Vorlage der Ministerin Wanka
und der gesamten Bundesregierung .
({3})
Natürlich geht es nicht nur um die schiere Größe des
Haushaltes, sondern vor allem darum, wie das viele Geld
eingesetzt wird . Mit diesem Haushaltsplanentwurf - das
will ich ausdrücklich lobend erwähnen - werden die
langen Linien der Bildungs- und Forschungspolitik in
Deutschland fortgesetzt . Ich kann auch sagen: Der rote
Faden wird weitergestrickt .
Auf einige dieser roten Fäden will ich näher eingehen .
Da ist zuerst das BAföG zu nennen . Die beschlossene
Verbesserung greift ab dem nächsten Jahr . Das Schüler-BAföG und das Studierenden-BAföG werden erhöht .
Das macht etwa 150 Millionen Euro zusätzlich im nächsten Jahr aus . Die Gesamtausgaben für das BAföG liegen
bei deutlich über 2 Milliarden Euro . Mit diesem Geld
können sich viele einen Bildungsweg erlauben, der ihnen
sonst verschlossen wäre . Das ist ein starkes Stück sozialer Bildungsfinanzierung.
({4})
Zum Thema BAföG gehört auch das Meister-BAföG .
Wir tun also mehr für Schüler und Studierende - wunderbar -, aber wir sollten das genauso für diejenigen tun, die
sich beruflich qualifizieren wollen.
({5})
Deswegen haben wir in den letzten Haushaltsberatungen
die Erhöhung des Meister-BAföGs gefordert, und wir
halten Wort . Der rote Faden wird verlängert . Immerhin
16 Millionen Euro zusätzlich sind im Regierungsentwurf vorgesehen . Wir wollen in den parlamentarischen
Beratungen einmal schauen, ob wir ein bisschen dazutun können, um den Weg für eine starke Gesetzesnovelle
zu ebnen. Die berufliche Bildung ist uns nicht weniger
wichtig als die akademische Bildung, und das zeigen wir
an dieser Stelle .
({6})
Der nächste rote Faden ist der Hochschulpakt . Die Unterstützung des Bundes für die Hochschulen der Länder
beläuft sich inzwischen allein 2016 auf 2,5 Milliarden
Euro . Auch hier haben wir unsere Ankündigung des letzten Jahres wahr gemacht . Wir haben zugesagt, dass wir
das Geld für die dritte Phase zur Verfügung stellen werden . Wir wollten auch, dass die Lehre besonders bedacht
wird . Auch diese Forderung ist praktische Politik geworden . Ich möchte mir die Situation in den Ländern und an
den Hochschulen ohne diese starke Hilfe des Bundes gar
nicht ausmalen . Hunderttausende können nur studieren,
weil es den Hochschulpakt gibt .
({7})
Ich darf hinzufügen, was für eine Erfolgsgeschichte
die Kooperation von Bund und Ländern im Bildungsbereich ist . Schade, dass sich dieses Konzept der Zusammenarbeit für den Bereich Schule noch nicht durchgesetzt hat . Wir arbeiten aber unverdrossen daran .
({8})
Ich komme zu weiteren roten Fäden . Die Exzellenzinitiative wird weiter finanziert; wir arbeiten an einem
Folgekonzept . Der Pakt für Forschung und Innovation
zur Finanzierung der außeruniversitären Forschung wird
mit Steigerungen fortgesetzt und sogar vom Bund allein
getragen . Das sagt sich so schnell daher . Es wirkt schon
fast langweilig, weil das ja keine Neuigkeiten sind . Aber
eines muss ich sagen: Die Exzellenzinitiative umfasst im
nächsten Jahr immerhin 4 Milliarden Euro für die Forschung an Hochschulen . Zusammen mit der Förderung
von außeruniversitären Forschungseinrichtungen - Leibniz, Helmholtz, Max-Planck, Fraunhofer und DFG macht das 5,5 Milliarden Euro aus . 5,5 Milliarden Euro!
Das gibt nicht jedes Jahr neue Schlagzeilen; aber das ist
verlässliche Politik, auf die die Wissenschaft vertrauen
und auch bauen kann .
({9})
Das stärkt Deutschland nicht nur intellektuell, sondern
auch wirtschaftlich und hilft bei der Lösung von Problemen, zum Beispiel in den Bereichen Gesundheit und Klima, in der Arbeitswelt, in der Technologie oder im sozialen Miteinander . Deutschland steht heute in sehr vielen
Bereichen deutlich besser da als vor etwa 15 Jahren . Viel
wird darüber geredet, welchen Anteil die Wirtschaftspolitik, die Arbeitsmarktpolitik und die Steuerpolitik daran haben . Das ist alles richtig . Aber ich sage: Dass die
rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder mit
der Ministerin Bulmahn eine beispiellose Offensive in
der Bildungs- und Forschungspolitik gestartet hat und
dass diese von den Koalitionen hinterher noch weitergetragen und intensiviert wurde, hat erheblich dazu beigetragen, dass Deutschland heute stark und noch attraktiver
ist .
({10})
Wir belassen es aber nicht etwa dabei . Wir machen
weiter . Wir beginnen, neue rote Fäden zu stricken, etwa
mit der Initiative für wissenschaftlichen Nachwuchs;
Hubertus Heil hat dazu das Nötige gesagt . Das Wissenschaftssystem steht auf tönernen Füßen, wenn wir uns
nicht intensiver bemühen, junge Leute zu gewinnen und
dauerhaft zu halten . Darum packen wir das jetzt an .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt eine
Reihe weiterer Themen, die wir in den parlamentarischen
Haushaltsberatungen noch näher anschauen werden . Um
nur Stichworte zu nennen: Alphabetisierung - die Ministerin ist darauf eingegangen -, Arbeits-, Produktions- und
Dienstleistungsforschung, die „Häuser der kleinen Forscher“, das Programm „Kultur macht stark . Bündnisse
für Bildung“, die Begabtenförderung im akademischen
wie im beruflichen Bereich, die Fachhochschulen, digitale Medien in der Bildung, die Gesundheitsforschung,
die Akademien und vieles mehr . Ich sage dies nur, um
anzudeuten, dass es auch aus Sicht von Koalitionsabgeordneten durchaus noch einigen Stoff für vertiefte Haushaltsberatungen und vielleicht an der einen oder anderen
Stelle auch noch Veränderungsbedarf gibt .
({11})
Aber in diesen Zeiten kann wohl kaum eine Rede gehalten werden, ohne gesondert auf die Flüchtlingsthematik einzugehen . Mir stellt sich die Frage, welchen Beitrag
das Ministerium für Bildung und Forschung leisten kann .
Ich habe den Eindruck, in der Debatte kommen sehr viele Themen vor, es werden viele Dinge angesprochen,
auch mehrere Bundesministerien sind immer wieder im
Gespräch, aber das Bundesministerium für Bildung und
Forschung ist dies eigentlich eher wenig .
({12})
Swen Schulz ({13})
Ich finde, es hieße, das Ressort unter Wert zu behandeln,
wenn man es in der Flüchtlingsfrage außen vor ließe .
({14})
Ministerin Wanka hat dazu dankenswerterweise vorhin in ihrer Rede schon einiges gesagt .
({15})
Es ist auch einiges beschlossen, zum Beispiel, den Zugang zum BAföG zu erleichtern . Sehr gut . Außerdem gibt
es Maßnahmen zur Alphabetisierung von Flüchtlingen,
und die vom Bund geförderte Stiftung Lesen ist aktiv . Es
gibt Projekte für Flüchtlinge im Rahmen des Programms
„Kultur macht stark . Bündnisse für Bildung“ . Das ist alles fein und vielleicht auch noch auszubauen, aber ich
will trotzdem die Frage stellen: Was ist mit zusätzlichen
Stipendien? Was ist mit der Anerkennungsberatung?
Was ist mit dem ganzen Bereich der beruflichen Bildung
und der Nutzung überbetrieblicher Bildungsstätten? Besteht da vielleicht noch weiterer Handlungsbedarf? Und
können wir vielleicht ein Programm für Schulsozialarbeit auflegen? Sollten wir einen neuen Schwerpunkt auf
Migrations- und Integrationsforschung legen, die uns gesellschaftlich helfen kann bei der Bewältigung der anstehenden Fragen? Was ist mit der Friedensforschung und das ist ein ganz anderes Feld - der Forschung im Bereich
der vernachlässigten und armutsassoziierten Krankheiten, die ja in den Heimatländern von Flüchtlingen häufig
schlimm wüten? Machen wir da genug?
({16})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bildung und
Forschung kann nicht alles, und wir Bundespolitiker in
diesem Feld können nicht allein die Welt retten, das ist
klar . Aber ich weiß, dass wir mit Bildung und Forschung
viele Probleme lösen und Fragen beantworten können .
Ich hoffe, dass wir in den Haushaltsberatungen unseren
Teil dazu beitragen .
Herzlichen Dank .
({17})
Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bildung und Forschung sind die Bereiche, in die 2016
mehr Geld investiert werden soll; zwar nicht genug, aber
immerhin . Allerdings kann man aus dem Geld mehr machen, als Ministerin Wanka es tut . Deswegen verlangen
wir deutliche Korrekturen am Bildungs- und Forschungshaushalt .
({0})
Ministerin Wanka verwaltet ideen- und mutlos alte
Projekte ihrer Vorgängerinnen . Mit ihrer Amtszeit verbindet sich keine neue wegweisende Idee . Dieser antriebslosen Politik setzen wir frische Ideen entgegen, damit es in Deutschland innovativer und gerechter zugeht .
({1})
Wir wollen ein Land der Chancen und Erfinder.
({2})
Seit Anfang Januar können Bund und Länder die
Hochschulen dauerhaft unterstützen . Mit der Grundgesetzänderung tun sich völlig neue Chancen auf, das haben
Sie abgefeiert . Aber nicht so bei Frau Wanka: Auf ihren
Vorschlag für mehr und dauerhafte Kooperation wartet
die Welt noch heute . „Ministerin ideenlos“ lässt grüßen .
({3})
Wie wichtig es ist, die Wissenschaftsfinanzierung weiterzudenken, zeigt der Hochschulpakt . Seit Jahren investieren Bund und Länder Milliarden in zusätzliche Studienplätze . Das ist ein wichtiger Kraftakt, der viel bringt .
Und trotzdem sind Hörsäle überfüllt und bröckeln Bauten mancherorts vor sich hin, und neue Studierende mit
Fluchthintergrund sind in der Berechnung noch gar nicht
berücksichtigt . Für bessere Studienbedingungen ist es
daher dringend notwendig, die Infrastrukturen des Wissens bundesweit auszubauen und zu erneuern, mit einem
Push im Hochschulbau loszulegen . Wir fordern weiter
ein Modernisierungsprogramm . Eine kreative Wissensgesellschaft braucht das .
({4})
Kraftlos und halbherzig geht es beim BAföG zu . Frau
Wanka und der Koalition gebührt die zweifelhafte Ehre,
eine BAföG-Reform verabschiedet zu haben, die erst
Jahre später bei den Studierenden wirklich ankommt . Das
muss man sich vorstellen: Sie feiern sich seit Jahren für
eine BAföG-Novelle, aber bis heute hat keine Studierende und kein Studierender davon profitiert. Ein weiteres
Jahr wird ins Land ziehen . Das ist völlig unverständlich,
das ist unfair . Das BAföG muss rauf, und zwar sofort .
({5})
Planlos sind Sie in der Forschungspolitik . Wir meinen, Forschungsförderung muss aktiv zur Bewältigung
der großen gesellschaftlichen Herausforderungen beitragen . Der Bundesregierung fehlt diese Zielsetzung . Es
macht wenig Sinn, die Forschung mit genmanipulierten
Organismen zu fördern und das Geld der Steuerzahler
in der Fusionsforschung zu versenken . Nachhaltig ist
Forschung zur Lösung der Klimakrise, der Energiefrage
und des Problems der Ressourcenknappheit sowie zu Demografie und vernachlässigten Krankheiten. Nachhaltig
ist eine steuerliche Forschungsförderung für kleine und
mittlere Unternehmen .
({6})
Nachhaltig ist auch, eine neue Gründerkultur in unserem
Land zu entfachen . Genau an diesen Stellen wollen wir in
Ihrem Haushalt umsteuern .
Swen Schulz ({7})
Ob Exzellenzinitiative oder Nachwuchsprogramm es gibt bisher keinen Vorschlag der Ministerin und auch
keine gemeinsame Idee der Koalition . Da kann man
nicht länger warten; denn 2016 muss eine Dekade für
den wissenschaftlichen Nachwuchs beginnen . Unsere
Hochschulen brauchen ein Bund-Länder-Programm für
10 000 zusätzliche Nachwuchsstellen, vom Mittelbau
bis zur Tenure-Track-Professur . Eine zukunftsfähige
Wissensgesellschaft verträgt eben kein „Hire and Fire“,
sondern braucht deutlich mehr unbefristete Stellen .
({8})
Sie, Frau Wanka, sind nicht nur Forschungsministerin, sondern auch Bildungsministerin . Da stellt sich
akut die Frage: Wie helfen Sie, die Bildung von über
800 000 Flüchtlingen anzuerkennen und zu verbessern,
die allein in diesem Jahr nach Deutschland kommen werden? Viele von ihnen werden bleiben, wollen sich einbringen, wollen Neubürger werden . Das birgt ganz neue
Chancen, und da sind Sie gefragt, Frau Ministerin .
Vor wenigen Tagen bin ich einer jungen Frau aus Eritrea begegnet . Ihren positiven Asylbescheid hat sie nach
neun Monaten und zwei Wochen erhalten . So lange war
diese junge Frau zum Hoffen, Warten und Nichtstun verdammt, und das ist kein Zustand .
({9})
Denn in dieser Zeit hätte die junge Frau zum Beispiel einen Ausbildungsplatz suchen können . Doch welcher Arbeitgeber stellt sie ein, wenn jederzeit die Abschiebung
droht? Wie absurd ist das eigentlich? Es wäre für Sie ein
Leichtes, daraus eine Win-win-Situation zu machen . Viele Betriebe suchen händeringend nach Azubis und Fachkräften . Die Flüchtlinge wollen arbeiten und sich bilden .
Dafür müssen Sie die Bedingungen schaffen . Flüchtlinge
müssen zügig eine Ausbildung beginnen und sie auch in
unserem Land abschließen können .
({10})
Unter den Neuankömmlingen sind bis zu 400 000 unter 18 Jahren . Die können was und wollen was: die Schule abschließen, Deutsch lernen, eine Ausbildung oder
ein Studium aufnehmen oder fortsetzen . Dafür braucht
es eine gemeinsame Kraftanstrengung . Integration durch
Bildung ist die größte Chance und Herausforderung dieses Jahrzehnts, und da kann der Bund helfen . Wie kann er
denn helfen? Die Bund-Länder-Programme zur Dekade
für Alphabetisierung sind da ein kleiner, richtiger Schritt .
Diesem Schritt müssen aber weitere folgen, wenn es um
Bildung für alle geht - mit mehr Sprachkursen, mehr
Plätzen und Personal in Kitas, Schulen und Hochschulen,
nicht zuletzt mit deutlich mehr Stipendien für Flüchtlinge; auch der Zugang zum BAföG kann und muss schneller erfolgen .
({11})
Denn jeder junge Flüchtling von heute kann Gründerin,
Arzt oder Ingenieurin von morgen sein .
({12})
Dafür braucht es übrigens Zigtausend zusätzliche
Lehrkräfte und mehr Klassenzimmer . Nordrhein-Westfalen geht voran und schafft allein 3 600 zusätzliche Lehrerstellen zur Flüchtlingsintegration . Hilfen für Schulen
sind aber eine nationale, bundesweite Aufgabe, und Sie,
Frau Wanka, können da mitwirken . Machen Sie mit uns
ein Bund-Länder-Schulmodernisierungsprogramm, um
Schulen auszubauen .
({13})
Das wäre dringend notwendig, schon länger und erst
recht jetzt, wenn man sieht, wie viele Schülerinnen und
Schüler zusätzlich kommen . Das können wir machen,
und das sollten wir machen: ein Schulmodernisierungsprogramm .
({14})
All das gehört in Ihren Haushaltsentwurf 2016, erst
recht in Zeiten von Steuerüberschüssen .
({15})
Da muss man gerade bei Zukunftsinvestitionen besonders stark zulegen . Wir werden Hand anlegen und Änderungsanträge zu Ihrem Haushalt für Forschung und
Bildung stellen . In diesem Bereich wird Zukunft gedacht
und gemacht . Jetzt sind wir Parlamentarier an der Reihe,
um Ihren bisweilen ideenlosen Entwurf zu überarbeiten,
damit aus unserem Einwanderungsland ein Land der
Chancen wird und damit es für alle in Deutschland innovativer und gerechter zugeht .
({16})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Tankred
Schipanski, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gehring, Ihre
Reden waren schon frischer, sie waren ideenreicher, witziger und auch mal besser .
({0})
Zudem war es falsch, was Sie erzählt haben . Schauen Sie
auf die Geduldeten, die während der Ausbildung eben
nicht mehr abgeschoben werden dürfen .
({1})
Schauen Sie auf die Programme des BMBF wie „Bildung
integriert“ und auf die vielen anderen Ansätze, die heute
in dieser Debatte gerade auch mit Blick auf die Flüchtlingspolitik vorgetragen wurden .
({2})
Lassen Sie mich Ihnen ein paar Fakten vortragen Albert Rupprecht hat darauf hingewiesen -: Seit 2005 hat
sich der Forschungs- und Bildungshaushalt von 7,6 auf
jetzt 16,4 Milliarden Euro mehr als verdoppelt . Das ist
ein unwahrscheinlicher Aufwuchs allein in diesem Jahr .
Im Jahr 2016 steigt er wieder um 7,3 Prozent oder umgerechnet um 1,11 Milliarden Euro . Das ist - insbesondere im Vergleich zum Gesamthaushalt - ein deutlicher
Zuwachs .
Bei den Bruttoinlandsausgaben für FuE gab es
von 2008 bis 2012 eine Steigerung um 56 Prozent auf
79,1 Milliarden Euro . Die Wirtschaft trägt zwei Drittel
dieser Ausgaben . Dazu passt auch, dass von den zehn der
forschungsstärksten europäischen Unternehmen fünf aus
Deutschland kommen .
92,4 Prozent der internen FuE-Ausgaben der Wirtschaft werden in Westdeutschland eingesetzt . Das ist ein
Fakt, der für uns nicht befriedigend ist . Daher legen wir
beim Titel „Innovationsförderung in den neuen Ländern“
ein ganzes Stück nach . Wir haben den Haushaltstitel auf
149 Millionen Euro erhöht, um die Innovationskraft und
die FuE-Leistungen in den neuen Ländern zu stärken .
({3})
Ferner bauen wir - es ist angeklungen - unter Wahrung des eigenständigen Profils von Universitäten und
Fachhochschulen den Titel „Forschung an Fachhochschulen“ aus . Lag der Etat für die Fachhochschulen im
Jahr 2011 noch bei 37 Millionen Euro, liegt er nun bei
überwältigenden 48 Millionen Euro . Das ist ein gutes
Zeichen .
Auf den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative, den
Pakt für Forschung und Innovation möchte ich an dieser
Stelle nicht weiter eingehen; das haben meine Vorredner
getan .
Die Zahlen, die wir vorgetragen haben, sind das eine .
Kardinal Marx sagte am Dienstagabend dieser Woche
auf dem traditionellen St .-Michael-Jahresempfang: Wir
brauchen ein umfassenderes Bild von Wachstum, nicht
nur nackte Zahlen wie Bruttoinlandsprodukt und Arbeitslosenzahlen . - Blicken wir mit diesen Augen auf die
Bildungsrepublik Deutschland, lässt sich dieser Haushalt
und unsere Politik als eine Politik der Chancengerechtigkeit beschreiben: weniger Schulabbrecher, viele begleitende Maßnahmen, Rekordniveau bei Studierenden,
kontinuierliche Stärkung der dualen Ausbildung; unsere
Initiative in Bezug auf das Meister-BAföG sei in diesem
Zusammenhang besonders erwähnt .
({4})
Unsere Politik ist eine Politik nachhaltiger Bildung,
Stichwort: kein Abschluss ohne Anschluss . Wir ermöglichen ein durchgängiges System und lebenslanges Lernen; die Nationale Strategie für Alphabetisierung gehört
selbstverständlich dazu, liebe Kollegen von den Grünen .
Unsere Politik lässt sich beschreiben als eine Politik,
die unsere Wissenschaftler motiviert, ermutigt und wertschätzt, sie als Motor der Innovation begreift . Wir begleiten das durch das Wissenschaftsfreiheitsgesetz . Die Berichte über die GAIN-Tagung zeigen: Viele kluge Köpfe
der Welt möchten hier in Deutschland als Wissenschaftler arbeiten . Das spiegelt sich auch in der Reform des
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes wider, durch das wir
die Einrichtungen regulieren wollen, die sich als schwarze Schafe entpuppt haben und mit ihrem wissenschaftlichen Nachwuchs nicht so umgehen, wie wir uns das vorstellen . - Sie sehen: In der Bildungsrepublik Deutschland
stimmen nicht nur die Zahlen, sondern auch der damit
verbundene Geist .
({5})
Trotz der positiven Tatsache, dass sich der Bund in
höchstem Maß im Bereich Bildung und Forschung engagiert, fragte mich gestern eine Schülerin einer Besuchergruppe, warum so wenig davon bei ihrer Schule vor
Ort ankomme . Ein Student meiner thüringischen Heimatuniversität, der TU Ilmenau, fragte, warum dort gegenwärtig massiv Stellen gestrichen werden? Meine Damen
und Herren, was ist da los? Warum kommt das Geld nicht
vor Ort an? Dafür gibt es einen einzigen Grund: Manche
Bundesländer torpedieren durch ihre Landespolitik die
Schwertpunktsetzung des Bundes .
Lieber Herr Heil, da braucht es keine Ausführungen
zum Kooperationsverbot . Auch ich freue mich, dass die
Bundesratsbank heute für ihre Verhältnisse relativ gut
gefüllt ist . Manche Bundesländer nutzen das großartige
Engagement des Bundes, um ihre eigenen Mittel in den
Bereichen zurückzufahren, in denen sie eigentlich investieren müssten .
({6})
Manche Bundesländer nehmen ihren Verfassungsauftrag
nicht ernst
({7})
und finanzieren trotz primärer Zuständigkeit ihre Bildungseinrichtungen unzureichend .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können in Berlin noch so viel drauflegen, wir können noch so viele
Aufwüchse vorsehen, die Bundesländer müssen mitziehen; denn nur so können unsere Impulse in den einzelnen
Bundesländern wirken, nur so können bei Studentinnen
und Studenten sowie den Schülerinnen und Schülern positive Effekte ankommen . Ich kann den Bundesländern,
die so eine Politik betreiben, nur sagen: Sie verspielen
damit Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit; Sie betreiben eine falsche Haushaltspolitik .
({8})
Als wir vor circa einem Jahr über den Haushalt 2015
gesprochen haben, kämpfte in Thüringen die Partei Die
Linke mit dem Slogan „Wir machen alles besser“ im
Landtagswahlkampf . Wir wissen, dass im Freistaat Thüringen dann die erste rot-rot-grüne Koalition entstanden
ist unter der Führung eines kommunistischen Ministerpräsidenten,
({9})
der mit seinen Genossen den Menschen versprochen hat:
Wir machen alles besser .
({10})
Wenn ich die Reden der Linken heute hier im Plenum
höre, stelle ich fest: Das ist genau der gleiche Tenor .
({11})
Schauen wir doch einmal auf die Bildungs- und Hochschulpolitik in Thüringen, wo die Linke Verantwortung
trägt .
Thüringen war berühmt für seine gute MINT-Ausbildung in den Schulen, für die Erfolge bei „Jugend
forscht“, für außerschulisches Bildungsengagement . Der
Bund unterstützt dies mit vielen Projekten, obwohl er
keine Zuständigkeit für diesen Bereich hat .
({12})
Flächendeckend engagieren wir uns über die Stiftung
„Haus der kleinen Forscher“ . Allein in diesem Haushaltsjahr sind dafür 10,5 Millionen Euro angesetzt . Thüringen
hat in den Haushalten für die Jahre, in denen Sie jetzt
in Thüringen regieren, keinen einzigen Euro für außerschulische Bildung eingestellt, obwohl es sehr viele lokale Initiativen gibt, die auf die Unterstützung des Landes
warten .
({13})
Das Land ist dafür ausdrücklich zuständig . Doch die
Linken geben keinen müden Euro dafür .
Es wird nichts besser, aber vieles schlechter . In meinem Wahlkreis wird höchstwahrscheinlich die Computerschule in Arnstadt geschlossen . Die Ministerin der
Linken hatte vor Schuljahresbeginn noch nicht einmal
Zeit, sich mit den Verantwortlichen dieser Initiative vor
Ort zu treffen. Das finde ich äußerst bitter. Das ist linke
Bildungspolitik .
({14})
- Das müssen Sie jetzt ertragen . Sie stehen da in Verantwortung .
Heute lese ich in der Zeitung, dass Thüringer Schüler
ein ganzes Schuljahr lang keine Klassenfahrten machen
können, weil die neue Landesregierung auch diesen Titel
zusammengestrichen hat. Das finde ich bemerkenswert.
Aber hier regen Sie sich über das Deutschlandstipendium
auf, von dem 1 Prozent der Studierenden profitiert. Das
ist einfach unredlich .
({15})
Die Linke hat 1 000 neue Lehrer versprochen . Nichts
ist passiert .
({16})
Stattdessen gibt es Unterrichtsausfall: Ganze Fächer fallen aus . Über die Lehramtsanwärter will ich erst gar nicht
sprechen . Sie beklagen hier, dass die Lehrerausbildung
nicht klappt . Schauen Sie nach Thüringen: Da läuft überhaupt nichts . Sie haben nicht eines Ihrer Wahlversprechen wahrgemacht .
({17})
Ich bin gespannt, ob Sie dem Beispiel Bayerns folgen
und jetzt Willkommensklassen einrichten .
({18})
Das wäre ein wichtiger Beitrag, den die Landesregierung
mit Blick auf die Flüchtlinge leisten könnte .
Kollege Schipanski?
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu .
Ist gut .
Wir machen das am Ende .
Am Ende machen wir gar nichts .
Wir haben die Länder in Milliardenhöhe durch eine
BAföG-Reform entlastet . Die frei werdenden Mittel sollten an den Hochschulen eingesetzt werden . In Thüringen
ging 2015 aber kein einziger Euro davon an die Hochschulen . Skandalös ist das .
({0})
Meine Heimatuniversität in Ilmenau muss ein Drittel ihrer Lehrstühle - noch einmal: ein Drittel ihrer Lehrstühle! - aus Finanznot streichen, weil der Freistaat sie nicht
ausreichend finanziert. Der renommierten Universität
Jena geht es nicht besser . Das ist die Wahrheit über die
linke Hochschulpolitik, die Sie im Land vertreten .
({1})
Was Sie auf Bundesebene fordern, auch in Ihren Reden
heute, ist Schall und Rauch . Sie machen nichts besser; sie
machen vieles schlechter .
({2})
Warum sage ich das an dieser Stelle so ausdrücklich?
({3})
Weil ich froh bin, dass ich mich als Mandatsträger hier
im Bundestag frei äußern darf . Anders ist es unter dem
Genossen Ramelow im linken Thüringen,
({4})
der am gestrigen Tage den kommunalen Amtsträgern das sind Bürgermeister und Landräte - in einem Erlass
angedroht hat, sie disziplinarrechtlich zu verfolgen,
wenn sie seine chaotische Flüchtlingspolitik im Freistaat
öffentlich kritisieren .
({5})
Ein Maulkorberlass, und das im 25 . Jahr der deutschen
Einheit! Schämen Sie sich!
({6})
Das ist skandalös . Wir werden uns von solchen SED-Instrumenten nicht einschüchtern lassen, weder Amtsträger
noch Mandatsträger . Wir werden auch weiterhin die Tatsachen der Genossen benennen .
({7})
Ich fordere die Bundesländer auf, durch ihre Haushalte
die aktive Politik der Bundesregierung und des Ministeriums für Bildung und Forschung weiter zu unterstützen .
({8})
Wir setzen die richtigen Schwerpunkte, gerade auch mit
Blick auf die Digitalisierungspolitik . Das war gestern bei
der Rede unserer Kanzlerin Thema Nummer eins . Dies
ist ein Haushalt der Ermutigung . Wir haben klare Zuständigkeiten . Ich freue mich auf die Beratungen dieses
Haushalts .
Vielen Dank .
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Marianne Schieder,
SPD-Fraktion .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Meine Vorrednerinnen und Vorredner sind bereits allgemein auf die Vorzüge, aber auch auf die Baustellen eingegangen, die es im Bildungsetat gibt . Manch
einer, Herr Schipanski, hat deutlich daran vorbeigeredet;
das muss man auch einmal sagen .
({0})
Ich möchte Ihr Augenmerk auf eine besondere und,
wie ich meine, viel zu wenig beachtete Problematik richten . Ich möchte auf die Lage all der Menschen in diesem
Land eingehen, die mit einer Lese- und Rechtschreibschwäche zu kämpfen haben und die mehr oder weniger
als Analphabeten einzustufen sind .
Worüber reden wir da? Hierzulande gelten - man kann
es kaum glauben, aber es ist wahr und durch zuverlässige Forschung nachgewiesen - 7,5 Millionen Menschen
im erwerbsfähigen Alter als funktionale Analphabeten .
Das sind 14 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung .
57 Prozent der Betroffenen gehen einer regelmäßigen Arbeit nach, häufig natürlich als angelernte oder ungelernte
Arbeitskräfte . Deutsch - man höre und staune - ist bei
58 Prozent der Betroffenen die Muttersprache . 80 Prozent der Betroffenen haben sogar einen Schulabschluss .
Es handelt sich also nicht um ein Rand- oder gar ein
Randgruppenproblem, sondern es handelt sich um eine
Problematik, die die gesamte Gesellschaft durchdringt .
Wir reden über Bürgerinnen und Bürger, die ihre
Rechte und Pflichten nicht entsprechend wahrnehmen
und erfüllen können und dies wie einen schrecklichen
Makel vor ihren Nachbarn, vor Freunden, vor den Arbeitgebern, ja, manchmal sogar vor der eigenen Familie
geschickt zu verbergen wissen .
Wir reden über Väter und Mütter, die ihren Kindern
nicht bei den Hausaufgaben helfen können . Wir reden
über Menschen, die aus Scham und Furcht in prekären
Jobs landen, obwohl sie mit der richtigen Unterstützung
gute Chancen auf qualifizierte Arbeitsplätze hätten.
({1})
Wir reden über Menschen, die wir aus einer menschenunwürdigen Situation befreien müssen - einer Situation, die eines Sozialstaats und einer Bildungsgesellschaft unwürdig ist .
({2})
Weil uns Sozialdemokraten dieses Thema so wichtig
ist, ist es Teil des Koalitionsvertrags geworden . Wir haben bereits im Juni dieses Jahres einen Antrag dazu in
erster Lesung beraten . Dieser Antrag und die darin einTankred Schipanski
geforderten Maßnahmen sind gerade auch in der Fachöffentlichkeit sehr positiv aufgenommen worden .
Im Zentrum steht die Forderung nach einem familien- und lebensweltorientierten Förderprogramm, das
niedrigschwellige Angebote unterstützt, mit denen die
betroffenen Menschen und ihre Familien erreicht werden
können, um so die Schreib- und Lesepraxis in den Familien zu stärken .
Wir brauchen aber auch den Ausbau von arbeitsplatzorientierter Grundbildung, damit vor allen Dingen erwerbstätige Menschen mit Lese- und Schreibschwäche
gefördert werden können .
Wir halten es für dringend erforderlich, dass eine nationale Koordinierungs- und Monitoringstelle gegründet
wird, die all die Aktivitäten des Bundes, aber auch der
Länder bündelt und Service und Beratung bietet .
({3})
Das Rad muss nicht neu erfunden werden . Vielmehr
gilt es, die vielen erfolgreichen Pilotprojekte in die
Fläche zu tragen und ein Angebot zu schaffen, das die
Zielgruppen erreicht . Auch die vielen Lehrkräfte und Erwachsenenbildner, die sich von einer befristeten Stelle
zur anderen hangeln, brauchen endlich Planungssicherheit und gesicherte Arbeitsverhältnisse .
Frau Ministerin, am Dienstag haben Sie anlässlich des
Weltalphabetisierungstags auch Ihre Pläne zu diesem
Thema vorgestellt . Das wurde auch Zeit, kann ich dazu
nur sagen; denn ich will heute nicht verhehlen, dass ich
lange Zeit, eigentlich bis Dienstag, den Eindruck hatte,
dass das Interesse an diesem Thema seitens des Ministeriums und auch seitens der Ministerin wesentlich ausgeprägter sein könnte . Aber ich bin natürlich sehr erfreut,
dass es jetzt losgeht, dass sich das Ministerium und die
Ministerin dieses Themas annehmen und dass Sie mit
uns gemeinsam die nationale Dekade für Alphabetisierung anschieben . Das ist gut so, und die Maßnahmen, die
angekündigt worden sind, sind es auch .
Aber es gibt an manchen Stellen noch Luft nach oben .
Das betrifft vor allen Dingen die Finanzierung . 180 Millionen Euro für zehn Jahre ist viel Geld, aber angesichts
der Tragweite der Aufgabe nicht zu viel Geld . Da waren
wir schon weiter . Wir haben in den Haushalt für 2015
immerhin schon knapp 20 Millionen Euro eingestellt .
Bei diesem Betrag pro Jahr sollten wir, meine ich, auch
bleiben .
({4})
Ich hoffe sehr, dass das letzte Wort in dieser Hinsicht
noch nicht gesprochen ist . Denn das Thema ist wichtig .
Es handelt sich um eine Thematik, die nicht in kurzer
Zeit zu bewältigen ist . Nur durch ausreichende und gesicherte Mittelausstattung können wir langfristige Projekte
finanzieren und verhindern, dass nur Leuchtfeuer entzündet werden, die im Endeffekt nicht zum Ziel führen .
Wir haben einen guten Weg eingeschlagen, was die
Alphabetisierung und Grundbildung betrifft . Ich bin sicher, dass die ausgerufene Alphabetisierungsdekade helfen wird, die Zahl der Analphabeten in unserem Land zu
senken . Es gibt aber noch viel zu tun, bis dieses Ziel erreicht ist . Ich bitte Sie alle in allen Fraktionen, uns zu unterstützen . Ich bitte Sie: Packen wir es gemeinsam an, um
eine für die Menschen unwürdige Situation, die dringend
verbessert werden muss, wirklich zu verbessern .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({5})
Die Kollegin Anette Hübinger, CDU/CSU-Fraktion,
hat jetzt das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Enorme Herausforderungen bei der
Flüchtlingsaufnahme, weitere Krisenbewältigung in
Griechenland - dennoch ein Rekordhaushalt für Bildung
und Forschung und der Wille, das Ganze ohne Neuverschuldung auf den Weg zu bringen . Das sind die zentralen Herausforderungen an die Haushalts- und Finanzpolitik, insbesondere im Haushaltsjahr 2016 . Die schwarze
Null ist kein Selbstzweck . Vielmehr geht es bei solider
Haushaltspolitik darum, das Vertrauen in Deutschland zu
erhalten und der jungen Generation Perspektiven zu eröffnen . Daher müssen wir unsere aktuellen Probleme mit
heutigen Mitteln lösen und dürfen das Ganze nicht auf
die nächste Generation verschieben . Denn dann würden
wir es uns zu leicht machen .
({0})
Mit dieser Prämisse im Hinterkopf setzen wir nun
den Auftakt für die Haushaltsverhandlungen 2016 . Was
bedeutet das für den Einzelplan 30, Bildung und Forschung? Weil die regierende Koalition an die junge Generation denkt, bleibt der Bereich Bildung und Forschung
weiterhin zentraler Schwerpunkt . Für das kommende
Jahr - das haben wir gehört - sind 16,4 Milliarden Euro
veranschlagt . Das ist eine Steigerung um 1,1 Milliarden
Euro . Aber man muss auch dazusagen, dass in diesem
Betrag 100 Millionen Euro aus dem Haushaltsjahr 2017
enthalten sind, die in 2016 vorgezogen werden, um neue
Ansätze schon jetzt realisieren zu können . Das Betreuungsgeld hat etwa 108 Millionen Euro in unserem Haushalt ausgemacht . Diese Mittel wurden über die GMA
erwirtschaftet . Auch das bleibt jetzt in diesem Haushalt
erhalten .
({1})
Diese Mittelsteigerung liegt prozentual betrachtet
mit 7,4 Prozent doppelt so hoch wie die Steigerung des
Gesamthaushaltes . Es ist meines Erachtens ein richtiges
und wichtiges Signal, dass die Bundesregierung an dem
10-Prozent-Ziel - 7 Prozent für Bildung und 3 Prozent
für Forschung - festhalten wird .
Der bildungs- und forschungspolitische Fokus in diesem Haushalt richtet sich aber nicht nur auf die Aufgaben des Bundes selbst . Mit der Übernahme des BAföG,
mit dem Hochschulpakt und mit der alleinigen Finanzierung der Steigerung der Mittel für die außeruniversitären Forschungsinstitutionen entlasten wir die Länder um
einen namhaften Milliardenbetrag . Das sind, wenn man
es überschlägt, ungefähr 5 Milliarden Euro . Ins Verhältnis gesetzt zum Haushaltsvolumen von 16,4 Milliarden
Euro macht das fast ein Drittel aus . Ein Drittel ist also für
Aufgaben der Länder vorgesehen . Dies obliegt eigentlich nicht dem Bund und damit unserem Haushalt . Wir
als Haushaltspolitiker müssen bald fragen, was unseren
Haushalt ausmacht und ob wir die Bundesaufgaben in
Zukunft noch ordnungsgemäß erledigen können .
Welchen Wert eine stringente Bildungs- und Forschungspolitik hat, zeigt sich auch darin, dass Deutschland mit
7,4 Prozent die mit Abstand geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa hat. Das ist unserer beruflichen Ausbildung, der dualen Ausbildung geschuldet . Dieses Modell
der beruflichen Ausbildung wird mittlerweile weltweit
nachgefragt .
Das zeigt sich aber auch an den transnationalen Patentanmeldungen . Hier ist Deutschland führend in Europa und auf Platz drei weltweit . Dies ist ein Verdienst der
Industrie, aber ebenso der Forschungspolitik, die in der
Hightech-Strategie die globalen Herausforderungen adressiert, zu verdanken .
Somit stellen sich aufs Neue die Fragen: Wie kann man
diese Erfolge weiter ausbauen, und welche Schwerpunkte sollten aus fachpolitscher Sicht gesetzt werden? Wie
können wir auf neue Entwicklungen wie beispielsweise
die Flüchtlingsströme adäquat reagieren? Erst einmal
bleibt festzuhalten, dass die Themen „Bildungsgerechtigkeit“, „ein ganzheitliches, leistungsfähiges Wissenschaftssystem“, „starke außeruniversitäre Forschungseinrichtungen“ sowie „Stärkung der Spitzenforschung“
Leitlinien in diesem Einzelplan sind .
An dieser Stelle mein Dank an das Ministerium, das
die wesentlichen Schwerpunkte, die die Fachpolitiker gesetzt haben, in diesem Haushaltsjahr weiter fortschreibt .
Ihnen, den Fachpolitikern, waren zum Beispiel besonders
wichtig: die Verbesserung der Berufsorientierung, eine
Stärkung der überbetrieblichen Bildungsstätten, Weiterbildung und lebenslanges Lernen . Dies sind Themen, die
besonders jungen Menschen auf ihrem beruflichen Weg
helfen und ihnen auch bei ihrer künftigen Entwicklung in
ihrem Berufsleben weiterhelfen . Das BMBF schließt in
diesem Haushaltsentwurf daran an und investiert in die
überbetrieblichen Bildungsstätten im Bereich Digitalisierung weitere 14 Millionen Euro .
({2})
Man kann sagen: Die ÜBS werden fit für die Zukunft
gemacht .
Besonders zu erwähnen ist die Initiative des BMBF
zur Gewinnung von Studienabbrechern für die berufliche Ausbildung . Damit soll die Durchlässigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung verbessert
und den jungen Menschen neue Perspektiven eröffnet werden. Eine fundierte berufliche Ausbildung und
eine durchlässige Weiterbildung untermauern auch die
Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung . Diese Gleichwertigkeit wird noch dadurch unterstrichen, dass wir jetzt das Meister-BAföG novellieren
und es dem BAföG für Studierende gleichstellen . In der
Fraktionsklausur wurde von unserem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder der Wunsch geäußert - das wurde
auch so verabschiedet -, dass diese Gleichwertigkeit hergestellt wird und wir dafür neue Mittel einstellen .
({3})
Jetzt brauchen wir nur noch das Votum der Sozialdemokraten, diesen Weg mitzugehen . Aber ich denke, das werden wir in den Haushaltsberatungen hinbekommen .
Auch die Weiterentwicklung der Alphabetisierungsstrategie zu einer Dekade der Alphabetisierung gewinnt
aufgrund der Flüchtlingsströme natürlich an Bedeutung .
Liebe Frau Kollegin Schieder, wir fangen nicht erst damit an, sondern es werden, wie Ministerin Wanka betont
hat, bereits Hunderte von Millionen Euro dafür investiert . Und: Eine Strategie zu einer Dekade weiterzuentwickeln, ist - das zeigt sich schon in der Wortwahl - eine
besondere Herausforderung, der wir uns stellen wollen .
Auch in der Forschung haben wir Akzente, auch neue
Akzente gesetzt . Für Gesundheitsforschung und Gesundheitswirtschaft werden im Haushaltsjahr rund 7 Millionen Euro zusätzlich eingestellt . Als Beispiel möchte ich
hier die Wirkstoffinitiative, die sich der Erforschung von
neuen Wirkstoffen im Bereich der Antibiotikaresistenzen
widmet, nennen . Welche Brisanz dieses Thema hat, kann
man täglich in der Presse nachlesen . Denn immer wieder
wird über ganze Abteilungen in Kliniken berichtet, die
vorübergehend geschlossen werden, weil ein multiresistenter Keim aufgetreten ist .
Besonders am Herzen liegt mir - das wurde heute
schon erwähnt - die Erforschung der armutsassoziierten,
vernachlässigten Krankheiten . Diese Krankheiten waren
auch ein besonderer Schwerpunkt beim G-7-Treffen in
diesem Jahr .
Produktentwicklungspartnerschaften sind ein neues
Finanzierungsmodell in unserem Haushalt . Wir werden
mit diesen Produktentwicklungspartnerschaften in eine
zweite Förderrunde gehen . Ich gehe von einer Verdoppelung der Mittel im Förderzeitraum aus .
Ein weiteres zukunftsweisendes Anliegen ist die Digitale Agenda . Denn die Digitalisierung tangiert jeden
Einzelnen von uns in allen Lebensbereichen . So muss die
Forschung nicht nur die Digitalisierung an sich begleiten,
sondern auch Antworten darauf finden, wie die Arbeitswelt und unser künftiges Leben in diesem Prozess positiv
gestaltet werden können . Daher wurde der gesamte Themenbereich um 10 Millionen Euro gestärkt und interdisziplinär angelegt .
Durch die Digitalisierung sollen neue wissenschaftliche Informationsstrukturen aufgebaut werden . Durch die
Vernetzung von Forschungsdatenbanken kann ein unermessliches Potenzial gehoben werden . Dies ist ein wichAnette Hübinger
tiger Schritt für den Forschungsstandort Deutschland, der
mit der Open-Access-Strategie neue Maßstäbe setzt .
({4})
Des Weiteren wird das Thema „Digitale Bildung an
Schulen“ vorangetrieben . Und mit der Plattform „Industrie 4 .0“ wird ein deutliches Zeichen für die Digitalisierung der Wirtschaft gesetzt .
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die Flüchtlingsproblematik eingehen . Kollege Schulz hat gesagt,
dass auch auf den Einzelplan 30 in der Zukunft Herausforderungen zukommen werden . Viele Dinge sind schon
positiv angelegt . Notwendig sind aber auch Flexibilisierung beim und schnellerer Zugang zum BAföG, ein Abschiebestopp während der Ausbildung, die Anerkennung
ausländischer Qualifikationen sowie Sprachkurse und
frühkindliche Bildung .
Aber ich bin mir sicher, dass wir das alles schaffen
werden . Denn Deutschland ist stark . Ich freue mich auf
die Haushaltsverhandlungen, die in den vergangenen
Jahren immer sehr kollegial vonstattengegangen sind,
und wünsche uns eine gute Beratung .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Oliver
Kaczmarek von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
tatsächlich beeindruckend, wenn man einen Blick auf die
Zahlen wirft, vor allem dann, wenn man sich die Lage
vor Augen führt, aus der die Bildungspolitik seit 1998
befreit worden ist . Erinnern wir uns kurz an das Jahr, das
das Ende des Reformstaus in Deutschland markiert: Das
BAföG - runtergewirtschaftet; stagnierende Forschungsausgaben . Deutschland galt als kranker Mann in Europa .
Wenn man sich das vor Augen führt und dann den heutigen Mittelaufwuchs sieht, muss man sagen: Ja, das war
tatsächlich eine Kraftanstrengung in den letzten fast zwei
Jahrzehnten und stellt eine deutliche Prioritätensetzung
für Bildung und Innovation vieler Bundesregierungen
dar .
({0})
Es ist schon angesprochen worden: Mehr Geld alleine
macht noch keine gute Bildungspolitik . Deswegen lassen Sie mich am Schluss der Debatte noch einen Blick
auf zwei oder drei Herausforderungen werfen, die in den
nächsten zwei Jahren dieser Wahlperiode vor uns liegen . Unsere erste Herausforderung: Wir müssen weiter
in Chancengleichheit investieren . Chancengleichheit ist
nach wie vor eine zentrale Frage . Denn wir wollen, dass
im Bildungswesen nicht die Herkunft, sondern Leistung
zählt .
({1})
Deshalb war es richtig und wichtig, dass wir das
BAföG substanziell erhöht und strukturell modernisiert
haben . Einige der in der 25 . BAföG-Novelle vorgesehenen Maßnahmen sind schon in Kraft getreten, Herr
Gehring . Wir haben uns gefreut, Frau Ministerin, als wir
im Sommer gehört haben, dass Sie eine Anregung aus
den parlamentarischen Beratungen aufgenommen haben,
nämlich die Voraufenthaltsdauer für Geflüchtete vorzeitig auf 15 Monate zu reduzieren . Das ist in dieser Situation ein richtiger Schritt und ein Willkommensgruß an
diejenigen, die dann auch mit staatlicher Unterstützung
unsere Hochschulen besuchen können .
({2})
Es ist auch schon angesprochen worden, und es gehört
zur Chancengleichheit: Genauso wichtig wie das BAföG
ist das Meister-BAföG . Die Anhebung der Bedarfssätze
und Freibeträge haben wir schon beim BAföG geregelt .
Wir werden jetzt die Leistungen und den Gefördertenkreis ausweiten und das AFBG modernisieren . Lassen
Sie uns deshalb beim BAföG deutlich machen: Wir reden nicht nur über die Gleichwertigkeit von beruflicher
und akademischer Bildung; wir schaffen sie . Das wird im
AFBG deutlich werden .
({3})
Gestatten Sie mir eine letzte Anmerkung zur Chancengleichheit . Heute Nachmittag wird der Etat der Familienministerin beraten . Deswegen - Herr Heil hat es schon
angesprochen - ganz kurz: Uns interessieren doch auch
die Spitzenforscher von morgen, die heute in die Kitas
gehen . Die Lage beim Betreuungsgeld ist so, wie sie ist .
Das Verfassungsgericht hat gesprochen . Unser aller Interesse als Bildungspolitiker - über die Ressortgrenzen
hinweg - sollte sein, dass das Geld im Etat der Familienministerin bleibt, damit dort in die Qualitätsverbesserung
bei der frühkindlichen Bildung investiert werden kann .
({4})
Zweite Herausforderung . Wir müssen dem Fachkräftemangel entschieden entgegentreten . Dazu brauchen wir
mehr Schritte in Richtung Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung . Ich glaube, manche akademische Debatte, die darüber gerade geführt wird, hilft
am Ende nicht weiter, weil wir ganz konkrete Schritte
brauchen .
Die Ausbildungswilligen brauchen einen Ausbildungsplatz, auch die - das sage ich ganz bewusst - ohne Abitur .
Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Debatte in
einem Akademisierungswahn zu sehr auf eine bestimmte
Gruppe von Ausbildungswilligen konzentriert .
({5})
Alle brauchen einen Ausbildungsplatz, und zwar überall im Land . Ich bin froh, dass mit der Allianz für Ausund Weiterbildung ein erster Schritt gegangen wurde,
dass die Zahl der Ausbildungsplätze steigt und wir in die
assistierte Ausbildung investieren .
Auszubildende brauchen aber auch eine gute Ausbildung . Das ist eine Baustelle, der wir uns annehmen
müssen . Leider hat uns der DGB-Ausbildungsreport, der
Anfang September vorgestellt wurde, wieder vor Augen
geführt, dass in einigen Branchen die Qualität der Ausbildung leider nicht gut ist . Damit müssen wir uns beschäftigen; denn die Auszubildenden brauchen eine gute
Ausbildung .
