Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/9/2015

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Gu- ten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungs- punkt 1 - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 ({0}) Drucksache 18/5500 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019 Drucksache 18/5501 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Für die heutige Aussprache haben wir gestern eine Redezeit von insgesamt achteinhalb Stunden beschlossen . Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke . ({1})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst muss ich Ihnen natürlich eine falsche Hoffnung nehmen: Es ist nicht meine letzte Rede als Fraktionsvorsitzender im Bundestag . Sie müssen mich schon noch einmal ertragen . ({0}) Das wollte ich Ihnen nur vorher schon sagen, damit Sie nicht falsch strahlen . ({1}) Aber kommen wir einmal zu der Frage, wie die Welt heute aussieht . Ich glaube, die Situation ist sehr ernst . Wir stehen vor gewaltigen Problemen . Kriege und kriegsähnliche Auseinandersetzungen finden in Syrien, im Jemen, im Irak, in der Türkei, in der Ukraine und in anderen Ländern statt . Kriege töten, vernichten und zerstören, und die Menschen fliehen, um nicht getötet, nicht vernichtet zu werden . Wie sehen die Staaten aus, in denen auch der Westen Krieg geführt hat? Afghanistan - eine einzige Katastrophe: Armut, undemokratische Verhältnisse, terroristische Selbstmordanschläge und zunehmend Flüchtlinge . Alle anderen Fraktionen waren für den Krieg in Afghanistan, nur die Linke war dagegen und hat vor den Folgen gewarnt . ({2}) Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Wir hatten recht . ({3}) Glücklicherweise hat sich Deutschland nicht unmittelbar an den Kriegen gegen den Irak und gegen Libyen beteiligt, aber die USA, Großbritannien, Frankreich und andere Länder . Hussein war schlimm und ist weg . Aber ist die Situation jetzt besser? Gaddafi war schlimm und ist weg . Aber ist die Situation jetzt besser? Krieg muss überwunden werden, wenn man ernsthaft will, dass Menschen diesbezüglich nicht gezwungen werden, zu fliehen. ({4}) Deutschland ist aber der drittgrößte Waffenexporteur der Welt und verdient an jedem Krieg . Waffen werden auch an Diktaturen wie Saudi-Arabien und Katar verkauft . Saudi-Arabien führt einen Krieg gegen Jemen, bezieht dennoch Waffen aus Deutschland . Diese unheilvolle Politik muss überwunden werden . Verhindern Sie doch wenigstens Waffenverkäufe an Diktaturen und in Krisengebiete . ({5}) Das ist doch nur ein Minimum . Wenigstens die Sozialdemokratische Partei Deutschlands müsste darauf bestehen . Wir erleben darüber hinaus eine Entstaatlichung von Staaten . Wir haben zunehmend Länder, in denen Regierung, Polizei, Justiz, Bildung und Gesundheitswesen nicht funktionieren . Oft ist es die Folge der vom Westen geführten Kriege . Wenn es keine funktionierenden Regierungen gibt, gibt es auch keine Verhandlungspartner, die etwas durchsetzen können . Die Bürgerinnen und Bürger können so nicht geschützt werden . Entstaatlichte Staaten sind Syrien, Libyen, Irak, Jemen, Somalia . In den ersten vier Ländern sind inzwischen 9 000 Schulen geschlossen worden. Lehrerinnen und Lehrer fliehen, und auch die Eltern mit ihren Kindern fliehen, weil diese ohne Schulbildung in ihrem Leben chancenlos wären . Was tut die Bundesregierung dagegen? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort, Frau Bundeskanzlerin . Und warum erfahren wir eigentlich in den Medien so wenig über die mörderischen Auseinandersetzungen in diesen Ländern? Ich finde, dass Information wichtig ist. Ich wiederhole mich: Jährlich sterben auf der Erde etwa 70 Millionen Menschen. Die häufigste Todesursache ist der Hunger . Jährlich sterben etwa 18 Millionen Menschen auf der Erde an Hunger . Wir haben aber weltweit eine Landwirtschaft, die die Menschheit zweimal ernähren könnte . Menschen, die Angst haben, zu verhungern, fliehen. Was tut die Bundesregierung dagegen, dass der Profit von Konzernen Vorrang vor dem Überleben von Menschen hat? Auch darauf, Frau Bundeskanzlerin, müssten Sie eine Antwort geben . Not, Elend, also Armut, nehmen weltweit ebenso zu, wie der Reichtum anwächst . Nur ganz wenige Zahlen: Seit 2008 hat sich die Zahl der Milliardäre auf der Erde verdoppelt . Die reichsten 80 Personen auf der Erde besitzen genauso viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit, das heißt wie 3,5 Milliarden Menschen . 80 Menschen besitzen genauso viel wie 3,5 Milliarden Menschen! Vor fünf Jahren waren es noch 388 Personen . Interessant ist: Aus 388 Personen werden nicht 400, 500 und dann 600, sondern daraus werden 80, weil der Reichtum sich ganz anders konzentriert . Eine Milliarde Menschen haben ein Einkommen von einem Dollar pro Tag . Armut, bittere Armut führt ebenso zur Flucht . Dagegen unternimmt die Bundesregierung nichts . Denn auf wesentlich höherem Niveau passiert in Europa und Deutschland das Gleiche . Die OECD stellte jetzt fest, dass die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland sich deutlich vergrößert hat, übrigens immer mit einer SPD in der Regierung; ich kann es doch nicht ändern . ({6}) - Sie müssen es sich einfach anhören . - Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung verdienten Mitte der 80er-Jahre fünfmal so viel wie die ärmsten zehn Prozent unserer Bevölkerung . Inzwischen verdienen sie siebenmal so viel . Ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzt 32 Prozent des gesamten Vermögens, und die finanziell schwächere Hälfte der Haushalte, also 50 Prozent unserer Haushalte, besitzt ein Prozent des Vermögens . 50 Prozent besitzen ein Prozent des Vermögens! Das Interessante ist: 1998 besaß diese Hälfte noch vier Prozent des Vermögens . Aus vier Prozent werden nicht fünf Prozent und dann sechs Prozent und sieben Prozent, sondern aus vier Prozent wird ein Prozent . Das ist eine Katastrophe . Damit machen Sie die Gesellschaft kaputt . ({7}) Ein Staat, der selbst so ungerecht verteilt, kann sich auch nicht weltweit wirksam gegen Armut einsetzen und organisiert mithin schon wieder Flüchtlinge . Nachgewiesen wird von der OECD übrigens auch, wie schädlich für die Binnenwirtschaft die Schwächung der Kaufkraft eines großen Teils unserer Bevölkerung ist . Der Generalsekretär der OECD sagte - ich zitiere wörtlich -: Der Kampf gegen Ungleichheit muss in das Zentrum der politischen Debatte rücken . Die Linke wird genau das versuchen . ({8}) Weltweit muss auch ein entschiedener Kampf gegen Rassismus geführt werden . Sinti und Roma sind zum Beispiel die in vielen europäischen Ländern erheblich benachteiligten Teile der Bevölkerung. Sie fliehen in der Hoffnung, endlich irgendwo hinzukommen, wo sie gleichberechtigt behandelt werden . Gerade in diesen viel diskutierten westlichen Balkanländern findet eine menschenrechtsverletzende und menschenrechtsverachtende Politik gegenüber Sinti und Roma statt . Außerdem ist die Politik von Orban in Ungarn schlicht indiskutabel . Dagegen muss ganz entschieden Stellung genommen werden . ({9}) Wenn die Bundesregierung nicht ernsthaft beginnt, die Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen, die Weltprobleme ernsthaft anzugehen, werden sie täglich verschärfter zu uns kommen, bis sie unbeherrschbar sind . Natürlich, Frau Bundeskanzlerin, können Sie das nicht allein . Das erwartet auch niemand . Aber was bereden Sie eigentlich auf den G-7-, G-8- oder G-20-Gipfeln? Warum drängen Sie nicht darauf, wirksam gegen Krieg, Hunger, Not, Elend, Armut und Rassismus vorzugehen? Das wäre doch wohl das Mindeste . ({10}) Nun erwarten wir in diesem Jahr 800 000 Flüchtlinge in Deutschland, die eigentlich kein Problem, sondern eine Chance sind . ({11}) Ich begrüße es ausdrücklich, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie für die Flüchtlinge in Ungarn hier die Türen geöffnet haben . Aber ich sage: Auch die Zustände in Ungarn müsDr. Gregor Gysi sen ganz deutlich verbessert werden . Dazu komme ich noch . Also: Es ist eigentlich fantastisch, dass viele Tausende Menschen zu uns kommen, aber es ist noch fantastischer, wie viele Tausende Menschen, die ehrenamtlich aktiv sind, sie begrüßen und sie unterstützen . Ich glaube, das hätte es so vor zehn Jahren noch nicht gegeben . Das ist eine sehr gute Entwicklung . ({12}) Aber man darf das auch nicht überziehen . Auch ehrenamtliche Helfer sind irgendwann müde, sind irgendwann abgespannt . Das heißt, der Bund muss eingreifen und vor allen Dingen die strukturellen Probleme lösen . Auf der anderen Seite haben wir einen rechtsextremen Mob, der rassistisch hetzt, hasst und Flüchtlingsunterkünfte in Brand setzt . Ich sage Ihnen: Dagegen müssen wir geschlossen auftreten, egal wie groß ansonsten unsere Meinungsunterschiede sind . ({13}) Aber es gibt auch Menschen, die Ängste damit verbinden, die glauben, dass es ihnen besser ginge, wenn es weniger Flüchtlinge gäbe . Ich habe sie gefragt, ob es ihnen besser ging, bevor die Flüchtlinge kamen . Das mussten sie verneinen . Es ist überhaupt kein logisches Argument, aber wir sind trotzdem verpflichtet, diese abstrakten Ängste abzubauen. Und wir sind verpflichtet, mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen . Ich sage Ihnen: Wenn Verhältnisse so sozial ungerecht sind, dann nutzt das der Rechtsextremismus aus, um Leute für sich zu gewinnen mit schlichten rassistischen und anderen Losungen . Also kämpfen wir nicht nur aus materiellen Gründen, sondern auch aus wichtigen ideellen Gründen für deutlich mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland . ({14}) Im Übrigen: Der ärmere Teil der Bevölkerung ist der Teil, der immer seltener zur Wahl geht . Das ist demokratiegefährdend . Wir müssen also auch mehr soziale Gerechtigkeit gestalten, damit diese Menschen wieder die Demokratie begrüßen und sich an Wahlen beteiligen . ({15}) Die Flüchtlinge sind schon deshalb eine Chance, weil uns immer mehr Arbeitskräfte fehlen . Der Arbeitgeberpräsident begrüßt deshalb den Zustrom an Flüchtlingen . Jedes Jahr sterben bekanntlich mehr Deutsche als geboren werden . Da es ja handwerklich nicht verlernt worden ist, müssen wir uns doch einmal Gedanken darüber machen, woran das liegt . Ich sage Ihnen: Das liegt daran, dass wir keine kinderfreundliche Gesellschaft sind . Es liegt daran, dass wir ein Bildungssystem aus dem 19 . Jahrhundert haben, dass es keinen chancengleichen Zugang zu Bildung, Kunst und Kultur bei Kindern gibt . Von einem solchen Zugang kann nicht einmal im Ansatz die Rede sein . Die umfassende prekäre Beschäftigung dank Agenda 2010 verhindert, dass die Menschen verantwortungsbewusst Kinder in die Welt setzen können . Massenhaft kriegen junge Leute nur befristete Arbeitsverträge von einigen Monaten . Sie wissen nicht einmal, was aus ihnen wird, geschweige denn, was aus ihren Kindern werden soll . All das sind die Ursachen dafür . Aber selbst wenn wir - das muss ich so deutlich sagen - Flüchtlinge wirtschaftlich nicht brauchten, sind wir verpflichtet, sie anständig zu behandeln, sie anständig unterzubringen und sie zu integrieren . ({16}) Deshalb ist es gut, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie im kommenden Jahr sechs Milliarden Euro im Bundeshaushalt dafür einsetzen wollen . Das ist ein Schritt in die richtige Richtung . Aber das Geld genügt nicht, und vor allem ist das keine strukturelle Lösung . Deshalb sage ich Ihnen noch einmal: Wir müssten den Solidaritätszuschlag nicht abschaffen, sondern beibehalten und das Aufkommen daraus gerecht unter den 16 Bundesländern verteilen, damit diese die Aufgaben bei der Unterbringung und bei der Integration der Flüchtlinge meistern können . ({17}) Das Asylverfahren ist übrigens Bundesrecht . Insofern müssen die Kosten meines Erachtens auch vom Bund getragen werden, aber nicht von den Ländern und Kommunen . Es ist richtig, dass Sie mehr Deutschkurse anbieten . Ihre Überlegungen, Flüchtlinge schneller loszuwerden, gehen aber eindeutig in die falsche Richtung . ({18}) Sie erweitern die Zahl sicherer Herkunftsländer, um schneller abschieben zu können . So soll nun der Kosovo ein sicheres Herkunftsland sein, wenn ich Sie richtig verstanden habe . Sie begründen uns doch immer die Notwendigkeit der Bundeswehr im Kosovo damit, dass es dort so unsicher ist . Was stimmt denn nun? Braucht man dort die Bundeswehr, oder ist das ein sicheres Land? Sie müssen auch einmal Logik in Ihre Politik bringen . ({19}) Übrigens: Der Vorschlag, Bargeld für Flüchtlinge abzuschaffen und durch Gutscheine zu ersetzen, widerspricht einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts . Gehen Sie doch keinen grundgesetzwidrigen Weg . Er ist immer falsch . ({20}) Flüchtlinge sollen nach drei Monaten Aufenthalt Leiharbeit verrichten dürfen . Sie wollen also einen neuen Sektor für Niedriglohn eröffnen . Auch das ist indiskutabel. Darunter sind übrigens oft viele qualifizierte Kräfte. Mir wird immer gesagt, dass man nicht weiß, ob die Qualifikation stimmt. Mein Gott, wir haben doch immer eine Probezeit . Da weiß beispielsweise ein Arzt sofort, ob die Qualifikation stimmt oder nicht stimmt. Hier müssen wir einmal etwas lockerer, etwas unbürokratischer werden und dafür sorgen, dass die Menschen so schnell wie möglich Beschäftigung finden. ({21}) Sechs osteuropäische Länder erklärten, niemals mit Flüchtlingsquoten einverstanden zu sein: Tschechien, die Slowakei, Polen, Ungarn, Litauen und Lettland . Nun bin ich auch gegen Quoten, weil es sich nämlich um Menschen handelt und nicht um Sachen; die kann man nicht einfach verteilen . ({22}) Aber eine gerechte Kostenverteilung innerhalb der Europäischen Union halte ich für zwingend erforderlich . Wenn dann Länder, die kaum Flüchtlinge aufnehmen, nicht bereit sind, ihren Kostenanteil zu zahlen, müssen ihnen die Zuschüsse von der EU entsprechend gekürzt werden . Da muss man jetzt einmal mehr Mumm zeigen, Frau Bundeskanzlerin . ({23}) Übrigens erklärt die polnische Regierung, dass Polen für muslimisch gläubige Flüchtlinge ungeeignet sei . Nun ist dieses Land bekanntlich schwer katholisch geprägt . Es kann doch nicht wahr sein, dass ich denen jetzt schon wieder die Bergpredigt von Jesus Christus erklären muss . ({24}) Wenn diese Mitglieder der polnischen Regierung zur Beichte gehen, müssen sie so viele Rosenkränze beten, dass sie gar nicht mehr aus der Kirche herauskommen . Ich kann nur sagen: Führen Sie mit denen mal eine scharfe und deutliche Auseinandersetzung . ({25}) Ungarn . Orban schafft Schritt für Schritt die Demokratie ab und strebt eindeutig autoritäre Strukturen an . Das verkündet er sogar . Die USA haben bereits Sanktionen ausgesprochen . Und was macht unsere Bundesregierung? Sie mault etwas vor sich hin . Das reicht nicht . Hier müssen wirklich Maßnahmen ergriffen werden, aber nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch von der EU . ({26}) Und noch etwas, das interessiert mich, Frau Dr . Merkel, Herr Kauder und Frau Hasselfeldt . Orbans Partei ist Mitglied der konservativen Fraktion im Europäischen Parlament . Das heißt, die Abgeordneten der CDU und der CSU sitzen gemeinsam in einer Fraktion mit den Mitgliedern von Orbans Partei . Meinen Sie nicht, es ist höchste Zeit, diese Partei aus Ihrer europäischen Fraktion rauszuschmeißen, und zwar achtkantig? ({27}) Insgesamt sieht man die unzureichenden Strukturen der EU . Nichts Wirksames geschieht gegen Orbans unerträgliche Politik . Russland . Russland ist eine Weltmacht, und nicht, wie Obama meinte, eine Regionalmacht . Russland ist eine Vetomacht . Russland ist das militärisch stärkste Land in Europa . Obama verlangte Wirtschaftssanktionen durch die EU, auch durch die Bundesrepublik . Wie immer sind Sie den Forderungen der US-Administration artig gefolgt und haben alles gemacht, was sie wollte . Wir haben dadurch deutliche Wirtschaftseinbußen . Ich kenne mittelständische Unternehmen, die an Russland geliefert haben und jetzt nicht wissen, wie sie die Insolvenz verhindern sollen . Nun lese ich, dass nach russischen Angaben der Handel zwischen den USA und Russland um sechs bis elf Prozent zugenommen hat . Ich meine, es wäre doch eine sagenhafte Frechheit, von uns Sanktionen zu verlangen und selbst den Handel zu steigern . Deshalb sage ich Ihnen: Hören Sie endlich damit auf! Sie müssen eine eigenständige Interessenpolitik machen . Es gibt keinen Frieden in Europa ohne oder gegen Russland . Das müssen wir beachten . ({28}) Noch etwas: Jetzt höre ich plötzlich, dass Russland Waffen und Truppen um Syrien zusammenzieht . Dann lese ich, das sei alles mit den USA abgestimmt . Dann lese ich wiederum, dass die US-Regierung die russische Regierung warnt . Jetzt frage ich mich: Ist die Warnung auch abgestimmt, indem man sagt: „Macht das mal, aber wir müssen so tun, als ob wir dagegen sind“? Ich hoffe, Frau Bundeskanzlerin, Sie können uns einmal aufklären und sagen, wie es da wirklich aussieht . Es wird Zeit, dass unsere Bevölkerung diesbezüglich informiert wird . ({29}) Noch etwas: Ich verstehe sehr gut, dass man Assad nicht mag; das kann ich alles nachvollziehen . Er verletzt Menschenrechte in vielfacher Hinsicht . Aber man wird einen Frieden ohne Assad doch wirklich nicht finden. Ist die Friedensfrage nicht wichtiger als die Frage, wen man aus Menschenrechtsgründen ablehnt oder nicht ablehnt? ({30}) Letztlich müssen wir begreifen und danach handeln: Frieden und Sicherheit brauchen wir überall auf der Erde . Deutschland darf nicht der drittgrößte Waffenexporteur der Welt sein . ({31}) Türkei . Es gab einen Friedensprozess zwischen der Regierung der Türkei und den Kurdinnen und Kurden . Dann hat sich die Regierung entschieden, gegen die PKK Krieg zu führen . Jetzt sagt Erdogan, es gibt für ihn nur noch eine militärische Lösung . Er marschiert sogar in den Irak ein . Aber gerade die syrischen und irakischen Kurdinnen und Kurden, wenn ich darauf einmal hinweisen darf, führen den einzig wirklich wirksamen Kampf am Boden gegen den „Islamischen Staat“ . Die werden jetzt aber bekriegt, und zwar von einem NATO-Partner . Und was machen Sie dagegen? Nichts . Geben Sie doch einmal dieses Schweigen auf und suchen Sie die wirkliche Auseinandersetzung mit Erdogan, weil das nicht mehr hinnehmbar ist! ({32}) Griechenland . Herr Schäuble, vielleicht haben Sie Ihr Ziel erreicht, und die linke Regierung ist gestürzt . Wir warten das Ergebnis der Wahlen ab . ({33}) Aber eines hat die linke Regierung von Griechenland erreicht: eine Diskussion in ganz Europa über den Euro und über die EU-Strukturen, wie wir sie noch nie hatten . Jetzt stellt sich die Frage, ob die EU weiter in Richtung Demokratie- und Sozialabbau oder endlich umgekehrt in Richtung mehr Demokratie und mehr soziale Gerechtigkeit gestaltet wird . Wir brauchen die EU für den Frieden in Europa, aber eben auch für mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit . ({34}) Ich sage Ihnen, Herr Schäuble, Sie haben leider mit Ihrer Politik erreicht - Sie natürlich auch, Frau Bundeskanzlerin -, dass der Rechtspopulismus und der Rechtsextremismus, die zu den alten Nationalstaaten zurückwollen, in den europäischen Ländern Erfolge zeigen . Schon das müsste Sie wachrütteln und die Politik gänzlich ändern . ({35}) TTIP . Wir haben immer die mangelnde Transparenz bei dem sogenannten Freihandelsabkommen, das da zwischen den USA und der Europäischen Union verhandelt wird, kritisiert . Es hat sich ein kleines bisschen verbessert, aber nicht viel . Jetzt nenne ich Ihnen drei Probleme: Erstens . Wir kennen ein Vorsorgeprinzip, das in den USA unbekannt ist . Die kennen ein Nachsorgeprinzip . Das heißt, wenn man in Deutschland ein neues Lebensmittel auf den Markt bringen will, muss man beweisen, dass das nicht schädlich ist . ({36}) Dass wir da manchmal falsche Beweise kriegen, ist eine andere Frage . Man muss es aber beweisen . In den USA ist es genau umgekehrt . Da kann man jedes Lebensmittel auf den Markt bringen . Wenn man dann aber Schaden anrichtet, wird man irgendwann zu ein paar Milliarden Schadenersatz verurteilt . Das ist eine völlig umgekehrte Herangehensweise . ({37}) Die mittelständischen Unternehmen sagen mir, sie liegen damit zwei bis drei Jahre zurück und haben dadurch einen ganz großen Nachteil . Das sollte Sie doch eigentlich interessieren . ({38}) Zweitens . Die Schiedsgerichte sind abenteuerlich . Sie müssen sich einmal Folgendes überlegen: Da kommt ein kanadischer oder amerikanischer Konzern, klagt vor einem Schiedsgericht und bekommt dann 200 Milliarden Euro Schadenersatz durch die Bundesregierung zugebilligt, und man kann nichts mehr machen . Es gibt kein weiteres Gericht, weder ein deutsches noch ein europäisches . Die eigenen Unternehmen müssen bis zum Europäischen Gerichtshof oder bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, um irgendetwas durchzusetzen . Das ist wiederum eine schwere Benachteiligung . ({39}) Ich weiß, dass die Wirtschaft für ein Freihandelsabkommen ist . Wir sagen dazu Nein . Ich weiß auch, welche Kritik Sie daran üben, und die sollten Sie ernst nehmen . Drittens . ({40}) Das für uns entscheidende Kriterium ist das Verbot von Investitionshemmnissen . Ich bitte Sie: Wissen Sie, was das heißt? Das heißt Folgendes: Ein amerikanischer Konzern gründet zu irgendeinem Zeitpunkt, als es eine bestimmte rechtliche Situation gab, seinen Sitz in Deutschland . Danach gibt es Neuwahlen in der Bundesrepublik Deutschland, und - sagen wir einmal - es entsteht eine vernünftige Regierung, also aus oder mit Linken; nur einmal angenommen . ({41}) - Ja, man darf doch träumen, das ist doch nicht verboten . - Passen Sie auf: Jetzt erlaubt diese Regierung sich, die Mitbestimmung in Unternehmen zu erweitern, vielleicht sogar ein kleines bisschen die Steuern für die Konzerne zu erhöhen . Und dann sagen die: Das verstößt gegen das Verbot von Investitionshemmnissen . - Wenn Sie das unterschreiben, dann sagen Sie, dass eine Politik in einer bestimmten Richtung verboten ist und dass die Verhältnisse nur noch reaktionärer werden dürfen . Da kann doch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in Anbetracht ihrer Geschichte eigentlich niemals zustimmen; aber Sie organisieren das Ganze noch . ({42}) Ich komme zur prekären Beschäftigung . Wir haben in Deutschland nach wie vor den größten Niedriglohnsektor in Europa . Wir hatten einmal - vor 20 Jahren - 26 Millionen Menschen in Vollzeitbeschäftigung, jetzt nur noch 22 Millionen . Der Anteil der prekären Beschäftigung, das heißt erzwungenen Teilzeit, Befristung, Leiharbeit und geringfügigen Beschäftigung, ist um 70 Prozent gestiegen und beträgt jetzt 21 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse . Ich sage Ihnen ganz klar: Leiharbeit ist für mich eine moderne Form der Sklaverei und muss verboten werden . ({43}) Aber wenn Sie schon Ausnahmen machen, dann müssen Sie wenigsten dafür sorgen, dass eine Leiharbeiterin oder ein Leiharbeiter ab der ersten Stunde der Beschäftigung Anspruch auf 110 Prozent des Lohnes hat, den ein anderer Beschäftigter in dem Unternehmen für die gleiche Tätigkeit bezieht, damit diese Leiharbeit endlich zur Ausnahme wird und nicht zu einem Nötigungsmittel, um der eigenen Belegschaft das Weihnachtsgeld, das Urlaubsgeld und vieles andere zu entziehen . ({44}) Befristung darf es nur noch mit Sachgrund geben und nicht - wie heute - willkürlich . ({45}) Auch die erzwungene Teilzeit müssen wir loswerden . Wenn es Teilzeit schon gibt, dann muss sie freiwillig sein, aber mit dem Recht auf Rückkehr zur Vollbeschäftigung . Übrigens, die Frauen trifft es besonders hart . Die Vollzeitbeschäftigungsquote bei Frauen sank von 55 Prozent auf 40 Prozent, und die Zahl der Teilzeitjobs für Frauen nahm zu von 3,8 auf 6,3 Millionen . Ich sage Ihnen: Armut ist immer weiblich . Deshalb war der Streik der Erzieherinnen und Erzieher und der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter so wichtig, um wenigstens zu erreichen, dass diese klassischen Frauenberufe endlich nicht mehr so grottenschlecht bezahlt werden, wie das gegenwärtig der Fall ist . Wir brauchen gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit . ({46}) Übrigens, Frau Nahles, wann setzen Sie Ihre - aus unserer Sicht völlig unzureichenden - Gesetze zur Begrenzung von Leiharbeit und gegen den Missbrauch von Werkverträgen endlich um? Das wird Zeit, das kann man doch nicht bloß beschließen . ({47}) Also, ich sage Ihnen ganz klar: Wir werden einen entschiedenen Kampf gegen die prekäre Beschäftigung und den Niedriglohnsektor in Deutschland führen . Ich komme zum Schluss und sage Ihnen Folgendes: ({48}) - Ich will Ihnen zwischendurch auch mal eine kleine Freude machen . ({49}) Wenn wir jetzt über die Halbzeit der Großen Koalition reden, dann darf ich doch drei Dinge bewerten: Erstens . Immer wieder wird behauptet, dass Sie, Frau Dr . Merkel, die CDU sozialdemokratisiert haben . Welches Bild muss inzwischen eigentlich von der Sozialdemokratie herrschen, wenn Ihre Politik als sozialdemokratisch gilt? ({50}) Aber ich frage mich, welche Projekte Sie eigentlich in den nächsten zwei Jahren anfangen wollen . Leider glaube ich nicht, dass Sie wirksam die Fluchtursachen bekämpfen, die Rüstungsexporte wesentlich und deutlich beschränken, einen Kampf führen gegen den Niedriglohnsektor, gegen die prekäre Beschäftigung und gegen die Altersarmut und endlich eintreten für Chancengleichheit, insbesondere für Kinder beim Zugang zu Bildung, Kunst und Kultur . Dazu gehört übrigens auch ein deutlich billigerer öffentlicher Nahverkehr . Aber was haben Sie stattdessen vor? Erzählen Sie es uns . Zweitens . Die CSU ist ein besonders trauriger Fall . ({51}) - Ja, Frau Hasselfeldt, ich muss es Ihnen sagen . Sie hatten aus Ihrer Sicht zwei tolle, aus meiner Sicht zwei ganz besonders blöde Projekte . Das war einmal das Betreuungsgeld, mit dem Sie Eltern dafür bezahlten, dass sie das Lernen ihrer Kinder in Kindertagesstätten unterbinden . ({52}) Wir haben Ihnen gesagt, dass es grundgesetzwidrig ist . Sie haben es uns nicht geglaubt . Inzwischen hat es das Bundesverfassungsgericht eindeutig festgestellt . ({53}) Und dann die Maut! Liebe CSU, ich habe Ihnen gesagt, mit Tricks kann man Europarecht nicht umgehen . Sie wollten es mir nicht glauben und mussten nun alles stoppen, nachdem in der EU ein Verfahren gegen unser Land eingeleitet wurde . Ich werde Sie nicht inhaltlich überzeugen können . ({54}) Aber glauben Sie mir: Wenn Sie diesbezüglich nicht über solche Mitglieder verfügen, müssen Sie sich wenigstens Beraterinnen und Berater suchen, die sich im Europarecht und im Grundgesetz auskennen . Glauben Sie mir das! ({55}) Drittens: die SPD . Die SPD sitzt, auch wenn sie es gelegentlich vergisst, ebenfalls in der Bundesregierung . Viel zu spüren ist das allerdings nicht . ({56}) Sie stehen vor einer spannenden Frage: Wollen Sie ein Anhängsel der Union bleiben oder doch zu einem Gegenüber werden? ({57}) Die Depressionen bei Ihnen gehen ja schon so weit, dass in Ihren Reihen, lieber Herr Gabriel, diskutiert wird, ob man überhaupt noch eine eigene Kanzlerkandidatin oder einen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellen sollte . Mein Gott! Wann kehrt in die Sozialdemokratie endlich mal wieder Leidenschaft, Kampfgeist, und zwar für Frieden und soziale Gerechtigkeit, zurück? ({58}) Mein letzter Satz: Viel Hoffnung für die Bevölkerung entsteht durch die - übrigens wegen der großen Mehrheit - demokratiegefährdende Große Koalition für die nächsten beiden Jahre nicht, aber wer weiß, was 2017 passiert! ({59})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Bundeskanzlerin . ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Unsere Wirtschaft ist stark, unser Arbeitsmarkt robust . In vielen Branchen werden Fachkräfte sogar regelrecht gesucht . Das heißt, man kann sagen, Deutschland ist in diesen Monaten in guter Verfassung . ({0}) Ein entscheidender Grund - bei Weitem nicht der einzige -, warum Deutschland stark ist, liegt in der soliden Finanz- und Haushaltspolitik dieser Bundesregierung . ({1}) Wir sind den Weg der wachstumsorientierten Konsolidierung gegangen, und er hat sich bewährt . Das gibt uns den nötigen Rückhalt und macht uns voll handlungsfähig . Wir haben im vergangenen Jahr mit dem Haushalt für 2015 einen historischen Wendepunkt erreicht: keine neuen Schulden . Und das gilt auch weiter für die mittelfristige Finanzplanung . Das heißt, Deutschlands Finanzen stehen auf einem soliden Fundament . Das ist wiederum einer der Gründe dafür, dass sich auch die wirtschaftspolitische Halbzeitbilanz der Bundesregierung mehr als sehen lassen kann . Die Wirtschaft wächst deutlich . Wir haben eine Rekordbeschäftigung . Die Zahl der Erwerbstätigen ist im Juli auf knapp 43 Millionen Personen gestiegen . Das waren 160 000 mehr als im Vorjahr . Was ich besonders bemerkenswert und wichtig finde: Der Anstieg geht auf mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zurück. Das ist ja genau unser Ziel . Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit 1991 nicht mehr . Die bundesweite Arbeitslosenquote lag im August bei 6,4 Prozent und damit 0,3 Prozentpunkte unter dem Vorjahresniveau . Wir haben mit einer Quote von 7,7 Prozent - immer noch zu hoch, aber immerhin - die niedrigste Erwerbslosigkeit unter den Jugendlichen in der Europäischen Union . Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben mehr Geld in der Tasche . Seit Amtsantritt dieser Bundesregierung sind die Löhne in jedem Quartal stärker gestiegen als die Inflation. Die deutschen Exporte erreichen einen neuen Höchststand . Das alles geschieht in einem Umfeld, das ja bei Weitem nicht nur als stabil bezeichnet werden kann . Die Weltwirtschaftslage ist nicht völlig ohne Risiken . Die Schwellenländer gehen durch eine schwierige Phase . Aber wir als Bundesregierung rechnen mit einem Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent in diesem und auch im nächsten Jahr . Solide Finanzen - das zeigt sich in diesen Tagen machen es möglich, dass wir auf plötzlich auftretende neue Herausforderungen reagieren können, wie jetzt im Haushaltsplan für 2016 . Es sind sechs Milliarden Euro Mehrausgaben vorgesehen, davon drei Milliarden Euro für den Bund und drei Milliarden Euro für die Unterstützung von Ländern und Kommunen . Nachhaltige Haushaltspolitik - das hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt - eröffnet eben auch Spielräume, Möglichkeiten für zukunftsorientierte Investitionen . Wir haben wichtige Impulse gesetzt: in der Infrastruktur, bei Forschung und Entwicklung, in der Energie- und Klimapolitik und im digitalen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft . Vor allem die Verkehrsinvestitionen sind deutlich erhöht worden . Wir geben in dieser Legislaturperiode fünf Milliarden Euro zusätzlich für Verkehrsinfrastruktur aus . An einigen Stellen sind die Planungen noch gar nicht so weit fortgeschritten, dass das Geld auch ausgegeben werden kann . Aber es gibt Bundesländer, die Reserven haben . ({2}) Hinzu kommen weitere 4,35 Milliarden Euro aus dem Investitionspaket 2016 bis 2018 . Wir haben 2009 die Breitbandstrategie der Bundesregierung gestartet, und sie zahlt sich aus: Fast 70 Prozent der Haushalte haben heute Bandbreiten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde - Anfang 2010 waren es nur 39 Prozent -, und bis 2018 wird es eine flächendeckende Breitbandversorgung geben, auch im ländlichen Raum . Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur an Bundesinvestitionen gedacht . Wir wissen, dass die Kommunen die wichtigste Ebene für öffentliche Investitionen sind . Die Kommunen haben auch Steuermehreinnahmen, aber die Finanzlage der Kommunen insgesamt ist unterschiedlich . Deshalb unterstützen wir die Kommunen so sehr, wie das nie zuvor geschehen ist . Aber wir haben noch einen besonderen Schwerpunkt gesetzt: Der Bund wird gerade die finanzschwachen Kommunen mit einem Sonderfonds für Zukunftsinvestitionen unterstützen . Für die Jahre 2015 bis 2018 sind dafür, zusätzlich zu den normalen und für alle Kommunen geltenden finanziellen Hilfen, 3,5 Milliarden Euro vorgesehen . Ich glaube, das ist ein absolut richtiger Akzent . ({3}) Eines der zentralen Vorhaben dieser Bundesregierung ist und bleibt die Energiewende . Wir haben mit dem Kabinettsbeschluss vom 1 . Juli dieses Jahres wichtige Weichen gestellt, damit die Energiewende erfolgreich umgesetzt werden kann . Wir haben den Strommarkt zu einem Strommarkt 2 .0 weiterentwickelt . Wir haben klare Entscheidungen getroffen und damit auch für Berechenbarkeit der Investitionen bezüglich des Netzausbaus gesorgt . Wir haben mehr finanzielle Mittel für den Klimaschutz bereitgestellt und die entsprechenden Weichen gestellt, um unsere Klimaziele zu erreichen . Und wir haben im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Kernenergie noch einmal deutlich gemacht, dass die Sicherheit während der Restbetriebslaufzeit und beim Abbau von Kernkraftwerken unbedingt zu gewährleisten ist . Das gilt auch für die Entsorgung radioaktiver Abfälle . Die Bundesregierung geht dabei vom Grundsatz aus, dass die Kosten von den Verursachern zu tragen sind . ({4}) Unbeschadet aller uns in diesen Tagen beschäftigenden Herausforderungen dürfen wir nicht vergessen, dass wir einen qualitativen Wandel unseres Arbeitslebens, unseres gesellschaftlichen Lebens durchlaufen, und zwar durch die Digitalisierung . Und die Bundesregierung antwortet darauf . Wir wissen, dass das Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen betrifft . Mit dem Regierungsprogramm „Digitale Agenda 2014-2017“ wird die Bundesregierung den digitalen Wandel aktiv mitgestalten . Wir werden auf der Kabinettsklausur am Dienstag der kommenden Woche die Digitalisierung als Schwerpunkt haben und über Themen wie Industrie 4 .0, automatisiertes Fahren, Cybersicherheit und E-Health sprechen wie über viele andere Themen . Nur wenn wir wirklich verstehen, was durch die Digitalisierung passiert, wird es auf Dauer gelingen, hochprofitable Wertschöpfungsketten in Deutschland zu halten. Unser Plus in diesen Tagen ist, dass der Anteil der industriellen Produktion in Deutschland im internationalen Maßstab nach wie vor vergleichsweise hoch ist . Aber in Zukunft werden sich die Wertschöpfungsketten ändern . Die Frage der Datenverarbeitung wird eine wesentliche Rolle spielen . Wenn wir diesen Prozess der Wertschöpfung aus Daten nicht zeitnah mitgestalten, wenn wir nicht die richtigen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dann laufen wir Gefahr, mit unserer industriellen Produktion zu einer verlängerten Werkbank zu werden, und das muss verhindert werden . Ich glaube, das können wir schaffen . Auf der europäischen Ebene werden mit der Datenschutzgrundverordnung, die jetzt beraten wird, wichtige Weichen gestellt . Im Übrigen brauchen wir eine europäische Strategie für die Digitalisierung . Glücklicherweise gibt es auch diesbezüglich erste Fortschritte . Wir arbeiten genauso beharrlich daran, die europäische Staatsschuldenkrise zu überwinden . Wir haben in diesem Sommer ein umfassendes Programm auf den Weg gebracht, das Griechenland eine Chance bietet, in der klassischen Herangehensweise - Solidarität und Eigenverantwortung - wieder zu Wirtschaftswachstum und mehr Beschäftigung zu kommen . Wenn wir auf den Euroraum insgesamt blicken, können wir sagen: Es gibt eine wirtschaftliche Erholung, die Wirtschaftslage ist besser als noch vor einem Jahr, und insbesondere reformstarke Euroländer wie Spanien und Irland wachsen überdurchschnittlich . Spanien wächst jetzt so schnell, wie es vor der Krise gewachsen ist . Man kann hier nur sagen, dass sich der Reformweg gelohnt hat . ({5}) Ermutigend ist, dass die sogenannte Staatsschuldenquote 2015 erstmals abnehmen wird, im Euroraum auf 94 Prozent des BIP, im gesamten EU-Raum auf 88 Prozent des Bruttoinlandsprodukts . Wenn wir uns die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts anschauen, müssen wir ehrlich sagen: Auch Deutschland hat noch eine Wegstrecke vor sich . Länder wie Polen, Schweden und Dänemark haben wesentlich weniger Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt als wir . Also müssen auch wir uns weiter anstrengen . Ich halte es zur Schaffung von Wachstumsvoraussetzungen für absolut wichtig, dass wir die Freihandelsabkommen intensiv weiterverhandeln . Wir sehen die Chancen dieser Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada . Ich will darauf hinweisen, dass wir Punkt für Punkt - das ist hier nicht der Rahmen dafür - all das, was darüber erzählt wird, entkräften . Es handelt sich um ein Freihandelsabkommen zwischen zwei Wirtschaftsräumen der Welt mit den höchsten Standards, sowohl was Verbraucherschutz als auch was Umweltschutz anbelangt . Wenn diese Regionen es schaffen, ein faires gemeinsames Abkommen zu schließen, wird dies Wirkung haben auf alle anderen Handelsabkommen weltweit, die sich heute fast gar nicht um Verbraucherschutzstandards, um soziale Standards oder um Umweltschutzstandards kümmern . Das könnte ein Freihandelsabkommen der Zukunft sein, weil es darin nicht einfach nur um Zölle geht, sondern um sehr viel mehr . Damit können wir Maßstäbe setzen . ({6}) Auch wenn wir viel über Infrastrukturprojekte sprechen, über die Energiewende, über die Digitalisierung und über die Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise, so steht doch im Zentrum unserer Politik immer auch die Frage: Was bedeutet das für die Menschen? Der einzelne Mensch in seiner Lebenssituation in unserem Land zählt für uns . Deshalb möchte ich heute ein Thema herausgreifen, bei dem die Große Koalition exemplarisch gezeigt hat, dass sie sich gerade auch um die Sorgen und Nöte der Menschen kümmert. Es geht um die Pflege alter oder kranker Menschen, die - das gilt für fast jede Familie - die Angehörigen vor gewaltige Herausforderungen stellt. Wir haben mit dem Pflegestärkungsgesetz, das zum 1 . Januar dieses Jahres in Kraft trat, einen ersten Schritt gemacht . Damals haben wir unter anderem deutliche Verbesserungen im Bereich der ambulanten Pflege beschlossen . Jetzt unternehmen wir einen zweiten Schritt, und das ist ein revolutionärer Schritt . Viele werden sich erinnern, wie lange wir über den neuen Pflegebegriff diskutiert haben . ({7}) - Richtig . - Es war eine lange, ausführliche Diskussion - einen Teil der Verzögerungen nehme ich auf meine Kappe -, weil uns wichtig war, dass wir sicherstellen, dass der neue Pflegebegriff körperliche, geistige und psychische Einschränkungen gleichermaßen berücksichtigt . Wir hatten ja schon einen ersten Schritt im Hinblick auf Demenzerkrankungen gemacht . Aber genauso wichtig war mir und uns, dass niemand durch den neuen Pflegebegriff in eine Situation kommt, in der er sich schlechter stellt und nicht versteht, warum wir eine Pflegebedürftigkeit gegen eine andere ausspielen . Das haben wir sorgsam geprüft, und jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, der mit Sicherheit für alle, die der Pflege bedürfen, eine Verbesserung mit sich bringt . Wir haben dafür auch eine Beitragserhöhung von 0,2 Prozent beschlossen . Aber ich glaube, das ist gut investiertes Geld für Menschen in einer schwierigen Lebenslage und ihre Familien . Deshalb halte ich das für einen ganz wichtigen Schritt . ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stelle überhaupt nicht in Abrede, dass noch viel zu tun ist in Deutschland . Aber wenn wir sehen, was um uns herum in der Welt passiert, dann möchte ich heute hier auch einmal sagen: Es ist ein Privileg, und es ist ein Glück, in guten demokratischen Verhältnissen zu leben und über einen Haushaltsentwurf wie diesen zu sprechen . Ich sage das auch mit Blick auf 25 Jahre deutsche Einheit, meine Damen und Herren . ({9}) Das ist wirklich nicht überall auf der Welt so . Denken wir zum Beispiel nur an die Lage vor unserer eigenen Haustür, nämlich in der Ukraine, die uns unverändert Sorgen macht . Die Achtung des Rechts ist unabdingbare Voraussetzung für ein friedliches und partnerschaftliches Zusammenleben . Durch die Annexion der Krim und den von Russland unterstützten Separatismus in der Ostukraine hat Russland diese Ordnung fundamental verletzt . Wir haben uns in den letzten Monaten immer und immer wieder dafür eingesetzt, dass die Krise in der Ukraine auf diplomatischem Weg gelöst werden kann . Das Ziel dabei ist, dass die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt werden kann . Das Maßnahmenpaket von Minsk wurde im Februar beschlossen . Es ist nach wie vor Richtschnur auf diesem Weg . Wir haben seit Anfang September nach vielen Rückschlägen einen immer noch fragilen, aber etwas verbesserten Waffenstillstand . Aber wir wissen, wir sind längst nicht am Ziel . Ich darf Ihnen sagen, dass die Bundesregierung, der Bundesaußenminister und auch ich, gemeinsam immer und immer wieder - auch im Normandie-Format - zusammen mit dem französischen Außenminister und dem französischen Präsidenten darüber wachen werden und Anstrengungen unternehmen werden, um diesen Prozess voranzubringen, der jetzt auch in eine entscheidende politische Phase gekommen ist, was Verfassungsänderungen anbelangt, was die Frage von Lokalwahlen anbelangt . Wir sind da längst nicht über den Berg . Aber wir werden in unseren Bemühungen nicht nachlassen, weil wir nur diesen diplomatischen Weg sehen, meine Damen und Herren, und den zu gehen müssen wir immer und immer wieder versuchen . ({10}) Ich möchte mich in diesem Zusammenhang auch bei der OSZE bedanken . Die Beobachter der OSZE leisten hier eine herausragende Arbeit . Manch einer hatte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit schon ein bisschen sozusagen in die Reihe der auslaufenden Organisationen gestellt . Ich kann nur sagen: Wenn wir sie nicht hätten, wären wir in diesem Prozess mit der Ukraine längst nicht an dem Punkt . Deshalb ist es auch gut, dass Deutschland im nächsten Jahr den Vorsitz übernimmt . Wir arbeiten heute schon mit der Schweiz und Serbien in der Troika zusammen und werden das nächstes Jahr fortsetzen . ({11}) Meine Damen und Herren, trotz dieses tiefgreifenden Konflikts mit Russland gibt es in diesem Jahr in der internationalen Politik auch manches, das positiv überrascht und das Mut macht, zum Beispiel die Einigung der E3+3, also unter Beteiligung Russlands und Chinas, mit dem Iran auf einen gemeinsamen umfassenden Aktionsplan im Zusammenhang mit dem Nuklearprogramm . Dieser Aktionsplan beruht nicht auf Vertrauen oder der Vermutung, wie der Iran in zehn oder 15 Jahren aussehen könnte, sondern auf sehr detaillierter Kontrolle, um den Weg Irans zu einer Nuklearwaffe zu stoppen . Ich möchte an dieser Stelle unserem Außenminister Dr . Frank-Walter Steinmeier ganz herzlich danken . Er hat wirklich Stunden und Aberstunden und Tage in Genf verbracht . Danke für Ihr Mittun . ({12}) Positives sehen wir auch bei den Vereinten Nationen; denn die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben sich in New York auf eine 2030-Agenda für eine nachhaltige Entwicklung verständigt . Übernächste Woche sollen die Texte von den Staats- und Regierungschefs offiziell verabschiedet werden. Erstmals haben wir einen universell gültigen Aktionsplan mit 17 konkreten Zielen . Armutsreduzierung wird mit dem Ziel weltweiter nachhaltiger Entwicklung verbunden . Das ist ein Fortschritt . Ich glaube, gerade diese Verabschiedung der 2030-Agenda gibt auch einen Impuls zu einer anderen wichtigen internationalen Tagung in diesem Jahr, nämlich der Klimakonferenz in Paris . Hier arbeiten Deutschland und Frankreich sehr eng zusammen . Wir wollen alles tun, damit die französischen Gastgeber eine erfolgreiche Konferenz durchführen können . Nach KopenhaBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel gen brauchen wir diesen Erfolg . Auf der Welt geschieht vieles, was uns optimistisch stimmt . ({13}) Aber die wenigen internationalen Lichtblicke können nun wirklich nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Jahr 2015 für so viele Länder und vor allen Dingen für so viele Menschen bislang ein furchtbares Jahr ist . Nur wenige Flugstunden von Europa entfernt gibt es Krieg, Terror, Tod und Verzweiflung. Nie nach dem Zweiten Weltkrieg hat es so viele Flüchtlinge weltweit gegeben wie im Augenblick . In Syrien hat der Krieg inzwischen 250 000 Menschenleben gekostet . Innerhalb des Landes sind über sieben Millionen Menschen auf der Flucht . Vier Millionen Syrer haben in den Nachbarländern, in Jordanien, im Libanon, in der Türkei, Zuflucht gefunden. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ kontrolliert weite Gebiete im Osten Syriens und im Nordwesten des Iraks . Deutschland hat hier Verantwortung übernommen . Ich erinnere an unseren Beschluss, den Peschmerga im Norden des Iraks zu helfen . Das war ein völlig neuer Schritt in unserem Herangehen, weil wir nicht die Augen verschließen konnten vor der Verfolgung der Jesiden, vor der Verfolgung anderer, auch vor der Verfolgung von Muslimen . Wir haben uns entschlossen, zu helfen, und diese Hilfe wird auch anerkannt . 3 000 irakisch-kurdische Sicherheitskräfte wurden ausgebildet . Sicherlich werden wir in Zukunft auch weiter über Möglichkeiten der Ausbildung sprechen . Der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ ist eine der großen Herausforderungen . Es ist noch nicht sicher, dass er erfolgreich sein wird, aber wir müssen daran arbeiten . Der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ bringt uns auch immer wieder in Erinnerung, dass Kämpfer dort aus unseren Ländern kommen, aus den Ländern Deutschland, Großbritannien, Frankreich, aus europäischen Ländern . Das heißt, wir können nicht sagen: „Das ist da irgendwo ein Problem“, sondern es beschäftigt auch uns . Das ist ein Element davon, dass wir insgesamt nachdrücklich spüren, dass diese Konflikte in Syrien, im Irak nicht irgendwo stattfinden, sondern letztlich vor den Toren Europas. Diese verheerenden Konflikte sind nicht etwas, das man nur im Fernsehen sieht, sondern ihre Folgen erreichen uns . Eine dieser Folgen ist, dass voraussichtlich bis zu 800 000 Menschen einen Antrag auf Status als Bürgerkriegsflüchtling oder auf politisches Asyl stellen werden. Das wäre die höchste in Deutschland jemals registrierte Zahl . So weit die Zahlen . Doch dahinter stehen ja Schicksale . Wir alle verfolgen, welche Tragödien sich abspielen, ob es Fotos von toten Kindern sind, die auf entsetzliche Art und Weise umgekommen sind, oder ob es das entsetzliche Leid und der Tod der Menschen in dem Lkw waren . Sie stehen exemplarisch für viele, viele Schicksale . Deshalb sind wir in der Verantwortung . Diese Verantwortung nehmen wir wahr . Sie fordert uns . Bund, Länder und Kommunen wollen das in guter Zusammenarbeit schaffen und arbeiten daran. Heute findet ein weiteres Bund-Länder-Treffen statt . Wir haben bereits im Juni gesagt: Das ist eine nationale Aufgabe . Am 24 . September werden wir dann eine Sonder-MPK mit der Bundesregierung durchführen, auf der wir hoffentlich die notwendigen Beschlüsse fassen . Die Koalition hat im Koalitionsausschuss am Sonntag gemeinsame Positionen erarbeitet, wie wir die richtige Antwort auf die augenblickliche Asyl- und Flüchtlingssituation geben . Es ist klar: Wir werden nicht einfach weitermachen können wie bisher, sondern wir werden Regelungen überdenken müssen, wir werden Regelungen zeitweise außer Kraft setzen müssen, wir müssen Abläufe verbessern, wir müssen Entscheidungen schneller fällen . Wir brauchen uns auch nicht gegenseitig die Schuld zuzuschieben, wer dies und jenes noch nicht gemacht hat, sondern wir müssen jetzt einfach anpacken und alle konkreten Hindernisse aus dem Weg räumen, um den Menschen, die zu uns kommen, zu helfen und ein friedliches Zusammenleben in unserem Land zu gewährleisten . ({14}) So wie wir schnell auf die Finanz- und Wirtschaftskrise reagiert haben, werden wir auch schnell - das ist mit den Fraktionen besprochen - auf die Herausforderungen in diesem Zusammenhang reagieren . Wir wollen noch im Oktober dieses Jahres das Paket beschließen, das die notwendigen Rahmenbedingungen schafft . Ich will hier nicht die einzelnen Maßnahmen referieren; die kennen Sie . Wichtig ist, dass wir in dieser Situation über ein paar grundsätzliche Gedanken sprechen . Erstens . Diejenigen, die als Asylsuchende zu uns kommen oder als Kriegsflüchtlinge anerkannt werden, brauchen unsere Hilfe, damit sie sich schnell integrieren können . Sie brauchen Hilfe, um schnell Deutsch zu lernen. Sie sollen schnell eine Arbeit finden. Viele von ihnen werden Neubürger unseres Landes werden . Wir sollten aus den Erfahrungen der 60er-Jahre, als wir Gastarbeiter zu uns gerufen haben, lernen und von Anfang an der Integration allerhöchste Priorität einräumen . ({15}) Wenn wir es gut machen, dann birgt das mehr Chancen als Risiken . Zweitens . Diejenigen, die nicht vor politischer Verfolgung oder Krieg flüchten, sondern aus wirtschaftlicher Not zu uns kommen, werden nicht in Deutschland bleiben können . ({16}) So schwer ihr persönliches Leben auch sein mag, so gehört dies dennoch zur Wahrheit, und wir sprechen sie auch aus . Wir werden die Anerkennungs- und Registrierungsverfahren und auch die Rückführungen deutlich schneller und konsequenter durchführen müssen als bislang . Drittens . Ein Land, das viele, die neu zu uns kommen, willkommen heißt, das auch viele willkommen heißt, die aus ganz anderen Kulturkreisen kommen, muss auch deutlich machen, welche Regeln bei uns gelten . Auch das gehört zu einer offenen Gesellschaft . Wir dürfen nicht wegsehen, wenn sich Milieus verfestigen, die Integration ablehnen, oder wenn sich Parallelgesellschaften herausbilden . Hier darf es keine Toleranz geben; auch das müssen wir von Anfang an sagen . ({17}) Viertens . Wir werden nicht zulassen, dass unsere Grundwerte und unsere Menschlichkeit von Fremdenfeinden verraten werden . Abstoßend und beschämend ist es, wenn Flüchtlingsheime angegriffen werden, wenn Menschen angepöbelt werden, wenn Menschen angegriffen werden und wenn dumpfe Hassbotschaften wo auch immer verbreitet werden . Wir werden mit der ganzen Härte des Rechtsstaates dagegen vorgehen - auch im Internet, was der Justizminister jetzt ja tut . ({18}) Fünftens . Die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise gelingt nicht allein auf nationaler Ebene . Sie ist eine Herausforderung für die Europäische Union, für jeden Mitgliedstaat in der Europäischen Union, und das nicht nur in praktischer Hinsicht, weil wir vielleicht sagen: Wir haben sehr viele Flüchtlinge und andere wenige . - Nein! Wenn Europa in der Flüchtlingsfrage versagen würde, dann ginge ein entscheidender Gründungsimpuls eines geeinten Europas verloren, nämlich die enge Verbindung mit den universellen Menschenrechten, die Europa von Anfang an bestimmt hat und die auch weiter gelten muss . Dafür werden wir gemeinsam kämpfen, meine Damen und Herren . ({19}) Deshalb müssen wir in Europa zu tragfähigen und solidarischen Lösungen kommen . Die Westbalkankonferenz in Wien vor wenigen Tagen war ein guter Beitrag . Tragödien, wie die erstickten Flüchtlinge, die in einem Lkw in Österreich gefunden wurden, dürfen sich nicht wiederholen . Wir müssen die Situation auf dem Mittelmeer, aber auch die zwischen der Türkei und Griechenland viel besser unter Kontrolle bekommen . Wir müssen effektiv gegen Schlepperbanden vorgehen . Hierfür gibt es jetzt den Einstieg in die zweite Phase der entsprechenden Operationen auf dem Mittelmeer . Die deutschen Schiffe haben sich an der Rettung von Flüchtlingen beteiligt, und ich möchte den Soldatinnen und Soldaten der Marine, die bereits mehr als 7 200 Flüchtlinge aus Seenot gerettet haben, ausdrücklich einen herzlichen Dank sagen . ({20}) Wir müssen viel enger mit den Transit- und Herkunftsstaaten zusammenarbeiten . Auch sie müssen sichtbar Verantwortung übernehmen . Wir werden im November einen Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs mit den Vertretern der Afrikanischen Union auf Malta haben und darüber reden . Die Europäische Kommission wird das vorbereiten . Daneben werden wir auch das Gespräch mit der Türkei intensivieren müssen . Denken wir nur einmal an die Route, die von der Türkei in Richtung Ungarn und dann nach Österreich und Deutschland führt . Ich habe gestern mit dem türkischen Ministerpräsidenten telefoniert . Wir werden die Gespräche fortsetzen . Donald Tusk ist heute als Ratspräsident in der Türkei, um Gespräche mit dem Präsidenten Erdogan und mit dem Ministerpräsidenten zu führen . Hierbei wird es auf der einen Seite darum gehen, zu sagen: „Ja, die Türkei hat in den letzten Jahren sehr viel Verantwortung übernommen, und vielleicht haben wir das auch für selbstverständlich genommen und einfach gedacht, das werde schon so weitergehen“, auf der anderen Seite müssen wir aber auch eine vernünftige Kooperation mit der Türkei in der Flüchtlingsfrage finden. Denn es kann nicht sein - die Türkei und Griechenland sind NATO-Mitgliedstaaten -, dass Schlepper sozusagen das bestimmende Element in einer Region sind, in der diese beiden Länder ihre Grenze haben . Das muss verändert werden . ({21}) Wir brauchen innerhalb Europas natürlich Solidarität . Zur Stunde hält Jean-Claude Juncker seine Rede zur Lage der Union . Er wird Vorschläge für einen ersten Schritt der fairen Verteilung unterbreiten . Insgesamt brauchen wir aber eine verbindliche Einigung über eine verbindliche Verteilung von Flüchtlingen nach fairen Kriterien zwischen allen Mitgliedstaaten, also eine andere Verteilung als jetzt noch . Es wäre ja schon ein wichtiger Schritt, wenn wir das erreichen würden, was Jean-Claude Juncker heute vorschlägt, zum Beispiel eine erste Diskussion auf dem Rat der Innen- und Justizminister am nächsten Montag . Wir können nicht nur sagen: „Wir verteilen eine bestimmte Zahl von Flüchtlingen“, sondern wir müssen auch überlegen, wie wir mit den Flüchtlingen, die bei uns ankommen, umgehen . Man kann hier keine Höchstgrenze setzen und sagen, dass man sich darüber hinaus nicht darum kümmert, ({22}) sodass dies die Sache von zwei, drei oder vier Ländern ist, sondern es muss hier eine europäische Verantwortung geben . Nur so werden sich alle Mitgliedstaaten auch um die Behebung von Fluchtursachen und internationalen Konflikten kümmern. Auch das ist eine Gemeinschaftsaufgabe . ({23}) Sechstens . Die geopolitische Situation, ob es der Bürgerkrieg in Syrien ist, ob es der islamistische Terror im Nordirak ist, ob es die politischen Systeme in Eritrea oder Somalia sind, wird sich nicht über Nacht ändern . Selten haben wir in diesem Haus gespürt, wie eng die Innenpolitik, die Entwicklungspolitik und die Außenpolitik zusammenhängen . In Europa wird oft gesagt, es gebe keinen Unterschied mehr, ob die europäische Politik ein wenig mehr Innen- oder mehr Außenpolitik ist . Die Globalisierung bringt uns in eine Situation, in der wir plötzlich merken: Wenn wir - auch über die europäischen Grenzen hinaus - außen- und entwicklungspolitisch etwas nicht tun, dann kann das innenpolitisch gravierende Folgen haben . Das - davon bin ich zutiefst überzeugt wird die Realität des 21 . Jahrhunderts sein . Das ist der Anfang und nicht das Ende einer Entwicklung, und wir müssen lernen, darauf zu reagieren . Daran arbeiten wir . ({24}) Siebtens . Wir erleben immer wieder, dass es in Europa Herausforderungen gibt, bei denen es ganz besonders auf uns ankommt, auf Deutschland, auf Deutschlands Kraft und auf Deutschlands Stärke . Sehr oft haben wir diese Herausforderungen zusammen mit Frankreich bewältigt . Auch jetzt haben wieder der französische Präsident und ich, nach Vorarbeit der Innenminister, Vorschläge an die Kommission gemacht, wie wir die Flüchtlingssituation besser meistern können . Aber wir erleben auch Situationen wie jetzt am Wochenende, als wir zum Beispiel gemeinsam mit Österreich eine Entscheidung gefällt haben . Und wir haben diese Entscheidung aus humanitären Gründen gefällt . Wir wissen: Auch in der Euro-Krise haben wir nicht immer alle zusammengestanden, sondern da stand Deutschland manchmal ganz schön alleine da, so jedenfalls meine Erinnerung . Aber was wir immer wieder erlebt haben - das sollte uns Mut machen -, ist, dass es genau diese Bereitschaft und diese Kraft Deutschlands sein kann, die schließlich den Weg für eine europäische Lösung freimacht . ({25}) Nicht, wenn wir uns verweigern, wird es wahrscheinlich, dass wir eine europäische Lösung finden. Vielmehr wird es dann, wenn wir mutig sind und manchmal vorangehen, wahrscheinlicher, dass wir eine europäische Lösung finden. ({26}) Das ist aller Anstrengungen wert . Liebe Kolleginnen und Kollegen, so groß die Herausforderung auch ist - diese Herausforderung ist lang andauernd, und sie ist groß; ich mache mir da überhaupt keine Illusionen -, so sehr bin ich überzeugt, dass Deutschland sie bewältigen kann . Mehr noch: Ich bin überzeugt, dass wir es nicht nur können, sondern dass wir, wenn wir es gut machen, wenn wir es mutig angehen, wenn wir nicht verzagt sind, sondern Ideen suchen, wenn wir kreativ sind, letztlich nur gewinnen können . Das sollte uns leiten bei der Bewältigung dieser Herausforderung . Herzlichen Dank . ({27})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Bevor ich auf die Flüchtlinge in unserem Land und in Europa und ihre Situation zu sprechen komme, will ich gern auf zwei Dinge eingehen, Frau Bundeskanzlerin, die Sie hier in Ihrem Rechenschaftsbericht erwähnt haben und die vielleicht wenigstens eines Faktenchecks bedürfen . Der erste Punkt . Sie haben gesagt, die Bundesregierung hätte einen Schwerpunkt auf Investitionen gelegt . Wir haben in der Tat einen gigantischen Investitionsstau in unserem Land . Schienen, Straßen, Brücken, Schulen und vieles andere liegen im Argen . Diese Last wird vor allen Dingen von den Kommunen und Ländern getragen . Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie sich Ihren Haushalt anschauen und wenn Sie sich die mittelfristige Finanzplanung anschauen, dann sehen Sie: Investitionsquote unter 10 Prozent mit sinkender Tendenz bis 2019 . Sie sollten hier ehrlich sein, Frau Bundeskanzlerin . ({0}) Der zweite Punkt . Sie haben sich in einem Nebensatz regelrecht verraten, indem Sie gesagt haben, TTIP wäre jetzt in diesem Haus nicht das Thema . ({1}) Den Eindruck haben wir auch . Die Unterlagen zu den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen sind nämlich keinem einzigen Bundestagsabgeordneten zugänglich . Aber 139 Personen können diese Unterlagen im Auftrag der Bundesregierung in der amerikanischen Botschaft einsehen . Das verstehe ich nicht unter Parlamentarismus, und das verstehe ich nicht unter Transparenz . Dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn die Leute dagegen auf die Straße gehen . ({2}) Wir erleben in Deutschland derzeit ein echtes Septembermärchen: Am Münchner Hauptbahnhof, in Dortmund, in Saalfeld ({3}) Und auch in vielen anderen Orten stehen Menschen an den Bahnsteigen mit Essen und Trinken, mit Rat und Tat . Wir sind plötzlich Weltmeister der Hilfsbereitschaft und Menschenliebe . „Die Welt zu Gast bei Freunden“ - das bekommt plötzlich eine ganz andere Bedeutung . Und ich kann zum ersten Mal sagen, dass ich uneingeschränkt stolz auf mein Land bin, wären da nicht schon wieder Unterkünfte angezündet worden . Doch die Nazis sind in der Minderheit, und sie bleiben es auch . Was mich bewegt, ist der Ruck, der durch die Zivilgesellschaft geht . Es gibt Menschen, die bei der Bereitstellung von Unterkünften anpacken und Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnehmen - wie unser Kollege Martin Patzelt . Sie bringen ihnen Deutsch bei, vermitteln sie in Arbeit und binden sich sogar lebenslang mit Bürgschaften . Sie zeigen, dass Deutschland ein starkes und funktionsfähiBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ges Land ist . Davon, Frau Bundeskanzlerin, haben Sie die ganze Zeit geredet; aber eigentlich müssten diese Menschen Sie auch beschämen . Denn ohne die tausendfache Hilfe, die gerade landauf, landab geleistet wird, wären wir nicht in der Lage, die Flüchtlinge angemessen zu versorgen . ({4}) Sie bemühen sich hier, den Eindruck zu erwecken, als hätten Sie alles im Griff, als würde der Innenminister einen guten Job machen, als hätten die Koalitionspartner an diesem Wochenende weitreichende Beschlüsse gefasst, als könnten Sie die Defizite im Umgang mit den Flüchtlingen sozusagen „wegmerkeln“ . Doch Sie stecken in einem echten Dilemma und in einer Politikkrise . Anders kann man es nicht bezeichnen . Frau Bundeskanzlerin, Sie waren vor Heidenau kein einziges Mal in einer Flüchtlingsunterkunft . Ich gebe zu, ich konnte es gar nicht glauben, dass Sie bis dahin einen Bogen um die Schicksale derer gemacht haben, deren Verwandte im Mittelmeer ertrunken sind, deren Geschwister in Aleppo sitzen und am Telefon Schüsse hören . Sie haben, als Sie in der Schweiz diskutierten, spät, sehr spät, aber dann die richtigen Worte gefunden - auch zum Islam in unserem Land und zum Christentum . Viele sehen das Filmchen jetzt im Internet . Sie haben letzte Woche Worte gefunden und am Wochenende auch deutlich gemacht: Wir sind aufnahmebereit . Als ich Sie heute hier gehört habe, habe ich gedacht, dass Sie schon wieder im Verwaltungsmodus sind . Jetzt müssen aber Taten folgen, deutsche Flexibilität, ja, aber noch viel wichtiger deutsche Schnelligkeit . Es kann nicht sein, dass jetzt wieder Wochen verstreichen, bis verhandelt wird . ({5}) Packen Sie bitte in die Konzepte für morgen nicht schon wieder die Rezepte von gestern: Sachleistungen in Erstaufnahmeeinrichtungen . Ja, sollen denn demnächst tatsächlich Drogeriegutscheine, Fahrkarten oder Zigaretten als Sachleistung ausgegeben werden? Haben die Helfer denn wirklich nichts anderes zu tun, meine Damen und Herren? ({6}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt: Wir stehen vor einem Problem von der Dimension der deutschen Einheit . Da gebe ich Ihnen auch recht . Deshalb dürfen wir aber die Fehler von damals nicht wiederholen . Der Osten besteht heute nicht nur aus blühenden Landschaften, und es hat auch mehr als ein paar Pfennige gekostet . Genauso wenig lässt sich die Flüchtlingshilfe jetzt mit einer Einmalzahlung von 3 Milliarden Euro an die Länder irgendwie begleichen . Das ist eine wirklich große Aufgabe . ({7}) Es ist nicht einfach . Zu uns kommen Menschen, die einen Bürgerkrieg, Diktatur und Verfolgung erlebt haben, Menschen aus anderen Kulturen, mit einem viel strengeren Religionsverständnis, mit Vorstellungen zu Gleichstellung und Homosexualität, die nicht die unsrigen sind . Heute geht es darum, winterfeste Quartiere zu organisieren, aber morgen schon darum, zu vermitteln, was unser Grundgesetz ausmacht . Ja, wir werden auch über unsere Werte, über unsere Identität diskutieren müssen . Und wir werden klarmachen müssen: Unsere Gesetze gelten in diesem Land . ({8}) Integration, das geht nicht per Koalitionsbeschluss an einem Wochenende . Deutschland funktioniert auch nicht nach dem Motto „Alte Bundesrepublik, neue Bundesländer und Flüchtlinge - und das war’s dann“ . Unser Land wird sich verändern, und es hat sich schon verändert . Heute haben bereits 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund, und dabei habe ich die „Ossis“ noch nicht mitgerechnet . Welche Aufmerksamkeit, welche Energie und welche Ressourcen lassen wir denen zukommen, die heute schon in unserer Gesellschaft chancenlos sind? Auch diese Frage müssen Sie beantworten . An den Langzeitarbeitslosen in unserem Land droht der Zug der Koalitionsbeschlüsse nämlich gänzlich vorbeizuziehen . Ich halte das für unverantwortlich mit Blick auf den Zusammenhalt in der Gesellschaft . ({9}) Frau Merkel und die Koalition, Sie haben ein Sofortprogramm vorgelegt . Aber das reicht nicht . Bei Migration und Integration geht es um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Deswegen brauchen wir mehr: Wir brauchen einen nationalen Flüchtlingspakt . Setzen Sie sich mit allen zusammen, die Verantwortung haben und übernehmen: mit den Ländern, den Kommunen, den Gewerkschaften, den Wohlfahrtsverbänden, den Kirchen und den Arbeitgebern! Es muss jetzt um die Frage gehen, wie Deutschland in 20 Jahren aussieht und was unsere Identität ausmacht, statt darum, zu verwalten und zu „merkeln“ . ({10}) Warum - diese Frage muss ich stellen, weil ich finde, aus der Vergangenheit zu lernen, kann auch einen Erfolg für die Zukunft bedeuten - sind wir jetzt in diesem Krisenmodus? Wegen der 800 000 Menschen, die dieses Jahr zu uns kommen sollen, wie der Innenminister prognostiziert? Vermutlich werden es mehr sein, wie Hannelore Kraft zu Recht sagt . Ja, aber diese Menschen sind schon lange unterwegs . Nur ist das der Bundesregierung nicht aufgefallen . Ich greife willkürlich ein Jahr heraus: 2008 verzeichnete Deutschland 28 000 Anträge auf Asyl . So viele komKatrin Göring-Eckardt men derzeit in drei Tagen zu uns . Für 2008 meldete der UNHCR 42 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht . Heute sind es 60 Millionen . Sie hätten es sehen können . Frau Bundeskanzlerin, die Flüchtlingspolitik ist in der Krise . Aber Sie haben den Grund dafür bisher nicht benannt . Deswegen will ich das tun: Das deutsche Sankt-Florians-Prinzip ist in sich zusammengebrochen . ({11}) Das Prinzip, Flüchtlinge sollten möglichst weit weg von Deutschland bleiben, am besten in den Herkunftsländern, deren Nachbarländern oder jedenfalls in den Staaten der EU-Außengrenzen, ist wie ein Dominospiel zusammengeklappt . Bevor Deutschland in die Krise kam, haben wir andere Staaten in dieselbe geschickt . Im Libanon ist heute jeder vierte Einwohner ein Flüchtling . In der Türkei leben fast 2 Millionen Flüchtlinge . Als Sie mit Herrn Erdogan geredet haben, Frau Merkel, haben Sie, hoffe ich, auch etwas zum Umgang mit der Halkların Demokratik Partisi ({12}) und den Kurden gerade in diesem Land gesagt . ({13}) Bei uns wird ein Flüchtling auf 100 Einwohner kommen . Wie lange konnte dieses Ungleichgewicht noch weitergehen? Dieser Dominostein kippte als erster . Im letzten Jahr kamen schon 170 000 Flüchtlinge nach Italien und 43 500 nach Griechenland . Das war ein Anstieg um 280 Prozent . Jedem kritischen Beobachter war klar: Hier bahnte sich ein Kollaps an, und das europäische und deutsche Asylsystem kann nicht mehr funktionieren . Hier kippte der nächste Dominostein . Ich will daran erinnern, was die Antworten des Innenministers waren: mehr Frontex, mehr scheinbar sichere Herkunftsstaaten und eine tödliche lange Zeit keine Unterstützung der italienischen Marine bei Mare Nostrum und der Seenotrettung . Es mussten erst an einem Wochenende 1 000 Menschen ertrinken, bevor die Bundesregierung bereit war, Schiffe und Bundesmarine zu mobilisieren . Das war beschämend . Daran muss erinnert werden, damit es nie wieder passiert, auch wenn die Bilder von den ersten Seiten der Zeitungen verschwinden . ({14}) In dieser Zeit wurde übrigens auch nicht über gerechte Verteilung innerhalb Europas diskutiert . Ich will Sie nur daran erinnern: 2013 konnte man sich nicht einigen, ob man in Deutschland nun 5 000 oder 10 000 Flüchtlinge aus Syrien aufnimmt . Wer heute mit dem Finger auf andere Länder zeigt, darf sich zumindest daran erinnern . Hat sich eigentlich das Bundesinnenministerium jemals gefragt, was passiert, wenn dieser Asylschutzschirm zusammenbricht, den Sie über Deutschland gespannt hatten? Wie haben Sie die Länder und Kommunen in der Vorbereitung unterstützt? Welche Krisenpläne hatte das BMI eigentlich ausgearbeitet? Die Antwort ist ein vielfaches Nichts . Stattdessen hat Deutschland gerade einmal so viele Entscheider für Asylverfahren wie die Niederlande: 500 . 250 000 Anträge liegen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge . Hinter jedem dieser Anträge steht ein Mensch, der nicht weiß, was die Zukunft für ihn bringt . Dieses Versagen von Verwaltung, diese Langsamkeit und dieses Sich-nicht-darum-Kümmern, dass Menschen dort eingestellt oder dahin versetzt werden - das müssen Sie sich sagen lassen, Herr Innenminister -, hat diese Krise, in der wir sind, und die Schwierigkeiten, in denen die Länder und Kommunen jetzt sind, verstärkt herbeigeführt . ({15}) Wenn Sie jetzt nicht umkehren und nicht ganz schnell dafür sorgen, dass Hunderte zusätzliche Entscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Bearbeitung der Anträge eingestellt werden, dann werden wir in eine zunehmend schwierigere Situation kommen . Das wird dann auf dem Rücken der Flüchtlinge sowie der Kommunen und Länder ausgetragen . Das geht so nicht . ({16}) Es geht um Flexibilität, wie die Bundeskanzlerin gesagt hat . Ja, ich bin dafür . Ich bin dafür, Standards abzusenken, wenn es um den Bau von Quartieren geht . Das ist nun einmal so in dieser Situation, auch wenn uns das nicht gefällt und das nicht von Dauer sein darf . Bund und Länder sollen nun 3 Milliarden Euro bekommen . Wofür soll das eigentlich reichen? Mit welchen Flüchtlingszahlen rechnet man? Soll dieser Betrag für 150 000 Flüchtlinge, für 300 000 Flüchtlinge, von denen wir zu Beginn dieses Jahres ausgingen, oder für 800 000 bzw . 1 Million Flüchtlinge, von denen andere ausgehen, reichen? Was wir jetzt brauchen, ist Verlässlichkeit . Die Kommunen müssen wissen, welchen Betrag pro Flüchtling sie erhalten und dass sie diesen Betrag vom Bund auf jeden Fall bekommen, egal wie viele Flüchtlinge kommen; darauf kommt es jetzt an . Es darf kein Geschenk geben, nur weil alle wieder einmal laut schreien . Wichtig ist Verlässlichkeit . Diese kann man von der Bundesregierung erwarten . ({17}) Sie haben die Entwicklungen in Europa und die außenpolitische Situation angesprochen . Aber es kann doch nicht sein, dass wir noch immer keine sicheren Wege nach Europa haben . Es kann doch nicht sein, dass man noch immer einem Schlepper 1 000 oder sogar 4 000 Euro zahlen muss, obwohl ein Flug von Bodrum nach Berlin nur 77 Euro kostet . Schlepperbekämpfung betreibt man am besten mit sicheren Wegen . Das macht man nicht, indem man nur so tut, als würde man Schlepper bekämpfen, aber letztendlich „Schiffe versenken“ spielt . Schlepper bekämpft man, indem man sichere Wege nach Europa schafft und diesem Unwesen endlich ein Ende setzt . ({18}) Ich will noch ein Wort zu den sogenannten Anreizen und zur CSU sagen, die von dieser fixen Idee nicht lassen will . Ob nun Zäune errichtet werden, Gutscheine eingesetzt werden oder abgelehnte Asylbewerber schlechter behandelt werden - ich glaube übrigens, dass dieser VorKatrin Göring-Eckardt schlag verfassungswidrig ist -, all das ist den Kriegsund Armutsflüchtlingen keinen einzigen Gedanken wert. Wenn Horst Seehofer einmal mit den Flüchtlingen in den Erstunterkünften gesprochen hätte, wüsste er das . Angesichts der Äußerungen der CSU am Wochenende habe ich mich gefragt: Warum steht der bayerische Ministerpräsident eigentlich nicht am Hauptbahnhof in München? Gibt es momentan wichtigere Aufgaben als das? ({19}) Herr Steinmeier, im April letzten Jahres - ich habe das extra nachgeschaut - haben wir Sie auf den Schwarzhandel mit Visa in Beirut aufmerksam gemacht . Seither ist die dortige Visastelle etwas ausgebaut worden . ({20}) Aber die Wartezeit auf ein Visum beträgt in Beirut noch immer ein halbes und in Ankara fast ein ganzes Jahr . Hier geht es um Familienzusammenführung und Menschen, die unter fürchterlichen Bedingungen leben und zu uns kommen dürfen . Sie müssen warten, weil die Administration nicht funktioniert . Ich akzeptiere das nicht und erwarte von Ihnen, dass Sie dort Abhilfe schaffen . ({21}) Frau Bundeskanzlerin, in der Finanzkrise haben Sie bemerkenswerte Ruhe und Schnelligkeit - darauf haben Sie selbst hingewiesen - an den Tag gelegt . Aber dann kam erst einmal nichts, keine Bankenregulierung und keine effiziente Aufsicht. Kurze Zeit später stolpert Europa in die Griechenland-Krise . Beispiel Atomausstieg: Unter dem Eindruck der Ereignisse in Fukushima korrigierten Sie Ihren Fehler beim Atomausstieg . Aber seither dümpelt die Energiewende vor sich hin . Ich kann nur hoffen, dass es diesmal anders ist und dass Sie nun vorausschauend und auf Dauer handeln . Ein starkes Land wie unseres kann die Aufnahme von Schutzsuchenden stemmen . Wir können das Zusammenleben organisieren und die Menschen mit ihren Befürchtungen und Ängsten mitnehmen . Aber dafür braucht es mehr als technokratisches Administrieren, nämlich Empathie, Überzeugungskraft und eine entschlossene Haltung gegenüber fremdenfeindlichen Tendenzen, wie Sie selber gesagt haben . Ich hoffe sehr, dass das so bleibt . Dafür kann ich Ihnen auch die Mitarbeit der Grünen zusagen . Da gibt es ein paar Grundsätze: Jede und jeder hat das Recht, überprüfen zu lassen, ob er oder sie Anspruch auf Asyl hat . Weil es dieses Grundrecht gibt, meine Damen und Herren, kann es schon rechtslogisch gar keinen Asylmissbrauch geben . Deswegen: Hören Sie auf, solche Worte zu benutzen . ({22}) Herr Kollege Straubinger, Ihnen kann ich nur sagen: Gehen Sie doch rüber . Gehen Sie einmal nach Damaskus, und schauen Sie sich an, wie es sich dort gerade lebt . ({23}) Treffen Sie doch einmal ein paar Flüchtlinge, statt vom Schreibtisch aus die Welt zu erklären . Jetzt zu sagen, man könne auch nach Syrien abschieben, das finde ich der Situation nicht angemessen. Ich finde, das ist den Flüchtlingen gegenüber eine Katastrophe . Sie schüren Unsicherheit, und Sie schüren damit zugleich noch Ressentiments . Hören Sie damit sofort auf! ({24}) Das, was uns die Bürgerinnen und Bürger jetzt gerade vormachen, können wir nutzen, etwa als Aufbruch . Ich meine die Humanität, die Freundlichkeit und auch die Bereitschaft, etwas über die eigene Kraft hinaus zu tun . Wir können es aber auch nutzen, um klarzumachen: Das geht weiter . Ja, wir brauchen ein modernes Einwanderungsgesetz, damit die Neubürger, von denen Sie gesprochen haben, Frau Bundeskanzlerin, irgendwann zu Mitbürgerinnen und Mitbürgern werden können . Ich frage mich, wie viel Unterstützung hat eigentlich Ihr Generalsekretär dafür? Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, so groß Ihr Fortschrittsvorsprung gefühlt auch sein mag, leider ist Ihnen recht spät aufgefallen, dass Sie wenigstens ein „Einwanderungsgesetz light“ wollen . Lieber Sigmar Gabriel, da müssen Sie sich vielleicht fragen: WwTSt? - Was würde Til Schweiger tun? Wir werden einen entsprechenden Entwurf hier noch einmal zur Abstimmung stellen, und dann können auch Sie für ein Einwanderungsgesetz stimmen . ({25}) Meine Damen und Herren, Flüchtlingspolitik, ja, das ist eine europäische Aufgabe . Wir sind das potenteste Land in Europa, und aus dieser Stärke folgt dann eben auch Verantwortung . Die Verantwortung darf aber eben nicht heißen: „Was ist gut für Deutschland?“, sondern muss heißen: Was ist gut für Europa? Das ist der qualitative Schritt, um den es geht . Wir können hier nicht über die Lasten der Flüchtlingsaufnahme stöhnen und weiter jeden Elan bei der Bekämpfung der Fluchtursachen vermissen lassen . Das gilt aber übrigens auch für die Bekämpfung der Fluchtursachen auf dem europäischen Kontinent . Wer Geld in Staaten mit korrupter Verwaltung gibt, muss kontrollieren, wo und wie dieses Geld ankommt, und zwar erst recht, wenn es um die Verbesserung der Situation der Schwächsten, nämlich der Roma in einigen Balkanstaaten, geht . ({26}) Wer, wie Herr Juncker das getan hat, das Signal an den Westbalkan sendet, dass Europa nicht dorthin kommt, muss sich nicht wundern, dass sich die Menschen aufKatrin Göring-Eckardt machen, um in dieses Europa zu kommen . Deswegen ist der Arbeitsmarktzugang für diese Menschen so wichtig . Wir helfen an dieser Stelle ja gern mit Ideen . Haben Sie sie aufgenommen? Ich hoffe, Sie setzen sie auch so um, dass es nicht nur bei Überschriften bleibt, die eine Beruhigungspille sein sollen . Herr Gysi, vielleicht können Sie das Ihrer Fraktion als Abschiedsgeschenk ins Stammbuch schreiben: Wer Europa immer nur schlechtredet, kann auf der anderen Seite nicht an die europäische Solidargemeinschaft appellieren . ({27}) Es ist immer viel leichter, das Böse in den USA zu sehen, als sich selber Gedanken über Fluchtursachen und über eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa zu machen . ({28}) Meine Damen und Herren, vor eineinhalb Jahren begann die Debatte über mehr Verantwortung in der Welt . Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung war das sehr schnell eine Debatte über den Einsatz militärischer Mittel . Da passt es ja ganz prima, wenn der Wirtschaftsminister munter im Namen der Wirtschaftsförderung Rüstungsgüter in autokratische Staaten und in Krisenregionen exportiert . Ich weiß, dass Sie das nervt, Herr Gabriel . Ich werde es trotzdem immer wieder sagen . Ich werde es auch laut sagen, weil Sie sich an dem messen lassen müssen, was Sie selber überall versprechen und wie einen heiligen Gral mit sich herumtragen . ({29}) Dazu gehört es auch, dass wir mit unseren Exportüberschüssen verhindern, dass schwächere Länder eigene rentable Wirtschaftsstrukturen aufbauen können; vielmehr zerstören wir vielerorts die kleinbäuerliche lokale Landwirtschaft und lassen durch unser „Geiz ist geil“ im Fleischkonsum ganze Weltregionen über die Klinge springen . Vielleicht hoffen Sie ja, dass angesichts der gegenwärtigen Situation und wegen der Aufnahme der Flüchtlinge die Klimakrise aus dem Blick gerät . Falsch! Während Barack Obama trotz des beginnenden Wahlkampfes sein politisches Gewicht mit Blick auf die Klimaschutzabkommen in die Waagschale wirft, verharrt die Bundesregierung im Mittelmaß . Es gibt viele Lichtblicke auf der Welt . - Das haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, vorhin gesagt . Das stimmt - nur leider nicht bei uns . Auf dem internationalen Parkett reden Sie von Klimaschutz, aber dann vergessen Sie auf dem Heimweg immer, dass Sie zu Hause auch liefern müssen . Jetzt ist die Gefahr riesig, dass Paris auf die letzte Minute ein unbefriedigendes Ergebnis erzielt, weil es eben nicht ordentlich vorbereitet ist . Sie reden von Dekarbonisierung der Wirtschaft, aber Sie scheinen davon auszugehen, dass das irgendwie von allein passiert. Stattdessen finden sich auch in diesem Haushaltsentwurf wieder und wieder Milliarden für umweltschädliche Subventionen . Energiewende im Verkehrsbereich? Anstieg statt Reduzierung des Verbrauchs! Nur halb so viel Strom aus Erneuerbaren - nicht wie wir, wie Sie sich vorgenommen haben -, ja, hat das irgendwas mit Energiewende zu tun? Das ist das Gegenteil von Energiewende! ({30}) Wenn man das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung liest, dann muss man Aktionen schon mit der Lupe suchen . Prüfauftrag, Prüfauftrag, Gutscheine für Sprit-Spar-Training bei Neuwagenkauf - eine wirklich sehr schöne Maßnahme . Wen soll das eigentlich beeindrucken? Stattdessen subventionieren Sie weiter Kohledreckschleudern, obwohl die ordentlichen Gaskraftwerke dastehen . Das ist eine Subvention der Kohleindustrie . Das hat nichts mit Versorgungssicherheit für die Menschen und Stromkunden zu tun, sondern mit Versorgungssicherheit für die Kohleindustrie, meine Damen und Herren . Nein, wir werden dieses Thema nicht vergessen ({31}) und werden Ihnen immer wieder sagen: Sie haben auch hier eine Verantwortung . ({32}) Ich bleibe dabei, trotzdem: Die Flüchtlingsfrage wird die größte Aufgabe sein und bleiben . Ich habe mir den Clip angeguckt, Frau Bundeskanzlerin . Sie haben in Zürich, als Sie über den Islam sprachen, auch über das Christentum geredet und beklagt, dass man in Deutschland zu wenig Kenntnisse darüber habe, was das Pfingstfest bedeutet . Diese Chance kann ich mir jetzt nicht entgehen lassen . ({33}) - Dass Sie es wissen, ist mir klar . ({34}) Als der Heilige Geist erschien, begannen die hebräisch sprechenden Jünger, plötzlich fremde Sprachen zu verstehen . Ich schlage vor: Wir nehmen dieses Bild für genau das, was Deutschland als Vision gut gebrauchen kann . Wir verstehen einander: unterschiedliche Kulturen, Religionen, Herkunft, Geschichten . Damals war es der Geburtstag der Kirche . Ehrlich gesagt, wenn wir es schaffen könnten, das Ganze jetzt als Chance zu betrachten, dann wäre das vielleicht der Geburtstag eines neuen Deutschland ({35}) wenn Sie es ernst meinen, wenn Sie es tun und wenn Sie es nicht nur verwalten . Vielen Dank . ({36})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion . ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Katrin Göring-Eckardt, ich fand nicht alles falsch, was Sie als Kritik gesagt haben, aber angesichts der Größe der Aufgabe, mit der wir es zu tun haben, fand ich Ihre Kritik insgesamt doch ein bisschen kleinteilig . ({0}) Vor allen Dingen habe ich vermisst, dass Sie wenigstens an einer Stelle sagen: Wir schaffen das . - Diese Aufgabe ist so groß, dass auch die Opposition mithelfen muss . ({1}) Meine Damen und Herren, was wir in diesem Sommer, was wir insbesondere am letzten Wochenende erlebt haben, das wird uns noch lange in Erinnerung bleiben . Nachdem Tausende von Flüchtlingen tagelang, zum Teil ohne Trinkwasserversorgung, in Budapest auf öffentlichen Plätzen und Bahnhöfen ausharren mussten, immer verzweifelter wurden, einige sich schon aufgemacht hatten, um in Fußmärschen über die Autobahn nach Deutschland und Österreich zu kommen, hat die Bundesregierung die Entscheidung getroffen, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Ich finde, das war eine absolut richtige, das war die einzig mögliche Entscheidung, die getroffen werden konnte . ({2}) 20 000 Flüchtlinge an einem Wochenende! Ich finde, München hat diese Situation hervorragend gemeistert . Während in Budapest das Chaos und die Hilflosigkeit dominierten, gab es aus München Bilder der Hilfsbereitschaft, der Solidarität und des gegenseitigen Respekts . Ich möchte mich bei allen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes und bei allen Ehrenamtlichen, die das geleistet haben, ganz herzlich bedanken . ({3}) Dank dieser Helfer zeigt sich Deutschland in diesen Tagen der ganzen Welt von seiner besten Seite . ({4}) Als am Sonntagmorgen um 6 Uhr ein Zug aus München mit 900 Flüchtlingen in Braunschweig ankam, hatten Stunden zuvor schon die Malteser, die Johanniter, das Rote Kreuz und die freiwillige Feuerwehr aus den Braunschweiger Ortsteilen mitten in der Nacht dafür gesorgt, dass die Flüchtlinge aufgenommen werden können, dass sie versorgt werden können, bis sie weiterverteilt werden. Ich finde, das ist großartig. ({5}) In der Griechenland-Krise haben wir gelernt, wie unerlässlich ein funktionierendes Staatswesen ist . In der Flüchtlingskrise sehen wir jetzt, wie unschätzbar wertvoll eine mitfühlende, aktive und gut organisierte Zivilgesellschaft ist . ({6}) Diese Hilfsbereitschaft gehört zu den wertvollsten Tugenden, zu den wertvollsten Ressourcen unserer Gesellschaft . Sie macht unser Land stark, sie hält es zusammen, und sie zeigt uns allen: Wir können es schaffen . Ich bin überzeugt: Auf Dauer kann diese Kraft weit über die Flüchtlingsfrage hinaus unser Land positiv verändern . ({7}) Deutschland ist gewiss ein starkes Land . Daraus erwächst eine besondere Verantwortung . Wir werden auch in Zukunft mehr Flüchtlinge aufnehmen als andere . Aber zu einer realistischen Bewertung unserer Kräfte gehört auch, dass wir sagen: Allein mit Schweden und Österreich an unserer Seite können wir es nicht schaffen . Ganz Europa muss sich der Verantwortung für die Flüchtlinge stellen . Das können nicht einzelne Länder schaffen . ({8}) Ich finde, der schwedische Premierminister Stefan Löfven, der gestern bei der Kanzlerin war, hat recht, wenn er sagt: Die Flüchtlingskrise ist eigentlich in Europa keine Flüchtlingskrise, sondern eine Verantwortungskrise . ({9}) Jedem muss doch klar sein: Wenn sich die Europäische Union nicht auf eine faire Verteilung der Flüchtlinge nach festen Quoten einigen kann, dann steht eine der größten Errungenschaften dieser Union infrage, nämlich die offenen Grenzen . Wir wollen die offenen Grenzen verteidigen . Aber dafür brauchen wir eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik, meine Damen und Herren . ({10}) Zehntausende Flüchtlinge auf der Balkan-Route, überfüllte griechische Inseln - all das zeigt: Die alte Ordnung funktioniert nicht mehr, und zwar nicht erst, seitdem Deutschland die Anwendung von Dublin III auf syrische Flüchtlinge ausgesetzt hat . Es ist doch schon länger klar, dass die Ankunftsländer wie Italien, Griechenland oder jetzt auch Ungarn damit überfordert sind, die große Zahl der Flüchtlinge allein zu bewältigen . Darüber - das muss man ehrlicherweise sagen - haben wir selber lange genug hinweggesehen . ({11}) Ein erster richtiger Schritt ist es jetzt, dass die EU Aufnahmezentren zur Registrierung der Flüchtlinge in den Ankunftsländern zusammen mit dem UNHCR aufbaut . Aber im Grunde genommen brauchen wir einheitliche Asylregeln in ganz Europa; denn nur wenn Flüchtlinge innerhalb Europas gleichbehandelt werden, wird der Verschiebebahnhof für Flüchtlinge in Europa enden . Ich finde, dieser Verschiebebahnhof muss aufhören, meine Damen und Herren . ({12}) Ich glaube auch, dass Deutschland mit seinem mutigen Vorgehen viele in Europa wachgerüttelt hat . Viele Menschen schauen auf Deutschland und fragen sich: Warum sind unsere Regierungen nicht dabei? Immerhin will jetzt auch David Cameron Flüchtlinge aufnehmen: 20 000 Syrer in vier Jahren, so viel wie am vergangenen Wochenende in München angekommen sind. Ich finde, das darf nicht das letzte Wort von David Cameron sein . ({13}) Mit aller Entschlossenheit müssen wir jetzt auch die Fluchtursachen bekämpfen; denn Menschen auf der Flucht in Europa Asyl zu gewähren, ist immer nur die zweitbeste Lösung . Die bessere Lösung ist, dafür zu sorgen, dass sie gar nicht erst fliehen müssen. Dabei brauchen vor allem die Anrainerstaaten der Herkunftsländer dringend Hilfe . In Jordanien, im Libanon, in der Türkei verlassen jeden Tag Tausende Menschen die Flüchtlingslager, weil dort katastrophale Verhältnisse herrschen . Das UN-Flüchtlingswerk braucht in diesem Jahr 4,5 Milliarden Euro, um die Menschen in den Lagern um Syrien herum angemessen zu versorgen . Aber im Augenblick stehen nur 1,7 Milliarden Euro zur Verfügung . Wenn der UN-Flüchtlingskommissar aus Finanznot die Lebensmittelrationen kürzen muss, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn immer mehr Flüchtlinge aus diesen Lagern weiterziehen nach Europa . ({14}) Diese Lücke muss die internationale Staatengemeinschaft schließen . Ich bin froh, dass die Koalition dafür 400 Millionen Euro bereitstellen will . Aber das wird nicht reichen . Deshalb bitten wir den Entwicklungshilfeminister, zu prüfen, welche Umschichtungen in seinem Etat möglich sind . Dieser wächst in diesem Jahr um 880 Millionen Euro . Aber für die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“ sind bisher nur 40 Millionen Euro zusätzlich vorgesehen. Ich finde, wir müssen in der Entwicklungspolitik einen deutlich stärkeren Akzent auf die Fluchtursachen setzen . ({15}) Meine Damen und Herren, mit ihrer großartigen Hilfsbereitschaft sind die Menschen in Deutschland in den vergangenen Wochen und Monaten bei der Flüchtlingsaufnahme quasi in Vorleistung gegangen . Jetzt müssen auch die notwendigen staatlichen Entscheidungen getroffen werden . Wir müssen zeigen, dass der Staat die Lage im Griff hat und fähig ist, die Aufnahme der Flüchtlinge so zu gestalten, dass der soziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht verloren geht . Deshalb hat die Koalition am vergangenen Wochenende ein kräftiges Paket beschlossen . Wir werden die Unterbringung der Flüchtlinge verbessern und die Asylverfahren beschleunigen . Unser Ziel ist es, dass nur noch Flüchtlinge mit Bleibeperspektive auf die Kommunen verteilt werden, damit sich diese von Anfang an voll und ganz auf die Integration konzentrieren können . Wir werden neue Erstaufnahmeplätze finanzieren und das Abweichen von Baustandards erlauben, um jetzt schnell handeln zu können . Am wichtigsten ist natürlich, dass wir die Länder und Kommunen mit 3 Milliarden Euro unterstützen . Denn wir dürfen die Sorgen der Menschen, die hier leben, nicht vergessen . Die Kommunen müssen trotz der Aufnahme von Flüchtlingen handlungsfähig bleiben . Das ist der entscheidende Faktor für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft . ({16}) Wir haben am Sonntag auch entschieden, dass unser Bildungssystem und der Arbeitsmarkt für die Flüchtlinge schnell geöffnet werden müssen . Das ist von großer Bedeutung . Wir dürfen die Fehler nicht wiederholen darauf hat die Bundeskanzlerin auch hingewiesen -, die wir bei den Gastarbeitern gemacht haben . Bei ihnen haben wir auf schnelle Integration verzichtet in dem Glauben, sie würden uns bald wieder verlassen . Das war ein schwerer, ein folgenreicher Irrtum . Auch die meisten Flüchtlinge aus Kriegsgebieten werden auf Dauer bei uns bleiben . Das dürfen wir nicht nur als Belastung sehen . Das müssen wir auch begreifen als eine große Chance für eine alternde Gesellschaft, junge Fachkräfte zu gewinnen . ({17}) Wenn wir es dieses Mal besser machen, dann können nicht nur die Flüchtlinge von Deutschland, dann kann auch Deutschland von den Flüchtlingen profitieren. ({18}) Deshalb müssen wir jetzt unsere volle Konzentration richten auf Kita, Schule, Spracherwerb, Ausbildung, Beschäftigung . Bei den Flüchtlingen, die ohne Ausbildung zu uns kommen, ist es genauso wie bei denen, die bei uns leben und keine Ausbildung haben . Ich bin davon überzeugt, dass sich jeder Euro, den wir heute in Ausbildung und Qualifizierung stecken, in Zukunft um ein Vielfaches auszahlen wird . Die Frage, wie lebenswert Deutschland in 10 oder in 20 Jahren sein wird, hängt davon ab, wie wir heute mit den Flüchtlingen umgehen, wie wir sie aufnehmen und wie wir sie integrieren . ({19}) Zur Wahrheit dieses Sommers gehört aber auch, dass nicht nur Kriegsflüchtlinge und politisch Verfolgte zu uns kommen, sondern auch viele Menschen, insbesondere aus dem Balkan, die Arbeit und ein besseres Leben suchen . Dafür habe ich ganz viel Verständnis . Aber diese Leute haben keine Chance, bei uns Asyl zu bekommen . Deshalb, finde ich, ist es auch ein Gebot der Fairness, ihnen das ganz klar zu sagen, damit sie nicht weiterhin immer wieder ihre gesamten Ersparnisse den Schleusern anvertrauen . Deswegen ist es auch richtig, dass wir über die Anträge aus diesen Ländern in einem vereinfachten Verfahren entscheiden . Bei der Frage der sicheren Herkunftsländer geht es nicht darum, die Flüchtlinge in gute und schlechte Flüchtlinge einzuteilen, sondern es geht um unterschiedliche Grade der Schutzbedürftigkeit . Weil wir nicht alle aufnehmen können, müssen wir uns auf die besonders Schutzbedürftigen konzentrieren . ({20}) Die richtige Antwort ist deshalb ein Einwanderungsgesetz, ({21}) ein Einwanderungsgesetz, mit dem wir die Nachfrage nach gut ausgebildeten Arbeitnehmern steuern können . Ich bin froh, dass wir uns immerhin darauf verständigt haben, in begrenzter Zahl Arbeitsvisa für qualifizierte Arbeitnehmer aus dem Westbalkan zu vergeben, die in Deutschland einen tarifgebundenen Arbeits- oder Ausbildungsplatz haben . Auch wenn es in der Koalition noch keine Einigung über ein Einwanderungsgesetz gibt - das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung . ({22}) Sosehr uns die Hilfsbereitschaft in unserem Land in den letzten Wochen beeindruckt hat, so besorgt macht uns die rechte Hetze, die sich derzeit in den Kommunen und in den sozialen Medien ausbreitet . Das ist unerträglich, und dagegen müssen wir mit aller rechtsstaatlich gebotenen Härte vorgehen. Ich finde gut, dass Heiko Maas, unser Justizminister, jetzt auch die Hetzparolen im Internet zum Thema gemacht hat . Facebook und Twitter müssen stärker prüfen, was gelöscht werden muss . ({23}) Das Internet darf nicht zu einem Ort des Hasses und der Hetze gegen Ausländer werden . ({24}) Die Chancen, rechtsextreme Gewalttäter in Deutschland politisch zu isolieren, sind heute größer als vor 20 Jahren . Die ganz überwiegende Mehrheit der Deutschen empfindet eine tiefe Abscheu gegen Menschen, die Brandsätze in Flüchtlingswohnheime werfen . Viele dieser Gewaltakte werden von der NPD organisiert oder gefördert . Das sollte sorgfältig dokumentiert werden, damit bei den anstehenden Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht keine falschen Vorstellungen über den gewalttätigen Charakter dieser Partei existieren . ({25}) Aber es genügt natürlich nicht, nur die NPD zu verbieten . Jeder einzelne von uns muss sich den Rechtsextremen entgegenstellen, so wie es der Bürgermeister von Heidenau gemacht hat, als der rechte Mob durch die Straßen seiner Stadt zog und Polizei und Asylbewerber bedrohte . Das ist ein vorbildliches Verhalten . Solche mutigen Menschen wurden in Sachsen viel zu lange alleingelassen . Ich hoffe, das ändert sich jetzt . ({26}) Auch wenn die gesamte öffentliche Aufmerksamkeit im Augenblick der Flüchtlingsfrage gilt, dürfen wir darüber die anderen politischen Fragen nicht vergessen . Deutschland ist ein Land mit stabilem Wachstum . Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote und den höchsten Stand der Beschäftigung seit der deutschen Einheit; wir haben wachsende Steuereinnahmen . Aber die Börsenturbulenzen in China zeigen, wie schnell die internationale konjunkturelle Lage sich ändern und wie schnell damit auch die deutsche Exportwirtschaft unter Druck geraten kann . Deshalb ist es gut, dass wir in dieser Koalition mit dem Mindestlohn, mit den hohen Tarifabschlüssen ({27}) und mit Investitionen eine starke Binnenwirtschaft als zweites wirtschaftliches Standbein geschaffen haben . Der Export bleibt natürlich für unser Land eminent wichtig; aber wir haben jetzt durch wachsende Kaufkraft eine starke Binnenwirtschaft, und das hilft uns sehr . Mit unserem Haushaltsentwurf für 2016 zeigen wir, dass diese Koalition die Infrastruktur unseres Landes weiter im Auge hat . Wir investieren in Verkehrswege, in schnelle Netze, in unsere Kommunen, in die Sicherheit, und ich hoffe, dass sich die Bundesregierung bei ihrer Klausur in Meseberg auch darauf verständigen kann, dass wir die Finanzierung von jungen, wachsenden Unternehmen verbessern . Berlin ist inzwischen bei Unternehmensgründungen dynamischer als London . Aber mit der Gründung ist es nicht getan . Die Unternehmen brauchen auch Kapital, um sich zu größeren mittelständischen Unternehmen entwickeln zu können . Das Wachstum neuer Ideen ist von entscheidender Bedeutung für unsere Wettbewerbsfähigkeit, und deshalb müssen wir dringend etwas tun, um diese Start-ups auch in späteren Phasen gut mit Kapital auszustatten . ({28}) Der Haushaltsentwurf 2016 ist der dritte ausgeglichene Haushalt in Folge . Wir sind zuversichtlich, dass das auch am Ende des Jahres so bleibt . Das zeigt, wie richtig es war, in guten Jahren für einen ausgeglichenen Haushalt zu sorgen . Damit sind wir heute in der Lage, zusätzliche Herausforderungen wie die Ankunft der Flüchtlinge ohne neue Schulden zu bewältigen . Das schafft Spielräume, die wir nutzen können . Wirtschaftliche Stärke schafft Kraft für Solidarität. Ich finde, diesen Weg sollten wir weitergehen . Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten . ({29})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Haushaltsplanberatungen für den Haushalt 2016 stehen ganz im Zeichen der vielleicht größten Herausforderungen, die wir im Nachkriegsdeutschland zu bewältigen haben. Der Bundesfinanzminister hat gestern darauf hingewiesen, dass dies nun die Priorität der nächsten Zeit ist, der wir uns zuwenden müssen . In der Vergangenheit wurde er manchmal kritisiert: Er sehe nur die schwarze Null, er sehe nur Haushaltskonsolidierung . Aber heute, auch in dieser Debatte, nehme ich wahr, dass alle froh sind, dass wir in dieser Koalition die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, jetzt nicht kleinkariert über das notwendige Geld reden zu müssen, sondern das Geld zu haben, das notwendig ist, und zwar als Ergebnis einer hervorragenden Haushalts- und auch Wirtschaftspolitik . ({0}) Gestern habe ich die eine oder andere Stimme gehört, die sagte, das sei das Ergebnis einer gut laufenden Wirtschaft . Dazu muss ich sagen: Ja, wir haben eine stabile Konjunktur, und die Wirtschaft ist stark . Aber: Wenn wir einen Blick in die Welt werfen, dann sehen wir: Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, dann kann die Wirtschaft auch keine richtigen Ergebnisse produzieren . Wenn daher der Satz fällt, ein Teil des Ergebnisses, das wir haben, sei bedingt durch eine florierende Wirtschaft, dann möchte ich, dass wir auch in Zukunft und gerade jetzt, da die Herausforderungen groß sind und wo es nicht nur eine gesamtpolitische, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe gibt, zu der die Wirtschaft gehört, alles dafür tun, dass diese Wirtschaft entsprechende Rahmenbedingungen hat und dass sie weiter so erfolgreich arbeiten kann . ({1}) Das heißt, dass es nun ernst wird mit dem von uns auf den Weg gebrachten Bürokratieabbau . Da sollten wir jetzt die Chance nutzen, die diese Herausforderung bietet, und überlegen, ob alles, was wir in der Vergangenheit an Bürokratie aufgebaut haben, tatsächlich notwendig ist . Bei den jetzt anstehenden Gesetzesvorhaben - es sind ja einige bereits angekündigt: aus dem Arbeitsministerium, aus anderen Ministerien - werde ich schon noch mal darauf hinweisen: Wir haben den Grundsatz mit dem schönen, neuen deutschen Wort „One in, one out“ beschlossen . Wenn ein neues Gesetz mehr Bürokratie bringt, muss sie an anderer Stelle abgebaut werden . Da bin ich mal sehr gespannt, liebe Kolleginnen und Kollegen in der Großen Koalition, ob wir dazu die Kraft haben . Wir müssen sie haben, damit der Satz auch in Zukunft stimmt: Jawohl, es ist ein Gesamtergebnis - gute Haushaltspolitik und eine funktionierende Wirtschaft -, das uns zum Erfolg bringt und uns jetzt die Aufgaben lösen lässt, die wir haben . ({2}) Also: Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen, bleibt ein zentrales Thema . Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich habe schon in meiner letzten Rede darauf hingewiesen: Das, was Griechenland anbelangt, ist schon eine Aufgabe, aber das, was bei der Flüchtlingsthematik auf uns zukommt, könnte eine noch wesentlich größere Herausforderung werden . - Dies trifft jetzt ja auch zu . Aber wir können es schaffen . Ja, ich bin sicher, dass wir dies in der Großen Koalition zusammen mit den Bundesländern und der Opposition - ich finde, bei den ganz großen Fragen sollte sich auch eine Opposition nicht verweigern, wenn es um eine gesamtpolitische, gesamtgesellschaftliche Aufgabe geht - schaffen können . Ich finde, es müssen ein paar zentrale Botschaften gesagt werden: Erstens . Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, einen Asylgrund haben und damit über eine längere Zeit in unserem Land bleiben werden, müssen nicht nur menschenwürdig in der Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht werden, sondern es muss auch alles getan werden, damit sie sehr schnell den Weg mitten in unsere Gesellschaft und auf den Arbeitsmarkt schaffen . Das ist die große Herausforderung . ({3}) Die zweite Botschaft . Thomas Oppermann hat es auch klar gesagt: Man kann ja aus persönlichen Gründen verstehen, wenn der eine oder andere sagt: Ich suche mir ein Land, in dem ich mit meiner Familie größere Chancen habe als in meiner Heimat . - Ich weiß, wovon ich rede: Vor über 100 Jahren sind die Menschen aus der Schwäbischen Alb nach Amerika ausgewandert, weil die Scholle sie nicht mehr ernährt hat . Aber es ist auch klar, dass wir sagen müssen: Diejenigen, die keinen Asylgrund haben und trotzdem kommen, müssen so schnell als möglich wieder in ihre Heimat zurückkehren . - Diese Botschaft muss klar sein, und da darf man auch keine Kompromisse machen . Um diejenigen, die einen Grund haben, zu bleiben, kümmern wir uns mit ganzer Kraft, und die anderen können eben nicht in diesem Land bleiben . ({4}) Das ist eine weitere Botschaft . Drittens . Europa steht mit dieser Aufgabe vor einer noch größeren Herausforderung als wir in Deutschland . Denn da geht es nicht nur darum, ob Europa jetzt eine Aufgabe lösen kann, sondern es geht ganz konkret darum, ob wir alle den Eindruck gewinnen, dass Europa nicht nur stark ist, wenn es um kleine Fragen geht, sondern dass Europa auch gerade dann stark ist, wenn es um große Herausforderungen geht . ({5}) Ich kann nicht erkennen, dass sich bisher in Europa etwas signifikant geändert hat. Jede kleinkarierte Frage, ob nun etwas in einem Nationalstaat in Ordnung ist oder nicht, wird von den Kommissaren verfolgt und vor Gericht gebracht. Ich finde aber, dass es jetzt nicht um die Frage geht, ob da ein bisschen mehr oder weniger an Bürokratie oder an Konsequenzen zu fordern ist, sondern darum, dass wir uns alle miteinander sagen: Dieses Europa ist nicht nur die größte Friedenssicherung, sondern dieses Europa ist auch in der Lage, größte Herausforderungen zu bewältigen, für die der eine oder andere Nationalstaat vielleicht tatsächlich zu klein ist . ({6}) Und darum sage ich, dass es bei Europa um die Frage geht, ob die Menschen den Eindruck gewinnen: Wenn es wirklich ernst und schwierig wird, dann ist dieses Europa tatsächlich da . Viertens . Wir alle erkennen in diesen Tagen, dass außenpolitische Konflikte und außenpolitische Fragen, die wir als weit weg betrachtet haben, für die wir uns nicht zuständig fühlten, auf einmal ganz nah an uns heranrücken und wir uns deshalb mehr um diese Fragen kümmern müssen . - Um diese vier Botschaften geht es in der nächsten Zeit . Lassen Sie mich auf die erste Botschaft zurückkommen: für die da zu sein, die ein Bleiberecht haben und über längere Zeit in Deutschland bleiben werden . Hier geht es darum, dass wir die notwendigen Aufgaben gemeinsam lösen, und zwar jeder die Aufgabe, die er hat . Wir haben uns in der Großen Koalition zunächst einmal darauf verständigt, darüber zu sprechen: Was muss getan werden? Wer muss es tun? Welche Instrumente brauchen wir? Erst dann reden wir über das Geld . Ich muss schon sagen: Vor diesem Hintergrund kann ich manche Einlassung aus dem einen oder anderen Bundesland nicht nachvollziehen . Wir wollen uns doch auf dem Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern darüber verständigen, welche Aufgaben von wem erledigt werden müssen . Aber bevor darüber überhaupt eine Einigung erzielt ist, kommen schon einige und sagen: Die 3 Milliarden Euro reichen nicht aus . - Ja, woher wollen die das denn wissen? Wir müssen uns doch erst darüber verständigen, was gemeinsam zu tun ist . Im Übrigen: Nicht nur der Bund hat Steuermehreinnahmen, auch die Länder und Kommunen . Wenn es heißt: „Wir alle müssen uns konzentrieren“, dann gilt das nicht nur für den Bund, sondern auch für Länder und Kommunen . ({7}) Ich bin mir sicher, dass wir darüber in den nächsten Tagen eine Verständigung erzielen werden . Frau Göring-Eckardt, Sie haben darauf hingewiesen, dass alles viel schneller gehen müsse . ({8}) Da kann ich nur sagen: Ihre Partei ist in den vergangenen Jahren nicht gerade als diejenige Partei aufgefallen, die alles viel schneller gemacht hat . Sie haben davon gesprochen, dass wir einen Investitionsstau haben . ({9}) Das stimmt; das wissen wir . Deswegen wollen wir mehr Geld für Investitionen ausgeben, die notwendig sind, um unseren Wirtschaftsstandort voranzubringen . Aber ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass Investitionen von Ihrer Partei geradezu aufgehalten worden sind . Alle Plätze für die Schnecke, und der Rest bleibt auf der Strecke so hieß es doch immer, wenn wir über den Straßenbau gesprochen haben . ({10}) Deswegen bin ich froh, dass Sie jetzt von diesem Pult aus anmahnen, dass Investitionen schneller vorangetrieben werden müssen . Richtig! Ich hoffe, dass Sie bei den Planungen für den Straßenbau und den Leitungsbau für schnelles Internet mit mir an der Spitze stehen, ({11}) und zwar nicht, um die Proteste zu unterstützen, sondern die Investitionen . Herzlichen Dank für diese Bereitschaft . ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Kauder, die Kollegin Hänsel brennt darauf, Ihnen eine Frage zu stellen .

