Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Wahl von vier
Mitgliedern des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für
Wiederaufbau zu erweitern. Die Wahl soll im Anschluss
an die Geschäftsordnungsdebatte erfolgen, vorausgesetzt
das Anliegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat
keinen Erfolg.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat zunächst die Kollegin Britta Haßelmann.
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat:
Gestern sollte kurzerhand per amtlicher Mitteilung dieser Vorgang beschlossen werden. Dagegen haben wir
Widerspruch eingelegt, weil wir finden: Das muss heute
hier diskutiert werden.
({0})
Ich sage ausdrücklich: Das richtet sich nicht gegen die
Personen, die Sie als Mitglieder vorschlagen. Das wissen
auch alle handelnden Personen. Es geht uns hier um das
Verfahren.
Meine Damen und Herren, worum geht es? Es geht darum, dass der Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode
heute teilweise neu besetzt werden soll. Er wird nicht legislaturperiodenscharf besetzt, sondern es werden heute
drei Plätze von ausscheidenden Mitgliedern nachbesetzt,
die ihren Sitz bis zum 31. Dezember 2013 innehatten. Für
die 18. Legislaturperiode - darauf haben wir uns in einem
gemeinsamen Antrag zur Geschäftsordnung und zu den
Stellenanteilen für die Fraktionen verständigt - haben wir
als grüne Fraktion den Anspruch, in diesem Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau vertreten zu sein.
({1})
Das ist richtig und wichtig; denn dort geht es um ganz
viele Förderprogramme und ganz viele Bundesgelder.
Deshalb ist es selbstverständlich, dass wir als eine von
vier Fraktionen einen Vertretungsanspruch haben - dieser Auftrag ist uns zugebilligt nach der gemeinsamen
Vereinbarung nach Sainte-Laguë/Schepers - und dass
wir unseren Sitz dort wahrnehmen können.
({2})
Wir haben gegenüber den Fraktionen von SPD und
Union deutlich gemacht, dass, wenn jetzt diese erste Besetzung stattfindet, wir die einzige Fraktion sind, die im
Moment nicht in diesem Verwaltungsrat vertreten ist.
Wir wollen einen dieser Sitze wahrnehmen, um unserem
Auftrag gerecht zu werden, gemeinsam mit den anderen
Fraktionen Kontrolle auszuüben.
({3})
Dieses Recht wird uns jetzt verweigert, und zwar mit
dem Argument, die Besetzung des Verwaltungsrats wäre
nicht an den Beginn der Legislaturperiode gebunden.
Okay, meine Damen und Herren, dann lassen Sie uns
dieses Argument mal durchgehen. Warum sagen Sie
dann in Ihrer Argumentation: Heute beginnt hier sozusagen die 18. Legislaturperiode, und angesichts der Zusammensetzung des Bundestags in der 18. Legislaturperiode besetzt die Union zwei und die SPD einen der
freiwerdenden Sitze? Meine Damen und Herren, da kann
doch etwas nicht in Ordnung sein. Sie widersprechen
sich doch selbst.
({4})
Sie beziehen sich bei diesem Benennungsverfahren
auf einen Rechtsvermerk der Bundestagsverwaltung.
Das halte ich schon mal für ein Unding, weil die Frage
der Unterrepräsentanz der Grünen in diesem Rechtsvermerk überhaupt nicht erörtert wird. Wenn man diesem
Verfahren und Ihrer Logik folgte, dass jetzt sozusagen
die 18. Wahlperiode beginnt und deshalb der Union zwei
Sitze und der SPD ein Sitz zustehen, dann wären wir erst
2015 dran. Denn bei der nächsten Besetzung nach dem
Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren wären erst mal wieder
die SPD und die Linken dran, und die Grünen folgen erst
auf Platz sechs, im Jahr 2015.
Das kann nicht richtig sein. Das ist politisch falsch,
und es ist rechtlich höchst zweifelhaft. Wir melden hier
ganz deutlich unseren Widerspruch an und werden dieser Besetzung heute auf gar keinen Fall zustimmen.
({5})
Nun hat der Kollege Michael Grosse-Brömer das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Kollegin Haßelmann, Sie haben sich
Mühe gegeben, den Sachverhalt möglichst kompliziert
darzustellen.
({0})
Im Prinzip ist er ganz einfach: Es geht heute um die Besetzung eines Gremiums - das, was wir in den letzten
Wochen mehrfach, fast täglich, gemacht haben. Und Sie
haben es selbst angesprochen: Wir haben da ein vereinbartes Verfahren.
({1})
Wenn, wie in diesem konkreten Fall, sieben Personen in
diesem Gremium sind - wir haben eine Berechnung
nach Sainte-Laguë/Schepers vereinbart -, dann ergibt
sich folgende Zusammensetzung, auch orientiert an der
Größe der Fraktionen aufgrund des Wahlergebnisses:
Die Union bekommt drei Sitze, die SPD bekommt zwei,
die Grünen bekommen einen und die Linken bekommen
einen.
({2})
Das bleibt auch so. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie
auf die Idee kommen, dass man Ihnen diesen Sitz nicht
gönnt. Es bleibt doch dabei.
({3})
Es gibt in diesem konkreten Gremium nur eine Besonderheit - da haben Sie völlig recht -: Es wird zu Beginn der Wahlperiode, anders als die anderen, nicht in
der Gesamtheit neu besetzt, sondern angesichts der Tatsache, dass die Mitglieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausscheiden, je nachdem, ob ein Platz frei wird,
Schritt für Schritt.
({4})
Nun scheiden drei Mitglieder aus. Im Übrigen sollen nur
die wiedergewählt werden, die schon Mitglieder sind.
Von den drei Sitzen stehen logischerweise, nach den Berechnungen nach Sainte-Laguë/Schepers, zwei der
Union und einer der SPD zu. Und Sie bekommen natürlich den Sitz, wenn er frei wird und Ihnen rechnerisch
zusteht - ganz einfach!
({5})
Wir haben natürlich bei der Bundestagsverwaltung
Rechtsrat eingeholt, weil ich Ihre Interessen immer sehr
ernst nehme. Egal, ob es Minderheitenrechte oder Ihre
persönlichen Ansichten sind - wir unterhalten uns immer ganz gut.
({6})
Ich gehe gar nicht davon aus, dass nur ich recht habe.
Also haben wir ein vernünftiges, sachverständiges Gutachten eingeholt,
({7})
und damit haben wir eine profunde Festlegung durch die
Bundestagsverwaltung. Die Kurzfassung dieser Bewertung - ({8})
- Ich weiß, Sie sind jetzt ein bisschen aufgeregt, aber das
müssen Sie sich jetzt auch anhören. - Die Kurzfassung
dieser Bewertung lautet wie folgt: Das Sainte-Laguë/
Schepers-Verfahren ist vereinbart; deswegen ist das, was
Grosse-Brömer und die CDU/CSU und die SPD sagen,
richtig. - Selbst wenn es nicht vereinbart wäre, gäbe es
kein Verfahren, das Ihre Rechtsauffassung widerspiegelt.
({9})
Nur damit das klar ist: Wir haben das gestern im Ältestenrat besprochen, und es gab nicht eine Fraktion, die
Ihrer Auffassung ist. Jenseits der Rechtslage will ich Sie
mal eines fragen: Können Sie sich an 2009 erinnern? Da
war es in diesem Gremium folgendermaßen: Frau
Scheel, eine Grüne, hatte einen Sitz inne, und uns stand
er zu. Was haben wir gemacht? Wir haben keine Geschäftsordnungsdebatte geführt, wir haben uns nicht aufgeregt, sondern haben gewartet, bis die Kollegin ausschied, bis ihre Amtszeit abgelaufen war, und dann
haben wir nachbesetzt.
({10})
So gehört es sich unter Kollegen. Man sollte sich nicht
permanent hinstellen und Sonderrechte einfordern.
({11})
Ich will Ihnen abschließend sagen: Wir, die Union,
haben die ganze Zeit - das wird auch in den künftigen
Debatten so sein - Wert darauf gelegt, dass die Opposition Minderheitenrechte bekommt, auch wenn sie Quoren nicht erreicht.
({12})
Aber eines müssen Sie sich abgewöhnen: Sonderrechte
für Ihre Fraktion, für Ihre Abgeordneten zu fordern, ausgehend von der Annahme, dass Abgeordnete der Grünen
wertvoller sind als Abgeordnete der SPD oder anderer
Fraktionen.
({13})
Da machen wir nicht mit, auch wenn Sie hier noch so
viele Geschäftsordnungsdebatten beantragen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({14})
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte zu beachten,
dass wir über den Aufsetzungsantrag abstimmen. Wer
stimmt für den Aufsetzungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Aufsetzungsantrag ist mit
den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir verfahren jetzt weiter gemäß der Tagesordnung.
Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 2 auf:
Wahl von Mitgliedern des Verwaltungsrates
der Kreditanstalt für Wiederaufbau gemäß
§ 7 Absatz 1 Nummer 4 des Gesetzes über die
Kreditanstalt für Wiederaufbau
Drucksache 18/398
Dazu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD vor. Wer stimmt für den Wahlvorschlag auf Drucksache 18/398? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Wahlvorschlag ist angenommen.
Ich rufe nun wieder Tagesordnungspunkt 1 auf:
Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin({0})
Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir am Mittwoch
für die heutige Aussprache insgesamt 3 Stunden und
36 Minuten beschlossen haben.
Wir kommen nun zu den Bereichen Verkehr und digitale Infrastruktur. Das Wort hat der Bundesminister
Alexander Dobrindt.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Bundesministerium für Mobilität und
Modernität hat Aufgaben, die von zentraler Bedeutung
für die gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes
sind.
({0})
- Schon Aufruhr beim ersten Satz, nicht schlecht.
({1})
Verkehr und digitale Infrastruktur, das sind die Herausforderungen, die wir nicht nur rein technisch diskutieren dürfen, sondern die wir vor allem gesellschaftspolitisch verantworten und organisieren müssen. Wer
Mobilität organisiert, der organisiert die Lebensadern
unserer Gesellschaft, der stellt die Weichen für Wachstum und zukünftigen Wohlstand in unserem Land.
Es war deswegen ein richtiger Schritt, dass wir die
Bereiche Verkehrsinfrastruktur und digitale Netze in einem Ministerium gebündelt haben und damit zusammen
denken, zusammen planen und zusammen errichten. Das
ist genau der Ansatz, der mit über die Zukunftschancen
unseres Landes entscheidet und damit über die Zukunftschancen eines jeden Einzelnen von uns. Der Zugang zur
digitalen Welt, der über die Netze organisiert wird, wird
mit ausschlaggebend dafür sein, ob unsere nächste Generation Zukunftschancen in unserem Land hat.
({2})
Ich rate dazu, dies unter folgendem Gesichtspunkt zu
sehen: Wenn wir für einen Moment die Technik in den
Hintergrund und die Gesellschaftspolitik in den Vordergrund treten lassen, dann kann man feststellen, dass die
Frage der Digitalisierung vor allem eine Frage der Gerechtigkeit ist. Es ist eine Frage der Innovationsgerechtigkeit, ob ich heute Zugang zur digitalen Welt habe, und
damit ist es eine Frage der Teilhabegerechtigkeit. Jeder
in unserem Land hat Anspruch darauf, an der neuen
Technologie teilzuhaben.
({3})
Wir haben mit der sozialen Marktwirtschaft Ökonomie und sozialen Ausgleich zusammengebracht. Die soziale Marktwirtschaft gibt uns bis heute den Auftrag, die
Ökonomie und die Ökologie sowie nunmehr gerade auch
die Ökonomie und die digitale Revolution zusammenzubringen; denn das ist der Garant für wirtschaftlichen Erfolg in unserem Land. Neben der Produktivität und der
sozialen Verantwortung wird die Teilhabe an der digitalen Welt künftig über Wachstum und Wohlstand mit entscheiden.
Dabei darf man sich nicht ausruhen auf dem, was man
schon erreicht hat, darauf, dass wir funktionierende
Netze in den großen Städten haben und große Datenmengen transportiert werden können. Wir haben in diesem Bereich eine enorme Dynamik zu verzeichnen. Die
Datenmenge, die transportiert werden muss, wird in den
nächsten Jahren sprunghaft ansteigen. 2020 werden wir
fünfzigmal mehr Daten transportieren und speichern
müssen, als dies zurzeit der Fall ist. Dabei geht es nicht
nur um die Kommunikation, die wir alle mit unseren
Handys ausüben, sondern in erster Linie um die Kommunikation der Dinge untereinander. Dadurch werden
Daten produziert. Die selbstständige Kommunikation
der Maschinen untereinander wird Produktionsprozesse
bestimmen. Das, was wir heute als Industrie 4.0 bezeichnen, die Modernisierung der Produktionsprozesse mittels
Digitalisierung, ist in vollem Gange. Die wirtschaftliche
Bedeutung der digitalen Infrastruktur ist inzwischen so
groß, dass wir sie neben der Arbeit, neben den Ressourcen und neben dem Kapital als vierten Produktionsfaktor
bezeichnen können.
Deswegen dürfen wir in Europa nicht einfach zuschauen, wie unser Wirtschaftsraum in diesem Bereich
im Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen, beispielsweise dem der Vereinigten Staaten von Amerika oder der
asiatischen Länder, Gefahr läuft, technisch abgehängt zu
werden. Es ist etwas Neues für uns, darüber nachzudenken, was es für uns in Europa bedeutet, technisch abgehängt zu werden. In anderen Regionen der Erde haben
wir 50 Prozent mehr Pro-Kopf-Investitionen in die digitale Infrastruktur als in Europa. Das kann uns nicht zufriedenstellen. Das heißt, dass die Kluft, die im digitalen
Bereich inzwischen zwischen uns, den Vereinigten Staaten von Amerika und den chinesischen Märkten entstanden ist, nicht kleiner, sondern immer größer wird. Es
braucht eine Initialzündung, damit wir eine Aufholjagd
starten können. Deswegen werden wir eine Netzallianz
Digitales Deutschland ins Leben rufen, an der all diejenigen teilnehmen sollen, die willig sind, in unsere digitalen Netze zu investieren. Wir werden die Rahmenbedingungen so gestalten, dass diese Investitionen in die
Netze in erhöhtem Maße erfolgen können und das Vorhaben erfolgreich ist.
({4})
Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass
wir bis 2018 ein flächendeckendes Breitbandnetz mit
50 Megabit pro Sekunde in Deutschland haben wollen.
Neben dem Ausbau des Glasfaserkabelnetzes wird man
dafür weitere Techniken benötigen. Wir gehen davon
aus, dass dieser schnelle Datenzugang in der Fläche nur
dann zu erreichen ist, wenn man Hybridtechniken einsetzt, das heißt, die Nutzung unterschiedlicher Netzzugänge gleichzeitig möglich ist.
An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, für die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit
dem Wirtschaftsministerium zu danken. Das ist nicht immer eine Selbstverständlichkeit.
({5})
- Mit dem Bundeswirtschaftsministerium schon, habe
ich gerade gehört.
({6})
- Ich kann ja verstehen, dass Sie Zweifel daran haben,
dass wir gut zusammenarbeiten können. Glauben Sie
mir: Der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und
ich haben in dieser Frage exzellent zusammengearbeitet.
({7})
Wir haben uns in der bedeutenden, entscheidenden inhaltlichen Frage, wer zukünftig für die Frequenzpolitik
zuständig ist - die Frequenzpolitik kann ein Schlüssel
sein, wenn es darum geht, in der Fläche eine echte Breitbandversorgung zu haben -, geeinigt. Das BMVI ist zukünftig für die digitale Dividende und die Frequenzpolitik zuständig. Das ist in unser beider Interesse. Es liegt
in der gemeinsamen Verantwortung des Bundeswirtschaftsministers und mir, dass wir mit dieser Strategie
am Schluss im Sinne der Bevölkerung Deutschlands erfolgreich sind und eine flächendeckende Breitbandversorgung haben. Deswegen danke schön an den Bundeswirtschaftsminister dafür, dass dies gelungen ist.
({8})
Sie sehen, wir nehmen diese Herausforderung ernst.
Ich erwarte nicht, dass dies einfach gelingen kann. Deswegen ist es umso wichtiger, dass man seine Kompetenzen an dieser Stelle bündelt. Nicht nur in der Politik,
sondern auch in der Wirtschaft wird es darum gehen, ob
man die Kompetenzen bündeln kann. Wenn Sie sich
heute anschauen, welche Topunternehmen es in der digitalen Welt gibt, dann werden Sie darunter kaum noch ein
europäisches Unternehmen finden. Der Wettbewerb findet heute zwischen Amerika und den asiatischen Ländern statt.
Wer zukünftig Wertschöpfung generieren will, der
wird sich an der Spitze der technischen Entwicklung bewegen müssen.
({9})
Dies ist nicht nur eine rein finanzielle Frage, sondern es
ist auch eine Frage der Sicherheit. Ich trete da dem Bundesinnenminister nicht zu nahe, weil auch wir in diesem
Bereich an einem gemeinsamen Strang ziehen.
({10})
Gesetze sind das eine, das Know-how über die Technik
ist das andere. Wenn wir in Europa die Kompetenz verlieren, die digitale Technik zu verstehen, und sie nur
noch konsumieren, dann ist auch die Sicherheitsfrage
nicht lösbar. Deswegen müssen wir uns Kompetenz an
dieser Stelle zurückerarbeiten.
({11})
Ich sage Ihnen: Eine Aufgabe der Netzallianz wird
sein, das Interesse derjenigen, die heute in dieser Branche, in der digitalen Welt wirtschaftlich unterwegs sind,
zu wecken und zu fördern, in der digitalen Champions
League mitzuspielen. Dabei geht es für uns in der Tat um
eine digitale Souveränität Europas. Ein Kontinent, der
davon lebt, dass er Spitzentechnologien entwickelt, und
in der Welt mit dabei ist, wenn es darum geht, SpitzenBundesminister Alexander Dobrindt
technologien zu nutzen, kann schlichtweg nicht akzeptieren, dass er in einem bedeutenden Feld der Zukunft,
nämlich der digitalen Modernisierung, nicht ganz vorne
mitspielt. Deswegen müssen wir unsere digitale Souveränität in Europa verteidigen, auch gegenüber anderen
Ländern der Erde.
({12})
Modernisierung ist übrigens auch das Schlüsselwort,
wenn es um die klassische Infrastruktur geht: um die
Straßen, um die Schienen, um die Wasserwege und um
den Luftverkehr. Das wollen wir nicht isoliert betrachten, sondern es geht um ein vernetztes Mobilitätsangebot. Wir werden unsere Infrastruktur nicht nur sichern
müssen - wir haben ja gut ausgebaute Netze im Bereich
der Straßen, der Bahnen und der Wasserwege -, sondern
wir wollen sie auch weiterhin ausbauen.
Wir haben gerade in diesen Tagen über 20 Jahre
Bahnreform diskutiert und sie gefeiert. Die Bilanz ist im
Grundsatz sehr positiv. Trotz aller Konkurrenz durch das
Auto, den Flugverkehr und inzwischen auch durch Fernbuslinien nimmt die Attraktivität der Bahn weiter zu.
Die Fahrgastzahlen steigen weiter an. Wir wollen das
System der Schiene stärken und es weiter ausbauen, um
einen verlässlichen und sicheren Schienenverkehr zu haben. Das ist notwendig, weil wir ein Höchstmaß an Mobilität für alle garantieren müssen. Mobilität ist ein
Grundrecht, und zu Recht fordern die Menschen in diesem Land eine funktionierende Mobilitätsinfrastruktur
ein.
({13})
Ich habe in den letzten Tagen bei den Gesprächen mit
Vertretern der Bahn deutlich darauf hingewiesen, dass
die Bahn inzwischen mehr als ein Reisemittel, mehr als
ein Transportmittel geworden ist. Sie ist für viele ein
mobiler Arbeitsplatz geworden. Deswegen hat die Bahn
die Verantwortung, die digitale Modernisierung voranzutreiben. WLAN an den Bahnhöfen, leistungsfähige Internetanschlüsse in den Zügen - das entspricht einer modernen Kundenorientierung. Wir können von der Bahn
verlangen, dass sie hier besser wird und dafür sorgt, dass
diese modernen Technologien in die Bahn Eingang finden.
({14})
Wir müssen die leistungsfähige Schieneninfrastruktur
erhalten und ausbauen. Dafür sind weiterhin Investitionen notwendig. Wir werden in den nächsten Monaten
mit der Deutschen Bahn AG in die Verhandlungen über
eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung eintreten und wollen darin die finanziellen Rahmenbedingungen für den Erhalt dieser Infrastruktur festlegen. Ich will
in diesem Zusammenhang auch festhalten: Wir stehen
genauso zu einem gesunden und funktionierenden Wettbewerb auf der Schiene wie zum integrierten Konzern
Deutsche Bahn AG.
({15})
Wir haben uns innerhalb der Koalition auf zusätzliche
Infrastrukturinvestitionsmaßnahmen in Höhe von 5 Milliarden Euro geeinigt. Das ist ein wesentlicher Beitrag,
um die Substanzsicherung unserer Verkehrswege voranzutreiben. Davon müssen alle Bereiche profitieren, sowohl die Straße als auch die Schiene und die Wasserwege.
Wir werden einen erheblichen Teil dieser Mittel für
Erhaltungsmaßnahmen einsetzen. Das wiederum heißt,
dass die Spielräume für den Neubau natürlich nicht grenzenlos sein werden. Deswegen ist es unsere Aufgabe, für
weitere finanzielle Spielräume zu sorgen. Dies geht nur,
wenn wir die Weiterentwicklung der Nutzerfinanzierung
vorantreiben. Das betrifft auf der einen Seite die LkwMaut, die wir, wie im Koalitionsvertrag vereinbart,
Schritt für Schritt ausweiten werden. Das betrifft auf der
anderen Seite die Pkw-Maut, über die wir von den Haltern nicht in Deutschland zugelassener Pkw einen angemessenen Beitrag erheben werden mit der Maßgabe,
dass kein Halter eines in Deutschland zugelassenen
Fahrzeugs stärker belastet wird als heute. Einen genau
dies beinhaltenden Gesetzentwurf werde ich vorlegen.
Er wird europarechtskonform sein. Etwas anderes gibt es
mit mir auch nicht.
({16})
- Ich freue mich, wie euphorisch sich die Grünen schon
wieder diesem Thema nähern.
({17})
- Betrachten Sie es doch einfach einmal ganz unideologisch.
({18})
Wenn in fast allen unseren Nachbarländern die deutschen Autofahrer über eine Nutzerabgabe ganz selbstverständlich an der Finanzierung der funktionierenden
Infrastruktur beteiligt werden, dann ist es doch nur eine
Frage der Gerechtigkeit, dass Fahrer aus dem Ausland,
die unsere Infrastruktur in Deutschland nutzen, auch am
Erhalt mit beteiligt werden. Um mehr geht es doch gar
nicht.
({19})
Wir haben das Zukunftsprojekt Elektromobilität auf
die Agenda gesetzt. Dafür wurden in der Vergangenheit
die Weichen schon gut gestellt. Die deutschen Autohersteller haben angekündigt, dass in diesem Jahr 16 verschiedene Modelle auf dem Elektroautomarkt verfügbar
sein werden. Es gab allein im letzten Jahr einen Zuwachs
von 32 Elektrofahrzeugmodellen auf dem deutschen
Markt. Inzwischen sind über 104 000 Elektrofahrzeuge
in Betrieb. Das zeigt: Die Elektromobilität beginnt zu
wachsen. Das ist ein ermutigender Schritt.
Das heißt aber auch: Wir müssen neue Anreize setzen,
damit noch mehr dieser Autos schneller auf den Markt
kommen. Deswegen bringen wir ein Elektromobilitätsgesetz auf den Weg, in dem wir vor allem Privilegien für
Halter und Fahrer von Elektrofahrzeugen schaffen wie
zum Beispiel Sonderparkplätze oder die Möglichkeit zur
Nutzung von Sonderfahrspuren.
Alles, was hilft, zu überzeugen, dass Elektromotoren
ein Automobilantrieb der Zukunft in unserer mobilen
Gesellschaft sind, ist es, glaube ich, wert, dass man es
organisiert und mit auf den Weg bringt. An dieser Stelle
wollen wir den Mehrwert der Elektromobilität über den
reinen Umwelt- und Energiegedanken hinaus herausstellen.
Herr Minister, wenn Sie als Abgeordneter sprechen
würden, müsste ich Sie schon seit zwei Minuten auffordern, zum Schlusspunkt zu kommen.
({0})
Sie können natürlich weitersprechen; ich mache Sie aber
darauf aufmerksam, dass das Konsequenzen für die Redezeit der Mitglieder Ihrer Bundestagsfraktion hat.
Frau Präsidentin, ich weiß; aber ich habe zwölf Jahre
darauf gewartet, einmal die Chance zu haben, hier länger
zu reden, als mir erlaubt ist. Diese Chance will ich jetzt
nutzen.
({0})
Gut. Ich gehe davon aus, dass Ihre Fraktion jedes Verständnis dafür hat und die daraus folgenden Veränderungen klaglos trägt.
Danke schön. - Die öffentliche Hand muss mit gutem
Beispiel vorangehen und in die Elektromobilität investieren und dafür sorgen, dass die Fuhrparks Stück für
Stück umgestaltet werden. Nur so kann auch ein funktionierender Gebrauchtwagenmarkt entstehen. Er ist ein
Schlüssel dafür, dass diese Autos in breiter Masse zur
Verfügung stehen werden.
Ich glaube an die Elektromobilität. Gerade die Elektromobilität kann ein Element sein, um den Modernisierungsprozess unseres Landes mit voranzutreiben. Elektromobilität auf der einen Seite und Digitalisierung auf
der anderen Seite, das ist ein Beispiel dafür, dass in den
Akzenten, die wir in diesem Jahr setzen, die Themen
Mobilität und Modernität eng miteinander verknüpft
sind. Wir sind fest entschlossen, Mobilität und Modernität weiterzuentwickeln - im Sinne von Wachstum und
Wohlstand in unserem Land.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich will aus dem weiten Feld der Verkehrspolitik drei
Themen ansprechen: die Straße, die Bahn und den
ÖPNV.
Vorab will ich aber sagen, dass mich Herr Dobrindt
überrascht hat: Herr Dobrindt, Sie haben über Infrastruktur und Netze viel interessanter gesprochen,
({0})
als ich es bisher vom Verkehrsminister gekannt hatte.
Ob der Ausschuss für Mobilität und Modernität, wie
Sie ihn nennen, der spannendste in dieser Legislaturperiode wird, das wird sich zeigen. Sie haben festgestellt, dass es nicht um technische Fragen gehe, sondern
darum, wie der gesellschaftliche Prozess gestaltet werde;
dass es um die Wege gehe, auf denen Menschen und Güter zusammenkommen; und dass Teilhabegerechtigkeit
ein wichtiges politisches Ziel sei. - D’accord, das passt
hervorragend zu den Anforderungen, die wir an eine
gute Verkehrspolitik stellen. In der Tat werden auf diesen Gebieten die Weichen für die Zukunft gestellt.
Das heißt aus unserer Sicht: Wir brauchen Mobilität
für alle - aber mit weniger Verkehr! Das betrifft zum
Beispiel den gesellschaftlichen Prozess der Produktion
und Verteilung von Waren. Mit den Lkw-Lawinen, die
heute durchs Land rollen, mit immer mehr Lärm, Dreck,
Staus und kaputten Straßen muss irgendwann Schluss
sein. Wir wissen alle, dass der zerstörerische Klimawandel durch den motorisierten Verkehr entscheidend befeuert wird.
In Ihrem Koalitionsvertrag steht allerdings nichts,
was zeigen würde, dass Sie sich dieser Probleme bewusst wären, im Gegenteil - ich zitiere -:
Das Netzwerk Güterverkehr und Logistik werden
wir weiter festigen …
Sie gehen einfach davon aus, dass der Lkw-Verkehr in
den nächsten 15 Jahren um 70 Prozent wächst. Das ist
Transportwahnsinn und den wollen Sie ausbauen mit Ihrer Nutzerfinanzierung. Das wollen wir nicht.
({1})
Wir brauchen endlich so etwas wie eine regionale Strukturpolitik, damit Produkte wie Milch, Zucker, Bier, Tierfutter usw. nicht durch ganz Europa gekarrt werden, sondern regional auf den Markt kommen. Es müssen doch
nicht fünf verschiedene Paketdienste eine Ortschaft anfahren, es wäre doch sinnvoll, eine Bündelung vorzunehmen, bevor verteilt wird. Die Linke will, dass schädlicher Verkehr vermieden wird.
({2})
Das gilt auch im Personenverkehr. Die Leitidee muss
sein, den gesellschaftlichen Prozess so zu gestalten, dass
die Leute möglichst kurze Wege haben zur Arbeit, zur
Schule, zum Arzt, zum Einkaufen oder zum Freizeitvergnügen. Mehr Grünanlagen, Raum für Fahrräder und autofreie Zonen in den Städten sind in jeder Hinsicht sinnvoll. Aber nichts dergleichen findet sich in Ihren
verkehrspolitischen Zielen.
Es ist bezeichnend und bedauerlich, dass Fußgänger
auch in diesem Koalitionsvertrag überhaupt nicht vorkommen - das war schon bei der letzten Regierung so -,
obwohl die meisten Menschen die meisten ihrer Wege zu
Fuß zurücklegen und obwohl diese Fortbewegungsart
genauso wie das Fahrradfahren am umweltfreundlichsten ist.
({3})
Auch zum Radverkehr steht nur ein ganz dürrer Satz
im Koalitionsvertrag ohne konkrete Ansagen zur Förderung. Dabei gibt es in diesem Bereich einen riesengroßen Bedarf, auch weil viele Kommunen selbst beim
besten Willen nicht das Geld haben, um Radwege auszubauen und gute Abstellplätze einzurichten.
Hier besteht übrigens ein großes Feld für Elektromobilität, wo sie wirklich sinnvoll ist. Die Zahl von EBikes und Pedelecs könnte deutlich steigen, wenn es
eine vernünftige Infrastruktur gäbe. Elektroautos werden
uns an dieser Stelle nicht aus den Problemen herausführen.
Deshalb stimmen wir auch nicht in den Chor derjenigen ein, die einfach mehr Geld für Infrastruktur fordern.
Denn es kommt darauf an, was man daraus macht.
({4})
Nun zur Bahn. Ich begrüße es sehr, Herr Dobrindt,
dass Sie als Verkehrsminister endlich kontrollieren und
durchsetzen wollen, dass die Steuergelder in der Tat
auch für die Infrastruktur in diesem Bereich eingesetzt
werden. Das Bahnnetz ist an vielen Stellen inzwischen
nun wirklich in einem desolaten Zustand; darauf hat der
Bundesrechnungshof bereits zur Genüge hingewiesen.
Es freut uns, wenn endlich Druck auf die Bahn ausgeübt
wird, dass das Steuergeld auch vollständig für das Bahnnetz verwendet und nicht als Gewinn in der Bilanz verbucht wird.
Allerdings wird das nicht genügen. Der Beherrschungsvertrag zwischen dem Bahnkonzern und den Bereichen Netz und Bahnhöfe ist eine Fehlkonstruktion
und wird das auch bleiben. In der Konzernplanung, die
ja vom Aufsichtsrat und damit von der Bundesregierung
abgesegnet wird, ist vorgesehen, dass steigende Gewinne von DB Netz und DB Station & Service an die
Holding fließen. Das müssen Sie ändern.
Aber das ist nicht das Einzige. Herr Minister
Dobrindt, dass Sie die Bahn modernisieren und die digitale Welt in den Zug holen wollen, ist prima - für Abgeordnete und Geschäftsleute vor allem. Aber wissen Sie,
dass die meisten Bahnreisenden, die Mütter mit Kindern,
die Beschäftigten, die Jungen und die Alten, im Nahverkehr unterwegs sind, abseits der großen Magistralen? Da
gibt es ganz andere Probleme. Der Zustand vieler Bahnhöfe ist beklagenswert: ohne Warteraum, ohne Toilette,
mit Durchgängen, in denen es tropft, manche vergammelt und verschlossen und viele ganz und gar nicht barrierefrei. Ich lade Sie ein, mit mir einmal durch das Kinzigtal von Hanau nach Schlüchtern zu fahren. Dort
dokumentieren die Auszubildenden der Kreisverwaltung
seit Jahren die Missstände an den Bahnhöfen. Es passiert
nichts.
Wissen Sie, dass jede Bahnstation mit weniger als
1 000 Zustiegen pro Tag von Herrn Gruber einfach als
stufenfrei deklariert werden darf, obwohl ein Rollstuhlfahrer oder eine Mutter mit Kinderwagen keine Chance
hat, die steilen Treppen zum Bahnsteig zu überwinden?
Das ist zynisch. Wir verlangen ein Bahnhofsprogramm,
mit dem alle Stationen für alle Bürgerinnen und Bürger
zugänglich und kundenfreundlich gestaltet werden.
({5})
Und noch etwas: Es gibt ein Bahnhofsprojekt, mit
dem mindestens 6 Milliarden Euro buchstäblich vergraben werden sollen, das dem Schienenverkehr mehr schadet als nützt, weil ein Engpass gebaut wird und weil das
Geld an tausend anderen Stellen fehlt. Stuttgart 21 ist
nicht nur dauerhafter Zankapfel in und um Stuttgart, das
Projekt ist auch unwirtschaftlich und nicht nur finanziell
auf Sand gebaut. Noch immer ist ein Aus- und Umstieg
möglich. Herr Minister, ich empfehle Ihnen sehr: Richten Sie sich nicht in den Schützengräben ein, die Ihr Kollege Pofalla betoniert hat, sondern beraten Sie sich mit
den Expertinnen und Experten aus der dortigen Bürgerbewegung.
Sie sehen es außerdem als wichtige Aufgabe an, den
Wettbewerb auf der Schiene voranzubringen. Ich bitte
Sie: Vielerorts wäre man froh, wenn überhaupt ein Zug
fahren würde. Inzwischen sind ganze Regionen vom
Bahnverkehr abgehängt. Die Teilhabegerechtigkeit, Herr
Minister Dobrindt, die Sie für den Internetzugang fordern, muss auch für die Mobilität gelten.
({6})
Sie haben politische Planziele ausgesprochen. Das
finde ich hervorragend. Solche politischen Planziele
brauchen wir auch für den Ausbau des ÖPNV: mindestens stündliche Bus- und Bahnverbindungen auch im
ländlichen Raum,
({7})
kurze Wege zur nächsten Haltestelle, integraler Taktfahrplan und einheitliche Tarifbedingungen im ganzen Land,
Frau Kollegin Leidig, achten Sie bitte auf die Zeit.
- Fahrpreise, die sich alle leisten können, Abbau von
Barrieren. Das ist möglich und nötig für einen guten
ÖPNV für alle, und das wären moderne Weichenstellungen, für die sich die Linke engagiert.
({0})
Das Wort hat der Kollege Sören Bartol für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue
mich, dass wir heute hier im Deutschen Bundestag in
einer offenen Debatte darüber diskutieren, was die besten Konzepte im Bereich „Mobilität und digitale Infrastruktur“ sind, um die Probleme in unserem Land anzugehen.
Sehr geehrter Herr Minister, herzlichen Dank für Ihre
erste Rede als neuer Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, in der Sie viele wichtige Themen der
Koalitionsfraktionen aufgegriffen haben. Ich finde,
„Mobilität und Modernität“ ist ein gutes Credo, das auch
die Aufgabe Ihres Hauses treffend beschreibt. Ich will
aber hinzufügen: Ich glaube, wir beide sind uns einig,
dass Mobilität ebenfalls sehr modern sein kann. Denken
Sie alleine an intelligente Verkehrsleitsysteme oder neue
Carsharing-Modelle. - Herr Dobrindt, wir freuen uns auf
die Zusammenarbeit mit Ihnen.
({0})
Ich möchte diese Debatte zunächst damit verbinden,
die Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die heute
schon sehr rege sind,
({1})
zu einer fairen und offenen Zusammenarbeit einzuladen.
Ich glaube, wir sollten den Geist der überfraktionellen
Zusammenarbeit, den wir in der letzten Legislaturperiode auch im Ausschuss gepflegt haben, besonders in
Zeiten der Großen Koalition unbedingt auch weiterhin
pflegen.
({2})
- Etwas Applaus von der Opposition wäre jetzt gar nicht
so schlecht gewesen.
({3})
Sehr geehrte Damen und Herren, Mobilität und das
Internet prägen weite Teile unseres Lebens. Morgens
und abends nutzen Millionen von Pendlerinnen und
Pendlern die Bahn und den ÖPNV, um von zu Hause zur
Arbeit zu kommen. Tagsüber ist bei vielen das Arbeiten
ohne schnellen Internetzugang nur noch schwer möglich.
Deutschland hat als starke Wirtschaftsnation im Verkehrssektor und auch bei der digitalen Infrastruktur bereits viel erreicht, und doch reicht das noch nicht aus.
Zu Recht ärgern sich die Passagiere darüber, wenn die
Deutsche Bahn unpünktlich und der nächste Anschluss
einfach weg ist. Zu Recht kritisieren die Autofahrer, dass
sie im Stau stehen und sich nach dem Winter große
Schlaglöcher auftun. Zu Recht regt es die Bürgerinnen
und Bürger auf, wenn sie das Gefühl haben, dass das
Geld an der falschen Stelle in die Verkehrswege investiert wird. Zu Recht fühlen sich Anwohner vom Lärm
lauter Güterwagen belästigt und fordern, dass sie nachts
endlich wieder ordentlich schlafen können.
({4})
Zu Recht sind wir alle genervt, wenn wir vor dem Computer sitzen, die Datenübertragung im Internet zur
Schnecke wird und der Tatort am Ende an der spannendsten Stelle auch noch stoppt.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wählerinnen
und Wähler haben am 22. September 2013 entschieden
und uns alle damit beauftragt, diese Probleme zu lösen.