({6})
Nicht zuletzt: Auszubildende brauchen auch eine
Übernahmeperspektive . Wie sonst sollen sie die Zuversicht haben, eine Familie zu gründen, eine Wohnung zu
beziehen, sich ehrenamtlich zu engagieren, also all das zu
tun, was wir von ihnen gesellschaftlich erwarten, wenn
sie nach der Ausbildung - das ist hier schon angesprochen worden - mit befristeten Verträgen leben müssen?
Deshalb brauchen wir keine Debatten über einen vermeintlichen Akademisierungswahn, sondern konkrete
Schritte, die den Auszubildenden helfen . Das schafft
Gleichwertigkeit der Ausbildungswege und ist eine
wichtige Herausforderung für die nächsten zwei Jahre .
({7})
Dritte Herausforderung . Noch nie haben so viele
Menschen wie heute ein Studium aufgenommen . Sie zu
unterstützen, dass sie ein erfolgreiches Studium und einen guten Studienabschluss haben, ist für mich eine der
Schlüsselherausforderungen .
Es ist schon angesprochen worden: Der Hochschulpakt wurde verlängert . An dieser Stelle möchte ich kurz
einschieben, dass der Hochschulpakt, der Pakt für Forschung und Innovation, die Exzellenzinitiative und der
Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs, den es bald
geben wird, zusammengehören: Das ist eine vierteilige
Strategie für die Entwicklung unseres Wissenschaftssystems .
Wir wollen bei der Neugestaltung der Exzellenzinitiative nicht nur dafür sorgen, dass mehr Geld für Etablierte zur Verfügung stehen wird, sondern auch, dass eine
Strategie entwickelt wird, die das gesamte System in
Bewegung und mehr Exzellenz bringt . Herr Heil hat gesagt: „Wir wollen mehr Exzellenz wagen .“ Das ist genau
richtig . Spitze und Breite gehören zusammen . Deswegen
müssen wir diese vier Elemente immer zusammen sehen .
({8})
Wir wollen es jetzt aber vor allem schaffen, dass die
Qualität der Lehre verbessert wird . Ich glaube, das ist ein
ganz wichtiger Punkt . Wer ein Studium beginnt, der soll
es - qualitätsgesichert natürlich - auch abschließen . Dafür haben wir mit dem Qualitätspakt Lehre und mit den
Festlegungen, die wir im Hochschulpakt getroffen haben,
eine gute Basis gelegt . Aber ich will noch einen Schritt
weiter gehen: Unserer Meinung nach ist eine gute Lehre
auch ein Kriterium für Exzellenz .
({9})
Ich will es noch anders sagen und mich damit auch etwas
aus dem Fenster lehnen: Eine Hochschule mit schlechter
Lehre kann keine gute und schon gar keine exzellente
Hochschule sein .
({10})
Deswegen gehört das mit in die Verhandlungen über die
Exzellenzinitiative .
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben in
den letzten zwei Jahren viel Gutes geschafft . Wir sind
auf einem guten Weg, haben aber noch viel zu tun . In
den Beratungen werden wir noch ein bisschen am Haushaltsentwurf schleifen, sodass sich die Bundesregierung
darauf verlassen kann, eine gute etatmäßige Grundlage
vom Parlament zu bekommen .
Herzlichen Dank .
({11})
Vielen Dank . - Weitere Wortmeldungen zu diesem
Einzelplan liegen nicht vor .
Bevor wir zu der Beratung des nächsten Einzelplanes
kommen, müssen wir noch eine Reihe von Entscheidun-
gen treffen .
Zunächst rufe ich die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 f
sowie Zusatzpunkt 1 auf:
a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Abwicklung der
staatlichen Notariate in Baden-Württemberg
Drucksache 18/5218
Überweisungsvorschlag:
A . f . Recht und Verbraucherschutz
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte
Drucksache 18/5563
Überweisungsvorschlag:
A . f . Recht und Verbraucherschutz ({0})
A . f . Wirtschaft und Energie
A . f . Arbeit und Soziales
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
der Strukturen der Krankenhausversorgung
({1})
Drucksache 18/5867
Überweisungsvorschlag:
A . f . Gesundheit ({2})
Innenausschuss
A . f . Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
A . f . Wirtschaft und Energie
A . f . Ernährung und Landwirtschaft
A . f . Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
A . f . Familie, Senioren, Frauen und Jugend
A . f . Verkehr und digitale Infrastruktur
A . f . Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts
Drucksache 18/5918
Überweisungsvorschlag:
A . f . Recht und Verbraucherschutz ({3})
Finanzausschuss
A . f . Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2014
- Vorlage der Vermögensrechnung des Bundes
für das Haushaltsjahr 2014 -
Drucksache 18/5128
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
f) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2014
- Haushaltsrechnung des Bundes für das
Haushaltsjahr 2014 Drucksache 18/5291
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
ZP 1 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 16 . und 21 . Juni 2011
zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika
als erster Partei, der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten als zweiter Partei, Island
als dritter Partei und dem Königreich Norwegen
als vierter Partei und zu dem Zusatzabkommen
vom 16 . und 21 . Juni 2011 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als erster
Partei, Island als zweiter Partei und dem Königreich Norwegen als dritter Partei, betreffend die
Anwendung des Luftverkehrsabkommens vom
16 . und 21 . Juni 2011
Drucksache 18/5580
Überweisungsvorschlag:
A . f . Verkehr und digitale Infrastruktur
Hierbei handelt es sich um Überweisungen im
vereinfachten Verfahren ohne Debatte .
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf .
Hierbei handelt es sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 3 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({4})
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2013
- Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2013 - zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2013
- Vorlage der Vermögensrechnung des
Bundes für das Haushaltsjahr 2013 - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2014 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes ({5})
- zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
nungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2014 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
rung des Bundes
- Weitere Prüfungsergebnisse -
Drucksachen 18/1930, 18/1809, 18/3300, 18/3617
Nr. 1, 18/4650, 18/4865 Nr. 1, 18/5387
Unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung schlägt
der Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlastung der
Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2013 vor . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden .
Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Haushaltsausschuss, die Bundesregierung auf-
zufordern,
a) bei der Aufstellung und Ausführung der Bundes-
haushaltspläne die Feststellungen des Haushalts-
ausschusses zu den Bemerkungen des Bundesrech-
nungshofes zu befolgen,
b) Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftlich-
keit unter Berücksichtigung der Entscheidungen des
Ausschusses einzuleiten oder fortzuführen und
c) die Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllen, damit eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei den
Haushaltsberatungen gewährleistet ist .
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es
jemanden, der dagegenstimmt? - Das ist nicht der Fall .
Gibt es jemanden, der sich enthält? - Dann ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden .
Ich komme zum Tagesordnungspunkt 3 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({6})
zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2014
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
- Einzelplan 20 Drucksachen 18/5020, 18/5388
Wer stimmt für Nummer 1 der Beschlussempfehlung,
also die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? - Gibt es jemanden, der sich enthält? - Damit ist auch diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden .
Wer stimmt für Nummer 2 der Beschlussempfehlung,
also die Erteilung der Entlastung? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist auch diese
Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden .
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort . Wir kommen
jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11.
Wenn die Kolleginnen und Kollegen sich hingesetzt
haben, können wir mit der Debatte beginnen . - Als erste
Rednerin hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, das Wort .
({7})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor
ich mich mit den Themen für das kommende Jahr beschäftige, gestatten Sie mir kurz einen Blick zurück:
Wir haben in dieser Legislaturperiode schon einige
große Reformvorhaben umgesetzt . Wir haben die Mütterrente und die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren eingeführt . Seit 1 . Januar 2015 gilt der allgemeine
gesetzliche Mindestlohn . Wir haben die Tarifautonomie
gestärkt und neue Ansätze zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit umgesetzt . Weil so mancher Sorge hat,
möchte ich an dieser Stelle direkt sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit wird auch weiterhin Priorität haben und Handlungsschwerpunkt bleiben, auch wenn neue Aufgaben
hinzukommen .
({0})
Die Reformen der vergangenen Jahre waren zum Teil
mit heftigen Kontroversen verbunden . An Horrorszenarien hat es nicht gemangelt . Heute, mit etwas Abstand,
können auch die größten Pessimisten feststellen, dass
diese Horrorszenarien so nicht eingetreten sind . Die Kosten der Mütterrente und die Inanspruchnahme der Rente
ab 63 Jahren liegen voll im Rahmen der Erwartungen .
Andere Beitragszahler rücken nach . Beitragsausfälle
bleiben aus .
Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist
auf Rekordniveau . Der Mindestlohn wird zunehmend
zur Normalität und stabilisiert spürbar die Strukturen auf
dem Arbeitsmarkt . Statt der prophezeiten Jobverluste ist
die Beschäftigung heute höher als vor einem Jahr, nämlich über eine halbe Million Menschen mehr .
({1})
Das spült viel Geld in die Sozialkassen .
Natürlich ist der auch Mindestlohn ein wichtiges Instrument, um die Zuwanderung nicht in einen Wettlauf
nach unten, sondern in ordentliche Arbeit münden zu lassen; darauf lege ich Wert .
({2})
Die Arbeit der letzten zwei Jahre zeigt, dass wir mit
Augenmaß und Vernunft vorgehen . Lassen Sie uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, geleitet von dieser Erfahrung, auch die kommenden Reformaufgaben angehen:
mit Augenmaß und klarem Blick auf die Dinge, die wir
verändern möchten .
Wir werden in den kommenden Monaten das umsetzen, was wir schon sehr präzise im Koalitionsvertrag
verabredet haben, ein Gesetzespaket zur Vermeidung von
Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen . Derzeit
sind wir in intensiven Vorbereitungen und Gesprächen,
um ein zielgenaues Gesetz zu erarbeiten .
Zwei Dinge möchte ich hierzu an dieser Stelle anmerken:
Erstens geht es nicht darum, die Vertragsform Werkvertrag infrage zu stellen . Aber ein Anliegen unserer Reform ist es, den Menschen, die hinter solchen Verträgen
stehen, ein Gesicht zu geben, zum Beispiel indem Betriebsräte Kenntnis bekommen, wer als Werkarbeitnehmer auf dem Firmengelände beschäftigt ist .
Einen zweiten Punkt möchte ich aus aktuellem Anlass
gerne in Erinnerung rufen, weil er uns erst kürzlich in der
Realität der Tarifauseinandersetzung begegnet ist . Wir
möchten klarstellen, dass Leiharbeiter nicht als Streikbrecher eingesetzt werden dürfen . Auch das haben wir im
Koalitionsvertrag verabredet .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Abschluss eines intensiven Dialoges mit allen Betroffenen werden
wir im kommenden Jahr auch ein Bundesteilhabegesetz
vorlegen . Mit dem Bundesteilhabegesetz werden wir
Menschen mit Behinderungen mehr Selbstständigkeit
und mehr Teilhabe eröffnen . Aber - das sage ich direkt
dazu -: Alles, was wir tun werden, werden wir so gestalten, dass wir damit keine neue Ausgabendynamik auslösen . Auch das haben wir klar verabredet .
Wir werden also diese Vorhaben weiter umsetzen,
auch wenn uns alle zurzeit sicher ein ganz anderes
Thema bewegt, nämlich das Schicksal vieler Millionen
Flüchtlinge auf der ganzen Welt und die Frage, wie wir
denen, die bei uns Zuflucht suchen, ein würdiges neues
Leben in unserem Land ermöglichen können . Wenn ich
in diesen Wochen Bilder sehe, wie Hunderte von Menschen auf den Bahnhöfen warten - mit Jacken, Pullovern,
Wasser, Essen und einem freundlichen Lächeln für die
ankommenden Flüchtlinge: in München, in Frankfurt, in
Dortmund, in Saalfeld in Thüringen oder sogar nachts
um drei in Berlin -, dann bin ich persönlich dankbar . All
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
denen, die das überall in unserem Land tun - und den
vielen mehr, die auch helfen -, möchte ich Danke sagen .
({4})
Aber auch Bund, Länder und Kommunen stehen hier
vor großen Herausforderungen . Als Erstes sehen wir
natürlich, was nötig ist, um das Dringendste zu gewährleisten: ein Dach über dem Kopf, Decken, Kleidung,
Registrierung, Essen, ärztliche Versorgung, Schule für
die Kinder . Bei all dem dürfen wir uns nicht allein auf
noch so großes freiwilliges Engagement verlassen . Dafür
brauchen die Kommunen und Länder finanzielle Unterstützung . Und auch der Bund steht vor einer großen Herausforderung . Auch wir benötigen zusätzliche Finanzmittel, wenn wir diese Aufgabe erfolgreich schultern
wollen . Ich bin überzeugt, wir können es schaffen . Aus
den Flüchtlingen sollen möglichst schnell Nachbarn und
Kollegen werden .
({5})
Lange Asylverfahren und die Abhängigkeit von staatlicher Hilfe - das ist für die betroffenen Menschen frustrierend, und es ist die schlechteste Lösung für unser
Gemeinwesen, übrigens auch für die öffentlichen Kassen . Ziel muss es sein, dass die Menschen, die bei uns
bleiben, zügig in Arbeit kommen . Unser Haushalt, unser
Einzelplan 11, der hier zur Debatte steht, ist ein wichtiger
Hebel, mit dem wir das stemmen können .
Wir fangen nicht erst jetzt an . Ich habe alle Spielräume
genutzt, um auch im laufenden Jahr sofort anzupacken .
Worum geht es im Einzelnen? Natürlich ist die Versorgung der Menschen schon ein großer Brocken . Wir brauchen zusätzliche Mittel für die Hilfe zum Lebensunterhalt, zwischen 1 Milliarde Euro und 2 Milliarden Euro .
Wie viel genau, das hängt von vielen Variablen ab - je
nachdem, wie viele Menschen wirklich einen Asylantrag
stellen, wie viele Anträge dann anerkannt werden und
wie viele Familienangehörige nachziehen .
Und auch das sage ich ganz offen: In der Arbeitslosenstatistik wird sich das niederschlagen . Ich wünsche
mir, dass sich alle, die heute sagen: „Das wollen wir
stemmen; wir wollen die Menschen bei uns aufnehmen“,
daran noch in einem Jahr erinnern; denn das ist dann
kein Zeichen gescheiterter Arbeitsmarktpolitik, sondern
ein Zeichen dafür, dass wir eine große, eine andauernde
Aufgabe bewältigen müssen . Ich will, dass wir aus Abhängigkeit keinen Dauerzustand machen . Ich will, dass
wir die Flüchtlinge integrieren und dass sie in Arbeit
kommen . Am liebsten wollen diese Menschen für sich
selbst sorgen . Das ist mein Eindruck, wenn ich mit diesen
Menschen rede . Wir werden die Kosten auf Dauer nur
im Griff behalten, wenn wir jetzt auch aktive Leistungen
neben die passiven Leistungen stellen und damit Integration finanzieren.
({6})
Bei der Eingliederung in Arbeit, die die Jobcenter leisten, brauchen wir Dolmetscher, wir brauchen Deutschlehrer, wir brauchen Mitarbeiter, die sich kümmern . Auch
die Verfahren zur beruflichen Anerkennung kosten Geld.
Wir veranschlagen in diesem aktiven Bereich 600 Millionen bis 1,1 Milliarden Euro . Ich habe schon ausgeführt,
warum ich Bandbreiten nenne und wir noch nicht in der
Lage sind, das präziser zu beziffern . Alleine für die berufsbezogenen Sprachförderungskurse brauchen wir parallel zu den bislang eingeplanten ESF-Mitteln schon für
das Jahr 2016 180 Millionen Euro zusätzlich .
Wir stehen also hier vor einer riesigen Aufgabe . Und
es wird nicht damit getan sein, dass wir jetzt für ein Jahr
auf Krisenmodus schalten, und dann läuft alles wieder
normal; darauf möchte ich in aller Deutlichkeit hinweisen . Nein, wir haben eine Daueraufgabe vor uns . Wir
werden daher nicht ausschließlich mit befristeten Stellen
auskommen . Das, was wir an dieser Stelle tun, ist nicht
allein kurzfristige Nothilfe . Es wird auf längere Sicht nötig bleiben . Und es ist zugleich eine gute und notwendige
Investition in unsere eigene Zukunft; denn die aktiven
Mittel wirken auch an anderer Stelle . Sie helfen in den
Branchen und Regionen, wo händeringend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesucht werden, zu einer
möglichst schnellen Vermittlung .
Ich will auch klar darauf hinweisen: Nicht alle, die da
kommen, sind hoch qualifiziert. Ganz klar: Das ist nicht
so . Der syrische Arzt ist nicht der Normalfall . Wir haben
bei der Bundesagentur für Arbeit das Pilotprojekt „Early
Intervention“ gestartet und erhoben, wie die Möglichkeiten sind . Nicht einmal jeder Zehnte kann direkt in Arbeit
oder Ausbildung kommen . Zumeist fehlen Deutschkenntnisse, aber auch anderes . Wir haben in neun Großstädten
begonnen . Bald wollen wir bundesweit so weit sein, dass
Mitarbeiter der Agentur für Arbeit, wenn ein Asylantrag
gestellt wird, so früh wie möglich in die entsprechenden
Einrichtungen gehen, dort mit den Menschen sprechen:
Was habt ihr gemacht? Was könnt ihr? - Dann können
wir sehen, ob Berufserfahrung und welche Qualifikation
vorhanden ist, ob ergänzende Qualifikationen notwendig sind, auf welche Stellen die Betreffenden vermittelt
werden können und welche Arbeitgeber man ansprechen
kann. Vielleicht findet sich auch ein Betrieb, der mit Ausbildung oder Training on the Job motivierte Mitarbeiter
für die Zukunft gewinnen will . Die Signale, die ich alleine in den letzten Tagen aus der deutschen Wirtschaft
erhalten habe, stimmen mich hier sehr optimistisch .
Wir brauchen also zumeist ergänzende Qualifizierung
und in vielen Fällen überhaupt erst einmal eine grundständige Ausbildung . Wir alle hier im Haus sind uns sicherlich einig: Deutschlernen ist ein Generalschlüssel .
Was die Menschen in den Integrationskursen lernen,
reicht aber oft nicht, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu
fassen . Deswegen geht es nicht nur um die Erhöhung der
Zahl der berufsbezogenen Sprachkurse, sondern auch
darum, möglichst früh Sprachkurse anzubieten und eine
ununterbrochene Linie des Lernens zu ermöglichen .
Wir spüren schon heute: Die Menschen wollen . Sie
wollen lernen, und sie wollen arbeiten .
({7})
Wir wollen die Aufnahme von Arbeit erleichtern . Ich
habe eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die
zum Ziel haben, die Vermittlung in Arbeit von Hürden
und Bürokratie zu befreien . Wir sind zurzeit darüber in
Abstimmung innerhalb der Bundesregierung und mit den
Ländern . Ich hoffe, dass es gelingt, für eine Weile bestimmte Hürden beiseite zu stellen, allerdings ohne dabei
die Interessen der anderen Arbeitslosen in unserem Land
aus dem Blick zu verlieren . Wir brauchen Zuwanderung .
Wir brauchen Menschen, die zu uns kommen, und wenn
sie kommen, sollten sie das ohne Angst tun und sich hier
auch aufgenommen fühlen . Deswegen müssen wir all die
in ihre Schranken weisen, die Stimmung gegen Flüchtlinge machen oder sogar Hass säen .
({8})
Ich bin sicher: Wir werden hier bald ein Einwanderungsgesetz beraten . Doch bis es dazu kommt, wollen
wir versuchen, mit ganz konkreten Maßnahmen Druck
von den Asylverfahren zu nehmen . Mein Vorschlag ist,
dass wir eine Kontingentregelung für Bürger aus den
Staaten des Westbalkans auf den Weg bringen . Sie sollen
in den nächsten fünf Jahren die Möglichkeit eines geregelten Zugangs zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen .
Derzeit läuft dies alles über die Asylverfahren . Das ist
nicht sinnvoll, weil die Anerkennungsquote bei unter
1 Prozent liegt . Bis zu 20 000 Menschen sollen jedes
Jahr hierherkommen können, aber nur dann, wenn sie
ein konkretes Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzangebot haben, bei dem natürlich die tariflichen Regelungen
geachtet und erfüllt sind . Das halte ich für einen vernünftigen Weg, um das Asylverfahren zu entlasten .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen stetigen Zuwachs bei der Beschäftigung . Die Erwerbstätigkeit in Deutschland ist auf Rekordniveau, und es gibt so
viele offene Stellen wie noch nie . Wir haben in den letzten Jahren für gesunde Finanzen gesorgt und die soziale
Sicherung fest aufgestellt . Die Herausforderung, vor der
wir jetzt stehen, Menschen nach Flucht und Gefahr hier
Heimstatt und Hoffnung zu geben, Arbeit und Aussicht
auf ein Leben in Sicherheit - diese Aufgabe wird uns
noch Jahre beschäftigen . Ich bin mir mit Finanz minister
Schäuble einig, dass wir das, was wir dafür benötigen,
bereitstellen werden . Die Aufgabe fordert - das ist klar -;
aber sie überfordert uns nicht . Wir können sie meistern .
Wir werden sie meistern . Wir im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik werden alles tun, was dafür nötig ist .
Vielen Dank .
({10})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Katja
Kipping von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser
Haushaltsentwurf verrät: Schwarz-Rot hat nicht vor, die
großen sozialen Baustellen anzugehen . Dieser Entwurf
ist blind gegenüber den sozialen Nöten in diesem Land .
({0})
Nehmen wir nur die Hartz-IV-Regelsätze . Diesem
Haushaltsentwurf zufolge ist kein Spielraum für eine
wirkliche Erhöhung des soziokulturellen Existenzminimums . Dabei ist die bisherige Berechnung der Regelsätze eine Farce . Da werden die Ausgaben der ärmsten
Menschen in diesem Land statistisch festgehalten, ohne
zu schauen, ob es ihnen nicht bereits am Lebensnotwendigen mangelt . Von den so ermittelten Ausgaben ziehen
Sie dann noch einmal locker 30 Prozent ab, und das soll
das Existenzminimum sein . Wir meinen: Das kann so
nicht weitergehen . Hier muss deutlich mehr Geld eingeplant werden .
({1})
Kommen wir zu den Hartz-IV-Sanktionen . Als Linke
haben wir hier eine klare Position: Das Hartz-IV-Sanktionssystem gehört abgeschafft und muss durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzt werden .
({2})
Denn beim soziokulturellen Existenzminimum handelt es sich um ein soziales Grundrecht, und bei Grundrechten kürzt man nicht . Das ist einfach unanständig .
({3})
Seit vielen Wochen befindet sich nun der Erwerbslosenaktivist Ralph Boes im Sanktionshungern . Das heißt,
infolge einer 100-prozentigen Sanktion hat er sich entschieden, keinerlei Essen mehr zu sich zu nehmen . Das
ist seine Art, gegen die Hartz-IV-Sanktionen zu protestieren. Ich finde es erschreckend, dass jemand zu solch
drastischen Maßnahmen greift oder greifen muss . Ich
habe ihn besucht, mich länger mit ihm unterhalten und
ihn sehr inständig darum gebeten, sein Sanktionshungern
zu beenden . Ich habe in diesem Zusammenhang eine Bitte an Sie, Frau Nahles: Bitte suchen Sie das direkte Gespräch mit Ralph Boes . Es geht hier um ein Menschenleben, und man darf als zuständige Ministerin nichts, aber
auch gar nichts unversucht lassen, dieses zu retten .
({4})
Wir befinden uns in der Mitte der Wahlperiode. In
zwei Jahren sind Bundestagswahlen . Es ist also Zeit für
eine Zwischenbilanz hinsichtlich der Frage: Wo stehen
wir sozialpolitisch?
Es gibt Armut in diesem Land . Armut bedeutet für viele
Leute, dass sie unter materieller Unterversorgung leiden .
60 Prozent der Armutsgefährdeten können sich mit ihrer
Familie nicht einmal eine Woche Urlaub hier im Land
leisten . 25 Prozent der Armutsgefährdeten können sich
nur jeden zweiten Tag eine warme vollwertige Mahlzeit
leisten . Armut ist nicht einfach eine relative Größe, wie
Sie, Frau Nahles, uns weismachen wollen; Armut ist für
viele Menschen in diesem Land eine reale Belastung .
Deswegen muss man etwas dagegen unternehmen . Wir
schlagen dazu als Linke eine solidarische Mindestrente,
eine sanktionsfreie Mindestsicherung und eine ordentliche Kindergrundsicherung vor .
({5})
In dieser Bilanz schlägt auch negativ zu Buche, dass
soziale Grundrechte verwehrt werden - durch Sanktionen und niedrige Regelsätze .
Über die Versäumnisse im Bereich der Arbeitsmarktpolitik wird meine Kollegin Sabine Zimmermann reden .
In der Erwerbswelt sind besonders Frauen und junge
Menschen von prekären und unsicheren Arbeitsverhältnissen betroffen . So ist beispielsweise bei Neueinstellungen jeder zweite Vertrag befristet .
Zudem haben wir eine soziale Spaltung in diesem
Land . Die reichsten 10 Prozent schwimmen im Reichtum; jeder von ihnen hat im Durchschnitt mehr als 1 Million Euro . Die ärmsten 10 Prozent haben nichts als ihre
Schulden. Ich finde, diese Erkenntnis schreit nach Umverteilung von oben nach unten . Es macht mich wütend,
zu sehen, dass Sie von der SPD und Sie von der CDU/
CSU sich der Umverteilung von oben nach unten dermaßen verweigern .
({6})
Um es zusammenzufassen: Unterlassungen beim
Durchsetzen von sozialen Grundrechten, Untätigkeit
beim Kampf gegen Armut . Diese Bilanz ist beschämend .
Frau Nahles, Sie haben noch zwei Jahre Zeit . Nutzen
Sie sie! Es gibt viel zu tun in diesem Land - für soziale
Grundrechte und gegen Armut .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Karl
Schiewerling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! An die guten Zahlen haben
wir uns längst gewöhnt: 43 Millionen Menschen in Beschäftigung, 31 Millionen sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse, im europäischen Vergleich
eine niedrige Arbeitslosigkeit und vor allen Dingen eine
niedrige Jugendarbeitslosigkeit . Konsequenz daraus
ist: Wir haben gut gefüllte Sozialkassen, die zwar nicht
überquellen, aber im Augenblick auch keinen Anlass zur
Sorge geben .
An diese guten Zahlen haben wir uns so sehr gewöhnt,
dass wir vergessen haben, was die Ursachen sind . Wir haben vergessen, dass die Zahlen das Ergebnis einer guten
Finanz- und Wirtschaftspolitik sind . Eine Ursache dafür
ist, dass wir vor zehn Jahren Reformen gemacht haben,
die ihre Wirkung entfalten, und dass auch die Korrekturen, die in der letzten Legislaturperiode vorgenommen
worden sind, ihre Wirkung entfalten . Alles das gehört
dazu .
Wir haben uns deswegen daran gewöhnt, eher über
Fachkräfte zu diskutieren als Arbeitslosigkeit . Ich meine, das ist eine Entwicklung, die eher ermutigt als betrübt . Das ist ein völlig anderer Blickwinkel auf diese
Gesellschaft als der, Frau Kipping, den Sie gezeichnet
haben . Viele Menschen, die bis dahin in Armut waren,
haben den Sprung in die Beschäftigung geschafft - auch
viele Langzeitarbeitslose haben diesen Weg geschafft und können ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften
finanzieren.
({0})
Ich meine, Frau Kipping, das ist eine gute Entwicklung,
und wir werden an dieser Entwicklung weiterarbeiten .
({1})
Wir haben uns so sehr an diese guten Zahlen gewöhnt,
dass wir geneigt sind, die Augen davor zu verschließen,
dass am strahlend blauen Konjunkturhimmel möglicherweise Gewitterwolken aufziehen könnten, die uns schon
wieder vor neue Herausforderungen stellen . Ich nenne
nur die Situation in der Ukraine . Ich denke an die Situation in China und anderen Bereichen, wo wir vom Export
abhängig sind . Gewiss, wir können nicht allem vorbeugen; aber wir dürfen das auch nicht aus dem Auge verlieren, weil wir sonst Gefahr laufen, zu glauben, dass ein
Immer-weiter-so letztendlich die Normalität ist . Wir werden dafür kämpfen, dass das die Normalität bleibt, aber
das hängt von Dingen ab, über die wir in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik allein nicht entscheiden können .
Meine Damen und Herren, auch die Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik steht vor den Herausforderungen der demografischen Entwicklung. Die neue Herausforderung,
vor die wir nun gestellt sind, ist die Situation, dass viele
Menschen auf der Flucht sind, existenziell an Leib und
Leben bedroht sind; wir alle kennen die Bilder . Sie sind
vor Bürgerkriegen geflüchtet. Sie suchen Schutz in unserem Land . Wir nehmen sie auf . Wir begrüßen sie freundlich . Wir wollen tun, was wir können . Ich sage Ihnen: Es
ist gut, dass wir hier in Deutschland ein Zeichen setzen,
und es ist gut, wie wir es setzen .
({2})
Diese Entwicklung bestimmt die Agenda in unserem
Land; die Bundesarbeitsministerin hat gerade ausführlich
darauf hingewiesen . Somit ergeben sich neue Herausforderungen, neue Wege, aber auch neue Chancen . Mit diesem Dreiklang will die Union im Haushalt 2016 den veränderten Anforderungen im Bereich „Arbeitsmarkt und
Sozialpolitik“ Rechnung tragen .
Bei allen neuen Aufgaben, die sich aus der Hilfe für
die Flüchtlinge ergeben, muss allerdings im Blick behalten werden - auch da unterstütze ich die Bundesarbeitsministerin voll -, dass sich Anforderungen an uns
stellen, die weiterhin unsere Agenda bestimmen und denen wir Rechnung tragen müssen: Anforderungen in der
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die Situation der noch
nicht vermittelten Langzeitarbeitslosen, die Situation der
arbeitsuchenden Menschen, die Frage, wie wir das Rentensystem auf Dauer krisenfest machen können . All diese
Herausforderungen bleiben bestehen . Alles, was wir für
die Menschen tun, die in Not sind und zu uns kommen,
ersetzt nichts, sondern muss zusätzlich geschultert werden . Ich bin sicher, dass wir im Sinne des Dreiklangs die
neuen Herausforderungen annehmen, die neuen Wege
beschreiten und auch die neuen Chancen erkennen . Deswegen werden wir das gemeinsam schultern .
({3})
Kernthema der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist aus
unserer Sicht die Integration in den ersten Arbeitsmarkt .
Die Union will gemeinsam mit dem Koalitionspartner,
wenn auch zunächst befristet, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente angehen mit dem Ziel, den Übergang
in den Arbeitsmarkt so zu gestalten, dass er für die verschiedenen Zielgruppen zum Erfolg wird . Es geht um die
Arbeitslosen, die 55 Jahre und älter sind . Es geht um die
langjährigen Bezieher von Arbeitslosengeld II . Es geht
um die Menschen, die mindestens drei Jahre nicht im
Erwerbsleben standen . Es geht um junge Eltern, die seit
Jahren von der Grundsicherung leben, und es geht um
ein Programm für schwer erreichbare junge Menschen .
Zu diesem Programm gehört, dass wir diese Menschen
möglichst nah an den Arbeitsmarkt bringen und in den
ersten Arbeitsmarkt integrieren . Wir haben den Vorschlag unterbreitet, das gute und bewährte Instrument der
Integrationsbetriebe zu nutzen, um sozusagen Schritte zu
ermöglichen, den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen .
({4})
Meine Damen und Herren, wir wollen schon in diesem Haushalt und auch in zukünftigen Haushalten in
die Zukunft investieren . Im Koalitionsvertrag haben wir
dazu festgehalten:
Junge Menschen, deren Eltern seit Jahren von
Grundsicherung leben, sollen Unterstützung bekommen .
Darauf haben wir uns verständigt . Wir müssen es schaffen, auch den schwer erreichbaren jungen Menschen eine
Perspektive zu geben . Insofern freue ich mich sehr, dass
die Bundeskanzlerin und die Bundesarbeitsministerin,
sozusagen ohne großes Aufheben zu machen, gemeinsam einen Vorschlag von mir übernommen haben, ein
Programm mit der Überschrift „RESPEKT“ aufzulegen:
Respekt vor den jungen Menschen, die auf dem Weg in
ihre Zukunft sind, Respekt vor denen, die Hilfe benötigen . Wir wollen dieses Programm im Oktober starten
und über diesen Weg Einrichtungen schaffen, in denen
diese jungen Menschen Unterstützung erhalten . Ziel ist
es, dass sie persönlich geprägte, langfristige Beziehungen eingehen können, die Vertrauen und Sicherheit schaffen und einen kontinuierlichen und nachhaltigen Weg in
Ausbildung und Arbeit ebnen . Die zentrale Botschaft des
Programms heißt: Wir achten die jungen Menschen . Wir
erkennen ihre unterschiedlichen Problemlagen an . Mit
ihnen gemeinsam wollen wir den Weg zu einer selbstbestimmten und freien Teilhabe in unserer Gesellschaft
öffnen .
Dabei haben wir auch die Situation der jungen Eltern
im Blick, die seit Jahren von Grundsicherung leben . Sie
sind eine besondere Zielgruppe unserer Maßnahmen . Die
Eltern haben eine ganz wichtige Vorbildfunktion . Ihnen
soll geholfen werden, diese Aufgabe wahrzunehmen . Ich
danke ausdrücklich den beiden Berichterstattern für den
Haushalt, Axel Fischer und Ewald Schurer, die schon im
letzten Jahr für den Haushalt 2015 und in diesem Jahr für
den Haushalt 2016 die Voraussetzungen dafür geschaffen
haben .
Das ist, Frau Kipping, ein gänzlich anderes Programm,
als es die Linken haben . Wir setzen dort an, wo wir den
Menschen helfen können, um aus ihrer Not herauszukommen . Wir nehmen sie sehr konkret an die Hand .
({5})
Unser Ziel besteht nicht darin, die Hartz-IV-Sätze willkürlich anzuheben, sondern darin, auf der Basis ordentlicher Berechnungen die Grundlage für das Leben zu
schaffen .
({6})
Unser Ziel muss sein, den Menschen eine Perspektive zu
geben . Daran arbeiten wir .
({7})
Meine Damen und Herren, wir stehen vor der großen
Aufgabe der Integration von Flüchtlingen, die eine dauerhafte Duldung haben, die ein Bleiberecht haben . Es
gilt, die Willkommenskultur, die die Menschen überall,
auf den Bahnhöfen und auf den Straßen, dokumentieren,
auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen . Dazu gehört
auch die Wirtschaft, dazu gehören auch die Betriebe . Ich
unterstütze ausdrücklich Ihre Einschätzung, dass sich die
eigentlichen Herausforderungen bezüglich des Arbeitsmarktes nicht heute stellen, sondern verschärft Anfang
des kommenden Jahres . Das betrifft nicht nur die Sprachkurse, sondern auch die Vermittlung in Arbeit . Deswegen
ist es gut, dass wir uns diesen Herausforderungen stellen .
Die Bundesarbeitsministerin hat das Programm vorgestellt. Es findet unsere Unterstützung. Ich denke, dass wir
die Herausforderungen und die Aufgaben, die sich daraus
ergeben, auch gemeinsam schultern .
Voraussetzung ist natürlich, dass die Rechtsgrundlagen für jeden Einzelnen, der zu uns gekommen ist, geklärt sind, das heißt, dass er bei uns bleiben kann, dass
er geduldet ist, dass er hier eine Lebensperspektive hat .
Dann können die Schritte erfolgen, die Menschen dauerhaft im ersten Arbeitsmarkt unterzubringen . Das stellt
auch eine Riesenchance dar, dem viel zitierten Fachkräftemangel zu begegnen . Allerdings müssen die Branchen
sehr konkret sagen, wer wie viele Fachkräfte benötigt
und in welcher Region Fachkräfte gebraucht werden .
Fachkräftemangel ist kein pauschales Thema, sondern
ein branchen- und regionalspezifisches Thema. Deswegen muss sehr spezifisch und passgenau gehandelt werden . Ansonsten kommt es zu einem- neuhochdeutsch
ausgedrückt-, Mismatching und werden ErwartungshalKarl Schiewerling
tungen geweckt, die möglicherweise gar nicht zu befriedigen sind .
Meine Damen und Herren, zu den neuen Chancen, vor
denen wir stehen, gehört auch, dass wir mithilfe der jungen Zuwanderer, die jetzt zu uns kommen, die demografische Entwicklung neu angehen können. Es ist gut, dies
in den Blick zu nehmen, wenn wir über die Zukunftssicherung, unsere Alterssicherung reden . Wir hatten im
Juni 32,6 Milliarden Euro in der Nachhaltigkeitsrücklage; das sind 2 Milliarden Euro mehr, als wir geplant hatten . Durch die Mütterrente und die Rente mit 63 sind es
allerdings 2,5 Milliarden Euro weniger als beim letzten
Jahreswechsel . Aber wir stehen besser da, als vermutet .
Das sind gute Perspektiven für die Zukunft .
({8})
Die Nachhaltigkeitsrücklage liegt oberhalb von
1,5 Monatsausgaben . Ich höre schon wieder die Auguren
im Himmel tönen, man könne dann doch den Rentenversicherungsbeitrag senken .
({9})
Ich kann nur dringend raten, die Finger davon zu lassen
und sich genau anzuschauen, welche Belastungen noch
kommen, damit wir ihn nicht zu schnell wieder erhöhen
müssen und der Effekt nur ein kurzfristiges Strohfeuer
ist .
({10})
Meine Damen und Herren, ich will auf einen weiteren
Punkt zu sprechen kommen, der die Rente betrifft und
mir in den letzten Wochen und Monaten verstärkt sehr
am Herzen liegt . Wir müssen den Menschen helfen, einen Überblick über ihre zukünftige Alterssicherung
zu bekommen . Da besteht aus meiner Sicht dringender
Handlungsbedarf . Die Rentenauskunft der Deutschen
Rentenversicherung wird nicht ausreichen, so gut sie
auch ist . Wir brauchen als Überblick eine Zusammenführung der privaten, der betrieblichen und der gesetzlichen
Altersvorsorge . Die Menschen müssen wissen, wie hoch
die steuerliche Belastung ist, wie hoch der Krankenversicherungsbeitrag ist, weil es sonst ein böses Erwachen
geben kann . Vor allem müssen wir es ihnen rechtzeitig
sagen, damit sie sich darauf einstellen können . Das ist ein
wichtiger Beitrag für die jüngere Generation, damit sich
jeder darüber im Klaren ist, welche Entwicklung auf ihn
zukommt . Ich halte es für zwingend geboten - und ich
glaube, dass die Politik gut beraten ist, die Erwartungen
an die entsprechenden Träger deutlich zu formulieren -,
das auf den Weg bringen und damit nicht mehr allzu
lange zu warten .
({11})
Neue Herausforderungen, neue Wege, neue Chancen - voller Optimismus krempeln wir die Arme hoch
und nehmen diese Herausforderung an . Ich bin sicher:
Wir werden es gemeinsam schaffen .
Herzlichen Dank .
({12})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Ekin Deligöz
das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Schiewerling, die Kollegin Katja Kipping hat hier
auf ein ernstes Problem hingewiesen, nämlich auf Armut
in einem reichen Land. Ich finde es wirklich sehr bedauerlich, dass Ihnen nichts anderes einfällt, als mit Polemik
darauf zu reagieren .
({0})
Ich finde, an einer solchen Stelle ist für Polemik kein
Platz . Das war vielmehr ein Hinweis, dass wir uns der
Sache annehmen sollen .
Im Übrigen gibt es nicht nur zwei Berichterstatter,
sondern mit Frau Lötzsch und mir vier Berichterstatter
zu diesem Thema .
({1})
Als Hauptberichterstatterin werde ich mir sehr viel Mühe
geben, dass wir sachlich fundiert und kollegial zusammenarbeiten, so wie wir das bisher auch getan haben .
({2})
Frau Ministerin, Sie haben im Einzelplan 11 zu Recht
den Schwerpunkt auf die Versorgung und Förderung
von Flüchtlingen gelegt . Er umfasst Leistungen, die mit
Flüchtlingshilfe zu tun haben . Dazu zählen Maßnahmen
zum Unterhalt und zur Integration - ALG-II-Leistungen, Kosten der Unterkunft -, berufliche Maßnahmen Jobcenter, Förderprogramme, Qualifizierung - und die
ESF-Gelder, die meist leider bereits gebunden sind . An
dieser Stelle wird sich zeigen, ob wir in der Lage sind,
diese Programmtitel durch nationale Mittel aufzustocken, um eine Antwort auf Ihre Frage zu finden.
Die derzeitige Entwicklung ist für uns alle eine Herausforderung; das gebe ich zu . Deshalb debattieren wir
darüber . Aber ich verstehe meine Rolle in der Opposition
auch als konstruktive Verantwortung . Deshalb will ich
Ihnen unbequeme Sachverhalte und Versäumnisse nicht
verschweigen .
Wir wissen noch nicht, wie die 3 Milliarden Euro,
über die wir reden, eingesetzt werden . Wir wissen aber,
dass ein Großteil dieser Mittel durch die Passivleistungen
vereinnahmt werden wird, weil wir die Mittel für KdUund ALG-Leistungen steigern müssen, da es darauf einen
gesetzlichen Anspruch gibt . Dann wird es darauf ankommen, ob Sie die Fehler, die Sie im letzten Haushaltsverfahren bei den Fördermitteln gemacht haben, wiederholen, indem Sie alles schönreden und kleinrechnen . Das
wäre wirklich unverantwortlich .
({3})
Ich will Ihnen sagen, warum, und möchte Ihnen dazu
einige Beispiele nennen . Im Haushaltsplan 2015 sind wir
davon ausgegangen - die Zahlen nenne ich Ihnen in aller
Deutlichkeit -, dass in diesem Jahr 300 000 Asylanträge gestellt werden und sich weitere 370 000 Flüchtlinge
mit sogenannter SGB-III- und SGB-II-Relevanz im Land
befinden. Das Angebot für diese Flüchtlinge war, ehrlich
gesagt, äußerst bescheiden . Das Programm „Integrationsrichtlinie Bund“ wurde auf 2 000 Menschen jährlich ausgelegt . Für 300 000 plus 370 000 Flüchtlinge gibt es also
2 000 Plätze; das Bezugsjahr für die Planungen war 2012 .
Den Hinweis, dass diese Zahlen überholt sind, haben Sie
erfolgreich ignoriert . Für die ESF-BAMF-Sprachkurse
hat das BMAS ganze 26 000 Plätze einkalkuliert . Für das
Programm „Integration durch Qualifizierung ({4})“ waren ganze 2 300 Plätze veranschlagt . Wie hätte das denn
funktionieren sollen? Was ist das für ein Angebot? Sie
selber merken doch, wie beschämend diese Zahlen sind,
Frau Ministerin . Das müssen Sie zugeben .
({5})
Schlimmer ist aber, dass Sie all die Rufe und Hinweise darauf schlicht und einfach ignoriert haben und nicht
wahrhaben wollten, weil nicht sein sollte, was nicht sein
durfte .
Kommen wir zu den Jobcentern . Das Eingliederungsbudget wurde im Jahr 2015 um keinen einzigen Cent
erhöht . Aus dieser „Erhöhung“ um nicht einen einzigen
Cent sollte Folgendes finanziert werden:
({6})
die allgemeinen Kostensteigerungen inklusive dem Personalhaushalt, die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und die Angebote für Asyl- und Schutzberechtigte,
die zwar Potenziale, aber auch komplexe Hemmnisse
haben. All das hätte daraus finanziert werden sollen. Der
Hinweis darauf, dass wir hier dringend mehr Mittel brauchen, wurde von Ihnen total ignoriert . Das konnte nicht
gut gehen, Frau Ministerin .
({7})
Ein weiterer Punkt, den Sie nicht gerne hören - ja, ich
gebe zu, es ist nicht angenehm, so etwas zu hören -: Der
Verschiebebahnhof von den Eingliederungstiteln zu den
Verwaltungskosten wird weitergehen, und zwar in Folge
seit vielen Jahren . Diesmal ist es mindestens eine halbe
Milliarde Euro, die immer verschoben wird . Das geht so
nicht .
All das sind Gründe dafür, warum ich sehr skeptisch
in dieses Verfahren gehe . Ich bin gespannt, ob Sie wirklich hinkriegen, was Sie hier in vielen blumigen Worten
versprochen haben, Frau Ministerin .
Es gibt Mehrbedarfe - und es muss sie auch geben -,
und zwar schon im Jahr 2015 . Nicht umsonst muss die
Bundesagentur an ihre Interventionsreserve gehen . Darauf, dass das Geld für Sprachförderung vorne und hinten
nicht reicht, hat die Bundesagentur bereits im März hingewiesen; aber auch das konnten Sie erfolgreich ignorieren . Wir könnten einiges machen . Wir könnten fehlende
Gelder für 2015 durch einen Nachtragshaushalt bereitstellen . Wir könnten die ESF-Mittel durch nationale Mittel aufstocken . Ob Sie das machen oder nicht, darauf bin
ich gespannt . Viel gehört habe ich dazu nicht .
Frau Ministerin, was wir jetzt brauchen, ist eine Kurssetzung . Der künftige Kurs kann aber nicht ein gedeckelter Betrag sein, bei dem man dann einmal guckt, wie
weit wir damit kommen . Der Kurs muss doch lauten: Wir
brauchen eine systematische, bedarfsorientierte und zielorientierte Finanzierung der notwendigen Maßnahmen .
Integration ist wichtig . Lassen Sie uns die Fehler, die wir
bei der Gastarbeitergeneration gemacht haben, nicht wiederholen . Wir brauchen die Jobchancen, wir brauchen die
Integrationsmittel, wir brauchen die Sprachkurse . Wenn
wir all das nicht machen, dann wird der Preis in Zukunft
um einiges höher, und der Preis sind die Chancen der
Menschen, die in unser Land kommen . Dafür müssen
wir jetzt geradestehen, und zwar nicht nur mit Worten,
sondern auch mit Taten .
({8})
Sie haben den Willen bekundet, aber Zahlen dazu stehen
noch aus; sie sind nicht im Haushaltsplan . Ich bin gespannt, was wir dann in der Beratung noch vorgerechnet
bekommen .
Es gibt noch andere Beratungsgegenstände; auf einen
Teil davon wird mein Kollege Wolfgang StrengmannKuhn noch eingehen . Lassen Sie mich aber noch einen
Punkt ansprechen: 86 Milliarden Euro aus Ihrem Etat
gehen an die Rentenversicherung . Dieser Betrag - das
wissen wir jetzt schon - wird sukzessive steigen, und
zwar nicht zuletzt aufgrund des Rentenpakets, dessen Finanzierung ja erst noch auf den Bundesetat zukommt . Im
Moment ist dies noch nicht enthalten, im Moment müssen dies die Beitragszahler tragen .
Zeitgleich steigt in diesem Land die Altersarmut, insbesondere bei Frauen . Die zwischen Männern und Frauen vorhandene Lohnlücke führt zu einer Rentenlücke, sobald die Frauen ins Rentenalter kommen . Darauf haben
Sie keine Antworten . Sie nehmen sich der Sache nicht an,
Sie ignorieren das . Sie wollen da überhaupt nichts verändern . Dass Sie das so ignorieren, macht mich persönlich,
ehrlich gesagt, fassungslos, und damit komme ich zurück
auf die Polemik . Wenn es um Armut geht, dann können
wir uns Polemik in diesem Land nicht leisten . Gerechtigkeit heißt, zu handeln und nicht nur weichzuspülen,
heißt, etwas zu tun und nicht nur darüber zu reden . Frau
Ministerin, daran werden wir arbeiten müssen .
({9})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Ewald Schurer
von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Verehrte Kollegin Deligöz, Sie haben ja eine ganze Liste
vorgetragen; das ist auch die Arbeit der Opposition . Eine
ganz wichtige Zahl darin war allerdings schon völlig
falsch . Sie ignorieren, dass wir die Jobcenter mit 4 mal
350 Millionen Euro, also 1,4 Milliarden Euro, mehr über
diese Periode hinweg finanzieren. Die Zahl, die Sie genannt haben, war grundfalsch . Sie ignorieren diese klare
Erhöhung, die im Haushalt ausgewiesen ist .
({0})
So geht es weiter . Es ist natürlich die Aufgabe der
Opposition, sich kritisch mit der Politik der Regierung
zu befassen . Man muss aber auch sagen: Wofür, glauben
Sie, haben wir das Rentenpaket geschnürt? Das ist die
manifeste Form eines Beitrags zur Bekämpfung der Altersarmut und zur Bekämpfung der Armut per se in dieser
Gesellschaft .
({1})
So etwas hier einfach wegzudiskutieren, ist nur bedingt
redlich und ist der verkrampfte Versuch der Opposition,
hier etwas zu finden.
Meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und
Kollegen, es ist schlicht und einfach so, dass wir bei den
Haushaltsberatungen im Bereich Arbeit und Soziales vor
einer riesigen Herausforderung stehen - die Frau Ministerin hat es skizziert -, die im bisherigen ersten Entwurf
noch nicht ganz abgebildet ist; das muss man zugeben .