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Nein . - Gut . Dann haben wir das geklärt .

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen, nicht nur Bürokratie abbauen, sondern auch Standards senken müssen . Als ich vor 35 Jahren im Landratsamt tätig war, stand ich vor einer großen Aufgabe, als Hunderttausende von Menschen zu uns gekommen sind . Auch damals mussten konkrete Aufgaben gelöst werden . Wir haben nicht danach gefragt, ob jemand hundertprozentig qualifiziert ist, etwa durch ein pädagogisches Studium, um Kinder zu betreuen oder Sprachkurse durchzuführen . Gestern Abend habe ich gehört, wir müssten schnellstens 20 000, 30 000 Lehrer ausbilden . Ich kann nur sagen: So lange, bis diese Lehrer ausgebildet sind, können die Menschen, die jetzt Hilfe brauchen, nicht warten . Menschen, die bisher qualifizierten Sprachunterricht an einer Volkshochschule gegeben haben, können doch auch Deutschunterricht in Integrationskursen geben . Sie müssen kein akademisches Studium absolviert haben . ({0}) Ich bitte darum, dass wir die Standards auch in diesem Bereich reduzieren; denn wir brauchen jetzt eine große Kraftanstrengung . Herr Kollege Oppermann, ja, wenn es um die Stärkung der Wirtschaft geht, muss auch die Frage „Wo bekomme ich qualifizierte Arbeitskräfte her?“ beantwortet werden . Jetzt muss ich aber einmal Folgendes sagen: Ich kann nicht verstehen, wenn jetzt, da in diesem Jahr 800 000 Menschen erwartet werden - im letzten Jahr sind 400 000 gekommen -, so getan wird, als seien unter diesen 800 000 Menschen keine 10 000, 20 000, 30 000 oder 40 000 Menschen, die in den Arbeitsmarkt integriert werden können . Bevor wir uns lange Diskussionen und Kraftanstrengungen leisten, um auf der Welt Arbeitskräfte zu suchen, ist es zuvörderst unsere Pflicht und Aufgabe, uns darum zu kümmern, dass von den jungen Menschen, die jetzt in unser Land gekommen sind, so viele wie möglich in Arbeit kommen und qualifiziert werden. Das ist die Aufgabe der Stunde . Darüber sind wir uns einig . ({1}) Sicher sind wir uns auch darüber einig, dass noch eine andere Aufgabe angepackt werden muss, die ich seit Jahren anmahne und bei der es im Ergebnis nicht zu Verbesserungen gekommen ist - und dafür ist, um es sehr vorsichtig zu formulieren, nicht der Bund zuständig . Ich finde, dass wir es nicht hinnehmen können, dass Jahr für Jahr etwa 70 000 junge Menschen aus unseren Schulen ohne Abschluss in die Gesellschaft entlassen werden . ({2}) Jeder weiß: Wer bei uns keinen qualifizierten Abschluss hat, hat bei uns kaum eine Chance . Das können Sie in Thüringen ja jetzt besser machen . ({3}) Deswegen kann ich nur sagen: Bevor wir über Einwanderung reden, sollten wir über diese 70 000 und über die Tausende, die jetzt in unser Land gekommen sind, reden . Sie brauchen eine Chance, um auf eigenen Füßen stehen zu können . ({4}) Wenn wir darüber reden, wer einen Beitrag leisten kann, bin ich immer einigermaßen erstaunt darüber, dass die reichen arabischen Länder bisher nur einen geringen Beitrag leisten . ({5}) In einem Filmbericht gestern Abend sagten Muslime in Ägypten: Gott sei Dank gibt es das christliche Deutschland; denn von unseren Glaubensbrüdern in der arabischen Welt werden wir nicht aufgenommen . - Dazu muss ich sagen: Da müssen sich die islamischen Staaten einmal etwas überlegen . Das ist kein gutes Bild in der Welt . Wenn ihre Glaubensbrüder sagen: „Außer dem christlichen Europa hilft uns niemand in dieser Welt“, dann muss in der arabischen Welt einmal darüber nachgedacht werden, ob das der richtige Weg ist . ({6}) Ich nehme die Meldung nicht besonders ernst; trotzdem möchte ich darauf hinweisen, damit nicht etwas Falsches auf den Weg gebracht wird: Ein Hilfsangebot aus der arabischen Welt, das da lautet: „Wir bauen in Deutschland 200 Moscheen“, können wir als Hilfe nicht akzeptieren . ({7}) Wir brauchen schon ein bisschen mehr als so etwas . Eine Ausnahme muss man allerdings machen: Jordanien leistet einen großartigen Beitrag . Wir hatten in der letzten Woche den jordanischen Außenminister bei uns zu Gast . Er hat gesagt, was Jordanien trägt . Dieses Land mit 6 Millionen Einwohnern hat dauerhaft bereits 2,5 Millionen Palästinenser im Land und nimmt jetzt noch 1,5 bis 2 Millionen Flüchtlinge, vor allem aus Syrien, auf . Das ist ein großartiges Beispiel dafür, dass auch ein kleines Land - zwei Drittel des Landes sind Wüste in der Lage ist, Flüchtlinge aufzunehmen . ({8}) Jetzt komme ich zu einem wichtigen Punkt . Als ISIS letztes Jahr im August die große Stadt Mosul gestürmt und eingenommen hat, als die Menschen zu Hunderttausenden geflohen sind, als sie vertrieben wurden, vor allem Christen und Jesiden - sie sind nach Kurdistan, insbesondere nach Erbil und Dohuk, gegangen -, war ich in dieser Region . Ich habe Tausende von Menschen in der katholischen Kirche und noch viel mehr in den Regionen vor Dohuk gesehen . Diese Menschen - Sie saßen dort in Zelten bei Hitze - haben gesagt, dass sie ganz genau wissen, dass sie in absehbarer Zeit nicht in ihre Heimat zurückkönnen . Sie haben gesagt, sie wünschten sich so sehr, dass sie eines Tages wieder in ihre Heimat können . Da war nicht pauschal die Rede von „Wir hauen alle ab“, sondern eher: Vielleicht können wir in unsere Dörfer zurück . - Viele Fragen wurden diskutiert, auch Flugverbotszonen . Aber sie haben auch gesagt - ich habe es hier im Deutschen Bundestag gesagt; das war ein schwerfälliger Gang -: Wenn wir in unseren Flüchtlingslagern keine Perspektive für ein einigermaßen angemessenes Leben sehen, dann machen wir uns auf den Weg . Ich war in Jordanien in dem großen Flüchtlingslager, in dem schon einige andere Kolleginnen und Kollegen waren . Dort sind 80 000 bis 100 000 Menschen, viele aus dem Süden Syriens, einfache Bauern, die sagen: Wir können mit unserer Qualifikation in Europa gar nicht viel anfangen . Wir möchten wieder zurück . Wir warten hier jetzt einmal . - Aber wenn die erkennen, dass die Versorgung von Tag zu Tag schlechter wird, dann werden sie nicht dort bleiben . Deswegen kann ich nur sagen: Flüchtlingspolitik, die wir in unserem Land betreiben, kann sich nicht darin erschöpfen, denen zu helfen, die da sind . Vielmehr müssen wir alle, die Weltgemeinschaft und Europa, stärker als bisher dafür sorgen, dass die Menschen, die zu Millionen in den Lagern sitzen, eine Perspektive haben und sich nicht auch noch auf den Weg machen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Auch dafür muss Geld zur Verfügung gestellt werden . ({9}) In wenigen Tagen, Frau Bundeskanzlerin, tagt die Vollversammlung der UNO in New York . Vielleicht wäre es auch einmal ein Thema, sich damit zu beschäftigen, dass die Weltgemeinschaft hier Unterstützung leistet . Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich müssen wir uns auch darum kümmern - deswegen wird Außenpolitik so wichtig -, dass die Bedingungen in einzelnen Staaten besser werden. Ich finde, wir dürfen nicht mehr schweigen, wenn in Ländern, denen wir Entwicklungshilfe geben, die Bedingungen so miserabel sind, dass die Menschen das Land verlassen . Da müssen wir sagen: Jede Regierung, jeder Staatschef eines Landes, aus dem die Menschen weggehen, weil sie keine Perspektive haben, muss sich dafür schämen, dass das Land in einem solchen Zustand ist . Das muss einmal gesagt werden . ({10}) Deswegen glaube ich schon, dass wir jetzt nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt vor einer großen Herausforderung stehen . Ich bin sicher, dass wir sie meistern werden . Zur Zeit der letzten Großen Koalition haben in einer Phase wie heute viele gefragt: Was macht ihr eigentlich noch in den nächsten zwei Jahren? Jetzt ist Halbzeit, und ihr habt den Koalitionsvertrag abgearbeitet . - Als wenn sich eine Regierungskoalition ausschließlich darauf verständigt, einen Koalitionsvertrag abzuarbeiten! Während der letzten Großen Koalition kam die Finanz- und Wirtschaftskrise, und wir mussten handeln und haben, ohne dass es im Koalitionsvertrag stand, gemacht, was richtig war und Deutschland wieder auf den Weg gebracht hat . Jetzt haben wir wieder eine Aufgabe, die wir uns nicht gesucht haben, aber annehmen . Ich habe so manchen Koalitionsausschuss erlebt, nicht nur in der letzten Großen Koalition, sondern auch in der letzten kleinen Koalition, auch schon in dieser Großen Koalition, und ich muss sagen: Selten waren wir uns so einig wie am vergangenen Wochenende, was gemacht werden muss . Wenn dies in Zukunft so weitergeht, Thomas, dann bin ich ganz sicher, dass wir sagen können: Wir schaffen es . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Die Kollegin Hänsel hat jetzt das Wort zu einer Kurzintervention .

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin . - Herr Kauder, ich wollte doch noch einmal bei Ihnen nachfragen, weil Sie im Rahmen der Flüchtlingsdebatte gerade als vierte Erkenntnis die Tatsache genannt haben, dass viele außenpolitische Konflikte, mit denen wir nichts zu tun haben, ganz plötzlich für uns hier ein Problem werden . Auch die Kanzlerin hat ja gesagt, dass die Flüchtlinge jetzt eine innenpolitische Herausforderung sind . Das wundert mich jetzt aber etwas, da gerade Sie aus einem Wahlkreis kommen, in dem eine der größten Rüstungsschmieden Deutschlands angesiedelt ist, nämlich Heckler & Koch . ({0}) Sie werden ja als Patron von Heckler & Koch genannt, und die CDU in Ihrem Wahlkreis hat Tausende von Euro Spendengelder dieser Firma erhalten . Auch die gesamte Bodenseeregion strotzt nur so vor Rüstungsfirmen; der Wohlstand dort baut vor allem auf Rüstungsproduktion und Exporten auf . Wie kommen Sie dann eigentlich zu einer solchen Aussage? Ich möchte nachfragen, ob es eigentlich bei der CDU einen Erkenntnisfortschritt gibt, dass wir so nicht weitermachen können. Es gibt fast keinen Konflikt auf der Welt, bei dem nicht deutsche Waffen im Spiel sind . ({1}) Auch Heckler & Koch, die Kleinwaffen produzieren, tragen weltweit dazu bei, dass Hunderttausende Menschen getötet werden . Die tödlichsten Waffen der Welt sind die Kleinwaffen . Ich hätte von Ihnen gerne einmal eine Antwort darauf, ob Sie so weitermachen wollen wie bisher . Nun noch zu Ihren Glaubensbrüdern . Sie haben erwähnt, dass die Nachbarregionen keine Flüchtlinge aufnehmen wollen . Ich nenne hier vor allem Ihre Waffenbrüder in Saudi-Arabien . Saudi-Arabien ist ein Land, das so gut wie überhaupt keine Flüchtlinge aufnimmt, im Gegensatz zu den anderen arabischen Ländern . Ich hätte von Ihnen gerne einen Kommentar dazu . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Kauder .