SPD, CDU und CSU haben diesen Wählerauftrag auch
angenommen. Die Koalitionsparteien haben in langen
und auch harten Verhandlungen um gemeinsame Lösungen gerungen.
({6})
Ich finde, mit dem Koalitionsvertrag haben wir ein Arbeitsprogramm für die nächsten vier Jahre, dessen Umsetzung die Mobilität und auch den Zugang zum Internet
verbessern wird.
({7})
Die Pendlerinnen und Pendler können sich darauf
verlassen, dass wir die Deutsche Bahn als Eigentümer in
Zukunft besser steuern werden. Dazu werden wir ein
neues Steuerungskonzept des Bundes für die Deutsche
Bahn AG erarbeiten und, Frau Leidig, auch dafür sorgen, dass die Gewinne, die im Bereich der Infrastruktur
erwirtschaftet werden, am Ende natürlich auch dort wieder reinvestiert werden.
({8})
Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit müssen wieder
zum Markenzeichen der Deutschen Bahn werden. Ich
finde, dazu gehört auch - auch das steht im Koalitionsvertrag -, dass die Boni des Bahnvorstandes in Zukunft
zum Beispiel stärker an das Erreichen dieser Ziele gebunden sind.
({9})
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler können darauf vertrauen, dass wir ihre Steuergelder und auch
Mautzahlungen in Zukunft nur noch dort investieren, wo
sie am Ende den höchsten Nutzen für das gesamte Verkehrsnetz haben. Die Koalitionsfraktionen haben vereinbart, dass in Zukunft 80 Prozent der Investitionsmittel in
den Neu- und Ausbau von Projekten investiert werden,
die von überregionaler und nationaler Bedeutung sind.
Das Bauen ausschließlich nach Himmelsrichtung gehört
damit der Vergangenheit an.
({10})
Die Autofahrerinnen und Autofahrer können sicher sein,
dass wir mehr in bröckelnde Brücken und löchrige Straßen investieren werden. Wir haben ganz klar gesagt: Erhalt wird vor Ausbau gehen.
({11})
Wir werden die Nutzerinnen und Nutzer, die die Straßen am meisten beanspruchen, stärker an der Finanzierung des Erhalts der Straßen beteiligen. CDU/CSU und
SPD haben miteinander fest vereinbart, dass die LkwMaut in dieser Legislaturperiode auf alle außerörtlichen
Bundesfernstraßen ausgedehnt wird, und die zusätzlichen Einnahmen sollen eins zu eins in die Infrastruktur
investiert werden.
({12})
Ich persönlich denke, Herr Dobrinth, dass wir schnell zu
grundsätzlichen Entscheidungen kommen müssen, mit
welchen Partnern wir die Ausdehnung der Lkw-Maut bis
zum Ende dieser Legislaturperiode wirklich umsetzen
können.
Die Bevölkerung an den Hauptbahnstrecken kann darauf vertrauen, dass wir alles dafür tun werden, dass ab
dem Jahr 2020 keine lauten Güterwagen mehr durch
Deutschland fahren; denn auch dies ist eine klare Vereinbarung der Koalitionsfraktionen.
({13})
Bereits in zwei Jahren werden wir schauen, wie viele
laute Güterwagen bis dahin umgerüstet sind. Wir haben
vereinbart, dass wir dann, wenn bis dahin nicht mindestens die Hälfte der Wagen mit neuen leisen Bremsen ausgerüstet ist, in dieser Legislaturperiode darüber diskutieren, aber auch entscheiden müssen, ob wir zum Beispiel
in Deutschland ein Nachtfahrverbot für lärmende Güterwagen verhängen.
({14})
Die Gesellschaft in unserem Land kann darauf bauen,
dass wir die digitale Spaltung zwischen Stadt und Land
nicht auf sich beruhen lassen werden. Wir wollen ein Internet für alle. Die Koalitionsfraktionen werden alles dafür tun, dass die Breitbandversorgung in unserem Lande
besser wird. Ich glaube, wir alle haben uns dort ambitionierte Ziele gesetzt.
Zum Schluss. Aus den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages müssen jetzt konkrete Projekte werden.
Ich finde, wir alle haben genug miteinander verhandelt,
miteinander gerungen, teilweise auch miteinander geredet. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land wollen jetzt Taten sehen. Deswegen freue ich mich darauf,
wenn wir uns jetzt alle gemeinsam an die Arbeit machen. Los geht’s!
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat der Kollege Stephan Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Die Große Koalition - das hat die Rede des neuen Verkehrsministers eindrucksvoll bestätigt - verweigert sich
den zentralen verkehrspolitischen Herausforderungen.
Sie haben gesagt, Sie wollen Ökonomie und Ökologie
zusammenbringen. Das Thema Energiewende im Verkehr und Verringerung der hohen Erdölabhängigkeit des
Verkehrssektors kommt im Koalitionsvertrag praktisch
nicht vor.
({0})
Es werden keine übergeordneten Ziele für die Verringerung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor genannt.
Die Große Koalition versteht Verkehrspolitik fast ausschließlich als Instrument der Wirtschaftspolitik.
Die Begriffe „Klimaschutz“ und „Nachhaltigkeit“
tauchen noch nicht einmal im Prosateil des Koalitionsvertrages auf. Ich habe sie auch in Ihrer Rede nicht gehört. Wer Klimaschutz im Verkehrsbereich nicht als die
zentrale Gestaltungsaufgabe begreift, wird den Herausforderungen nicht gerecht.
({1})
Sich zu dem Ziel zu bekennen, bis 2020 die Zahl von
1 Million batterieelektrischen Fahrzeugen zu erreichen,
reicht nicht und hat die gleiche Qualität wie der Satz im
Koalitionsvertrag: Wir bekennen uns zum Bau des Berliner Hauptstadtflughafens.
({2})
Stephan Kühn ({3})
Ich komme zu Ihrem Vorschlag, Herr Dobrindt, dass
Elektroautos in den Städten die Busspuren zustellen dürfen. Gerade die öffentlichen Verkehrsmittel sind die Problemlöser bei der Energiewende. Sollen sie jetzt auch
noch ausgebremst werden?
({4})
Welchen Stellenwert der Umweltverbund in der Großen
Koalition hat, wird schon daran erkenntlich, dass der
Führerscheinentzug als Alternative zu Freiheitsstrafen
eingeführt werden soll. Ich übersetze das einmal: Busund Bahnfahren, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen wird zur
allgemeinen Strafe erklärt.
Kein Wunder also, dass im Koalitionsvertrag die soziale Dimension von Mobilität, nämlich die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen durch bezahlbare Mobilität
in Stadt und Land zu sichern, maximal ein Randthema
ist. Verbraucherschutz findet man im Koalitionsvertrag
auch nicht. Ich habe lange etwas zu dem Thema Fahrgastrechte gesucht, aber nichts gefunden.
({5})
Mit der Diskussion um eine Pkw-Maut für Ausländer
lenken Sie geschickt von den eigentlichen Problemen bei
der Infrastrukturfinanzierung ab.
({6})
Während das Wunschprojekt der bayerischen Regionalpartei im Koalitionsvertrag verankert wurde, wird der
von der Bodewig-Kommission ausgewiesene Sanierungsbedarf bei der Infrastruktur in Höhe von jährlich
7 Milliarden Euro zusätzlich für alle Verkehrsträger in
Bund, Ländern und Gemeinden mit keiner Silbe erwähnt.
Selbst wenn dem Berliner Statthalter von Horst
Seehofer die Quadratur des Kreises gelingt, nämlich eine
Vignette für im Ausland zugelassene Fahrzeuge, europarechtskonform und ohne Mehrbelastung für deutsche
Fahrzeughalter, löst sie in keiner Weise den Sanierungsstau bei Straßen, Schienen und Brücken auf.
({7})
Leider schließt sich Schwarz-Rot nicht dem sinnvollen Vorschlag der Bodewig-Kommission an, einen
Fonds mit jährlich 2,7 Milliarden Euro für die nachholende Sanierung aufzulegen. Über die gesamte Legislaturperiode von vier Jahren wäre also der Bedarf für die
Bundesinfrastruktur für nachholende Sanierung etwa
10,8 Milliarden Euro. Das wäre mehr als doppelt so viel
wie das, was derzeit eingestellt werden soll, nämlich
5 Milliarden Euro in vier Jahren.
Nach Ihrer Rede, Herr Minister, hat man den Eindruck, Sie wollen uns weismachen, mit Ihren Digitalisierungsplänen könnte man die Schlaglöcher in den Straßen
stopfen.
({8})
Ich glaube, das funktioniert nicht. Sie wollen Minister
für virtuelle Realitäten werden. Den Zahn werden wir
Ihnen ziehen.
Wie passt es, dass Sie jetzt auf Datenautobahnen statt
Autobahnen setzen, damit zusammen, dass ausgerechnet
Ihr Heimatbundesland Bayern für den neuen Bundesverkehrswegeplan Straßenprojekte mit einem Volumen von
16 Milliarden Euro - also genug Projekte für die nächsten 150 Jahre - eingereicht hat?
({9})
Wie ernst meinen Sie es mit der Festlegung im Koalitionsvertrag zum neuen Bundesverkehrswegeplan, wonach 80 Prozent der Mittel für Neu- und Ausbau in den
Vordringlichen Bedarf Plus, also in das Kernnetz, fließen
sollen?
({10})
Nur dass wir uns richtig verstehen: Die Abkürzung
BVWP steht nicht für „Bayerischer Verkehrswegeplan“,
sondern für Bundesverkehrswegeplan.
({11})
Mit Blick auf den Bundesverkehrswegeplan ist das
Bekenntnis zum Deutschland-Takt lobend hervorzuheben. Ebenso ist es zu begrüßen, dass Sie sich jetzt den
Zustand des Schienennetzes und damit den zweckgerechten Einsatz der Bundesmittel für den Erhalt genauer
ansehen wollen. Aber das ist leider nicht ausreichend.
Wir brauchen bei der Überprüfung des bestehenden
Bahnnetzes endlich strecken- und stationsgenaue überprüfbare Qualitätsmerkmale statt nichtaussagekräftiger
Durchschnittswerte. Sie können die Testfahrzeuge noch
so viele Kilometer weit durch die Lande schicken: Wenn
wir keine Qualitätsparameter festgelegt haben, werden
wir den Zustand nicht genau ermitteln können.
({12})
Genug gelobt; denn beim Nahverkehr auf der Schiene
sieht es ganz anders aus. Es gibt keine klaren Aussagen
zur Erhöhung der Regionalisierungsmittel. Die Zukunft
der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs wird an eine
Bund-Länder-Kommission delegiert, die vielleicht irgendwann am Ende der Legislaturperiode Ergebnisse
bringt. So schaffen Sie keine langfristige Planungssicherheit für Kommunen, kommunale Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger. Eine Offensive für den öffentlichen Verkehr sieht anders aus.
({13})
Interessant ist, dass die Große Koalition beim Schienenlärm sogar mit Nachtfahrverboten droht; beim Luftverkehr
darf es aber weiter laut bleiben. Auffällig unkonkret sind
hier die Forderungen. Es gibt Appelle an die Luftfahrtbranche, sie möge doch schneller leiseres Fluggerät einführen,
und es sollten auch ein bisschen mehr lärmreduzierende
Flugverfahren eingesetzt werden. Meine Damen und Herren, das sind Textbausteine, die Sie eins zu eins von der
Luftverkehrslobby abgeschrieben haben.
({14})
Stephan Kühn ({15})
Niemand streitet die wirtschaftliche und verkehrliche
Bedeutung der Luftverkehrsinfrastruktur ab, auch wir
nicht. Aber das darf nicht dazu führen, dass die Gesundheit der von Fluglärm betroffenen Bürgerinnen und Bürger eine untergeordnete Rolle spielt. Genau das sehen
wir aber in Ihrem Koalitionsvertrag.
({16})
Ein nationales Luftverkehrskonzept, das wir richtig
und notwendig finden, muss deshalb dem Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm eine zentrale Bedeutung beimessen.
({17})
Wir erwarten, Herr Dobrindt, dass Sie sich nicht nur um
Ihre Pkw-Maut für Ausländer kümmern, sondern im
nächsten halben Jahr endlich eine politische Agenda für
ein solches nationales Luftverkehrskonzept vorlegen.
({18})
Ich komme zum Schluss und fasse zusammen. Aus
dem vorgelegten Koalitionsvertrag und Ihren heutigen
Verlautbarungen kann ich nur das Fazit ziehen: Der
kleinste gemeinsame Nenner der Großen Koalition reicht
nicht aus, um die verkehrspolitischen Herausforderungen
der Zukunft zu bewältigen. Oder anders ausgedrückt - um
mit den Worten des ehemaligen Vorsitzenden des Verkehrsausschusses zu sprechen -: Je größer die Mehrheit,
desto kleiner der Anspruch. - Ich befürchte, dass wir
vier verlorene Jahre in der Verkehrspolitik vor uns haben.
({19})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Lange für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kühn, diese Große Koalition ist
eine Koalition
({0})
für Infrastruktur und - das ist mir aufgefallen, als ich Ihnen zugehört habe - gegen die Verweigerungshaltung
der Grünen, die in den letzten Jahren im Verkehrsausschuss immer wieder zu spüren war. Darauf werde ich
beim Bundesverkehrswegeplan noch explizit zu sprechen kommen.
({1})
Wir werden in den nächsten vier Jahren Straßen
bauen.
({2})
Wir werden in den nächsten vier Jahren das Schienennetz ausbauen und sanieren. Wir werden die Übertragungsnetze ausbauen und so einen weiteren Schritt hin
zu mehr Informationsgerechtigkeit gehen.
({3})
Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit unserem
neuen Verkehrsminister Alexander Dobrindt und den
Parlamentarischen Staatssekretären. Deshalb sind wir
auch bereit, lieber Herr Minister, Ihren Wunsch, nach
zwölf Jahren endlich länger sprechen zu dürfen, zu erfüllen. Wir kürzen einfach unsere gesamte Redezeit um ein
paar Minuten.
Die Koalition hat ein schlüssiges und realistisches
Programm auch und gerade beim Bundesverkehrswegeplan, lieber Kollege Kühn. Unser nationales Prioritätenkonzept wird sich als schlüssig und überzeugend erweisen. Da Sie argumentieren, dass nun zu viele Projekte
angemeldet sind: Die Bürgerinnen und Bürger insbesondere in Baden-Württemberg warten - das sage ich ganz
bewusst als jemand aus dem bayerischen Grenzland auf ihre Ortsumgehungen und die damit verbundenen
Entlastungen. Wenn Sie über Lärm sprechen, dann dürfen Sie den Autolärm nicht vergessen. Um diesen zu reduzieren, brauchen wir Ortsumfahrungen und einen
Bundesverkehrswegeplan.
({4})
Wir werden in den nächsten vier Jahren 5 Milliarden
Euro mehr in die Infrastruktur stecken können. Das ist
ein Baustein - wenn auch kein ganz kleiner -, um der
zugegebenermaßen nicht gerade üppigen Ausstattung in
der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung etwas nachzuhelfen. Der Ausbau der Nutzerfinanzierung ist ein anderer,
ebenso wichtiger Baustein. Dazu gehört die Lkw-Maut
genauso wie die Pkw-Maut für Nichtdeutsche, liebe Kolleginnen und Kollegen des Koalitionspartners. Wir werden die Begeisterung, die vorhin noch etwas zurückhaltend geäußert wurde, in stürmischen Applaus umwandeln,
wenn der entsprechende Gesetzentwurf vorliegt und beraten wird; darin sind wir uns sicher.
({5})
Wir werden die Kommunen und die Länder nicht alleine lassen - darauf haben wir uns im Koalitionsvertrag
verständigt -, wenn es um die Regionalisierungs- und
die Entflechtungsmittel geht. Ich glaube, dass wir in einem guten Dialog mit den Ländern hier zu vernünftigen
Lösungen kommen werden.
Das angekündigte Elektromobilitätsgesetz wird - davon sind wir überzeugt - den notwendigen kräftigen
Schub dafür geben, dass wir hier die Schritte vorankommen, die wir uns für diese Legislaturperiode vorgenommen haben.
Der Schienenverkehr muss langfristig sicher finanziert sein. Eine neuer Vertrag, eine neue Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung für die Ersatzinvestitionen,
aber auch - ich sage das so offen - bessere Planungsreserven bei der Bahn gehören dazu. Es gehört auch dazu,
dass die Bahn notwendige Eigenmittel aufbaut und diese
Eigenmittel wieder in die Infrastruktur investiert werden. Ich glaube, dass die Schritte, die der Minister angekündigt hat, die richtigen sind. Wir stehen zum integrierten Konzern DB, wir stehen aber genauso dazu, dass
Regulierung und Wettbewerb im Schienenverkehr unbedingt notwendig sein müssen.
({6})
Das Thema Verkehrslärm, lieber Kollege Kühn, nehmen wir sehr ernst. Schauen Sie in den Koalitionsvertrag.
({7})
Wir nehmen den Lärm ernst beim Schienenverkehr,
({8})
- beim Flugverkehr natürlich auch -, aber auch beim
Straßenverkehr. Dabei verweise ich wieder auf die Ortsumfahrungen.
Dass wir dafür sorgen müssen, dass der Luftverkehr
in Deutschland wettbewerbsfähig bleibt, haben wir in
den letzten Wochen und Monaten gesehen. Wir können
es uns also nicht leisten, unsere Flughäfen von gewissen
Nachtflügen freizuhalten. Ich sage das ganz offen; denn
auch das ist ein Teil der Wahrheit. Mögen Sie nicht so
tun, als ob es bei Ihnen anders ginge.
Das Maritime Bündnis ist fortzusetzen. Ich will hier
nur die wichtigsten Stichworte nennen: nationales Hafenkonzept und Schifffahrtsförderung. Ich bin mir sicher, dass wir auch in diesen Punkten ein gutes Stück vorankommen können.
Die digitale Infrastruktur - dazu hat der Minister
wirklich gut und ausführlich Stellung genommen - ist
wichtig. Sie ist wichtig für das ganze Land, insbesondere
für die ländlichen Regionen; denn diese Infrastruktur
heißt Arbeitsplätze, diese Infrastruktur heißt Teilhabe an
der neuen digitalen Welt. Hier werden wir ganz besonders auf die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland hinarbeiten müssen.
({9})
Herr Kollege Lange.
Frau Präsidentin, ich bin froh, dass die mir gekürzte
Redezeit jetzt doch wieder verlängert wird.
Darauf wollte ich Sie gerade aufmerksam machen.
Der Kollege Janecek hätte gern das Wort zu einer Frage
oder Bemerkung.
Jetzt haben Sie schon so wenig Redezeit und verlängern unsere auch noch.
Es war mein Anliegen, Herr Kollege Lange, dass Sie
mehr Zeit erhalten.
Ich stelle Ihnen folgende Frage. Ich bin aus Bayern
Ankündigungen gewohnt, auch von Minister Dobrindt.
Er spricht von Champions League, Weltmeister, Netzallianz und sagt Asien und den USA den Kampf an. Wie
bringen Sie denn das mit der Tatsache zusammen, dass
Sie es nicht geschafft haben, in Ihrem Koalitionsvertrag
Ihre Breitbandstrategie mit einem Finanzkonzept zu versehen?
({0})
Lieber Kollege Janecek, ich glaube, dass wir die entsprechenden Mittel und die entsprechenden Strategien in
den nächsten vier Jahren auflegen können. Der Koalitionsvertrag ist ein Arbeitsvertrag und kein Finanzierungskonzept.
({0})
Deshalb werden wir diesen Koalitionsvertrag umsetzen
können. Seien Sie beruhigt. Ich kann nur wie die Kanzlerin vorgestern im Zusammenhang mit der Maut sagen:
Warten Sie es ab.
({1})
Wir werden hier die richtigen Anreize - auf die
kommt es ganz wesentlich an - setzen, um auch privates
Kapital zum Einsatz bringen zu können. Die vorgeschlagene Netzallianz ist insoweit ein ganz wichtiger Baustein. Die Branche hat eine Menge Innovationspotenzial.
Ich bin mir sicher: Wir können und werden es heben.
Wir haben einen guten und überzeugenden Fahrplan.
Diese Koalition arbeitet zusammen mit unserem Minister für Mobilität und Modernität.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Herbert Behrens für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jetzt haben wir auf einmal ein neues Ministerium, nämlich das für Mobilität und Modernität. Bis gestern war es
noch das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Es ist aber nicht die Frage des Labels, unter dem wir
arbeiten - um diesen Begriff einmal zu verwenden -,
sondern es kommt darauf an, wie viel Substanz in den
Vorschlägen steckt, die Sie als Minister uns vorlegen
wollen. Kritische Anmerkungen haben Sie eben schon
gehört.
Ich will meinen Beitrag kurz mit einem positiven Beispiel beginnen, damit klar wird, wie wir uns digitale
Infrastruktur vorstellen. In der Integrierten Gesamtschule in meinem Heimatort Osterholz-Scharmbeck tauschen sich Schülerinnen und Schüler in Videokonferenzen in englischer Sprache mit ihren Mitschülern aus
Finnland aus. Sie arbeiten an gemeinsamen Projekten
und lösen zusammen ihre Schulaufgaben. Das alles ist
nur durch das Internet möglich.
Damit das kein Einzelbeispiel bleibt, brauchen wir
flächendeckend eine digitale Infrastruktur auf dem neuesten Stand der Technik. Die Linke will deshalb schnelles Internet für alle, ob Jung oder Alt, ob in der Stadt
oder auf dem Land.
({0})
Die neue Bundesregierung befasst sich mit diesem
Thema jetzt in gleich fünf Ministerien; aber egal, bleiben
wir erst einmal beim Ministerium - ich nenne es einfach
noch einmal so - für Verkehr und digitale Infrastruktur.
In der Koalitionsvereinbarung heißt es:
Für ein modernes Industrieland ist der flächendeckende Breitbandausbau eine Schlüsselaufgabe.
So weit, so gut.
Aber ein Bekenntnis reicht nicht aus - in einigen Diskussionsbeiträgen ist das schon angemerkt worden -, die
Bundesregierung muss auch Geld in die Hand nehmen.
Es soll ein Sonderfinanzierungsprogramm „Premiumförderung Netzausbau“ geben und außerdem ein Breitbandbürgerfonds eingerichtet werden. Beides ist hilfreich,
aber es wird nicht reichen, um die notwendigen Investitionen zu finanzieren.
Der TÜV Rheinland hat nachgerechnet und kommt
auf Kosten von 20 Milliarden Euro für einen flächendeckenden Breitbandausbau. Für Glasfaserversorgung wird
mit 80 Milliarden Euro gerechnet. Zusätzlich muss in die
Datensicherheit investiert werden, um Industriespionage und das Ausforschen der Privatsphäre zu verhindern. Der Minister muss sagen, wie er das umsetzen will,
und er muss erklären, wie er die Übertragungsrate von
50 Megabit pro Sekunde erreichen will. Appelle an Investoren, doch bitte schön Milliarden in den Breitbandausbau zu investieren, reichen nicht.
({1})
Datenverbindungen sind schneller geworden - keine
Frage -, doch die Datenmengen steigen schneller als die
Bandbreiten. Noch vor zwei Jahren galten 2 Megabit als
ordentliche Grundversorgung. Das war gestern. Heute ist
in den Niederlanden ein Netzbetreiber dabei, ein flächendeckendes Glasfasernetz bis zum Hausanschluss
aufzubauen. In Zürich sind Leistungen von 300 Megabit
lieferbar. Wer sich mit Korea vergleicht, Herr Dobrindt,
der muss wissen, dass dort an einem Netz gearbeitet
wird, über das innerhalb einer Sekunde 800 Megabyte
Daten geschickt werden können.
({2})
800 Megabyte! Das muss man sich auf jeden Fall auf der
Zunge zergehen lassen.
Sie sprechen von einer Aufholjagd, um Deutschland
an die Weltspitze des digitalen Fortschritts zu führen.
Eine solche Aufholjagd sieht anders aus. Sie bleiben
weit dahinter zurück. Nur Glasfasertechnik bringt die
nötigen Geschwindigkeiten. Deshalb fordert die Linke
eine klare Weichenstellung für den Glasfaserausbau.
({3})
Herr Dobrindt, genauso wenig, wie Sie zur Finanzierung Stellung nehmen, sagen Sie konkret etwas dazu,
wie den Menschen in Stadt und Land, in Ost und West
gleicher Zugang zum schnellen oder, in Ihren Maßstäben, zu etwas schnellerem Internet - das ist das, was Sie
vorhaben - garantiert werden soll. Tausende Mittelständler und Selbstständige warten im ländlichen Raum
darauf, über schnelles Internet zu verfügen. Ihre geschäftliche Existenz hängt davon ab. Ihnen helfen keine
Ankündigungen. Sie brauchen Entscheidungen.
Ein zweites Thema zum Schluss: die unsinnige PkwMaut, auch „Ausländer-Maut“ genannt. Da blickt doch
inzwischen keiner mehr durch. Jahresgebühr oder doch
Wochen- oder Monatsvignette? Ökorabatt oder Steuersenkung? 2014 oder doch erst 2016? Wenn es nicht so
ernst wäre, dann wäre es eigentlich eine Lachnummer.
Herr Dobrindt, die Pkw-Maut ist für Sie in Ihrem Amt
ein klassischer Fehlstart. Packen Sie die Pläne zusammen und in die unterste Schublade, wo sie hingehören!
Wenn Sie nicht mehr auf den ADAC hören können, dann
hören Sie auf Ihren Koalitionspartner SPD.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Gottfried Daimler hat einmal festgestellt:
Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen
wird eine Million nicht überschreiten - allein schon
aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.
({0})
Wenn es so gekommen wäre, benötigten wir heute
deutlich weniger Finanzmittel für die Instandhaltung unserer deutschen Infrastruktur. Deutschland würde aber
auch anders aussehen. Persönliche Freiheiten, Möglichkeiten und Entwicklungschancen für die Menschen in
unserem Lande wären andere, es wären schlechtere.
Gottlieb Daimler scheint mit seiner Einschätzung,
dass der Mangel an verfügbaren Chauffeuren ein Problem darstellt, schon recht zu haben, wenn man sich die
Logistikbranche in Deutschland anschaut. Darum hat
sich die Bundesregierung in dem Koalitionsvertrag dieses Themas angenommen. Was allerdings die Zahl der
Kfz betrifft, war die Prognose von Gottlieb Daimler
falsch. Wir hatten im letzten Jahr in Deutschland knapp
59 Millionen Kraftfahrzeuge, davon allein 43,5 Millionen Pkw. Weil das so ist, stehen wir vor deutlichen Herausforderungen in der Verkehrspolitik.
Die zentralen Themen, die unsere Gesellschaft bewegen und die unser politisches Handeln bestimmen, sind,
Kollege Kühn, die Energiewende, der Klimaschutz, die
demografische Entwicklung und die Daseinsvorsorge.
({1})
Bei all diesen Themen kann eine richtige - oder eine falsche - Verkehrspolitik viel bewirken. Es ist also unsere
Aufgabe, Verkehr nicht nur beschränkt auf einzelne Verkehrsträger wie Straße, Schiene, Wasserstraße und Luft
zu denken, sondern wir müssen berücksichtigen, dass
weder die Menschen noch die Güter, die wir täglich
transportieren, von Tür zu Tür nur mit einem Verkehrsmittel unterwegs sind.
({2})
Um hier für alle eine bezahlbare, sichere und klimafreundliche Mobilität zu ermöglichen, müssen jetzt die
Weichen richtig gestellt werden. Diese Bundesregierung
hat dazu im Koalitionsvertrag die entscheidenden Themenfelder angesprochen.
({3})
Zum Beispiel zu der Frage: Was ist zu tun, damit der
Verkehrssektor einen deutlichen Beitrag zur Energiewende und zum Klimaschutz leistet? Wir lesen dazu im
Koalitionsvertrag:
Die von uns geförderte Mobilitätsforschung wird
zukünftig verstärkt die gesamte Breite von Mobilitätsangeboten auch unter gesellschafts- und sozialwissenschaftlichen Aspekten in den Blick nehmen.
Etwas weiter heißt es:
Wir setzen zudem auf die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik für eine vernetzte, sichere und effiziente Mobilität.
Infrastruktur und Mobilität müssen neu gedacht werden, um größtmöglichen Schutz der Menschen, des Klimas und einen schonenden Umgang mit Ressourcen zu
erreichen. Dazu sind in den verschiedenen Bereichen
Systemvorteile zu nutzen. Die sogenannte Intermodalität, das heißt die Verknüpfung der unterschiedlichen
Transportmittel, ist unsere zentrale Aufgabe. Mehr Güterverkehr auf die Wasserstraße und die Schiene - auch
das ist eine Verabredung der neuen Bundesregierung,
und zwar eine gute.
({4})
Wir wissen aber auch, dass dies Grenzen hat. Die Kapazität der Schiene reicht derzeit nicht aus, um den gesamten prognostizierten Zuwachs an Güterverkehren
aufzunehmen. Der Kapazitätsausbau ist nicht nur an
finanzielle Grenzen gestoßen, auch die deutliche Verringerung der Belastung der Anwohner durch Schienenlärm
wird für uns eine genauso zentrale Rolle bei den Ausbaumaßnahmen spielen.
({5})
Ein wichtiges Thema, das ich schon in der letzten Legislatur gerne bearbeitet habe, ist, die Bedingungen auf
den Straßen zu verändern, um den Transport von Menschen und Gütern zu verbessern. Dazu bedarf es eines
verstärkten Telematikeinsatzes und eines Ausbaus von
Verkehrssteuerungsanlagen. Auch dazu haben wir uns
verabredet; denn unser Ziel ist es, die Mobilität der Menschen und die Intermodalität als Gradmesser für Modernität zu berücksichtigen.
Abgestimmte Fahrpläne beim Schienennah- und -fernverkehr, gute Anschlussangebote beim öffentlichen
Personennahverkehr, Rufbusse, Carsharing sowie Mietmöglichkeiten von Fahrrädern und Pedelecs werden es
möglich machen, ohne Verlust von Lebensqualität vermehrt auf einen eigenen Pkw zu verzichten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sehen wir doch
schon in den Großstädten. Aber unsere Herausforderung
ist es, dieses Angebot auch und besonders in den ländlichen Räumen, in den strukturschwachen Regionen, wo
ältere Menschen und Menschen mit weniger finanziellen
Mitteln genau auf diese neuen Konzepte angewiesen
sind, durchzusetzen.
({6})
Das ist übrigens auch eine Verpflichtung, die uns das
Grundgesetz auferlegt. Dort steht nämlich, dass wir dafür zu sorgen haben, dass in Deutschland gleichwertige
Lebensbedingungen bestehen. Zu dieser Verpflichtung
steht diese Bundesregierung. Sie hat sehr viele Konzepte
vorgelegt.
Wir werden unser Augenmerk noch stärker auf umweltfreundliche Fahrzeuge legen. Die Koalition hat sich
verpflichtet, die Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie weiterzuentwickeln und die Forschung zu intensivieren. ZuKirsten Lühmann
sammen mit den Kommunen müssen Privilegierungen
von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben im Straßenverkehr diskutiert werden. Wichtig dabei ist jedoch, dass
dies nicht zu einem Nutzungskonflikt mit dem öffentlichen Personennahverkehr führt.
({7})
Ein Anreizsystem in Form von Prämien beim Kauf,
zum Beispiel von Elektrofahrzeugen, halten wir für nicht
erforderlich. Sinnvoller sind die schon umgesetzten zeitweise geltenden Steuerbefreiungen für diese Fahrzeuge
oder auch die Energiesteuerermäßigung für klimaschonendes Autogas und Erdgas. Wir haben vereinbart, diese
Steuerbefreiung über das Jahr 2018 hinaus fortzuführen.
({8})
- Danke schön.
({9})
Unser immer besser ausgebautes Verkehrsnetz wird
aber in Teilen auch zu einer Belastung. Was die Menschen in unserem Lande in diesem Zusammenhang am
meisten beeinträchtigt, ist der Verkehrslärm.
({10})
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Bürger und Bürgerinnen nicht länger bereit sind, größere Lärmbelästigungen hinzunehmen, und dass die Bürgerinitiativen zu diesen Themen immer stärker werden.
Dem hat diese Regierung in doppelter Hinsicht Rechnung getragen, und zwar zum einen mit mehr Lärmschutz und zum anderen mit mehr Bürgerbeteiligung.
Die Mittel für die Lärmschutzprogramme im Bereich
Straße und Schiene werden erhöht, und somit wird der
Lärmschutz für die Anwohnenden deutlich verbessert.
Dabei - das ist jetzt neu - soll die Gesamtlärmbelästigung an Bundesfernstraßen und Bundesschienenwegen
Grundlage der Bemessung sein. Grundlage dafür soll
also nicht mehr wie bisher die Einzelmessung des jeweils einzelnen Verkehrsträgers sein.
({11})
Bei all dem sind aber die Interessen der Güterverkehrsbranche und somit auch die Interessen aller Konsumenten und Konsumentinnen, die die Waren, die dort
transportiert werden, letztendlich kaufen und nutzen
wollen, nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist eine
Herausforderung für uns, und wir werden sie meistern.
Hierbei erteilen wir Extrempositionen, wie wir sie
teilweise hörten, zum Beispiel, dass Betriebszeiten von
Flughäfen allein an wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu
orientieren sind, aber auch einem generellen Nachtflugverbot für Deutschland eine deutliche Absage. Jedoch:
Wenn man diesen Koalitionsvertrag genau liest, Kollege
Kühn, sieht man, dass darin auch steht, dass wir vereinbart haben, die Grenzwerte des Fluglärmschutzgesetzes
zu überprüfen.
({12})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich möchte zum
Schluss ganz ausdrücklich meinem ehemaligen stellvertretenden Parteivorsitzenden Helmut Schmidt widersprechen, der gesagt hat: Wer Visionen hat, soll zum
Psychiater gehen. - Ich sage: Wer Visionen hat, sollte Infrastrukturpolitik betreiben, am besten mit dieser Bundesregierung. Ich freue mich auf die nächsten vier Jahre.
Danke schön.
({13})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Tabea Rößner das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Bundesminister Dobrindt, bis 2018 wollen Sie, so
steht es im Koalitionsvertrag, Deutschland flächendeckend mit Breitbandgeschwindigkeiten von bis zu
50 Megabit pro Sekunde versorgen. Das ist mal eine Ansage! Sie ist aber auch nicht neu. Kanzlerin Merkel hat
schon vor einigen Jahren versprochen, dass 75 Prozent
aller Haushalte Highspeed-Internet bekämen - bis 2014.
Jetzt haben wir 2014 und sehen: Verheißungen helfen
nicht weiter - das Internet sollte schon gar keine sein
und bleiben -, man muss auch etwas dafür tun.
({0})
Eigentlich mag ich ja Menschen mit Visionen. Ich
habe auch eine, nämlich dass die Menschen rund um
Peißenberg einen schnellen Anschluss bekommen. Der
Breitbandatlas zeigt, dass die weißen Flecken bei Ihnen,
Herr Minister Dobrindt, direkt vor der Haustür anfangen.
Rund um den Sitz Ihres Wahlkreisbüros ist derzeit maximal 1 Megabit pro Sekunde möglich. Bis da eine Mail
bei einem Wahlkreisabgeordneten ankommt, hat man sie
schneller persönlich vorbeigebracht.
({1})
Das sind nicht die einzigen weißen Flecken. Auch bei
Staatssekretärin Doro Bär - schade, dass sie jetzt nicht
mehr da ist - sieht es vor Ort nicht so rosig wie auf ihrer
Homepage aus.
({2})
Wenn sich die Wähler in Münnerstadt die Homepage
von Doro Bär mit den vielen schönen bunten Fotos ansehen wollen, müssen sie richtig viel Geduld haben.
({3})
So sieht es 2014 in vielen Regionen Deutschlands aus.
Die Menschen in diesen Regionen hätten lieber heute als
morgen schnelle Internetverbindungen.
({4})
Wir stehen vor zwei gewaltigen Herausforderungen:
Erstens: Wie stopfen wir die Löcher im Breitbandnetz
möglichst schnell?
Zweitens: Wie bauen wir mittel- und langfristig das
Glasfasernetz aus? Das brauchen wir nämlich wirklich,
wenn wir ein Hightechland sein wollen. Denn ohne gibt
es kein Cloud-Computing, kein Smart Grid und auch
keine intelligente Logistik. Gewaltige Aufgaben, die Sie
da zu bewältigen haben! Bis ein Runder Tisch „Netzallianz“ Ergebnisse liefert, dauert es. Dabei warten wir
jetzt ja schon seit Jahren darauf, dass sich die Lage insbesondere in den ländlichen Regionen deutlich verbessert.
Die Grundversorgung hätten wir schnell und ohne zusätzliche Haushaltsmittel haben können, nämlich mit
dem Universaldienst.
({5})
Danach würde jeder Haushalt einen einigermaßen
schnellen Internetanschluss kriegen, so wie jeder von der
Post beliefert werden muss oder einen Telefonanschluss
bekommt - und da ist es völlig egal, ob auf der Alm, auf
der Hallig oder im Westerwald.
({6})
Das ist ein Konzept, das bis zur Wahl übrigens auch von
der SPD gefordert wurde. Nach den Koalitionsverhandlungen wollten Sie aber leider nichts mehr davon wissen.
Hier, werte Kollegen von der SPD, haben Sie sich über
den Tisch ziehen lassen.
({7})
Bis 2018 ist es noch lange hin. Bis dahin gibt es ja bereits eine neue Bundesregierung.
({8})
Wahrscheinlich müssen Sie sich für das Nichteinlösen
dieser Versprechungen dann gar nicht mehr rechtfertigen. Das Ziel ist also nicht nur auf den ersten Blick mutig, es ist auch auf den zweiten vor allen Dingen bequem.