Es wird, technisch betrachtet, zu einer Art Nachtrag zum
Haushalt kommen müssen, schon allein aufgrund der zusätzlichen Ausgaben in den Bereichen Flucht, Asyl und
Anerkennung und den entsprechenden Leistungsgesetzen des Bundes . Ich als Haushälter erwarte zumindest,
dass es bei den genannten Leistungen zu Steigerungen
von mehr als 2 Milliarden Euro kommt . Das wird noch
kommen; wir werden den Haushalt entsprechend ergänzen müssen .
Auf der anderen Seite ist Folgendes von Bedeutung ich habe es gestern in der Generaldebatte gesagt -: Es ist
gut und kein Glück und kein Zufall, sondern hart erarbeitet, dass wir zurzeit am Arbeitsmarkt makroökonomisch
die beste Situation haben, die es je gab, mit einem klaren Aufwuchs an Stellen; das wird die Opposition zwar
wissen, aber natürlich hier nicht anführen . Auch die Vollzeitbeschäftigung ist in den letzten Monaten und Jahren
signifikant angestiegen. Damit gibt es weniger prekäre
Arbeitsverhältnisse und mehr Arbeitsverhältnisse, von
denen man leben kann .
({2})
Der Mindestlohn hat dazu seinen Beitrag geleistet .
Man muss einfach feststellen, dass das Rentenpaket, der
Mindestlohn und weitere Projekte auch sozialpolitisch in
die richtige Richtung gehen . Zum Beispiel hat der Mindestlohn - das ist auch gesagt worden - die Binnennachfrage im Lande gefördert und zugleich mehr Vollzeitjobs
hervorgebracht; es gab eine Konversion von Teilzeitjobs
in feste Beschäftigungen . Also war der Mindestlohn ein
äußerst erfolgreiches Projekt . Dem kann sich nicht einmal die Opposition verschließen . Teilweise haben Sie
das früher in den Fachdebatten schon einmal zugegeben;
heute, in der Haushaltsdebatte, können Sie das nicht . Das
ist das Rollenspiel einer Opposition . Das verstehe ich
doch .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich
mit dem Haushalt beschäftigt, sind nicht nur die Zahlen bedeutungsschwer . Aber 127,3 Milliarden Euro,
also 40,8 Prozent, fast 41 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes, entfallen in diesem ersten Entwurf - die
Summe wird sich durch Nachträge erhöhen - auf den
Bereich Arbeit und Soziales . Dass wir davon für Rente
und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
29,9 Prozent, fast 30 Prozent ausgeben, ist, wenn man
den Haushalt in Gänze betrachtet, volkswirtschaftlich
beachtlich .
Für die Arbeitsförderung sind 10,25 Prozent vorgesehen . Das ist, was den Faktor Arbeit angeht, der zweitgrößte Bereich des Haushaltes für Arbeit und Soziales .
Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg hat natürlich
eine gute Arbeit gemacht, hat aufgrund der guten Konjunktur immer mehr Menschen vermitteln können, hat
im eigenen Haushaltsbereich mittlerweile stolze Rücklagen geschaffen . Die Rücklagen werden sich durch die
gute Situation am Arbeitsmarkt erhöhen und geben der
Bundesagentur für Arbeit die Möglichkeit, gemeinsam
mit dem Ministerium proaktiv die richtigen arbeitsmarktpolitischen Instrumente auszuloten und zu nutzen .
Da geschieht eine Menge . Auch das ist von Ihnen, Frau
Kipping, nur begrenzt dargestellt worden .
({4})
Die Bundesagentur für Arbeit betreibt aktive Arbeitsmarktpolitik und wird damit die Situation am Arbeitsmarkt erneut verbessern . Aus der Dualität der beiden Einheiten - Arbeit und Soziales - entsteht eine gute Politik .
Wir planen weitere Initiativen . Zumindest wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen - das ist
angekündigt - den Missbrauch bei Werkverträgen und
Leiharbeit begrenzen . Das wird unser Paket für diese vier
Jahre noch ergänzen . Da sind wir in intensiver Abstimmung mit dem Koalitionspartner, den Freunden von der
Union, wie ich mutig behaupten möchte . Zumindest im
Bereich Arbeit und Soziales sehe ich bei der Union Sensibilität und Zustimmung, dass diese Projekte notwendig
sind .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zur bereits angesprochenen Herausforderung zurück . Es geht
um eine ernste Situation . Viele in der Haushaltsdebatte
belobigen, wie stark unsere Gesellschaft durch das Ehrenamt, durch zivilgesellschaftliche Beiträge ist . Was
haben die Kommunen, die Länder und der Bund da zu
leisten? Es gibt zum einen das 3-plus-3-Paket . Da werden wir - das habe ich schon gesagt - sicherlich gute
2 Milliarden Euro mehr benötigen, relativ kurzfristig,
aber auch im Jahr 2016, um künftig die Leistungen - sie
sind genannt worden - für ALG II und die Kosten der
Unterkunft bewältigen zu können .
Ich muss hier ausdrücklich belobigen - nicht, weil
es mir nahegelegt wurde, sondern aus innerer Überzeugung -: Angesichts der aufgeregten Diskussion hielt ich
den Beitrag von Ministerin Andrea Nahles für den besten . Sie hat - erstens - gesagt: Wir müssen alles tun, um
die Menschen, die nach Abschluss des Asylverfahrens
bei uns bleiben können, mit aktiver Arbeitsmarktpolitik
in unsere Gesellschaft zu integrieren . Ich möchte bitte
schön für die ganze Koalition sagen dürfen: Das ist eine
außerordentlich zielführende politische Initiative, die die
aufgeregte Diskussion ein Stück weit versachlicht .
Zum Zweiten wünsche ich mir schon, dass wir Impulse für einen geordneten Zugang zum Arbeitsmarkt
schaffen, und zwar über das Asylverfahren hinaus . Ich
bin ein Anhänger einer Einwanderungsgesetzgebung .
Das ist keine einfache Diskussion, aber auch sie darf
man im Rahmen der parlamentarischen Beratung einmal
offensiv ansprechen . Ich wünsche mir schon, dass wir
Arbeitsmarktprobleme, auch mit Blick auf die Situation auf dem Westbalkan, ein Stück weit über eine neue
Zuwanderungsgesetzgebung regeln . Das hielte ich, Frau
Ministerin, für die zweite sehr bedeutsame Aussage . Dies
ist ordnungspolitisch für den Arbeitsmarkt von großer
Bedeutung .
Angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt gibt es
massive Unterstützung aus dem Bereich der Wirtschaft;
das passiert auch nicht jeden Tag . Bei mir zu Hause in
Oberbayern wirbt die IHK für München und Oberbayern massiv für Veränderungen, die wir politisch derzeit
mit der Ministerin und den Parteien diskutieren . Es heißt:
Der Fachkräftemangel kann - das ist ein Chance - nur
dann behoben werden, wenn wir den Menschen, die zu
uns kommen, über Sprachförderung - auch in diesem Bereich gibt es Nachbesserungen seitens des Ministeriums
für Arbeit und Soziales - und Berufsbildung einen geordneten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen . So können
wir positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt erzielen, die
dringend notwendig sind . Das wird nicht nur in Berlin
so gesehen . Auch in den übrigen Regionen Deutschlands - am Rhein, am Main und im Ruhrgebiet - sagen
die Wirtschaftsverbände: Lasst uns Migration und Asyl
für eine gute Arbeitsmarktpolitik nutzen . - Das halte ich
für wichtig .
Ich finde auch wichtig, festzuhalten, dass Gewerkschaften und Wirtschaft in diesem Zusammenhang die
gleiche Meinung vertreten - auch das kommt nicht jeden Tag vor -: Anstatt Angst in unserer Gesellschaft zu
schüren, sollten wir Zuwanderung auch als eine Chance
für die Qualifizierung der Menschen am Arbeitsmarkt
begreifen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Gesine
Lötzsch von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich hoffe, Sie, liebe Frau Nahles, und
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, haben
sehr gut zugehört, als der Finanzminister am Dienstag
den Haushalt eingebracht hat . Er will nämlich die Situation, die durch die Flüchtlinge entstanden ist, nutzen, um
die SPD und uns alle beim Thema Mindestlohn über den
Tisch zu ziehen . Das darf nicht passieren, meine Damen
und Herren .
({0})
Weniger Zollbeamte als geplant sollen die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns überprüfen . Kollege Michael Fuchs von der Union hat heute Morgen bei
der Diskussion über den Wirtschaftsetat noch einmal
nachgelegt und sich über die Kontrolle des gesetzlichen
Mindestlohnes lustig gemacht . Das, meine Damen und
Herren, dürfen Sie sich nicht gefallen lassen . Wir werden
uns das nicht gefallen lassen .
({1})
Ich kann Ihnen einen ganz konkreten Alternativvorschlag unterbreiten, wie Sie Personal gewinnen können . Die Bundeswehr hat immer noch einen beachtlichen Überhang an zivilem Personal, nämlich genau
14 800 Personen .
({2})
Seit Jahren bekommen diese Menschen Geld, ohne dafür
eine richtige Arbeit zu haben . Ich habe dieses Problem
schon bei vielen Haushaltsberatungen angesprochen .
Vielleicht erinnert sich noch jemand an Herrn Pofalla . Er
war einmal Kanzleramtschef und wollte diese Frage lösen . Inzwischen ist er bei der Deutschen Bahn, aber den
Personalüberhang gibt es immer noch . Ich bin mir sicher,
dass diese Menschen gerne arbeiten würden und auch
bereit wären, Flüchtlinge zu registrieren . Frau Nahles,
es gibt also keinen Grund, sich bei der Mindestlohnkontrolle über den Tisch ziehen zu lassen . Wenn es um die
Sicherung des Mindestlohnes geht, haben Sie die volle
Unterstützung der Linken .
({3})
Es ist immer nützlich, sich die verschiedenen Haushalte anzuschauen und die Einzelpläne ins Verhältnis zu
setzen . Auch Sie, Frau Nahles, haben sicher festgestellt,
dass die Bundeswehr laut Plan 34,2 Milliarden Euro erhalten soll, Sie hingegen sollen für die Arbeitsförderung
nur 32 Milliarden Euro bekommen. Ich finde, das ist
wirklich ein Missverhältnis .
({4})
Dahinter steckt die Vorstellung, dass die Bundeswehr
unsere Sicherheit garantiert . Ich sage Ihnen aber: Unsere Sicherheit wird garantiert, wenn die Menschen in
sicheren Verhältnissen leben, und dazu gehören sichere
Arbeitsplätze .
({5})
Nicht alle Maßnahmen müssen etwas kosten . Sie können sogar Geld sparen . Frau Nahles, Sie können einen
wichtigen Beitrag zur Flüchtlingsdebatte leisten, indem
Sie dafür sorgen, dass Flüchtlinge wie in Schweden ab
dem ersten Tag arbeiten dürfen .
({6})
Damit würde man auch dem absurden Argument entgegentreten, dass diese Menschen nur in unsere Sozialversicherungssysteme einwandern wollen . Damit könnte man
Ressentiments entgegentreten . Frau Nahles, in diesem
Zusammenhang könnten Sie gleich auch die Vorrangprüfung abschaffen; denn sie ist großer Unsinn .
({7})
Ich habe bereits am Dienstag vorgeschlagen, dass wir
uns in dieser Haushaltsdebatte endlich dazu durchringen
sollten, ein Integrationskonjunkturprogramm aufzulegen .
Das würde Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose und für
Menschen, die zu uns kommen, schaffen, und das wäre
für uns alle gut .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Dr . Astrid
Freudenstein das Wort .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Arbeitsbereich Arbeit und Soziales ist an sich schon ein ausgesprochen umfangreicher . Wenn die haushaltspolitische
Dimension dazukommt, wird es noch unübersichtlicher .
Und jetzt kommt auch noch das Thema „Flucht und Zuflucht“ dazu, das unser Ressort ganz besonders betrifft.
Es gibt in diesen Tagen also viel zu sagen . Vieles wurde
in dieser Debatte und den vorherigen bereits gesagt .
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich heute einmal
mit der Verantwortung zu beschäftigen, die wir insbesondere beim Aufstellen des Haushalts tragen . Es geht aber
auch um die Verantwortung eines jeden Einzelnen von
uns für den Sozialstaat, um die Verantwortung, die wir
jetzt für diejenigen haben, die zu uns kommen, und um
das, was wir von denen, die zu uns kommen, einfordern
müssen .
Warum kommen in diesen Monaten so viele Menschen zu uns - ausgerechnet zu uns - nach Deutschland?
Sie kommen in erster Linie deshalb zu uns, weil sie hier
sicher leben können . Sie kommen zu uns, weil wir ein
Rechtsstaat sind, und sie kommen zu uns, weil wir ein
Sozialstaat sind .
({0})
Sie kommen zu uns, weil wir wie kaum ein anderes Land
auf dieser Welt den Schwachen helfen und Chancen
geben, und sie kommen zu uns, weil wir wie kaum ein
anderes Land auf dieser Welt den Starken Chancen geben . Dafür, meine Damen und Herren von der Linken, ist
Deutschland ganz offensichtlich weltbekannt und weltberühmt . Darauf, meine ich, können wir tatsächlich stolz
sein .
({1})
Frau Kollegin Kipping, wir sind auch noch für anderes
bekannt: Wir sind eine stabile Demokratie . Es gibt bei
uns Demonstrationsfreiheit, es gibt Pressefreiheit, es gibt
Meinungsfreiheit, es gibt unabhängige Gerichte .
({2})
Es gibt viele Möglichkeiten, sich politisch einzubringen
und sein Recht zu bekommen . Ein Mittel der politischen
Auseinandersetzung haben wir nicht vorgesehen: Das
ist das Mittel des Hungerstreiks . Ich meine, es gibt viele
gute Gründe dafür, und wir sollten uns über Fraktionsgrenzen hinweg einig sein, dass wir diesem Mittel kein
Forum bieten sollten .
({3})
Der Sozialstaat ist in unserem Grundgesetz definiert,
in Artikel 20 . Als Sozialstaat haben wir zunächst einmal
Verantwortung zu tragen für die jetzige Generation, für
alle Bürger in unserem Land, für die Steuerzahler, für
die Arbeitnehmer, für die Arbeitgeber . Sie alle zahlen
Steuern und Abgaben im Vertrauen darauf, dass wir sie
sinnvoll und gerecht einsetzen . Als Sozialpolitiker tragen
wir Verantwortung dafür, dass die Sozialversicherungen
funktionieren, dass es ein soziales Netz gibt, das Härten
auffängt, und dafür, dass soziale Gerechtigkeit herrscht,
die ein friedliches Miteinander ermöglicht . Dazu gehört
natürlich auch ein stabiler Arbeitsmarkt mit fairen Bedingungen für Beschäftigte und Unternehmen .
Der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr sieht
vor, dass die Mittel dafür sinnvoll eingesetzt werden,
zum Beispiel für den so wichtigen Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit . Wir dürfen gerade in diesen Zeiten der
Flüchtlingsströme nicht die aus dem Auge verlieren, die
schon immer in unserem Land leben und auf unsere Hilfe
angewiesen sind . Das sind die Menschen mit Behinderungen . Das sind die Menschen, die von Armut bedroht
sind, weil sie alt oder krank sind . Auf sie müssen wir
ganz besonders achten .
({4})
Wir haben bei unseren Haushaltsberatungen eine Verantwortung nicht nur gegenüber der jetzigen Generation,
sondern natürlich ganz besonders auch für die künftigen
Generationen, für diejenigen, die noch gar nicht geboren
sind . Diese Verantwortung besteht insbesondere darin,
unseren Kindern und Kindeskindern einen nicht noch
höheren Schuldenberg zu hinterlassen . Deswegen glaube ich, dass der ausgeglichene Bundeshaushalt der wohl
wichtigste Beitrag zur Generationengerechtigkeit ist .
({5})
Nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen, und Schulden abbauen, auf diesem Weg müssen wir bleiben . Ich
glaube nicht, dass dies mit Ihren Ideen möglich wäre,
Frau Kollegin Kipping .
({6})
Gerade der Einzelplan 11, der Etat für Arbeit und Soziales, der größte in unserem Bundeshaushalt, muss in
dieser Hinsicht Zeichen setzen . Wir müssen hier gut und
verantwortungsvoll wirtschaften . Ich meine, dass der
vorliegende Plan ein sehr gutes Fundament für die Beratungen in den kommenden Wochen ist .
Unser Sozialstaat ist aber immer nur so stark wie die
Menschen, die ihn tragen . So hat jeder Einzelne von
uns Verantwortung, dass unser soziales Gebilde so stark
bleibt, wie es jetzt ist . Dazu gehört, dass zunächst einmal - das ist die Ausgangsbasis - grundsätzlich jeder für
sich selbst verantwortlich ist, jeder sein Einkommen so
weit wie möglich selbst erwirtschaftet .
({7})
Dazu gehört auch, dass er sich zum Beispiel fortbildet
und neue Herausforderungen wie die Digitalisierung annimmt .
Natürlich würde der Sozialstaat nicht funktionieren
ohne all diejenigen, die nicht erwerbstätig im klassischen
Sinne sind, sondern die daheim Kinder erziehen, die sich
ehrenamtlich engagieren . Sie sind nämlich eine besonders wertvolle Stütze unseres Sozialstaats . Die verbesserte Mütterrente, die wir hier im Parlament beschlossen
haben, ist deshalb auch richtig und wichtig .
Wie tief verankert das Ehrenamt in unserem Land ist,
das erleben wir in diesen Tagen wieder besonders eindrucksvoll am Münchener Hauptbahnhof, aber nicht nur
dort . Ich meine, auch darauf können wir ganz besonders
stolz sein .
({8})
Verantwortung für unseren Sozialstaat tragen durchaus auch diejenigen, die jetzt zu uns kommen . Auch sie
sollen - die Ministerin hat darauf hingewiesen - möglichst rasch auf eigenen Beinen stehen können . Auch sie
sollen nach einiger Zeit ihr Einkommen grundsätzlich
selbst erwirtschaften können .
Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, Frauen wie Männer, müssen sich für unseren Arbeitsmarkt qualifizieren.
Das heißt zunächst einmal, sie müssen unsere Sprache
lernen, auch wenn ich weiß, wie unendlich schwierig es
ist, Deutsch zu lernen .
({9})
- Wir diskutieren das einmal im Anschluss . - Sie müssen
unsere Regeln und Werte kennenlernen und auch akzeptieren .
({10})
Auch diese Verantwortung gibt es . Auch das werden wir
einfordern müssen .
Wir in der Politik müssen jetzt alles tun, was in unserer Kraft steht, damit das auch gelingen kann . Das
wird sicher nicht einfach werden . Im Übrigen wird es
auch nicht billig werden . Unterschiedliche Herkunft,
unterschiedliche Kulturen und Religionen zusammenzubringen, so viele auf einmal in so kurzer Zeit, sodass in
Deutschland ein gutes Miteinander entsteht, das ist eine
Aufgabe, der wir alle uns jetzt stellen müssen . Ich meine, dass die Maßnahmen, die der Koalitionsausschuss am
Sonntag dazu beschlossen hat, ein erster ganz wichtiger
Schritt sind .
({11})
Der Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Soziales
ist von dem Flüchtlingsstrom ganz besonders betroffen .
Frau Nahles hat bereits angedeutet, welche zusätzlichen
Kosten auf unseren Haushalt zukommen werden . Die
Zahl der SGB-II-Bezieher wird steigen und ebenso die
Zahl der Arbeitslosen . Das müssen wir so ehrlich sagen .
Der Zustrom von Flüchtlingen wird uns auch kurzfristig nicht das Problem des Fachkräftemangels in einigen
Branchen und auch nicht das Problem des demografischen Wandels nehmen . Migration hat ja sehr verschiedene Ursachen . Wir sollten uns davor hüten, Arbeits- und
Fluchtmigration zu vermengen . Natürlich kann es in den
nächsten Jahren zu Synergieeffekten kommen . Dies kann
auch Vorteile für uns bringen . Aber wir wissen, dass wir
erst einmal - das macht sich in unserem Haushalt ganz
besonders bemerkbar - sehr viel Geld investieren müssen . Das müssen wir den Menschen in unserem Land
auch so sagen .
Aber wie Minister Schäuble in seiner Rede schon
deutlich gemacht hat: Wir haben uns in den vergangenen
Jahren durch eine sehr gute, solide Haushaltspolitik und
durch eine gute Wirtschaftspolitik ein Polster erarbeitet,
das es jetzt möglich macht, diese Herausforderung anzunehmen . Die gute Konjunktur, die Rekordbeschäftigung
und sinkende Arbeitslosenzahlen haben uns in diese
Lage versetzt . Wenn wir uns jetzt alle dieser Verantwortung stellen, jeder für sich, der Staat sich seiner Verantwortung annimmt, aber auch jeder Einzelne seine Verantwortung wahrnimmt, dann bin ich guten Mutes, dass wir
weiter solide wirtschaften können und eine gute Zukunft
bauen . Ich freue mich auf die Beratungen .
Danke schön .
({12})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr .
Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zu Beginn auf einen Vorschlag aus dem Koalitionspaket vom vergangenen Wochenende hinweisen,
über den auch schon vor der Sommerpause diskutiert
worden ist, nämlich die Umwandlung von Geldleistungen in Sachleistungen und die Kürzungen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz . Dazu habe
ich noch einmal in das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 geschaut . Dort heißt es:
Art . 1 Abs . 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art . 20 Abs . 1 GG garantiert ein
Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums . . . Art . 1 Abs . 1 GG
begründet diesen Anspruch als Menschenrecht . …
Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen
Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik
Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu .
({0})
Der Gesetzgeber darf
… bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht … nach dem Aufenthaltsstatus
differenzieren .
Er darf es nicht .
… Daher erlaubt es die Verfassung nicht, das in
Deutschland zu einem menschenwürdigen Leben
Notwendige unter Hinweis auf das Existenzniveau
des Herkunftslandes von Hilfebedürftigen oder auf
das Existenzniveau in anderen Ländern niedriger
als nach den hiesigen Lebensverhältnissen geboten
festzulegen .
Der Gesetzgeber darf das nicht . Das sollten Sie einmal
zur Kenntnis nehmen .
({1})
Wenn Sie jetzt mit dem Argument, Flüchtlinge abzuschrecken, die Geld- in Sachleistungen umwandeln, verstößt das also nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern
es ist aus meiner Sicht auch ein ziemlich bekloppter Vorschlag .
({2})
Wenn man sich genau anschaut, wofür diese Leistungen sind, dann sieht man, dass es sich um Leistungen
handelt, die auf dem Markt eingekauft werden oder um es
Flüchtlingen zu ermöglichen, eine Sport- oder Kulturveranstaltung zu besuchen . Zum Existenzminimum gehört
auch soziale und kulturelle Teilhabe . Sie verlangen nicht
mehr und nicht weniger, als dass jetzt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Erstaufnahmeeinrichtungen,
die wirklich alle Hände voll zu tun haben, jetzt auch noch
Gutscheine für Sportveranstaltungen, für Kulturveranstaltungen, für Drogerieartikel und Ähnliches verteilen
müssen . Es ist sowohl für die Betroffenen einfacher als
auch für die Beschäftigten, wenn man ihnen tatsächlich
Geldleistungen gibt . Das ist ein riesiger bürokratischer
Aufwand .
({3})
Es schränkt die Freiheit und Selbstbestimmung der Asylbewerber unzumutbar ein, und es ist völlig diskriminierend .
({4})
Statt die Leistungen für Flüchtlinge noch weiter zu
kürzen, fordern wir Sie auf, das Asylbewerberleistungsgesetz endlich abzuschaffen,
({5})
und das aus einem weiteren wichtigen Grund: Die völlig
unwürdige und unzureichende Gesundheitsversorgung
wäre dann beendet . Gleichzeitig würden die Kommunen
sofort und dauerhaft um mehrere 100 Millionen Euro
entlastet .
({6})
Wir brauchen keine Abschreckungslogik, sondern wir
brauchen endlich eine echte Willkommenskultur . Die Bevölkerung hat das am vergangenen Wochenende gezeigt .
({7})
In dem Haushaltsetat geht es nicht nur um Flüchtlinge,
sondern auch um vieles andere mehr . Die gute Situation
sollte eigentlich genutzt werden, um Strukturreformen
für die Zukunft anzugehen . Ein Beispiel ist das Grundsicherungssystem, das grundlegend renoviert gehört . Es
müsste vereinfacht und transparenter gestaltet werden .
Sicherungslücken müssten endlich geschlossen werden .
Dazu machen Sie bisher nichts . Das Ziel muss sein, dass
jeder Mensch in Deutschland eine Grundsicherung hat,
die das Existenzminimum sichert . Das Bundesverfassungsgericht - ich habe es eben zitiert - sagt, das ist ein
Grund- und Menschenrecht .
({8})
Nun soll der Regelsatz um satte 5 Euro angehoben
werden . Das reicht nicht .
({9})
Wir fordern Sie auf, bei der Neuberechnung endlich die
Rechentricks zu unterlassen und den Regelsatz anzuheben . Bis der Regelsatz neu berechnet ist, fordern wir eine
Anhebung auf mindestens 420 Euro .
({10})
Seit über einem Jahr versprechen Sie ein Gesetz zur
Rechtsvereinfachung der Hartz-IV-Regelleistungen . Die
Menschen in den Jobcentern, sowohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch die Betroffenen, warten
tatsächlich auf Vereinfachungen . Das ist unendlich kompliziert . Legen Sie endlich einen Gesetzentwurf vor, damit wir wenigstens über die Vorschläge hier diskutieren
können!
Man hört, es hängt vor allen Dingen an den Sanktionen und - einmal wieder - an der Verbohrtheit der CSU .
({11})
Das Mindeste wäre, dass man die scharfen Sanktionen
für unter 25-Jährige abschafft, die nach Meinung aller
Expertinnen und Experten völlig kontraproduktiv sind .
({12})
Wir müssen auch die Sanktionierung bei den Kosten der
Unterkunft abschaffen, damit die Leute ihre Miete bezahlen können, ihnen nicht gekündigt wird und sie auf
der Straße stehen .
({13})
Wir müssen außerdem dafür sorgen, dass die unwürdigen
100-Prozent-Sanktionen endlich abgeschafft werden .
({14})
Die Kollegin Kipping hat völlig recht: Ralph Boes hat
jetzt zwei Monate gehungert, weil er vom Jobcenter keine Geldleistungen mehr bekommt . Das widerspricht der
Verfassung . Diese Sanktionen müssen sofort aufgehoben
werden . Es geht da um ein Menschenleben .
({15})
Wir fordern, die Sanktionen insgesamt auszusetzen und
das Sanktionsregime gründlich zu überarbeiten . Wir fordern: Sanktionsmoratorium jetzt!
Aber Reformen des Sozialgesetzbuches II alleine reichen nicht aus . Wir haben sechs Grundsicherungsleistungen in vier Gesetzen . Das müsste dringend vereinfacht
und vereinheitlicht werden . Auch dazu wäre ein Schritt
in die richtige Richtung die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes .
({16})
Damit würden Sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: eine Vereinfachung und gleichzeitig eine
bessere Versorgung von Flüchtlingen . Gehen Sie also
wenigstens diesen Schritt, und schaffen Sie das Asylbewerberleistungsgesetz endlich ab!
Vielen Dank .
({17})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Ralf
Kapschack von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauer! Es ist in dieser Debatte viel von großen
Herausforderungen die Rede gewesen, von Herausforderungen, die aufgrund der großen Zahl von Flüchtlingen,
die bei uns Schutz suchen, auf unser Land zukommen .
Ich bin sicher, wir werden diese Herausforderungen
meistern, wenn wir wollen .
Angesichts dieser neuen Herausforderungen dürfen
wir aber nicht den Eindruck entstehen lassen, wir würden
uns nur noch um die kümmern, die kommen, und nicht
mehr um die, die da sind .
({0})
Es darf keine Situation entstehen, in der zum Beispiel
Langzeitarbeitslose das Gefühl haben, ihre Chancen würden jetzt noch weiter sinken, weil Geld und Aufmerksamkeit sich auf andere konzentrieren .
({1})
- Ich komme ja gleich dazu; eins nach dem anderen . Ich bin froh, dass wir uns da weitgehend einig sind . Es
muss klar sein, welche zusätzlichen Aufgaben finanziert
werden müssen . Dafür braucht es Geld, und zwar zusätzlich und ausreichend .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Kollegin
Pothmer, die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit
ist und bleibt ein zentrales Thema der SPD .
({2})
- Ich kenne ja Ihre Kritik . - Die beiden neuen Programme sind angelaufen . Natürlich kann man immer sagen, es
könnte gerne noch ein bisschen mehr sein; klar .
({3})
Genauso klar ist auch: Mit diesen beiden Programmen
werden wir die Langzeitarbeitslosigkeit nicht beseitigen .
Trotzdem sind sie sinnvoll und wichtig .
({4})
Es ist schon angesprochen worden: Wir werden darüber hinaus 350 Millionen Euro an Haushaltsresten zur
Verfügung haben, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen . Das hat die Ministerin zu Beginn der Legislatur
angekündigt, und das wird jetzt erledigt und abgearbeitet
({5})
- Schritt für Schritt, Jahr für Jahr -, sodass wir 2017
1,4 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit zur Verfügung haben werden .
({6})
Wir haben ja oft ein kurzes Gedächtnis; da nehme ich
mich überhaupt nicht aus . Wenn man sich aber in Erinnerung ruft, wie drastisch bei der Arbeitsmarktpolitik unter
Schwarz-Gelb gekürzt worden ist, dann ist das jetzt nach
wie vor ein Kraftakt . Es wäre uns natürlich lieber, wir
könnten mit unserem Koalitionspartner auch über einen
sozialen Arbeitsmarkt reden,
({7})
darüber, Geld für die Schaffung von Arbeit statt für die
Verwaltung von Arbeitslosigkeit einzusetzen . Es wird
unsere Forderung bleiben - das wird Sie nicht überraschen -, über den sogenannten Passiv-Aktiv-Tausch zu
reden und in der Arbeitsmarktpolitik neue Wege zu gehen .
({8})
Wir geben seit Jahren viel Geld dafür aus, Regelsätze
und Wohnungen von Langzeitarbeitslosen zu finanzieren . Wir sollten das Geld lieber dafür einsetzen, Arbeit
zu finanzieren.
({9})
Menschen, die lange arbeitslos sind, könnten so wieder in eine Beschäftigung kommen . Viele von ihnen würden eine Chance erhalten, ihr Leben irgendwann wieder
eigenständig - unabhängig von Stütze - zu organisieren .
Zum Schluss noch ein Gedanke: Für eine gute Arbeitsmarktpolitik brauchen wir qualifizierte und engagierte
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern . Was
dort unter oft schwierigen Bedingungen geleistet wird,
verdient höchste Anerkennung .
({10})
Deshalb kann es nicht vernünftig sein, dass diejenigen,
die dafür sorgen, dass Menschen einen Job bekommen,
sich selber um ihren Job sorgen müssen, weil er befristet
ist .
({11})
Nicht zu wissen, wie es nach der Befristung weitergeht, ist schlecht für die Motivation . Aber genau diese
Motivation brauchen wir auch, um die großen Herausforderungen, von denen schon so viel die Rede war, zu
meistern . Auch das ist ein Thema für die Ausschussberatungen . Ich hoffe, wir sind uns darin einig .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({12})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin spricht Sabine
Zimmermann von der Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sicher, der Haushalt für Arbeit und Soziales ist
wieder einmal der größte Einzeletat . Aber daraus abzuleiten, dass diese Bundesregierung eine besonders soziale Politik betreibt, ist schon eine ziemliche Fehlannahme .
({0})
Zu großen Teilen besteht dieser Haushalt aus Pflichtleistungen, und diese sind Ausdruck, dass Sie eine Reihe
von Problemen einfach nicht in den Griff bekommen .
Deshalb muss der Staat ständig als Reparaturbetrieb unterwegs sein .
Daran arbeiten Sie weiter . Mit Ihrer verfehlten Rentenpolitik produzieren Sie heute die Ausgaben von morgen .
Was ich vermisse, ist eine wirkliche Prioritätensetzung
anhand der drängenden Probleme . Wo es brennt, müssen
Sie endlich richtig Geld in die Hand nehmen . Das geht
nicht zum Nulltarif, Frau Nahles .
({1})
In vier Minuten kann ich leider nur auf drei Punkte
eingehen .
Erstens Langzeitarbeitslosigkeit, die Sie überhaupt
nicht ansprechen . Seit Jahren haben wir eine verfestigte Sockelarbeitslosigkeit von 1 Million Menschen, von
denen viele inzwischen schon vier Jahre und länger arbeitslos sind .
Ich kenne Frauen aus dem Vogtland, die in der Textilindustrie gearbeitet haben und seit über 15 Jahren erwerbslos sind . Das darf es doch nicht geben .
({2})
Und was tun Sie? Sie reden und reden . Jahr für Jahr hören wir diese Reden und Ihre Lobhudelei, aber es passiert
nichts in diesem Zusammenhang . Vor diesem HinterRalf Kapschack
grund, Frau Nahles, hätte ich erwartet, dass Sie endlich
mehr Geld in die Hand nehmen, um diesen Menschen
wieder eine Perspektive zu eröffnen .
({3})
Aber nein, Fehlanzeige! Ältere über 55: Fehlanzeige! Menschen mit Behinderung - ihre Zahl steigt und
steigt -: Wieder Fehlanzeige! Alleinerziehende: Ebenfalls Fehlanzeige! Im Vergleich zu den hier bestehenden
Problemen sind die zwei Progrämmchen für insgesamt
43 000 Langzeiterwerbslose, die Sie für dieses Jahr aufgelegt haben, die aber noch nicht einmal begonnen haben, bei über 1Million Betroffenen wie immer nur ein
Tropfen auf den heißen Stein .
({4})
Zweitens Flüchtlinge, die Herausforderung der letzten
Wochen. Menschen flüchten vor Krieg und Elend und
erwarten zu Recht, dass wir ihnen Asyl gewähren und
ein Leben in Sicherheit ermöglichen . Für die Linke haben sie selbstverständlich ein Recht auf gesellschaftliche
Teilhabe .
({5})
Das heißt vor allen Dingen: Sie müssen arbeiten können,
um ihre Familien zu ernähren . Dabei, Frau Nahles, ist
Arbeitsförderung gefordert . Sehr schnell und unbürokratisch müssen die zahlreichen Beschränkungen für Flüchtlinge beim Arbeitsmarktzugang beseitigt werden .
Sie gehen davon aus, dass etwa 250 000 erwerbsfähige Flüchtlinge zu uns kommen werden . Für eine gute,
solide Arbeitsmarktpolitik sollte das überhaupt kein Problem sein . Was wir brauchen, sind eine bessere individuelle Unterstützung und eine Vermittlung auf Augenhöhe .
Wir brauchen den Ausbau der Weiterbildung, und wir
brauchen Angebote zur öffentlich geförderten Beschäftigung auch für Flüchtlingsprojekte .
({6})
Das alles kostet natürlich Geld; das gibt es nicht zum
Nulltarif .
Drittens möchte ich über die Armut und die Altersarmut sprechen . In kaum einem anderen Land der EU ist
die Armutsgefährdung von Erwerbslosen so groß wie in
Deutschland . Wenn wir über Armut in Deutschland reden, dann muss auch erwähnt werden, dass die weiter
rasant ansteigende Altersarmut ein gravierendes Problem
ist . Das ist der Preis für Ihre Senkung des Rentenniveaus
und den durch Sie in den letzten Jahren verursachten großen Niedriglohnsektor .
({7})
Die Linke schlägt eine Mindestrente von 1 050 Euro vor .
Das wäre ein richtiger Schritt .
({8})
Ich komme zum Schluss . - Nutzen wir die Herausforderungen heute als Chance, die Arbeitsmarktpolitik
grundsätzlich neu aufzustellen . Dazu gehört auch eine
bessere finanzielle Ausstattung, die weit über das hinausgeht, was die Bundesregierung in ihrem Haushalt hier
angekündigt hat .
Danke .
({9})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Mark Helfrich
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über den Einzelplan 11 des Haushaltes des Ressorts
„Arbeit und Soziales“ zeigt eines ganz deutlich: Die unionsgeführten Bundesregierungen der vergangenen Jahre
unter Angela Merkel haben nachweislich eine gute Arbeit geleistet .
Wir haben mit einer gezielten Wachstumspolitik die
Finanz- und Wirtschaftskrise bewältigt . Wir haben den
Bundeshaushalt konsolidiert und legen das zweite Mal
in Folge einen ausgeglichenen Haushaltsplan vor . Wir
haben bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der
Schaffung von Beschäftigung beeindruckende Erfolge
vorzuweisen .
Fast 43 Millionen Männer und Frauen sind heute erwerbstätig . Das ist Rekord seit der deutschen Wiedervereinigung. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat gegenüber dem Vorjahr noch einmal um eine
halbe Million zugenommen . Die Jugendarbeitslosigkeit
ist EU-weit auf dem niedrigsten Level überhaupt .
Unsere Arbeitnehmer haben mehr Geld in der Tasche .
Die Reallöhne sind seit Beginn der statistischen Aufzeichnung im Jahre 2008 im letzten Jahr am stärksten
gestiegen . Die Situation auf dem Arbeitsmarkt spiegelt
sich auch in den öffentlichen Kassen wider .
({0})
Die Sozialversicherungssysteme haben gesunde Polster .
Allein im ersten Halbjahr 2015 ergab sich noch einmal
ein Plus von 3,7 Milliarden Euro .
Ich will an dieser Stelle auch nicht verhehlen, dass unter Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 grundlegende Weichenstellungen dafür vorgenommen worden sind .
Das will ich hier auch ausdrücklich anerkennen .
({1})
Unsere gute Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage darf
uns aber nicht den Blick auf die vor uns liegenden politischen Herausforderungen verstellen . Diesen trägt der
Einzelplan 11 mit Ausgaben in Höhe von voraussichtlich
130 Milliarden Euro Rechnung .
Lassen Sie uns zurückschauen: Auf den Tag genau
heute vor 51 Jahren, am 10 . September 1964, wurde der
Portugiese Amando Rodrigues de Sá bei seiner Ankunft
in Köln-Deutz als millionster Gastarbeiter begrüßt .
({2})
Sabine Zimmermann ({3})
- Ja, in der Tat . - Er kam, weil er sich im „Land des
Geldes“, wie er es ausdrückte, als Tischler bessere Verdienstmöglichkeiten erhoffte .
Die meisten der sogenannten Gastarbeiter aus den südeuropäischen Ländern kamen aus wirtschaftlichen Gründen zu uns, und sie blieben mit ihren Familien . Sie haben
gearbeitet, Steuern gezahlt, Sozialversicherungsbeiträge
in die Sozialversicherungssysteme eingezahlt und sogar
Unternehmen gegründet . Auf diese Weise haben sie zum
deutschen Wirtschaftswunder beigetragen, und sie sind
Teil unserer Gesellschaft geworden .
Heute leben wir wieder in Zeiten, in denen Menschen
ihre Heimat verlassen und zu uns kommen . Die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise wird für die nächsten
Jahre die wichtigste politische Herausforderung unseres
Landes sein . Die Erfahrungen aus unserer Vergangenheit
sollten wir uns bei der Integration der jetzt zu uns kommenden Menschen zunutze machen .
Wir beraten heute diesen Bundeshaushalt im Zeichen
einer Völkerwanderung . Ich glaube, dieses Wort ist in
Anbetracht dessen, was wir erleben, nicht zu hoch gegriffen . Dabei wird der Haushalt des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales wie kein anderer von der steigenden
Zahl von Asylsuchenden betroffen sein .
Die bisher veranschlagten Mittel für Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende werden nach derzeitigem Stand - wir haben hier eine große Dynamik; deswegen kann man nur sagen: nach derzeitigem Stand - im
Jahr 2016 um mehr als 2 Milliarden Euro ansteigen . Das
umfasst Hartz-IV-Leistungen auf der einen Seite und den
Bereich der Arbeitsförderung und der beruflichen Integration von Zuwanderern auf der anderen Seite .
Nach Feststellung des IAB, des Forschungsinstituts
der Bundesagentur für Arbeit, kommt von den derzeit
erwarteten 800 000 Flüchtlingen nur ein kleinerer Teil
direkt im Arbeitsmarkt an . Es ist eben nicht so, dass nur
gut ausgebildete Ärzte und Ingenieure zu uns kommen,
sondern es kommen auch Analphabeten und Menschen
ohne Schulabschluss . Auch das gehört zum Gesamtbild
dazu . Deshalb werden Flüchtlinge den bevorstehenden
Fachkräftemangel vorerst nur bedingt beheben können um es so zu sagen .
Gleichwohl gilt: Jeder asylberechtigte Flüchtling, der
nicht erwerbstätig ist, wird am Ende zu höheren Kosten
in unserem Haushalt führen . Das können wir alle miteinander, auch im Sinne der Menschen, nicht wollen . Es
geht darum, einer Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken . Je länger Menschen im Leistungsbezug sind - das wissen wir aus Erfahrung -, umso
schwieriger wird es, sie anschließend in den Arbeitsmarkt zu integrieren .
In Sachen Integration haben wir mit der Verkürzung
der Wartefrist für die Arbeitserlaubnis einen ersten
Schritt gemacht . Nach drei Monaten kann mittlerweile
eine Arbeitserlaubnis erteilt werden . Es geht jetzt darum, die Menschen schnell in Arbeit und Ausbildung zu
bringen . Es gibt dafür ein bundesweites Modellprojekt:
„Early Intervention“ .
({4})
Das Projekt, mit dem qualifizierte und motivierte Flüchtlinge mittels Coaching in Arbeit und Ausbildung gebracht werden sollen, zeigt aber auch eines: Von den gut
800 Teilnehmern sind knapp 8 Prozent tatsächlich in Arbeit und Ausbildung gelangt .
Ein Haupthindernis auf dem Weg - auch das ist kein
Geheimnis - sind in der Tat mangelnde Deutschkenntnisse . Insofern müssen wir dort mit Sprach- und Integrationskursen ansetzen, mit Einstiegsprogrammen für
Flüchtlinge in Unternehmen, aber auch in Behörden; das
sage ich ganz deutlich . Ich sage an dieser Stelle auch
ganz deutlich, dass ich die Wirtschaft hier ganz klar mit
in der Verantwortung und mit in der Pflicht sehe, sich
nachhaltig für die Integration von Flüchtlingen zu engagieren .
({5})
Meine Damen und Herren, Deutschland erwartet
in diesem Jahr circa 800 000 Asylbewerberinnen und
Asylbewerber . Sie alle vertrauen zu Recht darauf, dass
sie nach deutschem Recht und Gesetz eine Chance bekommen . Jeder, der Krieg, Verfolgung und Vertreibung
in seiner Heimat entkommen ist und Schutz sucht, kann
auf Deutschland zählen .
({6})
Klar muss aber auch sein, dass niemandem Asyl gewährt wird, der aus rein wirtschaftlichen Gründen hierherkommt, so sehr das in jedem Einzelfall verständlich
und nachvollziehbar ist . Die Akzeptanz unseres Asylrechts hängt davon ab, dass wir das Asylrecht ordnungsgemäß anwenden, auch wenn das Asylverfahren nicht
das erhoffte Ergebnis bringt .
Nur wenn Recht und Gesetz konsequent angewendet werden, werden die Solidarität der großen Mehrheit
der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes anhalten und
auch die eine oder andere Angst, das eine oder andere
Unbehagen beim Thema Zuwanderung verschwinden .
Auch das ist ganz wichtig für das, was wir gemeinsam
vor uns haben .
({7})
Das ist auch wichtig, weil Deutschland auf gezielte und
qualifizierte Einwanderer angewiesen ist. Deshalb haben
wir gemeinsam ein großes Interesse, ein Bild von uns als
attraktives Ziel in die Welt zu senden .
Der demografische Wandel ist die zweite große Herausforderung, der wir uns stellen müssen . Es ist heute
bereits gesagt worden, dass der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung auf Sicht die 100-Milliarden-Euro-Grenze erreichen wird . Dieser Bundeszuschuss würde dann
ungefähr ein Drittel des Bundeshaushaltes ausmachen .
Ein Grund hierfür sind die geburtenstarken Jahrgänge, die demnächst in den Ruhestand gehen . Ein anderer
Grund hierfür ist die Rente mit 63, die zur Folge hat, dass
die Fachkräfte, die wir so dringend brauchen, schneller
in den Ruhestand gehen . Wer jetzt die von der Union geMark Helfrich
forderte Flexirente infrage stellt, der hat, glaube ich, die
Zeichen der Zeit nicht erkannt .
({8})
Wir brauchen die Flexirente, um Anreize für längeres
Arbeiten zu setzen . Eine weitere Verkleinerung unserer
Arbeitskräftebasis kann keine ernsthafte Antwort auf die
Situation einer alternden Gesellschaft und eines zunehmenden Fachkräftemangels sein .
Eine letzte Anmerkung: Lange Zeit war der Konflikt
um prekäre und atypische Arbeitsverhältnisse ein beherrschendes Thema der Arbeitsmarktpolitik . Ich bin sehr
froh darüber, dass das Statistische Bundesamt kürzlich
festgestellt hat, dass wir seit 2005 gerade bei diesen Beschäftigungsformen den niedrigsten Wert haben . Nach
Angaben der Forscher hängt das mit dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel zusammen .
Das verbessert die Position von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern . Das Normalarbeitsverhältnis wird gestärkt, und das ist ein gutes Zeichen .
Vor diesem Hintergrund sage ich auch, dass uns die
Herausforderungen, die wir jetzt haben, zeigen, dass wir
im Moment im Arbeitsmarkt mehr und nicht weniger
Flexibilität benötigen . Auch das sollte uns im Sinne von
verantwortungsvollem Handeln die eine oder andere Fragestellung noch einmal neu bewerten lassen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zwei gigantische Aufgaben vor der Brust . Mit der zügigen Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt kann es uns
mit Glück gelingen, gleichzeitig die Flüchtlingskrise und
den demografischen Wandel zu meistern. Die Folgen eines Scheiterns sind nicht auszumalen . Deshalb haben wir
jetzt alle gemeinsam die Pflicht, konsequentes Handeln
an den Tag zu legen, deutsche Flexibilität neu zu erfinden
und vor allem Realitätssinn zu beweisen . Lasst es uns gemeinsam anpacken .
Herzlichen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Kerstin
Griese von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolleginnen! Wir beraten hier über fast 41 Prozent des Bundeshaushaltes . Im Ausschuss für Arbeit und Soziales werden
wir das sehr intensiv und mit großer Verantwortung tun;
denn es geht um die zentralen Felder von Arbeit, sozialer
Sicherung, Rente und Teilhabe aller Menschen . Und ich
will ganz klar sagen: Wir kümmern uns um alle Menschen, seien sie zu uns geflüchtet oder seien sie hier aufgewachsen .
({0})
Uns geht es um die Teilhabe an der Gesellschaft und am
Arbeitsmarkt, um gute Teilhabe für alle, um ihren Platz
in der Gesellschaft . Deshalb haben wir hier eine große
Verantwortung .
Wir sind besonders mit dem Schicksal der vielen
Flüchtlinge, die zu uns kommen, befasst . Gerade in diesem Ausschuss - das ist schon gesagt worden - betrifft
uns das in vielfältiger Weise . Ich bin Ministerin Andrea
Nahles sehr dankbar, dass sie es mit ihren Vorschlägen
geschafft hat, dass der Koalitionsausschuss schon Sonntagnacht eine Erhöhung der Mittel für Flüchtlinge um
6 Milliarden Euro beschlossen hat . Mindestens 3 Milliarden davon werden an die Länder gehen . Ganz herzlichen
Dank dafür .
({1})
Das ist viel Geld . Es ist notwendiges und gut angelegtes
Geld, wenn wir es richtig machen . Denn die Menschen,
die zu uns kommen, sind motiviert . Sie wollen, dass ihre
Kinder in die Kita und in die Schule gehen . Sie wollen
Arbeit und schnell selbstständig werden, um für ihre Familie alleine aufkommen zu können . Sprache und Arbeit
sind die beiden zentralen Elemente für Integration .
Deshalb bin ich froh, dass schon angekündigt ist - das
werden wir dann beim Nachtragshaushalt noch einmal intensiv beraten -, dass wir die Sprachkurse ausweiten und
die Integrationskurse deutlich aufstocken . Auch die berufsbezogenen Deutschkurse werden wir ausweiten und
in ein Bundesprogramm überführen; denn das ist ganz
wichtig . Wir öffnen die Integrationskurse für Asylbewerber und Geduldete . Die berufsbezogene Sprachförderung
wollen wir, wie gesagt, durch zusätzliche Bundesmittel
sicherstellen . Die Sprache zu lernen, ist ein wichtiger
Baustein. Der zweite wichtige Baustein ist, Qualifikationen von Flüchtlingen zu erkennen, passende Angebote zu
machen und auch Weiterqualifizierung anzubieten.