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Kollegin, Ihr Beitrag muss uns eigentlich in der jetzigen Stunde und Debatte sehr traurig machen . Sie haben überhaupt nicht verstanden, worum es geht . Bei Ihnen ist die große Herausforderung nicht angekommen . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Bettina Hagedorn, SPD-Fraktion . ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kauder, ich bin Ihnen ganz besonders dankbar dafür, dass Sie am Ende Ihrer Rede noch einmal sehr nachdrücklich und deutlich darauf hingewiesen haben, dass es vor allen Dingen auch darum geht, mit noch mehr Nachdruck Fluchtursachen zu bekämpfen . Dem will ich mich - bestimmt mit dem ganzen Haus - anschließen . Aber weil Frau Göring-Eckardt vorhin auch davon gesprochen hat, wie stolz sie und wir alle auf die Menschen in Deutschland sind für das, was sie aktuell an Solidarität leisten - das treibt einem als Politiker manchmal fast die Schamröte ins Gesicht -, muss ich, um bei der Wahrheit zu bleiben, sagen: Das ist natürlich bei der Bekämpfung der Fluchtursachen nicht anders . Denn wir haben es bei dem Thema „Bekämpfung der Fluchtursachen“ ja nicht mit Neuigkeiten zu tun . Wir haben seit Jahren kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit, ({0}) und zwar in Europa, weltweit und auch in Deutschland . Unser Fraktionsvorsitzender, Thomas Oppermann, hat darauf aufmerksam gemacht, dass der elementare Mittelaufwuchs im Entwicklungshilfeministerium - ich nenne es jetzt einmal so verkürzt - im Jahr 2016 bisher nur zu einem Bruchteil zur Bekämpfung der Fluchtursachen eingesetzt werden soll . Da muss man sagen: Hier müssen wir unser Handeln verändern und dürfen nicht nur darüber reden . ({1}) Ich will einen kurzen Blick 35 Jahre zurück werfen . Damals hat Willy Brandt als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission einen berühmten Bericht vorgelegt . Er hat mit seiner Kommission - leider - sehr genau prognostiziert, wie reich die Nordhalbkugel werden wird, wie arm die Südhalbkugel werden wird, was das an weiteren Konflikten, an Massenelend, an Hunger, an Not und damit natürlich auch an Flüchtlingsströmen mit sich bringen wird . All das ist heute längst eingetroffen . Ein Erkenntnisdefizit gab es also nicht, auch nicht im Deutschen Bundestag . Für alle, die damals noch nicht dabei waren, sage ich: Ich bin im April 2007 mit Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, und zwar aus allen Fraktionen, in Spanien und Marokko gewesen . Der Titel der Reise lautete: „Flüchtlingsproblematik aus Afrika im Mittelmeerraum“ . Das war das Thema, mit dem wir uns damals beschäftigt haben . Ich möchte jetzt aus einem Papier zitieren, das wir 2007 vom deutschen Botschafter vorgelegt bekommen haben . Darin heißt es: Die Kanarischen Inseln sehen sich vor allem in den letzten fünf Jahren - also wohlgemerkt: seit 2002 mit einem zuvor nie erlebten Ausmaß an illegaler Einwanderung auf dem Seeweg vom Nachbarkontinent Afrika konfrontiert . Einen Höhepunkt erreichten die Einwanderungsströme im Jahr 2006 . Fast 32 000 Menschen haben in kaum seetauglichen Booten und den damit verbundenen Tragödien auf hoher See mit schätzungsweise 9 500 Toten den Archipel erreicht . Das war 2007 . Wenn man diesen Bericht liest, dann erschüttert einen schon, dass all das, was dort steht und was auch wir erfahren haben, so viel mit dem zu tun hat, was wir heute immer noch erleben . Herr Juncker stellte gerade einen Aktionsplan für Flüchtlinge auf europäischer Ebene vor . Er hat vorhin gesagt: Flüchtlinge lassen sich nicht durch Grenzen und Zäune aufhalten . - Das stimmt . Es ist trotzdem so, dass die Europäische Union damals, 2006, angesichts der Zahl von fast 10 000 Toten auf der Flucht nach Europa vor allen Dingen eines gemacht hat: Sie hat Frontex aufgebaut . Mit den Konsequenzen haben wir uns beschäftigt . Der Aufbau von Frontex hat vor allen Dingen dazu geführt, dass die Fluchtwege weiter geworden sind, dass sie gefährlicher geworden sind, dass es noch mehr Tote gegeben hat . Die Zahl derer, die sich in ihren Ländern voller Verzweiflung in Boote gesetzt und sich auf eine gefährliche Reise begeben haben, wurde dadurch nicht einmal ansatzweise gesenkt . Vor diesem Hintergrund wir wissen das alles ja nicht erst seit vorgestern - ist es unglaublich wichtig, dass dem, was hier in vielen Reden benannt worden ist, nämlich Bekämpfung der Fluchtursachen, endlich Taten folgen . ({2}) Ich will mit Blick auf die erwähnte Reise noch daran erinnern: Wir waren auch in Flüchtlingslagern - einige Kollegen, die damals mit dabei waren, gehören dem Deutschen Bundestag noch an -; wir waren übrigens die ersten Abgeordneten aus einem europäischen Land, die überhaupt dort waren . Wir waren auch in Melilla, einer Enklave in Nordafrika, wie viele von Ihnen wissen . Wer kann sich eigentlich noch an die Bilder von damals erinnern? Es war 2005, als 2 000 Menschen über die 12 Kilometer lange Grenze in Melilla, die schon damals durch einen Zaun gesichert war, geklettert sind; wir haben die Bilder in den Nachrichten gesehen . Es hat dabei viele Todesopfer gegeben . Was war die Reaktion 2006? Der Zaun wurde auf 6 Meter erhöht . Geändert hat sich dadurch nichts . ({3}) Ich möchte jetzt auf das eigentliche Thema zu sprechen kommen . Dieser Einstieg war allerdings, denke ich, wichtig, weil es natürlich auch darum geht, was wir hier in Deutschland machen . Unser Handeln muss in eine internationale und vor allen Dingen in eine europäische Verantwortung eingebettet werden . Wie glaubwürdig wir im Hinblick auf die Idee Europa in Zukunft weltweit dastehen werden, wird sich daran messen lassen müssen, wie wir als Europäer mit dieser Herausforderung fertigwerden . Es war im Jahr 2000, nach einem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge, als Gerhard Schröder das Zitat geprägt hat: Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen, wegschauen ist nicht mehr erlaubt . Es war Sigmar Gabriel, der 2015 bei der SPD-Veranstaltung „Verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik - Jetzt!“ daraus folgenden Ausspruch gemacht hat: Den Aufstand der Anständigen zu fordern, nützt nur dann was, wenn der Anstand der Zuständigen sichtbar wird . Darum geht es jetzt in meiner Rede . Es ist schon viel darüber gesprochen worden, was wir in Deutschland tun wollen und was wir mit diesem Haushalt nach den Haushaltsberatungen bewältigen werden . Ob die 6 Milliarden Euro, die in der letzten Woche vereinbart worden sind, letzten Endes ausreichen werden, kann heute noch niemand sagen . Ich danke aber allen, die sich am Sonntagabend getroffen haben, weil von diesem Treffen das starke Signal ausgegangen ist, dass all die Menschen, die sich in Deutschland für die Flüchtlinge einsetzen, ob hauptamtlich oder ehrenamtlich, nicht alleingelassen werden und dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden - darin sind wir uns einig -, um uns diesen Aufgaben zu stellen. Am 24. September findet der Flüchtlingsgipfel statt . Danach werden wir wissen - Sie haben darauf hingewiesen -, ob das Geld reicht . Fakt ist - ich finde, das muss man noch einmal sagen -, dass erst diese Große Koalition ein neues Asylbewerberleistungsgesetz eingeführt hat . Bis dahin waren ausschließlich die Länder und Kommunen in den ersten vier Jahren für die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zuständig . Den Bund hat das in dieser Zeit kein Geld gekostet . Das ist noch nicht lange her . Erst 2012 hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass diese Situation - die Asylbewerber haben damals nur 60 Prozent der SGB-II-Leistungen erhalten - nicht verfassungskonform ist . Wir haben daraufhin in der Großen Koalition eine neue Regelung mit den Ländern gefunden . Es wurde vor allen Dingen geregelt, dass die Asylbewerber viel früher einen Anspruch auf Sprachkurse und den Zugang zum Arbeitsmarkt haben . Das kostet den Bund selbstverständlich eine Menge Geld . Angesichts dieser Flüchtlingsströme stehen wir natürlich vor der Herausforderung, dieses Geld auch bereitzustellen . ({4}) Dabei wird es darauf ankommen, dass die Flüchtlinge, die heute in Erstaufnahmeeinrichtungen sind, registriert, erstversorgt und medizinisch betreut werden . Ein großer Teil von ihnen wird vor dem Hintergrund dieses neuen Asylbewerberleistungsgesetzes schon bald vor unseren Jobcentern und der Bundesagentur für Arbeit stehen . Ja, Herr Kauder, wir wollen, dass diese Menschen schnellstmöglich in Deutschland arbeiten können . Wir wissen aber, dass vom Mathematikprofessor bis zum Analphabeten die ganze Bandbreite der Gesellschaft hierherkommt . Deswegen werden sie sehr individuelle Angebote brauchen, um letzten Endes arbeiten zu können, was sie auch ganz ausdrücklich wollen . Das wird die Mitarbeiter in den Jobcentern jedoch vor ganz neue Herausforderungen stellen . Wir müssen hier zum einen personell tätig werden . Vor allen Dingen aber müssen wir qualitätsvolle Bildungsangebote sicherstellen, die die Voraussetzung für Integration und Arbeit sind . An dieser Stelle wird sich zeigen, ob wir wirklich erfolgreich sind . Ich denke, die Haushaltsberatungen werden sehr stark von diesem Faktor getragen werden . Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass es alle Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss als ihre Hauptaufgabe ansehen, dies zu ermöglichen, und dann werden wir diese Herausforderung auch gemeinsam bewältigen . Ich danke Ihnen allen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Gerda Hasselfeldt . ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in dieser Haushaltsdebatte unbestritten zum Ausdruck gekommen: Die zentrale Herausforderung unserer Zeit ist die Bewältigung der Flüchtlingsströme . Wir erleben in diesen Wochen und Monaten, speziell in den letzten Tagen, ein großartiges Engagement vieler Menschen . Wir haben es am Wochenende gerade in München erlebt . Innerhalb von drei Tagen kamen 25 000 Menschen . Wir haben den Einsatz vieler ehrenamtlich Tätiger, Frauen und Männer, erlebt, die spontan oder auch im Rahmen ihrer Organisationen geholfen haben . Wir haben aber auch eine hervorragende Organisation erlebt . Die Zusammenarbeit von Beamten verschiedener Behörden, die Zusammenarbeit mit den Transportunternehmen, mit der Bahn, hat reibungslos funktioniert . Wir erleben und erlebten ein großartiges Engagement . Wir erleben ein sehr hohes Maß an Humanität und Solidarität . Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich ganz herzlich danken . ({0}) Wir in Bayern brauchen keinen Nachhilfeunterricht in Sachen Umgang mit Fremden . Noch vor wenigen Jahren hatten wir eine Einwohnerzahl von 11 Millionen, heute liegt sie bei fast 13 Millionen . Die Hälfte dieses Zuwachses ist auf Menschen zurückzuführen, die aus anderen Teilen Deutschlands zu uns kamen und kommen . Die andere Hälfte sind Menschen aus anderen Ländern . Die Integration funktioniert . Das ist eine großartige Leistung, eine Leistung der Menschen in Bayern, aber auch der Migranten, eine Leistung in den Kinderbetreuungseinrichtungen, in den Schulen und eine großartige Leistung auch in den Behörden . Das lassen wir uns auch nicht kaputtreden . ({1}) Das, was wir zu bewältigen haben, ist eine große Aufgabe, eine Aufgabe aller politischer Ebenen, der des Bundes, der Länder und der Kommunen . Wir spüren alle, dass viele derjenigen, die hier aktiv mitarbeiten, hauptberuflich oder ehrenamtlich, an die Grenze ihrer physischen und ihrer psychischen Leistungsfähigkeit gelangen . Wir spüren auch, dass wir insgesamt an personelle, an orBettina Hagedorn ganisatorische und auch an finanzielle Grenzen kommen . Deshalb müssen wir diese Problematik sehr ernst diskutieren, auch differenziert diskutieren . Aber sie zu verkürzen und in den Mittelpunkt womöglich noch die finanzielle Situation zu stellen, das, meine Damen und Herren, wird der Bedeutung der Aufgabe mit Sicherheit nicht gerecht. Ich finde, es ist viel zu kurz gesprungen, wenn man den Fokus nur auf die finanzielle Situation zwischen Bund, Ländern und Kommunen legt . Deshalb ist es auch zu kurz gesprungen, jetzt nur die 3 Milliarden Euro vonseiten des Bundes für die Kommunen und die Länder zu sehen . Es ist vorhin schon mehrfach angesprochen worden: Nicht nur der Bund hat zusätzliche Steuereinnahmen, sondern auch die Länder und Kommunen; auch darauf will ich hinweisen . Zum Zweiten will ich auf Folgendes hinweisen: Zunächst müssen wir uns fragen: Was ist an strukturellen Maßnahmen notwendig? Wie können wir die Menschen, die hier bleiben, die also nicht mehr zurück in ihre Heimat können, weil dort Krieg herrscht, am schnellsten und am besten integrieren? Wie schaffen wir es aber auch, dass diejenigen, die keine Bleibeperspektive haben, in ihre Heimatländer zurückgeführt werden? Das ist die zentrale Aufgabe . Dann können wir uns auch über die finanzielle Situation unterhalten. Wir vonseiten des Bundes haben in den vergangenen Jahren mehrfach unter Beweis gestellt, dass wir die Kommunen in ihrer Aufgabenwahrnehmung unterstützen . Darauf können sie sich auch künftig verlassen . ({2}) Meine Damen und Herren, etwa 40 Prozent - das schwankt noch ein bisschen -, auf jeden Fall ein großer Teil derjenigen, die zu uns kommen, stammt aus den Balkanländern . Wir in der CSU-Landesgruppe haben nicht nur angesichts der großen Zahl der Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten zu uns gekommen sind, auf ein Problem aufmerksam gemacht, sondern schon im Januar dieses Jahres auf einen Punkt hingewiesen . Wir haben damals gesagt, dass wir differenzieren müssen zwischen denen, die wirklich schutzbedürftig sind, die aus Bürgerkriegsgebieten kommen und die persönlich verfolgt sind, und den anderen, die aus ganz anderen Gründen zu uns kommen: weil es ihnen bei uns wirtschaftlich besser geht, weil sie hier sozial besser ausgestattet sind und vieles andere mehr . Wir können das nicht in einen Topf werfen . Wir können die Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten nicht in den gleichen Topf werfen wie diejenigen, die aus Wohlstandsgründen zu uns kommen, meine Damen und Herren . Wegen dieser Meinung sind wir im Januar dieses Jahres, wie Sie wissen, hart gescholten worden . Heute ist diese Grundüberzeugung - Gott sei Dank - Meinung aller 16 Ministerpräsidenten, und es ist weitgehend Konsens in der Gesellschaft, dass diese Trennung auch vorgenommen werden muss . ({3}) Wir müssen bei den Bürgerkriegsflüchtlingen - bei denen, die tatsächlich verfolgt sind - dafür sorgen, dass sie - mit Sprachkursen und am Arbeitsmarkt - schnell in diese Gesellschaft integriert werden . Das ist unbestritten, und da geschieht auch vieles . Wir müssen aber, um dies sinnvoll und effizient zu gestalten, auch dafür sorgen, dass wir schnellere Asylverfahren bekommen . Das ist eine ganz große Notwendigkeit . ({4}) Dazu sind zusätzliche Stellen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge notwendig . Dazu ist auch die Hilfe anderer Behörden notwendig . Ich bin sehr dankbar, dass es zwischen dem Bundesfinanzminister und der Bundesarbeitsministerin Gespräche gegeben hat, Teile der Mitarbeiter des Zolls für diese Aufgabe, für diese neuen Herausforderungen, die wir zu bewältigen haben, zur Verfügung zu stellen und dafür auch so manche anderen bürokratischen Kontrollen - zum Beispiel beim Mindestlohn - ein bisschen hintanzustellen . Das ist genau der richtige Ansatz . ({5}) Zusätzlich müssen wir natürlich dafür sorgen, dass die Menschen schon in den Erstaufnahmeeinrichtungen, wo immer es möglich ist, ihre Verfahren abgeschlossen bekommen, damit dann auch die Konsequenz daraus gezogen wird, nämlich sie in ihre Heimatländer zurückzuführen . Das, meine Damen und Herren, muss mit auf der Tagesordnung stehen, sonst bewältigen wir diese große Zahl von Flüchtlingen nicht . ({6}) Ein Zweites gehört - neben den schnelleren Verfahren, es hängt aber auch ein bisschen damit zusammen dazu . Wir brauchen eine Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten . Das ist übrigens auch die Meinung von so manchen Kommunalpolitikern aus den Reihen der Grünen wie beispielsweise des Oberbürgermeisters von Tübingen . All diejenigen, die sich ernsthaft mit den Dingen beschäftigen und Erfahrungen aus der Praxis einbringen, geben uns darin recht, übrigens auch der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge . Die Erfahrungen der letzten Monate haben auch gezeigt, dass dies erstens dazu führt, dass das richtige Signal in diese Länder gesendet und ihnen aufgezeigt wird: Wir nehmen euch nicht die Arbeitskräfte weg, die ihr selbst zum Aufbau eures Landes braucht . - Zweitens ist das aber auch eine Grundlage für schnellere Verfahren, obwohl jeder Einzelne auch dabei sein persönliches Asylverfahren erhält . Wir brauchen ein Drittes, um den Zustrom zu begrenzen, und das ist, Fehlanreize zu verhindern . Wir wissen alle, dass gerade aus den Balkanstaaten viele zu uns kommen, die mit den Sozialleistungen, die sie bei uns bekommen, besser leben, als wenn sie in ihren Heimatländern arbeiten würden . Das ist Fakt . Alle Experten, alle, die etwas von der Sache verstehen, sagen uns: Das hat eine Sogwirkung . Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir, wenn wir uns auf den Schutz derjenigen und die Hilfe für diejenigen konzentrieren wollen, die tatsächlich verfolgt sind und unsere Hilfe brauchen - ich denke, das müssen wir -, auch dafür sorgen, dass wir keine zusätzlichen Anreize für die Menschen geben, die nur aus wirtschaftlichen Gründen zu uns wollen . Dazu gehört auch, die Fehlanreize zu reduzieren und zu minimieren, wenn wir sie schon nicht ganz abschaffen können . ({7}) Frau Göring-Eckardt hat vorhin davon gesprochen, Deutschland würde eine Art Sankt-Florians-Prinzip betreiben . Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen . Wenn mehr als 40 Prozent der Flüchtlinge, die in die Europäische Union kommen, von Deutschland aufgenommen werden und noch mehr nach Deutschland kommen, dann weiß ich nicht, was das mit dem Sankt-Florians-Prinzip zu tun hat . Im Gegenteil: Wir brauchen eine gerechte, eine faire Verteilung in Europa . Das sind wir übrigens auch den Menschen schuldig . Wir können nicht alle Probleme der Welt nur auf deutschem Boden lösen . ({8}) Deshalb begrüße ich es sehr, dass auf europäischer Ebene jetzt eine verstärkte Aktivität in der Flüchtlingspolitik erkennbar ist . Wir sind damit noch nicht dort, wo wir eigentlich hinmüssen, aber wir sind ein Stück weiter, als wir es noch vor einigen Monaten waren . Ich gehe so weit, zu sagen: Dieses Thema, der Umgang mit der Flüchtlingsproblematik, ist auch ein Stück Bewährungsprobe für ganz Europa . Hier zeigt sich, in welchem Ausmaß wir eine echte Wertegemeinschaft sind und wie es mit der Solidarität und im Übrigen auch mit dem Einhalten der Regeln in Europa aussieht . Auch darauf müssen wir - genauso, wie wir es beim Euro gesagt haben - besonders achten . ({9}) Ich will all das unterstreichen, was zur Bekämpfung der Fluchtursachen gesagt wurde . Auch das gehört in diesen Kanon . Ich glaube, es ist uns gerade in dieser Zeit besonders bewusst geworden, dass Innenpolitik, Entwicklungshilfepolitik und Außenpolitik zusammengehören und nicht getrennt werden können, dass außenpolitische und entwicklungshilfepolitische Fragen Auswirkungen auf unsere innenpolitische Situation und Debatte haben . Deshalb darf dies in diesem Zusammenhang nicht außen vor gelassen werden . Ich danke sehr herzlich der Bundeskanzlerin, dem Bundesaußenminister, dem Bundesinnenminister und auch dem Bundesentwicklungshilfeminister für die Aktivitäten und die vielen Gespräche auf europäischer Ebene in diesem Bereich, bei denen es darum geht, dicke Bretter zu bohren, um die Gesamtverantwortung der freien Welt zum Ausdruck zu bringen . ({10}) Meine Damen und Herren, ich will das Ganze neben den fachlichen Fragen auch in einen politischen Zusammenhang stellen . Es ist eine Gesamtverantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden, die wir haben . Ich denke aber auch, es ist eine Gesamtverantwortung, der sich alle demokratischen Parteien stellen müssen . Ich bin alt genug, um mich nicht nur als Beobachterin an den Anfang der 90er-Jahre zu erinnern, sondern als jemand, die damals schon dabei war . Aus dieser Erfahrung heraus kann ich nur sagen: Wir werden rechtsradikale Tendenzen und Bestrebungen im Land nicht dadurch bekämpfen, dass wir Dinge verschweigen und die Lebensrealität der Bevölkerung in den Städten und Gemeinden nicht wahrnehmen, genauso wenig, wie wir sie durch dumpfe Parolen bekämpfen werden . Vielmehr werden wir sie nur dann bekämpfen können, wenn wir die Aufgabe lösen, den Problemen ins Auge sehen und die Herausforderung annehmen . Dazu gehört aber auch, dass wir die Menschen mitnehmen, dass wir ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen und dass wir mit der nötigen Differenziertheit diskutieren, handeln und entscheiden . ({11}) Wir sind für diese große Aufgabe und Herausforderung meines Erachtens gut gewappnet . Die Bundeskanzlerin hat heute deutlich gemacht, dem Land geht es gut . Es gibt mehr als 43 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, so viele wie noch nie . Die Konjunktur läuft gut . Die Prognosen sind gut . Die Steuereinnahmen nicht nur des Bundes, sondern auch der Länder und Kommunen sind gestiegen . Wir haben Handlungsspielräume nicht zuletzt aufgrund der soliden Politik der letzten Jahre . Das zahlt sich heute aus . In den Jahren 2008 und 2009 wären wir nicht in der Lage gewesen, die Herausforderungen, die sich uns heute stellen, zu meistern . Heute sind wir dazu in der Lage, weil wir solide gewirtschaftet und solide Politik gemacht haben . Wir haben heute Handlungsspielräume nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch von der Stimmung in der Bevölkerung her . ({12}) Ich sage das nicht, um uns in Zufriedenheit, schon gar nicht Selbstzufriedenheit zu wiegen . Vielmehr sage ich das in großer Dankbarkeit gegenüber allen Beteiligten in unserer Gesellschaft, den Arbeitnehmern, den Tarifparteien und den Unternehmern, aber auch gegenüber denjenigen, die politische Verantwortung getragen haben und weiterhin tragen . Der vorliegende Haushalt setzt meines Erachtens die völlig richtigen Prioritäten . Erstens . Wir nehmen die große Herausforderung, die die Bewältigung der Flüchtlingsströme darstellt, an . Zweitens . Es bleibt bei der soliden Haushaltspolitik und der weiteren Entlastung der Kommunen . Drittens . Der Schwerpunkt bleiben die Investitionen in die Zukunft . Wir verstärken das bei der Verkehrsinfrastruktur und der Breitbandinfrastruktur, um nur zwei Bereiche zu nennen . Dazu gehören aber auch Bildung und Forschung. Viertens. Das Ganze findet in einem völlig stabilen sozialen Umfeld statt . Wir vergessen nicht die Kranken und Schwächeren in unserer Gesellschaft. Die Bundeskanzlerin hat bereits auf die Pflegeversicherung und die entsprechenden Stärkungsgesetze hingewiesen . Ich möchte ergänzend auf das hinweisen, was wir für die Familien getan haben . Zum Betreuungsgeld kann ich nur sagen: Die bayerischen Familien können sich darauf verlassen, dass sie auch künftig das Betreuungsgeld bekommen . ({13}) Das Bundesverfassungsgericht hat nicht, wie Herr Gysi behauptet hat, das Betreuungsgeld gekippt, sondern nur die Zuständigkeit moniert; ein bisschen Wahrheit muss schon sein, Herr Gysi . ({14}) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist genau der richtige Politikansatz, den wir in diesen schwierigen Tagen brauchen . ({15})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächster hat der Kollege Martin Gerster, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Martin Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003758, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag ist traditionell die Zeit und der Ort für zum Teil harte Auseinandersetzungen sowie kontroverse Bewertungen von Einnahme- und Ausgabepositionen und der damit verbundenen Schwerpunktsetzung auf politischer Ebene . Manche nutzen diese Debatte auch zur Generalabrechnung . Aber in diesem Jahr ist es etwas anders, wie ich finde; denn wir führen in Anbetracht der vielen Millionen Flüchtlinge in der Welt und der prognostizierten 800 000 Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz sowie eine neue Bleibe- und Lebensperspektive suchen, die Haushaltsdebatte unter ganz anderen Vorzeichen . Jedenfalls sind wir gut beraten, das so zu tun . Vor diesem Hintergrund steht es uns gut an, den Menschen und die Menschlichkeit, aber auch den Umgang miteinander in den Vordergrund zu rücken . Wir sollten deutlich machen, dass wir auf der Seite derjenigen stehen, die Schutz sowie eine neue Bleibe- und Lebensperspektive suchen . Ich will an dieser Stelle einfach sagen, dass ich nachdrücklich beeindruckt bin, fasziniert bin und dankbar bin - ich glaube, das geht vielen Kolleginnen und Kollegen so - von dieser Hilfsbereitschaft in unserem Land . Es ist unglaublich, wie viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer unterwegs sind, die sich auch spontan in Initiativen zusammenschließen . Ich verweise auf unsere Organisationen wie das THW, die Feuerwehren, das Rote Kreuz, die Johanniter, die Malteser, die zur Stelle sind, auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst des Bundes, der Länder und auf kommunaler Ebene . Überall leisten Menschen mehr, als sie eigentlich müssten . Ich denke, es steht uns gut an, hier einmal Danke schön zu sagen . Wenn ich das sage, denke ich insbesondere an die fleißigen Leute der Bundespolizei und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie auch an die Ehrenamtlichen in den Kirchen, in den Sportvereinen und anderswo . Ihre Arbeit anzuerkennen, auch das ist ein Signal, das von der Haushaltsdebatte heute ausgehen sollte . ({0}) Wir in der Koalition wissen um die Bedeutung, um die Dimension, um die Größe der Aufgabe . Wir leisten unseren Beitrag . Wir haben das in der Vergangenheit getan, auch in den letzten Haushaltsberatungen . Wir haben dafür gesorgt, dass beispielsweise das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge immer mehr Stellen bekommen hat, um die vielen Anträge entsprechend bearbeiten zu können . Wir wissen, dass wir da noch mehr tun müssen . Aber wir wissen auch, dass es letztendlich diese Entscheidung war, die ermöglicht hat, dass dieses Bundesamt immer mehr Standorte für die Bearbeitung dieser Anträge eröffnen konnte, dass mobile Teams gegründet werden können und dass es letztendlich ein gutes Stück vorangeht . ({1}) Ich freue mich, dass der Koalitionsausschuss zuletzt ganz gezielt gesagt hat: Wir unterstützen die Länder und Kommunen mit einem großen Betrag . Wir haben aber auch ganz klar gesagt: Für die fleißigen Mitarbeiter der Bundespolizei, die vor Ort ihren Mann und ihre Frau stehen, gibt es Unterstützung: 3 000 zusätzliche Stellen . Ich glaube, das ist genau die richtige Botschaft . Wir müssen jetzt schauen, wie wir mit Hochdruck und möglichst schnell die nötigen Arbeitskräfte finden und in den Dienst bringen . ({2}) Wir verstehen Flüchtlinge - das will ich noch einmal ganz klar sagen - in erster Linie nicht als Krise oder als Problem, sondern als Herausforderung, die wir bewältigen können, die wir meistern können, und als Chance für dieses Land . Deswegen sage ich: Wir müssen auch über den Tag hinausdenken . Das sollte auch in diesen Haushaltsberatungen verstärkt Berücksichtigung finden. Ich denke an die Sprachförderung für diejenigen, die hier ankommen . Ich denke an das Thema Integrationskurse, für die wir mehr Plätze brauchen, weil es schon jetzt ein Rekordinteresse an diesen Plätzen gibt . Wir müssen auch einmal schauen, wie wir genügend Dozentinnen und Dozenten für diese Integrationskurse bekommen; ({3}) denn beim jetzigen Anforderungsprofil und bei der Bezahlung wird es in manchen Regionen schwierig sein, überhaupt noch jemanden zu finden, der diese Kurse geben kann . ({4}) Ich meine auch, dass wir schauen müssen, ob wir nicht einen zusätzlichen Schwerpunkt beim Thema sozialer Wohnungsbau setzen; denn die Leute müssen ja auch irgendwo wohnen, die Leute sollen ja auch irgendwo arbeiten . Deswegen bin ich in der Tat der Meinung: Wir müssen im Bereich Arbeit und Soziales noch einmal aufstocken, wir müssen mit der Bundesagentur für Arbeit ins Gespräch kommen, wir müssen schauen, was wir für die Kinderbetreuung, Stichwort „Kitaausbau“, tun . Natürlich sind auch Schule und Ausbildung ein Riesenthema . Ich bin auch der Meinung, dass wir uns bei den Beratungen im Haushaltsausschuss noch einmal genau anschauen sollten, ob wir nicht noch mehr tun können, ob wir nicht noch entschiedener vorgehen können gegen die Schleuserbanden, gegen diese Schlepperorganisationen und ob wir das Bundeskriminalamt an dieser Stelle nicht etwas besser ausstatten . ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele haben dieses Thema in ihren Reden hier zuvor schon angesprochen: die Entwicklungszusammenarbeit . Ich lege hier schon Wert darauf, dass das Wort „Entwicklungszusammenarbeit“ genannt wird und dass wir nicht weiter von „Entwicklungshilfe“ reden . Ich glaube, das macht einen großen Unterschied . Ich möchte aus heutiger Sicht schon etwas dazu sagen, wie dieser Politikbereich in den Jahren der christlich-liberalen Koalition, also der schwarz-gelben Koalition aus CDU, CSU und FDP, behandelt wurde . Da war ein Minister Niebel, von dem auch Sie bei der Union sich haben verleiten lassen, Entwicklungszusammenarbeit vor allem unter der Priorität zu definieren: Gute Entwicklungszusammenarbeit ist dann gegeben, wenn sie der deutschen Wirtschaft nutzt . - Ich glaube, spätestens jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, um sich davon abzuwenden und zu sagen: Gute Entwicklungszusammenarbeit ist vor allem dann gegeben, wenn sie Menschen Lebensperspektiven in ihrer Heimat gibt und somit Fluchtursachen minimiert werden können . - Wenn deutsche Unternehmen mit ihrer Innovation, mit ihrer Technologie dazu beitragen können, dann ist es schön und gut, aber das darf nicht die allererste Priorität sein, so wie dies in der Vergangenheit definiert wurde. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube auch, dass wir noch einmal genau darauf schauen müssen, ob wir genug tun, um diesem „Pack“ richtig etwas entgegenzusetzen. Sigmar Gabriel, finde ich, hat es bei seinem Besuch in Heidenau exakt richtig benannt: Das ist ein Pack . - Es ist gut, dass wir in der Großen Koalition schon in den vergangenen Haushaltsjahren im Etat von Manuela Schwesig die Mittel für das Programm „Demokratie leben!“ deutlich aufgestockt haben . Ich habe den Eindruck: Das, was wir da getan haben, ist noch nicht genug . Deswegen müssen wir da noch einmal heran . Ich glaube, das ist auch eine Geschichte, die wir in den Haushaltsberatungen noch einmal besprechen müssen . ({7}) Ich bin der Meinung: Wir dürfen im Kampf gegen Rechtsextremismus und im Werben für Demokratie, für Toleranz, für Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde niemals nachlassen . Niemals! Herzlichen Dank . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächster hat der Kollege Ewald Schurer, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Generaldebatte, die jetzt zu Ende geht, liegt der Entwurf des Bundeshaushalts für 2016 zugrunde . Wer einen Haushalt richtig zu interpretieren weiß, der kann sich das vorstellen: Es ist eine Art politisches Lesebuch einer Bundesregierung . - Dieser Haushalt setzt Prioritäten in vielen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen: Förderung von Kitas, Familienpolitik, Bildung, Forschung, Außenpolitik, Gesundheit, Pflege, Infrastruktur und jetzt aufgrund einer aktuellen gesellschaftlichen Herausforderung ganz neu: Flucht, Asyl und Integration von Menschen, die zu uns kommen und dann nach der Anerkennung eine Chance haben sollen, über Arbeit, Soziales sozusagen voll in diese Gesellschaft aufgenommen zu werden und Teil dieser Gesellschaft zu werden . Es ist eine große Herausforderung . Den Zahlen - der Kollege hat es bereits gesagt - stehen dann immer auch Schicksale und menschliche Entwicklungen in dieser Gesellschaft gegenüber . Deutschland - das ist auch von Herrn Kauder herausgearbeitet worden - macht das aus einer Position der ökonomischen Stärke heraus . Es ist schon etwas Außergewöhnliches, dass wir nicht nur bei der Wertschöpfung, bei der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, im Bereich Arbeitsmarkt - mehr Arbeitskräfte denn je, geringere Arbeitslosigkeit denn je -, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft eine sehr positive Entwicklung haben . Aus dieser ökonomischen Stärke - die korrespondiert mit den Zahlen des Bundeshaushalts erwächst eine besondere Verantwortung Deutschlands nicht Deutschlands allein -, die Integration der Menschen positiv zu befördern . Überhaupt ist es so im Haushalt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Das Wollen ist die entscheidende Frage . Will ich, dass die Menschen, die zu uns kommen und die Anerkennung bekommen, wirklich voll und ganz in diese Gesellschaft integriert werden? Ich denke, bei allen Akzentunterschieden hier im Parlament war heute der Common Sense: Wir wollen, dass die Menschen voll und ganz integriert werden . Nur, an dieser Stelle mache ich mir schon Sorgen über den europäischen Prozess . Ich weiß, dass die Kanzlerin, das Kabinett, die Minister, dass alle alles tun, um hier auch in Europa den zerbrochenen Konsens wiederherzustellen . Wir haben - das darf man in der Debatte im Deutschen Bundestag sagen - derzeit für Europa eine bedrohliche Situation . Es sind nicht die Menschen, die von Budapest über München zu uns kommen, sondern es ist der fehlende Konsens . Mir tut es im Herzen und im Glauben weh, dass die Staatschefs aus Polen, der Slowakei, aus Tschechien und Ungarn, die sich am letzten Freitag in Prag getroffen haben, im Brustton der Überzeugung sagen, sie wollen sich an dieser Integrationsarbeit nicht beteiligen . Das ist vor dem geschichtlichen Hintergrund der 25 Jahre währenden Verantwortung des damaligen Westeuropas für die ehemaligen Staaten im kommunistischen Verbund eine ganz schwache Leistung, eine Bedrohung für die Europäische Union . ({0}) Deswegen möchte ich unterstreichen, dass wir in Deutschland die Verantwortung haben und in der Lage sind, diese Integrationsarbeit mit der ökonomischen Stärke, dem nötigen Willen und dem nötigen Geist zu leisten . Aber es wird nicht gehen - wie schon gesagt -, wenn nur Österreich und Schweden dies offensiv tun und andere große Länder sagen: „Ich nehme 4 mal 5 000 in der nächsten Dekade“, und glauben, sie könnten sich damit aus dem Gesamtwerk der Europäischen Union verabschieden . Das macht mir große Sorge . So stark wir ökonomisch in Deutschland sind - das hat Carsten Schneider erwähnt -, so schwierig ist die makroökonomische Situation in vielen anderen Ländern . Wir haben Handelsbilanzüberschüsse, die sehr stark sind . Das liegt aber auch daran, dass unsere europäischen Partner zum Teil leider ökonomisch schwach sind oder nicht so stark sind . Deswegen müssen wir über alle Herausforderungen hinweg versuchen - Griechenland, Ukraine kann man leider nicht vergessen; es ist die größte Stellschraube bezüglich der Bedrohung -, die anderen Länder einzubeziehen . Ich denke hier auch an den Juncker-Plan mit den 300 Milliarden Euro . Das darf nicht nur diskutiert werden, sondern das muss im Europäischen Parlament mit den Nationalstaaten umgesetzt werden . Griechenland wird nach der 86-Milliarden-Euro-Rettung, womit man fiskalisch überhaupt erst die Grundlage für Wachstum geschaffen hat, Wachstumsprogramme brauchen . Es wird sich in Griechenland nichts tun, wenn nicht die Menschen vor Ort, die innovativ sind, mit Geld in neue Existenzen investieren . Das Ganze gilt auch für die anderen europäischen Länder . Wir brauchen - das muss man in der Generaldebatte noch einmal unterstreichen - europäische Partnerländer, die sich ökonomisch wieder erholen, die ökonomisch stärker werden und die von Wirtschaftswachstum getragen mit uns auf einer Augenhöhe als politische und ökonomische Partner in einer wiedererstarkten EU sind . Die Europäische Union hat es nämlich nötig . Ich freue mich über jede Erfolgsmeldung aus Spanien, aus Portugal, aus Irland oder anderen Ländern, dass nach der gigantischen Wirtschaftskrise diese Länder langsam, aber sicher wieder in eine eigene Tragfähigkeit kommen und in der Lage sind, das Konzert der 28 europäischen Länder positiv mitzugestalten . Davon leben wir . Darauf muss man bei einer Haushaltsdebatte des Bundestages hinweisen . Nur aus der Interaktion aller europäischen Länder mit einer ökonomischen Führung Deutschlands das darf man hier sagen, ohne sich schämen zu müssen -, aber auch mit einem starken Partner Frankreich können wir dieses Haus künftig gestalten . Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Felder sind genannt worden . Der Bundeshaushalt leistet unwahrscheinlich viel . Das ist in der Generaldebatte noch nicht das Thema . Das kommt dann bei den Lesungen zu den verschiedenen Einzelplänen . Wir haben eine Erweiterung des Volumens von 302 auf 312 Milliarden Euro und in der mittel- bis langfristigen Projektion steigt es bis 2019 auf 333 Milliarden Euro . Das zeigt, dass der Bund in den Sozialleistungsgesetzen, auch im investiven Verhalten, in vielen Bereichen enorm viel Geld in die Hand nimmt, um die Politikfelder gemeinsam mit den Länderhaushalten und den 12 500 Gemeinden in Deutschland nach vorne zu gestalten . Der Bund ist der wichtigste Akteur . Aber genauso wichtig sind die Länder und natürlich auch die Kommunen . Wir haben bei der Stärkung der Investitionen noch Nachholbedarf; das ist bereits gesagt worden . Gerade die Flucht-, Asyl- und Integrationsfragen, Frau Präsidentin, können nur gelöst werden, indem wir in Deutschland Milliarden von privatem Kapital mit öffentlicher Unterstützung für sozialen Wohnungsbau verwenden, der sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, egal ob die Menschen hier schon lange leben oder jetzt kommen . Hier werden wir im investiven Bereich auch in dieser Koalition in den nächsten Jahren noch mehr tun müssen als bisher . Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Bundesregierung spricht jetzt die Staatsministerin Professor Monika Grütters . ({0})

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1,28 Milliarden Euro sieht der Haushaltsentwurf der Bundesregierung im Jahr 2016 für Kulturausgaben vor . Das sind 56 Millionen Euro mehr als im Regierungsentwurf des Vorjahres . Ein starkes kulturpolitisches Signal . Dennoch will ich eine andere Zahl, die uns alle bewegt, in den Mittelpunkt meiner Haushaltsrede stellen . 800 000 Menschen suchen in diesem Jahr Zuflucht in Deutschland, 800 000 Menschen, die ihre Heimat zurückgelassen haben und mit nichts anderem als ihrer Hoffnung auf Frieden und Freiheit, auf ein besseres Leben bei uns ankommen . Das ist die größte politische Herausforderung in diesen Monaten und vielleicht auch Jahren . Das ist vor allen Dingen auch eine kulturpolitische Herausforderung, zunächst einmal, weil kulturelle Teilhabe eine grundlegende Voraussetzung dafür ist, dass Zuwanderer in der Fremde ihre neue Umgebung verstehen und dass auch sie hier verstanden werden, weil kulturelle Teilhabe eben auch gesellschaftliche Teilhabe ist, aber auch, weil die diffuse Angst vor den Fremden, wie wir sie mancherorts erleben, das große Bedürfnis nach Selbstvergewisserung unserer eigenen kulturellen Identität einmal mehr deutlich offenbart, vor allem aber, weil kulturelle Vielfalt sowie die großartige Welle der Hilfsbereitschaft, die wir aktuell erleben, ganz maßgeblich zu dem Bild eines weltoffenen Deutschlands beiträgt, das wir all denen entgegenhalten müssen, die uns mit ihrer Fremdenfeindlichkeit beschämen . ({0}) Kultur ist Brückenbauerin und Türöffnerin, aber auch Spiegel unseres Selbstverständnisses . 1,28 Milliarden Euro für 2016 sind gut angelegtes Geld, um die Kultur genau in dieser Rolle zu bestärken . Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb bitte ich Sie herzlich um Ihre Zustimmung zum Regierungsentwurf . Dieser sieht unter anderem mehr Unterstützung für die von meinem Haus geförderten Kultureinrichtungen vor, insbesondere 38 Millionen Euro für zusätzliche Personalausgaben zum Ausgleich von Tariferhöhungen . Der größte Einzelbetrag - 12 Millionen Euro mehr als im Vorjahr - kommt der Deutschen Welle - lieber Herr Dörmann, dafür haben wir gemeinsam viel getan - zugute . Sie ist als Botschafterin unseres demokratischen Rechtsstaats gerade in Krisenregionen und autoritär regierten Staaten für viele Menschen die maßgebliche, für viele aber auch die einzige Verbindung in die freie Welt . ({1}) Vom Plus bei den Personalmitteln profitieren aber nicht nur die großen Einrichtungen . Vielmehr ist es erstmals gelungen, 2016 auch kleine und mittlere Häuser, die wir nur dauerhaft über Projekte finanzieren, besserzustellen . Dafür bin ich besonders dankbar, vor allen Dingen auch dem Finanzminister Schäuble, der dazu einen berührenden Brief geschrieben hat . Vielen ist gar nicht bewusst, wie viel unsere Kultureinrichtungen landauf, landab - das heißt gerade auch jenseits der großen Metropolen - zum Umgang mit kultureller Vielfalt vor Ort beitragen . Wichtig ist es mir aber auch, den Mut zum Experiment zu fördern, den, wie es Habermas einmal gesagt hat, avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen, mit der Kunst und Kultur notwendige gesellschaftliche Veränderungsprozesse anzustoßen . Deshalb werde ich künftig, analog zum guten Beispiel in der Kino- und Musikbranche, auch einen Theaterpreis die Theater sind wirklich die direkteste Verbindung vor Ort mit den Bürgern - und einen Buchhandlungspreis verleihen . Damit ermutigen wir die Überzeugungstäter in den Branchen, die leidenschaftlichen Theatermacher, Literaturliebhaber unter den Buchhändlern, die auch jenseits des Mainstreams, aber flächendeckend zu einem vielfältigen kulturellen Angebot beitragen . In diesem Zusammenhang will ich außerdem die kulturelle Filmförderung stärken . ({2}) Ob Poesie, ob Malerei, ob Film, Musik, Theater oder Tanz, Kunst kann gemeinsame Sprache sein, wo unterschiedliche Begriffe sonst Missverständnisse verursachen . Kunst kann gemeinsame Erfahrungen bescheren, wo unterschiedliche Herkunft oft ab- oder ausgrenzt . Kunst kann uns helfen, zu verstehen, was uns ausmacht, wer wir sind, als Individuen, als Deutsche, aber auch und insbesondere als Europäer . Kunst kann uns aber auch nötigen, einmal die Perspektive zu wechseln und die Welt aus anderen Augen zu sehen . Dazu wird künftig auch das Humboldt-Forum beitragen . Vor kurzem, im Juni, haben wir zwei Jahre nach der Grundsteinlegung Richtfest gefeiert . Das Humboldt-Forum fördert neuartige Kunst- und Kulturerfahrung - das haben wir uns vorgenommen - und verfügt über Wissen - das ist der Kernbestand - über unterschiedliche, aber gleichberechtigte Weltkulturen . Aktueller hätte man dieses größte Projekt der Kultur in der Bundesrepublik nicht planen können . Dieses Projekt wird unsere kulturelle Identität ganz maßgeblich prägen und natürlich auch zeigen, dass Deutschland sich als Partner in der Welt versteht . Denn allein, dass wir im Herzen der deutschen Hauptstadt nicht uns selbst in den Kulturmittelpunkt stellen, sondern dass die Welt in Berlin ein Zuhause findet, dass Deutschland sich also statt in reiner Selbstbezüglichkeit mit einem Blick nach außen empfiehlt, sagt, denke ich, viel über das Selbstverständnis der Kulturnation Deutschland am Beginn des 21 . Jahrhunderts aus . ({3}) Mit Neil MacGregor konnte ich einen der weltweit renommiertesten Museumsexperten nach Berlin holen . Ich finde, dass das so ein bisschen etwas wie die schönsten Vorschusslorbeeren sind, die wir uns alle für das Humboldt-Forum wünschen konnten . Um die Bespielung vorzubereiten, möchte ich im kommenden Jahr 3,5 Millionen Euro für die Gründungsintendanz zur Verfügung stellen . Diese Beispiele illustrieren, wie wir die Mittel im Haushalt - auch meines Hauses - im Sinne eines weltoffenen Deutschlands einsetzen . Kultur und Medien haben allein schon wegen ihrer herausgehobenen Rolle im öffentlichen Diskurs auch und ganz maßgeblich eine echte Verantwortung dafür, wie kulturelle Vielfalt in Deutschland wahrgenommen wird: als fremd oder als vertraut, als einladend oder als trennend, als bedrohlich oder als bereichernd . Heimat ist da, wo ich verstehe und wo ich verstanden werde . Das hat einmal der große Philosoph Karl Jaspers gesagt . Ich bin überzeugt, dass Kultur und Medien mit ihrem Beitrag zum Verstehen und Verstanden-Werden denen, die gerade zu Hunderttausenden neu in unser Land kommen, dabei helfen können, zeitweise oder dauerhaft in Deutschland Fuß zu fassen, und denen, die diese gewaltige Entwicklung mit Sorge betrachten, vielleicht helfen können, sie als Chance zur Bereicherung unseres Miteinanders anzunehmen . In diesem Sinne: Vielen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Sigrid Hupach, Fraktion Die Linke, ({0}) der ich an dieser Stelle noch einmal zu ihrem heutigen Geburtstag gratulieren möchte . Herzlichen Glückwunsch! ({1})

Sigrid Hupach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004309, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verfolgt man in den letzten Wochen und Monaten die Nachrichten - das wurde heute vielfach angesprochen -, erfährt man täglich von neuem, unvorstellbarem Leid . Man erfährt, dass Menschen genötigt sind, ihre Heimat zu verlassen und sich unter größten Gefahren allein, mit Kindern oder sogar als Minderjährige auf die Flucht zu begeben . Welche Relevanz hat die heutige Debatte um den Kulturhaushalt angesichts solcher Dramen? Ich meine, eine sehr, sehr große . Gerade angesichts ganz existenzieller Probleme muss man sich mit Kultur beschäftigen . Man muss Künstlerinnen, Künstlern und Kulturschaffenden alle Möglichkeiten geben, diese gesellschaftlichen Wandlungsprozesse - herausfordernd, wie sie auch sind - konstruktiv und kritisch zu begleiten . ({0}) Wir Linke fordern daher nicht nur die Verdoppelung der Mittel für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und die Schaffung dauerhafter Strukturen im Kampf gegen Rechtsextremismus, sondern wir wollen, dass der Bund auch entscheidend mehr Geld für Soziokultur und kulturelle Bildung einstellt . ({1}) Kulturelle Bildung - davon bin ich fest überzeugt belebt die Auseinandersetzung mit dem eigenen kulturellen Hintergrund und mit kultureller Vielfalt . Sie befähigt dazu, die gesellschaftlichen Entwicklungen zu reflektieren und selbstbestimmt mitzugestalten . Somit ist sie eben auch Voraussetzung für eine gelingende Demokratie, erst recht in einem Europa, dessen solidarische und humanistische Idee gegenwärtig von nicht wenigen infrage gestellt wird . Auch aus diesem Grund möchte ich Ihnen, Frau Staatsministerin Grütters, danken, dass es Ihnen erneut gelungen ist, einen Aufwuchs im Kulturhaushalt zu erreichen . ({2}) Ich danke Ihnen auch, dass Sie hervorgehoben haben, wie wichtig und notwendig kulturelle Teilhabe auch für die Menschen, die zu uns kommen, ist . Aber sie ist auch nur möglich, wenn die Infrastruktur und die Voraussetzungen dafür geschaffen werden . Besonders positiv bewerten wir Linken zudem, dass der größte Teil der 56 Millionen Euro in den Personalbereich fließt und dass nun auch bei den überwiegend projektfinanzierten Einrichtungen eine Anpassung an das Tarifrecht möglich ist . Das war mehr als überfällig . Hier stimmt also die Richtung . Zu tun bleibt dennoch genug . Ich erinnere dabei an die ungeklärte und prekäre Situation der vielen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Goethe-Instituten. Gerade für Freiberufler und für kurzfristig beschäftigte Menschen im Kultur- und Kreativbereich brauchen wir dringend weitere Verbesserungen . ({3}) Drittens begrüßen wir die Herauslösung der Kulturförderfonds aus der Kulturstiftung des Bundes und die Neueinrichtung des Fonds für zeitgenössische Musik . Ob die Finanzierung ausreicht, wird sich zeigen müssen . Nach dem Lob nun aber auch etwas Kritik: Kritische Töne sind auf jeden Fall angebracht, wenn es um die notwendigen Mittel für so dringliche Aufgaben wie die Digitalisierung und Sicherung des kulturellen Erbes, des schriftlichen Kulturguts und des Filmerbes geht . Wir bleiben hier konsequent und fühlen uns durch die Expertenanhörung im Kulturausschuss bestärkt . Es braucht eine nationale Digitalisierungsstrategie und die entsprechenden Mittel dazu . 30 Millionen Euro sehen wir hier als nötig an . Die eingestellten 1,3 Millionen Euro sind dieser Aufgabe ebenso wenig angemessen wie die 1 Million Euro, die im Haushalt für die Sicherung des Filmerbes eingestellt ist . 10 Millionen Euro pro Jahr nennt das Gutachten im Auftrag der Filmförderanstalt unter der Annahme, dass die digitalisierten Originale im Anschluss einfach entsorgt werden könnten . Was ist das für eine absurde Idee? Sicherung des Filmerbes heißt beides, die Digitalisierung und die Archivierung der Originale . ({4}) Selbst die 10 Millionen Euro können daher nur ein Anfang sein, aber sie wären enorm wichtig . Auch bei der Filmförderung besteht dringend Handlungsbedarf . Der Deutsche Filmförderfonds hat seine 50 Millionen Euro für dieses Jahr bereits jetzt aufgebraucht . Das ist ein deutliches Zeichen für die Unterfinanzierung dieser wichtigen Kultur-, Regional- und Wirtschaftsförderung . Weiterhin ist zu fragen: Wo sind die in den letzten Monaten zum Teil mit großer Geste angekündigten Mittel für die zukunftsweisende Kulturpolitik in den ländlichen Räumen, für den Erhalt der Welterbestätten, die Einrichtung eines UNESCO-Kompetenzzentrums, die Ausweitung des Kulturerhaltprogramms oder für die kulturelle Bildung? Wir Linke sind fest davon überzeugt, dass wir vom Grundsatz her eine andere Kulturfinanzierung brauchen: eine ohne Kooperationsverbot, eine als Gemeinschaftsaufgabe und eine mit solide finanzierten Kommunen. ({5}) Ich hoffe sehr, dass wir in den Haushaltsverhandlungen zu entscheidenden Korrekturen kommen werden . Die schockierenden Bilder von hasserfüllten Demonstrationen und erst recht von brennenden Asylbewerber- und Flüchtlingsunterkünften machen mehr denn je deutlich: Ja, Kultur kostet, aber Unkultur kostet noch viel mehr . Vielen Dank . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächstes hat Burkhard Blienert, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Burkhard Blienert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die aktuelle Situation gebietet auch meinerseits die folgende Anmerkung, die mir persönlich wichtig ist: Deutschland ist in vielerlei Hinsicht ein reiches und starkes Land, und wir können, sollten und müssen uns die größtmögliche Humanität erlauben . Mir geht es dabei im Wesentlichen um den kulturellen Reichtum in unserem Land, ein kulturelles Erbe, geprägt von einer reichen Sprache, vielfältiger Literatur, Musik und Kunst . Es ist im Übrigen ein kulturelles Erbe, das uns in doppelter Hinsicht zur Humanität verpflichtet. Es ist ein kulturelles Erbe, das sich durch Heterogenität und Verschiedenheit überhaupt erst entwickelt hat und entwickelt . Wir wollen es erhalten, demokratisieren und vielen Menschen zugänglich machen . Die Menschen, die nun zu uns kommen, bringen etwas Bereicherndes mit, nämlich ihre vielfältigen kulturellen Traditionen und Identitäten . Dies müssen wir als das sehen, was es ist: eine fruchtbare Bereicherung für unsere Gesellschaft und unsere Kultur . ({0}) Ich begrüße daher ausdrücklich die Initiativen aus dem kulturellen Bereich unterschiedlicher Art und Weise wie zum Beispiel die des deutschen Buchhandels zur Unterstützung der kulturellen Angebote insbesondere für Asylsuchende und Flüchtlinge, die unter der Schirmherrschaft von Navid Kermani steht . Es ist Navid Kermani, der uns im letzten Jahr am 23 . Mai in seiner Rede zum 65 . Jahrestag des Grundgesetzes so eindrücklich zu einer Kultur der Anerkennung und des Respekts ermahnt hat . Das war schon sehr beeindruckend . Er hat uns noch mal ins Stammbuch geschrieben, was unsere Aufgabe ist . Die Kulturförderung des Bundes trägt neben der Kulturförderung der Kommunen und Länder wesentlich dazu bei, die kulturelle Vielfalt zu fördern . Ich möchte hier einige Aspekte herausstellen . Neben der Erfüllung der institutionellen und repräsentativen Kulturaufgaben des Bundes ist es wichtig, die Rahmenbedingungen für kreative Arbeit zu verbessern . Es ist unsere Aufgabe, zu verhindern, dass Kulturschaffende durch das soziale Netz fallen . Der Entwurf für den Haushalt 2016 der BKM bietet eine gute Grundlage . Für die SPD-Bundestagsfraktion will ich ausdrücklich positiv hervorheben, dass es erneut gelungen ist, den Etatansatz für Kultur im Regierungsentwurf zu steigern, nämlich um knapp 4,5 Prozent . Darin enthalten sind auch die Aufwüchse bei den Personalmitteln, für die wir uns in den Beratungen zum Haushalt 2015 erfolgreich eingesetzt haben . Dass diese zusätzlichen Mittel für alle durch den Bund geförderten Kultureinrichtungen sowie die Deutsche Welle, die lange überfällig waren, nun fortgeschrieben werden, begrüßen wir sehr . ({1}) Auf diese Weise können die Einrichtungen die Tarifsteigerungen auffangen, ohne dass Einsparungen bei Personal, Programm oder Inhalt vorgenommen werden müssen . Andererseits wurden einige der Aufwüchse aus dem parlamentarischen Verfahren zum Haushalt 2015 bedauerlicherweise nicht fortgeschrieben . Wir werden uns in den jetzt anstehenden Beratungen gemeinsam anschauen müssen, was dort zu tun ist . ({2}) Auch diejenigen Kulturschaffenden, die von den Tarifsteigerungen nicht profitieren, müssen wir im Blick haben, allen voran die freiberuflich tätigen Kulturschaffenden, deren Zahl in den letzten Jahren stetig angestiegen ist. Freiberufliche Leistungen im Kulturbereich unterliegen keinen gesetzlichen Vorgaben . Einige Berufsverbände haben Honorarempfehlungen oder Handreichungen zur Berechnung freiberuflicher Arbeit erstellt. Dieser Weg muss konsequent weitergegangen werden . Hier trägt auch die öffentliche Hand eine Verantwortung, wenn es darum geht, dass in der Kulturförderung faire Vergütungen und Honorare gezahlt werden . ({3}) Wir müssen eine Zweiklassengesellschaft von denen, die in den vom Bund geförderten Einrichtungen von Tarifsteigerungen profitieren, und denen, die auf der Basis von Projektförderung künstlerischer und kreativer Arbeit nachgehen, vermeiden . Von existenzsichernder Wichtigkeit für viele freiberufliche Kulturschaffende ist nach wie vor die Künstlersozialversicherung . Wir haben einen weiteren Anstieg des Abgabesatzes verhindert, für eine gerechtere Lastenverteilung gesorgt und die Künstlersozialversicherung auf sichere Beine gestellt . Die Arbeitsverhältnisse von Kulturschaffenden sind besonderen Umständen unterworfen . Das gilt insbesondere für den Erwerb des Anspruches auf ALG I . Da die aktuell gültige Regelung für kurz befristet Beschäftigte Ende 2015 ausläuft, müssen wir noch in diesem Jahr eine Entscheidung treffen . Davon sind viele Kulturschaffende betroffen . Wir brauchen eine Anschlussregelung, die die Besonderheiten in der Kultur- und Kreativwirtschaft berücksichtigt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Grundlage kreativer Erwerbsarbeit sind geistige Schöpfungen . Deshalb müssen wir eine angemessene Vergütung für die Nutzung kreativer Leistungen sicherstellen und geistiges Eigentum vor Rechtsverletzungen im digitalen Raum schützen . Dazu brauchen wir ein faires und zeitgemäßes Urheberrecht, das die Interessen von Urhebern, Verwertern, Nutzern und Konsumenten ausgleicht . Im Mittelpunkt müssen jedoch weiterhin der Urheber und sein kreatives Schaffen stehen; denn sie schaffen den Inhalt, den Content . Mit der bevorstehenden Reform des Urhebervertragsrechts wollen wir die strukturell schwächere Position des Urhebers im Verhältnis zum Verwerter verbessern . Die Erfahrungen seit der letzten Anpassung des Urheberrechtsgesetzes 2002 haben gezeigt, dass dies auch wirklich nötig ist . ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in der Filmpolitik hatten wir uns für die laufende Wahlperiode einiges vorgenommen . Wir haben die Digitalisierung unserer Kinolandschaft mit dem erfolgreichen Digitalisierungsprogramm abgeschlossen . Wir haben die zeitliche Befristung des Deutschen Filmförderfonds aufgehoben und damit die Förderung der Filmwirtschaft auf Dauer gestellt . Sicherlich: Als Kulturpolitiker hätte ich mir gewünscht, dass wir das auf dem alten Niveau hätten fortsetzen können . Umso mehr freue ich mich über die Initiative von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, die Förderung der Filmwirtschaft mit Mitteln aus seinem Etat zu ergänzen . Ich begrüße das; denn nur so können wir unsere kulturpolitische Zielsetzung in der Filmpolitik erreichen . Unser Ziel ist die Sicherung einer breiten Vielfalt beim Filmschaffen in Deutschland . Dafür ist neben Wirtschaftsförderung weit mehr erforderlich . Wir müssen auch verstärkt etwas dafür tun, dass in Deutschland mehr Filme entstehen können, bei denen die künstlerische Qualität nicht zu kurz kommt . Deshalb sollten wir unser gesamtes Fördersystem von Bund und Ländern in den Blick nehmen, um hier nach Möglichkeiten zu suchen, mit denen wir den künstlerischen Output im deutschen Filmschaffen nachhaltig stärken können . Die anstehende Novelle zum Filmförderungsgesetz ({5}) bietet hierzu genügend Ansatzpunkte und Möglichkeiten, das auch umzusetzen . Wenn wir die Vielfalt des deutschen Films sichern wollen, dann müssen wir uns auch um unser großes und großartiges Filmerbe kümmern; denn vieles droht in der Versenkung zu verschwinden oder gar unwiederbringlich verloren zu gehen . Mit der Digitalisierung der alten Filme können wir altes, vom Verfall bedrohtes Filmmaterial retten, wir können beschädigte Kopien restaurieren, und vor allem können wir unser Filmerbe auf völlig neuen Distributionswegen verfügbar machen . Obgleich wir im parlamentarischen Verfahren für 2015 1 Million Euro für das Filmerbe bereitgestellt haben, enthält der vorliegende Haushaltsentwurf für 2016 für das Filmerbe keine entsprechenden Mittel . Aber das ist angesichts der aktuellen Situation auch schnell erklärt . Bevor sich nun der Bund verpflichtet, müssen wir die anderen mit an Bord nehmen, die auch Verantwortung tragen . Das sind vor allem die Länder und die Filmbranche . Die dazu notwendigen Gespräche werden bereits geführt . Ich bin zuversichtlich, dass wir im kommenden Jahr ein entsprechendes Programm auf den Weg bringen werden, um auch hier dafür zu sorgen, dass unser reiches kulturelles Filmerbe erhalten und zugänglich bleibt . ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe meine Rede mit einem Appell . Wenn wir die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft als Chance nutzen wollen, müssen wir die kulturelle Bildung fördern . Kulturelle Bildung bietet ein großes Potenzial, um mit den Menschen, die in unser Land kommen, ins Gespräch zu kommen, um uns für ihre und sie für unsere Kultur zu öffnen . Viele Kultureinrichtungen widmen sich bereits jetzt mit großem Engagement der kulturellen Bildungsarbeit mit Flüchtlingen, allen voran mit Kindern und Jugendlichen . Dies ist der richtige Weg, den wir in Zukunft noch viel konsequenter und energischer gehen müssen . Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . Das war wirklich eine Punktlandung . Das Wort hat jetzt Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte über das Projekt „Museum der Moderne“ sprechen, wofür wir im vergangenen Haushalt 200 Millionen Euro bereitgestellt haben; das kommt nicht jährlich vorkommt . Frau Grütters, wir sind uns zumindest in einem Punkt einig: Dieses Museumsprojekt mit der Aussicht ganz wunderbare Kunstobjekte zu präsentieren, hat eine ganz große kulturelle Bedeutung für unsere Hauptstadt . Deswegen möchte ich es in den Mittelpunkt meiner Rede stellen . Wir Grüne - das will ich hier auch betonen - sind Unterstützer dieses Projektes und wollen es auch bleiben . ({0}) Aber - und das gehört zur Ehrlichkeit dazu -: Vergangene Woche ist der Ideenwettbewerb von Ihnen in der Öffentlichkeit präsentiert worden, und er beginnt jetzt . Frau Grütters, wie war das öffentliche Echo auf dieses eigentlich so gewinnende Projekt? Das öffentliche Echo in den Medien, ob Süddeutsche Zeitung, ob Die Zeit, ob die Berliner Zeitung oder andere, war - wenn man es freundlich ausdrückt - bescheiden . Wenn man die Artikel mit Interesse liest, muss man feststellen: Das Echo war von viel Unverständnis für Sie geprägt, Frau Grütters, wie Sie das Projekt jetzt auf die Spur gesetzt haben . ({1}) Ich zitiere Die Zeit vom 27 . August 2015, Herrn Rauterberg: Eigentlich geht es in einem ersten Schritt . . . darum, Ideen zu sammeln . Die Architekten sollen ihre Fantasie spielen lassen, sollen zeigen, was überhaupt möglich wäre, wenn denn alle, der Bund und das Land Berlin, das Kulturforum endlich ernst nähmen . Und weiter zu Ihnen, Frau Grütters, schreibt er: Sie wagt nicht die Offenheit, die es braucht . Sie lässt den Architekten nicht die Freiheit, die für eine solche Aufgabe nötig ist . Gegen alle Ratschläge, gegen die Proteste der wichtigsten Architektenverbände und die Einwände vieler kluger Einzelstimmen . . . hat sie sich festgelegt: Das neue Museum kann nur an einem Ort entstehen, an der Potsdamer Straße . Ich muss es Ihnen deutlich sagen, Frau Grütters: Ich finde, Sie haben ein falsches Rollenverständnis. Sie sind die Kulturstaatsministerin . Es ist lobenswert, wenn Sie so ein Projekt nach vorne bringen; aber Sie sollten Architekten und Städteplaner so mitwirken lassen, dass die städtebaulich beste Entwicklung an diesem weltweit bedeutenden Standort möglich ist . ({2}) Dass Sie sagen: „Ich entscheide“, halte ich für falsch, für eine politische Hybris . Das wird auch von vielen anderen so gesehen . ({3}) Ich finde es dreist, wenn Sie das auch noch damit rechtfertigen, dass der Bund Mittel für den Museumsbau zugesagt habe, nicht aber für städtebauliche Visionen . Dies ist ein Ort, an dem der Städtebau mitgedacht werden muss . Die Situation im Haushaltsausschuss dazu war schon absurd . An dieser Stelle muss ich die Kollegen der Regierungsfraktionen einmal in Schutz nehmen . Sie haben tapfer darum gekämpft, dass offenbleibt, an welchen Standort wir gehen . ({4}) Das ist aber von oben durchgezogen worden . Der Haushaltsausschuss hat die städtebauliche und kulturelle Diskussion offenhalten wollen; aber die Kulturstaatsministerin sagt: Bums, das mache ich so . ({5}) Man muss sich einmal fragen: Welche Rolle spielt eigentlich Berlin dabei? Dazu muss ich sagen - Frau Grütters ist die wirkliche Berlin-Expertin -: Berlin hat die Planungshoheit und hält sich seltsamerweise zurück . Als Vollstrecker des Bundeswillens hält sich der Senat in Berlin zurück . Ich bin mir nicht sicher, ob das angesichts des langen Planungsverfahrens, das vor uns liegt, am Ende gutgehen wird . Senatsbaudirektorin Lüscher hat nun anscheinend, wenn der Bericht aus der Berliner Zeitung von Herrn Bernau richtig ist, letzte Woche gesagt, man müsse nun - Zitat - „volles Risiko gehen - und vielleicht dann feststellen, dass man hier nicht bauen kann“ . Man muss wissen, dass an dem Standort, von dem Frau Grütters sagt, dass es der einzig richtige ist, eine Starkstromleitung verläuft, sodass die wichtige, absolut notwendige Verbindung zur Neuen Nationalgalerie zumindest in den nächsten 15 Jahren gar nicht möglich ist . Eine aus europäischer Sicht wichtige Starkstromleitung wird nämlich deswegen nicht verlegt . Wenn das, was Frau Lüscher sagt, ernst zu nehmen ist, dann verantworten Sie, Frau Grütters, wenn dieses Museumsprojekt eine sehr lange Zeitspanne für die Verwirklichung braucht, etwas, was Sie immer verhindern wollten . Im Namen meiner Fraktion möchte ich einen letzten Punkt ansprechen . Ich sage Ihnen schon heute ganz klar: Wir werden nicht akzeptieren, dass es eine investorengetriebene Architektur gibt, weil Sie das als PPP bauen wollen . ({6}) Ich finde es mehr als bemerkenswert, ich finde es unfair und unangemessen, dass Sie das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung ständig schlechtreden und behaupten, das Bundesamt könne das nicht unter Einhaltung des Kostenrahmens bauen . ({7}) Ich wünsche mir, dass Frau Hendricks sich das nicht bieten lässt . So einseitig kann man nicht vorgehen . Deswegen rufe ich Sie auf, Frau Grütters: Passen Sie auf, dass Sie nicht die Unterstützer verlieren . So ein Projekt braucht eine faire öffentliche Beteiligung und faire Mitsprachemöglichkeiten für Experten . In diesem Sinne haben Sie umzusteuern . Schönen Dank . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat Rüdiger Kruse, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Rüdiger Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004083, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zurzeit strömen Hunderttausende Menschen nach Europa, und wir sind irgendwie überrascht . Angesichts der europäischen Geschichte ist es verständlich, dass wir überrascht sind; denn über Jahrhunderte haben wir selbst Migranten produziert durch Krieg, Vertreibung und Verfolgung . Jetzt ist offenbar ein Bild von Europa entstanden, das so attraktiv ist, dass nun Menschen aus anderen Regionen aus den gleichen Gründen, aus denen Menschen aus Europa geflohen sind, nach Europa fliehen . Dass wir so überrascht sind, hat auch etwas damit zu tun, dass wir kein geschlossenes Selbstbild von Europa haben, ein Problem, das wir Deutschen gut kennen . Wenn man kein eigenes Selbstbild hat, dann wundert man sich erst recht über das Fremdbild, auch wenn man es als Kompliment annehmen darf, wenn Menschen sagen: Dort wollen wir hin . Es wäre also sinnvoll, ein Selbstbild zu finden, es zu definieren. Das haben wir auch in der Finanzkrise gesehen . Es ist nicht möglich, Europa nur mit Zahlen zu bauen . Das hält nicht zusammen . Das würde nicht funktionieren . Wenn Europa eine Holding wäre, dann hätte man viele Länder nach drei Monaten auf Verkauf gestellt . Das entspräche aber nicht der europäischen Idee . Was ist jetzt die Chance? Die Chance ist in etwa so, als wenn Sie Besuch haben oder jemand neu in Ihre Firma kommt, der Ihre Stadt nicht kennt . Dann haben Sie die Chance, Ihre Stadt selber kennenzulernen, indem Sie sie ihm zeigen . Wenn jemand kommt und Ihre Kultur nicht kennt, Sie aber die Erwartung haben, dass er sich in diese Kultur integriert, dann sollten Sie zumindest wissen, welche Kultur Sie denn meinen . Das, glaube ich, ist unser Auftrag . Die Staatsministerin hat gesagt, dass wir Projekte und Initiativen stärken müssen, die sich mit der kulturellen Einbindung von Migranten beschäftigen . Das ist sehr wichtig . Aber das wäre zu wenig; denn dann hätten wir, wenn es richtig gut läuft, bloß 1 Million Menschen mehr, die die deutsche oder europäische Kultur kennen . Das heißt, an die - geschätzt - 50 Millionen in Deutschland kennen sie immer noch nicht; denn wir haben das Problem, dass Kultur derzeit eine Angelegenheit ist, die vererbt wird . Sind Ihre Eltern ins Theater gegangen, ist die Chance sehr hoch, dass Sie das irgendwann auch einmal mussten . Das mussten Sie dann so oft, bis Sie Gefallen daran gefunden haben . Das ist so ähnlich wie beim ersten Bier: Hat irgendjemandem sein erstes Bier geschmeckt? Nein, natürlich nicht . Das erste Bier schmeckt nicht . Sie trinken es aus Gruppengefühl . Jetzt will ich nicht weiter über diese legale Droge reden . Ich will aber sagen: Sie müssen irgendwie die Chance bekommen, diesen ersten Schluck von Kultur zu nehmen . Diese Chance müssen nicht nur die Migranten bekommen . Da ist es sehr naheliegend . Da ist auch eine große Neugier da . Das ist der große Vorteil . Aber wir müssen natürlich auch etwas dafür tun, dass die breite restliche Bevölkerung, die wir seit der Gründung der Bundesrepublik immer noch nicht mitgenommen haben, nun mitkommt . Das nennt man Demokratisierung der Kultur . Das muss unser Antrieb sein, weil wir sonst jedes Mal, wenn wir einen Haushalt beraten - und sei der Anteil des Kulturhaushalts am Bundes- oder Landeshaushalt auch so verschwindend gering, dass es sich überhaupt nicht lohnt, über Kultur zu reden -, bei der Auflistung von unnötigen, überflüssigen und Luxusprojekten die Kultur weit vorne haben und die meisten Leute der Ansicht sind, würde man bei der Kultur sparen, hätte man schon den halben Haushalt saniert . Das also wollen wir nicht . Wir brauchen ein Mehr an Kultur, und wir brauchen bessere Zugänge dazu . Es reicht nicht, dass wir neue Museen bauen und alte erhalten und zudem durch Tarifangleichung dafür sorgen, dass die Leute, die morgens das Licht an- und abends wieder ausschalten, anständig bezahlt werden . Das kriegen wir hin . Was wir zurzeit nicht hinkriegen, sind Ausstellungen von Weltrang, die richtig spannend sind . Wir kriegen es nicht hin, dass wirklich breite Bevölkerungsteile in Ausstellungen gehen und dann heftig darüber diskutieren . Wir brauchen Skandalausstellungen . ({0}) Wir brauchen Ausstellungen, die uns betreffen, über die wir auch in der Politik reden und mit denen wir uns auseinandersetzen . Wir haben ganz gute Ansätze gewählt, wo wir Dinge verstärken . Wir machen ja inzwischen auch mehr . Wir machen sogar offene Projekte; ich denke da an das Haus der Kulturen der Welt . Aber wir brauchen deutlich mehr, und deswegen ist ein Aufwuchs von 4 oder 5 Prozent noch zu wenig . Es geht auch überhaupt nicht, dass da, wo wir als Bund für einen Aufwuchs sorgen, Länder und Kommunen zurückfahren . ({1}) Man muss bei all den Debatten, die wir führen, auch einmal daran erinnern, dass nicht nur der Bundeshaushalt mit Steuermehreinnahmen gesegnet ist; vielmehr ist es so - Sie kennen die Verteilung -: Wenn wir mehr kriegen, kriegen auch die Länder und Kommunen mehr . Zudem hat der Bund sehr viele Entlastungsschritte in diese Richtung unternommen . Deshalb muss man in den Verhandlungen mit den Ländern und Kommunen auch einmal sagen: Dafür, verdammt noch mal, verlangen wir, dass ihr euren Kulturetat nicht kürzt, sondern ihn aufstockt! Herfried Münkler, der sich mit Deutschland als Macht in der Mitte beschäftigt hat, hat in seinem Buch ein Kapitel der kulturellen Macht gewidmet, die er dann als „Soft Power“ bezeichnet . Er sagt, dass diese kulturelle Macht wahrscheinlich die kostengünstigste Möglichkeit ist, Populismus entgegenzuwirken . Das gilt auch für das, was ja ebenfalls gefordert worden ist: den Kampf gegen Extremismus . Extremismus entspringt aus Unkenntnis und aus Angst, Angst vor dem Fremden zum Beispiel . Ein schöner und erfolgreicher deutscher Film, ein kulturell wertvoller deutscher Film war Angst essen Seele auf . Die Angst vor dem Fremden kann man durch die Neugier auf das Fremde überwinden . Das wiederum weckt Kultur . Daher macht es sehr viel Sinn, wenn wir uns in diesem Bereich stärker engagieren . Wir müssen natürlich eines wissen - auch das sagt Münkler -: Politiker machen keine Filme; sie können es auch nicht . Wenn sie ganz besonders waren, sind sie vielleicht einmal ein Motiv für einen Film oder für ein Buch . Wir sind Handwerker . Wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit andere das machen . Wir müssen sie jetzt auch so schaffen, dass das auf europäischer Ebene möglich ist . Wir müssen dafür sorgen, dass es in der Finanzkrise nicht zu Kürzungen im Bereich der KulRüdiger Kruse tur kommt - bei anderen Ländern kann ich das viel mehr verstehen, wenn sie sehr viel kürzen müssen -; denn dann wären das unattraktive Ruinen . Das heißt, wir brauchen eine europäische Initiative . Wir sollten den Ansatz finden, eine europäische Renaissance einzuleiten . Das Wesen der Renaissance besteht aus zwei Dingen: aus der Rückbesinnung, also aus der Beschäftigung mit dem, was vorher war - nicht in einem konservativen Sinne, sondern in einem, dass man, wenn man es kennt und sich damit auseinandersetzt, Neues entwickeln kann -, und aus einer starken Verbreiterung des kulturellen Austausches . Eigentlich war das damals unvorstellbar . Wir können ja einmal versuchen, den Künstler El Greco zuzuordnen . Er wurde in Griechenland geboren . Angefangen hat er auf Kreta, dann ist er nach Venedig gegangen und dann nach Rom . Später war er in Toledo bestimmender Meister des spanischen Manierismus . Ich weiß jetzt nicht, ob das nun ein griechischer, spanischer oder italienischer Künstler ist . Von der Geburt her ist es eindeutig . Seine Kunst ist international . Was die damals an gegenseitiger Beeinflussung geschafft haben, können wir heute doch viel leichter . Wir sollten die Austauschmöglichkeiten nutzen und stärken und im Sinne einer europäischen Kulturpolitik dahin gehend wirken, dass wir unsere Maßstäbe auch nach außen senden . Man muss auch den Menschen, die hierherwollen, sagen, dass sie alles an Kreativität mitbringen dürfen, aber die gesamte Engstirnigkeit bitte zu Hause lassen und überwinden . Es gibt nicht die Einladung, dass diejenigen, die von Ignoranten vertrieben worden sind, ihre eigenen Ignoranzen hier ausleben . Zur Vermeidung dessen brauchen diese Menschen ein positives politisches und kulturelles Bild von Europa, und wir müssen uns um dieses Bild bemühen . Dafür ist es notwendig, dass wir nicht nur unseren eigenen Etat deutlich stärken, sondern als Deutsche maßgeblich auf eine europäische Kulturinitiative hinwirken; denn das ist eine der günstigsten Möglichkeiten, etwas für Freiheit und Recht in dieser Welt zu tun . Danke schön . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt Ulle Schauws, BÜNDNIS 90/Die Grünen .