Eines halte ich Ihnen aber zugute: Die neue Regierung hat immerhin verstanden, wie wichtig der Breitbandausbau ist. Das ist nicht nur eine Frage von Teilhabe, wie Minister Dobrindt betont, sondern auch eine
Zukunftsinvestition. Flächendeckendes Breitband birgt
für Deutschland auch enorme Wirtschaftskraft. Ein Anstieg der Breitbandversorgung um 10 Prozent kann laut
EU-Kommission zu einem jährlichen BIP-Wachstum
von 1 bis 1,5 Prozent führen. Breitbandverbindungen bewirken Innovationen in Unternehmen, sie fördern Beschäftigung und bieten das Potenzial, bis 2020 2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Ohne Ausbau
läuft die Energiewende nur mit angezogener Handbremse. Wir könnten bis zu vier Kohlekraftwerke einsparen, hätten wir externe klimaneutrale Rechenzentren.
Dafür brauchen die Unternehmen aber eben Breitbandverbindungen.
({9})
Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind leider wenig
vielversprechend. Es gibt weder Geld noch ein Konzept
und auch kein Anreizprogramm. Die ursprünglich geplante 1 Milliarde Euro für den Ausbau ist in den Koalitionsverhandlungen gestrichen worden. Was bleibt, sind
bloße Ankündigungen. Aber die alleine machen noch
keinen Breitband-Frühling.
Die Einberufung eines Runden Tisches und Ihr Auftritt im Ausschuss hinterlassen einen engagierten Eindruck. Aber letztendlich kostet der Ausbau viel Geld,
das die Regierung eben nicht bereitstellen will und von
dem unklar ist, woher es kommen soll. Von Gesprächsrunden wird es nicht vom Himmel fallen. Irgendeiner
wird die Zeche zahlen müssen. Die Frage bleibt nur:
Wer?
Herr Dobrindt, als Sie im Dezember letzten Jahres bei
Ihrer Vereidigung hier vorne standen, konnte ich beobachten: Hier ist ein Mann, der es gar nicht erwarten
kann, Minister zu werden.
({10})
Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen zwischen Peißenberg und
Runden Tischen die Puste nicht ausgeht.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Image macht man am Anfang. Deswegen
bin ich dem neuen Verkehrsminister sehr dankbar, dass
er hier seine Prioritäten auf den Tisch gelegt hat. Wir
hatten vorher ein Ministerium, das auch mit Wohnungsbau zu tun hatte. Wir Mitglieder des Ausschusses hatten
immer den Eindruck, dass der Wohnungsbau ein Anhängsel war und es in erster Linie um Verkehrspolitik
ging. Alexander Dobrindt hat jetzt deutlich gemacht,
dass digitale Infrastruktur sehr wichtig ist, dass er hier
sehr viel Arbeitskraft einbringen wird und dass Verkehrspolitik und digitale Infrastruktur in diesem Ministerium gleichwertig behandelt werden sollen. Das ist die
Botschaft. Wir als Ausschuss sollten uns dieser Aufgabe
intensiv annehmen.
Ich möchte etwas zu der Kritik von Frau Rößner sagen. Ich glaube, Sie waren von 2002 bis 2005 mit in der
Regierung. Da hatten Sie die Möglichkeit, in die Zukunft
zu schauen und zu erkennen, ob ein Breitbandnetz zur
Daseinsvorsorge gehört.
({0})
Sie haben das nicht in das Telekommunikationsgesetz
geschrieben. - Es ist lange her, und wir brauchen lange
Wege, um etwas umzusetzen. Wir haben es in der letzten
Koalition auch nicht gemacht,
({1})
auch vor dem Hintergrund, dass die finanziellen Mittel
nicht da sind.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus meinem Wahlkreis
nennen.
Kollege Storjohann, gestatten Sie eine Bemerkung
oder Frage des Kollegen von Notz?
Ja, gerne.
Lieber Herr Kollege, vielen Dank. - Herr Storjohann,
wir kommen aus dem schönen Schleswig-Holstein.
Auch da ist es mit dem Breitbandausbau ähnlich traurig
bestellt wie in vielen Kreisen in Bayern. Sie haben auf
Rot-Grün verwiesen. Ich sage: Das waren noch gute Zeiten. Es ist aber schon eine Weile her. Sie regieren nun
schon seit acht Jahren.
({0})
Seit acht Jahren regiert die CDU/CSU, und in dem Bereich ist nichts passiert. Jetzt kündigen Sie großartig
wieder Dinge an - Breitbandausbau -, stellen dafür aber
keinen Euro zur Verfügung. Was soll der Verweis auf
rot-grüne Zeiten, wenn Sie heute nicht bereit sind, Geld
dafür auszugeben? Wie können Sie den Vorwurf entkräften, dass dies alles Ankündigungspolitik und reiner Budenzauber ist und Sie am Ende doch wieder nicht liefern
werden, wie in den letzten acht Jahren?
({1})
Ich bin Ihnen dankbar für diesen Hinweis, Herr von
Notz. Ich sehe darin überhaupt kein Problem. Ich glaube,
es wäre falsch, mit Geld den Infrastrukturausbau befördern zu wollen. Das möchte ich Ihnen auch gerne begründen.
({0})
- Lassen Sie es sich jetzt bitte erklären. Ich war gerade
bei meiner Erklärung.
In meinem Wahlkreis haben wir drei Anbieter - neben
Telekom und Vodafone -, die den Breitbandausbau intensiv vorantreiben. In Norderstedt gibt es seit über zehn
Jahren ein schnelles Internet, mit das schnellste in
Deutschland.
Der Kreis hat einen Zweckverband gegründet, um
kleinen Kommunen mit 200 bis 400 Einwohnern Fiberto-the-Home zu ermöglichen. Die ersten Dörfer sind angeschlossen, weitere kommen. Wir haben einen privaten
Investor - die Deutsche Glasfaser, ein niederländisches
Unternehmen -, der das jetzt auch macht. Das heißt, unser Kreis Segeberg wird in den nächsten drei Jahren versorgt sein. In Ihrer Region machen es die Stadtwerke. In
Neumünster machen es die Stadtwerke. Die Dinge nehmen also zurzeit einen guten Lauf. Wenn jetzt plötzlich
1 Milliarde Euro als Fördermittel bereitgestellt würden,
würde jede Kommune überlegen: Warten wir noch ein
bisschen, ob wir das Fördergeld bekommen können! Wie
sind die Ausschreibungsbedingungen? - Wir haben in
den letzten drei Jahren erlebt, dass Fördermittel meistens
nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen und
letztlich das ganze Vorhaben gefährden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit dem Konzept, das wir im
Kreise Segeberg, aber auch bei Ihnen haben, einen großen Schritt vorankommen. Deswegen meine ich, dass
wir auf dem richtigen Weg sind.
({1})
Meine Damen und Herren, grundsätzlich begrüße ich
- um auf das andere Thema, das Thema Verkehr, zu
sprechen zu kommen -, dass wir im Bundesverkehrswegeplan die Planung netzorientiert vornehmen. Wir werden also Lücken in unserem Verkehrsnetz schließen. Es
geht auch darum, mit Mobilität unserem Land die Zukunft zu erhalten. Dabei handelt es sich einmal um die
digitale Mobilität und zum Zweiten um die Infrastruktur.
Wir müssen in unserem Bundesverkehrswegeplan über
das nationale Prioritätenkonzept definieren, welche Vorhaben bedeutsam sind. Das wird eine spannende Diskussion, auch bei uns in den Ausschüssen. Es gibt unterschiedliche Interessen, die wir bündeln müssen. In diese
Projekte werden zukünftig 80 Prozent der Mittel für den
Neu- und Ausbau fließen. Welche Projekte werden das
sein? Das sind die Seehafenhinterlandanbindungen, der
Ausbau hochbelasteter Knoten, die Schließung wichtiger, überregional bedeutsamer Netzlücken sowie die
Einbindung von Achsen, die schon in transeuropäischen,
völkerrechtlichen Verträgen festgelegt sind.
Als Beispiel für die Notwendigkeit des Ausbaus von
Seehafenhinterlandanbindungen kann ich nur den Hamburger Hafen nennen, der eine wichtige Bedeutung für
ganz Deutschland hat. Der Hamburger Hafen ist vom
Funktionieren des Nord-Ostsee-Kanals abhängig. Vom
Funktionieren des Nord-Ostsee-Kanals sind natürlich
auch Warenströme nach Bayern und Baden-Württemberg betroffen. Es geht also um ein Gesamtkonzept. Ich
bin froh, dass wir die Finanzierung der Maßnahmen bei
den Brunsbütteler Schleusen sichergestellt haben. Weitere Maßnahmen sind erforderlich;
({2})
ich setze mich dafür ein, dass wir das jetzt machen. Ich
freue mich, Herr von Notz, dass Sie uns da unterstützen.
({3})
- Wunderbar!
({4})
- Sie sind ja nur verärgert, dass Sie damals nicht dabei
waren. Ich weiß, Sie wären gerne dabei gewesen.
({5})
Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur bringt unser
Land voran und ist auch Grundlage für unseren Wohlstand. Ich halte es für wichtig, dass wir uns im Koalitionsvertrag für ÖPP-Projekte starkmachen. Das ist eine
Finanzierungsform, die es uns über die bisherige Haushaltsfinanzierung hinaus und über größere Zeiträume
hinweg ermöglicht, Projekte auf den Weg zu bringen.
Dafür gibt es gute Beispiele.
({6})
Ich bin hoffnungsvoll, dass wir darüber neue Projekte
anschieben können, zum Beispiel den Weiterbau der
Küstenautobahn A 20, den Sie von den Grünen nicht
wollen. Wir sehen durchaus Möglichkeiten, hier ein gutes Konzept auf den Weg zu bringen.
({7})
Was mich natürlich besonders interessiert, ist der Klimaschutz, insbesondere die Förderung des Fahrrads als
umweltfreundliches Verkehrsmittel.
({8})
Wir haben den Nationalen Radverkehrsplan auf den Weg
gebracht; er steht explizit im Koalitionsvertrag. Jetzt zu
behaupten, das Fahrrad sei im Koalitionsvertrag nicht
enthalten, finde ich nicht in Ordnung.
({9})
Im Bereich des Fahrradverkehrs werden wir viele Dinge
auf den Weg bringen. Im Koalitionsvertrag steht explizit,
dass wir die gesetzliche Grundlage dafür schaffen werden, an Bundeswasserstraßen mehr Fahrradwege zu
bauen.
({10})
- Sie haben unter Rot-Grün einmal 10 Millionen Euro
zur Verfügung gestellt und es nicht geschafft, dieses
Geld auszugeben. Deswegen ist der Haushaltsansatz inzwischen auf 3 Millionen Euro gefallen. Wir haben nur
300 000 bis 600 000 Euro ausgeben können.
({11})
Wir wollen da was machen. Das ist touristisch hochinteressant und fördert auch die Akzeptanz des Fahrrads im
Alltag.
Die jährlichen Verkaufszahlen bei Fahrrädern steigen.
Die Zukunft des Pedelecs ist positiv einzuschätzen.
Nicht alle Fahrräder werden zukünftig Pedelecs sein;
aber die Pedelecs fördern den Fahrradverkehr gerade in
den Regionen, in denen es nicht flach ist. Aber da der
Wind dort, wo es flach ist, immer aus der falschen Richtung weht, sind Pedelecs eigentlich für ganz Deutschland interessant.
({12})
- In Schleswig-Holstein kommt der Wind immer von
vorne. Ihr glaubt gar nicht, wie viele kleine Hügel wir
haben, bei denen es auch anstrengend sein kann.
({13})
Meine Damen und Herren, ein weiteres Thema ist die
Verkehrssicherheit. Darauf werden wir ebenfalls einen
Schwerpunkt setzen. Wenn auch die Zahl der Verkehrstoten kontinuierlich zurückgegangen ist, bleibt es Aufgabe der Bundesregierung, hier weitere Fortschritte zu
erzielen. Wir haben die Alkoholgrenze für Fahranfänger
auf 0 Promille gesetzt.
({14})
Wir haben den Führerschein mit 17 auf den Weg gebracht. Hier gibt es weiteren Gesprächsbedarf. Wir wollen die Ausbildung der Fahranfänger verbessern, die
Qualität der pädagogischen Ausbildung der Fahrlehrer
erhöhen, das begleitete Fahren optimieren und in der
Fahranfängerausbildung ein Mehrphasenmodell entwickeln.
({15})
Zum Abschluss komme ich zu einem Punkt, der nicht
im Koalitionsvertrag steht. Wir werden auch über die
Promillegrenze bei Fahrradfahrern sprechen müssen.
1,6 Promille erreichen wir ja nicht mal unter normalen
Gegebenheiten.
({16})
Ich halte den Wert für zu hoch und werde mich gerne
persönlich für eine Herabsetzung einsetzen.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit unserem
neuen Verkehrsminister. Wir sind hochmotiviert, uns
auch in den Bereichen Fahrrad, Verkehrssicherheit und
Infrastrukturausbau zu engagieren. Auf, an die Arbeit!
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat der Kollege Martin Dörmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schnelles Internet in ganz Deutschland zu verwirklichen, ist ein zentrales Anliegen der Koalition. Wir wollen allen Menschen und Regionen die Teilhabe an den
kommunikativen und wirtschaftlichen Chancen unserer
Informationsgesellschaft ermöglichen. Eine digitale
Spaltung unseres Landes dürfen wir nicht zulassen. Genau die droht aber.
In größeren Städten erleben wir eine dynamische Entwicklung von Breitbandangeboten, angetrieben durch
den Infrastrukturwettbewerb. Kabelunternehmen, die
früher nur TV-Angebote unterbreitet haben, vermarkten
heute mit modernster Technik Internetgeschwindigkeiten von 100 Megabit und mehr pro Sekunde.
({0})
Die Telekommunikationsunternehmen sind gezwungen,
nachzuziehen, um konkurrenzfähig zu bleiben. So baut
die Deutsche Telekom beispielsweise ihre VDSL-Leitung mit moderner VDSL-Technik aus, um hohe Bandbreiten zu realisieren.
({1})
Ergebnis des beschriebenen Infrastrukturwettbewerbs
wird sein, dass bald zwei Drittel der deutschen Haushalte mit Bandbreiten von mindestens 50 Megabit pro
Sekunde versorgt sein werden.
({2})
Rund ein Drittel der Haushalte profitiert von dieser
Entwicklung nicht oder nur sehr verzögert. In vielen
ländlichen Regionen lohnt sich eine Investition in den
Breitbandausbau für die Unternehmen derzeit nicht,
({3})
weil die Kosten pro Haushalt dort besonders hoch sind
- das TÜV-Gutachten ist bereits erwähnt worden -: Es
können 800 Euro pro Anschluss sein; bei 5 Prozent dieser Haushalte sind es sogar mehrere 1 000. Diese Wirtschaftlichkeitslücke ist somit das zentrale Ausbauhindernis, wenn es um eine flächendeckende Versorgung mit
schnellem Internet geht.
Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD in
Bezug auf den flächendeckenden Breitbandausbau ein
äußerst ehrgeiziges Ziel gesetzt. Bis 2018 wollen wir erreichen, dass jedem Haushalt Internetgeschwindigkeiten
von mindestens 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung
stehen. Ja, das ist eine echte Herkulesaufgabe, und sie
kann nur gemeistert werden, wenn zwei Bedingungen
erfüllt werden: Erstens. Alle Akteure müssen zusammenwirken: Unternehmen, Regulierungsbehörde, Bund,
Länder und Kommunen, aber auch die EU. Zweitens.
Die Investitionsbedingungen für die Unternehmen müssen weiter optimiert und Wirtschaftlichkeitslücken konsequent abgebaut werden.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat übrigens in der vergangenen Legislaturperiode in einem einzigartigen Dialogprojekt mit Experten ein Breitbandkonzept erarbeitet,
das hierzu Lösungsvorschläge anbietet. Ich freue mich
sehr, dass viele der von uns formulierten Punkte in den
Koalitionsvertrag eingeflossen sind.
({4})
Dazu gehören insbesondere eine investitionsfreundliche
Regulierung und der Abbau von Wirtschaftlichkeitslücken.
Hierbei sind zwei Punkte von entscheidender Bedeutung. Zum einen müssen beim Breitbandausbau zusätzliche Synergiepotenziale erschlossen werden, beispielsweise
dadurch, dass TK-Unternehmen bereits vorhandene
Netze in anderen Infrastrukturbereichen nutzen, zum
Beispiel Straßen, Schienen und Energieleitungen. Zum
anderen - das ist richtig - brauchen wir verbesserte Fördermöglichkeiten.
({5})
Ohne zusätzliche Mittel werden die angestrebten Ausbauziele in der Tat kaum zu realisieren sein. Von daher
wäre es wünschenswert gewesen, wenn wir die 1 Milliarde Euro, über die wir in den Koalitionsverhandlungen diskutiert haben, schon jetzt in den Bundeshaushalt
hätten aufnehmen können.
({6})
Wir müssen anerkennen, dass nur ein begrenztes Budget
zur Verfügung stand. Das Geld wurde für andere sehr
wichtige Projekte eingesetzt, die jetzt in der Realisierung
sind.
Wir sind aber mit unseren Überlegungen keineswegs
am Ende. Die Koalition hat sich im Koalitionsvertrag
auf ein neues Sonderfinanzierungsprogramm „Premiumförderung Netzausbau“ bei der KfW-Bankengruppe verständigt, um bestehende Programme zu ergänzen.
Außerdem wollen wir einen Breitbandbürgerfonds einrichten, um zusätzliche Gelder für den Breitbandausbau
zu organisieren. Zudem ist es durchaus wahrscheinlich,
dass der Bund im Laufe dieser Legislaturperiode Einnahmen aus Frequenzversteigerungen realisieren kann,
die für den Breitbandausbau nutzbar gemacht werden
sollten.
({7})
Hinzu kommt, dass nach der Umstellung der terrestrischen
Rundfunkversorgung auf den neuen Standard DVB-T2
zusätzliche Frequenzen zur Verfügung stehen, die wir
ebenfalls für einen zügigen Ausbau von Breitbandangebo860
ten mit dem neuen Funkstandard LTE Advanced, der hohe
Bandbreiten ermöglicht, nutzen wollen.
Sie sehen, die Koalition hat sich ehrgeizige Ziele vorgenommen. Sie will die flächendeckende Versorgung
mit Hochleistungsnetzen, um zusätzliche Wachstumsimpulse zu setzen. Dabei sind wir uns sehr wohl bewusst,
dass es außerordentlicher Anstrengungen bedarf, und
zwar aller Beteiligten, um diese Ziele tatsächlich realisieren zu können. Deshalb hat Bundesminister Alexander
Dobrindt unsere volle Unterstützung bei diesen ehrgeizigen Vorhaben. Herr Minister, wir sollten alle Beteiligten
motivieren, diese Ziele gemeinsam mit uns zu verfolgen;
denn wir alle sollten das Ziel haben, Deutschland zum
Internetland Nummer eins in Europa zu machen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Reinhold Sendker für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der vergangenen Legislaturperiode ist es uns trotz notwendiger Haushaltskonsolidierungen gelungen, für die
Verkehrsinfrastruktur weitere Investitionsmittel einzuwerben, nicht zuletzt durch die bekannten Investitionsbeschleunigungsprogramme der beiden letzten Jahre. Ja,
wir sind vorangekommen. Diesen erfolgreichen Weg
wird die Koalition in den nächsten Jahren fortsetzen:
({0})
mit zusätzlichen 5 Milliarden Euro plus weiteren Mitteln
aus der Nutzerfinanzierung, mit der Absicht, nicht verbrauchte Investitionsmittel überjährig und ungekürzt zur
Verfügung zu stellen, mit der Absicht, stabile Finanzierungskreisläufe zu statuieren, mit mehr Bürgerbeteiligung, vor allen Dingen mit Blick auf den Bundesverkehrswegeplan, und schließlich mit dem neuerlichen
Bekenntnis „Erhalt vor Neubau“ angesichts gewaltiger
Erhaltungs- und Sanierungsaufgaben, zum Beispiel bei
den Brückenbauwerken. Das sind ganz hervorragende
Aufschläge im gemeinsamen Koalitionsvertrag von
Union und SPD. Die Eckpfeiler wurden richtig gesetzt
für eine erfolgreiche Verkehrspolitik unserer Regierung
in den nächsten Jahren.
({1})
Für den Aus- und Neubau bleiben allerdings - das ist
schon gesagt worden - wenig Spielräume übrig. Die
Spielräume bleiben eng. Folglich werden wir uns gemeinsam mit unserem Minister für einen weiteren Aufwuchs der Investitionsmittel einsetzen. Schließlich hat
unser Land eine zentrale Bedeutung für die europäischen
Verkehre, ist Wachstumslokomotive im Herzen Europas.
Im Interesse der Sicherheit der Menschen und der Prosperität unserer Volkswirtschaft, der Sicherung von Arbeitsplätzen, müssen wir weiter die Voraussetzungen
dafür schaffen, dass gebaut werden kann, was gebaut
werden muss. Den Kolleginnen und Kollegen der Grünen sage ich: Eine Verweigerungshaltung beim Straßen-,
Schienen- und Wasserwegeausbau, die wir hier oft vernommen haben, kann sich unser Land schon lange nicht
mehr leisten.
({2})
Erforderlich ist vor allem Transparenz in Form eines
Verkehrsinfrastrukturberichtes alle zwei Jahre. Erforderlich ist darüber hinaus die unvoreingenommene Prüfung,
wie weit im Einzelfall die Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Geldgebern als zusätzliche Beschaffungsvariante genutzt werden kann. In der Diskussion
um öffentlich-private Partnerschaften kann ich uns nur
raten, Fakten sprechen zu lassen, sprich: Wirtschaftlichkeit, Transparenz, Qualität der Bauausführung, verbunden mit einem hochwertigen Betriebsdienst, einem
schnelleren Ausbau und dergleichen mehr. Diese Vergleichsfaktoren gilt es sorgsam zu prüfen. Danach muss
entschieden werden und nicht nach ideologischen Bedenken.
({3})
Als jemand, der viele Jahre im Landes- und Kommunalparlament mitwirken konnte, bin ich hocherfreut darüber, dass dieser Koalitionsvertrag einige kommunalfreundliche Ansätze hat, darunter die Vereinbarungen
zur Gemeindeverkehrsfinanzierung, zu den Regionalisierungsmitteln und zu den NE-Bahnen, also dem nicht
bundeseigenen Schienengüterverkehrsnetz. Dass der
Bund im Zusammenhang mit der Ausbauhilfegesetzgebung trotz Föderalismusreform bis ins Jahr 2019 weiterhin 1,33 Milliarden Euro per annum für die Gemeindeverkehrsfinanzierung bereitstellt, war Beschlussfassung
der bisherigen Regierung und - lassen Sie mich das an
dieser Stelle noch einmal betonen - fürwahr eine herausragende Leistung.
({4})
Da unsere Kommunen mit Recht Verlässlichkeit und
Planungssicherheit bei der Gemeindeverkehrsfinanzierung einfordern, ist auch die Zielsetzung erfreulich, eine
Anschlussfinanzierung für die Entflechtungsmittel im
Rahmen des GVFG für die Zeit nach 2019 zu erreichen.
Machen wir uns nichts vor: Viele Städte und Gemeinden
hätten schon jetzt ohne die Hilfe des Bundes eine zusätzliche Finanzierungsaufgabe bei schwieriger Kassenlage.
Deshalb sind unsere Vorschläge, die Vorschläge der Koalition, gut für unsere Kommunen. Noch deutlicher: Das
ist kommunalfreundliche Politik.
({5})
In diesem Jahr, in 2014, steht die Revision der Regionalisierungsmittel an. Auch beim Schienenpersonennahverkehr ist es gut und richtig, die Finanzierung im Sinne
der Bedürfnisse der Menschen und im Sinne guter
Standortpolitik zu sichern.
({6})
In der zurückliegenden Wahlperiode hatten wir, wenn
ich daran noch erinnern darf, für das Haushaltsjahr 2013
erstmals Fördermittel für die NE-Bahnen eingestellt,
also eine über die Netze der Bahn AG hinausgehende Investitionsförderung für die Güterverkehrsstrecken, die
von Kommunen und Privaten betrieben werden. Diese
Förderung ist absolut zielführend; denn wenn sich die
Betreiber der NE-Bahnen diese nicht mehr leisten können, haben wir am Ende womöglich noch mehr Schwerlastverkehr auf unseren Straßen. Deshalb ist die Absicht,
die Förderung der NE-Bahnen fortzusetzen, in ihrer
Auswirkung kommunal- wie umweltfreundlich und damit absolut richtig.
({7})
Insgesamt gesehen werden wir also in dieser Legislaturperiode über mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur
verfügen können. Wir wollen die gegebenen Finanzierungsstrukturen weiter optimieren und ÖPP als zusätzliche Beschaffungsvariante prüfen. Wir wollen noch mehr
Transparenz und Bürgerbeteiligung erreichen. Wir erblicken im Koalitionsvertrag ausgesprochen kommunalfreundliche Ansätze. Wir wollen mehr Lärmschutz und
eine bessere Verzahnung unserer Verkehrsträger herstellen.
Kollege Sendker.
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin.
Sie müssen noch nicht zum Ende kommen. Vielmehr
haben Sie die einmalige Chance, weiterzureden, wenn
Sie dem Kollegen Gastel die Möglichkeit geben, eine
Bemerkung zu machen oder eine Frage zu stellen.
Bitte schön. Gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass ich die Gelegenheit
habe, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. - Sie haben
in Ihrem Beitrag unter anderem gesagt, wir Grüne würden uns bei Investitionen verweigern. Sie haben von
Ideologie gesprochen. Sie haben davon gesprochen, dass
mehr investiert werden muss. Jetzt möchte ich auf das
Thema Schiene zu sprechen kommen. Hier wurde viel
investiert und soll weiterhin viel investiert werden. Wie
erklären Sie sich, dass im Personenfernverkehr, aber
auch im Güterverkehr der Anteil der Schiene am Verkehrsaufkommen trotz dieser milliardenschweren Investitionen in den letzten Jahren nicht gestiegen ist? Wie
wollen Sie das Investitionsverhalten in der Zukunft steuern, sodass es gelingt, mehr Güter auf die Schiene zu bekommen und im Fernverkehr mehr Personen?
Das ist eine berechtigte Frage, Herr Kollege Gastel.
Wir werden daran arbeiten. Wir haben schon in der Vergangenheit über dieses Thema diskutiert, also über eine
stärkere Verlagerung der Verkehre auf die Schiene. Da
haben wir noch einiges zu erledigen. Ich darf Ihnen mit
den Worten der Bundeskanzlerin antworten: Bitte haben
Sie Geduld. Da werden wir liefern. Wenn Sie uns das
nicht zutrauen, dann darf ich Ihnen sagen: Die Bürgerinnen und Bürger, jedenfalls die Wählerinnen und Wähler
trauen es uns zu. Sie haben die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit 42 Prozent der Stimmen ausgestattet. Wir
sind auf einem guten Weg. Vertrauen Sie uns.
({0})
Ich darf fortfahren, Frau Präsidentin. - Wir wollen
vor allen Dingen Zukunftsoptionen weiter voranbringen:
von der Elektromobilität über noch mehr Verkehrssicherheit bis hin zu einer hervorragenden digitalen
Infrastruktur. Wir werden der Gesamtverantwortung für
unser Land mit einer modernen und zukunftsfähigen
Verkehrspolitik gerecht. Lassen Sie uns gemeinsam
sachlich und ohne ideologische Verrenkungen an dieser
hervorragenden Aufgabe und Zielsetzung gemeinsam
weiterarbeiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Birgit
Kömpel.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste auf der Besuchertribüne! Bei aller Brisanz und der großen Bedeutung der digitalen Infrastruktur sollten wir nicht vergessen, dass zu Mobilität
und Infrastruktur auch das Thema Verkehrssicherheit gehört. Herr Kollege Storjohann hat es vorhin ganz kurz
erwähnt. Ich möchte dazu weiter ausführen.
Wir hatten im Jahr 2013 die niedrigste Anzahl von
Verkehrstoten seit der Einführung der amtlichen Unfallstatistik zu verzeichnen. Diese positive Entwicklung
wäre ohne die wertvolle Arbeit der Verkehrssicherheitsverbände und der vielen Ehrenamtlichen nicht denkbar.
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön dafür.
({0})
So erfreulich diese Zahl auch ist, so gibt sie uns dennoch Anlass, etwas genauer hinzuschauen. Wir dürfen
nicht vergessen, dass diese Zahl auch ein wenig dem
schlechten Wetter in den Monaten April und Mai des
letzten Jahres geschuldet ist. Sie fragen sich jetzt vielleicht: Was hat das Wetter damit zu tun? Ganz einfach:
Bei Regen und Kälte, wie es eben leider in den beiden
Monaten - Entschuldigung, das ist meine erste Rede; ich
bin sehr nervös ({1})
Mai und Juni des letzten Jahres der Fall war, lassen zum
Beispiel die Motorradfahrerinnen und Motorradfahrer
ihre Maschinen in der Garage stehen. Wir können aber
nicht auf schlechtes Wetter in diesem Frühjahr hoffen,
damit sich die Zahl der Verkehrstoten im Straßenverkehr
verringert. Ich denke, das will hier niemand.
({2})
Apropos Wetter: Gerade im Winter geschehen immer
wieder Unfälle an unseren Bahnhöfen, weil der Streupflicht nicht rechtzeitig nachgekommen wurde oder
nachgekommen werden konnte. Sehr geehrter Herr
Minister Dobrindt, im Zusammenhang mit dem Vorhaben, die Bahn strenger zu kontrollieren, möchte ich Sie
herzlich bitten, auch ein wachsames Auge auf die Verkehrssicherheit an unseren Bahnhöfen zu haben.
({3})
Ganz sicher ist die Technik - das ist ein Segen - heute
so weit fortgeschritten, dass besonders im Straßenverkehr niemand mehr so schnell an den Folgen eines Unfalls sterben muss. Das gilt ganz besonders für die Insassen eines Pkw. Doch dieser Fortschritt birgt auch eine
Gefahr. Viele Autofahrerinnen und Autofahrer verlassen
sich auf Airbag, ABS, Bremsassistent und deutlich verbesserte Kindersitze. Wer nach dem Motto „Es geht noch
ein bisschen schneller, mein Auto ist sicher“ ins Fahrzeug steigt, der oder die hat verkannt, dass die Gefahr
stets vorhanden ist.
Die neuen Sicherheitssysteme können Autofahrerinnen und Autofahrer tatsächlich dazu verleiten, schneller
und mit mehr Risiko zu fahren. Wer frontal mit einem
anderen Fahrzeug zusammenprallt oder gegen einen
Baum fährt, mag heute vielleicht nicht mehr so schnell
sterben wie noch vor einigen Jahren. Es ist aber nun
nicht so, dass er oder sie sich nach dem Aussteigen zweimal schüttelt und sich dann entspannt das zerstörte Fahrzeug betrachten kann. Das mag in der Formel 1 manchmal so sein, aber im normalen Straßenverkehr ist dem
nicht so. Schwerverletzte Autofahrerinnen und Autofahrer mit bleibenden körperlichen Schäden gibt es bis
heute genug. Es besteht also gar kein Grund, sich zurückzulehnen und das Thema Verkehrssicherheit auf die
lange Bank zu schieben.
Wir befinden uns nicht zu Unrecht in der Dekade der
Verkehrssicherheit, die von den Vereinten Nationen ausgerufen worden ist. Es sind hervorragende Projekte wie
„Begleitetes Fahren mit 17“ oder das absolute Alkoholverbot für Autofahrer bis zum Alter von 21 Jahren auf
den Weg gebracht und umgesetzt worden. Aber auch
dem zunehmenden Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung muss die Verkehrssicherheitsarbeit mit
neuen Maßnahmen Rechnung tragen. Ältere Menschen
über 65 und Kinder im Grundschulalter verunglücken als
Fußgänger dreimal so oft wie 35- bis 44-Jährige.
({4})
Auf schwächeren Verkehrsteilnehmern, zu denen ältere
Menschen und Kinder gehören, aber auch auf ungeschützten Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern, Fahrradfahrern
und Motorradfahrern muss in der Verkehrssicherheit unser besonderes Augenmerk liegen.
({5})
Hier helfen jedoch nicht immer strengere Verkehrsregeln, sondern hier muss in unserer Gesellschaft für
Einsicht, Rücksicht und Verantwortungsbewusstsein geworben werden.
({6})
Wichtige Grundsteine dafür werden vor allem in der
Verkehrserziehung an den Grundschulen und in den Kindertagesstätten gelegt. Diese Maßnahmen müssen weiterhin unterstützt werden, um das Verständnis für und
die Akzeptanz von Verkehrsregeln bereits in jungen Jahren zu fördern - frei nach dem Motto: Was Hänschen
nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Kommen wir jetzt zu einem heiklen Thema, zur verkehrsmedizinischen Beratung für unsere lieben Senioren. Keine Angst! Im Koalitionsvertrag steht, dass die
Anzahl der - ich glaube, das ist das Zauberwort - freiwilligen Gesundheitschecks erhöht wird. Auch wenn unsere Senioren über mehr Erfahrung und Fahrpraxis verfügen als die jungen Verkehrsteilnehmer, so ist die Zahl
der Unfälle, die durch ältere Bürgerinnen und Bürger
verursacht werden, noch immer hoch. Wir müssen die
Hausärzte dazu auffordern, die gegebenenfalls notwendigen Fortbildungen zu absolvieren; sie sollen in einer
ständig älter werdenden Gesellschaft als Ansprechpartner für unsere Senioren hinsichtlich der Fahrkompetenz
agieren - ich betone: agieren, nicht reagieren; denn dann
ist es meist schon zu spät.
({7})
Ich komme zum Schluss. Wir alle kennen jemanden,
der einen Freund oder eine Freundin oder einen Angehörigen durch einen Verkehrsunfall verloren hat; vielleicht
sind wir sogar selbst betroffen. Wir wissen, welch unermessliches Leid dann über die Angehörigen hereinbricht. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir
hier im Parlament alles dafür tun, dass die Zahl der Menschen, die um einen Angehörigen trauern müssen, weiter
sinkt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Kollegin Kömpel, das war Ihre erste Rede hier im
Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu und
wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses viel Erfolg für Ihre weitere Tätigkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Arnold Vaatz für die CDU/
CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als letztem Redner kommt mir die Aufgabe zu,
ein paar zusammenfassende Bemerkungen aus Sicht unserer Fraktion zu machen. Die erste dieser Bemerkungen
ist folgende: Die digitale Infrastruktur zu einem zentralen Aufgabengebiet aufzuwerten, das sich im Namen des
Ministeriums widerspiegelt und dort auch strukturelle
Folgen haben wird, halte ich für eine der wichtigsten
strategischen Entscheidungen der Großen Koalition.
({0})
Denn diese Aufgabe gehört dort angesiedelt, wo die Verantwortung für Mobilität wahrzunehmen ist. Zur Mobilität von Menschen gehört die Mobilität von Daten und Informationen, heute mehr denn je und morgen mehr als
heute. Der Grund ist ganz einfach: Die Mobilität von
Daten ist eine der vielversprechendsten und wichtigsten
Komponenten, auf die wir vertrauen können, wenn wir
daran arbeiten, die Attraktivität des ländlichen Raumes
zu heben. Wir wissen, dass die Landwirtschaft dort
längst nicht mehr das prägende Element ist. Wenn wir
diese Aufgabe geschickt angehen, wird es uns gelingen,
auf diese Weise auch im ländlichen Raum wieder Erwerbsmöglichkeiten und Arbeitsplätze zu schaffen. Das
ist eine große Chance, die wir damit wahrnehmen. Bei
aller Kritik: Dass das Konzept hierfür am Anfang der
Regierungstätigkeit noch nicht fertig sein kann, dass am
ersten Tag noch keine Resultate geliefert werden können, sondern dass mit diesem Aufgabengebiet ein Arbeitsauftrag umrissen ist, das sollten vernünftige Menschen begreifen und für selbstverständlich halten.
Unterstützen wir unseren Minister darin, dass er zu einem guten Ergebnis kommt.
({1})
Über dieser zusätzlichen Aufgabe darf selbstverständlich das Brot- und Buttergeschäft der Verkehrspolitik
nicht in den Hintergrund geraten - und das wird es auch
nicht. Wir wissen, dass die gut ausgebaute Infrastruktur
in Deutschland eine der zentralen Erfolgsgarantien für
die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ist. Das
wird sie auch bleiben. Dabei muss uns allerdings klar
sein, dass wir einen weiteren Werteverzehr bei unserer
Infrastruktur nicht zulassen können.
({2})
Das bedeutet, dass der Akzent „Erhalt vor Neubau“ richtig ist und von allen - das wird dem Einzelnen von uns
in seinem Wahlkreis möglicherweise schwerfallen - unterstützt werden sollte. Das erfordert Mäßigung, aber
auch die Sorge dafür, dass diese Mittel so eingesetzt
werden, dass sie optimale Wirkung entfalten.
({3})
Zum Thema Finanzierung. Der Akzent „Erhalt vor
Neubau“ bedeutet nicht, dass es keinen Neubau geben
soll. Selbstverständlich brauchen wir auch weiterhin
Neubauvorhaben, um unsere Infrastruktur weiterzuentwickeln. Nur muss das natürlich maßvoll und nach transparenten Prinzipien geschehen. Das bedeutet wiederum,
dass wir alle gemeinsam eine große Aufgabe zu schultern haben, wenn es um den gegenseitigen Interessenausgleich bei der Aufstellung unseres Bundesverkehrswegeplanes 2015 geht. Dessen Qualität wird sich danach
bemessen, inwieweit die Realisierbarkeit im Vordergrund stehen wird und nicht das Wünsch-dir-was. Das
erfordert meines Erachtens große Disziplin, Kollegialität
und Transparenz. Auch in diesem Punkt werden wir unseren Minister unterstützen.
({4})
Meine Damen und Herren, Verkehrspolitik darf auch
in Zukunft nicht allein ein innenpolitisches Thema sein.