Einige haben schon das gute Programm „Early Intervention“ erwähnt, das die Jobcenter durchführen . Dabei
nehmen sie frühzeitig Kontakt zu Flüchtlingen auf . Die
Ergebnisse sind durchaus vielversprechend . Ich sage aber
auch ganz klar: Wir brauchen dafür in den Jobcentern gut
geschulte, kultursensible und hochmotivierte Jobvermittler . Deshalb unterstütze ich ganz klar die Forderung, dass
dort mehr Stellen entfristet werden müssen; denn erfahrene Arbeitsvermittler müssen sich langfristig, zuverlässig und gut um Flüchtlinge kümmern können .
({2})
Wir brauchen hier mehr Qualifizierungsmittel für die
Jobcenter, damit tatsächlich Vermittlung in Arbeit stattfindet und diese wirklich große Aufgabe gut bewältigt
werden kann .
Die Wirtschaft, Unternehmen und Handwerk, unterstützen uns in dieser Situation in starkem Maße, weil
sie Arbeitskräfte brauchen . Das wird von einfachen Beschäftigungen bis hin zu Stellen für Fachkräfte gehen .
Wir wollen die betreffenden Menschen so schnell wie
möglich in Arbeit bringen, und zwar in anständige Arbeitsverhältnisse und zu tarifvertraglichen Bedingungen,
zumindest aber zum Mindestlohn . Wenn wir das gut hinbekommen - ich nehme heute durchaus wahr, dass sich
alle darum mit aller Kraft kümmern wollen -, dann eröffnet diese Entwicklung eine große Chance .
Es wäre völlig falsch, die Leistungen für Flüchtlinge
gegen die Leistungen für andere Menschen auszuspielen .
Die Ministerin hat ausdrücklich gesagt, wie viel wir tun,
um gerade Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu bringen . Frau Zimmermann, ich rufe Ihnen das ausdrücklich
in Erinnerung . Die Ministerin hat darauf hingewiesen,
dass die intensive Förderung von Langzeitarbeitslosen
für uns eine wichtige Aufgabe der sozialen Gerechtigkeit
ist . Wir haben dazu nicht Progrämmchen, sondern Programme gestartet; diese laufen bereits .
({3})
Wir haben zudem die Mittel für die Jobcenter um
350 Millionen Euro jährlich erhöht . Das ist gut angelegtes Geld, um Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit
herauszuhelfen .
({4})
Wir können uns als Sozialdemokraten durchaus noch
mehr vorstellen . Wir können uns vorstellen, den sozialen
Arbeitsmarkt noch stärker zu etablieren und mit einem
Passiv-Aktiv-Transfer Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren; das ist allemal besser . Das verhilft den Menschen zu Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft . In diese Richtung werden wir die Beratungen
über diesen Haushalt gerne aufnehmen . Ich freue mich
auf die gute Zusammenarbeit .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Axel Fischer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schön, dass
wir heute die Haushaltsdebatte so entspannt führen können . Die Bundesregierung hat einen Haushaltsentwurf im
Frühsommer eingebracht . Im Sommer haben sich dann
die Ereignisse überschlagen . Ich muss nicht im Einzelnen auf die hier bereits ausführlich geschilderte Flüchtlingsproblematik eingehen; der Kollege Helfrich hat
dazu schon einiges gesagt . Heute wissen wir allerdings
schon, dass beim Haushalt für 2016 an einigen Stellen
die vorgesehenen Mittel nicht ausreichen werden . Der
Kollege Karl Schiewerling hat das in seiner Rede schon
angesprochen .
Wir werden an der einen oder anderen Stelle voraussichtlich noch einiges an Geld draufpacken müssen .
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat von 10 Milliarden
Euro gesprochen, die Bundesarbeitsministerin von voraussichtlich 3,3 Milliarden Euro allein im Einzelplan 11,
Arbeit und Soziales . Wie viel es am Ende wirklich sein
wird, wissen wir noch nicht . Auf jeden Fall ist es sehr
viel Geld . Aber kein Grund zur Panik! Denn dank einer
auf Wachstum und sparsames Haushalten und weniger
auf ausufernde Umverteilung ausgerichteten Politik haben wir heute eine solide finanzielle Basis für eine zukunftsträchtige Arbeits- und Sozialpolitik . Dank der großen Leistungen von Arbeitnehmern und Unternehmern
floriert die Wirtschaft. Die Steuer- und Abgabenquellen
sprudeln, und auch Löhne, Gehälter und Renten sind gestiegen . Diese Woche kam die Nachricht von einem neuen Exportrekord . Es läuft gut .
Die Regierungskoalition hat in den vergangenen Jahren erfolgreiche Arbeit geleistet . Wir haben mit einer
vorausschauenden und zukunftsorientierten Wachstumspolitik sowie mit vielen ordnungspolitisch notwendigen
und sinnvollen Maßnahmen die Finanz- und Wirtschaftskrise erfolgreich gemeistert . Wir haben viele Menschen
wieder, andere neu in Arbeit gebracht . Wir haben den
Bundeshaushalt konsolidiert . Die schwarze Null von
Kerstin Radomski lässt grüßen . Wir haben gerade im
Bereich der Arbeitsvermittlung bei der Aktivierung von
Langzeitarbeitslosen und bei den arbeitsmarktpolitischen
Instrumenten Erfolg gehabt . Das kann sich sehen lassen .
({0})
Auch die weiteren Aussichten sind gut . Die Bundesregierung rechnet im kommenden Jahr mit knapp 2 Prozent
realem Wirtschaftswachstum, und die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist bei steigender Erwerbstätigkeit - mit deutlich unter 3 Millionen Arbeitslosen - stabil . Die steigende Beschäftigung, steigende Einkommen und steigende
Renten sowie niedrige Energiepreise lassen die Kaufkraft
der privaten Haushalte ansteigen . Der Konsum wird voraussichtlich um rund 2 Prozent zunehmen . Das ist doch
was!
Deshalb können wir darüber debattieren, wofür das
Geld ausgegeben werden soll, über das wir dank eines
konsolidierten Bundeshaushaltes und einer florierenden
Wirtschaft verfügen . Mein spezieller Dank geht dabei natürlich an unseren Bundesfinanzminister, Dr. Wolfgang
Schäuble, der es mit einer enormen Energieleistung nicht
nur geschafft hat, den jahrzehntelang chronisch unterfinanzierten Bundeshaushalt wieder ins Gleichgewicht zu
bringen; vielmehr ist der Bundeshaushalt mittlerweile
sogar so solide aufgestellt und geführt, dass wir Reserven haben, auf unvorhersehbare Situationen angemessen
zu reagieren .
({1})
Wir haben also wie die Eichhörnchen vor dem Winter
für schlechte Zeiten vorgesorgt, und so können wir die
Herausforderung durch die Völkerwanderung, die wir
derzeit erleben, annehmen und ihr begegnen . Denn eines
ist klar - da hilft kein Jammern und kein Zündeln -: Die
Menschen sind hier . Es liegt nun an uns, an unserer heutigen Perspektive, ob wir sie als Chance oder Risiko, als
Last oder als Bereicherung betrachten . Es liegt an uns,
was wir aus dieser Situation machen .
Leitmotiv für unser Handeln müssen unsere europäischen Werte sein, insbesondere auch die universellen Menschenrechte . Die notwendige Integration derer,
die bleiben dürfen, wird zur gesamtgesellschaftlichen
Herausforderung, und diese Herkulesaufgabe dürfen
wir weder zulasten der Arbeitslosen noch zulasten der
Schwächsten in unserer Gesellschaft abarbeiten .
({2})
Viele der Flüchtlinge sind jung und männlich und können nicht Deutsch sprechen . Die Integration in den Arbeitsmarkt ist insbesondere aufgrund der Sprachbarriere
schwierig, zumal der Mindestlohn ja auch erwirtschaftet
werden muss . Flüchtlinge, die voraussichtlich im Land
bleiben dürfen, sollten wir aber so schnell wie möglich
in den Arbeitsmarkt integrieren . Das verbessert übrigens
auch die gesellschaftliche Eingliederung . Daimler-Chef
Dieter Zetsche hat ja angekündigt, in den Flüchtlingszentren nach Arbeitskräften zu suchen und für sein Unternehmen zu werben . Aber selbst wenn es zutrifft, was er
sagt - dass die meisten Flüchtlinge jung, gut ausgebildet
und hoch motiviert sind -, brauchen diese Menschen unsere Unterstützung . Sie brauchen Sprachkurse, und sie
brauchen eine betriebliche Einstiegsqualifizierung.
({3})
Denn mit der erfolgreichen Arbeitsvermittlung steht und
fällt das Schicksal dieser Menschen . Eine zusätzliche
Flexibilität der Arbeitsagenturen kann da nur nützen, die
Integration in den Arbeitsmarkt zielgerichtet zu fördern .
Es bestehen derzeit viele Ängste in der Bevölkerung;
diese müssen wir natürlich ernst nehmen . Eine davon ist
beispielsweise: Zuwanderung verdrängt deutsche Arbeitnehmer . Ich habe die derzeit überaus positive Situation
am Arbeitsmarkt bereits beschrieben . Wir haben die
geringste Arbeitslosenzahl seit der Wiedervereinigung .
Viele Betriebe suchen händeringend geeignete Bewerber
und brauchen immer länger, um freie Stellen zu besetzen .
Das Schlagwort „Fachkräftemangel“ macht ja die Runde .
Zudem: Aufgrund der demografischen Entwicklung sinkt
die Zahl der potenziell Erwerbstätigen zukünftig weiter .
Bislang konnten wir das teilweise durch die höhere
Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren und vor allem
durch Zuwanderung aus anderen EU-Ländern ausgleichen. Da kamen beispielsweise qualifizierte Ärzte und
Ingenieure aus Bulgarien oder Rumänien zu uns, deren
Tätigkeit hier weitere Arbeitsplätze geschaffen hat, weil
Aufträge in Deutschland statt im Ausland abgearbeitet
werden konnten .
Wir besetzen auch weniger attraktive Arbeitsplätze
mit Zuwanderern . Auch die Betreiber von Dönerbuden,
die von frühmorgens bis spätabends Döner und Sonstiges
verkaufen und vielfältige Integrationsdienste für weniger
leistungsfähige Hartz-IV-Bezieher leisten, sind zumeist
Zuwanderer .
Nicht nur Daimler-Chef Dieter Zetsche begreift die Zuwanderung als Chance . Er sagt:
Sie können uns - ähnlich wie vor Jahrzehnten die
Gastarbeiter - helfen, unseren Wohlstand zu erhalten bzw . zu vermehren . Deutschland kann doch die
freien Arbeitsplätze gar nicht mehr allein mit Deutschen besetzen .
Meine Damen und Herren, die Kosten für die Zuwanderung sollten wir fair verteilen auf Bund, Länder und
Gemeinden . Nicht nur der Bund hat derzeit erhebliche
Steuermehreinnahmen . Die Länder haben zudem mit der
Erhöhung der Grunderwerbsteuer vielerorts kräftig sprudelnde weitere Finanzquellen erschlossen . Der Bund hat
in den letzten Jahren Länder und Kommunen in Milliardenhöhe entlastet und wird dies weiter tun - Stichwort
„Bundesteilhabegesetz“ .
Für einen sachlichen Austausch über die notwendige
Unterstützung in Flüchtlingsfragen wäre es zielführend,
wenn das Zerrbild von flächendeckend darbenden Kommunen in Deutschland in der Mottenkiste bliebe - wo es
hingehört . Ich rede hier ja auch nicht ständig von Spaßbädern, kommunalen Verwaltungswasserköpfen oder
verantwortungslosen Fehlinvestitionen und Fehllenkungen kommunaler Mittel . In den letzten zehn Jahren - das
fällt zufällig in die Regierungszeit von Angela Merkel hat sich hier vieles zugunsten der Kommunen entwickelt .
({4})
Den meisten Kommunen geht es finanziell wieder gut.
Wer jetzt pauschal Weltuntergangsstimmung verbreitet,
der oder die muss sich schon fragen lassen, worum es
ihm oder ihr tatsächlich geht .
({5})
Meine Damen und Herren, die Zuschüsse zur Rentenversicherung sowie die Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung stellen mit 93,2 Milliarden Euro
den größten Block im Bundeshaushalt 2016 dar . Das ist
knapp ein Drittel der gesamten Ausgaben des Bundes,
fast 5 Milliarden Euro oder 5,5 Prozent mehr als noch
2014 . Hier zeigt sich: Das Wohl unserer Senioren liegt
dieser Bundesregierung am Herzen . Mütterrente und
Rente mit 63 verursachen zwar zukünftig eine gewisse
weitere Ausgabendynamik,
({6})
sodass wir in 2018 bei den Ausgaben den Betrag von
100 Milliarden Euro wohl überschreiten werden . Eine
gute Verfassung unseres Arbeitsmarktes und unserer
Wirtschaft kann jedoch die Finanzierung langfristig sicherstellen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden in den
kommenden Wochen den Haushalt gemeinsam beraten .
Die Maxime ist das, was Volkmar Klein gestern hier am
Rednerpult gesagt hat: Der Erfolg misst sich nicht am
schieren Ausgeben von Geld; wichtig ist, dass das Geld
zielgerichtet und erfolgreich eingesetzt wird .
Zum Abschluss, Herr Strengmann-Kuhn, muss ich
schon sagen: Sie haben mich mit Ihrer Aussage hier
wirklich schockiert . Dass die Grünen die Gesundheitsleistungen für Asylbewerber nicht mehr über Steuern finanzieren wollen, sondern dass das Geld von den PflichtAxel E. Fischer ({7})
versicherten aufgebracht werden soll, halte ich für einen
Fehler und für absolut nicht akzeptabel .
({8})
Herzlichen Dank .
({9})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor . Deshalb verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, Einzelplan 10.
Bevor wir damit starten, warten wir noch ein wenig,
bis die Kolleginnen und Kollegen, die an der Beratung
des neu aufgerufenen Einzelplans mit besonderer Intensität teilnehmen werden, ihre Plätze eingenommen haben .
Nachdem alle, die in besonders intensiver Weise die
Beratung begleiten werden, ihre Plätze eingenommen
haben, starten wir jetzt mit dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft,
und ich erteile als erstem Redner das Wort dem Bundesminister Christian Schmidt .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eine sichere und gesunde Ernährung und eine
ebensolche Erzeugung von Nahrungsmitteln, das sind
echte Lebensthemen . Mit denen kommt jeder von uns
jeden Tag in Berührung . Deshalb haben sie zu Recht große Aufmerksamkeit . Ländliche Räume, Landwirtschaft,
Fischerei und Forsten gehören für mich in gleicher Weise zu diesen Lebensthemen . Mein Ministerium bündelt
diese Themen und stellt sich den Erwartungen, Sorgen
und Bedürfnissen der Erzeuger, der Verbraucher, von uns
allen .
Mit dem Einzelplan 10 mit einem Etatansatz von
knapp 5,5 Milliarden Euro haben wir für das Jahr 2016
eine gute Grundlage für die Fortentwicklung dieser wichtigen Politikbereiche vorgelegt . Dieser Haushalt setzt
Akzente, folgt einer tragfähigen Perspektive, und bei
seiner Beratung kann man sich natürlich nicht nur mit
Strategischem, sondern muss man sich auch mit Aktuellem beschäftigen .
Die Bauern machen derzeit in Deutschland und in
ganz Europa mit Vehemenz auf ihre wirtschaftlichen
Sorgen und Nöte aufmerksam . Diese betreffen die Erzeugerpreise, insbesondere für Milch, die im Keller
sind . Für 27 Cent pro Liter Milch können viele auf Dauer nicht kostendeckend produzieren, geschweige denn
den Lebensunterhalt verdienen . Ebenso sind der Markt
für Schweinefleisch und dort, wo es in diesem Sommer
große Trockenheit gegeben hat, der Feldfruchtbau unter Druck . Wir beobachten eine verhaltene Nachfrage
auf den internationalen Märkten, während gleichzeitig
ein großes Angebot auf den Markt drängt . Die Folgen
des russischen Embargos für Nahrungsmittel treffen die
Landwirtschaft genauso wie die Marktvolatilitäten insbesondere in China .
Ich denke, wir sind uns in diesem Hause über alle
Fraktionen hinweg einig: Die Lage bedarf des Handelns .
Wir müssen handeln, wir müssen klug handeln, und wir
müssen so handeln, dass auch im nächsten Jahr von den
Entscheidungen, die wir jetzt treffen, profitiert werden
kann . Aber wir unterscheiden uns wohl sehr deutlich bei
der Wahl der Maßnahmen . Jedenfalls habe ich das den
Demonstrationen und Diskussionen der letzten Wochen
und Monate entnommen .
Eine Rolle rückwärts zur Mengensteuerung alter
Schule, und sei es auch mit neuem, aufgehübschtem Namen, wird es mit mir nicht geben .
({0})
Hier bin ich mir mit dem Deutschen Bauernverband und
übrigens auch mit der Europäischen Union einig . Wir
können nicht ein 15 Jahre lang entwickeltes Programm
des Ausstiegs aus einer Mengensteuerung wie der alten
Quotenregelung nun ohne Weiteres sozusagen über den
Tisch ziehen, vor allem auch deshalb nicht, weil wir zwischenzeitlich festgestellt haben, dass der Erfolg der Mengensteuerung nicht eingetreten ist . Sonst hätten wir doch
nicht vor fünf Jahren, zu Zeiten der Milchquote, eine Krise gehabt, die von den Zahlen her noch dramatischer als
die heutige gewesen ist .
({1})
Wir haben für ein solches System der staatlichen Eingriffe in Form von Mengenregelungen übrigens auch
keine Rechtsgrundlage . Ich möchte bei der Diskussion
in aller Bescheidenheit darauf hinweisen: Welche Töpfe man auch immer wo fordert, wir können keine Töpfe aus Lust und Laune heraus, aufgrund eines Bedarfs
oder einer Entscheidung heraus schaffen . Es bedarf einer
Rechtsgrundlage auf europäischer Ebene, auf nationaler
Ebene . Ich halte fest: Die gibt es nicht . Wenn jemand
meint, diese wäre leicht zu erreichen, darf ich aus dem
letzten Sonderrat der EU-Agrarminister vom vergangenen Montag berichten . Ich habe angesprochen, dass wir
in die Diskussion durchaus die Frage einbringen müssen,
ob es auch andere Möglichkeiten der Mengensteuerung
gibt . Denn was wollen wir erreichen? Wir wollen die Volatilität, dass der einzelne Bauer einmal viel und einmal
wenig verdient, aber zwischendrin kaum mit seiner Finanzierung hinterherkommt, einigermaßen ausgleichen .
Ich darf darauf hinweisen, dass von den anderen 27 Ministern auf europäischer Ebene nicht ein einziger und
auch vonseiten der Kommission niemand eine Rückkehr
zur Quote oder Mengensteuerung gefordert hat . Ich bitte,
dieses auch für die nationale Diskussion zur Kenntnis zu
nehmen . Wir müssen hier neue Ansätze und Gedanken
entwickeln, und das werden wir auch tun .
Nationale oder europäische Begrenzungen müssen
sich am Weltmarkt orientieren . Die große Mehrheit der
Axel E. Fischer ({2})
Milcherzeuger hat sich ja auch für die Chancen des wettbewerblichen Marktes entschieden . Was ist unser Problem? Wir haben einen Wettbewerb in unserem Lande,
der über den Preis geht und nicht über die Qualität . Hier
müssen wir ansetzen .
({3})
Wir müssen bei den Produkten ansetzen . Aber auch in
der Wertschöpfungskette, die - ich muss es sagen - vom
Erzeuger bis zum Verbraucher geht, müssen alle bereit
sein, sozusagen ihr Scherflein beizutragen. Ich habe heute früh mit dem Handel intensive Gespräche geführt . Ich
bin nicht ganz ohne Optimismus aus diesen Gesprächen
herausgegangen . Wir müssen erreichen, dass das Risiko
des Marktes nicht allein bei den Erzeugern hängen bleibt .
Das muss geändert werden .
({4})
Noch ein ganz klares Wort, liebe Kolleginnen und
Kollegen, zu einer bedenklichen Entwicklung . Wir haben einen europäischen Binnenmarkt . Mancher wirft
uns vor - auch der deutschen Agrarwirtschaft und unseren Bauern -, wir wären zu erfolgreich . Okay, das muss
man immer an dem messen, was man selbst erreicht hat
oder nicht, ob man den Strukturwandel genutzt hat oder
nicht . Es geht aber nicht, dass in den Grenzen innerhalb
der Europäischen Union, im Schengen-Raum, Fahrzeuge
aufgehalten werden,
({5})
bei denen nachgeprüft wird, ob in ihnen deutsche Milchprodukte transportiert werden . Man hört sogar auch, dass
sich in anderen europäischen Ländern mancher nicht
mehr traut, deutsche Qualitätsprodukte ins Regal zu stellen, weil er Sorge haben muss, dass das eine oder andere
passiert . Ich werde in aller Schärfe - das habe ich bereits
getan - und mit allen Mitteln, wenn sich Fälle, die mir
konkret vorliegen, bei Nachprüfung bestätigen - leider
wird das wohl der Fall sein -, unsere europäischen Nachbarn darauf hinweisen, dass wir eine Hausordnung haben .
Die Hausordnung ist der europäische Binnenmarkt . Wir
verkaufen unsere Produkte dort, wo der Verbraucher sie
will, und lassen nicht zu, dass irgendjemand zwischendrin entscheidet, ob er sie bekommen soll oder nicht .
({6})
Was müssen wir jetzt machen? Direkthilfen! Soforthilfen! Wir müssen, auch wenn wir den Kurs der Marktorientierung beibehalten, trotzdem ein Maßnahmenpaket
auflegen, um den Landwirten in der konkreten Situation zu helfen . Deswegen bin ich für Sofortmaßnahmen .
Wir haben in der letzten Woche von der EU-Kommission eine halbe Milliarde Euro angeboten bekommen .
Der gedachte Ansatz muss lauten, dass das, was über
die Superabgabe - die Insider kennen das - nach Brüssel geflossen ist, sich in der gleichen Größenordnung im
Haushalt für die Landwirtschaft wiederfindet. Wenn man
dann die 350 Millionen Euro für Direktzahlungen und
weitere Programme für Obst und Gemüse hinzunimmt,
geht das in die richtige Richtung . Luft nach oben ist noch
da . Wir werden am Montag in Luxemburg weiter über
diese Dinge reden . Wir werden dann vor allem über die
Details reden .
Mir liegt daran, dass wir, wenn wir wissen, wie die
EU ihre Gelder einsetzen will, überlegen, wie wir eine
nationale Unterstützung - ob mit Brüsseler Mitteln oder
mit anderen Mitteln - fixieren können. Wir führen hier
kurzfristig Gespräche . Ich werde dann Maßnahmen vorschlagen, die allen betroffenen Landwirten schnelle Unterstützung bieten . Wir sollten nicht den Keil zwischen
Schweinemäster und Milchbauern treiben oder denen,
deren Ernte durch die Trockenheit Schaden genommen
hat . Wir müssen auf alle blicken .
Dann gibt es noch einen Punkt, über den wir in der Tat
mit Brüssel reden müssen . Die Direktzahlungen bleiben .
Sie betragen im Schnitt ungefähr ein Drittel des Einkommens deutscher Landwirte . Jeder von uns weiß, dass wir
in einer krisenhaften Situation, zum Beispiel bei Hochwasser, auf kommunaler Ebene, auf Landesebene und
auf Bundesebene dafür sorgen, dass schnell und unbürokratisch geholfen wird . Das hat auch in vielen Fällen
funktioniert . Nun versuchen Sie einmal, auf europäischer
Ebene zu sagen: Wir helfen schnell und unbürokratisch .
Sie werden feststellen, dass das Dickicht der Regelungen, wobei jede für sich durchaus eine Begründung haben mag, in der Gesamtschau zu einer solchen Unbeweglichkeit des Tankers führt, dass er auf solche Krisen gar
nicht mehr richtig reagieren kann . Wir müssen das angehen . Deswegen reicht es mir nicht aus, wenn der eine
oder andere zu Direktzahlungen sagt: Geht nicht, ist nicht
möglich . Geht nicht, gibt es nicht .
({7})
Ich bin Süddeutscher . Ich nehme das Wort „Fischkopf“
nie in den Mund . Ich bitte aber, dem sehr geschätzten
Kollegen Till Backhaus zu bestellen, dass ich es mir so
vorstelle, wie er es macht . Er hat nämlich gesagt: Okay,
wir gehen das an, wir schauen, dass wir es schaffen, das
Geld schneller an die Leute zu bringen . Ich werde in meiner Verwaltung dafür sorgen, dass das so schnell geht . Das finde ich aller Ehren wert. Danke schön! 15 weitere
Minister könnten sich - das darf ich in diesem Fall durchaus einmal sagen - an ihm ein Beispiel nehmen .
({8})
Dafür bekommt er jetzt aber keinen Sonderbonus;
denn hinsichtlich der Zahlungen bin ich an europäische
Regelungen gebunden . Allerdings bin ich der Meinung,
dass man das pragmatisch sehen sollte . Es muss doch
möglich sein, dass, wenn das Geld für die Schaffung von
Liquidität nötig ist, wir die Zahlung vorziehen, sodass
das Geld nicht erst im Januar, sondern schon im November oder Oktober da ist . Das gilt nicht nur jetzt, das muss
auch in Zukunft gelten . Wir müssen dieses Problem dezidiert angehen .
Dann müssen wir auch einmal über die eine oder andere Belastung, die wir der Landwirtschaft aus sicherlich
auch guten Überlegungen zumuten, reden . Wir lassen
uns - das will ich durchaus erwähnen - vieles einfallen .
Man hört oft: Die Landwirtschaft muss dieses oder jenes
tun; es muss dieses oder jenes vorgeschrieben werden . Dazu sage ich: Auch all das kostet Geld . Ich plädiere
damit nicht dafür, Landwirtschaft nur unter dem Aspekt
der Wettbewerbsfähigkeit zu sehen . Natürlich sind ökologische Fragestellungen und das Tierwohl, auf das ich
noch zu sprechen komme, sehr wichtige Punkte . Es muss
alles in einem vernünftigen Zusammenhang stehen . Ich
möchte nämlich, dass unsere Landwirtschaft in Deutschland produziert und wir uns nicht vom Export abhängig
machen .
({9})
Stichwort „Export“: Manche fragen nun, was denn der
Export solle, das sei doch nur Überschussabbau . Liebe
Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen sehr genau: Wenn
wir den Export im Milchbereich, um nur dieses Beispiel
zu nennen, auf null fahren, dann bedeutet das das Aus für
die Hälfte unserer landwirtschaftlichen Betriebe .
({10})
Dass wir nicht auf Teufel komm raus exportieren, steht
selbstverständlich auf dem gleichen Blatt . Das ist aber
auch nicht der Fall .
Ich bin dafür, dass wir über Qualität und Export in die
Märkte, die aufnahmefähig sind, reden . Was mit mir nicht
geht und was, glaube ich, auch in diesem Haus niemand
fordern wird - an anderer Stelle höre ich diese Forderung
manchmal -, sind Exportsubventionen für Produkte, die
bei uns nicht absetzbar sind . Mit einer Verbilligung dieser Produkte würden wir nur schwächere Märkte in anderen Ländern belasten . Nein, ich möchte, dass wir in
die aufnahmefähigen Märkte exportieren . Darauf werden
wir unser Augenmerk richten .
({11})
China ist und bleibt ein wichtiger Absatzmarkt . Dafür
brauche ich aber die Unterstützung durch die EU .
({12})
Wir brauchen Geld und Ideen von der EU . Die Ideen liefern wir, wenn es notwendig ist, sogar selber .
Ich möchte intelligente Märkte und lade deswegen zu
einem Exportgipfel und zu einem Lebensmittelgipfel ein .
({13})
Wozu dient dieser Lebensmittelgipfel? Wir müssen erreichen, dass der Erzeuger, zum Beispiel von Schweinefleisch, nicht alleine seine Standards an einigen verschiedenen Produzenten orientieren muss; denn dieses
Management überfordert ihn womöglich . Die Produzenten sind und bleiben Landwirte und Tierzüchter; bei denen wollen wir keine Managementstrukturen aufbauen .
Hinzu kommen auch noch ein paar andere Fragen zum
Tierwohl, die wir ansprechen müssen . Im Bereich des
Tierwohls setzen wir in diesem Jahr 30 Millionen Euro
ein . Ich bedanke mich bei den Haushältern schon jetzt für
die gute Unterstützung, die ich hoffentlich bekommen
werde und auf die ich aufgrund der guten Erfahrungen
in der Vergangenheit und des einen und anderen Vorgespräches hoffen kann . Dieses Thema müssen wir nämlich sehr ernst nehmen . Wir streben eine Mischung aus
freiwilliger Verbindlichkeit und rechtlicher Regelung an .
Das habe ich vor einem Jahr präsentiert . Da wollen wir
eine Zwischenbilanz ziehen . Aber es geht auch um Themen wie - die Kollegin Jantz hat das als Erste angesprochen - das Schlachten trächtiger Rinder . Wir kommen
nicht darum herum, das rechtlich zu regeln; das läuft aufgrund der Strukturen nicht über die freiwillige Verbindlichkeit . Dazu werde ich in Kürze einen Gesetzentwurf
vorlegen . In dem Zusammenhang werden wir darüber
sprechen und entscheiden, und zwar mit dem Ziel, dass
das zukünftig nicht mehr passiert .
Im Bereich der Ernährung haben wir 90 Millionen
Euro eingesetzt . Wir müssen in den Schulen und anderswo eine Offensive für gesunde Ernährung starten .
({14})
Leider sind unsere eigenen Projekte, Frau Kramme, nur
Insidern bekannt . Wir müssen sie darüber hinaus bekannt
machen . Wir müssen uns auch zu der Frage der Lebensmittelvernichtung und zum Thema Kochen verhalten .
Bei Letzterem müssen wir ein Bündnis mit denen eingehen, die das noch können:
({15})
mit den Älteren und auch mit Spitzenköchen .
Es muss natürlich jetzt nicht jeder wie Tim Mälzer, der
sich hier erfreulicherweise sehr intensiv engagiert, oder
wie Klaus Töpfer sein, der in die neu aufgesetzte Initiative „Zu gut für die Tonne“ neuen Schwung einbringen
will . Ich sehe auch, dass wir uns hier nicht nur gegenseitig bestätigen dürfen, indem wir sagen: Ja, wunderschön
und wichtig . Vielmehr kommt es auf unseren Einsatz an .
Wenn wir gegen Pommes, Pasta, Pizza und Pfannkuchen - das sind die vier beliebtesten Gerichte - ein Stück
weit gesundes Obst und Gemüse und andere Dinge stellen wollen, dann müssen wir an den Schulen anfangen .
({16})
Wir können das jedoch nicht gesetzlich verordnen . Das
muss langsam wachsen, und dazu müssen Bund und Länder Geld in die Hand nehmen .
({17})
Wir haben eine Reihe von weiteren Aufgaben, aber ich
glaube, allein diese Punkte zeigen: Wer meint, den Landwirtschaftsetat könne man außen vor lassen, der sei für
uns nicht interessant, dem sage ich: Nein, wir vertreten
eigentlich den Lebensetat, und bei uns spielt Musik . Wir
werden deswegen die Orchestrierung auch in der öffentlichen Wahrnehmung noch verstärken .
Herzlichen Dank .
({18})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Heidrun Bluhm .
({0})
Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Uns alle beschäftigt heute wie auch schon in
verschiedenen anderen Debatten die aktuelle Flüchtlingsproblematik . Jetzt fragen Sie sich sicher: Was hat das mit
der Landwirtschaft zu tun? Aber ich denke, wir stehen
hier ganz deutlich in der Verantwortung, zu hinterfragen,
welchen Anteil unsere exportorientierte Agrarpolitik, sowohl die des Bundes als auch die der EU, an den Krisen
in dieser Welt trägt und welchen Schaden die Entwicklungsländer durch sie erfahren .
({0})
Klar, wir liefern keine subventionierten Hähnchen mehr
nach Afrika, aber wir liefern sie immer noch und machen
damit die heimische Wirtschaft kaputt, gegebenenfalls
gar nicht erst marktfähig .
Herr Minister, Sie sagten eben in Ihren Ausführungen,
Sie wollen in die Märkte, die aufnahmefähig sind . Das ist
sehr allgemein . Das kann gut sein, das kann aber genauso
schädlich sein, wenn wir es beziehen auf die Entwicklungsländer oder die Schwellenländer .
Sie sehen, Herr Minister: Auch wenn Ihr Haushalt
ein eher kleiner ist, berührt die Politik, die mit diesem
Haushalt gemacht wird, trotzdem viele Bereiche in unserer Gesellschaft . Die Frage ist: Werden Sie dieser Verantwortung gerecht? Und das will ich hier einmal kurz
beleuchten:
Ihre Fraktion zeichnet in der Öffentlichkeit ja sehr
gern und oft ein Bild, nahezu ein Idealbild, der bäuerlichen Landwirtschaft . Ihre konkrete Politik aber, wenn
man sie genau betrachtet, benachteiligt eher kleine und
mittlere Betriebe . Export- und renditeorientierte Konzerne und Kartelle dominieren die Landwirtschaft längst,
üben auch auf dem Markt zunehmend ihren Einfluss aus
und machen damit eine sozial und ökologisch nachhaltige Landwirtschaft unmöglich . TTIP zum Beispiel wird
diesen Prozess wahrscheinlich noch unterstützen . Ich
glaube, dieser Trend - so sagt es zumindest die Linke muss gestoppt werden . Hier vermisse ich die Ernsthaftigkeit Ihres Engagements .
({1})
Ich vermisse die Ernsthaftigkeit Ihrer Politik außerdem, wenn das Ministerium zwar die Gefahr explodierender Bodenpreise erkennt und im Agrarbericht sogar
klar darauf hinweist, aber nichts tut oder wie im Fall der
BVVG sogar selbst an der Preistreiberei beteiligt ist, indem hier öffentliches Eigentum weiter privatisiert wird .
Das kritisieren wir im Übrigen schon lange, aber ich will
das hier heute noch einmal zum Ausdruck gebracht haben .
({2})
Herr Minister, Sie haben es eben selbst angesprochen:
Auch die gegenwärtige Milchkrise scheint Sie nicht
wirklich ernsthaft zu beschäftigen und vor allem zum
Handeln zu bewegen . Sie schauen dem Überlebenskampf
vieler Milchviehbetriebe tatenlos zu und belassen es bei
wirkungslosen Appellen . Auch das haben Sie eben in Ihrer Rede noch einmal deutlich gemacht . Auch hier haben
Sie angekündigt, dass Sie etwas tun wollen, aber was Sie
tun wollen, das haben Sie nicht gesagt .
({3})
Dabei brauchen wir dringend eine wirksame Lösung . Wenn es, wie Sie sagen, keine Mengensteuerung
sein soll, um dem Preisdumping auf dem deutschen
Milchmarkt entgegenzutreten: Was dann, Herr Minister?
Was wollen Sie tun? Direkt- oder Soforthilfen? Wir werden doch aufgrund der Mechanismen des Marktes Marktpreisschwankungen immer wieder haben, und dann sind
Sie permanent am Subventionieren .
({4})
Sie müssen sich hier also als Regierung auch strukturell
eine andere Lösung einfallen lassen .
({5})
Stellen Sie sich der sozialen Verantwortung für die
heimischen Betriebe und deren Mitarbeiter . Stellen Sie
sich auch der globalen sozialen Verantwortung für die
Entwicklungs- und Schwellenländer .
({6})
Vor allem erkenne ich aber die fehlende Ernsthaftigkeit bei der Entwicklung der ländlichen Räume . Auch
hier reden Sie viel und kündigen an, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zu reformieren . Doch bis heute ist faktisch
nichts passiert . Es ist ja gut, sorgfältig zu prüfen oder
auch abzustimmen; aber es braucht dringend eine ressortübergreifende Gesamtstrategie; doch diese fehlt bisher
in der Regierung insgesamt .
({7})
Ihr Plan ist für uns und die Mitbürgerinnen und Mitbürger in den kleinen Städten und Gemeinden bisher nicht
erkennbar .
Doch ich sage Ihnen: Viel entscheidender als die Frage, wie die neue Gemeinschaftsaufgabe heißt und wie
sie gegebenenfalls strukturiert wird, ist die Höhe der
Mittel, die Sie tatsächlich für eine nachhaltige Regionalentwicklung bereitstellen wollen . Zwar erhöhen Sie die
GAK-Mittel um 10 Millionen Euro . Das sind allerdings
nur 1,6 Prozent des Gesamtaufkommens . Es bringt also
eigentlich null Effekt für die Kommunen und die Betriebe . Doch eine Förderung, die den schon heute drängenden Problemen vieler Kommunen gerecht werden würde,
bleiben Sie bisher schuldig .
Dabei stehen die Kommunen strukturschwacher Regionen vor einer dreifachen Herausforderung: sinkende
Einnahmen, hohe Lasten durch Sozialabgaben und zum
Dritten hohe Infrastrukturkosten . Jene Kommunen also,
die am dringendsten den Wandel gestalten müssen und
am dringendsten eine nachhaltige Infrastrukturausstattung brauchen, können daran kaum arbeiten, weil sie
finanziell gelähmt sind. Und wir lassen sie im Regen stehen . Dabei bedeuten die unterlassenen Investitionen von
heute dreimal höhere Kosten für morgen .
Wir fordern deshalb im Einklang mit den Ländern
eine Aufstockung der GAK-Mittel für den Bereich Regionalentwicklung um mindestens 200 Millionen Euro .
({8})
Wir müssen den Kommunen helfen, Daseinsvorsorge,
Mobilität und Teilhabe langfristig zu sichern, vor allem
in den schrumpfenden Regionen . Wir müssen die ländlichen Räume entwickeln und wollen sie nicht abwickeln .
({9})
Ich weiß, dass die SPD und auch einige aus Ihrer Fraktion, Herr Schmidt, eine derartige Mittelaufstockung wünschen . Umso weniger verstehen wir Ihre Politik und den
Stillstand in Ihrem Haushalt . Aber nur konkrete Zahlen
würden auch Taten bedeuten .
({10})
Die neue Gemeinschaftsaufgabe zur Entwicklung der
ländlichen Räume muss ihren Namen auch verdienen .
Sie braucht eine starke regionalpolitische Komponente,
um den wachsenden Problemen der ländlichen Kommunen, der ländlichen Räume wirklich gerecht zu werden
und nicht nur ein Nebenprodukt der Agrarförderung zu
bleiben .
Ich weiß, Herr Schmidt: Nicht alle Probleme des
ländlichen Raums haben Sie zu verantworten . Herr
Dobrindt verschläft ja auch den Breitbandausbau, und
Herr Schäuble sitzt auf dem Geld . Steuergerechtigkeit
zu schaffen und die Kommunen mit ausreichenden Mitteln auszustatten, damit sie Schulen und Straßen sanieren
können, bleibt damit aus . Auch ohne zusätzliches Geld
von Herrn Schäuble hätten Sie aber eine Quelle, um diesen Haushalt zu reformieren . Wir sagen: Schaffen Sie die
Agrardieselsubventionen ab! Dann hätten wir ein wenig
mehr Geld, das wir an dieser Stelle ausgeben könnten .
({11})
Angelehnt an unsere Reise nach Afrika, die wir, Herr
Schmidt, im Frühjahr gemeinsam gemacht haben, möchte ich meine Ausführungen folgendermaßen beenden:
Seien Sie kein zahmer Tiger, weder gegenüber exportorientierten Konzernen oder Kartellen noch gegenüber
Bodenspekulanten!
({12})
Setzen Sie sich bei Herrn Schäuble für mehr Geld für
die ländlichen Räume ein! Zeigen Sie Ihre Zähne, Herr
Schmidt! Seien Sie ein richtiger bayerischer Löwe!
Danke .
({13})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß für die SPD .
({0})
Herr Präsident! Herr Minister Schmidt! Sehr verehrte
Damen und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als mich in den wahrscheinlich leider
letzten Sonnentagen der detaillierte Haushaltsplan des
BMEL erreichte, da dachte ich: Gar nicht schlecht! Da
ging auch bei mir ein bisschen die Sonne auf, aber - ich
sage es Ihnen - nur ganz kurz .
({0})
Ich sage Ihnen auch, warum bei mir ein bisschen die
Sonne aufging: Im Haushaltsplan findet sich die Zusage,
dass sich die Kampagne gegen Lebensmittelverschwendung „Zu gut für die Tonne“ nicht mehr nur an Verbraucher richten wird, sondern auch an Landwirtschaft,
Handel, Industrie und Gastronomie . Das Thünen-Institut bekommt mehr Geld, um endlich eine Systematik
zu entwickeln, mit der es möglich wird, zu erfassen, wer
was warum wegwirft . Das ist eine wichtige Grundlage
dafür, um wirksame Maßnahmen zu entwickeln und um
die Verschwendung einzudämmen . Dafür hat sich die
SPD-Fraktion schon seit langem eingesetzt, und ich bin
froh, dass Sie dies nun endlich im Haushalt festschreiben. 60 Prozent der Lebensmittelverschwendung finden
nämlich nicht in Privathaushalten statt, sondern bereits
vorher .
Ich denke, wir als Politik sind in der Pflicht, etwas zu tun.
({1})
Alles andere halte ich ethisch und übrigens auch ökonomisch für nicht vertretbar .
Wenn allerdings die Aufgaben wachsen, wenn die
Ausrichtung eines Vorhabens breiter wird, dann braucht
es selbstverständlich auch mehr Geld, um diese neuen
Aufgaben zu bewältigen . „Zu gut für die Tonne“ muss
noch besser ausgestattet werden . Herr Minister, es liegt
noch viel Arbeit vor uns, aber wir und auch Sie sind auf
einem guten Weg .
So viel zum Sonnenschein . Ein paar Wölkchen, das
heißt ein paar Fragezeichen, sind dann doch noch aufgetaucht .
Obwohl ich mir viel Mühe gegeben habe, kann ich
nach wie vor nirgendwo im Haushalt einen Posten entdecken, der die Kosten für die nationale Strategie zur
Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten
abdeckt .
({2})
Dabei liegt ein entsprechender Beschluss des Bundestages schon seit einigen Monaten auf dem Tisch . Der
muss - da bin ich mir ganz sicher - irgendwo im Ministerium durchgerutscht sein .
({3})
Immerhin stehen für den Bereich „Gesundheitlicher
Verbraucherschutz und Ernährung“ im Jahr 2016 5 Millionen Euro mehr zur Verfügung . Zudem sind von den
16 Millionen Euro im Titel „Information der Verbraucherinnen und Verbraucher“ im vergangenen Jahr fast
11 Millionen Euro nicht abgerufen worden . Mittel sind
also ausreichend vorhanden . Diese Mittel sollten wir für
Maßnahmen einsetzen, die es den Menschen erleichtern,
sich gesund und ausgewogen zu ernähren . Sie sollten alle
Menschen erreichen, egal wo sie einkaufen, welchen Bildungsstand und wie viel Geld sie haben .
({4})
Die Reduktionsstrategie, die die Rezepturen von Fertigprodukten verbessern soll, ist so ein Mittel . Dass sie
funktioniert, das zeigen nicht nur Beispiele aus anderen
Ländern . Auch eine Aktion des Ernährungsministeriums
selbst hat gezeigt: Seit es die Reduktionsziele für herzschädliche Transfette mit der Wirtschaft vereinbart hat,
ist der Gehalt an Transfetten in Lebensmitteln deutlich
zurückgegangen . Jetzt müssen wir uns auch um Salz
und Zucker kümmern … insbesondere in Lebensmitteln
speziell für Kinder … von denen wir sowieso meinen,
dass sie völlig unnötig sind, und die wir daher ablehnen .
Aber das passiert nicht von allein, das gibt es auch nicht
umsonst . Ein entsprechender Haushaltsposten ist unabdingbar .
({5})
Verbraucherinformationen, Aufklärungskampagnen
und Bildungsarbeit - das alles ist wichtig . Aber Menschen, insbesondere Kinder, müssen das Erlernte auch
umsetzen können . Im Moment arbeiten das gängige
Lebensmittelangebot und die Art, wie es beworben und
vermarktet wird, eher gegen sie . Wenn wir nicht dafür
sorgen, bessere Bedingungen für gesunde Ernährung zu
schaffen, nützen alle Bildungsinitiativen wenig, Herr Minister . Schließlich braucht es für einen sicheren Verkehr
Fahrschulen, die uns das Fahren beibringen, ebenso wie
sichere Straßen und sichere Autos; ach ja, und Ampeln
wären auch nicht schlecht . Aber das ist ein anderes Thema .
({6})
Noch ein Hinweis zum Schluss . Gestern erreichte
mich die Nachricht, sehr verehrter Herr Bundesminister
Schmidt, dass das Forschungsinstitut für Kinderernährung vor dem Aus steht . Dabei hatten Sie in den letzten
Haushaltsverhandlungen zugesagt, sich persönlich für
den Fortbestand des Instituts einzusetzen . Ich appelliere
dringend an Sie und an Ihr Ministerium: Setzen Sie alles
daran, die Arbeit dieses wichtigen Instituts weiterhin zu
ermöglichen .
({7})
Grundsätzlich - da bin ich zuversichtlich - können wir
mit den Mitteln, die uns für das Jahr 2016 zur Verfügung
stehen, viel erreichen . Packen wir es an!
({8})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Sven-Christian Kindler .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren heute über den Agrarhaushalt,
aber auch grundsätzlich über die Fragen der Landwirtschaftspolitik . Nach zwei Jahren haben wir jetzt Halbzeit
der Großen Koalition . Herr Minister, daher hätte ich erwartet, dass Sie etwas zu Ihrer Bilanz und zur Situation
der Landwirtschaft sagen .
Eigentlich geht es um ein schönes, positives Thema:
um Essen, um das, was uns satt macht, was uns erhält,
um das Verhältnis von Mensch, Natur und Tier . Aber
wenn man sich im Land umschaut, stellt man fest, dass
viele Menschen verunsichert sind, Angst haben und wütend auf die Landwirtschaftspolitik sind . Es gibt eine
große Akzeptanzkrise .
50 000 Menschen waren in diesem Jahr bei der Wirhaben-es-satt-Demo in Berlin, darunter viele Landwirte .
Sie haben klargemacht, dass sie eine andere Landwirtschaftspolitik wollen. Herr Minister, ich finde, man darf
diese Bedenken nicht wegwischen, sondern man muss
die Menschen endlich ernst nehmen und ihnen zuhören .
({0})
Es gibt zentrale Probleme in der Landwirtschaft, die
jetzt angegangen werden müssen - auf diese Probleme
weisen auch die Landwirte hin : Wir haben ein großes
Höfesterben in Deutschland; gut ein Drittel der klimaschädlichen Treibhausgase entsteht weltweit in der Landwirtschaft; wir haben einen enormen Wasserverbrauch
und eine enorme Wasserverschmutzung durch die industrielle Landwirtschaft; wir haben ganz viel Tierquälerei in
der Massentierhaltung;
({1})
wir haben quasi alle paar Monate einen neuen Lebensmittelskandal .
({2})
Herr Minister, ich finde, diese Probleme dürfen nicht
weiter ignoriert werden . Gerade die Union darf diese
Probleme nicht weiter schönreden und sich wegducken .
Es muss endlich gehandelt werden .
({3})
Diese Probleme sind nicht gottgegeben, sondern Folge
einer falschen Agrarpolitik, einer Agrarpolitik, für die Elvira Drobinski-Weiß
das haben wir gerade schon in der Rede der SPD-Kollegin gehört - in der Bundesregierung vor allen Dingen
die Kollegen von der CDU/CSU stehen . Diese Probleme
sind Folge einer Agrarpolitik, die auf Masse statt Klasse
setzt, auf Wachsen oder Weichen, auf Agrarfabriken statt
Bauernhöfe. Ich finde, zu Recht fordern viele Menschen
in Deutschland, dass sich die Agrarpolitik endlich ändert .
Wir brauchen jetzt endlich ein Umsteuern in der Agrarpolitik in Deutschland .
({4})
Ganz besonders deutlich wird das an der Milchkrise .
Viele bäuerliche Betriebe stehen jetzt vor dem Aus . Das
war in den letzten Monaten schon absehbar . Herr Minister, ich frage mich: Wo waren Sie eigentlich? Ich habe
nichts von Ihnen gehört, keine Forderungen, keine konkreten Pläne . Sie haben das Thema - das muss man ganz
ehrlich und hart so sagen - einfach verschlafen . Auch
heute gibt es keine Antwort, sondern wieder nur Ankündigungen. Ich finde, das ist deutlich zu wenig. Das ist ein
krasses Versagen als Landwirtschaftsminister in dieser
zentralen Frage .
Zu dem Ergebnis vom Montag, das Sie angesprochen
haben . Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter
spricht zu Recht von Aktionismus und von einem Vortäuschen von Politik . Er sagt, dass es den Agrarministern
der EU-Staaten an Problembewusstsein mangelt, dass sie
nicht über die nötige Weitsicht verfügen . Ihre Antwort
darauf - das haben Sie heute wieder gesagt - ist Export .
Die Probleme dabei sind aber - darauf hat die Kollegin
Bluhm schon hingewiesen :
Erstens . Wenn in Länder exportiert wird, zum Beispiel
in Westafrika, in denen die Kleinbauern schon heute ihre
Existenzgrundlage durch die Dumpingkonkurrenz aus
dem Ausland verlieren, dann wird dieser Export dort
zu noch mehr Armut und Hunger führen - Stichwort
„Fluchtursachen“ .