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Kulturpolitisch war in letzter Zeit viel von großen Plänen und Namen zu hören, leider weniger von handwerklich guten Konzepten oder nachhaltigen Strukturlösungen . Aber es kann und darf bei dem Auftrag, den die Bundeskulturpolitik hat, nicht nur um schnelle Erfolge und leere Ankündigungen gehen . Ein erstes Paradebeispiel ist die ausstehende Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes . Hier war im Sommer die Aufregung groß . Die Feuilletons waren voll davon . Da stellt man sich die Frage: Warum war das so? Weil unsinnige Neuregelungen bei Künstlern und Sammlern Panikreaktionen ausgelöst haben . Es ging um private Leihgaben in öffentlichen Museen, es ging um die Rechte auf Zutritt zu privaten Sammlungen . Diese Regelungen, Frau Staatsministerin, befanden sich in einem Referentenentwurf Ihres Hauses . Jetzt müssen Sie unter Hochdruck nachbessern . Da sage ich Ihnen: Das war nicht nur handwerklich ganz schlecht, sondern das hätte Ihnen so auch nicht passieren dürfen . ({0}) Einmal ganz abgesehen von Ihrer miserablen Kommunikation . Es bei einem so hart umkämpften Gesetz zu versäumen, das Warum und das Wie von Regelungen verständlich zu erklären, war ein eklatanter Fehler . Sie haben unnötig Öl ins Feuer der Händlerlobby gegossen . Hier hätte ich mir von einer Staatsministerin - das muss ich ganz ehrlich sagen - mehr Weitblick und einen professionelleren Umgang erwartet . ({1}) Mit massivem Widerstand durch die Händlerlobby war zu rechnen; das haben Sie gewusst . Das hat bereits die Umsetzung des Kulturgüterrückgabegesetzes 2007 gezeigt . Die wichtigen Fragen, zum Beispiel unter welchen Voraussetzungen Kulturgut zukünftig als national wertvoll eingetragen wird, lassen Sie weiter offen . Hier bestätigt sich Ihre Vorgehensweise: Großes ankündigen, nicht entsprechend inhaltlich nachliefern . Noch ein Thema der Kategorie „Schöner Plan - fehlendes Konzept“ steht auf der kulturpolitischen Agenda: das Humboldtforum; Sie haben es eben wieder erwähnt . Auch hier hören wir von der Bundesregierung vor allem euphorisierte Superlative . Mit dem Gründungsintendanten Neil MacGregor steht uns herausragende Kompetenz zur Verfügung; ganz ohne Frage . Das ist gut, aber das reicht ja nicht aus . ({2}) Bis heute haben Sie konzeptionell immer noch nichts Substanzielles geliefert . Offen bleibt neben dem Inhalt außerdem die zukünftige Finanzierung . Auch bei TTIP sind wir Zeuginnen und Zeugen einer Kulturpolitik, die Großes verkündet und erst dann schaut, wohin die Reise geht . Sie behaupteten, Frau Staatsministerin, die Kultur könne von den Verhandlungen durch eine Generalklausel ausgenommen werden . Haben Sie konkret etwas dazu gemacht? Wir haben seitdem nichts mehr von Ihnen dazu gehört . Das Gutachten unserer Fraktion zu den möglichen Auswirkungen von TTIP auf den Kulturbereich hat gezeigt: Die Verhandlungsstrategie der USA lässt eine solche Ausnahme überhaupt nicht zu . Ich sage Ihnen: So bedeutende Verhandlungen können Sie nicht laufen lassen nach dem Motto „Wird schon gut gehen“ . Das reicht uns, das reicht auch den Kulturleuten nicht aus . ({3}) Was wir von einer Kulturstaatsministerin erwarten und zu Recht erwarten können -, sind eine nachhaltige Kulturpolitik und eine Vision für morgen . Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ich frage Sie: Wo finden wir die im Koalitionsvertrag angekündigte konzeptorientierte Kulturförderung, wo die Analysen und Statistiken einer verstärkten Kulturpolitikforschung und die angekündigten Maßnahmen zu Inklusion, Geschlechtergerechtigkeit und interkultureller Öffnung von Kulturbetrieben? Gerade jetzt, da uns alle das Thema „Flucht vieler Menschen“ beschäftigt, da es uns alle angeht - viele von Ihnen haben es heute erwähnt -, ist auch die Kulturpolitik der Regierung gefordert, ihren Beitrag zu leisten . Ich hoffe, dass wir Ihre Konzepte dazu bald bekommen werden . Ich sage noch einmal: Große Pläne brauchen gute und nachhaltige Konzepte . Das ist im BKM eine große Leerstelle . Darum, Frau Grütters: Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Sie haben nur noch zwei Jahre Zeit . Vielen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Dr . Eva Högl . ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Ende unserer Debatte - wir haben jetzt fast vier Stunden diskutiert - und zum Ende unserer kulturpolitischen Debatte möchte ich Sie alle ganz herzlich einladen, einen übergeordneten Blick auf die Rolle der Kultur zu werfen, gerade auf die Bedeutung der Kulturpolitik im Zusammenhang mit der außenpolitischen Situation, mit der Situation von Flüchtlingen . Ich möchte darauf hinweisen, dass Kultur in zwei Richtungen wirkt und beide Richtungen gleichermaßen wichtig sind: Kultur hat ganz starke Signalwirkung nach außen; ich halte es für sehr wichtig, dass wir das auch in dieser Debatte betonen . Investitionen in Kulturgüter und kulturelle Projekte entfalten ihre Ausstrahlungskraft weit über die Grenzen Deutschlands hinaus . Durch seine Kultur präsentiert sich Deutschland, und zwar weltoffen, und heißt Menschen willkommen . Der Umgang einer Nation mit ihren Kulturschätzen zeichnet sie auch aus . Ich möchte heute ein Beispiel nicht unerwähnt lassen, das uns alle erschüttert hat, als wir es vernommen haben - der Umgang mit Kultur in dieser Region erschüttert uns ja seit Wochen und Monaten -: die Zerstörung der antiken Grabstätten in der syrischen Oasenstadt Palmyra . Das ist ein tragischer Verlust einmaligen und nie wiederherzustellenden Kulturguts . Palmyra war ein Treffpunkt der Kulturen . Palmyra steht für multikulturelles Miteinander, griechisch-römische Architektur, orientalisch verziert . Die Stadt wurde 1980 zum UNESCO-Weltkulturerbe erhoben . Durch die gezielte Zerstörung durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ ging dieser Kulturschatz für immer verloren . Diese Tragik kann man, glaube ich, nicht genügend betonen . Es ist wichtig, dass wir bei der Diskussion über die Lage in der Welt immer auch die Kultur im Blick haben; denn sie sagt etwas über die Lage in der Welt aus . Darüber hinaus wirkt Kultur nach innen, und darüber reden wir in unserer Debatte heute ja auch sehr viel . Kultur ist ein Ausdruck unserer Werte . Sie schafft Zusammenhalt und Identifikation. Kultur fördert das gesellschaftliche Miteinander, und sie schafft auch für die Menschen, die zu uns kommen - das ist heute schon erwähnt worden -, Teilhabe, Entfaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten und nicht zuletzt für uns alle Freude an Schönem und Wunderbarem . Aus diesem Grunde ist es richtig und wichtig, dass wir weiterhin intensiv in Kultur und kulturelle Projekte investieren . Ich sage das ganz besonders vor dem Hintergrund, dass es in diesen Tagen bei den Haushaltsberatungen darum geht, unsere gemeinsamen Anstrengungen in die Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge zu investieren . Das geht aber nicht gegeneinander, sondern das erfordert eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen . Hier brauchen wir auch Investitionen in Kultur, und deswegen freue ich mich über die Steigerung des Kulturetats . ({0}) Ich möchte auch noch einmal deutlich sagen, dass wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier es sind, die trotz einer guten Vorlage - natürlich von Frau Grütters - immer noch eine Schippe drauflegen. Ich verspreche mir das selbstverständlich auch von den weiteren Haushaltsberatungen . In der Vergangenheit sind das Denkmalschutz-Sonderprogramm und die Aufstockung der Mittel für die Deutsche Welle im parlamentarischen Verfahren erreicht worden . Dies waren gute Signale für die Ausstattung von Kultur und Medien . ({1}) Vier Themen möchte ich kurz ansprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Erstens . Ich beginne - wie könnte es anders sein - mit der Hauptstadtkulturförderung . Als Berlinerin mit dem Wahlkreis Berlin-Mitte liegen mir diese Projekte natürlich sehr am Herzen . Sie liegen aber auch dem ganzen Haus am Herzen, und deswegen hoffe ich natürlich, dass wir die Hauptstadtkultur auch weiterhin gut fördern; denn Berlin repräsentiert die Kultur Deutschlands und exemplarisch auch die kulturelle Vielfalt in unserem Land . Hier gibt es kein Gegeneinander der Fläche und der Hauptstadt, aber das bedarf einer gesonderten Finanzierung und eines besonderen Augenmerks . Deswegen hoffe ich, dass wir bei der Finanzierung der Hauptstadtkultur auch weiterhin gemeinsam gute Wege gehen und Berlin entsprechend ausstatten, sodass es diese Aufgabe übernehmen kann . Ich möchte daran erinnern, dass es in Berlin viele Leuchtturmeinrichtungen gibt, die wir mit Bundesmitteln unterstützen: die Berlinale, den Martin-Gropius-Bau, die Akademie der Künste oder auch das Haus der Kulturen der Welt . Das kennen und schätzen wir alle . Sie alle haben eine große Bedeutung . Ich möchte hervorheben, dass zum Beispiel der Martin-Gropius-Bau aus der Projektmittelförderung herausund in die institutionelle Förderung hineingekommen ist . Ich denke, das ist ein guter Weg, den wir auch weiter beschreiten sollten . Zweitens . Keine Rede zur Kultur ohne die Erwähnung des Humboldt-Forums! Der Bau des Humboldt-Forums ist auf einem guten Weg . Jetzt kommt es auf die inhaltliche Ausgestaltung an . Ich möchte aber noch einmal ganz deutlich machen, dass die Baustelle des Humboldt-Forums in Berlin - darauf sind wir alle sehr stolz - unsere Vorzeigebaustelle ist . Das ist ja nicht bei allen Baustellen der Fall, aber das Humboldt-Forum ist unter guter Regie auf einem guten Weg; es ist im Kosten- und Zeitplan . Wir alle freuen uns schon auf die Eröffnung . Jetzt geht es natürlich darum, das Humboldt-Forum inhaltlich gut auszugestalten . Das Humboldt-Forum liegt im Herzen von Berlin und - Frau Grütters hat es eben schon gesagt - soll die Kulturen der Welt anziehen und sie im Herzen von Berlin vertreten und widerspiegeln . Darüber werden wir miteinander sprechen und das gut ausgestalten . Ich freue mich ganz besonders, dass wir bei der letzten Sitzung des Stiftungsrates des Humboldt-Forums entschieden haben, dass ein Vertreter des Auswärtigen Amts Mitglied des Stiftungsrates wird, weil es natürlich ein wichtiges Signal ist, dass wir das Auswärtige Amt an Bord haben und auch die Auswärtige Kulturpolitik einbeziehen können . ({2}) Drittens . Ebenfalls im Herzen von Berlin wird das Museum der Moderne geplant . Frau Hajduk hat ja ihre gesamte Redezeit auf das Museum der Moderne verwandt und einiges kritisch angemerkt . Auch ich möchte ein paar Worte dazu sagen und an der einen oder anderen Stelle einen anderen Akzent setzen . Zunächst einmal ein herzliches Dankeschön an alle im Haushaltsausschuss, die das Museum der Moderne durch die Bereitstellung der Mittel in Höhe von 200 Millionen Euro möglich machen . Es wird eine wichtige Ergänzung der Neuen Nationalgalerie werden, und wir werden die Chance bekommen, im Herzen von Berlin die Sammlungen Pietzsch, Marx und das Archiv Marzona zu zeigen . Das ist eine wirkliche Bereicherung für die gesamte Kulturlandschaft und natürlich auch für die Berliner Kultur . Ich bin sehr optimistisch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir dieses Ziel mit einem Ideenwettbewerb gut erreichen; denn es ist ein offener Ideenwettbewerb . Von diesem Ideenwettbewerb verspreche ich mir natürlich genauso wie Sie, Frau Hajduk, ({3}) dass er eine Ausstrahlungskraft auf das gesamte Areal hat und auch die Möglichkeit beinhaltet, das Kulturforum städtebaulich zu verbessern und aufzuwerten; ({4}) denn das ist dringend erforderlich . Wenn wir aber das ganze Areal städtebaulich aufwerten wollen, wie uns das wahrscheinlich gemeinsam vorschwebt, müssen wir noch deutlich mehr Geld in die Hand nehmen . ({5}) Dafür reichen die 200 Millionen Euro für den Museumsbau nicht aus . Ich lade herzlich ein, dass wir uns über diesen Ideenwettbewerb für den Bau hinaus gemeinsam Gedanken machen, ({6}) wie wir das Kulturforum aufwerten können . Für die SPD-Fraktion jedenfalls sage ich, dass wir den Standort des Museums der Moderne an der Potsdamer Straße richtig finden. ({7}) Das ist der geeignete Standort . Dahin gehört das Museum . Aber ich bin natürlich auch dafür, dass in dem Ideenwettbewerb darüber gesprochen wird, wie man den Standort im Einzelnen ausgestaltet . Ich hoffe sehr, dass wir dann auch im Kosten- und Zeitplan bleiben, sodass wir uns auf eine wunderbare Museumseinweihung im Jahr 2021 freuen können . ({8}) Eine Bemerkung zu der Frage, wie das Museum gebaut wird und welche Form der Projektsteuerung wir wählen . Ich will auch für die SPD-Fraktion ganz offen sagen, dass wir ein großes Fragezeichen hinter die intensive Überlegung machen, das Projekt in öffentlich-privater Partnerschaft zu realisieren . ({9}) Ich möchte mich ganz deutlich dafür aussprechen, dass wir ernsthaft und konzentriert überlegen und am Ende das wäre mir die liebste Variante - dazu kommen, das Projekt in öffentlicher Verwaltung durchzuführen . Ich denke, das wäre für dieses Museum das Richtige . Dass wir das können, zeigt das Humboldt-Forum; ich habe es eben schon erwähnt . Es ist ein exzellentes Beispiel dafür, dass wir in der Verantwortung der öffentlichen Verwaltung schöne Gebäude errichten können ({10}) und dabei im Kosten- und Zeitplan bleiben . Deswegen bitte ich darum, diese Überlegungen ernsthaft zu prüfen . Ich wäre sehr froh, wenn wir dazu kämen, den Bau in der Verantwortung der öffentlichen Hand durchzuführen . ({11}) Meine vierte und letzte Bemerkung bezieht sich auf die Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes . Diese Novellierung ist dringend erforderlich, weil wir nämlich im nationalen und internationalen Rahmen - ich habe zu Beginn meiner Rede im Zusammenhang mit Palmyra von internationaler Kultur gesprochen - einen Beitrag für den verantwortungsvollen Umgang mit Kulturgütern leisten müssen . Es geht sowohl um die Ausfuhr als auch um die Einfuhr von Kultur . Wir brauchen dringend neue Regelungen . Deswegen ist ein neues Kulturgutschutzgesetz ganz wichtig, um im internationalen Kontext bessere und richtige Regelungen zu bekommen . Dass im Vorfeld Kritik geäußert wurde, hat uns sicherlich alle, vor allem hinsichtlich der Deutlichkeit, überrascht . Es war von „Bedrohung des deutschen Kunstmarktes“ und „Enteignung“ die Rede . Ich bin der Auffassung, dass ein Teil dieser Kritik deutlich überzogen war . Man kann sie aber aus dem jeweiligen Interesse heraus verstehen . Ich kann zusagen, dass wir dieses Gesetzesvorhaben sehr sorgfältig prüfen und uns die Details anschauen . Aber ich sage es noch einmal: Wir brauchen bessere Regelungen für die Einfuhr; das scheint mir ziemlich unumstritten zu sein . Hinsichtlich der Kritik an den Ausfuhrregelungen - Stichwort „Enteignung“ - werden wir uns ganz genau ansehen, welche Regelungen wir brauchen . Aber darüber, dass wir auch da Regelungen brauchen, um nationales Kulturgut zu schützen, sind wir im Haus sicherlich einer Meinung . Herzlichen Dank . Ich freue mich auf die weiteren Beratungen . ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank . - Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor . Wir schließen deshalb die Beratungen zu diesem Einzelplan damit ab . Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05. Bevor wir damit starten, warten wir noch ein bisschen, bis alle Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte teilnehmen wollen, ihren Platz eingenommen haben . Das Wort erteile ich als erstem Redner dem Bundesminister Dr . Frank-Walter Steinmeier . ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist aus den Fugen, habe ich vor ungefähr einem Jahr hier von diesem Pult aus gesagt . Ich befürchte, davon ist nichts zurückzunehmen . Wir bereiten jetzt mit dem Haushaltsentwurf das nächste Jahr vor, das, so befürchte ich, ein Jahr sein wird, das ähnlich mit Krisen und Konflikten gefüllt sein wird. Sie werden nicht viel weniger werden . Damit wir, obwohl wir uns berechtigte Sorgen machen, nicht verzweifeln und daran glauben und daran arbeiten, dass eine Veränderung möglich ist, will ich mit einem positiven Bild einsteigen - einem Bild, das gerade in dieser Krisenzeit Hoffnung macht . Für viele von uns war es, wenn ich das sagen darf, ein fast unerwartetes Bild von riesiger Anteilnahme und großer Solidarität . Es gibt eine Riesenanzahl von Deutschen, die in diesen Tagen hinausgehen und mithelfen, Menschen aus den Krisenregionen bei uns Zuflucht zu geben. Es ist eine große Hilfsbereitschaft vorhanden . Darüber können wir uns freuen . Dafür will ich am Anfang allen - ob Freiwilligen oder denjenigen, die es von Berufs wegen tun - ganz herzlich Dank sagen . ({0}) Diese Mitmenschlichkeit ist genau die Basis - davon bin ich überzeugt -, die wir brauchen, damit wir mit dieser riesigen Herausforderung fertigwerden . Ich habe letzte Woche in Brüssel gesagt: Man hat immer den Eindruck, dass die Probleme, an denen man arbeitet, die größten sind, die man zu bewältigen hat . Wir haben das bei Griechenland gedacht . Die Herausforderung Migration wird für uns und für ganz Europa noch viel größer sein . Damit die Hilfe aber funktioniert, brauchen wir diese Basis von Mitmenschlichkeit, die ich eben gezeichnet habe . Uns in der Politik muss aber auch klar sein: Diese Bereitschaft und diese Mitmenschlichkeit brauchen einen Rahmen . Wenn die Fragen jetzt noch nicht gestellt werden, so werden sie irgendwann - auch von denjenigen, die jetzt helfen - gestellt werden: Wie viel kann Deutschland leisten? Was muss am Ende geschehen, damit wir diese Herausforderung auf lange Sicht bewältigen werden? Ich will versuchen, in meiner Rede drei Antworten zu geben bzw . zu beschreiben, welche drei Dinge jetzt zu tun sind . Erstens . In einer Haushaltsdebatte geht es natürlich auch um Geld, selbst wenn wir nicht immer nur darüber reden . Ich bin froh, dass die Bundesregierung am Wochenende ein Maßnahmenpaket für Bund, Länder und Kommunen verabredet hat . Für das Auswärtige Amt gehört zu diesem Paket, dass wir eben - insbesondere in den Herkunfts- und Transitländern - neue Anstrengungen unternehmen und dank der Unterstützung auch unternehmen können . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Migrationswellen beginnen ja nicht am Ostbahnhof in Budapest und auch nicht am Strand von Kos - den Eindruck könnte man gewinnen, wenn man abends Fernsehen schaut -, sondern dort, wo die Konflikte toben, wo schon Nachbarländer nicht mehr in der Lage sind, die menschlichen Notlagen in den Griff zu bekommen, und wo Schlepperbanden - auch das gehört zur Wahrheit - ihr großes Geschäft wittern . Dort setzen wir mit den Möglichkeiten des Auswärtigen Amtes an . Wir werden dank der VerDr. Eva Högl abredungen im Koalitionsausschuss in diesen Regionen helfen können und mehr Stabilität in den Herkunfts- und Transitländern - ich nenne die riesigen Flüchtlingslager in Jordanien, im Libanon und in der Türkei - schaffen . Den Binnenvertriebenen, ob in Syrien oder im Irak, müssen wir helfen, damit sie in ihren Heimatregionen langsam wieder eine Perspektive entwickeln können . Deshalb kann ich an dieser Stelle erst einmal nur meinen Dank dafür aussprechen, dass wir schon so weit gekommen sind . Das wird uns helfen, die Migrationswelle besser zu bewältigen . Es wird vor allen Dingen den Menschen in den Regionen helfen, meine Damen und Herrn . ({1}) Für uns heißt das vor allen Dingen, direkte humanitäre Hilfe zu leisten . Das ist aber nur der kleinere Teil . Dazu gehört vor allen Dingen auch die Ertüchtigung der internationalen Hilfsorganisationen, insbesondere der Vereinten Nationen, deren Hilferufe in den letzten Wochen und Monaten auch die Regierungschefs erreicht haben, ohne dass der notwendige Erfolg wirklich eingetreten ist . Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Skandal, dass der UNHCR in diesen Tagen der größten Flüchtlingsbewegung so unterfinanziert ist, dass die Essensrationen in den Flüchtlingslagern im Irak und im Libanon halbiert werden müssen . Das können wir so nicht ertragen und erst recht nicht erdulden . ({2}) Für die Migration, über die heute Morgen schon viele gesprochen haben, heißt das: Wenn es bei dieser Unterfinanzierung bleibt, hat das nicht nur Folgen für die Menschen, die in den Lagern leben, sondern dann treibt das auch eine neue Dynamik in der Migrationsbewegung an . Deshalb gibt es einen doppelten Grund, dass wir uns beteiligen - und nicht nur wir . Wir müssen eine bessere Finanzierung des UNHCR sicherstellen . Denn nur dann, wenn wir dies tun, werden wir auch andere glaubwürdig auffordern können, sich mit eigenen Mitteln und den eigenen Möglichkeiten an der Hilfe zu beteiligen . Ich werde jedenfalls - das mag im Rahmen unserer zu Ende gehenden G-7-Präsidentschaft noch möglich sein - während der Generalversammlungswoche zu einer kurzen Sitzung nicht nur mit den G-7-Staaten, sondern auch mit den arabischen Nachbarn einladen, um zu sagen: Wenn uns das Schicksal dieser Menschen wirklich gemeinsam am Herzen liegt, dann sorgt wenigstens dafür, dass der UNHCR das notwendige Geld bekommt, um ihnen die tägliche Essensration zu geben! Das ist notwendig . ({3}) Zweitens . Wir können, glaube ich, das Problem nicht nach dem Muster „Jeder für sich allein“ bewältigen - das kann auch der größte und wirtschaftlich stärkste Staat in Europa nicht -, sondern wir werden den Verfolgten nur dann Schutz gewähren können, wenn dies eine gesamteuropäische Aufgabe ist . Deshalb würde ich zunächst einmal allen diejenigen, die darüber zu reden haben, vorschlagen, im Zusammenhang mit Flüchtlingen, die vor Verfolgung oder aus einem Bürgerkrieg fliehen, nicht von einem Problem und insbesondere nicht von einem deutschen Problem zu reden . Denn dies ist nicht ein deutsches Problem, sondern es ist zunächst einmal eine humanitäre Pflicht. Es ist zudem nicht nur eine deutsche Pflicht, sondern es eine europäische Verantwortung. Ich glaube, hier wird sich beweisen - wir streiten nicht umsonst so hartnäckig darüber wie in der vergangenen Woche beim europäischen Außenministertreffen in Brüssel -, ob Europa in Fragen, in denen es nicht nur um Geld geht, in der Lage ist, nicht nur von gemeinsamen Werten zu reden, sondern den Schutz vor Verfolgung auch als gemeinsamen europäischen Wert anzuerkennen und danach zu handeln . Hier muss sich Europa beweisen und zeigen, dass in dieser Situation nicht nur Zusammenhalt, sondern auch Handlungsfähigkeit gewährleistet ist . Wir arbeiten daran, und dies ist unter Beweis zu stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({4}) Ich darf noch eines zu Europa sagen - Frau Bundeskanzlerin, ich glaube, das ist Ihnen auch nicht anders gegangen -: Im Sommer gab es Situationen, da waren wir alle nicht sehr amused, dass wir auf der einen Seite Bilder von Flüchtlingen in Griechenland sahen, die keinen Schluck Wasser hatten, und auf der anderen Seite europäische Unterstützung - jedenfalls zu diesem Zeitpunkt -nicht sichtbar geworden ist . Deshalb haben wir von deutscher Seite aus sehr frühzeitig in den Sommermonaten Vorschläge unterbreitet, weil zu ahnen war, dass danach gefragt würde, wie europäische Antworten auf diese Herausforderung aussehen . Ich glaube, wir dürfen von unserer Seite, vonseiten der deutschen Regierung, durchaus sagen, dass die Vorschläge, die wir dazu öffentlich gemacht haben, inzwischen in das europäische Handeln eingeflossen sind. Wer die Rede von Kommissionspräsident Juncker verfolgt hat, hat gemerkt, dass vieles von dem, was von hier ausgegangen und in das gemeinsame deutsch-italienisch-französische Papier vom vergangenen Wochenende eingeflossen ist, sich in Junckers Rede vor dem Europäischen Parlament wiederfindet, auch die Passagen über eine fairere und gerechtere Verteilung von Flüchtlingen . Lassen Sie es mich noch einmal sagen: Es kann nicht sein, dass weniger als eine Handvoll Länder in Europa das gesamte Flüchtlingsproblem bewältigen, sondern hier müssen sich alle beteiligen . Hier müssen Europäer zusammenstehen . Selbst wenn wir im Augenblick noch weit entfernt von der Akzeptanz einer Quote sind, so zeigen die Debatten, die am vergangenen Wochenende geführt wurden, und die sichtbaren öffentlichen Reaktionen, die wir aus Großbritannien vernehmen - es gibt auch ein wenig Bewegung in Polen und Frankreich -, dass man einfach nicht aufgeben darf, dass sich auch in diesem Punkt Beharrlichkeit lohnt . Selbst wenn wir nicht zu einer Quote und damit zu einer vollkommen gerechten Verteilung kommen, glaube ich, dass wir uns auf eine gerechtere Verteilung beim Flüchtlingsproblem hinbewegen, als das in der jüngeren Vergangenheit der Fall war . Die gerechte Verteilung bleibt ein dickes Brett . Aber ich verspreche für die Bundesregierung: Wir werden es weiter bohren . ({5}) Drittens . Es geht um die Lösung der Krisen . Das ist vielleicht das Zentrale; denn die Flüchtlingsströme, über die wir zu Beginn geredet haben, werden kein Ende nehmen, wenn wir das Übel nicht an der Wurzel packen und wenn es nicht endlich mehr Sicherheit und Stabilität in den Regionen gibt, aus denen Menschen flüchten. Das betrifft den ganzen Krisenbogen, beginnend in Afghanistan bis hin nach Libyen . Die Lage ist schwierig und verfahren - das ist keine Frage -, gerade in Syrien - viele von Ihnen haben das angesprochen -, wo der Bürgerkrieg im fünften Jahr ist, was bislang zu 12 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen sowie mehr als 250 000 Toten geführt hat . Genauso schwierig ist die Lage in Libyen, wo die staatliche Funktionsfähigkeit völlig zerstört ist . An weiteren Beispielen fehlt es leider nicht . Die Lage ist schwierig . Trotzdem weigere ich mich gleichzeitig, anzunehmen, dass alle außenpolitischen Bemühungen aussichtslos oder vergeblich sind. Ich finde - Frau Merkel, Sie haben das heute Morgen angesprochen -, gerade das Beispiel Iran zeigt, dass man selbst über zehn Jahre nicht die Geduld und vor allen Dingen nicht die Beharrlichkeit verlieren darf . Man braucht ein Fenster der Geschichte, in dem nicht neue Vorschläge plötzlich die Wende bringen, sondern in dem veränderte Interessenkonstellationen in Zusammenhang mit schon auf dem Tisch liegenden Vorschlägen ein Abkommen wie das mit dem Iran ermöglichen . Dieses Abkommen schließt nicht nur den Griff des Iran nach der Atombombe dauerhaft und nachprüfbar aus . Vielmehr weise ich darauf hin, dass dieses Abkommen, wenn es gut geht, eine völlig neue Perspektive in die Gesamtarchitektur des Mittleren Ostens und in die Verhältnisse der dortigen Staaten zueinander bringen kann . Als wir in Wien die Unterschrift unter das Abkommen setzen konnten, habe ich gesagt: Mit dieser Unterschrift endet nicht die Verantwortung der E3+3 bzw . der Fünfplus-eins-Staaten . Das Wiener Abkommen ist nicht das Ende unserer Diplomatie, sondern im Grunde genommen erst der Anfang . Ich bitte, in diesem Sinne meine erste Reise in den Iran, die gerade vorbereitet wird, zu verstehen . Auf dieser Reise geht es nicht darum, irgendetwas abzufeiern . Sie dient vielmehr der Prüfung, ob der Iran bereit ist, eine neue verantwortliche Rolle in dieser friedlosen Region des Mittleren Ostens tatsächlich anzunehmen und Verantwortung zu übernehmen . Entscheidend ist: Es muss sich zeigen, ob das Modell, das geholfen hat, den Iran-Konflikt zu lösen, tauglich ist, einen der nächsten größeren Konfliktherde anzugehen. Ohne allzu optimistisch zu sein, bin ich, ehrlich gesagt, der Meinung, dass die letzten Entwicklungen in Libyen die kleine Hoffnung begründen, dass wir doch einen Schritt weitergekommen sind . Wir in Deutschland dürfen ein bisschen stolz darauf sein, dass wir Gehhilfe auf dem letzten Wegstück leisten konnten, indem wir die verfeindeten Konfliktparteien aus Libyen - Sie dürfen nicht vergessen, dass diese noch nie an einem Tisch gesessen hatten - nach Berlin eingeladen und anderthalb Tage mit ihnen gesprochen und verhandelt haben . Ich glaube, wir sind gerade hier in Berlin natürlich dank der unermüdlichen Arbeit des EU-Sonderbeauftragten Bernardino León ein entscheidendes Stück weitergekommen. Wir haben den Konfliktparteien hier in Berlin immer wieder gesagt: Nur wenn ihr mithelft - am Anfang muss eine Regierung der nationalen Einheit stehen -, diesen zerstörten Staat mit erodierenden administrativen Strukturen, mit gegeneinander kämpfenden Milizen - manche sprechen von Hunderten - wieder aufzubauen, dann haben auch wir, Deutsche und Europäer, einen Ansatzpunkt, diesen Aufbauprozess tatsächlich zu unterstützen und funktionierende Staatlichkeit langsam wieder aufzubauen . Ich glaube, dass wir ein Stück vorangekommen sind . Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir es innerhalb der nächsten vier Wochen zustande brächten, trotz dieser völlig zerfahrenen, völlig verworrenen Lage, in der täglich viele sterben und über die nur wenig berichtet wird, wenigstens den Rumpf dieser Regierung der nationalen Einheit aufzustellen . Ich spreche über Libyen, und ich müsste eigentlich viel mehr zu Syrien sagen, zu einem Land, bei dem wir ja nicht nur aus politischen, sondern mit Blick auf die Zahlen, die ich vorher genannt habe, auch aus moralischen Gründen verpflichtet sind und in der Verantwortung stehen, dem Morden dort ein Ende zu setzen . Bei Syrien ist die Lage eigentlich nicht anders als bei Libyen . Eigentlich schafft das Abkommen mit dem Iran hier auch eine Chance . Wenn sich der Iran aus der Rolle zurückziehen würde, Konfliktparteien finanziell und mit Waffen zu unterstützen, und andere es gleichtäten, dann eröffnete sich zum ersten Mal eine Chance, auch in Syrien weiterzukommen . Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen Staffan de Mistura, mit dem ich heute Morgen telefoniert habe, hat in Genf und an anderen Stellen 42 Gespräche mit unterschiedlichen Parteien geführt, um zu sondieren, wo der kleinste gemeinsame Nenner liegt, von dem aus man die Plattform zimmert, auf der der gemeinsame Weg Richtung Entschärfung des Konfliktes und dann nach und nach hin zu politischen Lösungen möglich ist . Wir sind nicht weit; aber wir waren noch nie so weit wie im Augenblick . Deshalb sehe ich, ganz ehrlich gesagt, mit einiger Bestürzung die Nachrichten der letzten Tage: dass Großbritannien, dass Frankreich sich stärker militärisch engagieren werden und dass vor allen Dingen Russland, so sagen jedenfalls die Pressemeldungen, im Augenblick dabei ist, mehr Militärmaterial nach Syrien zu schaffen als in der Vergangenheit, mit welchem Zweck auch immer . Ich habe gestern mit dem amerikanischen Außenminister gesprochen; ich werde heute mit dem russischen Außenminister sprechen . Es kann nicht sein, dass in dieser Situation, in der wir vielleicht zum ersten Mal einen Ansatzpunkt haben, mit dem Syrien-Konflikt anders umzugehen, wichtige Partner, die wir brauchen, auf die militärische Karte setzen und Verhandlungslösungen, die zum ersten Mal möglich sind, zerstören . ({6}) Dieser Syrien-Konflikt ist wirklich eine Geschichte der ausgelassenen Chancen, die ich jetzt nicht referieren will . Aber ich sage noch einmal: Aus politischen und moralischen Gründen dürfen wir diese Chance nicht auslassen . Letzter Punkt: Ukraine-Krise . Auch hier könnte ich sagen: Das Minsker Abkommen, über das wir Stunden und Tage verhandelt haben, ist auch nicht das Ende von Diplomatie, sondern der Anfang von etwas Neuem, der Anfang von Verantwortung . Wenn der Waffenstillstand offensichtlich gebrochen wird - vorletzte Woche gab es entsprechende Bilder in den Medien -, wenn es zu unser aller Bedauern wieder zu Toten und Verletzten kommt, dann kann ich verstehen, wenn angesichts der damit verbundenen Bilder viele sagen und schreiben: Minsk ist zu Ende . Noch einmal: Ich kann das verstehen . Aber ich kann es nicht wiederholen; denn meine Aufgabe ist nicht, einen Konflikt zu beschreiben, sondern meine Aufgabe besteht darin, einen Zustand, der außer Kontrolle gerät, möglichst wieder unter Kontrolle zu bringen . Wir haben deshalb sozusagen nicht eingestimmt in den Versuch, Minsk als gescheitert zu erklären, sondern wir haben schlicht und einfach mit den Beteiligten intensiv gesprochen, sie gemahnt und gedrängt, Einfluss zu nehmen und die Gewaltsamkeit wieder zurückzuführen . Ich habe mit den Außenministern gesprochen, Frau Bundeskanzlerin mit ihren Kollegen . Jetzt mag man sagen: Was sind das schon für Instrumente? Aber immerhin: Seit dem 1 . September haben wir einen Waffenstillstand, der weitgehend respektiert wird . Deshalb sage ich: Das Scheitern ist leicht erklärt . Nur, ich rate aus eigener Erfahrung dazu, Instrumente nicht für gescheitert zu erklären, solange man keine anderen in der Hand hat . Deshalb sage ich für die Bundesregierung: Wir werden auf diesem Weg weiterarbeiten . ({7}) Ich darf Ihnen ganz herzlich danken, meine Damen und Herren, und bitte Sie mit Blick auf ein Jahr, das vor uns liegt und nicht einfacher werden wird, um Zustimmung zu unserem Haushalt . Ganz herzlichen Dank . ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Michael Leutert . ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, der Haushaltsvorschlag, den Sie vorgelegt haben, ist leider nicht ausreichend . Er ist keine angemessene Antwort auf die vor uns liegenden Probleme . Damit meine ich im Übrigen nicht bloß die finanzielle Ausstattung des Auswärtigen Amts, sondern ich meine auch die inhaltliche Dimension . Es fehlen einfach die Konzepte hinter den Zahlen . Wir haben - Sie haben das alles angesprochen - noch immer die Ukraine-Krise . Wir haben Krieg in Syrien . Wir haben Krieg im Irak, in Libyen . In Afghanistan herrschen katastrophale Zustände . Die vielen destabilisierten Staaten in Afrika sind zu nennen . Diese Krisenherde sind der Grund für die enorme Flüchtlingsbewegung, die wir derzeit erleben . Aber Antworten darauf, wie wir mit diesen Krisen umgehen wollen, kann man in diesem Haushalt nicht finden. Was sind die Konzepte des Auswärtigen Amts zu diesen Krisen? Mit welchen Instrumenten wollen wir die Not der Flüchtlinge lindern? Welche Idee hat die Bundesregierung zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien und des Terrors im Irak? Wie geht es eigentlich weiter mit Afghanistan? Herr Minister, ich weiß, Sie sind unermüdlich und mit vollem Einsatz an den meisten Brennpunkten der Welt . Aber Sie sind immer nur als Feuerwehr im Einsatz . Wenn wir hier 4,3 Milliarden Euro beschließen sollen, dann müssen wir schon wissen, mit welchen Konzepten Sie die Krisen lösen oder wenigstens eindämmen wollen . Vor einem Jahr haben wir hier den Haushalt 2015 beraten . Wir alle haben damals betont, dass die vielen Konflikte in der Welt, mit denen wir konfrontiert sind, nicht irgendwo weit weg sind, sondern dass sie direkt vor unserer Haustür stattfinden, nicht weit entfernt von den Stränden, an denen auch deutsche Touristen so gern Urlaub machen . Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, dass sich die Lage so dramatisch zuspitzt, wie wir es heute erleben . Heute haben sich die Menschen aus diesen Krisengebieten zu Tausenden als Flüchtlinge auf den Weg gemacht und sind jetzt bei uns, auch in unserem Alltag, angekommen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, spätestens seit letzter Woche Mittwoch hat das unendliche Leid dieser Menschen auch einen Namen und ein Gesicht . Es ist Aylan Kurdi . Der kleine dreijährige kurdische Junge aus Kobane lag an einem der Strände, wo normalerweise Touristen sind - ertrunken, gemeinsam ertrunken mit seinem fünfjährigen Bruder und seiner Mutter . Das Bild, welches von diesem kleinen leblosen Körper um die Welt ging, ist so unfassbar grausam, dass es einen nicht einfach kaltlassen kann. Ich finde, wir sollten alles dafür tun, dass solche Bilder nicht mehr entstehen können . ({0}) Aus diesem Grund müssen wir jetzt anfangen, grundlegend umzudenken . Wir müssen jetzt anfangen, andere Schwerpunkte zu setzen, und wir müssen jetzt auch anBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier fangen, unmenschlichen Worten und Taten entgegenzutreten . Ich weiß, wir stehen in Europa vor schwierigen Aufgaben und dürfen kein Öl ins Feuer gießen . Aber wenn ich, das Bild von dem Jungen vor Augen, aus Ungarn Sätze höre wie „Das sind keine Flüchtlinge; das ist eine Invasion“, dann macht mich das wütend . Wenn ich höre, dass Orban überlegt, die Armee gegen Flüchtlinge einzusetzen, dann macht mich das nicht nur wütend, sondern auch ratlos . Was will er denn tun? Auf Flüchtlingsfamilien schießen lassen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Worte und Gedanken, die im Europa des 21 . Jahrhunderts nichts verloren haben . ({1}) Herr Außenminister, ich bitte Sie dringend, das so deutlich gegenüber der ungarischen Regierung zu formulieren und dem im Zweifelsfall auch Taten folgen zu lassen . Wenn der sozialdemokratische Ministerpräsident der Slowakei meint, sein Land hätte die humanitäre Katastrophe nicht zu verantworten, weil sein Land in den Staaten keinen Krieg geführt hätte, weshalb es keine Verantwortung für die Flüchtlinge übernehmen müsste, dann ist das unterirdisch . Ich bitte Sie, ihn freundschaftlich daran zu erinnern, dass die Slowakei sehr wohl mit Soldaten an der Koalition der Willigen beteiligt gewesen ist, als in den Irak einmarschiert wurde . Und wenn Tschechiens Präsident sagt, man hätte die Flüchtlinge nicht eingeladen, dann ist das an Zynismus nicht mehr zu überbieten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist geistige Brandstiftung, die den europäischen Gedanken nachhaltig beschädigt . Dem müssen Sie, Herr Minister, und wir alle mit aller Kraft entgegentreten . ({2}) Europa muss eine solidarische Gemeinschaft sein . Das ist klar . Aber Solidarität ist keine Einbahnstraße . Wenn wir uns in der Europäischen Union untereinander noch nicht einmal über solch simple Dinge wie beispielsweise die Flüchtlingsfrage einigen können: Wie wollen wir dann eine Abstimmung mit Russland zu noch viel schwierigeren Fragen bewerkstelligen? Auch zur Lösung des Syrien-Konfliktes - Sie haben es angesprochen werden wir Russland brauchen . Putin unterstützt, so die Pressemeldungen, derzeit in aller Ruhe militärisch das Assad-Regime, also den Hauptverantwortlichen für diese Katastrophe . Nur weil vor vier Jahren Jugendliche Parolen gegen sein Regime an Hauswände gesprüht haben, hat Assad sein Land in Not und Elend gebombt . Jetzt sind von 21 Millionen Syrer 12 Millionen auf der Flucht . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Realität, dem sich unsere Außenpolitik heute stellen muss . Sie haben es selbst angesprochen, Herr Minister, und dafür bin ich Ihnen sehr dankbar: Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, ist derzeit an seiner Belastungsgrenze angelangt . Wir müssen das UNHCR als zentralen Akteur stärken und mit den notwendigen Mitteln ausstatten . Aber nicht nur das: Ich würde mich sehr freuen, wenn sich Deutschland endlich auch mit einer verbindlichen Quote dauerhaft am Resettlement-Programm des UNHCR beteiligen würde . In diesem Programm werden besonders schutzbedürftige Flüchtlinge, zum Beispiel Familien mit Kindern, die auch in ihrem Fluchtland keine Perspektive mehr haben, in dem jeweiligen Programmland aufgenommen . Wir könnten uns jährlich mit 7,2 Prozent - das ist die Prozentzahl, mit der wir uns normalerweise an UN-Friedenseinsätzen finanziell beteiligen - am Resettlement-Programm beteiligen und Plätze zur Verfügung stellen . Derzeit verfügt UNHCR nur über 80 000 Plätze . Der Bedarf liegt allerdings bei 800 000 Plätzen . So, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Minister, könnte Deutschland international mit gutem Beispiel vorangehen, und so könnten wir auch mehr Verantwortung auf internationaler Ebene übernehmen . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Franz Josef Jung . ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist zutreffend, dass die Situation der Flüchtlinge nicht nur eine humanitäre Antwort, nicht nur eine innenpolitische Antwort von Bund, Ländern und Gemeinden erforderlich macht, sondern dass sie auch eine Herausforderung für die Außenpolitik darstellt . Der Außenminister hat auf ein paar Akzente hingewiesen . Ich möchte das noch einmal unterstreichen, auch und gerade im Hinblick auf die europäische Situation . Meine Damen und Herren, es ist meine felsenfeste Überzeugung, dass Europa auch in Zukunft seinen Beitrag zur friedlichen Entwicklung nur leisten kann, wenn wir auch in schwierigen Zeiten zusammenstehen und keine einseitige Lastenverteilung vorgenommen wird . Europa hat zusammengestanden bei der Bewältigung der Finanzkrise und im Hinblick auf die Ostukraine, als es um Sanktionen ging. Ich finde, Europa muss auch jetzt zusammenstehen, wenn es darum geht, die Bewältigung der Flüchtlingssituation in Deutschland zu meistern . ({0}) Meine Damen und Herren, aber auch bei der Bewältigung der Fluchtursachen ist eine weitere europäische Komponente gefordert . Zu Recht - die Bundeskanzlerin hat heute Morgen dem Außenminister dafür gedankt - ist auf die Initiative E3+3 und insbesondere auf das deutsche Engagement hingewiesen worden, als es darum ging, dazu beizutragen, dass es im Iran nicht zu einer atomaren Bewaffnung kommt . Meine Damen und Herren, wir sollten eine solche Initiative auch mit Blick auf Syrien vorantreiben . Wir brauchen eine Perspektive, dass dieser Krieg in Syrien endlich beendet wird und dass es wieder zu einer friedlichen EntwickMichael Leutert lung kommt . Es gibt Signale; sie gehen nicht nur vom Sicherheitsrat aus, sondern auch von Russland und vom Iran . Ich kann nur unterstreichen, dass wir alle Bemühungen darauf ausrichten müssen, dass es in Syrien möglichst bald zu einer Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzung und zu einer friedlichen Entwicklung kommt . Dies ist ein entscheidender Beitrag, Fluchtursachen zu verhindern . ({1}) Meine Damen und Herren, ich denke, es ist notwendig und richtig, dass wir selbst aktiv sind . Wir müssen aber auch den UN-Beauftragten Bernardino León unterstützen, wenn es um Libyen geht . Wenn es darum geht, Fluchtursachen zu beseitigen, ist es meines Erachtens entscheidend, für eine Entwicklung in Libyen hin zur Stabilität zu sorgen . Libyen ist als Failing State zurzeit eine der Hauptursachen für die Schleuserkriminalität im Mittelmeerraum . Deshalb ist es sinnvoll und notwendig, alle Anstrengungen zu unternehmen, um diese kriminellen Aktivitäten, diesen brutalen Menschenhandel, der von libyscher Seite ausgeht, zu unterbinden und gegebenenfalls mit neuen Maßnahmen wie EUNAVFOR MED aktiv zu werden . Ich glaube, wir sind es den Menschen schuldig, alles zu unternehmen, eine derartige kriminelle verbrecherische Schleuseraktivität im Mittelmeer zukünftig zu verhindern . ({2}) Wenn wir über Fluchtursachen sprechen, müssen wir natürlich auch einen vernetzten Ansatz im Blick haben . Dazu gehört natürlich auch eine entwicklungspolitische Komponente im Hinblick auf die Rückführung von Flüchtlingen, wenn sich beispielsweise Staaten weigern, die Menschen wieder aufzunehmen .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Dr . Jung, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?

Dr. Franz Josef Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr .

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Jung, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen . Sie haben vorhin über die Mission gesprochen, die die Europäische Union verabredet hat, um gegen die sogenannten Schlepper militärisch vorzugehen . Stimmen Sie mir nicht zu, dass das, solange es keine legalen Wege für die Flüchtenden nach Europa gibt, ein Kampf ist, der nie gewonnen werden kann? Solange die Grenzen geschlossen sind, wird es immer wieder Menschen geben, die versuchen, auf anderen Wegen hierherzukommen . Das heißt, der Einsatz von Soldaten dagegen ist nicht nur äußerst riskant, sondern auch im Ergebnis zwecklos .

Dr. Franz Josef Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich halte es für richtig und notwendig, dass unsere Bundeswehr Menschen im Mittelmeer rettet, damit das Mittelmeer nicht zum Friedhof wird . ({0}) - Ich komme auf Ihre Frage noch zu sprechen . Für umso wichtiger erachte ich es allerdings, dass gegen diese verbrecherischen Schleuser wirkungsvoll vorgegangen wird . Was dort betrieben wird, ist Menschenhandel mit Inkaufnahme von Todesfolge . Die Menschen in solche Nussschalen zu setzen und letztlich auch dem Risiko des Todes auszusetzen, halte ich für unverantwortlich . Dagegen wirkungsvoll vorzugehen, gegebenenfalls auch mit militärischer Unterstützung, halte ich im Interesse der Humanität und im Interesse der betroffenen Menschen für sinnvoll und notwendig . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Dr . Jung, auch die Kollegin Hänsel würde gerne eine Zwischenfrage stellen . ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine lasse ich noch zu .

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Dr . Jung, vielen Dank, dass Sie auch meine Frage zulassen . Ich möchte noch einmal nachhaken . Sie sprachen davon, Schlepperbanden würden unter Inkaufnahme des Todes ihr Geld machen . Wie bewerten Sie dann eigentlich Rüstungsexporte? Ich habe das heute Morgen schon thematisiert . Wie bewerten Sie deutsche Rüstungsexporte in die Krisengebiete dieser Welt, wo auch unter Inkaufnahme des Todes Geschäfte gemacht werden? Ist das weniger verbrecherisch?

Dr. Franz Josef Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich habe eben zum Thema Libyen, zur Frage des Failing State und zur Frage der Bekämpfung der verbrecherischen Schleuserkriminalität gesprochen . Das hat mit dem Thema Rüstungsexporte nun wahrlich gar nichts zu tun . Wir sollten uns darauf konzentrieren, gegen diese verbrecherischen Aktivitäten aktiv vorzugehen, die teilweise mehr Geld einbringen als der Drogenhandel und die Menschenleben vernichten . Die Schleuser nehmen dabei in Kauf, dass die Menschen in diesen Nussschalen im Mittelmeer dem Tod ausgesetzt sind . Deshalb halte ich die Mission EUNAVFOR Med, die jetzt geplant ist, für sinnvoll und notwendig . ({0}) Da 40 Prozent der Flüchtlinge aus dem Westbalkan kommen, müssen wir weiterhin dafür sorgen, dass sich die Lage in dieser Region stabilisiert . Wir müssen außerdem für eine wirtschaftliche und auch für eine europäische Perspektive sorgen . Auch das hat etwas mit dem Thema „Beseitigung von Fluchtursachen“ zu tun . Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen . Ich denke, auch der Kampf gegen den ISIS-Terror hat etwas mit dieser Frage zu tun . Wenn die Menschen, die vor dem ISIS-Terror fliehen, keine Perspektive mehr haben und keine Möglichkeit mehr sehen, aus den Flüchtlingslagern in ihre Heimat zurückzukehren, dann werden sie sich auch weiterhin für die Flucht nach Europa entscheiden . Deshalb ist es notwendig und sinnvoll, dass wir den Kampf gegen den ISIS-Terror entsprechend unterstützen . Die einzelnen Maßnahmen, die aus der Luft erfolgen, mögen okay sein . Ich bin aber der felsenfesten Überzeugung, dass es am wirkungsvollsten ist, vom Boden aus gegen die ISIS-Terroristen vorzugehen . Es ist deshalb sinnvoll, dass wir die Peschmerga unterstützen und Ausbildungsmaßnahmen im Irak ergreifen . Auf diese Weise leisten wir einen Beitrag dazu, dass die Terroristen zurückgedrängt werden und die Menschen wieder die Perspektive haben, in Zukunft in ihre Heimat zurückkehren zu können . ({1}) Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die der ISIS-Terror verursacht, erfordern, wie ich finde, unsere Schutzverantwortung . Gerade letzte Woche hat unser Fraktionsvorstand ein Gespräch mit dem jordanischen Außenminister geführt - darauf wurde heute schon hingewiesen -, der deutlich gemacht hat, dass die Muslime selbst den Kampf gegen die ISIS-Terroristen führen müssen . Ich glaube aber, es ist auch notwendig und sinnvoll, dass wir sie in diesem Kampf unterstützen und sie ausrüsten . Die Bundeswehr hat zudem Einheiten von Jesiden, die stark unter dem brutalen ISIS-Terror gelitten haben, entsprechend ausgebildet . So besteht nun erstmals die Möglichkeit, dass sich die Jesiden dem Terror wirkungsvoll entgegenstellen können . Somit haben sie auch selbst wieder die Perspektive, friedlich in dieser Region leben zu können . Lassen Sie mich noch eines sagen: Ein Soldat der Bundeswehr, der als Ausbilder im Nordirak eingesetzt ist, hat es so formuliert - ich zitiere -: Das hier ist das Sinnvollste, das ich in sieben Auslandseinsätzen bisher getan habe . - Das zeigt, wie sinnvoll und notwendig es ist, die Unterstützung von unserer Seite zu leisten, um dem ISIS-Terror wirkungsvoll entgegenzutreten . Ich möchte allen Soldatinnen und Soldaten herzlich danken, die einen Beitrag zur Ausbildung im Irak, zu einem wirkungsvollen Entgegentreten gegen den ISIS-Terror und somit zur Beseitigung von Fluchtursachen leisten . ({2}) Wenn ich von der Außenpolitik spreche, dann darf ich natürlich nicht die Situation der Ostukraine auslassen; der Außenminister hat sie gerade eben angesprochen . Ich halte es für gut und wichtig, dass in einem Schulterschluss mit Frankreich das Minsk-II-Abkommen erreicht worden ist . Auch wenn es im Februar beschlossen wurde und der erste Schritt die Waffenruhe war, müssen wir leider feststellen, dass diese eben nicht über die gesamte Zeit eingehalten wurde . Aber seit dem 1 . September gibt es wieder einen Waffenstillstand, und ich kann nur hoffen und wünschen, dass auch die weiteren Schritte erfolgen: dass die schweren Waffen abgezogen werden, dass die Reformmaßnahmen umgesetzt werden und dass die OSZE die Möglichkeiten zur Kontrolle erhält . Ich glaube, es ist notwendig und richtig, dass Russland endlich mit der Destabilisierung der Ostukraine aufhört . ({3}) Ich denke, dass es auch im Interesse Russlands wäre, zu einer anderen Politik zurückzukehren, damit wir potenziell wieder zu einer friedlichen Entwicklung in der Ukraine insgesamt kommen . Das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine verpflichtet uns auch im Interesse einer Annäherung an Europa, den Reformprozess zu unterstützen . Die beschlossene Verfassungsreform und die damit im Zusammenhang notwendige Dezentralisierung sind eine Stärkung der Demokratie in der Ukraine und zeigen den richtigen Weg . Deshalb kann man überhaupt kein Verständnis für gewaltsame Proteste gegen diese Verfassungsreform haben, bei denen drei Polizisten zu Tode gekommen sind . Wir müssen deutlich machen, dass wir diesen extremistischen Kräften mit Nachdruck entgegentreten . Sie schaden der Ukraine, sie spielen den Destabilisierungsaktivitäten Russlands in die Hände, und sie sind kein Beitrag zu einer positiven Entwicklung in der Ukraine, ganz im Gegenteil . Deshalb muss diesen Kräften mit Nachdruck entgegengetreten werden . ({4}) Ich sage auch: Wir haben im Hinblick auf das Assoziierungsabkommen deutlich gemacht, dass sich dies nicht gegen Russland richtet und dass wir durchaus weiterhin ein Interesse an normalen Beziehungen zu Russland haben . In der Frage der internationalen Sicherheit haben das Iran-Abkommen und das Beispiel Syrien dies deutlich gemacht . Es wäre durchaus sinnvoll, insgesamt zu einer partnerschaftlichen Situation zu kommen . Damals in der Zeit, als wir noch gemeinsam die Außen- und Verteidigungspolitik zu vertreten hatten, waren wir innerhalb der NATO auf dem Weg, die Frage der partnerschaftlichen Zusammenarbeit innerhalb Europas voranzubringen . Leider Gottes haben sich die Dinge völlig zerschlagen, aber ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass es auch im Interesse Russlands wäre, wieder zu partnerschaftlichen Beziehungen mit Europa zurückzukehren . Dies wäre nicht nur im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation, sondern auch im Hinblick auf die Gesamtsituation in Russland zwingend notwendig und sinnvoll . Deshalb kann ich nur hoffen und wünschen, dass Russland im eigenen Interesse in Zukunft einen anderen Weg einschlägt; denn die Beziehungen zu Europa sind ein Beitrag zu einer positiven Entwicklung in Russland . ({5}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nur noch schlagwortartig sagen: Wir haben in diesem Jahr 60 Jahre NATO gefeiert . Das unterstreicht unsere transatlantischen Beziehungen . Die transatlantischen Beziehungen sind weiterhin der Grundpfeiler unserer Außenpolitik . Wir dürfen nie vergessen, dass die Sicherheitsgarantien der NATO, aber auch die Sicherheitsgarantien der Vereinigten Staaten von Amerika letztlich die VoraussetDr. Franz Josef Jung zungen dafür geschaffen haben, dass wir in diesem Jahr 25 Jahre deutsche Einheit in Frieden und Freiheit feiern können . Daher sollten wir die transatlantischen Beziehungen weiterhin positiv entwickeln . ({6}) Meine Damen und Herren, bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen im Einzelnen denke ich, dass die gemeinsamen Werte von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit uns gemeinsam tragen . Dies sollte sich auch in Zukunft in den Beziehungen widerspiegeln . Meine Damen und Herren, wir feiern in diesem Jahr 70 Jahre Vereinte Nationen . Der Außenminister hat einiges zu den Aktivitäten gesagt . Ich will hier sagen: Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wurde für die Weltgemeinschaft ein verbindliches Wertefundament geschaffen . Der damalige Generalsekretär Hammarskjöld hat einmal formuliert: Die Vereinten Nationen wurden nicht gegründet, um uns in den Himmel zu bringen, sondern um uns vor der Hölle zu retten . Wenn man an die aktuelle Situation denkt, kann man das sehr deutlich nachvollziehen und verstehen . Seit zehn Jahren gibt es eine Schutzverantwortung der Vereinten Nationen, die sogenannte Responsibility to Protect . Deshalb ist es richtig, dass es Friedenssoldaten gibt, die ein durchschlagsfähiges Instrument geworden sind . Ich glaube aber, dass wir als Bundesrepublik Deutschland die Friedenstruppen der Vereinten Nationen noch stärker unterstützen müssen . Wir belegen zurzeit Platz 59 von 126 truppenstellenden Nationen, das ist unserem Land nicht angemessen . ({7}) Hier sollten wir einen weiteren Beitrag leisten, um die Friedenstruppen der Vereinten Nationen zu unterstützen . Meine Damen und Herren, im Rahmen dieser Schutzverantwortung ist es auch notwendig, zu einer schnelleren Reaktionsfähigkeit zu kommen . Deshalb wäre es sinnvoll, wenn die ständigen Mitglieder des VN-Sicherheitsrates bei Abstimmungen über Maßnahmen zur Bekämpfung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf ihr Vetorecht verzichteten . Denn wir haben zu oft erlebt, dass es Blockadesituationen gab und dann nicht entsprechend wirkungsvoll geholfen werden konnte . ({8}) Deshalb wäre ein solcher Verzicht auch ein Schritt zu einer besseren Umsetzung der Menschenrechte . Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren . Seit 50 Jahren unterhalten wir diplomatische Beziehungen zu Israel . Für uns ist das Existenzrecht Israels ein Ausdruck unserer Staatsräson . Hier wäre es klug und sinnvoll, wenn wir in dem Format, das sich bewährt hat, nämlich E3+3, gemeinsam versuchten, eine Sicherheitsarchitektur für den Nahen Osten zu entwickeln, bei der das Existenzrecht des Staates Israel im Vordergrund steht . All das sind Punkte, die letztlich unsere Außenpolitik prägen . Man darf aber nicht verkennen, dass es die Bürgerinnen und Bürger zurzeit als besonders wichtig und notwendig ansehen, einen Beitrag zur Beseitigung der Fluchtursachen zu leisten . Deshalb sollten wir alle Aktivitäten, gerade im Bereich der Außenpolitik, auf diesen Bereich konzentrieren . Es ist eine große Herausforderung; aber ich glaube, wenn wir zusammenstehen, können wir diese Herausforderung gemeinsam bewältigen . Herzlichen Dank . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Frithjof Schmidt, BÜNDNIS 90/Die Grünen .