Der Eiserne Vorhang ist ein für alle Mal weg. Die
Durchdringung des Raumes, der sich auf diese Weise
eröffnet hat, ist im Ansatz noch längst nicht weit genug
entwickelt. Deshalb hat die Europäische Union auch mit
dem Vorstoß zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen
- Grünbuch, Weißbuch, Netzkonzept - reagiert. Auch
diese Aufgabe müssen wir schultern. Das ist eine langfristige Aufgabe, die wir nicht heute und nicht morgen
schaffen. Aber wir müssen dranbleiben, wenn wir ein
solches Verkehrsnetz jemals realisieren wollen. Das ist
eine der zentralen Aufgaben bei der Weiterentwicklung
der Zusammengehörigkeit der Gesellschaften in Europa.
Das halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe. Demzufolge dürfen wir das nicht aus den Augen verlieren.
({5})
Im Übrigen ist hier bis jetzt sehr wenig zum Thema
Schifffahrt gesagt worden. Auch dazu will ich, auch
wenn ich es mir eigentlich nicht vorgenommen hatte, etwas sagen. Außerordentlich wichtig sind die Hafenhinterlandanbindungen, aber auch - das dürfen wir nicht
vergessen - der Binnenschiffsverkehr.
({6})
Dies dürfen wir auch aus ökologischen Gründen nicht
außer Acht lassen. Wir müssen auch in diesem Bereich
den Ausbau fortführen, müssen die Aufgaben identifizieren, die sich wiederum nach dem Jahrhunderthochwasser ergeben haben, und müssen zügig dafür sorgen,
dass wir an dieser Stelle nicht ins Hintertreffen geraten.
Auch das muss sein.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt, wie
Sie sehen, jede Menge Aufgaben. Packen wir es an. Wir
wissen alle - das sage ich hier ausdrücklich -, dass wir
im Infrastrukturbereich unterfinanziert sind. Aber es
nützt nichts - das sage ich insbesondere an die Adresse
der Grünen -, über Jahre durch immer neue Umweltstandards alle Großprojekte entweder zu verhindern oder zu
verteuern und hinterher zu schimpfen, dass wir nicht genug Geld haben. Das ist nicht der richtige Weg.
({8})
Meine Damen und Herren, wir müssen nach Finanzierungsmöglichkeiten suchen, die tatsächlich tragfähig
sind. Deshalb haben wir an zwei Punkten wirklich einen
vernünftigen Umdenkungsprozess vollzogen - ich komme
zum Ende, Frau Präsidentin -:
({9})
Erstens. Wir haben 5 Milliarden Euro zusätzlich für
die Infrastruktur bereitgestellt, die nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Das ist eine große Leistung der
Koalition.
Zweitens. Wir werden weiter auf dem Weg zur Nutzerfinanzierung anstatt der Steuerfinanzierung gehen.
Auch das ist ein wichtiger Weg.
Außerdem werden wir darauf achten, dass die Infrastrukturhaushalte in Zukunft aufhören, der ständige
Steinbruch für alle Einsparungen im Bundeshaushalt zu
sein.
Herr Kollege.
Ich denke, dass uns das gemeinsam gelingen wird.
Ich bedanke mich ganz herzlich, Frau Präsidentin,
({0})
dass ich zu Ende reden durfte, und wünsche Ihnen allen
ein schönes Wochenende.
({1})
Die Liberalität dieses Parlaments unter besonderer
Berücksichtigung des jeweils amtierenden Präsidiums ist
schwerlich zu überbieten.
({0})
Das nehmen wir mit besonderer Rührung zu Protokoll.
Im Übrigen hoffe ich doch sehr, dass Sie nicht am
Ende sind, Herr Kollege Vaatz.
({1})
Leider muss dennoch jede Rede irgendwann einmal an
ein gesetztes Ende kommen.
({2})
- Ja, es ist nicht völlig unüblich, dass ein Wechsel im
Präsidium während laufender Plenarsitzungen erfolgt.
Dass das aber selbst stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden ohne Vorwarnung passiert, ist schon eine arge
Zumutung; das räume ich ausdrücklich ein.
({3})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich
liegen nicht vor, sodass wir jetzt zu den Bereichen Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit kommen.
Wenn die dazu vereinbarte Redezeit von 60 Minuten
eingehalten wird, droht das gleiche Risiko wie eben bei
den Rednern in dieser folgenden Debatte nicht.
Wir beginnen mit der Bundesministerin für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Frau Dr. Barbara
Hendricks, die hiermit das Wort erhält, sobald sich die
Plenarbesetzung wieder etwas neu sortiert hat.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
Agenda der Bundesregierung in der Umwelt- und Baupolitik ist lang. Sie ist aber nicht nur lang, sondern auch
vielfältig und ambitioniert, und sie steht unter einer
Überschrift, nämlich: Alle unsere Lebensgrundlagen
sind auf Nachhaltigkeit angewiesen. - Damit haben wir
beim Strom begonnen, das müssen wir bei der Wärme
sowie beim Natur- und Flächenverbrauch fortsetzen, und
darum muss es mehr noch als bisher schon auch beim
Planen und Bauen gehen.
Es ist richtig, Umweltschutz, Stadtentwicklung und
Bauen in einem Haus zusammenzuführen,
({0})
weil zum Beispiel 40 Prozent der deutschen Treibhausgasemission aus dem Gebäudebereich kommen, weil
80 Prozent der Energie und Ressourcen in Städten verbraucht werden und vor allem, weil Nachhaltigkeit eine
ökologische, eine ökonomische und eine soziale Dimension hat.
Wir alle sehen, wie groß die Widerstände gegen eine
Politik der Nachhaltigkeit gerade auch auf der internationalen Bühne sind. Ich kann Ihnen versichern: Diese
Bundesregierung wird Kurs halten.
({1})
Es wird nicht einfach sein, am Ende des nächsten Jahres auf der UN-Konferenz in Paris ein globales, rechtlich
bindendes und vor allem substanzielles Klimaschutzabkommen zu erreichen. Wir werden aber - alle Ressorts
zusammen - jeden diplomatischen Hebel in Bewegung
setzen, und ich werde mich natürlich auch persönlich der
UN-Klimaverhandlungen annehmen.
({2})
So muss es natürlich auch in Europa sein, weil wir das
Ziel, bis zum Jahr 2030 um mindestens 40 Prozent zu reduzieren, brauchen, und weil wir eine Reform des Emissionshandels wollen, die ihren Namen verdient und auf
marktwirtschaftliche Weise die Verstromung von Kohle
zurückdrängt; denn nur so wird der Emissionshandel
endlich zu dem Innovationstreiber werden, der er sein
kann.
Auch in Deutschland müssen wir mehr tun, indem wir
nämlich die Verlässlichkeit für das Langfristprojekt Klimaschutz schaffen und für Investitionen und Planungssicherheit sorgen. Ein Langfristziel ist für uns das Jahr
2050. Deshalb werden wir noch in diesem Jahr einen nationalen Klimaschutzplan mit klaren Zwischenzielen für
die nächsten Jahrzehnte vorlegen.
Damit ist es aber nicht getan. Auch kurzfristig müssen
wir handeln. Ich möchte hier ankündigen, dass ich mich
um ein ressortübergreifendes Sofortprogramm für den
Klimaschutz kümmern werde, und zwar umgehend.
({3})
Nach allen Daten, die uns vorliegen, werden wir mit
den bisher beschlossenen Maßnahmen unser nationales
Ziel bis 2020 nicht erreichen können. Mit den Maßnahmen, die schon auf dem Weg sind, erreichen wir allenfalls ein Minderungsziel von 33 Prozent, aber nicht von
40 Prozent. Bei einer schlechteren wirtschaftlichen Entwicklung würden wir ein Minderungsziel von 35 Prozent erreichen, aber es kann nicht unser Wunsch sein,
das Ziel auf diese Weise zu erreichen.
Also müssen wir weitere Anstrengungen unternehmen, um die Lücke, die sich auftut, bis zum Jahr 2020 zu
schließen. Deswegen braucht es auch ein Sofortprogramm; denn bis 2020 ist es, wie wir wissen, nicht mehr
lange hin. Das Ziel von 40 Prozent haben wir im Jahre
2007 gemeinsam definiert. Das werden wir auch gemeinsam umsetzen wollen. So viel für heute zum Klimaschutz.
Es gibt natürlich vielfältige weitere Herausforderungen. Der Atomausstieg - das ist eine Selbstverständlichkeit - ist für uns unumkehrbar. Nun geht es um eine professionelle Umsetzung und darum, bis zuletzt maximale
Sicherheit zu gewährleisten. Es geht darum, ein geeignetes Endlager zu finden. Ich finde, das ist eine Aufgabe
von wahrhaft nationaler Bedeutung.
Wir haben die Erkundung in Gorleben beendet und
werden nun in einem transparenten Verfahren die Kriterien für eine ebenso transparente Standortentscheidung
bestimmen. Dazu wird der Bundestag sehr bald die Endlagerkommission ins Leben rufen. Mein Ministerium
wird dafür sorgen, dass das neue Bundesamt für kerntechnische Entsorgung im Sommer seine Arbeit aufnehmen kann, damit es dann, wenn die Kriterien bis zum
Ende des Jahres 2015 gemeinschaftlich bestimmt sind,
auf Basis dieser dann bestimmten Kriterien auf die Suche gehen kann.
Stichwort „Sommer“ - das ist jetzt eine ganz gewagte
Überleitung -:
({4})
Im Sommer dieses Jahres wird das neue Bundesamt
seine Arbeit aufnehmen, und im Sommer des vergangenen Jahres standen weite Teile unseres Landes nach einem verheerenden Hochwasser still. Das ist natürlich
nicht vergessen, gerade in den betroffenen Gebieten
nicht, aber auch darüber hinaus nicht.
Gemeinsam mit den Ländern arbeiten wir an einem
nationalen Hochwasserschutzprogramm. Wir brauchen
- das wissen wir alle - mehr Raum für die Flüsse, genauso wie wir mehr Raum für die Natur überhaupt brauchen. Deswegen werden wir in dieser Legislaturperiode
unser Nationales Naturerbe erheblich ausweiten, und
zwar um mindestens 30 000 Hektar.
({5})
Kommen wir zum Bauen. Nicht nur in Deutschland,
sondern weltweit sind es heute die Städte, die im Fokus
der Nachhaltigkeitsdiskussion stehen; denn dort, wo
Menschen auf engem Raum zusammenleben, entscheidet sich, ob Nachhaltigkeit wirklich gelingt. Ein Schwerpunkt dieser Legislaturperiode wird darin bestehen, die
Städte zukunftsfähiger zu machen und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen, weil wir lebenswerte Städte
wollen, in denen auch in Zukunft Menschen aller Einkommensgruppen, jeden Alters und jeder Herkunft,
deutscher oder anderer Herkunft, nicht nebeneinander,
sondern miteinander leben.
({6})
6, 7 oder 8 Prozent Mietanstieg pro Jahr in manchen
Ballungsräumen muss uns natürlich beunruhigen. Das ist
eine ernste Bedrohung für ein sozial ausgewogenes Miteinander. Ich danke dem Kollegen Justizminister, dass er
unmittelbar dahin gehend tätig geworden ist, den
Rechtsrahmen entsprechend anzupassen, so wie wir das
in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen haben.
({7})
Um aber an die Wurzeln des Problems zu kommen,
werden wir den Wohnungsbau in Deutschland stärken,
nicht zuletzt den sozialen Wohnungsbau, für den wir bis
zum Jahr 2019 weiterhin 518 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Ich werde darüber hinaus ein Bündnis für
bezahlbares Bauen und Wohnen auf den Weg bringen:
mit den Ländern, mit der Immobilienwirtschaft, mit
Baufachleuten und mit den Sozialverbänden.
Ich freue mich, dass wir uns in der Koalition darauf
verständigt haben, die Städtebauförderung zu einem
wirklich schlagkräftigen Gestaltungsmittel mit einem
Volumen von 700 Millionen Euro jährlich zu machen.
Das ist ein deutlicher Aufwuchs im Verhältnis zu den
vergangenen Jahren.
({8})
Hierdurch können wir unter anderem das Programm
„Soziale Stadt“ ausbauen, mit dem wir Städte und Gemeinden gezielt unterstützen, den demografischen, den
sozialen und den ökonomischen Wandel zu gestalten.
Wandel gestalten, Umweltschutz, wirtschaftlichen Erfolg und sozialen Frieden zusammenführen, Nachhaltigkeit ernst nehmen. Um es begrifflich zusammenzuführen: das gute Leben in Deutschland fördern. Darum wird
es in meinem Ressort in den kommenden Jahren gehen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Frau Ministerin Hendricks, die zwei Sofortprogramme zum Klimaschutz und Hochwasserschutz
waren so ziemlich das erste Konkretere, was ich von dieser Koalition zum Umweltschutz gehört habe. Allein die
Neugestaltung der Bundeswehr nimmt im Koalitionsvertrag mehr Platz ein als das globale Thema Umweltschutz, so als gäbe es keine globalen Herausforderungen.
Die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie bis 2015
wird Deutschland nicht erfüllen. Die EU hat bereits ein
Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, unter anderem
wegen der Versalzung der Werra im thüringisch-hessischen Grenzgebiet. Wie will die Regierung damit umgehen? Kein Wort dazu.
Der Konzern Kali und Salz kann also weiter ungestört
Salz in die Werra einleiten. Sollte Deutschland Strafzahlungen leisten müssen, dann zahlt die nicht der Konzern.
Die zahlen dann die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
So macht man keine Politik für die Umwelt.
({0})
Richtig schlimm wird es, wenn ökologisch sinnlose
Maßnahmen als Umweltschutz verkauft werden. Ich
hätte mich gerne an ihnen abgearbeitet; das fällt aber
schwer. Deswegen nenne ich ein paar warnende Beispiele aus der Vergangenheit:
Erstens. Energiesparlampen sind gesamtökologisch
schädlich. Die Energieeinsparung wurde nie über den
gesamten Lebenszyklus der Energiesparlampen betrachtet. Sie ist zweifelhaft. Das Lichtspektrum macht Menschen krank. Die Entsorgung ist nicht geklärt. Die Lampen landen auf dem Müll; das Quecksilber verdampft
oder wird einfach unter Tage abgelagert. Bei einem
Bruch der Lampen in geschlossenen Räumen besteht die
Gefahr einer Quecksilbervergiftung.
Aber der Preis einer Energiesparlampe ist deutlich höher als der Preis einer Glühbirne. Das nennen wir Pseudoumweltschutz zur Profitmaximierung.
({1})
Das zweite Beispiel: Das Land Nordrhein-Westfalen
ordnet an, alle Hausanschlüsse von Abwasserleitungen
auf Dichtheit zu prüfen. Das kostet zwischen 500 und
3 000 Euro je Anschluss für den Gutachter. Es geht angeblich um Trinkwasserschutz. Der ist wichtig. Aber der
Schadstoffeintrag durch undichte Hausanschlussleitungen ist ein Bruchteil dessen, was aus anderen Quellen
stammt. Zum Beispiel stammen 60 Prozent des Stickstoffeintrages aus der Landwirtschaft. Wo sind da Ihre
Maßnahmen? Da ist nichts, gar nichts. Sie greifen immer
dort zu, wo Verbraucherinnen und Verbraucher bezahlen
müssen. Wenn es die Industrie oder Ihre Lobbygruppen
treffen würde, lassen Sie schön die Hände davon. Eine
solche Politik werden wir bekämpfen.
Damit solcher Irrsinn künftig unterbleibt, erwarte ich
- Sie haben die Chance, das zu ändern - konsequente und
effektive Umweltschutzmaßnahmen: für eine salzfreie
Werra, für Mindestabstände von Hochspannungsleitungen
von 800 Metern, für mehr Lärmschutz an Straßen, Schienen und Flughäfen und für einen Hochwasserschutz, der
Menschen und Natur berücksichtigt. Das wäre Umweltschutz, wie ihn die Menschen erwarten. Dafür sind wir
verantwortlich.
Vielen Dank.
({2})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Georg Nüßlein das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr
Lenkert, die neue Ministerin hat die schwierige Aufgabe
übernommen, in wenigen Minuten den Rahmen für die
Verzahnung von zwei Politikbereichen zu beschreiben.
Das hat sie gut und umfassend gemacht,
({0})
auch wenn sie auf Ihre regionalen Anliegen nicht eingegangen ist - das konnte Sie logischerweise nicht - und
die von Ihnen immer wieder vorgetragenen Vorurteile
über Lobbypolitik nicht entkräften konnte.
({1})
Das wird wohl niemand von uns in den kommenden vier
Jahren schaffen. Nichtsdestotrotz will ich deutlich unterstreichen, dass der Wegfall eines Teils der Energiepolitik
uns Freiraum für andere Themen gibt, und zwar neben
dem Bau für Umweltfragen sowie für Fragen des Naturschutzes. Insofern ist das gar nicht so problematisch.
Ich will unterstreichen, dass in Zukunft die Energiepolitik im Umweltministerium sehr wohl noch verortet
ist. Das Problem ist, dass wir in diesem Land über das
Thema Energiepolitik zu sehr unter der Überschrift
Strom diskutieren.
({2})
Ich halte das angesichts der Potenziale und Spielräume,
etwas für Umwelt- und Klimaschutz sowie gegen den
Ressourcenverbrauch zu tun, sowieso für falsch. Man
darf von hier aus das Signal an diejenigen, die in Zukunft das EEG ändern werden, geben, dass das EEG Teil
eines mittlerweile eifrig beschriebenen Problems ist,
aber seine Änderung auch nur Teil der Lösung sein kann.
({3})
Wer glaubt, dass man eine Energiewende einleiten kann,
indem man nur das EEG ändert, der wird frustriert dastehen und auch seine Wählerinnen und Wähler frustrieren;
denn wir sind maximal in der Lage, die Kostendynamik
des Ganzen zu bremsen. Aber wir können keine Wende
bei den Kosten herbeiführen. Deshalb ist es unser Anliegen, mit den Kollegen, die für die Neuerungen zuständig
sind, über die Frage zu reden, wie sich das Marktdesign
so ändern lässt, dass die Erneuerbaren in die energiepolitische Landschaft passen. Nun muss ich allerdings nach
gut zehn Jahren Energiepolitik aufpassen, dass ich nicht
zurückfalle und über das rede, was ich üblicherweise getan habe. Das räume ich ein.
Ich will betonen, dass wir als Umweltpolitiker bei den
erneuerbaren Energien - jenseits des Themas Wärme -,
auch wenn es um Strom geht, ein kräftiges Wörtchen
mitzureden haben müssen. Das, was die Europäische
Union in der Energiepolitik bis zum Jahr 2030 plant, ist
aus nationaler Sicht extrem problematisch; denn das
drängt uns in eine schwierige Wettbewerbssituation. Das
kann dazu führen, dass wir, wenn wir keine separaten
national verbindlichen Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren in ganz Europa vereinbaren, aufgrund unserer
Vorreiterrolle in eine sehr schwierige Wettbewerbslage
kommen. Deshalb halte ich es für eine ganz wichtige
Aufgabe, dass auch die Umweltpolitik auf die Vereinbarung nationaler Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren
auf europäischer Ebene drängt. Das halte ich für ganz
zentral.
({4})
Es kann uns natürlich nicht kaltlassen, dass der Anteil
der Erneuerbaren steigt, dass aber gleichzeitig die CO2Emissionen zunehmen; auch darüber müssen wir reden.
Hier ist der Emissionshandel ein Schlüssel. Aber ich
sage ganz klar: Wenn man ein Marktinstrument implantiert hat und auf den Markt setzt, dann kann es nicht sein,
dass die Politik bei jeder Gelegenheit steuernd eingreift.
Das bringt uns aus meiner Sicht von marktwirtschaftlichen Lösungen weg. Deshalb ist es wichtig, dass die
Konjunktur in ganz Europa so anspringt, dass die CO2Zertifikate wieder einen Wert bekommen. Wir haben
nun steuernd eingegriffen. Aber das können wir - das
haben wir in der Koalition klar formuliert - nicht ständig
tun.
Ich habe einleitend gesagt, dass wir die Chance haben, noch mehr für den Natur- und Landschaftsschutz zu
tun, als es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Das will
ich nochmals betonen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Länderöffnungsklausel eingehen, in der wir
den Ländern zugestehen wollen, die Abstände zwischen
den Windrädern selber zu definieren. Das haben wir so
vereinbart, und das wollen wir so tun.
Darüber hinaus geht es natürlich um ganz andere Fragestellungen. Ich erlebe, dass der Strukturwandel in der
Landwirtschaft natürlich ein Problem für die Landschaft
und für die Natur bei uns darstellt. Dass wir dieses
Thema Hand in Hand und nicht gegen die Landwirtschaft miteinander bearbeiten sollten, halte ich für ganz
wichtig.
({5})
Wenn die Landwirte im Zusammenhang mit den Ausgleichsflächen Kritik üben, dann geht es ihnen um zwei
Themen: zum einen um die Problematik, dass bearbeitbares Land tatsächlich knapp und knapper wird; zum
anderen sehen sie, was mit den Ausgleichsflächen
manchmal passiert. Oft werden einfach bürokratische
Regelungen getroffen, wobei am Schluss der Beitrag für
den Landschafts- und Naturschutz überschaubar ist. Wir
müssen uns noch einmal Gedanken darüber machen, wie
man es macht, dass alle verstehen, warum wir das tun
und was das Ganze bringen soll.
({6})
Es gibt ein weiteres Thema, das wir angehen wollen:
die Ressourceneffizienz. Das ist ein auch für die Wirtschaft wichtiges Thema. Die Wertstofferfassung muss
zielorientiert an Recyclingquoten festgemacht werden.
Es darf nicht nur um die Frage gehen, wer das organisiert. Ich glaube, dass wir uns einig sind, dass wir weder
eine Rekommunalisierung noch eine Zwangsprivatisierung haben wollen. Am Schluss kommt es auf das Ergebnis an. Es muss so laufen, dass etwas dabei herauskommt, nämlich hohe Recyclingquoten.
({7})
Nun haben wir schon in der letzten Legislatur parteiund fraktionsübergreifend ein hohes Maß an Verantwortung für nachfolgende Generationen übernommen, indem wir die von der Ministerin angesprochene Standortsuche für ein Endlager hochradioaktiver Abfälle
konsensual behandelt haben und beschlossen haben,
wieder bei null anzufangen. Wir wollen das Thema miteinander angehen. Ich glaube, das ist eine der vornehmsten Aufgaben der Großen Koalition.
Ich will aber auch sagen: Wenn man dazu dann eine
Kommission einsetzt, in der sich die Politik ganz bewusst zurücknimmt, weil das in besonderer Weise eine
Aufgabe der Zivilbevölkerung ist, dann kann es nicht angehen, dass Teile der Umweltverbände sich zurückziehen und sagen: Wir sind dazu da, um zu protestieren und
Nein zu sagen. - Das ist falsch. Damit wird man seiner
Verantwortung nicht gerecht.
({8})
Deshalb an dieser Stelle ein leidenschaftlicher Appell,
den auch schon Teile der Grünen formuliert haben, sich
bitte einzubringen und mitzumachen; denn es geht wirklich darum, ein großes Problem gemeinschaftlich so zu
lösen, dass es am Ende auch gemeinschaftlich akzeptiert
wird.
Ich wünsche mir, dass wir diese großen Aufgaben angehen. Ich glaube, Frau Ministerin, dazu haben wir die
Voraussetzungen alle gemeinsam geschaffen. Wir werden jetzt mit großer Tatkraft und Freude ans Werk gehen.
Vielen Dank.
({9})
Peter Meiwald ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebes Präsidium!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau
Ministerin, zunächst möchte auch ich Ihnen von diesem
Ort aus zu Ihrer Ernennung herzlich gratulieren.
Aber nun zur Sache. Das Programm, das wir bisher zu
hören bekommen haben, ist zunächst einmal lediglich
die Fortsetzung der bestehenden Programme, die wir
schon aus der alten Regierungszeit kennen - Biodiversitätsprogramm, Hochwasserschutz, Naturerbe -, oder es
wird der Umsetzung von EU-Recht, zum Beispiel beim
Elektroschrott, Genüge getan. Die Frage ist: Was ist eigentlich neu, was sind die neuen Aspekte, was ist die
neue Dynamik in dieser Politik? Was ist mit den Wäldern, was ist mit Monokulturen? Wir haben das eben
schon vom Kollegen Lenkert gehört. Es stellt sich die
Frage nach der Wasserverseuchung durch Nitrateinträge
und Ähnliches. Was ist mit dem Flächenverbrauch?
Wenn wir uns das anschauen, können wir sagen:
Wenn wir uns den ökologischen Fußabdruck, den unsere
Gesellschaft hinterlässt, weiterhin leisten wollen und so
weitermachen wie bisher, dann ist das in der Tat nachhaltig, aber nachhaltig schädigend. Der Fußabdruck ist
aber nicht enkeltauglich. Das ist ein Punkt, an dem wir
noch deutlich mehr von Ihnen zu erwarten haben, als wir
bisher gehört haben. Ich hoffe, dass dazu etwas kommt.
({0})
Im Bereich der Atomlobbypolitik haben Sie mit dem
Austauschen des Leiters der Abteilung Reaktorsicherheit
einen ersten Schritt getan, der bei uns auf Wohlwollen
gestoßen ist, auch wenn das natürlich spät gekommen
ist - aber immerhin.
({1})
Dass Sie ein Kompetenzzentrum „Naturschutz und
Energiewende“ einrichten wollen, finden wir natürlich
auch eine gute Idee. Wichtig ist, dass die Umsetzung mit
einem vernünftigen Maß an Finanzmitteln nun auch
schnell erfolgt, damit es da vorangeht.
({2})
Wenn wir hören, dass Sie ein Klimaschutzsofortprogramm planen, freuen wir uns als Grüne natürlich; das
ist ganz klar. Das findet erst einmal unsere Zustimmung,
steht aber den Überlegungen entgegen, die wir gestern
zu hören bekommen haben, oder den Maßnahmen, die
wir zum Beispiel in den letzten Jahren gerade im Bereich
der Braunkohle erleben mussten. Da verdrängt die Braunkohle - das kann auch nicht in Ihrem Interesse sein - die
effizienten Erdgaskraftwerke. Das ist nicht gut für das
Klima, das ist aber auch nicht gut für den vorbeugenden
Gesundheitsschutz unserer Bevölkerung; man denke nur
an Quecksilber, Feinstaub, Radioaktivität und alles das,
was aus diesen Kraftwerken herauskommt. Das kann
nicht in unserem Sinne sein. Da ist es auch nicht damit
getan, zu sagen: Wir haben jetzt einmal in den Zertifikatehandel eingegriffen, das reicht, und dann muss der
Markt es eben regeln. - Nein, der Markt regelt es nicht.
({3})
Wichtig an dem Punkt ist - das kann ich wirklich nur
als herzliche Bitte formulieren -: Überlassen Sie den
Klimaschutz nicht dem Wirtschaftsminister. Das hat
schon in der letzten Periode nicht geklappt.
({4})
Die Frage ist: Wer wird sich in Brüssel für die ambitionierten Klimaziele, von denen Sie ja gerade engagiert
gesprochen haben, einsetzen? Auf eine Kanzlerin, die
einmal eine Klimakanzlerin war, mittlerweile aber ganz
andere Interessen im Kopf hat, können wir in dieser
Frage, glaube ich, nicht warten. Also: Haben Sie die
Macht, haben Sie die Möglichkeiten, innerhalb der Regierung diese ambitionierten Ziele auch durchzusetzen?
({5})
Die gestrige Debatte und die gestrige Entscheidung in
diesem Haus zum Thema Gentechnik lassen uns zumindest befürchten, dass das Gegenteil der Fall ist. Hier
wird weiterhin eine Politik gegen die Interessen der Bevölkerung gemacht. Bestenfalls ist es Mutlosigkeit der
Regierung, schlimmstenfalls sogar neu erwachte Liebe
zur Genindustrie, die Ihnen eigentlich sogar der eigene
Koalitionsvertrag verbietet. Die Menschen in unserem
Land und wir werden Ihnen diese verbotene Liebe zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher und unserer
Umwelt nicht durchgehen lassen.
({6})
Da müssen Sie als Umweltministerin in dieser Regierung Gewicht entwickeln, Ihre Macht auch einmal einsetzen und sagen: Wir sind hier verantwortlich für Umwelt und Natur, für den Verbraucherschutz und für die
Menschen in unserem Land.
({7})
Erlauben Sie mir noch einen kleinen Abstecher zur
Abfallpolitik. Das Thema Plastiktüten ist in den letzten
Monaten in aller Munde gewesen und war Gegenstand
vieler Fernsehberichte. Viele haben beklagt, dass Fische
oder auch Delfine daran zugrunde gehen. Darum geht es
aber nicht allein. Es geht dabei auch um Ressourcenverschwendung und um den Meeresschutz. Irland hat mit
einer Abgabe auf Plastiktüten ein Zeichen gesetzt und
große Erfolge damit. Ruanda hat bereits 2006 Plastiktüten komplett verboten - mit riesigen Erfolgen im
Land. Wann folgt Deutschland? Wann werden wir hier
dazu kommen, die Plastiktüten endlich auch aus unserem Umfeld zu verbannen? Wann werden wir hier - wir
müssen das ja nicht über ein Verbot machen, sondern
können das auch über eine Abgabenlösung wie in Irland
machen - im Interesse unserer Umwelt weiter vorankommen?
({8})
Ein Aspekt, der heute noch keine so große Rolle gespielt hat: CETA und TTIP, die internationalen Abkommen, die jetzt anstehen. Setzen Sie sich bitte dafür ein,
dass Umweltstandards, die in Deutschland und in der EU
mittlerweile selbstverständlich geworden sind, nicht geopfert werden! Gegebenenfalls müssen Sie in der Regierung die Reißleine ziehen und sagen: So kann es nicht
gehen. - Wir müssen hier dafür sorgen, dass unser Verbraucherschutz und unser Umweltschutz nicht internationalen Abkommen geopfert werden.
({9})
Sie haben also einen gewissen Vertrauensvorschuss.
Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. Aber wir erwarten ambitionierte Politik. Wenn ich zum Beispiel im Bereich der Verkehrsinfrastruktur -
Herr Kollege, ich habe keinen Zweifel, dass Ihnen
noch viele Beispiele einfallen,
({0})
aber irgendwann im Laufe des Vormittags werden Sie zu
Ende kommen müssen.
Ja, ich komme zum Schluss, sehr gern. Das ist auch
mein letzter Punkt, Herr Präsident.
Nur noch zur Verkehrsinfrastruktur: Wenn wir das,
was der Kollege Vaatz eben ausgeführt hat, zu Ende denken und uns anschauen, welches Umweltbewusstsein dahintersteht, wird uns angst und bange. Wir haben den
dringenden Wunsch an Sie, dass Sie da in der Regierung
einen Gegenpol bilden. Wir wünschen Ihnen für diese
Arbeit viel Glück. Verlassen Sie sich auf unsere kritische
Begleitung in der weiteren Arbeit.
Vielen Dank.
({0})
Lieber Kollege Meiwald, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer
ersten Rede
({0})
und wünsche Ihnen alles Gute für die weitere parlamentarische Arbeit. Sie werden hoffentlich Verständnis dafür
haben, dass ich bei Ihren künftigen Reden nicht wieder
einen etwa 50-prozentigen Redezeitzuschlag gewähren
kann.
({1})
Das gilt übrigens auch für die Kollegin Ute Vogt,
({2})
die nun als Nächste zu Wort kommt und nachweislich
nicht zum ersten Mal im Deutschen Bundestag redet.
({3})
Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, ich möchte
mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken. Sie sind noch
keine 100 Tage im Amt, und schon können wir in der
Klimapolitik feststellen: Deutschland ist wieder da.
({0})
Unser Einsatz ist dringend notwendig; denn das, was
die EU-Kommission vorlegt, sind mutlose Vorgaben. Es
gibt keine verpflichtenden Ausbauziele für die erneuerbaren Energien und keine verbindlichen Vorgaben für
die Energieeffizienz. Diese Mutlosigkeit wird durch ambitionierte Vorgaben unserer Bundesregierung ersetzt.
({1})
Wir sind diejenigen, die antreiben und die dafür sorgen,
dass auch die EU ihre Vorreiterrolle wieder einnehmen
kann
({2})
und dass die internationalen Standards nach oben gedrückt werden.
({3})
Frau Vogt, darf Ihnen schon zu diesem frühen Zeitpunkt die Kollegin Bulling-Schröter eine Zwischenfrage
stellen?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. - Sie sprachen gerade von ambitionierten Klimazielen. Im Koalitionsvertrag steht, dass Backloading, also die Herausnahme von
Zertifikaten, ein einmaliger Eingriff sein soll. Die Zertifikate sollen aber wieder auf den Markt zurückkommen
können. Aufgrund dieser Einschränkung ist der Zertifikatepreis nicht gestiegen. Er liegt bei 5 Euro. Wir haben
im letzten Umweltausschuss gemeinsam darüber diskutiert, dass dieser Betrag wesentlich höher liegen müsste
- am besten über 15 Euro -, um relevant zu sein.
Wissenschaftler sagen, dass wir, wenn die Klimapolitik der Bundesregierung so weiter geht, nicht bei 40 Prozent CO2-Reduktion im Jahr 2020 landen, sondern nur
bei 30 bis 32 Prozent. Das sind realistische Zahlen. Ich
frage Sie: Wie können Sie angesichts dessen hier von
ambitionierten Klimaaktivitäten und Zielen sprechen?
Vielen Dank, liebe Kollegin. - In meiner Eingangsbemerkung habe ich ja gesagt, dass die Ministerin noch
nicht einmal 100 Tage im Amt ist. Ich bitte Sie daher, zu
beachten, dass sowohl die Frau Umweltministerin als
auch - das ist ein Novum - der Herr Wirtschaftsminister
in den Debatten der letzten Tage darauf hingewiesen haben, dass hiermit ein erster Schritt beim Thema Emissionshandel vollzogen werden soll. Sie können sich natürlich darauf verlassen, dass die Verhandlungen zur
Stärkung des Emissionshandels weitergehen. Aber das
kann man nicht alles in den ersten Wochen der Regierungszeit schon vollenden.
({0})
In dieser Legislaturperiode, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sollten wir die Möglichkeiten aber auch nutzen, die Diskussion über einen angeblichen Widerspruch
zwischen Ökonomie und Ökologie zu beenden. Diese
Einschätzung beruht in der Regel auf künstlich herbeigeredeten Lobbyinteressen. Wo es - wie in der Klimapolitik - darum geht, das Überleben der ganzen Erde zu sichern, da darf man keinen Gegensatz zwischen Ökologie
und Ökonomie konstruieren.
({1})
Viele Unternehmen in Deutschland gehen bereits jetzt
ökologische Wege, und das mit großem ökonomischen
Erfolg. Lassen Sie uns deshalb getrost mehr Ökologie
wagen.
({2})
Dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg wird es nämlich nur
geben, wenn wir eine Politik machen, die die Ressourcen
schont und auch die Lebensqualität erhöht. Politik, die
für gesunde Umwelt und gute Lebensqualität sorgt, ist
aus sozialdemokratischer Sicht und sicherlich auch aus
Sicht der Großen Koalition eben nicht nur eine Politik
für ein begrenztes Feld, sondern es ist auch eine Politik
der sozialen Gerechtigkeit, die darauf abzielt, für alle
Menschen ökologisch annehmbare Bedingungen zu
schaffen.
Gerade in Gegenden, wo es starke Lärmbelastungen
und große Luftverschmutzungen gibt, haben die Menschen nur ein geringes Einkommen. Sie können sich
kein Haus am Waldrand oder einen schönen Garten mit
vielen Bäumen um das Haus herum leisten. Diese Menschen leiden deshalb unter den Umweltbedingungen oft
weit mehr als andere. Deshalb ist es das erklärte Ziel unserer Politik, auch in diesem Bereich mehr Lebensqualität zu schaffen. Wir verstehen das als einen Beitrag zur
Schaffung sozialer Gerechtigkeit.
({3})
Ich will noch auf ein weiteres Thema eingehen - der
Kollege Nüßlein hat es schon angesprochen -, nämlich
die Besetzung der Kommission zur Vorbereitung des
Standortauswahlverfahrens nach dem Standortauswahlgesetz. Auch bei dieser Frage geht es um Verantwortung
für die kommenden Generationen und darum, dass wir
für das geradestehen, was wir durch die Nutzung der
Atomenergie angerichtet haben. Wir müssen das alles
nun in einer Art und Weise auf den Weg bringen, dass
kommende Generationen keinen Schaden dadurch erleiden.
Insofern ist es wichtig, dass die stimmberechtigten
Mitglieder der Kommission zur Vorbereitung des Standortauswahlverfahrens die Gesellschaft in ihrer Breite widerspiegeln. Stimmrecht in dieser Kommission haben
nur die acht Wissenschaftler sowie die acht Vertreterinnen und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen. Wir müssen daher verstärkt an die Umweltverbände appellieren:
Nutzen Sie Ihr Recht zur Mitentscheidung! Begnügen
Sie sich nicht mit der Rolle der Kritiker, sondern treten
Sie in die Verhandlungen ein und nutzen Sie Ihr Stimmrecht! Setzen Sie es ein! - Ich finde, Umweltverbände
haben nicht nur das Recht, in dieser Frage mitzureden,
sondern es ist auch ihre Verpflichtung, die Umweltbelange dort zur Geltung zu bringen.
({4})
In dieser Woche hat uns der Tierfilmer und Moderator
Dirk Steffens auf einem parlamentarischen Abend des
WWF Trost zugesprochen. Er erinnerte daran, wie häufig wir Abgeordnete an drögen Sitzungen teilnehmen,
wie langsam sehr vieles vorangeht und dass wir oft miteinander ringen und uns manchmal fragen: Warum tut
man sich das eine oder andere eigentlich an? - In diesen
Fällen sollten wir uns daran erinnern: Wir haben nicht
mehr, aber auch nicht weniger zu tun, als die Welt retten
zu müssen. - Das war ein großes Wort, das sehr pathetisch klang. Ich fand, das war ein schöner Auftrag an
uns. Wir alle wissen, dass nicht jeder Einzelne von uns
die Welt retten kann, dass wir aber gerade mit einer vernünftigen Verbindung von Ökonomie und Ökologie
kleine und große Beiträge dazu leisten können, diese
Welt tatsächlich ein Stück stabiler und für die nächsten
Generationen zukunftsfest zu machen. In diesem Sinne
freue ich mich auf eine gemeinsame, durchaus kritisch
diskutierte, aber auf jeden Fall die Welt voranbringende
Umweltpolitik.