Zweitens . Für die deutschen Milchviehhalter lautet
die Frage: Was bringt ihnen das? Die Nachfrage auf dem
Weltmarkt ist sehr schwankend . In China und Indien haben wir Nachfrageeinbrüche . Wir wissen, dass auf dem
Weltmarkt kein hoher Preis zu erzielen ist, und die Milch
auf dem Weltmarkt zu verramschen, kann nicht die Lösung sein . Unsere Milchviehhalter brauchen andere Antworten .
({5})
Ich kann Ihnen dazu Folgendes sagen: Wir wissen,
dass es auf dem Markt ein zentrales Überschussproblem
gibt . Deswegen muss man als Minister handeln und für
eine Marktregulierung eintreten . Wir sind nicht für die
alte Milchquote - das ist klar; dahin wollen wir nicht
zurück ; aber wir haben immer davor gewarnt, dass die
Europäische Union zu wenig Kriseninstrumente hat,
dass sie gegen das Überschussproblem zu wenig machen
kann . Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter
schlägt vor, wieder ein Bonus-Malus-System einzuführen . Ein solches System kann man auch branchenbezogen einführen, Herr Schmidt . Da dürfen Sie sich nicht
wegducken . Man kann dafür sorgen, dass Betriebe, die
mehr produzieren, einen Malus zahlen, und Betriebe, die
freiwillig weniger produzieren, einen Bonus bekommen .
Das kann man mit der Branche vereinbaren . Dazu muss
man handeln, dazu muss man sich mit den Bauern treffen. Ich finde, deswegen brauchen wir einen Milchgipfel
statt eines Exportgipfels . Einen solchen Gipfel muss der
Minister jetzt einberufen . So etwas muss er vereinbaren .
({6})
Herr Schmidt, ich glaube, Sie sind der unbekannteste Minister dieser Regierung . Sie sind extrem blass . Ihre
Taktik ist es anscheinend, sich wegzuducken und gar
nichts zu machen, sich zu verstecken und zu hoffen, dass
alles gut wird . Aber es wird nicht alles gut . Im Hintergrund lassen auch Sie sich - leider - die Papiere vom
Bauernverband und der Agrarindustrie schreiben .
Stichwort „Düngeverordnung .“ Es gibt sie bisher immer noch nicht, obwohl die Europäische Kommission ein
Verfahren gegen Deutschland eingeleitet hat, weil wir
eine viel zu hohe Nitratbelastung im Grundwasser haben .
Die Hauptursache dafür ist bekannt: Das ist die Überdüngung, das ist die Gülle. Ich finde es angesichts des
Zustands unseres Grundwassers, angesichts des Zustands
des Wassers in Deutschland insgesamt nicht akzeptabel,
dass die Düngeverordnung nicht kommt . Sie muss jetzt
kommen . Wir müssen unser Wasser schützen . Da müssen
Sie ran, Herr Schmidt .
({7})
Herr Kollege Kindler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Röring?
Gern .
Lieber Herr Kollege Kindler, ich habe eine Frage an
Sie . Wenn eine Familie, die aus Asien, aus Syrien oder
dem Irak nach Deutschland kommt, kommt sie in ein
Land, in dem nach ihrer Vorstellung Milch und Honig
fließen; denn hier gibt es sichere und bezahlbare Lebensmittel, die von verantwortungsvollen Landwirten erzeugt
werden . In Ihrer Rede wird aber das Erreichte der letzten Jahrzehnte niedergemacht . Was antworten Sie dieser
Familie auf die Frage, wie Ihre Rede zu den Erfahrungen passt, die sie mit der Landwirtschaft in Deutschland
macht?
Es ist doch völlig klar: Sie können die Situation in Syrien, wo ein blutiger Bürgerkrieg geführt wird, wo Krieg
und Gewalt herrschen, wo Menschen aus ihren Häusern herausgebombt werden, nicht mit der Situation in
Deutschland vergleichen . Die Frage ist doch: Wie sieht
die Situation in Deutschland aus?
Ich würde mit dieser Familie, die Sie angeführt haben,
auf einen der zahlreichen Milchviehhalterbetriebe gehen,
zum Beispiel in Niedersachsen, in denen auch ich schon
war, und mich mit dem Milchviehhalter unterhalten . Diese haben in diesem wie auch im letzten Jahr, bevor die
alte Milchquote, die nicht perfekt war, ausgelaufen ist,
schon davor gewarnt, dass sie große Probleme haben .
Als kleine Milchviehhalterbetriebe stehen sie wirklich
vor der Entscheidung: Wachsen oder Weichen? Denn
es gibt eine Tendenz zu immer größeren Betrieben, eine
Tendenz zu immer mehr Masse . Sie werden jetzt wahrscheinlich ihren Betrieb aufgeben; denn sie wissen nicht,
wie sie die Schulden bezahlen sollen, die sie haben, und
ob sie den Betrieb an ihre Söhne oder Töchter überhaupt
weitergeben können .
Ich glaube, dann werden auch die Menschen, die zum
Beispiel aus Syrien kommen, verstehen, dass es gut ist das kennen sie aus ihrer Heimat -, dass man eine kleine,
regionale bäuerliche Landwirtschaft hat, dass man auf
Strukturen vor Ort setzt, dass man mit den Menschen im
Dorf zusammenkommt, dass man nicht so viele, aber dafür gesunde Kühe auf einer Weide hat . So kann man dafür sorgen, dass die Milch bezahlbar bleibt und eine gute
Qualität hat . Das würde ich diesen Menschen antworten .
Das ist aus meiner Sicht die richtige Antwort .
({0})
Es geht auch um Tierschutz . Auch da ist es das gleiche Trauerspiel, Herr Schmidt . Der Wissenschaftliche
Beirat in Ihrem Ministerium hat Ihnen im März ein sehr
lesenswertes Gutachten vorgelegt . Er stellt fest, dass die
gegenwärtigen Tierhaltungsbedingungen in der Landwirtschaft nicht zukunftsfähig sind . Er fordert weiterhin
nicht weniger als ein grundsätzliches Umsteuern bei der
industriellen Massenfleischproduktion.
Wenn man sich dieses Gutachten einmal durchliest,
dann stellt man fest, dass das eigentlich eine schallende Ohrfeige für die letzten zehn Jahre CSU-Agrarpolitik
und den Tierschutz ist; denn er fordert nämlich genau
das, was wir immer gesagt haben: mehr Platz für Tiere,
artgerechte Beschäftigung und mehr Auslauf. Ich finde,
man sollte, wenn man schon nicht auf die Grünen hört,
wenigstens auf das eigene Ministerium, auf den eigenen
Beirat hören, jetzt endlich einen Tierschutzplan vorlegen
und dafür sorgen, dass die Tierquälerei in der Massentierhaltung aufhört . Das wäre jetzt notwendig .
({1})
Wir sehen: In der Landwirtschaft ist viel los . Es gibt
Krisen . Viele Bauern haben große Sorgen und große
Ängste . Darauf müsste man jetzt eingehen . Man muss
darauf hören, was ein Großteil der Bevölkerung fordert,
was viele Landwirte fordern, was der Bundesverband der
Milchviehhalter fordert und was sieben grüne Agrarminister in den Ländern umsetzen: Wir brauchen jetzt ein
sanftes, aber auch ein konsequentes Umsteuern, Schritt
für Schritt für eine Agrarwende . Das muss sich im Haushalt abbilden, aber auch bei dieser Bundesregierung . Darum muss es jetzt gehen .
Danke .
({2})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Cajus
Caesar .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei und Ernährungswirtschaft nehmen eine Schlüsselrolle in unserer
Gesellschaft und in unserer Wirtschaft ein . Und weil das
so ist, will die Union die Rahmenbedingungen so setzen,
dass das so bleibt, dass sich die Branche weiterentwickeln
kann und dass wir Arbeitsplätze erhalten und schaffen .
Wir können feststellen: Der Mittelaufwuchs des Einzelplans 10 von 141 Millionen Euro ist überproportional,
wenn wir einmal andere Haushaltsbereiche betrachten .
Das ist auch gerechtfertigt . Darin nicht enthalten sind die
100 Millionen Euro für den vorbeugenden Hochwasserschutz .
Die Union will die Rahmenbedingungen so setzen,
dass diese Branche Zukunft hat . Das ist die Politik der
Union . Wir packen an . Deshalb ist es uns sehr wichtig,
beispielsweise im Bereich des vorbeugenden Hochwasserschutzes - viele haben das über Jahre gefordert - etwas zu tun . Wir haben 2015 20 Millionen Euro im Haushalt, 2016 sind es 100 Millionen Euro . Wir hatten 2013
8 Milliarden Euro für die Beseitigung der Hochwasserschäden bereitgestellt .
Wir haben mit einem Maßgabenbeschluss dafür gesorgt, dass wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner - Ulrich Freese, der Mitberichterstatter der Koalition, war ja mit dabei - diese Thematik vorangebracht
haben . Auch da haben die Grünen und andere zunächst
Bedenken geäußert, ob das Geld abfließt. Ich habe in den
letzten Tagen die Nachricht von unserem Ministerium
bekommen: Jawohl, das ist der Fall .
Wir als Union sind auch vor Ort . Ich war in Nordrhein-Westfalen, in Duisburg . Wir waren auch in Brandenburg . Die Tatsache, dass der brandenburgische Minister Vogelsänger den ganzen Tag lang die Projekte mit
angeschaut hat, hat gezeigt, wie wichtig vorbeugender
Hochwasserschutz ist . Er hat gesagt, wie wichtig ihm das
ist . Ich denke deshalb, es ist richtig, dass in den einzelnen
Bundesländern etwas passiert .
Wir haben Wort gehalten und die Mittel bereitgestellt .
Das Ministerium, dem ich an dieser Stelle ausdrücklich
danken möchte, sorgt dafür, dass sie auch abfließen. Das
geht nur, wenn man ein sehr gutes Einvernehmen mit den
Ministern in den Ländern hat . Das ist gewährleistet . Es
zeigt: Diese Bundesregierung macht eine gute Politik,
macht eine vorbildliche Politik .
({0})
Sie setzt Akzente, Herr Kindler . Das, was Sie hier vorgetragen haben, ist weit von den Realitäten entfernt .
({1})
Dieser Maßgabenbeschluss ist so gestaltet, dass wir
Wirtschaft und Umwelt verbinden . Wir nehmen die
Landwirte mit . Vor Ort ist gefragt worden: Gibt es nicht
die Möglichkeit, beispielsweise Entschädigungen aus
Bundesmitteln zu leisten? Wir zahlen zukünftig - das ist
möglich - 20 Prozent des Verkehrswertes für die Aufstauflächen. Wir wollen Retentionsflächen, wir wollen
den Aufstau am Oberlauf . Wir wollen verhindern, dass
das Wasser bei den Leuten ankommt . All das passiert
durch das, was wir hier beschlossen und auf den Weg
gebracht haben, und zwar prioritätengesteuert und nicht
durch Quoten . Deshalb sind diese 57 Maßnahmen der
Hochwasser-Rückhaltung und weitere 29 überregionale
Maßnahmen der Deichertüchtigung gut angelegtes Geld .
({2})
Sie haben die Gemeinschaftsaufgabe angesprochen .
Ein Argument der Linken hier war: Da tut ihr ja nichts .
({3})
Natürlich tun wir etwas . Wir setzen Akzente für den ländlichen Raum . Das bedeutet, dass wir zunächst einmal
die Modell- und Demonstrationsvorhaben auf den Weg
gebracht haben . Da ist viel gelaufen . Wir haben in den
Haushalt zusätzlich 10 Millionen Euro für den ländlichen
Raum eingestellt . Ich kann Ihnen versprechen: Diese Koalition wird dafür sorgen, dass der ländliche Raum weiterentwickelt wird . Sie wird ihn nicht vergessen, sondern
attraktiv gestalten . Dafür werden wir die entsprechenden
Mittel bereitstellen .
({4})
Wir haben bei der Gemeinschaftsaufgabe dafür gesorgt, dass sie einen Aufwuchs von immerhin 30 Millionen Euro in 2016 und 60 Millionen Euro jeweils in 2017,
2018 und 2019 hat . Wenn das keine auf Zukunft ausgerichtete Politik ist, dann weiß ich es nicht .
({5})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir wollen auch, dass die soziale Abfederung gesichert ist . Wir
haben die entsprechenden Sozialsysteme . Das ist im
Haushalt ein Batzen von 3,7 Milliarden Euro . Ich möchte das an dieser Stelle vor dem Hintergrund der Diskussion sagen, dass es rein wirtschaftlich im Moment sehr
wohl Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft gibt,
die problematisch sind . Deshalb haben wir gesagt: Wir
wollen bei der Alterssicherung die Kostensteigerungen
auffangen . Das ist immerhin ein Haushaltsansatz von
2,17 Milliarden Euro . 2016 werden 18 Millionen Euro,
2017 20 Millionen Euro und 2018 30 Millionen Euro
draufgelegt . Das ist soziale Politik, Herr Kindler .
Bei der Krankenversicherung sieht das ähnlich aus .
Da legen wir 25 Millionen Euro in 2016, 40 Millionen
Euro in 2017 und im Folgejahr auch 40 Millionen Euro
drauf . Wir lassen die Bäuerinnen und Bauern also nicht
allein . Das hat auch etwas mit Gestaltung des ländlichen
Raums, mit Solidarität und mit Begleiten zu tun . Wir sind
für unsere Landwirtschaft .
({6})
Sie haben vorhin hier im Plenum die gesunde Ernährung angesprochen . Es stimmt: Über 50 Prozent der Erwachsenen ernähren sich nicht richtig . Trotzdem können
wir dem einzelnen Bürger natürlich nicht einfach das auf
den Teller legen, was gesund ist . Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir es tatsächlich geschafft haben, rund
90 Millionen Euro und über den gesamten Haushalt gesehen 150 Millionen Euro für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Ernährung bereitzustellen .
({7})
Beim Bundesinstitut für Risikobewertung beispielsweise - das hat diese Koalition in den letzten Jahren gefordert, und das wird jetzt umgesetzt - werden innerhalb
der nächsten drei Jahre 136 Stellen geschaffen, und zwar
im Bereich der gesunden Ernährung und der Untersuchung von Lebensmitteln, sodass sich der Bürger erkundigen kann: Was kann ich tun, und wo gibt es vielleicht
Probleme? Wir haben also keine Angst, und wir sind
nicht zurückhaltend . Wir spielen mit offenen Karten . Wir
wollen eine gesunde Ernährung unserer Bürger und setzen uns dafür ein .
({8})
Ich will nicht das wiederholen, was der Minister gesagt hat . Es gibt „IN FORM“, den Bundeswettbewerb
„KLASSE, KOCHEN“ und viele Aktivitäten, mit denen
etwas auf den Weg gebracht wird . Deshalb meine ich,
dass wir auf dem richtigen Weg sind .
Angesprochen worden ist auch der Tierschutz . Wir
wehren uns dagegen, dass man von einzelnen schwarzen
Schafen, die es in jeder Berufssparte, in jedem Verein
und in jedem Bereich gibt, auf den gesamten Berufsstand
schließt . Das ist, auf Deutsch gesagt, eine Sauerei . Das
lassen wir mit uns nicht machen .
({9})
- Herr Kindler, Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass
wir beim Tierschutz eine ganze Menge getan haben . Wir
haben unter anderem die Forschung auf den Weg gebracht . Im Bereich des Tierwohles gibt es eine Initiative
des Ministeriums . Dafür haben wir zusätzliche Gelder
bereitgestellt und zusätzliche Stellen geschaffen . Es gibt
neben der Forschung auch eine ganze Menge realisierter Vorhaben . Dankenswerterweise sorgt auch der Bauernverband im Rahmen der Tierwohlinitiative dafür Johannes Röring sitzt ja hier -, dass diese Anstrengungen
begleitet werden, und zwar durch ein Miteinander der
handelnden Personen - von der Wirtschaft bis hin zum
Bauern -, um das Tierwohl voranzubringen . Ich denke,
das ist die richtige Vorgehensweise: miteinander und
nicht gegeneinander . Das ist der Weg, den wir beschreiten sollten .
({10})
Ich danke unserem Minister. Ich finde, er hat in seiner
Rede heute deutlich gemacht, dass wir auf dem richtigen
Weg sind .
({11})
Ich danke auch seinem Team und nenne stellvertretend
den Haushaltsbeauftragten Ulrich Kuhlmann und Albert
Wulff . Ich darf auch den Abteilungsleiter Bernd-Udo
Hahn nennen . Wir haben die Informationen - ich denke, da werden mir die Mitberichterstatter recht geben schnell, detailliert und in aussagekräftiger Form bekommen . Das ist nicht selbstverständlich .
Ich darf an dieser Stelle sagen, dass wir unsere erfolgreiche gemeinsame Arbeit, die sich im Haushaltsentwurf
und in den Ideen der Koalition und der Union widerspiegelt, fortsetzen werden . Deshalb, Herr Kindler, ist
Deutschland so vorbildlich . Wir gehen in vielen Bereichen, in denen andere Länder noch längst nicht so weit
wie wir sind, voran .
({12})
Wir wollen das auch tun . Aber wir müssen natürlich sicherstellen, dass wir wettbewerbsfähig bleiben .
Lieber Kollege Caesar, denken Sie an die vereinbarte
Redezeit .
Jawohl . Ich bedanke mich dafür, Herr Präsident, dass
Sie so viel Verständnis gezeigt haben, und dass ich dies
hier so zum Ausdruck bringen durfte .
({0})
Ich darf sagen: Union und Koalition stehen für einen
vorbeugenden Hochwasserschutz, für einen attraktiven
ländlichen Raum, für das Tierwohl, aber auch für die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Bauern und Landwirte .
({1})
Herzlichen Dank .
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Minister,
ernährungspolitisch ist der von Ihnen vorgelegte Haushaltsplan eine Aneinanderreihung vertaner Chancen . Haben Sie heute schon einen Blick in die Süddeutsche Zeitung geworfen? Ich empfehle Ihnen dringend die Lektüre
des Artikels „Neuer Chef mit dunkler Vorgeschichte“ .
Sie erinnern sich vielleicht: Wir haben im ersten Halbjahr dieses Jahres durch Medienberichte, zum Teil mit
erschütternden Bildern, über den Bayern-Ei-Skandal
erfahren, in dessen Verlauf letztes Jahr Hunderte Menschen in mehreren europäischen Ländern an Salmonellen
erkrankten . Dieser Skandal ist leider noch nicht zu Ende .
Bereits letztes Jahr im Februar wurden bei der Firma
Bayern-Ei, einem der größten Hühner- und Eierproduzenten in Deutschland, durch bayerische Kontrollbehörden Salmonellen festgestellt . Es folgte keinerlei Information innerhalb Deutschlands . Erst im August letzten
Jahres erfuhr das Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit von einem Salmonellenproblem,
aber nicht über die bayerischen Behörden, sondern über
das EU-Schnellwarnsystem RASFF . Die bayerischen
Behörden verweigerten sogar noch bis September den
Nachbarländern wichtige Auskünfte zur Klärung dieses
Krankheitsausbruchs . Verbraucherinnen und Verbraucher wurden überhaupt nicht informiert . So etwas darf
sowohl im Sinne der Lebensmittelsicherheit als auch des
Verbraucherschutzes und auch im Sinne des Tierwohls
nie wieder vorkommen .
({0})
Die Qualen, die diese Tiere erlitten haben müssen,
kann man sich nur schwer vorstellen: Die Bilder, die in
Umlauf kamen, zeigen verendete und kranke Tiere, alle
auf einem Haufen . Die Mitarbeiter wurden hingehalten,
nach dem Motto „Das liegt alles an der Sommerhitze“ .
Der alte Bayern-Ei-Chef sitzt jetzt in Untersuchungshaft . Aber sein neuer Geschäftsführer ist bereits
in Schleswig-Holstein wegen ähnlicher Delikte auffällig geworden . Derzeit werden offenbar viele der Bayern-Ei-Hühner an einen polnischen Schlachthof geliefert - um hernach wieder als Suppenhühner bei uns im
Supermarkt zu landen?
Die Fraktion der CDU/CSU - Sie haben es angesprochen, Herr Caesar - fordert sichere Lebensmittel . Deshalb brauchen wir europaweit und in den Ländern eine
lückenlose Kontrolle und die konsequente Ahndung von
Verstößen .
({1})
Das sehe ich in diesem Fall nicht . Bei solchen Betrieben helfen weder freiwillige Selbstverpflichtungen noch
schlecht ausgestatte und überlastete kommunale Behörden . Solche Probleme können nur von einer bundesweit
zuständigen Behörde wahrgenommen werden . Solche
Probleme mit international arbeitenden Unternehmen
müssen auf der Bundesebene angegangen werden .
({2})
Das kann keine Behörde, die bei einem Landrat angesiedelt ist, der noch dazu das Problem hat, dass ihm womöglich Gewerbesteuereinnahmen entgehen, wenn er einen
Betrieb schließt. Einen solchen Interessenkonflikt können wir nicht auf kommunaler Ebene lösen .
Aber nichts davon findet sich in Ihrem Haushaltsplan
wieder, Herr Minister, ebenso wenig wie zu vielen anderen Themen im Bereich Ernährung . Es ist, wie gesagt, ein
Haushalt vertaner Chancen .
Die Zunahme von Übergewicht und Fettleibigkeit in
der Bevölkerung ist alarmierend . Wir alle wissen, dass
die Neigung dazu in der Kindheit angelegt wird . Kinder
werden konditioniert . Deshalb sind vor allem bei ihnen
die Probleme anzugehen .
Es gibt billige Fertigprodukte mit viel zu viel Fett, Zucker oder Salz . Das gilt für Fertigpizza wie für Kindermüsli . Dort gehört das nicht hinein .
({3})
Sie meinen, dann müssten die Verbraucher eben bewusstere Kaufentscheidungen treffen . Schuld sind die Verbraucher . Die klare Botschaft des Ernährungsministers
ist: Sollten Sie an ernährungsbedingten Krankheiten oder
Beschwerden leiden, ändern Sie doch bitte Ihren Lebensstil! Wie aber sollen Kinder mit einer Anlage zu Adipositas ihren Lebensstil ändern?
Nein, Herr Minister, stellen Sie endlich die Belange
der Verbraucherinnen und Verbraucher statt der Interessen der Lebensmittelwirtschaft in den Mittelpunkt!
({4})
90 Millionen Euro sind in Ihrem Haushalt für Ernährung
vorgesehen, ungefähr 10 Millionen Euro davon für den
Bereich Prävention und Aufklärung . Dem stehen zig Milliarden Euro Kosten im Gesundheitswesen jedes Jahr für
ernährungsbedingte Krankheiten gegenüber . Die könnten
wir uns alle sparen und damit wunderbare Dinge machen .
Mit dem von Ihnen eingesetzten Geld werden wir aber
kaum einen Flyer für jeden Menschen in der Bundesrepublik finanzieren können.
Ich stelle fest: Die bisherigen Maßnahmen für gesunde Ernährung und mehr Bewegung sind nach meinem
Dafürhalten gescheitert . Freiwillige Mitmachprojekte
erreichen auf jeden Fall nicht die Menschen, die sie erreichen sollten .
Gesunde Ernährung ist ein wesentlicher Teil gesundheitlicher Vorsorge und damit auch staatliche Pflichtaufgabe. Deshalb fordern wir als Linke verpflichtende
Qualitätsstandards, ähnlich wie die DGE-Standards, für
die Gemeinschaftsverpflegung - vor allem in Kitas und
Schulen, aber auch in Pflegeeinrichtungen, Betreuungseinrichtungen, Krankenhäusern und öffentlichen Kantinen .
({5})
Wir brauchen ein Verbot von Werbung und Sponsoring für Lebensmittel, die für Kinder gedacht sind . Eine
solche Werbung, die an Kinder gerichtet ist, braucht niemand .
({6})
Wir brauchen eine stärkere Besteuerung von Softdrinks
und Süßwaren und eine gezielte und umfassende Forschung in Bezug auf das Ernährungsverhalten von Kindern .
Deshalb kann ich nur appellieren: Stellen Sie Mittel
ein, damit diese Forschung betrieben werden kann, beispielsweise auch beim MRI, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel . Da wäre sie fachlich sicherlich gut angelegt .
Zur Vereinbarkeit von Theorie und Praxis kann ich
nur wieder sagen: Als Linke fordern wir die kostenfreie flächendeckende Schul- und Kitaverpflegung für
alle Kinder . Dadurch hätten Sie die Chance, auch kranken Kindern und Flüchtlingskindern eine Integration zu
ermöglichen . Ich glaube, der soziale Kontakt beim gemeinsamen Mittagessen ist durch fast nichts zu ersetzen .
Ermöglichen Sie diesen Kindern die Chance, tatsächlich
Teil dieser Gesellschaft zu werden . Dafür wäre zum Beispiel ein kostenfreies Mittagessen eine wunderbare Gelegenheit . Deshalb fordern wir, dafür 1,8 Milliarden Euro
in den Haushalt einzustellen .
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Der Kollege Willi Brase spricht als Nächster für die
SPD .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir diskutieren heute
über den Einzelplan 10 des Haushalts 2016 . Mir ist in der
bisherigen Debatte aufgefallen, dass das Thema „Weiterentwicklung des ländlichen Raums“ nur gestreift wurde .
Wenn man sich den ländlichen Raum anschaut, dann
wird man feststellen: Es geht um Dorferneuerung, es geht
auch um Landwirtschaft - manchmal gibt es dort noch
ein oder zwei landwirtschaftliche Betriebe, in manchen
Teilen gibt es ehemalige LPGs, die jetzt GmbHs sind; die
Struktur ist also sehr unterschiedlich -, es geht um Infrastruktur, es geht um wirtschaftliches Wachstum, es geht
um Daseinsvorsorge, und es geht ums Bauen .
Wenn ich mir das alles ansehe, dann sage ich: Das
ist eine Querschnittsaufgabe, die nicht nur das einzelne
Haus - das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft -, sondern die Bundesregierung insgesamt zu
leisten hat, und das fordern wir als SPD .
({0})
Wir haben die klare Erwartung an die Bundesregierung, dass jetzt im Herbst mit den Beratungen zu Änderungen bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ begonnen wird .
Dabei muss langsam klar sein, ob wir das Grundgesetz
oder nur das GAK-Gesetz ändern . Wir sollten jetzt nicht
mehr monatelang warten . Ich meine, es sind bald zwei
Jahre rum . Wir wollen dieses Gesetzesvorhaben vernünfKarin Binder
tig auf den Weg bringen . Deshalb wird es Zeit, dass dies
endlich passiert .
({1})
Wir sagen: Ländliche Regionen sind Zukunftsregionen . Deshalb brauchen wir auch bei der GAK - egal in
welcher Art und Weise wir weiterentwickeln - mehr Mittel . Ich will das wiederholen, was wir als SPD-Fraktion
schon mehrfach gesagt haben: Hier reichen keine 40 Millionen Euro aus, sondern es muss in den nächsten Jahren
schon in Richtung einer halben Milliarde Euro gehen,
wenn wir die ländlichen Räume ein Stück weit zukunftssicher und zukunftsfest machen und den Menschen dort
eine Chance geben wollen .
({2})
Das ist also eine Querschnittsaufgabe . Runden der
Staatssekretäre reichen hier nicht aus . Wir müssen das
koordinieren - auch mit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ . Ich bin
mir sicher, dass uns das gelingen wird .
Das BULE soll weiterentwickelt werden . Ich glaube ich schaue die Haushälter an -, die Mittel dafür werden
um 10 Millionen Euro erhöht . Das ist gut . Ich denke, wir
sollten dieses Programm nutzen, um den bundesweiten
Austausch zu fördern . Wir müssen die Erfahrungen mit
einzelnen Programmteile nutzen und das vorantreiben .
Wir brauchen eine bessere Erfahrungs- und Wissensvermittlung, um die regionalen Akteure auch ein Stück weit
zu stärken, und es muss evaluiert werden . Ich denke, das
ist genau richtig und notwendig .
({3})
Es ist auch deshalb notwendig, dass wir uns um die
ländlichen Regionen kümmern, weil die letzten Untersuchungen zur demografischen Entwicklung nicht gerade Gutes erwarten lassen, was Dörfer und ländliche
Regionen angeht; so bitter das auch sein mag . Wenn die
Wissenschaftler empfehlen: „Konzentriert euch mehr auf
die Mittelzentren und auf die Städte“, dann müssen wir
fragen: Können wir zulassen, dass dörfliche Strukturen,
dörfliches Leben und dörfliche Weiterentwicklung einfach abgehakt werden? Nein!
Es gibt sehr gute Beispiele für dörfliches Leben. Ich
bin ehrenamtlich auch im Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ tätig . Man muss sich einmal
ansehen, was sich in Dörfern alles entwickelt hat, zum
Beispiel in Elten in Emmerich . Dort hat sich die Dorfbevölkerung, über 100 Menschen, zu Dorfkonferenzen
zusammengesetzt, Projekte angeregt und auf den Weg
gebracht, einen Dorfladen nach zehn Jahren wieder eröffnet, ein Wohnbaulandkonzept auf die Beine gestellt und
Veranstaltungsreihen zu erneuerbaren Energien initiiert .
Dieses bürgerschaftliche Engagement ist toll und kann
nur unterstützt werden . Aber ich denke, auch ein Ministerium sollte einmal sehen: Gibt es nicht mehrere solcher
Beispiele, die wir unterstützen können? Dazu sage ich:
Dorf hat Zukunft .
({4})
Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz vorsichtig
etwas hinzufügen . Müssen wir nicht auch die Zuwanderung ein Stück weit nutzen, um an der einen oder anderen
Stelle die Revitalisierung unserer dörflichen Strukturen
anzugehen? Das ist schwierig; denn man kann Menschen
aus anderen Ländern nicht einfach dort ansiedeln, Stichwort „Bleiberecht“ . Man muss die Menschen dafür begeistern, die Zugewanderten unterstützen und im Dorf
für sie werben . Man muss mit den Menschen reden . Man
muss deutlich machen, wo der Gewinn für sie und wo die
Zukunft liegt. Ich finde, das sollten wir machen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einen
anderen Bereich ansprechen, der sich nicht direkt haushalterisch niederschlägt, der uns aber in der Presse und
in der Öffentlichkeit immer wieder beschäftigt . Das ist
die Situation in den Schlachthöfen der Fleischkonzerne .
Mittlerweile sprechen wir wieder von 40 000, hauptsächlich osteuropäischen, Arbeitnehmern auf Werkvertragsbasis, die in überteuerten Unterkünften leben, und von
Subunternehmen, die wiederum andere Subunternehmen
beschäftigen . Gott sei Dank engagieren sich dort Menschen und sagen: Das wollen wir so nicht haben . Wir
haben nicht den Mindestlohn von 8,50 Euro durchgekämpft, um über Werkverträge ein Tor aufzumachen, wo
auf Kosten von Menschen billig und immer noch billiger
produziert wird . Das lehnen wir ab .
({6})
Da muss etwas passieren. Ich finde es gut, Herr Bundesminister, dass Sie vorhin gesagt haben: Wir wollen
auf dem europäischen Markt und auf dem Weltmarkt
keine Billigprodukte anbieten, sondern Qualitätsprodukte . Qualitätsprodukte entstehen aber nur dort, wo vernünftige und gute Arbeitsbedingungen herrschen . Diese
Werkvertragsarbeitnehmer arbeiten unter beschissenen,
schlechten und widerlichen Arbeitsbedingungen . Diese
gehören abgeschafft, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({7})
Deshalb müssen wir nicht nur darüber reden, wie wir
das Werkvertragsunwesen abschaffen können, sondern
man darf bei aller gebotenen Zurückhaltung auch fragen:
Wie sieht es eigentlich mit den Überwachungsstrukturen aus? Was machen die sogenannten Fleischbeschauer? Wie gehen die Amtsärzte, die Tierärzte damit um?
Gibt es einen Bereich, den wir uns ganz genau angucken
müssen? Wird die Fleischhygiene beachtet? Gibt es Vollzugsdefizite? Wird das Tierwohlkonzept umgesetzt? Ich
glaube, all das spielt eine Rolle .
Wenn man Menschen, die in einem solchen Bereich
arbeiten, darauf anspricht, dann sagen die: Von den
40 000 Arbeitnehmern können viele kein Deutsch . Wenn
man diesen Mitarbeitern in der Produktion sagt: „Ihr
dürft hier nicht rauchen“, dann verstehen sie das nicht . Wir wissen aber alle: Wo man Fleisch zerschneidet, darf
man nicht rauchen . Ich meine, dass wir dort aktiv werden
müssen .
Die Zeitschrift top agrar online hat am 17 . August dieses Jahres wieder einmal auf die mafiösen Zustände hingewiesen . Die Menschen, die diese Zustände kritisierten,
wurden teilweise bedrängt . Wir alle wissen, dass Kritikern tote Tiere vor die Haustür gelegt werden; wir haben
die Bilder gesehen . Ich will hier im Deutschen Bundestag
deutlich sagen: Es ist absolut nicht akzeptabel, dass so
etwas passiert . Dagegen muss etwas getan werden .
({8})
Ich finde es richtig, dass zumindest der Bundeswirtschaftsminister für den 21 . September dieses Jahres die
Spitzen der Schlacht- und Zerlegeindustrie eingeladen
hat, um mit ihnen über genau diese Missstände zu reden
und für Abhilfe zu sorgen . Wir wünschen der Bundesregierung insgesamt, dem Wirtschafts- und auch dem
Landwirtschaftsminister viel Erfolg, damit wir dort bald
wieder ordentliche Zustände haben .
Vielen Dank fürs Zuhören .
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Ostendorff,
BÜNDNIS 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Schmidt, noch im Winter und Frühjahr erklärten
Sie bei jeder Gelegenheit, die Zukunft der Milch werde nach dem Wegfall der Quote am 1 . April golden sein .
Endlich könnten sich unternehmerische Fähigkeiten voll
entfalten . Für die Bauern und Bäuerinnen, die Ihnen
glaubten, gab es aber schon nach wenigen Apriltagen ein
böses Erwachen: Der Milchpreis, der 37 Cent betragen
sollte, sackte auf 27 Cent, dann auf 24 Cent pro Liter ab .
Statt im gelobten Land kamen sie im Land des Preisverfalls an, der bis heute unvermindert anhält - da, wo sich
Schweinebauern, vor allen Dingen Sauenhalter, schon
länger befinden.
Die Lage für die meisten tierhaltenden Betriebe ist
äußerst dramatisch . Noch nie wurden so viele Liquiditätshilfen in so großer Höhe nachgefragt wie aktuell . Was
sagt unser Minister? Irgendwann wird es schon besser
werden . Aber Herr Minister, was kommt denn nach der
Liquiditätsspritze? Damit werden doch die Ursachen der
Preismisere nicht behoben .
({0})
Am Montag kamen Sie vom Sondergipfel aus Brüssel wieder zurück - mit nichts, nur mit Absichten, mit
null Beschlüssen . Es wurden Ankündigungen gemacht:
Die Ausgleichszahlungen sollen vorgezogen, die Liquiditätshilfen noch mehr aufgestockt werden, damit das
Nötigste bezahlt werden kann . Mit sehr viel Geld soll der
Export abermals angekurbelt werden . Nichts, aber auch
gar nichts war dabei, mit dem die viel zu hohen Mengen
in den Griff bekommen werden könnten . Keinerlei Perspektive! Was kommt denn, wenn der Preisverfall, wie
befürchtet, weitergeht, Herr Minister? Was wollen Sie
denn dann tun?
({1})
- Wir Bauern und Bäuerinnen verlangen endlich Taten,
Frau Connemann . Taten sind gefordert, nicht nur wohlfeile, warme und blumige Worte, Frau Connemann .
({2})
Vor allen Dingen keine Märchen mehr, sondern Taten!
Mit jedem Hof, der in einem Dorf zugrunde geht, stirbt
ein Stück Kulturlandschaft, ein Stück bäuerlichen Lebens, das wir so dringend brauchen . Wir brauchen keinen
Exportgipfel, Herr Minister, wir Bauern brauchen endlich einen Milchgipfel, wo wir über die Situation reden
können .
({3})
Ich bin seit 47 Jahren Bauer, aber ich habe noch nie
einen so hilflos agierenden Minister erlebt. Wir erinnern
uns noch alle gut an den lächerlichen Vorschlag aus dem
Schmidt‘schen Baukasten „One apple each day keeps the
Putin away“ . Stark gewachsene, hoch verschuldete Betriebe, die nicht mehr ein noch aus wissen, das ist doch
die Realität, Herr Minister .
({4})
Warum bekämpfen Sie mit solcher Inbrunst unsere
grünen Forderungen? Wir würden uns diese Inbrunst
an der Front des Preiskampfes wünschen; aber Sie bekämpfen uns damit . Wir fordern wie auch der BDM ein
Bonus-Malus-System zur Mengendrosselung in Krisenzeiten auf dem Milchmarkt . Wir fordern eine grünlandgebundene Förderung für bäuerliche Milchviehhalter .
Seit Jahren fordern wir die Erzeugerbündelung, um die
Verhandlungsposition der Milchbäuerinnen und Milchbauern gegenüber Molkereien zu verbessern .
({5})
Wir fordern - wie viele andere auch -, das Tierwohl zu
stärken und mit mehr Platzangebot vor allen Dingen auch
die Schweinezahlen zu senken .
Herr Minister, Sie propagieren stattdessen nur Weltmarktzukunft für die Höfe . Ihre Exportoffensiven haben
dazu geführt, dass die Märkte zusammenbrachen . Die
Weltmärkte für Milch und Schweinefleisch sind gesättigt . Sie sind übervoll . Darunter leiden deutsche und europäische Bauern und Bäuerinnen . Aber auch die ErzeuWilli Brase
gerinnen und Erzeuger in anderen Teilen der Welt leiden
darunter .
Ihrem Haushaltsvorschlag fehlt jegliche Vision, jegliche Substanz . Es fehlen Vorschläge und Maßnahmen,
mit denen Sie die Probleme in der Landwirtschaft beheben und eine gesunde bäuerliche Agrarstruktur fördern
wollen . Wir fragen Sie: Was ist denn mit der Tierwohlinitiative? Was ist denn mit den Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik zur zukunftsfähigen Tierhaltung? Wo in Ihrem Haushalt sind die Mittel
für Tierwohl, mit denen Sie substanzielle Fortschritte
erzielen wollen? Wo sind die Umsetzungen, die das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik
empfiehlt?
Übrigens haben wir auch von der großen Novelle der
Düngeverordnung, die uns Weihnachten auf den Tisch
gelegt wurde, seit Monaten nichts mehr gehört . Wir hören jetzt: Vielleicht im nächsten Jahr . Die Schmidt‘sche
Lösung heißt, über Probleme nicht mehr zu reden, bis sie
irgendwann vergessen sind .
({6})
Das lassen wir Grüne Ihnen nicht durchgehen . Wir werden dieses Aussitzen brandmarken . Wir werden der Gesellschaft zeigen, dass wir die Probleme angehen wollen .
Um die Probleme zu lösen, sind wahrlich weitaus größere Anstrengungen notwendig, als freundlich und völlig
inhaltsleer durch das Land zu fahren, wie Sie es gemeinhin tun . Wir fordern deshalb die Aufstockung der Mittel
für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ um 200 Millionen Euro
für ein Aktionsprogramm „Bäuerlich-ökologische Landwirtschaft“, um damit einen Umbauplan „Zukunftsfähige
Tierhaltung“ in Höhe von 150 Millionen Euro zur Umsetzung der Vorschläge des Gutachtens zu finanzieren.
Wir fordern die Förderung einer grünlandgebundenen
Milchviehhaltung mit 50 Millionen Euro nationaler Mittel . Damit können wir nach unseren Berechnungen weitere Mittel in Höhe von 160 Millionen Euro in EU- und
Länderprogrammen hebeln . Angesichts dieser Summe
sollten wir darüber nachdenken, ob wir damit den hauptsächlich betroffenen Grünlandbetrieben wirksam helfen
können .
({7})
Wir fordern weitere zielführende Maßnahmen im Tierschutz und bei der Novellierung der Düngeverordnung .
Wir fordern des Weiteren die Aufstockung der Mittel für
das Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“ sowie
eine Bündelungsoffensive für Milcherzeuger .
Herr Minister, es gilt, nicht weiter die Hände in den
Schoß zu legen und - quasi wie bei einer Tasse Kaffee nett zu plaudern . Erforderlich ist Handeln . Handeln Sie
endlich! Die Bäuerinnen und Bauern warten auf Taten,
und zwar auf Ihre Taten .
({8})
Der Kollege Waldemar Westermayer spricht jetzt für
die CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Werte Zuhörer auf der Tribüne! Wir diskutieren heute in erster Lesung über den Haushalt für das
nächste Jahr und damit über die grundsätzliche Ausrichtung unserer Agrarpolitik . Beginnen möchte ich mit dem
Bereich der Landwirtschaft . Das Berufsbild des Landwirts ist vielseitig, interessant und bietet einen besonderen Bezug zu Natur und Technik sowie zum Tierwohl .
Trotzdem ergreifen immer weniger junge Menschen
diesen Beruf, da er durchaus auch harte und anstrengende Seiten hat, gerade was die Arbeitszeiten angeht .
Hiervon kann ich ganz persönlich berichten . Bereits mit
16 Jahren habe ich nach dem Tod meines Vaters zusammen mit meiner Mutter den elterlichen Hof weitergeführt
und Verantwortung für die ganze Familie übernommen .
Über 40 Jahre habe ich den Milchviehbetrieb im Allgäu
in eigener Verantwortung geführt . Inzwischen habe ich
ihn an meinen Sohn übergeben . Sie sehen also, dass ich
aus eigener Erfahrung einen ganz praktischen Bezug zur
Landwirtschaft habe .
Zur Bewältigung der Aufgaben in der Landwirtschaft
unternehmen wir in diesem Haushalt einiges . Schwerpunkt ist dabei natürlich die landwirtschaftliche Sozialpolitik . Durch die weiter gestiegenen Zuschüsse im
Bereich der Alterssicherung der Landwirte und der landwirtschaftlichen Krankenkasse nehmen wir unsere soziale Verantwortung gegenüber den Landwirten und deren
Familien wahr .
({0})
Insbesondere der Union ist die Wahrnehmung dieser
sozialen Verantwortung gegenüber unseren Landwirten
schon immer ein Anliegen gewesen . Das Geld, das wir
im sozialen Bereich ausgeben, ist gut angelegt; denn
der gesamte landwirtschaftliche Sektor unterliegt in besonderem Maße dem demografischen Strukturwandel.
Die Dynamisierung der Zuschüsse zur Krankenversicherung und zur Alterssicherung ist deshalb genau der
richtige Ansatz . Angesichts dieses Strukturwandels und
der damit einhergehenden Probleme müssen wir meiner
Ansicht nach auch darüber nachdenken, den abgesenkten Zuschuss zur Unfallversicherung wieder anzuheben .
Dies würde eine spürbare Entlastung der 1,5 Millionen
Mitglieder der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft bedeuten .
Neben dieser sozialen Komponente nehmen wir im aktuellen Haushalt Verantwortung für die Gestaltung der
Landwirtschaft wahr . Dazu gehört neben der im Haushalt weiterhin verstärkten Innovationsförderung und dem
neuen Programm zur Energieeffizienz in Landwirtschaft
und Gartenbau insbesondere das fortgeführte Bundesprogramm zur ländlichen Entwicklung . Entscheidend für die
zukünftige Entwicklung des ländlichen Raums ist neben
der Flurbereinigung der von der Bundesregierung vorangetriebene Breitbandausbau . Mit diesen Maßnahmen
unterstützen wir den Wandel der Landwirtschaft hin zu
mehr Nachhaltigkeit und Innovation . Dadurch erhöhen
wir die Wettbewerbsfähigkeit und stellen sicher, dass es
auch in Zukunft eine funktionsfähige bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland geben wird . Dies sollte das gemeinsame Ziel von uns allen sein .
Meine Damen und Herren, die aktuellen Entwicklungen zeigen uns aber auch, dass in vielen Bereichen
weiter Handlungsbedarf besteht . Als ehemaliger Milchviehhalter treibt mich vor allem die aktuelle Krise am
Milchmarkt um . Hierbei möchte ich vorausschicken,
dass ich natürlich, wie wir alle, die Ausschreitungen in
Brüssel am vergangenen Montag auf das Schärfste verurteile .
({1})
Sie zeigen aber die Sprengkraft des gesamten Themas .
Wir stehen aktuell vor der Entscheidung, ob wir eine Entwicklung wie im Schweine- und Geflügelbereich hin zu
dominierenden Großbetrieben wollen oder ob wir weiterhin lebendige kleine und mittlere Milchviehbetriebe in
Deutschland haben wollen .
({2})
Eine Wiedereinführung der Milchquote ist keine Option .
({3})
In den 32 Jahren der Milchquote musste nämlich allein
mein Betrieb 320 000 Euro für Lieferrechte ausgeben .
Die Abschaffung der Milchquote zum 1 . April 2015 hat
mit dem Milchpreisrückgang meines Erachtens nichts zu
tun . In der Bundesrepublik haben wir seither eine Mengensteigerung um 0,1 Prozent . Die entscheidenden Punkte sind der Russland-Export und der Einbruch in China .
({4})
- Sicher ist die Menge entscheidend; das weiß ich auch,
Herr Ostendorff .
({5})
- Belasten Sie nicht meine Redezeit .
({6})
Ich glaube, bei den Erzeugerbündelungen, wie sie
die EU im Milchpaket eigentlich vorgibt, müssen wir in
nächster Zeit noch einiges machen . Die EU hat es vorgezogen, dass über das Milchpaket gesprochen wird . Ich
bin der Meinung, in diesem Milchpaket sind viele Punkte
enthalten; wir müssen sie nur umsetzen, auch wir Landwirte .
({7})
Herr Ostendorff, Sie haben all Ihre Forderungen vorgetragen . Ich komme aus einem Bundesland, in dem es
einen grünen Landwirtschaftsminister und auch einen
grünen Ministerpräsidenten gibt .
({8})
Ich bekomme natürlich mit, welche zusätzlichen Auflagen wir bekommen . Das bedeutet Nachteile in der Bewirtschaftung . Deswegen ist das meines Erachtens der
falsche Weg .
({9})
Sorgen Sie auch einmal dafür, dass die Landwirte nicht
unter höheren Kosten leiden müssen, vor allem nicht
durch die jetzt aktuellen Vorkommnisse rund um die
JGS-Anlagen .
({10})
Wir sollten deshalb bestehende Exporthemmnisse
überdenken . Sofern es die außenpolitischen Gegebenheiten zulassen und Russland wieder zu konstruktiven
Gesprächen in der Lage ist, sollten wir den Handel im
Agrarbereich mit Russland wieder vollständig möglich
machen . Andernfalls könnten immerhin 2,5 Prozent des
Außenhandels Europas verloren gehen .
Im Hinblick auf die Erweiterung unserer Exportmöglichkeiten spielt auch TTIP eine wichtige Rolle . Das Abkommen bietet große Chancen, gerade für unsere Landwirtschaft . Positiv ist auch, dass nicht nur isoliert über
den Abbau von Zöllen geredet wird, sondern auch über
gemeinsame bereits bestehende Standards . Solange unser
europäisches Schutzniveau dabei eingehalten wird - das
ist klar unser Ziel und unsere rote Linie für die Verhandlungen -, überwiegen die Chancen von TTIP deutlich .
Darüber hinaus muss auch der Handel seiner Verantwortung für eine faire Preisgestaltung gerecht werden .
Dazu gehört, dass endlich alle Discounter und Supermarktketten das Problem anerkennen und verhandlungsbereit sind .
({11})
Meine Damen und Herren, mit diesem Haushalt bestimmen wir neben der agrarpolitischen Ausrichtung
der Landwirtschaft auch die Ausrichtung unserer Ernährungspolitik . Wir können stolz darauf sein, ein breites
Angebot an qualitativ hochwertigen und gesunden Nahrungsmitteln zu haben . Diese hohe Qualität der Lebensmittel ist einer der Schlüssel für eine langanhaltende gute
Gesundheit und ein langes Leben .
Damit wir unser hohes Niveau im Lebensmittelbereich aufrechterhalten können, unternehmen wir im Rahmen des gesundheitlichen Verbraucherschutzes im Bereich der Lebensmittel weiterhin sehr viel . Vor allem sind
an diesem Punkt die Prüfung und Bewertung möglicher
neuer Risiken von Lebensmitteln entscheidend . Wir als
Politiker sind hierbei auf die unabhängige, wissenschaftlich fundierte Analyse der Risiken angewiesen .
Ich möchte an dieser Stelle klar sagen, dass ich hinsichtlich der Analyse und Begutachtung dieser Gefahren
volles Vertrauen in das Bundesamt für Risikobewertung
und seine Mitarbeiter habe . Das BfR wird seiner wissenschaftlichen Referenz und seiner Orientierungsfunktion
für die Politik und die Verbraucher in vollen Umfang gerecht . Es ist nicht Aufgabe des BfR - dies möchte ich
vor allem im Hinblick auf die aktuelle Diskussion über
Glyphosat betonen -, jede mediale Panikmache mitzumachen .