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns erschüttern die Nachrichten und die Bilder zur Situation der Flüchtlinge auf dem Weg zu uns, auf dem Mittelmeer, auf dem Balkan und auch anderswo . Ein Satz, den die Außenpolitiker immer wieder parteiübergreifend gesagt haben, bestätigt sich jetzt viel dramatischer, als die meisten gedacht haben: Wir können und dürfen die Kriege und Krisen der Welt und insbesondere in unseren Nachbarregionen nicht ausblenden; denn sie werden über kurz oder lang buchstäblich nach Europa kommen . ({0}) Genau das passiert jetzt . Die postkoloniale Ordnung löst sich in großen Teilen des Nahen Ostens, des nördlichen Afrikas und der Sahelzone auf . Die Europäische Union und, ich glaube, wir alle haben darauf noch keine nachhaltige politische Antwort gefunden . Sicher ist aber, dass es dafür keine schnellen Lösungen gibt und wir uns gemeinsam auf die Suche nach solchen Lösungen machen müssen . Das ist eine große Aufgabe, und das müssen wir den Menschen in unserem Land auch so sagen . ({1}) Diese Herausforderungen werden uns noch lange beschäftigen, und wir suchen noch nach Lösungen . Umso wichtiger ist jetzt schnelle Hilfe für die flüchtenden Menschen, die auf dem Weg zu uns sind bzw . hier ankommen . Herr Außenminister, deshalb unterstützen wir nachdrücklich die Erhöhung des Etats für humanitäre Hilfe . Wir glauben, dass hier auf lange Sicht noch viel mehr Mittel benötigt werden, als Sie bisher eingeplant haben . Ich will Sie daran erinnern, dass Sie diesen Etat vor einem Jahr um 40 Prozent kürzen wollten . Setzen Sie den Etat dieses Mal realistischer an . Deswegen schlagen wir Ihnen vor, hierfür weitere Mittel einzustellen . Es ist ja jetzt von weiteren 400 Millionen Euro für Flüchtlinge die Rede . ({2}) Sie werden sie brauchen . Unsere Unterstützung dafür hätten Sie jedenfalls . Es gibt in diesem Zusammenhang etwas, das Sie schnell ändern müssen . Es geht um die Möglichkeit, einen Antrag auf ein Visum zu stellen, um durch Familienzusammenführung nach Deutschland zu kommen . ({3}) Flüchtlinge, die alle Papiere zusammenhaben, müssen bei unseren Konsulaten und Botschaften auf einen Termin für die Antragstellung teilweise zwischen sechs und neun Monaten warten . Es geht hier um Tausende Menschen, die stranden . Ich glaube, Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen kennen solche Härtefälle und empfinden sie als skandalös. Nun haben Sie im Nachtragshaushalt 2015 und im vorliegenden Entwurf für 2016 insgesamt 50 neue Stellen beantragt . Das reicht doch in dieser Lage nicht! Ich frage Sie: Warum erst jetzt, und warum so wenig? Das müssen Sie zur Chefsache machen und beschleunigen . ({4}) Es ist wirklich höchste Zeit dafür . Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle sprechen jetzt darüber, dass es darum gehen muss, Fluchtursachen zu beseitigen . Dazu müssen in der Außenpolitik die Konfliktprävention und die Entwicklungspolitik Hand in Hand gehen . Das muss der Außenminister zu seiner Sache machen . Gestatten Sie mir hierzu zwei Bemerkungen . Es ist gut, wenn es in diesem Haushalt deutlich mehr Mittel für die Entwicklungspolitik gibt . Aber es fehlt jede konkrete Überlegung, wie das 0,7-Prozent-Ziel bei der Entwicklungsfinanzierung durch Deutschland mittelfristig erreicht werden soll . Es gibt keinen Aufholplan zur Einhaltung unserer internationalen Verpflichtungen im Rahmen der UNO . Da geht es auch um die Beseitigung von Fluchtursachen . Da tauchen Sie als Außenminister weg . ({5}) Außerdem möchte ich die Politik in Bezug auf die Waffenexporte ansprechen . Das hat für die Krisenprävention große Bedeutung . Da werden weiter schwere Fehler gemacht . Nehmen wir das Beispiel Saudi-Arabien - das ist von zentraler Bedeutung für den Nahen Osten -: Wir liefern Waffen, wir bilden immer noch die Polizei der diktatorischen Monarchen aus, und es gibt von der Bundesregierung keine klare Kritik an den Flächenbombardements im Jemen durch Saudi-Arabien . ({6}) Im Jemen sind inzwischen weit über 1 Million Menschen auf der Flucht . Diese deutsche Politik, Herr Außenminister, darf so nicht fortgesetzt werden . Natürlich können wir die aktuellen Probleme nicht allein lösen, aber wir sollten in diesen Fragen eine klare Haltung und eine klare Linie haben . Die vermisse ich bei der Bundesregierung und bei Ihnen, Herr Außenminister . Noch ein Wort zur Seenotrettung im Mittelmeer . Es war ein schwerer Fehler, dass die erfolgreiche italienische Mission Mare Nostrum nicht von der Europäischen Union übernommen und fortgeführt wurde; denn sie hat vielen Menschen das Leben gerettet . Wir haben damals über eine zweistellige Millionensumme geredet . ({7}) Es ist gut, dass die Schiffe von EUNAVFOR Med sich jetzt vor allem an der Seenotrettung beteiligen . Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Bundeswehr mit zwei Schiffen dabei ist . Wir würden auch ein stärkeres Engagement bei der Seenotrettung unterstützen . Aber ich halte die Annahme für falsch, dass eine Militäraktion in den Gewässern vor Libyen oder an Land in diesem Zusammenhang etwas Positives bewirken kann . Frau Mogherini betreibt das ja energisch, und die Bundesregierung sollte dem eine klare Absage erteilen . Das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer lässt sich nicht militärisch lösen . ({8}) Angesichts der dramatischen Lage an den europäischen Außengrenzen treten viele andere Themen in den Hintergrund . Ich möchte aber noch ein wichtiges Politikfeld ansprechen . Was die Gespräche über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen betrifft: Da geht es natürlich auch um eine zentrale Frage unserer Beziehungen zu den USA . Das fällt auch in Ihr Ressort, Herr Steinmeier; auch wenn Sie häufig den Anschein erwecken, als hätten Sie mit dem Thema eigentlich gar nichts zu schaffen . Da wird unter der Überschrift „Regulatorische Kooperation“ über eine Art Handelsverträglichkeitsprüfung für jede ordnungspolitische Maßnahme in der EU und den USA verhandelt . Das kann die systematische Unterordnung von Standards unter Handelsinteressen bedeuten . Die vorgesehenen außergerichtlichen Schiedsgerichtsverfahren mit wechselseitigen Schadenersatzklagen gegen neue Gesetze würden in der Bevölkerung in Europa und in den USA eine zerrüttende politische Wirkung für die transatlantischen Beziehungen haben . Sie sollten darüber einmal mit amerikanischen Gewerkschaftlern und Gewerkschaftlerinnen reden . ({9}) Es ist auch eine außenpolitische Aufgabe, das zu verhindern . Ich danke für die Aufmerksamkeit . ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Niels Annen spricht jetzt für die SPD . ({0})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident! -Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Schmidt, Sie haben, wie ich denke, zu Recht, die Bekämpfung von Fluchtursachen angesprochen . Sie haben dabei den Außenminister angesprochen . Ich kann nur sagen: Die Bekämpfung der Fluchtursachen ist das Ziel der Bundesregierung . Ich finde, in der Rede von Frank-Walter Steinmeier ist sehr deutlich geworden, wie mühsam, wie mühevoll, wie energieintensiv diese Arbeit ist und dass man einen langen Atem braucht . Aber dass die Bekämpfung der Fluchtursachen das zentrale Ziel der Regierungspolitik ist, steht, glaube ich, außer Zweifel . Wenden wir uns einmal in Richtung Syrien . Schauen wir uns an, wie sich die Lage dort darstellt . Natürlich gibt es in Syrien Regionen, die in den letzten Monaten und Jahren im Wesentlichen nicht vom Krieg betroffen waren, in denen heute aber gekämpft wird . Das löst neue Fluchtbewegungen aus und hat Auswirkungen, und zwar innerhalb Syriens, aber auch - das erleben wir täglich in unseren Wahlkreisen - auf die Situation in unserem Land . Ich bin sehr dankbar dafür, dass in dieser Debatte deutlich geworden ist, dass es Entwicklungen gibt, die wir nicht unmittelbar beeinflussen können. Dafür brauchen wir - Stichwort Bekämpfung der Fluchtursachen den langen Atem, und den haben wir in dieser Großen Koalition . Es gibt aber auch Elemente, die wir direkt beeinflussen können . Deswegen bin ich froh darüber, dass wir in diesem Hause darüber reden - denn das ist in der Tat ein Skandal -, dass die Weltgemeinschaft es nicht schafft, diese wenigen Milliarden zusammenzukratzen, derer es bedarf, um die Operationen des Welternährungsprogramms, des UNHCR und des Palästinensischen Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen auszufinanzieren. ({0}) Ich bin in den letzten zwei Jahren mehrfach in diesen Flüchtlingslagern gewesen . Die Menschen haben sich nach zwei, drei Jahren Krieg damit abgefunden, dass sie nicht in wenigen Monaten in ihr Land zurückgehen können . Diese Hoffnung gab es ja . Auch viele von uns haben gedacht, dass Assad relativ schnell stürzen würde und man das Land dann wieder betreten könnte, um sich eine Existenz aufzubauen . Wenn man mit diesen Familien gesprochen hat, merkte man, dass sie sich im wahrsten Sinne des Wortes eingerichtet haben - mit der Hilfe der internationalen Gemeinschaft, auch mithilfe des deutschen Steuerzahlers . Heute bekommen sie kein Geld mehr . An wen sollen sie sich eigentlich wenden? Das ist etwas, was wir mit beeinflussen können. Das spiegelt sich auch in diesem Etat wider. Ich finde, das ist die eigentliche Botschaft: Ja, Deutschland übernimmt Verantwortung . Finanziell beteiligen wir uns stärker, als wir das eigentlich müssten, weil das notwendig ist . Deswegen erwartet dieses Haus - ich denke, das können wir gemeinsam so festhalten -, dass sich die anderen europäischen Staaten und weitere Länder an dieser Aufgabe, die bewältigt werden kann, beteiligen. Auch ich finde, dass sich die reichen Golfstaaten einmal die Frage stellen sollten, ob sie diese wenigen Milliarden Euro nicht aufbringen können, um die Arbeit der Vereinten Nationen auszufinanzieren. ({1}) Als Reaktion auf das Flüchtlingsdrama haben wir in den letzten Tagen Deklarationen zur Kenntnis genommen, auch von engen Verbündeten von uns, die angekündigt haben, sich stärker bzw . erstmals an Luftschlägen gegen ISIS zu beteiligen . Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass ein größeres Engagement im Rahmen der Anti-IS-Koalition etwas ist, was man begrüßen muss . Wir werden diesen Konflikt nicht mit diplomatischen Mitteln allein lösen können . Allein mit Luftangriffen werden wir diesen Konflikt aber auch nicht beseitigen können. Ich bin ein bisschen in Sorge, dass der Eindruck entsteht: Wir schicken ein paar mehr Flugzeuge, werfen Bomben über von ISIS kontrolliertem Gebiet ab und leisten damit einen Beitrag zur Bekämpfung der Fluchtsituation . Das kann sich sehr schnell als Irrtum herausstellen, auch weil ein Großteil der Menschen, die zu uns nach Europa kommen oder in eines der Nachbarländer fliehen, nicht unbedingt nur vor ISIS fliehen, sondern auch vor den Fassbomben, die Assad jeden Tag einsetzt, vor den Chemiewaffen, die er einsetzt, vor der Brutalität seiner Sicherheitskräfte . ({2}) Deswegen brauchen wir am Ende eine politische Entwicklung, die doch nur dazu führen kann, dass alle Akteure in Syrien selber, aber auch diejenigen, die dort direkt und indirekt Einfluss nehmen, die Regionalmächte Saudi-Arabien und der Iran, aber auch unser Verbündeter, die Türkei, die dort bestenfalls eine ambivalente Rolle spielt, Russland und die Vereinigten Staaten und auch wir hier in der Europäischen Union dafür sorgen, dass keine dieser Kriegsparteien mehr der Illusion erliegt, den Konflikt militärisch gewinnen zu können. Solange irgendjemand das noch glaubt, wird dieser Krieg nicht enden . Deswegen bin ich dem Außenminister sehr dankbar, dass er so energisch und engagiert die Vereinten Nationen und den Sonderbeauftragten de Mistura dort unterstützt; denn das ist am Ende die einzige Möglichkeit, die wir haben . Ich glaube, dafür brauchen wir nicht nur die Unterstützung dieses Hauses, sondern der gesamten Europäischen Union und der Weltgemeinschaft . ({3}) Lassen Sie mich am Ende meiner Redezeit noch etwas zur Ukraine sagen . Auch bei uns, in der Öffentlichkeit und unserer Mediengesellschaft, ist alles sehr kurzlebig . Man hat manchmal den Eindruck, es gibt nur noch ein Thema . Vor wenigen Monaten gab es nur das Thema „Beziehungen zu Russland und zur Ukraine“ . Deswegen will ich die Gelegenheit nutzen, ohne hier Euphorie verbreiten zu wollen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zu dem, was uns viele aufgeschrieben und gesagt haben, das Minsker Abkommen weiterhin eine Grundlage dafür bildet, mit den Konfliktparteien einen Prozess zu bestreiten, und dass die Diplomatie Erfolge vorzuweisen hat - nicht die Lösung des Problems, aber Erfolge vorzuweisen hat: Der Waffenstillstand, der verhandelt worden ist, wird weitgehend eingehalten . Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das so weitergeht . Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass auch die Unterstützung für die Kräfte in der Ukraine vernehmlich artikuliert wird, die sich ja - Kollege Jung hat darauf hingewiesen - nicht nur einer erbitterten Opposition, sondern sogar terroristischer Mittel erwehren müssen . Wir müssen die ukrainische Politik und die Gesellschaft auf diesem Weg unterstützen . Die Entscheidungen in der Rada sind ein ganz wichtiger Schritt in diese Richtung . Auch da, glaube ich, gibt es eine breite Unterstützung in diesem Hause . In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die weiteren Beratungen . Vielen Dank . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Wolfgang Gehrcke spricht jetzt für die Fraktion Die Linke . ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass man nüchtern und traurig aussprechen muss, dass wir heute wieder in Kriegszeiten und nicht in Friedenszeiten leben . Wir leben in Zeiten des Krieges . Kurze Zeit schien es so, als ob man den Krieg endgültig von unserer Erde verbannen könnte, zumindest von unserem Kontinent . Kurze Zeit schien es auch so, als könnte man Atomwaffen wirklich abschaffen . Eine Welt ohne Atomwaffen! Es war leider nicht so . Das Gegenteil ist der Fall . Ich spreche es nüchtern aus: Aus meiner Sicht ist heute das Überleben der Gattung Mensch und unseres Planeten infrage gestellt . Um nichts weniger geht es bei der Frage, ob man aus diesen katastrophalen Entwicklungen einen Ausweg finden kann. ({0}) Mir sind dieser Tage immer wieder einige Zeilen von Bertolt Brecht durch den Kopf gegangen . Ich will sie Ihnen nicht ersparen . Brecht schreibt in seinem Gedicht An die Nachgeborenen: Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! . . . Was sind das für Zeiten, wo Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt! Mahnt uns das? Mahnt uns das nicht, Schweigen über Untaten? Reden wir doch einmal darüber, dass weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind . 60 Millionen weltweit! Reden wir darüber, dass jeden Tag auf der Erde 57 000 Menschen verhungern . Die Erde wäre reich genug, um alle ernähren zu können . Reden wir darüber, dass durch schlechte Wasserversorgung, auch durch Privatisierungen, jedes Jahr 100 000 Menschen sterben . Fluchtursachen muss man bekämpfen und nicht die Flüchtenden . ({1}) Wir haben es zu tun mit einem Krieg der Reichen gegen die Armen dieser Welt . Auch das muss man aussprechen, wenn man über alternative Außenpolitik nachdenkt . ({2}) Die Kriegstoten, die Flüchtenden, die Verhungernden sind Opfer einer kannibalischen Weltordnung . Es ist die Unordnung der Macht des Profits, des Kapitalismus. Ein Bruch mit der Macht des Kapitalismus, mit der Macht transnationaler Konzerne ist nötig, wenn die Menschheit überleben soll . ({3}) Das erfordert auch weltweite Eingriffe in die Eigentumsverhältnisse, in die Verfügungsgewalt über Eigentum, und das erfordert auch eine Unterbindung weltweiter Finanzspekulationen . Das sagt selbst der Papst . Das ist ja keine linke Erfindung. ({4}) Wahrlich, wir leben in finsteren Zeiten, in Kriegszeiten, auch in Europa . Europa steckt in seiner schwersten Krise seit Ende des Systemkonflikts. Seitdem war das Verhältnis EU-Deutschland-Russland noch nie so schlecht wie heute . Für die Verschärfung der euroatlantischen Großkonflikte, des ukrainischen Konfliktes inklusive der gegenseitigen Drohungen der USA und Russlands mit Atomwaffen trägt auch die deutsche Politik mit Verantwortung . Sanktionen, Dialogverbote und primitive antirussische Propaganda sind keine Argumente, sondern zerstören die Grundlagen von Zusammenarbeit . Auch das muss hier ausgesprochen werden . ({5}) Ich möchte an dieser Stelle mit wirklicher Trauer darauf aufmerksam machen: In seinem letzten Dokument hat Egon Bahr mit dem Willy-Brandt-Kreis der SPD an uns alle appelliert, sich auf eine gemeinsame europäische Friedensordnung zurückzubesinnen . Ich denke, dass man von der Bundesregierung fordern muss: Macht uns die Russen nicht zu Feinden . NATO-Manöver und damit auch deutsche Soldaten an der Westgrenze Russlands, das ist eine unvorstellbar kaputte Politik . In diesem Jahr haben bereits 16 solcher Manöver stattgefunden . Deutschland muss überhaupt aus dem ganzen Kriegsgetöse aussteigen, denke ich . Hören Sie einmal in die Friedensbewegung hinein . Sie waren ja früher einmal sehr eng mit der Friedensbewegung verbunden; lang ist es her . Die Losung „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt“ finde ich begründet und beweisbar . ({6}) Es sollte für uns eine Schande sein, wenn man zu solch einer Feststellung kommt . Syrien, Afghanistan, Irak, Libyen, Jemen, in Europa der Krieg in Jugoslawien und jetzt in der Ukraine in diesen Kriegen haben 350 000 Menschen ihr Leben verloren . An vielen dieser Kriege war Deutschland direkt oder indirekt beteiligt . Ich möchte wissen, was die Bundesregierung in der Auseinandersetzung mit dem NATO-Partner Türkei macht, dem sie ja die Patriot-Raketen vor die Tür gestellt hat, um zu verhindern, dass es in der Türkei zu einem Bürgerkrieg kommt . Das ist doch ein Problem, über das auch in der NATO debattiert werden muss und mit dem man sich auseinandersetzen muss . Herr Außenminister, Herr Steinmeier, Sie haben einmal formuliert, dass Deutschland die Weltpolitik nicht von der Außenlinie betrachten soll . Meine Überlegung ist: Besser an der Außenlinie der Weltpolitik stehen bleiben, als ein Teil der Kriege dieser Welt zu werden . Das ist eine andere Politik, und darüber muss man streiten . ({7}) Ich sage sehr offen, weil immer wieder darüber spekuliert wird: Die Außenpolitik der Linken geht nicht mit der Außenpolitik der SPD und dieser Regierung zusammen . Dazwischen liegen Welten . Ich bin stolz darauf, dass Welten dazwischen liegen . ({8}) - Ich sage es euch und der Öffentlichkeit, weil ich von euch erwarte, dass ihr endlich eure Außenpolitik verändert und zu einer Außenpolitik, wie Egon Bahr sie betrieben hat, wie andere sie betrieben haben, zurückkehrt . ({9}) Das wäre vernünftig . Besinnt euch auf Willy Brandt, und lernt endlich wieder von einer solchen Außenpolitik . ({10}) Ich komme zum Schluss . In diesem sehr schönen Gedicht von Bertolt Brecht gibt es einen Rat an uns alle, den ich bitte zu beherzigen . Brecht schreibt: Ich wäre gerne auch weise . In den alten Büchern steht, was weise ist: Sich aus dem Streit der Welt halten . . . So weit Brecht . Die deutschen Außenpolitik sollte weise sein, sich aus dem militärischen Streit der Welt heraushalten, nicht aufrüsten und nicht Soldaten in alle Welt schicken, sondern still und beharrlich für den Frieden arbeiten . Das wäre eine Grundlage der Zusammenarbeit, die ich mit ganzem Herzen bejahen würde . Danke . ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Jürgen Hardt spricht jetzt für die CDU/ CSU . ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede als neuer außenpolitischer Sprecher meiner Fraktion sagen, dass ich gerne, auch im Namen der Außenpolitiker der Union, die Tradition meiner Vorgänger fortführe und den konstruktiven Dialog innerhalb der Koalition, mit der Regierung, aber natürlich auch mit der Opposition suche . Es ist ein echtes Asset der deutschen Außenpolitik, dass wir in ganz vielen Fragen bzw . in den großen Fragen einen weit über die Parteigrenzen hinausgehenden Konsens haben . Damit können wir für unser Land, für unsere Bürgerinnen und Bürger, aber eben auch in der Weltgemeinschaft mehr erreichen, als wenn wir uns aus ideologischen Gründen streiten . In diesem Sinne, glaube ich, sollten wir die Arbeit hier in diesem Hause fortsetzen . Dass wir den Weltkommunismus in unsere Überlegungen zur Lösung der Konflikte auf dieser Erde möglicherweise nicht einbeziehen, Herr Gehrcke, werden Sie mir nachsehen . ({0}) Der Beitrag des Weltkommunismus zum Weltfrieden ist vergleichsweise gering, wenn man ihn allein daran misst, was die Bundesregierung zu leisten in der Lage ist . ({1}) Wir sprechen in diesen Tagen viel über die Symptome der Erschütterungen der Welt in Form von Flüchtlingen, die bei uns anlanden, zu uns kommen und Hilfe suchen . Wir reden auch über die großartigen Leistungen, die dabei erbracht werden: von Beamten, von Angestellten, von zivilen Hilfskräften, aber auch von ganz vielen Ehrenamtlichen . Sache der Außenpolitik ist es, sich den Ursachen zuzuwenden . Was die Ursachen der Flucht angeht, sind der IS-Terror, die religiös verbrämte Bewegung IS und alle, die ihr in Zentralafrika, im Norden Afrikas und in anderen Ländern der Welt nacheifern, natürlich ein entscheidender Punkt . Ich möchte zum deutschen Beitrag im Kampf gegen den IS nur sagen: Wir leisten mit unserer Ausrüstungs- und Ausbildungsunterstützung für die kurdischen Peschmerga im Norden Iraks einen hervorragenden Beitrag . Er wird allgemein anerkannt . Es ist auch keine kleine Sache, mit Soldaten dort vor Ort zu sein und diese Hilfe zu leisten . Dem einen oder anderen, der darauf hinweist, dass andere Staaten Luftschläge gegen IS-Stellungen, von denen Bedrohungen für den Irak ausgehen, durchführen, sage ich: Deutschland fährt gut mit der Maßnahme, die wir dort ergreifen, nämlich mit der Ausbildungs- und Ausrüstungsunterstützung . Für den Fall, dass die Regierung zu dem Ergebnis kommt, vielleicht mehr tun zu müssen, wird sich der Bundestag sicherlich offen zeigen, darüber zu reden . Aber ich denke, dass es bei der Unterstützung der kurdischen Peschmerga bleiben sollte und dies unser großer und zentraler Beitrag ist . Weitere Fluchtursachen, die mittel- und langfristig anzupacken sind, sind Dürre, Hunger und Armut in der Welt, ausgelöst durch schlechte Regierungen, aber auch ausgelöst durch Klimaveränderungen . Es gibt ein großes Projekt, Herr Außenminister, das in diesem Jahr nicht nur, aber auch ein außenpolitisches Thema ist: Wir müssen uns bemühen, den Pariser UN-Klimagipfel zu einem Erfolg zu führen . Denn dann sind wir in der Lage, einen Beitrag zu leisten, die Fluchtursachen, insbesondere was Afrika angeht, mittelund langfristig zurückzudrängen . Ich kann Sie nur unterstützen und ermutigen, alles zu tun, um hier zu einem Erfolg zu kommen . Die Situation sieht ja besser aus, als es der eine oder andere vielleicht noch vor einem Jahr erwartet hat . Auch wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl dafür geben wollen, dass wir mit der außenpolitischen Aufgabe der Bekämpfung der Fluchtursachen verantwortungsvoll umgehen, werden wir ihnen natürlich nicht für jedes Problem eine Lösung servieren können . Aber wir können ihnen sagen, nach welchen Prinzipien wir unsere Außenpolitik ausrichten . Ich glaube, das erste Prinzip, das man nennen muss, lautet: Deutschland hält sich an Recht und Gesetz im Rahmen der Völkergemeinschaft und im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen . Das schließt allerdings auch ein, dass wir an der Weiterentwicklung der Völkerrechtsordnung und der Vereinten Nationen aktiv mitwirken . Deutschland ist bereit, in einem zu reformierenden UN-Sicherheitsrat Verantwortung zu übernehmen . Ein Kollege hat es schon angesprochen: Wir würden uns wünschen, dass es zumindest gelingt, auf der Basis einer freiwilligen Erklärung von den Vetomächten des UN-Sicherheitsrates die Zusage zu bekommen, dass sie ihr Veto dann nicht einlegen, wenn es um Völkermord und Vertreibung geht, sodass wir die Dinge, die wir in Bezug auf Syrien erlebt haben - hier sind wir letztlich vier Jahre lang nicht zu einem Konsens gekommen, was wir in der Völkergemeinschaft tun können -, für die Zukunft ausschließen . Wenn es um Recht und Gesetz geht, geht es auch um Menschenrechte . Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich loben, dass sich, wenn es zum Beispiel um verfolgte Christen geht, insbesondere der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, aber auch viele andere Kollegen für die Durchsetzung der Menschenrechte überall auf der Welt einsetzen . Jeder von uns hatte in seiner politischen Arbeit schon mit diesem Thema zu tun . Für viele war es eine Motivation, in die Politik einzutreten, sich für die Einhaltung der Menschenrechte überall auf der Welt einzusetzen . Deswegen, glaube ich, sollten wir das auch deutlich machen . ({2}) Das zweite Prinzip . Wir suchen in Deutschland immer den integrierten Ansatz . Wir scheuen nicht davor zurück, gegebenenfalls auch zu robusten Mandaten zu greifen daran ist der Bundestag ja maßgeblich beteiligt -, aber wir sehen auch, dass für eine nachhaltige Lösung der Probleme das Zusammenspiel von zivilen, militärischen, diplomatischen und sozialen Initiativen unverzichtbar ist und dass man einen langen Atem braucht . Mit Blick auf Afghanistan - darüber werden wir in den nächsten Monaten ja sicherlich auch diskutieren haben wir mit der Mission Resolute Support einen ambitionierten Plan, aber ich glaube schon, dass wir uns möglicherweise von dem starren Zeitplan lösen und bereit sein sollten, über den bisher vorgegebenen Zeitplan hinaus in Afghanistan engagiert zu bleiben - auch außerhalb Kabuls -, weil es eben im Sinne der Nachhaltigkeit nicht gut wäre, wenn wir dort vorzeitig die Flinte ins Korn werfen würden . Wir sollten mit unseren Partnern in der Welt ganz konkret darüber reden, was nach Resolute Support kommt und wie ein modifiziertes Mandat möglicherweise aussieht . Klar ist aber auch, dass wir das gemeinsam machen . Wir sind in Afghanistan gemeinsam engagiert . „Gemeinsam rein, gemeinsam raus“ war immer unser Grundsatz . Das Dritte ist - darauf habe ich im Zusammenhang mit Afghanistan eben schon hingewiesen -, dass Deutschland keine außenpolitischen Alleingänge macht, sondern dass wir uns immer in partnerschaftlichen Organisationen engagieren . Wir haben Formate gefunden, in denen Deutschland massiv und erfolgreich wirkt . Das E3+3-Format ist ein Beispiel dafür . Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen ermutigen, auch mit den Kollegen aus Israel darüber zu reden, dass wir Deutschen der Meinung sind, dass das eine deutliche Erhöhung der Sicherheit Israels bedeutet, was für uns Deutsche Staatsräson ist . In den Gesprächen, die wir mit den israelischen Kolleginnen und Kollegen führen, sollten wir immer wieder versuchen, sie davon zu überzeugen, dass von diesem Abkommen keine Bedrohung für Israel ausgeht . Das ist mir ein wichtiges Anliegen . Wir haben zwei Partner, mit denen wir seit Jahrzehnten und für Jahrzehnte eng verbunden sind: Das ist zum einen die Europäische Union, die sich gegenwärtig auf den Weg der Erarbeitung einer außenund sicherheitspolitischen Strategie begibt . Von vielen Seiten wird davon nicht viel erwartet . Ich sage: Gerade mit Blick auf die Flüchtlinge und die Fluchtursachen haben wir die Chance, auf dem EU-Gipfel im nächsten Jahr diesbezüglich einen mächtigen Akzent zu sehen und diejenigen positiv zu überraschen, die sich von der Europäischen Union in diesem Punkt nicht so viel erwarten . Zum anderen haben wir eine Verbindung zu den Vereinigten Staaten von Amerika, die transatlantische PartJürgen Hardt nerschaft . Sie bewährt sich in ganz vielen Feldern . Eines möchte ich nennen, nämlich den Ukraine-Konflikt. Es gibt einen ganz engen Schulterschluss Nordamerikas mit dem, was die Europäer für richtig halten . Sie unterstützen das, was wir dort tun, und wir sind gemeinsam der Meinung, dass es eine diplomatische Lösung geben muss und dass das völkerrechtswidrige Handeln Russlands durch Sanktionen beantwortet werden muss . Es ist aber mehr als eine Sicherheitspartnerschaft . Es ist eine Wertepartnerschaft und natürlich auch eine Wirtschaftspartnerschaft . Deswegen kommt dem Handelsabkommen TTIP eine große Bedeutung zu . Ich glaube, der Kollege Schmidt hat es eben angesprochen: Wenn Gewerkschaften, deren Mitglieder in exportintensivsten Industrieunternehmen arbeiten - zum Beispiel die IG Metall -, undifferenziert gegen ein solches Handelsabkommen sprechen, dann ist das ein Grad an Irrationalität, den ich nicht nachvollziehen kann . Es wird so getan, als seien Verabredungen getroffen worden . Es gibt aber überhaupt noch keine Vereinbarung . Im Übrigen müssen der Deutsche Bundestag und das Europäische Parlament zustimmen . Ich kann die Gewerkschaften nur dringend auffordern, im Interesse ihrer Mitglieder die Chancen dieses Abkommens zu begreifen und sich eben nicht auf die Seite derer zu schlagen, die aus dumpfem Antiamerikanismus gegen dieses TTIP-Abkommen sind . ({3}) Ich glaube, dass wir mit diesem Abkommen die große Chance haben, strategisch weiterzukommen . Wenn wir unsere Maßstäbe in Bezug auf den fairen Welthandel durchsetzen, dann ist das besser, als wenn wir uns von der Entwicklung in der Welt treiben lassen .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Hardt, gestatten Sie zum Ende Ihrer Redezeit noch eine Zwischenfrage des Kollegen Trittin?

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja .

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Hardt, da Sie Kritiker aus den Gewerkschaften, die zum Beispiel die intransparenten Schiedsverfahren und die regulatorische Kooperation beanstanden, mit dem Begriff des „dumpfen Antiamerikanismus“ belegt haben, ({0}) würden Sie diesen Begriff dann auch auf jene Gewerkschafter in den USA anwenden, die dieses Abkommen aus exakt den gleichen Gründen, nämlich aus der Befürchtung heraus, dass im Zusammenhang mit diesem Abkommen die Demokratie vermindert und Arbeitnehmerrechte abgebaut werden könnten, ablehnen? Sind diese amerikanischen Gewerkschaften auch von „dumpfem Antiamerikanismus“ geprägt? ({1})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Trittin, Antiamerikanismus bei amerikanischen Arbeitnehmern habe ich bei meinen Besuchen in Amerika nicht beobachten können . Ich möchte aber dennoch sagen: Es geht darum, dass wir uns bei diesem Abkommen an die konkreten Fakten halten, dass wir vor dem Hintergrund, dass wir ein solches Abkommen wollen, für uns, für Europa und für Nordamerika das beste Ergebnis erlangen . Dabei hilft es überhaupt nicht, Behauptungen aufzustellen, die nicht belegt und unwahr sind; Stichwort „Intransparenz von Schiedsverfahren“ . Ich kenne das Schiedsverfahren, wie es bei CETA vorgesehen ist . In diesem Abkommen ist bei diesem Verfahren Transparenz explizit vorgesehen . Sie kennen den Beschluss des Europaparlaments, der als Leitplanke für die Verhandlungen der EU-Kommission dienen soll . Auch in diesem Beschluss ist bei diesem Verfahren Transparenz vorgesehen . Ich bitte diejenigen, die TTIP infrage stellen, anzuerkennen, dass es über bestimmte Dinge, die als gegeben in den Raum gestellt werden, längst Klarheit gibt und dass es kein intransparentes Schiedsverfahren geben wird . Dass im Übrigen die regulatorische Kooperation die Rechtsetzungsmöglichkeiten der Parlamente der teilnehmenden Staaten nicht außer Kraft setzt, können Sie im Text zum CETA-Abkommen, bisher nur in der englischen Fassung, nachlesen . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Herr Kollege Hardt . Damit ist Ihre Redezeit beendet . ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Dr . Tobias Lindner für BÜNDNIS 90/Die Grünen .

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihnen, Herr Kollege Hardt, auch von unserer Seite aus alles Gute in Ihrem neuen Amt und viel Glück dabei . Wenn Sie die Kooperation der grünen Fraktion bei der Kontrolle der Bundesregierung suchen, dann sind wir dazu gerne bereit . Ich weiß nicht, ob Sie Zugang zu diesem ominösen Datenraum in der US-Botschaft haben . ({0}) - Sie sind angemeldet! Sehen Sie: Vielleicht können wir ins Geschäft darüber kommen, was das Thema Transparenz bei gewissen Dokumenten betrifft, und dann eine ehrliche Debatte über das Freihandelsabkommen TTIP führen . ({1}) Lassen Sie mich aber, da wir in einer Haushaltsdebatte sind, etwas zum Etatentwurf des Auswärtigen Amtes sagen . Ja, Herr Minister, es ist richtig, Ihre Ausgaben steigen erneut um 15 Prozent . Das ist nicht nichts, wenn man sieht, dass von diesen 670 Millionen Euro, um die der Etat steigt, 500 Millionen Euro an die Vereinten Nationen gehen . Das ist zwar richtig und notwendig, liebe Kolleginnen und Kollegen . Aber da wir in dieser Debatte beispielsweise auch über das UNHCR gesprochen haben, wird es, denke ich, eine Aufgabe für die Haushaltsberatungen sein, zu schauen, ob an dieser Stelle mehr Mittel notwendig sind; denn das Geld wäre hier gut angelegt . ({2}) Das, worüber wir uns gestern in der allgemeinen Finanzdebatte einig waren, dass dieser Bundeshaushalt wie kaum ein anderer Haushalt zuvor im Beratungsverfahren massive Veränderungen erfahren wird, gilt natürlich erst recht für den Haushalt des Auswärtigen Amtes . Ja, für die humanitäre Hilfe erhöhen Sie die Mittel signifikant. Aber gerade in der Außenpolitik sollten Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Angemessenheit wichtige Maßstäbe sein . Sie, Herr Steinmeier, haben vorhin, als der Kollege Schmidt dies erwähnte, noch den Kopf geschüttelt . Ich habe mir aber die Zahlen gerade bestätigen lassen: Im Haushaltsentwurf für dieses Jahr, also für 2015, sollten die Mittel für humanitäre Hilfe erst um 38 Prozent abgesenkt werden . Zum Glück ist es in den Haushaltsberatungen gelungen, die Mittel doch wieder aufzustocken . Jetzt wächst dieser Titel wieder . Nun wird es erneut auf das Parlament ankommen, diese Mittel in einem auskömmlichen Bereich weiter aufzustocken, weil wir realisieren, dass sich der Bedarf an humanitärer Hilfe seit 2012 weltweit verdoppelt hat . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sagen wir Grüne: Hier muss ein weiterer Schwerpunkt gesetzt werden . Hier braucht es mehr Geld, als im Etat vorgesehen ist . ({3}) Ein zweiter Punkt, bei dem Verlässlichkeit und Verbindlichkeit wichtig sind, betrifft den Bereich der Krisenprävention . Ja, die Gelder bleiben bei 95 Millionen Euro . Ich denke, auch hier sollten wir - zumal beim Koalitionsgipfel vom Sonntagabend zum Ausdruck gebracht wurde, dass hier ein Schwerpunkt gesetzt werden soll schauen, ob mehr gemacht werden kann . Denn es geht nicht nur um Geld, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um die Strukturen, die dahinter stehen, um die Menschen, die mit diesem Geld dann auch Dinge verrichten sollen . Da besteht Aufholpotenzial . Ich will Ihnen ein Beispiel geben . Bisher bewilligen wir Gelder in diesem Bereich an NGOs bzw . an Dritte, welche die Projekte ausführen, nur im Jahresrhythmus . Das führt dazu, dass im Herbst bzw . im November teilweise Ortskräfte entlassen werden müssen und dass die Organisationen ihre Aktivitäten drosseln bzw . herunterfahren müssen, bis ein neuer Bundeshaushalt beschlossen wurde . Dann geht wieder alles von vorne los und muss hochgefahren werden . Dagegen schaffen wir es im BMZ bereits, solche Bewilligungen für zwei oder auch mehr Jahre auszusprechen . Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, an solchen Dingen sollte eine bessere Krisenprävention Deutschlands nicht scheitern . Darauf sollten wir bei den Haushaltsberatungen auch ein Augenmerk richten . ({4}) Ich komme zum letzten Punkt . Sie haben sich beim Koalitionsgipfel - das habe ich zumindest den Papieren entnehmen können - darauf geeinigt, die Mittel für Krisenprävention um 400 Millionen Euro zu erhöhen . Noch ist nicht klar, in welche Bereiche genau diese Gelder fließen werden. Ich habe immer die Auskunft erhalten: Das ist eine politische Vereinbarung, die wir umsetzen müssen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diese Arbeit verrichten und schauen, wo Bedarfe gestiegen sind . Lassen Sie uns schauen, wo sich mehr Verantwortung Deutschlands in der Welt auch im Haushalt niederschlagen muss . Lassen Sie uns vor allen Dingen die Diskussion führen, wie dieses Geld - von den Strukturen bzw . Projekten her - am sinnvollsten ausgegeben werden kann . Wir Grüne werden dazu in den kommenden Wochen unsere Vorschläge machen . Wir freuen uns auf Ihre Unterstützung . Vielen Dank . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Frank Schwabe für die SPD . ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn ich nur ganz wenig Redezeit habe, will ich zumindest ein Land erwähnen, zu dem sonst kaum jemand schaut, das in Deutschland in den letzten Tagen aber ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bekommen hat . Das ist aber eines der Beispiele, wo nicht alles gut ist, aber wo es Hoffnung gibt, nämlich Guatemala . Ich bin wie andere in diesem Hause auch - relativ häufig in Guatemala unterwegs . Ich hätte nie gedacht, dass wir dort wieder eine lebendige Zivilgesellschaft erleben können . Es gab dort jetzt Präsidentschaftswahlen . Aus ihnen wird wahrscheinlich ein Präsident hervorgehen, mit dem man auch nicht so richtig viel anfangen kann . Das ist es aber nicht, was ich meine . In Guatemala gibt es eine lebendige Zivilgesellschaft . Es gibt dort engagierte junge Menschen bzw . Studenten, die friedlich auf die Straße gehen . Das macht auch Hoffnung für dieses Land in Zentralamerika . Das Spannende, was wir vielleicht aus der schwierigen Debatte der letzten Tage und Wochen dauerhaft mitnehmen können, ist das, was die Kanzlerin heute und was auch Frank-Walter Steinmeier gesagt hat: Wir müssen begreifen, dass das, was wir außenpolitisch bzw . entwicklungspolitisch machen, etwas mit dem zu tun hat, was innenpolitisch in Deutschland sowie in anderen Teilen Europas und der Welt passiert . Auch wenn das hier keine entwicklungspolitische Debatte ist, wird klar, dass das, was wir da tun, viel mehr darstellt als Almosen, sondern das ist eine Entwicklungsfinanzierung im wohlverstandenen eigenen Interesse . Und so müssen wir das, glaube ich, auch in den nächsten Jahren miteinander diskutieren . ({0}) Das, was wir gerade erleben und was - wie ich finde, leichtfertig - als Völkerwanderung beschrieben wird, ist keine Völkerwanderung . Ich weiß nicht, was noch alles kommen mag . Für das aber, was wir gerade erleben, die Flucht von Menschen, gibt es zwei Gründe . Der eine Grund ist die hoffnungslose Situation in Südosteuropa . Hier kann es nur über die Europäische Union gelingen, den Menschen dort eine Perspektive zu geben . Der andere Grund ist das, was wir gerade in Syrien als Bürgerkrieg erleben, von dem über 20 Millionen Menschen betroffen sind und wo viele dieser Menschen im Land und außerhalb des Landes auf der Flucht sind . Folgender Satz - er fiel schon heute Morgen - muss auch gesagt werden: Wie man, wie Herr Straubinger, auf die Schnapsidee kommen kann, syrische Flüchtlinge nach Syrien zurückführen zu wollen, ist mir völlig schleierhaft . Obwohl es dort natürlich Gebiete gibt, die befriedet sind, ist es auch logistisch vollkommen unmöglich, Menschen dorthin zurückzuführen . Ich glaube, solche Debatten sollten wir nicht führen . ({1}) Dem Problem Syrien kann man sich nur stellen, wenn es erstens politische Initiativen gibt, von denen der Außenminister gesprochen hat, und wir zweitens wenigstens dafür sorgen, dass die humanitäre Lage für die Flüchtlinge einigermaßen erträglich ist . Wir reden über zurzeit 60 Millionen Flüchtlinge weltweit; davon sind 12 Millionen Syrer . Ich bitte, auch die anderen 48 Millionen Flüchtlinge nicht zu vergessen . Niels Annen hat es schon gesagt, und ich kann das nur bestätigen . Ich war vor zwei Wochen im Libanon . Dort sitzen einem Menschen gegenüber, denen die Nahrungsmittelration zum dritten Mal gekürzt worden ist: auf 13,50 Dollar pro Kopf und pro Monat . Wenn Sie den Menschen gegenübersitzen, die Ihnen in die Augen schauen und Sie fragen, was sie tun sollen, dann können Sie es mit Händen greifen, dass sie nicht nach Syrien zurückkehren können und dass sie, wenn sie meinen, nicht mehr dort bleiben zu können, nur eine Chance haben, nämlich sich in Richtung Europa aufzumachen . Deswegen ist es auch in wohlverstandenem eigenem Interesse, für eine vernünftige Finanzierung der humanitären Hilfe dort zu sorgen . In diesem Zusammenhang muss ich sagen, Frithjof Schmidt: Die humanitäre Hilfe ist aufgestockt worden . Sie ist in den letzten Jahren zum Glück deutlich aufgestockt worden, weil das auch dringend notwendig ist . Wir haben jetzt einen Aufwuchs von 400 Millionen Euro, von denen der größte Teil für die humanitäre Hilfe vorgesehen ist . Das war dringend notwendig . Frank-Walter Steinmeier hat es schon gesagt: Wir sollten das von deutscher Seite ein bisschen als Hebel nutzen, um andere, auch arabische Staaten, zu motivieren, Ähnliches zu tun . Dann hat, glaube ich, das Flüchtlingspaket, wie ich es mal nenne, einen guten Anteil daran, wie wir Flüchtlinge dazu bewegen können, in ihrer Herkunftsregion zu bleiben . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Detlef Seif . ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Prognose von bis zu 800 000 Flüchtlingen, die in diesem Jahr nach Deutschland kommen und Asyl beantragen könnten, beruht ganz wesentlich auch auf der bereits diskutierten Situation in Syrien . Die Hoffnung vieler Syrer auf ein schnelles Ende des Bürgerkrieges ist in den letzten Monaten endgültig zerstört worden . Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Assad-Regierung, Oppositionellen, der al-Nusra-Front, der Hisbollah-Miliz, ISIS und anderen - eine völlig undurchsichtige Situation - dauern unvermindert an . Die terroristische ISIS-Organisation verbreitet sich in der Region quasi wie ein bösartiges Geschwür: in Syrien, Irak und jetzt auch regional in Libyen . Rund 6 Millionen Syrer sind innerhalb ihres Landes auf der Flucht, über 4 Millionen außerhalb . Sie sind in den Nachbarländern Türkei, Jordanien, Libanon, Irak und Ägypten untergekommen . Es ist schon angesprochen worden: Der UN-Flüchtlingskommissar, António Guterres, hat letzte Woche gegenüber der Washington Post gesagt: Diese Situation, die sich zurzeit abzeichnet, ist eine Tragödie, wie wir sie in diesem Ausmaß in den letzten Jahren nicht erlebt haben . Weiter sagte er: Was die Unterversorgung der Flüchtlinge angeht, war in den letzten vier Jahren bereits nur die Hälfte dessen verfügbar, was man eigentlich benötigt hätte, um die Menschen vor Ort menschenwürdig zu versorgen . Wir sollten aber an dieser Stelle sagen: Wenn alle Mitgliedsländer der Vereinten Nationen einen ähnlichen Beitrag leisten würden wie die Bundesrepublik Deutschland, dann wäre das Problem behoben . Ich spreche nicht dagegen, dass wir hier noch draufsatteln können, aber ich spreche dafür, dass wir das Problem international angehen und auch alle anderen an ihre Verpflichtungen erinnern sollten . ({0}) Ganz wesentlicher Bestandteil deutscher Politik, aber auch deutscher Außenpolitik - das hat man früher nicht so gesehen - ist die Bekämpfung von Fluchtursachen . Wenn jede Ursache im Ausland bekämpft wird, kommt uns das menschlich, aber insbesondere auch finanziell zugute. Uns muss viel daran liegen, die prekäre und fragile Lage gerade jetzt in den Nachbarländern Libanon und Jordanien ({1}) durch massive internationale Unterstützung zu stabilisieren . Diesen beiden Staaten müssen wir dankbar sein, dass sie Flüchtlinge in einem Umfang aufgenommen haben, der einem Viertel ihrer Bevölkerung entspricht . Übertragen auf Deutschland bedeutet das - das ist unvorstellbar -: Wir müssten 20 Millionen syrische Flüchtlinge aufnehmen, wenn wir im selben Maße Hilfe leisten wollten . Ganz wichtig ist zudem, dass humanitäre Korridore und sichere Aufenthaltsorte für die Flüchtlinge in Syrien und im Irak sowie für den Roten Halbmond und das Rote Kreuz geschaffen werden . Zählt man die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik mit, dann stellt man fest, dass zurzeit fünf EU-Kommissare für die Flüchtlingspolitik zuständig sind. Das führt natürlich dazu, dass wir zerfledderte Zuständigkeiten haben und dass die Arbeit vor Ort nicht so effektiv ist, wie sie sein sollte . Bundesminister Gerd Müller hat vorgeschlagen, einen EU-Sonderbeauftragten zu berufen, der die Handlungsfähigkeit und die Sichtbarkeit der Europäischen Union beim Umgang mit der Flüchtlingskrise erhöhen soll . Meine Meinung ist, dass wir diesen Vorschlag mit allem Nachdruck aufgreifen und den Minister dabei unterstützen sollten, die EU-Kommission aufzufordern, unverzüglich einen EU-Sonderbeauftragten für Flüchtlingspolitik zu berufen . Es ist richtig - darüber haben wir bereits gesprochen -, dass auch der Einzelplan 05 einen Aufwuchs von 400 Millionen Euro nicht nur für humanitäre Hilfe, sondern auch für Krisenprävention aufweist . Wir können darüber streiten, ob das ausreichend ist . Wir werden sicherlich die Entwicklung beobachten müssen, um zu wissen, ob wir eventuell in einem Nachtragshaushalt nachbessern müssen . Aber an dieser Stelle muss man einräumen: Es ist ein deutlicher Aufwuchs vorhanden . Die regionalen Fluchtursachen im Mittleren Osten kann man nur wirksam bekämpfen, wenn der IS-Terrorismus ausgelöscht wird . Wir sprechen natürlich von einer politischen Lösung . Aber mit dem IS-Terrorismus werden wir keine politische Lösung hinbekommen . Um unser Ziel zu erreichen, ist es ganz wichtig, dass in Syrien, dem Irak und Libyen stabile politische Verhältnisse herrschen, dass die Menschenrechte vor Ort beachtet werden und dass dem Bürgerkrieg ein Ende bereitet wird . Aber bevor wir das machen können - ob mit oder ohne Bombardierung -, ist entscheidend, dass alle Beteiligten - außer natürlich ISIS - an der Erreichung des Ziels mitwirken . Eine Einigkeit im Sicherheitsrat wird durch Russland und China blockiert . Auch wenn die bisherigen Friedensbemühungen nicht sehr erfolgreich waren, dürfen wir keine Gelegenheit auslassen, hier jeden Impuls zu setzen, der möglich ist . ({2}) Staffan de Mistura, der EU-Sonderbeauftragte für Syrien, ist unermüdlich dabei - der Kollege Jung hat das schon erwähnt -, Gespräche zu führen und für eine Befriedung zu sorgen . Aber zurzeit scheint das Format nicht gegeben zu sein, das geeignet ist, hier tatsächlich eine Befriedung herbeizuführen . Gemeinsam mit unserem Kollegen Roderich Kiesewetter, dem Vorsitzenden des CDU-Bundesfachausschusses „Außenpolitik“, bin ich der Meinung, dass Deutschland und die Europäische Union eine von der Region mitverantwortlich getragene Konferenz initiieren sollten, die, beruhend auf den Erfahrungen des KSZE-Prozesses, einen auf Nah- und Mittelost zugeschnittenen Ansatz entwickelt . Die Stärke des KSZE-Prozesses lag gerade in der Führung vieler Gespräche in unterschiedlichen Formaten, um so Vertrauen aufzubauen . Die Ergebnisse sowie der Verhandlungs- und Erfolgsdruck waren dabei zweitrangig . Wir Deutsche und die anderen Europäer sollten unbedingt eine Initiative in diese Richtung auf den Weg bringen . ({3}) Das Asylrecht und das Recht von Flüchtlingen und Menschen, die im Bürgerkrieg bedroht sind, stehen nicht zur Disposition; ich glaube, darin sind wir uns alle in diesem Haus einig . Die Frage ist nur: Wie kann man zukünftig sicherstellen, dass die Menschen den Schutz, den sie suchen, in Europa finden? Das ist auch eine Frage der Kapazitäten . Deshalb müssen wir darauf achten, dass diejenigen, die Anträge missbräuchlich stellen, schnellstmöglich einen rechtsmittelfähigen Bescheid in der Hand haben und wissen, dass sie wieder zurückgeführt werden . Das ist gerade im Interesse der Flüchtlinge und der Menschen, die bedroht sind, wichtig . Auf europäischer Ebene ist ein wichtiger Schritt, eine gemeinsame Liste sicherer Herkunftsländer umzusetzen . Auch die Hotspots sind ein guter Ansatz . Sie müssten dann aber in der Zuständigkeit des betroffenen Landes liegen . Gerade Personen mit offensichtlich unbegründeten Anträgen müssen wissen, dass es sich nicht lohnt, einzureisen, da man zügig und unverzüglich zurückgeführt wird . Die ausschließliche Zuständigkeit eines Landes führt dazu, dass der Anreiz genommen wird, in andere Mitgliedstaaten überzusiedeln . Sie werden jetzt sagen: Na ja, diese Zuständigkeit haben wir ja schon . Dublin III nennt man das Ganze . - Aber, meine Damen und Herren, Dublin III ist eine Schönwettervorschrift gewesen . Sie passte bei geringen Flüchtlingszahlen . Eins zu eins umgesetzt würde diese Vorschrift für Deutschland bedeuten - Herr Präsident, ich bemühe mich, gleich zum Schluss zu kommen -, dass wir 3 000 Flüchtlinge im Jahr hätten, während Griechenland 300 000 Asylanträge bearbeiten müsste . Das hat zu Verwerfungen geführt . Wir können jetzt darüber streiten, eine Solidaritätsdebatte führen und ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wie Juncker es will . Viel wichtiger wird es aber sein, ein neues System auf den Weg zu bringen, das auch von den Ländern, die zurzeit sehr intensiv belastet sind, geschultert werden kann - personell, materiell und auch finanziell. Das muss auf den Tisch gelegt werden. Alle möglichen Streitigkeiten, Solidaritätsfragen usw . bringen uns nicht weiter . Wir können anderen vorwerfen, europäisch oder uneuropäisch zu sein, wir werden aber die Frage, die jetzt ansteht, so nicht lösen können . Vielen Dank . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Herr Kollege Seif . - Ich bewundere Ihre Gabe, im Rücken den Blick der Sitzungsleitung zu erspüren . Abschließender Redner in der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Alois Karl für die CDU/CSU . ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages! Wir haben jetzt viele interessante Reden gehört über die deutsche Außenpolitik, über ihre Inhalte, über ihre Ziele, über ihre Absichten . Ich möchte meine Rede mit verschiedenen Danksagungen beginnen, zunächst einmal an Sie, lieber Herr Kollege Lindner von den Grünen . Sie werden überrascht sein, dass man sich bei Ihnen bedankt; aber ich sage trotzdem: Sie haben als Einziger Inhalte des Haushaltes des Auswärtigen Amtes angesprochen . Sie haben Zahlen angesprochen, und darum geht es ja; darüber werden wir uns in den nächsten Monaten unterhalten . Lieber Herr Außenminister Steinmeier, jetzt füge ich meinen Dank an Sie an . Es wird vielleicht auch Sie überraschen, dass ein CSUler sich bei Ihnen bedankt . Aber es ist in der Großen Koalition in der Tat nichts Ungewöhnliches, dass wir, die Partner, uns gut gefunden haben . ({0}) Dies ist eine politische Konstellation, die uns in Bayern durchaus versagt ist . So wie es dort nicht nötig ist, über Große Koalitionen nachzudenken, ({1}) so ist es hier angebracht, für die gute Zusammenarbeit mit Ihnen persönlich, mit Staatsminister Roth, mit der Kollegin Professor Böhmer und anderen zu danken . Sie alle haben uns bis dato gute Informationen geliefert . Darauf werden wir in den nächsten Monaten in der Tat aufbauen, und wir werden zu guten Ergebnissen kommen . Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit unserem Haushalt, dem Haushalt des Auswärtigen Amtes, bewegen wir uns in der Tat auf einem spannenden Terrain . Wir befinden uns sozusagen im Schnittpunkt zwischen Haushaltspolitik und Außenpolitik, also den Main Points unserer politischen Gestaltung . Wir wissen, dass all dies, das, was heute schon vorgetragen worden ist, und das, was noch hinzukommt, auch finanziert werden muss. Es ist davon gesprochen worden, dass wir ein Aufwachsen unseres Haushaltes von 3,7 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 4,4 Milliarden Euro im nächsten Jahr sehen . Wenn dann noch die Zuschläge dazukommen, über die am Sonntag verhandelt worden ist, dann wird das noch mehr werden . Allerdings, meine Damen und Herren, ist es kein Grund zu großer Freude, wenn unsere Haushaltspositionen anwachsen, insbesondere bei der humanitären Hilfe; denn wir wissen: Wenn die Ansätze für die humanitäre Hilfe steigen, dann korrespondiert das damit, dass Not, Elend und Leid in anderen Ecken der Welt herrschen . Wir reden im Zusammenhang mit unseren Haushaltsansätzen darüber und versuchen, das einzudämmen . Das Anwachsen des Haushalts zeigt auch eine gewisse Verantwortung für andere in der Welt . Wenn irgendwo heute Konfliktherde sind, räumlich oft weit weg von uns, wird uns das alsbald einholen . „Heraushalten ist auch keine Alternative“, hat die Bundeskanzlerin an diesem Platz einmal gesagt, und recht hat sie . So ist unser Thema, sehr geehrter Herr Außenminister, die verantwortungsvolle Außenpolitik . Es gilt, Außenpolitik in Verantwortung zu betreiben für Deutschland, für Europa, zusammen mit den europäischen Ländern und den USA . Außenpolitik werden wir nicht isoliert sehen können; denn sehr bald holen uns außenpolitische Konflikte auch in der Innenpolitik ein . Die Wanderungsbewegungen sind von fast allen Rednern angesprochen worden . 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, haben wir gehört . Seien wir ehrlich: Nur ein kleinerer Teil kommt nach Europa; Europa hat nur einen kleineren Teil dieser weltweit so beachtenswerten und beängstigenden Entwicklung zu schultern . Es ist richtig, was Sie, Herr Außenminister, gesagt haben und was du, lieber Franz Josef Jung, gesagt hat: dass es in der Tat eine europäische Aufgabe ist, dieses Problem anzugehen und dieses Problem zu schultern . Viktor Orban hat gewiss nicht recht, wenn er sagt, das sei ein deutsches Problem . Wir machen unseren Job, in den letzten Wochen und in den letzten Tagen in außerordentlichem Engagement und mit außerordentlicher Hingabe . Wir erfüllen unsere Aufgabe . Aber ich meine schon, dass wir uns hier auch ehrlich machen müssen, dass wir hier nicht jedes Jahr 800 000 oder 1 Million Flüchtlinge, Bürgerkriegsflüchtlinge vertragen können, dass das in der Tat eine europäische Aufgabe ist . Sie hatten recht, Herr Bundesaußenminister, als Sie bei der Konferenz der deutschen Botschafter vor wenigen Tagen gesagt haben, dass die Staaten des Balkans Albanien, Kosovo, Montenegro - zu den sicheren Herkunftsstaaten gehören müssen . Wenn die auf der einen Seite den Antrag stellen, in die Europäische Union aufgenommen zu werden, aber auf der anderen Seite Verfolgerstaaten sein sollen, dann passt das nicht zusammen . Das müssen wir hier auch klar und deutlich sagen . ({2}) Wenn 99 Prozent der Flüchtlinge von dort keine Anerkennung erhalten - weniger als 1 Prozent ist die Anerkennungsquote -, dann ist das in der Tat massenhafter Missbrauch, von dem vorhin schon gesprochen worden ist . Auch das, was vorhin zu den Hilfsmaßnahmen in anderen Ländern zur Bekämpfung der Fluchtursachen gesagt worden ist, ist von niemandem zu bezweifeln . Heute früh hat im Morgenmagazin des deutschen Fernsehens ein Herr Kleinschmidt gesprochen, der Leiter einer großen Flüchtlingsauffangstation in Jordanien gewesen ist . Er sagte: Mit 3 Milliarden Euro - das ist der Beitrag, den wir seit Sonntag aus dem Bundeshaushalt leisten wollen; 3 weitere Milliarden gibt es für die Bundesländer - könnten wir die Menschen in Syrien wieder so weit ernähren, dass sie nicht auf die Idee kommen, wegzugehen und den gefährlichen Weg nach Europa einzuschlagen . Ein Punkt, meine Damen und Herren, ist meines Erachtens etwas zu kurz gekommen . Wir haben in den vergangenen Jahren manche Länder als Failed States, als gescheiterte Staaten, bezeichnet . Ich habe mit dem Bundesaußenminister und auch mit dem Minister Gerd Müller darüber gesprochen . Zum Beispiel Eritrea wird von uns seit Jahren nicht beachtet . Eine große Flüchtlingswelle kommt aus Eritrea nach Deutschland . Natürlich herrschen da keine Verhältnisse wie bei uns . Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, freie Meinungsäußerung, freie Presse, das alles ist nicht gegeben . Aber wenn wir denen mit unserem Geld auf die Sprünge helfen würden, glaube ich, hätten wir vieles erreicht . Meine Damen und Herren, um die Flüchtlingsfrage abzuschließen: Manchmal meine ich, wir sind in Europa auch etwas geschichtsvergessen . Wir sind geschichtsvergessen, weil wir uns nicht mehr darauf besinnen, dass sich Europa aus den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution - Humanität, Achtung der Menschenrechte - entwickelt hat . In der Französischen Revolution ist neben der „liberté“, der Freiheit, und der „égalité“, der Gleichheit, auch die „fraternité“, die Brüderlichkeit, beschworen worden . „Brüderlichkeit“ sagt man heute nicht mehr, man sagt: Solidarität . Zu dieser Solidarität gehört auch ein gemeinschaftliches Zusammenstehen . In der Tat: Es ist eine europäische Aufgabe . Versagt hat nicht Europa mit seinen Institutionen . Im Gegenteil: Der oft gescholtene Jean-Claude Juncker hat manches Positive gesagt, zuletzt heute Vormittag . Versagt haben oft die europäischen Länder, die sich weigern, Flüchtlinge anteilig aufzunehmen . Es ist für mich ein Skandal, dass von den 28 EU-Ländern 22 keinen Finger rühren wollen, um dieses Problem, das ein europäisches Problem ist, zu lösen, sondern dass das sechs Länder alleine schultern sollen, ganz wesentlich Deutschland . ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, man müsste vieles Weitere über die Außenpolitik sagen . Die OSZE feiert ihren 40 . Geburtstag . Über die OSZE ist auch das Minsker Abkommen, an dem Frau Merkel beteiligt war, verhandelt worden . Wir sind sehr dankbar, dass damit zumindest ein erster guter Schritt gemacht worden ist . Es handelt sich dabei um einen labilen Frieden; er ist nicht stabil . Das wissen wir . Wir freuen uns, dass wir für das nächste Jahr den Vorsitz in der OSZE übernehmen sollen . Das kostet uns 20 Millionen Euro . Man könnte sagen: Gut, das Geld könnte man auch für etwas anderes ausgeben . - Aber es ist in der Tat wichtig, dass wir dieses ehrenvolle Angebot nicht ausschlagen . Darin sehen wir eine Wertschätzung unserer Politik . Meine Damen und Herren, zufällig werden im nächsten Haushalt 20 Millionen Euro auch wieder frei . Dieser Betrag war als unser Beitrag für unsere G-8-Präsidentschaft in den Haushalt eingestellt. Ich finde es richtig, dass sich die Staats- und Regierungschefs auf Schloss Elmau in Oberbayern getroffen haben und in der Öffentlichkeit und nicht hinter verschlossenen Türen tagen konnten . Ich sage auch in diesem Zusammenhang ein Wort des Dankes, nämlich an unsere Polizeieinheiten aus ganz Deutschland, die unter der Polizeiführung Bayerns diesen Gipfel so wundervoll friedlich über die Bühne haben gehen lassen . Auch das trägt zu einem hellen und positiven Deutschlandbild bei . Es ist nicht eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen . Wenn ich mir dagegen anschaue, wie wenige Wochen vorher die Europäische Zentralbank in Frankfurt eingeweiht worden ist: Dort haben bürgerkriegsähnliche Zustände geherrscht . ({4}) In Bayern war es so, lieber Herr Lindner, dass man diesen Gipfel mit einem Kaffeekränzchen hätte verwechseln können . Dort müssen Sie mal hinfahren und nicht nur nach Jordanien, in den Libanon oder sonst wo hin . ({5}) Es ist bemerkenswert, dass unsere Polizeieinheiten das so hervorragend geschafft haben . Meine Damen und Herren, wir pflegen unsere Beziehungen zum Ausland . Wir sind gute Nachbarn in Europa . Wir wirken an der Gestaltung des friedlichen Zusammenlebens mit . Wir treiben eine gestaltende Außenpolitik . Ich danke all denen herzlich, die daran mitgewirkt haben, und freue mich auf die nächsten Monate, wo wir in intensiven Verhandlungen den Haushalt aufstellen werden, damit wir auch im nächsten Jahr unseren Beitrag für Frieden und Freiheit in Europa und darüber hinaus leisten können . Vielen herzlichen Dank . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Danke . - Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor . Deshalb verlassen wir den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes . Wir widmen uns jetzt dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14. Ich bitte die Kollegen, die an diesem Teil der Aussprache teilnehmen wollen, ihre Plätze einzunehmen . Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die diesem wichtigen Teil der Aussprache nicht folgen wollen, bitte ich, den Plenarsaal zu verlassen . Das Wort hat zu Beginn die Bundesministerin Dr . Ursula von der Leyen, der ich hiermit das Wort erteile . ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Flüchtlingsthema dominiert zu Recht diese Haushaltsdebatte . Mitten im Herzen Europas erleben wir unmittelbar, wie rings um das Mittelmeer Tausende Menschen ihr Leben riskieren, um aus den Krisenregionen zu flüchten. Hier im Land erleben wir eine überwältigende Hilfsbereitschaft, mit der diese Menschen aufgenommen werden . Auch die Bundeswehr möchte ihren Beitrag dazu leisten . Wir haben allein in den letzten Wochen über 14 000 Unterkunftsplätze in 41 Liegenschaften geschaffen . Allein in den letzten vier Tagen, als die Flüchtlingszahlen noch einmal deutlich angestiegen sind, sind 4 000 Unterkunftsplätze aus dem Boden gestampft worden: in Hessen, in Sachsen, in Thüringen, in Bremen, in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen . Und jeden Tag kommen neue Anfragen . Ich bin besonders dankbar für das freiwillige Engagement unserer Männer und Frauen in der Bundeswehr . Unendlich viele helfen . Es haben sich allein 350 Angehörige der Bundeswehr gemeldet, um im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Amtshilfe zu leisten . Ganz viele helfen unter dem Stichwort „Helfende Hände“, sei es am Dortmunder Bahnhof oder in Thüringen, von wo kurzfristig Hilfsanfragen kommen . Viele unterstützen bei der allgemeinen Versorgung und Betreuung, aber auch beim Transport . Busse und Busfahrer werden von der Bundeswehr gestellt . Geholfen wird beim Aufbau der Unterkünfte . Es werden Zäune errichtet und Zufahrtswege geschaffen . Wir helfen mit Zelten, mit Betten, mit Küchengeräten und mit mobilen Röntgengeräten . Sanitäter sind dabei, und zehn Ärzteteams sind aufgestellt worden . Meine Damen und Herren, ich glaube, ich spreche im Namen des Hohen Hauses, wenn ich sage: Für dieses verlässliche, schnelle und unkomplizierte Anpacken danken wir von Herzen unseren Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern . ({0}) Die Bundeswehr ist natürlich maßgeblich auch außerhalb unseres Landes engagiert, in Missionen, die mit großer Mehrheit hier im Hohen Hause legitimiert worden sind . Das gilt für Resolute Support in Afghanistan, wo wir mit großer Behutsamkeit und lageabhängig die zeitliche Dauer besonnen betrachten müssen . Das gilt für KFOR auf dem Balkan . Das gilt natürlich aber auch für die Regionen, die oft Ursprungsländer für die derzeitigen Flüchtlingsbewegungen sind . Ich nenne zum Beispiel unsere Ausbildungsmission im Nordirak . Frank-Walter Steinmeier hat zu Recht von der Beharrlichkeit gesprochen, die wir an den Tag legen müssen . Mir ist voll und ganz klar, dass man mit Militär nicht Fluchtursachen bekämpfen kann . Aber wir haben nicht vergessen, wie letztes Jahr, genau um diese Zeit, der „Islamische Staat“ den Norden des Iraks quasi zu überrennen drohte und die Jesiden ins Sindschargebirge getrieben hat . Damals war es richtig und heute ist es nach wie vor sinnvoll, beherzt einzugreifen, die Peschmerga auszurüsten und auszubilden, damit sie Raum schaffen können, um die Flüchtlinge zu schützen, aber vor allem um ihr Staatsgebilde aufrechtzuerhalten . Insofern ist auch dieser Einsatz sinnvoll und mit großem Bedacht weiterzuführen . ({1}) Das Gleiche gilt für EUTM Mali, wo im Juli gerade ein deutscher General die Missionsführung übernommen hat . Und es gilt natürlich auch für EUNAVFOR Med, unseren Einsatz im Mittelmeer . Sie alle wissen, dass wir seit Mai zwei Schiffe im Mittelmeer im Einsatz haben . Im Augenblick sind das die „Schleswig-Holstein“ und die „Werra“, die bisher über 7 200 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet und ihnen somit das Leben gerettet haben . Meine Damen und Herren, ich bin voller Hochachtung vor der deutschen Marine, die bei diesem Einsatz, der ihr weiß Gott nicht ins ursprüngliche Lastenheft geschrieben war, über sich hinauswächst . Was die Marine dort leistet, ist außergewöhnlich . ({2}) Ja, wir sind in der ersten Phase der Seenotrettung, und es wird einen Übergang in die zweite Phase geben . Wir werden im September gemeinsam ein Mandat dazu erarbeiten . Ich sage ganz deutlich: Die Seenotrettung geht weiter und hat oberste Priorität . Ich möchte aber mit Blick auf die zweite Phase einen Punkt aus der Debatte von heute Morgen ansprechen . Die Fraktionsvorsitzende der Grünen hat im Zusammenhang mit der Schlepperbekämpfung gesagt, wir sollten nicht „Schiffe versenken“ spielen . Meine Damen und Herren, ich finde, das Thema in solch einer Tonart zu diskutieren, ist vollkommen unangemessen . Das ist kein Spiel; das ist bitterer Ernst . ({3}) Wir werden das ausführlich diskutieren . Mir ist aber wichtig, dass Sie sich wie auch ich in den letzten Wochen und Monaten informieren über die Art dieser Mission, über die Erkenntnisse, die wir inzwischen gewonnen haben, über die Netze organisierter Kriminalität der Schlepper und Schleuser, die dort ihr Unwesen treiben . Es ist natürlich nicht die Lösung, damit sind natürlich nicht die Fluchtursachen beseitigt, aber es ist ein gewichtiges Mittel, da die Schlepper und Schleuser im System organisierter Kriminalität brutalst vorgehen und MilliarAlois Karl den verdienen . Das können wir nicht einfach geschehen lassen . Dagegen müssen wir vorgehen . ({4}) Meine Damen und Herren, ohne das Engagement der Bundeswehr könnte Deutschland auf viele politische Zusagen weltweit keine Taten folgen lassen . Ich möchte hier noch einmal betonen, dass Diplomatie und wirtschaftliche Zusammenarbeit immer Vorrang haben . Ich bin der festen Überzeugung: Diplomatie hört nie auf, nie . Aber wenn wir einmal gerufen werden - und alle hier im Raume wissen, dass es entsprechende Momente im letzten Jahr gab -, wenn wir einmal gefordert sind, dann setzt sich die Bundeswehr auch gleichermaßen beherzt und besonnen ein . Wir nehmen zusätzlich zu den mandatierten Einsätzen natürlich auch viele Verpflichtungen wahr, die nicht mandatiert sind, sei es die schnelle Speerspitze der NATO, sei es die OSZE-Beobachtermission in der Ukraine, seien es Daueraufgaben wie die Luftraumüberwachung im Baltikum . Allein dadurch sind insgesamt 13 500 Soldatinnen und Soldaten gebunden, und es wird nicht ruhiger . Bernd Ulrich hat es in der Zeit sehr plastisch ausgedrückt, indem er schrieb, die Krise sei heute das Normale, und von der Gleichzeitigkeit der Krisen, ihrer Geschwindigkeit und der Haltlosigkeit sprach . Das stimmt . Die Felder, auf denen wir für Frieden und Freiheit kämpfen, werden unendlich viel komplexer, die Vorwarnzeiten immer kürzer . Und neben vielen Instrumenten, die eben auch in dieser ausgezeichneten Debatte vor der Beratung unseres Haushaltes diskutiert worden sind, brauchen wir dazu auch Streitkräfte, die modern aufgestellt, vielseitig einsetzbar und vor allem solide finanziert sind. ({5}) Wir haben in diesem Hohen Hause sehr wohl die beiden Pfeiler besprochen, auf denen unsere Arbeit ruht: einerseits für das Personal die Agenda Attraktivität und andererseits im Bereich Rüstung die Agenda Rüstung . Wir haben jetzt über die Hälfte der 30 untergesetzlichen Maßnahmen mit der Agenda Attraktivität ganz oder teilweise umgesetzt . Man spürt, dass sich etwas verändert . Die Bewerberquote ist spürbar gestiegen . Schon im letzten Jahr haben sich 59 000 Menschen um militärische Dienstposten beworben . Allein in der ersten Jahreshälfte 2015 waren es bereits über 36 000 Bewerbungen . Meine Damen und Herren, gerade in einer Zeit, in der es in Deutschland so viele offene Stellen, so viele Angebote zur Ausbildung gibt wie nie zuvor, bestärkt uns das, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind . Die Agenda Attraktivität wirkt inzwischen im Alltag der Truppe . Die ersten Satellitentelefone sind im Einsatz . Seit dem 1 . Juli können die Soldatinnen und Soldaten der ersten seegehenden Einheiten damit grundsätzlich kostenlos telefonieren . Seit dem 22 . Mai ist auch, wie wir alle wissen, das Artikelgesetz in Kraft . Ich möchte mich an dieser Stelle bei Ihnen für Ihre Unterstützung gerade auch bei diesem Artikelgesetz von ganzem Herzen bedanken . Die Modernisierung der Bundeswehr geht aber in vielen Feldern weiter . Gerade wenn wir spüren, wie sich das sicherheitspolitische Umfeld und damit natürlich auch unser Auftrag ändert, gerade in solchen Zeiten dürfen wir uns nicht nur auf die neuen Herausforderungen konzentrieren - das ist die Hauptaufgabe -, sondern müssen wir auch immer eine kritische Nabelschau anstellen, damit wir sehen, ob wir auch gut genug aufgestellt sind . Das sage ich natürlich ganz bewusst . Wir haben nämlich im letzten Jahr einen ersten groben Blick auf das Personalstrukturmodell bzw . den sogenannten Personalkörper der Bundeswehr - 250 000 in der Zielstruktur geworfen . Sie wissen, dass wir die Schichtung zwischen Berufs- und Zeitsoldaten mit einem Plus von 5 000 Berufssoldaten bereits in einem ersten Schritt angepasst haben . Es gab auch ein Plus von 1 000 zivilen Beschäftigten . Dennoch müssen wir jetzt im Detail gucken, ob der Personalkörper richtig dimensioniert und richtig geschichtet ist, ob also die Fachkräfte und die Gruppen in der Anzahl und ihrer Aufstellung so sind, wie wir sie angesichts unserer Aufgaben brauchen . Wir müssen beim freiwilligen Wehrdienst unbedingt genauer hinschauen, nämlich beim Verhältnis zwischen fixen Dienstposten und flexiblen Dienstposten. Da die Nachfrage sehr viel größer ist, werden wir die Zahl der fixen Dienstposten erweitern; aber wir müssen uns auch verstärkt mit der Qualität der freiwillig Wehrdienst Leistenden beschäftigen . Wir müssen schauen, ob diese hochmotivierten Menschen, die freiwillig kommen, ihre Aufgaben sinnvoll erfüllen können, ob sie bei uns tatsächlich das finden, was sie suchen . Das ist die vor uns liegende Aufgabe der nächsten Wochen und Monate . Im Verteidigungsministerium werden wir mit Blick auf die nachgeordneten Behörden prüfen, wie die Aufgaben verteilt sind, ob Strukturen, Aufgaben, Personalzuordnung und -bedarf zueinanderpassen . Ich sage das sehr bewusst, weil wir in den letzten Monaten gemeinsam erlebt haben, dass sich uns viele Fragen gestellt haben: Warum sind Prozesse so langsam? Warum dauert es so lange, bis wir eine konsistente Information oder Entscheidung hinbekommen? Das hat auch damit etwas zu tun, dass nach der Neuaufstellung, die in ihrer Grundstruktur richtig ist, jetzt der Blick auf die Prozesse schärfer wird: Wie arbeiten die einzelnen Ebenen zusammen? Wie ist die Abstimmung? Wer hat welche Rolle? Wir sehen hier einiges, das überarbeitet werden muss . Das heißt, wir werden eine Organisationsanalyse durchführen, und wir werden dieser einen Aufgabenkritik anschließen . Wenn auf Dauer unser oberstes Ziel ist, einsatzbereit, stark und den Aufgaben gewachsen zu sein, dann müssen wir unseren Personalkörper so aufstellen, dass die Menschen diese Aufgaben auch bewältigen können . Das ist das Ziel dieser neuen Aufgabe, die vor uns liegt . Eine zweite entscheidende Voraussetzung für die eben skizzierten Themen ist eine professionelle Ausrüstung . Wir haben die Agenda Rüstung gemeinsam viel diskutiert . Hier ist noch eine lange Strecke zu gehen, aber die ersten Schritte sind gemacht . Wir entscheiden . In der ersten Hälfte der Legislaturperiode haben wir 18 sogenannte 25-Millionen-Euro-Vorlagen auf den Weg gebracht . Dahinter stehen Rüstungsprojekte mit einem Haushaltsvolumen von rund 5,2 Milliarden Euro . Das und vieles mehr steckt in den für 2016 vorgesehenen 34,4 Milliarden Euro für den Einzelplan 14 . Er wächst damit gegenüber dem Regierungsentwurf 2015 um rund 750 Millionen Euro . Damit gelingt es uns, die jahrelange Abwärtsspirale zu stoppen und eine Trendwende einzuleiten . Das ist auch notwendig; denn wir haben einen enormen Nachholbedarf . Das wissen alle, die sich tiefer mit diesen Themen beschäftigt haben . Es gilt jetzt, diesen aufzuholen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Thema Materialerhalt . Die Mittel dafür steigen um 3,3 Prozent, zum Beispiel im Bereich der Luftfahrzeuge . Wir wissen, wie mühsam diese Aufgabe ist; aber sie ist unerlässlich und schlichtweg eine Verpflichtung gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten, aber auch unseren NATO-Verbündeten dahin gehend, dass sie sich auf uns verlassen können . ({6}) Damit dieser Rahmen aus Personal, Rüstung und den langfristigen Aufgaben und groß angelegten Projekten, den ich eben skizziert habe, nachhaltig solide finanziert ist, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens müssen wir die aktuelle Linie von mindestens 1,17 Prozent in Relation zum BIP halten . Dass wir das erreicht haben, ist ein Erfolg . Gott sei Dank haben wir eine starke Wirtschaft; diese führt zu einem starken BIP . Das heißt: Wenn wir die Linie halten wollen, müssen wir uns noch mehr anstrengen . Das wissen wir . Zweitens müssen wir aber sicherstellen, dass wir mittelfristig 20 Prozent dieser Mittel in unsere materielle Ausstattung investieren können . Da sind wir beileibe noch nicht . Das ist unverzichtbar; denn sonst haben wir nicht die Möglichkeit, die Ausrüstung der Bundeswehr, die sie im Alltag in den Einsätzen braucht, zu regenerieren . Es geht also um das Basisgeschäft, darum, dass sie für die Einsätze angemessen ausgerüstet ist . Ich spreche zum Beispiel von geschützten Fahrzeugen oder Funkgeräten . Wir brauchen aber auch die Mittelsicherheit, um langfristig geplante Rüstungsvorhaben finanzieren zu können, mit denen wir Fähigkeitslücken schließen wollen; ich nenne das Stichwort „Aufklärung“ . Zudem brauchen wir die Planbarkeit der Mittel, damit wir die Bundeswehr so aufstellen können, dass sie eine an den Aufgaben orientierte, strukturgerechte und bedarfsgerechte Ausstattung hat . Was verbirgt sich hinter diesem Satz? Dahinter verbirgt sich, dass wir gemeinsam beschlossen haben, das sogenannte dynamische Verfügbarkeitsmanagement - alle hier im Raum wissen, was das ist - gar nicht erst einzuführen, weil es eine Verwaltung des Mangels ist . Das heißt aber, dass wir uns fragen müssen: Was sind die Aufgaben? Was ist der Bedarf? Wie können wir die teilweise hohlen Strukturen, die sich gebildet haben, auffüllen? Wir müssen also den Blick nach vorne richten und für eine nachhaltige Finanzierung sorgen, damit wir das angelegte Konstrukt tatsächlich mit Leben erfüllen können . Schlussendlich noch zwei Themen . Wir werden Strukturen innerhalb des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr ({7}) verändern, weil wir erkannt haben, dass die Großprojekte und die kleinen Projekte über einen Kamm geschoren werden, was die Projektorganisation angeht . Ob es der Stiefel ist oder der Eurofighter oder IT-Führungssysteme - one size fits all. Wir werden die drei großen neuen Projekte - MKS 180, TLVS/MEADS und die Euro-Drohne - innerhalb des BAAINBw mit einer eigenen Struktur und eigenem Personal einkapseln, damit Juristen, Techniker, Wirtschafter konsequent dieser Struktur zugeordnet arbeiten können . Heute haben wir oft den Fall, dass die Aufgaben versäult sind und ein Jurist zum Beispiel einmal 10 Prozent seiner Arbeitszeit für den A400M aufwendet, um dann am nächsten Projekt zu arbeiten . Bei den großen Projekten brauchen wir in sich geschlossene Teams, die dann konzentriert an der großen Aufgabe arbeiten . Wir werden dort einen starken Projektleiter, vergleichbar mit dem Generalsrang, aufsetzen, der dann direkt im BAAINBw mit der Rüstungsstaatsekretärin die Dinge weiterentwickeln kann .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Ministerin, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten .

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ja, Sie haben recht . - Dann sage ich einen letzten Satz: Das eine war, wie wir es machen, das andere ist, mit wem wir es machen . Vielleicht spare ich mir das für die nächste Rede auf, die ich in diesem Hohen Hause halte .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Wunderbar .

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich bitte Sie um Zustimmung zum vorliegenden Entwurf . Vielen Dank . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Michael Leutert von der Linken das Wort . ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! In der Türkei können wir derzeit beobachten, wie falsche politische Entscheidungen zu immer komplexeren Problemen werden und geradezu in einem Desaster enden können . Ich möchte einmal daran erinnern: Seit 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg . Die Türkei unterstützte von Anfang an die syrische Opposition gegen Assad . Dadurch kam es auch an der türkisch-syrischen Grenzen zu militärischen Zwischenfällen . Aus diesem Grund startete im Januar 2013 eine NATO-Operation, und es wurden deutsche Soldaten zum Schutz des Bündnispartners in die Region geschickt . Im Grenzgebiet zwischen Irak, Syrien und der Türkei leben die Kurden . Die Schwäche Assads führte dazu, dass die Kurden in Syrien gestärkt wurden - sehr zum Missfallen der Türkei . Seit 2014 kämpft nun die Terrororganisation IS nicht nur gegen Assad, sondern auch gegen die Kurden . Deshalb unterstützte die Türkei nun auch den IS . Da der Westen aber wiederum den IS bekämpft, lieferte die Bundeswehr Waffen an die Kurden, damit diese sich gegen den IS verteidigen können . Und nun, im Sommer dieses Jahres, eskalierte der Konflikt zwischen den Kurden und der Türkei . Erdogan bekämpft die Kurden nun militärisch im eigenen Land und in den Nachbarländern Syrien und Irak . Gestern ist die türkische Armee erstmals auf irakisches Territorium vorgerückt . Unterm Strich heißt das: Die Armee des NATO-Mitglieds Türkei kämpft gegen die Kurden, die Kurden wehren sich, mit deutschen Waffen ausgestattet, und mittendrin sind unsere Bundeswehrsoldaten . Somit sind wir Teil eines Konfliktes, dazu noch auf unterschiedlichen Seiten, und dieser Konflikt ist die Ursache dafür, dass 12 Millionen Menschen auf der Flucht sind . Ein Teil dieser Flüchtlinge versucht, mit Schlepperbooten über das Mittelmeer nach Europa zu kommen . Dort ist wiederum die Bundeswehr im Einsatz, um die Menschen vor dem Ertrinken zu retten . Das ist doch ein absurder Zustand . ({0}) Ich möchte an dieser Stelle ganz klar sagen: Ja, ich finde es richtig, dass wir den Soldatinnen und Soldaten, die im Mittelmeer in Not geratenen Menschen unter hohem persönlichen Einsatz helfen, danken . Ich will deutlich unterstreichen: Es geht um jedes Menschenleben, das gerettet werden kann . ({1}) Sehr geehrte Frau Ministerin, ich weiß, dass Sie für all diese Dinge nicht alleine verantwortlich sind - all das hat der Bundestag beschlossen -; aber ich frage Sie, ob Sie diese Situation nicht auch etwas absurd finden. Wenn man sich jetzt noch überlegt, dass der Bundeswehreinsatz in der Türkei bis zum Abzug 60 Millionen Euro gekostet hat und die Waffenlieferungen noch einmal 70 Millionen Euro - das macht zusammen 130 Millionen Euro -: Glauben Sie rückblickend nicht auch, dass es sinnvoller gewesen wäre, dieses Geld nur für die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer einzusetzen? ({2}) In der Türkei kann man jetzt nur noch Schadensbegrenzung üben, und das heißt ganz klar: Erstens . Es muss einen sofortigen Abzug der Bundeswehrsoldaten aus der Türkei geben, nicht erst nächstes Jahr, wenn der Einsatz zu Ende ist; zu Weihnachten müssen alle gesund und munter zu Hause sein . Zweitens . Setzen Sie sich mit dafür ein, das PKK-Verbot aufzuheben! Damit würde man gegenüber der Türkei ein deutliches Zeichen setzen, dass wir eindeutig an der Seite derjenigen stehen, die den IS bekämpfen . ({3}) Schauen wir auf einen anderen Krisenherd: Afghanistan . 2002 ist die Bundeswehr nach Afghanistan gegangen . Die Begründungen für den Einsatz gegenüber der deutschen Öffentlichkeit waren sehr vielfältig . Es ging um den Kampf gegen den Terror . Es ging darum, Frauen- und Menschenrechte zu etablieren . Es ging darum, die Freiheit am Hindukusch zu verteidigen . Es ging darum, Stabilität zu schaffen usw . usf . Seit Ende 2014 ist der Kampfeinsatz beendet . Die Kosten nur des Kampfeinsatzes belaufen sich auf ungefähr 6 Milliarden Euro . Ihr Ministerium gibt jedes Jahr zusätzlich 80 Millionen Euro für den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte aus . Das Auswärtige Amt gibt noch einmal jedes Jahr 180 Millionen Euro zur Stabilisierung und das BMZ 245 Millionen Euro für den Wiederaufbau . Das heißt also: Es wird über eine halbe Milliarde Euro allein für den Aufbau der Gesellschaft in Afghanistan ausgegeben . Und was ist das Ergebnis? Das Ergebnis ist: Terror ist dort Alltag, Frauenrechte werden nicht eingehalten, Presseund Meinungsfreiheit existieren nicht, Folter wird weiter angewandt, und die Scharia ist gültige Rechtsgrundlage . Auch hier bleibt uns im Nachgang nur die Möglichkeit, Schadensbegrenzung für die Zukunft zu üben und die richtigen Lehren daraus zu ziehen . Man kann eine Gesellschaft nicht von außen und erst recht nicht mit militärischen Mitteln nach unserem Vorbild umformen . ({4}) Und gleich für die Zukunft - Sie hatten es angesprochen, weil es diskutiert wird -: Man kann Europa nicht abriegeln, weder mit Stacheldraht noch mit Mauern und im Übrigen auch nicht mit einem Kampfeinsatz gegen Schlepper . Diese Probleme sind nicht mit militärischen Mitteln zu lösen . So viel sollten wir mittlerweile gelernt haben . ({5}) Angesichts der Erfahrungen und angesichts der großen Herausforderungen, vor denen wir derzeit stehen die enormen Flüchtlingsbewegungen, Krieg in Syrien, Terror im Irak, Instabilität in Afghanistan -, sollten wir noch einmal darüber nachdenken, ob die Prioritäten hier richtig gesetzt werden . Wäre es jetzt nicht vielleicht sinnvoller und wichtiger, in diesen Regionen erst einmal für Stabilität zu sorgen und dafür die Mittel in die Hand zu nehmen? Stattdessen soll der Verteidigungsetat um 1,4 Milliarden Euro erhöht werden . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der falsche Weg . Die Linke will die Prioritäten anders setzen, und wir werden in den kommenden Verhandlungen entsprechende Vorschläge unterbreiten . Vielen Dank . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Karin Evers-Meyer von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Karin Evers-Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003523, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin von der Leyen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn der anstehenden Haushaltsberatungen über den Verteidigungsetat zwei Dinge klarstellen: Erstens . Eine große Mehrheit der Kollegen hier im Parlament sieht sehr wohl die Notwendigkeit und ist auch bereit, die Bundeswehr und unsere Soldaten wieder vernünftig auszustatten . Es gibt die Bereitschaft, Geld in die Hand zu nehmen und zu investieren; denn für jeden ist offensichtlich, dass einige Sparentscheidungen der letzten Jahre schlichtweg falsch waren . Ich möchte hier ein letztes Mal das dynamische Verfügbarkeitsmanagement nennen, bevor wir es - hoffentlich - endgültig zu Grabe tragen . Da müssen Soldaten doch tatsächlich die ihnen verbliebene Ausrüstung quer durch die Republik fahren, damit alle Kameraden wenigstens einmal im Jahr mit dem Gerät üben können, mit dem sie später, im Ernstfall, arbeiten sollen . Vielleicht können wir irgendwann einmal darüber lachen; aber das war ernst gemeint . Das Schlimme ist: So etwas lässt sich nicht über Nacht heilen . Die Liste, wo investiert werden muss, ist lang . Die Kollegen aus der Fach-AG können das detaillierter und besser sagen als ich . Ich komme deswegen direkt zur zweiten Sache . Es gibt Probleme auf dieser Welt, die sich mit mehr Geld nicht lösen lassen . Das ist die Art von Problemen, bei denen mehr Geld das Leiden nur verlängert oder etwas vertuscht, bei denen durch mehr Geld eigentlich gar nichts besser wird . So offensichtlich der Bedarf der Bundeswehr an Investitionen in Personal, Material und Infrastruktur ist und so nachvollziehbar der Ruf nach mehr Geld ist, so offensichtlich ist auch, dass ein großer Teil der Probleme hausgemacht ist . Hunderte Millionen Euro, die in den letzten Jahren nicht ausgegeben wurden, sind der Beweis. Ich stehe hier nicht mit dem erhobenen Zeigefinger und behaupte hämisch, dass die Bundeswehr dieses Geld wohl nicht braucht; aber ich sage all denjenigen, die auch dieser Tage nach Milliarden für die Bundeswehr rufen: Bevor wir hier über deutlich mehr Geld vom Steuerzahler sprechen, muss das Haus organisatorisch, prozessual und konzeptionell in Ordnung gebracht werden . Es muss wieder Vertrauen in das BMVg und seinen Umgang mit den Finanzen geben . Das ist Voraussetzung . Dann kann man, wie ich finde, guten Gewissens wieder über mehr Investitionen sprechen . Liebe Frau von der Leyen, wenn ich mir vor diesem Hintergrund den Haushaltsentwurf und die Finanzplanung des BMVg anschaue, habe ich den Eindruck, dass Sie diese Einschätzung teilen . Daher habe ich gewisse Teile Ihrer Rede mit Freude vernommen . Warum denke ich das? Zum einen glaube ich, Ihre Forderungen wären sonst sicherlich höher ausgefallen, und zum anderen sind Sie mit Ihrem Team seit einiger Zeit glaubhaft in den Tiefen der Ebene unterwegs und packen die notwendigen Prozesse an . Auch heute haben Sie in Ihrer Rede, wie gesagt, deutlich gemacht, dass Sie die Probleme, etwa bei großen Beschaffungsprojekten, realistisch sehen und Lösungen für diese Probleme wollen . Als Haushälter haben Sie uns dabei an Ihrer Seite . Wir wollen Sie dabei, wo es geht, unterstützen . Das sage ich nicht nur als gute Koalitionärin, sondern auch, weil ich durchaus bereit bin, an die Ernsthaftigkeit Ihres Tuns zu glauben . Einen Wunsch hätte ich in diesem Zusammenhang aber: Teilen Sie diese Einschätzung mit Ihren Leuten; denn nach wie vor höre ich mir an, dass das Problem der nicht abgeflossenen Haushaltsmitteln eigentlich Folge der Jährlichkeit des Haushalts sei und dass die Haushälter doch endlich einmal mehr Flexibilität zeigen sollten . Das, sehr verehrte Kollegen, weise ich hier ausdrücklich zurück . Ich bin die Letzte, die etwas gegen mehr Flexibilität in der Verwaltung hätte; aber dass die A400M natürlich völlig überraschend nicht ausgeliefert werden und man in Sachen Regress mehr oder weniger in die leere Panzerröhre guckt, liegt nicht an der mangelnden Flexibilität des Haushalts . Die Gründe dafür kennen wir alle: langatmige Beschaffungsentscheidungen, Goldrandfantasien, mangelndes Risikomanagement und schlechtes Vertragsmanagement . Das Problem ist auch nicht, dass Rüstungsbeschaffungen etwas Einzigartiges und Komplexes sind . Das würde ich nur gelten lassen, wenn sich die Probleme auf dieses Feld beschränken ließen . Das lassen sie sich aber nicht . Bei der Infrastruktur ist es doch genau dasselbe . Sie alle waren dankenswerterweise bei mir im Wahlkreis und haben sich beispielsweise die Feuerwehr des Jagdgeschwaders in Wittmund angeschaut . Sie waren alle schockiert, wie es dort aussieht . Man denkt nämlich, man steht irgendwo in Moldawien und nicht an der deutschen Nordseeküste . Trotzdem tut sich dort seit Jahren nichts . Und dann sitze ich in meinem Büro im Paul-Löbe-Haus, schaue in den Haushalt und sehe: Oh, das Ministerium gibt Gelder für Infrastrukturmaßnahmen an den Finanzminister zurück. - Ich finde, die Sanierung einer Kaserne ist kein Hexenwerk . Das Bauhandwerk ist eines der ältesten Handwerke . Es gilt als weitgehend erprobt und verlässlich . Das Problem liegt, denke ich, auch hier in der Verwaltung, also beim BMVg . Sie kennen die Ursachen; auch mir wurde das mehrfach erklärt . Ich kenne das Hin- und Hergeschiebe zwischen BMVg, BImA, Landesbehörden, staatlichem Baumanagement usw . Nur, gelöst ist das Problem nicht . Die Soldaten vor Ort verstehen das nicht und ich auch nicht . Sie sind nun in der Verantwortung, es zu lösen . ({0}) Wenn Sie also versprechen, das in Ordnung zu bringen, dann verspreche ich Ihnen ein offenes Ohr in Sachen Flexibilisierung und Übertragbarkeit von Haushaltsmitteln . ({1}) Das ist aus meiner Sicht die richtige Reihenfolge, und dann ziehen wir auch an einem Strang . Damit das Thema Militärausgaben auch mittel- und langfristig glaubhaft diskutiert werden kann, braucht es aus meiner Sicht neben der Ordnung im eigenen Haus auch eine Perspektive, die über die Schreibtischkante hin ausreicht . In Bezug auf den Militäretat und in Bezug auf die Verteidigungsfähigkeit Westeuropas kann diese Perspektive nur europäisch sein . Das haben Sie auch oft gesagt . Aber in den Hauptstädten Europas kommt das nicht so richtig an, und um die müssen wir werben . Alle in Europa müssen erkennen, dass die kostenintensiven militärischen Parallelstrukturen innerhalb der EU nicht mehr zeitgemäß sind . Sie sind zu teuer, und sie gefährden langfristig die Verteidigungsfähigkeit Europas . Wir kennen in Europa - das sage ich nur noch einmal, um sich das in Erinnerung zu rufen - trotz aller politischen Willensbekundungen zig nationale Programme für Panzerfahrzeuge . Es gibt sechs verschiedene Programme für U-Boote, fünf für Kampfflugzeuge und weitere fünf für Boden-Luft-Raketen . Wir haben in Europa 28 nationale Armeen mit ungefähr 1,5 Millionen Soldaten . Das Budget beträgt rund 200 Milliarden Euro . Das ist immerhin mehr als ein Drittel des US-amerikanischen Verteidigungsetats . Aber es gibt ja wohl niemanden, der behaupten würde, dass unsere Leistungsfähigkeit ebenfalls einem Drittel der Schlagkraft der USA entspricht . Ich sage nicht: Lasst uns heute oder morgen nach Europa gehen, dann wird alles einfacher, besser und billiger . Aber ich sage: Die Weichen dafür zu stellen, dass wir irgendwann so etwas wie eine europäische Armee, einen europäischen Ausrüstungsstandard und eine gemeinsame europäische Rüstungsindustrie haben, zumindest in Teilen, ist nur möglich, wenn man überall, wo es nur geht, gemeinsame Projekte mit unseren Nachbarn auf die Beine stellt . ({2}) Mit den Polen, den Dänen und den Nachbarn im Baltikum klappt das . Aber es muss ein Ansporn sein, auch Partner wie Frankreich oder Großbritannien für gemeinsame Ideen zu gewinnen . Wenn das gelingt, dann haben Sie nicht nur die Haushälter hier im Deutschen Bundestag auf Ihrer Seite . Dann - da bin ich sicher - werden wir sogar in der deutschen Bevölkerung eine Mehrheit für eine Erhöhung des Etats gewinnen können . Vielen Dank . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Tobias Lindner von der Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen das Wort .

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kapseln statt Versäulen, das war hier Ihre große Ankündigung, Frau Ministerin . Während sich vielleicht viele hier im Hohen Hause oder zu Hause, die dieser Debatte lauschen, nicht recht vorstellen können, was sich dahinter verbirgt, will ich Ihnen, Frau Ministerin, etwas aus meiner Sammlung spontaner Reaktionen auf überraschende Ankündigungen der Verteidigungsministerin zeigen . Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, nämlich das Protokoll einer unserer ersten Begegnungen in Ihrem Amt, nämlich des Berichterstattergesprächs mit den Haushältern im Frühjahr 2014 . Auf meine Frage, wie Sie mit den Vorschlägen der Weise-Kommission umgehen wollen, sagten Sie - so das Protokoll; ich zitiere -: Sie stellt klar, dass es keine Rüstungsagentur geben werde . Sie haben dann geantwortet, dass es darum gehen muss, die Prozesse im eigenen Haus zu verbessern, und - so meine Erinnerung - gesagt: Ich muss eher schauen, dass meine Rüstungsabteilung wie eine Agentur arbeitet . Ich nehme wahr, dass Sie anscheinend an einigen Stellen umgedacht haben; Sie haben es „Kapseln statt Versäulen“ genannt und sich auf das BAAINBw bezogen . Aber ich bin einmal gespannt, wie Sie es abkapseln, und vor allem bin ich gespannt darauf, mit welchem Personal . Jetzt tun sich natürlich für die weiteren Haushaltsberatungen schon Fragen auf: Schaffen Sie nicht eine neue Parallelstruktur? Was sind die Vorteile? Wie sieht es mit dem lieben Geld und mit den Verantwortlichkeiten und vor allem mit der parlamentarischen Kontrolle aus? Deswegen werden wir als Opposition Sie bei Lernprozessen gerne und konstruktiv begleiten, aber in den Haushaltsberatungen vor allem kritisch auf diese Struktur schauen, sie erst einmal nicht vom Tisch wischen, aber nachfragen und uns dann ein Urteil darüber bilden . ({0}) Der zweite Punkt ist: Das löst natürlich nicht die enormen Probleme, die es im Rüstungsbereich gibt . Es gibt drei neue Projekte, die sich gerade im Anlauf befinden und für die die Rechnung vermutlich erst zu einer Zeit, zu der Sie nicht mehr in diesem Amt sein werden, endgültig vorliegen wird; ich denke hier an Dinge wie TLVS . Es ist ein Leichtes, sie in einer Agentur oder in einer Kapselung zu bündeln, aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir nach wie vor - die Kollegin Evers-Meyer hat es angesprochen - enorme Managementprobleme im Rüstungsbereich haben: Dinge kommen gar nicht, zu spät, mit Minderleistungen und vor allem zu teuer für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler . Ich kann Sie nur auffordern, Frau von der Leyen: Bleiben Sie hart, wenn Sie mit der Industrie reden . - Ich denke da an Luftfahrtunternehmen, wo sich zahlreiche offene Fragen auftun . Deutschland wird in diesem Jahr vielleicht einen oder auch gar keinen A400M mehr erhalten; von fünf war einmal die Rede . Mir und, ich denke, auch den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern fehlt jedes Verständnis dafür, wenn wir an dieser Stelle lasch mit der Industrie umgehen . - Das ist im Interesse aller . ({1}) Sie haben viel über Personal gesprochen, Frau Ministerin, über Personalgewinnung, über Personalverwendung und über Attraktivität . Wenn wir eine Haushaltsdebatte führen, dann dürfen wir eines nicht aus den Augen lassen: Die Personalausgaben waren in den vergangenen Jahren in Ihrem Haushalt immer strukturell unterfinanziert. Wenn man sich die Istzahlen, quasi die Abrechnung, die Ihr Haus vorlegt, anschaut, dann erkennt man, dass in den letzten beiden Jahren Gelder aus dem Rüstungsbereich, die nicht abgeflossen sind, verwendet wurden - ich will auch sagen: verwendet werden mussten -, um Personalausgaben zu decken . Als Grüner füge ich hinzu: Als politisches Konzept ist das durchaus gut so . Aber ich fordere Sie im Sinne von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit auf: Dann geben Sie Träume, wie 20 Prozent des Haushalts in die Modernisierung der Ausrüstung zu investieren, auf - ich weiß nicht, wie Sie das im Investbereich darstellen wollen -, und sorgen Sie im Vorhinein und nicht erst im Nachhinein, wenn sich Lücken auftun, dafür, dass die Personalausgaben auskömmlich und angemessen finanziert sind! Der nächste Punkt ist - das ist in dieser Debatte schon angesprochen worden -: Kümmern Sie sich darum, dass es angemessene und ordentliche Unterkünfte gibt . Das Geld dafür steht bereit. Es ist vielfach zurückgeflossen. Das ist nicht im Interesse der Menschen, die in Unterkünften wohnen müssen . Ein letzter Punkt: das liebe Geld . Sie erhalten in diesem Jahr - Sie sind darauf eingegangen - 1,2 Milliarden Euro mehr . Sie rühmen sich dessen . Sie sprechen von einer Trendwende im Haushalt . Die Kollegen der Union beklatschen es . Dabei täuschen Sie darüber hinweg, dass einmal eine Bundeswehrreform unter Herrn zu Guttenberg und Herrn de Maizière mit dem erklärten Ziel, 8,3 Milliarden Euro einzusparen, angefangen wurde . Immer wieder und wieder in den Vorjahren, wenn ich gefragt habe, ob diese Einspareffekte erreicht werden, hat mir der damalige Staatssekretär Wolf in ellenlangen Tabellen vorgerechnet: Ja, ja, die ganzen Einspareffekte werden erreicht . - Heute ist kein Wort mehr von diesen Einspareffekten . Mit anderen Worten: Dieses große Ziel der Bundeswehrreform, dass nämlich auch das Verteidigungsministerium seinen Beitrag zur Schuldenbremse leistet, ist krachend verfehlt worden . ({2}) Sie geben sich noch einem anderen Trugschluss hin . Da kann ich Sie nur auffordern: Hören Sie mit dem ganzen Gerede vom 2-Prozent-Ziel auf! Sie haben eben gesagt: „Wir erreichen mit diesen Ausgaben 1,17 Prozent des BIP“, und Sie erwarten, dass wir das in den kommenden Jahren konstant halten . Wenn Sie sich Ihre eigene mittelfristige Finanzplanung anschauen, Frau Ministerin, dann werden Sie sehen, dass das gar nicht erreicht werden kann . Ich nehme nicht an, dass Sie Ihre eigene mittelfristige Finanzplanung hier in diesem Haus infrage stellen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage in aller Deutlichkeit: Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir in Deutschland und in Europa stehen, angesichts der Flüchtlingskrise und der Tatsache, dass wir uns alle gestern einig waren, dass da mehr Geld fließen muss, sollten wir solche komischen Kriterien wie ein Ziel, soundso viel Prozent des BIP zu erreichen, bitte ad acta legen . Nein, es macht keinen Sinn, hier mehr Geld reinzupumpen . Ein letzter Punkt . Sie haben viel über Veränderung gesprochen . Sie haben über Personal gesprochen, Sie haben über den Rüstungsbereich gesprochen, Sie haben über Aufgaben gesprochen . Sie drehen an der einen Schraube etwas, und Sie drehen an der anderen Schraube etwas . Gleichzeitig machen Sie einen Weißbuchprozess . Unsere Fraktion, Frau Brugger und ich haben Ihnen in einer Kleinen Anfrage zahlreiche Fragen gestellt und wenige bis gar keine Antworten - teilweise auch eher erheiternde, wenn das Thema nicht so ernst wäre - bekommen . Man kann den Eindruck haben, Sie und Ihr Haus wissen im Moment selbst gar nicht - Sie haben ja auch heute nichts dazu gesagt -, wohin dieser Weißbuchprozess führen soll . Was machen Sie stattdessen? Bevor das Ergebnis vorliegt, gehen Sie her und verändern Strukturen, treffen Entscheidungen . Wir Grüne sagen: Das muss anders sein . Wir müssen zuerst darüber reden: Welche Aufgaben hat die Bundeswehr, welche hat sie nicht? Wo macht mehr Diplomatie Sinn? Dann müssen wir die Frage beantworten: Welche Struktur und welchen Umfang braucht es dafür? Am Ende müssen wir einen Strich unter die Rechnung machen, wie viel Geld das kostet oder kosten kann . In diesem Sinne werden wir in die Haushaltsberatungen gehen und unsere Vorschläge dazu machen . Ich danke Ihnen . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Henning Otte von der Fraktion der CDU/CSU das Wort . ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist in guter Verfassung, so sagte es unsere Frau Bundeskanzlerin heute hier an diesem Rednerpult . Die guten wirtschafts- und finanzpolitischen Zahlen beweisen dies . Die Welt um uns herum scheint aber aus den Fugen geraten zu sein; so sagte es sinngemäß unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier . Die Flüchtlingsbilder in Deutschland beweisen dies . Die Krisenherde dieser Welt befinden sich am Rande des NATO-Gebietes: im Nahen Osten, auf dem Balkan, in Afghanistan, im Norden Afrikas - alles im unmittelbaren Umfeld Europas . Dies sind Folgen oft jahrelanger Krisen, die sich in der Verzweiflung der Menschen ausdrücken. Terror, Krieg, Durst, Hunger lassen die Menschen in eine vermeintlich bessere Welt aufbrechen . Die Sicherheitspolitik muss heute vernetzt gesehen werden . Justiz-, Innen-, Entwicklungs-, Außen- und eben auch Verteidigungspolitik greifen immer mehr verzahnt ineinander . Dieser vernetzte Ansatz ist nicht nur national zu sehen, sondern er muss auch stärker europäisch gesehen werden . Dies muss mehr gelebt werden, und dies müssen wir politisch in der Zukunft stärker umsetzen . Der Verteidigungshaushalt umfasst für das Jahr 2016 34,4 Milliarden Euro . Der mittelfristige Finanzplan sieht dabei eine Anhebung vor . Meine Damen und Herren, diese Anhebung ist notwendig . Sie ist richtig angesichts der notwendigen und durchgeführten Modernisierung unseDr. Tobias Lindner rer Streitkräfte und der Zunahme der vielfältigen Aufgaben, die Sie alle kennen, auch angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Lage . ({0}) Die Bundeswehr leistet wesentliche Beiträge zur Krisenprävention, zur Kriseneindämmung und zur Krisenbewältigung: im Kosovo, in Afghanistan, am Horn von Afrika, in Somalia, in Mali, im Mittelmeer, im Nordirak, und zwar Ausbildungshilfe, Sanitätsdienst, Kampfeinsätze, Minenräumung, taktische Schulungen, Flüchtlingsrettung aus Seenot - Frau Ministerin hat das dargestellt -, um nur einige Aufgaben zu nennen . Dazu gehört als allererste Aufgabe immer noch die Landesverteidigung im Rahmen der Bündnisverteidigung der NATO . Meine Damen und Herren, bei jeder großen nationalen Herausforderung kommt der Ruf nach der Bundeswehr: Bitte um Unterstützung! Die Bundeswehr kommt dem immer nach . Das ist auch ein Indiz für das Vertrauen der Bevölkerung in unsere Bundeswehr und ein Beweis für die professionelle Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten . Darauf können die Soldaten und ihre Angehörigen zu Recht stolz sein . ({1}) Auch und gerade jetzt stellt die Bundeswehr auch Liegenschaften und Manpower zur Unterstützung und zur Bewältigung der Herausforderungen infolge der vielen Flüchtlinge hier in Deutschland . Als verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion sage ich diese Unterstützung auch weiterhin zu . Die Flüchtlinge und Asylbewerber in Deutschland müssen mit der gebotenen Menschenwürde angenommen werden . Aber wir müssen zwischen den Schutzbedürftigen und den nicht Schutzbedürftigen differenzieren . Den Schutzbedürftigen, die aus Verzweiflung vor Krieg und Terror fliehen, werden wir helfen . Ich danke an dieser Stelle auch allen Hilfsorganisationen und der Bundeswehr, die zum Beispiel auch in meinem Wahlkreis in Celle einen tatkräftigen Beitrag zur Unterbringung von Flüchtlingen geleistet und ihnen ein Dach über dem Kopf geschaffen haben . Herzlichen Dank dafür . ({2}) Ich sage aber auch: Den nicht Schutzbedürftigen, die nur zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage zu uns kommen, müssen wir auch durch das Vorzeigen unserer eindeutigen Rechtslage sagen, dass sie in ihr eigenes Land zurückkehren müssen, notfalls auch unter Durchsetzung des Rechts . Das wird nicht immer einfach sein, ist aber unverzichtbar, auch und insbesondere zur Aufrechterhaltung der Akzeptanz der wirklich Schutzbedürftigen, denen wir helfen . Meine Damen und Herren, wir müssen einen klaren Blick für die Ursachenbekämpfung behalten, gerade weil die Auswirkungen der weltweiten Krisen in unseren Städten und Dörfern sichtbar angekommen sind . Wir müssen es schaffen, vor Ort Sicherheit und Stabilität als Basis für ein gesichertes Leben mit Perspektiven zu gewährleisten . Hier will, muss und wird Deutschland auch weiterhin einen Beitrag leisten, gerade auch im eigenen Interesse unseres Landes . Voraussetzung dafür ist eine finanzielle Absicherung der Aufgaben und eine personell und strukturell hinreichende Ausstattung, immer nach dem Grundsatz: Der Staat muss auf jede sicherheitspolitische Frage auch eine Antwort haben . - Die Bedrohungsszenarien sind dabei vielfältig: die konventionelle Bedrohung durch militärische Landnahme wie durch Russland in der Ukraine, der Vormarsch des IS-Terrors im Nahen Osten, Terrorstrukturen in Nigeria, zerfallende Staaten wie Libyen und Jemen und eine zunehmende Cybergefahr durch Eingriffe in und Angriffe auf digitale Versorgungs- und militärische Sicherheitsstrukturen . Deutschland tut alles, um die innere und äußere Sicherheit unseres Landes zu gewährleisten . Eine absolute Sicherheit kann es bei diesen asymmetrischen Gefahrenstrukturen nicht geben . Die Investitionen in die äußere und auch in die innere Sicherheit sind aber gut investiertes Geld; denn ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit, und die Freiheit gehört zu unserem Land . ({3}) Meine Damen und Herren, was gehört zu den notwendigen wesentlichen Maßnahmen? Zuallererst gut motivierte, gut ausgebildete, professionell arbeitende und loyale Mitarbeiter . Die Bundeswehr hat als größtes Unternehmen solche Mitarbeiter: die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Mitarbeiter . Mit dem Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz, dem Reformbegleitgesetz und dem Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz haben wir als Union viel dazu beigetragen, dass sich die Arbeitsbedingungen verbessert haben . Sehr geschätzte Frau Kollegin Evers-Meyer, wir alle müssen stetig eine Überprüfung durchführen . Deswegen war es auch gut, dass die vielen Privatisierungen des Ministers Scharping jetzt zurückgenommen worden sind und wir jetzt den Blick nach vorne richten und sagen: Erstens . Die sicherheitspolitische Entwicklung mit einer Zunahme vielfältiger Aufgaben der Bundeswehr erfordert auch eine stetige Überprüfung, zum Beispiel der personellen Obergrenze, damit die Bundeswehr auch in Zukunft ein Garant für die Sicherheit in Deutschland bleibt . Zweitens . Die sicherheitspolitische Entwicklung erfordert auch eine Beibehaltung des breiten Fähigkeitsspektrums unserer Armee . Das Unvorhergesehene kommt immer unvorhergesehener, und darauf müssen wir eine Antwort haben - gerne im europäischen Verbund dort, wo es funktioniert . Als Bottom-up-Prozess . Dabei müssen wir aber eben auch immer die Sicherheit unseres Landes fest im Auge haben . Drittens . Die sicherheitspolitische Entwicklung fordert eine konsequente Modernisierung unserer Ausrüstung: eine neue Generation von Gewehren und neuen Transport- und Kampfhubschraubern, ein Luftverteidigungssystem, ein Mehrzweckkampfschiff, ein neuer Schützenpanzer, ein zu entwickelnder Kampfpanzer . Das alles ist eine große Aufgabe, die wir tatkräftig anpacken . Viertens . Unsere Soldatinnen und Soldaten haben einen Anspruch auf das modernste Gerät, wenn sie für die Sicherheit einer der führenden Industrienationen bereit sind, Leib und Leben einzusetzen . Weil diese Ausrüstung nicht herbeigezaubert werden kann, brauchen wir eine leistungsstarke wehrtechnische Industrie, die genau solche komplexen, innovativen Systeme entwickeln und produzieren kann . ({4}) Hierbei sind sogenannte Schlüsseltechnologien, wie Sensorik, Schutz, Kommunikation und gepanzerte Fahrzeuge, von Bedeutung, um nicht abhängig zu werden und um die Souveränität unseres Landes zu gewährleisten . Abwanderungstendenzen deutscher wehrtechnischer Unternehmen ins benachbarte Frankreich sollten wir aus verteidigungspolitischer Sicht mit Skepsis betrachten . Unter Berücksichtigung der eben genannten vier Punkte gilt es fünftens, dass wir mit einer gesteuerten Rüstungsunterstützung gerade auch den Ländern helfen können, bei denen wir meinen, dass sie die Stabilität und die Sicherheit ihres Landes gewährleisten können, um Perspektiven für Wirtschaft, Gesellschaft und Bildung zu entwickeln . ({5}) Ein voranmarschierender IS-Terrorismus - Sie sagen es, Frau Keul - muss mit allen Mitteln gestoppt werden . ({6}) Wir werden nicht alle Flüchtlinge dieser Welt aufnehmen können . Wir wollen unsere Soldaten nicht in alle Krisenländer dieser Welt schicken. Dennoch profitiert gerade Deutschland von offenen Wegen und einer offenen Gesellschaftsstruktur . Deswegen ist es hier unsere Aufgabe, mit einem vielfältigen Angebot unseren Beitrag zu leisten . Wenn du die Herausforderungen und das Problem vor Ort nicht löst, dann kommt das Problem zu dir . Bei uns sind es die Flüchtlinge, die ein sichtbares Zeichen dafür sind, dass die Menschen vor Ort keine Perspektive mehr sehen . Es kommt eben darauf an, das zu tun, worauf es ankommt . Herr Leutert, als die Dörfer im Nordirak von IS-Terroristen angegriffen worden sind - das wissen Sie ganz genau -, gab es nur ein Mittel, dagegenzuhalten . Jetzt zu behaupten, wir hätten die PKK mit Waffen ausgestattet, ist entweder bewusst falsch dargestellt oder es ist einfach kaltschnäuzig, nach dem Motto: Man hätte mit ansehen müssen, wie die Kurden im Nordirak getötet worden wären . - Die Kurden haben sich dagegen gewehrt . Ich halte es für richtig, auch aus christlichen Gründen zu sagen: Wir helfen den Menschen, damit sie ihre Familien und ihre eigene Heimat beschützen können . ({7}) Worauf es ankommt, das soll das neue Weißbuch als Richtschnur der deutschen Verteidigungspolitik abbilden . Ich bin unserer Bundesverteidigungsministerin dankbar dafür, dass sie diesen Prozess angeschoben hat . Offenheit, Transparenz, der Mut zu notwendigen Entscheidungen, das erwarten die Bürgerinnen und Bürger zu Recht von uns . Um in Einigkeit und Recht und Freiheit leben zu können - ich schließe mit dieser Feststellung -: Es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit . Nur mit Sicherheit können wir in Freiheit leben . Dafür tragen wir als Deutscher Bundestag Verantwortung . Deswegen sollten wir diesem Haushaltsentwurf für 2016 zustimmen . Herzlichen Dank . ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Dr . Neu von der Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lassen Sie mich drei Anmerkungen zum Haushaltsplan für die Bundeswehr machen . Erste Bemerkung . Die Mittel in diesem Haushaltsplan betragen realiter 36,6 Milliarden Euro, nicht 34 Milliarden Euro, nimmt man die Haushaltsposten aus den anderen Einzelplänen mit dazu . Das heißt letztendlich, dass Deutschland mit dem Volumen des Einzelplans 14 plus denen der anderen Haushaltstitel über den viertgrößten NATO-Haushaltsplan verfügt . Es kommt noch besser . Weltweit belegt der Haushalt der Bundeswehr den achten Platz . Das heißt, der Militärhaushalt der Bundeswehr ist der achtgrößte in der Welt . ({0}) Damit gehört Deutschland weltweit zu den führenden Militärkräften, soweit es die Militärausgaben betrifft . ({1}) Sehr geehrte Steuerzahlerinnen und Steuerzahler oben auf den Tribünen, Sie zahlen im Jahr 2016 450 Euro pro Nase in diesem Land für die Bundeswehr . ({2}) Während in diesem Lande Rentnerinnen und Rentner Pfandflaschen einsammeln müssen, um zu überleben, während für die Sanierung von Schultoiletten kein Geld da ist, zahlen Sie 450 Euro für die Bundeswehr . ({3}) Zweite Anmerkung . Die globalen Militärausgaben betrugen 2014 1,78 Billionen US-Dollar, das heißt 1 780 Milliarden US-Dollar . Davon haben allein die NATO-Staaten 942 Milliarden US-Dollar aufgewendet . Das heißt, von den weltweiten Militärausgaben haben die NATO-Staaten 60 Prozent ausgegeben . Das neue und beliebte Feindbild der Bundesregierung, Russland nämlich, hat im Jahr 2014 84,5 Milliarden US-Dollar für sein Militär ausgegeben . ({4}) Das heißt, 9 Prozent dessen, was Russland ausgegeben hat - ({5}) Umgekehrt: Die NATO hat elfmal so viel wie Russland für den Militärhaushalt ausgegeben . Wir können gerne weiter vergleichen . Nehmen wir China . China hat im Jahr 2014 216 Milliarden US-Dollar für das Militär ausgegeben . Das sind 23 Prozent dessen, was die NATO ausgegeben hat . Oder umgekehrt: Die NATO hat viereinhalbmal so viel für ihr Militär ausgegeben wie China . ({6}) - Dazu komme ich gleich . - China und Russland kommen damit auf 32 Prozent dessen, was für die NATO-Militärhaushalte ausgegeben wurde . Mit anderen Worten: Die NATO hat das Dreifache dessen für Militär ausgegeben, was China und Russland gemeinsam für ihr Militär ausgegeben haben . ({7}) Daraus kann man schließen, dass die NATO den beiden Ländern China und Russland in militärischen Fragen weit überlegen ist, zumal die militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr und der US-Streitkräfte denen der russischen und chinesischen überlegen sind . Dennoch wird hier in diesem Land - und in anderen NATO-Ländern - so getan, als seien China und Russland eine militärische Bedrohung für den Westen, nur um langfristig die 2-Prozent-Marke in Bezug auf das Bruttosozialprodukt zu erreichen . Das hieße, in den nächsten Jahren werden wir irgendwann einmal bei 57 Milliarden Euro für die Bundeswehr liegen . Die Bundesregierung und ihr Hauptverbündeter, die USA, bauen auf diese Weise einen Bedrohungspopanz gegenüber Russland und China auf, der auf Ihre Kosten geht, sehr geehrte Steuerzahlerinnen und Steuerzahler . ({8}) Die Linke hingegen fordert: Stoppen Sie das Durchfüttern der Rüstungsindustrie als einzigem Nutznießer der angeblichen Bedrohungsszenarien! ({9}) Investieren Sie die Steuergelder in zivile Infrastruktur anstatt in militärische Sandkastenspiele! Die Bundesregierung macht seit Jahren genau das Gegenteil, aber nicht nur auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, sondern auch auf Kosten der inneren Sicherheit . Das vasallentreue Mitmachen bei US-Kriegen und Regime-Cha ngePolitik stellt eine wachsende Gefahr auch für die innere Sicherheit dar, da Deutschland als Mitaggressor wahrgenommen wird . Die Hochrüstung und die Nibelungentreue gegenüber den USA schaffen entgegen Ihrer Behauptung nicht mehr, sondern weniger Sicherheit für Deutschland . ({10}) Dritte Anmerkung. Die flüchtenden Menschen aus Afrika und Nahost, die nach Europa kommen, symbolisieren geradezu die zerstörerische Einmischungspolitik und die Kriege des Westens unter US-Führung . Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben, wie verlogen diese Politik ist . Zwischen 1991 und 1998 starben laut UNICEF im Irak 500 000 Kinder unter fünf Jahren aufgrund der UN-Sanktionen, deren Aufhebung von den USA blockiert wurde . Zählt man die über fünfjährigen Kinder und die Erwachsenen hinzu, sind es weit über 1 Million Menschen, die im Irak aufgrund der Sanktionen ums Leben kamen . Wie menschenverachtend diese Politik war, hat die damalige UN-Botschafterin und spätere Außenministerin der USA, Madeleine Albright, zum Besten gegeben . In einem Interview mit dem US-Sender CBS sagte sie auf die Frage des Journalisten - ich zitiere -: „Wie wir hören, Frau Albright, starben im Irak eine halbe Million Kinder . Ist es den Preis wert?“ Frau Albright antwortete: „Ja, wir glauben, es ist den Preis wert .“ Das sollte uns zu denken geben, sehr geehrte Damen und Herren . ({11}) Das sind die Verbündeten unserer Bundesregierung . Das sind die Werte, die wir mit den USA teilen . Das ist eine Schande! ({12}) Aber danach ging es - dagegen wirken die halbe Million fast wie „Peanuts“ - erst richtig los: Es gab Krieg gegen Serbien, den Irak, Afghanistan und Libyen, und es gibt den derzeit verdeckten Krieg in Syrien . Den Tod von Millionen Menschen als Kriegsopfer, Kriegsfolgeopfer und Sanktionsopfer durch NATO-Kriege und Kriege der USA im Rahmen der Koalition der Willigen kann man aber nicht verleugnen und auch nicht mehr verstecken . Auch die Flüchtlinge kommen mittlerweile zu uns . Die Linke fordert hingegen: Stoppen Sie die Hochrüstung Deutschlands! Das heißt, wir brauchen keine Kampfdrohnen, wir brauchen keine neuen Panzer, auch keine Fregatten und Transportflugzeuge. ({13}) Widmen Sie das Geld um in zivile Projekte für Menschen und Umwelt in diesem Land! Stoppen Sie die Teilnahme an der Einmischungspolitik und der Regime-Change-Politik gegenüber anderen Staaten! Das bedeutet einfach nur, das internationale Recht, wie es die UN-Charta darstellt, zu respektieren - nicht mehr und nicht weniger . ({14}) Verhindern Sie den Missbrauch deutschen Staatsgebietes für die US-Kriegsführung! Stichwort Ramstein und die Drohnentötung, die über Ramstein läuft . Sagen Sie: Nein, wir wollen das von deutschem Gebiet aus nicht mehr akzeptieren . Betreiben Sie aktiv Friedenspolitik für Europa unter Einschluss - nicht unter Ausschluss Russlands! Das heißt, tragen Sie dazu bei, dass es einen ökonomischen und sicherheitskollektiven Raum von Lissabon bis Wladiwostok gibt! Das sind, sehr geehrte Damen und Herren, die Parameter einer vernünftigen Außen- und Sicherheitspolitik . Das ist im Übrigen wesentlich kostengünstiger als das, was Sie uns vorschlagen . Danke . ({15})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Rainer Arnold von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Verteidigungspolitiker sind es ja in unserem politischen Alltag gewöhnt, dass - das passiert fast jeden Tag - neue Probleme auf unseren Tisch hageln . Dabei handelt es sich um wichtige und weniger große Probleme . Eines aber merken wir auch: Es relativiert sich alles, was wir diskutieren, angesichts der gigantischen humanitären Katastrophe in vielen Ländern Afrikas, an den Rändern Europas und, ja, auch mitten bei uns in Europa . Überall leistet die Bundeswehr ihre Beiträge - das wurde heute auch schon ausgeführt -: In internationalen Friedens- und Stabilisierungsmissionen, aber auch bei der Unterbringung der Flüchtlinge hier in unserem Land arbeiten Soldaten neben den zivilen Helfern und den Helfern aus den Rettungsdiensten . Das heißt, unsere Soldaten sind gute Staatsbürger in Uniform, und sie verdienen Dank und Respekt wie alle Helfer . ({0}) Spätestens angesichts dieser Katastrophe, die wir erleben, müssten eigentlich alle in der deutschen Gesellschaft mit Ausnahme der Linken - das haben wir wieder gemerkt; das gebe ich auf - verstehen, was mit der Forderung gemeint war: Deutschland muss mehr über die deutsche Verantwortung und die deutsche Rolle in der Welt sprechen . Es gibt zum Glück in Deutschland einen Konsens über unsere diplomatische, präventive und finanzielle Verantwortung angesichts der Lage der schutzsuchenden Menschen . Aber welche Rolle spielt das Militär in diesem Zusammenhang? Dies ist letztlich nicht geklärt, auch wenn wir immer wieder in Einzelfällen bei der Erteilung von Mandaten die Frage konkret beantworten . Es fehlt das grundsätzliche Verständnis, dass Streitkräfte selbstverständlich nicht die Probleme der Welt lösen können . Aber sie müssen Teil des vernetzten Ansatzes in der Welt sein . Denn die brutalen Mörderbanden und unmenschlichen Diktatoren sind nicht mit Worten zu stoppen, sondern man muss sich denen leider auch mit Waffen entgegenstellen . ({1}) Weil das so ist, werden wir uns alle in der Politik und Gesellschaft darauf einstellen müssen, dass in den nächsten Jahren die Außen- und Sicherheitspolitik stärker im Fokus unserer Arbeit liegen wird, auch wenn dies nicht allen gefällt . Es wird so sein . Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass wir eine Debatte brauchen: Müssen die Staatengemeinschaft und wir als Teil dieser Gemeinschaft bei erkennbaren Krisen nicht früher entschlossener handeln und eingreifen, statt so lange zu warten, bis das unermessliche menschliche Leid in der Tagesschau abends wirklich von niemandem mehr übersehen werden kann? Vor diesem Hintergrund diskutieren wir unseren Bundeshaushalt . Der Verteidigungsetat wächst leicht an . Das ist gut, und es geht nach den Irrtümern der vergangenen Jahre in die richtige Richtung . Aber wenn wir das ernst meinen - wir meinen es alle ernst -, dass die Fluchtursachen langfristig nur in den Krisenregionen bekämpft werden können, dann müssen wir uns auch dazu bekennen, dass alle Etats in unserem Haushalt, die sich um die internationale Verantwortung kümmern - humanitäre Hilfe, Polizeiausbildung, wirtschaftliche Zusammenarbeit, aber auch der Etat für Verteidigung -, in den nächsten Jahren deutlicher anwachsen müssen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden . Dies alles gehört zusammen . Es geht nicht nur um den Verteidigungsetat . ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren, diese Koalition, Abgeordnete und die Verteidigungsministerin haben in den vergangenen zwei Jahren viel angestoßen und auf den Weg gebracht, auch vergangene Fehler korrigiert und Gutes und Notwendiges für die Soldaten eingeleitet, insbesondere beim Attraktivitätsprogramm . Wir müssen jetzt allerdings aufpassen, dass wir die zivilen Beschäftigten nicht vergessen . ({3}) Der Wettbewerb um die klugen Köpfe gilt auch, wenn es gilt, gute Beamte und Administratoren und insbesondere gute technisch Qualifizierte zu finden. Deshalb ist das noch eine offene Baustelle . Sie haben unsere UnterDr. Alexander S. Neu stützung, wenn wir mehr für die Interessen und Belange der Zivilbeschäftigten tun . Sie sind dabei - das ist ein wichtiger Schritt -, die Anzahl der vorhandenen Großgeräte zu korrigieren . Sie haben den Begriff des sogenannten dynamischen Verfügbarkeitsmanagements selbst verwendet, Frau Ministerin . Ich glaube, wir alle verstehen ihn nur noch eher ironisch; denn er kaschiert eigentlich nur den tatsächlichen Mangel . Um das klar zu sagen: Angesichts der internationalen Aufgaben, die die Bundeswehr hat, und angesichts der Tatsache, dass sich die NATO notgedrungen wieder stärker auf ihre Kernaufgaben der Bündnisverteidigung besinnt, darf die Bundeswehr keine Strukturen haben, die hohl und letztendlich nur auf dem Papier vorhanden sind . Die Menge an Großgerät wieder auf 100 Prozent aufzufüllen, ist keine Aufrüstung . Vielmehr haben wir am Ende die Strukturen, die wir tatsächlich brauchen . Wir haben dann nichts Neues oder Zusätzliches, sondern nur das Notwendige für die Soldaten und die deutsche Sicherheit verfügbar . Nur so werden wir die Glaubwürdigkeit des NATO-Bündnisses bei der Verteidigungsfähigkeit erhalten und dafür sorgen, dass unsere osteuropäischen Partner mit ihren Sorgen wissen, dass sie sich auf Deutschland und die NATO tatsächlich verlassen können . Frau Ministerin, es wäre gut, wenn im Zuge dieser Haushaltsberatungen ein Plan vorgelegt wird, aus dem hervorgeht, wann in den nächsten Jahren welches Gerät in welcher Stückzahl beschafft und wie viel es kosten wird . Darüber müssen wir zügig reden, damit es nicht bei der Ankündigung bleibt . Sie haben - das ist wichtig effizientere Strukturen bei der Rüstungsbeschaffung eingeführt . Es gibt nun ein Rüstungsboard, das die Probleme nicht unter dem Tisch hält, sondern sie auf den Tisch legt; das war ein ganz wichtiger Schritt . Die kommenden großen Projekte wie MEADS, die Drohnenentwicklung und ein Mehrzweckkampfschiff werden hoffentlich nach neuen, besseren und effizienteren Verfahren durchgeführt und zum Erfolg führen . Nicht alles, was verändert werden muss, lässt sich aber in Gesetze und Verordnungen pressen . Vielmehr geht es auch um die Mentalität . Dabei spielt die Fehlerkultur, die in einem Haus herrscht, eine zentrale Rolle . Auch hier wurden Veränderungen eingeleitet . Das zeigt sich exemplarisch beim G36 . Anstatt wie viele Jahre zuvor Kritik zu unterdrücken und die Menschen, die Kritik äußern, zu mobben - das alles hat es im Einzelfall gegeben -, haben Sie jetzt die Probleme angenommen und offen benannt . Zusammen mit dem Verteidigungsausschuss haben wir nun begonnen, das alles aufzuarbeiten . Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Arbeitsgruppen im Oktober . Wir werden diese sorgfältig betrachten und darüber diskutieren . Wir müssen allerdings aufpassen, dass beim G36 kein falscher Eindruck entsteht . Wenn ein Gewehr nach 25 Jahren ausgemustert wird, dann geschieht das, nicht weil es Schrott ist, sondern weil seine Lebensdauer nur 20 Jahre beträgt . Die Frage, die beantwortet werden musste, lautete: Kaufen wir in den nächsten 30 Jahren neue G36 nach, oder entschließen wir uns angesichts einer veränderten sicherheitspolitischen und technologischen Welt für ein neues Produkt? Die Entscheidung, die nun getroffen wurde, ist richtig . Ich wünsche mir allerdings eine Partnerfirma, die das alte, schlichte Prinzip von Kaufleuten und Selbstständigen befolgt: Der Kunde ist König . - Ich habe nicht den Eindruck, dass dies angekommen ist . Das macht es uns in diesem Bereich besonders schwer . Zum Abschluss . Wie Sie bereits sagten, ist schon vieles auf den Weg gebracht worden . Wir wissen aber, dass der Weg im Bereich der Verteidigungspolitik kein endgültiges Ziel hat . Auf diesem Weg werden in den nächsten Monaten und Jahren noch viele Stolpersteine liegen . Uns ist auch klar, dass Verteidigungspolitik nicht nur als Reaktion auf Krisen zu verstehen ist; auch das muss geleistet werden . Aber Verteidigungspolitik ist mehr . Sie wird nur gut sein, wenn sie auf einer langen Zeitschiene Vorsorge für eine Welt trifft, deren Risiken in 20 oder 30 Jahren unbekannt sind . Aber wir wissen eines: Um dann gut aufgestellt zu sein, müssen in dieser Legislaturperiode die notwendigen und richtigen Entscheidungen getroffen werden . Sie haben unsere Unterstützung auf diesem Weg . Herzlichen Dank . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Doris Wagner von der Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen das Wort .

Doris Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004436, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich hat diese Woche ganz erfreulich mit einer guten Nachricht angefangen: Die Bundesregierung will künftig jedes Jahr 400 Millionen Euro mehr für die Bewältigung und Prävention von Krisen ausgeben . 400 Millionen Euro mehr, das bedeutet eine Verfünffachung des bisherigen Haushaltsansatzes für die zivile Krisenprävention . Das ist richtig, und das ist gut . ({0}) Doch die schlechte Nachricht ist: Dieses Geld ist gar nicht in dem Haushaltsentwurf veranschlagt, den wir heute debattieren . Die Entscheidung, die Mittel für die zivile Krisenprävention kräftig aufzustocken, fiel kurzfristig in einer Sitzung des Koalitionsausschusses am Wochenende . Damit ist diese Entscheidung eben nicht Ausdruck grundsätzlicher politischer Einsichten oder einer langfristigen Strategie; vielmehr offenbart die Bundesregierung damit vor allem eines: Erst wenn die Folgen des Krieges unser Land erreichen, erst wenn in Deutschland Flüchtlingsheime brennen, erst dann ist diese Regierung bereit, Geld für Frieden in die Hand zu nehmen und auszugeben . Mit einer konzeptionellen und strategisch durchdachten zeitgemäßen sicherheitspolitischen Finanzplanung hat das in meinen Augen nichts zu tun . ({1}) Frieden und Sicherheit sind vor allem mit einer vorausschauenden, vorrangig zivilen und umfassenden Außen- und Sicherheitspolitik zu erreichen . Dazu müssen wir die verschiedenen Instrumente der Verteidigungs-, Entwicklungs- und Handelspolitik eng verzahnen; da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Otte . ({2}) Doch diese mittlerweile selbstverständliche Erkenntnis spiegelt sich in unserem Haushaltsentwurf 2016 leider überhaupt nicht wider . ({3}) Statt einen konsequent umfassenden Ansatz zu verfolgen, orientiert sich die Bundesregierung in ihrer Budgetplanung an einem völlig veralteten Verständnis von Sicherheitspolitik . Ich würde gerne zwei Beispiele dafür anfügen: Erstens . Sicherheitspolitik à la Schwarz-Rot bedeutet vor allem Frieden schaffen mit noch mehr Waffen . Kein anderer Posten des Verteidigungshaushaltes wächst 2016 so stark wie die militärischen Beschaffungen . 550 Millionen Euro mehr will die Ministerin 2016 in Waffen investieren . ({4}) 550 Millionen Euro sind deutlich mehr als die eingangs erwähnten 400 Millionen Euro für zivile Krisenprävention . Zweitens . Außerdem ist die Bundesregierung nicht bereit, ihre Zusage für die Stärkung der Entwicklungspolitik einzulösen . 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens haben Sie versprochen; aber tatsächlich stagnieren die deutschen ODA-Mittel schon seit Jahren bei lediglich 0,4 Prozent . Ich frage Sie: Tragen wir wirklich zur Stabilisierung unserer südlichen und östlichen Nachbarschaft bei, indem wir uns vor allem neue Waffen zulegen? Ich denke, das ist nicht der Fall . ({5}) Viel besser wäre unser Geld doch investiert in Bildung, in Infrastruktur, in Maßnahmen zur Reform des Sicherheitssektors in unseren Nachbarregionen . Das ist moderne Sicherheitspolitik . Ein in meinen Augen völlig veraltetes Verständnis von Sicherheit zeigt die Bundesregierung auch bei der sogenannten Ertüchtigung von Partnerstaaten . Für diese Ertüchtigung sind im Einzelplan 60 erstmals 100 Millionen Euro vorgesehen . Ganz ausdrücklich soll damit auch die Lieferung letaler Waffen an staatliche Sicherheitsstrukturen der Partnerländer finanziert werden. Damit läuft die Bundesregierung endgültig Gefahr, dass sie mit ihrer Sicherheitspolitik nicht den Frieden, sondern, im Gegenteil, eher den Krieg befördert . Das möchte ich Ihnen mit drei Gründen darlegen: Erstens . Viele Menschen außerhalb Europas erleben staatliche Strukturen wie Armee und Polizei gerade nicht als Garant für ihre Sicherheit . Im Gegenteil: Soldaten und Polizisten dienen vielerorts vor allem dazu, unbequeme Oppositionelle zu bekämpfen . Zweitens . Was wir als Sicherheit bezeichnen, wird in vielen europäischen Staaten gar nicht von Armee und Polizei gewährleistet, sondern von zivilgesellschaftlichen Akteuren, von Menschen, die alle Bewohner einer Ortschaft kennen und die deshalb Vertrauen, Ansehen und Autorität genießen . Drittens . Es gibt besonders in schwachen Staaten keinerlei Gewähr dafür, dass die Waffen, die wir ihnen liefern, nicht in dunklen Kanälen verschwinden . Die sogenannte Ertüchtigung von Partnerstaaten setzt also bei den falschen Akteuren an . Sie ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer . Wer Waffen liefert, schafft Gewalt und neue Fluchtursachen, statt sie zu beseitigen. Das finde ich absurd . ({6}) Wenn wir Sicherheit und Frieden wirklich voranbringen wollen, müssen wir aufhören, unser Geld vor allem für neue Waffen auszugeben, und wir müssen damit anfangen, unsere Unterstützung sehr viel stärker als bisher auf gesellschaftliche Akteure auszurichten . Deshalb fordere ich Sie auf, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank: Nutzen Sie den Ressortkreis Zivile Krisenprävention, um die deutsche Sicherheitspolitik auf eine umfassende, moderne Grundlage zu stellen . Investieren Sie in Friedensforschung; denn nur wer die Ursachen für die Konflikte kennt, kann sie auch beseitigen. Stellen Sie diese 100 Millionen Euro, die zur Ertüchtigung vorgesehen sind, dem Ressortkreis Zivile Krisenprävention zur Verfügung; dann könnten auch das BMZ und das BMI dort Mittel beantragen, die der Stärkung der zivilen Strukturen und Akteure dienen können . Bitte, drehen Sie doch jeden Euro zweimal um, den Sie für neue Waffen ausgeben wollen . Das wird sich für uns alle auszahlen . Vielen Dank . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Ingo Gädechens von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, liebe Frau Bulmahn, Sie haben mir das letzte Mal erlaubt, dass ich hier Besuchergruppen begrüße . Der Zufall will das immer so: Ich freue mich, dass die Spitze der Kreisjugendfeuerwehr Ostholstein hier ist, und ich freue mich, dass die neunten Klassen der Inselschule Fehmarn - Fehmarn ist meine Heimatinsel - meiner Rede hier live folgen dürfen . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Aha, gut organisiert .