Danke schön.
({5})
Das Wort erhält nun die Kollegin Heidrun Bluhm für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Frau Bauministerin Hendricks, ich benutze diese
Anrede deshalb, weil Ihr Vorgänger diese Bezeichnung
nicht verdient hatte. Hier klingt also eine gewisse Hoffnung mit, dass sich in diesem Bereich in Zukunft für
Deutschland Wesentliches ändern wird.
({0})
Die Bundesregierung hat uns mit dem Koalitionsvertrag einen wohnungspolitischen Dreiklang aus Stärkung
der Investitionskraft, Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus und einer ausgewogenen mietrechtlichen und
sozialpolitischen Flankierung versprochen. Was Frau
Ministerin Hendricks hier heute vorgetragen hat, bestätigt das. Das klingt alles schon einmal viel besser als das,
was wir von Vorgängerregierungen gehört haben oder
was diese gar umzusetzen vermochten. Deshalb wünschen wir uns sehr, dass aus diesem Dreiklang eine harmonische Melodie mit langem Nachhall werden wird.
Allerdings zeichnen sich schon heute einige Dissonanzen ab:
Stichwort „Investitionskraft“: Frau Ministerin, weder
im Koalitionsvertrag noch in Ihrer Rede heute haben die
Altschulden der ostdeutschen Wohnungsunternehmen
eine Rolle gespielt. Wir brauchen, so denke ich, die
Streichung der Altschulden ostdeutscher Wohnungsunternehmen.
({1})
Die SPD hat mit uns gemeinsam noch in der letzten Legislaturperiode entsprechende Anträge gestellt und auch
eingereicht. Von alldem steht aber nun nichts im Koalitionsvertrag, und auch Sie, Frau Ministerin, haben dazu
nichts gesagt. Wir werden weiterhin fordern, die Altschulden zu streichen und damit die Investitionskraft der
Wohnungsunternehmen zum Beispiel für energetische
Sanierung oder auch den altersgerechten Umbau der
Wohnungen zu stärken.
({2})
Demnächst, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die
Haushaltsdebatte. Die Regierung will die Mittel für die
Städtebauförderung von 455 Millionen Euro auf 700 Millionen Euro aufstocken;
({3})
das hat Frau Hendricks hier eben noch einmal bestätigt,
ebenso auf der Bauministerkonferenz in dieser Woche.
Das begrüßen wir sehr, weil auch wir diese Forderung
unterstützen. Herr Pronold hat das allerdings auf meine
Anfrage im Ausschuss in dieser Woche schon wieder relativiert. Er sagte nämlich: Über vier Jahre wollen wir
zusätzlich 620 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Wenn ich die Differenz zwischen 455 Millionen Euro
und 700 Millionen Euro ausrechne, komme ich auf jährlich 245 Millionen Euro mehr, und mal vier Jahre macht
das dann 980 Millionen Euro. 620 Millionen Euro wären
also schon einmal 360 Millionen Euro weniger, als Sie
brauchen würden, um Ihr Versprechen von 700 Millionen Euro pro Jahr einzuhalten. Ich zitiere, was mein
Kollege Bartsch in der gestrigen Debatte zu Finanzen
und Haushalt sagte: Mathematische Gesetze lassen sich
nicht wegbeschließen. - Auch beim Summieren sind die
Zahlen für die Regierung die gleichen wie für die Opposition. Aber in 2014 muss das ja auch nicht mehr unbedingt umgesetzt werden; denn wenn wir erst im Juni den
Haushalt beschließen, ist das Jahr halb um. Ehe das Geld
dann ausgereicht ist, hat man die Hälfte wahrscheinlich
schon wieder eingespart.
Stichwort „sozialer Wohnungsbau“: Sie wollen diesen
wiederbeleben, aber die Mittel von 518 Millionen Euro
pro Jahr, die zur Verfügung stehen, werden nicht aufgestockt. Wenn wir genauer hinsehen, stellen wir fest, dass
Herr Schäuble in der Verwaltungsvereinbarung bis 2018
nicht einmal darauf bestanden hat, dass durch die Länder
kofinanziert werden muss. Außerdem hat er auch noch
die Zweckbindung für den sozialen Wohnungsbau aufgegeben. Ich weiß nicht, wie Sie mit den Ländern vereinbaren wollen, dass das Geld dann zukünftig ausschließlich für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben
werden soll. Da sind Sie auf das Wohlwollen der Bauminister angewiesen; aber die haben ihre Haushalte
längst beschlossen. Und: Selbst das würde nicht reichen,
um die fehlenden 4 Millionen Sozialwohnungen in
Deutschland zu schaffen oder ausreichend viele Wohnungen aus dem Bestand in die Zweckbindung zurückzuführen. Der Wegfall der Zweckbindung ist also,
glaube ich, kontraproduktiv. Da müssen Sie nacharbeiten.
({4})
Stichwort „Klimaschutz im Gebäudebereich“: Das
CO2-Gebäudesanierungsprogramm und die energetische
Stadtsanierung sollen fortgeführt werden. Richtig! Aber
auf welchem Niveau und mit welchen Mitteln? Der Koalitionsvertrag spricht von Zusammenfassung von Wohnungsbau und energetischer Gebäudesanierung zu
einem Aktionsprogramm. Aber wie? Aus den 518 Millionen Euro Kompensationsmitteln für den sozialen
Wohnungsbau? Aus Mitteln der Städtebauförderung und
wenn ja, in welcher Höhe? Aus dem EKF, der allerdings
jetzt bei Herrn Gabriel verwaltet werden soll? Dazu
würde ich in Zukunft gern noch etwas mehr von Ihnen
hören, Frau Ministerin.
Meine Damen und Herren, die bevorstehende Haushaltsdebatte wird der erste Test für die Ernsthaftigkeit
dieser Ankündigungen sein. Es wird sich zeigen, wer
den Taktstock führt und ob der versprochene Dreiklang
als kräftiges Fortissimo daherkommt oder doch nur ein
seichtes Piano bleibt.
Danke schön.
({5})
Nun hat Marie-Luise Dött das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Entscheidung, die Umweltpolitik und
die Bau- und Wohnungspolitik in einem Bundesministerium zusammenzuführen, hat viel Aufmerksamkeit erzeugt. Ich sehe in dieser Zusammenführung beider Politikfelder eine spannende Herausforderung. Bereits
heute gibt es ja sehr viele inhaltliche Verzahnungen. Im
Konfliktfall mussten sie aber bisher zwischen zwei
Bundesministerien geklärt werden. Nun muss Frau Bundesministerin selbst für die Ausgewogenheit der Entscheidung für beide Politikbereiche einstehen. Wir werden sie dabei unterstützen.
Meine Damen und Herren, ich will hier die Gelegenheit nutzen, einige Schwerpunkte unserer Arbeit zu benennen.
Wir werden auch in der neuen Legislaturperiode die
Umwelt- und Klimapolitik dynamisch weiterentwickeln;
Frau Ministerin Hendricks hat das schon ausführlich beschrieben.
Wettbewerb, Produktverantwortung und anspruchsvolle Recyclingquoten sind auch zukünftig der Maßstab
für die Kreislaufwirtschaft. Dabei bleibt das bewährte
effiziente System einer fairen Beteiligung von Kommunen und privaten Entsorgern auch künftig erhalten.
Der Schutz der Bürger vor Lärm wird verbessert. Der
Schienenlärm soll bis 2020 halbiert werden. Die Belastungen durch Fluglärm werden wir reduzieren und vor
allen Dingen die Öffentlichkeit stärker beteiligen.
Wir werden, wie schon genannt, das Nationale Naturerbe um mindestens 30 000 Hektar erweitern.
Bei Infrastrukturmaßnahmen werden die Belange des
Natur- und Hochwasserschutzes stärker berücksichtigt.
Es bleibt beim beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie. Wir sorgen für die Sicherheit der Kraftwerke bis
zum letzten Betriebstag und setzen uns für verbindliche,
ambitionierte Sicherheitsziele sowie Zusammenarbeit
und Transparenz in Europa ein. Das ist nicht nur eine
Frage, die Deutschland betrifft, sondern das muss für
ganz Europa gelten.
Wir werden die Suche nach einem geeigneten Endlager für radioaktive Abfälle auf der Grundlage des Standortsuchgesetzes voranbringen. Ich bin froh, dass wir dies
mit diesem Gesetz geschafft haben. Ich schließe mich
natürlich dem Appell der anderen Redner an die Umweltverbände zur Mitarbeit an. Das ist ganz wichtig. Wir
dürfen auch nicht vergessen, die Voraussetzungen für die
Rückholung der Abfälle aus der Schachtanlasse Asse zu
schaffen.
Meine Damen und Herren, die Umweltpolitik bleibt
auch künftig ein Motor für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Neben all diesen Themen bleibt
der Schutz des Klimas im Zentrum deutscher und europäischer Politik.
({0})
Das von der Europäischen Kommission vorgelegte
Weißbuch zur Weiterentwicklung der europäischen
Energie- und Klimapolitik kann nur der Beginn einer
umfassenden Diskussion sein. 40 Prozent Minderung der
Treibhausgasemissionen bis 2030 sind ein gutes Signal
- ich sage das ganz bewusst - für den Start der Verhandlungen. Es muss zudem bei der Zieltrias - dazu habe ich
schon im Ausschuss Ausführungen gemacht - von Klimaziel, Ausbauziel für die erneuerbaren Energien und
Steigerung der Energieeffizienz bleiben.
({1})
Das sind drei gleichberechtigte und gleichwichtige Säulen einer modernen, zukünftigen Standortpolitik.
Meine Damen und Herren, bau- und wohnungspolitisch steht die Koalition vor wichtigen Aufgaben. Der
demografische Wandel, die wirtschaftsstrukturellen Veränderungen und die ambitionierten klimapolitischen
Ziele wirken sich stark auf die Stadtentwicklung sowie
den gesamten Gebäudesektor aus. Wir brauchen passende Antworten auf die regionalen Unterschiede auf
dem Wohnungsmarkt. Wir müssen die erforderlichen
Stadtanpassungsprozesse in Schrumpfungsregionen effizient gestalten. Wir wollen die Stadtentwicklung auch
auf die Herausforderungen des Klimawandels ausrichten. Und wir wollen, dass Wohnen trotz der erforderlichen Investition in die Energieeffizienz bezahlbar bleibt.
({2})
Im Koalitionsvertrag haben wir Vorhaben verabredet,
die dazu beitragen sollen, diese Aufgaben zu bewältigen.
CDU und CSU haben die SPD von ihrem regionalisierten Konzept der Mietpreisbremse überzeugen können.
Das ist sachgerecht. Ergänzt werden muss die Mietpreisbremse jedoch durch eine Stärkung des Wohnungsbaus.
Das wäre die nachhaltige Lösung des Problems. Wenn
man „nachhaltig“ steigern könnte, dann würde ich sagen: Es ist die nachhaltigste Lösung des Problems.
({3})
Länder und Kommunen stehen hier in besonderer
Verantwortung. Die beabsichtigte Anhebung der Städtebauförderung auf 700 Millionen Euro wollen wir ausdrücklich. Das ist ein starkes Signal an die Städte und
Gemeinden in Deutschland. Wir unterstützen sie bei den
erforderlichen Investitionen in die Stadtentwicklung. Sie
werden beim Stadtumbau, beim städtebaulichen Denkmalschutz und bei den spezifischen Herausforderungen
der kleinen Städte und Gemeinden im ländlichen Raum
nicht alleingelassen.
({4})
Die sinnvolle Verknüpfung mit gesellschaftspolitischen Herausforderungen wird in den Programmen „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ sowie „Soziale Stadt“
deutlich. Das Programm „Soziale Stadt“ werden wir als
Leitprogramm der sozialen Integration weiterführen - so
die Vereinbarung des Koalitionsvertrages. Dazu muss es
aber endlich gelingen, die jeweiligen Kompetenzen aus
den verschiedenen Bundesministerien sinnvoll zu bündeln.
({5})
Die Politik denkt hier seit Jahren weiter, als es die Ressortstrukturen freiwillig wollen, Herr Bartol.
({6})
Ein besonders großer Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele wird vom Gebäudesektor erwartet. Das
Umwelt- und Bauministerium muss in der geänderten
Zuständigkeit nun verstärkt darauf hinarbeiten, dass die
Energiewende für Mieter und Hauseigentümer bezahlbar
bleibt. Die Energiewende verliert sonst ihre gesellschaftliche Akzeptanz. Wir haben im Koalitionsvertrag das
geltende Wirtschaftlichkeitsprinzip im Ordnungsrecht
und den Verzicht auf Zwangssanierungen bestätigt. Das
ist richtig und vertrauensbildend.
({7})
Viele Eigentümer von Einfamilienhäusern oder kleineren Mietshäusern sind in dieser Frage genauso schutzbedürftig wie Mieter; und darauf werden wir achten.
({8})
Meine Damen und Herren, das umwelt- und baupolitische Programm der Großen Koalition ist ambitioniert,
wachstumsorientiert und sozial gerecht. Jetzt geht es
kraftvoll an die Umsetzung.
({9})
Ich erteile dem Kollegen Christian Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf
der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue
mich heute, nicht nur, weil ich meine erste Rede hier im
Parlament halte, sondern auch, weil es uns Grünen in der
letzten Legislaturperiode gelungen ist, zwei Konzepte zu
entwickeln und auf den Weg zu bringen, die in den Koalitionsvertrag Eingang gefunden haben, nämlich die
Mietpreisbremse und das Bestellprinzip bei den Maklerkosten.
({0})
2010 haben es sowohl SPD als auch CDU/CSU noch abgelehnt. Dass es in dieser Legislaturperiode umgesetzt
wird, ist ein grüner Erfolg. Darauf können wir Grüne
stolz sein.
({1})
Frau Ministerin, Sie können von uns Grünen in dieser
Legislaturperiode eine konstruktive Oppositionsarbeit in
der Wohnungs- und Baupolitik erwarten. Wir wollen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass das Thema Bauen und
Wohnen in diesem Parlament einen größeren Stellenwert
bekommt. Ihre ersten Aussagen dazu haben wir sehr
wohlwollend zur Kenntnis genommen. Aber Ihren warmen Worten - da will ich Frau Bluhm von der Linken
recht geben - müssen haushalterische Taten folgen.
Alle wohnungspolitischen, alle baupolitischen, alle
mietrechtlichen Instrumente und auch alle Fördermittel
müssen auf zwei große Herausforderungen ausgerichtet
werden: zur Energiewende auch bei den Gebäuden beizutragen und den demografischen Wandel zu meistern.
Wir finden es richtig, dass Sie die Mietpreisbremse
schnell umsetzen wollen. Angesichts der vielen Podiumsveranstaltungen, auf denen man im Augenblick ist,
warne ich Sie davor, gegenüber denjenigen einzuknicken, die gerade gegen die Mietpreisbremse arbeiten.
Bleiben Sie hier in der Großen Koalition standfest, zum
Wohle der Mieterinnen und Mieter in Deutschland.
({2})
Leider haben Sie ein Konzept von uns nicht übernommen.
({3})
Sie begehen mit der Absenkung der Modernisierungsumlage - das muss man wirklich sagen - einen Konstruktionsfehler,
({4})
indem Sie eine zeitliche Befristung einführen wollen.
Das wird am Ende zu nichts anderem führen als zu einem Konjunkturprogramm für Anwaltskanzleien. Nichts
gegen Anwaltskanzleien - auch Anwälte brauchen Jobs -,
aber eines ist ganz klar: Eine Absenkung der Modernisierungsumlage in dieser Form ist nicht sinnvoll. Vielleicht schwenken Sie doch noch auf unser Konzept um,
nämlich auf eine inhaltliche Begrenzung der Modernisierungsumlage nur auf die Fälle, wo auf die beiden genannten großen Herausforderungen reagiert wird, also
auf den demografischen Wandel in Form des Abbaus
von Barrieren und auf die Energiewende in Form energetischer Gebäudesanierung.
({5})
Im Zusammenhang mit der energetischen Gebäudesanierung haben wir sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass Sie die Sanierungsquote auf 2,5 Prozent
erhöhen wollen. Doch wenn man in den Koalitionsvertrag schaut, sieht man, dass dort steht: Sie wollen das
KfW-Gebäudesanierungsprogramm „verstetigen“ und
das Programm zur energetischen Stadtsanierung „fortschreiben“. - Wenn man aber die Sanierungsquote steigern will, kann man die Programme nicht auf dem gleichen Niveau fortführen. Die jetzige Quote liegt bei unter
1 Prozent. Wenn man darüber hinauskommen will, muss
man mehr Mittel einsetzen. Hier gibt es in Ihrem Koalitionsvertrag eine riesige Leerstelle; das zeigen auch Ihre
Aussagen. Ich finde es schade, dass Sie nicht bereit sind,
gerade in diesem Bereich Mittel einzusetzen. Ich glaube,
das zeugt von großer Zukunftsvergessenheit der Großen
Koalition bei der energetischen Gebäudesanierung.
({6})
Christian Kühn ({7})
Ein paar Worte an die Sozialdemokratie. Die Heizkosten steigen dreimal schneller als die Löhne. Gerade
deshalb müssten Sie erkennen: Die energetische Sanierung ist nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern
auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Ich hoffe,
dass Sie hier nachlegen und die Regierung ein bisschen
vor sich hertreiben werden.
({8})
Ich komme zum Schluss. Die eigentliche Herausforderung, vor der die Große Koalition und auch Sie als
Ministerin stehen, ist das, was Sie hier beschworen haben, nämlich die Verzahnung von Umwelt- und Baupolitik. Ich sage ganz klar: Die klassische Antwort der Sozialdemokratie „Mehr Beton hilft mehr“ wird an dieser
Stelle nicht helfen.
({9})
Sie müssen klar sagen, was die Verzahnung bedeutet.
Sie bedeutet nämlich mehr als das Hin- und Herschieben
von Planstellen. Sie dürfen nicht nur Fragen stellen
- wie Sie das heute getan haben -, sondern Sie müssen
auch Antworten geben auf die Fragen, wie Sie den Flächenverbrauch in Deutschland reduzieren wollen, wie
Sie für mehr Nachhaltigkeit auf den Baustellen sorgen
wollen, wie Sie ökologische Baustoffe fördern wollen,
wie Sie die Energiewende im Gebäudebereich meistern
wollen. Das sind die Herausforderungen, vor denen Sie
stehen. An deren Bewältigung werden wir Sie messen.
Wir Grüne werden Sie dabei als kritische, konstruktive und kluge Opposition begleiten. Ich verspreche Ihnen, dass wir in dieser Legislaturperiode weiterhin die
Ideenschmiede in der Wohnungs- und Baupolitik in
Deutschland sein werden.
Danke schön.
({10})
Auch Ihnen, lieber Herr Kühn, herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede. Ich wünsche Ihnen Erfolg bei
und Freude an Ihrer parlamentarischen Arbeit.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Sören Bartol für die
SPD-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bau- und Stadtentwicklungspolitik ist zurück auf der politischen Bühne, mit einem neuen Ressortzuschnitt, einer neuen Ministerin und dem Gestaltungsanspruch einer aktiven Stadtentwicklungs- und
sozialen Wohnungsbaupolitik.
Ihnen, Frau Ministerin, möchte ich zunächst meine
herzlichen Glückwünsche zu Ihrem neuen Amt als Umwelt- und Bauministerin übermitteln.
({0})
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und die gemeinsame Umsetzung dessen, was wir uns als Koalition in
der Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik vorgenommen haben: die Reform des Wohngeldes und die
Mietpreisbremse, die Stärkung der Städtebauförderung
und die Förderung des Neu- und Umbaus von Wohnungen, die zugleich bezahlbar, energiesparsam und altersgerecht sind. Das alles ist ein Gesamtpaket, und nur als
solches ist es auch sinnvoll.
Es besteht dringender Handlungsbedarf. Wohn- und
vor allen Dingen Heiz- und Warmwasserkosten steigen
schneller als die Einkommen. Bei Haushalten im unteren
Einkommensbereich fressen sie inzwischen bis zu
40 Prozent des Budgets auf. Das Wohngeld ist seit 2009
nicht mehr angepasst worden. Haushalte mit kleinen
Einkommen oder Renten werden alleine wegen hoher
Wohnkosten in Arbeitslosengeld II oder die Grundsicherung gedrängt. Das ist ein Verschiebebahnhof zwischen
den öffentlichen Kassen, und das geht zulasten der Betroffenen.
({1})
Die Wohngeldanpassung ist überfällig. Sie zügig anzupacken und zu beschließen, ist eine der ersten Aufgaben. Angesichts der steigenden Energiekosten ist aber
auch mehr als deutlich, dass der energetische Umbau
weitergehen muss. Wenn ich energetischer Umbau sage,
dann meine ich eben nicht nur die Gebäudedämmung,
sondern vor allen Dingen auch die quartiersbezogenen
Ansätze der Strom- und Wärmeversorgung, den Einsatz
erneuerbarer Energien im Gebäudebereich und die Energieberatung. Technologieoffenheit und Bezahlbarkeit
sind die Leitlinien, die sich diese Koalition dabei gesetzt
hat.
Die Mietpreisbremse brauchen wir als kurzfristig
wirksames Instrument, damit sich in Städten und Ballungsräumen die Preisspirale nicht weiter nach oben
dreht. So sind zum Beispiel nach dem neuen GSW-Wohnungsmarktbericht von dieser Woche die Mieten in Berlin bei neu abgeschlossenen Verträgen weiter deutlich
angestiegen: allein von 2012 auf 2013 in Mitte, Friedrichshain und Kreuzberg im Mittel um 12 Prozent. Ausreißer von bis zu 40 Prozent Mietsteigerungen, die es
durchaus auch gibt, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.
Diese - ich nenne das so - Exzesse wollen wir mit einer Begrenzung bei Wiedervermietung in den Griff bekommen, und ich freue mich, dass der Bundesjustizminister dies in enger Abstimmung mit der Bauministerin
im Sinne des Koalitionsvertrages schnell umsetzen will.
({2})
Wer hier Alarm schlägt und das Ende jeder Neubauaktivität sieht, der hat einfach nicht aufmerksam gelesen:
Die Mietpreisbremse gilt nicht für den Neubau, sie ist
regional begrenzt und zeitlich befristet, und sie ist, wie
schon gesagt, Teil des bau- und wohnungspolitischen
Gesamtpakets dieser Koalition, eines Pakets, das eben
nicht nur Mieterinnen und Mieter besser absichert und
ihre Rechte stärkt, sondern das natürlich auch die Investitionsbedingungen der Wohnungswirtschaft ganz klar
verbessert und damit, wie ich finde, eine gute Grundlage
für das von der Ministerin angekündigte Bündnis für
Wohnen ist.
({3})
Dazu zählen die Fortführung der Bundesmittel für die
soziale Wohnraumförderung der Länder, die bis Ende
des Jahrzehnts gesichert ist, die gezielte Förderung des
genossenschaftlichen Neubaus, die verbilligte Abgabe
von ehemaligen Militärliegenschaften für den Wohnungsbau und - das ist in dieser Debatte schon oft genannt worden - die massive Aufstockung der Städtebauförderung von 455 auf 700 Millionen Euro.
Sozial stabile Quartiere, ein gesundes und sicheres
Wohnumfeld, Einkaufsmöglichkeiten, aber auch der
Rückbau von Leerstand - all das steigert die Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner, aber es
sichert und erhöht am Ende auch den Wert der Immobilien. Zum guten Wohnen gehört eine intakte Nachbarschaft, in den Stadtquartieren der Metropolen wie auch
in den ländlichen Gemeinden. Denn vor Ort entscheidet
sich, ob Integration gelingt und demografischer Wandel
gestaltet werden kann, ob Menschen in politische Lethargie verfallen oder mitmachen. Deshalb bin ich sehr
froh, dass die soziale Wohnungs- und aktive Stadtentwicklungspolitik mit dieser Koalition endlich wieder
dort sind, wo sie hingehören, nämlich ganz oben auf der
Tagesordnung.
Vielen Dank. Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit.
({4})
Der Kollege Volkmar Vogel freut sich hoffentlich
auch. Jedenfalls werden wir das jetzt von ihm hören,
wenn er für die CDU/CSU-Fraktion das Wort ergreift.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich freue mich tatsächlich, vor allen Dingen darüber, lieber Kollege Bartol, dass Sie jetzt wieder
bei uns auf der politischen Bühne Politik aktiv mitgestalten können, wenngleich ich sagen muss: Wir sind nicht
allein auf dieser Bühne. Wir können das auch nicht alleine schultern. Diese Bühne gehört genauso unserer
Bauwirtschaft, unserer Wohnungswirtschaft, der Immobilienwirtschaft, ganz besonders natürlich unseren Ländern und Kommunen. Wir müssen das gemeinsam, wie
von Frau Ministerin Hendricks dargestellt, in den nächsten Monaten im gemeinsamen Gespräch auf den Weg
bringen.
({0})
Wir sollten auch nicht vergessen, dass - das hat sich
in den vergangenen Jahren bewährt - der Wohnungsmarkt, die Immobilienwirtschaft zum Glück vielgestaltig
sind. Wir haben leistungsstarke kommunale Wohnungswirtschaftsunternehmen, wir haben die Genossenschaften, die eine Menge tun, um das Wohnumfeld zu verbessern, und wir haben viele private Investoren und viele
Einzelinvestoren, die dafür sorgen, dass der Wohnungsmarkt in Deutschland - das muss man an dieser Stelle
bei aller Kritik und allen Problemen, die wir haben, sagen - stabil ist und eine wesentliche soziale Errungenschaft in Deutschland erhalten bleibt: menschenwürdige
und bezahlbare Wohnungen. Wir müssen dafür sorgen,
dass das so bleibt. Wie in den vergangenen Jahrzehnten
die Herausforderung die Wiederherstellung der Innenstädte in Ostdeutschland war, so sehen wir uns jetzt Herausforderungen gegenüber, die vor allen Dingen mit der
demografischen Veränderung und der Energiewende zu
tun haben.
({1})
Die Probleme, die sich aus der demografischen Veränderung ergeben, sind vielschichtig. Auf der einen
Seite haben wir Wohnungsmangel in den Metropolen,
auf der anderen Seite gibt es große Flächen, bei denen
wir mit Leerstand zu kämpfen haben. Wenn es um die
Beseitigung des Wohnungsmangels geht, ist die Mietpreisbremse sicherlich eine Möglichkeit; aber sie löst
das Problem nicht. Das Problem lösen wir nur durch die
Ankurbelung der Investitionstätigkeit.
({2})
Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass wir - auch
wenn das nicht im Koalitionsvertrag steht - weiterhin
über Möglichkeiten der degressiven Abschreibung in
diesem Bereich sprechen sollten. Dazu gehört natürlich
auch unser Instrumentenkasten der Städtebauförderung.
Dazu gehören Dinge wie die verbilligte Abgabe von militärischen Liegenschaften, die nicht mehr gebraucht
werden.
All das wirkt aber nicht sofort, wenn wir es auf den
Weg gebracht haben. Da sich tatsächlich viele die Miete
in der Innenstadt in einem normalen Wohnumfeld nicht
mehr leisten können, ist es richtig, während einer Übergangszeit dafür zu sorgen, dass eine Mietpreisbremse
wirken kann, aber eben nur zeitweise, regional begrenzt
- das ist Aufgabe der Länder - und schlussendlich mit
der Maßgabe, dass die Länder, in denen es Regionen
gibt, die sich in einer solchen Situation befinden, mit einem entsprechenden Maßnahmenplan dafür sorgen, dass
das möglichst zeitnah, innerhalb weniger Jahre, abgearbeitet wird.
({3})
Eine dauerhafte Regulierung des Mietmarktes würde zu
dem führen, was ich leidvoll im Feldversuch DDR mitmachen musste,
({4})
Volkmar Vogel ({5})
nämlich dazu, dass der Wohnbereich in einer Art und
Weise vernachlässigt wird, dass er nicht mehr lebenswert
ist.
({6})
Trotz alledem, demografische Veränderung hat in einzelnen Regionen auch Leerstand zur Folge. Diesem
Leerstand werden wir nach wie vor sehr viel Aufmerksamkeit widmen. Die Stadtumbauprogramme haben sich
in den vergangenen Jahren bewährt; wir müssen sie fortschreiben. Lieber Sören Bartol, wir haben ja bereits in
der vorhergehenden Legislatur über den dazu vorliegenden Zwischenbericht gesprochen. Im Jahre 2015 werden
wir die Evaluierung abgeschlossen haben, und ab 2016
brauchen wir eine neue Regelung. Ich denke, dass wir
hier auf ein einheitliches Programm zurückgreifen können, das zum Beispiel Stadtanpassungsprogramm heißen
könnte. In diesem Programm sollten manche Dinge besser berücksichtigt werden als in der Vergangenheit, insbesondere wenn es um die Aufwertung und die Umnutzung von Wohnraum geht.
({7})
Unser Instrumentenkasten ist die Städtebauförderung,
die vor allen Dingen natürlich auch die Wohnungspolitik
der Länder maßgeblich mit unterstützt. Das Programm
„Soziale Stadt“ - wir haben in den Ausschüssen in den
letzten Jahren sehr oft darüber gesprochen - ist aus unserer Sicht ein wichtiges Programm.
({8})
Es ist aus unserer Sicht sogar so wichtig, dass wir es, so
wie damals von Franz Müntefering sinnvoll angedacht,
ressortübergreifend mit den Bereichen Familie sowie
Arbeit und Soziales weiterführen wollen.
({9})
Das würde es aufwerten, und - machen wir uns nichts
vor - wir würden dadurch vielleicht insgesamt finanziell
ein bisschen besser gestellt werden, was auch dazu führen würde, dass wir mehr Mittel für die anderen ebenfalls sehr wichtigen Programme hätten. Gerade die Programme zum Stadtumbau sind aus meiner Sicht so
wichtig, dass es dort eine Aufstockung der Mittel geben
muss.
Ich muss sagen: Ich bin auch ein starker Verfechter
der ländlichen Region. Leerstand und demografischer
Wandel berühren ja gerade unsere ländlichen Regionen
und die vielen kleinen Städte. Ich finde, dass wir das
Programm „Kleinere Städte und Gemeinden“, so wie
von Minister Ramsauer angelegt, weiterführen sollten,
um auch die kleinen Städte und die Fläche zu unterstützen.
({10})
Der zweite Schwerpunkt ist die Energiewende. Dazu
wurde schon viel gesagt. Ich glaube, es ist richtig und
wichtig, dass wir uns die Regelungen, die wir im Baubereich dazu treffen müssen, gut überlegen. Wir sollten die
Energieeinsparverordnung, so wie sie jetzt in Kraft ist,
wirken lassen. Wir haben eine EnEV 2014. Wir wissen,
dass 2021 für den Wohnungsbau der Niedrigenergiehausstandard der EU kommt. Das heißt, wenn wir jetzt
nicht noch maßgeblich daran herumdoktern, gibt es Planungssicherheit für alle Beteiligten, für Investoren genauso wie für Hausbesitzer, die dann dafür sorgen können, dass ihre Gebäude nach dem Standard, den wir
vorgegeben haben, saniert werden.
Es gibt mit dem Niedrigenergiehausstandard auch
schon die Perspektive ab 2021. Wir werden dafür sorgen,
dass das Programm entsprechend ausgestattet wird und
die notwendigen Mittel dafür zur Verfügung stehen. Auf
diese Art und Weise werden wir eine der wichtigen Herausforderungen der nächsten vier Jahre in diesem Bereich bewältigen.
Als jemand, der vorher im Verkehrs- und Bauausschuss war, kann ich nur sagen, dass ich mittlerweile
keine Sorge mehr habe, was die Verbindung von Umwelt
und Bau angeht. Ich finde, dass die Bereiche Umwelt
und Bau sehr gut zusammenpassen und dass der Baubereich auch im Umweltbereich einen angemessenen Stellenwert hat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der
Kollege Steffen Kanitz für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Energiewende muss ein Erfolg werden. Das hat
nicht zuletzt die gestrige Rede des Bundesenergieministers gezeigt, und das ist ja auch gerade in der Debatte
noch einmal deutlich geworden. Wir alle sind uns der
Bedeutung dieses Themas bewusst. Wir alle wollen, dass
Deutschland zum Vorreiter einer modernen Energiepolitik wird, die sicher, sauber und bezahlbar ist. Damit folgen wir dem breiten gesellschaftlichen und politischen
Konsens, in Deutschland endgültig ohne die Nutzung
der Kernenergie auszukommen.
({0})
An dieser Stelle wird klar: Die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende steht und fällt nicht allein mit
dem Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern sie
hängt in ganz beträchtlichem Maße auch davon ab, ob
uns der Ausstieg aus der Kernenergie gelingt. Wir sprechen insofern von zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Erfolgreich, das heißt für mich vor allem Sicherheit,
Transparenz und Bezahlbarkeit beim Restbetrieb der
Kernkraftwerke, ihrem Rückbau und der Entsorgung des
radioaktiven Materials. Unser Koalitionsvertrag greift
diesen Grundsatz auf und bekräftigt noch einmal: Die
Sicherheit der Kernkraftwerke in Deutschland bleibt
oberstes Gebot. Diese Zusicherung umfasst sowohl die
Betriebsdauer als auch die Stilllegung und den Rückbau
der Kraftwerke. Aber die Sicherheit deutscher Kernkraftwerke - auch das ist heute schon mehrmals angesprochen worden - reicht allein nicht aus. Wir müssen
auch unsere europäischen Nachbarn, die nach wie vor
auf Kernenergie setzen, mit einbeziehen. Deutschlands
Kernkraftwerke zählen zu den sichersten der Welt. Allein deshalb sind wir verpflichtet, uns engagiert in die
europäische Sicherheitsdiskussion einzubringen.
({1})
Politik hat immer auch etwas mit Verantwortung zu
tun, insbesondere gegenüber denjenigen, die noch keine
Stimme haben. Deshalb meine ich: Die Generation, die
maßgeblich von günstigem Atomstrom profitiert hat,
muss nun auch eine Lösung für die Beseitigung und
langfristig sichere Endlagerung der radioaktiven Abfälle
finden. Wenn man sich die Intensität der Auseinandersetzung und die Dauerhaftigkeit des Konflikts zur Endlagersuche vor Augen führt, dann darf die Einigung, die
wir im letzten Sommer gemeinsam erzielt haben und die
anschließend zum Standortauswahlgesetz geführt hat,
durchaus als historischer Erfolg bewertet werden.
({2})
Wir sind übereingekommen, dass wir die Hinterlassenschaft der Kernkraft gemeinsam und in Deutschland
bewältigen werden, damit von radioaktiven Abfällen
keine Gefahr für jetzige und künftige Generationen ausgeht. Entscheidend für den Erfolg ist, dass das verabschiedete Gesetz Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Dialoges ist, den unser ehemaliger Umweltminister
Norbert Röttgen einmal als „Verantwortungs- und Sicherheitskonsens für Deutschland“ bezeichnet hat.
An dieser Stelle danke ich ganz herzlich allen Beteiligten, die eine solche Verständigung auf Basis von
Kompromissbereitschaft und Transparenz ermöglicht
haben, insbesondere dem damaligen Umweltminister
Peter Altmaier, aber auch den zuständigen Berichterstatterinnen und Berichterstattern in den Fraktionen.
Diese Gesprächskultur des Dialogs wollen wir fortsetzen. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft in Form
von öffentlichen Anhörungen und Bürgerforen werden
wir auch weiterhin sicherstellen. Denn nur so entsteht
Transparenz und letztlich die dringend notwendige Akzeptanz für die zu treffende Standortentscheidung.
({3})
Eine umfassende Beteiligung bedeutet für mich, dass
sämtliche interessierten Akteure an der Suche mitwirken. Dazu zähle ich neben den Kirchen, der Wirtschaft
und den Gewerkschaften ausdrücklich auch die Umweltverbände. Dass es strittige Themen gibt und dass wir einen steinigen Weg vor uns haben, ist, glaube ich, allen
klar. Doch im Interesse eines tragfähigen, ausgewogenen
Kompromisses halte ich es für unabdingbar, dass alle
Betroffenen mit am Verhandlungstisch sitzen.
({4})
Mein Dank gilt deshalb unserer neuen Bundesumweltministerin, Frau Hendricks, die gestern noch einmal
deutlich an die Umweltverbände appelliert hat, die
„Chance des Mitwirkens nicht verstreichen zu lassen“.
({5})
Ich pflichte ihr bei. Eine Beteiligung am Suchprozess
von vorneherein abzulehnen, entspricht nicht dem überparteilichen Geist, in dem wir das Standortauswahlgesetz verabschiedet haben. Daher möchte auch ich um die
Beteiligung der Umweltverbände am Suchverfahren
werben.
({6})
Die Suche nach einem Endlager soll laut Gesetz ergebnisoffen und vergleichend gestaltet werden. Daher
gibt es keine Vorfestlegungen, weder auf Gesteinsformationen noch auf einzelne Standorte. Das Auswahlverfahren wird durch eine ausgewogen besetzte Kommission
vorbereitet. Bis Ende 2015 soll die Arbeit der Kommission abgeschlossen sein und ein Bericht als Grundlage
der Standortsuche vorliegen.