({12})
Neben der Lebensmittelsicherheit kommt auch dem
Bereich der Information über richtige Ernährung und
eine gesunde Lebensweise besondere Bedeutung zu .
Um noch mehr Verbraucher auch über andere Wege zu
erreichen, sollten die einzelnen Ernährungszentren, die
von der CDU in Baden-Württemberg eingeführt wurden,
einbezogen werden . Diese haben vor Ort die Fachkompetenz, über gesunde Ernährung aufzuklären . In Zusammenarbeit mit dem Lebensmitteleinzelhandel können so
noch mehr Menschen erreicht werden .
Schließlich - das ist mir als ehemaligem Landwirt besonders wichtig - müssen wir als gesamte Gesellschaft
den Wert von Lebensmitteln wieder schätzen lernen . Insofern bin ich unserem Minister Christian Schmidt auch
persönlich sehr dankbar, dass er das Thema im Rahmen
der Initiative „Zu gut für die Tonne“ aufgegriffen hat . Es
kann einfach nicht sein, dass jeder Bürger in Deutschland
pro Jahr im Schnitt 82 Kilogramm Lebensmittel einfach
wegschmeißt . Die Initiative zeigt bereits Wirkung . Durch
die verschiedenen Maßnahmen der Aktion wird das Bewusstsein der Verbraucher für das Thema geschaffen .
Dies zeigt, dass weite Teile der Bevölkerung an gesundem und nachhaltigem guten Essen interessiert sind .
Dazu passt ein Zitat von Churchill:
Man soll dem Leib etwas Gutes bieten, damit die
Seele Lust hat, darin zu wohnen .
Herzlichen Dank .
({13})
Ich erfahre gerade, Herr Kollege Westermayer, dass
das Ihre erste Rede ist .
({0})
- Die zweite . - Ich hätte Ihnen gern noch einmal gratuliert .
Dann ist der Kollege Rainer Spiering von der SPD an
der Reihe, dem ich hiermit das Wort erteile .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrter Herr Minister! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Der demografische Wandel und die Globalisierung stellen unsere Arbeits- und Lebenswelt auf den Kopf und schaffen neue
Rahmenbedingungen, gerade auch in der Landwirtschaft .
Es bedarf eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen
Ökonomie und Ökologie sowie einer umsichtigen Nutzung von Ressourcen zur Erhaltung unserer natürlichen
Lebensgrundlagen . Das ist der Grundstein für eine innovative Landwirtschaftspolitik .
Landwirtschaft hat sich in den letzten 40, 50 Jahren
fundamental verändert . Landwirtschaft ist heute nicht
mehr nur die Basis für die Herstellung von Lebensmitteln, sondern sie ist auch Produzent von Rohstoffen,
Produzent von Energieträgern und Produzent von Basisstoffen . Als Drittes ist sie ein unersetzlicher Teil der
deutschen Wirtschaft als Basiswirtschaft für eine innovative und exzellente Landmaschinentechnologie . Ohne
diese Basis der deutschen Landwirtschaft wäre unsere
Basistechnologie der deutschen Landmaschinentechnik
schlicht und ergreifend nicht möglich . Ich werde gleich
noch darauf zurückkommen und darlegen, warum mir
das so wichtig ist .
({0})
Wir führen eine Wertediskussion über Landwirtschaft
im Allgemeinen sowie über Ernährung und Tierwirtschaft im Besonderen . Was sind uns Ernährung, unsere
Tiere und die Umwelt wert? Wie wollen wir leben? Menschen verlangen verstärkt nach ökologisch nachhaltigen,
vegetarischen Lebensmitteln . Wir haben einen extrem
steigenden Druck auf die Landwirtschaft . Es ist schizophren: Der Markt verlangt hochwertige und sichere
Lebensmittel, aber weiterhin zu niedrigsten Preisen, und
zeitgleich mehr Tier-, Natur- und Umweltschutz, und das
geht bis hin zur kompletten Umgestaltung der Landwirtschaft . Wandel ist nur möglich, wenn alle an der gleichen
Seite des Strangs ziehen . Ich glaube, ein Teil dazu ist mit
der Aufstellung des Haushalts 2016 getan .
Ich sage mal für uns alle: Auch bei einer lebhaften
Diskussion, auch bei einer strittigen Diskussion kann es
immer sein, dass der andere recht hat; das sollte man mit
ins Kalkül ziehen .
({1})
- Das war eine nicht gehörige und auch überflüssige Bemerkung, wenn ich das mal sagen darf .
({2})
- Okay .
Ich möchte zu dem kommen, was, wie Sie wissen,
mich bewegt, und das ist die Forschung im Bereich Ernährung und Landwirtschaft . Es sind 560 Millionen Euro
im Haushalt und damit 10 Prozent des gesamten Agrarhaushalts . Das ist im Vergleich zu anderen Haushalten
eine stattliche Summe . Sie ist nötig, aber sie ist auch ein
klares Zeichen, dass das Ministerium den Bereich Forschung sehr ernst nimmt . Es sind 57 Millionen Euro mehr
als im letzten Jahr, eine Steigerung um über 10 Prozent .
({3})
Mit jährlich über einer halben Milliarde Euro an Fördermitteln ist das BMEL eines der forschungs- und inWaldemar Westermayer
novationsfreundlichsten Ministerien schlechthin . Lassen
Sie mich dazu eine Bemerkung machen, die mir wichtig
ist, die aber vielleicht ein bisschen Wasser in den Wein
schüttet . Faust, Kapitel 7:
Zwar ist’s mit der Gedankenfabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück ,
Wo ein Tritt tausend Fäden regt, …
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben ,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band .
Ich glaube, wir werden alle sehr sorgfältig aufpassen
müssen, wo unsere Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik hingeht, und wir als Parlament - ich sage das deutlich - werden auch eine gewisse Richtschnur legen wollen müssen . Ich glaube, wir werden wesentlich intensiver
beobachten müssen, welche Institute welche Aufgaben
zu welchem Zweck übernehmen. Ich finde den Wissenschaftsstandort Deutschland schlicht und ergreifend toll,
({4})
möchte aber zugleich auch sagen, dass Wissenschaft nur
dann einen Wert hat, wenn sie nicht Wissenschaft für
sich, sondern Wissenschaft im Dienste derer ist, die das
Geld dafür aufbringen . Ich glaube, wir sollten in Zukunft
ein wenig mehr Wert darauf legen, dass wir unsere parlamentarische Hoheit dahin gehend wahrnehmen .
({5})
Das BMEL finanziert Förderprogramme, um innovative Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu unterstützen, die im unmittelbaren Interesse von Gesellschaft,
Praxis und Wirtschaft stehen . 41 Millionen Euro sind für
die Innovationsförderung in den Bereichen Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucher, für technische und
nichttechnische Innovationen im gesamten Agrar- und
Ernährungssektor und im gesamten gesundheitlichen
Verbraucherschutz, zur Schaffung und Sicherung von
Arbeitsplätzen und zur Verbesserung der Lebensmittelund Produktsicherheit vorgesehen . Mit den zusätzlichen
Mitteln werden Themen aufgegriffen, die im Koalitionsvertrag als Schwerpunkte aufgeführt sind: Tierschutz
und Tiergesundheit, Klimaschutz, nachhaltiger Pflanzenschutz, gesunde Ernährung, Sicherheit von Lebensmitteln .
Lassen Sie mich jetzt etwas ergänzen, was, glaube
ich, für uns wichtig ist . Wir müssen eine Zukunftsstrategie entwickeln, gerade auch in Bezug auf Industrie 4 .0 .
Wir haben die Basis der deutschen Landwirtschaft, und
wir haben die Technologie in deutschen Firmen, die hier
angesiedelt sind . Wir sind in vielen Bereichen Weltmarktführer . All das, was die Automobilindustrie mit
selbstfahrenden Fahrzeugen probiert, können wir im
landwirtschaftlichen Sektor selber, ohne Google, ohne
Microsoft, ohne Apple, aus eigener Kraft .
({6})
Das heißt für uns im Klartext, unseren IT-Standort so
auszurüsten, dass unsere Landmaschinenhersteller in der
Lage sind, unabhängig von interessierten ausländischen
Kräften hier eigene Systeme aufzubauen, um mit ihrer
Landmaschinentechnologie unseren Vorsprung weiter
ausbauen zu können . Im Übrigen führt dies vielleicht
auch zu einer gewissen Selbstständigkeit gegenüber den
Vereinigten Staaten von Amerika, die ich sehr mag .
({7})
Aber können wir mit Blick auf die forschungsbasierte
Entwicklung eine Prognose abgeben, wie wir aus dem
Hamsterrad „wachsen oder weichen“ wieder herauskommen? Ich spreche das jetzt aus einem ganz bestimmten
Grunde an . Bei der digitalen Vernetzung der Geräte zwischen Schlepper und Auslesegerät ist noch ordentlich
Musik im Spiel . Lassen Sie mich ein Beispiel nennen:
Ich war auf meiner Sommertour bei einem Hersteller von
Güllefässern . Früher waren das kleine Dinger, aus denen
hinten was rauskam, und wenn der Kanal aufgerissen
wurde, roch es ein bisschen . Heute sind das 30-Kubikmeter-Fässer auf drei Achsen, digital gesteuert . Damit
man die richtig nutzen kann, werden sie auf eine Länge
von 36 Metern ausgeklappt und Schleppschläuche drangehängt . Die neueste Technik können Sie sich jetzt demnächst auf einer Ausstellung anschauen . Jeder Schlauch
hat ein Ventil . Das Ventil wird durch eine App gesteuert .
Was braucht man zur Steuerung des Ventils außer den
Informationen durch die App? Nicht nur GPS, sondern
auch die Grunddaten . Die Grunddaten bekommt man
aber nur über eine Hoftorbilanz; das muss ich leider dazusagen . Wenn man aber das Instrument der Hoftorbilanz
ordentlich nutzen will, dann braucht man auch eine Düngemittelverordnung . Gerade im Hinblick auf unsere führenden Betriebe sollten wir unsere Anstrengungen darauf
verwenden, die IT weiterzuentwickeln, damit Informationen aus Hoftorbilanz und Düngemittelverordnung so
miteinander verknüpft werden können, dass es möglich
ist, mit weniger Ausbringung und weniger Kunstdünger
einen wesentlich höheren Ertrag zu erzeugen . Das würde
bedeuten: Weniger kann mehr sein .
({8})
Abschließend zu einem charismatischen, liebenswerten und netten Kollegen der CDU . Er hat sich in der
Sommerpause zu unserer Haltung zur Düngemittelverordnung geäußert . Ich glaube, ich habe gerade deutlich
gemacht, warum wir Hoftorbilanz und Düngemittelverordnung brauchen .
Herr Kollege Spiering, auch bei einer großzügigen
Auslegung der Redezeit nähert sich diese dem Ende .
Okay . - Lassen Sie mich zitieren - Matthäus 7 -:
Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders
Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?
({0})
Eine gesunde Ernährung und natürliche Landwirtschaft sollte es uns wert sein, in der Forschung nicht zu
kleckern, sondern zu klotzen .
Herzlichen Dank fürs Zuhören .
({1})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alois
Gerig .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Auch nach sechs
Jahren als Parlamentarier bin ich immer wieder bass erstaunt, wie sich ein grüner Agrarexperte innerhalb von
fünf Minuten in solch extreme Widersprüche verstricken
kann, lieber Herr Kindler .
({0})
Sie beklagen das Höfesterben und beschimpfen die
Landwirte in einer Tour .
({1})
Glauben Sie, dass dort, wo Sie etwas zu sagen hätten,
noch irgendeiner Landwirtschaft betreiben wollte?
({2})
Zurück zu meiner Rede . Ich danke dem Minister
Schmidt, ich danke auch unserem Chefhaushälter Cajus
Caesar dafür, dass sie mit der Vorlage des Haushaltes
eine solide Basis dafür geschaffen haben, dass wir in die
parlamentarischen Beratungen einsteigen können .
Herr Kollege Gerig, gestatten Sie schon zu Beginn Ihrer Rede eine Frage der Kollegin Brantner?
Ja, selbstverständlich, wenn Sie mir die Zeit anhalten .
Davon können Sie ausgehen .
Herr Kollege Gerig, zu Ihrer Aussage, unter einen grünen
Regierung würden alle Bauern auswandern . Würden Sie
bestätigen, dass es in Baden-Württemberg, seit wir einen
grünen Landwirtschaftsminister haben, keine Bauern
mehr gibt?
Ich habe gesagt, bei solchen Aussagen über die Agrarpolitik würde kein junger Landwirt bereit sein, den Hof
der Eltern zu übernehmen . Baden-Württemberg ist ein
sehr gutes Beispiel . Ich kann Ihnen dazu gleich ein paar
Sätze sagen . In viereinhalb Jahren grün-roter Agrarpolitik haben wir es geschafft,
({0})
dass die Landwirtschaft in Baden-Württemberg beim
Einkommen das Schlusslicht in ganz Deutschland bildet,
und zwar durch eine einseitig ausgerichtete Agrarpolitik
mit ideologischen Scheuklappen . Dazu werde ich in meiner Rede noch einiges sagen .
({1})
Ohne Zweifel ist es wichtig, dass wir die ländlichen
Räume in unserem Agrarhaushalt noch besser bedenken
als seither . Die 10 Millionen Euro, die einmal gesetzt
wurden, sind ein guter Anfang . Ich könnte mir noch mehr
wünschen, liebe Kolleginnen und Kollegen der anderen
Fraktionen, die das gesagt haben . Wir erleben, lieber
Herr Brase, eine Abwärtsspirale in manchen Gegenden
der ländlichen Räume . Wir müssen gegensteuern, auch
politisch gegensteuern: Ohne Moos nix los . Deswegen
sage ich: Ja, es ist gut so, aber es ist auch wichtig, dass
nicht nur die Landwirtschaft den ländlichen Raum fördert . Wir brauchen eine Verbesserung der Infrastruktur:
Straße, Schiene, schnelles Internet . Wir brauchen eine
medizinische Nahversorgung. Wir brauchen eine flächendeckende Bildung . Wir brauchen fast alle Ressorts
des Deutschen Bundestages,
({2})
und wir brauchen Politiker, die ein Herz für den ländlichen Raum haben, die erkennen, dass dort, wo weniger Menschen auf einem Quadratkilometer leben, etwas
mehr Förderung pro Kopf stattfinden muss.
({3})
Die Land- und Forstwirtschaft braucht aber auch intakte Dörfer . Vielleicht sind die Zuwanderer eine Chance .
Häufig ist die Land- und Ernährungswirtschaft das Rückgrat unserer ländlichen Räume und unserer Dörfer . Die
Union ist es, die diese Politik für den ländlichen Raum
seit langem sehr gezielt vorantreibt .
Ohne Frage, die Landwirtschaft ist derzeit stark gebeutelt . Viele Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht:
durch schlechte Milchpreise, die Trockenheit, schlechte
Preise für Schweinefleisch. Dazu kommen die unsäglichen permanenten Diffamierungen von ganz unterschiedlichen Gruppierungen und teilweise auch von Parteien, die dazu beitragen, dass die Bauern einfach keine
Lust mehr haben . Wir sind uns sicher einig: Alternativen
am Arbeitsmarkt gibt es genug .
({4})
Deswegen brauchen wir ein Krisenmanagement für die
aktuelle prekäre Situation .
({5})
Vieles wurde bereits genannt . Ich bin unserem Minister
sehr dankbar dafür, dass er keinesfalls untätig ist, dass er
das Herz am rechten Fleck hat, dass er für die Landwirtschaft kämpft, dass er beispielsweise, wie er gesagt hat,
heute intensive Gespräche mit Vertretern des Lebensmittelhandels geführt hat; denn das ist sehr maßgeblich für
die Zukunft unserer Bauern .
Die Exportoffensive wurde genannt . Ich hoffe, dass
wir das Russland-Embargo möglichst bald auf diplomatischem Wege aufheben können .
Auch ich bin der Meinung, dass die Milchquote sehr
teuer war und Preistäler nicht verhindert hat . Ebenso bin
ich der Meinung, die Mittel aus der Superabgabe sind
Bauerngeld und müssen auch wieder in Bauernhand,
ohne Wenn und Aber .
({6})
Dafür müssen wir uns einsetzen und kämpfen .
Ich kann mir auch gut vorstellen, dass wir im Bereich
der betrieblichen Risikovorsorge weitere Maßnahmen
ergreifen . Es gibt da schon ein paar gute Ansätze, beispielsweise beim Investitionsabzugsbetrag . Lassen Sie
uns gemeinsam diese Dinge angehen . Ich könnte mir
auch vorstellen, den Zuschuss für die Berufsgenossenschaft aufzustocken .
Auf jeden Fall braucht die Landwirtschaft dringend
positive Signale aus der Politik und aus unserer Gesellschaft . Wir müssen den Bauern sagen, dass wir sie brauchen . Sonst werden wir eine Misere erleben .
Was wir gar nicht brauchen können, ist eine ideologisch geprägte Agrarwende .
({7})
Vielmehr brauchen wir eine logische Agrarpolitik mit
Vernunft,
({8})
mit Augenmaß und mit einem gewissen Vertrauen gegenüber den Erzeugern . Sonst wird der Strukturwandel
gnadenlos zuschlagen, und die Verlierer sind nachher die
Verbraucher, die Konsumenten, alle Menschen, die in
Deutschland leben und unsere schöne Kulturlandschaft
mit ihren Strukturen lieben .
({9})
Ohne Zweifel hat sich vieles verändert . Ich komme
viel umher in der Republik . Ich war beispielsweise in der
vergangenen Woche in einer Stallanlage in Sachsen-Anhalt mit mehr als 1 000 Kühen . Massentierhaltung, werden viele sagen . Wir sind teilweise mit dem Auto über
die Futtergänge gefahren . Ich verstehe etwas von Tierhaltung, und ich kann Ihnen sagen: Jeder einzelnen Kuh
in diesem Betrieb geht es auf jeden Fall besser als denen,
die vor 40 Jahren bei meinem Vater am Hof in einem
kleinen, warmen Stall gestanden haben . Das ist doch eine
positive Entwicklung .
Ich war aber auch in Süddeutschland, in Baden-Württemberg unterwegs, wo wir wunderschöne, herrliche, intakte Landschaften haben .
({10})
Auch dort habe ich gesunde Kühe gesehen . Aber ich habe
dort auch schöne Streuobstbestände gesehen, Kleinbrennereien, Weinbau und Sonderkulturen anderer Art wie
Spargel, Gemüse, Erdbeeren . All die Bauern, mit denen
ich gesprochen habe, vereint eins, und das ist die Existenznot, die derzeit herrscht wie schon lange nicht mehr .
Wenn wir es nicht schaffen, politisch so weit gegenzulenken, dass diese Bauern eine Perspektive bekommen, dann
werden wir es erleben, dass die Produktion aus unserem
Land verlagert wird, mit der Folge, dass die Landschaft
nicht bleibt, wie sie ist, und dass die Nahrungsmittel für
unsere Bürger nicht mehr regional von deutschen Bauern
erzeugt werden und damit nicht mehr den hohen Standard haben, den wir in Deutschland haben; denn wir haben bei Lebensmitteln weltweit die höchsten Standards .
Deswegen ist es durchaus ein gesellschaftliches Problem,
eine Agrarpolitik zu machen, die strukturschwachen Gegenden -
Herr Kollege Gerig, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ostendorff?
Immer wieder gern .
Danke schön, Herr Kollege Gerig . - Ich will die Gelegenheit nutzen, sonst hätte ich dies an anderer Stelle
gesagt . Sie wiesen darauf hin, dass Sie in der letzten
Woche zusammen mit Ihrem Kollegen Kees de Vries
die Quellendorfer Landwirte GbR in Sachsen-Anhalt besucht haben . Der Bericht stand am 2 . September in der
Mitteldeutschen Zeitung.
Kees de Vries ist uns allen noch gut in Erinnerung als
jemand, der vor dem Auslaufen der Quote sehr denkwürdig sagte: „Wer für 32 Cent nicht melken kann, sollte
Beamter werden .“ So hat er sich hier im Deutschen Bundestag geäußert . Das war schon damals eine sehr mutige
Aussage . Er war aber jemand, der wie viele andere in Ihren Reihen immer wieder gesagt hat, dass das Auslaufen
der Quote die große Chance für die unternehmerischen
Milchviehhalter sei .
In der Mitteldeutschen Zeitung wurde nun berichtet,
dass Sie beide gesagt haben - ich zitiere -:
Mit dem Auslaufen der Quote wusste jeder, dass
eine große Krise auf uns zukommt .
Das hat mich erstaunt . Das haben Sie im Deutschen Bundestag anders dargestellt .
Ein zweites Zitat:
Möglicherweise wird der Milchpreis bald unter
20 Cent pro Liter fallen .
Ich sage: Gott bewahre . - Können Sie diese Aussagen
bestätigen, Herr Gerig?
Die kann ich keinesfalls bestätigen . Der Kollege de
Vries hat sich heute Mittag bei mir entschuldigt, weil
er auf eine Beerdigung muss . Ich kenne diesen Bericht
nicht . Wir waren vor Ort, wir hatten die Presse da . Ich
weiß, dass der Kollege de Vries seither genauso über die
Milchquote denkt wie ich . Ich kann mir überhaupt nicht
vorstellen, dass der Milchpreis noch viel weiter sinken
kann . Ich freue mich, dass beispielsweise einer der fünf
Großen im deutschen Lebensmittelhandel gesagt hat:
Noch tiefer gehen wir nicht mit . Es gibt auch in anderen
Ländern dieser Erde Anzeichen, dass eine gewisse Eindämmung der Milchmenge vorgesehen ist .
Diese Aussage, die Sie gerade verlesen haben, werde ich
genau prüfen . Ich weiß, dass ich so etwas nie und nimmer
gesagt habe
({0})
und es auch nirgendwo tun würde, dazu bin ich in meiner
Einstellung viel zu festgefahren . Aber Medien sind häufig frei in der Berichterstattung.
Ja, wir brauchen dort, wo Landwirtschaft strukturell
und durch die Natur eine gewisse Benachteiligung erlebt,
einen Ausgleich . Die Möglichkeit gibt es über die sogenannte zweite Säule . Auch hier komme ich noch einmal
auf Baden-Württemberg zurück . Es gab ein Programm
von Gerhard Weiser, das MEKA-Programm . Das hat ein
grüner Agrarminister mit seiner Regierung quasi auf null
gefahren und jetzt ganz abgeschafft und durch ein anderes Programm, das nennt sich FAKT, ersetzt, von dem
90 Prozent der in Baden-Württemberg konventionell
wirtschaftenden Landwirte nichts mehr haben . Das soll
dann die Agrarpolitik für die Zukunft sein . Damit können
wir in Baden-Württemberg doch unsere Betriebe nicht
halten .
Ich habe überhaupt nichts gegen Bio . Ich muss sagen,
davon ist auch noch keiner reich geworden .
({1})
Im Moment hören ja mehr Betriebe auf, als dass neue
einsteigen . Aber, liebe Freunde, so eine Agrarpolitik
wäre verheerend .
Jetzt ist meine Redezeit schon weit fortgeschritten . Ich
möchte darauf hinweisen, dass in unserem Bundesministerium glücklicherweise die Ernährung und der Verbraucherschutz eine hohe Priorität haben . Das haben
Kolleginnen und Kollegen bereits gesagt . Lebensmittelsicherheit spielt bei uns die ganz große Rolle . Bundesinstitute wie das BfR und das BVL machen eine hervorragende Arbeit .
Nachdem die Redezeit jetzt schon überschritten ist
und der Kollege Ebner sich noch gemeldet hat, schlage
ich vor, dass wir das in Form einer Kurzintervention gestalten .
Gut .
Damit erteile ich dem Kollegen Ebner das Wort .
Danke, Herr Präsident . - Lieber Kollege Gerig, ist Ihnen bekannt, dass die Landesförderprogramme in Abhängigkeit von den GAP-Förderperioden gestaltet werden,
dass diese Förderperioden jeweils sieben Jahre dauern,
dass alle sieben Jahre nicht nur Baden-Württemberg,
sondern alle Bundesländer in diesem schönen Land entsprechende Förderprogramme neu gestalten und auch
Baden-Württemberg dies seit vielen Jahren so tut? Alle
sieben Jahre hat man MEKA neu aufgelegt und immer
wieder neue Förderbestandteile aufgenommen .
Ich möchte Sie auch fragen, ob Ihnen bewusst und bekannt ist, dass FAKT sozusagen die Fortsetzung genau
dieser Förderprogramme ist . - Das war die zweite Frage .
Die dritte Frage ist: Können Sie, bitte schön, Ihre
Aussage genau belegen - da müssen Sie jetzt schon
über das Stöckchen springen -, dass FAKT 90 Prozent
der Landwirte nichts bringt? FAKT ist breit angelegt . Es
sind einige Bestandteile ausgelaufen, zum Beispiel die
Förderung der Mulchsaat, weil es nicht sinnvoll ist, sie
zu fördern; denn zum einen rechnet sie sich schon allein
betriebswirtschaftlich, zum anderen findet sie meistens
unter Glyphosateinsatz statt, was wir aus ökologischen
und gesundheitlichen Gründen nicht befürworten können . Bitte begründen Sie die von Ihnen angegebene Zahl
von 90 Prozent . Das wollen wir dann schon genau hören .
Kollege Gerig, jetzt haben Sie wieder das Wort .
Danke . - Erstens . Die Vorgehensweise ist mir voll
und ganz bewusst . Meines Wissens gibt es in Bayern ein
vergleichbares System . Dort nennt man es immer noch
KULAP . Dort gibt es immer noch viele Maßnahmen, die
konventionellen Betrieben echt helfen . Sagen Sie mir
nachher - das können wir unter vier Augen machen -,
({0})
welche Mittel ein baden-württembergischer Milchviehhalter oder ein baden-württembergischer Schweinehalter
noch aus dem Programm FAKT erhalten kann!
Darüber hinaus musste ich bitter erleben, wie man in
vorauseilendem Gehorsam neue Verbote für Gewässerrandstreifen und ein Wildtiermanagement eingeführt hat
und beispielsweise auch vorauseilend ein Grünlandumbruchverbot erteilt hat, das 90 Prozent der Landwirte in
Baden-Württemberg richtig wehtut . Das ist so .
({1})
Vielen Dank . - Wir sind damit am Schluss dieses Redebeitrags und kommen in diesem Geschäftsbereich abschließend zum Kollegen Johann Saathoff, dem ich für
die SPD das Wort erteile .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Minister, ich weiß gar nicht, warum
Sie das Wort „Fischkopf“ so bescheiden und zurückhaltend aussprechen. Ich finde, dass das überhaupt kein
Schimpfwort ist . Immerhin ist der Kopf der wichtigste
Teil des Körpers, zumindest für Politiker,
({0})
und ein Fisch zeichnet sich neben kühlem Blut dadurch
aus, dass er ein gesundes und nachhaltiges Lebensmittel
ist .
({1})
Sie können sich also durchaus trauen, sich selber „Fischkopf“ zu nennen, vor allen Dingen deswegen, weil in
Franken viel Karpfenfischfang stattfindet. Also trauen
Sie sich, Herr Minister! Seien Sie ein Fischkopf!
({2})
Das Haushaltsvolumen des Einzelplans 10 beträgt
5,5 Milliarden Euro . Allein die Mittel für die landwirtschaftliche Sozialversicherung betragen 3,7 Milliarden
Euro . Diese Zahlen hauen wir uns um die Ohren, ohne
uns wirklich zu verbildlichen, wie viel Geld das eigentlich ist . Also: Als Bürgermeister überlegt man sich, an einer Straße auf beiden Seiten neue Häuser zu bauen . Jedes
Haus ist 250 000 Euro wert . Alle 20 Meter steht, wie das
in Wohngebieten so ist, ein Haus . Wie lang ist die Straße,
die man mit 3,7 Milliarden Euro bauen kann? Ich kann es
Ihnen sagen: mehr als 140 Kilometer .
Das ist die Summe, über die wir jedes Jahr im Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Sozialversicherung reden . In diesen Tagen habe ich trotzdem öfter
gehört: Die Politik tut nichts für die Landwirtschaft, die
Politik trägt Schuld an den negativen Entwicklungen,
insbesondere bei den Schweinepreisen und den Milchpreisen . - 3,7 Milliarden Euro oder mehr als 140 Kilometer Straße mit Neubauten auf beiden Seiten sind aus
meiner Sicht eine deutliche Antwort .
({3})
Ich will hier die Geschichte der landwirtschaftlichen
Sozialversicherung nicht aufarbeiten . Hauptgründe für
ihre Entstehung waren: Deutschland braucht die Landwirtschaft, der Beruf des Landwirts soll attraktiv sein,
und die Landwirtschaft in familiengeführten Betrieben
soll wettbewerbsfähig sein . Also kurzum - so würden wir
das heute sagen -: Der Strukturwandel hin zur industriellen Landwirtschaft sollte aufgehalten werden .
Ist also angesichts der Mittel, die im vorliegenden
Haushalt vorgesehen sind, für die Milchwirtschaft alles gut? Natürlich nicht! Ostfriesland - nicht nur, aber
auch - ist stark von Milchviehbetrieben geprägt . Das
soll so bleiben . Wir wollen unsere Kühe auch in Zukunft
noch auf der Weide sehen . 27 Cent, liebe Kolleginnen
und Kollegen, sind zum Leben zu wenig und zum Sterben nicht einmal zu viel .
({4})
Früher hat man in Ostfriesland, wenn Moorgebiete erschlossen wurden, gesagt: „De Eerst sien Dod, de Tweed
sien Not, de Daard sien Brot“ . Heute ist es eher umgekehrt: „Dem Ersten sein Brot, dem Zweiten seine Not
und dem Dritten sein Tod“ . Was also ist zu tun?
Der Dialog mit der Landwirtschaftsbranche ist zugegebenermaßen kompliziert . Es gibt mindestens zwei Positionen, die im Gegensatz zueinander stehen . Aber ist
das Vertrauen auf die Steigerung des Exports nach China
und in den Iran die richtige Lösung? Ich bin mir nicht
sicher, ob das wirklich richtig ist .
({5})
Das bedeutet nämlich auch, dass das Heft des Handelns
an andere abgegeben wird, dass der Importeur künftig
über seine Marktmacht die Produktionsbedingungen bei
uns bestimmt . Das wollen wir doch nicht; zumindest auf
lange Sicht ist das zu unsicher . Aus meiner Sicht ist das
ungeeignet .
({6})
Was ist sonst zu tun? Es gibt leider nicht nur eine Lösung; vielmehr ist ein Maßnahmenbündel notwendig .
Sinnvoll finde ich, dass sich ein Teil der Landwirtschaft
ein eigenes Instrument zur Mengenerfassung geben will .
Das zentrale Problem dabei ist - da beißt die Maus keinen Faden ab - die Überproduktion .
({7})
Zur Produktionssteuerung . Wenn daraus Kosten entstehen, dann finde ich es auch richtig, dass man sich einer Superabgabe bedient . Denn Geld, das durch Mengensteuerung erwirtschaftet wurde, kann anschließend auch
wieder für die Mengensteuerung ausgegeben werden .
Eine schnellere Auszahlung der Direktzahlungen
ist angekündigt - das ist aus meiner Sicht der richtige
Weg -, aber perspektivisch müssen wir dafür sorgen,
dass die Direktzahlungen an Leistungen gebunden werden - lieber Friedrich Ostendorff, da bin ich ganz deiner
Meinung - und nicht an die Hektarmenge .
({8})
Wir müssen uns in die regionale Vermarktung einbringen . Die globale Wirtschaft glaubt, die gesamte Welt
technisch im Griff zu haben, die gesamte Welt könnte
kontrolliert werden . Regionalprodukte haben einen engen Bezug zur Umwelt . Regionales Wirtschaften und
Umweltqualität gehören eng zusammen . Die globale
Welt ist eine anonyme, nicht überschaubare, nicht verständliche Welt . Die regionale Welt hingegen ist durch
Nähe geprägt, und sie wird mit sozialer Nähe verbunden .
Das ist übrigens ein großer Vorteil, den wir gerade angesichts der Herausforderung, vor der wir durch die Menschen, die zu uns kommen und Schutz und Hilfe suchen,
stehen, dringend brauchen .
({9})
Das Bewusstsein der Kunden für regionale Produkte
ist vorhanden . Das gilt auch für qualitativ hochwertige
Milch und Gentechnikfreiheit . Dafür gibt es viele Beweise . Der Verbraucher weiß mittlerweile, dass Milch mehr
ist als nur weiße Flüssigkeit . Eine Milchkuh - Tierschutz
ist in der Milchwirtschaft ein wichtiges Thema - wird
unter derzeitigen Produktionsbedingungen durchschnittlich 5 statt 15 Jahre alt . Auf die Sojaproblematik - zum
Beispiel die Anbaubedingungen in Südamerika - will ich
an dieser Stelle erst gar nicht hinweisen .
Unsere Fraktion ist fest davon überzeugt, dass die
Entwicklung ländlicher Räume vorangebracht werden muss - Willi Brase hat das vorgetragen -, und das
in allererster Linie durch Wertschöpfung im ländlichen
Raum, zum Beispiel durch mobile Käsereien vor Ort .
({10})
Stellen Sie sich vor, es würde uns gelingen, dass Menschen Käse kaufen können, der die Gemeindegrenze
nicht verlassen hat . Für mich ist das eine schöne Vorstellung .
({11})
Das Produkt Milch bekommt ein regionales Gesicht .
Das ist eine Abkehr vom sogenannten Milchsee . Aber
da muss auch der Einzelhandel mitspielen, zum Beispiel
Aldi . Ich habe Aldi angeschrieben, weil es 2008 in einer
Werbung hieß - damals gab es eine Krise -: Wir erhöhen
den Preis pro Liter Milch freiwillig von 51 auf 61 Cent,
weil wir meinen: Das sind die Bauern wert . In einer
Werbung von Aldi aus dem Jahr 2015 heißt es: Preise
dauerhaft niedrig, 1 Liter Milch 55 Cent . Was ist in der
Zwischenzeit passiert?
Wo ist nun die Wertschätzung für die Landwirtschaft?
Ich habe Aldi angeschrieben und gefragt, ob sie nicht mit
mir darüber reden wollen . Die Gesprächsanfrage ist abgelehnt worden . Schade - für Aldi .
({12})
Nicht nur auf den Einzelhandel, sondern auch auf die
sonstige Ernährungsindustrie schauen wir viel zu wenig .
Schokolade und alles andere, bei dem quasi in zweiter
Reihe Milch verbraucht wird, werden viel zu wenig beachtet . Das muss aus meiner Sicht stärker in den Fokus
rücken . Man kann der Krise also mit vielen Maßnahmen
begegnen und nicht nur mit einer Maßnahme .
Wir wollen dem Strukturwandel entgegentreten . Aus
dem Ministerium ist zum Konzept des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter aber leider zu hören:
Grundsätzlich gelten für die Konzepte des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter dieselben ordnungspolitischen Bedenken wie beim auslaufenden Quotensystem . - Dann werden die Gründe genannt . Einer war: Der
Strukturwandel wird gehemmt . - Herr Minister, das ist
sicher ein Missverständnis, das ausgeräumt werden kann,
wenn man mit allen Verbänden in der Landwirtschaft den
Dialog sucht .
Die Ziele, die für die Mütter und Väter der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zentral waren, sind doch
noch heute unsere Ziele, oder? Also sollte man in diesem
Geiste handeln und entscheiden und nicht auf Exporte
und Wachstum zulasten der Tiere und der Verbraucher
setzen; denn Strukturwandel bedeutet eine strukturelle
Entleerung von ländlichen Räumen, und der wollen wir
entgegentreten .
({13})
Eigentlich gibt es noch viel zum Thema Küstenschutz,
Hochwasserschutz zu sagen .
Kollege Saathoff, Ihre Redezeit ist jetzt langsam erschöpft .
Ein Satz, Frau Präsidentin . - Küstenschutz ist nicht
alles, aber ohne Küstenschutz ist alles nichts, und dabei
ist es egal, ob man Leib und Leben oder Hab und Gut
durch Salz- oder Süßwasser verliert . Dass das nicht passiert, dafür setzen wir uns ein .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
mir nicht vor .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelplan 17 .
Ich bitte, die offensichtlich notwendigen Umgruppierungen in den Fraktionen zügig vorzunehmen und nachbereitende Gespräche, Absprachen und anderes nach
draußen zu verlegen .
Wenn mir jetzt auch die grüne Fraktion gestattet, die
Debatte zu eröffnen? - Das Wort hat die Bundesministerin Manuela Schwesig .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Die gute Nachricht des Haushaltsentwurfs für 2016, der Ihnen vorliegt, ist: Noch nie
hat der Bund so viel Geld für Familien, Kinder und Jugendliche bereitgestellt .
({0})
Das zeigt sich im Etat meines Hauses; viele Mittelzuwächse und verbesserte Leistungen spiegeln sich aber
auch im Etat des Bundesfinanzministers wider. Das wird
zum Beispiel deutlich, wenn Sie an die Steuerentlastung
für die Alleinerziehenden denken .
Mir ist wichtig, deutlich zu machen, dass das Geld,
das wir für Familien und Kinder in unserem Land bereitstellen, für alle Familien da ist, für die Familien mit Kindern, die in unserem Land leben, und für die Familien mit
Kindern, die in unser Land kommen . Dieses Geld ist eine
gute Investition in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes;
denn die Familien sichern die Zukunft unseres Landes .
Wir haben den Etat um 647 Millionen Euro, also um
über eine halbe Milliarde Euro, angehoben und dabei
drei wichtige Schwerpunkte gesetzt: für mehr Zeit für
Familien, für eine gute Betreuungsinfrastruktur und für
Geld für Familien . Das ist der Dreiklang einer modernen
Familienpolitik . Das ist wichtig für Familien . Nicht eine
Leistung allein hilft Familien, sondern dieses Zusammenspiel .
Es ist gut, dass wir wieder mehr Mittel für das Elterngeld zur Verfügung stellen; denn das Elterngeld ist eine
Erfolgsgeschichte und wird es bleiben . Das Elterngeld sichert Familien mit kleinen Kindern Zeit füreinander . Ich
möchte, dass Mütter und Väter in unserem Land ihre Elternzeit nutzen und in dieser Zeit das Elterngeld oder das
neue Elterngeld Plus beziehen können . Das ist wichtig .
Die Aufwendungen für das Elterngeld steigen jedes
Jahr, weil wir mehr Eltern haben, die vorher berufstätig
waren, weil wir endlich mehr Geburten haben und weil
immer mehr Väter Elternzeit nehmen oder nehmen werden . Das ist eine gute Nachricht . Das sind keine unnötigen Kosten; vielmehr entstehen diese Kosten, weil Familienpolitik erfolgreich ist .
({1})
Deshalb darf das Elterngeld nicht immer wieder infrage
gestellt werden . Auch dürfen in den Haushaltsberatungen
nicht immer wieder Forderungen kommen, das Elterngeld zu deckeln; denn Familien brauchen Verlässlichkeit .
Bundesfinanzminister Schäuble hat in seiner Einbringungsrede völlig zu Recht davon gesprochen, dass der
Erfolg von Politik auf Vertrauen basiert . Das gilt auch
für die Familienpolitik: Familien müssen sich in unserem
Land darauf verlassen können, dass die Leistungen, die
wir versprochen haben, für sie erhalten bleiben . Das gilt
für das Elterngeld, und das gilt auch für den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz .
({2})
Wir erhöhen mit dem vorliegenden Haushalt das
Sondervermögen für den Kitaausbau um 230 Millionen
Euro, weil wir mehr Plätze brauchen . In einem anderen
Etat wird veranschlagt, dass wir 100 Millionen Euro für
ein Sonderprogramm zur Verfügung stellen .
Wir wollen die Randzeitenbetreuung in Kitas ausweiten . Damit sind Zeiten gemeint, die nach 16 Uhr liegen,
weil es für berufstätige Mütter und Väter, insbesondere
für alleinerziehende Frauen aus Branchen wie der Pflege
und der Medizin, wichtig ist, wenn sie einem Job nachgehen wollen . Dafür brauchen sie einen Kitaplatz . Das
ist auch die beste Vorbeugung gegen Kinderarmut; denn
nur wenn Eltern arbeiten gehen können, einen guten Job
machen und gut bezahlt werden, können wir den Kampf
gegen Kinderarmut und Elternarmut bestehen .
({3})
Eltern brauchen auch eine finanzielle Unterstützung.
Wir heben das Kindergeld auf 190 Euro an . Davon profitieren 17 Millionen Kinder. Allein 1 Million Kinder
schützen wir durch das Kindergeld vor der Armutsfalle .
Das ist eine wichtige Leistung . Wir heben zum 1 . Januar 2016 aber auch den Kinderzuschlag an, und zwar
um 20 Euro im Monat . Gerade die Eltern, die jeden Tag
arbeiten gehen, aber in Branchen arbeiten, in denen sie
trotz Mindestlohns wenig Geld verdienen, Geld, das
zusammen mit dem Kindergeld kaum ausreicht, um im
Monat klarzukommen, bei denen selten ein Ausflug drin
ist, geschweige denn Urlaub, diese Eltern, die so fleißig
und ihren Kindern ein Vorbild sind, müssen wir besser
unterstützen . Deshalb ist es gut und richtig, dass wir den
Kinderzuschlag nach vielen Jahren endlich anheben . Das
ist ein wichtiger Beitrag gegen Kinderarmut .
({4})
Auch durch die Anhebung des Entlastungsbetrags für
die Alleinerziehenden in diesem, aber auch im nächsten
Jahr setzen wir ein wichtiges Zeichen, nämlich das Zeichen, dass für uns Familie da ist, wo Kinder sind: Eltern,
die verheiratet sind oder nicht, Regenbogenfamilien,
Patchworkfamilien, aber gerade auch alleinerziehende
Frauen und Männer, die jeden Tag arbeiten und gleichzeitig für ihre Kinder da sind . Jeder von uns, der Beruf
und Familie vereinbart, weiß, wie schwierig das ist,
selbst wenn man auf eine gute Partnerschaft setzen kann .
Wer das allein managt, der hat meinen Respekt . Es wurde Zeit, dass wir die Alleinerziehenden nach zehn Jahren
endlich steuerlich entlasten .
({5})
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, der
Haushalt, der Ihnen vorliegt, wird in den Beratungen
sicherlich auch deshalb noch diskutiert, weil uns ein
Thema seit Wochen und Monaten mehr bewegt als zu
der Zeit, als die Haushaltsberatungen der Bundesregierung stattfanden: Viele Flüchtlinge kommen zu uns nach
Deutschland . Die Schicksale der Flüchtlinge, insbesondere der Familien mit Kindern, die Herausforderungen
und die überwältigende Hilfsbereitschaft der Menschen
in unserem Land - die Bundesregierung reagiert darauf .
Auch das wird sich im Haushalt des Bundesfamilienministeriums wiederfinden müssen.
Wir, die wir diesen Fachbereich gemeinsam vertreten,
loben seit langem das ehrenamtliche Engagement . Aber
seien wir einmal ehrlich: Es wurde in den letzten Jahren
oft nicht genügend beachtet, auch in der Öffentlichkeit
nicht . Deshalb bin ich froh und dankbar, dass jetzt viele
sehen, wie wichtig ehrenamtliches Engagement in unserem Land ist, in der Flüchtlingsarbeit, aber nicht nur dort .
Daher ist es wichtig, dass wir auch durch unser Haus das
ehrenamtliche Engagement unterstützen .
({6})
Das zeigt sich darin, dass es uns nach Jahren endlich
gelungen ist, eine Sicherung der Mehrgenerationenhäuser zu erreichen . Wir haben im Haushalt 2016 die Mehrgenerationenhäuser abgesichert und eine Möglichkeit
gefunden, dieses Geld zu verstetigen . An dieser Stelle
herzlichen Dank Ihnen allen, die sich für die Mehrgenerationenhäuser engagiert haben .
({7})
Wir werden den Bundesfreiwilligendienst um
10 000 Plätze aufstocken . Wir schaffen damit gezielt
neue Plätze, um den Bundesfreiwilligendienst in der
Flüchtlingsarbeit einzusetzen, um das freiwillige Engagement, das vor Ort da ist, zu unterstützen . Wir wollen,
dass sich in diesem Bundesfreiwilligendienst Leute, die
hier schon leben, für Flüchtlinge engagieren . Wir wollen aber auch, dass Flüchtlinge, die anerkannt sind und
eine Arbeitserlaubnis haben, Freiwilligendienst machen
können . Denn auch Flüchtlinge bringen Potenziale mit .
Auch ihre Möglichkeiten, ihre Hilfsbereitschaft sollten
wir nutzen . Deshalb wird es ein Bundesfreiwilligendienst
sein, der auch der Integration dienen wird .
({8})
Um Engagement, Begegnungen mit Flüchtlingen, insbesondere mit Kindern und Jugendlichen, geht es auch
bei der „Aktion Zusammenspiel“, die im Rahmen des
neuen Bundesprogrammes „Willkommen bei Freunden“
stattfinden wird; dies wird durch unser Haus finanziert.
Diese Aktion wird vom 11. bis 20. September stattfinden . Wir machen überall Aktionen gemeinsam mit jungen Flüchtlingskindern . Ich werbe dafür, dass Sie sich
in Ihren Wahlkreisen daran beteiligen . Unterbringung,
Versorgung und Integration sind das eine, aber Menschen
finden erst dann hier eine neue Heimat, wenn sie mit Einheimischen zusammenkommen . Das ist ein Gewinn für
diejenigen, die zu uns kommen, aber auch ein Gewinn
für uns . Deswegen wollen wir mit dem Programm „Willkommen bei Freunden“ diese Begegnungen unterstützen .
({9})
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, in diesen Tagen wird viel davon gesprochen, dass Integration
wichtig ist . Und das stimmt . Ich warne davor, dass wir
nicht wieder die Fehler machen, die vielleicht in den
60er- und 70er-Jahren passiert sind, als man sich vor
allem auf die Arbeitsmarktintegration insbesondere der
Männer konzentriert hat und nicht so sehr die Frauen und
Kinder im Blick hatte . Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Integration nicht erst am Arbeitsmarkt beginnt . Sie beginnt ganz früh; sie beginnt bei den Kindern .
Es ist wichtig, dass die Kinder der Flüchtlinge, die zu
uns kommen, eine Kita besuchen können, in die Schule
gehen und dort die Sprache lernen,
({10})
aber vor allem Freunde finden. Das ist ganz wichtig. Das
ist der Schlüssel für Integration .
({11})
Deswegen kommen in diesem Bereich neue Herausforderungen auf uns zu . Wir werden mehr Plätze in Kitas
brauchen, auch für die Flüchtlingskinder . Wir werden
mehr Plätze brauchen, weil wir endlich seit zehn Jahren
mehr Geburten haben . Notwendig sind eine gute Qualität, mehr Erzieher und Sprachförderung . Das ist eine
große Herausforderung . Deshalb werden wir uns diesen
Punkt noch einmal genau anschauen müssen .
Eine Sache ist mir dabei wichtig. Ich finde es falsch,
die Kosten danach einzuteilen: Das brauchen wir für die
Flüchtlingskinder, und das brauchen wir für die anderen
Kinder . Für mich gehören die Kinder zusammen .
({12})
Es ist mir egal, ob sie hier geboren oder zu uns gekommen sind . Wichtig ist, dass sie alle die gleichen Bildungschancen haben .
Zum Abschluss . Es hat sich etwas verändert, seit dieser Haushaltsentwurf aufgestellt wurde: Ich meine die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das das
Betreuungsgeld für verfassungswidrig erklärt hat . Ich
habe mich dafür eingesetzt, dass wir die größtmögliche
Vertrauensschutzregelung bekommen, das heißt, alle Eltern, die bisher Betreuungsgeld bekommen bzw . einen
positiven Bescheid haben, erhalten es bis zum Ende der
vorgesehenen Bezugszeit . Das ist eine Frage des Vertrauens auf eine Leistung . Nun muss sich die Politik darüber
Gedanken machen - sie hat ja eine Leistung versprochen,
die es nicht mehr geben kann -, was sie ab 2016, 2017
mit den frei werdenden Mitteln macht . Über diese Entscheidung muss noch in der Koalition diskutiert werden .
Ich werbe angesichts der Herausforderungen für die
Familien, die ich Ihnen skizziert habe, dafür, dass wir
dafür sorgen, dass diese Gelder, auf welchem Weg und
über welche Technik auch immer weiter bereitstehen,
und dass wir weiter die Familien unterstützen . Bei den
Fragen, wie wir mehr Zeit für Familien, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und gute Kitas ermöglichen können, aber auch bei den Geldleistungen für die
Familien geht es nicht um ein Wunschkonzert;
({13})
es geht um notwendige Unterstützung . Die Familien sind
die Leistungsträger in unserer Gesellschaft . Männer und
Frauen, die jeden Tag arbeiten gehen, die sich gleichzeitig für Kinder entscheiden, haben dafür gesorgt, dass
wir ein Steuerplus haben . Sie sind diejenigen, die zu den
43 Millionen Erwerbstätigen gehören, die Bundesfinanzminister Schäuble sehr positiv erwähnt hat . Deswegen
brauchen sie unsere Unterstützung . Dafür werbe ich um
Ihre Unterstützung .