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hervorragend, Frau Präsidentin . Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verteidigungsetat - das machten die Wortbeiträge schon deutlich - ist ein besonderer; denn wir entscheiden nicht nur darüber, wie viel uns unsere Sicherheit wert ist, sondern es geht bei der Wertigkeit auch um Wertschätzung gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz im schlimmsten Fall ihr Leben riskieren . Dies unterscheidet unseren Etat von anderen Etats des Haushalts . Der Verteidigungsetat ist vor dem Hintergrund der Vielzahl an Krisen, die genannt wurden, und der wachsenden terroristischen Bedrohung gerade in diesen Tagen alles andere als trivial . Es geht um grundlegende Weichenstellungen, mit denen Deutschland den sicherheitspolitischen Anforderungen und seinen Bündnisverpflichtungen gerecht werden will, ja gerecht werden muss . Diese Anforderungen und Verpflichtungen sind im Vergleich zum letzten Etat vor einem Jahr erkennbar größer geworden . Nach wie vor sehen wir uns konfrontiert mit dem Konflikt in der Ukraine, und wir sehen einen barbarischen Terror des „Islamischen Staats“ im Irak und in Syrien, geprägt von unbeschreiblicher Grausamkeit . Wir erleben eine gefährliche Zuspitzung der Weltlage, von deren Folgen wir nicht unberührt bleiben . Wir erleben, wie aktuell Abertausende Menschen auf der Flucht vor Krieg und Gewalt Zuflucht in Europa und ganz besonders bei uns in Deutschland suchen . Angesichts dieser dramatischen Bilder bewegt es mich zutiefst, wie unser Land - auch das wurde schon mehrfach deutlich - zusammensteht und Flüchtlinge freundlich empfängt . Dies hat uns im Ausland viel Respekt eingebracht und zeugt vom Mut der Deutschen, sich mit Engagement dieser Flüchtlingskrise, diesen Flüchtlingsströmen zu stellen . Meine Damen und Herren, Deutschland sendet mit seiner Politik eine klare Botschaft aus: Wir dürfen und werden die Ausweitung der humanitären Katastrophe nicht zulassen . - Ich sage aber auch: Wir brauchen ein starkes Bekenntnis in Europa, dass alle Länder Verantwortung für Menschen übernehmen, die vor Verfolgung und Krieg fliehen. In Anbetracht des Ausmaßes der Flüchtlingsströme und des Leids der Menschen müssen wir eingestehen: Krisen und Konflikte, die manch einer weit weg glaubte, sind auf einmal ganz nah bei uns . Wir spüren seit Monaten: Kein Staat, kein Bündnispartner kann und darf sich wegducken . Ein freundliches Desinteresse hilft nicht weiter . ({0}) Die Folgen der Brandherde in Syrien, im Irak, im Jemen, in Afghanistan und wo auch immer sind über kurz oder lang auch bei uns zu spüren . Deshalb - angesichts der zunehmenden Krisen - und aus vielen anderen Gründen ist die Erhöhung der Verteidigungsausgaben notwendig und wichtig . ({1}) Die Erhöhung um rund 1,4 Milliarden Euro ist ein wichtiger Schritt und weist in die richtige Richtung . Sie beweist, dass Deutschland seiner sicherheitspolitischen Verantwortung gerecht wird . Von einer Friedensdividende, so wie wir sie in vergangenen Debatten eingefordert haben, kann keine Rede mehr sein . Nur der Teil auf der linken Seite des Hauses redet immer wieder und gern von der Abschaffung der Bundeswehr . Nein, meine Damen und Herren, innere und äußere Sicherheit gibt es nicht umsonst. Die finanzielle Ausstattung, der Mittelansatz im Einzelplan 14, hat darüber hinaus eine hohe Symbolkraft, auch für die mit uns befreundeten Nationen, gerade in Osteuropa . Die Bundeswehr hat sich in den vergangenen sechs Jahrzehnten stark gewandelt . Von einer reinen Verteidigungsarmee ist sie zu einer Armee im Einsatz geworden . Ich würde sogar so weit gehen und sagen: Die Bundeswehr ist im 60 . Jahr ihres Bestehens zu einer Armee im Dauereinsatz geworden . ({2}) Man gewinnt den Eindruck: Überall dort, wo es brennt, wo deutsche Hilfe gebraucht wird, wo Deutsche helfen können und sollen, wird zuallererst die Bundeswehr hingeschickt . Wir sehen es ganz aktuell an der Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmehr durch die Einheiten der Deutschen Marine oder an der Flüchtlingshilfe in Deutschland, welche Zelte und Unterkünfte zur Verfügung stellt . Die hohe Motivation, mit der sich die Soldatinnen und Soldaten diesen immer neuen Herausforderungen stellen, ist bewundernswert und verdient meinen besonderen Dank und unsere Anerkennung . Bei meinen Truppenbesuchen in der sitzungsfreien Zeit spürte ich einmal mehr, wie die Bundeswehr fester Bestandteil unserer Gesellschaft ist . Dabei geht es nicht nur um das, was in der regulären Dienstzeit geleistet wird, sondern es geht auch darum, wie sich Männer und Frauen der Bundeswehr - egal ob als aktive Soldaten, Zivilisten oder Reservisten - weit über das normale Maß in dieser Gesellschaft engagieren . Vielleicht spielt das innere Pflichtgefühl eine Rolle. Trotzdem ist es für mich beispielgebend, wie in den Landeskommandos nach zusätzlichen Unterkünften gesucht wurde und unbürokratische Hilfe geleistet wird, zum Beispiel im Materialdepot Wester-Ohrstedt . Jeder kennt es . Wer ist dort noch nicht gewesen? In Wester-Ohrstedt wurden sämtliche zur Verfügung stehenden Zelte in Windeseile zusammengestellt, und dabei hat keiner der Soldaten oder der 120 zivilen Mitarbeiter auf die Uhr geschaut, sondern es war Hilfsbereitschaft . In meinem Wahlkreis in Schleswig-Holstein wurden auf dem Truppenübungsplatz Putlos - die Bundesministerin hat andere Länder genannt - sehr schnell 900 Aufnahmeplätze bereitgestellt . Das alles ist wahrlich nicht selbstverständlich, und vielleicht sollten wir die vielen positiven Beispiele einmal sammeln, um sie in einer besonderen Weise zu würdigen . Meine Damen und Herren, die Vielzahl der nationalen und internationalen Einsätze erfordert nicht nur ein ausgesprochen hohes Engagement der Kameradinnen und Kameraden sowie der zivilen Mitarbeiter . Die ununterbrochene Einsatzbelastung fordert ihren Tribut beim Material . Der Verschleiß ist höher, der Lebenszyklus der Systeme wird kürzer, gleichzeitig steigt der Bedarf an Einsatzmaterial . Eine Erhöhung der Ausgaben für Instandsetzung, Wartung und Betrieb ergibt sich daraus zwangsläufig. Denn die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr darf nicht durch Materialengpässe gefährdet werden . Man muss sich immer vor Augen führen: Die Bundeswehr ist nur zu dem imstande, wozu wir sie befähigen und wie wir sie finanziell ausstatten. Nur ein solides Fundament für unsere Streitkräfte sichert Deutschlands sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit . Ich bin deshalb sehr froh, dass es unserer Verteidigungsministerin gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister gelungen ist, trotz Schuldenbremse eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben umzusetzen . Damit wird ein deutliches Signal gesetzt . Die Bundeswehr hat einen hohen Modernisierungsbedarf . Daher ist es besonders zu begrüßen, dass auch das Investitionsvolumen in der Bundeswehr deutlich erhöht wird . Ja, es ist richtig: Bei der gewünschten Quote von 20 Prozent an Investitionsausgaben sind wir noch lange nicht angekommen, aber eine Trendumkehr ist sichtbar und ausdrücklich zu begrüßen . Angesichts der Vielzahl neuer Bedrohungen und Herausforderungen ist es richtig, die Ausgaben im Verteidigungshaushalt zu erhöhen . Wir haben hier einen soliden, ausgewogenen und durchdachten Haushalt vorgelegt bekommen . Die Bundesregierung handelt entschlossen, und ich danke an dieser Stelle der Bundesministerin, die ihren Worten stets auch Taten folgen lässt . Herzlichen Dank . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Lars Klingbeil von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal ein Thema ansprechen, das in dieser Debatte bisher noch keine große Rolle gespielt hat, dem aber in der Verteidigungspolitik, so denke ich, ein größerer Stellenwert eingeräumt werden sollte, nämlich der Cyberpolitik . Ich glaube, hier stehen wir vor Herausforderungen, sodass wir in einer politischen Debatte Leitlinien festlegen müssen, sodass wir schauen müssen, wie wir agieren wollen . Wir alle sollten uns gemeinsam bewusst machen, dass dieses Thema in den nächsten Jahren massiv an Bedeutung gewinnen wird . In dieser Haushaltsdebatte müssen wir auch darüber reden, wie wir im Haushalt zu Verbesserungen kommen können . Sehr geehrte Frau Ministerin, wenn man sich den Einzelplan 14 anschaut, dann stellt man fest, dass das kein Thema ist, das in großer Breite und so angemessen, wie es sein sollte, im Verteidigungshaushalt auftaucht . Wir sollten dringend über gemeinsame Schritte reden . Wir alle wissen und haben es anhand vieler Beispiele in den vergangenen Monaten gesehen, wie verletzlich eine moderne Industriegesellschaft ist . Es geht um Fragen von Elektrizität . Es geht um Mobilität und Kommunikation . Das haben wir im Deutschen Bundestag selbst schmerzhaft erfahren müssen . Der Cyberraum wird zu einem neuen Operationsraum, auch wenn es um Kriegsführung, wenn es um Angriffe geht . Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte darüber und ein Bewusstsein dafür, wie wir gemeinsam vorgehen wollen . Das ist sicherlich nicht an vorderster Front Aufgabe des Verteidigungsministeriums . Es fallen uns ganz viele andere Ressorts ein, die dabei auch eine große Verantwortung haben . Wir müssen aber auch in der Sicherheitspolitik über die Frage der Cybersicherheit und über die Frage der Bedrohung im Cyberraum reden . Frau Ministerin, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie im Weißbuchprozess darauf einen Schwerpunkt legen . Hierzu findet in der nächsten Woche eine große Veranstaltung statt . Es wird darum gehen, gemeinsam zu analysieren, worin Bedrohungen liegen und welche Einsatzszenarien infrage kommen . Sie haben die strategischen Leitlinien vorgelegt . Ich stimme diesen nicht in jedem Punkt zu . Es war aber ein guter Aufschlag, dass die Debatte durch das Ministerium eröffnet worden ist . Ich glaube, dass wir noch konsequenter und noch schneller handeln und den Cyberraum als Ebene der Außen- und Sicherheitspolitik erschließen müssen . Das darf kein Modethema sein . Ich bin mir sicher: Sicherheits- und Außenpolitik werden dadurch dauerhaft und nachhaltig verändert . Dabei haben wir in Deutschland großen Nachholbedarf . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will fünf Felder nennen, über die eine Debatte in den kommenden Wochen meines Erachtens sehr wichtig ist: Das betrifft erstens den Schutz unserer kritischen Infrastruktur, den Schutz der Kommunikation . Dabei geht es darum, Angriffe im Inland abzuwehren . Es geht aber auch um den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten, wenn sich diese im Auslandseinsatz befinden. Für diese muss eine vertrauliche Kommunikation gewährleistet sein . Dafür brauchen wir die neuesten technischen Geräte, und wir müssen schauen, wie die Ausrüstung aussehen kann . Der zweite Punkt betrifft die Aufklärung . Dabei geht es darum, dass wir eigenständig Lagebilder erstellen können müssen . Ich will das hier auch deutlich sagen: Ich habe manchmal kein gutes Gefühl, wenn ich feststelle, dass wir auf Informationen anderer Länder zurückgreifen müssen . Da bestehen Abhängigkeiten . Wenn man sich einmal anschaut, wie mit Informationen vielleicht auch falsche Informationen ins Spiel kommen, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass es gut ist, eigene Aufklärungskapazitäten zu haben . Wir müssen schauen, wie das Ganze im Haushalt hinterlegt werden kann . ({1}) Der dritte Punkt, über den wir reden müssen - ich glaube, das wird die schwierigste Debatte hier im Haus -, betrifft die Frage, wie es neben den abwehrenden mit den Offensivkräften aussieht . Was wollen wir da? Wie sieht es da im Cyberraum aus? Ich habe an vielen Debatten dazu teilnehmen können . Ich glaube, dass wir in Deutschland noch keine festgelegte Position dazu haben . Wir müssen aber dringend darüber reden, ob wir offensive Fähigkeiten haben wollen und wie diese aussehen können, welche Maßnahmen es gibt und welche Akteure aktiv werden können . Der vierte Punkt bezieht sich auf die Strukturen . Wenn man sich die Bundeswehr anschaut, dann stellt man fest, dass es rudimentäre Strukturen im Cyberbereich gibt . Diese sind aber alle zersplittert . Wir müssen schauen, wie wir Strukturen bündeln können . Eine große Aufgabe wird es sein, ausreichend Personal vorzuhalten, das über das notwendige Know-how verfügt, im IT-Bereich unterwegs zu sein . Frau Ministerin, ich bin mir sicher: Wenn man einmal in Ihrem Haus bzw . bei der Bundeswehr nachschauen würde, dann würde ein großer Bedarf an zusätzlichem Personal deutlich werden . Insofern müssen wir gemeinsam darüber reden, wie wir Personal gewinnen können . Der letzte und fünfte Punkt, den ich ansprechen will, gehört auch dazu . Dieser steht sogar im Koalitionsvertrag . Darin steht, dass wir uns das Völkerrecht anschauen müssen . Wir müssen schauen, wie der Cyberraum hier vorgesehen ist, ob es zu einer Weiterentwicklung kommen muss . Wir müssen auch über so etwas wie eine gemeinsame Abrüstungspolitik im Cyberraum reden . Das ist eine große gemeinsame Verantwortung, die wir in internationalen Gremien tragen . Auch das gehört zu dieser Diskussion . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Meinung, dass diese Debatte hier im Haus dauerhaft die Außen- und Sicherheitspolitik verändern wird . Auch im Haushalt des Verteidigungsministeriums ist dieses Thema noch nicht ausreichend repräsentiert . Ich glaube, wir müssen in einer gemeinsamen Kraftanstrengung zu Veränderungen kommen . Insofern wünsche ich mir, dass wir in der nächsten Woche die Konferenz, aber insgesamt auch die Haushaltsberatungen nutzen, um zu schauen, in welchen Bereichen wir vielleicht Nachholbedarf haben . Herzlichen Dank fürs Zuhören . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Bartholomäus Kalb von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verteidigungsetat steigt stärker, als zunächst vorgesehen, nämlich auf 34,4 Milliarden Euro . Wir gehen praktisch über die ursprünglichen Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung hinaus . Das ist richtig, das ist gut, das ist notwendig, weil, wie wir sehen, unsere Bundeswehr vor ganz neuen großen Herausforderungen steht und wir diesem Umstand auch im Verteidigungsetat Rechnung tragen müssen . Herrn Kollegen Neu würde ich gern erklären, wie der Anteil von 1,17 Prozent am BIP zustande kommt; er ist aber nicht mehr da . Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass er etwa kritisieren wollte, dass in diese Prozentzahl auch noch die humanitäre Hilfe eingerechnet wird, die aus dem Topf des Auswärtigen Amtes finanziert wird - um nur ein Beispiel zu nennen . Den Kollegen Dr . Lindner kann ich beruhigen . Ich weiß, dass es in den Kreisen der Fachpolitiker durchaus die Annahme gibt, dass man den NATO-Standard in Höhe von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen sollte . Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Lücke zwischen 1,17 Prozent und 2 Prozent noch zu Zeiten meiner politischen Tätigkeit geschlossen werden wird . Wir müssen mit dem Geld, das wir zur Verfügung haben, sehr gut umgehen, es sehr effizient einsetzen. So müssen wir die Bündnisfähigkeit gewährleisten . Wir haben einen hohen Modernisierungsbedarf . Wir müssen auch die Leistungsfähigkeit wie den Wirkungsgrad und die Effizienz unserer Waffensysteme verbessern; das hat etwas damit zu tun, dass wir mit weniger Personal die Verteidigungsleistung und Schutzwirkung erzielen müssen, die wir brauchen . Wir brauchen eine Kompatibilität der Systeme innerhalb unserer Streitkräfte, aber vor allen Dingen auch mit unseren Bündnispartnern . Auch dies sind besondere Herausforderungen, damit wir Kooperationsfähigkeit beibehalten bzw . da, wo notwendig, wiederherstellen können . Wir wissen zugleich, dass es im Verteidigungsetat große Blöcke gibt, in denen ein Großteil der Mittel gebunden ist . Wenn ich an die Personalausgaben in Höhe von 11,4 Milliarden Euro und an die Versorgungsausgaben, für die ja 5,7 Milliarden Euro veranschlagt sind, denke, dann relativiert sich manches schon . Ich bin vor diesem Hintergrund sehr froh, dass wir trotzdem bei den verteidigungsinvestiven Ausgaben noch eine Steigerung hinbekommen haben . So können wir dem Umstand Rechnung tragen, dass bestimmte Systeme demnächst - leider mit Verzögerung - zulaufen . Wenn sie zulaufen, müssen sie auch bezahlt werden . Wir stehen ja vor der Beschaffung großer und teurer Systeme . Vor der Sommerpause haben wir - Frau Ministerin, Sie haben es vorhin angesprochen - eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen . Wir haben - Sie haben es schon gesagt - 18 sogenannte 25-Millionen-Vorlagen behandelt, die natürlich finanzielle Auswirkungen im nächsten, übernächsten und weiteren Folgejahren zeitigen werden . Wir haben auch einige grundsätzliche weittragende Entscheidungen getroffen, etwa dass wir mit Frankreich bei Aufklärungssystemen zusammenarbeiten wollen, oder auch hinsichtlich Flugabwehr und taktischer Luftverteidigung - um einige Beispiele hier zu nennen . Auf der anderen Seite haben wir die Entwicklung, dass sich die Bedrohungsszenarien und damit unsere AnLars Klingbeil forderungsszenarien ständig ändern . Auch darauf müssen wir eine Antwort geben, etwa im Bereich der Ausbildung und im Bereich der Ausrüstung . Hier stellt sich für die Führung des Ministeriums und die Führung des Militärs stets eine neue Aufgabe . Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist noch nicht abgeschlossen . Wir haben im Frühjahr das Gesetz zur Attraktivitätssteigerung verabschiedet, das wir alle ja insgesamt sehr begrüßt und unterstützt haben . Das heißt natürlich, dass das, was im Gesetz beschlossen wurde, auch im Haushalt entsprechend umgesetzt werden muss, und es wird im Haushalt auch entsprechend umgesetzt . Ich weiß, dass der Kollege Gädechens als engagierter Verteidigungspolitiker der Frau Bundesministerin noch weitere gute Vorschläge zukommen lässt . Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir jetzt in einer anderen Situation sind . Wir haben die Wehrpflicht ausgesetzt. Wir müssen das Personal auf dem freien Markt gewinnen . Ich freue mich, dass - Sie haben es bestätigt, Frau Bundesministerin, und ich konnte das auch im Rahmen meiner Sommerreise zu einigen Standorten feststellen - die Nachwuchsgewinnung erstaunlich gut läuft . Darüber können wir uns freuen; denn die Bundeswehr braucht gute Leute . Das gelingt, wenn das Angebot und die Nachfrage gut sind . Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundeswehr ist zurzeit an vielen Brennpunkten im Einsatz; das ist schon gesagt worden . Sie gibt Sicherheit, sie leistet Schutz und Hilfe, ({0}) und sie rettet Leben, wie wir es gerade im Mittelmeer erleben . Die Bundesministerin hat zu Recht darauf hingewiesen: Dort konnten 7 200 Menschen gerettet werden . ({1}) Ich denke, das ist eine ganz beachtliche Leistung . Es ist keine Floskel, wenn fast jeder Redner von uns das hier zum Ausdruck bringt, sondern es ist uns ein Herzensanliegen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr immer wieder für ihre Arbeit und für ihren Einsatz vor allem in den besonderen Situationen herzlich zu danken . Wir haben allen Grund, dankbar zu sein . ({2}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor wichtigen Veränderungen . Wir müssen unsere militärischen Fähigkeiten neu ausrichten . Vorhin war beispielsweise die Rede von den Schlüsseltechnologien, die für uns sehr wichtig sind . Viele Rüstungsunternehmen arbeiten jetzt im europäischen Verbund . Sie sind gar keine nationalen Unternehmen mehr oder werden es nicht mehr sein, sondern sie werden europäische Unternehmen sein . Wir haben in Deutschland aber neben den Schlüsseltechnologien in diesen Bereichen auch eine Vielzahl von Kernfähigkeiten, unter anderem durch unsere Ingenieure und unsere Facharbeiter . Diese sollten wir nicht verlieren; denn wir brauchen sie dringend, wenn wir unsere Bundeswehr und unsere befreundeten Armeen auch in der Zukunft mit hochwertigem Material und hochwertigen Einsatzmitteln ausstatten wollen . Deswegen begrüße ich es sehr, dass die Bundesregierung vor kurzem ein Strategiepapier vorgelegt hat . Offiziell heißt das Strategiepapier „Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland“ . Ich denke, es ist ein wichtiges Papier und eine wichtige Grundlage für weitere Entscheidungen, die zu treffen sein werden . Ich habe vorhin schon den Kollegen Gädechens angesprochen . Er hat der Bundesministerin dafür gedankt, dass sie den Worten ständig Taten folgen lasse . Auch wir Haushälter werden den Worten Taten folgen lassen: durch eine intensive und sachgerechte Beratung des Verteidigungsetats . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Runde hat Dr . Felgentreu von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke sehr . - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Verteidigungsetat 2016 wird sich deutlich niederschlagen, dass wir mehr für die Attraktivität der Bundeswehr als moderne Freiwilligenarmee tun und auch in Zukunft tun wollen . Allein für das mit dem wohlklingenden Etikett „Agenda Attraktivität“ versehene Maßnahmenpaket sind im Entwurf knapp 35 Millionen Euro vorgesehen . Dieses Geld soll für eine bessere Führungsund Organisationskultur ausgegeben werden, für die Vereinbarkeit von Familie und Dienst - sehr wichtig -, für planbare Arbeits- und Freizeit, für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und für moderne Unterkünfte . Hinzu kommen die direkten finanziellen Auswirkungen des Artikelgesetzes, das wir im Frühjahr beschlossen haben . Darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden . Die SPD-Fraktion begrüßt diese Entwicklung ausdrücklich . ({0}) Nur eine attraktive Bundeswehr wird als Freiwilligenarmee in einem Umfeld bestehen können, in dem Unternehmen und öffentlicher Dienst in scharfer Konkurrenz um tüchtige Arbeitskräfte werben . Dieses Geld ist deswegen gut angelegt, in die Sicherheit und in die Bündnisfähigkeit unseres Landes . Die Attraktivität des Dienstes, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat allerdings eine Dimension, die über die in der Agenda zusammengefassten Maßnahmen hinausgeht . Den meines Erachtens wichtigsten Beitrag dazu diskutieren wir, wenn es um die Ausrüstung geht . Mit „Ausrüstung“ meine ich eben nicht nur die hochwertigen, großen Waffensysteme . Natürlich, die Vollausstattung vom Panzer bis zur Luftabwehrrakete ist zu Recht ein wichtiges Ziel; Kollege Arnold hat gerade das Wesentliche dazu geBartholomäus Kalb sagt . Aber Ausrüstung - nicht wahr, Herr Gädechens? fängt nun einmal bei den Socken an . ({1}) Für die Zufriedenheit in der Truppe sind die Socken manchmal sogar wichtiger . ({2}) Denn daran, ob die Bundeswehr es schafft, den Soldatinnen und Soldaten die Dinge in ordentlicher Anzahl und Qualität zur Verfügung zu stellen, die sie für den täglichen Dienst brauchen, ermessen sie vom Gefühl her, welche Wertschätzung ihnen der Dienstherr entgegenbringt . ({3}) Es kann nicht angehen, dass sich bei jedem Standortbesuch die Vertrauensleute bei mir darüber beklagen, dass Kleidungsstücke, Nachtsichtgeräte oder Schutzwesten nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen . Es kann auch nicht so bleiben, dass ein Hauptgesprächsthema unter Soldatinnen und Soldaten gerade die Ausrüstungsgegenstände sind, die sie sich aus eigener Tasche selbst beschaffen, weil der Dienstherr damit nicht zu Potte kommt . Wir werden deshalb in der parlamentarischen Beratung noch einmal sehr genau hinsehen, wie viel Geld und welche organisatorischen Verbesserungen vorgesehen sind, damit die notwendige Normalausstattung bei den Leuten auch ankommt . Zweiter Punkt, der mir unter der Überschrift „Attraktivität“ sehr wichtig ist . Meine Gespräche mit Soldatinnen und Soldaten mit Kindern - darunter übrigens viele Alleinerziehende - ergeben ein ganz klares Bild: Die Kinderbetreuung während der Dienstzeit ist für sehr viele Soldatenfamilien ein Riesenproblem und damit auch ein Riesenanliegen . Als Familienvater weiß ich genau, wie wichtig eine zuverlässige Kita ist . Ich bin mir ganz sicher: Viele Soldatinnen und Soldaten werden auch unbequeme Dienstzeiten gerne in Kauf nehmen, wenn sie wissen, dass ihre Kinder gleichzeitig in guten Händen sind . Deshalb liegen die Standorte richtig, an denen es Standortkitas gibt . Niemand versteht die Bedürfnisse von Soldatenfamilien besser als Erzieherinnen und Erzieher, deren Arbeitsplatz in der Kaserne liegt . Der Auf- und Ausbau von Standortkitas ist deshalb der richtige Weg . Die SPD-Fraktion wird ihr Augenmerk darauf richten, welche Mittel der Haushaltsentwurf ganz konkret für die Verbesserung der Betreuungssituation vorsieht . Wir wollen einen Entwicklungsplan für die Kinderbetreuung in Soldatenfamilien, der in absehbarer Zeit zu einer bedarfsgerechten Versorgung mit Betreuungsplätzen in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsplatz führt . Zumindest an allen größeren Standorten halte ich die Standortkita für das beste Konzept . Wer sich selbst davon überzeugen möchte, dem empfehle ich, die Julius-Leber-Kaserne hier in Berlin aufzusuchen und sich mal anzugucken, wie das da umgesetzt wird . Meine Damen und Herren, die Zeit läuft mir davon . Wir haben viele Themen besprochen . Ich habe noch eines auf der Liste, aber das streiche ich jetzt, um Ihre Geduld nicht überzustrapazieren . ({4}) Wir besprechen ein anderes Mal, wie es mit dem Trennungsgeld und der Umzugskostenbeihilfe für Rückkehrer aus dem Ausland ist . Im Übrigen freue ich mich auf unsere Beratungen zum Haushalt 2016 und danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit auch noch für den letzten Redner in dieser Rederunde . Danke schön . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank, auch für die Rücksichtnahme . - Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor . Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Einzelplan 23. Können die Kolleginnen und Kollegen bitte zügig ihre Plätze einnehmen? Dann können wir mit den Beratungen beginnen . Als erster Redner in dieser Debatte hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dr . Müller das Wort . ({0})

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Jetzt ist die Stunde der Zusammenarbeit, um Kriege und Krisen zu verhindern und zu bewältigen . Das Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium, die Verteidigungsministerin und ich als Entwicklungsminister arbeiten gemeinsam erfolgreich an einem vernetzten Ansatz . Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik . ({0}) Bis zur Linken wird dieser Satz akzeptiert . ({1}) Wir haben eben zu Recht den Dienst der Soldaten der Bundeswehr gewürdigt . Zehntausende zivile Expertinnen und Experten sind in 80 Ländern der Welt, speziell in Krisen- und Kriegsgebieten, im Einsatz . Dafür möchte ich allen meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen . ({2}) Die Entwicklungspolitik rückt vom Rand ins Zentrum des politischen Geschehens - auch wenn mein Sitz irgendwann einmal hinten an die Regierungsbank geklebt wurde . ({3}) Der Entwicklungsminister ist durch die Aufgaben, vor denen wir stehen, mitten drin . Wir brauchen eine Verstärkung der Entwicklungspolitik zur Lösung der Probleme . Die dramatischen Flüchtlingsströme, die uns fordern und erschüttern, haben nämlich Ursachen und Gründe . Ich unterstütze alles, was diskutiert und auf den Weg gebracht wird, von der Kommune bis zum Bund; aber nur innenpolitisch zu reagieren, löst die Probleme in den Herkunftsländern nicht . Deshalb müssen wir weiter gehen und die Ursachen der Probleme in den Herkunftsländern angehen . ({4}) Wir, aber auch die anderen Staaten Europas und die Weltgemeinschaft sind gefordert, unserer Verantwortung für Entwicklung, Stabilität und Sicherheit stärker als bisher nachzukommen . Ich komme gerade vom Afrika-Forum, das wir zusammen mit der OECD ausrichten . Ich habe mich mit dem Friedensnobelpreisträger Kofi Annan ausführlich darüber unterhalten, wie wir in Syrien, im Irak und in den afrikanischen Ländern die Ursachen dieser Fluchtbewegungen bekämpfen können . Als Entwicklungsminister möchte ich klar sagen: Das geht nur lokal, national und international . Das heißt, wir brauchen jetzt dringender als je zuvor einen neuen Vorstoß der internationalen Staatengemeinschaft . Wir brauchen einen Vorstoß der UN, um den Krieg und das Morden in Syrien zu stoppen; auch darüber habe ich mit Kofi Annan gesprochen. ({5}) Das sollten wir mit den Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses besprechen . Wir brauchen wieder Strukturen und staatliche Institutionen in Libyen . Das Format der Iran-Verhandlungen könnte die Basis für einen neuen diplomatischen Verhandlungsansatz sein . Millionen von Menschen, Familien in Syrien, im Irak und in den umliegenden Ländern, befinden sich in einer dramatischen Situation: 12 Millionen Menschen sind auf der Flucht, 500 000 sind in Deutschland angekommen, 800 000 Flüchtlinge sind prognostiziert . Denn die Menschen sind Hunger, Tod, Elend, dem drohenden Winter und unzureichender Versorgung ausgesetzt . Es fehlt an allem . Das kann so nicht bleiben . ({6}) Es kann und darf doch nicht sein, dass das Welternährungsprogramm die Nahrungsmittelversorgung für Babys im Libanon und im Nordirak jetzt kürzen muss . Das muss man sich einmal vorstellen: 100 000 Babys sind in diesen Ländern in den letzten zwei Jahren auf Zeltplanen geboren worden, und weil wir, die Weltgemeinschaft, nicht genügend Geld zur Verfügung stellen, muss die Nahrungsmittelversorgung auf 1 000 und weniger Kalorien pro Tag reduziert werden . ({7}) Das ist nicht die Lösung der Probleme . Da müssen die Menschen doch zu uns kommen! ({8}) Europa mangelt es an Entschlusskraft . Ich habe schon vor einem Jahr ein Not- und Sofortprogramm mit einem Volumen von 10 Milliarden Euro und einen Sonderbeauftragten der Europäischen Union für Flüchtlingsfragen gefordert, der die Maßnahmen der EU koordiniert, aber auch für Europa als zivile Friedensmacht in diesen Ländern Flagge zeigt . Jetzt können Tausende Menschenleben gerettet werden und Hunderttausende von der Flucht abgehalten werden . Wir dürfen uns nichts vormachen: Die Bilder von der Ankunft der Flüchtlinge in Deutschland - das ist großartig, herzlichen Dank; das ist praktizierte Humanität! - werden in den Flüchtlingscamps millionenfach angeschaut . Sie sind ein Signal: Wenn sie uns hier, im Nordirak, in Dohuk, in Mossul, in den verschiedenen Städten und Gebieten in der Türkei, alleinlassen, dann müssen wir nach Deutschland, nach Europa aufbrechen, um unser Leben zu retten . Deshalb brauchen diese Aufnahmeländer verstärkt unsere Hilfe . Ich habe dies schon vor zwei Jahren gesagt . Zwischenzeitlich haben wir, das BMZ, mit unseren Organisationen - beispielsweise Welthungerhilfe und UNICEF, um zwei zu nennen - in nahezu 200 Hilfsprojekten 1 Milliarde Euro eingesetzt . Wir haben zum Beispiel, um konkret zu werden, im Libanon Schulen für 80 000 Kinder gebaut . Ich kenne die Situation in deutschen Schulen, wo bei 25 Kindern in einer Klasse in Zukunft 5 syrische Flüchtlingskinder mit unterrichtet werden müssen . Im Libanon sitzen aber neben 25 libanesischen Kindern 25 syrische - halbe-halbe . In Jordanien gibt es Städte mit 60 000 Einheimischen und 60 000 Flüchtlingen . Wir sind aufgerufen, dort in Stabilität und in die Zukunft dieser Menschen zu investieren . Dank des Haushaltsaufwuchses - dafür vielen herzlichen Dank - werden wir unsere Maßnahmen gezielt verdoppeln . Neben Investitionen in die Infrastruktur werden wir mit einer Ausbildungsinitiative einen neuen Schwerpunkt setzen . Zunächst sollen fünf neue Berufsbildungszentren entstehen . Wir werden im BMZ auch Haushaltsumschichtungen vornehmen . Darüber werden wir mit den Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern diskutieren; das haben wir im Übrigen auch im letzten Jahr gemacht . Das habe ich auch Brüssel vorgeschlagen: Nehmt die Siebenjahrespläne und konzentriert 5 oder 10 Prozent der Haushaltsmittel auf die aktuellen Herausforderungen . So ergäben sich 10 oder 15 Milliarden Euro in Brüssel . Wir werden die erwähnte Umschichtung vornehmen, ohne unsere klassischen Aufgaben zu vernachlässigen . Mit den von der Koalition am Wochenende beschlossenen 400 Millionen Euro werden wir einen weiteren Schritt unternehmen können, aber die Probleme werden wir damit nicht lösen . Der Vorschlag ist, eine weitere Konzentration im BMZ vorzunehmen . Dabei können wir unsere klassischen Aufgaben aber nicht komplett verBundesminister Dr. Gerd Müller nachlässigen . Wir konzentrieren unsere Mittel . Deshalb können wir 1 Milliarde Euro für die Menschen in den Krisengebieten bereitstellen, für Unterkünfte, für Kinder, für Schulen, für Krankenhäuser und - das ist mir besonders wichtig - für Traumaarbeit . Ich kündige nicht nur an - ich stehe hier in Berlin, nicht in Brüssel -, sondern wir setzen auch um . Wir haben Traumazentren aufgebaut . Sie arbeiten bereits . Die Frauen und Mädchen, aber auch die jungen Soldatinnen und Soldaten müssen eine Unterstützung und eine Behandlung erhalten . Mit 1 Milliarde Euro in den Krisengebieten können wir mehr bewegen als mit 10 Milliarden Euro hier . Ich will nicht beides gegeneinander ausspielen . Die Hilfe hier ist notwendig; aber mit 1 000 Euro kann das Überleben einer Flüchtlingsfamilie im jordanisch-syrischen Grenzgebiet ein Jahr lang gesichert werden, während dafür hier der 10-, 15- oder 20-fache Ansatz erforderlich ist . Die Menschen aus den Krisengebieten - auch das möchte ich sagen - wollen eigentlich nicht hierherkommen . Sie müssen mit ihren Familien hierherkommen, aus Not und Elend heraus, um zu überleben . Sie würden, wenn es denn möglich wäre, viel lieber vor Ort bleiben . Ich begrüße die Analyse und die Vorschläge von Kommissionspräsident Juncker bezüglich eines Sonderpaketes von 1 Milliarde Euro . Es hat Monate gedauert, und das Geld fließt noch nicht in die Projekte. Jetzt wurden 1,8 Milliarden Euro, vielleicht auch 1,85 Milliarden Euro für Afrika angekündigt . Das ist ein richtiger Schritt . Das ist aber absolut keine ausreichende Antwort . Wir brauchen ein Gesamtkonzept . Wir brauchen kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen, eine bessere Koordinierung, einen EU-Koordinator, und wir brauchen einen EU/UN-Vorschlag für den EU-Afrika-Gipfel . Natürlich müssen wir auch die afrikanischen Staaten in die Verpflichtung nehmen. Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung heißt die Devise für Afrika . Dies muss und wird der Schwerpunkt in den nächsten Jahren sein . Afrikas Jugend braucht eine Perspektive, eine Lebensperspektive . Der afrikanische Kontinent - ich komme gerade tief beeindruckt von den Gesprächen beim Afrika-Forum zurück - wird sich bis 2050 bevölkerungsmäßig verdoppeln . Es werden 2 Milliarden Babys geboren, 2 Milliarden Babys in den nächsten 30 bis 40 Jahren! Diese Kinder brauchen später Arbeit, sie brauchen eine Zukunft, eine Lebensperspektive . Ansonsten machen sie sich später auf über das Mittelmeer nach Deutschland, nach Europa . Die Dynamik des afrikanischen Kontinents ist auch eine große Chance . Europa muss - dies ist auch ein konzeptioneller Vorschlag - dabei insbesondere den Blick auf die nordafrikanischen Staaten richten . Wir Europäer sind nur einen Steinwurf über das Mittelmeer entfernt . Viele waren in Spanien und Gibraltar . Nur wenige Kilometer davon entfernt ist Marokko . Auch Kos und andere griechische Inseln sind letztlich nur wenige Kilometer von Afrika entfernt . Wir brauchen einen neuen Vorstoß, den Mittelmeerraum als unseren politischen und wirtschaftlichen Partner zu begreifen . ({9}) Wir brauchen eine neue EU-Afrika-Mittelmeerpartnerschaft . Diese Länder brauchen den Zugang zu europäischen Märkten . Sie brauchen deutsche, europäische Investoren . Dazu benötigen wir auch neue Instrumente im steuerlichen Bereich, im Abschreibungsbereich, um Investments oder Joint Ventures zu fördern . Diese Anreize müssen wir entwickeln . Ich werde deshalb noch in diesem Jahr ein Zentrum für Wirtschaft und Entwicklung im Haus der Wirtschaft eröffnen, um wirtschaftliche Partnerschaften zu fördern . 500 000 deutsche Unternehmen sind in der Welt engagiert, davon nur 1 000 in Afrika . Das müssen wir ändern . Wir wollen mittelständische Betriebe, Kommunen, Kammern, Verbände insbesondere an die nordafrikanischen Märkte heranführen . ({10}) Das Entwicklungsjahr 2015 ist auch ein Gipfeljahr . Der G-7-Gipfel in Elmau war eine entwicklungspolitische Zeitenwende mit einem Bekenntnis zu fairen Wertschöpfungsketten . Liebe Claudia Roth, wir zwei hätten uns das ein Jahr vorher überhaupt nicht vorstellen können . Aber es kam, und diese Wende hat unsere Kanzlerin herbeigeführt . Elmau war ihr Erfolg, der Erfolg von Bundeskanzlerin Angela Merkel . Wir haben ein Bekenntnis zu fairen Wertschöpfungsketten . Wie wurde ich am Anfang kritisiert oder belächelt wegen unseres Textilbündnisses! Das ist eine Blaupause für den fairen Handel in der Welt - weg vom freien zum fairen Handel . ({11}) Es gibt die Perspektive eines carbonfreien Jahrhunderts - carbonfreies Jahrhundert! - und die Vision einer Welt ohne Hunger . Diese Vision werden wir zur Realität machen. Ferner gibt es die Verpflichtung zur Stärkung der Rechte der Frauen . Nun stehen wir vor den Gipfeln in New York und in Paris . Deutschland hat auch mit Blick auf den Klimagipfel in Paris mit seiner Nachhaltigkeitsagenda und mit der Ankündigung der Verdoppelung der Klimamittel vorgelegt . Warum sage ich das? Weil wir, das Entwicklungsministerium, das operative Klimaministerium sind . Wir setzen die Klimaverpflichtungen der Bundesregierung um. Wenn vom Fraktionsvorsitzenden der SPD und vielen anderen gesagt wird, der Müller könne doch jetzt alles in die Bekämpfung von Fluchtursachen investieren, muss ich sagen, dass das natürlich nicht geht . Wir müssen unseren klassischen Aufgaben gerecht werden sowie mittelund langfristige Ansätze weiterentwickeln . Dazu gehört natürlich auch die Umsetzung der Klimaverpflichtungen, die sich in unserem Haushalt abbilden . ({12}) Wir setzen dies um . Beispielsweise habe ich vor 14 Tagen eine Vereinbarung in der Größenordnung von 500 Millionen Euro zum Tropenwaldschutz in Brasilien geschlossen . In 14 Tagen unterzeichne ich ein Abkommen zum Ausbau der erneuerbaren Energien in Indien . Wir investieren in Waldschutz, in Aufforstung . Der KliBundesminister Dr. Gerd Müller maschutz ist für mich neben der Ernährungssicherung die Überlebensfrage der Menschheit . Eine Welt ohne Hunger schaffen, Klima, Schöpfung und Umwelt bewahren, in Gesundheit und Ausbildung investieren - all dies schafft Zukunft für die Menschen in unseren Partnerländern . Wer Zukunft, Arbeit und Lebensperspektive für sich sieht, der begibt sich nicht in die Hände von Schleppern . Das muss ich sagen, wenn ich die jungen Leute hier oben auf der Tribüne sehe . Das ist die Botschaft . ({13}) Deshalb ist jeder in Entwicklungspolitik investierte Euro eine Investition in Zukunft und Frieden . Der BMZ-Haushalt steigt um 14 Prozent, um nahezu 1 Milliarde Euro . Dafür bin ich sehr dankbar . Das ist der höchste Aufwuchs der vergangenen Jahre oder Jahrzehnte . ({14}) Herzlichen Dank allen Kolleginnen und Kollegen! Notwendig aber ist, den Herausforderungen jetzt mit einem globalen Gesamtkonzept, national, europäisch, international, und einem Paradigmenwechsel zu begegnen, einem Konzept für einen fairen Welthandel, für eine neue Ressourcenpartnerschaft und für eine Vervielfachung privater Investitionen . Investitionen in Entwicklung sichern Überleben, Frieden und Zukunft für unsere Kinder und den Planeten . Vielen Dank . ({15})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Michael Leutert von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Ich könnte heute eigentlich exakt die gleiche Rede halten, die ich hier vor einem Jahr gehalten habe, als wir über den Haushalt 2015 beraten haben . Seitdem hat sich nämlich nichts Fundamentales geändert . Wir stehen vor den gleichen Herausforderungen. Es sind die gleichen Konflikte, die gleichen Probleme und damit auch identische Aufgaben für uns, nur mit einem einzigen Unterschied: Alles ist noch viel größer geworden . Schaut man sich jetzt die Dimension der gewaltigen Probleme an, dann weiß man auch: Dies ist durch ein Land allein nicht zu bewältigen und erst recht nicht durch ein Ministerium allein . Wir haben Syrien heute mehrmals angesprochen: 21 Millionen Einwohner, davon 12 Millionen Flüchtlinge. 4 Millionen davon befinden sich in den umliegenden Ländern, in Jordanien, in der Türkei, im Libanon . Das Nachbarland Irak ist instabil und wird ebenfalls von Terror und Krieg beherrscht . Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ hält weiterhin große Landstriche in Syrien und im Irak unter seiner Kontrolle . Nun ist Erdogan so dumm, dass er ganz offen die Konfrontation mit den Kurden im eigenen Land, aber auch in den Nachbarländern Syrien und Irak sucht und militärisch gegen sie vorgeht . Dadurch besteht natürlich die Gefahr, dass der Flächenbrand, der ohnehin schon vorhanden ist, noch größer wird . Wir haben dazu allerdings auch noch Waffen geliefert . Nach neuesten Informationen ist Russland ganz klar an der Seite von Assad militärisch engagiert . Wir sind also in dieser Region weiter als je zuvor davon entfernt, Frieden zu haben . Krieg ist Fluchtursache Nummer eins . Deshalb ist die Befriedung dieser Region Grundvoraussetzung, um die sogenannte Flüchtlingskrise lösen zu können . Die Befriedung dieser Region ist Grundvoraussetzung, damit sich wieder wirtschaftliche Entwicklung entfalten kann . Die Befriedung dieser Region ist auch Grundvoraussetzung dafür, dass wir wieder mit der eigentlichen Entwicklungszusammenarbeit beginnen können, also mit dem Kerngeschäft Ihres Ministeriums . Wie gesagt, leider sind wir davon sehr weit entfernt . Wir müssen jetzt die Not der Flüchtlinge lindern, damit ihr Leben zumindest einigermaßen erträglich wird . Das können wir nicht nur tun, sondern das müssen wir tun. Das ist unsere humanitäre Pflicht. Herr Minister, ich weiß: Sie sind mit Herz und Verstand bei der Sache, und Sie sind auch überzeugend . Aber ich verstehe nicht, warum wir angesichts der immensen Herausforderungen nicht endlich die notwendigen Mittel in die Hand nehmen, um effektiv und umfassend helfen zu können . Wann, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn nicht jetzt wollen wir unserer internationalen Verpflichtung nachkommen und 0,7 Prozent des BIP für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen? ({0}) Der Winter steht vor der Tür, und die meisten Flüchtlinge leben immer noch in Zelten . Selbst bei uns in Europa ist nicht überall vorgesorgt; ich erinnere nur an die Bilder, die uns aus Ungarn, Serbien oder Mazedonien erreichen . Ich möchte einfach nicht - es gibt schon genug Bilder von diesem Elend -, dass wir auch noch Bilder von erfrorenen Flüchtlingskindern sehen müssen . Ich habe letztes Jahr darauf hingewiesen - ich tue es heute gern noch einmal -: Im Auswärtigen Amt stehen mittlerweile über 0,5 Milliarden Euro für die humanitäre Hilfe zur Verfügung, in Ihrem Ministerium für die Folgehilfe allerdings nur 220 Millionen Euro . Dort muss nachgebessert werden . Das passt so nicht zusammen . Eine Ihrer Sonderinitiativen heißt „Fluchtursachen bekämpfen - Flüchtlinge reintegrieren“ . Dafür haben Sie 110 Millionen Euro vorgesehen, aber global . Allein in Afghanistan gibt Deutschland jedes Jahr über 500 Millionen Euro für den Wiederaufbau aus . Auch dort sind die Ergebnisse eher ernüchternd . Das zeigt doch, dass die Mittel hinten und vorn nicht ausreichen werden . Klar ist natürlich, dass unsere finanziellen Möglichkeiten immer beschränkt sein werden . Deshalb müssen wir uns auf Schwerpunkte verständigen . Das wurde verschiedenartig versucht, etwa durch regionale SchwerBundesminister Dr. Gerd Müller punkte mit dem Konzept der Ankerländer oder der Schwerpunktländer . Sie haben es mit einer thematischen Konzentration in Form der Sonderinitiativen versucht . Ich glaube, man sollte beides miteinander kombinieren, damit man zu Synergieeffekten kommt, und man sollte zuspitzen . Eine thematische Kernaufgabe - Sie haben sie angesprochen - ist derzeit natürlich die Flüchtlingshilfe . In diesem Zusammenhang bilden Syrien und die an Syrien angrenzenden Länder den regionalen Schwerpunkt . Ich finde, man sollte Prioritäten setzen, zuspitzen und sich in allererster Linie um die Familien mit Kindern kümmern . Wenn wir es nicht schaffen, den Kindern - trotz widrigster Umstände - Bildung mit auf den Weg zu geben und ihnen so wenigstens einen Hauch von Perspektive zu verschaffen, dann wird die nächste verlorene Generation heranwachsen . Ich meine nicht, Herr Minister - das hatten Sie angesprochen -, dass man die anderen Dinge nicht tun sollte . Wenn man in einem Flüchtlingslager hilft, muss zuerst die Schule gebaut werden . Wenn die Schule gebaut ist, dann kann man auch die Straße bauen . ({1}) Sie selbst haben erwähnt, dass es in den syrischen Flüchtlingslagern mittlerweile circa 100 000 Neugeborene gibt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, um diese Kinder müssen wir kämpfen; ich glaube, es lohnt sich . Ansonsten haben sie keine Chance, und wir stehen in der Zukunft vor noch größeren Problemen . Wir Linken werden uns mit Vorschlägen, die in diese Richtung weisen, in die Beratungen einbringen . Ich freue mich auf die Diskussion, die wir in den nächsten Wochen darüber führen werden . Vielen Dank . ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Leutert . - Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von meiner Seite aus einen schönen, guten Nachmittag . Wenn ich schon einmal das Mikro habe, wünsche ich dem Minister im Namen der Entwicklungspolitiker und -politikerinnen und der Haushälter, die für diesen Bereich zuständig sind, alles Gute zu seinem kugelrunden Geburtstag . ({0}) Wir wünschen Ihnen viel Kraft, die Sie angesichts dessen, was in der Welt los ist, sicher gebrauchen können . Ich begrüße den ehemaligen Vorsitzenden des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Thilo Hoppe, auf der Tribüne . Herzlich willkommen, lieber Thilo! ({1}) Jetzt kommen wir wieder zur Tagesordnung . Die nächste Rednerin ist für die SPD Sonja Steffen . ({2})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister, auch von den Haushaltspolitikern alles Gute zum runden Geburtstag! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Wenn man die schwierigen Haushaltsdebatten der letzten Tage verfolgt hat, stellt man fest: Es gibt einen Grund zur Freude . Es ist der folgende: Während die Entwicklungszusammenarbeit in den letzten Jahren aus meiner Sicht doch eher ein Schattendasein führte, ist sie in diesen Debatten zu einem überragend wichtigen Thema geworden . Das hat mich sehr gefreut . Es freut mich auch, dass wir heute endlich einmal zu halbwegs prominenter Zeit über diesen Einzelplan reden . ({0}) Bei uns im Bundestag, aber auch innerhalb der gesamten Bevölkerung ist inzwischen deutlich geworden, dass die Entwicklungszusammenarbeit in der Zukunft mit über das Schicksal der gesamten Menschheit entscheiden wird . Es gibt eine aktuelle Studie von Emnid - sie ist ganz neu -, die besagt, dass sich 81 Prozent der Deutschen das sind vier von fünf Deutschen - für die ODA-Quote aussprechen . 81 Prozent der Deutschen wollen mehr für die Bekämpfung der Armut und für Forschung und Entwicklung in Bezug auf sogenannte Armutskrankheiten ausgeben, und, Herr Minister, rund jeder Zweite würde Fairtrade-Produkte kaufen, und zwar nicht nur Schokolade und Kaffee, sondern auch Textilien . Für das kommende Haushaltsjahr haben wir in unserem Einzelplan - das ist schon gesagt worden - 880 Millionen Euro mehr als dieses Jahr . Das ist tatsächlich eine beispiellose Entwicklung . In den letzten zehn Jahren ist unser Einzelplan um fast 100 Prozent gewachsen . 2005 waren es circa 3,8 Milliarden Euro, jetzt sind wir bei 7,4 Milliarden Euro . Der große Sprung ist sehr erfreulich . Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sehen, dass sich beispielsweise die Zahl der Flüchtlinge in diesem Zeitraum um 20 Millionen Menschen erhöht hat . Wir müssen uns auch der Frage stellen, ob die Entwicklungszusammenarbeit in der Vergangenheit möglicherweise versagt hat . Diese Frage kann jedoch nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantwortet werden . Es gibt beispielsweise eine erfreuliche Zahl: Die Zahl der ärmsten Menschen - das sind diejenigen, die weniger als 1,25 Dollar täglich zur Verfügung haben - hat sich weltweit in den letzten 15 Jahren halbiert . An dieser Stelle können wir also sagen: Wir haben das Millenniumsziel, das wir uns gesetzt hatten, erreicht . Wir müssen daneben auch bedenken, dass es Flucht und Migration schon immer gab - aus unterschiedlichen Gründen . Die Menschen wurden vertrieben, oder sie haben sich selbst auf den Weg gemacht . Ich habe mich heute Morgen sehr gefreut, als Kommissionspräsident Juncker in seiner Grundsatzrede folgenden Satz gesagt hat, den ich für sehr wichtig halte: Wir alle sind Flüchtlinge . - Das galt bis 1989 übrigens auch für viele Osteuropäer . Es gab viele Flüchtlinge aus Osteuropa, und manchmal muss man glauben, dass die osteuropäischen Länder derzeit von einer gewissen Amnesie befallen sind, was sehr traurig ist . Konflikte sind also die Hauptursache für Flucht und Vertreibung . Nur ein Bruchteil der Menschen macht sich aus rein ökonomischen Interessen auf den Weg . 55 Prozent der Flüchtlinge - das wurde schon gesagt kommen aus fünf Kriegs- oder Krisenstaaten . Dazu gehören Afghanistan, Somalia, der Irak, Syrien und der Sudan . Wir müssen uns fragen: Wo kann die Entwicklungszusammenarbeit ansetzen, um Fluchtursachen wirkungsvoll entgegenzutreten? Müssen wir vielleicht andere Prioritäten setzen? Wichtig ist, dass wir den Aufwuchs der Mittel, den wir jetzt zur Verfügung haben, diese 880 Millionen Euro, tatsächlich wirkungsvoll einsetzen . Es darf nicht sein, dass wir nach dem Gießkannenprinzip vorgehen und jeden Titel - oder auch jeden zweiten - mit etwas mehr Geld ausstatten . Das geht so nicht . Wir brauchen einen konzentrierten Ansatz und einen Fokus . ({1}) Auch ich bin der Meinung, dass wir diesen Fokus im kommenden Haushaltsjahr auf die Fluchtursachen richten müssen . Herr Minister, Sie haben ganz recht: Wir dürfen darüber unsere anderen Aufgaben natürlich nicht vergessen . Wir haben in dieser besonderen Situation jetzt aber die Möglichkeit für besondere Maßnahmen . Mein Kollege Kahrs hat gestern schon den Vorschlag gemacht, 560 Millionen Euro der 880 Millionen Euro um diesen Betrag wurde die ursprüngliche Finanzplanung erhöht - für die Bekämpfung der Fluchtursachen einzusetzen . Ich kann mich ihm nur anschließen . ({2}) Die Frage, die wir uns natürlich auch noch stellen müssen, ist: Wo können diese Mittel dann eingesetzt werden? Ich mache dazu einmal drei Vorschläge: Der erste Vorschlag betrifft präventive Aufgaben . Wir müssen die politische Beratung vor Ort stärken und dafür sorgen, dass Bürgerkriege, Terrorismus und Korruption schon an Ort und Stelle bekämpft werden . Dafür haben wir hier wirklich sehr gute Institutionen: unsere politischen Stiftungen, die Kirchen, die privaten Träger und den Zivilen Friedensdienst . Wir müssen aber auch Institutionen wie die Deutsche Welle stärker unterstützen, weil sie vor Ort sehr wichtige Arbeit leisten können . ({3}) Ein zweites Handlungsfeld - das ist auch schon vom Minister angesprochen worden -: Wir müssen gezielt in Gesundheit, Bildung und Landwirtschaft investieren . Das Thema Gesundheit ist mir an dieser Stelle besonders wichtig . Es geht um ganz wichtige Fonds wie GFATM und GAVI . Ich freue mich, dass GAVI in dem Haushalt 2016 mehr Geld erhält . Ich meine, wir müssen auch bei GFATM noch einmal nachdenken, ob wir hier nicht noch etwas drauflegen wollen. ({4}) Es geht darum, die Erforschung von Armutskrankheiten zu unterstützen . Es kann nicht sein, dass wir demnächst wieder von einer Krankheit wie Ebola überrascht werden und noch nicht einmal Impfstoffe zur Verfügung haben, um vorbeugend tätig zu werden . Es ist ganz wichtig, dass wir die gesundheitliche Versorgung in den Flüchtlingscamps vor Ort und in den Anrainerstaaten besser unterstützen . Ich weiß nicht, ob es bekannt ist: Die Krankheit Kinderlähmung, die wir mithilfe unserer Impfallianzen schon fast ausgerottet hatten, ist wieder ausgebrochen . In der Ukraine sind zwei neue Fälle von Kinderlähmung aufgetreten . Das liegt an den widrigen Umständen in den Flüchtlingslagern . Da müssen wir unbedingt ran . ({5}) Zum Thema Bildung, Herr Minister, will ich nur noch Folgendes sagen: Es reicht nicht, nur Schulen zu bauen . Es ist zwar toll, wenn wir das machen . Aber es kann nicht sein, dass 90 Kinder in einer Klasse von einem Lehrer unterrichtet werden . Diese Klasse ist am Anfang voll und im Nullkommanichts wieder leer . Wir müssen auch die Lehrerausbildung fördern . Deshalb freue ich mich auch sehr, dass Sie vorhin die Ausbildungszentren angesprochen haben . Nun bin ich, wie ich sehe, schon fast am Ende meiner Redezeit angelangt . Mein dritter und letzter Punkt . Entwicklungsländer, die Flüchtlinge in ihrer Region aufnehmen, müssen wir unbedingt stärker unterstützen . Ich meine, wir haben in den kommenden Wochen noch viel zu tun . Lassen Sie uns einen besonderen Fokus auf die Mittel legen, die uns zusätzlich zur Verfügung stehen . Ich freue mich auf die Beratungen . Vielen Dank . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Steffen . - Nächste Rednerin: Anja Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen .

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, es ist richtig: Dieser Haushaltsplan im Bereich Entwicklungszusammenarbeit steigt um einen erheblichen Anteil - es ist ein zweistelliger Prozentsatz -, nämlich von 6,5 Milliarden Euro auf 7,4 Milliarden Euro . Herr Minister, das ist erst einmal eine frohe Botschaft . ({0}) Aber man muss auch ganz nüchtern sagen: Das ist absolut notwendig . Ihr Etat hat einen Anteil von 2,2 Prozent am Gesamthaushalt . Ich nehme einmal - ganz zufällig einen anderen Etat zum Vergleich: Der Etat für Verteidigung hat einen Anteil von 11 Prozent am Gesamthaushalt . Wir leben in einem Zeitalter, in dem international niemand infrage stellt, dass das eine Epoche ist, in der wir das Ausmaß von globaler Flucht erleben - mit 60, 70 oder 80 Millionen Menschen auf der Flucht . Diese Zahl steigt in Zukunft vielleicht sogar noch an . Vor diesem Hintergrund ist es schlicht eine moralische Pflicht und auch vernünftig, in den eigenen Haushalten völlig neue Akzentsetzungen vorzunehmen . ({1}) Da ist ein Anteil von 2,2 Prozent am Gesamtetat doch nicht genug . Deswegen sage ich Ihnen, Herr Minister: Die Erhöhung des Etats für das Jahr 2016 ist begrüßenswert; aber umso bedauerlicher ist es, dass die Langfristentwicklung stagniert . Das passt nicht zusammen . Sie haben mir ja gerade applaudiert aus den Koalitionsreihen, dass das wohl richtig ist . Aber man muss sagen, dass es nicht in Ordnung war, Herr Minister, als Sie im Mai dieses Jahres mit den EU-Kollegen eine Vereinbarung getroffen haben, die Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels erst für 2030 anzustreben . Sie verantworten eine Finanzplanung, in der Ihr Etat, also Geld für die Entwicklungszusammenarbeit, mit einem Anteil von 0,4 Prozent am Bruttoinlandsprodukt stagniert . Das passt nicht zusammen . Das ist nicht genug, und da muss die Regierung nachbessern . ({2}) Vor dem Gipfel in New York war dieses fehlende Signal eine Enttäuschung für die internationale Gemeinschaft . Da reicht der Hinweis auf den Gipfel in Elmau nicht aus . Es wird noch zwei Gipfel geben . Ich kann nicht erkennen, dass Deutschland seine Verantwortung so wahrnimmt, dass international das Gefühl aufkommt: Mensch, die ziehen uns wirklich nach vorne . - Nein, das Gegenteil ist der Fall: Enttäuschung . ({3}) Ich will nicht sagen, dass international nicht auch anerkannt wird, was Deutschland leistet; wir brauchen aber eine andere Langfristplanung . Wir werden von grüner Seite mit Blick auf eine wirklich integrierte Betrachtung, was den Einsatz von ODA-Mitteln für klassische Entwicklungszusammenarbeit und für den internationalen Klimaschutz angeht, entsprechende Vorschläge während dieser Haushaltsverhandlungen vorlegen . Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, bei dem ich glaube, dass wir wirklich auf einem falschen Weg sind. Sie, Herr Minister, sollten darauf Einfluss nehmen. Darüber müssen Sie sich im Kabinett vielleicht richtig streiten . Es geht darum, dass wir in einem Punkt, der in Addis Abeba als Ziel angestrebt wurde, einen wirklich großen Schritt weiterkommen, nämlich bei der Bekämpfung der Steuervermeidung in Entwicklungsländern . Wir können nicht immer nur über ODA-Mittel reden . Wir müssen auch ernst nehmen, dass den Entwicklungsländern jährlich bis zu 1 Billion US-Dollar an finanziellen Ressourcen durch illegale Kapitalabflüsse und auch durch legale Steuervermeidung internationaler Konzerne verloren gehen . Allein auf Afrika bezogen, sind das 50 bis 60 Milliarden US-Dollar . Sie haben gerade über das Thema Fluchtursachen gesprochen . Wenn die reichen Länder des Westens keine internationale Steuerpolitik ermöglichen, die diese teilweise auch legalen Steuergestaltungsmöglichkeiten verhindert, dann fehlt uns ein ganz wesentlicher Faktor bei der Fluchtursachenbekämpfung . Und da müssen wir heran . ({4}) Sie haben im Juli dieses Jahres eigentlich das Gegenteil getan . Einerseits hat die Bundesregierung eine Initiative - die Addis Tax Initiative - ins Leben gerufen, was richtig ist . Diese konzentriert sich darauf, die Steuerbasis der Entwicklungs- und Schwellenländer in Augenschein zu nehmen . Gleichzeitig haben Sie aber leider von diesem Ziel abgelenkt, indem Sie nicht zugelassen haben, dass die internationale Gemeinschaft an die ursprüngliche Forderung nach einer Gesamtbesteuerung der aktiven Konzerne herangegangen ist . Insofern kann ich nur sagen: Wir sind enttäuscht, dass sich Deutschland in Addis Abeba dagegengestellt hat, die Vereinten Nationen bei der Diskussion um Reformen der internationalen Steuerpolitik mit einzubinden . Das muss korrigiert werden; denn das untergräbt unsere Glaubwürdigkeit, wenn es um die Frage geht, ob wir an dieses Thema wirklich herangehen wollen . ({5}) Herr Minister, wir sind bei Ihnen, wenn die Mittel in Ihrem Etat - das wird auch aus der SPD heraus vorgeschlagen - stärker auf Fluchtursachen konzentriert werden . Wir müssen aber aufpassen, dass es keine Kannibalisierung zulasten der besonders gering entwickelten Länder gibt . Deren Anteil an der Hilfe - da sind wir uns, glaube ich, eigentlich auch einig - muss gesteigert werden . Insofern muss ich Sie bitten, an der Stelle auch vorsichtig vorzugehen . Es kann außerdem nicht sein, dass die im Rahmen des Welternährungsprogramms gewährte Unterstützung der syrischen Flüchtlinge im Libanon und in Jordanien im Juni 2015 wegen knapper Finanzen eingestellt werden musste . ({6}) Ich komme zu meinem allerletzten Punkt, wo wir, Herr Minister, Ihnen nicht folgen . Sie haben meiner Heimatstadt Hamburg einen Besuch abgestattet und dort einen Vorschlag zu Rüstungsexporten gemacht . Sie haben dann aber auch noch gesagt, dass Rüstungsausgaben an eine Forderung nach einer Friedensdividende gekoppelt werden sollen . Dazu muss ich Ihnen klar sagen: Wir werden Ihnen da nicht folgen . Wir wollen keine Friedensdividende bei Rüstungsausgaben, mit der man dann diesen auch noch Freibriefe erteilt . Nehmen Sie bitte davon Abstand, und schalten Sie in den von mir gerade vorgetragenen Punkten um . Dann kämen wir einen erheblichen Schritt voran . Schönen Dank . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Hajduk . - Nächste Rednerin ist Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen, die Haushaltsdebatte, die diese Woche läuft, ist hauptsächlich von einem Thema beherrscht . Uns allen sind die schrecklichen Bilder von im Mittelmeer ertrunkenen Menschen vor Augen - inzwischen sind es über 2 600 -, von Menschen, die in Europa in Lastwagen erstickt sind, Flüchtlinge, die mit ihren Familien versuchen, an der ungarischen Grenze Stacheldrahtzäune zu überwinden . Ein Drittel davon sind Kinder und Jugendliche . Es sind Bilder, die uns allen nicht mehr aus dem Kopf gehen . Vielen von uns standen die Tränen in den Augen, als wir das Bild von Aylan gesehen haben . Aber es sind auch Bilder, die uns zum Handeln zwingen und die uns sagen: Wir müssen umdenken . Wir müssen in diesem Zusammenhang wieder verstärkt das Heft in die Hand nehmen . Wir haben gehört, dass über 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind, darunter 38 Millionen Binnenflüchtlinge . 86 Prozent der Menschen, die aus ihrem Heimatland fliehen, leben in Entwicklungsländern. Das heißt, jeder 122 . Mensch auf der Welt ist auf der Flucht . Hier sind auch wir gefordert, und zwar in vielfältiger Art und Weise . Gefordert, dass wir verhindern müssen, dass es in den Ländern, in die die Flüchtlinge vor allem fliehen - wie Jordanien oder den Libanon, wo inzwischen 25 Prozent der Bevölkerung Flüchtlinge sind -, zu einer Destabilisierung kommt . Ich bin froh, dass wir auch schon in der Vergangenheit mit 170 verschiedenen Projekten im Rahmen der Syrien-Krise aktiv gewesen sind . Ich möchte nicht wissen, wo wir heute stünden, wenn wir nicht in der Vergangenheit schon so aktiv unsere Entwicklungszusammenarbeit gestaltet hätten . ({0}) Deswegen auch vielen herzlichen Dank an die vielen, die auch in der Vergangenheit mit aktiv gewesen sind! Ich bin froh, dass wir jetzt durch das Aufstocken des Etats die Möglichkeit haben, in diesem Bereich noch stärker aktiv zu werden . Wir leben in einer Zeit zunehmender Gewalt . Krisen und Konflikte spitzen sich immer mehr zu. Es gibt immer mehr Vertreibung durch Terrorismus und ethnische Probleme, und vor allem auch immer mehr bittere Armut und Hunger, die die Menschen fliehen lassen. Das Flüchtlingsthema hat also eine neue Dimension erreicht . Ich bin froh, dass wir die drei Sonderinitiativen haben, die von unserem Minister auf den Weg gebracht worden sind, nämlich „EineWelt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen - Flüchtlinge reintegrieren“ und „Stabilisierung und Entwicklung in Nordafrika und Nahost“, die es schon vorher gab, und dass wir die Mittel von 200 Millionen Euro auf 400 Millionen Euro verdoppeln konnten . Vielen Dank auch an die Haushälter über die Fraktionsgrenzen hinweg! Aber wir wissen, es wirkt immer alles wie ein Tropfen auf den heißen Stein . Wir würden uns in diesem Rahmen natürlich mehr wünschen . Fluchtursachen bekämpfen: Das ist zurzeit in aller Munde . Aber was sind Fluchtursachen? Ich habe es schon angesprochen: Wie würden wir dastehen, wenn wir in diesem Zusammenhang bisher nicht aktiv gewesen wären? Für uns ist es wichtig, dass wir im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit es schaffen, Lebensperspektiven in den Entwicklungsländern bzw . in den krisengeschüttelten Ländern zu verbessern . Das sind Länder, die eine sehr junge Bevölkerung haben . In Afrika leben jetzt 1,2 Milliarden Menschen . 2100 soll Afrika 4,4 Milliarden Einwohner haben . Das ist fast das Vierfache . Über 50 Prozent sind junge Leute, die eine Perspektive brauchen . Das sind junge Leute, die in ihrer Heimat bleiben wollen . Es ist schließlich nicht so, dass sie ihre Heimat gerne verlassen . Sie möchten zu Hause bei ihrer Familie bleiben: bei ihrer Schwester, bei ihrem Bruder oder bei ihren Kindern . Wir müssen ihnen eine Chance geben . Sie brauchen unsere Unterstützung, damit sie in ihrem Heimatland und in ihrem Heimatort etwas bewegen können . Sonst werden sich viele von ihnen in Bewegung setzen . Ich hoffe, dass wir auf dem Gipfeltreffen in Malta im Herbst geschlossen mit einer Stimme sprechen . Die Europäische Union ist eine Macht, aber nur dann, wenn sie auch zukünftig mit einer Stimme spricht . Die Staaten müssen umdenken . Sie müssen mehr gemeinsam agieren und auch einmal gegenüber den Regierenden in den afrikanischen Ländern mit der Faust auf den Tisch hauen, nach dem Motto „So geht es nicht weiter“ . Sie müssen wissen, dass sie in die Pflicht genommen werden, sie müssen wissen, dass sie selbst den Exodus der Einwohner ihrer Länder verhindern müssen und dass sie aktiver sein müssen als bisher . ({1}) Nichtsdestoweniger ist es für uns wichtig, auch weiterhin für die Ernährungssicherung zu sorgen, was wir auch schon in der Vergangenheit gemacht haben: durch ländliche Entwicklung und Aufklärung der Frauen, damit sie ihre Kinder ernähren können, und durch viele andere Maßnahmen mehr . Bildung und Beschäftigungsförderung sind genauso wichtige Themen wie die Rückkehr von Flüchtlingen . Gesundheitszentren, die vernichtet wurden, müssen wieder aufgebaut werden . Des Weiteren steht die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im Vordergrund . In diesem Zusammenhang möchte ich mich besonders bei unseren politischen Stiftungen bedanken, die hier hervorragende Arbeit leisten . Ich bin daher froh, dass es möglich war, den Etatansatz in diesem Bereich zu erhöhen . ({2}) Wichtig ist für uns, in Zukunft mithilfe präventiver Ansätze noch mehr dafür zu sorgen, dass Konflikte erst gar nicht zustande kommen; das ist unsere primäre Aufgabe . Wir dürfen nicht erst dann aktiv werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist . Vielmehr müssen wir zukünftig noch mehr Präventionsmaßnahmen ergreifen . Dass wir uns um die Ausbildung von Richtern und kommunalen Verwaltungsbeamten kümmern . Dass wir funktionierende Justizsysteme in den betreffenden Ländern aufbauen, damit die Menschen Gerechtigkeit einfordern können und so nicht mehr zur Flucht gezwungen sind . In den betreffenden Ländern müssen freie und pluralistische Medienlandschaften entstehen, damit korrupte politische Führungen kontrolliert werden können . Wir müssen Maßnahmen zu Versöhnungsprozessen ergreifen, um Konflikte zwischen verfeindeten Gruppen und Ethnien zu beseitigen . Ich möchte noch ein Wort zum Westbalkan sagen . Wir wissen alle, dass es für die Flucht der Migranten vom Westbalkan andere Ursachen gibt als für die Flucht der Menschen aus Syrien oder Eritrea, wo eine Militärdiktatur herrscht, oder aus Nigeria, wo Boko Haram sein Unwesen treibt . Aber wir müssen dafür sorgen, dass auch die Menschen vom Westbalkan eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung erfahren und eine Zukunft haben, und zwar unter klaren Bedingungen . Wenn man einmal gesehen hat, unter welchen Bedingungen die Roma auf dem Westbalkan leben, dann weiß man, dass das kein Leben ist . Das ist menschenunwürdig . Man glaubt, im schlimmsten Entwicklungsland in Afrika zu sein . Die Roma haben keinen Zugang zu Arbeit und Gesundheitssystemen, teilweise keinen Zugang zu Schulen . Angesichts dessen frage ich mich, was aus der EU-Konvention geworden und wohin das Geld geflossen ist, das die betreffenden Länder für die Roma bekommen haben . Ich glaube, in diesem Zusammenhang müssen wir den Finger noch viel stärker auf die Wunde legen . ({3}) Ich bin dem Minister dankbar, dass er mit der GIZ das DIMAK im Kosovo geöffnet hat . Das ist eine sehr gute Einrichtung, zu der die Menschen vor Ort hingehen und von der sie sich Hilfe und Beratung erbeten können . Für die Verbesserung ihrer beruflichen Chancen in ihrem Land . Dort werden ihnen aber auch legale Möglichkeiten der Arbeitsvermittlung nach Deutschland aufgezeigt . Ich würde mich freuen, wenn wir auch in Albanien und anderen Ländern des Westbalkans nach Abschluss der Pilotphase dieses Projekt installieren könnten . Europa sollte - ich sage absichtlich: sollte - beim Flüchtlingsthema eine Rolle spielen . Als die Euro-Krise akut wurde, wurde ein Gipfel nach dem anderen - fast im Tagesrhythmus - einberufen . Aber wo sind den jetzt die Gipfel und Zusammenkünfte im Tagesrhythmus, wenn es um Flüchtlinge geht? Europa muss beweisen, dass es in der Lage ist, nicht nur von Werten zu reden, sondern auch den Schutz von Flüchtlingen als gemeinsamen Wert anzuerkennen . ({4}) Europa hat den Friedensnobelpreis bekommen . Es muss jetzt aber beweisen, dass es diesen Friedensnobelpreis tatsächlich verdient hat . Europa muss hier langsam in die Puschen kommen . ({5}) Ich bedanke mich ganz herzlich bei unserem Minister, der das Ministerium sehr gut aufgestellt hat . Er ist authentisch und ein Vordenker, der erkannt hat, dass sein Haus das Zukunftsministerium ist und noch mehr im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehen wird . Wir, die wir im exklusiven Wohlstand leben, sitzen in einem Boot und haben gemeinsam Verantwortung . Ich möchte in diesem Zusammenhang auch das Auswärtige Amt einbeziehen, das sich in vielen Bereichen in die richtige Richtung neu aufgestellt hat . Vielleicht schaffen wir es, die Kräfte noch mehr zu bündeln und insbesondere bei der Verzahnung von humanitärer Hilfe und Übergangshilfe noch besser zusammenzuarbeiten . Ich glaube, das wäre in diesem Zusammenhang sehr gut . Wir alle sind gefragt, ob es die Industrieländer sind, ob es die Schwellenländer sind . Aber vor allem müssen hier die Entwicklungsländer selbst aktiv werden . Wir haben unterschiedliche Verantwortlichkeiten entlang der jeweiligen Leistungsfähigkeit . Das ist ganz klar; das wissen wir alle . Entweder sind wir bereit, unseren Wohlstand mit anderen zu teilen, oder wir teilen mit anderen deren Schicksal . In diesem Sinne: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dagmar Wöhrl . - Nächste Rednerin: Heike Hänsel für die Linke . ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entwicklungspolitik ist ja jetzt plötzlich in aller Munde . In jedem Beitrag heute kam irgendwie das Thema Entwicklungspolitik vor . Auch die Kanzlerin hat an prominenter Stelle im Zusammenhang mit den Fluchtursachen die Entwicklungszusammenarbeit genannt . Man kann sich also schon fast nicht mehr retten, wenn man nicht wahrnehmen möchte, dass der Fokus auf die Entwicklungszusammenarbeit gerichtet wird . Ich möchte gleich dazusagen und auch warnen: Die Entwicklungszusammenarbeit ist zwar ein wichtiges Element, aber sie kann nicht der Reparaturdienst für eine absolut verfehlte Politik sein . ({0}) Wenn zum Beispiel einem afrikanischen Kleinbauern in Äthiopien das Land genommen wird, wenn er vertrieben wird, weil ein europäischer Konzern dort Palmöl anbauen will, dann nützt es ihm nichts, wenn er von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit einen Traktor bekommt . Deshalb müssen wir an die Ursachen dieser verfehlten Politik herangehen, ({1}) und wir dürfen nicht annehmen, wir könnten durch Projekte diese Strukturen grundsätzlich ändern . Ich möchte auf das verweisen, was ich auf dem Transparent einer Flüchtlingsinitiative gelesen habe . Diese Initiative hat im August vor dem Sitz von Rüstungskonzernen in Baden-Württemberg, genauer: am Bodensee, demonstriert . Auf diesem Transparent stand: „Wer Instrumente der Gewalt produziert oder die Wirtschaft eines Landes ausbeutet, erntet Flüchtlinge.“ Ich finde, man hat es damit auf den Punkt gebracht . ({2}) Deshalb kann es bei den Rüstungsexporten in alle Welt kein Weiter-so geben; ich habe heute mehrfach zu diesem Thema nachgefragt . Es kann kein Weiter-so bei der Beteiligung an Militärinterventionen der NATO geben . Wenn wir uns Länder wie Irak, Afghanistan, Libyen anschauen, dann stellen wir fest: Das sind zerschlagene Länder . Auch eine Friedenslösung in Syrien wird leider schon sehr lange vor allem von den USA verhindert, weil sie keine Beteiligung des Irans an solch einer Initiative wollten . ({3}) Vielleicht tut sich für eine Friedenslösung ein neues Zeitfenster auf . Wir müssen schauen, was passiert . Es kann auch bei der Rohstoffausbeutung kein Weiter-so geben . Wie viele Länder auf dem afrikanischen Kontinent haben Rohstoffkonflikte und führen Rohstoffkriege! Kongo, Mali, Zentralafrikanische Republik - es gibt so viele Rohstoffkriege . Wenn wir darauf nicht wirklich Antworten geben und nicht unsere Politik ändern, dann bleibt es bei schönen Worten hier, und es ändert sich nichts an der Bekämpfung von Fluchtursachen . Das betrifft auch die Nahrungsmittelspekulation . Es kann doch nicht wahr sein, dass sich nach wie vor zum Beispiel die Deutsche Bank eine goldene Nase an den steigenden Nahrungsmittelpreisen verdient, die in anderen Ländern zu Hunger und Elend führen . ({4}) Nahrungsmittelspekulation muss verboten werden; sie ist verbrecherisch . Das müssen wir so auch benennen . Die Weltbank, Herr Minister Müller, wird dafür verantwortlich gemacht, dass sie mit ihrer Politik in den letzten Jahren zur Vertreibung von insgesamt 3,4 Millionen Menschen beigetragen hat . Ein Vertreter der Bundesregierung sitzt im Executive Board der Weltbank . Dort muss er doch darauf reagieren . Wir haben dazu von Ihnen bis heute nichts gehört, was Sie da eigentlich anders machen wollen . Das betrifft auch die Freihandelsabkommen und die Freihandelspolitik . Ich habe von Ihnen gehört das fand ich sehr gut; anscheinend haben Sie unseren Reden oft zugehört -: Fairer Handel statt Freihandel . Bravo, sage ich nur . ({5}) Wo ist denn dann, bitte schön, Ihr Protest gegen TTIP, CETA, TiSA, gegen sämtliche Freihandelsabkommen mit Afrika und Lateinamerika? Diese Abkommen bewirken doch das genaue Gegenteil . Wir müssen unser Wirtschaftssystem und auch die Finanzstruktur, die wir nach wie vor stützen, grundsätzlich infrage stellen . Das wurde vorhin auch von der Kollegin von den Grünen bereits angesprochen . Ich möchte dazu noch eine Zahl nennen . Es wird weltweit doppelt so viel Geld aus dem Süden Richtung Norden abgezogen, wie an Entwicklungsgeldern aus dem Norden in den Süden fließt. Das heißt, auf 1 Dollar in der Entwicklungszusammenarbeit kommen 2 Dollar an legalen und illegalen Geldströmen, die wieder in den Norden zurückfließen. Wenn wir an diesen Strukturen nicht grundsätzlich etwas ändern, dann brauchen wir nicht vom Bekämpfen von Fluchtursachen zu sprechen . ({6}) Hier haben Sie, Herr Müller, leider die völlig falsche Entscheidung getroffen . Dass Sie sich der Initiative der Länder des Südens, die internationale Steuerpolitik endlich bei den UN anzusiedeln, verweigert haben, das, muss ich sagen, spricht wirklich nicht für Sie als Entwicklungsminister . ({7}) Was gibt es jetzt an konkreten Vorstellungen der Bundesregierung? Ich habe dazu nicht viel gehört . Ich habe heute nur einen ganz abstrusen Vorschlag gelesen . Er kommt von Ihren Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, von der Frau Weiss und dem Herrn Strobl . Diese fordern, dass Entwicklungsländern, die keine Flüchtlinge zurücknehmen, die Entwicklungsgelder gestrichen werden sollen . Da frage ich mich doch, Herr Müller: Unterstützen Sie tatsächlich einen derart abstrusen Vorschlag, eine solche Forderung, die Ursache und Wirkung vertauscht und die die ganze Verantwortung jetzt den Ländern des Südens zuschiebt? Wer ist denn verantwortlich zum Beispiel für Klimaflüchtlinge, für den Klimawandel? Wer ist denn verantwortlich für alle diese Vertreibungen, die in den Ländern des Südens stattfinden? Da können Sie doch nicht allen Ernstes jetzt auch noch anfangen, eine Politik der Erpressung gegenüber den Ländern des Südens anzudrohen . Es ist wirklich, muss ich sagen, unanständig, was Sie hier vorschlagen . ({8}) Sie schlagen auch noch vor, Flüchtlinge militärisch zu bekämpfen, bzw . ({9}) die Boote der Flüchtlinge sollen militärisch bekämpft werden . ({10}) Mir hat bis heute niemand die Frage beantwortet, wie er eigentlich Fischerboote, Flüchtlingsboote und Schlepperboote unterscheiden will . ({11}) - Was passiert denn, wenn die Schlepperboote zerstört werden? Haben Sie einen anderen Vorschlag, wie Flüchtlinge hierherkommen können? Machen Sie doch mal einen Vorschlag, wie zum Beispiel die 30 000 Menschen, die derzeit auf der Insel Lesbos festsitzen, dann noch hierherkommen können! ({12}) Da gibt es überhaupt keinen Vorschlag von der Bundesregierung, weil Sie Ihre Politik nach wie vor darauf ausrichten, Flüchtlinge im Grunde von diesem reichen Land abzuhalten, ({13}) und diese Politik werden wir nicht mitmachen . ({14})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Heike Hänsel . - Nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Bärbel Kofler für die SPD. ({0})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist mehrfach angesprochen worden: Wir diskutieren einen Entwicklungshaushalt mit einem durchaus erfreulichen Aufwuchs; das möchte ich am Anfang anmerken . Ich freue mich über 880 Millionen Euro mehr . Ich möchte aber deutlich unterstreichen: Das darf kein haushalterisches Strohfeuer bleiben . Wir brauchen Kontinuität im Aufwuchs der Haushaltsmittel für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung . ({0}) Warum brauchen wir sie? Schauen wir uns an: Was steht in unserer eigenen mittelfristigen Finanzplanung, noch von der Vorgängerregierung aufgestellt? Abgesenkte Mittel, und daran bemisst sich der Aufwuchs, über den wir reden . Was steht in den Ergebnissen der Konferenzen der G 7 und der Konferenz von Addis Abeba? Haben wir darin wirklich Verpflichtungen für die nächsten Jahre definiert, wie wir Entwicklungszusammenarbeit finanzieren wollen, oder sind darin noch sehr viele schöne Absichtserklärungen enthalten? Ich glaube, es ist leider Letzteres der Fall . Warum brauchen wir das? Wir haben es heute mehrfach diskutiert . Es ist über das Thema Flucht diskutiert worden . Wir müssen uns fragen: Stellt dieser Haushalt, so wie er aufgestellt ist, ein Abbild dessen dar, was wir auf die Herausforderungen der Zeit antworten müssen, ja oder nein? Wir haben über Fluchtursachen diskutiert . Es ist zu Recht angesprochen worden: Da gibt es zwei Dinge, die wir tun müssten . Das eine ist die akute Hilfe für die Menschen, die unter ganz erbärmlichen Umständen in Flüchtlingslagern leben, nicht erst seit gestern, sondern über Jahre hinweg, und die dort zum Teil ohne Bildung, ohne Sanitäranlagen, ohne Gesundheitsvorsorge leben . Es sind ganz katastrophale Zustände . Die Situation ist nicht erst seit gestern so . Das wissen wir schon länger . Hier brauchen wir akut Mittel und finanzielle Unterstützung. ({1}) Wir brauchen aber auch, wenn wir über die viel zitierten Fluchtursachen reden, Mittel - das ist angesprochen worden, das macht die Entwicklungszusammenarbeit -, um Kriege gar nicht erst entstehen zu lassen, um Bürgerkriege zu verhindern, um den Ausbruch von Kriegen zu verhindern und um den Zerfall von Staaten, die in sehr schwierigen Situationen sind - gerade in Subsahara-Afrika -, zu verhindern, damit die Menschen dort überhaupt eine Lebensperspektive haben, Zugang zu Nahrung haben, vielleicht einen Arbeitsplatz finden, um sich selbst ernähren zu können, und ein Mindestmaß an Sicherheit garantiert ist, damit sie ihr Leben auch gestalten können . Wenn Staaten diese Basis nicht haben - finanziell und institutionell -, dann ist die Flucht vorprogrammiert . Bilden wir das wirklich mit diesem Haushalt ab? Ich bin der Ansicht, wir tun es leider nicht . ({2}) An diesem Rednerpult werden wir in 14 Tagen eine Regierungserklärung zum Thema „Nachhaltige Entwicklungsziele“, das im September in New York eine Rolle spielen wird, hören . Es sind gute Ziele, die dort vereinbart werden sollen . Es sind wichtige Ziele . Die extreme Armut, die dazu führt, dass sich Menschen nicht mehr ernähren können, soll bis zum Jahr 2030 auf diesem Planeten ausgerottet werden . Aber bilden wir nur diese eine Forderung dieses Zielkataloges mit diesem Haushalt ab? Ich glaube, nein . ({3}) Ähnlich ist es bei den Fragen bezüglich des Klimawandels . Im Dezember werden wir eine Konferenz in Paris haben . Auch diese Herausforderungen werden haushalterisch nicht abgebildet . ({4}) Noch einmal: Ich freue mich, dass es seit mehreren Jahren der erste substanzielle Aufwuchs ist . Aber er darf nicht einmalig sein . Es muss uns allen klar sein, und zwar in allen Ressorts, dass dieser Aufwuchs in den nächsten Jahren und Jahrzehnten verstetigt werden muss . ({5}) Das gilt für das viel zitierte 0,7-Prozent-Ziel, das wir endlich einmal erreichen wollen und sollen; denn wir werden es mit diesem Haushalt nicht erreichen . Es ist eine Frage der klassischen Entwicklungsfinanzierung. Es gilt aber auch - das ist von der Vorrednerin angesprochen worden - für die Frage: Wie bekommen wir weltweit die Staatsfinanzen überhaupt in Ordnung, sodass Entwicklungsländer eine Basis haben, in ihren Ländern selbst Einnahmen zu erzielen? Hier geht es um nationale Gesetzgebung . Wir wissen: Im September/ Oktober legt die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Pläne vor, wie wir das Thema Steuererosion verhindern können . Hier geht es darum, dass Konzerne Steuer- und Gewinnverlagerungen vornehmen und dadurch weltweit Milliardenbeträge im dreistelligen Bereich erzielen und somit den Entwicklungsländern die Finanzbasis entziehen; übrigens nicht nur denen, auch uns . Wenn wir hier nicht beginnen, gemeinsam mit anderen Politikern - hier brauchen wir die Finanzpolitiker - eine wirklich konsistente entwicklungsfördernde und armutsbekämpfende Politik zu machen - auch in anderen Feldern des politischen Agierens -, dann werden wir scheitern . Wir brauchen diese Zusammenarbeit . Wir brauchen dazu bei uns eine nationale Gesetzgebung und müssen vor Ort anfangen . ({6}) Ähnliches gilt für das Thema „Wirtschafts- und Handelspolitik“ . Es ist mehrfach angesprochen worden . Ich sage es in jeder Rede: Wir brauchen verbindliche Standards mit verbindlichen guten Arbeitsbedingungen, ILO-Kernarbeitsnormen, Gesundheitssysteme, soziale Absicherung . Wir brauchen Transparenz bezüglich der Rohstoffentnahmen von internationalen Konzernen, und zwar mit verbindlichen Regeln, damit vor Ort die Basis für Wertschöpfung und wirtschaftliches Handeln geschaffen wird . ({7}) Das heißt, wir brauchen eine Zusammenarbeit mit der Finanzpolitik, mit der Wirtschaftspolitik, mit der Gesundheitspolitik . Unsere Zeit ist sehr schnelllebig . Vor einem Jahr standen wir hier, haben über Ebola debattiert und die Frage diskutiert, wie notwendig es ist, Gesundheitssysteme weltweit aufzubauen . Genau das müssen wir jetzt tun, und zwar mit allen Fonds und mit allen Akteuren, die es dafür gibt . Ich würde mir wünschen, unser Haushalt würde den entsprechenden Aufwuchs abbilden, und zwar auch in unserer Zukunftsplanung . Das tut er leider nicht . ({8}) Ich möchte an einem Beispiel deutlich machen, dass wir mehr tun können, um Entwicklungszusammenarbeit zur Konfliktprävention und zum Vorbeugen von Krisen, Kriegen und Fluchtursachen zu nutzen . Es ist nur ein kleines Beispiel, das keine Milliarden kostet, aber illustriert, um was es gehen muss . Vor einem halben Jahr haben wir mit Institutionen und engagierten Menschen des Zivilen Friedensdienstes aus dem Libanon gesprochen . Der Zivile Friedensdienst betreut fünf Kommunen, in denen Flüchtlinge und Alteingesessene zusammengebracht werden, um Konflikte aufzuarbeiten, die erheblich sind . Das kann man sich ja vorstellen . Das ist heute mehrfach angesprochen worden . Man kann sich durchaus vorstellen, dass es in einem Land wie dem Libanon, in dem jeder vierte Einwohner ein Flüchtling ist, schwierige Situationen gibt . Dabei geht es um den Zugang zu Wasser, um die Energieversorgung, um den Schulbesuch, um Konkurrenz am Arbeitsmarkt usw . Es geht darum, vor Ort mit den Beteiligten, mit den Kommunen zu klären, wie man diese Konflikte friedlich lösen und damit Bürgerkriegssituationen vorbeugen kann . Es gibt das Ansinnen von lokalen Partnern im Libanon, die Zahl der Kommunen von 5 auf 20 auszuweiten . Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir das machen müssen . Das ist eines der Beispiele dafür, wie wir Konfliktbewältigung und Konfliktprävention betreiben können . Insofern muss es bei Organisationen wie dem Zivilen Friedensdienst einen deutlichen Mittelaufwuchs gegenüber dem geben, was zurzeit im Haushaltsentwurf steht . ({9}) Ich nehme das Angebot sehr ernst, noch einmal über die Ausgestaltung des Haushalts in diesem Bereich zu reden . Wenn der Bereich Bildung ernstgenommen werden soll, müssen wir auch im Bereich der globalen Partnerschaft für Bildung mehr tun . 7 Millionen Euro aus deutscher Hand für diesen Bereich sind beschämend . Wenn es uns ernst damit ist, die Situation der Menschen in Afrika durch mehr Bildung zu verbessern und dafür zu sorgen, dass sie vor Ort etwas tun und selbst aktiv werden können, dann müssen wir uns an all diesen internationalen Aktivitäten anders beteiligen . Das wünsche ich mir sehr . Wir müssen schnell handeln . Das ist völlig unumstritten . Wir dürfen darüber hinaus aber nicht vergessen, welches die grundlegenden Aufgaben der Zusammenarbeit sind . Entwicklungspolitik muss in allen Ressorts gedacht werden . Sonst werden wir unsere Aufgaben leider nicht erfüllen können . Danke . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Bärbel Kofler. - Nächster Redner in der Debatte: Uwe Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Selbst der Papst wird an der bisher größten UN-VerDr. Bärbel Kofler sammlung von über 190 Nationen teilnehmen, die am 28 . September in New York 17 Nachhaltigkeitsziele verabschieden wird . Die damit verbundene Erwartungshaltung ist zu Recht sehr groß . Sie muss vor allen Dingen auch erfüllt werden; denn es gibt viel zu viele globale und durchaus auch gefährliche Fehlentwicklungen . Die Einkommensverteilungen in den Ländern haben sich sehr stark verschlechtert . Die Ernährungs- und Armutssituation ist trotz zweifelhafter Statistiken von Weltbank und FAO kaum besser geworden . Die Biodiversität schrumpft bedrohlich . Die Klimaveränderung und der Zerfall von Staaten werden immer gefahrvoller . Demokratische Strukturen werden zurückgedrängt . Autoritäre Systeme werden stärker . Genauso entwickeln sich potenzielle Fluchtursachen . Deshalb müssen die Ziele umgesetzt werden . Deshalb muss die Klimakonferenz in Paris ein Erfolg werden . Die wichtigste Botschaft, die sich aus dem SDG-Prozess ergibt, ist für mich, dass alle Länder Entwicklungsländer sind, also auch Deutschland . ({0}) Deutschland hat gemeinsam mit anderen Industriestaaten globale Entwicklungen vorangetrieben, die dem Prinzip der Nachhaltigkeit und der globalen Fairness eklatant widersprechen . Dafür tragen wir Verantwortung . Deshalb müssen wir Konsequenzen daraus ziehen . Wir müssen zum Beispiel dafür sorgen, dass das internationale Finanzsystem, die globale Agrarwirtschaft, die Klimapolitik und die Handelsstrukturen verändert werden . Zentral ist, dass die Strukturen verändert werden müssen. Wir müssen Wege dazu finden und gehen. Deshalb können wir durchaus sagen: Wir sind ein Entwicklungsland . ({1}) Die 17 gar nicht so neuen Ziele haben genau diese große Schwäche . Sie stehen letztlich isoliert da und sind nicht in strukturelle Veränderungen eingebunden . Das müssen wir ändern . Erfolg in der Entwicklungspolitik setzt Verlässlichkeit voraus . Bei diesem Begriff weiß natürlich Minister Müller sofort, dass er angesprochen ist . Ich freue mich ja auch, dass die Mittel steigen, aber auch die Zahl der Problemfelder ist, wie Sie selbst vorhin gesagt haben, enorm gestiegen; die Probleme sind größer geworden, und es sind neue hinzugekommen. Bärbel Kofler hat eine sehr gute Zusammenfassung geliefert . Die Mittel - das sagen Sie selbst auch - reichen nicht . Es müssen mehr werden, vor allen Dingen in der näheren Zukunft . Sie tragen das aber so vor, Herr Minister Müller, dass ich fast schon ein schlechtes Gewissen bekomme . Wem machen Sie eigentlich den Vorwurf, dass die Mittel nicht reichen? Ich hatte immer den Eindruck, dass Sie an der Regierung sind und dass Sie dafür die Verantwortung tragen . ({2}) - Ja, bitte, das ist doch die Regierung . Das müssen die schon intern klären . Ihre Verlässlichkeit war gerade das Thema; aber auch Ihre Entwicklungspolitik, Herr Minister Müller, wird aus meiner Sicht immer fragwürdiger . In ihrem Afrika-Konzept von 2014 sagten Sie noch ganz klar: Wir müssen für afrikanische Probleme afrikanische Lösungen suchen . Heute postulieren Sie leider das Gegenteil . Vorgestern haben Sie in der WDR-Dokumentation Hungrig nach Profit das Geschäft mit dem Hunger folgendermaßen erklärt: Es ist doch zynisch, wenn wir in Afrika den Bauern unser Wissen und Können, das wir in 100 Jahren erworben haben, nicht vermitteln würden . - Was heißt denn das? Europäische Lösungen für afrikanische Probleme! Letztendlich wollen Sie die europäische, die westliche Agrarstruktur nach Afrika exportieren . Herr Müller, haben Sie denn nicht gemerkt, dass genau unser Agrarsystem ein verdammt krankes und kaputtes System ist? ({3}) Sie sollten als Allgäuer einmal mit den Milchbauern reden . Das hilft manchmal . Sie sollten vielleicht auch einmal mit Ihrem Kollegen Christian Schmidt reden, der der Forderung nach Exportoffensiven im Bereich Milch nicht massiv entgegentritt . ({4}) - Na ja, der Staatssekretär kann ihm ja ausrichten, dass er einmal dem Versuch, Exportinitiativen im Bereich Milch voranzutreiben, entgegentreten sollte . - Wohin sollen denn diese Milchmengen exportiert werden? Nach Kamerun, nach Uganda, nach Ghana? Nein, diese Länder haben selbst genug Milch, und Milch aus Deutschland und Europa würde deren Entwicklungschancen weiter schwächen . ({5}) In der Dokumentation, Herr Minister, offenbaren Sie auch einen wesentlichen und meines Erachtens schädlichen Ansatz Ihrer Politik: nicht nur, dass Sie mit dem Übertragen des deutschen Systems nach Afrika in der Entwicklungspolitik auf den Stand der 60er-Jahre zurückfallen, nein, Sie ergänzen diese Politik noch mit einem Markterweiterungsprogramm für die deutsche Industrie . In der Sendung sagten Sie dann auch ganz offen, dass die deutsche Wirtschaft mit dem BMZ in die Entwicklungsländer geht und ihr Know-how einbringt . Glauben Sie denn wirklich, dass BASF, Bayer, Syngenta und Co . als Entwicklungsorganisationen fungieren können, die ihr Profitinteresse beiseitelassen und das Gemeinwohl, die Menschenrechte und die ökologische Nachhaltigkeit ihren Zielen unterordnen? Herr Minister, so naiv sind Sie nicht . Ich glaube, Sie sind gerade dabei, immer mehr EntUwe Kekeritz wicklungsgelder in den Dienst der deutschen Industrie zu stellen und diese so zu Subventionen umzuwandeln . ({6}) Sie fördern mit öffentlichen Mitteln immer noch die German Food Partnership oder die New Alliance, die nicht auf Ihr Geld angewiesen sind . Die Konzerne haben es aber mit Ihrer Unterstützung verdammt leicht, den Weg in die Ministerien vor Ort zu finden, mit dem offiziellen Logo und mit der Unterstützung der Regierung, der Sie angehören . Auch Ihr Beispiel Textil schätze ich ganz anders ein . Wer uns glauben machen möchte, dass sich Produktionsbedingungen in den Textilfabriken durch freiwillige Absprachen dauerhaft verbessern lassen, der täuscht die Öffentlichkeit . Anstatt politisch begründete, verbindliche Rahmen zu setzen, versuchen Sie plötzlich, hauptsächlich den Konsumenten in die Verantwortung zu nehmen . Wer keine Strukturen ändern will, Herr Müller, darf sich auch nicht darüber wundern, dass sich diese nicht ändern . Sie müssen auch aufpassen, Herr Müller: Ihr Kollege Gabriel überholt Sie jetzt locker . Sie merken gar nicht, dass er auf jeder Veranstaltung, wenn die Möglichkeit besteht, darauf hinweist, dass er inzwischen für verbindliche Standards eintritt . ({7}) - Ja, das ist gut so . Er hat Sie da inzwischen abgehängt . Ich komme zum Schluss . Ich bin insbesondere nach den schockierenden Szenen in Heidenau und anderswo froh darüber, dass die deutsche Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit heute die Flüchtlinge willkommen heißt . Aber ohne ein grundlegendes Umdenken des Nordens in der globalen Außen- und Entwicklungspolitik, in der globalen Finanz- und Klimapolitik und in der Agrarpolitik werden wir zukünftig nicht 80 Millionen, sondern vielleicht 90 oder mehr Millionen Menschen haben . Es ist deshalb unsere Verpflichtung, in Paris erfolgreich zu sein . Es reicht nicht, 17 Ziele zu verabschieden, auch wenn sie den päpstlichen Segen haben . Wir müssen die Strukturen schaffen, damit sich diese Ziele verwirklichen lassen . Herzlichen Dank . ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Kekeritz . - Nächster Redner in der Debatte: Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte es zu Beginn noch einmal deutlich machen: Der Etat des Bundesentwicklungsministeriums steigt um 880 Millionen Euro . Das ist ein Zuwachs um fast 14 Prozent . Dank der herausragenden Unterstützung der Bundeskanzlerin das muss man auch sagen - und des intensiven persönlichen - lieber Kollege Kekeritz - und verlässlichen Einsatzes unseres Ministers ({0}) ist Deutschland jetzt mit voller Kraft auf dem richtigen entwicklungspolitischen Weg . Ich muss auch sagen: Der starke Aufwuchs der Verpflichtungsermächtigungen um 1,8 Milliarden Euro schafft einen kreativen Spielraum und einen Arbeitsraum für zukünftige Aufgaben . Der Herr Minister ist im Moment nicht da . ({1}) - Doch, Entschuldigung . - Ich hoffe doch sehr, dass das nicht ein persönliches Geschenk zum runden Geburtstag ist, sondern dass der Haushaltsaufwuchs und damit die deutliche Unterstützung der Entwicklungszusammenarbeit in den nächsten Jahren wiederkehrende Maßnahmen sein werden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Jahr 2015 ist oder wird noch - ein besonderes Jahr für die Entwicklungszusammenarbeit . Die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen werden ihre Erneuerung, ihre Überarbeitung und ihre Erweiterung erfahren und durch neue Ziele für den Zeitraum bis 2030 fortgeschrieben werden . Mit den neuen Entwicklungszielen wollen wir nicht nur Armut und Krankheiten bekämpfen, sondern wir wollen vor allen Dingen Globalisierung sozial und ökologisch nachhaltig gestalten . Dies ist ein Ziel, mit dem sich Deutschland besonders solidarisiert und bei dem es eine besondere Verpflichtung verspürt. Ich selbst durfte mit einigen Kolleginnen und Kollegen des Unterausschusses Vereinte Nationen in den letzten Tagen in New York Gespräche zu diesem Thema führen . Ich glaube, dass wir mit den Sustainable Development Goals eine gute Arbeitsplattform für unsere nationale Entwicklungspolitik erhalten haben . Ich unterstreiche es noch einmal: Der Aufwuchs im Haushalt bietet dafür jedenfalls eine hervorragende Grundlage . Hervorzuheben ist zum Beispiel, dass die Bundeskanzlerin persönlich am 24 . September hier von diesem Pult aus in einer Regierungserklärung über die Verabschiedung der SDGs in der UN-Vollversammlung berichten wird . Dies zeigt den Stellenwert und wird von uns ausdrücklich begrüßt . Meine Damen und Herren, wie bereits im Rahmen der Debatte erwähnt, finden die Haushaltsberatungen in einer Zeit statt, in der wir in Europa die Bedeutung nachhaltiger Entwicklungspolitik auch an der Zahl der Flüchtlinge tagtäglich durch die mediale Berichterstattung und vor allen Dingen durch unsere persönlichen Erfahrungen in unseren Wahlkreisen vor Augen geführt bekommen . Wir stehen vor einer nationalen und europäischen Herausforderung, die seit der deutschen Einheit in dieser Form nicht vorgekommen ist . Das ist uns inzwischen klar . Hier liegt auch ein Teil der Erklärung, warum unsere Reaktion auf diese Situation in den letzten Monaten teilweise zu langsam und zu bürokratisch war . Die Dimension der Flüchtlingskrise wird uns auch in der nächsten Zeit weiter beschäftigen . Eines ist klar: Mit den Mitteln der deutschen Entwicklungspolitik können wir nicht sämtliche Fluchtursachen in der Welt beseitigen . Sie ist aber in diesem Kontext ein ganz wichtiger Baustein, um die Dinge zu einem Besseren zu wenden . Bei den Mitteln für die von Minister Müller initiierte Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen - Flüchtlinge reintegrieren“ ist im aktuellen Haushaltsplan ein Zuwachs von rund 57 Prozent zu verzeichnen; sie steigen auf 110 Millionen Euro im nächsten Jahr . Das sind Mittel, die angesichts der gegenwärtigen Situation nicht nur notwendig sind - das brauchen wir nicht zu unterstreichen -, sondern wahrscheinlich sogar noch erhöht werden müssen . ({2}) Wie das Beispiel Syrien zeigt, haben aktuelle politische Entwicklungen großen Einfluss auf die Haushaltsplanung. Die Herausforderung besteht darin, angemessen zu reagieren und es in der Planung angemessen umzusetzen . Die Not der Menschen im Nahen Osten, aber auch in anderen Konfliktregionen, in denen Menschen auf der Flucht sind - diese müssen wir auch immer im Blick haben; Südostasien gehört zum Beispiel dazu -, stellt die finanzielle Ausrichtung deutscher Entwicklungspolitik vor hohe Anforderungen . Hier geht es nicht nur um die Konsequenzen der Flucht vor Ort; vor allen Dingen gehört auch die Hilfe für Staaten wie Jordanien oder Libanon dazu - es ist angesprochen worden -, die in der unmittelbaren Nachbarschaft der Staaten liegen, aus denen die meisten Flüchtlinge kommen . Es stellt sich die Frage: Wie kann Entwicklungspolitik unsere Flüchtlingspolitik unterstützen? Eine wichtige Aufgabe ist die Hilfe vor Ort . Wir müssen auf Partnerschaft setzen und nicht auf eine Geber-Nehmer-Situation zwischen den Ländern . Die Schaffung einer wirtschaftlichen Grundlage in den Entwicklungsländern ist ein wichtiges Instrument der Flüchtlingspolitik . Wer gute Arbeit in seiner Heimat hat und eben auch für seine Familie sorgen kann, der muss sich nicht auf eine gefährliche und teure Flucht begeben, deren Folgen, was die Zukunft betrifft, eigentlich nicht absehbar sind . Wir müssen Perspektiven vor Ort aufzeigen . Nur in einem friedlichen Umfeld haben Menschen eine Chance, ihre Zukunft zu gestalten . Deshalb ist das Engagement des Zivilen Friedensdienstes auch in diesem Zusammenhang sehr wichtig . ({3}) Die Mittel für den Zivilen Friedensdienst in Höhe von 42 Millionen Euro im kommenden Jahr sind sehr gut eingesetzt . ({4}) - Na ja, gut, aber immerhin sind sie schon vernünftig eingesetzt . Wir müssen Investitionen in Bildung tätigen . ({5}) - Ja, meinetwegen noch intensiver als im Moment, aber da wird schon sehr viel investiert . - Das duale System ist ein Exportschlager aus Deutschland . In Kooperation mit Entwicklungsländern sorgen wir dafür, dass Menschen vor Ort eine berufsnahe Ausbildung bekommen . Die Einbindung der Privatwirtschaft, lieber Kollege Kekeritz, ist unabdingbar . Das Beispiel der CSR zeigt, dass es möglich ist, zu sozial fairen Bedingungen zu produzieren und eine Win-win-Situation für alle Beteiligten zu erreichen: für die Entwicklungsländer, für die Menschen vor Ort, aber auch zum Beispiel für den deutschen Einkäufer, der etwas kauft, was „social made“ ist . ({6}) Das Textilbündnis, Herr Minister, ist ein Beispiel dafür, wie soziale Verantwortung für den Verbraucher sichtbar wird. Die beteiligten Unternehmen verpflichten sich, durch die Gewährleistung von Sozial- und Umweltstandards an den Produktionsstandorten Verantwortung zu übernehmen . Das ist ein Beispiel für ein Engagement von Unternehmen aus der Privatwirtschaft, lieber Kollege Kekeritz . Damit senden wir ein deutliches Zeichen an den Steuerzahler: Das Geld ist im Entwicklungsbereich gut angelegt . Auch die Zusammenarbeit mit anderen Ressorts muss gestärkt werden, etwa mit dem Innenbereich . Meine Damen und Herren, wir müssen eine rigorose Verfolgung und Bestrafung von Schleppern forcieren . Auch das gehört dazu . Ich sage es deutlich: Schlepper sind keine Gutmenschen, Schlepper sind teilweise Mörder . ({7}) Ein weiterer Punkt, den ich noch kurz ansprechen möchte: Antikorruptionsmaßnahmen in den Entwicklungsländern fördern . Wir können es nicht akzeptieren, wenn korrupte Machenschaften in diesen Ländern nicht eliminiert werden . Ohne funktionierende EZ-Partnerschaften und gutes Regieren wird es nicht möglich sein, langfristig mit den Entwicklungsländern vernünftig zusammenzuarbeiten . Korruptionsbekämpfung ist ein ganz wichtiger Punkt . ({8}) Letzte Bemerkung - dann komme ich auch zum Schluss -: Wir sind auf einem guten Weg . Das Auswärtige Amt verzeichnet einen Mittelzuwachs von 26 Prozent . Das Umweltministerium erhält sehr viel mehr Mittel für den internationalen Klimaschutz . Das alles müssen wir zusammenfassen, dann haben wir einen super Mehrwert im Entwicklungsbereich . Ich hoffe, dass das in den nächsten Jahren so weitergeht . Wir jedenfalls werden uns dafür einsetzen . Herzlichen Dank . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Klimke . - Sie überziehen alle gnadenlos, aber Sie sehen mich heute gnädig . Das hat wahrscheinlich mit dem Thema zu tun . Gabriela Heinrich ist die nächste Rednerin in dieser Debatte . ({0}) Das war jetzt aber keine Aufforderung, auch zu überziehen . ({1})

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, lassen Sie sich überraschen . - Herr Minister! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Im Moment - wir haben es schon gehört ist es relativ einfach, die Menschen in unserem Land davon zu überzeugen, dass die Entwicklungspolitik ein wichtiges Thema ist und dass Entwicklungspolitik Geld kostet, vielleicht noch sehr viel mehr kosten muss und wird . Die Menschen sehen im Fernsehen die furchtbaren Bilder von Flüchtlingen, die verzweifelt versuchen, Stacheldraht und Mauern zu überwinden, die sich schreiend auf Bahngleise legen und unter unwürdigsten Bedingungen im Freien kampieren, um auf ihre Chance zu warten, die Chance auf Europa . Das alles kommt jetzt plötzlich auch in der deutschen Öffentlichkeit an, nicht nur hier im Parlament . Es taucht verstärkt die Frage auf, warum wir nicht genug in den Herkunfts- und Aufnahmeländern investieren, aus denen die Menschen zu uns kommen, warum wir nicht mehr versuchen, die Fluchtursachen zu bekämpfen - irgendwie, aber auf jeden Fall mit deutlich mehr Engagement . Deshalb - das wurde heute ganz oft angesprochen - ist es natürlich ein gutes Zeichen, dass im Haushaltsentwurf beim Etat des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ein deutliches Plus zu verzeichnen ist, auch, aber nicht nur, für die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“ . Wir haben uns seit langem für die Stärkung des Entwicklungsetats eingesetzt, und der Aufwuchs ist sicher ein richtiges Signal . Aber - und das kann man auch heute wieder erkennen - die meisten Entwicklungspolitiker haben Fusseln am Mund, wenn sie immer wieder darauf hinweisen, dass sich Deutschland international verpflichtet hat, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen . Wir sind von diesem Ziel weit entfernt . Wir müssen das ändern und konsequent nachbessern . Die Gelder der Industrienationen für Entwicklungszusammenarbeit sind eine gute Investition in die Zukunft von Millionen von Menschen . ({0}) Herr Klimke, ich kann Ihre Einschätzung nicht teilen, dass der gute Aufwuchs, den wir jetzt haben, reichen wird, um uns den SDGs so zu nähern, wie wir dies alle miteinander gerne möchten . Wir sehen jetzt, dass alle, die es irgendwie schaffen können, vor der Situation in ihren Herkunftsländern fliehen, aber sie werden nicht alle nach Europa kommen können . Entwicklungszusammenarbeit - auch das wurde schon gesagt - ist kein Allheilmittel, um Fluchtursachen zu beseitigen . Ich könnte auch gar nicht alle Fluchtursachen ordentlich benennen, an denen wir arbeiten müssten . Die Menschen fliehen vor Bürgerkriegen, Gewalt und Unterdrückung. Sie fliehen aufgrund fehlender Perspektiven, häufig hervorgerufen durch Korruption und organisierte Kriminalität, und sie fliehen eben nicht nur aus Afrika, sondern auch aus Europa, wie das Beispiel Albanien zeigt. Die Menschen fliehen auch verstärkt aus den Flüchtlingslagern in den Aufnahmeländern, vor allem dann, wenn die internationale Gemeinschaft Kriegsflüchtlinge nicht versorgen kann, es dort keine Sicherheit gibt und die Kinder niemals eine Schule besuchen können . Deswegen ist es wichtig, dass wir nicht nur die Herkunftsstaaten, sondern auch die Aufnahmeländer unterstützen . Das heißt konkret, dass wir die Infrastruktur von Flüchtlingslagern und Flüchtlingsstätten stärken müssen, wie wir das vor kurzem, Peter Stein, in unserem Antrag „Entwicklungspolitische Chancen der Urbanisierung nutzen“ gefordert haben . Der Haushaltsaufwuchs ist dafür eine große Chance . Wir werden in der Entwicklungszusammenarbeit Schwerpunkte setzen müssen . Das ist nicht so einfach, weil es so viele Baustellen gibt und so viele Länder, die Unterstützung brauchen . Schauen wir nach Nordafrika, vor die Haustür Europas . Libyen ist ein Land, das im Chaos versunken ist, mit unabsehbaren Folgen für die Nachbarländer . Die Menschen in dieser Region brauchen dringend Stabilitätsanker in diesem Chaos . Tunesien gibt Hoffnung, gilt als Leuchtturm für Demokratie und Stabilität, ist aber massiv vom Terrorismus bedroht . Die entwicklungspolitische Unterstützung muss auch helfen, den Terror einzudämmen, um die Stabilität zu fördern, ({1}) zum einen, indem wir mehr wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Perspektiven für die Menschen schaffen, zum anderen, indem wir die Demokratisierung weiterhin begleiten und unterstützen . Das Gleiche gilt für Marokko, das nicht so sehr im Fokus steht . Auch dieses Land ist stabil, braucht aber Unterstützung, um die Jugendarbeitslosigkeit in den Griff zu kriegen, braucht Unterstützung bei der regionalen Entwicklung und bei den Demokratisierungsprozessen . Die jetzt geplante Verdoppelung der Mittel für die Sonderinitiative „Stabilisierung und Entwicklung in Nordafrika und Nahost“ kann durchaus ein wichtiger Beitrag dazu sein . Wir müssen wegkommen von der Sicht, dass Entwicklungspolitik vor allen Dingen Geld kostet . Wir haben es in einigen Beiträgen gehört . Das ist immer nur die halbe Wahrheit . Natürlich kostet das Geld, aber die Frage ist doch - die müssen wir uns alle mit Blick auf unseren Gesamthaushalt stellen -: Was kostet es uns, wenn wir uns nicht den Ursachen von Flucht stellen, wenn wir Entwicklungsländer nicht dabei unterstützen, auf erneuerbaVizepräsidentin Claudia Roth re Energien zu setzen oder den Verlust der Biodiversität zu stoppen? Und was kostet es uns, wenn wir nicht dabei helfen, in anderen Ländern demokratische Strukturen, Verwaltungen und einen Rechtsstaat aufzubauen, vor allen Dingen, wenn sie diese Hilfe von uns einfordern? Diese Fragen müssen diejenigen im Hinterkopf haben, die das Erreichen der ODA-Quote immer noch für nachrangig halten . ({2}) Die Koalition hat vor ein paar Wochen im Parlament wir haben das gemeinsam gemacht - einen Antrag zur Urbanisierung verabschiedet - ich habe schon darauf hingewiesen -, auch weil das schnelle Anwachsen der Städte und eine völlig ungeplante Urbanisierung unheimlich viel Konfliktpotenzial bergen. Wenn, wie erwartet, im Jahr 2050 3 Milliarden Menschen unter katastrophalen Lebensbedingungen in einem Slum leben, dann werden wir versagt haben . Das müssen wir uns heute deutlich bewusst machen . ({3}) Es gehört deswegen zur Prävention, dass wir betroffene Länder und Städte stärker bei der Stadtplanung unterstützen . Wir reden immer alle von der ländlichen Entwicklung . Ja, dieses Thema ist wichtig, aber es gibt auch andere wichtige Themen, Möglichkeiten, wie man wahnsinnig viele Menschen in diesen riesigen Molochen von Städten auf einmal erreichen kann, wie man ihre Lebenssituation verbessern kann . Das gilt auch für die Dezentralisierung, den Aufbau kommunaler Selbstverwaltung, die Energie- und Wasserversorgung und die Infrastruktur - bis hin zu Urbanisierungspartnerschaften. Ich finde es sehr begrüßenswert, dass wir im Haushaltsentwurf eine Erhöhung der Mittel für die kommunale Zusammenarbeit und die Städtepartnerschaften vorgesehen haben . Die Mittel sollen mehr als verdoppelt werden . Genauso begrüßenswert finde ich das vorgesehene eigenständige Ziel mit Stadtbezug bei den globalen Nachhaltigkeitszielen . Das müssen wir um eine New-Urban-Agenda ergänzen, die auf der Habitat-III-Konferenz im kommenden Jahr beschlossen und umgesetzt werden muss . Fluchtursachen und der Umgang der Städte mit Flüchtlingen werden dabei eine wichtige Rolle spielen müssen . Entwicklungspolitik darf nicht nur auf Krisen reagieren . Der Anspruch ist und bleibt, Krisen zu vermeiden und die Lebensumstände von Menschen deutlich zu verbessern . Wir müssen diese Aufgabe mit den Investitionen, die ich erwähnt habe, angehen, um diese Krisen zu vermeiden . Sie dürfen gar nicht erst entstehen . In den letzten Wochen ist deutlich geworden, dass es dazu keine Alternative gibt . Vielen Dank . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Heinrich . - Nächster Redner: Volkmar Klein für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Jetzt, gegen Ende der Debatte, wird klar, dass wir die Herausforderungen annehmen, dass Deutschland zu seiner weltweit gewachsenen Bedeutung und Verantwortung steht . Genau das hat der Minister eben bereits sehr eindrucksvoll für uns alle unterstrichen . ({0}) Es bleiben zwei klare Botschaften: Erstens . Wir kümmern uns um die Flüchtlinge in Lagern im Nahen Osten . Das ist auch wichtig . Wir müssen helfen, dass die Lebensbedingungen dort besser werden - im Übrigen nicht nur als Nothilfe über das Auswärtige Amt, sondern so, dass, realistisch betrachtet, diese Menschen dort auch einen längeren Zeitraum bleiben können . Dafür braucht man entsprechende Investitionen . Dafür braucht man entsprechende Infrastruktur, bis hin zu Bildung . Wenn uns das nicht gelingt, dann werden sich die Menschen von dort auf den Weg machen . Die zweite Botschaft lautet: Chancen in den Heimatländern für die Menschen schaffen . Das ist ein Anliegen unserer Politik insgesamt und etwas, was in diesem Haushaltsentwurf bereits ziemlich deutlich wird . Wir müssen Chancen für die Menschen in ihrer Heimat schaffen - auf dem Balkan und in Afrika . Zumindest müssen die Menschen das Gefühl haben, dass sie in ihrer Heimat langfristig ihren Lebensunterhalt verdienen und ein gutes Leben führen können . ({1}) Wenn wir nun dieses in dem vorgelegten Haushaltsentwurf mit einem Plus von 880 Millionen Euro - das ist im Vergleich zum laufenden Haushaltsjahr eine Steigerung um 13,5 Prozent - unterstreichen, dann ist das gut . Gut ist das allerdings vor allem dadurch, dass wir diese deutliche Steigerung ohne Aufnahme von neuen Schulden hinbekommen . Das wiederum ist ein gutes Signal für diese Menschen, für die Länder, die unserer Hilfe bedürfen; denn das macht klar: Auf der Basis dieser Solidität, dieser Stabilität wird sich unsere Wirtschaft auch künftig erfolgreich entwickeln . Dieser Erfolg wird uns auch in Zukunft in die Lage versetzen, unsere internationale Verantwortung wahrzunehmen . ({2}) Wie genau dieser erhebliche Zuwachs um 880 Millionen Euro im nächsten Jahr ausgegeben werden soll, das werden wir in den nächsten neun Wochen diskutieren . Die sogenannten vertraulichen Erläuterungen liegen ja noch nicht vor . Insofern ist das, was wir bisher haben, noch nicht ganz befriedigend, aber die richtige DiskusGabriela Heinrich sionsgrundlage, um Einzelheiten in den nächsten neun Wochen zu klären . Im Moment ist es vielleicht sogar noch ein bisschen zu wenig . Die Kollegin Sonja Steffen hat eben gesagt: Verteilen nach dem Gießkannenprinzip reicht nicht . Die Begründung, die ich im Haushaltsentwurf beispielsweise bei Titeln wie „Technische Zusammenarbeit“ oder „Finanzielle Zusammenarbeit“ oder auch bei den Kirchen und vielen anderen für Steigerungen sehe, nämlich „mehr wegen ODA-Aufwuchs“, ist natürlich ein bisschen zu wenig . Das heißt ja quasi, das Geld muss raus; wir stecken das jetzt einfach mal da rein . - Das ist keine Begründung, sondern das muss die Folge für die Aufgaben sein, die wir aus diesen Titeln finanzieren wollen. ({3}) Dabei ist es tatsächlich so, dass einige in Deutschland weiterhin das schiere Ausgeben von Geld bereits für das Erreichen des Erfolgs halten . Aber wir wissen inzwischen, dass das nicht der Fall ist . ({4}) Wir müssen mit den noch ausstehenden vertraulichen Erläuterungen konkretisieren, was genau Chancen bringt und was genau Fluchtursachen bekämpft . Heute Morgen hat Thomas Oppermann eine weitere Konzentration auf genau dieses Anliegen vorgeschlagen, nämlich eine Umschichtung hin zu diesem Titel für die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“ . In der Tat wächst dieser Titel nur relativ gering auf, nämlich von 70 Millionen auf 110 Millionen Euro . Andererseits - das ist ja auch aus der bisherigen Diskussion hervorgegangen - ist ja eigentlich der gesamte Haushaltsplan des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Versuch, Fluchtursachen zu bekämpfen und Chancen zu geben . ({5}) Genau das wird gebraucht . Dafür reichen einfach nur Gesundheitsprogramme und Bildung, so wichtig dies auch ist, nicht aus . Dadurch allein bekommt nämlich in Afrika noch niemand einen Job, hat noch niemand eine Perspektive zur Erarbeitung seines eigenen Lebensunterhalts in der Zukunft . Dafür müssen wir noch mehr tun . Es gibt auch an den Universitäten Afrikas IT-Absolventen . Wir müssen darüber nachdenken, wie wir Gründerzentren und Businessparks für diese Absolventen schaffen können . Das müssen wir uns auch für Handwerker überlegen . Es reicht nicht, auch wenn es gut gemeint ist, im Rahmen traditioneller Entwicklungszusammenarbeit Handwerker auszubilden . Ein Handwerker - das wissen wir; das ist auch in Deutschland so - muss nicht nur sein Handwerk beherrschen, sondern er muss auch Unternehmer sein, wenn er Jobs schaffen will . Wir müssen in der Tat noch mehr deutsche Firmen dafür begeistern, in Afrika Betriebe zu eröffnen . ({6}) Denn am Ende bleibt: Wer keine Perspektive auf einen Job hat, der wird, auch wenn er noch so gut ausgebildet ist und noch so gut gesundheitlich versorgt ist, in seinem Land nicht bleiben können, weil er keine Arbeitsgelegenheit hat und seinen Lebensunterhalt nicht erarbeiten kann . Deswegen brauchen wir eine stärkere Kooperation auch mit der Wirtschaft in diesen Ländern . ({7}) Hilfe ist ausgesprochen wichtig . Deswegen die Mittelsteigerung, und deswegen sind wir so begeistert dabei, unsere Hilfe anzubieten und gemeinschaftlich einzubringen . Wir wissen aber auch, dass in den meisten Ländern Afrikas die Hauptgründe dafür, dass die Menschen keine Chancen und keine Perspektiven haben, Misswirtschaft und - ich sage es einmal ganz diplomatisch - optimierbare Effizienz von Regierungshandeln sind. Dazu gehören natürlich auch - die Kollegin Hajduk hat es eben gesagt effiziente Steuersysteme. Auch viele andere Dinge gehören dazu . Möglicherweise kann auch eine intensivierte Zusammenarbeit mit den Kommunen in Deutschland helfen, Erfahrungen weiterzugeben . Das alles ist wichtig . Vielleicht sollten wir in der Entwicklungszusammenarbeit ein bisschen von unseren Erfahrungen im Euro-Raum lernen . Denn auch in einigen der Programmländer waren Defizite bei der Regierungsführung das Problem . Dort hat die Troika entscheidend dazu beigetragen, Verwaltungskompetenz zu stärken und vor allen Dingen Bremsklötze für eine erfolgreichere Entwicklung wegzuräumen . Genau das braucht Afrika . Troikas für Afrika - das wäre der richtige Spruch . ({8}) Keine Sorge, es geht nicht um eine Aufnahme in den Euro-Raum, das ganz bestimmt nicht, aber sehr wohl um eine klare Konditionalität, um die Ansage: Wir geben Hilfe, aber wir erwarten eine bessere Regierungsführung . Dies müssen wir wahrscheinlich ein bisschen robuster angehen, als wir bisher bereit gewesen sind . ({9}) Je besser wir das schaffen, desto mehr können wir mit unseren Mitteln erreichen . Im Übrigen müssen wir uns dafür ja auch gegenüber unseren Steuerzahlern verantworten . Wenn wir das schaffen, kann unser jetzt vorliegender Haushaltsentwurf eine wirklich hervorragende Ausgangslage für die weitere Diskussion in den nächsten neun Wochen sein . Damit können wir dann genau das erreichen, was Minister Gerd Müller in seiner hervorragenden Art überall kommuniziert . Wir können das erreichen, wenn wir es gemeinsam wollen . Wir schaffen es auf diesem Wege, Chancen und Perspektiven für die Menschen zu schaffen, nicht nur auf dem Balkan, nicht nur im Mittleren Osten, sondern auch in Afrika . Um das zu erreichen, sollten wir weniger Streit anzetteln und gemeinsam in diese Richtung arbeiten . Herzlichen Dank . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Klein . - Jetzt kommt die Krönung dieser Debatte, als letzter Redner Stefan Rebmann . ({0}) Ich hatte noch 30 Sekunden, aber ich gebe ihm die Redezeit, die eigentlich vorgesehen war .

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank . - Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich freue mich natürlich über einen ordentlichen Aufwuchs in unserem Entwicklungsetat . Dieser Aufwuchs ist einer ganzen Reihe von Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, die in der Vergangenheit vehement dafür eingetreten sind . Die einen oder anderen haben ihr Anliegen auch durch ihr Abstimmungsverhalten dokumentiert, was nicht immer zu Beifallsstürmen bei den Haushältern und bei den eigenen Fraktionsspitzen geführt hat . Ich finde, die Richtung in diesem Etat stimmt. Es ist aber auch klar: Unser Versprechen, 0,7 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklung zur Verfügung zu stellen, werden wir, anders als Schweden und Großbritannien, nicht erreichen . Heute Morgen hat die Bundeskanzlerin hier an dieser Stelle schon richtigerweise betont, wie eng die Verzahnung zwischen Innen-, Außenund Entwicklungspolitik ist . Sie hat auch darauf hingewiesen, welche Auswirkungen es hat, wenn wir in der Entwicklungspolitik etwas nicht tun . Wir Entwicklungspolitiker wissen nur zu gut, wozu Perspektivlosigkeit, Landraub, kein ausreichender Zugang zu Nahrung, kein Zugang zu sauberem Wasser, keine ordentlichen Chancen auf Bildung, kein Zugang zu einem Gesundheitssystem und dergleichen führen können . Das alles löst Wanderungsbewegungen aus, und das alles begünstigt auch Konflikte, was wiederum dazu führt, dass sich Menschen schlichtweg in Sicherheit bringen wollen und flüchten. All das und vieles mehr - Konfliktmineralien, Lieferketten, keine ordentlichen Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit, Zwangsarbeit und dergleichen, keine fairen Handelsverträge - sind auch Fluchtursachen . Und wir diskutieren hier darüber, dass wir uns auf die Fluchtursachen konzentrieren sollten . ({0}) Es ist richtig gesagt worden: Der Gesamtetat, die gesamte Entwicklungspolitik ist in den Fokus zu nehmen. Deshalb, finde ich, muss der Entwicklungspolitik ein ganz anderer Stellenwert beigemessen werden . Das drückt sich auch in einem Haushalt aus, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({1}) Wir können in der Entwicklungspolitik, glaube ich, vieles erreichen und vieles auf den Weg bringen . Wir können aber nicht alle Probleme lösen . Ich habe es an anderer Stelle schon einmal gesagt: Ich bin der Meinung, jeden Euro, den wir in zielgerichtete Entwicklungspolitik investieren, bekommen wir zeitverzögert doppelt und dreifach zurück . Ich glaube, angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, ist dieser Etat ein Schritt in die richtige Richtung . Aber er ist nicht ausreichend . Wir müssen ihn verstetigen . Wir müssen diesen Etat in den nächsten Jahren deutlich nach oben heben . Dafür werbe ich, nicht nur bei euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern ganz besonders auch bei unseren Haushälterinnen und Haushältern . ({2}) Ich war im vergangenen Jahr mit der Kollegin Wöhrl in Jordanien und im Libanon . Wir haben dort mehrere Flüchtlingscamps besucht . Ich kann mich noch sehr gut an die Berichte der Flüchtlinge und an die aus Plastikplanen und Säcken zusammengebauten Zelte erinnern . Unmittelbar neben ihnen trieben Abwässer und Fäkalien von mehreren Tausend Flüchtlingen vorbei; ich habe den Geruch noch sehr präsent in der Nase . Ich kann mich auch noch sehr gut an die junge Medizinstudentin aus meinem Wahlkreis Mannheim mit enormem Engagement erinnern, die in einem Zelt eine junge Frau behandelt hat . Vor dem Zelt gab es eine Schlange, die gar nicht abreißen wollte . Vor wenigen Wochen war ich mit ein paar Kollegen in Uganda . Wir haben uns dort vor Ort Forschungsprojekte zu Aids, Tuberkulose und Malaria angeschaut . Auch dort waren wir in sogenannten Testgemeinden . Wir haben gesehen, wie die Lebensbedingungen der Menschen sind . Ich erzähle das nicht nur, um darauf hinzuweisen, wie hervorragend die Arbeit der zig Tausenden ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer ist, wie hervorragend die NGOs ihre Helfer einsetzen und sich engagieren - ihnen sind wir zu Dank verpflichtet -, sondern ich sage das auch, weil ich der Meinung bin, dass wir viel mehr tun müssen . Wir müssen solche Projekte und Forschungseinrichtungen viel mehr unterstützen, als wir es bisher tun . Auch dies - diese Bedingungen - führt nämlich dazu, dass sich Menschen auf den Weg begeben und eine bessere Zukunft suchen . Ich sage noch einmal: Ich glaube, wir haben mit diesem Etat noch nicht das erreicht, was wir eigentlich darstellen müssten . In der letzten Haushaltsdebatte habe ich auf unsere Fehler und Versäumnisse bei der Ebolaepidemie hingewiesen . Heute wissen wir: Über 11 300 Menschen sind gestorben . Und wir wissen: Wir hätten es verhindern können . Seit 2005 war ein Wirkstoff bekannt, der aber nie getestet wurde . Warum? Weil das Geld dafür fehlte . Dieses Problem haben wir nicht nur bei Ebola, sondern auch bei Malaria, Tuberkulose und anderen armutsassoziierten Krankheiten . Auch Polio - das haben wir heute auch schon gehört - beginnt wieder auszubrechen, weil die Schluckimpfungen ausbleiben . Um es deutlich zu sagen: Das Geld, das wir hier investieren, rettet Menschenleben, und das Geld, das wir nicht investieren, nimmt Menschenleben. Ich finde, dessen müssen wir uns bewusst sein . Ich muss schon sagen: Ich war etwas verwundert und verärgert, dass die Mittel für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria nicht erhöht wurden . Es ist nicht nur so, dass die Mittel im letzten Haushalt zunächst von 245 Millionen Euro auf 200 Millionen Euro gekürzt werden sollten . Vielmehr sind auch die 220 Millionen Euro, auf die man sich aufgrund eines Kompromisses geeinigt hat, letzten Endes auf 210 Millionen Euro zusammengestrichen worden . Gleichzeitig ist im Etat plötzlich ein Posten für irgendeine Wirtschaftssache aufgetaucht, die mit keinem der Entwicklungspolitiker verabredet war . ({3}) Ich appelliere wirklich an die Haushaltspolitiker, beim Globalen Fonds und bei Gesundheit noch einmal genau hinzuschauen - auch mit dem Blick auf die Fluchtursachen -, damit wir hier noch einmal entsprechend nachlegen können . ({4}) Das können wir auch, und wir können auch ganz genau beweisen - die Zahlen belegen das -, wie gut der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria arbeitet . Deshalb bitte ich, darüber noch einmal nachzudenken . Frau Präsidentin, ich komme gelegentlich zum Ende . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nein, „gelegentlich“ wirklich nicht . Bitte komme zum Ende .

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja . - Es wird nicht ausreichen, nur die Krankheiten zu bekämpfen . Wir brauchen auch gute Arbeit, einen Zugang zum Bildungssystem und dergleichen . Wir in Deutschland und in Europa machen den Wasserhahn auf und bekommen sauberes Wasser . Wir haben Strom, eine Heizung und Medizin, wann immer wir dies brauchen . Wir haben einen vollen Bauch, wie man an mir ganz gut sehen kann . Es ist die absolute Ausnahme, wie wir leben . 73 Prozent der Menschheit haben diese Privilegien nicht . Seien wir dankbar, dass wir so privilegiert leben dürfen . Wundern wir uns nicht, dass die anderen 73 Prozent der Menschheit auch so leben wollen und sich auf den Weg zu uns machen . Tun wir alles dafür, dass die Menschen in ihren Ländern, ihrer Heimat, eine Zukunft und die Chance haben, auch so zu leben . Herzlichen Dank . - Und herzlichen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, lieber Kollege Stefan Rebmann . - Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor . Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 10 . September 2015, 9 Uhr, ein . Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, der sich für Sie alle gut entwickelt . Damit ist die Sitzung geschlossen .