Das ist ein ambitioniertes Ziel, für das wir alle gemeinsam Verantwortung tragen. Jetzt wird es darauf
ankommen, nahtlos an die allgemein akzeptierten und
ausgewogenen Vereinbarungen aus dem Sommer 2013
anzuknüpfen. Die Vorgehensweise, auf die wir uns alle
geeinigt haben, darf nicht infrage gestellt, sondern muss
jetzt umgesetzt werden. Wir als Union werden jedenfalls
unseren Beitrag dazu leisten.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich bin optimistisch, dass wir die anstehenden
Herausforderungen, insbesondere die Suche nach einem
atomaren Endlager, gemeinsam, verantwortungsvoll und
sicher lösen können, genauso wie wir gemeinsam den
Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen haben. Ich
freue mich auf die Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Kanitz, zu Ihrer ersten Rede und viel Erfolg bei der künftigen parlamentarischen Arbeit.
({0})
Damit ist auch für diesen Geschäftsbereich die vorgesehene Debatte, heute jedenfalls, zu Ende.
Ich rufe nun als nächsten Geschäftsbereich den Bereich Bildung und Forschung auf. Auch hierfür ist eine
Präsident Dr. Norbert Lammert
60-minütige Debatte vereinbart. Das Wort erhält zunächst die Bundesministerin Dr. Johanna Wanka.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie kann
es sein, dass Deutschland - dieses kleine Deutschland das Land in der Welt ist, das absolut betrachtet die meisten Hightechprodukte exportiert, mehr als die riesigen
USA und mehr als China, die ja ganz andere Produktionskapazitäten haben? Wie kann es sein, dass Deutschland, wo gerade einmal 1,2 Prozent der Weltbevölkerung
leben, die viertstärkste Industrienation ist? Da muss man
mit Recht fragen: Was ist die Basis dafür? Die Basis ist
Deutschlands starke Innovationskraft. Sie gründet auf
Forschung und Entwicklung und Bildung.
Wenn man sich - es gibt viele Rankings - die schönen
Zahlen anschaut, wird aber auch eines klar: Der globale
Wettbewerb wird stärker, wird heftiger. Deswegen ist der
Koalitionsvertrag ein starkes Signal, dass gute Bildung
und leistungsstarke Forschung in unserem Land weiterhin eine Zukunft haben. Dafür werden wir uns in den
nächsten vier Jahren gemeinsam engagieren.
({0})
Wir untermauern das im Koalitionsvertrag mit finanziellen Zusagen. Von den 23 Milliarden Euro, die zusätzlich bereitgestellt werden, fließen 9 Milliarden Euro
- das ist der größte Brocken, mehr als ein Drittel - in die
Bereiche Forschung, Hochschule, Schule, Kita. Davon
wollen wir 6 Milliarden Euro so anlegen, dass die Länder entlastet werden. Die Koalition macht damit deutlich, dass Bildung, Wissenschaft und Forschung für sie
weiterhin Kernanliegen sind. Für mich resultieren daraus
für die nächsten Jahre drei Hauptaufgaben - sie sind entscheidend -:
Erstens: die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärken, das heißt, die gerade beschriebene Innovationskraft
erhalten und nach Möglichkeit ausbauen. Das ist ein
zentrales Ziel.
Zweitens: die Zukunftsarchitektur des Wissenschaftssystems bauen, das heißt die Leitplanken für die dynamische Weiterentwicklung des Systems.
Drittens: Bildungsgerechtigkeit. Wir leben in einem
reichen Land. In diesem Land müssen jedem und jeder
Lebenschancen durch Bildung eröffnet werden.
({1})
Zum Punkt Wettbewerbsfähigkeit. Seit acht Jahren
bündeln Bundesregierung, Wissenschaft und Wirtschaft
in der Hightech-Strategie ihre Kräfte für Innovation. Das
zahlt sich aus. 2012 haben wir zum ersten Mal erreicht,
dass 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - dabei ist die
Wirtschaft in starkem Maße, zu zwei Dritteln, beteiligt für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden. In
zahlreichen Rankings - von der EU und von vielen anderen - steht Deutschland sehr gut da.
Wirtschaftsminister Gabriel hat gestern das Thema
Batterieforschung angesprochen. Ich will dieses Thema
als Beispiel nehmen, um zu illustrieren, wie die Hightech-Strategie funktionieren kann und funktioniert. Batterieforschung ist für die Energiewende von zentraler
Bedeutung. Deutschland war im letzten Jahrhundert auf
diesem Gebiet weltmarktführend. Im Jahr 2008 dagegen
gab es kaum noch Professoren für Elektrochemie, es gab
in diesem Bereich nur ganz wenige Wissenschaftler
überhaupt, es gab keine nachfragende Industrie. Es war
aber schon damals klar, dass dieser Bereich in den
nächsten Jahren systemrelevant werden würde. Deswegen wurde im Rahmen der Hightech-Strategie wirklich
viel Geld in die Hand genommen, um diesen Bereich zu
pushen. Mittlerweile sind wir im Forschungsbereich der
modernen elektrochemischen Batterien wieder weltmarktführend.
Das reicht aber noch nicht aus. Der Ansatz ist: Es
muss transferiert werden. Wir haben einen Industrieverbund, dem alle Firmen, die mit der Wertschöpfung der
Batterieproduktion zu tun haben, angehören. Darüber hinaus haben wir in Ulm die Schaffung einer Produktionsanlage unterstützt, in der geforscht werden kann. Diese
startet im Sommer ihren Betrieb. Das ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg, vielleicht auch in der Produktion eine Weltmarktführerschaft zu erreichen. Zur
Massenproduktion ist aber ein weiterer Schritt nötig. Ich
will mich gerne zusammen mit meinem Kollegen
Gabriel um dieses Thema kümmern.
({2})
Eine solche Hightech-Strategie zu verfolgen, die
Innovationskraft zu stärken, ist das eine. Darüber hinaus
ist es genauso wichtig, dass Deutschland als starke Industrienation eine große Verantwortung für die globalen
Aufgaben, die globalen Herausforderungen in der Welt
übernimmt. In der Debatte zum vorherigen Tagesordnungspunkt ging es um Klimawandel. Hier wird sich
Deutschland, gerade weil wir auf diesem Gebiet stark
sind, auch mit Forschungsleistungen hervortun müssen.
Die Hightech-Strategie wollen wir - das haben wir im
Koalitionsvertrag beschlossen - ressortübergreifend zu
einer allgemeinen Forschungs- und Innovationsstrategie
weiterentwickeln. Dabei muss man immer wieder betonen: Es geht nicht nur um wirtschaftliche Innovationen;
genauso entscheidend und wichtig sind gesellschaftliche
Innovationen.
({3})
Die Eckpunkte zu dieser Weiterentwicklung will ich im
zweiten Quartal vorlegen.
Diese Weiterentwicklung wollen wir sehr eng mit
dem Programm Horizon 2020 auf europäischer Ebene
verzahnen. Auch die Kooperation mit Entwicklungsländern und aufstrebenden Wissenschaftsländern wollen
wir forcieren.
({4})
Im Mittelpunkt stehen natürlich die Bereiche, die Innovationstreiber sind; ich kann das jetzt nicht im Detail
ausführen. Als Beispiel nenne ich die Digitalisierung:
Wir haben das Wissenschaftsjahr zur Digitalisierung, wo
es vor allem um die Diskussion mit der Bevölkerung und
deren Ängste geht. Wir werden zum Beispiel im Frühjahr zwei große Kompetenzzentren für Big Data eröffnen. Beim Projekt Industrie 4.0 sind wir gut aufgestellt.
Mit dieser Strategie können wir ganz weit oben mitspielen. Daraus ergeben sich riesige Chancen zur Erhaltung
des Wohlstands in Deutschland.
Zur Energieforschung. Die Energieforschung müssen
wir an den Themen der Energiewende ausrichten. Wir
haben im letzten Jahr die Forschungsplattform Energiewende gebildet, die in sehr starkem Maße ein Gremium
zur Abstimmung auch mit Wirtschaft und Wissenschaft
ist. Im Rahmen dieses Forschungsforums werden wir bis
Ende dieses Jahres mit allen Beteiligten, das heißt mit
Wirtschaft, Umwelt und Wissenschaft, eine Forschungsagenda im Bereich Energie für die nächsten Jahre aufstellen: Was sind die Themen, die zuerst bearbeitet werden müssen? Worauf wollen wir uns konzentrieren? Diese Agenda steht zum Ende des Jahres.
({5})
Zum Thema Gesundheitsforschung. Gesundheitsforschung wird weiterhin einen hohen Stellenwert behalten.
Dies gilt auch für die anderen Themen, die in der Hightech-Strategie zu finden sind.
Im Zusammenhang mit der Wettbewerbsfähigkeit
sind auch die Fachkräfte ein wichtiges Thema. Wir haben in Deutschland zwei starke Säulen in Bezug auf die
Ausbildung von Fachkräften. Die erste Säule ist der akademische Bereich. Hier haben wir in den letzten Jahren
sehr viel gemacht; von Bund und Ländern sind Milliarden geflossen. Die Erfolge waren groß, wie man zum
Beispiel an der Zahl der Studierenden sehen kann. Es ist
auch beabsichtigt, das fortzuführen. Ich nenne nur die
dritte Phase des Hochschulpaktes.
Die zweite Säule im Bereich Fachkräfteausbildung ist
das duale Ausbildungssystem. Dieses wird weltweit gelobt und bewundert. Hier besteht aber Handlungsbedarf.
({6})
Das ist ein entscheidender Schwerpunkt in dieser Legislaturperiode. Wir wollen für den Bereich der beruflichen
Bildung vieles tun, zum Beispiel mit dem großen Paket
„Chance Beruf“. Natürlich geht es - ohne auf Details
einzugehen - auch darum, das eine oder andere modellhaft auszuprobieren. Uns geht es in dieser Legislaturperiode aber darum, Dinge, die gut und wichtig sind, flächendeckend umzusetzen. Das ist das strategische Ziel.
({7})
Dass die präventiven Möglichkeiten für junge Leute
im Bereich „Chance Beruf“ genutzt werden, ist einerseits natürlich volkswirtschaftlich wichtig - wir brauchen die Fachkräfte -, aber nicht nur. Denn das ist andererseits auch entscheidend für das Lebensglück der
Menschen, weil nur eine gerechte Bildung individuelle
Zukunftschancen ermöglicht. Deswegen ist das Thema
Bildungsgerechtigkeit ganz zentral.
Wir werden den Ausbildungspakt gemeinsam mit allen Sozialpartnern weiterentwickeln und das Thema „allgemeine Weiterbildung“ - gerade auch für die Älteren sehr stark mit in den Fokus nehmen.
({8})
- Ich habe gerade das Wort „Wochenende“ hinter mir im
Präsidium gehört und dachte, das bezieht sich auf meine
Rede.
({9})
Der Redner sollte sich immer nach vorne konzentrieren, Frau Ministerin, nie nach hinten.
({0})
Ich dachte, das war eine launige Bemerkung zur Weiterbildung.
({0})
Zu dem Bereich Bildungsgerechtigkeit gehört natürlich auch das Thema Ausbildungsförderung bzw.
BAföG. Wir haben vor wenigen Tagen den 20. BAföGBericht im Kabinett verabschiedet. Die letzte Novelle im
Jahre 2010 hat strukturelle Veränderungen gebracht, sodass wir jetzt sagen können: Migranten erhalten sehr viel
häufiger als zuvor BAföG, und unsere deutschen Studenten sind sehr viel flexibler, wenn es um Auslandsaufenthalte geht. Die nächste BAföG-Novelle muss aber kommen, und wir gehen zügig an diese Arbeit.
({1})
Ich komme zum letzten Punkt. Es geht um die Zukunft des Wissenschaftssystems. Wir müssen die neue
Architektur in diesem Bereich weiterbauen. Sie alle wissen: Es gibt Pakte und die Exzellenzinitiative. Wir haben
dort ganz viel in Bewegung gebracht; es gibt eine große
Dynamik. Wir können jetzt aber nicht damit fortfahren,
dass ständig neuer Wettbewerb entsteht, sondern daraus
müssen jetzt auch einmal langfristige Strukturen erwachsen. Vor allen Dingen muss die Balance zwischen den
außeruniversitären Einrichtungen und den Hochschulen
wiederhergestellt werden. Deswegen geht der Bund dort
entscheidend heran; er will sich an der Grundfinanzierung der Hochschulen beteiligen.
({2})
Das alles kann man nur in Verhandlungen mit den
Ländern erreichen. Der Bund ist hier nicht der alleinige
Spieler. Wir versuchen, gemeinsam mit den Ländern einen nationalen Zukunftspakt zu schnüren.
Wir müssen weiter über Art. 91 b des Grundgesetzes
diskutieren. Ich glaube, wenn wir dort Bewegung errei880
chen, dann werden wir das Geld sehr viel besser einsetzen können.
({3})
Wir haben ehrgeizige Ziele, die für viele Häuser relevant sind. Bei dem einen oder anderen Ziel ist das Herzblut in den Häusern naturgemäß sicher unterschiedlich
verteilt; das ist völlig klar. Diese Koalition steht aber gemeinsam für Innovationen, für nachhaltigen Wohlstand
und für individuelle Zukunftschancen für alle in diesem
Land.
Danke.
({4})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Frau Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
muss mich schon wundern: Zwei Monate Koalitionsverhandlungen, und dann kommt so etwas heraus!
({0})
Wer einen Aufbruch in der Bildung erwartet hatte, wurde
bitter enttäuscht.
({1})
- Entschuldigung, in der Rede von Frau Wanka kamen
die Begriffe „Bildung“, „allgemeine Bildung“ und
„schulische Bildung“ noch nicht einmal vor.
Die GEW attestierte sehr zu Recht einen „fehlenden
politischen Gestaltungswillen“, der studentische Dachverband fzs spricht von einer Fortführung der Politik der
„befristeten Finanzspritzen nach Stimmungslage“, und
sogar der Deutsche Philologenverband nannte das Ergebnis „konturlos“.
({2})
- Daran sehen Sie einmal, wie breit die Kritik an Ihrem
Vorschlag ist.
Man hätte es nicht für möglich gehalten, aber die
Große Koalition setzt auf die unsoziale Politik von
Schwarz-Gelb
({3})
sogar noch eins drauf; denn auf das drängendste Problem, dass die Länder immer weniger Geld für Investitionen im Bildungsbereich haben und aufgrund der
Schuldenbremse vor massiven Kürzungen stehen, gibt
diese Regierung einfach keine Antwort.
({4})
Sie gibt nicht nur keine Antwort, sondern sie verweigert
auch auf der Hand liegende und zum Greifen nahe Lösungen. Das ist nicht nur mangelnde politische Gestaltung, sondern das ist eigentlich schon unterlassene Hilfeleistung.
({5})
Zwei Dinge wären bitter nötig: erstens eine Steuerpolitik, die auch einmal die Reichen zur Kasse bittet, um
die öffentlichen Haushalte überhaupt in die Lage zu versetzen,
({6})
die großen Aufgaben in der Bildung anzupacken, und
zweitens die Aufhebung des Kooperationsverbotes, damit es dem Bund nicht länger verboten ist, in der Bildung mitzufinanzieren.
({7})
Aber Sie in der Koalition haben sich bereits vor Beginn
der Koalitionsverhandlungen darauf verständigt, auf
Steuergerechtigkeit zu verzichten.
({8})
Sprich: Bevor Sie überhaupt wussten, was Sie inhaltlich
wollen, wussten Sie bereits, dass Sie es nicht finanzieren
können.
Dass Sie sich dann aber noch nicht einmal darauf einigen konnten, das Kooperationsverbot abzuschaffen,
versteht wirklich niemand. Das ist doch inzwischen einhellige Meinung. Selbst Ihre Ministerin, Frau Wanka, hat
im Wahlkampf erklärt, es wäre Zeit, dieses Relikt abzuschaffen. Ich frage mich: Was hindert Sie daran? Wieso
tun Sie es nicht einfach mit Ihrer hier existierenden Vierfünftelmehrheit?
({9})
Sie kündigen ein Jahrzehnt der Hochschulen an, haben aber keine Idee, wie Sie das finanziell untersetzen
sollen. Es ist vor allem eine finanzielle Frage; denn in
den meisten Hochschulen bröckelt mittlerweile etwas
mehr als nur der Putz: Da wackelt wirklich das Fundament. In Sachsen werden gerade 30 Studiengänge geschlossen. An der Uni Bremen sollen 140 Stellen gestrichen werden. In Thüringen stehen sogar 500 Stellen zur
Disposition. Wenn das der Anfang Ihres Jahrzehnts der
Hochschulen ist, dann graut einem wirklich davor, wie
es weitergeht.
({10})
Kommen wir zur Haltung der SPD. Ich denke zum
Beispiel an Ihren Beitrag, Herr Rossmann, in der Frankfurter Rundschau vor zwei Wochen, als Sie das Ergebnis
des Koalitionsvertrages ziemlich treffend, wie ich finde,
einen „Flop“ genannt haben.
({11})
Da hat man dann doch den Eindruck, die SPD hat Mühe,
sich selbst von der propagierten sozialdemokratischen
Handschrift im Koalitionsvertrag zu überzeugen. Das ist
auch kein Wunder; denn der Abschnitt zu Bildung und
Wissenschaft gibt das nicht her. Kein Wort mehr zu den
großen SPD-Wahlkampfversprechen: kein Wort mehr
zum Ganztagsschulprogramm oder zum Ausbau der
Schulsozialarbeit.
Die SPD hat für eine BAföG-Reform und für ein
Ende des Deutschlandstipendiums Wahlkampf gemacht.
Jetzt bekennen Sie sich zur Fortführung dieses Stipendienprogramms. Das Thema BAföG taucht gar nicht
mehr auf. Statt der überfälligen BAföG-Erhöhung schönt
die Regierung lieber den BAföG-Bericht, wie vor zwei
Tagen geschehen.
({12})
Frau Kollegin, ich darf ganz kurz eine Atempause bei
Ihnen nutzen: Der Kollege Rossmann von der SPDFraktion möchte Ihnen eine Frage stellen. Lassen Sie sie
zu?
Ja, gerne.
Bitte schön, Kollege Rossmann.
Frau Kollegin, Sie haben sich auf das bezogen, was
ich in der Frankfurter Rundschau geschrieben habe.
Meine Frage ist: Stimmen Sie darin überein, dass ich
nicht den Koalitionsvertrag und die Vereinbarungen zu
Bildung und Forschung insgesamt als „Flop“ bezeichnet
habe, sondern geschrieben habe, dass wir das BAföG aus
dem „schwarzen Loch“ herausholen wollen? Haben Sie
auch gehört, dass unsere Bundesbildungsministerin
diese Neugestaltung des BAföG in ihrer Erläuterung
zum Koalitionsvertrag angekündigt hat?
({0})
Das habe ich gehört. ({0})
Ich finde es trotzdem bemerkenswert, dass Ihre Rolle in
der Regierung momentan darin besteht, dass Sie Ihre
Meinung in den Medien publizieren und dadurch den
Koalitionspartner dazu auffordern, auf bestimmten Gebieten etwas zu tun, weil dazu nichts im Koalitionsvertrag steht. Da ist natürlich das BAföG an allererster
Stelle zu nennen. Ich finde es schon erstaunlich, wie eine
absolut mickrige Studienfinanzierung wie das Stipendienprogramm Eingang in einen Koalitionsvertrag findet
({1})
und die wichtigste Säule der individuellen Bildungsfinanzierung wie das BAföG nicht einmal erwähnt wird.
Das lässt schon tief blicken.
({2})
Die SPD hat sich auch für die Grund- und Ausfinanzierung der Hochschulen starkgemacht. Jetzt lesen wir
im Koalitionsvertrag ausschließlich von befristeten Programmen und Wettbewerben, wie der x-ten Auflage des
Hochschulpaktes oder der Exzellenzinitiative, was aber
doch - das muss man sagen - an den Bedarfen der allermeisten Hochschulen völlig vorbeigeht.
Sie wissen doch auch: Genau diese Politik von Pakten
und befristeten Programmen ist doch der Grund, warum
90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter an Hochschulen befristet und prekär beschäftigt sind. Immerhin da sieht die Koalition Handlungsbedarf und will das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellieren. Gleichzeitig sagen Sie, dass Sie vor
allem die Hochschul- und Wissenschaftseinrichtungen in
der Pflicht sehen, dieser Entwicklung gegenzusteuern.
Es wäre nicht das erste Thema, bei dem sich die Regierung aus der Verantwortung ziehen will.
Die Linke fordert, die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz abzuschaffen und eine Mindestvertragslaufzeit von zwölf Monaten für wissenschaftliche
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festzulegen.
({3})
Es muss für diejenigen, die Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, der Anspruch auf Verlängerung der Befristungshöchstdauer verbindlich festgeschrieben werden. Das ist natürlich eine Aufgabe des Gesetzgebers.
Hören Sie auf, sich davor wegzuducken!
({4})
Das große Problem der Großen Koalition ist doch
Folgendes: Sie denken Bildung und Wissenschaft vom
Wettbewerb her, als Standort- und Wirtschaftsfaktor; ich
denke, die Rede von Frau Wanka gerade war ein guter
Beleg dafür.
({5})
Die Bedürfnisse der Studierenden und der Beschäftigten,
der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schülerinnen und
Schüler sind für Sie doch bestenfalls nachrangig.
({6})
Ich sage Ihnen: So kann man an Bildung und ihren individuellen und gesellschaftlichen Anspruch nicht herangehen, und das wird Ihnen noch auf die Füße fallen.
Vielen Dank.
({7})
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
René Röspel von der SPD-Fraktion.
({0})
Oh, schnell noch einen Schluck Wasser zu trinken,
wird schon auf meine Redezeit angerechnet. Schade,
hätte ich das gewusst!
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, dass sich nur wenige andere Abgeordnete so intensiv mit dem Koalitionsvertrag befasst
und auch dafür geworben haben wie die Abgeordneten
der SPD-Fraktion.
({1})
Denn es war eine wirklich gute, aber auch mutige Idee
des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, den Mitgliedern
der SPD die Entscheidung über den Koalitionsvertrag in
die Hand zu geben. Das hat dazu geführt, dass wir in
ganz vielen Veranstaltungen nicht nur mit Mitgliedern
der SPD, sondern auch mit Nichtmitgliedern den Koalitionsvertrag diskutiert haben. Ich habe das als ungeheuer
mobilisierend und motivierend erlebt. Es waren offene
Diskussionen.
Nicht nur das Erlebnis der Mobilisierung ist positiv.
Wir haben, glaube ich, auch eine sehr gute Wahrnehmung bekommen, liebe Kollegin Gohlke, was für die
Menschen an diesem Koalitionsvertrag wichtig ist. Dabei hatte ich eine andere Wahrnehmung als Sie. Daher
teile ich das, was Sie gerade vertreten haben, nicht; das
will ich Ihnen deutlich sagen.
Klar ist, dass es ohne bestimmte Abschnitte in diesem
Koalitionsvertrag die Zustimmung der SPD nicht gegeben hätte. Der Mindestlohn oder das, was Andrea Nahles
jetzt mit der Rente ab 63 auf den Weg bringt, waren definitiv ganz wichtig. Ohne diese Punkte hätte es keine Zustimmung gegeben.
Die Mitglieder und auch viele andere Menschen waren sehr begeistert, dass wir das fortsetzen, was 1998 in
diesem Haus von einer rot-grünen Koalition begonnen
worden ist, nämlich endlich wieder einen Schwerpunkt
auf Bildung und Forschung in diesem Land zu setzen
und auch mehr Geld in die Hand zu nehmen. Es ist gut,
dass alle Regierungen danach, die Große Koalition, aber
auch Schwarz-Gelb, diesen Weg fortgesetzt haben. Darüber sind alle froh.
({2})
Dieser Konsens in Deutschland unterscheidet uns mittlerweile von anderen Ländern und hat uns auch nach
vorne gebracht.
Gar nicht glücklich waren unsere Mitglieder darüber,
dass es nicht noch mehr Geld gegeben hat. Denn mit
9 Milliarden Euro ist weniger Geld als in der letzten Legislaturperiode vorgesehen. Aber das lag auch daran,
dass leider mit dem Koalitionspartner in Sachen Steuergerechtigkeit nicht mehr möglich war. Aber das ist einfach so.
Ganz unzufrieden - auch das gehört dazu - waren die
Mitglieder gerade in meiner Heimatregion, dem Ruhrgebiet, aber auch in vielen anderen Städten darüber, dass
wir die Union nicht davon überzeugen konnten, dass die
Schulsozialarbeit weiter eine Leistung des Bundes
bleibt. Denn das ist unerhört wichtig für die Schulen.
Aber wir werden einfach weiter darüber reden.
({3})
- Wir werden versuchen, das zu ändern. Dafür haben wir
noch vier Jahre. Aber der Koalitionsvertrag gibt es erst
einmal nicht her. Das ist definitiv so.
({4})
Ich will mich in der restlichen Redezeit auf den Bereich Forschung konzentrieren - der Kollege Kaczmarek
wird gleich noch detaillierter auf die Bildung eingehen und sagen, warum der Forschungsteil in allen Diskussionen, die wir geführt haben, sehr gut weggekommen ist.
Das will ich an einigen Punkten deutlich machen.
Wir sind und waren uns in diesem Land sicherlich alle
einig - Frau Wanka hat das vorhin auch betont -, dass
die Stärke, der Wohlstand und der wirtschaftliche Erfolg
dieses Landes sich daran bemessen lassen müssen, dass
die Menschen in diesem Land gute Arbeit verrichten.
Dass vieles nicht in Ordnung ist und dass der Arbeitsmarkt wieder in Ordnung gebracht werden muss, ist das
eine. Das wird Arbeitsministerin Andrea Nahles in den
nächsten Jahren auch richten.
Aber das andere ist, in die Zukunft zu blicken und zu
überlegen, wie wir es sicherstellen können, dass in
Deutschland weiterhin gute Produkte unter vernünftigen
Arbeitsbedingungen und möglicherweise innovativen
Arbeitsmodellen hergestellt werden, die es zum Beispiel
auch ermöglichen, Familie und Beruf zu vereinbaren. In
diesem Zusammenhang ein Wort zu einer anderen Debatte: Ich fand den Vorschlag von Manuela Schwesig zu
dem, was da überhaupt möglich ist, höchst interessant.
Dem sollten wir uns noch einmal widmen.
Ein wichtiger Punkt, den wir in den letzten Jahren immer wieder gefordert und jetzt in den Koalitionsvertrag
hineingebracht haben, ist, dass wir den Bereich der Arbeitsforschung, Dienstleistungsforschung und Produktionsforschung wieder stärken und in Verbindung und
enger Abstimmung mit den Sozialpartnern unseren Beitrag zu einer Humanisierung der Arbeitswelt leisten.
Auch dieser Bereich wird in Zukunft sicherlich den
Wohlstand in Deutschland sichern.
({5})
Ein weiterer wichtiger Punkt ist für mich die Generationengerechtigkeit, nämlich die Frage, wie wir diesen
Planeten an unsere Kinder und Kindeskinder übergeben.
Dabei spielt die Energie- und Klimaforschung eine zentrale Rolle. Ich hätte mir gewünscht, dass schon vor vier
Jahren der Satz im Koalitionsvertrag gestanden hätte,
den wir nun hineingeschrieben haben, nämlich dass wir
die Energieforschung konsequent an der Energiewende
ausrichten werden. Ich freue mich, Frau Wanka, dass Sie
das schon in allen Medien so deutlich vertreten; das ist
dringend erforderlich. Ich hätte mir nur gewünscht, dass
das schon früher der Fall gewesen wäre.
({6})
Ein weiterer Bereich, der uns am Herzen liegt, ist das,
was wir als Forschung für die Gesundheit des Menschen
bezeichnen. Wir wollen nicht nur schwerpunktmäßig die
Entwicklung von Medikamenten, Arzneimitteln und
Technologien in den Vordergrund stellen. Gesundheitsforschung ist mehr. Da geht es um Prävention und die
Gesunderhaltung des Menschen. Es geht nicht nur darum, Menschen gesund zu machen, wenn sie krank sind,
sondern auch darum, die Arbeits- und Lebensbedingungen so zu gestalten, dass Menschen erst gar nicht krank
werden. Das umfasst auch eine Altersforschung, die sich
mit den Bedingungen befasst, unter denen Pflegende arbeiten und Pflegebedürftige leben müssen. Das ist ein
breiterer Begriff von Gesundheitsforschung als in den
letzten Jahren. Ich bin froh, dass wir das so im Koalitionsvertrag niedergeschrieben haben.
({7})
Auch beim letzten Punkt bin ich mit Herzblut dabei,
und zwar nicht nur weil gestern Abend die Kollegin
Hübinger und die Exkollegin Roth den Preis für das Engagement gegen vernachlässigte Krankheiten in der Kategorie „Politischer Wille“ - ich gratuliere dazu - erhalten haben. Als eines der reichsten Länder der Welt, das
über eine hervorragende Forschung verfügt, haben wir
auch Verantwortung gegenüber jenen Ländern, die nicht
in der Lage sind, sich hier stabil aufzustellen. 3 Milliarden Menschen, die an sogenannten vernachlässigten, armutsassoziierten Krankheiten leiden, ohne dass es nötig
wäre, weil es längst entsprechende Medikamente gibt,
warten darauf, dass wir ihnen helfen. Deswegen bin ich
froh, dass wir in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben haben, dass wir die Forschung betreffend die vernachlässigten Krankheiten stärken wollen, um in Entwicklungs- und Schwellenländern unseren Beitrag zu
leisten.
Mein Dank geht an den Kollegen Helge Braun, der
bei den Koalitionsverhandlungen auf der anderen Seite
saß. Wir haben offene Türen eingerannt. Wir haben hier
eine Verpflichtung.
Mit unserem Forschungsprogramm können wir nicht
nur Deutschland, sondern die ganze Welt vielleicht ein
bisschen besser machen. Ich lade Sie alle dazu ein, daran
konstruktiv mitzuarbeiten.
Vielen Dank und ein schönes Wochenende, Herr Präsident.
({8})
Das Präsidium hat ausnahmsweise dem Kollegen
Röspel die Wassertrinkzeit am Anfang seiner Rede wieder an das Ende drangehängt, sodass er zu seinem Recht
gekommen ist.
({0})
Als Nächstem gebe ich das Wort dem Kollegen Kai
Gehring, Bündnis 90/Die Grünen. - Bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Koalitionsvertrag von Union und SPD trägt die Überschrift „Deutschlands Zukunft gestalten“.
({0})
Das klingt ähnlich gut wie viele andere Überschriften,
auch im Bildungs- und Forschungskapitel. - Sie sind
leicht zufriedenzustellen, meine Damen und Herren von
der Koalition.
Schaut man aber hinter die Zukunftsprosa von besserer Grundfinanzierung der Hochschulen, Innovationsstrategie und Bioökonomie, dann fällt auf: Gerade Ihrem
Bildungs- und Forschungskapitel fehlen ambitionierte
und ausfinanzierte Konzepte. Es fehlen vor allem
Schritte zur konkreten Umsetzung.
({1})
Sehr konkret wird es dagegen bei den beiden Schwerpunkten dieser Regierung. Mit Ihren Eckpunkten zur
Energiewende bremsen Sie die Ausbaudynamik der erneuerbaren Energien aus. Damit verzögern Sie Innovationen und neue Technologien für eine emissionsarme
und ressourcensparende Wirtschaftsweise, die dem Klimaschutz dient. Da droht viel Rückschritt und wenig
Fortschritt.
({2})
Der zweite Schwerpunkt, Ihr Rentenpaket. Pro Jahr
gehen zusätzlich 10 Milliarden Euro an einzelne, wenige
Rentnergruppen.
({3})
Trotz dieser großen Summe lösen Sie das große Problem
der Altersarmut nicht. Herr Rossmann, im Vergleich dazu
sind die pro Jahr vorgesehenen zusätzlichen 2,25 Milliarden Euro für die gesamte Bildungskette - für Kitas,
Schulen, Fachhochschulen, Universitäten, Weiterbildung
und Forschung - geradezu mickrig.
({4})
Das zeigt doch, dass Sie in die junge Generation kaum
investieren. Das ist zukunftsvergessen.
Schauen wir uns Ihren Koalitionsvertrag genauer an.
Darin fehlen Initiativen gegen Kinderarmut und Bildungsarmut. Chancen dürfen aber nicht vom Konto oder
von der Postleitzahl des Elternhauses abhängen. Wir
wollen endlich Klarheit, wie Sie die Qualität der Kitas
verbessern und die entsprechende Finanzierung sicherstellen wollen.
Wir halten es weiterhin für falsch, dass Sie an der Bildungsfernhalteprämie Betreuungsgeld festhalten.
({5})
Wir halten das nicht für richtig.
({6})
Dem bundesfinanzierten Programm Schulsozialarbeit haben Sie keine Zukunftsperspektive geschaffen.
Das geht zulasten vieler Schülerinnen und Schüler. Das
alles ist bildungspolitisch kontraproduktiv und für die
Mehrheit der Familien in unserem Land enttäuschend.
({7})
In Ihrem Vertrag fehlt ein Vorschlag für ein Ende des
Kooperationsverbotes. Ich hatte wirklich gehofft, dass
eine Große Koalition, die uns diese Bildungs- und Wissenschaftsblockade im Grundgesetz vor acht Jahren eingebrockt hat, die Kraft aufbringt, sie auch wieder einzureißen.
({8})
Wenn sich das nicht ändert, fällt ein dringend notwendiges neues Ganztagsschulprogramm wohl aus.
({9})
- Wir reden mit Herrn Kretschmann, Sie reden mit Ihren
Ministerpräsidenten.
Dass sich aber eine 80-Prozent-Mehrheit des Deutschen Bundestages hinter Herrn Kretschmann versteckt,
({10})
ist auch putzig.
({11})
Greifen Sie doch endlich unseren Vorschlag auf, einen
Reformkonvent einzurichten, in dem sich Bund und
Länder zusammensetzen. Wir sollten eine gemeinsame
Lösung finden; ich halte sie für möglich. Weil Sie, Herr
Heil, das Kooperationsverbot nicht abschaffen,
({12})
können Sie nämlich Ihr Versprechen eines Masterplans
in Höhe von 8 Milliarden Euro für Ganztagsschulen, ein
SPD-Versprechen, das Sie im Parlament und im Wahlkampf gegeben haben, wohl nicht einlösen. Das ist fatal;
denn der Ganztagsschulausbau ist wichtig, um allen
Chancen zu eröffnen. Den Ausbau zu drosseln, ist fahrlässig.
({13})
Ich habe mir eben die Äußerungen von Frau Wanka
zum BAföG mit großem Interesse angehört. Ich hoffe,
dass ihren Ankündigungen im Plenum und auch in den
vielen Interviews wirklich Taten folgen;
({14})
denn im Koalitionsvertrag fehlt jede Aussage zum
BAföG, und das ist schlicht peinlich. Der BAföG-Bericht, der diese Woche im Kabinett behandelt wurde, hat
sehr deutlich gemacht, wie dringend notwendig der
Handlungsbedarf ist. Der Reformdruck steigt. Deshalb
sage ich: Das BAföG muss noch in diesem Jahr erhöht
werden. Das ist extrem wichtig für eine neue soziale
Öffnung unserer Hochschulen und für die Studierenden
in unserem Land.
({15})
Frau Wanka, Sie haben vorhin viel über Innovationen
gesprochen. Aber was in Ihrem Koalitionsvertrag auch
fehlt, ist die steuerliche Forschungsförderung für KMU.
Das heißt, die Große Koalition behält bei, dass staatliche
Forschungs- und Innovationsförderprogramme an kleinen und mittleren Unternehmen weitestgehend vorbeigehen. Das bremst Innovationen. Das halten wir für falsch.
Wir halten die steuerliche Forschungsförderung weiter
für richtig.
({16})
In Ihrem Vertrag fehlt die Klarheit, wie Sie die Energieforschung ganz konkret auf die Energiewende ausrichten wollen. Wir sehen durchaus richtige Ansätze,
wie die Stärkung der Klimaforschung oder auch der
Meeres- und Polarforschung - das ist gut -, wir wollen
aber kein öffentliches Geld für Hochrisikotechnologien
wie die atomare Fusionsforschung oder CCS. Das wären
Fehlinvestitionen.
({17})
Zu den Lücken in Ihrem Koalitionsvertrag kommen
noch sehr viele offene Fragen, bei denen Sie sich als
Union und SPD offensichtlich nicht einigen konnten.
Deshalb frage ich Sie: Wie wollen Sie denn das Dickicht
an Warteschleifen des Übergangssektors lichten, um allen Jugendlichen wirklich gute Ausbildungschancen zu
geben?
({18})
Wie geht es denn konkret weiter mit dem Hochschulpakt
zur Schaffung der Studienplätze auch nach 2020? Wo ist
denn die Antwort der Regierung auf die richtige Forderung nach Erhöhung der Programmpauschale? Keine
Aussage dazu im Vertrag.
Wie genau wollen Sie denn Hochschulen das Geld für
die Grundfinanzierung überhaupt zur Verfügung stellen,
wenn sich im Grundgesetz nichts ändert? Wie gehen Sie
eigentlich das konkrete Problem der sehr unsicheren Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses und der
prekären Arbeitsverhältnissen an den Hochschulen an?
({19})
- Ja, dann lassen Sie uns doch schnell eine Novelle zum
Wissenschaftszeitvertragsgesetz erarbeiten, wie es RotGrün im Bundesrat vorgeschlagen hat. Das können wir
hier zusammen machen.
({20})
Was auch nicht im Koalitionsvertrag steht, ist, wie Sie
den Pakt für Forschung und Innovation fortsetzen wollen: Welche Steigerungsraten sollen es denn sein? Wie
soll das denn mit den Ländern gemeinsam gehen? Wie
führen Sie die Exzellenzinitiative weiter? Ich fände auch
sehr spannend, zu erfahren, ob Sie die dritte Säule - wer
wird Deutschlands Eliteuni? - endlich auslaufen lassen,
so wie wir es für richtig halten.