({14})
Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin, wir alle wissen - Sie haben
es eben angesprochen -, dass der uns vorliegende Haushaltsentwurf grundlegend überarbeitet werden muss und
dass es dafür zwei Gründe gibt . Einen haben Sie gerade
genannt: Das Bundesverfassungsgericht hat die Einführung des Betreuungsgeldes durch den Bund für verfassungswidrig erklärt . Sie haben schon ein sehr emotionales Plädoyer dafür gehalten, wie das frei werdende Geld
eingesetzt werden soll . Auch wir haben dazu Vorschläge .
Ich bin sehr gespannt auf unsere Debatte in den Haushaltsberatungen .
Zweitens . Auch in Ihrem Ministerium, Frau Ministerin - das haben Sie ebenfalls angesprochen -, und insbesondere in den Bereichen Familie, Jugend und Zivilgesellschaft muss auf die enormen Herausforderungen im
Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise eingegangen werden .
Gestern hatten wir hier im Plenum die Debatten
zur Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik .
Topthema in allen Debatten waren dabei die Flüchtlinge und alles, was mit ihnen zusammenhängt . Wir haben
gestern darüber diskutiert: Wie können wir für eine humane Aufnahme sorgen? Wie können wir die Fluchtursachen effektiv bekämpfen? Wie können wir die Not und
das Leid der Menschen während ihrer Flucht lindern?
Nach Beantwortung dieser Fragen ist es aber eine mindestens ebenso große Aufgabe, die Menschen, die zu
uns kommen, schnell und gut in unsere Gesellschaft zu
integrieren . Dafür ist es nicht nur notwendig, dass die
Flüchtlinge den Willen haben, sich zu integrieren, sondern genauso wichtig für das Gelingen dieser Aufgabe
ist auch, dass unsere Gesellschaft bereit dafür ist, die
Menschen aus den Kriegsgebieten aufzunehmen . Genau
an diesem Punkt, Frau Ministerin, muss Ihr Ministerium
meines Erachtens eine viel stärkere Rolle spielen . Meines Erachtens könnte Ihr Ministerium an diesem Punkt
sogar eine zentrale Rolle spielen .
Wir alle freuen uns darüber, dass so viele Menschen
ehrenamtlich helfen, den Männern, Frauen und Kindern,
die zu uns kommen und die oft Wochen und Monate auf
der Flucht unter katastrophalen Bedingungen gelebt haben, ihre Ankunft hier so erträglich wie möglich zu gestalten . Aber genauso müssen wir entsetzt zur Kenntnis
nehmen, dass Flüchtlinge und deren Helfer immer wieder angepöbelt und angegriffen werden und dass zum
Teil auch Flüchtlingsunterkünfte in Flammen aufgehen;
Heidenau ist dafür exemplarisch .
Ich erinnere mich, wie wir alle letztes Jahr hier darüber diskutiert haben, dass wir mehr Geld brauchen:
zur Unterstützung von Projekten und Initiativen gegen
Rechtsradikalismus, gegen Rassismus, gegen Fremdenfeindlichkeit allgemein - wenn man es auf den Punkt
bringen will -, zur Stärkung der Zivilgesellschaft und
gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit . Damals
debattierten wir in einem politischen Kontext, der noch
geprägt war von den Morden des NSU und den Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses, mehr Geld
gegen Rassismus und gegen Fremdenfeindlichkeit in die
Hand zu nehmen .
Damals war die Zeit, als Pegida und die Hooliganszene
anfingen, sich zu formieren, angeblich zum Schutz des
Abendlandes vor Überfremdung . Das ist vielen schon
wieder entglitten; das ist gar nicht mehr so sehr im öffentlichen Bewusstsein . Aber die Menschen, die sich an
den Demonstrationen von Pegida in Dresden und andernorts beteiligt haben, sind immer noch da . Ich glaube
nicht, dass sie ihre Meinung inzwischen geändert haben .
Ich glaube auch nicht, dass sich die Menschen, die an
den Demonstrationen teilgenommen haben, jetzt, da so
viele Menschen bei uns um Schutz vor Krieg und Terror
bitten, eines Besseren belehren lassen . Ich befürchte, das
Gegenteil ist der Fall . Genau aus diesem Grund kommt
meines Erachtens Ihrem Ministerium in den nächsten
Jahren solch eine Bedeutung zu . Hier liegt der Schlüssel,
etwas dafür zu tun, die Zivilgesellschaft zu stärken, etwas gegen fremdenfeindliche Einstellungen zu unternehBundesministerin Manuela Schwesig
men und somit dazu beizutragen, dass unsere Menschen
zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit sind .
Konkret würde das, an drei Punkten festgemacht, Folgendes bedeuten:
Erstens . Wir dürfen bei der Jugendhilfe nicht, wie in
Ihrem Plan vorgesehen, kürzen, schon gar nicht in den
Bereichen politische Bildung, Partizipation oder - das ist
völlig inakzeptabel; darüber haben Sie aber nicht gesprochen - bei der Integration junger Menschen mit Migrationshintergrund . Selbst ohne die aktuelle Flüchtlingssituation ist der Vorschlag, hier 12 Millionen Euro zu kürzen,
meines Erachtens nicht wirklich gut durchdacht .
({0})
Zweitens . Wir dürfen das Programm „Demokratie leben!“ nicht einfach so fortführen, als gäbe es keine neue
Situation . Wir brauchen dringend eine neue Förderrunde mit mindestens 40 Millionen Euro zusätzlich, und
diesmal muss der Schwerpunkt ganz klar auf Basisinitiativen liegen statt bei Modellen oder im administrativen Bereich . Sicherlich ist das auch alles wichtig, aber
jetzt geht es darum, die Vereine zu stärken, die täglich
mit jungen Menschen soziale Arbeit gestalten . Dort entstehen nämlich die Netzwerke, die das Fundament einer
widerstandsfähigen Zivilgesellschaft bilden .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Förderung
muss zwingend auf eine institutionelle, also auf eine
dauerhafte Förderung umgestellt werden, statt immer
nur ein- oder mehrjährige Projektförderung vorzusehen .
Denn die Nazis lösen sich schließlich nicht auf, wenn ein
Projekt ausgelaufen ist . Dauerhafte Aufgaben müssen
auch dauerhaft finanziert werden.
({2})
Das heißt im Übrigen auch, dass die mittelfristige Finanzplanung korrigiert werden muss . Darin sind nämlich
ab dem Jahr 2017 wieder nur 30 Millionen Euro vorgesehen .
({3})
Drittens . Die Jugendfreiwilligendienste dürfen nicht
stagnieren, wie derzeit im Haushaltsplan vorgesehen,
sondern, im Gegenteil, sie müssen aufgestockt werden .
Wenn sich junge Menschen im Freiwilligen Sozialen
Jahr oder im Internationalen Jugendfreiwilligendienst
engagieren wollen, dann müssen wir das fördern, weil
sie dort lernen, zu helfen . Diese Dienste sollten auch verstärkt im Bereich der Flüchtlingshilfe angeboten werden,
Frau Ministerin .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir es schaffen wollen, die Flüchtlinge gut und sicher in unsere Gesellschaft zu integrieren, dann dürfen wir all diese Bereiche nicht vernachlässigen . Die Euphorie der ersten Tage,
die wir auf Bildern aus München oder anderen Orten
gesehen haben, wo die Menschen die Flüchtlinge mit
Applaus begrüßt haben, wird irgendwann verfliegen. Mit
Sicherheit werden wir auch Probleme bei der Integration bekommen . Deshalb ist es dringend notwendig, die
Zivilgesellschaft zu stärken und damit die Aufnahmebereitschaft unserer Gesellschaft zu erhöhen . Denn ich zumindest möchte auch in Zukunft noch solche Bilder von
Deutschland sehen, wie sie derzeit um die Welt gehen .
Vielen Dank .
({4})
Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher!
Wenn wir heute über den Etat des Bundesfamilienministeriums sprechen, dann steht die Debatte darüber genauso im Mittelpunkt der aktuellen Flüchtlingsthematik wie
schon die Debatten der vergangenen Tage zu den anderen
Haushalten .
Es ist schon gesagt worden: Es gibt eine große Welle
der Hilfsbereitschaft, die den Menschen entgegenschlägt,
die angesichts von Vertreibung, Krieg oder Hunger aus
Krisengebieten fliehen und nach einer langen Flucht zu
uns kommen . Sie werden hier von vielen Menschen mit
ehrenamtlichem Engagement und einer großen Welle von
Hilfsbereitschaft begrüßt . Das erschöpft sich nicht darin,
dass sie am Bahnhof mit Transparenten und Wasser begrüßt werden . In meinem Wahlkreis habe ich erlebt, dass
Menschen schon seit Monaten aktiv bei der Integration
der Flüchtlinge in ein für sie komplett fremdes Land und
in einen neuen Alltag helfen .
Dieses Engagement wollen wir auch als Familienpolitiker mit unserem Haushalt unterstützen; und wir finden in
dem Haushalt, den wir heute beraten, aber auch in dem,
was wir in den kommenden Wochen auf den Weg bringen, viele Ansatzpunkte für diese Unterstützung . Denn
wir wissen: Die Hilfsbereitschaft in den ersten Tagen und
Wochen ist das eine . Aber es wird auch darum gehen, die
Menschen, die jetzt zu uns kommen, zu integrieren, und
das sind sehr viele . Allein in diesem Jahr rechnet man mit
800 000 Menschen . Darunter sind wenige Frauen und
Kinder; es werden sicherlich noch viele nachkommen .
Es wird darum gehen, sie auch zu integrieren . Sie sollen
in unserer Gesellschaft wirklich ankommen .
Dabei ist es nicht damit getan, dass sie eine Wohnung,
eine Unterkunft und Kleidung haben, sondern Integration
ist erst gelungen, wenn die Menschen bei uns arbeiten,
bei uns leben, in die Dorfgemeinschaft integriert und
selbst ehrenamtlich tätig sowie in Sportvereinen Mitglied
sind, wie wir alle das auch tun . Das ist eine große Herausforderung für uns als aufnehmende Gesellschaft und
auch für die Menschen, die zu uns kommen .
Deshalb ist es richtig, dass wir mit diesem Haushalt
die Weichen stellen und einige neue Programme auf den
Weg bringen werden, um beiden Seiten - nämlich der
aufnehmenden Gesellschaft und den Neuankommenden - diesen Schritt zu ermöglichen .
Es ist schon angesprochen worden: Bis zu 10 000 neue
Stellen im Bundesfreiwilligendienst sollen entstehen .
Herr Leutert, sicher lesen Sie Zeitung . Sie sagten: Der
Bundesfreiwilligendienst wird nicht aufgestockt . - Wir
haben gerade beschlossen, dass er um bis zu 10 000 Stellen aufgestockt wird, um den vielen Ehrenamtlichen vor
Ort - bei den Kommunen, aber auch bei den Hilfsorganisationen - bei der Koordination der Aufgaben, bei der
Einrichtung der Wohnungen und den Flüchtlingen beim
Spracherwerb und beim Ankommen im Alltag zu helfen .
({0})
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ein pensionierter
Lehrer oder auch eine Hausfrau, die mehrere Kinder
großgezogen hat, beim Bundesfreiwilligendienst mitmacht und vor Ort mit anpackt .
Wir wollen aber auch noch - und ich bin sehr erfreut,
dass die Ministerin unseren Vorschlag aufgegriffen hat einen anderen Weg gehen . Wir wollen den Flüchtlingen,
die zu uns kommen, die Möglichkeit geben, selbst Bundesfreiwilligendienst zu leisten . Junge oder auch ältere
Flüchtlinge, die hier ankommen, sollen die Möglichkeit
haben, sich von Anfang an - sobald ihre Anerkennung
erfolgt ist - in unser Gemeinwesen einzubringen . Es ist
sehr wertvoll, dass sie die Sprache derjenigen kennen,
die hier ankommen, und dass sie die Erfahrungen, die sie
hier in den ersten Wochen gemacht haben, gleich mit einbringen und dadurch ihren Landsleuten bei der Ankunft
helfen können .
Deshalb sollten wir von diesen 10 000 neuen Plätzen
explizit Plätze für diejenigen reservieren, die selbst gerade geflüchtet sind. Das muss natürlich mit einem Sprachkurs und mit Landeskunde verbunden werden . Das geht
nicht einfach so und ist auch eine organisatorische Herausforderung, aber das ist der richtige Weg zur Integration in unsere Gesellschaft .
({1})
Wir haben daneben weitere Programme, wie etwa das
Programm „Willkommen bei Freunden“, das wir mit
12,5 Millionen Euro ausgestattet haben, und die Jugendmigrationsdienste, für die die Mittel im letzten Haushalt
aufgestockt wurden und die vor allem den jungen Menschen das Ankommen in unserem Land erleichtern .
Das alles sind richtige neue Initiativen oder alte Initiativen, die wir intensivieren .
Wenn wir auf den Haushalt schauen, den wir vorlegen,
dann können wir aber auch noch auf vieles andere stolz
sein:
Wir haben es in den letzten Jahren geschafft, die Familienpolitik zu einem der dominierenden Themen in der
Bundesregierung zu machen . Kein anderer Haushalt außer dem Bildungshaushalt - ist über die Jahre so stark
und kontinuierlich gewachsen wie unser Haushalt . In
dieser Regierung, aber auch schon in den Vorgängerregierungen unter Schwarz-Gelb und in der Großen Koalition davor haben wir bei Kindern, Familien und Frauen
einen klaren Schwerpunkt gesetzt . Unser Haushalt ist
immer gestiegen . Das kann sich sehen lassen, und darauf
können wir wirklich stolz sein .
Auch an anderen Parametern zeigt sich, dass sich die
Familienpolitik der CDU-geführten Regierungen der
letzten Jahre bewährt hat:
({2})
Endlich kommen mehr Babys zur Welt . Im letzten Jahr
waren es 33 000 Babys mehr als im Jahr davor . Das ist
eine Steigerung von knapp 5 Prozent .
Der Trend, dass vor allem Akademikerinnen kinderlos
bleiben, ist eindeutig gestoppt .
Die Familienfreundlichkeit in unserem Land hat zugenommen . Viele Studien bescheinigen uns, dass wir auf
dem Weg hin zu einer Gesellschaft, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht, die Partnerschaft
stärkt und die Familienfreundlichkeit erhöht, sehr erfolgreich sind .
({3})
Darauf können wir uns aber nicht ausruhen . Das ist eine
Aufgabe für die nächsten Jahre .
Wir sind sehr stolz darauf, dass wir die Familien in
diesem Jahr und in den kommenden Jahren um 5 Milliarden Euro entlasten . Wir sind auch sehr stolz darauf, dass
wir die Elternzeit weiter flexibilisieren konnten und dass
die massiven Steigerungen beim Elterngeld, die so nicht
eingeplant waren - da schaue ich einmal unsere Haushälter in den Reihen an -, von allen Kollegen des Deutschen
Bundestages jedes Jahr ohne Murren mitgetragen wurden . Es ist nicht selbstverständlich, dass den Familien
ein so großer Teil der Mittel aus unserem Haushalt zur
Verfügung gestellt wird . Deshalb muss es unser erstes
Ziel sein, das Elterngeld, das eine der beliebtesten Leistungen für junge Familien in unserem Land ist, für die
Zukunft zu sichern . Dazu wollen wir alle Möglichkeiten
nutzen . Das betrifft auch die freiwerdenden Mittel aus
dem Betreuungsgeld . Wir können nicht riskieren, dass
eine Leistung, die so anerkannt ist wie das Elterngeld,
gefährdet ist, weil eine mögliche Kostenexplosion nicht
tragbar wäre .
({4})
Wir investieren in den Kitaausbau, zum einen mit
dem Investitionsprogramm für die Kitas, zum anderen
mit dem neuen Programm „KitaPlus“ mit 100 Millionen
Euro . Wir setzen das Programm „Schwerpunkt-Kitas
Sprache & Integration“ fort . Dieses Programm ist nicht
im Zuge der Flüchtlingskrise entstanden, also nichts
Neues . Es läuft schon einige Jahre; denn wir hatten schon
immer Migranten, junge Schülerinnen und Schüler sowie
Kindergartenkinder mit Sprachproblemen, um die wir
uns gekümmert haben . Deshalb war es uns als Union ein
Anliegen, dass die Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen weiter vom Bund finanziert wird.
Auch das Ehrenamt ist uns ein wichtiges Anliegen .
Damit meine ich nicht nur das wunderbare ehrenamtliche
Engagement im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise .
Nadine Schön ({5})
Viele Menschen in unserem Land sind seit vielen Jahren
ununterbrochen ehrenamtlich aktiv: bei Hilfsorganisationen, in Sportvereinen, in der Nachbarschaftshilfe . Ich
habe ein bisschen Angst, dass dieses Engagement durch
das Engagement für Flüchtlinge, das in diesen Tagen zu
Recht in den Medien gezeigt wird, etwas unter den Tisch
fällt . Genau das darf nicht passieren . All die ehrenamtlich
tätigen Menschen in unserem Land, die sich seit Jahren
für unsere Gesellschaft einsetzen, verdienen unseren Respekt, unsere Anerkennung und unsere Unterstützung .
Das muss man immer mit bedenken, wenn man zurzeit
den Ehrenamtlichen dankt, die in der Flüchtlingshilfe engagiert sind .
({6})
Ein Kumulationspunkt für dieses ehrenamtliche Engagement sind die Mehrgenerationenhäuser . Hier kommt
alles zusammen, was an ehrenamtlichem Engagement
über die Generationen hinweg, aber eben auch für einzelne Gruppen in der Gesellschaft geleistet wird: von der
PEKiP-Gruppe über die Kinderbetreuung bis hin zum Senioren-Rommé, Computerlernkurse und vieles mehr . All
das wird in den Mehrgenerationenhäusern geleistet . Wir
konnten dieses großartige Engagement für die Zukunft
sichern . Die Finanzierung der Mehrgenerationenhäuser
ist für die nächsten Jahre gesichert . Auch hier danke ich
den Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, denen das ebenfalls ein echtes Anliegen war .
({7})
Wir investieren in den Kinderschutz und in den Opferschutz . Das Programm „Frühe Hilfen“ werden wir
fortsetzen . Gleiches gilt für die Mittel für die Opfer der
Heimerziehung . Auch hier wurden die Mittel verstetigt .
Das sind gute Signale, gute Botschaften an all die Menschen, die davon betroffen sind .
Man kann sagen, dass wir auf der einen Seite den neuen Herausforderungen, die auf uns zukommen, gerecht
werden, indem wir die Flüchtlinge und die Menschen,
die sich um die Flüchtlinge kümmern, unterstützen, dass
wir auf der anderen Seite aber für alle anderen Menschen in unserem Land, vor allem für die Familien, die
richtigen Weichen stellen und ihnen jede Unterstützung
zukommen lassen, die möglich ist . Zusammen mit den
Ländern und Kommunen, mit den Unternehmen und mit
vielen Bürgerinnen und Bürgern wollen wir auf diesem
Weg weitergehen .
Ich danke allen, die die Haushaltsberatungen in den
kommenden Wochen konstruktiv begleiten werden . Sicher kann man sich immer mehr wünschen und vorstellen . Aber es liegt eben in der Natur des Haushaltes - und
darum muss es uns gehen -, die richtigen Schwerpunkte
zu setzen . Ich freue mich auf die Beratungen .
Herzlichen Dank .
({8})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Ekin Deligöz das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
in diesem Einzelplan gibt es Ausgabensteigerungen, wie
in anderen Einzelplänen auch . Die sind an vielen Stellen
richtig und wichtig . Sie beruhen auf gesetzlichen Leistungen . Nehmen wir das Beispiel Elterngeld, Frau Kollegin Schön . Das ist eine gesetzliche Leistung, und es war
von Anfang an intendiert, dass die Mittel steigen; denn
sie wollten dadurch insbesondere die Männer motivieren, sich aktiv in die Elternarbeit einzubringen . Das tun
sie jetzt, und das müssen wir finanzieren. Das ist nichts,
wofür man sich bedanken muss, sondern muss schlicht
finanzieren werden, weil es eine gesetzliche Leistung ist.
({0})
Trotzdem finde ich, Frau Ministerin, kann man mit all
dem eigentlich nicht zufrieden sein . Es gibt einen Anspruch an diesen Haushalt, an Ihr Haus und an diese Gesellschaft . Vor allem gibt es den Anspruch, massiv in die
Zukunft dieses Landes zu investieren, wenn die Finanzmittel die Möglichkeit dazu geben . Genau das müssten
Sie leisten . Und da sehe ich schon ein paar Versäumnisse,
die ich hier aufzählen will:
Erstes Versäumnis . Wir brauchen dringend Maßnahmen in Bezug auf die Kitaqualität .
({1})
Dafür brauchen wir entsprechende Finanzmittel . Die
Qualitätsfrage brennt uns schon seit langem auf den Nägeln . Das wird eher noch dringender werden . Ich verstehe
den Widerstand der CDU/CSU-Fraktion, ehrlich gesagt,
überhaupt nicht . Ich verstehe nicht, dass Sie sich nicht
den Ruck geben können, zu sagen: Diese freiwerdende
Milliarde beim Betreuungsgeld gehört den Kindern; sie
gehört dahin, wo es dringend notwendig ist, und wo es
bei den Kindern ankommt, nämlich Kindertagesstätten
und Tagesmütter dieses Landes .
({2})
Sie könnten das so schön als Zukunftsinvestition deklarieren . Damit könnten Sie sich rühmen . Geben Sie sich
einen Ruck! Das ist dringend notwendig .
Zweites Versäumnis . Alleinerziehende werden in diesem Land immer noch alleingelassen . Sie sind in unseren
Armutsstatistiken an erster Stelle zu finden. Alleine zu
erziehen, ist in diesem Land ein Armutsrisiko . Das ist
beschämend . Sie brauchen als Antwort etwas mehr als
Kosmetik, und selbst die Kosmetik verschwindet in diesem Haushaltsplan . Das ist zu wenig . Da müssen wir entschlossen handeln . Meine Fraktion hat dazu auch schon
einiges an Ideen vorgelegt .
({3})
Drittes Versäumnis . Eine Reform der Ehe- und Familienförderung - ich rede hier von einer Reform und
nicht nur von kleinen Änderungen - wäre vernünftig . Es
gibt in Sachen Familienförderung mit den Freibeträgen
Nadine Schön ({4})
für wohlhabende Familien ein Weiter-so . Es ist weiter so,
dass das Splitting den Trauschein fördert . Leider gibt es
auch bei der Kinderarmut ein Weiter-so . In diesem Land
sind Alleinerziehende vorwiegend jung und weiblich .
Dagegen müssen wir entschlossen Konzepte vorlegen . Es
ist mehr nötig, als nur den Kinderzuschlag ein bisschen
zu erhöhen . Wir brauchen eine Reform, die bedeuten
würde, dass wir für Kinderarmut in diesem Land keinen
Platz haben . Der setzen wir entschieden etwas entgegen .
({5})
Viertes Versäumnis . Das vierte Versäumnis betrifft die
Zeitpolitik . Ja, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch eine Frage der Infrastruktur, aber nicht nur;
sie hat auch etwas mit der Kultur und der Arbeitswelt in
diesem Land zu tun, mit Möglichkeiten, die wir schaffen müssen . Sie haben das angekündigt; aber Sie sitzen
das Thema aus . Wir werden nicht zulassen, dass Sie es
aussitzen, und werden Ihnen dazu konkrete Vorschläge
unterbreiten .
Fünftes Versäumnis . Zivilgesellschaftliches Engagement gegen rechts ist in diesem Land immer noch unterfinanziert. Es sind zu wenig Mittel dafür vorhanden. Ja,
richtig, wir hatten eine Mittelaufstockung . Die war richtig und wichtig . Wir haben aber zeitgleich noch die Modelle gegen Islamismus mit hineingepackt . Damit wurde
das Ganze de facto wieder aufgefressen . Da brauchen wir
wirklich Verbesserungsvorschläge .
Wenn man die Zeitung aufschlägt, merkt man erst,
wie wichtig diese Maßnahmen und Projekte sind . Es vergeht kein Tag, an dem wir - leider, leider - nicht von
rechtsextremistischen Taten in diesem Land lesen . Das
ist die Kehrseite der Debatte, auch der Debatte über die
Flüchtlinge . Es ist gut und wichtig, dass so viele Menschen ehrenamtlich arbeiten . Wir alle loben in unseren
Reden, dass sie aufstehen, Zivilcourage zeigen und auf
die Straße gehen . Aber wir dürfen diese Menschen nicht
alleinlassen . Wir müssen ihnen Rückendeckung geben .
Dazu gehört, dass wir im Kinder- und Jugendhilfeplan
entsprechende Maßnahmen einführen und in diesem
Haushaltsplan die Modelle gegen Rechtsextremismus
zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie stärker in den Vordergrund stellen und finanziell viel stärker
abbilden, damit diese Menschen ihre Arbeit tun können
und sich nicht alleingelassen fühlen .
({6})
Dass die Mittel für den Bundesfreiwilligendienst erhöht werden, ist ein gutes Zeichen .
({7})
Aber lassen Sie das nicht eine singuläre Maßnahme sein;
denn diese vielen Freiwilligen brauchen eine Basis für
ihre Arbeit . Diese Basis ist im Kinder- und Jugendhilfeplan gegeben; diesen sollten wir genauer lesen . Darüber
müssen wir noch einmal beraten .
Darauf, was mit den Frühen Hilfen passiert, bin ich
gespannt . Ich glaube, dass die Debatte über die Frühen
Hilfen noch lange nicht zu Ende ist . Vielmehr brauchen
wir dort weitere Anstrengungen . Wir werden Sie dabei
gerne konstruktiv begleiten . Im Moment kann ich leider
noch nichts erkennen .
Es gibt noch einen Punkt, der mir ein persönliches
Anliegen ist . Das ist die Aufarbeitungskommission für
sexuellen Missbrauch . Leider konnte ich im gesamten
Haushaltsplan keine finanziellen Mittel dafür identifizieren . Es wurde auch nichts in irgendeinem Titel vermerkt .
Aber wir alle gemeinsam haben in diesem Haus den parlamentarischen Willen formuliert, eine solche Aufarbeitungskommission einzusetzen .
({8})
Das bedeutet auch, dass wir die Mittel dafür zur Verfügung stellen müssen, und zwar rechtssicher, und dass
wir den Beauftragten nicht zu einem Bittsteller werden
lassen . Ich erwarte dazu ein klares Bekenntnis im Haushaltsausschuss .
({9})
Frau Ministerin, wie Sie sehen, ist der Anspruch zu
Recht sehr hoch . Der Anspruch ist, dass wir die Kultur in
diesem Land im Sinne der Kinder, der Mütter und all der
anderen Menschen, die Sie im Rahmen des Haushaltsplans vertreten, verändern . Kultur verändern braucht
aber auch sehr viel Mut, manchmal auch gegenüber Ihrem Koalitionspartner. Setzen Sie sich durch! Wir finden,
dass uns nichts Besseres passieren kann, als in die Zukunft der Kinder und Jugendlichen in diesem Land zu
investieren .
({10})
Das Wort hat die Kollegin Petra Crone für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Die
Aufstellung des Haushalts 2016 möchte ich nutzen, um
einen kleinen Blick zurückzuwerfen, keinen Blick zurück
im Zorn - keine Sorge -, sondern einen Blick zurück in
Freude; denn wir haben eine ganze Menge gemeinsam
geschafft . Die SPD hat lang ersehnte Akzente setzen können . Mehr als das: Akzente wurden zu Gesetzen .
({0})
Anfang März gab es einen historischen Meilenstein
für uns alle zu feiern: das Gesetz zur gleichberechtigten
Teilhabe in Führungspositionen, die Frauenquote .
({1})
Endlich ist Schluss mit dem Schneckentempo . Vorbei die
Zeit der freiwilligen Selbstverpflichtung! Ich will, dass
die betroffenen Unternehmen bis zum 1 . Januar 2016 die
Quote von 30 Prozent erreichen; denn jetzt sind die Frauen dran . Sie werden zu Entscheiderinnen in Führungsetagen .
({2})
Ich möchte von den Unternehmen Lösungen sehen,
wie sie die Frauen auf mehr Verantwortung im Beruf vorbereiten und welche Anstrengungen sie unternehmen, um
geeignete Bewerberinnen zu finden. Was ich nicht hören
will, sind Ausreden .
({3})
Ich finde auch nicht, dass wir Energien in die Idee der
sogenannten Männerzertifikate, also den Handel mit
männlichen Posten entsprechend den CO2-Verschmutzungsrechten, stecken sollten . Manchmal stehen Dinge
in der Zeitung! Ich weiß auch nicht so recht, ob das ernst
gemeint ist .
Mit der Frauenquote ist der Anfang gemacht . Was
fehlt? Die gleiche Entlohnung von Frauen und Männern
ohne Einschränkung!
({4})
Die Gleichstellung der Geschlechter wird auf dem Arbeitsmarkt entschieden . Deshalb werden wir noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz für Lohngerechtigkeit
beschließen .
({5})
Die SPD will ein Individualrecht . Arbeitnehmer sollen jederzeit Auskunft von Arbeitgebern über die Unterschiede
in der Bezahlung verlangen können . Wir werden auch darüber sprechen, mit welchen verbindlichen Verfahren wir
Diskriminierungen bei Lohn und Gehalt beseitigen . Ich
freue mich schon auf die Verhandlungen . Es ist wichtig,
dass wir dieses Gesetz gemeinsam schaffen .
({6})
Ein weiterer Grund für einen Blick zurück in Freude
ist die Ausweitung der Familienpflegezeit, die zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft trat. Ich finde, wir haben gute
Antworten auf die Frage vieler Familien gefunden, ob
und wie sich Pflege in und mit den eigenen Lebensverhältnissen organisieren lässt . Aber es gilt: Das Bessere ist
der Feind des Guten . Deshalb müssen wir weitere, bessere gesetzliche Schritte gehen, um Frauen und Männern
diese eh schon schwere Aufgabe auch im Einklang mit
ihrer Erwerbstätigkeit zu erleichtern . Deshalb danke ich
Ihnen, liebe Ministerin Manuela Schwesig und Ihrem
Haus, für die Vorschläge zum Haushalt . Wir müssen die
Möglichkeiten der Familienpflegezeit offensiver bewerben und bekannter machen . Hilfreich werden die Erhöhungen der Mittel für Darlehen im Haushalt 2016 und die
Einsetzung eines Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege
und Beruf sein .
Wenn sich Frauen und Männer entscheiden, die schwere Aufgabe der Pflege als Beruf auszuüben, brauchen sie
von uns umso mehr die bestmögliche Unterstützung .
({7})
Denn wir alle, unsere ganze Gesellschaft, brauchen Pflegerinnen und Pfleger, die den Menschen mit Körper,
Geist und Seele im Blick haben, zum Beispiel auch die
Vorstellungen und Bedürfnisse älterer Menschen aus anderen Kulturen . So wünschen wir uns auch mehr professionelle Pflegende mit Migrationshintergrund. Durch die
Reform der Pflegeberufe wollen wir die Attraktivität der
Ausbildung verbessern, die Mobilität zwischen den verschiedenen Pflegeberufen steigern und dadurch die Ausbildungsqualität erhöhen .
Als Seniorenpolitikerin freue ich mich natürlich besonders - das ist schon ein paarmal angeklungen -, dass
für das „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser“ ab
2016 Mittel in Höhe von 14 Millionen Euro zur Verfügung stehen . Die Arbeit der 450 Häuser ist unverzichtbar
geworden, gerade in diesen Tagen . In mehr als 213 Häusern gab es über 900 Angebote für Flüchtlinge .
({8})
Das ist der beeindruckende Stand von vor Monaten, also
bevor die vielen Menschen Deutschland erreichten . Stellen Sie sich dieses beeindruckende Engagement heute
vor! Die gemeinsame Arbeit für und mit Flüchtlingen ist
häufig auch eine Arbeit von Seniorinnen und Senioren,
und ihnen möchte ich heute ganz ausdrücklich ein herzliches Dankeschön sagen für ihre Tatkraft, ihre Herzenswärme und ihre Zeit .
({9})
Endlich kann ich jetzt etwas von dem zurückgeben,
was ich selbst als junge Frau erfahren durfte, nämlich offene Arme und helfende Hände .
Das sind die Worte einer 81-jährigen Frau, die in einem
Mehrgenerationenhaus anpackt .
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
({10})
Der Kollege Norbert Müller hat für die Fraktion Die
Linke das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Werte Frau Bundesministerin Schwesig! Liebe
Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen! Frau
Schwesig, Sie wissen, im familienpolitischen Bereich
hätten Sie eine große Einigkeit in diesem Haus, weil viele
Ihrer Vorschläge, die wir über die Medien nachvollziehen
können, auf Zustimmung bei SPD, Grünen und Linken
stoßen . Sie suchen diese Einigkeit nicht . Nichtsdestotrotz
hätte ich beim vorliegenden Haushalt erwartet, dass sich
zumindest die Handschrift der Sozialdemokraten etwas
deutlicher kenntlich macht, als wir das in der gegenwärtigen Vorlage nachvollziehen können .
({0})
- Ich werde Ihnen das auch belegen .
Ich kann nicht nachvollziehen, dass es in den großen
Blöcken in diesem Haushalt, über die wir in den letzten
Monaten - Stichwort „Kinderarmut“ - geredet haben,
in irgendeiner Form nennenswerte Bewegungen gegeben hätte . Aber Sie stärken zur Gesichtswahrung der
SPD vielfach präsentierte Vorhaben, die ich jetzt einmal
Schaufensterprojekte nenne, auch wenn sie das eine oder
andere Gute enthalten, mit relativ kleinen Summen . Auf
aktuelle Entwicklungen, die uns begegnen, gehen Sie im
Haushalt relativ wenig oder gar nicht ein . Ich will Ihnen
das an drei Beispielen belegen .
Erster Punkt . Zu den jungen Flüchtlingen hat mein
Kollege Leutert schon einiges gesagt . Der uns inzwischen
vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Umverteilung
der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge - wir kommen in der nächsten Sitzungswoche dazu - enttäuscht . Er
enttäuscht in Bezug auf den Haushalt in einem zentralen
Punkt, nämlich in dem Punkt der Finanzierung durch den
Bund . Es geht in der gegenwärtigen Situation überhaupt
nicht, hier null Euro einzustellen und zu erwarten, dass
die bundesweite Umverteilung der vielen jungen Menschen funktioniert . Ich kann Ihnen sagen: Wenn jeder syrische Flüchtling, der gerade in Eisenhüttenstadt, in der
Erstaufnahmeeinrichtung von Brandenburg, ankommt,
1998 geboren ist, dann wissen wir, was auf die Kinderund Jugendhilfe gegenwärtig zukommt . Wenn der Bund
die Länder und Kommunen bei der bundesweiten Umverteilung völlig alleinlässt, dann funktioniert das nicht .
Wir brauchen einen Einstieg des Bundes in die Finanzierung, um Unterbringung und Integration zu ermöglichen
bzw . zu verbessern .
({1})
Wenn die Jugendmigrationsdienste ausgebaut werden,
ändert das auch nichts . Die 7 Millionen Euro sind gut
angelegt, aber das kompensiert natürlich nicht die anderen Probleme . Auch das Programm „Willkommen bei
Freunden“ ist gut, so wie es ist, aber es hilft nichts in
der zentralen Frage der Unterbringung und der Integrationsmaßnahmen . Das bleibt an Ländern und Kommunen
hängen, gerade bei den jungen Flüchtlingen, bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen .
Wir kennen die schwierige Lage der Kinder- und Jugendhilfe in den Kommunen und wissen auch, dass die
chronische Unterfinanzierung der sozialen Infrastruktur
sich dort gegenwärtig rächt . Der Bund ist gefragt, und er
drückt sich an der Stelle .
Dann kommt der Hammer . Wie Sie die 10 000 Stellen beim Bundesfreiwilligendienst hier ein Stück weit
abgefeiert haben, kann ich nicht nachvollziehen . Das
Engagement der Menschen, das wir im Fernsehen gesehen haben, darf nicht ausgenutzt werden, um die in den
letzten Jahren weggesparte soziale Infrastruktur - sie
fehlt uns jetzt - zu ersetzen . Wenn man die Zustände vor
dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin
und auch vor diversen Erstaufnahmeeinrichtungen in den
Ländern sieht, dann kann man das nur als Staatsversagen
bezeichnen . Wir sehen dort: Soziale Infrastruktur fehlt
völlig. Häufig sind die Kommunen und Länder mit dem,
was passiert, völlig überfordert, weil man in den letzten
Jahren der Ideologie des schlanken Staates gefolgt ist,
weil die Kinder- und Jugendhilfe nicht ausfinanziert ist,
weil die Ämter nicht ordentlich ausfinanziert sind, weil
Sozialarbeiter fehlen etc . pp . Die öffentliche Daseinsvorsorge hat sich an vielen Stellen rar gemacht . Das können
wir nicht ausschließlich mit Freiwilligen kompensieren,
die ein Taschengeld dafür bekommen . Wir brauchen eine
Stärkung des Sozialstaats, um den gegenwärtigen Herausforderungen wieder gewachsen zu sein .
({2})
Zweiter Punkt . Das Mindestelterngeld wurde seit
2007 nicht erhöht . Das geht überhaupt nicht . Das Mindestelterngeld beträgt 300 Euro . Zur Kaufkraft: Die
300 Euro bei der Einführung 2007 entsprechen heute
noch etwa 270 Euro . Wir wissen, dass etwa jeder dritte Elterngeldempfänger Mindestelterngeld bezieht . Eine
Erhöhung auf 334 Euro wäre schon 2014 nötig und auch
angebracht gewesen . Sie ist 2014 nicht geschehen . Sie ist
2015 nicht geschehen . Sie ist auch in diesem Haushalt für
2016 nicht vorgesehen . Auf eine Anfrage meines Fraktionskollegen Jörn Wunderlich hat Ihr Haus geantwortet,
dass Sie dies auch perspektivisch nicht vorsehen . Sie haben gleichzeitig formuliert - das finde ich dann schon
etwas dreist; ich zitiere -: Dauerhaft kann die finanzielle
Grundlage einer Familie doch nur durch eigene Erwerbstätigkeit gesichert werden. - Das Elterngeld finanziert
nicht dauerhaft, sondern, wie Sie wissen, für maximal
14 Monate . Diejenigen, die das betrifft, dieses eine Drittel der Elterngeldbezieherinnen und bezieher, die Mindestelterngeld bekommen, sind - auch das wissen wir - zu
90 Prozent Frauen . Für ein Bundesfrauenministerium ist
es überhaupt nicht in Ordnung, an der Stelle zu sagen:
Wir haben nicht vor, das anzuheben . - Dann nehmen Sie
wenigstens den Ausgleich des Wertverfalls der letzten
Jahre vor, damit die Leute zumindest das haben, was man
2007 bekommen hat .
({3})
Das wäre auch eine Maßnahme gegen Kinderarmut, weil
Mindestelterngeld häufig an Familien gezahlt wird, denen es finanziell ohnehin am schlechtesten geht.
Dritter Punkt . Frau Bundesministerin Schwesig, wir
unterstützen Ihr Bemühen - das haben Sie auch von den
Grünen gehört; auch dafür hätten Sie eine parlamentarische Mehrheit -, die Betreuungsgeldmilliarde in Ihrem
Haushalt zu belassen . Ich glaube, Sie hätten dafür sogar
eine Mehrheit im Bundesrat . Auch das ist gar kein Problem . Wir würden die Mittel gern im Einzelplan 17 sichern
und für das einsetzen, wofür sie immer hätten eingesetzt
werden sollen, nämlich für den Ausbau von Kitas, für die
Kitaqualität und für eine gute frühkindliche Bildung .
({4})
Norbert Müller ({5})
In dem Punkt sind wir uns völlig einig . Wir wollen, dass
das Geld hier verbleibt .
Wenn es nach uns Linken gehen würde, wenn Sie hier
eine rot-rot-grüne Mehrheit nutzen würden, dann würden wir ein Kitaqualitätsgesetz einbringen . Die Milliarde
wäre eine gute Startfinanzierung, um zum Beispiel Qualität, Kitaausbau, Beitragsfreiheit oder auch so etwas wie
ein kostenfreies Mittagessen zu sichern und hier die Länder und Kommunen besser zu unterstützen . Da das nicht
so ist und Sie auch diese Vorschläge wieder ablehnen
werden, mache ich Ihnen einen anderen Vorschlag, der
vielleicht auch für die Union interessant ist und auf den
man sich im ganzen Haus verständigen könnte: Sie haben viel zur Integration gesagt . Es ist richtig: Wir wollen
syrische Flüchtlingsfamilien, die jetzt zu uns kommen,
integrieren . Es sind ja nicht nur junge Männer, die kommen. Es kommen sehr häufig Familien mit Kindern. „Integration“ heißt hier, Kitaplätze zur Verfügung zu stellen .
Lassen Sie uns doch die erste freiwerdende Tranche
des Betreuungsgeldes nehmen, das im nächsten Jahr
nicht mehr ausgezahlt werden wird - das werden einige
100 Millionen Euro sein -, um die Kommunen dabei zu
unterstützen, für jedes Flüchtlingskind, soweit die Eltern
es wünschen, einen kostenlosen Kitaplatz zur Verfügung
zu stellen . Das wäre eine Integrationsmaßnahme . Die
für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel wären hier
gut angelegt . Vielleicht kann sich die Union diesem Vorschlag anschließen . Sie haben viel von Integration geredet . Das wäre eine tolle Maßnahme . Das könnten wir im
Haus wahrscheinlich sogar einstimmig beschließen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Lieber Herr Müller,
ich glaube, das wird schwierig mit uns beiden . Meine
Begeisterung für diesen Vorschlag hält sich durchaus in
Grenzen .
({0})
Ich glaube, wir sollten wieder zu den wesentlichen Punkten des Haushalts kommen . In diesem Zusammenhang
sind heute drei klare Botschaften gesetzt worden .
({1})
Die erste Botschaft ist, dass es uns wie im Bundeshaushalt 2015 auch im Bundeshaushalt 2016 gelingt, keine neuen Schulden aufzunehmen . Nun kann man sagen:
Das ist eine allgemeinpolitisch wichtige Erkenntnis . Das ist aber besonders wichtig für Kinder und Familien;
denn damit schaffen wir es, den Familien, den Kindern
und Enkelkindern keine neuen Schuldenberge zu hinterlassen . Auch das ist ein Teil von Familienpolitik .
({2})
Die zweite Botschaft ist - die Frau Ministerin hat es
schon angesprochen -: Wenn man die Haushaltsdebatten verfolgt, stellt man fest, dass es zwei Bereiche gibt,
in denen seit 2005 ein enormer Aufwuchs zu verzeichnen ist . Daran zeigt sich auch die Politik der Union der
letzten Jahre . Das eine ist der Bereich Bildung und Forschung . Ich glaube, alle von uns stimmen darin überein,
dass Bildung und Forschung ein Zukunftsthema ist . Das
andere ist der Bereich Familie, wo die Ausgaben von
4,5 auf 9,2 Milliarden Euro gestiegen sind und der Etat
damit mittlerweile verdoppelt wurde . Wir investieren in
Bildung und Forschung und in Familien . Das ist gut angelegtes Geld .
({3})
Die dritte Botschaft ist: Wir reden in diesem Zusammenhang nicht nur über die 9,2 Milliarden Euro, die wir
ausgeben, sondern auch über weitere Leistungen, die
mit familienbezogenen Maßnahmen in Verbindung stehen . Das betrifft zum Beispiel das Kindergeld mit rund
40 Milliarden Euro . Es werden also aus dem Gesamthaushalt zusätzliche Leistungen für Familien bereitgestellt .
Das Betreuungsgeld - ich sage das, weil es angesprochen wurde - war ebenfalls eine Leistung, die nicht aus
dem Familienetat finanziert wurde nach dem Motto „Wir
nehmen das Geld und schauen einmal, ob wir jetzt ein
Betreuungsgeld implementieren“ . Es war auch nicht so,
dass das Geld bereitgestellt wurde nach dem Motto „Ihr
könnt einmal schauen, wo ihr es investiert“ . Alle Ressorts
haben aus ihren Einzelhaushalten Geld für das Betreuungsgeld bereitgestellt . Jetzt muss klug überlegt werden:
„Was passiert jetzt?“; da stimme ich Ihnen vollkommen
zu . Die Ministerin hat gesagt: Man muss sich Gedanken
machen . - Man muss sich aber nicht nur Gedanken darüber machen, wie man das Geld ausgibt, sondern auch
darüber, wie man damit umgeht, dass eine für die Familien wichtige Leistung nicht mehr existiert . Denn die Annahme des Betreuungsgeldes war ein Beweis dafür, dass
es eine richtige Entscheidung war, es zu implementieren .
({4})
Das Verfassungsgericht hat das Betreuungsgeld gekippt;
das ist aufgrund der Kompetenzzuweisung so . Wir wären
in der Großen Koalition aber sicherlich klug beraten, zu
überlegen, wie wir in Bezug auf die Familien, für die es
vorgesehen war und die ein Modell für ihre Betreuung
entwickelt haben, damit umgehen .
Eine Haushaltsdebatte bietet ja immer die Möglichkeit, auch noch einmal allgemein auf Grundlagen der Familienpolitik einzugehen: Wie können wir Familien stärken? Wie können wir Kindern und Jugendlichen, Frauen
und Männern gleichermaßen gesellschaftliche Teilhabe
und Selbstständigkeit ermöglichen? Wie können wir Familien in ihrer Entwicklung Entfaltungsmöglichkeiten
geben? - Wenn ich über die Grundlinien unserer Familienpolitik spreche, dann ist einiges in den letzten Jahren
erkennbar geworden .
Wir erkennen die Vielfalt der Familien an, ohne sie zu
bewerten . Wir sagen: Wir wollen den Familien nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben . Wir wollen ihnen nicht
Norbert Müller ({5})
vorschreiben, wie sie, wo sie und wann sie ihre Kinder
betreuen sollen . Vielmehr haben wir Vertrauen in die Familien, dass sie für sich entscheiden, wie sie ihr Leben
entwickeln . Wir wollen Familienleistungen aber auch in
ihrer jeweiligen Wirkung überprüfen .
({6})
Das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist
sehr zentral . Deswegen haben wir einen Rechtsanspruch
auf einen Kitaplatz entwickelt . Aber es gibt auch Familien, die ein anderes Modell entwickelt haben . Ich glaube,
dass der Staat dies nicht durch einseitige Maßnahmen
oder die einseitige Unterstützung von familienpolitischen Modellen bewerten sollte, sondern dass der Staat
allen Familien entsprechend ihren Vorstellungen Unterstützung zukommen lassen sollte .
({7})
Natürlich überlegen wir: Wie entwickelt sich die Geburtenrate? Warum steigen die Ausgaben für das Elterngeld? Die Antwort ist: Weil es zwei Folgewirkungen gibt .
Eine Wirkung ist: Es gibt mehr Geburten, und das haben
wir ja alle gewollt . Das war Ziel der Politik in den Jahren
2005 bis 2010 .
({8})
Es ist gut, dass es pro Jahr 30 000 Geburten mehr gibt .
Die andere Wirkung war - das war auch immer unsere
Leitlinie -, dass wir es hinbekommen haben, dass insbesondere mehr Väter Zeit für Familie haben . Auch das ist
ein gutes Ergebnis .
({9})
Deswegen sagen wir ganz klar: Dieses Elterngeld ist ein
Erfolgsmodell . Deshalb wird es auch keine Kürzungen
beim Elterngeld geben .
({10})
Liebe Frau Brantner, ich glaube, auch in diesem Punkt
könnten wir möglicherweise einmal auf eine Linie kommen .
({11})
Die Frage ist für uns nicht nur die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf . Wir wollen Familie nicht ökonomisieren. Wir wollen nicht die ökonomische Effizienz von
Familie betrachten, sondern wir wollen mit unserer Politik eine Arbeitswelt entwickeln, die familiengerecht
ist, und keine Familie, die arbeitsgerecht ist . Das ist ein
entscheidender Punkt bei der Gestaltung von Familienpolitik . Dabei nehmen wir die Wünsche und veränderten
Bedingungen der Familien wahr .
Ich will noch zu einzelnen Punkten des Einzelplans 17
kommen . Es ist im Übrigen nicht nur eine Debatte darüber, wie man mit Geld umgeht und was man mit Geld
bewirkt . Wir haben zu Recht viel über das Engagement
von Menschen in ehrenamtlichen Tätigkeiten gesprochen . Es ist auch eine Frage der Familienpolitik: Wo sind
eigentlich die Bereiche Anerkennung und Wertschätzung
von Familie? Die Anerkennung der Familie muss nicht
immer nur in Geld und Euro ausgezahlt werden, sondern
muss sich in einem kulturellen Wandel der Gesellschaft
widerspiegeln .