({21})
Es ist sehr wichtig, dass Sie all diese Fragen schnell
beantworten, weil das extrem wichtig für die Planungssicherheit und Verlässlichkeit in der Ausbildungs- und
Wissenschaftspolitik ist. Die Fragen waren auch schon
lange vor den Koalitionsgesprächen bekannt. Ihr Vertrag
benennt sehr viele Baustellen; er beinhaltet aber keinen
Bauplan für eine Wissensrepublik oder ein Bildungsaufsteigerland. Hier sieht man einmal mehr, dass Große Koalitionen offenbar keine großen Lösungen liefern.
({22})
Ich nenne noch einen ganz wichtigen Punkt: Bei der
Finanzierung des Bildungs- und Wissenschaftssystems
muss sich Deutschland endlich zu einem Vorreiter entwickeln; denn sonst riskieren wir tatsächlich Teilhabe, und
wir riskieren Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.
Jährlich wären fast 20 Milliarden Euro zusätzlich nötig,
um endlich 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für
die Bildung und das 3,5-Prozent-Ziel für die Forschung
- die Republik redet über ein 3,5-Prozent-Ziel - zu erreichen und entsprechend zu investieren.
({23})
Wir brauchen ehrgeizige Ziele, weil wir sonst bei Bildung, Forschung und Innovation zurückfallen.
Deshalb möchte ich an Sie alle dringend appellieren:
In dieser Wahlperiode starten die Debatten über die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und
Ländern. Ohne ein Gesamtkonzept für eine zukunftsfähige Finanzarchitektur bei Bildung, Wissenschaft und
Forschung rutschen diese Bereiche in die generellen
Neuordnungsdebatten hinein, und dann laufen Sie alle
Gefahr, dass letztlich wieder keine bildungs- und wissenschaftsadäquaten Lösungen dabei herauskommen.
Das hat man bei der Föderalismusreform gesehen.
({24})
Wir hoffen daher, dass Sie sich aus dem engen Korsett Ihres Koalitionsvertrags befreien, eine Finanzarchitektur für Bildung und Wissenschaft auf den Tisch legen
und das mit den Ländern verabreden. Falls Ihnen das
doch glücken sollte, dann kriegen Sie sogar einmal von
uns Applaus.
({25})
Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin
Patricia Lips, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Investitionen in Bildung und Forschung sind zumeist nicht tagesaktuell zu
messen; es sind vor allem Investitionen in die Zukunft
unseres Landes und seiner Menschen. Die im Vergleich
niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland, um die
uns viele beneiden, ist an sich schon - das richtet sich
ein bisschen an meine Vorredner - der beste Beweis für
die Qualität unseres Bildungssystems.
({0})
Darüber hinaus - die Ministerin hat es bereits erwähnt gehen Milliarden an die Länder, an die anderen politischen Ebenen, um sie zu entlasten, damit sie eigene Investitionen tätigen können.
In den vergangenen Jahren haben so viele junge Menschen ein Studium aufgenommen wie nie zuvor. Allein
innerhalb von zehn Jahren gab es fast 15 Prozent mehr
Berechtigungen für ein Hochschulstudium. Das ist ein
Erfolg, den wir nicht schmälern wollen. Das deutsche
Wissenschaftssystem leistet in unserem Land einen entscheidenden Beitrag, auch für die Zukunftsfähigkeit.
Nicht zuletzt deshalb müssen die guten Initiativen - sie
wurden in verschiedenen Beiträgen bereits genannt: Exzellenzinitiative, Hochschulpakt und anderes mehr fortgesetzt und, wo nötig, weiterentwickelt werden.
Aber, Kolleginnen und Kollegen, darüber dürfen wir
einen anderen Bereich nicht vergessen, der schon im
Mittelpunkt unserer Diskussion im Ausschuss stand: die
berufliche Bildung in ihrer ganzen Breite und mit ihren
Chancen.
({1})
Gerade nach der Krise fragen uns nicht wenige Länder
genau an dieser Stelle: Wie macht ihr das? Wie funktioniert das? Verbände, Handwerkskammern, das Ministerium - viele sind bereits unterwegs, um Hilfestellung zu
leisten oder auch betroffene Jugendliche in unserem
Land entsprechend vorzubereiten. Genau wie wir haben
diese Länder erkannt, dass nicht allein die akademische
Ausbildung ein Gradmesser für den Erfolg eines Landes
ist,
({2})
sondern ebenso - das ist ein Zweiklang - die berufliche
Bildung.
({3})
Ein Land, das in Wissenschaft und Forschung hohe Achtung genießt, wie das bei uns der Fall ist, das im Gegensatz zu vielen anderen Ländern noch einen erfreulich hohen Anteil an Industrialisierung aufweist und vor allem
einen gesunden, stabilen und innovationsfreudigen Mittelstand hat, braucht beides: junge Menschen, die sich
für ein Hochschulstudium qualifizieren und den akademischen Weg beschreiten, aber ebenso solche, die sich
für eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb begeistern können.
({4})
Beides trägt zur Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes
bei. Am Ende sollte es kein Ranking und keine Wertung
des gewählten Weges geben. Eine Berufsausbildung ist
immer die Basis für ein selbstbestimmtes Leben. Dies
betrifft gleichermaßen die Weiterbildung in einer Welt,
in welcher der technische Fortschritt immer rasanter Einzug hält.
Wir erleben zurzeit eine Verschiebung zugunsten eines akademischen Weges, unabhängig davon, ob dieser
Weg von Anfang an oder im Anschluss an eine Ausbildung eingeschlagen wird. Man muss dies im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung in unserem
Land sehen. Aus Gesprächen kennt jeder von uns die Erfahrungen, die IHKn und Handwerkskammern machen.
Den Betrieben fällt es immer schwerer, Nachwuchs zu
finden.
Wir stellen fest: Die Zahl der Bewerber, die keinen
Ausbildungsplatz erhalten haben, ist gestiegen, aber
auch die Anzahl der unbesetzten Ausbildungsstellen. Sie
haben vor allem in kleineren und mittelständischen Betrieben einen Höchststand erreicht. Ganz offensichtlich
kommen Wunsch und Angebot nicht mehr so recht zusammen. Wir müssen uns deshalb die Frage stellen: Benötigen junge Menschen mehr als in früheren Jahren
eine stärkere Orientierungshilfe bei ihrer Berufswahl?
({5})
Frau Kollegin, es gibt einen Fragewunsch des Kollegen Mutlu. Möchten Sie die Zwischenfrage zulassen?
Ich lasse sie zu.
Bitte schön, Herr Kollege.
Danke, Frau Lips, dass Sie meine Frage zugelassen
haben. - Ich habe genau zugehört. Sie haben das Stichwort demografische Entwicklung genannt. Die Frau
Ministerin hat in ihrer Rede das Thema Bildungsgerechtigkeit als letzte von drei Überschriften genannt, aber im
weiteren Verlauf ihrer Rede kaum etwas dazu gesagt.
Wir wissen, dass sich auch in unserem Land die Schere
bei der Bildung sehr deutlich öffnet. Nach wie vor ist der
Einfluss des sozialen Hintergrunds ein wichtiger Faktor
beim Bildungserfolg, wie PISA-Studien immer wieder
belegt haben.
Da ich in dem Koalitionsvertrag wenig zu diesem
Thema finde, möchte ich Sie als Vorsitzende des Bildungsausschusses fragen, ob Sie einige konkrete Maßnahmen nennen können, mit denen Sie die beiden Themen demografische Entwicklung und Ungerechtigkeit in
unserem Bildungssystem angehen wollen. Welche Mittel
wollen Sie dafür in die Hand nehmen, ohne dabei das
Kooperationsverbot zu missachten, sodass der Kollege
von der SPD nicht wieder auf Herrn Kretschmann verweisen muss?
Sehr geehrter Herr Mutlu, nicht allein der Bildungsausschuss ist dafür verantwortlich, sich mit der demografischen Entwicklung zu beschäftigen. Viele Institutionen und andere Ausschüsse machen sich ebenfalls
darüber Gedanken, vielleicht auch der eine oder andere,
der hier sitzt. Wie dem auch sei: Das Thema demografische Entwicklung müssen wir ressortübergreifend angehen.
Es ist unser Ziel - wenn Sie den Koalitionsvertrag lesen, dann können Sie das erkennen -, niemanden zurückzulassen und jeden jungen Menschen nach seinen
Möglichkeiten zu fördern. Etwas anderes können wir
uns gar nicht mehr erlauben. Wir müssen es schaffen,
auch junge Menschen mit Migrationshintergrund in speziell entwickelte Maßnahmen einzubinden. Wir müssen
es aber gleichermaßen schaffen, leistungsstarke junge
Menschen vom Wert der beruflichen Ausbildung zu
überzeugen, sodass sie nicht automatisch den Gang zu
einer Hochschule antreten.
({0})
Ich bin der festen Überzeugung - darauf wäre ich später noch eingegangen; Sie haben mir durch Ihre Frage
die Möglichkeit eröffnet, schon an dieser Stelle darüber
zu sprechen -, dass es uns über den Bereich der beruflichen Bildung hinaus gelingen muss, stärker an die jungen Menschen heranzukommen. Da liegen wir gar nicht
weit auseinander. Ich gebe Ihnen in diesem Punkt völlig
recht.
Aber wir müssen sehen, dass wir nur Stück für Stück
vorankommen können. Wir können es uns, wie gesagt,
nicht erlauben, jemanden zurückzulassen. Es gibt viele
junge Menschen, deren Begabung noch nicht erkannt
wurde. Diese müssen wir erreichen. Ich sage ausdrücklich, dass der Bund das nicht alleine schultern kann. Alle
politischen Ebenen stehen hier in der Verantwortung.
Was der Bund an finanzieller Entlastung beitragen kann,
das wird er gerne leisten.
({1})
Wir sind uns alle darüber einig, dass wir unser Erfolgsmodell „berufliche Bildung“ - es ist doch ein Erfolgsmodell - aufrechterhalten und stärken wollen. Ich
sagte es bereits: Wir können diese jungen Menschen
nicht zurücklassen. Demografie und Fachkräftemangel
kommen hinzu.
Die Probleme beginnen nicht erst, wenn ein junger
Mensch unmittelbar im Übergang von der Schule zur
Ausbildung ist, und sie hören an dieser Stelle auch nicht
auf. Daher haben wir es - ich sage es noch einmal nicht mit einer Aufgabe allein des Bundes zu tun, sondern es geht nur voran im Dialog mit allen politischen
Ebenen, den Betrieben, den Sozialpartnern, kurz: einer
Allianz für Aus- und Weiterbildung, Stichwort „Bildungsketten“.
Wir brauchen ausbildungsbegleitende Hilfen. Wir brauchen eine Stärkung der Qualifizierung. Wir brauchen
eine Erhöhung der Durchlässigkeit im Bildungssystem.
Das sind alles Punkte, über die wir reden müssen, die Sie
übrigens auch im Koalitionsvertrag finden können. Ich
bin mir sicher: Diese Aufgabe wird in der kommenden
Zeit einen breiten Raum einnehmen und einen Schwerpunkt bilden. Denn nur wenn wir sie bewältigen, bleibt
unser Land auf Dauer stark. Lassen Sie uns gemeinsam
daran arbeiten.
Danke schön.
({2})
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Forschung muss marktnah sein. Forschung
muss der Exportindustrie nutzen. - Das ist der Bundesregierung, das war auch heute zu hören, extrem wichtig.
Aber von der Erforschung von Risiken - von Technologiefolgen sowie den Risiken unseres Wirtschaftens hört man nichts.
({0})
Was passiert, wenn man Risikoforschung unterlässt,
möchte ich Ihnen an einem kleinen Beispiel einmal näher erläutern. Seit den 80er-Jahren wurden Pkw-Klimaanlagen verbreitet eingesetzt.
({1})
Damals setzte man auf FCKW, weil es nicht brennt.
Dann begann sich die Ozonschicht aufzulösen. Man fing
an zu suchen und entdeckte FCKW als Ursache.
Herr Kollege, Ihr Redebeitrag hat schon einen Nachfragewunsch ausgelöst. Wollen Sie eine Nachfrage des
Kollegen Feist zulassen?
({0})
Ja.
Bitte, Herr Feist.
Sehr geehrter Kollege, Sie haben gesagt, Forschung
und Innovation sei uns wichtig, Export natürlich auch
- das ist klar -; aber für Technikfolgenabschätzung gäben wir nichts aus.
Nicht so viel.
Was ist Ihrer Meinung nach der Betrag, den wir jährlich für Technikfolgenabschätzung ausgeben?
Ich sagte nicht, Sie gäben nichts aus. Ich sagte - wenn
Sie genau zugehört hätten, wüssten Sie es -: Davon hört
man bei Ihnen nichts.
Ich verweise auf die EU-Kommission, der auch Mitglieder Ihrer Partei angehören: Das EU-Forschungsrahmenprogramm stellt 70 Milliarden Euro für Innovation
und Forschung und 460 Millionen Euro für - ({0})
- „2 Millionen Euro“ - Wahnsinn! Wissen Sie, wie viel
Sie für Kernenergieforschung ausgegeben haben?
168 Milliarden Euro, allerdings ohne die Folgen zu berücksichtigen.
({1})
Ich fahre fort.
Dann begann sich die Ozonschicht aufzulösen, und Sie
haben FCKW als Ursache identifiziert. Ihre industrienahen Forscher entwickelten dann R134a als Kältemittel Problem gelöst. Das dachte man, bis im Zusammenhang
mit der Klimaerwärmung Ihre Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler endlich erkannten: Dieses Mittel wirkt
klimaerwärmend; es muss weg. Die EU-Kommission
sorgte für ein Verbot ab 2017.
Jetzt stellt die industrienahe Forschung ein neues
Wundermittel bereit: R1234yf. Nebenwirkung: hohe
Brennbarkeit. 1980 wäre so etwas noch verboten gewesen. Ein Zerfallsprodukt dieses Mittels ist Trifluoressigsäure. Sie schädigt Wasserorganismen und baut sich
nicht ab. Völlig ausgeblendet wurde: Beim Verbrennen
dieses Mittels entsteht Fluorwasserstoff und daraus
Flusssäure. Spätestens jetzt sollten Sie begreifen, dass
die Risikoforschung unverzichtbar ist und die Mittel dafür maximal aufgestockt werden müssen.
({2})
Gefahren durch Weichmacher, Nebenwirkungen von
Nanopartikeln - die Risiken dieser Kältemittel wurden
stets erst nach dem Auftreten von Schäden erkannt. Bisher
hat auch diese Regierung nicht gelernt, dass man Forschung zu Umweltfragen, zu ethischen Gesichtspunkten
und zum Schutze der Menschen massiv verstärken muss.
Die Linke fordert hier deutlich mehr Mittel.
({3})
Es ist ein Armutszeugnis, dass erst die Deutsche Umwelthilfe mit Versuchen an Pkw nachwies, dass
R1234yf, in Pkw eingefüllt, zur tödlichen Konzentration
von Flusssäure führen kann. Kein Institut, keine Universität, keine Bundesbehörde untersuchte dies - trotz deutlicher Hinweise. Frau Ministerin Wanka, meist müssen
Menschen und Umwelt die Folgen von unterlassenen Risikountersuchungen tragen. Deshalb müssten Sie handeln.
Übrigens: Die Automobilindustrie muss mehrere Milliarden Euro einsetzen, um das von R1234yf verursachte
Dilemma zu beseitigen. Allerdings hält sich mein Mitleid da in Grenzen.
Wenn Sie zukünftig Schaden von Menschen, Umwelt
und auch von Ihrer geliebten Industrie abhalten wollen,
dann erhöhen Sie die Mittel für die Risikoforschung! Die
Linke wird dies unterstützen.
({4})
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Oliver Kaczmarek, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter dem
Gesichtspunkt der Wettbewerbsfähigkeit oder vor dem
Hintergrund, dass wir in Deutschland insgesamt weniger
Menschen werden, dass wir aber zunehmend älter werden und trotzdem den gleichen Wohlstand erwirtschaften
müssen, ist es richtig, dass man jetzt in Bildung und Forschung investieren muss. Ich sage auch: 9 Milliarden
Euro zusätzlich in den nächsten vier Jahren, das ist eine
stolze Summe. Das kann man hier im Plenum auch ruhig
mehrmals sagen.
({0})
Es ist aber genauso richtig, dass Bildung für die Menschen natürlich noch mehr bedeutet. Bildung kann Menschen aus ihrer Unmündigkeit befreien. Sie kann sie zu
kritikfähigen Menschen machen, die ihr Leben selbst in
die Hand nehmen. Deswegen ist es unsere Aufgabe, für
die beste Bildung für alle zu sorgen, und zwar unabhängig davon, welches Geschlecht sie haben, wo sie herkommen oder was die Eltern besitzen oder waren.
({1})
Wir finden uns mit der bestehenden Ungerechtigkeit
nicht ab. Deswegen, Frau Wanka, können Sie sicher
sein, dass wir Ihre Verbündeten sind, wenn es darum
geht, Bildungsgerechtigkeit zu schaffen.
Ich will im weiteren Verlauf zu drei zentralen Herausforderungen Anmerkungen machen:
Die erste Anmerkung - Frau Kollegin Lips hat das
schon angesprochen - betrifft das duale System der Berufsausbildung. Ich glaube, es braucht mehr als schöne
Worte. Wir müssen es noch attraktiver gestalten und
Brücken für alle bauen.
({2})
Es ist unbestritten - das darf ja in keiner Rede fehlen -,
dass das duale System eines der Prunkstücke des deutschen Bildungswesens und natürlich auch das Rückgrat
der industriellen Wirtschaft und des Handwerks ist.
({3})
Wir müssen aber auch feststellen - ich finde, dass auch
die offene Diskussion über den Berufsbildungsbericht,
die wir im Ausschuss geführt haben, das deutlich gemacht hat -, dass sich die Situation aus Sicht vieler ausbildungswilliger junger Menschen verschlechtert hat.
Viele, die ausgebildet werden wollen, finden keinen
Ausbildungsplatz, und die Zahl der ausbildenden Betriebe hat sich erneut verringert.
({4})
Wir müssen alles unternehmen, um die Leistungsfähigkeit des dualen Systems zu erhalten. Dazu müssen
wir aus meiner Sicht in den nächsten vier Jahren dafür
sorgen, dass kein Jugendlicher, der noch eine Brücke in
die Ausbildung braucht, Zeit verliert.
({5})
Es ist natürlich richtig, in den Maßnahmendschungel
einzugreifen und eine bessere Instrumentenreform
durchzuführen, als es in der vergangenen Wahlperiode
der Fall war.
({6})
Wir müssen auch dafür sorgen, dass keine Maßnahme,
kein Übergang ohne Anschluss bleibt. Das Ziel ist die
Berufsausbildung für alle jungen Menschen, die das
wollen.
({7})
Die SPD ist überzeugt, dass das duale System in der
Lage ist, sich großen Herausforderungen zu stellen. Wir
finden es richtig, dass wir uns in der Koalition darauf
verständigt haben, den Ausbildungspakt zusammen mit
den Sozialpartnern zu einer Allianz für Aus- und Weiterbildung weiterzuentwickeln. Ich denke, in dieser gemeinsamen Kraftanstrengung muss es uns gelingen,
dafür zu sorgen, dass jeder Jugendliche, der einen Ausbildungsplatz sucht, auch tatsächlich einen findet. Wir
wollen eine Ausbildungsgarantie verwirklichen, auf die
sich junge Menschen verlassen können. Jeder, der einen
Ausbildungsplatz sucht, soll auch einen bekommen. Das
ist ein wichtiges bildungspolitisches Ziel.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zweite Anmerkung. Es ist natürlich an der Zeit, das BAföG zu modernisieren und zu verbessern. Es ist unstrittig: Auch über
40 Jahre nach seiner Einführung ist das BAföG ein unverzichtbares Element der Studienförderung, das vielen
jungen Menschen dabei hilft, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ein Studium überhaupt erst aufzunehmen.
Deshalb sind wir gemeinsam, denke ich, der Meinung
- das wird auch im BAföG-Bericht nachzulesen sein -,
dass die über 3 Milliarden Euro, die Bund und Länder
jedes Jahr für das BAföG ausgeben, wirklich sehr gut
angelegtes Geld sind.
({9})
Aber es ist eben auch nicht von der Hand zu weisen,
dass es hier Reformbedarf gibt, weil sich die hochschulrechtlichen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern. Deshalb müssen wir gemeinsam mit den
Ländern - es liegt auf der Hand, dass es nicht anders
geht - einen Modernisierungsschub beim BAföG erzeugen, der die Situation der Studierenden spürbar und substanziell verbessert, und zwar noch in dieser Wahlperiode. Das ist unser gemeinsames politisches Ziel.
({10})
Dritte Anmerkung: Bund, Länder und Kommunen
müssen sich ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung für
die Bildungspolitik gemeinsam stellen. Wir freuen uns,
dass so viele junge Menschen wie noch nie in Deutschland ein Hochschulstudium aufgenommen haben. Damit
sind große finanzielle Herausforderungen verbunden,
die Bund und Länder gemeinsam im Hochschulpakt angegangen sind.
Die SPD hat in den vergangenen Jahren immer wieder
angemahnt, dass der Bund seine Ausgaben zeitnah an
die aktuellen Entwicklungen an den Hochschulen anpassen muss. Deshalb ist es folgerichtig - das haben wir im
Koalitionsvertrag vereinbart -, die Verhandlungen über
die dritte Phase des Hochschulpaktes zügig aufzunehmen und bundesseitig die Grundfinanzierung der Hochschulen zu verbessern.
({11})
Es ist uns allen klar, dass der Bund dabei gemeinsam
mit den Ländern Verantwortung dafür übernehmen
muss, dass die Basis der Bildungsfinanzierung verbreitert wird. Wir müssen deshalb die Voraussetzungen dafür
schaffen, dass Bund und Länder in der Bildung tatsächlich sinnvoll miteinander kooperieren können. Dazu gehört auch die Forderung, das Grundgesetz entsprechend
zu ändern. Wir als SPD wollen das weiterhin nicht nur
auf Teilbereiche bezogen sehen, sondern auf die Gesamtverantwortung für das Bildungswesen beziehen.
Wir werden jedoch gemeinsam darüber reden, wie wir
das umsetzen können.
Ich sage noch eines: Ich würde mich freuen, wenn
sich die Große Koalition in dieser Frage auch angesichts
der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat als Koalition
der Einladung begreift, die alle relevanten politischen
Akteure in Bundestag und Bundesrat zum Mitgestalten
einlädt. „Gemeinsam etwas nach vorne bringen“ - beim
BAföG, bei der Hochschulfinanzierung -, das wäre eine
schöne Überschrift für die nächsten vier Jahre. Wir
freuen uns darauf.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile dem Kollegen Gehring das Wort zu einer
Kurzintervention.
Ich hätte gerne eine kurze, knackige Frage gestellt.
Aber da mein Handzeichen nicht wahrgenommen wurde,
bleibt nur die Möglichkeit einer Kurzintervention.
Herr Kaczmarek, Sie hatten im Mai letzten Jahres mit
viel Tamtam einen Antrag zu einem Ganztagsschulprogramm in den Deutschen Bundestag eingebracht. Er beinhaltete einen „Masterplan Gute Ganztagsschule“. In
einem ersten Schritt wollten Sie in den ersten vier Jahren
8 Milliarden Euro in den Ausbau von Ganztagsschulen
investieren. Sie haben dazu jetzt nichts gesagt. Ich
möchte gerne von der SPD-Bundestagsfraktion wissen,
was daraus geworden ist, inwieweit Sie sich für Ganztagsschulen weiter einsetzen wollen. Sie haben das Kooperationsverbot angesprochen.
({0})
- Darf ich meine Kurzintervention zu Ende führen?
Danke. Sie können sich gerne melden und beteiligen.
Wir sind ein Beteiligungsparlament.
Ich bitte, geschäftsleitende Bemerkungen dem Präsidium zu überlassen, Herr Kollege.
({0})
Danke, Herr Präsident. - Sie haben gerade zum Kooperationsverbot Stellung bezogen. Wenn es nicht fallen
sollte: Welche Umgehungstatbestände plant die SPD, um
ihr Vorhaben umzusetzen?
Kollege Kaczmarek möchte antworten.
Vielen Dank, Herr Kollege Gehring, für die Gelegenheit, noch einmal darauf eingehen zu können. - Natürlich hält die SPD-Fraktion gemeinsame Anstrengungen
von Bund und Ländern mit dem Ziel einer Initiative zum
Ganztagsschulausbau für wünschenswert.
({0})
Ich will das noch einmal betonen. Aber Sie kennen auch
das Ergebnis der Bundestagswahl.
({1})
Zu diesem Thema konnten wir in der Koalition keine Einigkeit erzielen. Wir beide kommen aus NordrheinWestfalen. Wir wissen, dass in Koalitionsverhandlungen, egal in welcher Farbkombination, immer Kompromisse gemacht werden müssen. Leider müssen wir an
dieser Stelle akzeptieren, dass wir in diesen vier Jahren
hier nicht weiterkommen. Aber wer weiß, was danach
ist.
({2})
Als Nächstem erteile ich das Wort zu seiner ersten
Rede im Deutschen Bundestag dem Kollegen Dr. Wolfgang
Stefinger, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich freue mich, dass ich meine erste Rede hier
im Deutschen Bundestag zu einem Thema halten darf,
das für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes von entscheidender Bedeutung ist. Bildung und Forschung sind
Grundlage für Wohlstand, Fortschritt und Wirtschaftswachstum. Bildung und Forschung haben in der unionsgeführten Bundesregierung einen hohen Stellenwert.
Seit 2005 sind die Investitionen in diesem Bereich stetig
gewachsen.
({0})
Nie zuvor wurde in unserem Land so viel in Bildung und
Forschung investiert wie unter Angela Merkel, und das
trotz des notwendigen Konsolidierungskurses beim Bundeshaushalt.
({1})
In diesem Jahr sollen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung rund 14 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Bei Regierungsübernahme 2005 lag die
Zahl noch bei rund 7,5 Milliarden Euro.
({2})
Alleine dadurch wird deutlich: Wir investieren massiv in
die Zukunft unseres Landes, und dieses Geld ist gut angelegt.
({3})
Gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland
ist es wichtig, unsere Spitzenstellung auf dem Gebiet der
Lehre und Forschung nicht nur zu halten, sondern auszubauen. Wir wollen eine attraktive, wettbewerbsfähige
und international vernetzte Hochschullandschaft mit
besten Rahmenbedingungen für die Studierenden und
den wissenschaftlichen Nachwuchs.
In den letzten Jahren wurden nicht nur die Finanzmittel für den Bildungs- und Forschungsbereich spürbar erhöht, sondern auch konkrete Maßnahmen ergriffen, von
denen die Hochschulen erheblich profitieren. Lassen Sie
mich den Hochschulpakt 2020 herausgreifen, durch den
zusätzliche Studienplätze geschaffen werden konnten.
Über 500 000 junge Menschen haben im letzten Jahr ein
Studium aufgenommen. Das ist absoluter Rekord. Diesen beachtlichen Erfolg verdanken wir dem Hochschulpakt und dem Zusammenspiel von Bund und Ländern,
und diese Zusammenarbeit müssen und wollen wir fortsetzen, weil dieser Weg richtig und wichtig ist, meine
sehr geehrten Damen und Herren.
({4})
Unsere Hochschulen genießen international einen
hervorragenden Ruf. Der schönste Beleg dafür ist die
Zahl der ausländischen Studierenden, die zu uns kommen, um hier bei uns in Deutschland zu studieren. Sie
kommen gerne nach Deutschland, denn sie wissen um
die Qualität der Ausbildung und darum, welche beruflichen Chancen sich für sie im Anschluss ergeben.
Lassen Sie mich aber auch ein Augenmerk auf diejenigen richten, die ihr Studium nicht weiterführen. Ihnen
wollen wir eine neue berufliche Perspektive eröffnen.
Wir müssen aber auch klar kommunizieren, dass der
Handwerker für unsere Gesellschaft genauso wichtig ist
wie der Ingenieur.
({5})
Der Fleißige und Lernwillige bekommt vielfältige Chancen und Unterstützung, um weiter voranzukommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen eine verlässliche Ausbildungsförderung sicherstellen, damit geDr. Wolfgang Stefinger
rade Studierende gefördert werden können, die aus einem finanziell schwächeren Umfeld kommen. Daneben
bieten unsere Begabtenförderungswerke zusätzliche Finanzierungs- und Bildungschancen für unseren hochqualifizierten Nachwuchs. Seit 2005 hat sich die Zahl der
Stipendien mehr als verdreifacht. Auch das Deutschlandstipendium ist ein Erfolg und wird fortgeführt.
({6})
Damit zeigen wir jungen Menschen, dass sich Leistung
lohnt.
Bei all diesen Erfolgen sind wir uns natürlich bewusst, dass es weiterhin viel zu tun gibt. Einer Reihe von
Herausforderungen wollen und werden wir uns gemeinsam mit den Akteuren im Wissenschaftsbereich stellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die
unionsgeführte Bundesregierung ist klar: Gute Bildung
ist der Schlüssel zu einem erfolgreichen Berufsleben.
Eine aktive Innovations- und Forschungspolitik ist Basis
für Wachstum und Wohlstand. Die Weichen sind richtig
gestellt. Der Bildungszug fährt; er fährt in die richtige
Richtung und mit Volldampf in die Bildungsrepublik
Deutschland.
Vielen Dank.
({7})
Das Präsidium gratuliert Herrn Dr. Stefinger zu seiner
ersten Rede und dankt für die Einhaltung der Redezeit.
Es ist nämlich eine Frage der Solidarität: Wenn sich jeder an die Redezeit hält, kommen auch alle zu ihrem
Recht.
({0})
Ebenfalls zu ihrer ersten Rede gebe ich jetzt Frau
Dr. Simone Raatz von der SPD-Fraktion das Wort.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann mich der Ministerin und meinen Vorrednern von der Koalition in einem Punkt sofort anschließen - ich wiederhole gerne, was schon gesagt
wurde -: Mit dem Koalitionsvertrag setzen wir ein starkes Signal für die Zukunftsfelder Bildung und Forschung. Wir wollen hier 9 Milliarden Euro zusätzlich bereitstellen.
({0})
Wir werden gemeinsam im Ausschuss beraten, wie wir
diese Mittel zielgerichtet einsetzen können. Frau Lips,
ich gebe Ihnen recht: Das ist in jedem Fall eine gute Investition in die Zukunft.
Frau Gohlke, ich habe Ihrem Redebeitrag intensiv gelauscht und kann nicht ganz verstehen, warum Sie immer in einem Totalverriss enden müssen. Wie Sie mitbekommen haben, sind nicht alle Blütenträume gereift.
Jedoch sollten Sie sich einmal anschauen, was im Koalitionsvertrag verankert ist. Vielleicht sind einige Punkte
dabei, die auch Ihnen gefallen werden. Diese könnten
Sie dann in Ihrer Rede ruhig einmal erwähnen. Ich finde,
ein bisschen Balance wäre nicht schlecht.
({1})
Herr Lenkert, ich bin Chemikerin, aber ich muss ehrlich sagen: Ich konnte Ihnen nicht bei allem folgen. Vielleicht sollten wir in einem Zwiegespräch noch einmal
darüber reden. In der heutigen Debatte möchte ich jedoch keine weiteren Ausführungen dazu machen.
({2})
- Gut.
Ich möchte meinen Blick auf die Forschung in Ostdeutschland richten, und das nicht, weil das bisher keiner
gemacht hat. Das hat zwei andere Gründe. Der erste ist
ein ganz persönlicher Grund. Ich komme aus Freiberg,
einer Stadt in Mittelsachsen mit Bergbautradition und einer technischen Universität. Es ist ein interessanter Ort
mit viel innovativer Kompetenz. Als langjährige Mitarbeiterin an dieser Universität hatte ich viele Gelegenheiten, verschiedenste Förderprogramme kennenzulernen
und mich mit ihren Stärken und Schwächen auseinanderzusetzen.
Der zweite Grund ist eher allgemeiner Art. Ostdeutschland verfügt mittlerweile über ein wirklich gutes
Netz von Bildungs- und Forschungseinrichtungen mit
hoher Innovationskraft. Es hat mich sehr gefreut, dass
Frau Ministerin Wanka das Thema Innovation in ihrem
Programm und auch heute in ihrer Rede an erste Stelle
gestellt hat.
({3})
Dieses dichte Netz ist eine gute Grundlage für die Stärkung einer wissensbasierten regionalen Wirtschaft, gerade auch in Ostdeutschland.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen:
Diese Entwicklung ist nicht vom Himmel gefallen. In
der letzten Großen Koalition haben wir gemeinsam viel
dafür getan. Die SPD hat diese Entwicklung maßgeblich
durch Programme wie „Unternehmen Region“ mit initiiert. Mein besonderer Dank gilt hierbei Edelgard
Bulmahn - ich bewundere es immer wieder, wie sie sich
damals durchgesetzt hat -, die dieses Programm auf den
Weg gebracht hat.
({4})
„Unternehmen Region“ ist ein Innovationsprogramm,
das mittlerweile mit acht Einzelinitiativen den Ausbau
technologischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher
Kompetenzen in den neuen Bundesländern fördert. Aufgrund der Erfahrungen aus meinem Wahlkreis kann ich
bestätigen, dass diese Förderinitiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in strukturschwächeren Regionen ganz wichtige Wachstumsimpulse gesetzt
hat und - so hoffe ich - weiterhin setzen wird. Darüber
hinaus leistet diese Initiative einen ganz wesentlichen
Beitrag zur Nachwuchsförderung und zur Internationalisierung. Bisher war sie ein sehr großer Erfolg.
({5})
So wird an der Freiberger Universität ein Zentrum für
Innovationskompetenz mit dem Namen „Virtuhcon“
- Virtuelle Hochtemperaturkonversionsprozesse - mit
etwa 17 Millionen Euro gefördert. Ziel ist es, die Region
nachhaltig zu stärken. Beschäftigt sind hier 25 Nachwuchswissenschaftler, prima junge Leute aus immerhin
neun Nationen - das ist bemerkenswert -, die eng mit
der regionalen Wirtschaft kooperieren und nicht nur vor
Ort wichtige Impulse setzen. Es ist deshalb absolut richtig und wichtig, dass solche Programme in der Großen
Koalition weitergeführt werden.
({6})
Es freut mich außerordentlich, dass im Bundeshaushalt für 2014 erneut 146 Millionen Euro speziell für die
Innovationsförderung in den neuen Ländern vorgesehen
sind.
Trotz der unbestritten positiven Entwicklung müssen
wir an manchen Stellen zukünftig nachjustieren. So gibt
es nach wie vor Schwierigkeiten bei der Übertragbarkeit
von Forschungsergebnissen auf die Wirtschaft. Die Lücke zwischen wissenschaftlicher Grundlagenforschung
auf der einen Seite und kommerzieller Verwertung auf
der anderen Seite ist ein chronisches Defizit des deutschen Forschungs- und Innovationssystems. Diese Situation zu verbessern, wird eine unserer Aufgaben in dieser
Legislaturperiode sein.
Womit ich beim zweiten Punkt bin: Es gibt nach wie
vor deutliche Strukturunterschiede zwischen Ost und
West. Während in den alten Ländern ein Großteil der
Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen aus der
Wirtschaft direkt kommt, werden diese Aufwendungen
in den neuen Ländern meistens staatlich finanziert. So
investieren beispielsweise die Unternehmen in BadenWürttemberg 3,6 Prozent des landesweiten BIP in Forschung und Entwicklung. Schauen wir einmal nach
Brandenburg oder Sachsen-Anhalt: Dort sind es gerade
einmal 0,3 Prozent, also nicht einmal ein Zehntel. Ich
denke, da müssen wir etwas tun. Programme wie Industrie 4.0 sind richtige Ansätze, um die Zusammenarbeit
und den Austausch zwischen Wirtschaft und Forschungseinrichtungen insgesamt zu fördern und die Industrie zu weiteren Investitionen zu bewegen.
({7})
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss.
Sie sehen, wir haben bereits viel Gutes auf den Weg
gebracht. Ich hoffe, dass wir dies verstetigen können, um
die Entwicklung nachhaltig zu gestalten. Ich bin mir
nach den Worten von Frau Ministerin Wanka sicher, dass
wir diese Programme weiterführen werden und dem
Ausbau von Programmen wie „Unternehmen Region“
von unserer Seite zukünftig nichts im Wege stehen wird.
Vielen Dank.
({0})
Frau Kollegin Dr. Raatz, Glückwunsch zu Ihrer ersten
Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Letzter Redner in der Aussprache ist mit seiner ersten
Rede im Deutschen Bundestag Stephan Albani, CDU/
CSU-Fraktion. - Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Albani.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Bevor ich zum eigentlichen Thema meiner
Ausführungen komme, möchte ich ganz kurz auf die
herbe Wirtschafts- und Industrieschelte eingehen, die
wir hier vor 20 Minuten hören mussten.
Für mich, der ich seit 20 Jahren an der Schnittstelle
zwischen Wissenschaft und Wirtschaft arbeite, sind Wissenschaft und Wirtschaft keine Gegenpole. Wissenschaft
und Wirtschaft, Hochschule und Industrie sind keine Gegenpole, sondern im Prinzip zwei Elemente einer Prozesskette. Sie muss funktionieren - fraglos -, aber die
Elemente sind nicht zu trennen, erst recht nicht in gut
und schlecht; das wäre zu einfach.
({0})
- Das ist okay.
Als Redner bin ich nun zwar der Letzte in der Debatte
zur Regierungserklärung. Thematisch stehen Forschung
und Innovation aber am Anfang jedes erfolgreichen Projektes der Menschen. Ohne Innovationsfreude wären wir
heute nicht hier, in diesem sehr innovativen Haus mit
Erdwärmeheizung und Solaranlagen auf dem Dach.
({1})
- Bitte?
({2})
- Und kreativen Abgeordneten. Natürlich, um Gottes
willen, nicht zu vergessen.
({3})
Und mit einer hervorragenden Audiotechnik. Diese Bemerkung sei mir erlaubt, da ich aus diesem Bereich
komme. Dank der Technik können Sie mich bestens hören und im Wahlkreis sogar sehen. Das ist ein schönes
Beispiel dafür, dass Innovationen manchmal zwei AnStephan Albani
läufe brauchen - manche werden sich noch erinnern -,
bevor sie richtig funktionieren.
Gerade diese unsere deutschen Forschungsergebnisse
und unsere Innovationskraft waren und sind unsere
Stärke. Ein Fünftel der Wirtschaftsleistung unseres Landes wird durch den Export eben jener Technologiegüter
erbracht. Wir haben immer mit Köpfchen kompensiert,
was uns an Rohstoffen fehlte. So haben wir es zu Wohlstand gebracht und in der Welt viel Anerkennung bekommen.
Wenn es nun um die nachhaltige Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland geht - sie wurde in Meseberg wieder zur Leitlinie erklärt -, dann müssen wir
diese Innovationsfähigkeit unseres Landes nicht nur erhalten, sondern auch verstärken und ausbauen. Und wir
müssen neue Wege suchen; denn wer aufhört, besser zu
werden, hat aufgehört, gut zu sein - Philip Rosenthal.
Die Tatsache, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2005 mit großer Kontinuität geführt wurde, ist - das möchte ich als jemand, der aus der
Forschung kommt, einmal sagen - ein Glücksfall; denn
Kontinuität in der Bildungs- und Forschungspolitik war
entscheidend für die Erfolge der letzten Jahre.
({4})
Wir haben in diesem Zeitraum die Anzahl angemeldeter Patente um 16 Prozent steigern können und liegen damit konstant vor den USA und Japan.
({5})
Die Festschreibung des Anteils von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung auch für
die nächsten Jahre garantiert die Absicherung dieser Forschungsergebnisse und vieler weiterer Förderprojekte.
Wer sich davon überzeugen will, kann dies einfach tun,
indem er die Internetseite www.foerderkatalog.de aufruft. 110 000 Projekte von Kreativität und Erfolg sind
dort zu sehen.
({6})
Wir müssen heute säen, wenn wir morgen wirtschaftlichen Erfolg ernten wollen. Das gilt insbesondere für
den Bereich Forschung und Innovationen. Das begründet die klare Priorisierung der gesamten Bildungs- und
Forschungspolitik. Die Bundesregierung unter Angela
Merkel steht dafür, und klare Zahlen belegen das. So ist
das Haushaltsvolumen des BMBF von 2005 bis zum jetzigen Zeitpunkt um 82 Prozent gestiegen.
({7})
Damit kann die Hightech-Strategie als strategische Innovationspolitik gestaltet werden. Sie geht von Deutschlands traditionellen Kernkompetenzen aus, aber sie wird
nun auch als umfassende und ressortübergreifende Innovationsstrategie in Deutschland weiterentwickelt.
Zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen,
die wir mit dieser Innovationsstrategie bewältigen wollen, gehören vor allen Dingen Veränderungen aufgrund
des demografischen Wandels, in der Digitalisierung und
auch in der nachhaltigen Wirtschaftsweise. Auch eine
weise Energiepolitik kann dank neuer Resultate im Bereich von Speichermedien und der effizienten Nutzung
der regenerativen Energien möglich werden. Wir wollen
diese Zukunftsaufgabe im Verbund von Wissenschaft,
Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gestalten.
Deutschland ist aber auch Schrittmacher in ganz anderen Bereichen, zum Beispiel in der medizinischen Forschung. In diesem Bereich der Gesundheitsforschung,
wo Forschung im Dienste der Menschen steht - das ist
generell so -, werden von uns zukünftig weitere Projekte
in den Fokus genommen werden. Es geht dabei zum Beispiel darum, Krankheiten mit individualisierter Medizin
besser therapieren zu können und so nicht nur Forschungsergebnisse zu erreichen, sondern unser aller Zukunft und persönliche Lebensqualität zu verbessern.
Im Alter ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, wird auch weiterhin Inhalt und Fokus von Forschung sein. Hier zeigt sich, dass zum Beispiel ein weiterer Schwerpunkt kommunale Beratungsstellen unter
dem Motto „Besser leben im Alter durch Technik“ sein
werden. Dies zeigt, dass Forschung auf der einen Seite
und die Vermittlung der Ergebnisse auf der anderen Seite
elementare Aufgaben der Forschungs- und Innovationspolitik sind.
({8})
Zu den Forschungsaufgaben gehört auch, die europäischen und internationalen Forschungskooperationen auszubauen und zu vertiefen. Im Austausch mit anderen und
vom Wissen anderer können wir nur profitieren. Ja, das
alles kostet Geld. Gestern hat Herr Riesenhuber dies
charmant mit „gell“ quittiert. Es braucht auch Zeit. Diese
Zeit müssen wir geben. Wir investieren in kluge Köpfe,
dürfen aber die Herzen nicht vergessen. Wir müssen unseren Wissenschaftlern zur Seite stehen, wenn sie der
Mut verlässt, das eine oder andere Forschungsergebnis
in tragfähige Produkte zu überführen.
Wir sind auf einem richtigen Weg, wenn wir konsequent und kontinuierlich in Forschung und Innovationen
investieren, wenn wir jungen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern den Mut zur Innovation, den Mut zur
Umsetzung ihrer Erkenntnisse in Produkte geben, wenn
wir die Hightech-Strategie zu einer umfassenden und
ressortübergreifenden Innovationsstrategie weiterentwickeln und mit dem Hochschulpakt den Hochschulen verlässliche Perspektiven und Planungssicherheit für die
nächsten Jahre verschaffen. Denn so können wir mit
Freude am Neuen in den Augen, mit Mut zur Umsetzung
in den Herzen und aus der Kreativität unserer Köpfe die
Zukunft gestalten.
Herzlichen Dank.
({9})
Herzlichen Glückwunsch an Kollegen Albani zu seiner ersten Rede.
({0})
Vizepräsident Peter Hintze
Weitere Wortmeldungen zu dem Themenbereich liegen nicht vor.
Wir sind damit am Schluss der Aussprache zu der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin angelangt. Ich
schließe die Aussprache.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Vereinbarte Debattezur aktuellen Situation in der Ukraine
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Franz Thönnes von der SPD-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
So wie kein Mieter das Recht hat, in seiner Wohnung Feuer anzuzünden, mit der Berufung auf die
Heiligkeit des Heims, so wenig dürfen Staaten ohne
Gefährdung des Friedens Innenpolitik auf eigene
Faust machen, soweit diese den Frieden in Frage
stellt. Wir wohnen nicht mehr in einzelnen Festungen des Mittelalters, wir wohnen in einem Haus.
Und dieses Haus heißt Europa.
({0})
So hat es der große deutsche Schriftsteller Kurt
Tucholsky 1926 formuliert. Heute sind wir an dem
Punkt, dass wir uns 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen
Vorhangs erneut mit einer sehr brisanten Situation auseinandersetzen müssen, über die wir hier im Plenum
schon einmal in dieser Woche diskutiert haben, über die
wir im Ausschuss diskutiert haben und über die wir
heute auch in dieser gemeinsamen Debatte diskutieren.
Es geht erneut darum, den Prozess der Einigung Europas
zu behandeln und kritisch zu betrachten und dabei eine
gute, friedliche Perspektive zu finden.
Seit dem 21. November demonstrieren Menschen in
der Ukraine für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie, gegen Korruption und soziale Ungerechtigkeit und
für eine gute Zukunft ihres Landes. Die Demonstrationen waren am Anfang gewaltfrei. Wir wissen aber: Je
länger so etwas dauert, umso gereizter werden die Gemüter und umso eher verbreitet sich auch Gewalt.
Ich glaube, uns eint hier die gemeinsame Auffassung,
dass eine friedliche Lösung gefunden werden muss, dass
eine gewaltfreie Lösung gefunden werden muss und dass
die Ukraine eine gute, demokratische, den Menschenrechten gerecht werdende Perspektive in Europa haben
muss.
({1})
Die Bundesregierung und Außenminister Steinmeier
haben mit der notwendigen Klarheit und, ich sage auch,
mit der gebotenen Sensibilität reagiert, Telefonate und
Gespräche mit Staatspräsident Janukowitsch und den
Oppositionsvertretern geführt. Ich denke, dass es gut
war, den Einfluss Deutschlands wahrzunehmen. Die
heute beginnende Sicherheitskonferenz in München
wird eine weitere Gelegenheit sein, Versuche zu unternehmen, die Konflikte zu lösen. Ich glaube, dass diese
Perspektive der Ukraine so ausgerichtet sein muss, dass
Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eine Zukunft
haben. Ich sage auch ganz deutlich: Rechtsextremistische und nationalistisch orientierte Kräfte, die gegen
diese Werte kämpfen, werden dabei nicht hilfreich sein.
({2})
Erste Schritte sind gemacht, repressive Gesetze zurückgenommen worden, insbesondere was die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit angeht. Die Regierung ist zurückgetreten. Das sind gute Zeichen, wenn sie
nicht Taktik sein sollen, wenn es nicht darum geht, Zeit
zu schinden. Das, was versprochen und zugesagt worden
ist, muss jetzt auch belastbar eingehalten und darf nicht
mit neuen Bedingungen verknüpft werden. Ich denke, es
gilt ganz klar: Die Verhafteten sind freizulassen. Das
Schicksal der Verschleppten, deren Situation bis heute
nicht geklärt ist, ist aufzuklären. 2 000 Verletzte, 500
aufseiten der Polizei, 6 Tote, 30 Vermisste sind genug.
Jetzt muss Schluss sein.
({3})
- Ja, richtig. Es sind zu viele.
Bei dem jetzigen Prozess brauchen wir keine Fackelträger nach dem Motto „Augen zu und durch“, weil nur
der kleinste Funke dazu führen kann, dass etwas entsteht, was wir alle nicht wollen. Deswegen ist Zurückhaltung angesagt. Es gilt, auch ein bisschen Vorsicht bei
den Vermittlern walten zu lassen, die jetzt schon
Schlange stehen. Die Betroffenen selbst müssen entscheiden, wer vermittelt. Aber wenn sie Hilfe brauchen,
dann sollen sie es sagen. Wir haben ihnen an dieser
Stelle dabei Rat zu geben.
Ich glaube, dass es auch darum geht, Russland zu sagen, dass das, was mit wirtschaftlichem Druck versucht
worden ist, genauso wenig tolerierbar ist wie die Kreativität, mit der Russland hinsichtlich der Zollformalitäten
und der Gesundheitsvorschriften für den Warenimport
nach Russland agiert.
Es ist notwendig, hier zu realisieren: Die Welt in der
Ukraine ist nicht schwarz-weiß. Es ist eine schillernde
Welt. Die Opposition ist geeint hinsichtlich ihrer Forderung nach Neuwahlen, nach Abdankung des Präsidenten
und nach Freilassung der Verhafteten, aber nicht hinsichtlich der Perspektive einer guten Zukunft in der
Ukraine. So ähnlich sieht es bei den Oligarchen aus, die
ebenfalls unterschiedliche Interessen haben. So ähnlich
sieht es auch in der Gesellschaft aus.
Deswegen glaube ich, dass auch die Europäische
Union sich fragen muss: Haben wir alles richtig gemacht
in der Phase der Assoziierungsverhandlungen? Ist nicht
leichtfertig übersehen worden, welche ökonomischen
und mentalen Verbindungen zu Russland bestehen, wenn
man weiß, dass die Geburtsstunde Russlands im Kiew
des 8. Jahrhunderts liegt?
({4})
Das alles zu berücksichtigen wäre wichtig gewesen. Genauso hätte man sich die Fragen stellen müssen: Welche
finanziellen Herausforderungen kommen auf uns zu und
wie können wir sie gemeinsam schultern? Das bringt
mich, wenn ich den Blick nach vorne richte, zu der
Frage: Sind nicht Europa und Russland gemeinsam gefordert, eine gute Perspektive für die Ukraine in guter
Kooperation zu erarbeiten und zu gestalten, wenn es
jetzt zu einer friedlichen und gewaltfreien Lösung gekommen ist? Wir müssen wegkommen von der Schaukel
des Entweder-oder, mit der Janukowitsch in den letzten
Jahren gespielt hat. Es geht darum, sich Gedanken darüber zu machen, ob an dieser Stelle nicht mehr Kooperation entstehen kann. Europa und Russland sollten mit
der Ukraine im wirtschaftlichen Bereich eigentlich große
gemeinsame Interessen haben. Es geht darum, der
Ukraine dabei zu helfen, eine gute wirtschaftliche Perspektive zu finden: im Energiesektor, bei der Produktion
von Stahl und Eisen, aber auch bei der Kooperation im
menschenrechtlichen und im zivilgesellschaftlichen Bereich. Es geht darum, dies gemeinsam zu organisieren
und die großen ökonomischen Chancen zu realisieren.
Es geht darum, zu schauen, wie man, wenn auf der einen
Seite eine Europäische Union steht, die sich wieder stabilisieren muss, und auf der anderen Seite eine eurasische Union im Entstehen ist, gemeinsam Verträge machen kann.
({5})
Wir reden heute über ein Transatlantisches Freihandelsabkommen. Wir reden an anderer Stelle darüber,
eine Freihandelszone zu schaffen, die von San Francisco
bis Wladiwostok reicht. Ich denke, was vor der eigenen
Haustür liegt, sollte Vorrang haben. Das ist die gemeinsame Aufgabe, die sich uns allen heute stellt: zu helfen
in unserem gemeinsamen Haus Europa, und zwar gewaltfrei, lösungsorientiert und kompromissbereit.
Herzlichen Dank.
({6})
Als Nächstem erteile ich das Wort unserem Kollegen
Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.
({0})
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es völlig in Ordnung, dass
wir diese vereinbarte Debatte hier im Bundestag führen;
sie ist notwendig und sie ist richtig.
Ich denke, dass wir uns darauf verständigen sollten
- vielleicht lässt sich das nicht mit allen erreichen, aber
doch mit einer Mehrheit -, in welchem Gestus wir diese
Debatte führen wollen. Ich möchte nicht, dass in der
schwierigen Situation, in der sich die Ukraine befindet
- mein Kollege Thönnes hat es gesagt -, vom Deutschen
Bundestag aus gezündelt wird,
({0})
dass von hier Funken ausgehen, die die Situation mit
zum Explodieren bringen können. Sich zurückhalten und
ausgleichen, das ist das Gebot der Stunde; dieses Signal
muss vom Bundestag in dieser Stunde ausgehen.
({1})
Ich halte überhaupt nichts von der Androhung oder Verhängung von Sanktionen. Das wird nichts lösen, sondern
die Situation noch zuspitzen.
Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, was
eigentlich die Ursachen dafür sind, dass in der Ukraine
Hunderttausende auf die Straße gegangen sind. Zu den
Ursachen - das muss man doch begreifen! - gehört die
verzweifelte soziale Lage vieler Menschen in der
Ukraine, die sich nicht mehr ernähren können, die erfrieren und verhungern in diesem Land.
({2})
Zu den Ursachen gehört auch, dass viele ihre Zukunft
nicht mehr im eigenen Land gesehen haben, sondern darauf gehofft haben, dass sich ihnen in Europa Perspektiven eröffnen. Vielleicht sind sie auch betrogen worden,
({3})
was die Realität in Europa angeht, was die ehrliche Bereitschaft angeht, der Ukraine einen vernünftigen Zugang zu Europa zu öffnen.
Herr Kollege Gehrcke, der Kollege Sarrazin von den
Grünen würde gerne eine Frage stellen.
Ja, klar.
Herr Kollege Gehrcke, uns eint, um es einmal so zu
sagen, ein Interesse an der Geschichte der Region. Ich
habe Freunde in der Ukraine, bin regelmäßig auch privat
dort und habe die ukrainisch-polnische Grenze schon mit
allen möglichen Verkehrsmitteln überschritten. Ich habe
auch Visaeinladungen für Freunde ausgeteilt und Ähnliches.
Daraus speist sich meine Frage: Glauben Sie nicht
auch, dass eine Ursache für die jetzige Lage der tiefe
Wunsch vieler Menschen in der Ukraine ist, zum europäischen Wertesystem zu gehören, an Europa teilhaben
zu können und auch Zugang zu Europa zu erhalten, und
dass diese Menschen Angst hatten, dass sie in einer historischen Situation sein könnten, in der sie die Chance,
diese Ziele in Zukunft zu erreichen, ein für alle Mal verlieren könnten, wenn sie ihren Präsidenten jetzt nicht
stoppen? Glauben Sie nicht auch, dass das ebenfalls eine
Ursache ist, die vielleicht sogar tiefer reicht als die ebenfalls wichtige soziale Lage im Land?
({0})
Sie haben mir doch zugehört: Ich habe die prekäre soziale Lage genannt und die Verzweiflung, die daraus erwächst. Daraus resultiert der Wunsch gerade vieler junger Menschen, Zugang zu Europa zu erhalten, um das,
was sie im eigenen Land nicht realisieren konnten, in anderen Teilen Europas zu realisieren.
Wenn wir etwas tun wollen - das sage ich hier ganz
ernsthaft; das ist in etwa eine Nagelprobe -, dann lassen
Sie uns sofort für die Visafreiheit für Menschen aus der
Ukraine eintreten.
({0})
Wir dürfen nicht drumherum reden und dürfen diese
Menschen nicht wieder vertrösten. Ähnlich wie Sie, Herr
Sarrazin, habe ich viele Freunde in der Ukraine. Ich war
in verschiedenen Teilen der Ukraine unterwegs und habe
sehr unterschiedliche Bilder vor Augen. Der Wunsch,
ungehindert in andere, auch westeuropäische Länder reisen zu können, ist überall manifest. Warum fangen wir
nicht damit an, ihnen das zu ermöglichen?
({1})
Wäre es nicht eine große Geste des Deutschen Bundestages, die Beschränkungen zurückzunehmen, sodass die
Bürgerinnen und Bürger der Ukraine visafrei nach
Deutschland kommen könnten? Das verstehe ich unter
einer Politik des Nichtzündelns: auf die Menschen eingehen und über Werte diskutieren.
Bevor ich auf die Werte zu sprechen komme, komme
ich auf die unterschiedlichen Motive der Demonstranten
zurück. Die Menschen müssen das Recht haben, zu demonstrieren. Sie haben ein Recht auf Gewaltfreiheit und
darauf, nicht eingesperrt zu werden. Ich will mir nicht
den Spaß erlauben, darüber zu debattieren, was in
Deutschland passieren würde, wenn hier Ministerien besetzt würden - ich träume manchmal davon, dass es passiert - und wie man hier reagieren würde. Es muss mit
gleichem Maß gemessen werden.
Ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen: Ich benutze nicht für alle Demonstranten den Begriff „Freiheitskämpfer“. Ein Teil der Demonstranten ist rechtsradikales, nationalistisches Pack, mit dem ich mich nicht
verbünde, sondern gegen das ich dagegenhalte.
({2})
Das muss auch einmal zur Kenntnis genommen werden.
({3})
Dass die jüdischen Gemeinden in Kiew einen empörenden und ängstlichen Brief geschrieben haben, dass sie
sich am Holocaust-Gedenktag nicht mehr getraut haben,
Veranstaltungen durchzuführen, weil sie unter Druck
und Angst standen, das muss uns doch erschrecken.
({4})
Uns müssen die Nazifeiern, die auch stattfinden, erschrecken. Wir müssen uns klar davon distanzieren und sagen, der Begriff „Demonstrant“ alleine sagt noch nicht
aus, für was demonstriert wird. Wir wollen mit allen zusammenarbeiten, die gewaltfrei eine andere, eine bessere
Ukraine wollen, die ein anderes Europa wollen. Ich will
aber nicht mit Rechtsradikalen zusammenarbeiten. Das
ist den Preis nicht wert. Das möchte ich hier ganz deutlich machen.
({5})
Herr Kollege Gehrcke, es gibt den Wunsch zu einer
Zwischenfrage von der Kollegin Beck.
Gerne.
Herr Kollege Gehrcke, sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass es in westlichen Medien massive Propagandaaktivitäten des FSB gibt, durch die zum einen
das Argument, der Maidan sei schon rechtsradikal unterwandert, immer stärker verbreitet wird, und durch die
andererseits die Einsatzkräfte von Berkut mit der Information, dass der Maidan jüdisch unterwandert sei, derzeit heiß gemacht werden?
Hören Sie mir bitte noch einen Moment zu. Mein Argument war, dass ich nicht möchte, dass wir alle, die mit
einem Schild auftreten, Freiheitskämpfer nennen. Ich
nenne Rechtsradikale, Rechtsextreme, Nazis und Faschisten nicht Freiheitskämpfer, sondern Gegner der
Freiheit. Das muss doch gesagt werden.
({0})
Man kann sich ein eigenes Bild machen von dem, was
dort passiert, wie dort agiert wird. Das ist doch Realität.
Wenn die jüdischen Gemeinden ihre Angst ausdrücken,
müssen wir doch ihre Angst aufnehmen. Wir müssen
zwischen den Demonstranten differenzieren. Wir müsWolfgang Gehrcke
sen ganz klar sagen, mit wem wir zusammenarbeiten
wollen und mit wem nicht. Das ist mein Anliegen. Das
sollte der Bundestag berücksichtigen, wenn er klug ist.
({1})
Eine letzte Bemerkung. Wir müssen auch einen anderen Umgang mit Russland finden. Ich möchte eine neue
Ostpolitik der Bundesregierung, in der nicht mit Russland über die Ukraine verhandelt wird, sondern in der
die Kooperation gesucht wird und gemeinsame Interessen vertreten werden. Wir werden nie gute, stabile europäische Lösungen erreichen, wenn sie immer gegen
Russland gerichtet sind und wir die Ukrainer als Bollwerk gegen Russland einsetzen. Nur mit Russland zusammen wird eine Verbesserung der Situation möglich
werden. - Das ist mein Anliegen.
Herzlichen Dank für die Fragen, für die Kritik und dafür, dass Sie mir zugehört haben.
({2})
Als nächstem Redner erteile ich Karl-Georg
Wellmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was
sich in der Ukraine im Moment zeigt, ist ermutigend und
beängstigend zugleich. Es ist beängstigend, weil es ein
großes Ausmaß an Gewalt und staatlicher Willkür, die
wir im 21. Jahrhundert nicht mehr sehen wollen, gibt,
und das Ermutigende daran ist das Ausmaß an Europabegeisterung und auch die Begeisterung für europäische
Werte, die gerade von der jungen Generation dort auf
dem Maidan und anderen Plätzen gezeigt wird.
Neben der Beschreibung der Situation müssen wir
uns doch die Frage stellen, was wir tun können. Was sind
unsere Maßstäbe und die Leitplanken unseres jetzigen
Vorgehens?
Erstens. Die Ukraine ist kulturell und historisch ein
europäisches Land, und deshalb muss die Ukraine auch
eine europäische Perspektive haben.
({0})
Die Heranführung der Ukraine an europäische Strukturen heißt aber nichts anderes als eine politische Neuordnung des europäischen Ostens. Hier sollten wir uns noch
einmal die Jubiläen dieses Jahres vor Augen halten.
({1})
Die Zeit von 1914 bis 1918 ist als Feld politischen
Lernens
({2})
- bei Ihnen ist es vielleicht Rapallo, bei uns nicht, Frau
Beck - aktuell wieder interessant geworden. Das bedeutet aber, dass die Neuordnung dieses Teiles Europas
nicht ohne die Beteiligung Russlands gelingen kann. Das
muss uns klar sein,
({3})
und wir müssen sehr aufpassen, dass wir uns nicht wie
die sprichwörtlichen Schlafwandler bewegen.
Die EU ist nicht identisch mit Europa. Die Mitte Europas hat sich seit der Wende nach Osten verschoben.
Das sollten wir uns auch immer wieder vor Augen halten, wenn wir über die Ukraine reden.
Das mag aus der Perspektive eines Portugiesen vielleicht anders aussehen, aber es bleibt ein schwerer politischer Fehler, dass Barroso in Vilnius erklärt hat, die Russen hätten bei dieser Neuordnung Osteuropas nicht
mitzureden.
({4})
Wenn wir die Probleme in der Ukraine im Konflikt
mit Russland lösen würden - wir gegen Russland oder
Russland gegen uns -, dann würde es politisch und finanziell sehr teuer; das kann man an den russischen
Überweisungen erkennen, die jetzt getätigt werden. Außerdem würden wir ein gespaltenes Land und Unfrieden
hinterlassen. Das kann man täglich auch empirisch auf
den Straßen der Ukraine feststellen.
Was tun? In der Ukraine demonstriert in der Tat vor
allem die Jugend auf den Straßen. Sie will eine europäische Perspektive und kämpft für europäische Werte.
Diese müssen wir den Menschen geben können, wenn
wir sie nicht schwer enttäuschen wollen. Es droht die
große Gefahr, dass wir diese junge Generation enttäuschen, und deshalb ist es in der Tat wichtig, ganz schnell
über eine Liberalisierung des Visaregimes nachzudenken.
({5})
Zweitens. Es fällt ins Auge, dass die Ablösung eines
Präsidenten alleine noch kein Konzept für die Zukunft
ist und dass stabile Mehrheiten im Parlament für etwas
ganz Neues in der Ukraine im Moment auch nicht richtig
erkennbar sind. Wir brauchen deshalb für die Ukraine
ein umfassendes Reformkonzept, und zwar in einer dreiseitigen Absprache, die nicht ohne Beteiligung Russlands stattfinden kann. Es muss um Investitionen gehen,
das heißt, auch um Jobs und Perspektiven für die Menschen in der Ukraine, um die Modernisierung der Industrie, um Strukturreformen, um mehr Rechtssicherheit
({6})
und um weniger Korruption.
Wir haben mit Russland viel zu besprechen, so viel,
dass es in der Tat, wie Außenminister Steinmeier vor einigen Tagen gesagt hat, einem europäischen Offenbarungseid gleichkommt, dass sich der EU-Russland-Gipfel in Brüssel vor drei Tagen schon nach wenigen
Stunden erschöpft hat. Hier kann ich Herrn Steinmeier
nur vollständig recht geben.
({7})
- Danke.
({8})
Das Wichtigste ist: Wir brauchen einen soliden und
vor allem gewaltfreien Prozess in der Ukraine. - Ich
kann es nicht anders sagen: Hier fallen mir die Transparente in der zu Ende gehenden DDR ein. Sie können sich
noch an den Aufdruck erinnern: „Keine Gewalt!“
({9})
- Ich weiß, das versetzt Ihnen einen Stich ins Herz, Herr
Gehrcke, aber ich sage es trotzdem:
({10})
Keine Gewalt, weder vom Staat noch von den Demonstranten.
({11})
Die Unterstützung dieses politischen Reformprozesses ist die wichtigste Aufgabe für uns alle und für die
Bundesregierung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Als Nächster erteile ich der Kollegin Marieluise
Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der vergangenen Woche ist in Lemberg ein junger Mann
unter der Anteilnahme von 10 000 Bürgerinnen und Bürgern zu Grabe getragen worden. Er ist im Wald von Sicherheitskräften des Präsidenten Janukowitsch zusammengeschlagen worden und dann erfroren. Wer hier
unterstellen möchte, diese Bewegung in der Ukraine sei
mehrheitlich rechtsradikal und antisemitisch,
({0})
der fällt diesen Menschen in den Rücken, die in der Tat
zum ersten Mal unter den Flaggen der Ukraine und der
EU gemeinsam für Freiheit kämpfen.
({1})
Sie kämpfen auch für Europa, wie sie sagen, obwohl sie
eigentlich zu Europa gehören, Herr Kollege Wellmann.
Aber für diese Menschen ist Europa ein Synonym: ein
Synonym für die Befreiung von Willkür, ein Synonym
für die Befreiung von der Kleptokratie, die in der
Ukraine in atemberaubender Weise um sich greifen
konnte, ein Synonym für die Abschaffung von Wahlbetrug und ein Synonym dafür, dass die Staatsgewalt nicht
einfach blindwütig zuschlagen darf.
Es gibt die Hoffnung, dass Europa, wie gesagt wird,
der nächsten Generation eine Zukunft gibt. Ich weiß,
dass Menschen, die von der Entwicklung der Orangenen
Revolution enttäuscht gewesen sind und gesagt haben:
„Wir gehen nicht noch einmal auf die Straße“, auf die
Straße gegangen sind, als sie gesehen haben: Unsere
Kinder werden geschlagen. Da kamen die Massen auf
die Straße. Unter sie haben sich rechtsradikale Elemente
gemischt, aber sie sind nicht die Mehrheit.
({2})
Sie könnten aber die Mehrheit werden, wenn wir in
Europa diese Menschen, die vielleicht mehr an Europa
und dessen Werte glauben als wir, bitter enttäuschen und
sie sich alleingelassen fühlen. Das stärkt die radikalen
Kräfte; denn die werden sagen: Seht ihr, ihr habt von
Europa nichts zu erwarten. Wir müssen mit unseren
Knüppeln die Sache selber in die Hand nehmen. - Das
wäre eine Art von Selffulfilling Prophecy.
({3})
Dieser Bewegung - ich habe es eben wieder vorsichtig gehört, mehr im Kammerton; gestern Morgen im
Ausschuss war das deutlicher zu vernehmen - wird vorgeworfen, sie habe kein gemeinsames Programm. Sie hat
gemeinsame Ziele: Sie wollen nach Europa. Sie wollen
Befreiung von der Kleptokratie, zum Beispiel die des
Präsidentensohns, dessen Vermögen sich innerhalb von
drei Jahren von 7 auf 510 Millionen Dollar erhöht hat
und der das Geld in den Westen schaffen konnte. Sie
wollen Rechtsstaat statt Korruption. Sie wollen Amnestie. Und sie haben ein politisches Ziel: die Rückkehr zur
Verfassung von 2004, die Janukowitsch abgeschafft hat.
Erst die Einführung der Demokratie würde die Möglichkeit bieten, freie Entscheidungen zu treffen und freie
Wahlen in der Ukraine durchzuführen. Diese Menschen
vertrauen auf uns. Das sollten wir ernst nehmen.
Wer sechs Jahre einen Vertrag verhandelt, hat eine
Verantwortung übernommen. Dies gilt nicht nur für Präsident Janukowitsch, der seiner Bevölkerung jahrelang
erklärt hat: Ich handle einen Vertrag aus und werde ihn
unterzeichnen. - Vielmehr sind auch wir in der Verantwortung.
({4})
Wer jetzt sagt: „Das könnte für uns zu teuer werden“,
wird den europäischen Werten in ungeheuerlicher Weise
nicht gerecht. Wir müssen da, wo wir Hoffnungen geweckt und Verantwortung übernommen haben, bereit
sein, dafür einzustehen. Dazu gehört auch, keine heimlichen Zugeständnisse an den Kreml zu machen und etwa
Marieluise Beck ({5})
zu sagen, dass die Ukraine eben doch russische Einflusszone sei und dass man dieses Assoziierungsabkommen
vielleicht von vornherein nicht hätte verhandeln dürfen.
Dazu gehört auch: keine heimliche Akzeptanz eines
sehr kalt kalkulierten geostrategischen Machtdenkens
von Putin, der dabei ist, die Reste des Imperiums wieder
einzusammeln. Dazu gehört auch, ihm nicht zuzugestehen: Das, was Snyder die „Bloodlands“ nennt, der Puffer
zwischen Polen und Russland, wird wieder als russisches Glacis anerkannt; wir pfeifen auf die Souveränität
dieser Länder. - Diese Zungenschläge müssen wir uns
verbitten.
Was können wir Parlamentarier und Parlamentarierinnen tun? Es gibt 28 EU-Länder. Wenn sich aus jedem
Parlament nur zwei Parlamentarierinnen und Parlamentarier in den nächsten Wochen aufmachen und ständig in
Kiew, Charkow, Lemberg vor Ort sind - das ist das, was
wir tun können -, dann wären immer mehr als 50 Parlamentarier in der Ukraine.
Ich meine, wir sollten uns dazu durchringen, das mit
unseren Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten
in der EU zu tun. Wir sollten wenigstens das tun: in die
Ukraine gehen, vor Ort sein, den Menschen zeigen, dass
wir zu unseren Versprechen und zu unseren Werten stehen und dass wir sie schützen wollen, soweit wir nur irgend können.
Schönen Dank.
({6})
Als letzter Rednerin in unserer Debatte gebe ich zu
ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag der Kollegin
Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Das ist heute meine erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich möchte mich an dieser Stelle für
das Vertrauen der Menschen aus meiner Heimatregion
bedanken.
Ohne gegenseitiges Vertrauen kann eine Gesellschaft
nicht funktionieren. Das zeigt sich in der Ukraine ganz
deutlich. Die Jahre der Willkür und der Korruption resultierten dort in einem massiven politischen Vertrauensverlust. Ende 2013 wurde allen klar, dass Janukowitsch
kein ernsthaftes Interesse an einem Assoziierungsabkommen mit der EU hat. Seither gibt es massive Proteste
der proeuropäischen Bevölkerung.
Trotzdem hat der Rat der EU-Außenminister am
20. Januar 2014 bekräftigt, dass die Tür für Verhandlungen mit der Ukraine geöffnet bleiben soll. Die CSU begrüßt das ausdrücklich. Denn wir wollen dem Streben
der Menschen nach Demokratie, nach Recht und Freiheit
eine reale Perspektive geben.
Statt auf den Protest der Menschen ernsthaft einzugehen, beschloss man in Kiew, die Meinungs- und
Versammlungsfreiheit einzuschränken. Am 16. Januar
verabschiedete das Parlament ohne jegliche Debatte entsprechende Gesetze. Seither eskaliert die Krise.
Obwohl die Gesetze nun zurückgenommen wurden,
müssen wir feststellen, dass sowohl der Regierung von
Janukowitsch als auch der Oppositionsbewegung um
Vitali Klitschko die Kontrolle entglitten ist. Gewaltexzesse breiten sich über das ganze Land aus. Wir bekommen Berichte über die ersten Toten und zahllose
Verletzte. Als Christen, Europäer und Nachbarn der
Ukraine dürfen und wollen wir dieser Gewalt nicht tatenlos zusehen. Vorrangiges Ziel muss die Vermeidung
weiteren Blutvergießens sein. Der Konflikt muss friedlich gelöst werden.
Dafür muss Europa aber erstens geschlossen auftreten. Nur gemeinsam können wir genug Druck aufbauen,
um Janukowitsch vom Einsatz brutaler Gewalt gegen die
Demonstranten abzuhalten und zurück an den Verhandlungstisch zu drängen. Die EU hat mit dem tschechischen Erweiterungskommissar Stefan Füle einen hochrangigen Vertreter vor Ort, der vermitteln, beobachten
und berichten kann. Das ist zu begrüßen, reicht aber
nicht aus.
Zweitens müssen wir auch die Opposition zur Friedfertigkeit drängen. Klitschko und seinen Mitstreitern
entgleitet die Kontrolle über die Oppositionsbewegung.
An jedem Tag, an dem sie keine Ergebnisse liefern,
schwindet ihr Rückhalt bei den Demonstranten. Das öffnet Räume für Extremisten und gewaltbereite Hooligans.
Wir müssen daher gezielt die friedlichen und demokratischen Kräfte innerhalb der Oppositionsbewegung stärken. Die Konrad-Adenauer-Stiftung leistet hier wertvolle Arbeit. Die CSU hat heute Vitali Klitschko als
ihren Hauptredner auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu Gast.
Drittens dürfen wir uns nicht nur auf Janukowitsch
konzentrieren. Auch den Funktionsträgern im Umfeld
des Präsidenten muss klar sein, dass weiteres Blutvergießen ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen wird. Europa verfügt mit gezielten Visasperren und finanziellen
Sanktionen über ein erhebliches Druckpotenzial gegenüber den wichtigen Entscheidungsträgern in der
Ukraine.
Viertens müssen wir dauerhaft aufmerksam bleiben.
Indem wir die Geschehnisse in der Ukraine verfolgen,
erhöhen wir den Druck auf die Regierung und errichten
Hürden gegen den Einsatz von Gewalt. Leider ist die internationale öffentliche Aufmerksamkeit bei solchen
Krisen meistens nicht von Dauer. Wir dürfen nicht zulassen, dass Janukowitsch jetzt auf Zeit spielt und zum
Schein Zugeständnisse macht, nur um zum alten Kurs
zurückzukehren, sobald die Weltöffentlichkeit wieder
wegsieht.
({0})
Fünftens sollte sich die EU zusammen mit den USA
auf eine Position gegenüber Russland einigen. Gemeinsam müssen wir deutlich machen, dass auch der Kreml
gefordert ist, an der Deeskalation der Krise mitzuwirken.
Gerade mit Blick auf die Olympischen Winterspiele in
Sotschi wird man in Moskau internationale Verstimmungen vielleicht vermeiden wollen. Dieser Umstand sollte
genutzt werden.
Die Bundeskanzlerin hat am Mittwoch ihre Bewunderung für die mutigen Demonstranten in der Ukraine geäußert. In der CSU wird diese Bewunderung aufrichtig
geteilt. Der ukrainische Botschafter in Deutschland,
Pavlo Klimkin, hat heute das Engagement der EU und
der Bundesregierung zur Beilegung der Krise in seinem
Land gelobt.
Unzählige Menschen harren seit Wochen und Monaten bei eisigen Temperaturen von teilweise minus
30 Grad auf den Straßen und Plätzen in Kiew aus. Sie
riskieren ihre Gesundheit, ihre Freiheit und sogar ihr Leben, um näher an Europa und seine demokratischen,
rechtsstaatlichen und freiheitlichen Grundwerte heranzurücken. Auch wenn unser Einfluss insgesamt sicherlich
begrenzt bleibt, müssen wir alles versuchen, um weiteres
Blutvergießen zu verhindern und eine friedliche Lösung
des Konflikts zu ermöglichen.
Vielen Dank, dass Sie mir bei meiner ersten Rede zugehört haben.
({1})
Das Präsidium gratuliert Frau Kollegin Lindholz zu
ihrer ersten Rede.
Wir sind am Ende der Aussprache und damit auch am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 12. Februar 2014, um 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.