In Berlin gibt es gerade den Fall der sogenannten
Spielstraße . Eine Straße wurde einmal in der Woche gesperrt, damit Kinder spielen konnten . Das wurde vom
Gericht untersagt . Jetzt kann man eine Straße nur noch
sperren, wenn ein Event stattfinden soll. Dann kann man
also die Straße sperren . Hier stellt sich die Frage: In welcher Kultur leben wir eigentlich, wenn man es spielenden
Kindern untersagt, in dieser Straße zu spielen, aber wenn
man ein Event dort veranstaltet, ist es erlaubt? Ich glaube, wir müssen im kulturellen Wandel im Umgang mit
Kindern und Familien einiges tun .
({12})
Das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell . Mittlerweile
sind es 5,8 Milliarden Euro . Das sind 700 Millionen Euro
mehr als 2013 . Rund 835 000 Eltern haben dieses Elterngeld mittlerweile bezogen, davon sind 12 Prozent Väter .
Wir sind froh, dass es bei den Vätern angekommen ist,
dass dieses Erfolgsmodell dafür sorgt, dass sie Erwerbstätigkeit und Familienzeit besser kombinieren können .
Das war die eine Sichtweise, diese Mittel für Familien
bereitzustellen .
Die andere Sichtweise war, mit dem Rechtsanspruch
auf den Kitaplatz eine Verbesserung der wichtigen frühkindlichen Bildung zu erreichen und die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf besser zu gestalten; auch unter
dem Gesichtspunkt Armutsrisiko, weil dadurch die Möglichkeit entsteht, mit dem Erwerbseinkommen den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen . Auch hier hat der
Bund in den letzten Jahren geliefert und 5,4 Milliarden
Euro zusätzlich bereitgestellt . Das Sondervermögen Kinderbetreuungsausbau wird 2016 mit 230 Millionen Euro
veranschlagt . Für 320 Millionen Euro ist im Finanzplan
Vorsorge getroffen .
Dann stellt sich die Frage, was wir den Kommunen
und Ländern noch gerne zur Verfügung stellen . Ich will
das nur noch einmal erwähnen . Wir geben fast 1 Milliarde Euro für die Finanzierung der Betriebskosten von Kindertagesstätten aus . Da kann man kann sagen: Ja, selbstverständlich . Das ist doch eine nationale Aufgabe . - Ich
will nur daran erinnern: Wir haben ein föderales System .
Es ist nicht so, dass es originäre Aufgabe des Bundes ist,
hier zu investieren .
({13})
Wir machen das, weil wir zwei Dinge erkennen . Wir erkennen, dass Länder und Kommunen momentan in einer
schwierigen Situation sind - Klammer auf: wobei auch
der Bund in keiner anderen Situation ist . Wenn wir über
Steuereinnahmen sprechen, dann muss man darauf verMarcus Weinberg ({14})
weisen, dass auch Länder und Kommunen von den erhöhten Steuereinnahmen profitieren.
({15})
Aber wir machen das, weil es wichtig war und weil es
ein deutliches Signal ist . Es wäre nur jetzt falsch, daraus
zu schließen, dass es auch eine Zukunftsaufgabe ist, andere Bereiche zu übernehmen . Ich will und wir werden
auch nicht darüber diskutieren, dass wir die Lehrergehälter zum Teil übernehmen . Das sind die Wolken, die Sie
vorhin sehr exemplarisch hin- und hergeschoben haben,
({16})
was man noch alles finanzieren könnte und was man
noch tun könnte . Nein, es gilt der Grundsatz: Wir geben
zu Recht viel Geld für Familien aus, gut angelegtes Geld .
Aber das Geld muss erwirtschaftet werden . Es muss
Menschen in diesem Land geben, die das tun .
({17})
Wir müssen sehr sorgsam damit umgehen und in der
Haushaltsdebatte nicht nur einen Sechs-Punkte-Plan machen oder sonst was, Frau Kollegin von den Grünen, wo
man noch etwas zu fordern hat .
({18})
Noch einmal: Wir investieren in diesem Bereich zu
Recht, aber bitte sehr sorgsam und sehr gezielt . Von uns
wurden schon wichtige Themen angesprochen: Sprache,
Integration, „Frühe Chancen“ . Dies wurde verstetigt . Wir
haben weiterhin Maßnahmen im Bereich der Integration von Sprachförderung über das Programm „Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“ . Des Weiteren stellen wir 100 Millionen Euro für den Bereich „KitaPlus“
zur Verfügung, wo man einer gesellschaftlich veränderten Bedingung nachkommt, indem man sagt: Mehr und
mehr Familien, gerade auch Alleinerziehende, brauchen,
wenn sie im Schichtdienst sind, wenn sie am Wochenende arbeiten müssen, möglicherweise temporär, punktuell
eine längere Betreuung. Ich finde es wichtig, dass man
sagt: Dafür machen wir ein Angebot . Wir stellen Kitas
Mittel zur Verfügung, wenn sie ein Konzept einreichen,
dass man das Kind auch nach 18 Uhr betreuen kann, was
die Ausnahme bleibt .
({19})
Denn wir wollen nicht, dass Kinder regelhaft 24 Stunden
durchgängig in der Kita sind . Das würde unserem Familienmodell widersprechen .
({20})
Aber wir wollen eine Flexibilisierung erreichen . Wir wollen, dass für eine alleinerziehende Mutter, wenn sie einmal bis 20 Uhr arbeiten muss, die Möglichkeit gegeben
ist, ihr Kind betreuen zu lassen . Die Mittel dafür - das
wurde schon angesprochen - sind nicht im Einzelplan 17
verankert, sondern an anderer Stelle .
Das Thema Armutsrisiko wurde angesprochen . Ich
will daran erinnern: Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wurde rückwirkend zum 1 . Januar dieses Jahres
von 1 308 Euro auf 1 908 Euro erhöht . Sehr spät - man
könnte fast sagen: zu spät -, aber wir haben es gemacht .
Das war, glaube ich, ein wichtiges Signal dafür, dass wir
uns intensiv Gedanken machen, wie wir gerade für Alleinerziehende mehr tun können .
Die steuerlichen Kinderfreibeträge wurden rückwirkend erhöht . Wir haben das Kindergeld erhöht . Auch hier
gilt wie immer: Es wäre mehr denkbar, 10 oder 20 Euro .
Weil 1 Euro Kindergelderhöhung rund 180 Millionen
Euro ausmacht, muss man einfach sagen: Wir tun viel,
aber man muss auch genau überlegen, was man darüber
hinaus noch tun kann .
Zum Schluss noch einige Bemerkungen zu einem
Thema, das in den nächsten Jahre eine große Rolle spielen wird, nämlich der Welle von Flüchtlingen, die nach
Deutschland kommen . Diese Gesellschaft wird sich verändern . Integration bedeutet nicht nur, dass ein paar hinzukommen . Vielmehr heißt Integration, dass sich die Gesellschaft fortlaufend verändert . Die Familienpolitik wird
das besonders berühren . Denn es kommen Kinder, kleine
Kinder nach Deutschland, die vernünftig betreut werden
müssen . Es kommen Jugendliche, teilweise traumatisiert,
mit großen Problemen, um die wir uns kümmern müssen .
Es kommen junge Familien, teilweise aus Kriegsgebieten, ebenfalls traumatisiert, wo wir sehen müssen: Wie
finden sie Arbeit? Wie finden sie Wohnraum? Wie finden
sie vor allen Dingen Anschluss an diese Gesellschaft?
Wir haben in der Vergangenheit Fehler gemacht:
bei den Gastarbeitern, bei den Aussiedlern, Anfang der
90er-Jahre auch im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg
in Bosnien-Herzegowina . Aus diesen Fehlern sollten wir
lernen . Integration von Anfang an, so früh wie möglich,
({21})
so zielgenau wie möglich und so bedarfsorientiert wie
möglich . Die Entscheidung der Koalition, im ersten
Schritt 6 Milliarden Euro bereitzustellen, ist ein guter
Beschluss . Unter familienpolitischen Gesichtspunkten
ist nicht nur entscheidend, wo das Geld herkommt . Ich
erwarte, wie wahrscheinlich auch die Kolleginnen und
Kollegen, dass wir von den Kommunen und Ländern genau erfahren, was sie planen, was mit den Kindern passieren soll, die zusätzlich in die Krippe, in die Kita kommen . Denn die Integration wird nur dann gelingen, wenn
die Menschen, die sich jetzt zu Recht engagiert einbringen und die Situation als Chance für unsere Gesellschaft
sehen, erkennen, dass die Politik in dieser Phase handelt .
({22})
Das heißt für uns, wir müssen schauen, wie wir diese große Aufgabe bewältigen können . Wir müssen diese Herausforderung als Chance begreifen . Das muss unser aller
Ziel sein . Insoweit haben wir in Bezug auf die nächsten
Monate hohe Ansprüche .
Letzter Satz: Dieser Haushalt hat es wieder bewiesen:
Die Große Koalition ist nicht nur handlungsfähig, sonMarcus Weinberg ({23})
dern auch, was das richtige Investieren an der richtigen
Stelle angeht, gut aufgestellt .
Herzlichen Dank .
({24})
Das Wort hat die Kollegin Dr . Franziska Brantner für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Schwesig und Herr Schäuble im
Clinch - irgendwie ist das ein Déjà-vu . Beim letzten Mal
ging es um die Erhöhung des Freibetrags für die Alleinerziehenden, jetzt geht es um die Milliarde für das Betreuungsgeld . Herr Schäuble und wahrscheinlich auch Sie,
Herr Spahn, wollen das Geld lieber für die Haushaltssanierung nutzen .
({0})
Das ist auch gut nachvollziehbar, wenn ein Finanzminister das möchte . Ihre Aufgabe, Frau Schwesig, ist es,
dafür zu sorgen, dass das Geld in Ihrem Haushalt bleibt,
bei den Kindern und den Familien . Daran werden wir Sie
messen, aber Sie darin auch unterstützen .
({1})
Herr Schäuble, Sie haben hier argumentiert, die Milliarde würde doch auch ins Elterngeld fließen.
({2})
Auch das ist eine für einen Finanzminister und für Sie,
Herr Spahn, nachvollziehbare Verhandlungsposition;
denn Sie müssen darauf achten, dass das Geld zusammenbleibt .
Aber die zusätzlichen Kosten für das Elterngeld waren absehbar . Wenn wir Gesetze ändern und zusätzliche
Elternmonate vorsehen, dann wird das eben teurer . Und
wenn mehr Väter das Elterngeld in Anspruch nehmen,
wie wir es ja wollen, dann wird es aufgrund der Lohnungleichheit, die wir in Deutschland haben, noch teurer .
Wir haben das gemeinsam gesetzlich geregelt - wir haben da zugestimmt -, und es war klar, dass dadurch zusätzliche Kosten entstehen .
Woher soll also das zusätzliche Geld kommen? Wir
alle wissen: Wenn es einen Mehrbedarf gibt, der auf gesetzlicher Grundlage entsteht - und das ist hier der Fall -,
dann ist es Verhandlungssache, woher das Geld kommt .
Es muss nicht automatisch aus dem Familienhaushalt
kommen . Das ist Ihr zweiter Verhandlungsauftrag, Frau
Schwesig: dass das Betreuungsgeld dafür nicht genutzt
wird, sondern in die Kitas geht .
({3})
Frau Schwesig, ich habe Ihnen vorhin sehr gut zugehört, als Sie gesagt haben, was wir jetzt mit dem Betreuungsgeld machen . Für mich hörte sich das sehr danach
an: Es soll halt bei den Familien bleiben . - Sie hatten in
Ihren ersten Pressestatements immer sehr klar gesagt, das
Geld gehe in die Kitas . Ich hoffe und zähle wirklich auf
Sie, dass es dabei auch bleibt;
({4})
denn dort sind die Bedarfe . Wir wissen: Es fehlen allein
heute schon 185 000 Plätze für unsere Ein- und Zweijährigen, und wir brauchen eine bessere Relation bei den
Erzieherinnen, wir brauchen mehr Erzieherinnen für die
Kinder .
Es wurde häufig schon erwähnt: Unter den Flüchtlingen, die heute zu uns kommen und die wir integrieren
werden, sind sehr viele Kinder . Vor allem unter denjenigen, die bleiben werden, sind sehr viele Kinder . Die
Schätzungen belaufen sich auf 300 000 bis 400 000 . Diese Kinder müssen wir bei uns in jedem Fall so schnell
wie möglich in die Kitas integrieren und ihnen durch die
deutsche Sprache einen Weg ermöglichen, anzukommen .
Das müssen wir doch jetzt finanziell vorbereiten und
nicht erst wieder, wenn die Kommunen sich beschweren
und zu Recht sagen: Wir schaffen das nicht allein .
({5})
Von daher - Frau Schwesig, Sie haben es gesagt nicht unterscheiden zwischen unseren Kindern und den
Flüchtlingen . Wenn Sie jetzt in die Kitas, in die Sprachförderung dort und in mehr Plätze investieren, dann ist
dies die beste Voraussetzung dafür, dass die Gesellschaft
das gut stemmt, und das ist, so glaube ich, in unser aller
Interesse .
({6})
Frau Schwesig, es wurde vorhin schon von Kollegen,
auch von meiner Kollegin, angesprochen: Kinderarmut
ist ein Thema, das wirklich gar nicht vorkommt . Leider .
Wir wissen, dass 40 Prozent der Alleinerziehenden im
ALG-II-Bezug leben . Es ist für dieses reiche Land echt
ein Armutszeugnis, dass es gerade die Alleinerziehenden
trifft .
({7})
Sie erhöhen zwar den Freibetrag, aber der hilft gerade
denjenigen in diesem Bereich nicht . Der Unterhaltsvorschuss wird zwar leicht erhöht, aber nicht reformiert . Ich
finde, das sind die Stellschrauben, an die Sie heranmüssen, Frau Schwesig und liebe CDU . Das können Sie nicht
einfach übergehen . Wir wissen, dass das nicht haltbar ist,
und ich wünsche mir, dass sich zumindest im nächsten
Haushalt widerspiegelt, dass die krasse Schieflage, die
wir hier in Deutschland haben, angegangen wird .
({8})
Ein letzter Punkt, von dem ich mir wirklich wünsche, dass wir den zusammen angehen: In dem KoaliMarcus Weinberg ({9})
tionsvorschlag vom Wochenende ist vorgesehen, dass
der Aufenthalt der Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen auf bis zu sechs Monate verlängert werden
kann . Man kann dazu stehen, wie man will, aber wenn
man das macht, dann müssen die Bedingungen vor Ort
so sein, dass es für Kinder irgendwie ertragbar ist . Das ist
es momentan nicht . Da hilft Ihr Programm, das die Kommunen berät, nicht, auch wenn es richtig ist . Das wird
nicht ausreichen . Man wird Gelder brauchen, damit man
vor Ort Spielzimmer und Betreuung hat und alles, was
es braucht . Das ging jetzt im Sommer irgendwie, weil
die Kinder draußen auf dem Bolzplatz waren . Jetzt aber
kommt der Winter, und sie sind sechs Monate lang dort,
und die Schulpflicht wird nicht einmal eingehalten.
({10})
Ich finde, das ist eine tickende Zeitbombe. Das können
wir uns gar nicht leisten .
({11})
Hier müssen wir jetzt wirklich gemeinsam investieren, und ich hoffe, dass wir das vielleicht in den Haushaltsverhandlungen noch hinbekommen . Ich glaube, es
ist in unser aller Interesse, dass die Kinder nicht erst nach
sechs Monaten anfangen, Deutsch zu lernen, sondern
dass sie dort ein Angebot haben . Lassen Sie uns das gemeinsam angehen, ich bitte Sie darum .
Danke .
({12})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Ulrike
Gottschalck das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher! Unsere
Kanzlerin hat in der gestrigen Generaldebatte sehr prominent zu Beginn ihrer Rede betont, dass die Integration
für sie und die Regierungsparteien allerhöchste Priorität
hat . Das ist gut so; denn es stimmt: Wenn wir die vielen
Menschen, die jetzt zu uns kommen und die in höchster
Not flüchten, nicht gut integrieren, wird uns das volkswirtschaftlich teuer zu stehen kommen .
({0})
Abgesehen von der humanitären Verpflichtung, die
wir haben, werden wir von dem, was wir jetzt in Teilhabe,
in Integration investieren, in einigen Jahren profitieren,
aber nur, wenn wir es gut machen . Da darf man nicht nur
Klein-Klein machen und mit rein monetärer Ausrichtung
von einem Haushaltsjahr zum anderen schauen . Denn es
braucht auch volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen,
um zu erkennen, was für uns in der Zukunft gut ist .
Unser Einzelplan 17, meine sehr geehrten Damen
und Herren, bietet sich für Integration geradezu an . Ich
halte es für eine hervorragende Idee unserer Ministerin
Manuela Schwesig - in Absprache mit Volker Kauder -,
verstärkt den Bundesfreiwilligendienst für die Flüchtlingshilfe zu nutzen . Denn das ist ein zusätzliches ehrenamtliches Engagement, und es wird denjenigen helfen,
die im Moment schon vor Ort eine unendlich wichtige
Arbeit machen . Das fängt bei den privaten Spendern an,
die mit Teddybären, Windeln oder was auch immer auftauchen und helfen wollen, geht über die engagierten Paten, die sich um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
kümmern, bis hin zu unseren professionellen Rettungsorganisationen, ohne die wir komplett aufgeschmissen
wären . Wenn sie jetzt durch zusätzliches ehrenamtliches
Engagement Unterstützung erhalten, dann ist das einfach
nur toll .
({1})
Bereits mit dem Nachtragshaushalt 2015 haben wir im
Kinder- und Jugendplan wegen der Flüchtlingsproblematik 8 Millionen Euro für die Jugendmigrationsdienste
und 4 Millionen Euro für die C1-Sprachkurse aufgesattelt, gemeinsam mit den Kollegen der Union . Insofern
gibt es dort nun keine Kürzung, Michael Leutert; es sind
die 12 Millionen Euro, die wir im Nachtrag aufgesattelt
haben . Wir wollen sie wieder bereitstellen, aber es sollen
erst mal die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels abgewartet
werden .
Im Hinblick auf den Flüchtlingsgipfel erinnere ich
gerne daran, dass es auch eine Verantwortung der Länder
gibt .
({2})
Wir haben jetzt gute Vorleistungen erbracht, aber auch
die Länder müssen gerade in den Bereichen der Integration und der frühkindlichen Bildung ordentlich etwas tun .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich muss
meine Rede ein bisschen kürzen, weil die von Manuela
ein bisschen länger war . Es war trotzdem eine sehr gute
Rede unserer Ministerin .
({3})
Ich denke, wir müssen ein großes Augenmerk auf die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge richten, die wir
in Obhut nehmen, aber auch auf die schwangeren, allein
reisenden Frauen und ihre Kinder .
({4})
Darauf müssen wir besonders schauen .
({5})
- Wir tun im Gegensatz zu Ihnen etwas . Ihr habt nicht
einmal beim Mindestlohn mitgestimmt . Also seid einmal
ganz ruhig!
({6})
Ich denke, dass wir auch noch einmal über die Maßnahmen zur Extremismusprävention reden sollten . Da
schließe ich mich dem Kollegen Leutert an, der das vorhin angesprochen hat . Wir haben jetzt das wunderbare
neue Programm „Demokratie leben!“ . Auch da können
wir vielleicht noch etwas tun, weil es einfach hilft und
wirkt .
Auch das Elterngeld wirkt . Dazu haben wir schon viel
gehört. Ich finde es grandios, dass die Zahl der Geburten
erstmalig wieder nach oben geht - ein großartiger Erfolg!
Ich denke, dazu können wir alle uns mal gegenseitig gratulieren .
({7})
Abschließend zum Betreuungsgeld . Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir als SPD wollen, dass dieses Geld auch zukünftig Familien zugutekommt .
({8})
Aber das wird in einer anderen Flughöhe entschieden .
Ich denke, wir müssen uns hier weder als Haushälter
noch als Fachpolitiker bekriegen . Ich warne auch davor,
erneut diese ganzen ideologischen Debatten über Pro und
Kontra zu führen . Das brauchen wir nicht .
({9})
Wir sollten einen guten Kompromiss finden, der für unsere Familien, für unsere Kinder gut ist . Denn es gilt: Die
Jugend ist unsere Zukunft . Wir müssen in den Bereichen
Teilhabe, Qualität und Integration alles uns Mögliche
tun, und auch das müssen wir gut machen; denn sonst
wird es volkswirtschaftlich teuer .
Danke schön .
({10})
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Pantel für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Unser Haushalt betrifft all jene Dinge, die der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder abschätzig als
„Gedöns“ bezeichnet hat . Wenn wir über Familienpolitik
reden, zeigt das Volumen des Haushalts, wie wichtig uns
dieses Politikfeld ist . In diesem Zusammenhang, Frau
Minister, noch einmal herzlichen Glückwunsch zum
kommenden Nachwuchs .
({0})
Familienpolitik ist im eigentlichen Sinne Gesellschaftspolitik . Sie befasst sich mit der Grundlage unseres
Zusammenlebens in Deutschland . 2016 werden wir dafür
über 9 Milliarden Euro ausgeben, also - das hörten wir
eben schon - so viel wie noch nie .
Familienpolitik betrifft jede Bürgerin und jeden Bürger mehrfach im Leben . Alles in unserem Land und in
unserem Sozialstaat basiert auf der Familie als kleinster
Einheit menschlichen Zusammenlebens . Familie ist, wo
Menschen füreinander Verantwortung übernehmen . Familie ist, wo Kinder sind, und da sind alle eingeschlossen . Familien zu fördern und zu schützen, ist nach Artikel 6 unseres Grundgesetzes eine der vordringlichsten
staatlichen Aufgaben .
Lassen Sie mich an dieser Stelle, weil es gerade so
schön passt, einen anderen Punkt anmerken . In dieser
Woche wurde in der ARD erneut über Gender-Mainstreaming und auch über die Frühsexualisierung von Kindern
diskutiert . Dass das ein Thema ist, habe ich an der großen
Resonanz gemerkt . Dabei ist klar, dass die Erziehung der
Kinder Sache der Eltern ist . Sie tragen letztendlich die
Verantwortung, in jeder Hinsicht .
Durch unsere Haushaltsausgaben wollen wir Familien ein Familienleben nach ihren Wünschen ermöglichen .
Wir müssen sicherstellen, dass Menschen in Deutschland
es sich leisten können, eine Familie zu gründen und Kinder in die Welt zu setzen . 2014 wurden in Deutschland
715 000 Kinder geboren, das sind 33 000 Kinder mehr
als noch im Vorjahr . Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land wollen ein gutes Familienleben, sie wollen
Kinder .
Es wäre wissenschaftlich unredlich, steigende Geburtenzahlen auf einzelne Effekte zurückzuführen . Was wir
aber sicher sagen können ist, dass das der guten Familienpolitik der unionsgeführten Bundesregierungen in den
zurückliegenden Jahren geschuldet ist .
({1})
Es ist anders, als Herr Gysi gestern behauptet hat: Wir
haben in Deutschland mittlerweile ein sehr familienfreundliches Klima geschaffen .
Es gibt 40 Millionen Haushalte in Deutschland, über
8 Millionen Haushalte mit minderjährigen Kindern . Dass
diese Familien ihren Alltag möglichst flexibel und nach
ihren Wünschen gestalten können, ist Ziel unserer Politik .
({2})
Das Leitbild der Union ist die selbstbestimmte Familie . Die Familien müssen aber auch Zeit für ein Familienleben haben . Daher habe ich mich immer für Maßnahmen wie das Elterngeld und das Betreuungsgeld
ausgesprochen .
({3})
Dass jetzt auf der Oppositionsbank gemurrt wird, zeigt
nur, dass Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
nicht verstanden haben .
({4})
- Nein, lesen Sie es nach . - Dass dem Bund nicht zugestanden wurde, hierfür Mittel aufzuwenden, ist den
Zuständigkeiten in unserem föderalistischen System in
Deutschland geschuldet . Keineswegs ist das ein Urteil
über die familienpolitischen Aspekte unseres BetreuUlrike Gottschalck
ungsgeldes gewesen . Ich würde Ihnen empfehlen, das
Urteil zu lesen .
({5})
Sie rufen an anderer Stelle, wann immer Sie können,
„Diversity“ und „bunte Republik“ . Aber wenn es um die
Familie geht, dann wollen Sie die Einheitsfamilie schaffen
({6})
- das ist ihnen überlassen -, eine Pseudofamilie, in der
der Staat die Kinder erzieht und die Eltern sich voll auf
das Berufs- und Arbeitsleben konzentrieren sollen . So
bitte schön nicht .
({7})
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und orientieren uns an den Bedürfnissen der Familien . Das Elterngeld wurde in diesem Sommer um das Elterngeld Plus
ergänzt. Dadurch haben wir eine zusätzliche, noch flexiblere Lösung für Eltern gefunden, die ihre Kinder betreuen
und in Teilzeit am Berufsleben teilhaben wollen .
In diesem Jahr haben wir durch das Gesetz zur weiteren
Entlastung von Ländern und Kommunen das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ um 550 Millionen Euro aufgestockt . Im ersten Quartal 2015 wurden in
Deutschland 700 000 Kinder unter drei Jahren betreut .
Die Mehrheit dieser betreuten Kinder wird in Einrichtungen betreut. Die Kindertagespflege bei Tagesmutter
oder -vater wird gerade in Ballungsgebieten wie Berlin
und Düsseldorf immer beliebter und hat sich als flexible
Ergänzung gut etabliert . Wir haben weitere Mittel für den
Ausbau der Betreuung vorgesehen . Eine gute und verlässliche Kinderbetreuung ist uns wichtig . Wir schätzen
die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher, die täglich Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag unterstützen .
Familien leben heute nicht mehr selbstverständlich in
mehreren Generationen zusammen unter einem Dach;
wir haben das eben schon mehrfach gehört . Dadurch
fehlt auch der Erfahrungsaustausch zwischen Jung und
Alt .
({8})
Die Mehrgenerationenhäuser bringen Kinder, Eltern,
Großeltern und manchmal sogar Urgroßeltern zusammen . Sie sind ein Erfolgsprojekt .
({9})
- Ich kenne ein Mehrgenerationenhaus bei mir vor Ort .
Dort funktioniert das alles hervorragend . - Wir sichern
die Arbeit der rund 450 Mehrgenerationenhäuser für
2016 bundesweit mit 14 Millionen Euro . Aufgrund der
guten Vernetzung und durch gute Kooperationen mit
Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie Wirtschaftsunternehmen gelingt es, zusätzlich ein wichtiges Angebot
vorzuhalten und Lücken zu schließen . Es ist erklärtes
Ziel der Union, die Arbeit der Mehrgenerationenhäuser
dauerhaft zu sichern .
90 Minuten wurden uns für diese Debatte zur Verfügung gestellt, 90 Minuten, in denen wir den Etat für die
Familienpolitik einer Nation mit über 81 Millionen Einwohnern diskutieren sollen
({10})
- richtig, das ist jede Menge, wie Sie gerade sagten -,
aber in dieser Zeit sind natürlich nicht alle Maßnahmen,
die wir hier finanzieren, aufzuführen.
({11})
Deshalb werde ich nur einige erwähnen .
Der Zuzug von Hunderttausenden Flüchtlingen, von
denen viele traumatisiert sind, stellt uns vor große Herausforderungen . Das ist ein Zuzug von Menschen, die
weder unser Verständnis von Freiheit noch von Grundrechten kennen, von Menschen, denen unsere Kultur,
unsere Gebräuche und unser Leben bisher weitgehend
fremd waren . Diese Entwicklungen fordern uns nicht nur
organisatorisch und finanziell, sondern vor allem auch
gesellschaftspolitisch . Selbst der bekanntlich deutlich
links von mir stehende Autor Jakob Augstein
({12})
forderte jüngst im Spiegel, es müsse eine deutliche Leitkultur geprägt werden, um die Integration all dieser
Menschen zu sichern, eine Leitkultur, die Menschen
ein Vorbild ist, eine Leitkultur, geprägt durch unseren
Rechtsstaat . Wir haben ein Recht auf freie Meinungsäußerung und können unsere Religion frei ausüben, und wir
haben das Recht, uns selbst ein auf der eigenen Leistung
begründetes Leben aufzubauen . Deshalb wollen auch so
viele hierher .
Für die Flüchtlinge gilt: Wer Schutz in unserem Land
sucht, wird ihn finden. Aber auch die Schutzsuchenden
müssen sich an unsere Regeln halten: Männer und Frauen haben die gleichen Rechte, wir sind vor dem Gesetz
gleich, jeder von uns darf seine Meinung frei sagen und
an all das glauben, was er oder sie gerade glauben will .
Und wir verhüllen nicht unsere Identität . Wir zeigen
Gesicht, und das meine ich wörtlich . Daher spreche ich
mich hier und heute erneut für ein Verbot der Gesichtsvollverschleierung im öffentlichen Raum aus . Frauen zu
zwingen, sich zu verhüllen, widerspricht unserer Auffassung, dass Frauen und Männer gleiche Rechte haben und
gleich viel wert sind . Dieser Gleichheitsgrundsatz ist die
Basis unseres Rechtssystems und darf nicht wegen falscher Toleranz ausgehöhlt werden .
({13})
Mit den Mitteln, die wir in unserem Haushalt für Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Demokratie und Toleranz vorsehen, sollen die Grundlagen unseres Rechtssystems nähergebracht werden . Demokratieerziehung in
Deutschland muss bedeuten, dass unsere Grundrechte
Leitbild einer Kultur des guten Zusammenlebens und des
gegenseitigen Verständnisses sind . Als ich vor kurzem
Grundgesetze verteilt habe, wurde mir wieder bewusst,
welche Kraft und Bedeutung unser Grundgesetz für viele
hat und wie wichtig gerade jungen Menschen die Einhaltung unserer Grundrechte ist, wie wichtig ihnen Toleranz
und Respekt vor den Rechten der Mitmenschen sind .
Auch für das Funktionieren einer demokratischen
Gesellschaft sind Familien ausschlaggebend . Nur durch
starke Familien und die Vielfalt in unseren Familien verhindern wir, dass Kinder empfänglich werden für Extremismus . Hierbei ist es völlig egal, ob wir von Links- oder
Rechtsextremismus reden .
({14})
Wenn wir heute die Reden der Koalition und der Opposition zum Haushalt des Familienministeriums hören,
werden wir Unionspolitiker nicht müde, auf die Investitionen und Errungenschaften unserer Familienpolitik hinzuweisen . Die Damen und Herren der Opposition werden
wieder und wieder nach mehr Mitteln und größeren Investitionen in diesem oder jenem Projekt rufen .
Wir wissen, dass jeder Euro mehr, den wir in die Zukunft eines Kindes stecken, eine gute Investition ist . Jeder Euro, der eine Familie entlastet und für ein glücklicheres, selbstbestimmteres Familienleben sorgt, rechnet
sich . Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir unseren Kindern und Enkeln einen Haushalt ohne Schuldenberge hinterlassen wollen .
Schauen wir in diesen Tagen nach Griechenland: Der
19-jährige Hafenarbeiter in Piräus kann genauso wenig
etwas für die Misere, in der sich sein Land befindet, wie
die junge Mutter in Thessaloniki, die kaum über die Runden kommt .
({15})
Als Familienpolitiker muss uns die Griechenland-Krise
eine permanente Ermahnung sein, solide zu wirtschaften .
Wir schulden unseren Kindern nicht nur gut ausgestattete Systeme, Kitas, Schulen, Familienbetreuung und
anderes; wir schulden unseren Kindern und Enkeln eine
Zukunft, in der sie nicht die Zinsen für unsere Schulden
bezahlen müssen,
({16})
sondern ihr Leben und die Zukunft ihrer Kinder selbst
gestalten können . Deswegen legen wir einen ausgeglichenen Haushalt vor, der die richtigen politischen
Schwerpunkte setzt .
Herzlichen Dank .
({17})
Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-Fraktion .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Zunächst einmal habe ich
mich gerade gefragt: Was ist denn eine Einheitsfamilie?
({0})
Ich habe mich gefragt, ob ich jetzt aus so einer Einheits-Familie komme, weil ich als Westdeutscher eine
Ostdeutsche geheiratet habe .
({1})
Ich finde, das wäre die richtige Bezeichnung. Dann bin
ich gerne Mitglied einer Einheitsfamilie, Frau Kollegin .
Weder Frau Schwesig noch Frau Gottschalck noch
Frau Crone und auch nicht die Redner der Opposition,
die ich nicht immer in Schutz nehme, haben jetzt hier triumphierend aufgebrüllt und gesagt: Das Betreuungsgeld
ist endlich weg . Wir hatten das schon immer für falsch
empfunden . - Ich fand, die Worte von Frau Schwesig
dazu waren sehr kontrolliert .
({2})
Sie wissen ja, dass wir im Herzen eigentlich eine andere
Sache verfolgt haben .
({3})
Aber wir haben zugunsten einer gemeinsamen Familienpolitik ein bisschen weniger auf unser Herz gehört . Jetzt
haben wir eine neue Situation . Es ist doch nur richtig
und wichtig, wenn wir uns im ganzen Haus darüber einig
sind, dass die frei werdenden Mittel aus dem Betreuungsgeld weiterhin den Familien und Kindern zugutekommen . Dieses gemeinsame Ziel ist richtig und gut .
({4})
Ich finde, wir sollten die ideologische Debatte vielleicht
ein Stück weit vergessen .
„Kinder kriegen die Leute immer .“ Das hat einmal ein
anderer Bundeskanzler gesagt . Das war nicht der Bundeskanzler mit dem „Gedöns“ . Aber dieser Satz war fast
genauso blöd .
({5})
Konrad Adenauer hat das gesagt . Wir wissen aber mittlerweile, dass das nicht der Fall ist, sondern es hat auch
immer sehr viel mit persönlichen, ganz individuellen
Gründen zu tun, warum ich eine Familie gründe . Aber
es hat auch immer etwas damit zu tun, in welcher gesellschaftlichen Atmosphäre und unter welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ich mich gerade befinde.
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben wir
bis jetzt sehr gut hinbekommen . Nicht umsonst ist das
Bedürfnis, größere Familien zu gründen, jetzt gestiegen .
Das hat auch etwas mit der Familienpolitik dieser Koalition zu tun .
({6})
Das hat aber auch etwas mit dem Elterngeld zu tun .
Natürlich spielt auch das eine Rolle bei der Entscheidung,
ob ich eine Familie gründe und zu welchem Zeitpunkt
ich sie gründe . Natürlich können wir jetzt zwischen Opposition und Regierung darüber streiten, dass es selbstverständlich ist, dass gesetzliche Leistungen auch erfüllt
werden . Aber Sie wissen auch: Wir erfüllen nicht nur die
alten gesetzlichen Leistungen, sondern wir haben in dieser Wahlperiode die Palette sogar um das Elterngeld Plus
erweitert . Wir haben zusätzliche Anreize geschaffen . Wir
haben uns nicht auf dem ausgeruht, was wir schon gesetzlich beschlossen haben, sondern wir haben das Ganze
erweitert, und das haben wir gerne getan, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({7})
Es ist auch nicht selbstverständlich, dass ein Parlament, wenn mehr Eltern, mehr Familien Elterngeld in
Anspruch nehmen oder überhaupt Leistungen in Anspruch nehmen, manchmal darüber diskutiert, so etwas
wieder einzuschränken . Das ist leider keine Selbstverständlichkeit. Ich finde es gut, dass es hier eine Selbstverständlichkeit ist, und das sollte auch eine Selbstverständlichkeit bleiben . Das weiß auch das Finanzministerium .
({8})
Jetzt noch zu ein paar Punkten, über die wir hier heute
diskutiert haben, über die wir vor allen Dingen aus dem
Grund diskutiert haben, weil wir uns in einer besonderen
Zeit befinden. Wir müssen uns um Flüchtlinge kümmern.
Da kommt unserem Ministerium, unserem Politikfeld
insgesamt natürlich eine sehr große Aufgabe zu . Denn
das hat nicht nur etwas mit Baustandards oder Verteilschlüsseln zu tun, es hat auch nicht immer etwas damit
zu tun, wie wir das Asylrecht gestalten oder was wir als
sichere Herkunftsländer benennen, sondern es hat vor
allen Dingen etwas damit zu tun, wie wir die Integration vorantreiben. Ich finde es gut, dass auf dem Gipfel
entschieden worden ist, einen zusätzlichen Bereich für
weiteres zusätzliches bürgerschaftliches Engagement zu
schaffen . Denn die Bundesfreiwilligendienstler, die wir
jetzt zusätzlich einsetzen wollen, sind kein Ersatz für
hauptamtliche Arbeit, die auch weiterhin in diesem Bereich geleistet werden muss .
({9})
Ich finde es nur gut und richtig, dass wir die Zivilgesellschaft ermuntern, sich in dem Bereich Flüchtlingshilfe zu engagieren . Wir brauchen die Zivilgesellschaft
und auch die besondere Form der Zivilgesellschaft, also
die Freiwilligendienste, in genau diesem Bereich . Warum
brauchen wir sie? Die Akzeptanz für die Flüchtlinge bekommen wir nur dann, wenn sie auch zivilgesellschaftlich anerkannt sind . Deshalb ist es gut, dass wir im Bereich bürgerschaftliches Engagement noch eine Schippe
drauflegen.
({10})
Eine zweite Sache gilt; auch das gehört zum Zusammenhalt der Gesellschaft . Es stellt sich nicht nur die Frage, wie wir die Strukturen des bürgerschaftlichen Engagements stärken - wir brauchen zusätzliche Strukturen -,
sondern wir sollten auch noch einmal darüber nachdenken, ob wir nicht auf Bundesebene festere Strukturen zur
hauptamtlichen Betreuung und Koordinierung schaffen .
Als zweiten Punkt müssen wir bei der Demokratieförderung eine Schippe drauflegen - wir haben das schon
einmal als Parlament getan - und sagen: Wir nehmen
unsere eigenen Beschlüsse jetzt auch richtig ernst, nicht
nur vor dem Hintergrund der jetzigen Herausforderungen
und der Bilder, die wir gerade von Flüchtlingsheimen gesehen haben, sondern auch vor dem Hintergrund, was wir
als Parlament gemeinsam anlässlich des NSU-Untersuchungsausschusses beschlossen haben. Ich finde, da können wir als Parlament gemeinsam im Rahmen der Haushaltberatungen für zusätzliche Mittel sorgen .
({11})
Ein letzter Punkt: unbegleitete minderjährige Flüchtlinge . Ich glaube, dass wir mit dem Gesetzentwurf den
Ländern und Kommunen sehr stark entgegenkommen .
Wir werden ihn demnächst in einer Anhörung, dann im
Ausschuss und dann im Parlament beraten . Bis jetzt sind
die Rückmeldungen, zumindest die, die ich aus den Ländern und von den Kommunen gehört habe, dass das zu
einer großen Entlastung beitragen wird . Wir wissen aber
auch, dass es zusätzliche Mittel auch vor Ort bei den Jugendbehörden wird geben müssen; das ist doch klar . Sie
haben zusätzliche Aufgaben zu erfüllen; die haben sie
jetzt schon in Teilen zu erfüllen . Deshalb wäre es nur gut
und richtig, wenn im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsgipfel, der auf uns zukommt, auch über diese Finanzierung nachgedacht wird .
Unter dem Strich: Die Herausforderungen der aktuellen Zeit sind berücksichtigt . Die Herausforderungen,
die wir insgesamt haben, sind berücksichtigt . Aber ein
Parlament kann auch immer noch ein bisschen mehr berücksichtigen . Von daher freue ich mich auf die Haushaltsberatungen .
Herzlichen Dank .
({12})
Der Kollege Alois Rainer hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu
den wesentlichen Zielen der Familienpolitik gehört es,
Familien und Kinder wirksam zu unterstützen und zu fördern; denn Ehe und Familie sind das Fundament unserer
Gesellschaft .
({0})
Daher ist es für uns auch ein besonderes Anliegen,
gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Menschen in Deutschland ihren Wunsch nach Kindern und
Familie verwirklichen können . Folglich ist es auch richtig, dass wir unsere solide, verlässliche und auch stabilitätsorientierte Politik weiter fortsetzen . Wir wollen eine
Politik, die das Miteinander aller Menschen in unserem
Land fördert, eine familienfreundliche Gesellschaft und
eine Gesellschaft, in der alle Generationen willkommen
sind .
Aus diesem Grund sprechen wir heute beim vorliegenden Haushaltsentwurf über einen Gesamtansatz von
rund 9,183 Milliarden Euro . Dies entspricht einem
Aufwuchs - das haben wir schon gehört; aber ich sage
es gerne noch einmal - gegenüber dem Soll von 2015
um etwa 647 Millionen Euro; prozentual gesehen sind
das 7,6 Prozent mehr als im Vorjahr . Es ist, meine sehr
verehrten Damen und Herren, auch der Einzelplan, der
in dieser Legislaturperiode prozentual am stärksten anwächst. Der Bundesfinanzminister hat demzufolge viel
für die Familien übrig .
({1})
Lassen Sie mich zunächst auf die gesetzlichen Leistungen eingehen; dazu ist schon viel gesagt worden . Insgesamt betragen diese Leistungen knapp 87 Prozent des
gesamten Haushalts im Einzelplan 17 . Im Wesentlichen
ist es das heute schon oft angesprochene und im Jahr 2007
eingeführte Elterngeld mit rund 5,8 Milliarden Euro für
das Jahr 2016 . Auch in den folgenden Jahren gehen wir
auf die sehr positive Entwicklung beim Elterngeld ein .
So werden die Mittel für das Elterngeld um 245 Millionen Euro angehoben . Das sind insgesamt 63 Prozent des
Ausgabenrahmens im Einzelplan 17 . Lieber Herr Kollege, ich habe vorhin von Ihnen gehört: Das ist selbstverständlich . - 5,8 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen,
ist für mich als Haushälter nicht selbstverständlich .
({2})
Ich finde das Elterngeld sehr gut und hervorragend.
Es wurde gut eingeführt und gut weitergeführt . Aber
5,8 Milliarden Euro sind beileibe keine Selbstverständlichkeit . Das darf an dieser Stelle auch in einer Haushaltsdebatte gesagt werden .
Nach gut acht Jahren ist das Elterngeld wahrlich ein
Erfolgsmodell . Es wird immer beliebter . Auch ich als
Mann finde es gut, dass immer mehr Männer, Väter, es in
Anspruch nehmen . Während es im Jahr 2007 noch etwa
18 Prozent der Väter waren, ist der Anteil in den folgenden Jahren stetig gestiegen . Neben dieser wichtigen
Leistung wurden alle Ansätze bedarfsgerecht angepasst .
Auch die Alleinerziehenden wurden dementsprechend
berücksichtigt .
Liebe Uli Gottschalck, für uns sind die Mehrgenerationenhäuser ja immer ein Thema . Ich denke, wir haben
es jetzt einigermaßen geschafft, dass die Mittel hierfür
verstetigt werden . Es begann mit einem Pilotprojekt, das
dann weitergeführt worden ist . Ich bedanke mich auch
bei den weiteren Haushältern, die uns hierbei unterstützt
haben .
Als CSU-Politiker natürlich einige Sätze zum Betreuungsgeld . Ich weiß nicht, ob es heute eine Rednerin oder
einen Redner gegeben hat, die oder der nicht über das
Betreuungsgeld referiert hat; es ist vieles gesagt worden .
Das Bundesverfassungsgericht sah in diesem Zusammenhang das Fehlen der Gesetzgebungskompetenz beim
Bund, sodass schlussfolgernd die Länder für das Betreuungsgeld zuständig sind .
({3})
Sie können sich sicher sein, dass wir die Menschen nicht
alleine lassen . Alle Anträge, die vor der Verkündung des
Urteils bewilligt wurden, genießen selbstverständlich
Vertrauensschutz und werden dementsprechend haushalterisch erfasst; das hat auch die Ministerin schon gesagt .
In den letzten Wochen - und noch immer - gingen ja
die tollsten Überlegungen zum Betreuungsgeld durch die
Medien . Es muss zunächst einmal ganz deutlich gesagt
werden, dass die 1 Milliarde Euro aus dem Wegfall des
Betreuungsgeldes nicht zur Gänze zur Verfügung steht .
Abgesehen davon finde ich es aber schon gut, dass sich
so viele Köpfe darüber Gedanken machen, was denn nun
aus dem Betreuungsgeld wird . Sie können sich sicher
sein, dass wir auch in dieser Angelegenheit eine gemeinsame, gute Lösung finden werden. Meine sehr verehrten
Damen und Herren, gehen Sie fest davon aus - ich gehe
auf alle Fälle davon aus -, dass das Betreuungsgeld in
Bayern weiterhin gezahlt wird .
({4})
- Ja .
Eines ist in diesem Zusammenhang noch zu erwähnen: Das Bundesverfassungsgericht geht in seinem Urteil
auf unser im Grundgesetz verankertes föderales System
ein . Hier muss schon die Frage erlaubt sein, inwieweit
der Bund für manch geforderte Leistungen auf Länderbzw . auf kommunaler Ebene überhaupt zuständig ist . Der
junge Kollege der Linken ist ja schon weg . Ihm hätte ich
das gerne mit auf den Weg gegeben .
({5})
- Ja, ja .
Ich möchte nicht unerwähnt lassen - auch das ist vorhin
schon gesagt worden -, dass nicht nur der Bund Steuermehreinnahmen hatte, sondern auch Länder und Kommunen . Wenn wir schon über Verteilung sprechen, meine
sehr verehrten Damen und Herren, dann müssen wir uns
gerade auch mit Blick auf die jetzige Situation über eine
Änderung des Grundgesetzes unterhalten . Eine direkte
Unterstützung der Kommunen kann nur dann sichergestellt werden, wenn das Geld auch da ankommt, wo es
am dringendsten gebraucht wird .
({6})
Und wir wissen, dass das momentan bei den Kommunen
der Fall ist .
Es ist immer wieder davon die Rede, dass wir die
Kommunen stärker unterstützen müssen . Ich kann nur
sagen: Von 2010 bis 2019 werden die Kommunen vom
Bund mit 150 Milliarden Euro unterstützt . Das gab es in
dieser Form noch nie . Vielen herzlichen Dank an diejenigen, die hierfür Verantwortung tragen!
({7})
Dabei sind die 3 Milliarden Euro noch nicht berücksichtigt, die am vergangenen Sonntag im Koalitionsgipfel für
die Länder und Kommunen ausgehandelt worden sind .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Familien sprechen, dann sprechen wir auch über Familien
und Menschen, die aus den Kriegsgebieten flüchten. Die
außenpolitische Situation im Nahen und Mittleren Osten, insbesondere der furchtbare Krieg in Syrien und die
menschenverachtenden Gräueltaten durch den IS-Terror
führen dazu, dass Menschen ihre Heimat verlassen, ja
verlassen müssen . Sie alle kennen die Bilder, die über
den Ticker laufen . Es ist furchtbar . Dass wir den Menschen helfen, die unsere Hilfe benötigen, steht nicht zur
Debatte .
({8})
Schon jetzt engagieren sich viele Bürgerinnen und
Bürger und helfen bei der Flüchtlingshilfe . Das ist ein
großartiges Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit . Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Menschen in Deutschland für das große Verständnis .
({9})
Auch Bundesfreiwillige werden eingesetzt, um
Flüchtlinge und Flüchtlingsfamilien in der Anfangsphase
zu begleiten . Auch ist es ein gutes Signal, dass beim Bundesfreiwilligendienst zur Unterstützung der Menschen
in Not 10 000 zusätzliche Stellen eingerichtet werden
sollen . Schon jetzt fördert der Bundesfreiwilligendienst
zivilgesellschaftliches und ehrenamtliches Engagement
von Frauen und Männern aller Generationen in unserem
Land . In Zahlen ausgedrückt sind für den Bundesfreiwilligendienst bisher 167 Millionen Euro jährlich vorgesehen . Für die 10 000 zusätzlichen Stellen kommen weitere
43 Millionen Euro hinzu . Das ist ein Pfund, das wir den
Ehrenamtlichen zugestehen wollen . Das ist auch gut . Wir
schätzen die ehrenamtliche Arbeit in Deutschland wie
Sie, Frau Ministerin, und das nicht erst jetzt, sondern
schon seit vielen Jahren . Das, was die Ehrenamtlichen
leisten, könnten wir hauptamtlich gar nicht machen .
({10})
Wie das Ganze am Ende der Tage ausgearbeitet wird,
muss in den nächsten Wochen besprochen werden . Ich
bin überzeugt, dass das BAFzA diese Aufgabe wie viele
andere auch wieder erfolgreich meistern wird .
Kollege Rainer, wir müssen jetzt auch mit der Zeit
haushalten . Ich bitte, das Zeichen zu beachten .
Ja, ich bin sofort fertig . Es ist das erste Mal, dass ich
überzogen habe, Frau Präsidentin .
Ich finde, wir haben einen Entwurf vorliegen, mit dem
man sehr gut arbeiten kann . Ich freue mich auf die Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern,
dem Haushaltausschuss und den Verantwortlichen im
Ministerium, und ich lade Sie alle ein, konstruktiv und
vor allem sehr aktiv an den kommenden Beratungen teilzunehmen . Ich bin überzeugt, dass wir dann für unsere
Familien und für alle Generationen in Deutschland ein
gutes Ergebnis erreichen werden .
Vielen Dank .
({0})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
mir nicht vor .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 11 . September 2015,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen .