Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/8/2015

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz . Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer ersten planmäßigen Sitzungswoche nach der zweimal unterbrochenen parlamentarischen Sommerpause, in der wir traditionsgemäß in die Beratung des Haushaltsentwurfs für das Jahr 2016 eintreten, bevor wir das in den Ausschussberatungen dann im Einzelnen vertiefen . Heute hat der Kollege Wolfgang Gehrcke seinen 72 . Geburtstag, dem ich im Namen des ganzen Hauses herzlich gratulieren möchte . ({0}) Ich nutze die Gelegenheit gerne, die guten Wünsche für ihn und sein neues Lebensjahr zu verbinden mit ähnlich guten Wünschen für den Bundesminister Gerd Müller, die Kollegin Anette Hübinger, den Kollegen Arnold Vaatz und den Kollegen Kees de Vries, die vor wenigen Tagen ihren 60 . Geburtstag begangen haben, die Kollegin Gerda Hasselfeldt, den Kollegen Josef Göppel und den Kollegen Manfred Zöllmer, die 65 Jahre alt geworden sind, und den Kollegen Hans-Peter Uhl sowie die Kollegin Erika Steinbach, die diese stolze Zahl sogar noch leicht überboten haben . Ihnen allen ganz herzliche Glückwünsche! ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit unserer letzten Plenarsitzung haben die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge sowie die Reaktionen auf ihre Nöte die öffentliche Diskussion bestimmt . Wir sehen verzweifelte Menschen auf ihrem Fluchtweg nach und durch Europa und erschütternde, kaum erträgliche Bilder derer, die diesen Weg mit dem Leben bezahlt haben - darunter auch viele Kinder . In unser Mitgefühl und unsere Trauer mischen sich berechtigte Sorgen, wie wir mit dem weiter anhaltenden Zustrom in unseren Kommunen fertig werden und die Kontrolle über das eigene Land, seine Grenzen und seine Rechtsordnung behaupten können . Wir sprechen jetzt in Deutschland und in Europa über unseren Umgang mit diesem humanitären Ausnahmezustand . Wir dürfen und müssen, auch in der Haushaltsdebatte, gewiss streiten über nötige und mögliche Maßnahmen, über rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen, über vorrangige und nachrangige Aufgaben . Dass heute Menschen in Not in unserem Land, in Deutschland, den freien und sicheren Ort erkennen, der ihnen Schutz und Hilfe gewährt, ist angesichts unserer Geschichte ebenso erstaunlich wie ermutigend . Ein wirklicher Grund, stolz zu sein, ist die imponierende Bereitschaft der heute in Deutschland lebenden Menschen, diese humanitäre Herausforderung anzunehmen . ({2}) Viele Bürgerinnen und Bürger helfen spontan, freiwillig, ehrenamtlich, häufig mit bewundernswertem Einsatz an Zeit und Geld . Sie ermöglichen Sprachunterricht, sie geben Nachhilfestunden, sie helfen im Umgang mit Behörden und bei Arztbesuchen, sie übernehmen Vormundschaften für unbegleitete Kinder, die in Deutschland buchstäblich gestrandet sind, sie laden zu Nachbarschaftstreffen und Ausflügen ein; manche leisten Bürgschaften und bieten die Unterbringung von Flüchtlingen in der eigenen Wohnung an . Diesen vielen Tausend haupt- und ehrenamtlichen Helfern überall in Deutschland möchte ich im Namen aller Mitglieder des Bundestages ausdrücklich danken und unseren Respekt bezeugen . ({3}) Ihr Engagement ist die überzeugendste Antwort auf dumpfe Vorbehalte und offenen Fremdenhass, die und den es auch gibt . Auch das gehört leider zur Realität unseres Landes: beschämende gewalttätige Ausschreitungen gegen Flüchtlinge, Unterkünfte und Polizisten, verübt von einer kleinen lautstarken Minderheit, um eine Atmosphäre der Angst und Einschüchterung zu schüren . Nicht selten werden auch diejenigen unter Druck gesetzt, die sich vor Ort um eine Willkommenskultur bemühen . Ja, es gehört zur Freiheit dieses Landes, auch gegen politische Entscheidungen zu protestieren und zu demonstrieren, die man falsch oder gar unzumutbar findet. Aber es darf keine Toleranz geben für Pöbeleien, persönliche Beleidigungen, anonyme Hass-Mails oder gar tätliche Angriffe . ({4}) Dies ist die gemeinsame, unmissverständliche Position aller im Parlament vertretenen Parteien und ihrer Abgeordneten . Das Asylrecht ist und bleibt die unantastbare Selbstverpflichtung unserer Verfassung und unserer Geschichte, und die Menschenwürde gilt ausnahmslos für alle, die hier leben, unabhängig davon, wie lange sie hier sind und wie lange sie bleiben können . ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa kann weder die Grenzen für alle öffnen noch seine Grenzen hermetisch abriegeln . Es ist ein Gebot der Redlichkeit, auch deutlich zu machen: Nicht alle, die aus ihrer Heimat vor Not und Armut flüchten, werden nach Deutschland kommen oder in Deutschland bleiben können . Zur Redlichkeit gehört im Übrigen auch, deutlich zu sagen, dass die humanitäre Herausforderung, vor der wir aktuell stehen, keine schnell vorübergehende Aufgabe ist . Das hat die Bundeskanzlerin wie viele andere in den letzten Tagen aus guten Gründen immer wieder als große gemeinsame nationale Aufgabe beschrieben . Dabei werden wir nicht nur staatlichen Behörden und gesellschaftlichen Einrichtungen in den nächsten Monaten einiges abverlangen müssen, sondern auch den Flüchtlingen, wenn die Integration gelingen soll . Vorrangig bedarf es einer gemeinsamen politischen Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen, um so flexibel wie möglich und so zügig wie nötig eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge sicherzustellen . Aber es braucht auch eine verbindliche europäische Lösung . Wir müssen von allen, ausnahmslos allen, Mitgliedstaaten der Europäischen Union erwarten, dass sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten daran beteiligen - nicht mehr, aber eben auch nicht weniger . ({6}) Das haben auch die europäischen Parlamentspräsidenten aus den G-7-Staaten bei ihrer Konferenz am vergangenen Samstag in Leipzig einvernehmlich festgestellt . Diese große humanitäre, politische und kulturelle Herausforderung wird Deutschland verändern . Ich bin sicher, dass dies letztlich zum Vorteil unseres Landes geschieht, wenn wir so mutig und entschlossen handeln, wie das auch bei anderen großen Herausforderungen wie zuletzt der Finanz- und Bankenkrise geschehen ist . ({7}) Dieses Bewusstsein sollte unsere Debatte in dieser Woche prägen, vor allem aber unser weiteres gemeinsames Handeln in Staat und Gesellschaft . ({8}) Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 ({9}) Drucksache 18/5500 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019 Drucksache 18/5501 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im Rahmen der Haushaltsberatung für die heutige Aussprache im Anschluss an die 40minütige Einbringung des Haushalts durch den Bundesminister der Finanzen 6 Stunden und 24 Minuten, für die Aussprache am Mittwoch 8 Stunden und 32 Minuten, am Donnerstag 8 Stunden und 29 Minuten und am Freitag 4 Stunden und 48 Minuten vorgesehen . Das wird am Ende vermutlich eher ein bisschen mehr als weniger werden, aber es wäre schon gut, wenn wir uns an diese zeitlichen Vereinbarungen hielten, wenn wir sie denn jetzt gleich anschließend beschließen . - Ich sehe jedenfalls dazu keinen Widerspruch . Dann ist der Zeitplan damit so beschlossen . Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bundesminister der Finanzen, Dr . Wolfgang Schäuble . ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie, Herr Präsident, eben schon eindrucksvoll gesagt haben, steht auch diese Haushaltsdebatte im Zeichen der aktuellen Flüchtlingssituation . Sie ist eine Bewährungsprobe für Deutschland und für Europa, und sie stellt uns alle, Staat und Gesellschaft, vor die größte Herausforderung seit langer Zeit . Deshalb hat die Bewältigung dieser anspruchsvollen Aufgabe absolute Priorität . Die Aufgabe stellt sich jetzt, und wir werden sie jetzt bewältigen, und wir müssen sie auch jetzt finanzieren - wenn möglich, ohne neue Schulden . Dem haben sich dann andere Ausgabenwünsche unterzuordnen . ({0}) Es kommt jetzt darauf an, die Flüchtlingssituation durch eine enge Zusammenarbeit aller staatlichen Ebenen zu meistern . Wir brauchen passgenaue Antworten, die allen Beteiligten gerecht werden, und danach entscheidet sich, welche staatliche Ebene welche Aufgabe wahrnehmen soll . Aus den Antworten darauf muss sich die Finanzierung ableiten und nicht umgekehrt . Wir haben uns im Koalitionsausschuss am Sonntagabend auf ein umfassendes Paket verständigt . Auf dem Flüchtlingsgipfel mit den Regierungschefs der Länder am 24 . September sollen die Maßnahmen dieses Pakets abschließend besprochen werden . Deswegen macht es jetzt wenig Sinn, in einen Überbietungswettbewerb einzutreten, wer wie viel konkret bezahlen soll, bevor nicht Präsident Dr . Norbert Lammert abschließend geklärt ist, wer was konkret tun soll . Ein solcher Streit um Milliardenbeträge würde im Ergebnis auch nur schaden . Er würde die öffentliche Akzeptanz der Flüchtlingssituation nicht verbessern, sondern gefährden . Wir werden dieser Aufgabe nur gerecht, wenn wir uns auf die drei wesentlichen Punkte konzentrieren: Erstens: die Aufnahme der Flüchtlinge . Jetzt geht es darum, die Zahl der Erstaufnahmeplätze auszubauen . Der Bund wird Länder und Kommunen beim Ausbau von rund 150 000 winterfesten Plätzen in Erstaufnahmeeinrichtungen unterstützen . Zweitens: die zügige Klärung des Duldungsanspruchs und gegebenenfalls die Rückführung in das Heimatland . Asylbewerber sollen so lange in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben, bis über ihren Antrag entschieden worden ist . Wenn der Antrag abgelehnt wird, soll die Rückführung direkt aus der Erstaufnahmeeinrichtung erfolgen . Das wäre für die Kommunen eine große Entlastung . Drittens: die Integration der Flüchtlinge mit einer Bleibeperspektive . Wir werden die Integrationskurse und die Programme zum Spracherwerb weiter ausbauen . Wir müssen die Menschen so schnell wie möglich in die Lage versetzen, Arbeit aufzunehmen, ihre Kinder in die Schule zu schicken, ihren Unterhalt selbst zu bestreiten . Wir werden auch mehr Bundesfreiwillige und mehr Hauptamtliche in die Flüchtlingshilfe einbeziehen . Wir haben verabredet, beim Freiwilligendienst des Bundes bis zu 10 000 zusätzliche Stellen einzurichten . ({1}) Übrigens hat der Bund schon zuvor einiges auf den Weg gebracht, um die Situation zu verbessern . Länder und Kommunen erhalten in diesem Jahr pauschal 1 Milliarde Euro zusätzlich . Wir werden diese Mittel angesichts der steigenden Zahl der Flüchtlinge natürlich erheblich aufstocken müssen . Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hat schon rund 190 Liegenschaften mit rund 38 000 Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Asylsuchende zur Verfügung gestellt, und das mietzinsfrei . Der Bund ist auch bereit, die für die Herrichtung von Bestandsgebäuden notwendigen Kosten und die erforderlichen Erschließungskosten für diese Gebäude zu übernehmen, und zwar rückwirkend ab dem 1 . Januar 2015 . Wir werden das auf alle verfügbaren Bundesliegenschaften ausweiten . Damit werden übrigens nicht nur Länder und Kommunen unterstützt, die die erste Anlaufstelle für die Flüchtlinge sind, sondern wir helfen vor allem den Menschen selbst, die nach teilweise lebensbedrohlicher Reise hier vor Ort eine feste Unterkunft benötigen . Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhält zur schnelleren Bearbeitung der Asylverfahren 2 000 zusätzliche Stellen . Für die Integrationskurse werden die Mittel entsprechend dem gestiegenen Bedarf erhöht . In anderen Bereichen der Bundesverwaltung soll das Personal so flexibel wie möglich eingesetzt werden. Man muss sich immer im Klaren sein: Zusätzliche Stellen heißt noch nicht, dass man schon die Menschen hat, die die Stellen auch ausfüllen können. Erst muss man sie finden, und dann muss man sie oft auch noch ausbilden . Deswegen werden geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zolls übergangsweise das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die Bundespolizei unterstützen . Ich kann mit großem Respekt vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zollverwaltung sagen, dass dort eine große Bereitschaft vorhanden ist, sich freiwillig für diese Aufgaben zur Verfügung zu stellen . ({2}) Wir wollen übrigens die zusätzlichen Stellen für die Mindestlohnkontrolle, die wir verabredet haben, pragmatisch dazu nutzen, die derzeitige Situation kurzfristig zu bewältigen . Das bedeutet natürlich - das muss man klar sagen -, dass wir das für den Ausbau der Mindestlohnkontrollen durch den Zoll ursprünglich vorgesehene Tempo verlangsamen werden . ({3}) - Ja, so ist das mit dem Bundesarbeitsministerium verabredet . ({4}) Wir haben im Übrigen verabredet, bei der Bundespolizei in den nächsten drei Jahren 3 000 zusätzliche Stellen zu schaffen . Wir haben schon im Haushaltsentwurf und im Entwurf für die mittelfristige Finanzplanung die Mittel für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit beträchtlich erhöht . Damit können und sollen die Fluchtursachen in den wichtigsten Herkunftsländern zusätzlich bekämpft werden . Auch im Haushalt des Auswärtigen Amtes sollen die Unterstützungsmittel für die Versorgung und Betreuung von Flüchtlingslagern in den Krisenregionen und für die Stabilisierung von Herkunfts- und Transitländern um 400 Millionen Euro aufgestockt werden . Die Integration von Menschen aus unterschiedlichen Ethnien, mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen, mit unterschiedlichen, teils auch traumatischen Erfahrungen wird ein Kraftakt für unser Land und unsere Gesellschaft sein; das sollte niemand kleinreden. Aber wir sollten diese Situation auch als Chance für uns selbst begreifen . Wir dürfen Flüchtlinge und Asylsuchende nicht nur unter Kostengesichtspunkten betrachten . ({5}) Wir sehen in diesen Tagen: Manchmal sind große Teile der Bevölkerung weiter als die verfasste Politik . Auch die Wiedervereinigung vor 25 Jahren ist ein Beispiel dafür, was Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Verwaltung schaffen können, wenn es wirklich darauf ankommt . Die zur Bewältigung der Flüchtlingssituation diskutierten Änderungen etwa im Bau- oder Vergaberecht sind Beispiele dafür, wie Deutschland seine Anpassungsfähigkeit verstärken muss . Wir erhalten dadurch in diesen Rechtsbereichen eine Flexibilität, mit der wir uns bisher sehr schwertun, die wir aber dringend brauchen . Auch darin liegt eine Chance zur Erneuerung und Fortentwicklung insgesamt für uns . Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble ({6}) Wir können diese Herausforderung meistern . Unser Land hat die Kraft dazu . Unsere wirtschaftliche Lage ist gut, nicht zuletzt aufgrund unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren . Das spiegelt sich übrigens in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden . Vor ein paar Wochen war von hohen gesamtstaatlichen Überschüssen im ersten Halbjahr die Rede . Es handelt sich dabei nicht um Haushaltszahlen, und Halbjahreszahlen sagen nicht allzu viel aus; außerdem wurden gesamtstaatliche Zahlen, also von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen, errechnet . Aber immerhin: Angesichts unserer guten wirtschaftlichen Entwicklung haben wir eine gute Entwicklung bei den Steuereinnahmen . Die Zinsbelastungen der öffentlichen Haushalte sind weiterhin niedrig . Das gilt, was man angesichts der öffentlichen Debatte gelegentlich gar nicht glauben mag, für den Bund gleichermaßen wie für Länder und Gemeinden . Im Bund gewinnen wir in diesem Jahr zusätzlichen Handlungsspielraum . Den können und müssen wir zur Bewältigung der großen Aufgabe nutzen . Diesen Handlungsspielraum sollten wir gegebenenfalls mit einem Nachtragshaushalt auch für die nächsten Jahre erschließen, damit wir ihn in den nächsten Jahren ebenfalls nutzen können . Wir haben in der Koalition am Sonntagabend verabredet, dass wir zur Bewältigung dieser prioritären Aufgabe die Ansätze im Bundeshaushalt, wie er im Entwurf vorliegt, um insgesamt 3 Milliarden Euro erhöhen und zugleich Ländern und Kommunen die gleiche Summe zur Bewältigung ihres Anteils an den Aufgaben zur Verfügung stellen werden . Wir wollen das ohne neue Schulden schaffen . Die Rechnung für die Aufgaben, die sich uns jetzt stellen, sollten wir nämlich nicht an kommende Generationen weiterreichen . ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind in der Lage, jetzt auf diese große Herausforderung angemessen zu reagieren, weil wir uns in den letzten Jahren finanzielle Handlungsfähigkeit erarbeitet haben . Das darf man, weil das so oft kritisiert worden ist, auch einmal sagen . Das ist das Resultat der konsequenten Sanierung des Bundeshaushalts . ({8}) Wie wichtig es ist, dass wir diese Handlungsfähigkeit zurückgewonnen haben, hat sich übrigens schon bei der Umsetzung der im Koalitionsvertrag beschlossenen prioritären Maßnahmen, bei der weiteren Stärkung von Investitionen des Bundes und der Kommunen und bei der Finanzierung der Energiewende gezeigt . Unsere erfolgreiche Finanz- und Haushaltspolitik hat im Übrigen maßgeblich dazu beigetragen, dass es uns wirtschaftlich gut geht . Unsere Wirtschaft wächst seit 2010, dem Startjahr der Schuldenbremse, zuletzt um 1,6 Prozent in 2014 . Wir haben eine robuste Konjunktur, trotz aller Risiken im weltwirtschaftlichen Umfeld . Dieses und nächstes Jahr ist weiterhin mit gutem Wachstum zu rechnen, übrigens vor allem getragen durch die hohe Inlandsnachfrage, und diese gründet maßgeblich auf Vertrauen in die Nachhaltigkeit unserer Politik . Der psychologische Faktor in der Wirtschaftspolitik wird ja gelegentlich unterschätzt, insbesondere international; aber man sollte ihn nicht unterschätzen . Ohne Vertrauen gehen Investitionen wie Konsumnachfrage schnell zurück . Die Europäische Kommission sagt übrigens auch für den Euro-Raum für dieses und die beiden folgenden Jahre ein Wachstum von 1,5 bis 2 Prozent voraus . Das ist nicht überragend hoch, aber es ist solide . In Deutschland hat die Zahl der Erwerbstätigen in diesem Jahr mit fast 43 Millionen erneut ein Rekordhoch erreicht . Das zeigt, dass es uns in den letzten Jahren gelungen ist, eine Reihe zusätzlicher Arbeitskräfte in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erhöht sich weiter, und die Reallöhne sind seit 2010 deutlich gestiegen, allein im vergangenen Jahr im Durchschnitt um 1,7 Prozent . Vermutlich steigen sie in diesem Jahr noch stärker . Dies sind reale Steigerungen, nicht nominale . Sie kommen den Menschen zugute . Das stärkt nicht nur die Inlandsnachfrage, sondern auch den Wohlstand der Bevölkerung in unserem Lande . Auch das ist unserer Haushaltspolitik geschuldet . Die Finanz- und Wirtschaftskrisen seit den 80er-Jahren haben doch vor allem eins gezeigt: Ein zu stark auf Krediten, also privaten und öffentlichen Schulden, beruhendes Wachstum ist niemals nachhaltig . Zu starkes Kreditwachstum löst keine strukturellen Probleme, sondern führt zu Finanz- und Schuldenkrisen . Geldpolitische Maßnahmen der Zentralbanken können daran übrigens auf Dauer wenig ändern . Heftige Finanzkrisen verringern nicht nur das aktuelle Wachstum, sondern eben auch die langfristigen Wachstumsmöglichkeiten, weil heftige Krisen die Erwartungen von Investoren und Konsumenten verschlechtern und die Investitions- und Konsumbereitschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern verringern . Eine stetige Finanz- und Wirtschaftspolitik, die nicht darauf aus ist, kurzfristiges Wachstum mit Gewalt erzwingen zu wollen, sondern die sich daran orientiert, die Chancen für nachhaltiges Wachstum zu verbessern, ist der gesündere und erfolgreichere Ansatz . Indem wir in Deutschland für solides und nachhaltiges Wachstum sorgen, kommen wir auch unseren Verpflichtungen gegenüber Europa und gegenüber der Weltwirtschaft nach . Welche Lage hätten wir eigentlich in Europa und außerhalb, wenn auch Deutschland nicht für Stabilität stehen würde? ({9}) Im internationalen Rahmen hat endlich eine Diskussion über die Frage begonnen, warum eigentlich in den letzten 30 Jahren - so lange geht das - trotz stark steigender Schulden das Wachstum in den entwickelten Volkswirtschaften so mäßig ausfällt und langfristig immer stärker zurückgeht . Es wird international immer klarer, dass nachhaltiges Wachstum auch nachhaltige Finanzen voraussetzt . So werden auch in den internationalen Debatten die Stimmen lauter, die dafür stehen, dass das Übergewicht Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble des Finanzsektors gegenüber der Realwirtschaft, verursacht insbesondere durch die immens hohen kurzfristigen Gewinnchancen, eine Gefahr für nachhaltiges globales Wachstum ist . ({10}) Es ist unbestritten, dass weltweit hohe Liquidität und Verschuldung die Risikobereitschaft im Finanzsektor und die Gefahr neuer Blasen fördern, weitere Verschuldungen erleichtern und zu Fehlinvestitionen führen . Das steigende Verschuldungstempo verringert gleichzeitig den Glauben der Anleger an die dauerhafte Tragfähigkeit der Schulden . Auch da kommt wieder der psychologische Faktor ins Spiel, der, wie gesagt, leider oft unterschätzt wird . So ist es übrigens auch nicht verwunderlich, dass wir uns womöglich auf eine noch längere Phase niedriger Zinsen einstellen müssen, auch wenn natürlich das Ziel bleiben muss, die weltweit außergewöhnlich expansive Geldpolitik der Notenbanken schrittweise abzubauen . ({11}) Wir arbeiten im Rahmen unserer - allerdings begrenzten - Möglichkeiten daran, dass Sparer und Unternehmer in Deutschland mit der Niedrigzinsphase zurechtkommen können . Wir haben mit dem Lebensversicherungsreformgesetz einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen verschiedener Kundengruppen geschaffen . Wir bereiten aktuell ein Gesetz vor, mit dem den Bausparkassen mehr Spielräume, etwa in der Immobilienfinanzierung, ermöglicht werden sollen, um diese bewährte Sparform auch unter den veränderten Zinsbedingungen zukunftsfest zu machen . Ferner suchen wir gemeinsam für die betriebliche Alterssicherung nach Lösungen . Es geht bei alldem darum, in einem schwierigen Zinsumfeld Stabilität zu wahren . Was wir in Deutschland machen und was wir in Europa wollen, ist, dass die Schuldenstände sich an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des jeweiligen Landes anpassen . Dabei dürfen die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nicht wachsen . Sie sollen vielmehr, abhängig vom Schuldenprofil, schrittweise zurückgeführt werden . So haben wir das zuletzt wieder beim G-20-Finanzministertreffen in Ankara formuliert, und so steht es in allen europäischen Regeln . Das ist auch nicht zu viel verlangt, und es liegt im Interesse jedes einzelnen Landes . Es hat rein gar nichts mit sogenannter Austeritätspolitik zu tun . Deutschland muss sich nicht dafür rechtfertigen, dass es sich selbst - wenn auch leider im Gegensatz zu manch anderem - an die auf globaler und europäischer Ebene gemeinsam getroffenen Vereinbarungen hält, zumal wenn diese von allen Beteiligten für richtig gehalten werden . Die Ökonomen im In- und Ausland - eigentlich eher Politiker und Journalisten als Ökonomen -, die, die Nachfrage in Deutschland jetzt schuldenfinanziert noch weiter steigern wollen und sich dabei natürlich auf Keynes berufen, den sie, wie ich vermute, alle nicht gelesen haben, möchte ich dann doch darauf hinweisen, dass man Keynes nur verstanden hat, wenn man in konjunkturell guten Zeiten keine neuen Schulden macht . ({12}) Wahrscheinlich liegen wir in Deutschland viel näher an John Maynard Keynes als so mancher sogenannte Starökonom auf internationalem Parkett . ({13}) In nahezu jeder wirtschaftlichen Lage - es ist ja manchmal schon langweilig -, ob sie nun gerade besser oder schlechter ist, für immer mehr Schulden und für eine weitere Flutung der Märkte mit Geld der Notenbanken zu sein, ist weder originell noch seriös . Ich würde mir manchmal schon mehr Substanz in diesen Diskussionen wünschen . Zumal sich genau dies in den vergangenen Jahren eben nicht als besonders erfolgreiche Wirtschaftspolitik erwiesen hat . Die Frage, die uns wirklich umtreiben sollte, ist: Wie bekommen wir Europa wieder in Form - wirtschaftlich wie politisch? Die institutionellen Regeln und Verfahren in Europa - das haben wir in den letzten Jahren und Monaten genügend erlebt - sind dafür noch nicht ausreichend . Die Entscheidungsfähigkeit Europas muss verbessert werden . Ein starkes Europa lebt von Vertrauen und Solidarität: Vertrauen darauf, dass die Mitgliedstaaten die gemeinsam vereinbarten Regeln auch einhalten, gepaart mit Solidarität bei nichtvorhersehbaren Herausforderungen . Wir hatten als Reaktion auf die Krisen der letzten Jahre die Wirtschafts- und Währungsunion Schritt für Schritt stabiler gemacht . Wir werden diesen Weg weitergehen, ohne Europa zu überfordern . Der Bericht der fünf Präsidenten von Kommission, Zentralbank, Euro-Gruppe, Europäischem Rat und Parlament zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion bietet dazu Gelegenheit . Es ist richtig, jetzt die Debatte über eine stärkere europäische Integration zu führen, aber solange Mitgliedstaaten nicht in der Lage sind, europäische Regeln einzuhalten ({14}) - Wir halten uns daran . Ich habe gerade erläutert, dass wir uns im Gegensatz zu anderen an die Regeln des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts halten und dass wir uns dafür auch nicht kritisieren lassen, sondern uns gegen solche Kritik wehren . ({15}) Ich will Ihnen ein anderes Beispiel nennen . Wir alle sind der Überzeugung, dass eine Bankenunion zur weiteren Stabilisierung der Währungsunion jetzt ganz zwingend ist . Deswegen haben wir mit großem Hochdruck an der Bankenrestrukturierungsrichtlinie gearbeitet . Wir haben verabredet - das wurde auch so festgeschrieben -, dass sie spätestens zum 1 . Januar 2015 in nationales Recht umzusetzen ist . Es gibt aber elf Mitgliedsländer, Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble die sie bis heute nicht umgesetzt haben . Es wären zwölf, wenn wir Griechenland nicht gezwungen hätten, sie als „Prior Action“ umzusetzen . Solange wir solche Regeln nicht rechtzeitig in nationales Recht umsetzen, so lange sollten wir nicht über neue Ansätze zur weiteren Vergemeinschaftung von Risiken reden . Wir dürfen den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun . Jeder muss seinen ersten Schritt gehen . ({16}) Das ist keine legalistische Petitesse; ich werde es dem Zwischenrufer gleich noch einmal erklären . Nur wenn das Regelwerk zur Bankenabwicklung im nationalen Recht jedes Mitgliedstaats verankert ist, können die Eigentümer und Gläubiger der Banken im Falle einer Pleite auch zur Kasse gebeten werden . Das haben wir doch alle in großen Reden seit 2008 immer gesagt: Die sollen selber haften und nicht die Steuerzahler . - Dazu braucht man aber die Umsetzung der Bankenrestrukturierungsrichtlinie . Es reicht nicht, wenn wir sie nur beschließen und große Reden halten . Vielmehr müssen wir sie umsetzen und anwenden . Ich sagte schon: Elf Mitgliedstaaten - ich sage nicht welche; aber das kann man nachlesen - haben sie bisher noch nicht umgesetzt . Dem Argument, die Steuerzahler sollten nicht für das Risiko der Banken haften, stimmen alle zu . Aber es ist eben kein Argument, das Risiko vom Steuerzahler eines Landes auf die Steuerzahler anderer Länder zu verschieben, was zu viele unter dem Stichwort „Vergemeinschaftung“ verstehen . ({17}) Wenn man also über die Vergemeinschaftung von nationalen Systemen redet, dann muss man zuerst die vereinbarten nationalen Systeme ausbauen und den Bankenrestrukturierungsfonds aufbauen . Ich habe eine Übersicht angefordert, wer eigentlich schon eingezahlt hat . Die deutschen Banken zahlen seit 2011 in einen solchen Restrukturierungsfonds ein . Bevor wir solche Fonds vergemeinschaften, sollten bitte auch die anderen erst einmal anfangen, ein bisschen einzuzahlen . Sonst untergräbt man Vertrauen in die Verlässlichkeit . Verlässlichkeit ist aber die Grundlage für Solidarität . ({18}) Es kann übrigens auch nicht sein, dass manche in Europa meinen - und dies auch noch in deutschen Zeitungen sagen -, sie würden die in ihrem Land notwendigen Reformen für uns in Deutschland machen, und deswegen sollen wir bezahlen, wenn sie solche Reformen durchführen . ({19}) Ich finde, jedes Land muss die notwendigen Reformen im Eigeninteresse machen . Dass die wirtschaftlich Stärkeren im Interesse eines starken Europas mehr als andere bezahlen müssen, ist klar . Dass Solidarität eine Selbstverständlichkeit ist, ist auch wahr . Aber es darf eben keine Ausrede geben . Man muss auch selbst das Notwendige tun . Ein jeder muss insofern vor seiner eigenen Tür kehren . Von Deutschland wird zu Recht erwartet, dass es Europa voranbringt . Damit wir das tun können, müssen wir selbst dauerhaft stark sein und stark bleiben . Dafür ist es notwendig, dass wir gezielt in die Zukunft investieren . Das klingt fast schon banal . Aber, meine Damen und Herren, es ist eben doch nicht banal, dass die Mittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gegenüber dem Vorjahr wieder um gut 1,1 Milliarden Euro auf knapp 16,4 Milliarden Euro erhöht werden . Seit dem Beginn meiner Zeit als Finanzminister sind die Mittel im Haushalt für Bildung und Forschung damit um 60 Prozent gesteigert worden . ({20}) Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben Deutschlands haben bereits 2012 das EU-Ziel von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht . Wir liegen damit weltweit auf dem fünften Platz, vor den Vereinigten Staaten von Amerika und weit vor Frankreich oder Großbritannien . Natürlich beruhigt es in diesem Zusammenhang besonders, Herr Kollege Gabriel, dass sogar das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ({21}) in Berlin festgestellt hat, dass die seit 2007 steigenden Forschungsausgaben vor allem an den gestiegenen öffentlichen Investitionen liegen . Aber natürlich sind neben Investitionen in Bildung auch Investitionen in klassische Infrastruktur notwendig, um Deutschlands wirtschaftliche Stärke zu sichern . Folgerichtig liegen die Ausgaben im Einzelplan des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur im Haushalt für 2016 mit rund 24,4 Milliarden Euro um 1,1 Milliarden Euro über denen des Vorjahrs . Dieser Ausgabenanstieg spiegelt in erster Linie die Ausweitung der Verkehrsinvestitionen . Andererseits wird auch im Bundeshaushalt 2016 gut jeder zweite Euro für soziale Leistungen ausgegeben, und das trotz der guten Arbeitsmarktlage . Ich sage es in jeder Haushaltsdebatte: Wir müssen mittelfristig über die richtige Ausrichtung und Prioritätensetzung in unseren Haushalten verstärkt nachdenken . ({22}) Die Leistungen des Bundes an die gesetzliche Rentenversicherung stellen nach wie vor den größten Ausgabenblock im Bundeshaushalt dar . Sie erhöhen sich gegenüber dem Vorjahr um rund 2,3 Milliarden Euro und belaufen sich in 2016 auf insgesamt 86,6 Milliarden Euro . Auch der Bundeszuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung bleibt mit 14 Milliarden Euro auf einem hohen Niveau . Der Bund unterstützt die Kommunen trotz der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung, nach der die Länder für die Kommunen zuständig sind, seit der letzten Legislaturperiode so stark wie nie zuvor . Bei sozialen Leistungen entlastet der Bund die Kommunen um mehr Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble als 42 Milliarden Euro in den Jahren 2011 bis 2017 . Beim Ausbau der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige hat der Bund allein bis 2014 5,4 Milliarden Euro übernommen, und er unterstützt die Kommunen auch bei den laufenden Betriebskosten . Wenn die Kommunen vom Bund zur Bewältigung der Flüchtlingssituation nun weitere Mittel erhalten werden, so kann ein Teil dieser Mittel für die Bereitstellung von zusätzlichen Kitaplätzen verwendet werden . Da der Bund die Länder und Kommunen bei der Bewältigung der gestiegenen Asylbewerberleistungen so massiv, wie es die Koalition beschlossen hat, unterstützt, ist der Streit darüber, wie die Mittel für die Betreuung unserer Kinder verwendet werden sollen, wirklich müßig . Im Übrigen bleibt es bei der Zusage, dass die Kommunen ab dem Jahr 2018 jährlich um weitere 5 Milliarden Euro entlastet werden . Im Vorgriff darauf erhalten sie von 2015 bis 2017 bereits 4,5 Milliarden Euro zusätzlich . Diese Mittel sind in der mittelfristigen Finanzplanung enthalten . Die Konsolidierung nützt im Übrigen auch den Bürgerinnen und Bürgern . Der Abbau der kalten Progression - auch bei geringerer Preissteigerungsrate - und die Anhebung von Kindergeld, Kinderfreibetrag und Kinderzuschlag sowie des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende führen zu einer dauerhaften Entlastung der Arbeitnehmer und ihrer Familien von immerhin mehr als 5 Milliarden Euro pro Jahr . Trotz der Gesamtausgaben des Bundes in Höhe von 312 Milliarden Euro in 2016 bleibt es bei der schwarzen Null, und zwar nicht nur im kommenden Jahr, sondern auch in den Folgejahren . Wir wollen nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen . Der Ausgabenanstieg wird im Verhältnis zur Entwicklung der Wirtschaftskraft moderat bleiben, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben . Wir verschieben bei den Ausgaben den Fokus verstärkt auf die Investitionen. Das ist notwendig; denn das Produktivitätswachstum hat sich in den letzten Jahren in vielen Industrieländern deutlich verlangsamt . Am wichtigsten für Produktionsfortschritte ist langfristig der technische Fortschritt, also Innovationen . Innovationen kann aber eben niemand wirklich planen . Aber in der begründeten Erwartung und Hoffnung, dass Investitionen und Innovationen Hand in Hand gehen werden, können wir öffentliche Investitionen erhöhen und private Investitionen fördern . Bei aller Notwenigkeit öffentlicher Investitionen dürfen wir nie vergessen, dass private Investitionen für unser Wachstum entscheidend sind . Die Bruttoanlageinvestitionen in Deutschland betragen circa 20 Prozent des Volkseinkommens, also rund 600 Milliarden Euro . Im Vergleich dazu sieht der Bundeshaushalt, wie gesagt, Gesamtausgaben von 312 Milliarden Euro vor . Private Investitionen sind also von einer viel größeren volkswirtschaftlichen Bedeutung . Deswegen ist es wichtig, neue Wege zu gehen, um mehr privates Kapital zu mobilisieren - auch privates Kapital für die Finanzierung öffentlicher Infrastrukturprojekte . ({23}) Die Europäische Kommission hat eine Investitionsoffensive gestartet, bei der die Europäische Investitionsbank durch die Bereitstellung von Risikokapital in den nächsten drei Jahren öffentliche und private Investitionen von über 300 Milliarden Euro freisetzen soll . Damit Investitionen Wirkungen zeigen, müssen wir übrigens typische Fehler vermeiden . Wir sollten nicht prozyklisch und flächendeckend in die öffentliche Infrastruktur investieren, sondern stetig und vor allem zielgenau . Um die Wirkungsorientierung des Haushalts zu verbessern, wird das Haushaltsaufstellungsverfahren erstmals um einnahme- und ausgabeseitige Haushaltsanalysen in ausgewählten Politikbereichen - sogenannte Spending Reviews - ergänzt . Mit der Einführung der Schuldenbremse sind wir zu einem Top-down-Verfahren übergegangen, das sich sehr bewährt hat . Mit der Festlegung von Haushaltseckwerten im März erhält jedes Ressort sein Budget, das es weitgehend selbstständig ausgestalten kann . Das erfordert aber natürlich, dass wir von Zeit zu Zeit gemeinsam analysieren, ob die einzelnen Teilbudgets auch die angedachte Wirkung entfalten . Bis zum März kommenden Jahres sollen nun zu den Themen „Förderung des kombinierten Verkehrs“ und „Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsorientierten Jugendlichen aus Europa“ erste Reviews dieser Art durchgeführt werden, damit wir einmal sehen, ob durch die Mittel auch das gewünschte Ziel erreicht werden kann . Danach kann entschieden werden, ob eine Mittelumschichtung notwendig und sinnvoll ist . Wenn sich dieses Verfahren der Spending Reviews bewähren sollte, werden wir es natürlich auch bei der Infrastrukturplanung einsetzen . Wir schaffen mit Spending Reviews ein regelgebundenes Verfahren, um die Qualität unserer öffentlichen Ausgaben besser überprüfen zu können . Übrigens wird auch der von meinem Kollegen Dobrindt geplante Infrastrukturbericht helfen, die Diskussion um Infrastrukturinvestitionen zu versachlichen . Dazu könnte auch eine privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft für Bundesfernstraßen beitragen, an deren Konzept die Bundesregierung arbeitet . ({24}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich will noch eine Bemerkung zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen machen . Sie kann nur als für alle Beteiligten tragfähige Lösung gelingen . Dafür müssen Bund und Länder konstruktiv zusammenarbeiten . Die Bundesregierung hat Vorschläge vorgelegt, um den Bund-Länder-Finanzausgleich transparenter zu machen und die Gestaltungsspielräume sowohl von Zahler- als auch von Empfängerländern zu verbessern . Wenn wir uns nicht einigen sollten, ist die wahrscheinlichste Lösung, dass wir den Status quo, der bis 2019 gilt, fortschreiben Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble müssen . Aber das wäre nicht gerade ein Ruhmesblatt für unseren Föderalismus . Es ist sowohl bei der Flüchtlingshilfe als auch bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen wichtig, Fehlanreize zu vermeiden und starke Anreize für eine wirtschaftliche und effiziente Aufgabenwahrnehmung zu setzen . Wo Aufgaben vor Ort diskretionär wahrgenommen werden können, sollte eine Abweichungsmöglichkeit für dezentrale Gestaltung möglich sein . Umgekehrt fördert eine Beteiligung an der Finanzierung durch die Ebene, die die Aufgaben erfüllt, nach aller Erfahrung eine eher sparsame Mittelverwendung . Oder um es einfacher zu sagen: Die Schwaben sind nur bei der Verwendung eigenen Geldes sparsam . Mit anderer Leute Geld sind sie viel großzügiger . ({25}) Um das zu ermöglichen, brauchen wir über die erwähnte Infrastrukturgesellschaft hinaus begrenzte Anpassungen unseres Grundgesetzes . Das Angebot des Bundes steht . Jetzt sind die Länder am Zug, untereinander zu einer Einigung zu kommen . Aber vielleicht verbessern die aktuellen Gespräche über die Flüchtlingsproblematik auch die Chancen für eine grundsätzliche Einigung im Bund-Länder-Verhältnis . Damit könnten wir dann endlich auch Klarheit über die weiteren Regionalisierungsmittel für den ÖPNV schaffen, die dringend notwendig ist, damit die notwendigen Infrastrukturprojekte keine Verzögerungen erleiden müssen . Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich will zusammenfassen: Die aktuelle Flüchtlingssituation stellt uns in Deutschland vor große politische, aber vor allem auch gesellschaftliche Herausforderungen . Wir können sie meistern: Bürgerinnen und Bürger, Gemeinden, Länder, Bund, auch die Flüchtlinge selbst . Gemeinsam schaffen wir das! Wir müssen auf europäischer Ebene zu dauerhaft tragfähigen Lösungen kommen . Dann können wir die schwierige Lage zum Guten wenden - für die zu uns Kommenden wie für uns selbst . Unsere Haushaltspolitik in den vergangenen Jahren hat dazu beigetragen, dass wir diese Probleme jetzt bewältigen können . Das ist das, was ich immer zu sagen versucht habe: Unsere Haushaltspolitik eröffnet Handlungsspielräume, um auf unerwartete, drängende, neue Herausforderungen reagieren zu können, ohne dass wir die langfristigen Prioritäten, mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur, vernachlässigen müssen, und ohne neue Schulden zu machen . Genau das setzen wir mit dem Haushalt 2016 konsequent fort: Wir steigern die Zukunftsinvestitionen kontinuierlich weiter, entlasten zugleich die Kommunen in beispiellosem Ausmaß, damit sie ihre wichtigen Aufgaben gut erfüllen können . Diese Politik für Wachstum ohne Neuverschuldung macht uns widerstandsfähiger, auch gegen etwaige Eintrübungen der wirtschaftlichen Lage, mit der wir ja immer rechnen müssen . Weniger Schulden, weniger Krisen, mehr nachhaltiges Wachstum, Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Das ist die beste Politik, die wir in diesen Zeiten machen können . ({26})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst Gelegenheit nehmen, um Ihnen, Herr Bundestagspräsident, ganz herzlich für Ihre Worte zu Beginn zu danken, mit denen Sie es ja geschafft haben, das gesamte Haus zu einen . Herzlichen Dank dafür! ({0}) Ich will auch die Gelegenheit nutzen, um noch einmal den vielen ehrenamtlich Engagierten, den vielen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern im Übrigen parteiübergreifend -, aber auch den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Behörden ausdrücklich zu danken, die Hervorragendes leisten . Ich finde es übrigens auch richtig, dass beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ({1}) 2 000 weitere Stellen geschaffen werden . Herzlichen Dank dafür! Wir können stolz sein, was in unserem Land geschieht . ({2}) Herr Schäuble, ich will auch sagen, dass Sie der Flüchtlingsproblematik hier zu Recht eine große Aufmerksamkeit eingeräumt haben . Es ist richtig: Flüchtlinge sind Herausforderung, aber Flüchtlinge sind eben auch Chance für uns . ({3}) Ich will in dieser Debatte aber den Fokus auf die Frage richten: Warum hatten wir eigentlich vor zehn Jahren oder vor drei Jahren nicht so viele Flüchtlinge? Die Flüchtlinge sind Botschafter des schreienden Unrechts und der Kriege in dieser Welt, meine Damen und Herren . ({4}) Schauen wir uns das einmal konkret an . Libyen . Was ist denn das Ergebnis des Engagements der sogenannten Koalition der Vernunft? Gaddafi ist weg. Jetzt haben wir einen fürchterlichen Bürgerkrieg . Von Libyen aus starten die Schiffe mit Flüchtlingen, teilweise auf drei Etagen verteilt . Wer das einmal gesehen hat, weiß: Das ist eine Katastrophe als Ergebnis von Politik . Afghanistan . Seit 13 Jahren engagieren wir uns - jetzt Gott sei Dank auch mehr zivil - vor allen Dingen militärisch . Was ist das Ergebnis? Die Flüchtlingszahlen steigen . Syrien . Für die Menschen in Syrien ist es völlig egal, ob sie unter dem Terror des IS, von Assad oder von Bundesminister Dr . Wolfgang Schäuble al-Nusra leiden . Es ist eine Schande, dass die Weltgemeinschaft da zusieht . Ich war mit Kollegen in Flüchtlingslagern in Jordanien . Da leben 85 000 Menschen . Die Zustände sind katastrophal . Wer ein Zelt hat, ist schon privilegiert . Der Irak ist nach der USA-Intervention ein zerfallendes Land . All das ist Ergebnis von Politik, meine Damen und Herren . Es ist auch Ergebnis des Versagens der Außenpolitik Europas und auch der deutschen Außenpolitik . ({5}) Ein wesentliches Element, meine Damen und Herren, sind eben auch die Waffenexporte. Im Gebiet des IS werden überhaupt keine Waffen produziert . Es gibt dort Waffen aus China, Russland und den USA, aber eben auch unsere Waffen . Im Übrigen produzieren die Waffenexporte von heute die Flüchtlinge von morgen. Gucken Sie sich doch einmal an, was Saudi-Arabien im Jemen tut: Das ist eine Intervention . Dazu gibt es aber kein Wort der Bundesregierung . Und natürlich werden als Nächstes Menschen von dort zu uns kommen . Auch was die Türkei mit den Kurden macht, ist doch völlig inakzeptabel . ({6}) Es muss Schluss sein mit Waffenexporten in diese Region, meine Damen und Herren . Eine Bemerkung zu Europa . Europäische Lösung d’accord . Während der Finanzkrise aber gab es Gipfel auf Gipfel . Mir ist nicht bekannt, dass die Kanzlerin und auch Sie, Herr Schäuble, Ihren Einfluss für eine moderne europäische Flüchtlings- und Asylpolitik mit der Hartnäckigkeit geltend gemacht haben, wie es bei den Griechenland-Hilfen der Fall war . Das ist aber notwendig . Hier sollte Deutschland Führungsstärke zeigen und das mit den Mitteln durchsetzen, die uns zur Verfügung stehen . ({7}) In diesem Zusammenhang sei mir eine Bemerkung auch zu Ungarn gestattet . Sitzen Sie nicht mit den Angehörigen der Partei von Herrn Orban im Europäischen Parlament in einer Fraktion? Können Sie da nicht auch einmal deutlichere Worte finden? ({8}) Was da geschieht, ist doch in Mitteleuropa inakzeptabel, meine Damen und Herren . ({9}) Zuletzt müssen sich diese Punkte doch auch im Haushalt widerspiegeln . Seit Jahren reden wir darüber, dass der Anteil für Entwicklungspolitik am Bruttoinlandsprodukt 0,7 Prozent betragen soll . Was tun Sie denn konkret? Es gibt minimale Erhöhungen . Jetzt wäre doch Zeit, zu handeln . Wir haben mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ({10}) eine Organisation, die das auch könnte . Wir müssen dort mehr tun, wenn wir wirklich Fluchtursachen bekämpfen wollen . Das wäre notwendig . ({11}) Ein weiterer Punkt, der den Haushalt betrifft: Herr Schäuble, Sie haben zu Recht gesagt, es dürfe jetzt keinen Überbietungswettbewerb geben . Aber was es auch nicht geben darf, ist ein unwürdiges Gezerre um das Geld zwischen Ländern, Kommunen und dem Bund . Der Bund sollte die Leistungen für Asylsuchende vollständig übernehmen, bis der Antrag auf Asyl jeweils rechtskräftig entschieden ist . Das wäre eine klare Aussage . Das würde zu einer Entlastung führen . ({12}) Lassen Sie mich zum Haushalt wenige Bemerkungen machen . Sie haben zum Schluss von „bester Politik“ und „erfolgreicher Wirtschafts- und Finanzpolitik“ gesprochen. Ich bin bei so etwas biografisch bedingt ein bisschen allergisch . Ich kann dazu nur feststellen: In der Überschrift Ihres Koalitionsvertrages heißt es „Deutschlands Zukunft gestalten“ . Wo sind denn die großen Reformvorhaben? Das bewegt sich alles auf dem Niveau der Maut, bei der es so kommen wird, dass die Aussage der Kanzlerin „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben“ doch stimmt, oder des Betreuungsgeldes, das das Bundesverfassungsgericht kassiert hat . Es gibt keine großen Reformvorhaben . Sie verwalten, statt zu gestalten, und das angesichts einer problematischen Weltlage . Das ist die Situation . Wenn Sie das DIW zitieren, dann will ich das auch einmal machen . Das DIW sagt, dass Deutschland „erhebliche Wachstumschancen verpasst“ hat . Und genau das setzen Sie fort . Das ist de facto eine Haushaltspolitik ohne Kreativität . Wir fordern: Kein Weiter-so und kein Sonnen in der schwarzen Null . Denn wir sind doch diejenigen, die aktuell vom niedrigen Kurs des Euro, von den extrem niedrigen Zinsen und den niedrigen Rohstoffpreisen profitieren. Das sind die Ursachen der schwarzen Null, aber nicht die tolle Politik, die Sie machen . ({13}) Der DIHK-Hauptgeschäftsführer spricht von einem geliehenen Aufschwung . Das ist die Wahrheit . Es ist ein geliehener Aufschwung . Wenn es so ist, dass Haushaltsfragen Zukunftsfragen sind, dann muss die Investitionsquote erhöht werden, und dann hilft auch kein Verweis auf Starökonomen . Einer der Autoren von Herrn Gabriels Studie zur Investitionsmüdigkeit sagt: Wir brauchen zusätzlich zu den jetzigen Mitteln einen zweistelligen Milliardenbetrag für Investitionen in Breitbandausbau, Bildung, Energiewende und den ökologischen Umbau . Sie machen keine Schulden gegenüber den Finanzmärkten, aber Sie machen Schulden gegenüber den Bundesbürgern, insbesondere gegenüber den jüngeren, meine Damen und Herren, weil Sie viel zu wenig in die Zukunft investieren . ({14}) Dr . Dietmar Bartsch Das könnten Sie übrigens, wenn Sie den Mut hätten, die ungleiche Einkommens- und Vermögensentwicklung in Deutschland nicht nur zu thematisieren, sondern auch Schlussfolgerungen daraus zu ziehen . Es ist doch inakzeptabel, dass 0,1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland über 17,3 Prozent des Vermögens und die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland nur über 2,5 Prozent verfügen . ({15}) Wann zeigen Sie endlich die Bereitschaft, hier etwas abzuholen? Wir brauchen eine Reform der Erbschaftsteuer, um höhere Einnahmen zu generieren . Wir brauchen eine Vermögensteuer in Form einer Millionärsteuer . ({16}) Das wäre notwendig, wenn wir die Aufgaben der Zukunft wirklich realisieren wollen . Ich freue mich, dass es einen Nachtragshaushalt gibt . Aber dabei sollten Sie genau diese Fragen mit ansprechen, damit wir die vor uns liegenden Aufgaben im Hinblick auf die Flüchtlinge und die Gestaltung unseres Landes und Europas realisieren können . Herzlichen Dank . ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Carsten Schneider ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion . ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine ungewöhnliche Haushaltsdebatte . Denn die Bundesregierung hat durch Bundesfinanzminister Schäuble einen Haushalt eingebracht, der jedenfalls so nicht Bestand haben wird . So ist jetzt schon klar - wir Parlamentarier behalten uns natürlich generell vor, Änderungen vorzunehmen -, dass wir es in einer Größenordnung von einigen Milliarden Euro mit neuen Herausforderungen zu tun haben, die zu meistern sind . Es ist richtig: Die ökonomische Lage in Deutschland ist gut . Für Europa würde ich das nicht sagen, aber zumindest für Deutschland gilt dies . Das hat es uns ermöglicht, in den vergangenen Jahren darauf verzichten zu können, Haushalte aufzustellen, die eine Schuldenaufnahme vorgesehen haben . Deswegen war es auch klug, dass wir in den vergangenen Jahren umsichtig gewirtschaftet und Reserven gebildet haben, die wir jetzt in einer Situation nutzen können, in der wir uns aufgrund der bereits von vielen Kolleginnen und Kollegen genannten Flüchtlingskrise besonderen Herausforderungen, aber auch besonderen Chancen gegenübersehen . Und diese Chancen werden wir nutzen . Ich werde noch im Einzelnen darauf eingehen . Über die Lage des Landes und die Frage, welchen Einfluss die Finanzpolitik darauf hat, gibt es, glaube ich, unterschiedliche Analysen und Antworten, Herr Minister Schäuble . Sie haben vorhin sehr stark darauf abgehoben, dass die solide Finanzpolitik, die wir machen, Vertrauen schafft und dies die Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs sei . Ich bin der Meinung, dass sie ein Teil des Erfolgs ist, aber der kleinere . Sie haben bestimmt zehn Minuten Ihrer Redezeit damit verbracht, mehr oder weniger verklausuliert die Notenbanken - die Europäische Zentralbank, die amerikanische Zentralbank, Fed, und die Bank of England - wegen ihrer expansiven Geldpolitik zu kritisieren . Das hat mich sehr an das erinnert, was Frau Wagenknecht hier immer vorträgt . ({0}) - Lieber Michael Grosse-Brömer, das, was Herr Schäuble hier vorgetragen hat, war in Teilen der Analyse sehr ähnlich, insbesondere in der Antwort auf die Frage nach der Entsparung der deutschen Sparer . Ich will dem klar entgegenhalten: Ohne die expansive Geldpolitik der Notenbanken, ohne die Tatsache, dass die EZB agiert hat und in großem Maße in die Finanzmärkte eingegriffen hat, ohne die Interventionen der Notenbanken weltweit hätten wir die Finanz- und Wirtschaftskrise niemals bewältigt . ({1}) Diese Interventionen waren Grundvoraussetzung zur Krisenbewältigung, weil wir als Staatengemeinschaft gar nicht handlungsfähig waren und weil uns auf europäischer Ebene die Instrumente, die es uns ermöglichten, gezielt, schnell und handlungsstark zu agieren, fehlten . Das ist ein Grundfehler der Euro-Politik . Wir werden vielleicht nicht in den nächsten Wochen, wohl aber in den nächsten Monaten Antworten auf die Frage zu geben haben, wie die Zukunft der Euro-Zone aussehen soll: Wird es eine stärkere Zusammenarbeit geben, oder wird die Euro-Zone wieder in kleinere Nationalstaaten auseinanderfallen? Zu unserem Haushalt . Warum ist er ausgeglichen? Dafür gibt es zwei Ursachen . Er ist nicht ausgeglichen, weil wir so rigide gespart haben . Das ist nicht der Fall . ({2}) Die erste Ursache ist der extrem gute Arbeitsmarkt bzw. die gute Wirtschaftslage; das ist das Allerwichtigste . Hier ist vor allem die starke Binnennachfrage zu nennen . Herr Minister, Sie haben bereits auf die Reallohnentwicklung hingewiesen . Diese ist absolut positiv . Die Arbeitnehmer werden in diesem Jahr aufgrund der niedrigen Inflation und der durch die Gewerkschaften endlich erzielten höheren Lohnabschlüsse in die Lage versetzt, mehr Geld in der Tasche zu haben und mehr konsumieren zu können . Das sehen wir an den Lohnsteuereinnahmen, die um 7,5 Prozent steigen, und an den Umsatzsteuereinnahmen, die um 2,5 Prozent steigen . Das heißt, wir haben es mit einem binnenmarktgetriebenen Aufschwung zu tun . Dr . Dietmar Bartsch Wir erfahren aber auch an anderer Stelle eine enorme Entlastung, nämlich bei den Zinsen . Allein 20 Milliarden Euro an Zinsen sparen wir in diesem Jahr im Vergleich zu dem, was Sie in den Jahren 2010 und 2011 geplant hatten. Das ist ein implizierter Windfall Profit. Aber wir hätten einen Haushalt ohne Neuverschuldung niemals allein durch andere Maßnahmen erreichen können . Das ist ein Teil dessen, was uns die Notenbanken quasi geschenkt haben . Daher ist es ein bisschen wohlfeil, zu sagen: „Die sind schuld“, wenn man selbst Profiteur dieser Entwicklungen ist . Das wird dem nicht gerecht . Es ist eigentlich guter Brauch, dass sich der Finanzminister als Exekutive vor dem Bundestag nicht explizit zur Notenbankpolitik äußert; denn so wird die Unabhängigkeit der Zentralbanken angegriffen . Ich dachte, es wäre Konsens, dass die Unabhängigkeit der Zentralbanken unabdingbar ist, um klug zu agieren . ({3}) Eine weitere Frage, auf die wir im Haushalt eine Antwort geben wollen, lautet - hier wird sich die Koalition trotz unterschiedlicher Auffassungen einigen müssen : Woher kommt das Wachstum noch? Wie ich bereits ausgeführt habe, ist die eine Ursache die binnenmarktgetriebene Entwicklung, die zu höheren Löhnen geführt hat . Ein großer Erfolg der SPD ist in diesem Zusammenhang, den Mindestlohn durchgesetzt zu haben . ({4}) Inzwischen besagen auch Studien arbeitgebernaher Institute, dass es durch den Mindestlohn keine Verdrängungseffekte gibt . Im Gegenteil: Wir haben höhere Lohnabschlüsse zu verzeichnen . So verdienen 30 Prozent der Bevölkerung in Erfurt mehr . Was Thomas Oppermann zur Einführung des Mindestlohns gesagt hat, stimmt: Das ist die größte Lohnerhöhung aller Zeiten . Des Weiteren haben wir eine Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu verzeichnen. Angesichts dessen war es richtig, hier ordnungspolitisch einzugreifen . Ich bin froh, dass an dieser Stelle die Politik der SPD und der Gewerkschaften wirkt und dass wir dafür ausreichend Unterstützung haben . ({5}) Ich wüsste nicht, wie es um die Aufnahmebereitschaft der deutschen Bevölkerung bestellt wäre, wenn es keinen Mindestlohn gäbe . Denn eines ist klar: Die Flüchtlinge, die nun auf unseren Arbeitsmarkt kommen und die wir schon unter demografischen Gesichtspunkten benötigen, werden - weil ihr Bildungsniveau nicht unseren Abschlüssen entspricht - vor allen Dingen im unteren Einkommensbereich einen Verdrängungswettbewerb auslösen . Ohne den Mindestlohn ginge der Trend eher nach unten . Deswegen ist es auch für die Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung umso wichtiger, dass wir eine Lohnuntergrenze eingeführt haben . ({6}) Dank der Notenbanken haben wir im Vergleich zum Dollar einen extrem niedrigen Euro-Kurs. Das macht die Exporte billig, und das schafft Raum für zusätzliches Wachstum . Außerdem sorgen die Ölpreise dafür, dass die Kaufkraft steigt . Das alles sind Außenfaktoren, die wir nicht direkt beeinflussen können. Jetzt ist die Frage, wie wir als Bundestag, als Haushaltsgesetzgeber, darauf finanzpolitisch reagieren. Sowohl was die Bekämpfung der europäischen Krise als auch was die Konjunkturstimulierung betrifft - da bin ich Ihrer Auffassung; man sollte investieren, wenn man im Abschwung ist, nicht im Aufschwung -, sind wir zurückhaltend. Ich bin froh, dass jetzt auch im Bundesfinanzministerium klar ist, dass wir in Deutschland einen Investitionsnachholbedarf haben . Das war im vorigen Jahr noch nicht so . Da haben wir als Sozialdemokraten immer wieder gesagt, dass Investitionsnachholbedarf besteht . Sigmar Gabriel hat die Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ unter Leitung des DIW-Präsidenten Fratzscher ins Leben gerufen . Damit hat er das Thema gesetzt . Es ist vollkommen richtig: Wir brauchen auch mehr private Investitionen . Ob sie dann allerdings in den Straßenbau fließen, wie es in Österreich der Fall ist, oder ob es nicht klüger ist, dafür öffentliche Mittel einzusetzen, das wird noch zu entscheiden sein . Das wird vor allem eine Frage der Effizienz sein. Zumindest bisher sind in einigen Bereichen die Antworten noch nicht schlüssig . Der entscheidende Punkt wird sein, das anzugehen, worauf ein Zuruf abzielte, der hier eben von einem Abgeordneten der Grünenfraktion gemacht wurde . Darin wurde behauptet, Deutschland halte sich nicht an die Regeln . Herr Minister Schäuble hat gesagt: Alle müssen sich an die Regeln halten; dann können wir weitere Vertiefungsschritte in der Europäischen Union vollziehen . - Wir halten uns an die Regeln, was die Verschuldung betrifft . Aber wir haben uns neue Vorgaben im Rahmen des sogenannten Six-Pack gesetzt. Dabei geht es auch um die Frage des Leistungsbilanzüberschusses . Wir haben in Deutschland einen Leistungsbilanzüberschuss von über 8 Prozent . Wir haben uns dazu verpflichtet, dass er bei maximal 6 Prozent im Dreijahresdurchschnitt liegen soll . Es geht darum, dass wir hier in Deutschland mehr produzieren und verkaufen und weniger importieren . Auf Dauer geht das nicht gut . Was passiert nämlich, wenn es so weitergeht? Dann geschieht eins: Wir exportieren Waren und bekommen dafür Schuldscheine, und irgendwann platzt die damit verbundene Blase, weil die meisten nicht bezahlen können . Folglich kommt es zu immer mehr Abschreibungen, und es müssen wieder Banken gerettet werden . So war die Situation ab dem Jahr 2007 . Daher ist es nur klug, sich auch diesem Aspekt zu widmen und ihn nicht auszublenden . Das ist das, was insbesondere US-amerikanische Ökonomen und andere bemängeln. Ich finde, wir sind klug beraten, da auch die Vorschläge der Europäischen Kommission ernst zu nehmen . Das hat ein bisschen etwas mit unseren Ausgaben zu tun . ({7}) Carsten Schneider ({8}) Welche sind das? Herr Minister Schäuble hat gesagt: Wir haben jetzt eine Priorität - die Flüchtlingshilfefinanzierung. Das war’s; mehr Neues gibt es nicht. - Nein, dieser Drops ist noch nicht gelutscht . Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir noch einen enormen Bedarf an Infrastrukturinvestitionen haben . Insgesamt erhöhen wir diese Investitionen zwar um 10 Milliarden Euro, erhöhten Investitionsbedarf gibt es aber auch im Bereich Kitaausbau, also bei der Betreuung von Kleinkindern . Hier gibt es einen enormen Nachholbedarf . ({9}) Die Europäische Kommission, der Internationale Währungsfonds, all diese Institutionen schreiben uns ins Stammbuch, dass wir dort mehr machen müssen . Ich bin froh darüber, dass das Verfassungsgericht das Betreuungsgeld gekippt hat . ({10}) Im Jahre 2018 haben wir zusätzlich 1 Milliarde Euro zur Verfügung . Es ist so, dass es nicht nur in hohem Maße integrativ wirkt, in einer Kita zu sein, die Landessprache zu lernen etc ., sondern der Kitaausbau ist auch ökonomisch klug, weil damit die Frauen- und auch die Männererwerbstätigkeit verbessern werden können . Deswegen sollten wir hier nicht so apodiktisch sein und einfach nur sagen: „Die Kommunen bekommen jetzt von uns 3 Milliarden Euro, und das war’s“; denn das würde diesem Bereich nicht gerecht . Diese Mittel würden nicht ausreichen, um alle damit einhergehenden Kosten zu decken . Eine Kürzung der Mittel in den jeweiligen Kommunen und Ländern für Kitas und anderes, um die Notsituation von Flüchtlingen zu lindern, würde deren Akzeptanz nicht fördern . Deswegen sage ich ganz klar: Wir wollen, dass insbesondere die direkten Transfers zugunsten des Ausbaus der Kinderbetreuung in Deutschland verstärkt werden . ({11}) Vor uns liegen in den nächsten drei Monaten sehr spannende Beratungen, auch vor dem Hintergrund einer eventuellen Einigung über den Länderfinanzausgleich. Ich sehe ihnen trotz der Herausforderung, die vor uns steht, optimistisch entgegen . Wir haben gezeigt: Diese Koalition wird hier handeln . Auch wenn wir das eine oder andere Mal anderer Auffassung sind, werden wir uns im Endeffekt einigen . Ich glaube, dass Deutschland stark genug ist, diese Herausforderung anzunehmen und daraus auch eine Chance für dieses Land zu machen . Vielen Dank . ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun der Kollege Kindler das Wort .

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt - das wurde schon gesagt -: Es gibt einen Überschuss 2015 . Kurzfristig scheint es ganz gut auszusehen für den Bundeshaushalt; ich will das hier auch gar nicht kleinreden . Aber ich will einmal die Frage stellen: Woher kommt eigentlich dieser Überschuss? Es gibt historisch niedrige Zinsen, einen stabilen Arbeitsmarkt, eine gute Konjunktur . Das alles hat eigentlich eher weniger mit dieser Bundesregierung zu tun, eher weniger auch mit der Haushaltspolitik . Das ist keine große Leistung, die da erbracht wurde . ({0}) Deswegen, finde ich, sollte man in dieser Debatte ernsthaft diskutieren, wie es mit der Haushaltspolitik weitergeht . Da sollte man sich nicht feiern . Da wünsche ich mir weniger Selbstlob und mehr Zukunftsorientierung, mehr Blick nach vorn . Das wäre angebracht . ({1}) Wenn man in die Zukunft schaut, wenn man sich die nächsten Jahre anschaut und wenn man die Risiken in diesem Haushalt betrachtet, dann sieht man, dass die Regierung, ohne etwas gegen Altersarmut zu tun, die Rentenkasse geleert hat . Das wird teuer werden . Man sieht, dass die Investitionen weiterhin zu gering sind . Das wird für uns teuer werden . Man sieht, dass es Milliardenrisiken bei den Zinsen gibt . Die Klimakrise wird nicht angegangen; sie verschärft sich weiterhin. Es gibt eine große Spaltung zwischen Arm und Reich in Deutschland und in der Welt . Das alles sind große Risiken für diesen Haushalt . Sie werden mit diesem Entwurf leider nicht angegangen . Hier wird leider nur mutlos verwaltet, obwohl man eine so große Mehrheit hat . Eine 80-Prozent-Mehrheit verwaltet nur mutlos, statt zu gestalten, statt jetzt wirklich in die Zukunft zu investieren und das anzupacken . ({2}) Auch in der Flüchtlingspolitik sieht man das: keine große Idee, kein großes Konzept, nur Kurzsichtigkeit . Sie haben die letzten Jahre einfach verschlafen . Dabei war schon absehbar, dass viele Flüchtlinge zu uns kommen, zum Glück, und mit Recht auch hier bleiben werden, weil es nämlich viele Kriege und viel Gewalt in der Welt gibt . Diese Kriege werden nicht einfach aus der Welt verschwinden . Deswegen werden auch noch mehr Flüchtlinge kommen . Man hätte Vorsorge treffen müssen, weil man schon seit vier Jahren weiß, dass es einen blutigen, schrecklichen Krieg in Syrien gibt . ({3}) Carsten Schneider ({4}) Deswegen, finde ich, muss endlich Schluss sein mit den Notoperationen, mit den Einmaleffekten . Jetzt muss es endlich einen großen Wurf geben . Dieses kurzfristige chaotische Krisenmanagement der Bundesregierung bei der Flüchtlingspolitik muss aufhören . ({5}) Es braucht einen großen Wurf für die menschenwürdige Aufnahme und auch für die Integration, damit wir nicht die Fehler wiederholen, die wir bei den Gastarbeitern gemacht haben . Das heißt, man muss jetzt im Haushalt die Voraussetzungen dafür schaffen . Bei den Jobcentern, bei Integrationskursen, beim sozialen Wohnungsbau, bei Bildung und Ausbildung, bei der Integration in die Krankenversicherung darf man nicht kleckern; da muss man jetzt klotzen, da muss man jetzt vernünftig Geld bereitstellen . Das wäre jetzt notwendig, und zwar schnell . ({6}) Ich finde, man darf nicht wieder nur Einmaleffekte bewirken . Man muss jetzt die Kommunen strukturell und dauerhaft entlasten . Wenn man sich das Paket vom Sonntag anguckt, sieht man: Darin stehen 3 Milliarden Euro für 2016, aber nichts ist dauerhaft und strukturell angelegt . Wir wissen doch eigentlich schon jetzt: Das Geld wird nicht ausreichen . Mindestens 5 Milliarden Euro sind zur strukturellen Entlastung notwendig, und die Entlastung muss jetzt schnell kommen und dauerhaft angelegt sein . Ein guter Schritt wäre zum Beispiel die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die Integration von Flüchtlingen in das soziale Sicherungssystem . Mit Notoperationen und Einmaleffekten werden die Kommunen nicht aus der Krise kommen . Die Kommunen müssen jetzt endlich strukturell und dauerhaft entlastet werden . ({7}) Noch einen Satz zum Paket vom Sonntag. Ich finde, es gibt einige gute Punkte; das will ich gar nicht wegreden. Ich finde es auch ausdrücklich richtig, dass die Bundesregierung am Wochenende die Flüchtlinge aus Ungarn aufgenommen hat; das war richtig. Aber man muss natürlich auch sehen, dass massive Verschärfungen in dem Paket enthalten sind, dass die Union an vielen Stellen leider wieder ihre berühmte Giftliste durchgedrückt hat . Die SPD ist eingeknickt . In dem Paket stehen verfassungswidriger Bargeldentzug, Asylrechtseinschränkung durch Festlegung sogenannter sicherer Drittstaaten, Verschärfungen für Geduldete, Zwangsaufenthalte in Erstaufnahmeeinrichtungen . Wir brauchen jetzt schnelle und unbürokratische Hilfe für Flüchtlinge und Unterstützung für die Kommunen . Diese sollte man aber nicht mit Repressionen und der Abwehr von Flüchtlingen koppeln. Das finde ich unredlich . Das sollte man nicht machen . ({8}) Mit diesem Haushalt sollten auch Mittel bereitgestellt werden, um die Fluchtursachen anzugehen . Es ist richtig, dass die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit steigen . Aber insgesamt bleibt die Quote für Entwicklungszusammenarbeit bei 0,4 Prozent stabil . Sie steigt nicht, wie es eigentlich notwendig wäre . 0,7 Prozent wurden schon 1970 versprochen . Das ist 45 Jahre her. Ich finde, jetzt ist endlich die Zeit gekommen, auch international Versprechen einzulösen: beim internationalen Klimaschutz, bei der Entwicklungszusammenarbeit . Deswegen werden wir Grüne in den Haushaltsberatungen einen Aufholplan vorlegen, damit die Versprechen beim Klimaschutz und der Entwicklungszusammenarbeit eingehalten werden können . Das ist jetzt notwendig . Wir müssen die Versprechen einhalten und dürfen sie nicht wieder brechen . ({9}) Durch Umschichtungen und Einnahmeverbesserungen können wir die Gengenfinanzierung gestalten. Wir müssen dafür sorgen, dass es endlich ein vernünftiges Controlling im Bundeshaushalt gibt . Es kann nicht sein, dass sich Herr Schäuble in zentralen Investitionshaushalten daran gewöhnt hat, dass es Kostensteigerungen in Milliardenhöhe gibt, beispielsweise im Rüstungsbereich oder bei der Großbaustelle BER oder bei neuen Autobahnen . Das ist nicht akzeptabel . Wir brauchen Good Governance, gute Regierungsführung, gutes Controlling im Haushalt. Ich finde, Herr Schäuble, hier kann man sich nicht immer wegducken . Hier muss man handeln . Man muss dafür sorgen, dass die Verschwendungen, die Kostensteigerungen im Haushalt aufhören . ({10}) Auch beim Subventionsabbau kann man viel Geld einsparen . Da muss man handeln, da muss man anpacken . Jedes Jahr werden über 52 Milliarden Euro für klimaschädliche Subventionen ausgegeben: im Flugverkehr, bei Dienstwagen, bei Atom, bei Kohle und bei Öl . Hier ist ganz viel zu holen; kurzfristig kann man mindestens 10 Milliarden Euro einsparen . Natürlich weiß ich, dass es anstrengend ist, dass es nervig ist, dass man sich mit Lobbys anlegen muss . Aber darum geht es im Haushalt . Man muss anpacken, man muss kämpfen, man muss gestalten, man muss umbauen. Ich finde, das ist notwendig. Man sollte nicht wieder mutlos verwalten und ein bisschen Geld verteilen, sondern man sollte Strukturen verändern, damit der Haushalt in Zukunft gut aufgestellt ist . ({11}) Dann hat man auch Geld, um Investitionen zu finanzieren . Beim Thema Investitionen muss man sagen: null Konzept, null Idee . Obwohl die Ausgaben im Finanzplan bis 2019 auf 333 Milliarden Euro kräftig steigen, sinkt die Investitionsquote . Die Ausgaben verharren nominal bei 30 Milliarden Euro . Das ist ein echtes Zukunftsrisiko für diesen Haushalt . Nachfolgende Generationen werden das teuer bezahlen, wenn die Infrastruktur nicht stimmt, wenn nicht in die Zukunft investiert wird . Das verstößt unserer Ansicht nach gegen die Generationengerechtigkeit . ({12}) Das ist auch ein Werteverzehr . Wir haben gesehen, dass sich in den letzten 20 Jahren das private Nettovermögen gerade bei den obersten 10 Prozent auf 10 Billionen Euro verdoppelt hat . Das staatliche Nettovermögen ist von 800 Milliarden Euro auf nahezu null geschrumpft . Das muss jetzt gestoppt werden . Deswegen muss man auch haushaltspolitisch handeln . Wir Grüne schlagen deshalb vor, die Schuldenbremse durch eine ehrliche Bilanzierung in den zentralen Investitionshaushalten zu ergänzen . Wir wollen eine Investitionsregel, die klarmacht, dass man nicht weiter öffentliches Vermögen abschmelzen kann, dass Werte erhalten bleiben, dass im Haushalt gut gewirtschaftet wird, dass wir für die Zukunft vorsorgen . Darum muss es jetzt gehen . ({13}) Die Frage ist: Wie soll diese Gesellschaft in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren aussehen? Was muss man dafür jetzt machen? Wenn man nicht jetzt, in diesen günstigen Zeiten, mit den glücklichen Umständen im Haushalt, wirklich gestaltet, anpackt und Veränderungen vorantreibt, dann wird man nachher große Probleme haben . Deswegen darf man nicht nur mutlos verwalten und kurzsichtig agieren, sondern man muss jetzt dafür sorgen, dass man anpackt, in den Haushaltsberatungen für die Zukunft sorgt und Änderungen an dem Entwurf vornimmt . Hier werden wir uns ganz kräftig einbringen . Wir hoffen, dass Sie, wenn Sie selbst keine Idee haben, sich von unseren Ideen inspirieren lassen . Vielen Dank . ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern titelte eine große deutsche Tageszeitung in ihrer Onlineausgabe: Politik im permanenten Ausnahmezustand . Lassen wir einmal die vergangenen sieben Jahre Revue passieren: 2008 die Bankenkrise, anschließend die Konjunkturkrise, daran anschließend Haushaltsentwürfe mit einer Verschuldung von 80 Milliarden Euro . Dann ging es weiter mit der großen Euro-Krise: erst Griechenland, dann Portugal, dann Irland, dann Spanien und dann Zypern . Dabei wurde uns prophezeit, dass der Euro auseinanderbrechen werde . Dann ging es weiter mit den schrecklichen Ereignissen in der Ukraine, mit dem Krieg an der dortigen Ostgrenze, der fürchterliches Leid für die Menschen bedeutete . Großes Leid für die Menschen bedeuteten aber auch die Sanktionen . Sie brachten große Einbußen für die deutsche Wirtschaft, insbesondere für die Landwirtschaft, mit sich . Wir haben das gestern anhand des Protestes gesehen . Dann wiederholte sich die Griechenland-Krise ein zweites und ein drittes Mal . Jetzt sind wir wieder in einem permanenten Ausnahmezustand, weil viele Menschen vor unseren Türen stehen, die zu uns wollen . Sie möchten an unserer Freiheit, an unserem Rechtsstaat, aber auch an unserem Sozialstaat und an unserem Wohlstand partizipieren . Wenn man das alles betrachtet, kann man sagen: Politik im permanenten Ausnahmezustand . Obwohl wir uns seit sieben Jahren im Ausnahmezustand befinden, brummt die Wirtschaft in Deutschland wie nie zuvor . Die Wirtschaftskraft ist groß . Das Wachstum ist gut . Wir erzielen hohe Steuereinnahmen . Wir haben vor allen Dingen - und das ist das allerwichtigste gute Beschäftigungsdaten . Meine Damen und Herren, das alles schlägt sich auch im Haushaltsentwurf 2016 nieder . Das schlägt sich insofern nieder, als dass das nicht nur, wie es die Opposition gesagt hat, wie es auch Herr Schneider gesagt hat, dem Zufall äußerer Umstände geschuldet ist . Da Sie mich angetriggert haben, kann ich es Ihnen und auch dem Kollegen Kahrs nicht ersparen, darauf hinzuweisen, dass für die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen dieselben günstigen Umstände gelten wie für uns . Auch dort gibt es niedrige Zinsen und hohe Steuereinnahmen . Trotzdem schafft sie es nicht, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, ({0}) wie wir es seit 2014 schaffen . 2014 hatten wir im Haushaltsvollzug einen ausgeglichenen Haushalt . Wir hatten 2015 einen ausgeglichenen Haushalt . Nach der Planung für 2016 haben wir auch im Jahr 2016 einen ausgeglichenen Haushalt . Wir haben das geschafft, obwohl - oder vielleicht auch weil - wir die Steuern nicht erhöht und keine neuen Steuern auf den Weg gebracht haben . Wir haben das geschafft, obwohl und weil - der Bundesfinanzminister hat es erläutert - wir Investitionen auf den Weg gebracht haben, übrigens nicht nur beim Bund mit dem 10-Milliarden-Euro-Paket, sondern auch bei den Kommunen mit dem 3,5-Milliarden-Euro-Paket, das im kommenden Jahr tatsächlich Wirkung entfalten wird . Wir haben das geschafft - der Bundesfinanzminister hat auch das erläutert -, obwohl und weil wir die Ausgaben für Bildung und Forschung in einem bisher nie gekannten Ausmaß gesteigert haben . Wir haben das geschafft, obwohl und weil wir Steuererleichterungen auf den Weg bringen wollen, wir die kalte Progression angehen und den Kinderfreibetrag und das Kindergeld anheben . Wir haben dies geschafft, obwohl und weil wir keine Kürzungen im Sozialbereich vorgenommen haben . Im Gegenteil: Wir haben Mehrausgaben im Familienbereich und im Bereich der sozialen Sicherungssysteme . Das alles passt zusammen . ({1}) Nichtsdestotrotz stehen wir vor einer großen Herausforderung . Das ist auch in allen Reden zuvor angeklungen . Als dieser Bundeshaushaltsentwurf im Frühling und im Sommer dieses Jahres im Bundesfinanzministerium aufgestellt worden ist, konnten wir uns alle nicht vorstellen, dass Hunderttausende von Menschen und vielleicht über Jahre hinweg Millionen von Menschen zu uns nach Deutschland kommen werden . Deswegen werden diese Haushaltsberatungen sehr schwierige Haushaltsberatungen werden . Es ist jetzt leicht zu sagen, dass wir das lösen, indem wir das aufgeben, was wir erreicht haben, wie zum Beispiel die schwarze Null und die Nichtkürzung in anderen Bereichen . Das kann aber nicht unser Ziel sein . Unser Ziel muss es sein, diesen Haushalt ausgeglichen hinzubekommen, obwohl wir sehr viele Mittel aufwenden müssen, um die Menschen, die zu uns kommen, nicht nur zu beherbergen, ihnen nicht nur eine medizinische Versorgung zu bieten, sondern sie auch zu integrieren . Meine Damen und Herren, momentan gibt es bei uns in Deutschland wunderbare Bilder . Menschen stehen mit Luftballons an Bahnhöfen . Die Spendenbereitschaft für Erstaufnahmeeinrichtungen ist groß . Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, zu sagen, dass das die ersten zehn Meter eines Marathonlaufs sind, und dieser Marathonlauf wird für uns alle verdammt lang und für uns Haushälter eine sehr große Herausforderung werden . ({2}) Ich möchte hier etwas sagen, was Haushälter an dieser Stelle immer sagen und wozu die Kollegen aus den einzelnen Fachressorts sagen: „Das ist doch irgendwie langweilig“ und „Das ist kalter Kaffee“ . Ich bin jetzt fast versucht, zu sagen: „So wie die sich alljährlich wiederholenden Reden vom Kollegen Kindler“; aber das wäre etwas polemisch . Die Geschichte ist folgende - es ist nicht langweilig, was ich jetzt sage; es ist bitterer Ernst -: Wir haben in diesem Haushalt keinen Raum für zusätzliche Wünsche, für gute Ideen und für Dinge, die man immer mal tun wollte . Wir müssen uns wirklich darauf konzentrieren, die Dinge zu priorisieren . Wichtig ist, dass wir mit den Hunderttausenden von Menschen, die zu uns kommen, anständig umgehen und sie so integrieren, dass sie vielleicht tatsächlich eine Chance für diese Gesellschaft sind, weil sie dann auch zur Wirtschaftskraft dieses Landes beitragen . Deswegen meine dringende Bitte an alle Kolleginnen und Kollegen - wir Haushälter wissen, wer bei uns vor der Tür steht, wenn es ernst wird und zur Bereinigungssitzung geht -: Wir müssen priorisieren, und Priorisierung heißt, dass wir jetzt die wichtigsten Dinge zuerst machen . Dementsprechend müssen wir den einen oder anderen Wunsch zurückstellen . Meine Damen und Herren, das ist das Tagesgeschäft . Der Kollege Kindler hat zu Recht angesprochen, dass wir über den Tag hinaus denken müssen . Wir müssen uns auch mit den strukturellen Fragen im Haushalt beschäftigen . Wir können uns nicht darauf verlassen, dass wir irgendwann einmal aus diesem Alarm- und Krisenmodus herauskommen, der die letzten sieben Jahre angehalten hat . Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir das aufgreifen, was der Bundesfinanzminister gesagt hat: Über 50 Prozent der Mittel des Bundeshaushalts fließen in die Sozialsysteme, der größte Teil davon im Übrigen in die sozialen Sicherungssysteme . Das wird mehr werden . Demjenigen, der wieder eine Idee hat, wie man die Bereiche Rente, Krankenversicherung usw . kostenmäßig aufblasen kann, sage ich: Das geht nicht . Wir müssen gucken, dass wir die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig machen . Wir müssen sie nachhaltig gestalten . Da gibt es keinen Platz mehr für zusätzliche Wünsche . Wir müssen an dieser Stelle konsolidieren . ({3}) Eine weitere Strukturfrage, die wir uns stellen müssen, ist die der Investitionen . Wir haben zu Recht angesprochen, dass wir ab 2016 ein 10-Milliarden-Paket auf den Weg bringen . Es ist zu Recht angesprochen worden, dass wir die Kommunen unterstützen . Wir erleben als Haushälter aber momentan auch eines - die Verkehrspolitiker können das sicherlich bestätigen -: Wir stoßen langsam an die Grenzen, wenn es darum geht, das Geld auszugeben . Wenn wir in einigen Bundesländern nicht genügend planfestgestellte Straßenverkehrsprojekte und kein Baurecht haben, dann können wir dort auch nicht bauen . ({4}) Deswegen reicht es nicht, nur Geld zur Verfügung zu stellen . Wir müssen auch die entsprechenden Ressourcen schaffen . Es ist insbesondere Aufgabe der Bundesländer, dass dieses Geld auch verbaut werden und somit nützliche Effekte für unsere Volkswirtschaft entfalten kann . Wir müssen uns auch die Tatsache vor Augen halten, dass wir aufgrund der günstigen wirtschaftlichen Situation momentan Steuereinnahmen haben wie nie . Es ist aber nicht garantiert, dass dies so bleibt; das ist auch schon mehrfach gesagt worden . Vielleicht hat der eine oder andere aufgrund dessen, was in den letzten Wochen in China passiert ist, eine ungefähre Vorstellung davon entwickelt, wie dünn das Eis ist, auf dem unsere Wirtschaft momentan steht . Wir müssen daher Vorsorge treffen . Wir müssen damit rechnen, dass die Steuereinnahmen wieder sinken . Wir müssen auf der anderen Seite aber auch alles dafür tun, dass diese Wirtschaft, die die Steuereinnahmen generiert, funktioniert und dass die Steuereinnahmen, die von Menschen durch ihre Beschäftigung generiert werden und die wir dann für viele Zwecke aufwenden, auch erwirtschaftet werden können . Ich würde mir wünschen, Herr Kindler, dass wir in dieser Haushaltsdebatte ein bisschen mehr über das Erwirtschaften unserer Steuereinnahmen und unseres Wohlstandes und nicht nur über das Ausgeben sprechen . ({5}) Der Bundesfinanzminister hat noch ein weiteres Projekt angesprochen; er hat es „Spending Review“ genannt. Es gibt verschiedene andere englische Begriffe dafür, zum Beispiel „More Value for Money“ . Es geht einfach darum - das ist an dieser Stelle auch schon gesagt worden -, dass wir aus jedem Euro, den wir im Bundeshaushalt ausgeben, ein Stückchen mehr herausholen, als das in der Vergangenheit der Fall war . Wenn wir 10 Prozent effektiver bauen und wenn wir die Leistungen, die wir für Langzeitarbeitslose aufwenden, und die SozialausRalph Brinkhaus gaben mit einem um 10 Prozent höheren Wirkungsgrad einsetzen könnten, dann hätten wir schon sehr viele Probleme gelöst . Deswegen geht es auch darum, dass wir uns in den Haushaltsberatungen nicht nur mit der Quantität der Ausgaben, der Menge, den Zahlen beschäftigen, sondern uns auch viel mehr damit beschäftigen, wie wir dieses Geld effizient oder zumindest effektiver ausgeben können . Auch das gehört zur Haushaltspolitik . ({6}) Ich schließe und fasse zusammen: Erstens . Wir sind natürlich im Ausnahmezustand, aber ich glaube, wir haben gelernt, damit umzugehen . Zweitens . Der Haushaltsplan ist gut, es gibt das dritte Mal hintereinander die schwarze Null . Drittens . Das Ziel, die zusätzlichen Belastungen in diesen Haushaltsplan einzubauen, ist sehr ambitioniert . Dabei müssen wir uns alle anstrengen . Viertens . Wir müssen an die Strukturen denken und nicht nur an das Tagesgeschäft . Fünftens - und hier fand ich Ihre Bemerkung, Herr Bundesfinanzminister, sehr wichtig -: Die Bewältigung dieser momentanen Herausforderung im Zusammenhang mit den Flüchtlingen ist die Aufgabe unserer Generation . Wir dürfen sie nicht durch Schulden auf die nächsten Generationen übertragen, weil die nächsten Generationen wieder vor neuen Herausforderungen und Aufgaben stehen werden, denen sie sich dann stellen müssen . Das sollte der Maßstab für unsere Haushaltsberatungen sein . Danke schön . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen wir uns einmal die Herausforderung des Jahres 2015 zurückverlegt in das Jahr 2010 vor, als der Bundeshaushalt mit Schulden in Höhe von 86 Milliarden Euro im Soll war und die Konjunktur sich nur langsam erholte . Was wäre gewesen, wenn wir vor der gleichen Herausforderung wie heute gestanden hätten? Wir hier im Deutschen Bundestag sind für den Haushalt zuständig . Wir sollten einmal Revue passieren lassen, was in den letzten fünf Jahren passiert ist, und den Blick auf dieses Jahrzehnt werfen . Erste Bemerkung: In dieser Zeit, vereinbart bis 2019 und teilweise schon vollzogen, gab es finanzielle Zugeständnisse des Bundes an Länder und Kommunen in Höhe von 150 Milliarden Euro . Dabei war die Grundsicherung im Alter der größte Brocken . Hinzu kamen die komplette Übernahme des BAföG, der Kitaausbau - der Bundesfinanzminister hat die Summe von 5,4 Milliarden Euro genannt -, der Hochschulpakt usw . Kollege Schneider, ich wäre ein bisschen vorsichtig, ständig das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Betreuungsgeld zu zitieren . Der Bund ist auch nicht zuständig für Kitas und auch nicht für Schulen . Der Bund ist auch nicht zuständig für Hochschulen, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({0}) Wir müssen uns fragen: Wofür sind wir zuständig, und was tun wir politisch? Stichwort „Steuereinnahmen“: Wir werden in diesem Jahrzehnt gesamtstaatlich rund 224 Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen haben . Davon entfallen auf den Bund rund 97 Milliarden Euro, auf die Länder 92 Milliarden Euro und auf die Kommunen etwa 34,4 Milliarden Euro . Eines hat mich wirklich geärgert, Kollege Bartsch, nämlich wenn man sagt, dies sei alles ein Gezerre . Es bedarf doch erst einmal einer Definition dessen, was strukturell getan werden muss, um das Problem der Flüchtlinge und der Asylbewerber in den Griff zu bekommen, und welche finanziellen Mittel in einem ersten Schritt zur Verfügung gestellt werden müssen . Im Gegensatz zu meinem Heimatland Mecklenburg-Vorpommern, das nicht das strukturstärkste ist, in dem die Kommunen jedoch die Kosten für die Flüchtlinge in voller Höhe ersetzt kriegen, und zwar spitz abgerechnet, sagen jetzt schon die ersten Länder, zum Beispiel der Innenminister aus Nordrhein-Westfalen: Das alles ist viel zu wenig . Dort klagen die Kommunen, dass sie auf 70 Prozent der Kosten sitzen bleiben . Dazu kann ich nur sagen: Wenn wir das Thema Flüchtlinge als gesamtstaatliche Aufgabe ansehen, dann muss auch entsprechend gehandelt werden . ({1}) Ich sage dies auch noch aus einem anderen Grund: Auch das Land Nordrhein-Westfalen - und ich könnte noch andere Länder nennen; das ist jetzt überhaupt nicht mein Thema ({2}) hat in den letzten 18 Monaten 3 Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen gehabt . Im letzten Jahr waren es 1,7 Milliarden Euro, im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es 1,3 Milliarden Euro . Daher lautet meine Botschaft an dieser Stelle gerade zu diesem Thema: Wir sollten fair miteinander umgehen . Ein zweiter Punkt - und hier sind wir alle gefordert; ich sage das nicht zum ersten Mal von dieser Stelle aus : Ich finde es richtig, dass sich die Bundesbauministerin Gedanken um das Thema „sozialer Wohnungsbau“ macht. Nicht richtig finde ich aber Folgendes: In den Entflechtungsmitteln sind 518 Millionen Euro für die soziale Wohnraumförderung enthalten . Diese Summe steht den Ländern frei zur Verfügung . Gucken Sie sich aber einmal an, welches Bundesland wirklich den kompletten Betrag aus der alten Verwaltungsvereinbarung für den sozialen Wohnungsbau einsetzt . Wir wären miteinander gesamtstaatlich mehrere Meilen weiter, wenn die Länder die Mittel wirklich für den Zweck vereinnahmten und an die Kommunen weitergäben, den wir politisch miteinander vereinbart haben . ({3}) Deswegen ist es ganz wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir, wenn wir am 24 . September mit den Ländern und Kommunen die Bereitstellung von Mitteln politisch vereinbaren und danach die entsprechenden Dinge im Bundestag umsetzen - struktureller Nachtragshaushalt und dann Ausfinanzierung im Haushalt 2016 -, wirklich Mechanismen einfügen, die sicherstellen, dass die Mittel für den vereinbarten Zweck vor Ort ankommen . Ansonsten wird es in einem halben Jahr oder in einem Jahr, auch wenn das Geld auskömmlich zur Verfügung steht, über die Parteigrenzen hinweg heißen - wir haben ganz unterschiedliche politische Farben in den Ländern -: Der Bund stellt nicht genug zur Verfügung . Wir alle miteinander in diesem Deutschen Bundestag haben nichts gekonnt, wenn das Geld für Flüchtlinge und Asylbewerber, das politisch vereinbart worden ist, nicht für den Zweck vor Ort ankommt, den wir miteinander vereinbart haben . Dass es dort ankommt, muss eine Grundbedingung für die Verhandlungen am 24 . September sein . ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein dritter Punkt ist mir wichtig: Wir werden das umsetzen, was wir miteinander politisch vereinbart haben . Kollege Kindler, die Frage im Verkehrsinfrastrukturbereich, bei Schiene, Straße, Wasserstraße und darüber hinaus, wird nicht mehr sein, ob genug Geld zur Verfügung steht; es wird eine Frage der Umsetzung sein . Das heißt, die Bahn wird gefordert sein, der Bund wird bei der Wasserstraße gefordert sein und die Länder werden beim Straßenbau gefordert sein, dass das Geld - auch das Geld, was gerade im Einzelplan 12 steht - auch wirklich ausgegeben wird . Deswegen war es gut und richtig, die Entscheidung zu treffen, die Bereitstellung der ganzen Verkehrsinfrastrukturmittel überjährig zu gestalten . Kollege Kindler, Sie sollten mal den neuen Straßenbauplan lesen . Ich nehme nur mal das Beispiel der A°14, bei dem Sie von Kostensteigerungen reden . Mittlerweile ist ein Drittel der gesamten Kostensteigerungen ökologischen Maßnahmen anzulasten: Ausgleichsmaßnahmen, Wildbrücken, Krötentunnel usw . Gucken Sie sich die Kostensteigerungen bei der A 14 an: 30 Prozent basieren auf diesem Bereich . ({5}) Wenn die Gesellschaft das will, dann müssen wir das auch ausfinanzieren. Aber Sie sollten sich nicht hierhinstellen und dem Bundesfinanzminister vorwerfen, er hätte an dieser Stelle ein mangelndes Controlling . Das halte ich für unredlich . Sie sagen, wir dächten nicht an die Zukunft . Natürlich denken wir an die Zukunft . Ich will Ihnen nur sagen: Der Familienetat steigt in dieser Legislaturperiode von 6 Milliarden auf über 9 Milliarden Euro . Lassen Sie mich noch einige Sätze zu dem Thema sagen, weil der Kollege Schneider damit angefangen hat . Lieber Kollege Schneider, ich bin Haushälter, ({6}) und in den zukünftigen Jahren möchte ich eines nicht erleben: dass wir beim Elterngeld ständig Geld nachschieben. Der Vorwurf, dass der Bundesfinanzminister kein Herz für Kinder hat, trifft nicht . Wir haben allein in den letzten vier Jahren über 1 Milliarde Euro aus dem Gesamthaushalt für das Elterngeld nachgeschoben . ({7}) Meine Priorität ist, dass das Elterngeld vernünftig ausfinanziert wird . Wir haben steigende Nominaleinkommen, wir haben verbesserte gesetzliche Leistungen, und deswegen sollten wir erst mal die Etats ausfinanzieren, ehe wir dann über neue Projekte reden, für die der Bund zudem nicht zuständig ist . ({8}) Auch der Vorwurf, dass wir für Forschung und Entwicklung nicht genug Geld ausgegeben haben, trifft nicht . Seitdem Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, hat sich der Etat des Einzelplanes 30, der Etat für Bildung und Forschung, schlichtweg verdoppelt . Die Renditen fahren wir mittlerweile ein: Wissenschaftler aus der ganzen Welt kommen nach Deutschland, die Zahl der Patente nimmt zu, und die Forschungs- und Bildungslandschaft blüht wirklich . Hier hat der Bund - nehmen wir den Hochschulpakt, den Qualitätspakt Lehre, den Pakt für Forschung und Innovation - keine unmittelbare Zuständigkeit . Ich will jetzt gar nicht davon reden, was das eine oder andere Land mit den Mitteln aus dem Hochschulpakt macht . Aber wenn der Bund hier nicht massiv eingestiegen wäre, dann wären wir im Forschungs- und Bildungsbereich nicht so weit, wie wir heute sind . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mit dem Kollegen Kahrs völlig einer Meinung ({10}) - bei dem, was du, lieber Johannes, heute in der Welt hast verlauten lassen -: Wir werden keine neuen Schulden machen . - Das hat nichts mit einem Fetisch zu tun, mit einem Hobby von irgendwem . Keine neuen Schulden das ist Generationengerechtigkeit, das ist Basis für die Zukunft, für zukünftige Generationen in Deutschland . ({11}) In dieser Hinsicht gab es einen Tabubruch in der Großen Koalition zwischen 2005 und 2009 . 2009 wurde dann die Schuldenbremse vereinbart . Die sollten wir wirklich einhalten und nicht nach dem Motto verfahren, das in den vergangenen Jahrzehnten galt: Es ist uns wurschtegal, wie viele Schulden wir aktuell machen, die nachfolgenEckhardt Rehberg den Generationen werden sie schon abbezahlen . - Das ist der Tabubruch, den wir begangen haben . Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Flüchtlingsproblematik werden lösen können, und zwar ohne neue Steuern und neue Abgaben . Wir dürfen keine neue Steuererhöhungsdebatte anfangen . Herr Ramelow fordert jetzt, dass die Einnahmen aus dem Soli, rund 20 Milliarden Euro jährlich, umgewidmet werden sollen . Die Hälfte der Einnahmen aus dem Soli soll in die Bund-Länder-Finanzbeziehungen gesteckt und die andere Hälfte für die Flüchtlinge ausgeben werden, dann sei man bei null . Ich kann dazu nur sagen: Kollege Ramelow, so macht man vielleicht in Thüringen Haushaltspolitik, aber nicht im Deutschen Bundestag . ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es darf keine Abstriche bei den vereinbarten politischen Leistungen im Infrastrukturbereich geben . Ich sage auch ganz klar und deutlich: Wir werden die Bürgerinnen und Bürger weiterhin entlasten, vor allem die Familien, Stichworte: Kinderfreibetrag, Kindergeld, Kinderzuschlag und kalte Progression . Ich glaube, mit dem Dreiklang - keine neuen Schulden machen trotz der Herausforderungen durch die Flüchtlingsproblematik, politische Zusagen einhalten und Bürger entlasten - sind wir gut aufgestellt . Herzlichen Dank . ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich möchte mich zuerst im Namen meiner Fraktion bei allen Menschen bedanken, die geholfen haben, Flüchtlinge in Deutschland menschenwürdig aufzunehmen . ({0}) Wir haben eine Welle der Hilfsbereitschaft der Anständigen erlebt von Bürgerinnen und Bürgern, die der Überzeugung sind, dass man Flüchtlinge wie Menschen behandeln muss . Da der Name Ramelow fiel, möchte ich ihn hier ausdrücklich loben und hervorheben, dass er als Ministerpräsident persönlich auf die Flüchtlinge zugegangen ist und dass er sich persönlich für sie eingesetzt hat. Ich finde, das verdient unser aller Hochachtung . ({1}) Gleichzeitig haben wir wieder erleben müssen, dass die Zuständigen in der Bundesregierung sehr lange versagt haben . Sie haben die Städte und Gemeinden sehr lange allein gelassen und damit Chaos produziert . Aber Abschreckung funktioniert nicht . Flüchtlinge, die aus Krisengebieten kommen, lassen sich nicht von überfüllten Heimen und auch nicht von „Sachleistung statt Geld“ abschrecken . Das sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen . ({2}) Es ist gut, dass auf dem Koalitionstreffen vom Wochenende 6 Milliarden Euro zusätzlich für die Flüchtlingshilfe versprochen wurden . Allerdings wissen wir, dass damit längst noch nicht alle Probleme gelöst sind . Viele der zuständigen Verwaltungen sind personell hoffnungslos überfordert . Nur ein Beispiel: Hier in Berlin lässt der zuständige CDU-Senator Hotelgutscheine für Flüchtlinge ausgeben . Die Hotels nehmen aber keine Flüchtlinge mehr auf, weil der Senat über Monate die Rechnungen nicht bezahlt hat . Es fehlte einfach Personal, das die Rechnungen bearbeitet . Das darf so nicht weitergehen . ({3}) Die Kürzungspolitik der vergangenen Jahre hat zu einem drastischen Stellenabbau im Bereich der bürgernahen Verwaltung geführt . Der öffentliche Dienst ist in vielen Bereichen nicht mehr in der Lage, seine gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen . Dazu kommt noch die Privatisierungspolitik in vielen Bereichen . In Krisensituationen wie dieser wird besonders deutlich, wie falsch es ist, staatliche Aufgaben zu privatisieren und öffentliches Eigentum zu verkaufen . Jetzt müssen für viel Geld Grundstücke gemietet oder zurückgekauft bzw . Dienstleistungen eingekauft werden . Es gibt leider auch einige windige Geschäftemacher, die sich am Elend der Flüchtlinge bereichern wollen . Ich sage ganz deutlich: Es wird Zeit, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben endlich wieder von der öffentlichen Hand übernommen werden . ({4}) Ungeplante Ereignisse sind in dem Haushaltsentwurf, so wie er jetzt vorliegt, nicht vorgesehen . Alles ist auf Kante genäht . Alles wird der schwarzen Null untergeordnet . Das führt in eine Sackgasse . Wir wissen alle, dass die Flüchtlingshilfe nur ein erster kleiner Schritt ist . Die Integration der Menschen in unsere Gesellschaft wird uns mehr abverlangen . Ich sage es ganz deutlich - wir als Linke sind davon überzeugt: Als eines der reichsten Länder Europas können wir diese Aufgabe auch erfüllen . ({5}) Darum schlage ich vor, dass wir ein Integrationskonjunkturprogramm auflegen. Das wäre nämlich für alle gut . Es geht ja nicht nur um fehlende sanitäre Einrichtungen und Sprachkurse . Wir müssen in Kitas, Schulen, Wohnungen und Krankenhäuser investieren . Mit solch einem Programm könnten Tausende Arbeitsplätze geschaffen werden, auch für Langzeitarbeitslose . ({6}) Wäre es nicht an der Zeit, dass der Wirtschaftsminister die Unternehmensverbände an den Tisch holt? Am Wochenende sagte der Chef von Porsche, Herr Müller, dass die Wirtschaft mehr Verantwortung übernehmen müsse . Ich finde, das klingt nach einem Angebot, und das muss man aufgreifen . Wer in Zukunft Fachkräfte braucht, der muss sich jetzt um Integrationsprogramme kümmern . Man kann nicht alles den Steuerzahlern überlassen . Hier sind auch die Unternehmen gefragt . ({7}) Wäre es nicht an der Zeit, dass sich die Arbeitsministerin dafür einsetzt, dass Flüchtlinge, wie es in Schweden der Fall ist, ab dem ersten Tag arbeiten dürfen und nicht drei Monate warten müssen? ({8}) Ich könnte hier für jeden Minister eine sinnvolle Aufgabe im Rahmen eines solchen Integrationskonjunkturprogramms nennen . Ich setze mich dafür ein, dass wir während der Haushaltsberatungen die finanziellen Grundlagen für ein solches sinnvolles Programm schaffen . Meine Damen und Herren aus der Koalition: Sie wollen doch keinen Nach-mir-die-Sintflut-Haushalt, kein Testament vorlegen . Wir müssen jetzt an einem Zukunftspaket arbeiten . Die Linke ist dazu bereit . Vielen Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Johannes Kahrs ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion . ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in den letzten Tagen in Hamburg Erstaunliches erlebt - viele werden das bei sich zu Hause auch erlebt haben : Gute Freunde von mir haben sich eine Woche Urlaub genommen, sind in die Messehallen gegangen und haben geholfen . Es gibt lange Schlangen von Menschen, die sich freiwillig melden . Andere haben ihre Kleiderschränke ausgeräumt . Wenn große Teile der Bevölkerung nicht nur reden, sondern auch tun, dann ist es gut, dass die Bundesregierung, Frau Merkel, Sigmar Gabriel und all die anderen, am Wochenende Beschlüsse gefasst haben, von denen wir alle gehofft haben, dass sie kommen . Das ist eine Ansage: 6 Milliarden Euro sind auch in einem Bundeshaushalt viel Geld . Wenn man sich anschaut, dass auch 3 000 neue Stellen für die Bundespolizei, Stellen für das BAMF und 10 000 Stellen für den Bundesfreiwilligendienst, für die Bufdis, vorgesehen sind, dann erkennt man, dass Bevölkerung, Regierung, die Parteien, dass alle an einem Strang ziehen . Ich glaube, dass das wichtig ist . Der Kollege Brinkhaus hatte recht, als er gesagt hat: Das ist jetzt kein kurzer Sprint, sondern das sind die ersten Schritte bei einem Marathon, und der wird dauern . Deswegen ist es wichtig, dass wir hier einen Haushalt vorlegen, mit dem nicht nur für das kommende Jahr die Weichen gestellt werden, sondern auch langfristig . Schauen wir uns an, was das für die Bundespolizei bedeutet: Die ersten Polizisten, die über dieses Programm eingestellt werden, stehen nach ihrer Ausbildung, also in drei Jahren, zur Verfügung . Das heißt, in der Zwischenzeit muss man Arbeiter einstellen, die einfache Arbeiten übernehmen, für die man nicht lange ausgebildet werden muss . Man wird Kompromisse machen müssen . Wir werden an Regelwerke herangehen müssen . Auch beim Bauen und in anderen Bereichen müssen wir schauen, wie wir das hinbekommen . Die deutsche Gesellschaft ist sehr gut organisiert, einen Hauch überbürokratisiert und manchmal auch ein bisschen behäbig . Ich glaube, dieser Aufbruch, dieser Schwung muss alle erfassen und darf nicht an Verwaltungsvorschriften, an Bürokratie zerschellen . Man muss gemeinsam etwas tun . Es ist wichtig, dass auch wir Abgeordnete unseren Teil dazutun . Wir Haushälter sind ja manchmal nicht nah an den Inhalten . Wir fragen immer erst einmal: Was soll das kosten? Die Kollegen kriegen deswegen oft die Krise, wenn wir um die Ecke kommen . Und dann fragen wir auch noch: Wer soll das bezahlen? Das macht es nicht besser . Ich glaube, in dieser Situation muss man die Verhältnisse umdrehen . Man muss fragen: Was ist notwendig? Und dann muss man das tun . Bezahlt bekommen wir das schon . Ich glaube, das ist die Einstellung der Bundesregierung, die diesen Haushaltsentwurf vorgelegt hat . Mit den Überschüssen, die in diesem Jahr erzielt werden, wird hoffentlich Vorsorge dafür getroffen, dass wir im nächsten Jahr alles bezahlen können . Ich glaube, das ist die eine wichtige Botschaft, die aus dieser Debatte herausgehen muss . Eine andere Botschaft muss aber sein, dass wir trotz all dieser Anstrengungen für Flüchtlinge die Aufgaben, die wir sonst in diesem Land haben, auf jeden Fall weiter erledigen, dass wir nicht eine Gruppe gegen eine andere ausspielen, ({0}) sondern weiterhin helfen, weiterhin investieren und weiter unsere normalen Hausaufgaben machen, damit dieser Staat weiter funktioniert und so erfolgreich bleibt . Herr Schäuble hat es ja gesagt . Er hat aufgezeigt, wie es um die Haushaltslage in Deutschland bestellt ist . Das liegt eben daran, dass wir - im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern - vor vielen Jahren unsere Hausaufgaben gemacht haben . Ich hatte die große Freude, seit 1998 dabei zu sein . Gerhard Schröder und Rot-Grün haben die Grundlagen geschaffen . Wir haben zurzeit Wirtschaftswachstum . Wir haben niedrige Zinsen . Wir haben Steuermehreinnahmen . Wir haben mehr Menschen in Arbeit . Deutschland sieht gut aus . Das ist aber auch die Voraussetzung dafür, dass wir helfen könDr . Gesine Lötzsch nen . Helfen kann man nur, wenn es einem gut geht, wenn man in der Lage dazu ist . Wir sind dazu in der Lage . Deswegen tun wir das . Wir dürfen aber alles andere nicht vergessen . Man möge mir verzeihen, wenn ich die eine oder andere Anmerkung zu dem mache, was weiterhin diskutiert worden ist . Ich hätte mich gefreut, wenn am Wochenende auch die Bereitstellung von 500 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau beschlossen worden wäre . ({1}) Ich glaube, dass das gerade in den Großstädten, in den Ballungszentren - bei mir in Hamburg oder anderswo wichtig sein wird, wenn die Flüchtlinge, die irgendwann die Einrichtungen verlassen und Wohnungen suchen, auf die Einwohner treffen, die auch Wohnungen suchen . Da darf es nicht zu einem Wettbewerb, zu einem Gegeneinander kommen, sondern man muss gucken, dass man das entzerrt . ({2}) Ich glaube weiterhin, dass wir das Geld, das wir über das Betreuungsgeld freibekommen haben, in die Verbesserung der Qualität von Kitas investieren sollten . ({3}) Da muss man den Kommunen jetzt unter die Arme greifen . Dieser Kitastreik muss beendet werden . Das können viele Eltern nicht mehr ab . Ein Kompromiss kann sein, dass man in Qualitätsverbesserung investiert, in kleine Gruppen . Ich glaube, da das Geld ja für Familien vorgesehen war, ist es keine Mehrausgabe; vielmehr wird es umgeschichtet und dem Zweck zugeführt . Das sollen die Bundesländer dann individuell für sich entscheiden . Aber ich würde es zumindest für wichtig halten . Wenn wir uns den Bereich Flüchtlinge angucken, dann ist es so, dass wir nicht nur im Wohnungsbau etwas tun müssen, sondern insbesondere für die Integration arbeiten müssen . Da ist es mir jedenfalls sehr wichtig, dass man viel Geld in Sprachkurse investiert . ({4}) Ich habe es erlebt: Wer in Deutschland kein Deutsch spricht, der hat Probleme, eine Ausbildung zu machen, zu studieren und zu arbeiten . Ich glaube, dass hierfür die Beseitigung der strukturellen Unterfinanzierung bei den C1-Sprachkursen, die seit längerem vorhanden ist und die wir auch durch den Nachtragshaushalt nicht ganz haben beheben können, wichtig ist . Akademiker, Ärzte und andere Fachleute, etwa Ingenieure, müssen Deutsch können . Nur wenn sie Deutsch können, können sie arbeiten . Deswegen war es gut, dass wir im Nachtragshaushalt Geld für C1-Sprachkurse zur Verfügung gestellt haben . Nur ist das Geld schon wieder alle . Die Nachfrage ist unendlich groß . Es sollte uns freuen, dass die Nachfrage so groß ist; denn das ist etwas, mit dem wir auch für uns selber etwas tun, ({5}) weil Menschen, die hier arbeiten, sich besser integrieren . Das ist auch für uns alle am Ende gut . Wenn wir uns das alles angucken, glaube ich, dass dieser Haushalt mit all dem, was vorliegt, viele wirklich gute Akzente setzt . Ich glaube, dass es gut ist, dass wir mehr Geld für das BMZ ausgeben . Ich glaube aber auch, dass die Gelder, die über das hinausgehen, was in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war - das sind bei 880 Millionen Euro mehr immerhin 560 Millionen Euro -, in den Ländern eingesetzt werden sollten, aus denen die Flüchtlinge kommen, oder in den Nachbarländern, um denjenigen zu helfen, die vor Ort bleiben wollen, damit diese da eine Zukunft haben . ({6}) Deswegen glaube ich, muss man auch beim BMZ umschichten . Da muss man Schwerpunkte setzen . Da kann man nicht business as usual machen, sondern da muss auch der Minister Müller - er hat das ja angekündigt Mittel konzentrieren, und da muss man dann auch helfen . Ich bin sicher, wir kriegen das im Haushaltsausschuss gemeinsam hin . Dann, glaube ich, werden wir alle auch eine gute Chance bekommen . Zum Schluss möchte ich auf jeden Fall noch einmal dem Kollegen Rehberg danken, nicht nur für die gute Zusammenarbeit, sondern auch für das, was er eben gesagt hat: Wir werden auf der einen Seite, was die Flüchtlinge angeht, alles Notwendige tun . Ich hoffe auch, dass es bei den Ländern nicht länger dieses ewige Hin und Her gibt . Die einen haben ja schon über NRW geredet . Ich könnte jetzt lange über Herrn Bouffier reden, der schon gesagt hat, dass das, was der Bund macht, nicht reicht . Alles Kindergarten! Ich glaube, wir werden es gemeinschaftlich hinbekommen, das Geld zur Verfügung zu stellen . Gleichzeitig müssen wir aber auch unseren normalen Betrieb, also das, was wir sonst machen, hinbekommen . An dieser Stelle kann man vielleicht einfach einmal erwähnen, dass es Dinge gibt, die wir zugesagt haben . Das Bundesteilhabegesetz ist eines davon . ({7}) Die Kollegin Nahles ist damit befasst . Es wird gerade an einem Gesetzentwurf gearbeitet . Das Bundesteilhabegesetz ist für Behinderte wichtig . Dieses Vorhaben darf jetzt nicht, weil wir andere Schwerpunkte haben, den Bach runtergehen, sondern muss energisch fortgeführt werden . Auch das wird nicht umsonst sein . ({8}) Der nächste Punkt - da hat der Kollege Rehberg mich richtig zitiert und natürlich auch recht - ist: Generationengerechtigkeit bedeutet, dass wir diesen Haushalt so aufstellen, dass wir keine neuen Schulden machen . Wir Sozialdemokraten haben in der letzten Großen Koalition mit der CDU die Einführung der Schuldenbremse durchgesetzt . Wir waren und sind in der Lage, sie in 2014 und 2015 einzuhalten . Ich bin mir sicher, dass wir das auch in 2016 und in den folgenden Jahren hinbekommen . Ich glaube, dass das auch das Markenzeichen von Herrn Schäuble in dieser Großen Koalition ist: keine neuen Schulden . Daran soll man uns messen . Vielen Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen hat der Kollege Tobias Lindner das Wort .

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Überraschung der Kollegen der Unionsfraktion über die Betonung der Harmonie seitens des Kollegen Kahrs will ich direkt aufgreifen. Lieber Johannes, wenn du Volker Bouffier zitierst und darauf hinweist, dass er gesagt hat, dass das, was am Sonntagabend beschlossen wurde, nicht reicht, dann will ich nur entgegenhalten: Hannelore Kraft sagt das auch. Wenn sich Volker Bouffier, Hannelore Kraft und Winfried Kretschmann in diesem Land einig sind, dann mag da ein wahrer Kern drin sein . ({0}) Ich will nicht in Abrede stellen, dass 6 Milliarden Euro nicht nichts sind . Darum geht es nicht . Es geht auch nicht um Überbietungswettbewerbe, was die Zahlen betrifft . Was am Sonntagabend an Finanziellem beschlossen wurde - daran haben wir viel zu kritisieren; Kollege Kindler ist darauf eingegangen -, war zwingend notwendig, aber wenn Sie mich dazu befragen, sage auch ich, dass es bei weitem nicht ausreichend ist . Wir brauchen am 24 . September Fortschritte . Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, liegen die Mühen der Ebenen erst noch vor uns . Im Moment leisten wir Nothilfe . Wenn wir über die Mühen der Ebenen reden, wenn wir über das reden, was mittelfristig und langfristig notwendig sein wird - die Stichworte sind hier genannt worden -, dann braucht es nicht nur die richtigen Konzepte, sondern auch eine Verstetigung der Mittel, dann braucht es Verbindlichkeiten der Haushaltsplanung des Bundes und mehr als einzelne Pakete zur Entlastung der Kommunen, ({1}) dann braucht es endlich auch einen fairen und vernünftigen Durchbruch bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen und eine dauerhaft auskömmliche Ausstattung der Kommunen . All dies ist angesichts der Herausforderungen, vor denen wir in diesem Land stehen, notwendig . ({2}) Es war ja für Haushaltsberatungen bisher eine spannende Debatte . Sie war deshalb spannend, weil Sie, Herr Schneider und Herr Schäuble, sich vielfach über die Politik von Notenbanken ausgetauscht haben und eher weniger zum Haushaltsentwurf gesagt haben . Überraschend war auch, Herr Minister, dass Sie auf John Maynard Keynes eingegangen sind . Ja, als Wirtschaftswissenschaftler habe ich Keynes gelesen . Ich teile vieles von dem, was er sagt, aber bei weitem nicht alles . Wenn Sie weitergelesen hätten, dann hätten Sie gemerkt, dass er nicht nur Aussagen zur Staatsverschuldung macht, sondern auch zu der Frage, wie man strukturell und wirtschaftspolitisch mit einem Staatshaushalt umgeht . Wenn Sie auf Keynes hören würden, dann würde er Ihnen raten, gerade in diesen Zeiten, in denen wir Mehreinnahmen haben, gerade in diesen Zeiten, in denen Staatsverschuldung nicht das Restringierende ist, in denen wir am Ende kein Problem mit dem Summenstrich haben, auch einmal den Haushalt durchzukehren, saubere strukturelle Weichenstellungen zu treffen und an einzelnen Punkten auch zu sagen: Hier können Mittel gekürzt werden, hier kann Geld umgeschichtet werden, und hier braucht es mehr Geld . ({3}) Was haben die Rednerinnen und Redner der Koalition stattdessen gemacht? Sie haben vor allem zurückgeblickt, sich gefeiert und sich gelobt . ({4}) Ich glaube, Sie können die schwarze Null immer noch nicht ganz begreifen und verkraften . Aber, um ehrlich zu sein, Sie müssen nach vorne blicken . Ja, es ist richtig, lieber Eckhardt Rehberg, dass die Ausgaben im Bildungsbereich gestiegen sind . Aber gucken wir doch - wir leben in Zeiten der Globalisierung - einmal auf andere Länder auf diesem Planeten, die schon längst begriffen haben, dass Bildung, Ausbildung, Qualifikation, Wissen und Forschung der Rohstoff der Zukunft sein werden . Es reicht eben nicht, nach hinten zu blicken und sich auf die Schulter zu klopfen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Sie müssen nach vorne blicken und überlegen, wie wir hier noch mehr Anstrengungen unternehmen können . ({5}) Ich habe Ihnen zum Abschluss etwas mitgebracht . ({6}) Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an dieses Bild erinnern . ({7}) Das ist die Arbeitsgruppe der CDU/CSU vor einer großen schwarzen Null - so groß, dass der Kollege Körber fast dahinter verschwunden ist . ({8}) Da haben Sie sich im letzten Jahr gefeiert . ({9}) Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass im Vorfeld dieser Haushaltsberatungen viele in ihrem Büro saßen, diese pappschwarze Null angeblickt, die Füße auf den Tisch gelegt und gedacht haben: Na ja, es ist ja vieles gut . ({10}) Ich kann Sie nur zu einem auffordern: Packen Sie dieses schwarze Pappteil in Ihren Schrank, ({11}) nehmen Sie sich den Haushaltsentwurf vor, und gucken Sie sich die Vorschläge an, die wir machen werden, um diesen Entwurf wirklich zukunftsfähig und in Anbetracht der Herausforderungen, die vor uns liegen, angemessen zu gestalten . Herzlichen Dank . ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächstes erhält der Kollege Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Dr . Lindner, wir können Sie ja das nächste Mal einladen und Sie mit auf das Bild nehmen . ({0}) Vielleicht strahlen Sie dann genauso gut und machen einen genauso guten Eindruck . ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich werden diese Haushaltsdebatte und die anstehende Haushaltsberatung in besonderer Weise vor dem Hintergrund der Bewältigung der Flüchtlingszahlen und der Asylproblematik stattfinden. Es ist ja heute schon fast alles Wichtige gesagt worden . Aber, Kollege Dr . Lindner, wenn Sie jetzt Frau Kraft, Herrn Bouffier und Herrn Kretschmann anführen und darauf verweisen, dass die alle meinen, das, was wir tun, würde nicht reichen, dann sage ich nur: Ich glaube, die Koalition hat am Sonntagabend einen wirklich wegweisenden Beschluss gefasst und eine Basis gelegt, auf der man gut arbeiten kann . Jetzt sollte man nicht wieder als Erstes herumkritisieren und herummäkeln, sondern man sollte jetzt gemeinsam die Ärmel aufkrempeln und das tun, was viele Menschen in diesem Lande tun: die Probleme gemeinsam angehen . Ich bin überzeugt, dann wird das gelingen . Sollten irgendwann weitere Maßnahmen erforderlich werden - keiner von uns kann im Moment sagen, wie sich die Entwicklung im nächsten und übernächsten Jahr darstellen wird -, dann werden wir wieder gesamtstaatliche Antworten geben . Aber jetzt sollte mit diesem Klein-Klein Schluss gemacht werden . ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will ein paar andere Aspekte ansprechen . Vor wenigen Tagen ist von europäischer Seite bzw . von einem Repräsentanten eines anderen europäischen Landes kritisiert worden, Deutschland würde die strukturellen Probleme, die Haushaltsprobleme und die Wirtschaftsprobleme in Europa zu sehr mit der Mentalität eines Buchhalters angehen . Das sollte natürlich eine Kritik sein . Ich sage: Das ist eher ein Lob . Als Kaufmann weiß man: Wenn die Buchhaltung nicht in Ordnung ist, dann ist der ganze Betrieb nicht in Ordnung, und das Ende ist absehbar . ({3}) Wir glauben, dass ordentliche Haushalts- und Finanzpolitik die Grundvoraussetzung dafür ist, dass es uns in Deutschland und uns in Europa gut geht und gut gehen kann . Herr Kindler hat gesagt, wir würden nur ideenlos verwalten . ({4}) Nein, nein! Das Geld muss gut verwaltet werden . ({5}) Es ist das Geld der Steuerzahler, das wir treuhänderisch verwalten . Nur ein sparsamer Umgang mit den Finanzen, ein sparsamer Umgang mit Geld hat uns auch in der Vergangenheit ermöglicht, die Spielräume zu schaffen, die wir brauchen, um Zukunftsinvestitionen zu tätigen dazu ist bereits viel gesagt worden - und die soziale Sicherung zu gewährleisten . Eine solide Haushaltspolitik und die notwendigen Reformen - auch davon wurde bereits gesprochen - sind die Grundlage des Erfolgs . Diese Politik ist richtig . Sie gilt für Deutschland, sie gilt aber auch in Europa . Auch die Länder, die Krisen zu bewältigen hatten, beweisen, dass dieser Weg ein Erfolgsweg ist . Schauen Sie nach Irland, nach Portugal und nach Spanien! Es wäre auch gut gewesen, Griechenland hätte diesen Weg konsequent fortgesetzt . Wir hoffen, dass dieser Kurs dort wieder eingeschlagen wird . Deutschland ist nicht Buchhalter in einem engstirnigen Sinne, sondern Deutschland ist für Europa Ideengeber, Ratgeber, Impulsgeber, in vielen Fällen Motor und gelegentlich auch Lastesel . Unser Wohlstand hängt aber ganz wesentlich davon ab, dass Europa zusammenhält, hängt von der Stabilität und dem Zusammenhalt in EuDr . Tobias Lindner ropa ab, und damit meine ich nicht nur den Euro im engeren Sinne . Wenn wir uns die aktuelle Entwicklung vor Augen führen - die Flüchtlingsproblematik, eine neue politische Entwicklung in der Türkei, die Ukraine-Krise, die Vorgänge in Asien, insbesondere auch die wirtschaftliche Entwicklung in China und anderen Teilen dort, einige Wolken, die am Horizont der Weltwirtschaft aufziehen, und die anderen bekannten Krisenherde -, dann sehen wir, dass Europa gut beraten ist, jetzt enger und fester zusammenzurücken und nicht der Versuchung zu erliegen, die Dinge auseinanderdriften zu lassen . ({6}) Deutschland hat eine Führungsverantwortung . Es ist das stärkste Land in Europa . Diese Führungsverantwortung wird von unserer Bundesregierung in ausgezeichneter Weise wahrgenommen, und wir müssen dieser Verantwortung natürlich auch gerecht werden . Deutschland steht gut da; das ist sogar von Oppositionsrednern zum Teil bestätigt worden . Im Moment haben wir 42,8 Millionen Erwerbstätige - ein Spitzenwert in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland . Auch bei den sogenannten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen haben wir einen Spitzenwert erreicht . Ich denke, das kann sich sehen lassen . Weil aus ehemaligen Unterstützungsempfängern Beitragszahler geworden sind, können unsere sozialen Sicherungssysteme finanziell gut dastehen, und sind die Steuereinnahmen bei Bund, Ländern und Gemeinden gut . Wir müssen Wert darauf legen, dass diese Entwicklung nachhaltig ist und auf Dauerhaftigkeit angelegt ist . Wenn gelegentlich kritisiert wird, wir würden zu wenig für Soziales tun, muss darauf hingewiesen werden, dass der Bund mit 158 Milliarden Euro bei einem Gesamthaushalt von 312 Milliarden Euro mehr als die Hälfte für Soziales ausgibt . Ich glaube, damit unterstreichen wir, dass wir auch ein Sozialstaat sind und dass wir wissen, wo die Menschen draußen im Lande der Schuh drückt und was die Nöte und Sorgen der Menschen sind . Wir müssen haushaltspolitisch aber auch Vorsorge treffen . Wir dürfen nicht glauben, dass wir großzügig werden und leichtfertig Geld einsetzen können, wenn wir eine gute Einnahmesituation haben . Wir wissen, dass die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch die Einnahmesituation der öffentlichen Kassen in Zyklen verlaufen . Deswegen müssen wir natürlich in besonderer Weise sparsam mit dem Geld umgehen und haushalten . Diese Aufgaben haben wir auch unabhängig von den aktuellen Herausforderungen im Hinblick auf die Bewältigung der Flüchtlingskrise aufgrund unserer Verantwortung gegenüber den jungen Menschen - Stichwort: demografische Entwicklung . Das gebietet es geradezu, dass wir für die laufende Finanzierung keine Schulden aufnehmen, sondern ausgeglichene Haushalte haben, mit dem Geld, das wir einnehmen, also auskommen . Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass es uns bei den anstehenden Beratungen trotz aller zusätzlichen Herausforderungen und Anforderungen - 6 Milliarden Euro sind keine Kleinigkeit - gelingen wird, auch für das Jahr 2016 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen . Herzlichen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Lothar Binding . ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben von den Kollegen des Haushaltsausschusses schon sehr viel gehört . Sie sind für die Ausgaben im Staat zuständig . Deshalb ist das auch so eine dicke Drucksache . Ich bin im Finanzausschuss . Wir im Finanzausschuss kümmern uns um die Einnahmen . Diese machen in der Drucksache zum Haushalt nur ganz wenige Seiten aus . Darin steht, wie viele Steuern wir einnehmen . Immerhin nehmen wir 312 Milliarden Euro im Bund und 640 Milliarden Euro im Gesamtstaat ein . Die Einnahmen des Staates setzen sich aus denen des Bundes, der Länder, der Kommunen, also aller Städte, und der Sozialkassen zusammen . Ich möchte hier nun denen danken, die das alles zahlen . Das sind nämlich unsere Bürger . ({0}) Egal wie viel und wen wir jetzt auch immer kritisieren: Die Bürger, die das gezahlt haben, haben sich wirklich angestrengt, das Gemeinwesen zu unterstützen . Das ist eine große Leistung . ({1}) Minister Schäuble hat gesagt: Die Inlandsnachfrage ist eine der Hauptursachen dafür, dass der Haushalt gut dasteht . - Das stimmt . Er erklärte außerdem: Die Inlandsnachfrage gründet auf Vertrauen . - Auch das stimmt . Carsten Schneider hat angeführt, dass es nicht nur das Vertrauen ist, und auf die günstigen Energiekosten verwiesen, auf die gegenwärtigen Wachstumsimpulse, auf die Beschäftigung, auf die Reallohnentwicklung und ihre Auswirkungen auf die Binnennachfrage, auf die Zinslage - für die Geldversorgung -, auf den Wechselkurs - zur Stärkung des Exports -, aber in diesem Zusammenhang auch auf die immensen Zinsersparnisse in unserem Haushalt . Wenn wir all die Effekte dieser günstigen Bedingungen herausrechnen, dann wissen wir: Steuerpolitik könnte noch einmal wichtig werden; denn zukunftsfähig ist der Haushalt ja nur, wenn die Struktur der Einnahmen und die Einnahmen auch dann tragen, wenn wir diese Effekte nicht mehr haben . ({2}) Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis in Bezug auf die Zukunftsfähigkeit des Haushalts . Deshalb stelle ich mit Blick auf die 640 Milliarden Euro, die ich erwähnt habe und die auch Sie, unsere Gäste auf der Tribüne, zahlen, zunächst einmal fest, dass wir ein gutes Steuersystem haben. Unser Steuersystem ist manchmal recht komplex; das stimmt . Das liegt daran, dass wir alles sehr genau machen und unsere Bürger in komplexen Verhältnissen leben . Aber wir haben einen sehr guten Vollzug . Ich spreche jetzt von unseren Finanzbeamten . In unseren Ämtern arbeiten sehr gute Leute, die es offensichtlich schaffen, 600 Milliarden Euro von motivierten Bürgern einzunehmen . ({3}) - Die Kollegin Finanzbeamtin klatscht, und zwar verdient . - Warum erwähne ich all das? Der Grund dafür ist: Wer unser Land mit dem benachbarten Ausland vergleicht, der weiß die Arbeit unserer Beamten sehr zu schätzen . Deshalb will ich unseren Finanzbeamten ausdrücklich danken . ({4}) Allerdings möchte ich jetzt eine politische Aussage machen - jetzt komme ich vielleicht zu kleinen Dissonanzen zwischen der CDU/CSU und uns -: ({5}) Man muss natürlich die Steuereinnahmen, die man haben kann, auch haben wollen . ({6}) Es ist schon toll, wenn man die Möglichkeiten, die man hat, tatsächlich nutzt . Damit das nicht nur an der CDU/ CSU hängen bleibt, will ich von dem Sonderermittlerausschuss TAXE zu staatlich organisiertem Steuerdumping in der EU erzählen . Die Kollegen im Europäischen Parlament haben dazu einen Abschlussbericht vorgelegt . Da kann man sehen, dass staatlich organisierte Steuervermeidung kein Versehen war, sondern ein Geschäftsmodell; das steht explizit in diesem Bericht . Das ist kein Einzelfall, sondern das ist die Regel . Dabei ist das Unrechtsbewusstsein übrigens nur sehr mager entwickelt . Daran könnte man sicherlich noch etwas arbeiten . In diesem Abschlussbericht wird gefordert, effektive Regeln gegen solche Auswüchse, so Peter Simon, einzuführen . Also, wir brauchen in Europa einen effektiven Rechtsrahmen, mit dem diese Gestaltungsmöglichkeiten, die von Staaten bewusst eingerichtet wurden, beendet werden . Was passiert eigentlich, wenn das kurzfristige Interesse einzelner Staaten, nur marginale, also lächerlich niedrige, Steuern zu erheben, mit dem Interesse bestimmter Unternehmen, keine oder geringe Steuern zu zahlen, zusammenfällt? Dann werden die Privaten immer reicher und die Staaten, also die Gesellschaften, immer ärmer . Wenn das noch eine Weile so geht, dann können wir alles das, was wir Sozialstaat, soziale Marktwirtschaft und Infrastruktur nennen, vergessen, weil dann die Grundlage unseres Systems in der Praxis zusammenbricht. Das will natürlich keiner . Deshalb muss man sich schon noch Gedanken machen . Wir haben ein paar Vorschläge gemacht . Ich will einen nennen: Wir wollen in Europa eine einheitliche Bemessungsgrundlage; denn im Moment vergleichen wir immer auf diese Weise: In Irland werden 12,5 Prozent Körperschaftsteuer gezahlt, in Deutschland sind es 15 Prozent . Da denkt jeder, bei uns ist sie höher und bei denen niedriger . Aber keiner weiß, ob es vergleichbar ist, weil keiner weiß, worauf die Steuer bezahlt wird . Denn die Bemessungsgrundlage ist sehr unterschiedlich und nicht vergleichbar . Es gibt einen zweiten Vorschlag, ein Zauberwort, nämlich Transparenz: Wer zahlt wo unter welchen Bedingungen wie viel Steuern in welchem Land? Wenn wir das genau wüssten, dann könnten wir eine noch bessere Politik machen bzw . unsere Steuerpolitik daran orientieren . ({7}) Ich habe jetzt viel gelobt und auch ein bisschen getadelt . Da, wo Tricks angewendet werden, haben wir eine Riesenherausforderung . Und zwar besteht diese in der Gewährleistung einer gewissen Gerechtigkeit . Wir sagen: Die Steuerlast - das, was der Bürger zahlt - soll nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bemessen werden . Jetzt merken wir plötzlich, dass da gewisse Dinge nicht stimmen . Schauen Sie sich einmal das Durchschnittseinkommen an . Es beträgt im Land 30 000 Euro im Jahr . Viele Rentnerinnen und Rentner haben sehr, sehr, sehr viel weniger . Aber es gibt auch Leute, die verdienen 46 000 Euro am Tag . Jetzt merkt man, dass man da eine Steuerpolitik machen muss, die nicht ganz leicht ist . Es gibt auch Leute - in diesem Fall aus der Branche der Reiseanbieter -, die zu uns kommen und sagen, sie könnten die Steuern nicht mehr bezahlen . Es sei alles ganz schwierig, und sie würden dann in den Ruin getrieben . Wenn man einmal genauer nachguckt, sieht man: In dieser Branche gibt es Gehälter in Höhe von 17 Millionen Euro im Jahr . Das heißt, wenn zwei Manager entlassen würden, hätte man schon so viel Geld übrig, wie heute überhaupt an Steuern bezahlt wird . ({8}) Da merkt man: Es gibt eine Asymmetrie der Wahrnehmung in Bezug darauf, was gezahlt wird und worin die Aufgabe besteht . Ich will das, was unsere Aufgabe ist, ins Positive wenden . In Schweden heißt Steuer „skatt“ . „Skatt“ heißt „Schatz des Volkes“ . Die schwedischen Steuerpolitiker sehen ihre Aufgabe darin, allen Bürgern möglichst gute Gelegenheiten zu geben, sich am Schatz des Volkes zu beteiligen. Denn das, was ich an Steuern zahle, finde ich als Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben wieder . Das ist überall in der Welt so . Darauf kann ich zurückgreifen . Manchmal kann ich darauf fahren; manchmal kann ich meine Kinder in die Schule schicken . Das sind wichtige Lothar Binding ({9}) Dinge, die die Gemeinschaft braucht . Und dafür lohnt es sich, Steuern zu zahlen . Das ist auch sehr wichtig! ({10}) Ich will abschließend ein Beispiel dafür nennen, wo wir noch nicht so richtig zusammenkommen . Die Vermögensverteilung in Deutschland befindet sich in exorbitanter Schieflage. Gott sei Dank haben wir die Erbschaftsteuer in der Diskussion . Wir versuchen ja, die vom Verfassungsgericht bestätigte Überprivilegierung der Unternehmen zu kompensieren . Ich will jetzt ein Beispiel bringen, damit Sie merken, worin ich den CDU-Kollegen nicht folge . Christian von Stetten sagt, ich soll mir einmal ({11}) - ein sehr guter Mann, aber leider an dieser Stelle mit einer schlechten Überlegung; trotzdem ist es aber ein netter Mann - einen Studenten vorstellen, der nichts hat und den man deswegen bedauert . Plötzlich erbt der 100 Millionen Euro . Ab dann hat er ein Riesenproblem . Christian von Stetten erklärt mir dann immer, warum der Student ein Problem hat . Ich meine, viele andere Bürger würden sich solche Probleme wünschen . ({12}) Deshalb müssen wir Steuerpolitik machen, mit der wir auf dem Pfad der Gerechtigkeit gehen . Da wäre es toll, wenn ihr uns dabei ein bisschen stärker helfen würdet . ({13}) Alles Gute und noch einen schönen Tag! ({14})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächste hat jetzt die Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat heute nachvollziehbar sehr unter dem Eindruck der wachsenden Asylbewerberzahlen gestanden . Es ist wichtig, dass wir darüber sprechen . Ich würde in meinem Beitrag aber gerne wieder auf die Menschen zurückkommen, die auch schon gestern hier gelebt haben, auch gestern hier Steuern gezahlt haben, auf Familien, die hier leben und ihre Kinder großziehen, auf Menschen, die hier die Hochschulen besuchen, und auf Menschen, die in Deutschland alt werden wollen . Denn für all diese Menschen, die auch jetzt schon in Deutschland leben, ist das ein guter Haushaltsentwurf . Es ist ein Entwurf für den Haushalt 2016 - das Jahr, wo die Schuldenbremse das erste Mal tatsächlich ziehen würde . Ich bin sehr dankbar, dass unser Finanzminister dieses Thema schon vor zwei Jahren abgeräumt hat . Wir haben die schwarze Null, die mal positiv, mal negativ diskutiert wird . Das ist ein Beitrag zur Gerechtigkeit für künftige Generationen . Das erlaubt es uns, mit der derzeit schwierigen Situation einer wachsenden Zahl von Zuwanderern umzugehen . Dieser Entwurf ist gut für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler . Einig bin ich mit meinem Kollegen Lothar Binding in dem Dank dafür, dass diese Menschen - Sie bzw . wir alle - jeden Morgen aufstehen und diesen Staat dadurch am Laufen halten, dass wir uns bemühen, unsere Löhne und Gehälter zu verdienen, und einen wesentlichen Teil davon an den Staat abgeben . Diese Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlasten wir mit dem Entwurf zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode um eine sehr große Summe, nämlich um 5,5 Milliarden Euro . Lohnerhöhungen, die es Gott sei Dank wieder in nennenswertem Umfang gibt, sollen nicht wegbesteuert werden, sondern man soll diese Lohnerhöhungen tatsächlich spüren . Deshalb werden wir einen ersten Schritt in Höhe dieser großen Summe unter anderem bei der kalten Progression machen . ({0}) Dieser Entwurf ist gut für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, weil wir den Grundfreibetrag erhöhen . Der Grundfreibetrag, der das Existenzminimum sicherstellt das gilt erst dann, wenn man überhaupt Steuern zahlen muss -, wird im kommenden Jahr auf 8652 Euro erhöht . Auf Einkommen unterhalb dieser Grenze zahlt man keine Steuern; damit kann man sich auf seinen eigenen Lebensunterhalt konzentrieren . Der Gesetzentwurf ist aber auch gut, lieber Lothar Binding, weil es keine andere Regierung gibt, die mehr für internationale Steuergerechtigkeit getan hat als diese . Dank dem automatischen Informationsaustausch, der Verschärfung der strafbefreienden Selbstanzeige, dank BEPS, den internationalen Standards zur Besteuerung, und der Transparenz bei Steuergestaltungen sind in diesem Haushalt auch Einnahmen derjenigen enthalten, die bisher versucht haben, sich davor zu drücken: ehemalige Steuerhinterzieher, die Gott sei Dank auf den Weg der Tugend zurückkommen . ({1}) Ein Teil der Einnahmen ist auch denen zuzuschreiben . Auch das ist ein guter Schritt für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die immer schon ordentlich ihren Pflichten nachgekommen sind. ({2}) Dieser Haushaltsentwurf ist aber auch gut für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, weil bestimmte Dinge nicht drinstehen, zum Beispiel Zahlungen für Banken und Hilfen für andere Staaten . Denn wir haben im Rahmen der Bankenunion viele Risiken in den nächsten Jahren abgefedert, die uns in der Vergangenheit Probleme bereitet haben . Die Krisen in Griechenland, Portugal, Spanien und Zypern waren ganz extrem auch mit Schwierigkeiten von Banken verbunden . Wir haben über Lothar Binding ({3}) eine gemeinsame Bankenaufsicht, über einen Rettungsschirm, den ESM, über eine Regelung zur Abwicklung von Banken und über den Abwicklungsfonds für Banken Gelder - und zwar Gelder der Eigentümer - zur Verfügung gestellt, sodass Steuerzahlerinnen und Steuerzahler künftig in weitestgehendem Umfang nicht mehr für Banken aufkommen müssen . Das tun die Banken bzw . die Eigentümer und Gläubige demnächst selbst . Darin sind wir in Europa Vorreiter . Finanzminister Schäuble hat schon darauf hingewiesen, dass nicht jeder dabei so gut und so weit vorangeschritten ist wie wir . Wir werden in der nächsten Sitzungswoche mit dem Abwicklungsmechanismusgesetz das Ganze abrunden, sodass wir ziemlich optimistisch sind, dass Banken uns im Haushalt nicht mehr belasten werden, weil wir Vorsorge getroffen haben . ({4}) Dieser Haushalt ist aber auch gut für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, weil wir auf europäischer Ebene etwas Ähnliches wie die deutsche Schuldenbremse durchgesetzt haben, nämlich den Fiskalvertrag . Der Fiskalvertrag besagt, dass alle europäischen Länder, insbesondere auch die der Euro-Zone, Schuldenbremsen in ihrer Verfassung einführen und auch umsetzen müssen, sodass das, was uns mit Griechenland, Portugal und Spanien passiert ist, hoffentlich nicht wieder passiert . Wir sind auf dem Weg zur Einhaltung des Fiskalvertrags, also nie mehr als 60 Prozent Schulden, gemessen am BIP, zu machen, ein gutes Stück weiter als andere . Wir haben unsere Verschuldung im Verhältnis zum BIP erheblich abgebaut, und alle, die meinen, wir müssten die schwarze Null nicht so ernst nehmen, sollten sich daran erinnern, dass wir Verträge unterschrieben haben . Es ist immer leicht, auf andere europäische Partner zu zeigen und zu sagen: „Ihr haltet die Verträge nicht ein“; wir selber sollten das aber auch tun . Deswegen ist dieser Haushaltsentwurf ein Weg hin zur Erfüllung des Fiskalvertrags und ist deshalb gut . ({5}) Dieser Haushaltsentwurf ist aber auch gut für Familien, die hier leben und ihre Kinder erziehen . Ich füge in Klammern hinzu: Wer weiß, was ein unbetreuter minderjähriger Asylbewerber an Kosten verursacht, der dankt vielleicht endlich einmal den Familien für die Leistungen, die sie bei ihren Kindern erbringen: dass sie sie pünktlich in die Schule schicken, sie kleiden und ihnen eine Leistungsbereitschaft mit auf den Weg geben . Herzlichen Dank an alle Eltern, die das tun! Jeder, der das in Zweifel zieht und meint, Familien könnte man durch Sozialarbeiter und andere Einrichtungen ersetzen, liegt falsch. Das ist finanziell nicht zu schultern, und deshalb sage ich an der Stelle neben den Steuerzahlern auch ein Riesendankeschön den Eltern, die ihre Kinder zu verantwortungsbewussten Bürgern machen und damit auch den Staatshaushalt entlasten . ({6}) Wir geben einen kleinen Teil dieser Leistungen zurück, indem wir den Freibetrag für Kinder und das Kindergeld sogar zweimal nacheinander erhöhen . Wir erhöhen zudem den Alleinerziehendenentlastungsbetrag in erheblichem Umfang, weil Mütter und Väter mit Kindern allein weniger leistungsfähig sind als beide Elternteile zusammen . Wir werden ab 1 . Juli 2016 den Kinderzuschlag erhöhen . Diesen bekommen Eltern, die zwar ihren eigenen Bedarf decken können, nicht aber den ihrer Kinder . Wir haben schon lange mit Programmen für Sprachintegration und frühkindliche Sprachförderung begonnen, weil auch deutsche Kinder teilweise Defizite bei der deutschen Sprache haben. Auch hier finanziert der Bund in erheblichem Umfang mit . Diese Mittel werden noch einmal aufgestockt, sodass Logopäden halbtags in vielen Kindereinrichtungen dieses Landes auf Kosten des Bundes Kindern die deutsche Sprache nahebringen können . Wir haben außerdem die Mittel für Bildung und Forschung noch einmal um 1 Milliarde Euro erhöht . Das ist gut für junge Menschen, die in Deutschland studieren wollen . ({7}) Neben den Steuerzahlern und den Familien ist der vorliegende Haushaltsentwurf gut für Länder und Kommunen . In erheblichem Umfang erledigen wir als Bund Aufgaben, die Länder und Kommunen eigentlich erfüllen müssten, wozu sie sich aber nicht in der Lage sehen . Wir erhöhen die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und übernehmen den Finanzierungsanteil der Länder beim BAföG, sodass ihnen jährlich 1,2 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen, die beispielsweise dazu verwendet werden können, sich schulischen Aufgaben zu widmen . Wir finanzieren zudem Mehrgenerationenhäuser in den Kommunen . Wir haben in den letzten Jahren die Kommunen, Herr Kollege Kindler, strukturell und dauerhaft um insgesamt 145 Milliarden Euro entlastet, indem wir als Bund beispielsweise die Finanzierung der Grundsicherung im Alter übernehmen und die Kindertagesbetreuung mitfinanzieren. Wir stehen den Kommunen auch bei den Kosten der Versorgung der Asylbewerber zur Seite . Wir sind die Regierung - das gilt auch für die Koalition in der letzten Legislaturperiode -, die die Kommunen am meisten entlastet hat . Die kommunalen Spitzenverbände wissen trotz all der Probleme, die sie noch immer an uns herantragen, sehr genau, dass wir als Regierung berücksichtigen, dass die Bürgerinnen und Bürger auf kommunaler Ebene am ehesten merken, wenn es finanzielle Sorgen gibt. Auch hier stehen wir zu unserem Wort . Der nun zur Diskussion stehende Haushaltsplanentwurf ist also gut für alle Generationen, auch für die jüngere Generation, weil wir den Haushalt ohne neue Schulden finanzieren. Das haben wir uns in den letzten Jahren zusammen mit dem Finanzminister sowie den Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss erarbeitet . Wir aus dem Finanzausschuss geben uns Mühe, dazu beizutragen . Ich bin sicher, dass es in den Beratungen noch die eine oder andere Nachbesserung geben wird . Aber insgesamt stellt dieser Haushaltsentwurf eine gute Grundlage dar, um die Haushaltsberatungen für das Jahr 2016 fortzusetzen . Die Länder sollten unserem Beispiel folgen und nicht wie Thüringen als Erstes nach Steuermehreinnahmen und Steuererhöhungen schreien . ({8}) Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger mit diesem Haushalt entlasten . Das haben sie angesichts der Anstrengungen in den letzten Jahren auch verdient . Ich danke Ihnen . ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Radomski, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Kerstin Radomski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich die Vorredner von der Opposition gehört habe, war ich enttäuscht . ({0}) In einer meiner letzten Reden habe ich Sie aufgefordert, sich doch einmal mit uns über ein Ende der Neuverschuldung in den letzten beiden Haushalten zu freuen . Nun muss ich aber erleben, dass der Kollege Tobias Lindner hier ein Foto der Haushalts-AG der CDU/CSU-Fraktion zeigt, auf dem eine von mir gezeichnete schwarze Null zu sehen ist . Herr Bartsch sitzt, nachdem ihm das Foto von Tobias Lindner übergeben wurde, da und schaut es sich an . Das scheint bei Ihnen noch nicht angekommen zu sein . ({1}) Sie haben offensichtlich noch immer nicht verstanden, dass wir es zum ersten Mal seit Jahrzehnten im Bund geschafft haben, ein Ende der Neuverschuldung herbeizuführen . Vielleicht sind wir so schnell, dass der eine oder andere nicht mehr Schritt halten kann; denn wir erwarten nun sogar ein Haushaltsplus in Milliardenhöhe . Das liegt natürlich an der guten Konjunktur und der guten Beschäftigungslage in unserem Land . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wenn wir auf unsere Nachbarländer schauen, dann stellen wir fest, dass diese uns um die Entwicklungen in Deutschland beneiden, um unsere wirtschaftliche Stärke und unsere soliden Finanzen und darum, dass wir das alles trotz sehr bewegter Zeiten haben . Unser Garant für diese Finanzpolitik und das Augenmaß, das dieser Politik zugrunde liegt, und auch für das unbedingte Pochen auf Reformen in Griechenland ist Wolfgang Schäuble, unser Finanzminister, dem dafür unser Dank gilt . ({3}) Gerade angesichts eines Haushaltsplus in Milliardenhöhe kommt es jetzt darauf an, Augenmaß zu bewahren und sich nicht in ideologische Verteilungskämpfe zu versteigen; denn in diesen Wochen erleben wir eine Situation, die keiner von uns erwartet hat und die uns als verantwortliche Politiker vor enorme, vor allem auch finanzielle Herausforderungen stellt. Ich möchte mich heute in dieser Debatte deshalb auch dem Flüchtlingsthema und seiner Finanzierung zuwenden . Hunderttausende Flüchtlinge kommen derzeit in unser Land, von denen viele auch dauerhaft bleiben werden . Angesichts dieses Ausmaßes brauchen wir gemeinsame Lösungen statt Streit und parteipolitische Grabenkämpfe . Die Beschlüsse der Koalition vom Sonntagabend sind wegweisend für die kommenden Wochen und die zu erwartenden Mehrkosten; denn die Bundesarbeitsministerin hat gegenüber dem Finanzminister für das kommende Jahr schon einen Mehrbedarf von 3,3 Milliarden Euro angemeldet . Wir wissen alle, dass dies auch andere Ressorts betreffen wird . Für die Flüchtlinge, die kommen, geht es um viel, etwa um Sprachkurse oder Maßnahmen zur Aufnahme einer Arbeit . Viele Menschen, die in diesen Wochen ankommen, hatten bisher nicht das Lebensziel, ihre Heimat zu verlassen . Sie waren Ladenbesitzer, Ärzte, Handwerker; aber ihre Heimat ist zerstört. Diese Menschen benötigen unsere Hilfe . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass das nicht leicht wird und auch unsere Bevölkerung vor Herausforderungen stellt . Dennoch das möchte ich auch in einer Debatte wie dieser sagen, in der es eher um große Zahlen als um einzelne Schicksale geht - nehmen wir Flüchtlinge auf, die vor Krieg und Terror fliehen und bei uns Schutz suchen, und wir heißen sie auch willkommen . ({4}) Wir nehmen ebenso die Sorgen von Teilen der Bevölkerung angesichts der neuen Situation ernst; aber dumpfe Vorurteile gegen Flüchtlinge bringen niemanden weiter . Lassen Sie mich im Rahmen dieser Beratungen einige Beispiele dafür nennen, dass der Bund deutlich mehr leistet als bisher . Im Bundeshaushalt 2016 wurden die Mittel des Bundesinnenministeriums für Integrationskurse um 40 Millionen Euro auf 309 Millionen Euro erhöht . Im vergangenen Jahr haben rund 700 000 Menschen einen Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen . Natürlich wissen wir alle: Die Teilnehmerzahlen werden noch steigen . Die Bundesregierung plant, Integrationskurse auch für geduldete Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive zu öffnen . Zudem gibt es in den Städten Berlin, Dortmund, Duisburg und München ein Modellprojekt, vom Bund finanziert, mit sozialpädagogischer Betreuung der Kursteilnehmer . Wir wissen alle: Der Erwerb von Deutschkenntnissen ist eine, wenn nicht sogar die entscheidende Grundvoraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in unserem Land . In den rund 600 Stunden umfassenden Sprachkursen lernen die Teilnehmer Deutsch, aber auch wichtige Themen des alltäglichen Lebens, wie zum Beispiel „Arbeit und Beruf“ oder „Ausbildung und Erziehung“ . In diesem Zusammenhang möchte ich einer Forderung nach der Aussetzung der Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern, die vor einigen Tagen zu hören war, eine klare Absage erteilen . ({5}) Wir dürfen die Jüngsten - und das ist fast ein Drittel derer, die um Asyl bitten - nicht im Stich lassen, sondern müssen ihnen ein Fundament der Bildung und Berufsperspektive geben . ({6}) Deshalb ist es richtig, dass das Bundeskabinett unter Leitung von Angela Merkel vor kurzem beschlossen hat, dass die Bundesagentur für Arbeit nicht länger zustimmen muss, wenn es um Praktika zur Berufsorientierung für Geduldete und Asylbewerber geht . Das Bundesprogramm für junge Flüchtlinge „Willkommen bei Freunden“ wird von vielen zusätzlichen Maßnahmen begleitet, darunter die kindgerechte Ausstattung von Flüchtlingsunterkünften, die Förderung von Müttern mit Migrationshintergrund und eine gezielte Unterstützung junger Migranten . Es gibt unzählige weitere Maßnahmen, zum Beispiel die Möglichkeit, in Zukunft auch BAföG und Berufsbildungsbeihilfe zu beantragen oder an der assistierten Ausbildung teilzuhaben, die verhindern soll, dass es zu Ausbildungsabbrüchen kommt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch am heutigen Tag gilt es, festzuhalten, dass der Bund seiner Verantwortung nachkommt und die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellt . Aber wenn man jüngsten Zahlen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen hört, dann wird einem anders: Derzeit können vier von zehn Kindern in den Konfliktländern Syrien, Libyen, Irak, Jemen und Sudan nicht zur Schule gehen . Das sind nicht weniger als rund 14 Millionen junge Menschen, die ihrer Bildungsperspektive beraubt sind . Dabei ist mit Blick auf den Bundeshaushalt auch nicht zu vergessen, dass Deutschland allein seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien mit mehr als 1 Milliarde Euro vor Ort geholfen hat . Wir können nicht von heute auf morgen alles ändern; aber die eben genannten Maßnahmen sind ein erster Schritt, die Situation zu verbessern . Doch auch ohne Fokussierung auf die aktuelle Flüchtlingsthematik ist es eine Tatsache, dass wir in unserem Land generell mehr Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter benötigen . Beim jüngst veröffentlichten ifo-Bildungsbarometer 2015 bestätigten rund drei Viertel der Befragten, dass die Schul- und Bildungspolitik ein zentrales Thema für die Menschen in unserem Land ist und dass dieses Thema auch für ihre persönliche Wahlentscheidung wichtig ist . So möchte ich zumindest kurz noch darauf eingehen, dass der Bund auch in anderen Bildungsbereichen stärker tätig wird, zum Beispiel bei der Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung. Die Ausgaben hierfür werden um 7 Prozent erhöht . Die Ausgaben für den internationalen Austausch und die Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung werden um 15,6 Prozent gesteigert. Und nicht zuletzt: Das BAföG für Studierende wird im kommenden Jahr um 5,5 Prozent erhöht . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aufwüchse in diesen Zukunftsfeldern sind wichtig für unser Land . Für den Gesamtetat betone ich zum Abschluss noch einmal: Halten wir trotz des Haushaltsplus Maß, um die notwendigen Ausgaben für die Zukunft tätigen zu können! So müssen natürlich zunächst einmal die konkreten Kosten der Flüchtlingshilfen betrachtet werden und muss die Steuerschätzung im Herbst abgewartet werden . ({7}) Begeben wir uns angesichts der jüngsten Entwicklungen nicht in parteipolitische Grabenkämpfe, sondern wenden wir uns gemeinsam der Verantwortung zu und werden dieser auch gerecht! Die Menschen, die unsere Hilfe benötigen, haben dies verdient - und natürlich auch das deutsche Volk . Danke schön . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegen keine weiteren Wortmeldungen zur allgemeinen Finanzdebatte vor . Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15 . Es wäre schön, wenn Sie jetzt zügig Ihre Plätze einnehmen würden . Dann hätte nämlich der Bundesminister Hermann Gröhe, dem ich jetzt das Wort für die Bundesregierung gebe, die notwendige Aufmerksamkeit . ({0})

Hermann Gröhe (Minister:in)

Politiker ID: 11002666

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Menschen in unserem Land vertrauen dem Gesundheitswesen, geben ihm in Umfragen immer wieder Bestnoten . Sie wissen: Im Falle von Unfall, von Krankheit, von Pflegebedürftigkeit können sie sich in diesem Land wie nur in ganz wenigen Ländern der Welt darauf verlassen, dass sie die erforderliche Hilfe erhalten . 5 Millionen Menschen geben in diesem Land in den unterschiedlichsten Bereichen unseres Gesundheitswesens ihr Bestes, damit es anderen besser geht . Zugleich wissen die Menschen aber auch, dass unser Gesundheitswesen vor großen Herausforderungen steht . Die erfreulicherweise ansteigende Lebenserwartung, auch das Ergebnis einer gesünderen Lebens- und Arbeitsweise sowie des medizinischen Fortschritts, führt zu einer steigenden Zahl hochbetagter, mehrfach und chronisch erkrankter pflegebedürftiger Menschen. Beispielhaft sei die wachsende Zahl demenziell Erkrankter in unserem Land genannt . Die deutlich abnehmende Zahl erwerbstätiger Menschen und ein zum Teil massiver Bevölkerungsrückgang in einzelnen ländlichen Regionen werfen weitere Fragen auf: Wie steht es um eine gute medizinische und pflegerische Versorgung im ländlichen Raum? Wie stellen wir angesichts schon jetzt fehlender Fachkräfte beispielsweise im Pflegebereich den wachsenden Fachkräftebedarf im Gesundheitswesen sicher? So sorgen innovative Therapien, Arzneimittel und Medizinprodukte für Hoffnung bei Erkrankten, weisen uns aber auch auf die Herausforderung hin, auch weiterhin alle Menschen in unserem Land am medizinischen Fortschritt in guter Weise teilhaben zu lassen . Die Bürger erwarten zu Recht, dass wir uns diesen Fragen stellen, und wir tun das . ({0}) Bei den zahlreichen Gesetzgebungsvorhaben im Gesundheitsbereich gilt: Stets verbinden wir die patientenorientierte Ausgestaltung der Leistungen für Pflegebedürftige und Kranke mit Maßnahmen und Regeln, die zeigen, dass wir die nachhaltige Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens im Blick haben und stärken . In dieser Haushaltsberatung will ich mit der nachhaltigen Finanzierung unseres Gesundheitswesens beginnen . Unsere leistungsstarke gesetzliche Krankenversicherung ist finanziell solide aufgestellt. ({1}) In der Jahresmitte 2015 gab es bei Gesundheitsfonds und gesetzlicher Krankenversicherung Reserven von rund 24 Milliarden Euro . 20 Millionen Menschen in diesem Land konnten zu Jahresbeginn von niedrigeren Krankenversicherungsbeiträgen profitieren, gemessen an der früheren Beitragsvorgabe . Diese gute Lage ist das Resultat sowohl gesundheitspolitischer Weichenstellung als auch der guten wirtschaftlichen Lage in unserem Land . Ein leistungsstarkes solidarisches Gesundheitswesen braucht eine starke Wirtschaft und eine gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt . Richtig war es deshalb, dass wir in den Jahren 2014 und 2015 durch eine vorübergehende Absenkung des Bundeszuschusses einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung und damit zur Wachstumsförderung in unserem Land geleistet haben . Nun halten wir Wort . Im Jahr 2016 wird dieser Bundeszuschuss 14 Milliarden Euro, ab dem Jahr 2017 dauerhaft 14,5 Milliarden Euro betragen . Deshalb ist es richtig, dass sich die Koalitionspartner darauf verständigt haben, den Arbeitgeberbeitrag einzufrieren . Mit einer Politik für sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze stärken wir die Grundlagen unserer sozialen Sicherheit . ({2}) Zugleich ist klar: Damit Leistungsausweitungen mit Augenmaß möglich sind, muss die Effektivität im System, wo immer vertretbar, erhöht werden . Deshalb zielte bereits das erste Gesetz dieser Koalition auf die Verlängerung des Preismoratoriums bei den Arzneimitteln und die Erhöhung des Herstellerabschlags . Das sind Maßnahmen, die die gesetzliche Krankenversicherung um jährlich 650 Millionen Euro entlastet haben . Die Verbindung von konkreten Leistungsverbesserungen für unsere Patientinnen und Patienten einerseits und die Stärkung struktureller Nachhaltigkeit des Gesundheitswesens andererseits prägen alle unsere Gesetzesvorhaben . ({3}) Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz stärken wir die Versorgung im ländlichen Raum, indem wir beispielsweise den Kassenärztlichen Vereinigungen die Möglichkeit geben, mit konkreten Niederlassungsanreizen rechtzeitig die Weichen für eine Sicherstellung des Angebots zu stellen . Wir stärken die Allgemeinmedizin, aber auch die Weiterbildung in den grundversorgenden Facharztdisziplinen . Zugleich schaffen wir mit einem neuen Innovationsfonds - pro Jahr 300 Millionen Euro in den nächsten vier Jahren - die Voraussetzung, sektorübergreifende Versorgungsformen zu erproben, um sie alsbald in die Regelversorgung einzuführen . Wir haben lange genug Mauern zwischen den Sektoren gebaut . Mit diesem Innovationsfonds bauen wir Brücken für die Patientinnen und Patienten . ({4}) Zugleich erhöhen wir damit auch die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung im Gesundheitswesen . Mit der Krankenhausreform sichern wir gut erreichbare Krankenhausversorgung und machen im Interesse der Patientinnen und Patienten die Qualität der Krankenhausleistung zum entscheidenden Maßstab künftiger Krankenhausplanung . Wir verbinden die Sicherstellung ortsnaher Grund- und Regelversorgung mit besserer Finanzierung der besonderen Aufgaben von Zentren, etwa in den Hochschulkliniken oder im Bereich der Notfallversorgung, aber auch mit dem Abbau von Überversorgung und mit einem strukturierten Zweitmeinungsverfahren, um überflüssige Operationen zu vermeiden. Das ist im Interesse der Patientinnen und Patienten und steigert die nachhaltige Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens . ({5}) Der Forderung eines selbstbestimmten Lebens gerade älterer Patientinnen und Patienten - dabei denke ich beispielsweise an die Arzneimitteltherapiesicherheit, an den Medikationsplan sowie an eine bessere Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Leistungserbringern, auf die gerade mehrfach und chronisch erkrankte Menschen angewiesen sind - dient unser Gesetz für die sichere digitale Kommunikation und Anwendung im Gesundheitswesen, kurz E-Health-Gesetz . Zugleich stärkt es den Datenschutz in diesem wichtigen Bereich . Mit dem Präventionsgesetz haben wir eine jahrelange Debatte zu einem guten Ergebnis geführt . Wir stärken die Gesundheitsförderung in allen Lebensbereichen, von der Kita über die Schulen und den Arbeitsplatz bis hin zur Altenpflege. Dies dient der Lebensqualität der Menschen, da lebensstilbedingte Krankheiten vermieden oder in ihrem Verlauf günstig beeinflusst werden können. Das dient aber auch der nachhaltigen Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems . ({6}) Im Haushalt unterstützen wir die Ziele des Präventionsgesetzes beispielsweise mit 3 Millionen Euro für Informationskampagnen zur Erhöhung der Impfrate, aber auch erstmals mit 3 Millionen Euro für Projekte zur Vermeidung von Diabetes mellitus . Meine Damen, meine Herren, einen echten Kraftakt stemmen wir bei der umfangreichen Stärkung der Pflege in Deutschland. Jahrelang wurde über den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff diskutiert . Jetzt kommt er . ({7}) Damit erhalten demenziell erkrankte Menschen erstmals einen gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung. Damit wird sich die Pflege künftig stärker an der individuellen Bedürftigkeit, aber auch an den individuellen Möglichkeiten der Pflegebedürftigen oder des Pflegebedürftigen ausrichten. Individuellere Pflege ist unser Ziel. Bereits zum 1. Januar dieses Jahres haben wir mit einer umfassenden Leistungsverbesserung nicht zuletzt die Situation von demenziell erkrankten Pflegebedürftigen und deren Angehörigen verbessert und den Grundsatz „ambulant vor stationär“ gestärkt, der dem Wunsch der allermeisten Menschen entspricht, möglichst lange, auch pflegebedürftig, zu Hause leben zu können. Wenn wir jetzt den Grundsatz „Reha vor Pflege“ mit Leben füllen wollen, dann dient auch dies der Lebensqualität des Einzelnen, da wir Pflegebedürftigkeit verhindern, hinauszögern oder im Verlauf günstig beeinflussen. Es dient aber auch der Nachhaltigkeit unserer Struktur zur Absicherung im Falle von Pflegebedürftigkeit. Diese umfassende Leistungsverbesserung von ungefähr 20 Prozent wird durch eine Beitragserhöhung von 0,5 Prozent paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgebracht . Dies ist unserer Überzeugung nach gut angelegtes Geld . Wir wissen, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen in diesem Land diese Beitragserhöhung bejaht, weil gute Pflege ein Ausdruck der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft ist . ({8}) Zugleich gibt es wohl kaum einen Bereich, in dem Hilfe des Sozialstaats in dieser Weise Hilfe zur Selbsthilfe ist . Vergegenwärtigen wir uns einmal, dass ganz viele pflegebedürftige ältere Menschen von selbst in hohem Alter befindlichen Pflegepersonen bzw. Partnerinnen und Partnern gepflegt werden. Diese haben wahrlich unsere Unterstützung verdient. Mit dem Pflegevorsorgefonds sorgen wir zugleich dafür, dass dieser Leistungsausbau in generationengerechter Weise gestaltet wird . Dankbar bin ich für den großen Konsens, der in diesem Haus herrscht im Hinblick auf die Verbesserung in der Palliativ- und Hospizversorgung . Was wir an guter medizinischer, pflegerischer und menschlicher Begleitung Schwerstkranker und Sterbender heute leisten können, muss auch überall in diesem Land angeboten werden . ({9}) Ich danke in diesem Zusammenhang den rund 100 000 Menschen, die ehrenamtlich im Bereich der Hospizversorgung tätig sind . Die Frage einer guten medizinischen Versorgung ist zunächst eine lokale Frage, also die Frage nach dem Angebot bei mir vor Ort . Und doch hat uns der Ebolaausbruch im vergangenen Jahr erneut in eindringlicher Weise gezeigt, dass eine gute Gesundheitsversorgung auch eine internationale Dimension hat . Deshalb stand in diesem Jahr die globale Gesundheitspolitik in besonderer Weise im Zentrum des Handelns der Bundesregierung . Ich nenne die deutsche Gastgeberrolle bei der internationalen Impfallianz im Januar dieses Jahres, die gemeinsame Reise mit Bundesminister Gerd Müller nach Westafrika mit dem Ziel, den dort Aktiven bei der Hilfe der Länder Westafrikas Dank zu sagen, aber auch zu unterstreichen, dass wir Lehren aus diesen Vorgängen ziehen wollen, die Rede der Bundeskanzlerin vor der Jahreshauptversammlung der Weltgesundheitsorganisation, aber auch die herausragende Rolle, die die Gesundheitsthemen beim G-7-Gipfel im bayerischen Elmau gespielt haben . In wenigen Wochen werde ich die Gesundheitsminister der G-7-Staaten, die Generaldirektorin der WHO und weitere internationale Repräsentanten in Berlin begrüßen, damit wir diesen Prozess vorantreiben, Lehren aus der Ebolakrise ziehen und die WHO stärken . Ich danke dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit dafür, dass wir im Zusammenwirken freiwillig Beiträge für die WHO in Höhe von 6 Millionen Euro vorsehen, um die Stärkung und den Reformprozess in der WHO voranzubringen . ({10}) Zu der gesundheitspolitischen Dimension internationaler Entwicklung gehört auch eine gute und angemessene Versorgung der Flüchtlinge in unserem Land . ({11}) Ich habe vor wenigen Tagen entsprechende Einrichtungen in Lebach und St . Wendel im Saarland besucht und kann nur sagen: Was dort von Haupt- und Ehrenamtlichen für eine gute Versorgung der ankommenden Flüchtlinge geleistet wird, verdient höchste Anerkennung und jede Unterstützung . ({12}) Die Verabredung der Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen mit der Bundeskanzlerin und den Ressorts der Bundesregierung sowie die Beschlüsse der Koalition vom Sonntag sind eine gute Grundlage, die große Herausforderung, zum Beispiel der Erstuntersuchungen, gemeinsam zu meistern . Dazu führen wir intensive Gespräche mit den Ländern . Ich nenne als Stichworte nur die Nutzung medizinischen Sachverstands bei den Flüchtlingen selbst und die Frage, wie wir die Erstuntersuchung schnell und zeitnah umsetzen können . Dies alles ist nur zu leisten, weil viele Menschen das ihnen Mögliche für eine bestmögliche Versorgung tun . Dafür bin ich dankbar . Ich freue mich auf die vor uns liegenden Haushaltsberatungen . Herzlichen Dank . ({13})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächste hat die Kollegin Dr . Gesine Lötzsch das Wort für die Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! Ich habe mich in der vergangenen Woche mit Geschäftsführern mehrerer Krankenhäuser unterhalten . Alle berichteten gleichermaßen von großen finanziellen Problemen bei der Reparatur und Instandhaltung ihrer Häuser . Es fehlt seit Jahren an Investitionsmitteln . Das darf so nicht weitergehen . ({0}) Was machen die Krankenhäuser in ihrer Not? Sie reduzieren Personalmittel, um die notwendigsten Reparaturen bezahlen zu können . Das ist natürlich fatal angesichts 214 000 fehlender Pflegekräfte in den nächsten zehn Jahren, wie es das DIW berechnet hat . Diese Gespräche haben für mich noch einmal eindrucksvoll belegt, was wir durch die Statistiken schon lange wissen: Im Vergleich zum Jahr 1991 sanken die Fördermittel für die Krankenhäuser bis 2012 um mehr als 28 Prozent, und die Kosten der Krankenhäuser haben sich mehr als verdoppelt . Das ist eine Politik gegen die Patienten, und die muss endlich beendet werden . ({1}) Gestern fand - das zum Zwischenruf „Länder“ - hier im Bundestag eine außergewöhnlich gut besuchte Anhörung zum Krankenhausstrukturgesetz statt . Aus vielen Stellungnahmen der Anzuhörenden lässt sich der Schluss ziehen, dass die Bundesregierung mit diesem Gesetz nicht eine bessere gesundheitliche Versorgung erreichen möchte, sondern augenscheinlich öffentliche Krankenhäuser schließen will . Das ist mit uns nicht zu machen . ({2}) Für das Jahr 2017 sieht die Bundesregierung für alle Krankenhäuser eine Kürzung von 1 Milliarde Euro vor, und der Versorgungszuschlag, der 500 Millionen Euro ausmacht, soll vollständig wegfallen . Wenn ich dies allein auf mein Land, auf Berlin, umrechne, so wären dadurch 500 Pflegestellen gefährdet. Absurder geht es nicht . ({3}) Wie passen diese Kürzungen mit der Forderung nach mehr Qualität zusammen? Ich sage: überhaupt nicht . Wenn es nach der Bundesregierung geht, soll die Qualität der Krankenhäuser über ihre Existenz entscheiden. Das klingt vernünftig, ist es aber nicht . Wir als Linke möchten die beste Versorgung aller Patienten und Patientinnen sichern, unabhängig davon, ob sie gesetzlich oder privat versichert sind . ({4}) Doch mehr Qualität gibt es nicht, wenn man den Geldhahn immer wieder zudreht . Darum fordern wir für den Haushalt 2016 wie auch in den vergangenen Jahren Investitionen in die Krankenhäuser . In den vergangenen Jahren haben Sie von der Koalition diese Forderung leider immer wieder abgelehnt . Das war eine falsche Entscheidung . Ich hoffe, dass Sie diese Entscheidung in diesem Jahr korrigieren . ({5}) Immer wieder wird davon gesprochen, dass die Bundesregierung der nächsten Generation keine neuen Schulden aufbürden möchte . Das klingt gut . Doch Sie müssen der nächsten Generation auch sagen, dass sie dafür eine verschlissene Infrastruktur aufgebürdet bekommt . ({6}) Jeden Euro, den wir heute nicht in kaputte Schulen, Brücken und Krankenhäuser investieren, muss die nachfolgende Generation aufbringen, und das wird nicht reichen; denn sie muss ein Vielfaches aufbringen, um den heutigen Standard wiederherzustellen . ({7}) Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass es einen weiteren Grund für Ihren Investitionsstreik gibt . ({8}) Mit Ihrer dauerhaften Verweigerungshaltung wollen Sie den Weg für kommerzielle Kliniken freimachen . Während die Anzahl der Krankenhäuser insgesamt abnimmt im Jahr 2011 gab es 152 Krankenhäuser weniger als im Jahr 2003 -, steigt die Anzahl der kommerziellen Kliniken, die wesentlich in der Hand von vier Konzernen liegen . Die Bundesregierung hilft also bei der Marktbereinigung im Gesundheitswesen, und das darf wirklich nicht wahr sein . ({9}) Keiner sollte glauben, dass durch die kommerziellen Kliniken Qualität und Effizienz gesteigert werden. Im Gegenteil: Für die Patienten wird es auf alle Fälle teurer . Der Trend ist schon jetzt deutlich zu erkennen . Auch die öffentlichen, die kommunalen Krankenhäuser werden mit den Fallpauschalen auf Profit getrimmt. Ich denke nicht, dass wir eine Entwicklung haben wollen, die es in anderen Ländern schon gibt . Ich nenne ein Beispiel: Die Anzahl der Kaiserschnitte ist in Deutschland seit 2005 um 27 Prozent gestiegen . Je 1 000 Geburten wurden 314 Kaiserschnitte durchgeführt . ({10}) Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis Kliniken nur Geburten per Kaiserschnitt anbieten werden, weil ihnen das einfach mehr Geld einbringt . ({11}) Das ist nämlich die Wahrheit . Diesen Weg wollen wir doch nicht beschreiten . ({12}) Wir von der Linken wollen eine solidarische Krankenversorgung, die aus Ärzten keine gewinnmaximierenden Geschäftsleute und aus Krankenschwestern keine Fließbandarbeiterinnen macht . Investitionen in das Gesundheitswesen sind gut angelegtes Geld . Alles andere wird in der Zukunft teurer . Vielen Dank . ({13})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Dr . Karl Lauterbach, SPD-Fraktion . ({0})

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal will ich auf das aktuelle Thema eingehen, nämlich die Flüchtlingskrise, die uns natürlich alle bewegt, und hier für unsere Fraktion ganz klar in den Vordergrund stellen, dass es nicht sein kann, dass Menschen den riskanten, langen, gewagten Weg nach Deutschland auf sich nehmen und ihn schaffen, hier willkommen sind, aber dann durch vermeidbare Komplikationen von bestehenden Krankheiten ihre Gesundheit erneut aufs Spiel setzen und vielleicht sogar versterben . ({0}) Daher werden wir im Gesundheitssystem dafür sorgen, dass der schnelle Zugang zu den Leistungen, die benötigt werden, gegeben ist . Wir setzen uns dafür ein, dass die Gesundheitskarte für Flüchtlinge zur Verfügung steht, ({1}) und zwar in einer Art und Weise, die den Zugang zum System beschleunigt, ohne dass den Krankenkassen nicht dass dieser Vorschlag missverstanden wird! - dabei Kosten entstehen; diese Kosten sind selbstverständlich vom Steuerzahler zu übernehmen . Die oft vorgetragene Befürchtung, das zöge Menschen erst an, nach Deutschland zu kommen, halte ich für abwegig . ({2}) Es ist nicht so, dass ein Mensch nach Deutschland oder nach Europa flieht, ({3}) weil er glaubt, für ein paar Monate in den Genuss einer Krankenversicherung zu kommen, die er sowieso wieder verlöre, wenn er hier nicht bleiben könnte, und die er sowieso bekäme, wenn er bleiben könnte . Von daher geht es sozusagen um einen Übergang für wenige Monate . Das ist aber ein Übergang, der gerade für Kinder, für traumatisierte Menschen lebenswichtig sein kann . Da können wir uns nicht aus ideologischen Gründen einer unbürokratischen Lösung versperren . Daran werden wir gemeinsam arbeiten . ({4}) Wir schaffen in dieser Legislaturperiode vier wichtige Gesetze; wir schaffen auch ein paar kleine Gesetze, aber ich gehe auf vier Gesetze in der gebotenen Kürze ein . Ich will einmal versuchen, es zu strukturieren: Beim ersten Gesetz steht sehr stark die Modernisierung unseres Gesundheitssystems im Vordergrund . Beim zweiten Gesetz steht sehr stark die Verbesserung der Qualität im Vordergrund . Beim dritten Gesetz steht die Humanisierung im Vordergrund und beim vierten Gesetz der Ausbau des Systems . Das ist die Zusammenfassung . Bei der Modernisierung geht es im Wesentlichen um das Gesetz, das wir als E-Health-Gesetz bezeichnen und diesen Namen durchaus verdient . Wir haben in Deutschland bisher keine gute Infrastruktur im Gesundheitssystem, was die Vernetzung angeht . Die elektronische Vernetzung unseres Gesundheitssystems ist kein unwichtiger Bereich; das ist nichts Technokratisches. Es besteht langfristig die dringende Notwendigkeit, in den Bereichen, in denen wir eine flächendeckende Versorgung nicht mehr gut darstellen können, zur interdisziplinären Zusammenarbeit von Ärzten zu kommen und telemedizinische Leistungen stärker zu nutzen . Das werden wir ohne die Schaffung dieser Infrastruktur niemals schaffen . Wir brauchen das EHealth-Gesetz, um bei der Zusammenarbeit von Ärzten und bei der flächendeckenden Versorgung mit Telemedizin überhaupt voranzukommen . ({5}) Hier geht es nicht um Kleinigkeiten . Zum Beispiel ist es heute so, dass Ärzte oft nicht wissen, welche Medikamente Menschen nehmen . Wenn jemand eine geistige Einschränkung hat - beispielsweise ein behinderter Mensch -, kann er nicht einfach aufzählen, welches MeDr . Gesine Lötzsch dikament er in welcher Dosierung gerade einnimmt . Daher kommt es nicht nur zu vermeidbaren Nebenwirkungen; es wird auch oft etwas eingesetzt, was gar keinen Sinn macht, weil der Patient es schon in einer anderen Form bekommt oder bekommen hat und es nie gewirkt hat . Daher brauchen wir elektronisch verfügbare Medikationspläne als ersten Schritt auf dem Weg zu einer komplett elektronischen Patientenakte . Sie muss natürlich den modernsten Sicherheitsstandards mit doppelter Verschlüsselung entsprechen . Aber diese Aufgabe ist lösbar . Sie ist keine Kleinigkeit: Hier geht es um die Vernetzung von 200 000 Ärzten, 2 000 Krankenhäusern, 20 000 Apotheken . Es ist also eine riesige Aufgabe . Aber wenn wir dies schaffen, dann haben wir einen wesentlichen, notwendigen Schritt zur Modernisierung unseres Gesundheitssystems getan . ({6}) - Hier wird gelacht . Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das schaffen werden . ({7}) Ich kann jetzt nicht das konkrete Gesetz vortragen; aber das konkrete Gesetz enthält aus meiner Sicht wichtige Schritte, setzt Fristen und macht entsprechenden Druck auf die Selbstverwaltung . Hier kommt es aus meiner Sicht zu einer technisch gut vorbereiteten Lösung, die der Selbstverwaltung die notwendigen Anreize bietet, die in der Vergangenheit oft gefehlt haben, um hier voranzukommen . Bei der Humanisierung des Gesundheitssystems denke ich natürlich im Wesentlichen an unser Gesetz zur Hospiz- und Palliativversorgung . Es ist ganz klar: Der Aspekt, wie das Lebensende von einem Menschen erlebt wird, wie er auf das Lebensende vorbereitet wird, was er erwarten kann, wie er es selbst erlebt, wie die Angehörigen es erleben, wenn ein Mensch stirbt, aus dem Leben scheidet, ist ganz wesentlich, wenn es darum geht, wie menschlich ein Gesundheitssystem ist . Da haben wir in der Vergangenheit nicht genug gemacht; das muss man klar sagen . Aber wir haben in den letzten Jahren viel erreicht . Wir haben unser System der Palliativ- und Hospizversorgung ausgebaut . Jetzt gehen wir den nächsten Schritt, bei dem es im Wesentlichen darum geht, dass wir die ärztlichen und die pflegerischen Leistungen in der Hospiz- und auch in der Palliativversorgung besser vergüten, dass wir Rechtsansprüche schaffen, dass wir in den Bereichen, in denen es trotz langer Verhandlungen noch keine Verträge gibt, die Verträge durch ein Schiedsverfahren auf den Weg bringen, damit es endlich eine flächendeckende Versorgung gibt . Wir wollen die Hospizversorgung in Krankenhäusern, aber auch die ambulante Hospizversorgung in Pflegeeinrichtungen und in den Pflegediensten deutlich verbessern. Wir flexibilisieren so die Hospizversorgung und stärken insbesondere die ambulante Hospizversorgung . Neben höheren Sachkostenbeiträgen ist auch eine höhere Abdeckung der geleisteten Zuschüsse vorgesehen; die Einzelheiten werden wir hier noch breit diskutieren . Aus meiner Sicht sind das sehr wichtige Schritte . Das Ziel muss sein, dass wir im Bereich der Palliativmedizin und in der Hospizversorgung vorbildlich sind . ({8}) Wir haben in diesem Bereich schnell Fuß gefasst, aber wir müssen sowohl auf europäischer Ebene als auch weltweit Vorbild sein . Daran wollen wir uns messen lassen . Mit dem Krankenhausstrukturgesetz soll die Qualität in den Krankenhäusern gesteigert werden . Frau Lötzsch, Sie haben vorgetragen, es gebe keine Anreize für die Steigerung der Qualität . Sie befürchten, dass sich die Qualität verschlechtert . ({9}) - Die Anhörung ist sehr kompliziert gewesen . Es gab sehr differenzierte Meinungen, die Sie hier auf zwei, drei kritische Punkte reduziert haben . ({10}) Das ist nicht angemessen . Ich bringe ein paar Beispiele, die zeigen, dass Sie die Entwicklung in den Ländern, in denen Sie mitregieren, selbst in der Hand haben . Wir erlauben es den Ländern zum Beispiel, den Aspekt Qualität bei der Krankenhausplanung zu berücksichtigen . Das war bisher nicht erlaubt . Qualitätsaspekte konnten in der Krankenhausplanung bisher - ich sage einmal: absurderweise - nicht berücksichtigt werden . Ich hoffe, dass Sie es den Ländern, in denen Sie mitregieren, zutrauen, die qualitätssteigernde Möglichkeit zu nutzen; um Ihnen ein Beispiel zu nennen, wie wir durch dieses Gesetz Qualität schaffen . Ich bringe ein weiteres Beispiel . Bei guter Qualität gibt es demnächst Zuschläge . Wenn es stimmt, was Sie vortragen, also dass die nichtkommerziellen Anbieter in der Qualität besser sind, dann gehen diese Zuschläge fast ausschließlich an die kommunalen Häuser . Dann hätten Sie die Entwicklung, die Sie wünschen . Zu sagen, dass wir keine entsprechenden Anreize setzen, würde bedeuten, dass wir das System verknappen . Aber da hören Sie doch nur auf die Krankenkassen, denen Sie, wie auch wir, in vielen Bereichen nahestehen . Es ist ganz klar: Die Krankenkassen beklagen in diesem Bereich Mehrausgaben von mehreren Milliarden Euro . Wenn man Ihnen zugehört hat, dann hätte man den Eindruck gewinnen können, dass wir die Mittel verknappen . Aber wir haben Mehrausgaben, die bereits so hoch sind, dass wir von einer Beitragssatzerhöhung ausgehen müssen . Sie selbst haben bereits die zu erwartenden Zusatzbeiträge beklagt und gefragt: Wo geht denn das Geld hin? - Entweder es ist richtig, dass wir mehr Geld ausgeben und dass wir mehr Finanzierung im paritätischen Sinne benötigen auch ich glaube, dass wir das Gesundheitssystem langfristig wieder paritätisch finanzieren müssen Dr . Karl Lauterbach ({11}) oder wir verknappen die Mittel . Aber beides kann nicht stimmen . Ich komme zum Schluss . Das Gesetz zum Ausbau der Pflegeversicherung hat Gesundheitsminister Gröhe breit dargestellt. Der Ausbau der Pflegeversicherung ist großartig . Das ist etwas, was in der jetzigen Zeit unbedingt gemacht werden muss . Wir können uns dies leisten . Die gute wirtschaftliche Lage hat das möglich gemacht . Das ist paritätisch finanziert. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Umstellung des Systems auf Pflegegrade einer individualisierten, am Menschen ausgerichteten besseren Pflege den Weg ebnen wird. Ich bin zuversichtlich, dass wir in diesem Bereich einiges erreichen werden . Wir haben sehr viel vor in dieser Legislaturperiode . Ich darf mich ganz herzlich für die vorzügliche Zusammenarbeit in der letzten Runde bedanken und freue mich auf die Arbeit . ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächstes hat die Kollegin Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . ({0})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der bewegenden Bilder von völlig erschöpften Menschen, die nach langer und kräftezehrender Flucht bei uns ankommen und mit offenen Armen und überragenden Hilfen von sehr vielen Freiwilligen begrüßt werden, müssen wir hier darüber reden, wie wir schnell, unbürokratisch und vor allem solidarisch und langfristig helfen können . ({0}) Dabei kann Ihr gestriges, mit heißer Nadel gestricktes Maßnahmenpaket höchstens ein Anfang sein . Lassen Sie mich an dieser Stelle, auch wegen der Zwischenrufe von eben, an die Adresse der Damen und Herren von der CDU/CSU, die regelmäßig meinen, die Gesundheitskarte für Asylsuchende würde falsche Anreize schaffen, Folgendes sagen: Wir reden hier von Menschen, die auf der Flucht vor Krieg, vor Misshandlung, vor Vergewaltigung, vor höchster Lebensgefahr dramatischen Erlebnissen ausgesetzt waren, die auf der Flucht physisch und psychisch verletzt wurden . Es ist unsere Pflicht, ihnen zu helfen. Es geht um menschenwürdige Gesundheitsversorgung hier in Deutschland, vom ersten Moment an . ({1}) Die 6 Milliarden Euro für zusätzliche Hilfen für Flüchtlinge werden nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie keine Probleme lösen . Dabei haben Sie, Herr Minister Gröhe, und Ihr Haus schon seit Herbst 2014, also seit gut einem Jahr, durch die Einigung mit den Ländern den Auftrag, die flächendeckende Einführung einer Gesundheitskarte für Asylsuchende zu prüfen und die Kostenübernahme durch den Bund sicherzustellen . Herr Minister Gröhe, das vorbildliche Vorgehen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen führt, wie zuvor schon in Hamburg und Bremen, zu einer rettenden Verbesserung; denn die Menschen können im Krankheitsfall nun direkt und ohne bürokratische Hürden einen Arzt aufsuchen . ({2}) Herr Minister Gröhe, Ihre Aufgabe und Ihre Pflicht ist es, für eine gute und diskriminierungsfreie gesundheitliche Versorgung aller Flüchtlinge zu sorgen . Ich fordere Sie hier und heute auf, den notwendigen Gesetzentwurf für eine bundesweite Gesundheitskarte bis zum 24 . September 2015 vorzulegen, das heißt, bevor der zweite Flüchtlingsgipfel beginnt . ({3}) Angesichts der Äußerungen von Herrn Dr . Lauterbach bin ich guter Dinge, dass man hier doch noch zur Vernunft kommt . ({4}) - Danke schön . Natürlich gibt es noch weitere ungelöste Probleme, so den eklatanten Mangel an Dolmetschern und die unzureichende psychotherapeutische Versorgung, um nur zwei Beispiele zu nennen . Wir wissen aus vielen Untersuchungen, dass ein Großteil von schwer traumatisierten Menschen große Schwierigkeiten hat, ihren Gesundheitszustand zu verbessern oder sich zu integrieren . Herr Gröhe, wo sind Ihre Antworten auf diese Probleme? Sie werden als Gesundheitsminister zum Synonym für Ideen- und Mutlosigkeit, und das nicht nur beim Thema Flüchtlinge . Ihnen fehlt der Mut für eine gute Gesundheitspolitik für alle Menschen, die in Deutschland leben . Wie soll die Gesundheitsversorgung der Zukunft aussehen, und vor allem, wie kann sie solidarisch finanziert werden? Die Zeichen des demografischen Wandels sind deutlich; aber Sie halten stur Abstand von konfliktträchtigen Reformen, von einer stabilen und gerechten Finanzierung, von der flächendeckenden integrierten Versorgung in allen Regionen, von einer besseren Aufgabenverteilung in den Gesundheitsberufen . ({5}) Nur für die verschiedenen Besitzstandswahrer haben Sie offene Ohren . Einige Akteure im Gesundheitswesen werden mit Geschenken und kleinen Detailverbesserungen bei Laune gehalten, aber die notwendigen Strukturreformen bleiben aus . Bezahlen müssen das am Ende die Versicherten . Sie werden die gesetzlich Versicherten 2016 erneut zur Kasse bitten . Die Zusatzbeiträge werden steigen . Die Versicherten werden somit den absehbaren Kostenanstieg im Gesundheitswesen alleine stemmen müssen . Dr . Karl Lauterbach Wir Grünen fordern, dass die paritätische Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der gesetzlichen Krankenversicherung vollständig wiederhergestellt wird . ({6}) Herr Kollege Lauterbach, ich nehme Sie beim Wort . Kommen Sie zurück zur Parität, kommen Sie zurück zu mehr Gerechtigkeit! ({7}) Nun zu einer anderen Marotte der Bundesregierung, zum Ausgeben des Geldes der gesetzlich Versicherten für staatliche Aufgaben und Zwecke . Das Beispiel: die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, eine Bundesbehörde . Dort wird das Personal jetzt mithilfe von Mitteln aus der gesetzlichen Krankenversicherung aufgestockt . Wir sagen dazu ganz klar, meine Damen und Herren: Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen aus dem Bundeshaushalt finanziert werden; die Mittel dafür dürfen nicht der Solidargemeinschaft der Versicherten entzogen werden . ({8}) Das i-Tüpfelchen Ihrer versicherten- und patientenfeindlichen Politik ist die Vergabe der Unabhängigen Patientenberatung an ein privates Unternehmen mit Profitinteressen. Damit wird die Unabhängige Patientenberatung - die den Patienten vor Ort übrigens durch Gesetz garantiert wird - als wichtige Institution zur Verankerung von Patienten- und Versichertenrechten zu Grabe getragen . Zukünftig steht Patienten nur noch ein Callcenter zur Verfügung, ein Callcenter, welches im Kern ein Dienstleister für Krankenkassen und Leistungserbringer ist, aber nicht für die Patienten und ihre unabhängige Beratung . Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht . Und was machen Sie, Herr Minister Gröhe? Sie schweigen sich aus . Angesichts der großen Herausforderungen, vor denen wir alle stehen, ist ein schweigsamer Minister, der die großen Konflikte scheut, jedoch fatal. Auf bestimmte Interessengruppen ausgerichtete Politik ist weder nachhaltig noch generationengerecht . Stellen Sie endlich die Menschen, die Patienten, die Versicherten in den Mittelpunkt, und zwar nicht nur in Sonntagsreden, sondern endlich auch im konkreten Handeln . Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für die CDU/ CSU-Fraktion ist der Kollege Dr . Georg Nüßlein . ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Eine Haushaltsdebatte mitten in der Legislaturperiode ist natürlich die Gelegenheit, eine Halbzeitbilanz zu ziehen . Ich meine, der Herr Bundesgesundheitsminister hat eine gute Halbzeitbilanz gezogen, und er hat es auch zu Recht getan . ({0}) Ich weiß natürlich, dass es für die Opposition geradezu konstitutiv ist, dass sie das kritisiert . Aber, Frau Schulz-Asche, so wie Sie das gerade eben gemacht haben, nämlich bis hin zu dem Vorwurf der Patientenfeindlichkeit, halte ich es für absolut unangemessen . Das Beispiel mit der Ausschreibung der Patientenberatung, das Sie gebracht haben, ist kein gutes Beispiel . Dieses Thema wurde ausgeschrieben . Es gab ein Vergabeverfahren dazu, das eine Seite gewonnen hat . Meine Damen, meine Herren, so ist es eben, wenn man solche Dinge ausschreibt . ({1}) Da gibt es keinen Anspruch desjenigen, der das vorher gemacht hat, dass er das in Zukunft weitermachen darf . Wenn es umgekehrt gewesen wäre, wenn es vorher ein Wirtschaftsunternehmen gehabt hätte, dann hätten Sie doch auch nicht darauf bestanden, dass die das in Zukunft so weitermachen dürfen und ihre Angebote so lange nachbessern dürfen, bis sie das beste Angebot abgeben .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gleich am Anfang?

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

- gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schulz-Asche?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank . - Ich wollte, weil Sie mich jetzt persönlich angesprochen haben, einfach nur noch einmal fragen, ob Ihnen aufgefallen ist, dass sowohl beim Thema Unabhängige Patientenberatung als auch beim Thema Gesundheitskarte der Kollege Dr . Lauterbach von Ihrem Koalitionspartner die gleiche Position vertreten hat wie ich . Danke schön . ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, auf diesen Punkt werde ich gleich noch zusätzlich eingehen . Ich möchte Sie zunächst nur darauf hinweisen, dass hier ein erstinstanzliches Urteil da ist, nach dem ganz klar ist, dass man die Unabhängigkeit geprüft hat, sodass es von dieser Seite aus gar kein Problem gibt . Der Kollege Lauterbach wird das wahrscheinlich anschließend noch selber klären . Um auf das Thema Gesundheitskarte zu kommen: Ja, natürlich ist es so, meine Damen und Herren, dass es in einer Großen Koalition an dem einen oder anderen Punkt unterschiedliche Auffassungen gibt . Gerade beim Thema Gesundheitskarte werden wir noch an verschiedenen Stellen diskutieren müssen . Erstens befürchtet die CDU/ CSU-Fraktion - aus meiner Sicht nicht zu Unrecht - einen gewissen Pull-Effekt, nicht in Bezug auf die Flüchtlinge, die zu Recht hier herkommen, sondern in Bezug auf die, die aus anderen, insbesondere ökonomischen Erwägungen versuchen, hier Asyl zu bekommen und dann irgendwann mit Zeitverzögerung zurückgeschickt werden . Zweitens stellt sich für uns die Frage, wie abgegrenzt wird, dass diese Flüchtlinge nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen . Auch das muss klargestellt werden . ({0}) Das müssen wir noch klären . Ansonsten gibt es an dieser Stelle bei der CDU/CSU-Fraktion noch ganz klar ausgeprägte Skepsis, über die wir im Fortgang des Verfahrens noch reden werden .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Nüßlein, auch der Kollege Lauterbach möchte Ihnen eine Frage stellen, ehe Sie nachher in Ihrer Rede noch auf ihn eingehen, wenn Sie dies gestatten . Bitte schön, Herr Kollege Lauterbach .

Prof. Dr. Karl Lauterbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003797, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank . - Kollege Nüßlein, Sie stimmen mir doch hoffentlich zu, dass ich zur UPD in meinem Beitrag gar nichts gesagt habe ({0}) und die Kollegin Schulz-Asche mich daher in meiner Rede wahrscheinlich missverstanden hat?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gehe sogar davon aus, dass Sie noch besser als ich wissen, wozu Sie gar nichts gesagt haben, Herr Kollege . ({0}) Meine Damen, meine Herren, ich möchte, nachdem es an dem einen oder anderen Punkt durchaus Meinungsverschiedenheiten in der Großen Koalition gibt, noch auf eine andere Diskussion eingehen, nämlich die über die Beitragsentwicklung; darüber wurde in den vergangenen heißen Tagen diskutiert . Auch da tut Aufklärung not . Ich weiß nicht, ob Kollege Lauterbach anschließend wieder Stellung nimmt, ob er etwas bzw . was genau er dazu gesagt hat . Ich will deutlich betonen: Die GKV hat seit Jahren stabile Beiträge und hohe Rücklagen . Das bleibt auch so, wenn die Wirtschaft weiter floriert. Das wiederum hängt von vielem ab, unter anderem aber auch davon, ob wir unnötige verunsichernde Debatten über die Anhebung von Lohnnebenkosten führen . ({1}) - Ich komme gleich dazu . Die diskussionsgegenständlichen Defizite liegen ganz besonders an zu niedrig angesetzten Zusatzbeiträgen . Gegen jeden Rat 0,83 Prozent statt 0,9 Prozent als Zusatzbeitrag zu verlangen und dann nachher zu lamentieren, dass das Geld nicht reicht, ist nicht besonders klug . ({2}) Das muss man einmal in der Klarheit formulieren . Es geht also um ein hausgemachtes kassenindividuelles Problem . Wir lassen uns an dieser Stelle keine Beitragsdiskussion allgemeiner Art aufdrängen und - das sage ich ganz ausdrücklich - auch keine parteipolitisch motivierte Diskussion über die paritätische Finanzierung der Beiträge . SPD und CDU/CSU haben sich im Koalitionsvertrag aus gutem Grund und wohlüberlegt, wie ich meine, auf die Festschreibung des Arbeitgeberbeitrages verständigt . Frau Schulz-Asche, SPD und Grüne müssen davon schon früher, nämlich im Jahr 2003, überzeugt gewesen sein . Es war nämlich die rot-grüne Bundesregierung, die damals von einer vollparitätischen Finanzierung abgewichen ist . ({3}) Zur historischen Wahrheit gehört also auch, dass Sie damit angefangen haben . ({4}) Vermutlich haben Sie sich seinerzeit etwas dabei gedacht . Wenn das in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Sinn gemacht hat, dann macht es auch Sinn, das so fortzuführen, um nicht in schwierige Situationen zu kommen . Ich weiß, dass das natürlich auch an die SPD geht, die sich ab und zu nicht gern an die eigenen Taten oder Schandtaten - je nachdem, wie Sie es sehen wollen - erinnert . ({5}) Teil unserer Agenda - dieses Wort wollte ich in diesem Zusammenhang eigentlich nicht verwenden; aber ich bleibe dabei -, unserer gesundheitspolitischen Agenda müssen natürlich Sparen in guten Tagen und Investieren in qualitative und strukturelle Verbesserungen sein . Das kostet zunächst einmal Geld, aber bringt mittelfristig auch wirtschaftliche Verbesserungen . Auch da tragen die Kassen ihre eigene Finanzverantwortung . Das möchte ich an dieser Stelle deutlich machen . Selbst wenn Sie es jetzt als populistisch auffassen, es gibt einen Grund, warum ich das sage: Ich habe kein Verständnis für fragwürdige Werbeaktionen, also für Wohlfühlreisen mit Nordic Walking, Aquafitness oder Hatha-Yoga-Kurse . Die Tatsache, dass ich gar nicht genau weiß, was ein Hatha-Yoga-Kurs ist, ist ein Hinweis darauf, dass das nicht mir eingefallen ist, sondern dass ich das der Rüge des Bundesversicherungsamtes entnommen habe und diese Rügen berechtigt sind . ({6}) Meine Damen und Herren, wir haben vor der Sommerpause das Präventionsgesetz verabschiedet, ({7}) um einen wichtigen Teil, nämlich die Gesundheitsvorsorge, aus dem Kassenmarketing herauszuziehen . Ich sage das deshalb, weil ich glaube, dass wir als Große Koalition - um mit den Kollegen von der SPD wieder Frieden zu schließen - hier Großartiges geleistet haben . ({8}) Mehrere Bundesregierungen haben sich an diesem Gesetz die Zähne ausgebissen . Wir haben es streitfrei beschlossen, die Mittel aufgestockt, die Gesundheitsförderung verbessert: in Arztpraxen, Betrieben und in den Lebenswelten . Dass dabei das Impfen eine besondere Gewichtung hatte und eine besondere Rolle gespielt hat, halte ich persönlich für ausgesprochen wichtig . Auch diese Randnotiz sei mir erlaubt: Es wird angesichts der Flüchtlingsströme, die zu uns kommen, noch sehr viel wichtiger werden, weil plötzlich wieder Krankheitsbilder in Deutschland auftauchen, die es hier bisher so nicht gab . Deshalb, sehr geehrter Herr Gesundheitsminister, ist das, was dort passiert, für uns natürlich eine grandiose, große Herausforderung . Es geht darum, wie man gesundheitspolitisch mit dieser Thematik umgeht . ({9}) Das ebenfalls vor der Sommerpause verabschiedete Versorgungsstärkungsgesetz bietet Ansatzpunkte, um dem Ärztemangel im ländlichen Raum entgegenzuwirken . Ich sage ganz bewusst „Ansatzpunkte“ . Die Umsetzung liegt jetzt an der Selbstverwaltung . Das ist kein Selbstläufer, sondern die Selbstverwaltung wird das umsetzen müssen . Auch da sei mir ein Seitenhieb gestattet: Die Vorstände der KVen sollten sich, meine ich, eher auf diese Aufgabe statt auf sich selbst konzentrieren . Die Berichterstattung der letzten Tage ist jedenfalls keine Eigenwerbung für die KVen . ({10}) Ich will den Blick nach vorn richten und das Krankenhausstrukturgesetz erwähnen . Im Vorfeld gab es eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe . Ich sage ganz offen: Nach 13 Jahren im Parlament und angesichts all dessen, was ich bei solchen Vorabstimmungen bisher erlebt habe, werde ich immer kritischer . Es ist immer dasselbe: Die Länder kommen und verhandeln mit uns . Dann gehen sie raus und tun - bis hin zur Selbstverleugnung - so, als ob sie gar nicht dabei gewesen wären; sie sind dann plötzlich unschuldig und unbeteiligt . Das ärgert mich . Man muss nicht das Vermittlungsverfahren nach vorne legen, um anschließend ein zweites am Ende durchzuführen . Ich sage das auch an die Adresse der eigenen Länder . Ich bedanke mich ausdrücklich beim BMG . Der Herr Bundesgesundheitsminister hat sich selber die Mühe gemacht, die Wortwahl und die Formulierungen abzustimmen . Trotzdem wissen die Länder nicht so genau, ob und wie sie sich dazu verhalten sollen . Meine liebe Kollegin Frau Lötzsch, wenn es um die Zuständigkeit der Länder geht, können Sie sich nicht einmal daran erinnern, dass eigentlich sie für die Investitionen verantwortlich sind . ({11}) Ich hätte von Ihnen als Haushälterin vorhin erwartet, dass Sie das richtig zuordnen, dass Sie sagen, für die Investitionen in die Häuser vor Ort sind die Länder zuständig und nicht der Bund, und nicht so tun, als ob wir daran etwas ändern könnten . ({12}) Nun gibt es eine Menge Kritik an diesem Gesetz; sie ist sehr breit gespannt . Die GKV sagt, das würde sie 6-Milliarden Euro mehr kosten, die Deutsche Krankenhausgesellschaft rechnet mit 1 Milliarde Euro Verlust und da sollen wir jetzt wissen, wo dazwischen die Wahrheit liegt . Wahr ist, dass vermutlich die eine Seite nur die Abschläge und die andere Seite nur die Zuschläge gesehen hat . Man muss das schon insgesamt richtig sehen . Wir werden bei der Mengensteuerung etwas tun müssen . Ich glaube auch, meine Damen und Herren, wir werden beim Thema der Notfallversorgung nachjustieren müssen . Die ambulante Notfallversorgung in den Krankenhäusern macht allen - landauf, landab - Schwierigkeiten . Es ist nun einmal Fakt, dass Ärzte Notfallpatienten ins Krankenhaus schicken, insbesondere abends und am Wochenende, und dass dort die diagnostischen Möglichkeiten andere sind; auch die Kosten, die sich daraus ergeben, sind andere . Hier müssen wir etwas dafür tun, dass das so abgefangen wird, dass die Patientinnen und Patienten im Notfall richtig und gut versorgt werden und die Krankenhäuser nicht draufzahlen . Denn am Schluss ist der Maßstab, dass diejenigen, die ihre Hausaufgaben schon längst gemacht haben, die gut aufgestellt sind und erreichbare Krankenhäuser haben, nicht in Schwierigkeiten kommen, dass aber auch diejenigen, die das nicht gemacht haben, die zu viele Krankenhäuser haben - auch da bin ich im Übrigen wieder bei Nordrhein-Westfalen -, einen Weg gewiesen bekommen, um diese Strukturen zu bereinigen . Da kann die Linke noch so sehr schimpfen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Nüßlein Dr . Georg Nüßlein

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist notwendig, die Strukturen anzupassen . Diesen Weg werden wir gemeinsam gehen . Vielen herzlichen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke . - Nächster Redner ist der Kollege Harald Weinberg, Die Linke . ({0})

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit drei kurzen Vorbemerkungen beginnen: Erste Vorbemerkung . Herr Nüßlein, die Kassen auf der einen Seite in den Markt und in den Wettbewerb zu schicken und auf der anderen Seite hier, von diesem Pult aus, die Folgen zu beklagen, ist schofel; das muss ich ehrlich sagen . ({0}) Die zweite Vorbemerkung geht auch an Ihre Adresse: Sie müssten unseren Antrag zur Kofinanzierung wirklich lesen . Wir schlagen darin vor, dass wir den Ländern einen Anreiz bieten sollten, den gleichen Betrag obendrauf zu legen . Das hat es schon einmal gegeben, und das hat auch gewirkt . Insofern ist dies durchaus eine Sache, die zwischen dem Bund und den Ländern geklärt und organisiert werden kann . ({1}) Dritte Vorbemerkung . Zu dem Thema Flüchtlinge nur ein paar kurze Sätze: Ich denke, der diskriminierungsfreie Zugang zur allgemeinen Gesundheitsversorgung und nicht zu der eingeschränkten Gesundheitsversorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist ein soziales Menschenrecht . Darüber reden wir . ({2}) Unser Antrag zur Gesundheitskarte ist im Verfahren . Lassen Sie ihn uns einfach zur Grundlage für die weitere Diskussion machen, und lassen Sie uns dafür sorgen, dass daraus etwas Vernünftiges wird . Ich würde mich auf jeden Fall darüber freuen . ({3}) Die Haushaltsdebatte bietet immer auch Gelegenheit, Bilanz hinsichtlich der Gesundheitspolitik zu ziehen; das ist ja schon einmal gesagt worden . Sehr geehrter Minister, einen Vorwurf kann man Ihnen gewiss nicht machen, nämlich den des Aussitzens . Ihr Ministerium hat geliefert und hält das Parlament in einer hohen Frequenz mit Gesetzentwürfen auf Trab . Dass die Lieferungen aus unserer Sicht ganz überwiegend in die falsche Richtung gehen, ist eine andere Frage . Sie arbeiten den Koalitionsvertrag mit seinen teilweise sehr detailreichen Vereinbarungen ab: Arzneimittelreform, Finanzreform, ambulante Versorgung, E- Health-Gesetz, Prävention, Krankenhausversorgung das ist derzeit im Verfahren -, Pflegepolitik Teil 1 und demnächst Pflegepolitik Teil 2. ({4}) Die Grundausrichtung der Koalitionsvereinbarung im Gesundheitsbereich haben wir bereits mehrmals kritisiert . Sie entfernen sich von einer Gemeinwohlorientierung des Sozialstaatsgebotes des Grundgesetzes und bauen das Gesundheitswesen in Deutschland mit immer mehr Wettbewerbselementen marktwirtschaftlich um . Sie entlasten die Arbeitgeber und belasten die Versicherten einseitig . ({5}) Wir haben das alte Problem, dass die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung noch immer stärker wachsen als die Einnahmen . Diese Koalition hat zu verantworten, dass alleine die Versicherten den finanziellen Mehrbedarf, den Aufwuchs, per Zusatzbeitrag zahlen müssen . Hier beginnt Ihr Problem, Herr Gröhe . Dabei ist es relativ unbedeutend, dass die SPD nun in Bezug auf die paritätische Finanzierung aufmuckt . Die SPD hat das mit Ihnen ja schriftlich vereinbart . Darauf können Sie recht bequem verweisen, und das tun Sie ja auch immer wieder . Ihr Problem sind aber die Menschen in diesem Land . Sie werden noch vor der nächsten Wahl merken, dass sie für dieselbe Leistung immer mehr zur Kasse gebeten werden . Es wird für Sie schwierig, das zu erklären . Mit dem üblichen Verweis auf die angeblichen Nöte der Arbeitgeber dürfen Sie hier nicht auf das Verständnis der Wählerinnen und Wähler hoffen . ({6}) Ich empfehle Ihnen daher im eigenen Interesse: Sorgen Sie dafür, dass die Arbeitgeber wieder zur Hälfte an der Beitragszahlung beteiligt werden . Das wäre ein großes neues Projekt, für das Sie Respekt erhalten könnten und für das Ihnen auch die Stimmen der Opposition sicher wären . ({7}) Nun weiter zur Bilanz: Was uns die Große Koalition bisher an Gesundheitspolitik geboten hat, war mehr oder weniger eine Fortsetzung der Politik der Vorgängerregierungen . ({8}) Sie haben der Gesundheitspolitik keine neue Richtung gegeben . Sie haben es fortgesetzt, immer mehr Wettbewerbselemente in diesen Teil des Sozialstaates einzuführen, und Sie haben das Unwesen fortgesetzt, den Lobbys der Leistungserbringer mehr entgegenzukommen als den berechtigten Interessen der Versicherten . Früher konnte man ja meinen, dass die FDP der Motor für diese Art von Neoliberalisierung gewesen ist . ({9}) Nun ist die FDP aber weg, und die Grundrichtung hat sich nicht geändert, auch nicht durch den Eintritt der SPD in die Große Koalition . ({10}) Im letzten Jahr gab es zum Beispiel das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz . Damit wollten Sie die Ärztinnen und Ärzte zwingen, ihre Praxen dort zu eröffnen, wo sie gebraucht werden, und nicht dort, wo sie am meisten Privatpatienten vorfinden. Sie hatten hier ursprünglich eine Regelung vorgesehen, die schon recht harmlos war; denn nur in Gebieten, die schon zu 110 Prozent versorgt sind, sollte - so Ihr Gesetzentwurf - der zuständige Ausschuss aus Ärzteschaft und Krankenkassen gemeinsam entscheiden, dass eine Praxis, deren Inhaber aus Altersgründen ausscheidet, nicht nachbesetzt wird . Darin sind schon drei Bedingungen enthalten: Erstens . Die Region muss überversorgt sein . Zweitens . Die Ärzte müssen zustimmen, dass diese Praxis tatsächlich nicht gebraucht wird . Drittens . Diese Regelungen treffen keinen einzigen aktiven Arzt, weil sie nur im Falle eines Eintritts in den Ruhestand zur Geltung kommen . Die Ärzteschaft hat dann ihre ganze Lobbykampfkraft mobilisiert, und Sie haben tatsächlich nachgegeben . Nun hat die Regelung gar keine Zähne mehr, weil sie nur noch dort gilt, wo ein Versorgungsgrad von 150 Prozent und mehr erreicht ist, also nur noch in ganz wenigen Regionen . ({11}) So werden wir nie eine gute Versorgung auf dem Land oder in vernachlässigten innerstädtischen Gebieten haben . Noch ein Beispiel . Mit der gerade laufenden Gesetzgebung zur Krankenhausreform werden die drängenden Probleme nicht gelöst . ({12}) Es werden keine Anreize gesetzt, damit die Länder ihren Investitionsverpflichtungen gegenüber den Krankenhäusern nachkommen . ({13}) Als Versicherter muss man weiterhin befürchten, zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Krankenhauses operiert zu werden und nicht aus medizinischen Gründen . Das, was Sie in Sachen Pflegenotstand machen, ist nicht einmal Homöopathie . Der Kern des Gesetzes, die qualitätsorientierte Vergütung, wird vermutlich nie funktionieren, wie Ihnen gestern bei der Anhörung sogar die Institution ins Stammbuch geschrieben hat, die damit beauftragt werden soll, der Gemeinsame Bundesausschuss . Der Weg in den simulierten Wettbewerb wird fortgesetzt . Dabei wird manches Krankenhaus, das für die Versorgung eigentlich notwendig wäre, geschlossen oder der Privatisierung anheimgestellt . Wir meinen: Das darf nicht sein . ({14}) Wir brauchen auch hier eine Neuausrichtung: weg vom Fetisch des Wettbewerbs hin zu einer gemeinwohlorientierten und sektorübergreifenden Gesundheitsversorgung . Das wird aber mit dieser Koalition nicht zu machen sein . Dafür braucht es in diesem Lande größere Veränderungen, vor allen Dingen eine stärkere Linke . Vielen Dank . ({15})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist die Kollegin Petra Hinz . ({0})

Petra Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Bevor ich zu meiner eigentlichen Rede komme, möchte ich ein Wort zu Ihnen sagen, Herr Dr . Nüßlein . Sie haben beim Thema Parität erklärt, dass wir an der Gesetzgebung zu diesem Thema beteiligt gewesen wären, die CDU/CSU hingegen nicht . - Nein, das stimmt so nicht . Wer bei der Gesetzgebung zu diesem Thema immer dabei war, war die CDU/ CSU . Als wir mit Rot-Grün in der Regierungsverantwortung waren, war die Frage, wie wir die Unterstützung des Bundesrates zur Änderung der vollparitätischen Finanzierung bekommen . Sie waren also auch beteiligt . Sie waren also immer mit im Boot, als es um die Frage der Parität ging . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden heute über den dritten Haushalt der Großen Koalition . Ich muss sagen: Ich fand es sehr interessant, was die Fachkolleginnen und Fachkollegen gesagt haben . Das, was Sie im zurückliegenden Jahr - ich rede nicht von den letzten zwei Jahren, sondern in der Tat vom zurückliegenden Jahr - hier an Gesetzen verabschiedet und umgesetzt haben, was eine Anhörung und Beratung im Ausschuss voraussetzt, ist eine großartige Leistung . Egal wie Sie abgestimmt haben: Unter dem Strich haben Sie sich mit der gesamten Thematik des Gesundheitswesens beschäftigt . Als Haushälter muss man einfach einmal sagen: Das ist eine großartige Leistung . ({1}) In den zurückliegenden Haushalten haben wir uns, als zum Beispiel der Haushalt 2014 eingebracht worden ist, die Frage gestellt: Wie gehen wir mit der Finanzierung der AIDS-Stiftung um? Dieser Herausforderung haben wir im Haushalt Rechnung getragen . Nichtsdestotrotz bleibt das Thema auf der Tagesordnung . Wie wird es hier in der Perspektive langfristig weitergehen? In den Haushaltsberatungen stellt sich also die Frage: Welche Gespräche haben Sie dazu geführt? Erinnern wir uns - auch das hat gerade der Gesundheitsminister, Herr Gröhe, angesprochen - an das Thema Ebola . Im Rahmen der Beratungen zum Haushalt 2015 haben wir uns in wirklich jeder Sitzung des Haushaltsausschusses, aber haben auch Sie sich in den Fachausschüssen mit dem Thema Ebola beschäftigt . Jetzt hört man nichts mehr, sehr wenig oder nur noch punktuell davon, wenn man nachfragt . Was ist aus diesem Thema geworden? Steht jetzt nur noch die Flüchtlingshilfe im Vordergrund? Gibt es das Problem Ebola jetzt nicht mehr? Was passiert in den Krisenregionen? Was ist aus den Maßnahmen geworden, die wir angeschoben haben? Das sind Fragen, die wir im Rahmen der Haushaltsberatungen auf jeden Fall stellen werden . Da müssen wir auch noch einmal darauf sehen, ob das, was wir in der Krisensituation geleistet haben, tatsächlich auch Bestand für andere Zeiten - über diesen Haushalt hinaus - hat . Haushalt 2016: Heute ist der erste Tag der Haushaltsberatung mit der Einbringung des Haushaltes . Ich glaube, jeder Rednerin und jedem Redner ist es wirklich ein Herzensanliegen, noch einmal die Situation der Flüchtlinge - der Menschen, die aus der Krise herauskommen deutlich zu machen und auch deutlich zu machen, wie stark uns das bewegt . Dabei wird jeder sicherlich ganz unterschiedliche Schwerpunkte mit ganz unterschiedlichen Ausrichtungen haben . Unterm Strich aber beschäftigt es uns sehr, und es liegt uns allen insgesamt am Herzen . Das ist vor allem so, wenn man die Kinder sieht, die ohne Familie, ohne Eltern bzw. Erwachsene flüchten, hier stranden und mit ihren Sorgen und Nöten - das geht bis hin zu Traumata - fertig werden müssen . Damit müssen wir umgehen . Dieses Umgehen heißt für uns auch, in Bezug auf den Einzelplan 15 des Haushalts - er betrifft den Gesundheitsbereich - zu fragen: Wie gehen wir mit den Menschen um, die nach Flucht und Vertreibung aus Krisenregionen hierher kommen? Das sind nicht nur Wirtschaftsflüchtlinge . Vielmehr ist es so, dass sich die Menschen - das muss man sich einfach noch einmal bewusst machen in ein Gummiboot setzen, dann über Stunden und Tage hinweg über das offene Meer fahren, um irgendwo zu landen, wo sie Frieden und Sicherheit haben . Da ist die Frage: Wie nehmen wir diese Menschen auf? ({2}) Also, für mich stellt sich in Bezug auf unseren Gesundheitsetat schon die Frage: Wie viel von den 6 Milliarden Euro bleibt denn tatsächlich bei uns im Gesundheitsetat hängen? Wie werden wir das in unserem Etat wiederfinden? Das heißt, dass schon deutlich gesagt werden muss, dass es nicht nur um die Frage des Durchimpfens geht . Auch geht es nicht nur um die Frage, dass wir ihnen - das ist natürlich so - Schutz und im Notfall eine Versorgung bieten . Für mich stellt sich aber - so wie es mein Kollege gerade deutlich gemacht hat - auch die Frage: Was ist mit der Gesundheitskarte? Wir müssen doch eine Antwort auf diese Frage finden. ({3}) Insofern hoffe ich auch, dass im Rahmen des Bund-Länder-Gipfels ein entscheidender Durchbruch kommt . Wir fordern eindeutig, dass es hier eine klare Positionierung zur Gesundheitskarte geben wird . ({4}) Das waren - erst einmal grob dargestellt - die Themen allgemein . Der Haushalt beschäftigt sich aber auch noch mit vielen anderen Dingen . Das haben Sie, liebe Fachkolleginnen und Fachkollegen, in dem zurückliegenden Jahr auch sehr deutlich gemacht . Was die Größe des Haushalts anbelangt: Wir reden in der Tat nicht über den größten Haushalt, aber über einen, der die Menschen insgesamt betrifft . Gesundheit, Krankheit und Pflege gehen uns alle an. Auch Vorsorge und Prävention sind Themen, die uns insgesamt beschäftigen . Insofern geht es nicht um die Größe des Haushaltes, sondern um die Fragen: Was machen wir mit dem, was uns zur Verfügung steht? Und setzen wir in der Tat da die richtigen Prioritäten? Wir haben im Haushalt 86,4 Millionen Euro in Bezug auf die Setzung von Schwerpunkten erstens im Bereich von Prävention und Aufklärung bzw . zweitens der Organspendekampagne . Auch da wird noch einmal kritisch nachgefragt werden . Wir haben im Jahr 2014 - als es in den Krankenhäusern den einen oder anderen Missstand im Rahmen der Organvergabe gab - dieses Geld noch einmal aufgestockt . Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Dabei ging es - drittens - um die Aids- und Drogenaufklärung sowie - viertens - um die Bekämpfung von Diabetes . In diesem Zusammenhang rede ich nicht nur über den Diabetes Typ 2, Altersdiabetes, sondern, was ja viel schlimmer ist, über Diabetes bei jungen Menschen bzw . Kindern, die aufgrund falscher Ernährung und nicht vorhandener Aktivitäten im Sportbereich - nicht vorhandener Aktivitäten überhaupt - krank werden . Was die Bekämpfung von Diabetes angeht, ist auch der Aspekt von Migration und Integration diesmal im Haushalt nachzulesen . Fünftens geht es um die Förderung von Maßnahmen im Bereich der Kindergesundheit und sechstens im Bereich der Pflege bzw. Pflegeberufe. Da haben wir - haben Sie -, denke ich, eine ganze Menge auf den Weg gebracht . Das ist so, wenn ich sehe, wie jetzt die Fragen von Pflege und Demenz angegangen werden. Das war längst überfällig und ist jetzt, denke ich, auch zu Recht auf den Weg gebracht worden . Nichtsdestotrotz werden wir auch da nachfragen: Ist das, was mit dem Gesetz auf den Weg gebracht worden ist, das Einzige? Und was ist darüber hinaus noch im Haushalt zu finden? Gibt es da Überschneidungen? Gibt es da möglicherweise Dinge, die verändert werden müssen? Siebtens geht es um die Frage der internationalen Zusammenarbeit . Auch die haben wir immer wieder sehr deutlich und sehr intensiv diskutiert, wenn es um die Frage ging: Leisten wir genug, wenn wir einen Pflichtbeitrag leisten? Oder soll es darüber hinaus auch freiwillige Petra Hinz ({5}) Maßnahmen geben? Das wird sicherlich auch noch einmal ein Thema dieser Haushaltsberatungen sein . ({6}) Ich möchte gerne bezüglich des Haushaltes noch zwei oder drei Punkte aufgreifen . Einmal geht es um Prävention und Kindergesundheit . Das liegt, denke ich, allen Gesundheitspolitikern gerade in dieser Legislatur sehr am Herzen . Wir haben in diesem Bereich den Titel „Kinderprävention“ der letzten Koalition, der eigentlich ausgelaufen wäre, reaktiviert . Wir haben ihn wieder neu mit Geld versehen . Das soll in dieser Form verstetigt werden . Ich möchte zum Thema Prävention und Kindergesundheit hervorheben, dass die Drogenbeauftragte, Frau Mortler, in der Sommerpause Schulklassen bereist hat, die an dem Programm Klasse 2000 teilnehmen . Unter anderem war sie auch in meinem Wahlkreis . Wir haben uns angesehen, was unter dem Stichwort „Klasse 2000“ umgesetzt wird . Ich muss sagen: Großartiges . Die Grundschule in meinem Wahlkreis hat uns in ganz großartiger Weise gezeigt, wie wichtig das für die Kinder von der ersten bis zur vierten Klasse ist . Ich weiß, dass es auch im Kitabereich Projekte gibt . Aber was ist mit den jungen Erwachsenen danach, wenn sie zur weiterführenden Schule gehen und Fragen im Zusammenhang mit der Pubertät usw . dazukommen? Es gibt also noch eine ganze Menge Punkte, wo wir im Rahmen der Haushaltsberatungen genau hinsehen werden . Den Punkt Suchthilfe, Methadontherapie und sonstige Programme will ich aus Zeitgründen nicht ansprechen . Ein weiterer Schwerpunkt, der mir auch sehr am Herzen liegt, sind Menschen mit Behinderung . ({7}) Wenn man als gesunder Mensch krank wird, ist das schon schlimm . Aber wenn man behindert ist, ist das noch eine sehr viel größere Herausforderung, der wir uns stellen . Wir haben in dem aktuellen Haushalt für 2015 Gelder für den Bereich Special Olympics bereitgestellt . Ich habe in diesem Zusammenhang genauer hingesehen und auch mit Ärzten gesprochen . Dabei habe ich gelernt, dass intellektuell behinderte Menschen bzw . Menschen mit Downsyndrom fast nie einer Augenuntersuchung unterzogen werden . 80 Prozent der Kinder und jungen Erwachsenen unter den Menschen mit intellektueller Behinderung werden gar nicht untersucht . Das heißt, sie können teilweise nicht etwa deshalb nicht arbeiten, weil sie nicht arbeiten könnten, sondern weil sie nicht gut sehen . Im Rahmen der Special Olympics sind täglich 250 Athletinnen und Athleten untersucht worden . Rund 100 Brillen sind jeden Tag angefertigt worden . Das sollte uns auf jeden Fall interessieren, und da sollten wir genauer hinsehen . ({8}) Ich möchte gerne noch einen anderen Punkt ansprechen, und zwar die Pflege im Umgang mit behinderten Menschen, die ins Krankenhaus kommen . Das gilt für Kinder wie für ältere Menschen, aber nehmen wir zunächst die Kinder, weil sie unseren besonderen Schutz benötigen . Zurzeit fehlt es noch an Assistenz . Die jungen Eltern können nicht jeden Tag der Arbeit fernbleiben, um beim Kind zu sein . Die Eltern müssen sicher sein, dass sie in diesem Bereich auf jeden Fall eine Assistenz haben, die dann, wenn sie zur Arbeit gehen oder anderen Aktivitäten nachgehen müssen, dafür sorgt, dass das Kind oder auch der ältere Mensch gut versorgt ist . ({9}) All dies sind Themen, die wir im Rahmen dieser Haushaltsberatungen sicherlich aufgreifen werden . Zum Schluss möchte ich unserer Staatsministerin Aydan Özoğuz ganz herzlich danken, die im Frühjahr dieses Jahres ins Kanzleramt eingeladen und dazu aufgerufen hat, die Charta der Vielfalt zu unterzeichnen . Im Rahmen dieser Veranstaltung sind sehr viele Maßnahmen gerade im Bereich der Migration und Integration besprochen worden, die wir jetzt in diesem Haushalt suchen werden . Wir werden darauf achten, ob sie tatsächlich in dieser Form umgesetzt werden . Ich komme zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Präsidentin . Mein Kollege Dirk Heidenblut und ich haben in der zurückliegenden Woche das Thema Hospiz und Palliativversorgung in unseren Wahlkreisen angesprochen . Es war eine großartige Veranstaltung, aber ganz zum Schluss hat uns eine Palliativmedizinerin mit auf den Weg gegeben: Wir müssen hier vor Ort in Berlin im Rahmen unserer politischen Aufgabe und Verantwortung darüber diskutieren, was uns der Mensch insgesamt im Bereich der Gesundheit und der Pflege wert ist. Es geht nicht darum, was es uns kostet, sondern darum, was uns Gesundheit und Pflege wert sind. ({10}) Vor diesem Hintergrund werden wir insgesamt die Haushaltsberatungen durchführen, und ich möchte Sie, liebe Fachkolleginnen und Fachkollegen, dazu aufrufen, uns als Haushälterinnen und Haushälter in dieser Frage zu unterstützen . Ganz herzlichen Dank . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächste hat Elisabeth Scharfenberg, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister Gröhe! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Binsenweisheit „Viel hilft viel“ mag auf einiges zutreffen, aber sie wird nicht auf die Pflege und die Pflegepolitik zutreffen. Viel hilft viel? Zwei Pflegestärkungsgesetze, das Krankenhausstrukturgesetz, das Hospiz- und Palliativgesetz und die Reform der Pflegeausbildung sollen dieses Jahr noch kommen, Petra Hinz ({0}) und diese Regierung tut so, als würde sie keine Kosten und Mühen scheuen . Ja, es wird viel Geld ausgegeben . Dass dieses Geld das Geld der Versicherten ist, das verschweigen Sie ganz geflissentlich. Also: Viel hilft viel, und das viele auch noch ganz schnell . Aber Masse ist eben nicht automatisch Klasse . Da ist das Pflegestärkungsgesetz II. Damit soll endlich der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden. Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff machen Sie nun schon seit Wochen einen auf ganz dicke Hose . Sie können vor Kraft fast nicht laufen, und das, obwohl der entsprechende Gesetzentwurf noch nicht einmal eingebracht wurde . Mit diesem Gesetz soll mehr Geld in die Pflegeversicherung fließen. Das ist lange überfällig. Aber dadurch allein wird Pflege nicht besser. Für die Verbesserung der Pflege brauchen wir auf jeden Fall mehr qualifiziertes Personal . Dazu müssen sich dringend die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte verbessern. ({1}) Zum Teil sind diese Arbeitsbedingungen himmelschreiend. Wir alle wollen, dass die Pflegeberufe attraktiver werden und dass Pflegekräfte mehr Anerkennung bekommen . ({2}) Sie, lieber Herr Laumann, sagen immer gerne: Geld pflegt nicht. - Das stimmt. Das ist ein schöner Satz, und damit haben Sie vollkommen recht . Allerdings, Herr Laumann, kann ich Ihnen nicht mehr so wirklich glauben . Seit Sie Patientenbeauftragter sind, haben Sie die unabhängige Patientenberatung faktisch kaputtgemacht . Auf Ihr Wort, Herr Laumann, sollten sich die Pflegekräfte zukünftig lieber nicht verlassen . Sie haben zwar mit einem Gutachten belegt, wie unterschiedlich die Bezahlung von Pflegekräften in der Bundesrepublik ist. Gepoltert haben Sie auf jeder Veranstaltung, auf der ich Sie gesehen habe . Aber Sie ändern nichts . Was folgt, sind reine Alibiaktionen . ({3}) Da ist das Pflegestellenförderprogamm in Krankenhäusern . Das hat in der gestrigen Anhörung zur Krankenhausreform zu Recht vernichtende Kritiken erfahren . Personalbemessungsverfahren? Ja, wir lesen im zweiten Pflegestärkungsgesetz etwas von einem Personalbemessungsverfahren; das fordern wir Grüne seit Jahren. Aber das soll bis Mitte 2020 gerade einmal entwickelt und erprobt werden . Sie hören richtig: entwickelt und erprobt, nicht etwa eingeführt! Das dauert doch viel zu lange . ({4}) Dann wollen Sie die drei Pflegeberufe zusammenführen. Sie sagen, das werde den Pflegeberuf aufwerten. Es tut mir leid, aber das ist keine Aufwertung, sondern eher Wahnsinn . Das genaue Gegenteil werden Sie letztendlich damit erreichen . Schwarz-Rot redet auch viel von den Belastungen pflegender Angehöriger. Aber Reden alleine genügt nicht. Das hilft keinem einzigen pflegenden Angehörigen . Ihr Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf, also die neue Pflegezeit und die neue Familienpflegezeit, ist wirklich nicht der große Wurf. Dieses Gesetz ist - das muss man so ehrlich sagen - eher ein Rohrkrepierer . Ich weiß, Herr Gröhe, dass das nicht Ihr Ressort ist . Es ist aber Ihre Regierung, die dieses Gesetz verabschiedet hat . Offensichtlich haben Sie dieses unsinnige Gesetz einfach abgenickt und durchgewunken . Dieses Gesetz ist ein Witz . Es lädt alle Last auf den Angehörigen ab . Es hilft nur denjenigen, die es sich leisten können, ihre Auszeit selbst zu finanzieren. Dieses Gesetz deckt nicht einmal alle Betriebe ab . So gut wie kein Mensch nimmt dieses Angebot wahr . Das sage nicht ich, sondern das sind aktuelle Informationen Ihrer Regierung auf unsere diesbezügliche Kleine Anfrage . Zum Schluss noch zur Finanzierung . Schließlich reden wir heute auch über gute Haushaltsführung . Sie verplanen hier Milliarden von Versichertengeldern, und selbst haben Sie keine Idee für ein nachhaltiges Finanzierungskonzept . Das ist mehr als unverantwortlich . ({5}) Bis maximal 2022 wird das Geld der Pflegeversicherung reichen. Und was dann? Der völlig unsinnige Pflegevorsorgefonds, den Sie uns aufgedrückt haben, bringt jedenfalls überhaupt nichts; das wissen wir alle doch hier im Raum . Langfristig führt kein Weg an der Bürgerversicherung vorbei; auch das wissen Sie genau. ({6}) Alle Bürgerinnen und Bürger sowie alle Einkommensarten müssen in diese Versicherung einbezogen werden . Das ist gerecht . Das ist solidarisch, und das ist nachhaltig . Das sieht die SPD im Übrigen genauso, oder, Herr Lauterbach? Ich denke, darin sind wir uns einig . Darüber sprechen Sie aber nicht, sondern darüber schreiben Sie nur in dem SPD-Positionspapier zur Pflege. ({7}) Dort wird das Problem der Personalbemessung angesprochen, und dort fordern Sie sogar die Einführung der Bürgerversicherung, und das in einer Zeit, in der Sie ein anderes Gesetz einbringen . ({8}) Ehrlich gesagt ist das nichts anderes als eine Bankrotterklärung der SPD-Beteiligung in der Gesundheitspolitik und der Pflegepolitik. ({9}) Vielen Dank . ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächstes hat die Kollegin Maria Michalk, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich zunächst einmal Frau Scharfenberg etwas sagen . Als Sprecherin Ihrer Fraktion für die Pflege sollten Sie zumindest einmal öffentlich anerkennen, was für Pakete wir in dieser Legislaturperiode für die Pflegebedürftigen, ihre pflegenden Angehörigen und die, die sich in Heimen um Pflegebedürftige kümmern, auf den Weg gebracht haben . ({0}) Sie ignorieren einfach Tatsachen, die vorher niemand in dieser Kompaktheit geschaffen hat . ({1}) Deshalb gilt unserem Bundesminister und natürlich auch dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten und Bevollmächtigten für Pflege ein großes Dankeschön . Es ist eine hervorragende Vorleistung, was wir hier im Parlament beraten haben und beim nächsten Gesetzentwurf auch noch beraten werden . Danke schön! ({2}) Eins geht gar nicht: dass Sie unseren Patientenbeauftragten mit Ihren Vorwürfen rund um die UPD-Vergabe dermaßen öffentlich diskreditieren; das können wir so nicht stehen lassen . Denn in der Zwischenzeit müssten auch Sie über den Gesundheitsausschuss die Drucksache mit der Stellungnahme der Vergabekammer zum abgelaufenen Vergabeverfahren erhalten haben . Darin sind alle Kritikpunkte im Einzelnen dezidiert entkräftet . Deshalb bitte ich einfach, in der Realität anzukommen . ({3}) Ich kann mich eigentlich nur der Kollegin Hinz anschließen, die als Haushälterin einfach noch einmal bekräftigt hat, dass in diesem Gesundheitsausschuss bisher ein riesengroßes Paket zugunsten der Versicherten in der Kooperation mit der Selbstverwaltung, mit den Leistungserbringern geschnürt worden ist, um unser Gesundheitswesen insgesamt zu verbessern . Diese Arbeitsintensität gibt es wohl kaum in einem anderen Ausschuss als im Haushaltsausschuss . Vielen Dank für Ihr Lob, Frau Hinz! Ich möchte an dieser Stelle Herrn Weinberg sagen: Sie waren derjenige Ihrer Fraktion, der öffentlich noch einmal erklärt hat, dass die Deckung der Kosten für Investitionen in Krankenhäuser in die Länderzuständigkeit fällt . Dies steht im Gegensatz zu Ihrer Kollegin Lötzsch, die es andersherum bewertet hat . ({4}) Aber die Frage ist doch: Wenn wir als sehende Politiker den Bedarf, in Krankenhäuser zu investieren, jetzt insofern angehen, als dass wir Lösungen suchen ({5}) wobei wir die Länder übrigens nicht aus der Verantwortung entlassen; vielmehr gilt der im Bundesgesetz verankerte jeweilige Länderanteil - dann ist das ein erster Schritt in die richtige Richtung . Denn den drohenden und in vielen Häusern bestehenden Investitionsbedarf können wir nicht unberücksichtigt lassen . ({6}) Frau Lötzsch, von daher ist Ihre Kritik absolut unberechtigt gewesen . ({7}) Was aber überhaupt nicht stimmt, Herr Weinberg, ist, dass in Zukunft die Versicherten für ein und dieselbe Leistung immer tiefer in die eigene Tasche greifen müssen . Sie wissen ganz genau, dass wir bei unserer Beschlussfassung zur Finanzierung des gesetzlichen Gesundheitswesens die Krankenkassen ermächtigt haben, über Satzungsleistungen besondere Leistungen für ihre Versicherten anzubieten . Sie haben die Möglichkeit, dieses Leistungsspektrum durch Zusatzbeiträge zu finanzieren . Es bleibt in der Zuständigkeit einer jeden Kasse, das so zu regeln, dass sie für ihre Versicherten das Optimum anbieten, und die Versicherten haben die Wahlfreiheit . Was, bitte schön, spricht dagegen? Das wird von vielen Versicherten genutzt, wie die Anzahl der Krankenkassenwechsel zeigt . Auch wir finden, dass die gleiche Leistung nicht das Gleiche kostet . Sie verkennen daran, dass wir im Grunde genommen permanent auch über die Forschung, auch über die hervorragenden medizinischen Erkenntnisse und die Fertigkeiten der Leistungserbringer immer besser in die Lage versetzt wurden, operieren zu können, nach Methoden, die vielleicht nicht so einen extremen Eingriff für den Patienten bedeuten, die unterm Strich auch in der Nachsorge günstiger sind . Sie müssen das Ganze schon in seiner Komplexität sehen. Da wir das als Politiker hier in unserem öffentlichen Haus nicht selber entscheiden können, arbeiten wir ganz dezidiert mit der Selbstverwaltung zusammen . Dort sitzen die Experten. Dort werden die Richtlinien und Durchführungsbestimmungen gemacht . Wenn uns etwas nicht klar ist, dann haben wir immer das Recht, nachzufragen, und das tun wir auch . Neuerdings gehen wir sogar dazu über, auch Fristen zu setzen . Ich will damit sagen: Da ist ein guter Weg eingeschlagen worden, und auf dem wollen wir weitergehen . ({8}) Ich möchte Ihnen, Frau Schulz-Asche, die Sie kritisiert haben, dass wir mit unserem Bundeshaushalt kleinlich sind und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stiefmütterlich behandeln, ({9}) einfach noch einmal einen kleinen Punkt in Erinnerung rufen, nämlich dass wir jetzt zusätzlich drei Stellen, steuerfinanziert, im Haushalt haben. Sie können also nicht so tun, als wenn wir nicht reagieren . Das ist ein kleiner Punkt, aber ein wichtiger Punkt, ein Signal . ({10}) - Doch! Ich komme gleich noch zu dem Präventionsgesetz . Es gab viele Kritikpunkte . Ich habe versucht, das in der Summe klarzustellen . Ich will jetzt sagen: Das deutsche Gesundheitssystem genießt weltweit große Anerkennung . Wir haben noch nie so stabile Verhältnisse gehabt wie jetzt . Das muss man auch einmal anerkennen . Es gibt hier diese Kombination von ambulanter und stationärer Versorgung mit Rehabilitation, Vorsorge, Prävention, medizinisch-technischem Fortschritt, immer besseren Erkenntnissen . Der Austausch mit Gesundheitssystemen innerhalb Europas und in der Welt, wie wir schon gehört haben, zeigt, dass wir da an der Spitze der Bewegung sind und viele Länder dieser Welt uns um unseren Mut, um unsere Konsequenz und manchmal auch um unsere Gründlichkeit beneiden . Deshalb gilt unserem Gesundheitsminister, der die Vorlagen macht, ein herzliches Dankeschön . ({11}) Ich will auch noch auf einen Punkt eingehen, der hier mit Blick auf die Gesundheitskarten für Flüchtlinge eine Rolle gespielt hat . Alle in diesem Haus wissen, dass wir im Grunde genommen jetzt die Regelung haben, dass die Länder auf freiwilliger Basis mit den Krankenkassen Vereinbarungen treffen können . Dass das funktioniert, sehen wir in Hamburg, Bremen und jetzt Nordrhein-Westfalen . Dass es weitere Länder gibt, die dies auch gern wollen, wo aber die Kassen es nicht möchten oder sich zumindest jetzt noch verschließen, wie auch immer, gehört zum System . Das kann uns aber nicht den Vorwurf einbringen, dass wir die Menschenwürde nicht achten, wie Herr Weinberg ihn gemacht hat . Auch uns als Union liegt die gute medizinische Versorgung für alle Menschen, vor allen Dingen für die, die aus den Kriegsgebieten zu uns kommen, am Herzen . Wir wollen, dass die medizinische Versorgung weiterhin im Grunde genommen auf der Basis der jetzt geltenden Gesetze erfolgt . Wenn wir aber sehen, dass es durch die Menge, durch die Fülle, durch den riesigen Arbeitsaufwand, der jetzt vor allen Dingen auf die Landkreise und auf die Gesundheitsämter vor Ort zukommt, neue Probleme oder ungeklärte Fragen gibt, dann ist es legitim, dass wir auch innerhalb der Koalition die Ausgestaltung noch einmal ganz genau diskutieren . Darum geht es bei dieser Frage innerhalb der Koalition . ({12}) - Lassen Sie uns doch diskutieren! ({13}) Wir müssen schon auch die Punkte auf den Tisch bringen, weil wir gerade bei dieser Frage nicht permanent Nachbesserungen vornehmen können . Wir haben uns jetzt angeschaut, was in den Ländern funktioniert und was nicht, und daraus werden wir unsere Konsequenzen ziehen . Ohne Diskussion wird das nicht gehen . In der Zwischenzeit werden die Flüchtlinge weiterhin versorgt . Deshalb gilt unser herzlicher Dank auch gerade den Mitarbeitern, den Ärzten, den Schwestern, den freiwilligen Helfern, die sich in den Gesundheitsämtern, in den Einrichtungen für eine gute medizinische Versorgung der Flüchtlinge einsetzen . Herzlichen Dank! ({14}) Das Präventionsgesetz ist jetzt schon von mehreren angesprochen worden . Ich möchte es unbedingt erwähnen, weil dieses Paket mit der Maßgabe, 7 Euro pro Versicherten jährlich einzusetzen, und der Verpflichtung, davon 2 Euro für die Kindergesundheit und 2 Euro für die betriebliche Gesundheitsversorgung einzusetzen, ein klarer Beschluss dieses Hauses ist . Für uns ist klar: Die Gesundheit unserer Kinder steht an vorderster Stelle . Sie sind unsere Zukunft . Die betriebliche Gesundheitsversorgung muss vor allen Dingen auch in die mittelständischen Unternehmen einziehen . Dafür haben wir jetzt die rechtlichen Möglichkeiten und die finanzielle Unterstützung geschaffen . Das ist wichtig . Ich bitte uns alle - nach dem Motto „Wiederholung ist die Mutter des Erfolgs“ -, das immer wieder zu thematisieren; denn das Gesetz ist das eine und die Umsetzung das andere . Wir sind schlecht beraten, wenn wir meinen, dass sich das dann schon einplätschern wird . Ich möchte zum Schluss meiner Rede - das erlaube ich mir jetzt - auf Folgendes hinweisen: Ende August vor 25 Jahren haben wir in der frei gewählten Volkskammer entschieden, das staatlich orientierte Gesundheitssystem in ein gegliedertes Gesundheitssystem umzuwandeln . Wer von Ihnen weiß noch, dass wir am 31 . August 1990 das Krankenkassen-Vertragsgesetz in die Volkskammer eingebracht, am gleichen Tag mit acht Änderungen im Schnelltempo im Ausschuss diskutiert und dann verabschiedet haben? Den Erbringern vor Ort, sprich: den Ärzten, den Apothekern, den Tierärzten und allen Leistungserbringern, haben wir im Gesetz zur Umstrukturierung des staatlichen ambulanten Gesundheitswesens aufgegeben, ihre Angebote zu machen, um die Räume, in denen sie bisher praktiziert hatten, pachten oder kaufen zu können . Diese Entscheidung - auch das stand im Gesetz - musste innerhalb von vier Wochen gefällt werden . Weshalb führe ich dieses Beispiel an? Es ist eine ungeheure Aufbauleistung erbracht worden, nicht nur in personeller, sondern auch in finanzieller Hinsicht, die zu dem heutigen gesamtstaatlichen deutschen Gesundheitswesen geführt hat, und zwar mit Fristen, die ich mir manchmal auch für unsere heutige Arbeit wünsche . Wir werden im nächsten Vierteljahr viele Sitzungen gemeinsam verbringen, in denen weitere Gesetze beschlossen werden . Ich hoffe, dass die kurzen Fristen, die dabei notwendig sind, nicht auf Unmut stoßen . Ich freue mich auf die Beratungen . Vielen Dank . ({15})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Burkhard Blienert . ({0})

Burkhard Blienert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Haushaltsreden; die erste Lesung des Regierungsentwurfs zum Einzelplan 15, zum Gesundheitsetat, steht an . Die Beiträge, auch der letzte Beitrag, zeigen eine deutliche Tendenz: Es geht, wie so oft bei der Beurteilung von Regierungsvorlagen, um die Einschätzung, ob das Glas halb leer oder halb voll ist . Ich bin der Meinung, dieser Etatentwurf ist eine sehr gute Beratungsgrundlage für die nächsten Wochen . Letztendlich wird ein schlüssiges Gesamtwerk zur Verabschiedung stehen . Schauen wir uns einmal die einzelnen Positionen an . Das Finanzpolster ist gut; wir müssen es im Auge behalten . Die Finanzreserven von Krankenkassen und Gesundheitsfonds betragen zurzeit geschätzte 24 Milliarden Euro . Die Abschaffung der Kopfpauschale im Rahmen des FQWG und die gleichzeitige Einführung der einkommensabhängigen Zusatzbeiträge haben das System sozial gerechter und wettbewerbsfähiger gemacht, und das bei steigenden Leistungen im Gesundheitsbereich . Sie sollen nach dem Etatentwurf verstetigt und an wichtigen Stellen intensiviert werden . 14 Milliarden Euro werden seitens des Bundes für den Gesundheitsfonds eingestellt, wie seit der Regierungsübernahme zugesagt . Insgesamt gibt es im Einzelplan einen Ausgabenzuwachs von zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr . Neben dem Gesundheitsfonds gibt es bei den disponiblen Positionen 7 Millionen Euro mehr als 2015 . Die Koalition geht ihren Weg in der Gesundheitspolitik somit unbeirrt weiter . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben doch wirklich einiges in unserem Bereich vorzuweisen . Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben sehr ausgiebig dargelegt, wie intensiv der Gesundheitsausschuss getagt und gearbeitet hat . ({0}) Zu Beginn des Jahres trat die erste Stufe der Pflegereform in Kraft, die wir im Koalitionsvertrag beschlossen haben . Bereits in wenigen Monaten folgt die zweite Stufe . Diese Reformschritte sind dringend notwendig angesichts der drängenden Herausforderungen durch eine älter werdende Bevölkerung und die steigende Belastung der Pflegekräfte, und wir setzen damit den Pflegebedürftigkeitsbegriff um . Es ist nur wenige Wochen her, dass wir mit dem Versorgungsstärkungsgesetz wichtige Weichenstellungen für eine bessere wohnortnahe und patientenorientierte Versorgung getroffen haben . Fast zeitgleich hat, nachdem wir viele Jahre darauf gewartet haben, es diese Koalition geschafft, endlich ein Präventionsgesetz zu verabschieden . Noch kurz vor der Sommerpause waren wir in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf zur Digitalisierung des Gesundheitswesens und mit der Krankenhausreform befasst . Wir wollen die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in den Krankenhäusern, insbesondere im nichtärztlichen Dienst, verbessern . Das ist eines der wichtigsten Ziele, die die SPD verfolgt . ({1}) Das alles sind keine Kleinigkeiten, sondern das sind Entscheidungen mit großer Wirkung, die getroffen wurden . In den kommenden Monaten wird es noch einige weitere wichtige Entscheidungen geben müssen . Nicht zuletzt die aktuellen politischen Entwicklungen fordern von uns wichtige Entscheidungen, auch im Gesundheitsbereich . Mich freut es daher, dass wir auch im Einzelplan 15 Mittel für Aspekte der Migration und der Integration eingestellt haben . Außerdem freue ich mich darüber, dass nun auch NRW einen unbürokratischen Weg für die Einführung einer Gesundheitskarte für Asylsuchende gefunden und frei gemacht hat . ({2}) Wichtig ist - deshalb heiße ich es auch gut - der Sachverhalt, dass im Etatentwurf der Ressortforschung mehr Gewicht beigemessen wird . Knapp 2,5 Millionen Euro Zuwachs im Vergleich zu 2015 sind ein richtiger Schritt . Profitieren wird hiervon zum Beispiel der zu entwickelnde Masterplan Medizinstudium 2020 . Lassen Sie mich noch einige Aspekte zum Drogenund Suchtbereich nennen, da dieser ein wichtiger Bestandteil der Präventionsarbeit und der gesundheitlichen Aufklärung ist . In der Sommerpause schlugen die Wellen im Drogen- und Suchtbereich wieder hoch . Nicht zuletzt durch die Sicherstellung einer Rekordmenge Crystal Meth in Berlin wird deutlich, dass sich diese Gefahr ausbreitet und durchaus leider auch außerhalb Sachsens und Bayerns angekommen ist . Auch die Entwicklungen im Bereich der „Legal Highs“, dieser oftmals todbringenden Kräutermischungen, mahnen uns, vorhandene Modellmaßnahmen auskömmlich zu finanzieren. Der im Entwurf enthaltene Aufwuchs ist ein Schritt in die richtige Richtung . An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass nicht alle sinnvollen Maßnahmen im Bereich der Drogen- und Suchtpolitik Geld kosten müssen . Vor einem Jahr habe ich in der Haushaltsdebatte Stellung bezogen zu der Frage des Kinder- und Jugendschutzes im Zusammenhang mit E-Zigaretten und E-Shishas . Ich bin durchaus damit einverstanden, dass sich nun auch die Bundesregierung mit Familienministerin Manuela Schwesig hierfür starkgemacht hat und jetzt Klarheit geschaffen wird . Als Gesundheitspolitiker plädiere ich in Bezug auf E-Zigaretten allerdings für noch weiter gehende Maßnahmen . Es kann doch nicht sein, dass alle anderen technischen Geräte, bevor sie in den Verkauf kommen, auf Herz und Nieren geprüft werden müssen, um etwaige Gefahren für Anwender zu minimieren, dies bei der E-Zigarette aber nicht der Fall ist . Zahlreiche Fragestellungen in Bezug auf mögliche Gesundheitsgefahren und den Verbraucherschutz bleiben nahezu offen, zum Beispiel: Wie hoch ist die krebserregende Konzentration der Liquids? Wie gesundheitsgefährdend ist Passivdampf in abgeschlossenen Räumen? Wie verhalten sich die Stoffzusammensetzungen, wenn die Akkuleistung absinkt und die Verbrennungstemperatur sinkt? Daher gehört für mich die E-Zigarette aus gesundheitspolitischer Sicht zumindest auch den Regelungen der Tabakprodukt-Richtlinie unterworfen . Sie gehört nicht in Kinderhand, und nichtrauchende Bürgerinnen und Bürger müssen vor Passivdampf genauso geschützt werden wie vor Passivrauch . ({3}) Die gleiche Entschlossenheit fordere ich beim Thema Tabak . Lassen Sie uns endlich das längst überfällige Werbeverbot für Tabakprodukte umsetzen! ({4}) Perspektivisch sollte auch die Werbewirkung von Verpackungen weiter beschränkt werden . Ein letzter Punkt . Wichtig vor dem Hintergrund der aktuellen Zahlen über HIV-Neuinfektionen sind die verstetigten Haushaltsmittel im Bereich Aids . Es wäre fatal, auf diesem Gebiet die Präventionsarbeit bzw . die Forschung einzuschränken . Es zeigt sich, dass manche die Ansicht vertreten, dass wir diese Krankheitsgefahr überwunden hätten . Wir dürfen daher nicht in der Aufklärung über Ansteckungsgefahren nachlassen . Vielmehr müssen wir die Forschung an Heilungsmethoden fortsetzen . ({5}) Meine Kollegin Petra Hinz hat bereits darauf hingewiesen, wie wichtig uns dieser Punkt ist . Alles in allem liegt uns ein guter Entwurf vor . Nach dem vielzitierten Struck‘schen Gesetz werden wir in intensiven Beratungen die Ansätze bewerten und weiterentwickeln . Ich bin sicher, dass wir dies ähnlich gut machen werden wie in den vorangegangenen Haushaltsberatungen und am Ende einen guten Haushaltsbeschluss fassen können . Ich freue mich auf die Diskussionen und danke für die Aufmerksamkeit . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Helmut Heiderich von der CDU/CSU . ({0})

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man als Haushälter am Ende dieser langen Debatte die Dinge betrachtet, dann ist man eigentlich wieder da, wo der Minister einleitend begonnen hat, ({0}) nämlich bei der Erkenntnis, dass das deutsche Gesundheitssystem leistungsstark und nach wie vor unter den führenden Systemen weltweit ist . Der Vorwurf, der vorhin vonseiten der Grünen kam, die Patienten würden nicht im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen, ist eine ziemlich heftige Unterstellung . ({1}) Sagen Sie mir: Wo auf der Welt steht der normale Patient, der normale Versicherte so sehr im Mittelpunkt eines Gesundheitssystems? Wo, wie hier bei uns, in unserem Land, hat er noch die Möglichkeit, die gesamten Leistungen in Anspruch zu nehmen? Das muss man an dieser Stelle einmal festhalten . ({2}) Wir haben eben schon gehört, dass der Minister in diesen beiden Jahren in dichter Folge neue Gesetzentwürfe vorgelegt hat; der Kollege Weinberg war so freundlich, sie hier alle vorzutragen, sodass ich das nicht zu wiederholen brauche . ({3}) Die Fachpolitiker haben diese in intensiver Arbeit umgesetzt . Deswegen glaube ich, dass wir sagen können: Von uns ist im Gesundheitsbereich in den letzten Jahren ordentlich geliefert worden . Es ist sachlich fundiert geliefert worden . Die Dinge sind inhaltlich gut abgesichert und strukturell zukunftsorientiert entschieden worden . Auch das ist eine Leistung, die diese Koalition gebracht hat . Wir dürfen stolz darauf sein, dass wir das in dieser kurzen Zeit geschafft haben . ({4}) Das, was die Opposition hier immer als Generalvorwurf benutzt, widerlegt sich eigentlich von selbst . Ich möchte einmal ein Beispiel nennen . Im vergangenen Jahr wurde im Rahmen der Haushaltsdebatte vonseiten der Grünen Folgendes gesagt: Es bleibt dabei, dass wichtige Vorhaben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden, wie die Einführung des neuen Pflegebegriffs, eine Krankenhausreform oder das Präventionsgesetz . Ich glaube, die Entwicklung zeigt, wie weltfern die Grünen mit ihren Behauptungen sind . Denn das Präventionsgesetz ist in Kraft . ({5}) Selbst die Länder haben im Sommer mit Beteiligung der Grünen diesem Gesetz zugestimmt . Zur Krankenhausreform wurde gestern eine Anhörung durchgeführt . Der neue Pflegebegriff ist in der praktischen Anwendung, und der Minister hat bereits darauf hingewiesen, dass dieser neue Pflegebegriff kommt. Das also, was Sie im vorigen Jahr auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben haben, haben wir innerhalb eines Jahres geschafft . Das ist eine Leistung dieser Koalition . ({6}) Lassen Sie mich noch einmal auf das Thema der Prävention zurückkommen . Für mich ist das eines der wesentlichen und wichtigsten Themen der Zukunft . Denn für mich beginnt Solidarität im Gesundheitswesen nicht erst dann, wenn man die Leistungen in Anspruch nehmen muss, sondern sie beginnt schon dann, wenn man eigenverantwortlich dafür sorgt, möglichst wenige Leistungen in Anspruch nehmen zu müssen, und zwar indem man durch gesundheitsbewusstes Verhalten einer Inanspruchnahme vorbeugt . Deshalb unterstütze ich gerne alle Initiativen dieser Art, auch die, die nicht aus diesem Hause, sondern aus dem Privatbereich kommen . Ich möchte einmal auf eine solche Initiative eingehen . Wir alle haben für die nächste Sitzungswoche die Einladung einer Privatinitiative bekommen, die seit dem Jahr 2003 unter dem Titel „Deutschland bewegt sich!“ firmiert und versucht, die Bürger für Prävention in diesem Bereich zu begeistern . ZDF, BARMER GEK und Bild am Sonntag haben sich dafür auf der Grundlage einer gemeinsamen Orientierung zusammengetan . Diese Initiative hat es sich wörtlich zum Ziel gesetzt, „zu eigenverantwortlichem und gesundheitsförderndem Verhalten zu motivieren“ . Das ist ein Ansatz, den wir gar nicht genügend unterstützen können . Ich denke, wir brauchen noch viele weitere Initiativen dieser Art und noch viele weitere Mitbürger, die wir für diese Entwicklung gewinnen können . Gerade das Gesundheitsverhalten der jungen Generation - darauf wurde schon mehrfach eingegangen - wird immer problematischer . Ein steigendes Körpergewicht und die steigende Anfälligkeit für Diabetes - Kollege Monstadt arbeitet in besonderer Weise in diesem Bereich - zeigen, dass wir viel zu tun haben . Deswegen ist es gut - Frau Hinz hat schon darauf hingewiesen -, dass wir jetzt im Haushalt einen Ansatz für diesen Bereich haben . Hier sollten wir weiter Unterstützung leisten . Diese Art der Prävention und der Förderung der Gesundheit ist ein ganz entscheidendes Thema . ({7}) Lassen Sie mich noch kurz ein zweites Thema ansprechen, das ich heute ganz vermisst habe . In den Debatten der letzten beiden Jahre haben wir uns vonseiten der Opposition ständig dem Vorwurf aussetzen müssen, wir hätten den Gesundheitsfonds für den Haushalt verändert . ({8}) Es gab Vorwürfe, wir griffen mit vollen Händen in die Sozialkassen und finanzierten dies auf dem Rücken der Beitragszahler, die Beiträge würden steigen, und es würde wer weiß was passieren . Heute habe ich darüber kein Wort mehr gehört . ({9}) Das zeigt, dass die Vorwürfe, die Sie erhoben haben, nicht sehr fundiert waren . ({10}) In dem gesamten Zeitraum der letzten drei Jahre ist nicht ein einziger Beitrag gestiegen . Jetzt, da wir zurückgehen und wieder die vollen Leistungen in den Gesundheitsfonds einzahlen, sagen Sie kein Wort zu diesem Thema . ({11}) Ich denke, wir als Haushälter sollten durchaus im Auge behalten, den Gesundheitsfonds auch in den kommenden Jahren weiter aufzustocken . ({12}) Ich hätte diese Forderung von Ihrer Seite erwartet . Wir behalten aber in Erinnerung: Der Gesundheitsfonds ist für uns eine wesentliche Quelle zur Finanzierung des Gesundheitssystems, und wir wollen die Mittel in diesem Zusammenhang entsprechend wieder einbringen . Ein drittes Thema, das auch schon angesprochen wurde und das ein wesentliches Zukunftsthema ist, ist die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum . Wir haben hier gemeinsam in den letzten Jahren schon eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen . Wir sind da lange noch nicht am Ziel; das wissen wir alle. Ich will aber ein Beispiel dafür liefern, dass die Schritte, die wir gemacht haben, durchaus schon Erfolg zeigen . Ich selbst habe einen Wahlkreis im ländlichen Raum und weiß, worüber ich hier rede . ({13}) Wir haben es mit diesen Maßnahmen geschafft, in den letzten beiden Jahren in meinem Wahlkreis 15 Arztsitze entweder neu zu besetzen oder aber fortzuführen . Das heißt, unsere Projekte, Maßnahmen und Beschlüsse sind nicht so weltfremd, wie es von der Opposition immer versucht wird darzustellen, sondern sie sind hilfreich auf dem Weg, die Gesundheitsversorgung flächendeckend zu erhalten . Das wollen wir weiterentwickeln, aber wir sind hier schon einen ganz ordentlichen Schritt vorangekommen . Wir haben in Hessen gemeinsam mit der Landesregierung auch dafür Sorge getragen, dass junge angehende Mediziner im Medizinstudium unterstützt werden im Bereich der Allgemeinausbildung und bei der Weiterbildung im Bereich Allgemeinmedizin . ({14}) Diese jungen Leute bekommen einen Zuschuss pro Semester, und es zeigt sich, dass wir auch hier erfolgreich sind und dass bereits eine große Zahl von Studenten in diesen Bereich wechseln . Wir können Hoffnung haben, dass wir da auch in der Zukunft weitere Leistungen erreichen können . Wir haben in der Zusammenarbeit der einzelnen Gesundheitsbereiche - der Kassen, der Ärzte, der Krankenhäuser, aber auch der Rehaeinrichtungen - Effekte, die wir vorher nicht hatten, und Verbesserungen erreichen können . Deshalb glaube ich, dass die medizinischen Versorgungszentren weiterhin stark in diese Entwicklung eingebunden werden müssen, damit wir entsprechende Vorteile für die Zukunft gewinnen können . ({15}) Ein letzter Punkt ist die internationale Verantwortung . Es ist eben schon darauf hingewiesen worden, dass sich Deutschland im Bereich der Ebolabekämpfung stark eingebracht hat . Wir sind auch international für unsere technische Hilfe anerkannt worden; wir haben große Zustimmung erhalten . Aber wir sind auch gebeten worden - ich nenne das Stichwort Antibiotikaresistenz -, uns stärker bei der WHO zu engagieren . Deswegen freue ich mich, dass es mit diesem Haushalt möglich wird - im Zusammenhang mit dem BMZ wurde darauf schon hingewiesen -, mit freiwilligen Leistungen bei der WHO einzusteigen . Was heißt „freiwillige Leistungen“? Wir haben damit die Möglichkeit, in die programmatische und die strukturelle Weiterentwicklung der WHO einzugreifen, uns zu beteiligen, mit eigenem Personal Unterstützung zu leisten und somit die Zukunftsentwicklung der WHO positiv zu beeinflussen. Das ist für uns ein großes Thema. Es wurde schon gesagt: Die Generaldirektorin der WHO wird hier nach Berlin kommen . Frau Bundeskanzlerin hat sich bei der Generalversammlung persönlich dafür ausgesprochen . Ich glaube, es steht uns sehr gut an, mit diesem Haushalt auch Unterstützung für die Zukunftsentwicklung der WHO zu leisten . Ich freue mich auf die Beratungen und auf die Verstärkungen, die wir an der einen oder anderen Stelle noch erreichen können . Wir bleiben auf dem Weg . Deutschland hat ein leistungsstarkes Gesundheitssystem, und wir wollen es weiter verbessern, damit wir im weltweiten Wettbewerb vorne bleiben . Vielen Dank . ({16})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor . Deshalb verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit . Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, Einzelplan 07 . Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die sich an der Aussprache zu Justiz und Verbraucherschutz beteiligen werden, bitten, die Plätze einzunehmen? - Dann können wir jetzt beginnen . Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Bundesminister Heiko Maas . ({0})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Vielen Dank . - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein guter Brauch, dass die Bundesregierung die Haushaltsdebatte nutzt, um nicht nur die Zahlen des Einzelplans zu diskutieren, sondern auch noch einmal die Vorhaben zu definieren, die in dieser Legislaturperiode und vor allen Dingen im nächsten Haushaltsjahr anstehen . Diese Möglichkeit will ich heute hier auch ergreifen . Es gibt Gesetzentwürfe und Vorhaben, über die es breite Diskussionen und Debatten in der Öffentlichkeit gibt . Es gibt andere, bei denen dies nicht der Fall ist, die aber dennoch rechts- und verbraucherschutzpolitisch außerordentlich wichtig sind . Insofern will ich einige Vorhaben völlig unabhängig von der Frage, wie sie öffentlich debattiert werden, hier in Erinnerung rufen und noch einmal vortragen, was wir dort vorhaben . Bei dem Thema Freiheit und Grundrechte und der Frage, wie wir diese besser schützen, geht es auch um eine Reform der strafrechtlichen Psychiatrieunterbringung; denn die Unterbringung ist ein tiefer Eingriff in die persönliche Freiheit . All diejenigen, die in der Rechtspolitik unterwegs sind, wissen, dass wir darüber schon seit einiger Zeit sehr intensiv diskutieren . Wir werden die entsprechenden Maßnahmen auf wirklich gravierende Fälle beschränken . Außerdem sollen die Fälle in kürzeren Abständen überprüft werden . Darüber ist lange diskutiert worden, aber auch darüber, dass es notwendig ist, dies mit wechselnden Gutachtern zu tun . Diese Reform wird insbesondere das Vertrauen in die Justiz stärken . Wir alle wissen, dass es in der Vergangenheit gerade durch den Fall Mollath eine sehr intensive Diskussion gegeben hat . Meine Damen und Herren, wir werden im Strafrecht Gerechtigkeitslücken schließen . Korruption im Gesundheitswesen schadet den Krankenkassen, dem Wettbewerb und dem Vertrauen in unser Gesundheitssystem insgesamt . Bislang kann korruptes Verhalten nicht in allen Fällen bestraft werden . Das ist nicht gerecht, und deshalb werden wir auch das ändern . Dazu werden wir dem Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf, den wir bereits angekündigt haben, vorlegen . Wir wollen außerdem sicherstellen, dass Frauen vor sexueller Gewalt besser geschützt werden. Deshalb schlagen wir vor, sexuelle Handlungen unter Strafe zu stellen, bei denen der Täter einen Überraschungsmoment oder die Furcht des Opfers ausnutzt . Bislang gab es hier eine Lücke im Recht . Das konnte vor Gericht nicht geahndet werden . Wir haben Verurteilungsquoten von etwa 10 Prozent, und das ist alles andere als zufriedenstellend . Es ist also überfällig, diese Lücke im Strafrecht zu schließen . ({0}) Wir werden in den kommenden Wochen den Entwurf des Anti-Doping-Gesetzes und eines Gesetzes gegen Spielmanipulation hier im Parlament diskutieren . Das ist notwendig . Spätestens nach den Enthüllungen, die es in den letzten Wochen gegeben hat, wurde klar, dass in den internationalen Verbänden, zum Beispiel im Leichtathletik-Verband, nichts getan worden ist, was im Kampf gegen Doping als ausreichend angesehen werden kann . Deshalb ist es richtig: Auch der Staat muss eine Rolle im Kampf gegen Doping einnehmen . Das wollen wir mit dem Anti-Doping-Gesetz tun . ({1}) Wir wollen den Zugang zum Recht erleichtern . Im Durchschnitt sind Menschen erst dann bereit, vor Gericht zu ziehen, wenn der Streitwert bei etwa 2 000 Euro liegt . Damit Verbraucher auch bei kleinen Schäden zu ihrem Recht kommen, werden wir die außergerichtliche Streitbeilegung ausbauen . Wenn es Ärger mit dem neu gekauften Computer oder der Reparatur am Auto gibt, dann muss man künftig nicht gleich vor Gericht ziehen . Wir schlagen vor, flächendeckend Stellen zu schaffen, die dafür sorgen, dass Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmen beigelegt werden können, und zwar schnell, unbürokratisch und ohne große Kosten . Ich komme auf einen weiteren Punkt zu sprechen, der auf politischer Ebene schon lange diskutiert wird und den wir angehen werden . Wir werden Vorschläge zur Modernisierung des Urheberrechtes vorlegen . In diesem Bereich, sicherlich ein außerordentlich komplexer und schwieriger Bereich, sind bereits viele große Reformen angekündigt worden, geschehen hingegen ist relativ wenig . Deshalb wollen wir auch gar keine unerfüllbaren Erwartungen wecken, sondern wir wollen Vorschläge für ganz konkrete Schritte vorlegen . Wir werden zunächst das Recht der Verwertungsgesellschaften reformieren . Dazu gibt es bereits einen Gesetzentwurf . Der zweite Schritt wird dann eine Reform des Urhebervertragsrechtes sein . Auch dazu werden wir in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem wir insbesondere die Kreativen und die Urheber stärken wollen . Wir wollen sicherstellen, dass sie für ihre Leistungen tatsächlich eine angemessene Vergütung erhalten, so wie das eigentlich auch gesetzlich vereinbart ist . Für Teile der Kulturwirtschaft steht das zurzeit bedauerlicherweise viel zu häufig nur auf dem Papier. Ein Recht, das man hat, nutzt nur dann, wenn man es auch durchsetzen kann . ({2}) Wir werden Mieter, Bankkunden und alle, die sich zum Beispiel im Internet bewegen, besser schützen . Nach der Mietpreisbremse geht die Reform weiter . In einem zweiten Schritt werden wir darüber reden, wie wir Mieter davor schützen, dass sie nach Modernisierung ihrer Wohnung finanziell überfordert werden. ({3}) Damit das Girokonto nicht zur Schuldenfalle wird, wollen wir mehr Transparenz bei den Dispozinsen schaffen . In Zukunft sollen Banken offenlegen, wie hoch die Zinsen bei ihnen wirklich sind . ({4}) Wir wollen die Verbraucherzentralen stärken durch mehr Personal, mehr Geld und vor allen Dingen durch die neuen Marktwächter . Sie haben den Finanzmarkt und die digitale Welt im Visier, und sie werden den Verbraucherinnen und Verbrauchern helfen, den Durchblick zu behalten . ({5}) Meine Damen und Herren, über all diese Vorhaben werden wir in den kommenden Wochen und Monaten in aller Ausführlichkeit debattieren . Aber die größte Herausforderung derzeit - das hat die Debatte heute Morgen schon gezeigt - ist ganz sicherlich die Hilfe für Flüchtlinge . Auch das ist ein Thema, das die Rechtspolitik angeht . Recht ist der Wille zur Gerechtigkeit, und die Gerechtigkeit verlangt ein menschenwürdiges Dasein für alle Menschen, unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe . Die Würde der Menschen wird in diesen Tagen bedroht, und sie ist auch schon verletzt worden . Wenn sich Menschen in Not gewissenlosen Schleppern anvertrauen, wenn ihr Leben auf dem Mittelmeer in Gefahr gerät oder wenn sie in einem Lastwagen qualvoll ersticken, dann bleibt die Würde der Menschen auf der Strecke . Wenn Familien mit kleinen Kindern über Wochen und Monate auf der Flucht sind und unter freiem Himmel schlafen müssen, wird ihre Würde verletzt . Und wenn Rechtradikale bei uns Stimmung machen gegen Menschen, die gerade alles verloren haben, wenn sie Flüchtlinge anpöbeln oder Brandsätze schmeißen, dann sind das Angriffe auf die Würde der Schwächsten, die unerträglich sind . ({6}) Deshalb haben wir die Verpflichtung, wie auch Herr Schäuble das heute Morgen ausgeführt hat - er hat die Prioritäten klar benannt -, Flüchtlinge menschenwürdig zu versorgen. Ich weiß, das ist manchmal schwer; aber wie leicht wiegen unsere Probleme im Vergleich mit den Problemen dieser Menschen . Deshalb bin ich froh und dankbar, dass gerade jetzt, auch als Reaktion auf das, was in den letzten Wochen und Monaten geschehen ist, so viele Menschen helfen: in den Kommunen, in den Hilfsorganisationen, bei der Polizei und auch bei der Bundeswehr . Ich bin auch dankbar dafür, dass viele Menschen dem Hass und der Hetze gegen Flüchtlinge deutlich entgegentreten . Davor habe ich großen Respekt . Dabei ist aber auch die Rechtspolitik gefordert . Das Wort von der ganzen Härte des Rechtsstaats, die rechte Täter spüren müssen, darf keine leere Drohung bleiben . ({7}) Das ist ein Grund gewesen, warum wir das Strafgesetzbuch geändert haben . Rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Motive eines Täters können bei der Strafzumessung jetzt ausdrücklich berücksichtigt werden . Seit dem 1 . August 2015 ist diese Regelung in Kraft, und ich bin mir sicher, dass unsere Gerichte sie sehr konsequent anwenden werden . Mit diesem Bundeshaushalt werden wir die Bundesanwaltschaft so ausstatten, dass sie bei rechtsradikalen Taten künftig früher eingreifen kann . Dafür gibt es mehr Planstellen, und dafür gibt es auch mehr Geld . Es war richtig, dass die Bundesanwaltschaft nach dem Brandanschlag auf eine Unterkunft für Asylbewerber in Salzhemmendorf sofort aktiv geworden ist . Aber wir wollen nicht nur Gewalttäter verfolgen und bestrafen, sondern wir müssen auch verhindern, dass es zu solchen Verbrechen überhaupt erst kommt . Deshalb dürfen wir zum Beispiel nicht zulassen, dass das Internet zu einem Ort wird, an dem Hass und Hetze unkontrolliert verbreitet werden . ({8}) In der vergangenen Woche ist das Bild des toten Aylan Kurdi um die Welt gegangen . Das Bild des ertrunkenen Kindes am Strand von Bodrum hat Millionen Menschen auf der ganzen Welt tief erschüttert . Aber es gab auch Extremisten, die keine Skrupel hatten, den Tod eines unschuldigen Kindes zu bejubeln . In diesem Fall haben Polizei und Justiz schnell gehandelt . ({9}) Ich kann aber nicht verstehen, dass man sich dort, wo solche Dinge veröffentlicht worden sind, wie etwa bei Facebook, erneut sehr schwergetan hat, rasch und entschlossen gegen solche Hetze vorzugehen . ({10}) Ich finde, das ist ein Thema, über das wir reden müssen . 12 Millionen Menschen in unserem Land haben eine Tageszeitung abonniert, aber 28 Millionen Menschen aus Deutschland sind auf Facebook aktiv . Heute prägt auch das Internet die Debattenkultur und das gesellschaftliche Klima . Deshalb sollte niemand ignorieren, was dort vor sich geht. Die Justiz darf das nicht; diejenigen, die mit dem Internet Geld verdienen, dürfen das aber auch nicht . Deshalb bin ich mit Facebook im Gespräch . Das hat dem Unternehmen sicherlich deutlich gezeigt, dass wir dieses Thema ernst nehmen . Wenn es Beschwerden über rassistische Einträge oder Aufrufe zur Gewalt gibt, dann muss man dort reagieren und solche Posts rasch löschen . Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, und Facebook darf kein Forum für Neonazis sein . ({11}) Meine Damen und Herren, in diesen Tagen jährt sich der Beginn des Zweiten Weltkrieges . Vor einem Menschenalter hat Deutschland Krieg, Hass und Elend über die Welt gebracht . Heute sind wir ein Land der Freiheit, des Rechts und des Wohlstands . Das Grundrecht auf Asyl war eine Lehre aus unserer eigenen Vergangenheit . Niemand verlässt leichtfertig seine Heimat . Für viele Menschen aus Syrien, Irak oder Eritrea ist Deutschland heute ein Ort der Hoffnungen und Chancen, aber auch ganz einfach ein Ort der Rettung . Ich meine, auf diesen Zuspruch für unser Land sollten wir nicht mit Angst und Ablehnung reagieren . Ganz im Gegenteil: Es ist ein Grund, stolz zu sein auf das, was viele Menschen dazu in Deutschland beigetragen haben . ({12}) Viele Flüchtlinge werden dauerhaft bei uns bleiben . Wir dürfen uns deshalb nicht wieder der Illusion hingeben, die beim Wort von den Gastarbeitern mitschwang . Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit bei der Integration nicht wiederholen, und wir sollten uns klarmachen: Ja, wir müssen aus Flüchtlingen möglichst rasch Bürger machen, meine sehr verehrten Damen und Herren . ({13}) Die Vielfalt der Kulturen, der Religionen und der Traditionen ist manchmal anstrengend - wir erleben es heute schon -, und sie wird in einer Einwanderungsgesellschaft, die wir sind und die wir noch mehr werden, auch nicht weniger werden . Wir haben aber die beste Grundlage, meine Damen und Herren, die man sich vorstellen kann, um ein gutes Zusammenleben zu organisieren: Das ist unser Grundgesetz . Es bietet die Freiheit, verschieden zu sein, und es garantiert die Gleichberechtigung trotz aller Unterschiede . Es gibt den Freiraum, so zu leben, wie man möchte . Aber es stellt klar, dass an den Grundrechten nicht gerüttelt wird, zum Beispiel dass Frauen und Mädchen die gleichen Rechte haben, dass jeder selbst entscheidet über seine Religion und auch über seine Art, zu leben . Meine Damen und Herren, wir brauchen in den nächsten Wochen und Monaten große Anstrengungen auf allen Ebenen . Alle anderen Politikbereiche verlieren nicht an Bedeutung . Auch die Rechtspolitik wird dabei gefordert sein . Die Debatte über ein Einwanderungsgesetz oder darüber, wie wir Einwanderung organisieren, wird weitergehen, und wir werden die Strafvorschriften gegen den Menschenhandel ausbauen . Ich bin überzeugt, dass wir beides brauchen: legale Möglichkeiten der Einwanderung und die Verfolgung von gewissenlosen Schleppern . Beides zusammen kann mithelfen, Menschenleben zu retten . Meine Damen und Herren, das ist gerade in diesen Tagen die größte Aufgabe in Europa, aber auch bei uns in Deutschland . Herzlichen Dank . ({14})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Roland Claus . ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Maas, ich fasse Ihre Rede einmal kurz zusammen und komme zu dem Schluss: Biete viel Rechtsstaatlichkeit für relativ wenig Geld . - Das wäre die Chance für die Koalition zum Beifall gewesen . Relativ wenig Geld: Das stimmt in der Tat; denn die Steuerzahler kostet jeder Euro für das Ministerium von Heiko Maas nur 25 Cent . Das hängt mit den hohen Einnahmen dort zusammen . Herr Bundesminister, Sie haben Anfang dieses Jahres zu einer denkwürdigen Begegnung eingeladen; so kann man Neujahrsempfänge auch bezeichnen . Als Hauptrednerin hatten Sie die Intendantin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters Shermin Langhoff eingeladen. Frau Langhoff hat eine sehr bemerkenswerte Rede gehalten und dort gefragt - ich zitiere : Sind die Unzumutbarkeiten . . . des . . . Zuwanderungs- und Einbürgerungsrechts mit unseren Idealen von Freiheit und demokratischer Teilhabe vereinbar? . . . Wie lange wollen wir noch Migration aus nationalstaatlicher Perspektive betrachten, ohne die . . . Schicksale der von Flucht betroffenen Menschen zum entscheidenden Faktor zu machen? Ich glaube, sie hat die wichtigen und entscheidenden Fragen gestellt . Sie hat diese Fragen in Ihrem Hause, Herr Bundesminister, aber auch deshalb gestellt, weil sie Antworten von Ihnen, von uns will . Die Antworten stehen noch aus, und das, finde ich, darf nicht so bleiben, meine Damen und Herren . ({0}) Deshalb müssen wir sehr wohl über die neue Rolle von Justiz und Rechtspolitik in der Flüchtlingspolitik reden . Ja, wir erleben doch einerseits offene Arme, offene Herzen von zahlreichen Menschen, die Flüchtlingen in Not helfen, und andererseits wie noch nie zuvor öffentlich artikulierten Hass . So eine Polarisierung im Rechtsstaatsverständnis gab es seit vielen Jahren nicht mehr . Das meine ich mit dieser neuen Herausforderung an die Justiz auf allen Ebenen . Da haben wir es natürlich damit zu tun, dass in Deutschland die Justiz wegen fehlender radikaler Reformen vorwiegend an sich selbst erstickt. Ich finde, da kann auch das Bundesjustizministerium nicht stillhalten . Diese radikalen Reformen müssen endlich auf den Tisch . ({1}) Herr Bundesminister, Sie haben sich an Facebook gewandt und auch zu Twitter Ihren Kommentar abgegeben . Das finden wir in Ordnung. Richtig ist: Wir alle wollen keine digitale Hasswelt . ({2}) Aber, Herr Minister, es geht nicht nur darum, den Mund zu spitzen, Sie müssen auch pfeifen, und zwar laut und mit Konsequenzen . ({3}) - Die Konsequenzen sehe ich noch nicht . Sie haben mit der CSU einen Koalitionspartner, der sich gegenwärtig dafür abfeiert, bei den Koalitionsverhandlungen das Prinzip „Sachleistungen statt Geldleistungen“ für Flüchtlinge durchgesetzt zu haben . ({4}) Diese Entscheidung bedeutet eine Freiheitseinschränkung . ({5}) Da muss ein Justizministerium einschreiten . Übrigens, die Weltmeister beim Prinzip „Sachleistungen statt Geldleistungen“ kommen aus Nordkorea . ({6}) Herr Bundesminister, ich darf Sie zitieren, weil Sie in Ihrer Rede zu dem Thema nichts gesagt haben . Im Dezember 2014 haben Sie den Satz veröffentlicht: Vorratsdatenspeicherung lehne ich entschieden ab; sie verstößt gegen das Recht auf Privatheit und den Datenschutz . Ich kann Ihnen natürlich nicht ersparen, an jenen denkwürdigen SPD-Konvent im Frühsommer dieses Jahres zu erinnern . Zuvor waren Sie von Ihrem Parteivorsitzenden öffentlich regelrecht genötigt worden, Ihre Position zu verändern . Dann kam es noch dicker . Sie sollten dem Konvent erklären, dass man jetzt zustimmen muss . Sie haben das gemacht, Herr Maas . Angesichts des knappen Ergebnisses habe ich mich gefragt: Hätte Maas vielleicht nur geschwiegen, wäre dann das Ergebnis ein anderes gewesen? ({7}) Wir hatten im Sommer auch den Skandal um die Ermittlungen wegen - man höre und staune - Landesverrates gegen das Portal netzpolitik .org . Danach musste der Generalbundesanwalt gehen . Die Vorratsdatenspeicherung aber soll bleiben . Ich sage Ihnen: Die richtige Lehre aus diesem Skandal des Sommers wäre gewesen, jetzt auch die Vorratsdatenspeicherung zu beerdigen, Herr Bundesminister . ({8}) Deshalb sage ich Ihnen: Ehe Ihre von mir mit „viel Rechtstaatlichkeit für relativ wenig Geld“ kurz zusammengefasste Ansage haushaltspolitische Wahrheit wird, müssen Sie noch sehr viele Vorschläge der Opposition annehmen . Das Gute daran ist: Die Opposition will helfen . Die Opposition kann das auch, liebe Kollegen von der Koalition . ({9}) Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass wir alle eine lebendige Parlamentsdebatte wollen . Bundesminister Schäuble hat heute Morgen gesagt, die Spielräume im Haushalt seien jetzt erschöpft . Es hat nur noch gefehlt, dass er dann „Basta!“ gesagt hätte . Was heißt es denn, dass die Spielräume erschöpft sind? Das heißt doch nichts anderes, als dass Regierung und Parteivorsitzende entschieden haben, das Parlament solle abnicken und sich allenfalls vor der schwarzen Null verneigen . Dazu sagen wir: Mit uns nicht . Wir wollen eine lebendige Haushaltsdebatte . Diese werden wir auch haben . ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Dr . Patrick Sensburg spricht jetzt für die CDU/CSU . ({0})

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Ich teile die Zusammenfassung der Rede des Ministers durch meinen Vorredner nicht . Der Minister hat deutlich mehr ausgeführt . Herr Kollege Claus, Sie haben in Ihren sechs Minuten Redezeit so gut wie gar nichts zur Rechtspolitik und zur Verbraucherpolitik gesagt . Sie hätten die Zeit besser nutzen können . Von daher haben Sie Ihr Angebot, dass die Opposition konstruktiv mitarbeiten kann, durch Ihre Rede schon widerlegt . Schade eigentlich . ({0}) Das Einzige, worin ich Ihnen zustimme, Herr Kollege Claus, ist die Analyse, dass der Haushalt des Einzelplans 07 in der Gesamtheit und im Volumen - es ist einer der kleinsten Haushalte - eine exzellente Rechtspolitik gewährleistet . Das hat der Einzelplan 07 schon in den letzten Jahren getan . Die Haushälter und der Minister haben auch diesmal wieder bewiesen, dass man mit wenig Geld, 736 Millionen Euro, und mit einer guten Deckungsquote, 525 Millionen Euro, Arbeit machen kann, die auch in anderen Ressorts als wichtig wahrgenommen wird . Wir haben eine Deckungsquote von 72 Prozent . Das ist etwas weniger als in den vorherigen Jahren . Da hatten wir Deckungsquoten von rund 83, 85 und 87 Prozent . Die Haushälter werden sicherlich noch ausführen, woran das vielleicht liegen mag . Aber man kann sagen: Der Justizhaushalt und jetzt auch der Verbraucherschutzhaushalt daran müssen wir Juristen uns erst gewöhnen - leistet für alle Ressorts übergreifend eine wesentliche und exzellente Arbeit . In der zweiten und dritten Lesung - das debattieren wir heute nicht - werden wir auch den Haushalt des Einzelplans 19 beschließen, den des Bundesverfassungsgerichts . Auch da zeigt sich die große Anerkennung für den Beitrag, den die Rechtspolitik und die Institutionen der Justiz leisten . Das Vertrauen in den Rechtsstaat ist ganz wichtig . Deswegen ist auch das Vertrauen in die Institutionen so wichtig . Herr Kollege Claus, Sie haben eben die Diskussion um den Generalbundesanwalt angesprochen . Darauf möchte ich jetzt nicht näher eingehen . ({1}) Ich glaube, wir müssen aber darüber nachdenken ({2}) - das können Sie ja gleich noch machen -, ob wir beispielsweise das Thema Weisungsrecht für beide Seiten verklaren ({3}) und zum Beispiel die schriftliche Weisung regeln . Ich glaube, das täte beiden Seiten, Angewiesenem und Anweisendem, gut . Darüber sollten wir in der Justizpolitik einmal nachdenken . ({4}) Um zum Inhalt zu kommen: Die Syndikusanwälte sind ein Thema, das uns in dieser Legislaturperiode intensiv beschäftigt hat und uns auch weiter beschäftigen sollte . Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2014 haben wir in der ersten Lesung im Juni dieses Jahres breit darüber debattiert . Wir haben am 1 . Juli 2015 eine Anhörung durchgeführt . Es gibt aber noch viele offene Fragen, die beantwortet werden müssen. Dabei geht es um die Haftpflichtversicherung, die Gleichstellung der Syndikusanwälte mit anderen Rechtsanwälten und um die Frage: Greift die Berufshaftpflicht, oder greift möglicherweise die Firmenhaftpflicht? All das muss geklärt werden . Ich glaube, hier eilt die Zeit . Die Rechtsanwälte befinden sich seit inzwischen über einem Jahr in einem unklaren Zustand . Hier müssen wir sehr zeitnah Lösungen finden. Herr Minister, lassen Sie sich nicht ausschließlich von Ihrem Ministerium beraten, sondern gehen Sie voran, und lösen Sie dieses Problem gemeinsam mit uns . Die Anwälte in unserem Land werden es Ihnen danken . ({5}) Wir kommen zum Thema StPO-Reform . Ein wesentlicher Baustein in dieser Legislaturperiode wird die Reform der Strafprozessordnung sein . Ich glaube, das ist eines der großen Vorhaben dieser Regierungszeit . Wir wollen die StPO reformieren: vom Ermittlungsverfahren über das Zwischenverfahren bis zum Hauptverfahren . Das Rechtsmittelverfahren und das Vollstreckungsverfahren sollen eingeschlossen sein . Wir wollen also einen großen Wurf . ({6}) Man hört aber aus der Kommission, die beim Bundesjustizministerium arbeitet, dass viele Dinge gar nicht mehr eingeschlossen werden sollen, beispielsweise das Thema Berufung . Ich würde mir wünschen - die Länder haben hier ja Vorschläge gemacht -, dass es der Kommission gelingt, dort, wo keine eigenen Vorschläge eingebracht werden, zum Beispiel im Hinblick auf die Berufung, nichts auszuklammern . Wir sollten weiterhin versuchen, bei der StPO-Reform ein umfangreiches PaRoland Claus ket zu schnüren und dieses auch zu verabschieden . Ziel sollte die Effizienzsteigerung im Bereich der Strafprozessordnung sein . Nach allem, was man von der Arbeit der Kommission hört, habe ich aber den Eindruck, das scheint nicht mehr gänzlich zu gelingen . Ich nenne drei Beispiele, von denen wir gehört haben . Bei der Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung soll es schon im Ermittlungsverfahren Videoaufzeichnungen geben . Ich glaube, das kann als Ziel so nicht bestehen bleiben . Wenn dies der Fall wäre, würde das zu mehr Arbeit und zu der Verpflichtung der Richter führen, sich später alle Videoaufzeichnungen anzusehen . Auch in der Hauptverhandlung soll es umfassende Videodokumentationen geben . Videodokumentationen sind nichts Falsches; in vielen Bereichen, in denen sie Sinn ergeben, kennen wir sie schon . Aber umfangreiche Videodokumentationen halte ich für überflüssig. Es muss auch nicht so sein, dass der Pflichtverteidiger immer schon ab der ersten Beschuldigtenvernehmung bestellt wird, und zwar auch dann, wenn das nicht gewollt ist . Auch dies würde zu mehr Aufwand führen . Das sind Dinge, die man aus der Kommission hört . Darüber müssen wir, wenn es so weit ist, noch einmal intensiv sprechen . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Dr . Sensburg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, die hat er eben schon angekündigt . Ich weiß jetzt zwar nicht, zu welchem Punkt - es hat ein bisschen gedauert, bis die Frage kam -, aber Kollege Ströbele darf immer fragen . ({0}) - Bei anderen überlege ich es mir manchmal . Sie, Frau Kollegin Högl, dürfen auch immer fragen .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Kollege Sensburg . - Sie sagen das in fast jeder Rede, die Sie hier im Bundestag zur Rechtspolitik halten, und das sind ja nicht wenige . Können Sie ein bisschen konkreter sagen, wie Ihre Auffassung und die Auffassung der Union zur Reform der StPO ist? Sie haben zwar einige Punkte erwähnt . Aber sind Sie nun dafür, dass sich da etwas ändert, oder wird in den Gerichtssälen weiter so wie bisher protokolliert, dass also von einer Mitarbeiterin, einer Protokollführerin oder einem Protokollführer alle Viertelstunde ein halber Satz aufgeschrieben wird? Oder neigen Sie auch dem zu, dass man Hauptverhandlungen etwas vollständiger nachvollziehen können sollte, was gerade bei großen, langandauernden Prozessen von eminenter Bedeutung ist?

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Ströbele, für die Frage . - Der entscheidende Punkt ist - so lange debattieren wir das ja noch gar nicht; denn das ist das Kernthema dieser Legislaturperiode -, ({0}) dass wir das gesamte Strafverfahren wieder konsistent gestalten . Sie kennen die vielen Änderungen, die es seit der großen Reform in der Strafprozessordnung über die Jahre gab . Dort sind bestimmte punktuelle Stückwerke entstanden . Das Strafverfahren beginnt gemäß der Strafprozessordnung beim Ermittlungsverfahren und endet beim Strafvollzug . Daran erkennen wir die Brüche, die über die Jahre entstanden sind . Deswegen ist es das erste Ziel - das haben wir mit dem Koalitionsvertrag, in dem die StPO-Reform enthalten ist, ebenfalls verfolgt -, Konsistenz und Effektivität zu erreichen . Ich hatte die Punkte angesprochen, die mir Sorgen machen und die nicht zur Effektivität beitragen, weil sie nur punktuelle Regelungen sind . Konsistenz und Effektivität sind also der Oberbegriff. Darum gibt es ja auch die Expertenkommission beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz . Sie ist aus sehr guten Leuten zusammengesetzt und hat sich sehr viel Zeit genommen, um zu schauen, wo die Brüche in der Strafprozessordnung sind . Diese zu beheben, ist also das Ziel; das ist der gute Teil. Jetzt hören wir aber - das werden Sie vielleicht auch gehört haben -, dass die Länder zum Beispiel Vorschläge zum Berufungsverfahren gemacht haben, die von der Kommission aber abgelehnt worden sind . Die Kommission scheint nicht genügend Zeit zu haben, um hier eigene Vorschläge zu entwickeln und einzubringen . Das würde ich mir aber wünschen; denn wenn bestimmte Bereiche vom Ermittlungsverfahren bis hin zum Berufungs- und Revisionsverfahren ausgeklammert werden, dann erreichen wir diese Konsistenz und Effektivität nicht mehr . Das ist aber unser Kernziel . Sobald die Kommission ihre Vorschläge vorlegt, werden wir sie uns im Rechtsausschuss sicherlich anschauen, darüber eine Diskussion führen und Verbesserungsvorschläge machen . Sie kennen den Spruch: Kein Gesetz verlässt den Deutschen Bundestag so, wie es die Bundesregierung eingebracht hat . - Das hat sich gerade im Bereich der Justizpolitik in den letzten Jahren öfters gezeigt . Ich denke, gemeinsam können wir uns eine Effektivierung dieses Gesetzentwurfs und der Arbeit der Kommission vorstellen . - Danke schön, Herr Kollege Ströbele . ({1}) Ich komme zu einem weiteren Bereich, der uns besonders wichtig ist, nämlich zum Thema „Scharia-Recht“ . Wir haben uns das - Herr Kollege Ströbele, das habe ich wirklich sehr oft angesprochen; auch in der letzten Dr . Patrick Sensburg Legislaturperiode - genau angeschaut und festgestellt, dass es in manchen Bereichen wirklich einen eigenen Rechtsraum gibt, in dem versucht wird, eine andere Rechtskultur zu pflegen, wo also keine Gerichte, keine Schlichtungsstellen, keine Schiedsgerichtsbarkeiten und keine Mediationen genutzt werden, sondern wo sich etwas parallel entwickelt . Man spricht dementsprechend auch von Paralleljustiz . Wir haben darüber öfters beraten . Auch im Justizministerium prüft eine eigene Stelle, wie die Situation aussieht . Ich glaube, wir müssen einmal schauen, ob es hier genügend Anhaltspunkte gibt, um rechtspolitisch tätig zu werden . Wenn ja, dann sollten wir das auch tun . Wenn es die aber nicht gibt, dann müssen wir das auch offen sagen . Deswegen ist es gut, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz diesen Bereich in den Fokus nimmt und hier Klarheit schafft . Wir würden uns wünschen, diese Ergebnisse gemeinsam zu diskutieren . Weitere wichtige Themen sind die organisierte Kriminalität und die Gewinnabschöpfung . Das haben wir auch schon diskutiert, als es um das Scharia-Recht ging . Ich glaube, durch das Abschöpfen der Gewinne werden wir vielen das Wasser abgraben und die Problembereiche austrocknen . Wir müssen darüber nachdenken, ob die Gewinnabschöpfung so geregelt werden kann, dass wir die treffen, die wir treffen wollen, und dass wir die Bereiche, die möglicherweise im Verdacht sind, nicht unter einen Generalverdacht stellen . Deswegen müssen wir genau hinschauen, ob uns bei der Gewinnabschöpfung die Beweislastumkehr weiterhilft, um die Bereiche austrocknen zu können, die innerhalb der organisierten Kriminalität tätig sind und hohe Gewinne machen . Dadurch können wir einen Beitrag dazu leisten, die organisierte Kriminalität einzudämmen . Der nächste Bereich, den ich ansprechen möchte, ist die Cyberkriminalität . Herr Bundesminister, Sie haben diesen Bereich auch schon angesprochen und gesagt: „Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“, was ich für richtig halte . Wir erleben, dass viele Delikte speziell im Internet stattfinden. Dort sind bestimmte Gruppen tätig . Daneben gibt es Delikte, die es auch im alltäglichen Leben gibt und speziell mithilfe des Internets verübt werden . Wir haben das IT-Sicherheitsgesetz umzusetzen . Das wird uns schon viel bringen, aber es wird nicht der letzte Schritt sein, den wir machen müssen . Wir müssen das BSI stärken . Wir müssen auch die anderen Ämter stärken, die auf diesem Gebiet tätig sind . 50 Milliarden Euro beträgt der jährliche Schaden durch das Ausspähen unserer Wirtschaft im Bereich der Cyberkriminalität; das ist noch sehr zurückhaltend geschätzt . Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, rechtspolitisch und unter Wahrung rechtsstaatlicher Ansätze auch hier einen Beitrag zu leisten. Wir haben einen Beitrag geleistet; auch das haben Sie angesprochen, Herr Minister . Das Thema Mindestspeicherfristen ist kein leichtes Thema; das wissen wir. Über dieses Thema haben wir sehr oft debattiert und diskutiert . Im Rahmen der Anhörung am 21 . September 2015 - ich freue mich, dass die Berichterstatter aller Fraktionen intensiv arbeiten, für uns ist das der Kollege Dr . Ullrich - werden wir eine Lösung finden, die den Ansprüchen des Bundesverfassungsgerichts an Verfassungskonformität, aber auch den Ansprüchen des Europäischen Gerichtshofs Rechnung trägt . Ich habe Ihnen das aktuelle Heft des BusinessMagazins BERLINboxx mitgebracht. Ich freue mich, dass der Justizsenator von Berlin mit der Überschrift zitiert wird: „Ich bin Verfechter der Verkehrsdatenspeicherung .“ Das ganze Heft ist mit „Industrie 4 .0“ überschrieben . Es geht um Standortperspektiven . Wenn wir nicht erkennen, dass Sicherheit im Internet - dazu gehören auch Mindestspeicherfristen - mit Datenschutz und Offenheit gegenüber Medien einhergeht, dann werden wir den Standort Deutschland nicht sichern . Deshalb sind Mindestspeicherfristen nach meiner Meinung ein wesentlicher Bestandteil für den Industrie- und Internetstandort Deutschland . ({2}) Lassen Sie mich noch zu zwei Punkten kommen, die mir wichtig sind . ({3}) Das eine Thema ist die außergerichtliche Streitbeilegung; das ist hier angesprochen worden. Ich glaube, wir haben gute Ansätze im Bereich des Verbraucherschutzes bei der Umsetzung zweier Gesetzgebungsakte aus Europa, der sogenannten ADR-Richtlinie und der sogenannten ODR-Verordnung . Es geht darum, Regelungen zu schaffen, mit denen Verbrauchern ein leichter Zugang zu außergerichtlicher Streitbeilegung ermöglicht wird . Es muss aber auch gelingen, die Wirtschaft mit den Kosten dieser Verfahren nicht allein zu lassen . Vielleicht wäre es hier klug, einmal auf Bundesebene in der Art einer allgemeinen Schlichtungs- und Mediationsstelle ein Pilotprojekt zu initiieren - dazu müssten wir allerdings Gelder in den Haushalt einstellen - und dadurch eine Stelle zu etablieren . Voraussichtlich ist mit rund 12 000 Fällen zu rechnen . Das wird ein Kostenvolumen von 2,4 Millionen Euro haben . Das lässt sich aus dem derzeitigen Haushaltsplan nicht finanzieren. Von daher müssen wir in den Beratungen diskutieren, ob hier nicht ein weiterer Ansatz für eine allgemeine bundesweit tätige Schlichtungs- und Mediationsstelle möglich ist . Ich sage extra „Mediationsstelle“, weil wir in der letzten Legislaturperiode das Mediationsgesetz verabschiedet haben und ich mir wünsche, dass diese Gesetze aufeinander abgestimmt werden, sodass wir in Deutschland neben Gerichtsbarkeit, Schiedsgerichtsbarkeit, Schlichtungsverfahren und Mediation nicht ein neues Verfahren mit Stellen etablieren, sondern dass wir hier Konsistenz erreichen . Darüber wird es noch Diskussionen geben . Aber ich glaube, dass sowohl das Ministerium als auch wir Abgeordnete aller Fraktionen im Deutschen Bundestag auf einem guten Weg sind . Das letzte Thema, das mir wichtig ist - ich reiße es nur kurz an -, ist das Thema Insolvenzrecht . Es gibt hier drei Dr . Patrick Sensburg große Bereiche: Delisting, Pensionsrückstellungen und Insolvenzanfechtungen . Hier wünsche ich mir, dass gerade im Bereich der Insolvenzanfechtungen, der für unsere Wirtschaft sehr wichtig ist, nicht darauf gewartet wird, ob sich die Rechtsprechung noch in eine andere Richtung entwickelt - die Firmen leiden tagtäglich unter dieser Situation -, sondern dass wir vonseiten der Politik gemeinsam mit Ihnen, Herr Minister, die Dinge anpacken . Unser Berichterstatter, Herr Kollege Hirte, hat hierzu viele Vorschläge gemacht . Ich wünsche mir, dass wir sie in den aktuellen Beratungen aufnehmen . Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit für so viele Themen . Herr Claus, Sie sehen, man kann sehr viele rechts- und verbraucherpolitische Themen ansprechen . ({4}) Ich wünsche mir jetzt eine konsensorientierte Beratung und ein gutes Ergebnis . Danke schön . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen .

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Maas, so als Zuhörerin wundert man sich doch ein bisschen, dass der Kollege Sensburg betont, dass die StPO-Reform das Kernprojekt dieser Legislaturperiode ist, während Sie sie in Ihrer Rede gar nicht erwähnt haben . Vielleicht könnten Sie sich in der Koalition über Ihre Schwerpunkte noch einmal abstimmen . ({0}) Fast wäre es in der Sommerpause zwischen zwei Sondersitzungen einmal etwas ruhiger geworden, wenn da nicht der Generalbundesanwalt gewesen wäre . Es wird Sie nicht überraschen, dass das Thema hier jetzt noch einmal zur Sprache kommt . ({1}) Ja, die Entlassung war unvermeidlich, das sehen wir auch so . Das Management war trotzdem suboptimal . Nach unserer letzten Ausschusssitzung steht jetzt Aussage gegen Aussage . Der Generalbundesanwalt behauptet, er sei geradezu erpresst worden . Wer die Wahrheit sagt, werden wir nicht mehr ermitteln können, weil die gesamte Kommunikation zwischen Ihrem Ministerium und dem Generalbundesanwalt informell und telefonisch ablief . Warum haben Sie den GBA denn nicht frühzeitig um einen Bericht bzw . ein Rechtsgespräch gebeten und sich seine Rechtsauffassung einmal darlegen lassen? Besonders die Frage nach dem subjektiven Tatbestand der Schädigungsabsicht wäre doch interessant gewesen . Ich wage nicht, zu spekulieren, ob dieses Gespräch bei Herrn Range zu weiteren Erkenntnissen geführt hätte . Auf jeden Fall hätten Sie uns Parlamentariern einen nachvollziehbaren und dokumentierten Ablauf vorlegen können, statt uns auf Auszüge aus der Ermittlungsakte in der Geheimschutzstelle zu verweisen . ({2}) Warum diese Unterlagen überhaupt in der Geheimschutzstelle liegen, obwohl sie gar nicht Geheim, sondern nur VS-Vertraulich eingestuft sind, verstehe ich bis heute nicht . Dass die Einschätzungen des Innenministeriums und des Justizministeriums in diesem Kabinett völlig quer zueinanderstehen, ist nun weiß Gott kein Staatsgeheimnis . - So weit zu den aktuellen Vorkommnissen . Jetzt aber will ich die Haushaltsdebatte zur Legislaturhalbzeit nutzen, um einige grundsätzliche Dinge zu besprechen . Der Justizhaushalt selbst betrifft ja bekanntlich das kleinste Ressort im Bundeshaushalt, was aber keinesfalls Rückschlüsse auf die Bedeutung der Justiz in unserem Rechtsstaat zulässt . Pro Einwohner kostet uns die gesamte Justiz in Bund und Ländern gerade einmal 53 Euro . Im Vergleich dazu kostet uns die militärische Verteidigung 400 Euro pro Person . Aber auch der Rechtsfrieden will verteidigt werden . Schließlich steht und fällt der Frieden im Inneren mit einem funktionierenden Rechtswesen . Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist bei uns immer noch besser als in vielen unserer Nachbarstaaten . Das bleibt aber nicht von alleine so . Mangelnde Wertschätzung oder gar Vernachlässigung sind eine echte Gefahr . Das Verfassungsgericht hatte gerade erst das zweifelhafte Vergnügen, über die rechtsstaatlichen Untergrenzen der Richterbesoldung entscheiden zu dürfen . Wie konnte es eigentlich so weit kommen? Warum liegen junge Richterinnen und Richter, die eine hochqualifizierte und international anerkannte Ausbildung absolviert haben, unter dem deutschen Durchschnittseinkommen? ({3}) Wollen wir wirklich, dass künftig gerade die Richterinnen und Richter Karriere machen, die auf Schnelligkeit und Fallzahlen statt auf Gründlichkeit fixiert sind? Dass diese Frage nicht einfach durch Bundesgesetzgebung gelöst werden kann, ist mir schon klar, Herr Kollege . Wir können es aber auch nicht einfach so laufen lassen . Hier gibt es ein übergeordnetes Interesse aller und eine große Aufgabe auch für einen Bundesjustizminister . ({4}) Unmittelbar zuständig jetzt wiederum sind Sie für die Bundesrichterwahlen und die Richterwahlausschüsse . Auch hier muss sich einiges ändern . Selbst der weiße Rauch bei einer Papstwahl ist transparenter als das derzeitige Verfahren . Dr . Patrick Sensburg ({5}) Ich bin der Meinung, dass es für Richterinnen und Richter wenigstens die Möglichkeit geben muss, sich für die Vorschlagsliste zur Bundesrichterwahl zu bewerben . Die zunehmende Zahl von Konkurrentenklagen bei der Besetzung oberster Bundesgerichte ist eine Belastung für alle Beteiligten . ({6}) Wichtig - um nicht zu sagen: existenziell - für ein funktionierendes Rechtswesen ist der Zugang zum Recht für alle . Und auch hier droht Gefahr . Wenn die Amtsgerichte in der Fläche verschwinden, wie es jetzt in Mecklenburg-Vorpommern passiert, ist das offensichtlich . Aber auch die Anwaltschaft bedarf dringend höherer Wertschätzung, wenn der Zugang zum Recht für alle erhalten werden soll . Ich rede jetzt ausnahmsweise einmal nicht von den Syndikusanwälten in den Großkanzleien, sondern von den Anwälten vor Ort, die als Mittler und Übersetzer den Menschen den Zugang zum Recht gewähren, ob es um Ärger mit dem Chef, dem Vermieter oder in der Familie geht . Der Jahresbruttogewinn der Einzelanwälte beträgt seit über einem Jahrzehnt unverändert 40 000 Euro . Gerade erst haben alle Post von ihren Kammern bekommen, dass sie sich ein elektronisches Postfach zulegen sollen, weil wir als Gesetzgeber beschlossen haben, ab 2022 nur noch mit der elektronischen Akte zu arbeiten . Ich habe in der Sommerpause mit etlichen Kolleginnen und Kollegen gesprochen . Sie scheuen keine Mühe und Kosten, um die Umstellung der Software sowie die Aufrüstung von Hardware zu bewältigen, auch wenn das - gerade für die Einzelanwälte - teilweise existenzielle Ausmaße annimmt . Nun stellen sich beim elektronischen Rechtsverkehr noch andere Fragen als die der Kosten für die Anwaltschaft . Wir wissen seit Snowden bestens, dass es eine absolute Sicherheit für elektronische Daten gar nicht geben kann . Mit welchem Recht will der Staat den Anwälten verbieten, dem Mandanten einen sicheren und gegebenenfalls auch analogen Umgang mit ihren Daten anzubieten? Warum soll ich gerade einen sensiblen Schriftsatz nicht persönlich in den Briefkasten des Gerichtes einwerfen dürfen? Bei Atomkraftwerken zum Beispiel durfte noch nie digitale, sondern darf ausschließlich analoge Technik verarbeitet werden . Warum sollten wir bei sensiblen Mandantendaten diesen Schutz nicht gewähren dürfen? ({7}) Auch der Gesetzgeber kann neue Erkenntnisse durchaus dazu nutzen, alte Entscheidungen noch einmal zu überdenken . Der elektronische Rechtsverkehr sollte im Interesse der Rechtssuchenden eine freiwillige Option bleiben . Aber zurück zu den Amtsgerichten: Hier wird den Bürgerinnen und Bürgern heute auch bei geringen Streitwerten ein ordentliches Verfahren gewährt, das im Durchschnitt weniger als fünf Monate dauert . Mit Ihrem Entwurf zur Verbraucherschlichtung könnten die Bürger künftig an die privaten Schlichtungsstellen verwiesen werden, und das auch noch per AGB, was nur dann günstiger für sie ist, wenn sie sich nicht anwaltlich vertreten lassen . Prozesskostenhilfe ist jedenfalls nicht vorgesehen . Ein geeigneter Schlichter ohne Befähigung zum Richteramt soll dann nach Billigkeit im schriftlichen Verfahren entscheiden . Diese Entscheidung wird weder veröffentlicht, noch ergeht sie im Namen des Volkes, kann aber vom Gerichtsvollzieher vollstreckt werden . Ich frage Sie: Wo bleiben die Vorhersehbarkeit der Entscheidung, die Verlässlichkeit und die Rechtsfortbildung? Bei der Umsetzung dieser EU-Richtlinie ist besonderes Augenmaß angesagt, um das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten . Freiwillige Schlichtung ja, aber keine Paralleljustiz . Was wir brauchen, ist vielmehr eine Rechtsstaatsinitiative für Deutschland, damit unser Rechtswesen funktionsfähig bleibt . Vielen Dank . ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Als Nächster spricht der Kollege Dennis Rohde für die SPD . ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat mit seinem Ausspruch, dass die Welt aus den Fugen geraten sei, die, wie ich finde, prägnanteste Zusammenfassung der momentanen Situation, der wir gegenüberstehen, gegeben. Ich finde, diese Formulierung lässt uns gleichzeitig erahnen, vor welchen Herausforderungen wir heute und in den kommenden Jahren stehen bzw . stehen werden . Natürlich bringt die veränderte globale Lage auch eine besondere Verantwortung für unseren Rechtsstaat mit sich . Es gibt zweifellos neue Herausforderungen, auch im Bereich der inneren Sicherheit, die wir werden meistern müssen . So hat zum Beispiel der Generalbundesanwalt als oberster Staatsanwalt unseres Landes die Aufgabe, gewaltsamen Extremismus - gleich welcher Couleur - zu verfolgen und so zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger beizutragen . Ich will deshalb zwei Beispiele nennen, wie wir auch die Justiz im Lichte dieser Herausforderungen im Haushaltsjahr 2016 unterstützen werden: Zunächst ist das Thema Rechtsextremismus zu nennen, das natürlich nicht mit dem Prozess gegen die Rechtsterroristen des NSU abgeschlossen ist . Das Jahr hat gezeigt, dass Rassismus und rechte Gewalt am Rande der Gesellschaft fortleben, dass sie auch in einer offenen, demokratischen Gesellschaft existieren. Und ich sage: Angriffe auf Flüchtlingsheime, auf Menschen, die zu uns kommen, weil sie Schutz und Frieden suchen, und menschenverachtende Aufmärsche - sie sollten, sie müssen uns alle beschämen . ({0}) Vor dem Hintergrund der fortwährenden Herausforderung durch Hass und Gewalt gegen Flüchtlinge und sogar gegen die Menschen, die sich in der Hilfe engagieren, ist es umso wichtiger, dass die Justiz die notwendigen Ressourcen erhält, um mit allen Mitteln des Rechtsstaates konsequent gegen rechtsextreme Gewalt vorgehen zu können . Auch deswegen setzen wir die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses weiter und nachhaltig um . Denn wir wissen: Der Generalbundesanwalt nimmt zunehmend eine Rolle als koordinierende Instanz und Schnittstelle zwischen den Ermittlungsbehörden wahr . Die personelle Ausstattung für diesen gewachsenen Aufgabenbereich muss dieser Rolle entsprechen . ({1}) Im Haushaltsentwurf sind deswegen für den GBA auch weitere Stellen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus vorgesehen. Ich finde, das ist gerade in Anbetracht der Zeichen der Zeit eine immens wichtige Maßnahme . Eine ähnliche Schnittstellenfunktion erfüllt der Generalbundesanwalt beim Thema islamistischer Terrorismus . Hier sehen wir zunehmend die Herausforderung der sogenannten Rückkehrer, also Dschihadisten, die aus den von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ besetzten Gebieten in Syrien und im Irak zurück nach Deutschland kommen . Wir müssen alles daransetzen, dass die Personen, die Tod und Leid über so viele Menschen gebracht haben, hier in Deutschland die gesamte Härte unseres Rechtsstaates zu spüren bekommen . ({2}) Genau daran arbeitet der Generalbundesanwalt . Mittlerweile sind dort über 300 Prüfvorgänge anhängig . Darum korrigieren wir auch hier den Stellenplan für eine angemessene Amtsausstattung . Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn die Flüchtlingssituation mit ihren unfassbaren Bildern momentan die gesellschaftliche und politische Debatte beherrscht, möchte ich noch weitere Schwerpunkte aus dem Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz ansprechen . So schreibt der Regierungsentwurf zum Haushalt 2016 das fort, was wir mit dem Haushalt 2015 begonnen haben, nämlich eine massive Stärkung des Deutschen Patent- und Markenamtes als Investition in Innovation und Fortschritt . Mit Verabschiedung dieses Bundeshaushalts werden wir seit Regierungsübernahme Stellen für weit über 100 neue Patentprüferinnen und Patentprüfer ausgebracht haben . Weitere Stellen werden nicht - wie eigentlich vorgesehen - wegfallen, sondern zur Abarbeitung des uns allen bekannten Antragsstaus verwandt werden . Die personelle Entwicklung beim DPMA ist mit Sicherheit eine der positivsten seit vielen Jahren . Lange wurde nicht mehr so viel für dieses Amt getan . ({3}) Die Große Koalition stärkt das Patent- und Markenwesen . Sie stärkt damit die deutsche Wirtschaft, indem sie denen, die erfinden und Ideen haben, die benötigte Rechtssicherheit gibt, um aus einem Patent auch wirtschaftlichen Erfolg werden zu lassen . ({4}) Ich sage Ihnen - das klang vorhin schon an -: Das ist auch gut für unseren Bundeshaushalt . Ein Einnahmeplus von 20 Millionen Euro beim DPMA im Vergleich zu 2014 sorgt mit dafür, dass der Haushalt des Justizministeriums auch zukünftig eine hervorragende ressortführende Deckungsquote haben wird; denn verantwortungsvolle Haushaltspolitik bedeutet eben nicht nur, den effizientesten Einsatz von Finanzen zu fördern und Einsparmöglichkeiten durchzusetzen . Verantwortungsvolle Haushaltspolitik bedeutet eben auch, einmal genau nachzusehen, wo die Einnahmeseite sinnvoll und nachhaltig verstärkt werden kann . ({5}) Abschließend ein paar Worte zum Thema Verbraucherschutz; meine Kollegin Elvira Drobinski-Weiß wird gleich noch genauer auf das Thema eingehen . Wir wissen, dass die heutigen Märkte oft komplex oder sogar unübersichtlich sind, dass viele der alten Gewissheiten im Konsumverhalten heute nicht mehr gelten . Wir setzen konsequent und mit Nachdruck auf Transparenz und Information der Verbraucherinnen und Verbraucher, damit jeder auf den Märkten nicht nur die beste Kaffeemaschine, sondern auch die für ihn passende Altersvorsorge oder das richtige Bankkonto finden kann. Ich freue mich daher, dass wir den guten Weg der letzten Jahre fortsetzen . Der Ansatz für den Verbraucherschutz beläuft sich auf 35,8 Millionen Euro . Das sind 4,7 Millionen Euro mehr als 2015 und 11,6 Millionen Euro mehr als 2014 . Ich finde, dass das sinnvolle Aufwüchse sind. Sie zeigen, dass wir es ernst meinen mit der Information und dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher . ({6}) In den kommenden Haushaltsverhandlungen werden sicherlich die Herausforderungen und die Chancen des momentanen Flüchtlingsstroms im Mittelpunkt - auch der medialen Wahrnehmung - stehen . Wir als für den Einzelplan des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz zuständige Haushälter werden sicherstellen, dass die rechts- und verbraucherpolitischen Themen am Ende nicht herunterfallen werden . Vielen Dank . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Harald Petzold, Die Linke, spricht als Nächster . ({0})

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister, für die linke Opposition bleibt es dabei: Der Einzelplan des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz wird den Anforderungen, vor denen wir aktuell in der Justiz- und Verbraucherpolitik stehen, nicht gerecht . ({0}) Zuspitzend möchte ich sagen: Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel . Ich werde Ihnen das an zwei Beispielen erläutern . Daran ändern auch zahlenakrobatische Spiele vom Kollegen Dr . Sensburg nichts, der uns in atemberaubender Logik vorgerechnet hat - eigentlich hätte er das in Zahlen viel kürzer sagen können -, um wie viel der Haushalt angewachsen ist . ({1}) Natürlich haben wir das nicht übersehen . Aber ich will Ihnen anhand meiner Beispiele deutlich machen, dass es in zentralen Punkten dieses Haushalts keine herausforderungsgerechte Ausfinanzierung gibt. Ich beginne mit der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter in Wiesbaden, die Deutschland auf der Basis des Zusatzprotokolls zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe errichtet hat . Folter ist ein Grund, warum Menschen aus vielen Ländern nach Deutschland flüchten. Deswegen ist es gut, dass wir die Nationale Stelle haben . Es handelt sich um eine unabhängige nationale Einrichtung zur Prävention von Folter und Misshandlung . Sie erfüllt sehr wichtige Aufgaben und soll regelmäßig Orte des Freiheitsentzugs aufsuchen, um dort zu überprüfen, inwieweit Menschenrechte eingehalten werden bzw . erniedrigende Behandlung von Menschen stattfindet. Sie soll auf Missstände aufmerksam machen, Verbesserungsvorschläge unterbreiten und darüber unter anderem hier im Deutschen Bundestag berichten . Diese Stelle müsste eigentlich unangemeldet die entsprechenden Einrichtungen besuchen . Aber das kann sie aufgrund der personellen Ausstattung leider nicht tun . An dieser Stelle sage ich: Für uns ist es nicht hinnehmbar, dass diese Nationale Stelle in finanzieller Hinsicht nicht aufgabengerecht ausgestattet wird . Sie haben sich im vergangenen Jahr, Herr Bundesminister, feiern lassen, als Sie uns erklärten, dass der Bundesanteil auf 180 000 Euro aufgestockt werden soll . Sie legen uns nun erneut einen Haushalt vor, der diese Aufstockung nicht nachvollzieht . Das ermöglicht den Ländern die Ausrede, ihren Anteil nicht aufzustocken . Dabei ist gesetzlich vorgeschrieben, wie die Aufstockung zu erfolgen hat . Somit ist die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter mit Sitz in Wiesbaden eben nicht ausreichend ausgestattet, und das ist für die Linke nicht akzeptabel . Wir werden beantragen, das zu ändern . Deutschland kritisieren im Übrigen auch die Vereinten Nationen, die in ihrer letzten Überprüfung auf diese finanzielle Ausstattung hingewiesen haben . Der zweite Punkt, auf den ich aufmerksam machen möchte, ist der Umgang mit Stiftungen . Es gibt in Bonn die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit, IRZ. Es ist gut, dass es diese Stiftung gibt; denn diese Stiftung berät unter anderem osteuropäische und südosteuropäische Länder in Sachen Demokratie und in Sachen Marktwirtschaft . Ich sage, auch dabei geht es darum, dass Menschen auf der Flucht nach Deutschland sind, und deswegen brauchen wir diese Beratung . Insofern ist es gut, dass diese Stiftung von der Bundesregierung mit Beträgen in Millionenhöhe gefördert wird und dass es im nächsten Jahr sogar eine Aufstockung der Finanzen dieser Stiftung auf 5,5 Millionen Euro geben wird . Im Gegensatz dazu steht zum Beispiel die Arbeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld . Diese Stiftung ist 2011 gegründet worden und finanziert sich lediglich aus den Erlösen des Stiftungskapitals . Die Zinsen sind im Moment so niedrig, dass die Erlöse, die die Stiftung erzielt, nicht einmal ansatzweise ausreichen, um die vielen Aufgaben, die die Stiftung erfüllt, finanzieren zu können. Es ist wichtig und sehr gut, dass wir diese Stiftung haben; denn nichtheterosexuelle Orientierung, nichtheterosexuelle Identität stehen in Ländern wie Afghanistan, Irak oder Syrien entweder unter Strafe oder unter erheblicher gesellschaftlicher Ächtung und sind daher Fluchtgründe . Deswegen ist es gut, dass wir eine Stiftung haben, die sich um die Schaffung von Akzeptanz von Menschen mit einer nichtheterosexuellen Orientierung kümmert. Die Projekte, die diese Stiftung umsetzt, sind unter anderem das Archiv der anderen Erinnerungen, wo das Unrecht durch Verurteilung nach § 175 StGB aufgearbeitet werden soll, zahlreiche Projekte zur Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Diversität sowie die aktive Bekämpfung von Homophobie, beispielsweise im Sport . Das Projekt „Fußball für Vielfalt“ will ich hier nennen . Bekannter Botschafter dieses Projekts ist etwa der ehemalige Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger . Hinzu kommen Hirschfeld-Tage und umfangreiche Publikationen, durch die Bildungs- und Aufklärungsarbeit geleistet wird . Diese Liste ließe sich fortsetzen . Die Arbeit dieser Stiftung wird lediglich mit einem Geschäftsführer und gegenwärtig drei halben Referenten- bzw . Sachbearbeiterstellen geleistet . Der Rest ist Ehrenamt. Ich finde, das ist eine Ungleichbehandlung, die wir nicht akzeptieren können . ({2}) Ich sage deutlich: Ich neide der IRZ überhaupt nicht die ihr zur Verfügung stehen Millionen, im Gegenteil . Meine Fraktionskollegin Frau Dr . Lötzsch, die im Kuratorium der IRZ sitzt, würde mir den Kopf abreißen, wenn ich an dieser Stelle etwas anderes sagen würde . Aber ich verlange eine Gleichbehandlung dieser Stiftung und damit entweder eine erhebliche Erhöhung des Stiftungskapitals für die Magnus-Hirschfeld-Stiftung oder eine auskömmliche institutionelle Förderung . Erlauben Sie mir, dass ich abschließend dem Geschäftsführer der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Herrn Litwinschuh, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr herzlich für diese umfangreiche Arbeit für so wenig Geld danke . Ich denke, auch das ist einmal einen Beifall dieses Hauses wert . ({3}) - Da kann sogar die Union klatschen . - Denn im Kuratorium dieser Stiftung sitzen sehr aktive und engagierte Mitarbeiter . Last, but not least: Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel . Der Einzelplan 07 wird aus unserer Sicht den Anforderungen nicht gerecht . Die Linke wird in den Ausschüssen entsprechende Änderungsanträge unterbreiten . Vielen Dank . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Mechthild Heil . ({0})

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gute Politik muss nicht immer viel kosten . Mit rund 736 Millionen Euro hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz den kleinsten Etat aller Ministerien. Ich sage „klein, aber fein“; denn gute Verbraucherpolitik hängt nicht immer von einem großen Budget ab . Sie hängt ab von einer guten Gesetzgebung klar, gute Gesetzgebung; das hilft immer -; aber wir haben auch andere Mittel, um die Position der Verbraucher in Deutschland zu stärken . Das tun wir im Verbund mit vielen Initiativen aus der Zivilgesellschaft, von Verbänden und der Wirtschaft . Gemeinsam kommen wir da ein gutes Stück voran . Deswegen an dieser Stelle ihnen allen, die sie dabei helfen, einmal ein herzliches Dankeschön für ihre Arbeit und die wichtigen Beiträge, die sie uns im Bereich der Verbraucherpolitik liefern . ({0}) Aber: Schuster, bleib bei deinem Leisten . - Wie sieht es mit unseren Aufgaben aus? Als Gesetzgeber haben wir die Weichen für mehr Verbraucherschutz gestellt . Wir haben die Marktwächter eingeführt, digitalen und finanziellen Verbraucherschutz damit auf den Weg gebracht . Das haben wir im Koalitionsvertrag so festgeschrieben, und so haben wir das auch umgesetzt . Heute stehen im Haushaltsplan dafür immerhin 10 Millionen Euro zur Verfügung . Und: Das Kleinanlegerschutzgesetz haben wir schon verabschiedet . Praktiken, wie sie Prokon in der Öffentlichkeit betrieben hat, wollen wir nicht mehr sehen . Auf manchen Märkten müssen Verbraucher halt mehr geschützt werden als auf anderen Märkten . Die Umsetzung der ADR-Richtlinie - das Schlichtungsverfahren in Verbraucherangelegenheiten - steht noch vor uns . Mit der außergerichtlichen Streitschlichtung wollen wir aufwendige Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen und Verbrauchern vermeiden . Gerichte werden entlastet, und Kunden kommen unbürokratisch und kostengünstig zu ihrem Recht . Der Aufbau und der Betrieb der Schlichtungsstellen ist Sache der Länder . Inwieweit der Bund an dieser Stelle koordinierend eingreifen sollte, werden wir im weiteren Verfahren zu diskutieren haben . Mir liegt daran, im Sinne der Verbraucher bundesweit einheitliche Strukturen zu schaffen und die Schlichtungsstellen so schnell wie möglich und auch so flächendeckend, wie es irgend geht, ans Arbeiten zu bringen . Welche Themen sind derzeit für Verbraucher interessant? Ich möchte Ihnen vier Themen nennen, die aktuell auch auf meiner Agenda stehen: Da wäre zunächst einmal die Tachomanipulation zu nennen, die Tachomanipulation auf dem Gebrauchtwagenmarkt . Nach Schätzungen vom ADAC ist jeder dritte Tacho manipuliert . Der dadurch entstandene Schaden beläuft sich jährlich auf rund 8 Milliarden Euro - 8 Milliarden Euro, die die Kunden zu viel bezahlen . Was können wir dagegen unternehmen? Wie können wir die Verbraucher vor dieser offenbar weitverbreiteten Praxis besser schützen? Ich habe dazu die verschiedenen Akteure - Hersteller, Werkstätten, TÜV, Dekra und viele andere mehr - zu einem runden Tisch eingeladen, und gemeinsam haben wir darüber diskutiert und auch Maßnahmen erarbeitet . An erster Stelle zu nennen sind härtere Strafen für die Manipulierer, aber auch eine Verpflichtung der Hersteller, sichere Chips einzubauen . Die Hersteller könnten das, aber seit Jahren und Jahrzehnten tun sie es nicht . Das wichtigste Instrument: die Einführung einer Datenbank für die Laufleistung der Autos auf freiwilliger Basis . In Ländern wie Belgien oder den USA hat sich die Zahl der Missbrauchsfälle dadurch deutlich reduziert . Wie soll das genau funktionieren? Sobald man in eine Werkstatt fährt, zum TÜV, zur ASU, die Reifen wechseln lässt, eine Scheibe reparieren lässt, abgeschleppt wird, eine Panne hat, sich bei der Versicherung meldet oder was auch immer mit seinem Auto macht: Der Kilometerstand wird erfasst, und es wird freiwillig der Lebenslauf des Wagens gespeichert . Wenn der Wagen dann verkauft werden soll, hat man eine lückenlose Dokumentation . Eine Manipulation am Kilometerzähler wird deutlich erschwert . Die CDU/CSU-Arbeitsgruppe Verkehr erarbeitet deshalb aktuell einen Gesetzentwurf oder eine Gesetzesänderung . Da kann ich als verbraucherpolitische Sprecherin nur sagen: Das ist eine klasse Zusammenarbeit mit den Kollegen . Vielen Dank dafür! Es ist auch wirklich eine gute Verbraucherpolitik, die wir da machen . Sie hilft den Verbrauchern direkt . Sie hilft den redlichen Händlern, Harald Petzold ({1}) sorgt für einen fairen Wettbewerb und verhindert natürlich auch Schäden an der Volkswirtschaft . ({2}) Ich bin deswegen auch wirklich zuversichtlich, dass so den Käufern von Gebrauchtwagen oder Nutzern von Leasingfahrzeugen - in dem Bereich ist das auch ein großes Problem - konkret geholfen werden kann . Ein weiteres Thema, das mich umtreibt, möchte ich gern ansprechen: die mangelnde Augenhöhe zwischen Anbietern und Kunden im Finanzmarkt . Wir haben in den letzten Jahren viele Maßnahmen ergriffen, um für die Verbraucher Licht ins Dunkel der Finanzanlagen zu bringen . Wir haben Informations- und Dokumentationspflichten für Unternehmen eingeführt. Wir haben über deren Haftung gesprochen . Das ging hin bis zur Einführung des Finanzmarktwächters oder des Kleinanlegerschutzgesetzes . Ich möchte auf diesem Weg weitergehen, aber an einer anderen Stelle ansetzen, nämlich einen Schritt vorher, beim Verbraucher selbst . Die Altersvorsorge und sichere Geldanlagen sind von zentraler Bedeutung für jeden Verbraucher . Damit jeder Verbraucher entscheiden kann, was für ihn eine gute und sinnvolle Geldanlage oder Altersvorsorge ist, benötigt er gute und strukturierte Informationen . Aber er muss auch mit den Informationen umgehen können, er muss sie verstehen und bewerten können . Verbraucherfinanzbildung - so möchte ich es einmal nennen - wird in den kommenden Jahren ein wichtiges Thema sein . Es gibt bereits viele Initiativen: von Finanzinstituten über Präventionsnetzwerke bis zu Schuldnerhilfen, die die Kompetenz der Verbraucher, insbesondere der jungen Verbraucher, stärken sollen und wollen . Das finde ich toll. Aber wer findet sich bei diesen ganzen Initiativen noch zurecht? Ich möchte deshalb - dafür werbe ich an dieser Stelle - eine zentrale Anlaufstelle im Internet schaffen, auf der man auf einen Blick die für seine Altersgruppe oder Lebensphase relevanten und vorhandenen Angebote finden kann. Das Ganze könnte FiWiKo heißen: Bundesnetzwerk Finanz- und Wirtschaftskompetenz . Wer könnte ein solches Portal betreiben? Ich denke, die Stiftung Warentest, Finanztest, wäre hierfür ein guter Ort, und ich finde, die Haushaltsberatungen sind eine gute Stelle, darüber zu diskutieren und nachzudenken . Die Idee hat auch Einzug in ein Papier der CDU, in das Papier der Kommission für Nachhaltigkeit, gefunden . Unter der Leitung von Julia Klöckner wurde es erarbeitet und soll im Dezember auf dem Bundesparteitag verabschiedet werden . Ich hoffe, dass es so beschlossen wird . ({3}) Ich möchte Ihnen einen dritten Bereich in der Verbraucherpolitik nennen, der mir wichtig ist . Er gehört zwar nicht direkt zum Einzelplan 07, ist aber Kern der Verbraucherpolitik . Das ist die Ernährungspolitik . Ich hatte vorhin gesagt, dass sich gute Politik nicht an der Höhe der Haushaltsmittel bemessen lässt . Gute Politik besteht auch nicht nur darin, Gesetze zu machen . Ich stimme deshalb Bundesernährungsminister Christian Schmidt zu, wenn er sagt, er wolle den Teller nicht mit Gesetzen vollpacken . ({4}) Wir können unsere ernährungs- und gesundheitspolitischen Herausforderungen nicht nur mit Gesetzen und Verboten lösen . Werbeverbote, sei es für Kindernahrung oder für Genussmittel, sind für mich eindeutig der falsche Weg . Stattdessen wollen wir die Ernährungskompetenz stärken . Bundesminister Schmidt hat angekündigt, seine Bildungsinitiative im Bereich Ernährung für Kinder und Jugendliche auszubauen . Nur so können wir sie zu einem gesunden Lebensstil motivieren . ({5}) Als vierten und letzten Bereich möchte ich den Bereich Digitalisierung ansprechen . Die Digitalisierung schreitet voran . Wir sehen einen Trend weg vom Eigentum hin zur Nutzung . Es wird verliehen, geteilt und wieder verkauft . Der Bereich der Share Economy wächst . Das Internet macht das Zusammentreffen von Anbietern und Nachfragern so leicht wie nie zuvor . So sind Carsharing oder Unterkunftsbörsen Modelle, die bereits heute von vielen Menschen genutzt werden . Das bringt viele Vorteile mit sich . So habe ich heute mehr Wahlmöglichkeiten, um von A nach B zu kommen . Aber es birgt auch Risiken . Uber und Co . stellen uns vor neue Fragen: Ist der Nachweis von Ortskenntnis notwendig, wenn ich ein Navigationsgerät habe? Wie muss der Sachkundenachweis gestaltet werden? Wie sind die Insassen im Schadensfall abgesichert? Wem gehören die erfassten Daten, und wie werden sie genutzt? Ganz neue Fragen stellen sich auch bei den Unterkunftsbörsen, die sich neben den traditionellen Hotels und Jugendherbergen etabliert haben: Ab wann handelt es sich um eine gewerbliche Nutzung? Wie sieht es im Schadensfall mit der Versicherung aus? - Uns als CDU/CSU-Fraktion sind diese Fragen wichtig . Sie müssen immer im Ausgleich der Interessen von Verbrauchern und Wirtschaft gelöst werden . Meine sehr verehrten Damen und Herren, an den von mir genannten vier Beispielen können Sie sehen: Die Bereiche, die Verbraucherpolitik im 21 . Jahrhundert umfasst, sind sehr vielfältig . Es gibt Themen, an die wir vor einigen Jahren überhaupt noch nicht gedacht haben . So befindet sich unsere Verbraucherpolitik in einem stetigen Wandel, bei dem wir immer abwägen müssen, wo Regulierung sinnvoll und notwendig ist und wo die Freiheitsrechte des Einzelnen zu stark beschränkt werden . Das gilt im Finanzmarkt genauso wie im Ernährungsbereich . Gute Verbraucherpolitik ist mehr als nur Verordnung, Gesetz und Haushaltsmittel . Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Verbraucher und ihre Rechte zu stärken . Wir nutzen all diese Möglichkeiten . Wir nutzen sie erfolgreich . So sieht nachhaltige Verbraucherpolitik aus . Vielen Dank . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Maisch für Bündnis 90/Die Grünen .

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Frau Heil, ich finde es schon eigenartig, dass offensichtlich selbst die Union glaubt, dass Herr Maas als Verbraucherschutzminister nun auch Ernährungsthemen behandeln muss. Ich finde, das soll man ihm nicht auch noch aufbürden . Da könnte Herr Schmidt doch auch einmal selbst aktiv werden . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ansonsten haben Sie sich kräftig auf die eigene Schulter geklopft . Zuletzt hat dies der Kollege Rohde getan, als er die Erhöhung der Mittel für die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher um 4 Millionen Euro gelobt hat . Man muss sagen, eine Erhöhung klingt zunächst einmal nicht schlecht . Wenn man sich dann aber einmal genau anschaut, was Sie alles in diesen armen kleinen Haushaltstitel gequetscht haben, dann sieht das doch gleich viel weniger üppig aus . ({1}) 10 Millionen Euro von diesen 16 Millionen Euro sind allein für die Marktwächter Finanzen und Digitales veranschlagt . Wir müssen sagen: Das sind gut investierte 10 Millionen Euro . Die Grünen haben diese Idee schon seit Jahren . 2008, als die SPD konzeptionell noch am „Münte-TÜV“ festgehalten hat, haben wir schon den Marktwächter gefordert . Nun wird er eingeführt . Das ist gut, aber das kann es nicht gewesen sein beim Thema Verbraucherinformation . ({2}) Schauen wir uns einmal an, wie viel für alle anderen Projekte zur Verbraucherinformation und -aufklärung übrig ist - für Gesundheit, für nachhaltigen Konsum, für Telekommunikation außerhalb des Internets -, dann stellen wir fest, dass das nur noch 6,8 Millionen Euro sind . Das ist wirklich zu wenig, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({3}) Als wir noch gemeinsam in der Opposition saßen, war es immer unsere gemeinsame Position, dass die Marktwächter als zusätzliche Struktur anzusehen sind . Wir finden, diese Zusätzlichkeit, dieses zusätzliche Angebot an die Verbraucherinnen und Verbraucher muss sich auch im Haushalt widerspiegeln . ({4}) Da wir gerade bei den Marktwächtern sind: Ich finde, wenn man eine so gute Idee hat und diese dann auch in den Koalitionsvertrag hineinboxt, dann muss man diese gute Idee auch richtig umsetzen . Was den Haushalt angeht, bedeutet das, dass wir kein befristetes Projekt, sondern eine institutionelle Förderung brauchen . Die Befristung, die von Ihnen immer wieder so angelegt wird, zeigt doch, dass die Union nur darauf wartet, die Marktwächter wieder loszuwerden . Sie wollten sie nie . Ich glaube, der Hintergedanke ist, dass man diese möglichst schnell wieder loswerden will . Verlässliche Mittel sind aber leider nicht das einzige, was den Marktwächtern in der schwarz-roten Version noch fehlt . Wir brauchen dringend ein institutionelles Bindeglied zwischen der Finanzaufsicht und den Marktwächtern . Wir wissen, in einem Rechtsstaat kann der Wachhund nur bellen . Beißen muss die Aufsicht . Es fehlt jedoch an einer institutionellen Verzahnung . Hier sollten Sie nacharbeiten, damit die 10 Millionen Euro auch wirklich wirksam werden . ({5}) Wir haben mit dem Kleinanlegerschutzgesetz mit Ihrer Mehrheit ein neues Aufsichtsziel bei der BaFin etabliert . Das haben wir immer unterstützt . Das müssen Sie jetzt aber auch strukturell mit Leben füllen . Das darf nicht irgendwie als Querschnittsaufgabe miterledigt werden, sondern es bedarf angemessener Ressourcen und hochrangigen Personals in der Behörde, damit das nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch in der Behördenwirklichkeit gelebt wird . ({6}) Die Kollegin Heil hat mit ihren interessanten Ausführungen zum Thema „manipulierte Tachos“ ein gesellschaftliches Großthema angesprochen . Ich möchte daher auch noch erwähnen, was wir als verbraucherpolitische Großthemen ansehen, bei denen wir finden, dass Sie dazu bisher nicht viel vorzuweisen haben . ({7}) Sie haben etwas zum Thema Finanzmarkt unternommen . Das sehen wir auch . Man kann sich vielleicht noch darüber streiten, wie man es besser machen kann . Es gibt aber drei Themen, die Sie bisher gar nicht beackert haben . Dies betrifft zunächst den nachhaltigen Konsum . Dabei ist seit vielen Jahren, eigentlich seitdem Renate aufgrund blöder Mehrheiten leider etwas anderes machen muss, wirklich nichts mehr passiert . ({8}) Wo sind denn Ihre Ansätze zur Eindämmung der Siegelflut? Was haben Sie denn zum Thema „geplante Obsoleszenz“ zu sagen? ({9}) - Offensichtlich regt Sie das furchtbar auf . Sie könnten aber auch einmal antworten . Was haben Sie denn zum Thema „geplante Obsoleszenz“ zu sagen? ({10}) - Das habe ich auch nicht gemacht . Stellen Sie doch eine Zwischenfrage und pöbeln Sie nicht . Das wäre doch ein angemessener Umgang . ({11}) Wie schätzen Sie denn das Potenzial grüner Geldanlagen für die Transformation unserer Wirtschaft ein? Wo sind Ihre Antworten darauf? Dazu haben wir seit vielen Jahren keine Antwort von Ihnen gehört . ({12}) Wir finden, wenn Sie sich mit dem Thema Verhaltensökonomie befassen, müssen Sie auch die Frage beantworten, was diese für nachhaltige Konsummuster leisten können muss . Die Umwelt ist eine große Leerstelle in der sozialdemokratischen Politik in dieser Legislaturperiode . Das gilt leider nicht nur für das Verbraucherschutzministerium, sondern auch für andere Ressorts . ({13}) Ein weiterer Punkt, den ich wichtig finde und den ein Verbraucherschutz- und Justizminister meines Erachtens bearbeiten müsste, bezieht sich auf Big Data . Natürlich ist es schwer, wenn man gerade die Vorratsdatenspeicherung und damit quasi staatliches Schnüffeln etabliert hat, sich dann Gedanken zu machen, wie man die Bürger davor schützen kann, seitens der Privatwirtschaft ausgeschnüffelt zu werden . Trotzdem erwarte ich von diesem Minister, dass er sich Gedanken macht und dass er Vorschläge macht, wie wir mit dieser allumfassenden Datensammlung über unser persönliches Leben umgehen . Das fängt ja an bei den smarten kleinen Armbändern, die Herzschlag, Bewegung, Kalorienverbrauch und alles Mögliche messen . Was passiert mit diesen Daten? ({14}) Welche Versicherungskonzerne interessieren sich dafür? Wer hat Interesse an diesen Daten? Sie glauben doch selbst nicht, dass die einfach auf Jahre hin ungenutzt bei den Konzernen liegen . Wenn Sie das doch glauben, zeigt das, dass in diesem Bereich bei der Union offensichtlich eine Leerstelle an Diskurs besteht . ({15}) Ein Punkt, bei dem Frau Heil und ich uns vielleicht sogar einig sind, ist, dass, wie wir beide finden, die neue Rolle der Verbraucherinnen und Verbraucher in der Sharing Economy diskutiert werden muss . Wenn Sie aber sagen: „Das ist uns sehr wichtig . Wir haben uns darüber Gedanken gemacht“, dann frage ich mich schon, warum wir diese ganzen guten Gedanken nicht kennen . Die Legislatur läuft nicht erst seit gestern, und so könnte man allmählich einmal damit anfangen, konkrete Projekte zu diskutieren . ({16}) Es gibt das Kleinanlegerschutzgesetz . Da hat man einen ersten Schritt getan und sich überlegt, was man beim Thema Crowdfunding regulieren kann . Man könnte da ganz konkret in die politische Debatte einsteigen . Außer Überschriften habe ich aber von Ihnen nichts gehört . Dabei sind Sie ja auch nicht erst seit gestern verbraucherpolitische Sprecherin . All das ist, wie wir finden, ein bisschen dürftig. Bei den Zukunftsthemen, bei den wirklich großen Debatten Big Data, Sharing Economy, nachhaltiger Konsum -, da sind Sie blank ohne Ende, und das finde ich ziemlich traurig . ({17}) Vielleicht ein letzter Wunsch: Das mit den Tachos finde ich super, aber Big Data, Sharing Economy, nachhaltiger Konsum fänden wir noch ein bisschen wichtiger . ({18}) Vielen Dank . ({19})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Johannes Fechner für die SPD . ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Halbzeit der Legislaturperiode können wir festhalten, dass die Große Koalition in der Rechtspolitik enorm viel geleistet hat, viele wichtige Gesetze beschlossen hat, die von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen werden und die ihnen unmittelbare Vorteile bringen . ({0}) Ein erstes Beispiel ist die Änderung des Maklerrechtes . Nun hat der Besteller den Makler zu bezahlen . ({1}) Mit der Mietpreisbremse bewahren wir die Mieterinnen und Mieter vor explodierenden Mieten. Wir haben mit der Frauenquote ein wichtiges Stück Gleichberechtigung in der Privatwirtschaft geschaffen, ({2}) und im Strafrecht haben wir Strafbarkeitslücken geschlossen, um Kinder und Jugendliche besser vor Missbrauch zu schützen . Zur Halbzeit der Legislaturperiode ist also festzuhalten: Wir haben in diesen beiden Jahren viel erreicht für die Bürgerinnen und Bürger . Mein Dank geht an unseren äußerst aktiven Justizminister ({3}) und an alle, die intensiv an diesen Gesetzgebungsprozessen mitgewirkt haben . Es waren zwei gute und erfolgreiche Jahre für die Rechtspolitik, ({4}) und wir haben weiterhin viel vor . Ich will aber nicht verschweigen, dass die SPD-Fraktion in einigen Bereichen auch gerne mehr getan hätte . Wir hätten gerne die Ehe für alle eingeführt, ({5}) wir hätten gerne die Mietpreisbremse umfangreicher gestaltet, und wir hätten im Verbraucherschutz gerne einen gesetzlichen Deckel für die teilweise astronomisch gestiegenen Dispozinsen geschaffen . ({6}) Aber diese Regelungen hier sind sinnvoll und wichtig . Deswegen werden wir bei diesen Themen weiter am Ball bleiben . ({7}) Wir haben auch in der zweiten Halbzeit dieser Legislaturperiode noch viel vor . Wir wollen mit den Kollegen vom Sport ein Anti-Doping-Gesetz verabschieden, mit dem wir den Betrug im Sport endlich auch in Deutschland effektiv bekämpfen können . Wir wollen noch mehr für Mieterinnen und Mieter tun, indem wir die Berechnung der Mietspiegel auf eine breitere Basis stellen . Und wir wollen die kleinen und mittleren Handwerksbetriebe entlasten und ihnen helfen bzw . sie unterstützen, indem wir den sogenannten Handwerkerregress regeln, damit Handwerker, wenn sie mangelhaftes Material einbauen, nicht auf den hohen Schäden sitzen bleiben, die sie nicht verursacht haben . ({8}) Handeln müssen wir auch, wenn es darum geht, Menschen zu schützen, die in einer wehrlosen Lage sind, die ausgebeutet werden . Wenn bei uns in Deutschland Menschen ausgebeutet werden, etwa durch Zwangsprostitution, dann müssen wir handeln . Ich hoffe, dass wir schon bald eine sinnvolle strafrechtliche Regelung für diese Fälle beschließen, und zwar für alle Fälle unmenschlicher Ausbeutung: Menschenhandel, Zwangsprostitution und Ausbeutung jeglicher Art darf es in Deutschland nicht geben . Jeder, der dies tut, muss hart bestraft werden . Wir schaffen dafür die strafrechtlichen Voraussetzungen . ({9}) Allerdings helfen bekanntlich die besten Gesetze nichts, wenn wir zu wenig Personal zu ihrer Umsetzung haben . Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass auf unseren Vorschlag hin 3 000 Stellen bei der Bundespolizei und weitere 1 000 Stellen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geschaffen werden . ({10}) Angesichts der zunehmenden Ermittlungsverfahren im Bereich des islamistischen Terrorismus - Kollege Rohde hat schon darauf hingewiesen - ist auch wichtig, dass im Haushalt neue Stellen für den Generalbundesanwalt bewilligt wurden . Und wir stärken den Verbraucherschutz durch 15 Stellen bei der Verbraucherzentrale . Zudem stärken wir den Innovationsstandort Deutschland, indem wir 56 neue Stellen beim Deutschen Patent- und Markenamt schaffen . Das alles zeigt, dass wir bei diesen Behörden für mehr Personal sorgen, damit diese ihre wichtigen Aufgaben effektiv wahrnehmen können . Nicht ausreichend ist aus meiner Sicht die Personalausstattung beim Bundesgerichtshof, und zwar einerseits bei den Zivilsenaten aufgrund einer deutlichen Erhöhung der Anzahl der Verfahren durch die ZPO-Reform und andererseits bei den Ermittlungsrichtern, weil die Eingangszahlen bei Verfahren im Bereich des islamistischen Terrorismus deutlich angestiegen sind . Hier besteht in den Haushaltsberatungen Handlungsbedarf . Zum Schluss: Zu Recht steht im Mittelpunkt der politischen Diskussion derzeit die große Zahl an Flüchtlingen . Ein ausdrückliches Lob an den Justizminister, der in dieser Frage immer klar und deutlich Stellung bezogen hat gegen Fremdenfeindlichkeit . Ich fand, das war vorbildlich . Vielen Dank hierfür . ({11}) Leider kam und kommt es in Deutschland zu häufig zu fremdenfeindlichen Aktionen gegen Flüchtlinge . Ich glaube, es war richtig, dass wir eine härtere Bestrafung dieser Hasskriminalität ermöglicht haben durch einen neuen Strafzumessungsgrund, damit Rassisten stärker bestraft werden können, wenn sie Flüchtlinge angreifen, Unterkünfte in Brand stecken oder in diesem unsäglichen Umfang, wie wir ihn leider in Onlineforen erleben, menschenverachtende Hetze verbreiten . Das können wir nicht dulden, und es war richtig, hier das Strafgesetzbuch zu verschärfen und entsprechend abzuändern . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({12}) Dr . Johannes Fechner

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Volker Ullrich . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) Die Debatte um die Rechtspolitik steht im Mittelpunkt der Diskussion um den Einzelplan 07, und sie ist auch stets eine Standortbestimmung in der Frage: Welche Defizite haben wir in der Rechtsetzung, und wo muss der wertgebundene und wehrhafte Rechtsstaat nachsteuern, um ein wesentliches Ordnungsmerkmal unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bewahren, nämlich Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten? Dazu gehört, dass wir in der nächsten Sitzungswoche bereits den Gesetzentwurf über die Speicherung von Verbindungsdaten verabschieden . ({1}) Wir haben stets darauf hingewiesen, dass zur Aufklärung schwerer und schwerster Straftaten der wehrhafte Rechtsstaat Ermittlungsansätze nutzen muss, die sich in der digitalen Sphäre befinden, weil oftmals digitale Spuren der einzige Ermittlungsansatz sind und wir den Strafverfolgungsbehörden zumindest Waffengleichheit mit den Straftätern und damit Chancengleichheit zugestehen müssen . Das ist eine wesentliche Kernforderung unserer Justizpolitik . ({2}) Die Debatte darf aber auch heute nicht geführt werden, ohne auf die Vorkommnisse der letzten Wochen und Monate hinzuweisen . Es ist in vielerlei Umständen zu unerträglichen Ausschreitungen und Äußerungen von Hass, zu Hetze und zu Gewaltaufrufen gekommen . Es ist richtig - und da sind wir uns hier in diesem Hohen Hause einig -, dass der wehrhafte Rechtsstaat, alle demokratischen Parteien in diesem Bundestag, Gewalt, Hetze und Hass gegen Schwache und Verstöße gegen die Würde des Menschen auf das Schärfste verurteilen . Dazu gibt und darf es keine Alternative geben . ({3}) Wir haben im Frühjahr dieses Jahres den § 46 des Strafgesetzbuches reformiert und deutlich gemacht, dass rassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschenverachtende Beweggründe strafschärfend zu berücksichtigen sind . Einige haben damals angeführt, das sei doch nur Symbolpolitik, man bräuchte diese Regelung gar nicht . ({4}) Aber die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben bewiesen, dass der wehrhafte Rechtsstaat auch diese Strafzumessungsvorschriften braucht, weil er damit ein klares Signal aussendet, dass wir diese Umtriebe in diesem Land nicht dulden . ({5}) In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen, Herr Bundesminister Maas, für unsere Fraktion die vollste Unterstützung zusagen, wenn es darum geht, gegenüber Facebook, Twitter und anderen sozialen Netzwerken klar und deutlich zu sagen, dass Hass und Hetze sowie Aufrufe zu Gewalt in diesem Bereich nichts verloren haben . ({6}) Sicherlich ist festzustellen, dass die Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist und dass es auch in diesem Land erlaubt sein mag, unsinnige oder gar absurde Meinungen zu äußern. Aber die Meinungsfreiheit findet ihre Grenzen im Recht des anderen, dort, wo die Ehre, die Würde des Menschen durch Straftatbestände verletzt sind . Soziale Netzwerke mögen in einem anderen Land, aus einem anderen Rechtskreis heraus betrieben werden; sie stehen aber nicht außerhalb des Rechts, sondern müssen sich an das halten, was sie selbst in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorschreiben und was letzten Endes der Anstand gebietet: dass diese Kommentare ohne weitere Umstände gelöscht werden und dass das Internet kein Raum sein darf, in dem Hass und Gewaltfantasien ausgelebt werden . Wir dürfen es aber nicht bei Appellen belassen . Wir dürfen nicht nur die sozialen Netzwerke bitten, entsprechende Stellen zu löschen, sondern müssen auch dafür Sorge tragen, dass die Strafverfolgungsbehörden entsprechenden Hinweisen nachgehen können, dass in den Ländern bei Polizei und Justiz eine ordentliche Ausstattung vorhanden ist, um diese Umtriebe zu verfolgen und abzustellen . Auch das gebietet der wehrhafte Rechtsstaat . Ich glaube, wir müssen noch weiter gehen . Aus meiner Sicht brauchen wir auch die Wiedereinführung der Strafbarkeit der Sympathiewerbung für Terrororganisationen . Diese Strafvorschrift ist vor 13 Jahren aus dem Strafgesetzbuch getilgt worden . ({7}) Man muss aber feststellen, dass die Umstände dieser Tilgung möglicherweise nicht mehr in dem Maße tragen, dass wir sie auch heute als notwendig ansehen müssen . Meine Damen und Herren, Menschen strömen zu uns, weil sie vor dem „Islamischen Staat“ fliehen. Diese Menschen sollten nicht in ein Land kommen, welches Sympathiewerbung für diese Terrorbande nicht bestraft . ({8}) Wer Werbung für terroristische Organisationen betreibt, soll zukünftig wieder mit dem Staatsanwalt zu tun bekommen . Wichtig ist für uns auch der Kampf gegen die Schleuserkriminalität . ({9}) Allein in Bayern sind 2 500 entsprechende Ermittlungsverfahren anhängig . Fast 700 Tatverdächtige in Sachen Schleuserkriminalität befinden sich in Haft. ({10}) Wir haben einen überproportionalen Anstieg von Vorfällen, der zwischen 2010 und 2015 mittlerweile 250 Prozent beträgt . Der wehrhafte Rechtsstaat muss sich fragen: Wie gehen wir mit einem Kriminalitätsfeld um, welches mittlerweile zu Recht in die Nähe organisierter Kriminalität wie Drogenhandel, Waffenhandel und Menschenhandel gerückt wird? Wie gehen wir mit skrupellosen Banden um, die ihre Geschäfte auf dem Rücken der ärmsten Menschen machen? ({11}) Es ist ein richtiges Signal, wenn man fordert -

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wawzyniak?

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja .

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Keine Angst, ich frage nicht nach dem Tacho, sondern ich frage etwas zu dem Punkt, den Sie gerade angesprochen haben, nämlich zur Schleuserkriminalität . Sehen Sie es möglicherweise so, dass man den Schleusern das Geschäftsfeld entziehen könnte, indem man legale Zugangswege für Geflüchtete nach Deutschland schafft? ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Wawzyniak, wir bekämpfen diese terroristischen Gruppen, die mit den Ängsten und mit den Nöten der Menschen ein Geschäft machen . Wir kämpfen gegen die Menschen, die für viele Tausend Euros und Dollars die Ärmsten in Lastwagen sperren und über die Grenzen bringen oder Menschen auf Booten über das Mittelmeer schicken . ({0}) Deswegen brauchen wir eine Strafschärfung in diesem Bereich . § 96 des Aufenthaltsgesetzes sieht als Mindeststrafe lediglich eine Geldstrafe oder eine Strafe von einem Monat Freiheitsentzug vor . Das ist viel zu wenig . ({1}) Wir brauchen ein deutliches rechtspolitisches Signal, dass Schleuserkriminalität zur Schwerkriminalität gehört . Deswegen brauchen wir hier eine klare und deutliche Strafschärfung . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege, Frau Kollegin Maisch möchte ebenfalls eine Zwischenfrage stellen . ({0})

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Kollege, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen . - Ich würde gerne die Frage der Kollegin Wawzyniak wiederholen, weil ich glaube, dass sie nicht beantwortet wurde . ({0}) Was sagen Sie denn zu der Alternative zum Schleuserunwesen, indem man legale Zuwege für die schafft, die nach Deutschland flüchten wollen? ({1})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Maisch, man geht davon aus, dass dieses Jahr etwa 800 000 Menschen zu uns kommen, bei uns Zuflucht finden und bei uns aufgenommen werden, und zwar in einer Art und Weise, wie das kein anderes Land auf dieser Welt tut . ({0}) Die Menschen können über die Blaue Karte oder über die Beschäftigungsverordnung zu uns kommen . Wir gewähren Hunderttausenden Menschen Asyl und Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention . Es gibt genügend legale Wege, nach Deutschland, nach Europa zu kommen . ({1}) Was wir nicht brauchen, sind die Auswüchse des Schleuserunwesens . Wir bekämpfen diese Kriminalität, weil wir die Menschen schützen wollen . ({2}) Dr . Volker Ullrich Ich möchte auf den Umgang mit dem Thema „Asyl und Migration“ aus rechtspolitischer Sicht zu sprechen kommen . Das Grundrecht auf Asyl steht vor dem Hintergrund unserer Geschichte, vor dem Hintergrund der christlichen Nächstenliebe und Humanität in keiner Weise zur Disposition . ({3}) Wer aus politischen Gründen, aus rassischen Gründen oder aus religiösen Gründen verfolgt wird, der kann zu uns kommen, und er bekommt Schutz und Aufnahme . ({4}) Die Wahrheit ist allerdings auch, dass nicht jeder, der zu uns kommen möchte, auch zu uns kommen kann . Nicht jeder, der bei uns ist, wird auf Dauer ein Bleiberecht haben . Wir müssen die rechtlichen Regelungen in Bezug auf den Aufenthalt und die Gewährung von Asyl und Zuflucht auf den Prüfstand stellen und dafür sorgen, dass unser Land genügend Kapazitäten hat, um den wirklich Schutzbedürftigen und den Menschen mit Bleibeperspektive zu helfen . Das heißt auch, dass wir diejenigen, die keine Bleibeperspektive und keinen Asylgrund haben, bitten, in ihre Heimat zurückzukehren . Nur so können wir das Grundrecht auf Asyl auf Dauer aufrechterhalten . Das ist die Kehrseite der Medaille . ({5}) Deutschland ist im Augenblick für viele Menschen auf der Welt ein Sehnsuchtsort und ein Ort der Hoffnung, ein Ort der Weltoffenheit und der Toleranz . Dazu trägt auch unsere Verfassungsordnung bei, der ein freiheitlicher Gedanke zugrunde liegt, die Menschen akzeptiert, ihnen Würde und Mitgestaltung bietet, die aber auch durch ein hohes Maß an Rechtsstaatlichkeit geprägt ist . Es ist unsere Aufgabe, diese Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten und mit den notwendigen Maßnahmen zukunftsfest zu machen . Vielen Dank . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß . ({0})

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Maas! Uns alle beschäftigen in diesen Tagen die Bilder von Asylsuchenden in vollgestopften Zügen, von Asylsuchenden, die, untergebracht in Hallen oder anderen Notunterkünften, auf ihre Registrierung warten . Wir erleben, dass die deutschen Erstaufnahmestrukturen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen . Die EU-Länder diskutieren verstärkt darüber, wie sie mit den Flüchtlingen umgehen sollen . Ich denke, eine für alle befriedigende Lösung wird es wahrscheinlich - leider - so schnell nicht geben können . Ich bin deshalb froh darüber, dass sich viele Menschen engagiert in privaten Initiativen, in den Kommunen oder beim Technischen Hilfswerk um die Erstversorgung dieser Menschen kümmern . Oft tun sie sogar mehr als das . Doch wie geht es für die Asylsuchenden danach weiter? Wie sieht es mit Unterbringung, finanzieller Unterstützung, Zugang zu Arbeit und Bildung aus? Diese Fragen müssen möglichst schnell geklärt werden . Ein ganz zentraler Punkt dabei ist - das ist oft die Voraussetzung für eine Teilnahme am öffentlichen Leben - der Zugang zu einem Girokonto, der für uns ganz selbstverständlich ist . Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Finanzministerium haben im Sommer einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der europäischen Zahlungskontorichtlinien vorgelegt, um finanziell schwachen Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch Menschen ohne einen festen Wohnsitz künftig den Zugang zu einem Konto zu ermöglichen . Das ist dringend notwendig . Ich begrüße, dass die BaFin bereits jetzt die Vorgaben für Dokumente gelockert hat, um die Auszahlung von Sozialleistungen zu ermöglichen, eben auch an Asylsuchende . So flexibel und kreativ wie die BaFin in dem Fall reagiert hat, müssen wir sein, um auch in anderen Lebensbereichen Lösungen zu finden. Viele der Flüchtlinge sind der deutschen Sprache nicht oder noch nicht mächtig und schon allein deswegen verletzliche Verbraucher . Sie wissen, dass wir von der SPD ein differenzierteres Bild von der Verbraucherin oder dem Verbraucher haben . Stichpunkt Verbraucherinformation . Die Bundesregierung will auch 2016 viel Geld in die Hand nehmen, um die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken. Ein Großteil der Gelder fließt, wie von uns gefordert, in den Verbraucherzentrale Bundesverband für den Marktwächter Digitale Welt und für den Finanzmarktwächter, der bereits einige Male genannt worden ist . Neben anderen Projekten ist der Verbraucherschutz von Migranten, insbesondere in der digitalen Welt, ein Projekt im Titel „Information der Verbraucherinnen und Verbraucher“ . Bis zur zweiten und dritten Lesung des Haushaltsgesetzes müssen wir aber kritisch prüfen, ob die geplanten Gelder ausreichend hoch sind, ob die Projekte und Maßnahmen ausreichend informativ und transparent sind . Stichpunkt Verbraucherbildung . Die Zuwanderer müssen sich jetzt mit unserer Kultur auseinandersetzen und viele Kaufentscheidungen treffen . Fragen Sie sich einmal, wie Sie Ihre Entscheidungen treffen . Wahrscheinlich oftmals auf Empfehlung aus dem Freundes- oder Familienkreis . Da die Zuwanderer solche familiären Netzwerke hier nicht haben, müssen sie sich auch diesbezüglich neu orientierten. Das heißt, wir müssen Wege finden, diese Verbrauchergruppe zu unterstützen und zum Beispiel zu vermitteln, was bei Vertragsabschlüssen zu beachten ist . Dr . Volker Ullrich Neben der Flüchtlingsthematik treten andere verbraucherpolitische Themen - einige sind bereits angesprochen worden - in den Hintergrund: Eine positive Meldung lautete in der vergangenen Woche: Mietpreisbremse in Berlin wirkt . Der Aufbau der Marktwächter funktioniert gut, aber lautlos . Die Marktwächter haben ihre Arbeit aufgenommen . Die Finanzmarktwächter sollen im Besonderen Kleinanleger sowie Kredit- und Versicherungsnehmer besser vor unseriösen Anbietern und riskanten Finanzprodukten schützen. Das ist richtig; denn bei dem großen Angebot an Finanzprodukten verliert man schnell den Überblick . Thema Transparenz: Die Umsetzung der sogenannten Wohnimmobilienkreditrichtlinie steht an . Viele wichtige Punkte wie zum Beispiel eine Verpflichtung der Banken zu Warnhinweisen beim Übertritt in den Dispositionskredit, eine Verpflichtung zum Angebot kostengünstiger Alternativen oder die Verpflichtung der Banken, die Höhe der Dispozinsen auf ihrer Webseite deutlich sichtbar darzustellen, finden wir in dem Referentenentwurf. Ich hoffe, er erreicht bald als Gesetzentwurf den Bundestag . Nicht akzeptabel ist allerdings, dass einige Banken sich die entgangenen Gewinne jetzt beispielsweise durch die Erhöhung der Gebühren an Geldautomaten für sogenannte Fremdabheber zurückholen wollen . Ich denke, Abhebegebühren in Höhe von 4,50 Euro sind einfach unanständig für einen technischen Vorgang, der weniger als 1 Euro kostet . ({0}) Deshalb ist es wichtig, dass wir hier deckeln . Die Deckelung soll zukünftig verhindern, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn sie denn plötzlich im ländlichen Raum Geld brauchen und ihre Sparkasse, ihre Bank nicht finden, aber eben auch auf Reisen, an Flughäfen und auf Bahnhöfen nicht im Übermaß zur Kasse gebeten werden . Die Verbraucherpolitik, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, Stichwort „Übermaß“ - ein Blick auf die Uhr, bitte .

Elvira Drobinski-Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003705, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- steht nicht nur, aber insbesondere in Anbetracht der besonderen aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation vor Herausforderungen; sie sind einfach da. Diese müssen wir hier berücksichtigen . - Sie haben mich hier jetzt etwas irritiert, Herr Präsident . Lassen Sie uns deshalb gemeinsam prüfen, welche Verbesserungen wir für die zweite und dritte Lesung des Haushaltsgesetzes noch erreichen können . Danke für Ihre Aufmerksamkeit . - Herr Präsident, vielen Dank . ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letztem Redner zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz erteile ich das Wort dem Abgeordneten Klaus-Dieter Gröhler, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Klaus Dieter Gröhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Bevor ich als letzter Redner auf die ganz schlichten Zahlen des Einzelplans eingehe, lassen Sie mich mit einem Zitat aus einer Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung beginnen . Da heißt es: Das Recht sichert Frieden und gewährleistet Freiheit . Es verbietet Vergeltung und Faustrecht und dient so der Vorbeugung von Konflikten. Die Rechtsordnung sorgt dafür, dass Streitigkeiten friedlich in einem geregelten Verfahren ausgetragen werden . In der Bundesrepublik Deutschland leben die Menschen friedlich zusammen . Es herrschen Recht und Gesetz, wenn es auch keine perfekte Sicherheit vor dem Verbrechen gibt . Das ist keineswegs selbstverständlich . In vielen Ländern der Welt herrschen keine rechtsstaatlichen Verhältnisse . In einigen Staaten hat sich die Rechtsordnung förmlich aufgelöst . In sinnlosen Kriegen wird keine Rücksicht auf die wehrlose Zivilbevölkerung genommen . Der Text ist von der Bundeszentrale für politische Bildung 2009 veröffentlicht worden . Aber ich glaube, er ist heute so aktuell wie eigentlich nie zuvor, heute, wo wir feststellen müssen, dass viele Menschen zu uns kommen, nicht nur weil sie den Wohlstand suchen, sondern weil sie eben auch in Frieden und Freiheit und in einer rechtsstaatlichen Ordnung leben wollen . Übrigens sollten wir uns an der Stelle daran erinnern, dass vor 80 Jahren Menschen dieses Land verlassen haben, um überleben zu können, und dass noch vor 30 Jahren Menschen von dem einen Teil Berlins in den anderen flüchten mussten, um in Freiheit zu leben. Vielleicht sollte der eine oder andere, der heute meint, er müsse irgendwo protestieren, darüber einen ganz kleinen Moment nachdenken . ({0}) Die aktuelle Flüchtlingssituation, meine Damen und Herren, führt uns vielleicht auch wieder dahin, dass wir uns darüber klar werden, welche Qualität diese Rechtsstaatlichkeit eigentlich hat . Keiner von uns hat ja heute Angst vor staatlicher Willkür . Das ist auch ein angenehmes Stück Lebensqualität . Das ist natürlich auch eine Situation, die dazu beiträgt, dass dieses Land so erfolgreich ist . Dass dafür gesorgt wird, dass bei uns eben nicht das Recht des Stärkeren und kein religiös hergeleitetes Recht gilt, sondern dass wir der Gesetzgeber sind, dass die Rechtsprechung das Recht formt und die Staatsanwaltschaft dafür sorgt, dass dieses Recht notfalls auch mithilfe der Polizei durchgesetzt wird, das ist, glaube ich, etwas, worüber sich - wenn ich das einmal so sagen darf - Otto Normalverbraucher manchmal nicht genug Gedanken macht . Die Situation, in der wir im Moment sind, führt vielleicht auch dazu, dass man für einen kleinen Moment wieder darauf zurückgeführt wird, dass dieser Satz „Recht sichert Freiheit; Gerechtigkeit schafft Frieden“ für jeden Einzelnen von uns auch eine ganz wesentliche Basis ist . Ich glaube, wir werden auch gut daran tun - das wird eine sehr wesentliche Integrationsaufgabe sein -, diejenigen, die zu uns kommen und die bisher nicht in einer rechtsstaatlichen Situation gelebt haben, und diejenigen, die möglicherweise mit unserer Rechtsordnung gar nicht klarkommen, davon zu überzeugen, dass sie diese Rechtsordnung annehmen und dass sie sie am Ende des Tages auch aktiv mit uns leben müssen, wenn sie bei uns leben wollen . Wir werden auch denen, meine Damen und Herren, die meinen, Gewalt gegen Menschen oder Flüchtlingsunterkünfte verüben zu müssen, zeigen, dass der Rechtsstaat sich wehren kann und dass er es auch tun wird . Dass das Geld kostet, ist klar . Der Entwurf der Bundesregierung setzt in dieser Situation, wie ich finde, richtige Schwerpunkte und wird auch einer Sondersituation gerecht . Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die Generalbundesanwaltschaft im Haushaltsentwurf 16 neue Planstellen bekommt, nachdem wir 2015 bereits 6 Stellen zugebilligt hatten . Es wird auch zusätzliches Geld fließen. Ich war vor der Sommerpause zusammen mit dem Kollegen Dr . Lindner in Karlsruhe und habe mich über die Arbeitssituation beim Generalbundesanwalt und bei den Strafsenaten informieren können . Ich muss sagen - wenn ein Haushälter dies sagt, bedeutet das etwas -: Ich bin nicht sicher, ob diese Zahl an zusätzlichen Stellen wirklich ausreicht . Das werden wir uns in aller Ruhe anschauen müssen . Die Arbeitsbelastung, die ich dort wahrgenommen habe, ist immens . Die Anzahl der Vernehmungen und der Vorführungen hat sich dramatisch gesteigert . Es gibt eine Verdreifachung der Haftbefehle in 2014 gegenüber 2013 und noch einmal eine Verdoppelung in 2015 gegenüber 2014 . Die Zahlen muss man sich einmal sehr deutlich anschauen . Uns darf nicht passieren, dass jemand, der in den Nahen Osten gegangen ist und für IS gekämpft hat oder ihn unterstützt hat, nach Deutschland zurückkommt und wir aufgrund personeller Unterausstattung nicht in der Lage sind, diese Person zu verfolgen . Diese Leute müssen die gesamte Härte des Rechtsstaats erfahren . Dafür brauchen wir eine vernünftige personelle und finanzielle Ausstattung sowohl des Generalbundesanwalts als auch der Strafsenate beim BGH . ({1}) In diesen Kontext passt auch - darauf ist vorhin ausnahmsweise zu Recht von der Opposition, Herr Petzold, hingewiesen worden -, dass die Mittel für die Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit um 20 Prozent gesteigert werden und sieben neue Stellen entstehen, Stichwort Export von Recht made in Germany. Das ist auch eine Bekämpfung von Fluchtursachen . Wir werden in den weiteren Beratungen schauen müssen, Herr Bundesminister, ob man an der Stelle nicht noch einmal ein Stück drauflegen sollte. Denn ich glaube, dieses Geld ist gut investiert . Mein Koalitionskollege Dennis Rohde hat, wie ich finde, zu Recht darauf hingewiesen, dass es in diesen Zeiten aber noch andere Themen gibt und nicht nur die Flüchtlingsproblematik . Zu Recht hat er angesprochen, dass wir noch einmal Stellen beim Bundespatentamt aufsatteln, wenn ich das einmal so flapsig sagen darf. Es gibt 56 zusätzliche Stellen in 2016, nachdem wir ein Jahr zuvor im Haushalt 2015 schon 58 aufgesattelt haben . Damit sichern wir die Früchte des Wissenschaftsstandortes Deutschland . Wir haben ja vorhin gehört, dass sich die Ausgaben für Bildung und Forschung unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel verdoppelt haben . Dementsprechend gibt es auch mehr Innovationen und mehr Patentanmeldungen . Aber eines müssen wir auch sehen: Dieser zusätzliche Aufwuchs an Personal führt gerade einmal dazu, dass die neuen Patentanmeldungen abgearbeitet werden können; das heißt, es gibt keinen Abbau des Rückstandes . Auch darüber werden wir uns noch einmal sehr intensiv unterhalten müssen . Ein Wort noch zum Verbraucherschutz . 36 Millionen Euro stehen im Haushalt - das haben die Kollegen gelobt; natürlich haben wir im Koalitionsvertrag hier einen Schwerpunkt gesetzt -, das sind fast 5 Millionen Euro mehr als in 2015 . Der Verbraucherzentrale Bundesverband bekommt noch einmal fast 16 Stellen dazu . Damit wird der Verbraucherschutz noch ein Stück wirksamer . Dieses zarte Pflänzchen, das einmal unter Ludwig Erhard eingeführt wurde - 1964 wurde die Stiftung Warentest als erste Verbraucherschutzmaßnahme gegründet; es soll keiner sagen: Verbraucherschutz ist kein Herzensanliegen von CDU/CSU -, ist inzwischen zu einem üppigen Baum geworden . Aber eines will ich als Haushälter an dieser Stelle deutlich sagen: Ich glaube, wir werden im Frühjahr 2016, Herr Minister, eine Evaluierung vornehmen müssen . Wir haben jetzt zwei Jahre lang sehr intensiv Geld und Stellen in das Thema Verbraucherschutz gelenkt . Das ist okay; das steht im Koalitionsvertrag, gar keine Frage; es ist auch notwendig in einer Gesellschaft, die immer älter wird, die immer globaler und immer digitaler wird . Aber wir werden uns am Ende des Tages auch fragen müssen: Was haben wir damit tatsächlich erreicht? Mehr Geld und mehr Stellen bedeuten ja nicht automatisch, dass es besser geworden ist . Ich glaube, wir werden nach zwei Jahren einmal einen Schnitt machen und fragen müssen: Was haben wir erreicht? Wo sind Defizite abgebaut worden? Wo sind Defizite möglicherweise immer noch vorhanden? Ich bin nicht davon überzeugt, dass nur zusätzliches Geld und nur zusätzliche Stellen immer alles besser machen . ({2}) Das Bundesministerium hat uns bereits darauf hingewiesen, dass gegenüber dem Regierungsentwurf wohl noch einmal 6 Millionen Euro mehr gebraucht werden, und hat eine lange Liste vorgelegt . Der Kollege Claus hat vorhin gesagt, jede Festlegung auf „keine neue Staatsverschuldung“ behindere eine lebendige Parlamentsdebatte . Dem will ich ausdrücklich widersprechen, weil ich glaube, eine lebendige Parlamentsdebatte und eine lebendige Debatte in den Haushaltsberatungen, Herr Kollege, entstehen gerade dann, wenn man Deckungsvorschläge machen muss, wenn man eben nicht immer noch eine Million und noch eine Million oben draufsattelt, sondern wenn man schaut: „Was ist notwendiger als das andere?“, wenn man Schwerpunkte setzt und sich auch ein bisschen mit dem Geld, das man hat, bescheiden kann . Dann kann man nämlich wirklich politisch debattieren . Zu Ihrem Vorwurf von vorhin, wir würden uns, nur weil die Parteivorsitzenden sagen: „Wir wollen keine neuen Schulden machen“, fügen, sage ich Ihnen: Es ist Unionsgrundgen, dass wir keine neuen Schulden machen wollen . Das muss uns kein Parteivorsitzender sagen, sondern jeder Einzelne in unserer Fraktion ist davon völlig überzeugt; ich glaube, inzwischen sind es auch die Kollegen unseres sozialdemokratischen Koalitionspartners . Eine letzte Bemerkung, Herr Bundesminister, die etwas kritischer ausfällt . Ich habe mir einmal Ihre Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit angeschaut . Während Ihr Vorgänger im Jahr 2013 mit 155 000 Euro auskam, kam es bei Ihnen zu einer Steigerung um 519 Prozent . Ich will nur sagen: Das ist ein Thema, dem ich mich im Berichterstattergespräch sicherlich noch einmal ein ganz klein wenig widmen werde . ({3}) Dafür mag es gute Gründe geben; das will ich gar nicht in Abrede stellen . ({4}) Aber ich würde ganz gerne eine Begründung hören und erfahren, ob das denn tatsächlich so üppig ausfallen muss . Sonst, glaube ich, ist das ein guter Entwurf der Bundesregierung, sowohl zu diesem Einzelplan als auch zu den anderen . Ich freue mich auf die Beratung . Herzlichen Dank . ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06 . Ich erteile für die Bundesregierung das Wort Bundesminister Dr . Thomas de Maizière . ({0})

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Zitat beginnen - vielleicht erinnern Sie sich -: Jeder weiß, dass die Zuwanderung bei vielen Menschen starke Emotionen auslöst - gute und weniger gute . Gerade deswegen müssen wir darüber möglichst offen sprechen, möglichst unaufgeregt und realistisch. Häufig bleibt zu vieles unausgesprochen. . . . Wir müssen überall in der Gesellschaft über Zuwanderung und Zusammenleben in Deutschland reden - über die Chancen und über die Probleme . Und wir müssen handeln - und zwar ohne Angst und ohne Träumereien . Erfolgreich können wir nur dann handeln, wenn wir zwei Haltungen überwinden, die zu weit verbreitet sind: Wir müssen Unsicherheit und Angst überwinden, die manchmal zu Fremdenfeindschaft, zu Hass und Gewalt führen . Wir müssen eine falsch verstandene Ausländerfreundlichkeit überwinden, die so tut, als gebe es überhaupt keine Probleme und Konflikte, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben . ({0}) Das sagte Johannes Rau, der Altpräsident, in einer Rede einige haben sie gehört - zehn Jahre nach der deutschen Einheit . Heute bringe ich den Haushalt des BMI, des Bundesministeriums des Innern, für das kommende Jahr ein . Ich möchte meine Rede mit dem Thema beginnen: In welcher Haltung führen wir diese Debatte? Überall wird diskutiert . Die einen schauen vor allem auf die überwältigende Hilfsbereitschaft der Deutschen . Die anderen schauen vor allem auf die steigende Zahl von Anschlägen, auf Hass und Gewalt . ({1}) Dazwischen gibt es viele, die sich nicht äußern - oder nicht öffentlich . Viele denken an ihre eigene Geschichte von Flucht und Vertreibung und fragen: Was ist daran vergleichbar? Aber auch: Was nicht? Viele fragen: Wie soll das weitergehen? Gibt es eine Grenze unserer Aufnahmefähigkeit oder -bereitschaft? Wie wird sich das Gesicht unseres Landes im Lichte dieser Entwicklung ändern? Welche Chancen bietet die Aufnahme von Flüchtlingen unserem Land? Wie bringen wir die unterschiedlichen Religionen friedlich zusammen? Ja, wie bleibt es überhaupt friedlich? Das alles sind berechtigte Fragen; das sind wichtige Fragen für alle Menschen in unserem Land, und darüber müssen wir miteinander diskutieren . Dazu gehören Streit und Auseinandersetzung genauso wie Einheit, Unterstützung und Zusammenhalt . Bitte leugnen wir nicht die großen Herausforderungen, die nach der freundlichen Aufnahme im Alltag von morgen und übermorgen anstehen . Aber bitte erliegen wir auch nicht der Versuchung, das Problem so groß zu beschreiben - das können wir Deutschen immer am allerbesten: ein Problem groß zu beschreiben -, dass alle, die zuhören, schon den Mut verlieren, an Lösungen überhaupt erst zu arbeiten . Keine Angst und keine Träumereien: Ja, das könnte eine Haltung sein, die wir brauchen . Ich persönlich füge hinzu: Wir haben auf dem Evangelischen Kirchentag in Stuttgart das wunderbare Lied Vertraut den neuen Wegen gesungen . Ja, das sollten wir tun, ob wir mitsingen können oder nicht . Meine Damen und Herren, bei alledem, über das wir diskutieren und streiten, sollten wir in ein paar Überzeugungen einig sein: Erstens . Wer in diesem Land lebt, hat andere Menschen zu respektieren und deren Leben und Würde zu achten . ({2}) Wer in dieses Land kommt, hat ein Recht darauf, anständig behandelt und respektiert zu werden . ({3}) Wer das nicht akzeptiert, wer Hass verbreitet, wer Straftaten begeht und dazu aufruft, der kann weder Verständnis noch Toleranz erwarten . Zweitens . Wer in unser Land kommt, hat ebenfalls andere Menschen zu respektieren und unsere Gesetze zu achten . Das gilt auch für den Fall einer Verteilung innerhalb Europas oder auch nur innerhalb Deutschlands - ich sage das nicht ohne Grund -, und das gilt für den Fall der Anerkennung einer Bleibeperspektive in Deutschland genauso wie bei unserer Entscheidung, unser Land wieder verlassen zu müssen . Auch dann erwarten wir die Achtung unserer Gesetze . Drittens . Deutschland leistet seinen Beitrag - auch aus humanitärer Überzeugung -, aber niemand in Europa und darüber hinaus soll glauben, dass unser Land allein diese Aufgabe schultern wird oder auch nur will . Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen und Wochen haben wir im Innenministerium wesentliche Teile des Konzeptes erarbeitet, das der Koalitionsausschuss am Sonntag beschlossen hat . Ich will jetzt nicht über jede einzelne dieser Maßnahmen referieren; ich gehe davon aus, dass sie im Wesentlichen bekannt sind . Als Innenminister freue ich mich natürlich besonders über die Entscheidung, dass die Bundespolizei 3 000 neue Stellen bekommt . ({4}) Das ist eine großartige Antwort auf die Leistungen der Bundespolizei, eine notwendige Antwort auf die Belastung der Bundespolizei und ein gutes Signal an die Länder, Gleiches oder Ähnliches zu tun . ({5}) Für mich ist wichtig - ohne dass ich jetzt die Einzelheiten referiere -, dass wir über ein paar Grundsätze sprechen, die hinter diesen Maßnahmen stehen: Einer dieser Grundsätze ist, dass wir zwischen den Menschen unterscheiden, die zu uns kommen . Wir unterscheiden zwischen jenen, die wegen Krieg und Verfolgung Aussicht auf Asyl haben, und denen, die keine Chance auf eine Zukunft in Deutschland haben . Viele Menschen brauchen Schutz vor Krieg und Vertreibung . Wir werden diese Menschen - es werden viele Hunderttausend sein - aufnehmen und ihnen helfen, sich bei uns zu integrieren . Aber auch hier muss ich diesen und allen Beteiligten sagen: Bitte etwas Geduld! All das geht nicht über Nacht . Viele Antragsteller haben aber auch keine Perspektive, in Deutschland zu bleiben . Sie werden unser Land verlassen müssen . Beides gehört zusammen, und beides hat Folgen . Wer aus einem sicheren Land kommt, der soll während des Asylverfahrens anders behandelt werden können als jemand aus einem Kriegsgebiet, zum Beispiel in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben müssen und gar nicht erst auf die Kommunen verteilt werden, damit sein Verfahren schnell bearbeitet werden kann . Wer nach einem abgeschlossenen Asylverfahren ausreisen muss, der soll weniger Leistungen bekommen als jemand, der dauerhaft hierbleiben darf . Ich glaube, auch das ist ein wichtiger, allerdings neuer Grundsatz, den wir Sonntag beschlossen haben . ({6}) Diese Unterscheidung ist die Voraussetzung für eine breite Akzeptanz des Grundrechts auf Asyl in unserer Bevölkerung . Sie ist notwendig für die Erhaltung der Aufnahmekapazitäten in unserem Land . Auf Dauer kann ein Land wie Deutschland 800 000 Flüchtlinge im Jahr nicht aufnehmen und integrieren . Auch das ist Teil einer offenen Diskussion . Wir werden also versuchen müssen, die Zahl der zu uns kommenden Flüchtlinge zu senken . Wir werden dafür unsere Außenund Entwicklungspolitik stärker auf die Bekämpfung der Fluchtursachen in den wichtigsten Herkunftsländern konzentrieren müssen: national genauso wie auf der Ebene der Europäischen Union . Beim Treffen der europäischen Innenminister am nächsten Montag werde ich dafür eintreten, dass Europa endlich zu einem gemeinsamen Vorgehen findet. Dazu gehört die unverzügliche und schnelle Einrichtung der Hotspots, und dazu gehört die faire Verteilung schutzbedürftiger Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union . Ich sage auch: Wenn es zu einer solchen Verteilung kommt, heißt Verteilung auch Verteilung . Wir werden nicht den Asylbewerbern, die nach Deutschland kommen, obwohl sie auf ein anderes Land verteilt wurden, bei uns Asylbewerberleistungen geben, sondern sie an das Land verweisen, in das sie verteilt worden sind . Sonst macht Verteilung nämlich überhaupt keinen Sinn . Meine Damen und Herren, wir werden jetzt all dies und noch viel mehr mit den Ländern verhandeln . Wir Bundesminister Dr . Thomas de Maizière hoffen, dass wir dann Ende September ein Gesetzespaket zusammen haben . Wir hoffen, dass wir dieses Gesetzespaket dann sehr schnell in den Deutschen Bundestag einbringen . Ich möchte den Bundestag schon jetzt bitten, dieses Gesetzespaket so gründlich wie möglich, aber auch so schnell wie möglich so zu beraten, dass wir noch im Oktober die zweite und dritte Lesung durchführen können . Die Bundeskanzlerin hat es schon gesagt: Wenn es uns in zwei oder drei Wochen gelingt, durch Gesetzgebung Banken zu retten, dann sollten wir uns auch hier anstrengen, die Verfahren so durchzuführen, dass wir das in einem Gesetzespaket im Oktober zu Ende beraten . ({7}) Trotz der Sorge wegen des Themas Flüchtlinge müssen und werden wir natürlich auch die anderen Aufgaben erfüllen . Ich nenne aus Zeitgründen nur ganz wenige: die Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität, der Kampf gegen den Wohnungseinbruch, die Digitalisierung unserer Gesellschaft mit all den Herausforderungen, die dazugehören . Der versuchte Anschlag im Schnellzug Thalys in Frankreich hat uns allen vor Augen geführt, dass es beim Terrorismus keine Pause gibt, auch wenn wir vielleicht gerade von dem Flüchtlingsproblem absorbiert sein könnten . Zur Sicherheit gehören auch der Cyberraum und das Internet . Das haben wir hier im Bundestag und auch anderswo in den letzten Monaten erfahren müssen . Die Fragen rund um die Informationstechnik erfordern eine stärkere zentrale Koordinierung . Wir bündeln viele dieser Aufgaben im Bundesinnenministerium ab 1 . Oktober unter einem eigens dafür zuständigen Staatssekretär . Alle diese Themen finden im vorgelegten Haushalt ihre erforderliche und angemessene Berücksichtigung . Ich bitte neben der Konzentration auf das Flüchtlingsthema auch dazu um eine umfassende gute, gründliche und konstruktive Beratung . Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf das Flüchtlingsthema zurückkommen und das mit der Frage verbinden, wie wir an das Thema herangehen . Ich will das am Beispiel der Standarderleichterung tun . Das klingt so technisch . Wir hatten nach der deutschen Einheit ein schreckliches Wortungetüm . Das hieß - Sie werden sich erinnern - Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz . Das kam ziemlich technisch daher, aber es war eine Schlüsselvoraussetzung für den Aufbau der Infrastruktur in den ostdeutschen Ländern . Das, was wir jetzt „Standarderleichterungsgesetz“ oder „Standardbeschleunigungsgesetz“ nennen, kommt auch ziemlich technisch daher . Sie werden sich noch wundern, wie viele Paragrafen wir da anfassen: im Bauplanungsrecht, im Immissionsschutz, in der Energieeinsparverordnung und, und, und . Was steckt dahinter? Dahinter steckt gerade angesichts der Flüchtlingskrise ich nenne es jetzt einmal so -, die wir vor uns haben, Folgendes: Manche glauben, das Leben sei dann gut abgeschlossen oder ein Tag gut zu Ende geführt, wenn wir uns einig sind, dass wir Vorschriften eingehalten haben . Ich glaube das nicht . Ich glaube, dass ein Tag dann gut zu Ende geht und wir dann gute Arbeit geleistet haben, wenn wir sagen können: Wir haben eine Aufgabe gelöst und dabei auch Vorschriften beachtet . Was die Flüchtlingskrise anbelangt: Das Wort „Krise“ kommt aus dem Griechischen und hat zwei Bedeutungen, Chance und Risiko. - Die Chinesen kennen das; bei ihnen gibt es dafür auch einen Ausdruck . - Wir betrachten gerne die Risiken . Das Thema „Standarderleichterung“ ist nur ein Beispiel . Es gibt aber viele andere Aspekte, zum Beispiel die Integration von qualifizierten Asylbewerbern und Flüchtlingen in unseren Arbeitsmarkt . Da liegen - gerade für junge Menschen und junge Familien - Chancen . Wenn es uns gelänge, das Thema „Flüchtlingskrise“ nicht nur unter dem Gesichtspunkt nicht zu leugnenderRisiken - Johannes Rau hat gesagt: „Und wir müssen handeln - und zwar ohne Angst und ohne Träumereien“ -, sondern auch unter dem Blickwinkel der Chancen zu diskutieren, wenn wir eine Mentalität entwickeln würden, nicht nur darauf zu schauen, ob wir auch die Vorschriften einhalten, sondern eine Aufgabe zu lösen, dann läge in dem, was vor uns steht, eine verdammt große Chance . Wir sollten sie nutzen . ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Jan Korte, Fraktion Die Linke . ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich daran anknüpfen, glaube aber, dass das Einerseits-andererseits in der Situation, in der wir uns befinden, leider nicht mehr angemessen ist. Im Herbst 2015 erleben wir ein mehrfach gespaltenes Land . Herr Innenminister, Sie haben zwei Vorgänge angesprochen . Auf der einen Seite gab es eine großartige Welle von Solidarität mit Flüchtlingen und Mitmenschlichkeit - man kann auch „Nächstenliebe“ sagen . Ich denke dabei an München, Saalfeld oder meinen Wahlkreis, wo Sportvereine Lauftraining für Flüchtlinge organisieren . Auf der anderen Seite ist es aber so, dass jeden Tag eine Unterkunft angezündet und abgefackelt wird und dass es in den sozialen Medien geradezu Vernichtungsphantasien nachzulesen gibt . Es gibt - das haben Sie, wie heute schon viele Redner, erwähnt - das Bild des kleinen Aylan Kurdi, das uns alle mehr als bewegt hat . Jedoch gibt es eine genauso schlimme Fortsetzung . Jeden Tag ertrinken Flüchtlinge im Mittelmeer, Frauen, Kinder und Männer . Es geht einfach so weiter . Und Sie weigern sich, endlich die richtige Antwort zu geben, nämlich legale und sichere Einreisewege zu erlauben . Das wäre eine Antwort der Menschlichkeit . ({0}) In dieser Woche ist es, glaube ich, in der Tat für alle hier im Hause von entscheidender Bedeutung, sich zu entscheiden, wo man steht . Sag mir, wo du stehst? Das ist in dieser Woche die entscheidende Frage, die Sie beBundesminister Dr . Thomas de Maizière antworten müssen, vor allem Sie, liebe Freunde von der CSU . Denn es gibt im etablierten Politikbetrieb - ich will es einmal zuspitzen - zwei Möglichkeiten: Entweder machen Sie es wie die Landesregierung in Thüringen, die versucht, auch in der etablierten Politik eine Willkommenskultur zu leben, bei der selbst der Ministerpräsident die Flüchtlinge am Bahnhof begrüßt . Oder Sie machen es wie Teile der CSU . Ich will das mit Zitaten belegen . Ihr Generalsekretär Scheuer - ich darf zitieren - sagt: Der massenhafte Zustrom von Flüchtlingen nur nach Deutschland muss gestoppt werden . Horst Seehofer, der bayerische Ministerpräsident, sagt: Wir sind nicht das Sozialamt für den Balkan . Und der bayerische Innenminister Herrmann, der ja gerade als besonders kompetenter Integrationsexperte aufgefallen ist, sagt zu der richtigen Entscheidung der Bundesregierung, die Flüchtlinge aus Ungarn einreisen zu lassen, dass dies - Zitat - „ein völlig falsches Signal innerhalb Europas“ sei . Sie müssen sich entscheiden, ob Sie weiter rumzündeln oder bei denen stehen wollen, die Solidarität und Nächstenliebe großschreiben . Das ist die entscheidende Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({1}) In diesem Zusammenhang - auch weil Sie, Kollege Spahn, gerade anwesend sind; das richtet sich aber auch an die Kollegin Schröder und an meine alte Bekannte, Erika Steinbach - sage ich: Diejenigen, die im Kern aus Unterkünften für Menschen Krematorien machen wollen, auch nur ansatzweise mit denen in eine Reihe zu stellen, die sich davorstellen, um dies zu verhindern, die elendige Gleichsetzung von links und rechts muss sofort aufhören . Dafür ist im Übrigen auch eine Entschuldigung fällig, um das klar zu sagen . ({2}) Aber in der Innenpolitik läuft es insgesamt nicht gut . Sie können sich das nicht vorstellen; ({3}) aber ich will versuchen, nachzuweisen, dass es auch sonst in der Innenpolitik nicht gut läuft . Wir hatten die NSA-Affäre . Was heißt, wir hatten? Sie läuft Tag für Tag weiter . Aufklärung durch die Bundesregierung und den Innenminister: Völlige Fehlanzeige! Handyüberwachung, Wirtschaftsspionage und die Beihilfe der deutschen Dienste: Auch das war folgenlos . Es geht alles so weiter . Dann gab es im Sommer einen der größten Knaller in Ihrer Amtszeit . Wenn kritische Journalisten erfreulicherweise darüber berichten, was Sie uns nicht sagen weder dem Parlament noch der Öffentlichkeit -, dass nämlich die Überwachungsinfrastruktur in einem kaum noch fassbaren Ausmaß immer weiter ausgebaut wird, dann wird beim Bundesamt für Verfassungsschutz durch seinen Präsidenten die ganz große Keule herausgeholt, übrigens ein Relikt aus den 50er- und 60er-Jahren, und Herr Maaßen erstattet Anzeige wegen Landesverrat . Ich sage - Sie haben das auch schon auf Anfragen der Grünen und der Linken eingeräumt -: Natürlich wussten das BMI und das Kanzleramt, was dort abläuft und was geplant worden ist . Präsident Maaßen, mit dem ich mich oft und gerne streite, ist ein sehr, sehr deutscher Beamter, und bei solch einem schwerwiegenden Vorgang ist es schlicht nicht zu glauben, dass der oberste Dienstherr und das Kanzleramt das nicht wussten und nicht involviert waren . Dazu kam von Ihnen hier und auch vorher nichts . Es ist das Mindeste, sich dafür zu entschuldigen und die Landesverratsbestimmungen dahin zu befördern, wohin sie gehören, nämlich auf den Müllhaufen der Geschichte ({4}) Es läuft in der Innenpolitik in der Tat sehr viel schief . Ich habe leider nur wenig Redezeit . ({5}) Man könnte noch so viel sagen, nämlich dass ausgerechnet in dieser Situation das Bundesamt für Verfassungsschutz erneut 20 Millionen Euro mehr bekommt . In zwei Jahren bekommt es 45 Millionen Euro mehr . Dabei ist es weiter intransparent . Wir können leider nicht im Detail miteinander diskutieren, an welchen Stellen wir es für sinnvoll und an welchen Stellen wir es für unsinnig halten; denn es wird weiter alles unter Verschluss gehalten. Der Einzelplan 06 ist ein in Zahlen gegossenes Dokument einer grundsätzlich verkehrten Richtung in der Innenpolitik . Schalten Sie um auf mehr Solidarität, mehr Grundrechte und mehr Datenschutz! Denn das führt zu einer offeneren Gesellschaft, und die brauchen wir . Wann, wenn nicht jetzt? Vielen Dank . ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Eva Högl, SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch ich möchte mit einem Zitat beginnen, mit einem schönen Satz, wie ich finde: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht .“ Das ist Artikel 16 a unseres Grundgesetzes, und dieser Satz ist für uns alle ein Bekenntnis . Er drückt die Werte aus, denen wir uns verbunden fühlen und die wichtig für uns sind . Er ist für uns auch eine Verpflichtung, danach zu handeln. Er drückt das Recht unseres Rechtsstaats aus und ist Ausdruck unserer tief empfundenen Humanität und Menschlichkeit . ({0}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, freue ich mich sehr, dass wir im Deutschen Bundestag eine sehr große Einigkeit - ich hoffe sogar, Einstimmigkeit - haben, angesichts der aktuellen Debatte diesen Artikel 16 a Grundgesetz so zu lassen, wie er ist . ({1}) Das ist unser Grundrecht auf Asyl, unsere Verpflichtung und unser Ausdruck von Werten und von Menschlichkeit . Ich freue mich über diese Einigkeit, weil wir Anfang der 90er-Jahre eine ganz andere Debatte hatten, und hoffe sehr, dass es dabei bleibt . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten Wochen und Monaten und vor allem am letzten Wochenende gesehen, dass viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land diesen Satz mit Leben füllen, indem sie Flüchtlinge willkommen heißen . Überall dort, wo die Flüchtlinge ankommen und wo sie untergebracht werden müssen, stehen Menschen hilfreich zur Seite, spenden Geld und Sachmittel, verteilen Essen und Trinken und helfen dort, wo sie können . Das ist ein wirklich tolles zivilgesellschaftliches Engagement . Es ist an dieser Stelle mehr als angebracht, dafür ganz herzlich Dankeschön zu sagen . ({3}) Wir sagen Danke allen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern . Ich möchte aber auch ausdrücklich all denjenigen Danke sagen, die mit hoher Professionalität helfen . Ich meine damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks, des Deutschen Roten Kreuzes, der Kirchen, der Sozialeinrichtungen und der Wohlfahrtsverbände sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, auf die sonst viel geschimpft wird, die uns aber mit ihrem Engagement und ihrer Hilfe für Flüchtlinge Anlass geben, stolz zu sein . Auch dafür herzlichen Dank! ({4}) Wir alle, die wir heute in erster Lesung über den Haushalt sowie über Flucht und Migration diskutieren, wissen, dass wir weiterhin damit werden umgehen müssen, dass Menschen ihre Heimat verlassen und zu uns kommen . Sie fliehen vor Krieg, Terror und Gewalt und suchen bei uns Frieden und Schutz sowie eine Perspektive für sich und ihre Familien. Ja, Menschen fliehen auch vor Hunger und Armut . Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht . Diese Zahl können wir kaum erfassen . Diese Zahl wird hoch bleiben . Ja, wir werden hier in Deutschland viele dieser Menschen aufnehmen und ihnen eine Perspektive geben . Wenn wir nicht wollen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, dass sie in Lkws ersticken und dass sie auf Schlepper angewiesen sind - auch diejenigen, die bei uns eine Bleibeperspektive haben, sind auf solche Wege bislang angewiesen, zum Beispiel die Syrerinnen und Syrer genauso wie die Menschen aus Afghanistan, die zu fast 100 Prozent bei uns Asylrecht bekommen -, und wenn wir die entsprechenden Bilder nicht länger ertragen können, dann müssen wir so ehrlich sein, zuzugeben, dass wir eine völlig andere Asylpolitik betreiben müssen, und zwar in Gesamteuropa; das gehört zur Wahrheit. Wir brauchen legale Wege nach Europa, wenn wir diese Bilder nicht länger ertragen und die Menschen nicht in den Tod schicken wollen . ({5}) Herr Minister, Europa wird sich darüber Gedanken machen müssen, wie es die Außengrenzen sichern und gleichzeitig die Innengrenzen weiterhin transparent halten und das Schengen-System erhalten kann . Ich sage noch etwas, was mir nicht leicht über die Lippen geht, was aber zur Wahrheit gehört . Wir wissen ganz genau, dass nicht alle Menschen, die verfolgt werden und auf der Flucht sind, zu uns kommen können . Nicht alle können kommen, und nicht alle können wir so herzlich willkommen heißen, wie wir das in den letzten Wochen und Monaten getan haben . Nicht alle Menschen können bleiben . Auch darüber müssen wir uns sehr sorgfältig Gedanken machen . Deswegen halte ich es für unbedingt erforderlich - das ist für mich eine der wichtigsten Forderungen bei den Diskussionen über die Maßnahmen, die wir demnächst beschließen und ergreifen werden -, die Asylverfahren zu beschleunigen . ({6}) Die Menschen müssen schnell eine Antwort darauf bekommen, ob sie hier bleiben dürfen oder ob sie unser Land wieder verlassen müssen, ob sie hier Schutz bekommen oder nicht . Für diejenigen, die hier Schutz bekommen und denen wir hier Frieden und eine Perspektive geben, müssen wir mehr und schneller etwas tun, wenn es um ihre Integration geht . Diese Menschen dürfen wir nicht vertrösten und ihnen sagen: Geduldet euch! - Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, Herr Minister, dass das nicht von heute auf morgen geht . Aber auch hier müssen wir schneller und besser werden, sodass die betreffenden Menschen eine Perspektive bekommen . Wir stehen vor einer großen Herausforderung . Aber ich sage heute genauso deutlich: Wir sind nicht überfordert . Wir schaffen das in Deutschland . ({7}) Wir können das mit einer gemeinsamen gewaltigen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen schaffen . Auch in Europa ist eine gemeinsame Kraftanstrengung notwendig . Wir legen in der heutigen Debatte dafür die Grundlagen . Der Haushalt, über den wir in erster Lesung beraten, ist schon jetzt Makulatur . Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen darüber diskutieren, an welchen Stellen wir mehr Mittel brauchen und wie wir aufstocken . Aber wir bringen nun ein gutes Paket auf den Weg . Ich begrüße ausdrücklich die Beschlüsse des Koalitionsausschusses von Sonntagabend . Ich halte das für ein hervorragendes Papier . Auf sieben Seiten steht viel Richtiges und Wichtiges . Für mich stellt dieses Papier eine gute Grundlage für die weitere Diskussion und die vor uns liegende gewaltige Kraftanstrengung dar . ({8}) Dr . Eva Högl Neben Aufnahme, Unterbringung und gesundheitlicher Versorgung der Flüchtlinge halte ich - wie bereits angedeutet - kürzere und schnellere Verfahren für erforderlich . Deswegen ist es wichtig, dass wir die Mittel für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weiter aufstocken . Wir werden noch mehr Entscheiderinnen und Entscheider brauchen, vermutlich sogar noch mehr, als wir bereits beschlossen haben . Auch ich habe keine Glaskugel; aber es ist absehbar, dass noch mehr Menschen kommen, und diese Menschen brauchen eine schnelle Entscheidung . Ich begrüße ausdrücklich, dass die SPD-Forderung aufgenommen wurde, bei der Bundespolizei ganz kräftig aufzustocken, nämlich um 3 000 Stellen . Das ist eine richtige und wichtige Entscheidung . Die Bundespolizei braucht unsere Unterstützung . Sie leistet gute Arbeit und kann auch hier einen ganz wichtigen Beitrag leisten . Mit diesen 3 000 Stellen legen wir dafür eine gute Grundlage . Ich habe es schon angedeutet: Wir müssen noch mehr tun für die Integration derjenigen in den Arbeitsmarkt, die bleiben können, und auch für die Sprachförderung . Ich möchte zu einem Punkt kommen, der mir in dieser Debatte ebenfalls sehr wichtig ist . Ich sagte schon: Nicht alle können kommen; nicht alle können bleiben. Aber wir müssen uns hier im Deutschen Bundestag weiter darüber unterhalten, dass viele Menschen zu uns kommen, die vor Hunger, wirtschaftlicher Not und Armut fliehen, die für sich und ihre Familien eine Perspektive wollen und die nicht politisch verfolgt sind, aber trotzdem in unserer Gesellschaft, in unserem Land eine Perspektive bekommen können. Darüber müssen wir uns verständigen; auch das gehört zur Politik für Flüchtlinge und zum Thema Einwanderung . Ich wünsche mir, dass dies der Auftakt zu einer Debatte darüber ist, wem wir über diejenigen hinaus, die ohnehin kommen, eine Perspektive geben . Denn wir können unseren Wohlstand, die Lebensqualität unserer Gesellschaft nur sichern, wenn wir Einwanderung haben . Einwanderung ist essenziell erforderlich für unsere Gesellschaft . Zu uns kommen viele Menschen, auch solche, die nicht politisch verfolgt sind, die qualifiziert sind, die hoch motiviert sind, die lernen wollen, die unsere Sprache sprechen wollen, die sich in unsere Gesellschaft integrieren wollen, die arbeiten wollen, die ein neues Leben suchen und eine neue Perspektive . Auch sie sollten wir herzlich willkommen heißen . Ich möchte noch eine Bemerkung zum Thema „Rechtsextremismus und Hass“ machen. Das ist natürlich die Kehrseite dessen, worüber wir zuletzt gesprochen haben . Was die Willkommenskultur angeht, haben wir jetzt eine ganz andere Situation als Anfang der 90er-Jahre . Aber während wir über unsere Willkommenskultur sprechen, brennen Unterkünfte für Flüchtlinge, werden Anschläge verübt . Deswegen brauchen wir - das ist heute schon gesagt worden; ich erwähne es noch einmal - ein konsequentes Vorgehen . Notwendig sind sofortige Aktivitäten der Polizei, der Staatsanwaltschaft . Wir müssen auch in diesem Bereich die Mittel aufstocken, damit wir Hassund Gewalttätern keinen Platz einräumen . Dafür ist in unserer Gesellschaft kein Raum . Auch da müssen wir konsequent handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen . Das gehört zur Wahrheit hinzu . Mir ist ein weiterer Aspekt sehr wichtig: Wenn wir für Vielfalt, Toleranz und unsere Demokratie werben wollen, dann müssen wir mehr in Prävention, in unsere Demokratie, in das, was unsere Demokratie ausmacht, investieren, und dann müssen wir auch sämtliche Projekte, Programme und Träger, die die Demokratie befördern, besser und konsequenter ausstatten . Auch beim Haushalt der Bundeszentrale für politische Bildung kann vielleicht eine Schippe draufgelegt werden; denn auch sie leistet viel für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft . ({9}) Ich freue mich, wenn wir hier große Einigkeit haben, und ich freue mich auf die weiteren Debatten . Ich denke, wir haben hiermit eine gute Grundlage für die weitere Diskussion über Flüchtlinge und Einwanderung gelegt . Herzlichen Dank . ({10})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Anja Hajduk, Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen .

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beim Thema Flüchtlinge ist gerade Einigkeit beschworen worden . Bei aller vorhandenen Einigkeit über die Bereitschaft, Flüchtlinge gut aufzunehmen und zu versorgen, möchte ich doch einmal darauf hinweisen, dass wir nicht vergessen dürfen, dass wir uns bei dieser Aufgabe - wir Grünen werden uns daran beteiligen, und wir werden lösungsorientiert mitarbeiten - aber auch darauf verlassen können wollen, dass sie gut gemanagt wird . Es reicht nicht, wenn wir uns hier zurufen: Wir schaffen das . - Das ist eine gute Botschaft an die Gesellschaft . Wenn ich mir aber die Zahlen anschaue, die verdeutlichen, was in den letzten Monaten geschehen ist und was versäumt wurde, dann muss ich ganz klar feststellen: Dass wir uns gegenseitig „Wir schaffen das“ zurufen, darf nicht das Einzige sein, was wir tun . Man muss auch nachweisen, dass man die Herausforderung bewältigen kann und die Aufgabe professionell managt . ({0}) Herr Minister, ich muss schon sagen, dass ich ein bisschen erschüttert bin, nachdem ich mir angeschaut habe, was im letzten Jahr eigentlich passiert ist . Wir haben vor einem Jahr bei den Haushaltsberatungen 350 neue Stellen für das BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - bewilligt . Während der Beratungen zum Nachtragshaushalt am 8 . Mai ist zum ersten Mal von Regierungsseite verkündet worden: Wir brauchen 2 000 zusätzliche Stellen im BAMF, 1 000 in 2015, 1 000 in 2016 . - Ich habe nachgefragt und habe vor knapp zwei Wochen, am 26 . August, aus Ihrem Haus die Antwort erhalten: 161 von den 750 zusätzlichen Stellen haben Sie besetzt, bezogen auf die erste 1 000er-Tranche, und nur 35 von 200 Stellen für Entscheider, 16 Prozent, sind dort besetzt . - Mit diesem Management werden wir der Herausforderung nicht gerecht . Dr . Eva Högl ({1}) Herr Minister, es ist nicht einfach, diese Sache anzugehen . Das ist überhaupt nicht unser Vorwurf . Aber ich kann nicht erkennen, dass mit dem nötigen Nachdruck daran gearbeitet wird . Ich redete von den ersten 1 000 Stellen . Was die zweiten 1 000 Stellen angeht, haben Sie nur 300 im Regierungsentwurf ausgebracht . Das heißt, die zweiten 1 000 Stellen werden überhaupt erst ab dem 1 . Januar 2016 ins Ausschreibungsverfahren gebracht . Die ersten 1 000 und die zweiten 1 000 Stellen, diese Personalaufstockung für das BAMF, haben Sie kalkuliert bezogen auf einen Stand von 450 000 Flüchtlingen in diesem Jahr . Wir wissen jetzt, dass es 800 000 sein werden . Ich kann nicht erkennen, dass Sie personell die Aufnahme und die Bearbeitung der Anträge dieser Flüchtlinge im Griff haben . Ich glaube, wir alle müssen uns ganz andere Maßnahmen überlegen, wie wir das wirklich bewältigen wollen, ({2}) damit das Vertrauen der Bevölkerung darauf, dass wir nicht nur den Willen haben und Mittel im Haushalt dafür einstellen, sondern das auch managen, bleibt . Wenn ich mir das jetzt ansehe, muss ich wirklich sagen: Herr de Maizière, ich bin ein bisschen entsetzt darüber, wie schlecht wir in diesem September 2015 vorbereitet sind . Das Ganze hat auch den Hintergrund, dass der Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gesagt hat: Wir schaffen es wirklich, die Anträge schneller zu bearbeiten . Er sagt: Da liegen 250 000 Anträge auf Halde . 200 000 arbeiten wir bis zum Ende des Jahres ab . Das alles basiert doch noch auf der Prognose von 450 000 Flüchtlingen - und das bei der Stellenbesetzungskultur, die ich gerade vorgetragen habe! Wenn das so weitergeht, dann haben wir in einem halben Jahr und in einem Jahr immer noch denselben Mangel in der Bearbeitungssituation . Vor diesem Hintergrund möchten Sie auch verstehen, dass wir nicht das Vertrauen haben, dass wir, wenn gesagt wird: „Wir beschleunigen die Verfahren, indem wir sichere Herkunftsländer festlegen“, unsere Konzentration und unsere Power an der richtigen Stelle einsetzen, wenn es darum geht, was eigentlich zu tun ist . ({3}) Ich hätte mir gewünscht, dass der Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sich im August nicht darüber ausgelassen hätte, welche Geldleistungen angemessen sind und ob man Taschengeld streichen kann . Er hätte zusehen sollen, wie er, was wir seit Monaten wissen, viel mehr Hilfe bekommt, um die Aufgabe in seinem Amt zu bewältigen . Sie haben Verantwortung dafür, dass er das begreift und dass er das macht . ({4}) Letzter Punkt . Wir reden hier auch über Sicherheit und Sicherheitspolitik . Wir Grünen sind bereit, die wirklich hohen Aufstockungen beim Personal im Sicherheitsbereich wohlwollend zu prüfen und da mitzugehen . Aber, Herr Minister, es ist für uns wirklich inakzeptabel, dass Sie in der Innenausschusssitzung am 2 . September, die eigens einberufen worden war, um über das Thema „Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte“ zu sprechen, zu den wesentlichen Fragen meiner Fraktionskollegen dazu, was vorgefallen ist, wie Sie das erfassen, um was für Straftatbestände es sich handelt, gesagt haben: Ich kann Ihnen dazu keine Auskunft geben . - Auch das halte ich für ein Missmanagement bei der Sicherheitsaufgabe und der Problematik, die wir alle gerade mit Betroffenheit zu gewärtigen habe, dass es nämlich Übergriffe gibt auf Asylbewerber und auf diejenigen, die sich für diese engagieren, auch für deren richtige Unterbringung . Sie haben auch eine Verantwortung, gegenüber dem Parlament auskunftsfähig zu sein, wie die Sicherheitssituation aussieht . ({5}) Ich komme zum Schluss . Herr Minister, Sie haben gesagt: Lassen Sie uns über die Haltung reden . Darauf will ich gerne zurückkommen . Ich bin jetzt sehr kritisch gewesen . Sie haben darauf hingewiesen, wir sollten an das Lied denken, das beim Kirchentag viel und gern gesungen wird: Vertraut den neuen Wegen . Wissen Sie, wie das Lied weitergeht? „… weil Leben heißt: sich regen“ . Bitte machen Sie mehr, und managen Sie das besser . Nur so behalten wir das Vertrauen und die Stimmung in der Bevölkerung für diese Aufgabe . Schönen Dank . ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächster Redner ist der Abgeordnete Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident Hintze! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In diesem Sommer ist der syrische Bürgerkrieg endgültig nach Deutschland gekommen . Wer geglaubt hat, der Nahe Osten sei weit weg und Deutschland könne sich trotz seiner Stärke aus der Weltpolitik heraushalten und zurückziehen, ist eines Besseren belehrt worden . Hunderttausende fliehen aus den Krisengebieten und haben sich auf den Weg nach Europa, nach Deutschland gemacht . In ihren Zug reihen sich Tausende Flüchtlinge aus Afrika und den Balkanstaaten ein, die in ihren Ländern keine Zukunft mehr für sich sehen . Auf der Flucht spielt sich täglich Dramatisches ab . Der Schrecken hat eine Chiffre bekommen: Ein kleines Kind liegt tot am türkischen Strand, mit dem Gesicht im Sand . Wer angesichts solcher Bilder kein Mitgefühl, keine Scham, keine Trauer empfindet, der hat kein Herz. Wer aber Mitleid und Gefühl allein zum Maßstab politischen Handelns macht, der vergisst seinen Verstand und wird, was weit schlimmer ist, in letzter Konsequenz zerstören, was wir alle miteinander erhalten und bewahren wollen, nämlich ein Zufluchtsort für Menschen zu sein, die verfolgt werden, die um ihr Leben fürchten, die aus einem brutalen Bürgerkrieg in Syrien flüchten müssen, die vor Gewalt, Folter und Tod aus dem nördlichen Irak fliehen müssen . Ja, für diese Menschen wollen wir in Deutschland auch in Zukunft ein offenes Herz haben und sie mit offenen Armen empfangen . ({0}) Was ist zu tun? In Europa erleben wir derzeit das Gegenteil von dem, was eigentlich getan werden müsste . Wir erleben nicht die Konzentration der großen europäischen Kraft, sondern viel kleinlichen nationalstaatlichen Egoismus . Mit Vorsatz wird jeden Tag europäisches Recht tausendfach gebrochen, und man ist froh, dass man selber nicht die Belastungen tragen muss, die mit der Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern verbunden ist . Man ist froh, dass der große Nachbar Deutschland diese Lasten schultert . Zurzeit nimmt Deutschland 40 Prozent aller Flüchtlinge auf, also fast so viele wie alle anderen Staaten in der Europäischen Union zusammen. Ich finde, das muss im Deutschen Bundestag einmal sehr klar gesagt werden: Wir stellen uns europäische Solidarität nicht so vor, dass sich in Europa 2, 3 Länder der Flüchtlingsproblematik annehmen und sich 25 andere Länder einen schlanken Fuß machen . Das können wir nicht akzeptieren, und das werden wir auch nicht akzeptieren . ({1}) Wir sind sehr weit von europäischer Solidarität entfernt und brauchen doch dringend eine gemeinsame europäische Asylpolitik . Auf diese zielt die Initiative der deutschen Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten . Das unterstützen wir, wie wir auch die Bemühungen und Initiativen des Bundesinnenministers Thomas de Maizière unterstützen . Wir brauchen gemeinsame Aufnahmezentren in den europäischen Grenzstaaten . Deutschland muss und wird mit aller Kraft dort einsteigen, mit Personal und mit Geld . Wir brauchen in Europa eine gemeinsame Definition von sicheren Herkunftsländern . ({2}) Was ist denn das für eine Lage - das sind unsere Nachbarländer -, wenn in Frankreich ein Balkanstaat ein sicheres Herkunftsland ist, wenn in Österreich ein Balkanstaat ein sicheres Herkunftsland ist, in Deutschland das aber nicht der Fall ist? Wir brauchen eine gemeinsame faire Verteilung der Flüchtlinge in Europa . Ich persönlich füge hinzu: Wir brauchen auch ein einheitliches soziales Niveau für die Flüchtlinge in Europa . Ich will ausdrücklich sagen: Der französische Staatspräsident beteiligt sich an dieser Initiative in einer Situation, in der auf ihm durch die Stärke des rechtsextremen radikalen Front National ein außergewöhnlicher Druck lastet. Ich finde, dafür gebührt dem französischen Staatspräsidenten große Anerkennung . Was brauchen wir in Deutschland? Wir werden die Herausforderungen nur mit einer gemeinsamen nationalen Kraftanstrengung meistern können . Die Bundeskanzlerin hat den Ministerpräsidenten im Juni zugesagt, dass der Bund seine bisherigen Leistungen erhöhen und sich noch stärker an den Kosten beteiligen wird . Wir werden nicht Millionen, sondern wir werden Milliarden mobilisieren . Im Bundeshaushalt 2016 werden wir die Ansätze um 3 Milliarden Euro erhöhen und Ländern und Kommunen weitere 3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen . Das ist richtig so . Den Ländern indessen müssen wir aber auch sagen: Am Ende der Verhandlungen kann nicht allein mehr Geld vom Bund stehen, sondern das Ergebnis muss ein umfassender Maßnahmenkatalog sein . Dazu muss erstens eine Verkürzung der Verfahren beim BAMF selbstverständlich gehören . Deswegen haben wir für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im letzten und in diesem Jahr bereits die Schaffung von 1 650 neuen Stellen beschlossen . ({3}) Wir werden dieses Amt 2016 mit bis zu 1 000 zusätzlichen neuen Stellen ausstatten . Frau Kollegin Hajduk, wenn es mehr Stellen sein müssen, dann werden wir uns mit dieser Frage auch aufgeschlossen befassen . Unser Ziel muss es sein, die Asylverfahren nicht in Monaten, sondern in Wochen zu entscheiden . ({4}) In manchen Nachbarstaaten werden sie in Tagen entschieden . Niemand bestreitet, dass das Rechtsstaaten sind . Die Länder müssen dann allerdings auch für rasche Gerichtsverfahren sorgen, und sie müssen Ausreiseverpflichtungen konsequent durchsetzen. Hier erwarten wir nicht nur Absichtsbekundungen der Bundesländer, ({5}) sondern quotierte Zusagen für eine Aufstockung des Personals bei den Ausländerbehörden und den Verwaltungsgerichten . ({6}) Wir müssen zweitens genau unterscheiden zwischen denen, die unseres Schutzes bedürfen, und denen, die letztlich einen Asylantrag in Deutschland stellen, weil sie in ihren Heimatländern keine wirtschaftliche Zukunft sehen . Letztes gilt insbesondere für die Menschen vom westlichen Balkan, deren Schutzquote gegen null tendiert . Mögen ihre Motive für eine Reise nach Deutschland menschlich sehr nachvollziehbar sein, wir müssen ihnen klar und deutlich sagen: Eine wirtschaftliche Notlage ist kein Asylgrund . Einwanderung erfolgt in Deutschland nicht über das Asylrecht . Das ist ein klarer Grundsatz, über den wir uns eigentlich hier verständigen können müssten . ({7}) Thomas Strobl ({8}) Nur wer an diesen beiden Grundsätzen festhält, wird die Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung langfristig sichern . Nur wer die Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung sichert, wird das Grundrecht auf Asyl und zentrale Errungenschaften der Europäischen Union dauerhaft und uneingeschränkt bewahren können . Weil wir den Schutzbedürftigen auch in Zukunft Schutz gewähren wollen, werden wir Zehntausende abweisen und zurückführen müssen, nicht aus Hartherzigkeit, sondern aus Einsicht in die Grenzen unserer Möglichkeiten und von dem Willen bestimmt, auch in Zukunft den tatsächlich Schutzbedürftigen hier eine Heimstatt zu geben . ({9}) Wir müssen drittens genau prüfen, welche Auswirkungen bestimmte Regelungen im Ausland haben . In der Phase der Erstaufnahme erhält eine Familie mit zwei Kindern zusätzlich zu allen Sachleistungen 400 Euro im Monat . In der Kommune wächst dieser Betrag auf über 1000 Euro an . Für Menschen aus den Ländern des westlichen Balkans ist das sehr viel Geld . ({10}) Nicht nur der Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, sondern viele, die sich im Kosovo auskennen, sagen uns, dass allein das schon ein Anreiz ist, die Reise nach Deutschland anzutreten . Ihre Kollegin Marieluise Beck etwa, die von Migration, vom Balkan, von Osteuropa wirklich etwas versteht, hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet, dass unsere Zahlungen es vielen Familien aus dem Balkan gestatten - ich zitiere -, „Geld für die Zeit nach der Rückkehr anzusparen“. Ich glaube nicht, dass das im Sinne des Erfinders ist . Deswegen führt am Beschluss des Koalitionsausschusses vom Sonntag kein Weg vorbei: Wir brauchen mehr Sachleistungen und weniger Bargeld . ({11}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, all das, was ich angesprochen habe, betrifft nicht nur den Haushalt des Bundesinnenministers, den wir heute debattieren, und all das wird uns nicht Monate, sondern wahrscheinlich Jahre beschäftigen . Die Flüchtlingsfrage ist zur größten politischen Aufgabe unserer Zeit geworden . Wir werden sie vor allem dann lösen können, wenn wir an einem Strang ziehen, wenn wir sie nicht zuallererst als ein Feld parteipolitischer Profilierung betrachten. ({12}) Die heutige Debatte könnte ein guter Ansatz sein für die Debatten in den nächsten Wochen, in diesem und im nächsten Monat, dass wir eher das uns miteinander Verbindende als das uns voneinander Trennende herausarbeiten . Vielen Dank fürs Zuhören . ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal der Kollegin Högl anschließen, weil auch ich der Meinung bin, dass eigentlich das ganze Haus dankbar sein muss über das großartige Beispiel der Solidarität mit den Flüchtlingen. Ich finde es unglaublich, dass sich mitten in der Nacht in Dortmund Hunderte Menschen aufmachen und die Flüchtlinge freundlich empfangen . Deswegen sage ich auch im Namen meiner Fraktion: Herzlichen Dank! ({0}) Es ist aber richtig: Auf der anderen Seite haben wir auch ein ganz anderes, ein hässliches Gesicht . Die Gewalttaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte sind in die Höhe geschnellt . Tagtäglich erleben wir in diesem Land Hetze, Anschläge und Aufmärsche von NPD, Pegida und rassistischem Mob . Das sind die hässlichen Seiten; aber auch auf das Gerede, das Sie, Kollege Strobl, und auch Sie, Herr Minister, heute wieder über den angeblich massenhaften Asylmissbrauch veranstalten, trifft das zu . Ich möchte einmal darauf zurückkommen . Sie haben den Westbalkan angesprochen . Da wird im Grunde genommen pauschal einer ganzen Flüchtlingsgruppe das Recht abgesprochen, dass deren Asylanträge unvoreingenommen geprüft werden . Das kann meines Erachtens so nicht gehen . Ich will ein paar Beispiele bringen: Im Juni waren 28 Prozent der Flüchtlinge aus dem Westbalkan, nämlich 3 611 Menschen, Roma . Selbst die EU-Kommission bzw . EU-Kommissare berichten in ihren Unterlagen, dass diese Menschen extremer sozialer Ausgrenzung, rassistisch motivierter Gewalt - auch durch staatliche Institutionen - ausgesetzt sind . Sie tun hier aber einfach so, als wenn all diese Leute vor allen Dingen auf den Arbeitsmarkt wollten, und diskriminieren diese Menschen dadurch, dass Sie ihnen im Grunde genommen das Recht absprechen, hier Asyl zu beantragen . Deswegen sage ich ganz eindeutig: Das Asylrecht darf nicht ausgehöhlt werden . Die Linke wird jedenfalls bei der geplanten Form der Aushöhlung nicht mitmachen . Schauen wir uns doch einmal um: 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem Kosovo wurden dort im vergangenen Jahr anerkannt . In Frankreich sind 20 Prozent der Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina ebenfalls anerkannt worden . Dies sage ich, um hier nur wenige Beispiele zu nennen . Wir verlangen hier ganz klar von Ihnen eine klare Prüfung jedes einzelnen Asylantrags statt pauschaler Verurteilungen von Flüchtlingsgruppen, die aus dem Westbalkan kommen . ({1}) Meine Damen und Herren, zu den Vorschlägen der Koalition, die gestern vorgelegt wurden, nachdem im Mittelmeer bereits über 2 000 Menschen ums Leben geThomas Strobl ({2}) kommen sind, und angesichts der Gewalt an den Grenzen in Europa und der grausamen Bilder, wie in Ungarn, Montenegro und in anderen Ländern mit Flüchtlingen umgegangen wurde, muss man wirklich sagen: Dieses Papier mit den von Ihnen gemachten Vorschlägen ist eigentlich mehr als kläglich . Zu den 3 Milliarden Euro, die jetzt den Ländern und Kommunen zur Verfügung stehen, kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Das wird viel zu wenig sein . Wir brauchen endlich eine gesetzliche Regelung, dass Bund und Länder gleichermaßen für die Unterkunft der Flüchtlinge aufkommen müssen . Das bedeutet zum Beispiel, von Anfang an bundesweit die Kosten für die Flüchtlingsaufnahme zu übernehmen und den Kommunen das zu überlassen, was wichtig ist, nämlich die Integration von Anfang an, also Sprachunterricht, Eingliederung in den Arbeitsmarkt und die Dinge, die nötig sind, damit die Menschen hier schnell wirklich ankommen . Es hat lange genug gedauert, bis Sie überhaupt reagiert haben . Gestern hat die Bundeskanzlerin gesagt: Wir waren schnell beim Retten der Banken, jetzt müssen wir schnell beim Retten von Flüchtlingen sein . - Ich meine, dass es viel zu viele Monate gedauert hat, bis hier wirklich etwas geschehen ist . Fakt ist jedenfalls: Im Moment werden viele in riesigen Sammelunterkünften untergebracht, Lager werden schnell hergerichtet . Wir wollen verhindern, dass solche Notlösungen zu Dauerlösungen werden . Deswegen muss ganz schnell etwas passieren, damit die Flüchtlinge auf einen entsprechenden bezahlbaren Wohnraum verteilt werden und auch zu Freunden und Familienangehörigen gehen können . Insbesondere was die Stigmatisierung durch solche Massenlager angeht und diese befördert, muss etwas passieren . Die Koalition hat hier unter anderem eingebracht, dass kein Bargeld, sondern Sachleistungen vergeben werden . Das ist hier heute auch noch einmal gesagt worden . Ich halte das für den reinsten Populismus, denn sparen lässt sich damit nicht wirklich . ({3}) Der bürokratische Aufwand für die Ausgabe von Sachleistungen wird - dies ist von den Kommunen immer wieder gesagt worden - viel höher und viel teurer sein . Deshalb wird man hier nicht sparen . Ausgerechnet beim Taschengeld wollen Sie sparen . Das, was man damit gerade noch erledigen kann, gehört zu den elementaren Grundbedürfnissen, nämlich Telefonate führen, Busfahrkarten kaufen oder vielleicht auch einmal irgendwo einen Kaffee trinken . Ausgerechnet hier wollen Sie Sachleistungen vergeben. Ich finde, das treibt Flüchtlinge wirklich in die Isolation und verhindert jede Teilhabe am öffentlichen Leben . Deswegen werden wir solche Attacken auf die Menschenwürde der Flüchtlinge auf gar keinen Fall mitmachen . ({4}) Meine Damen und Herren, Zuwanderung muss eine Bereicherung sein . Es ist durch Studien erwiesen, dass Zuwanderung eben nicht Zuwanderung in unsere Sozialsysteme heißt . In der Tat werden die Wirtschaft und die Sozialsysteme sogar gestärkt . Deshalb denke ich: Egal ob Menschen aus Angst vor Verfolgung, Krieg, Hunger oder Armut fliehen, es muss darum gehen, Fluchtursachen zu beseitigen . Das bedeutet die Beendigung von Kriegen insbesondere im Mittleren und Nahen Osten . Es bedeutet aber auch, die Fluchtursachen, die jeden Tag neu geschaffen werden, zu beseitigen . Ich schaue in die Türkei, wo Erdogan Krieg gegen die Kurden führt . Was höre ich von der Bundesregierung dazu? Nichts . Im Gegenteil, man schweigt . Ich schaue nach Frankreich, wo man verstärkt Luftangriffe gegen Syrien fliegen will. Auch hier passiert nichts . Solange die Fluchtursachen nicht bekämpft werden, werden die Flüchtlinge hierherkommen, und weitere werden hierherkommen . Deswegen sage ich: Machen Sie endlich etwas gegen die Fluchtursachen, reden Sie nicht nur darüber . Hören Sie auf, Länder wie die Türkei oder andere Länder mit Waffen zu füttern .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Jelpke, achten Sie bitte auf die Zeit .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist die einzige Lösung, die wirklich hilft: dass Menschen in ihren Herkunftsländern bleiben können und ihr Leben dort perspektivisch aufbauen können . Danke . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Burkhard Lischka hat für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt manchmal Rekorde, die möchte man eigentlich nicht erzielen . Wenn in diesem Jahr bis zu 800 000 Menschen zu uns kommen, zu uns kommen müssen, weil sie vor Krieg, Tod, Elend und Vertreibung fliehen, dann ist das ein solcher Rekord . Als „Allzeithoch“ wird das in diesen Tagen sehr gerne in unseren Zeitungen beschrieben . Aber es ist eben kein Hochdruckgebiet auf der Wetterkarte, das mit dem Sommer 2015 wieder abzieht . Der Umgang mit Flüchtlingen - das wissen wir alle - wird uns viele, viele Jahre beschäftigen und auch herausfordern . Das Ganze ist nicht nur eine Herausforderung, sondern eine wirkliche Herkulesaufgabe, die vor uns liegt, die wir meistern können - ja! -, bei der wir aber auch scheitern können . Viele Menschen in unserem Land wissen das schon längst . Sie engagieren sich oftmals bis an die Grenze der Erschöpfung dafür, dass uns diese Aufgabe gelingt durch die Vermittlung und Aufnahme in Unterkünften, Verpflegung, Spielsachen, Betreuung von Kindern, Deutschunterricht oder ganz einfach durch Zuspruch und Begegnung . Sie sorgen dafür, dass Kinder wieder lachen können, dass Menschen, die zum Teil alles verloren haben, wieder Hoffnung schöpfen . Diese vielen Menschen sind derzeit die Helden des Alltags . Sie geben unserem Land gerade in diesen Tagen ein menschliches Gesicht, und dafür kann man nicht oft genug Danke sagen . ({0}) Aber ich weiß auch: Schon dieser letzte Satz des Dankes wird dafür ausreichen, dass ich gleich nach dieser Debatte in meinem Büro mit einem Stapel böser E-Mails konfrontiert werde ({1}) E-Mails, die teilweise so widerwärtig sind, dass es mir manchmal schwerfällt, meine Sprache wiederzufinden. Ja, es macht mich sprachlos, wenn Tag für Tag vor deutschen Flüchtlingsunterkünften traumatisierte Menschen ankommen, die oft nur ihr nacktes Leben retten konnten, und dort auf Glatzköpfe und sogenannte Wutbürger treffen, die die ankommenden Busse mit Steinen bewerfen und skandieren: Weg mit dem Dreckspack! - In solchen Momenten bin ich sprachlos und schäme mich . Aber ich weiß: Ja, es gibt dieses hässliche Gesicht in unserem Land, aber dieses Gesicht steht nicht für unser Deutschland im Sommer 2015 . ({2}) Wenn es um Not und Mitmenschlichkeit geht, dann stehen die Menschen hier in übergroßer Mehrheit zusammen . Auch das haben wir am letzten Wochenende erlebt, und das hat Deutschland oft bewiesen . So wird es auch diesmal sein . Richtig ist aber auch, dass diese Zuschriften, die wir ja alle kennen, zeigen, wie weit sich einige Teile dieser Gesellschaft voneinander entfernt haben, wie wenig Grundkonsens es gibt zwischen denen, die eine uneingeschränkte Solidarität mit Flüchtlingen fordern, und anderen, die meinen, es wären eh schon viel zu viele . Es wird auch eine der Hauptaufgaben der Politik in diesen Tagen sein, immer wieder für den Grundkonsens, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land zu arbeiten . Denn das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir diese Herausforderung meistern und das überhaupt schaffen können . Ja, wir können das schaffen . Aber die bittere Wahrheit ist auch: Wir wollen keine Zäune errichten wie andere und nicht so tun, als wenn uns der Rest der Welt nichts anginge, aber wir können auch nicht so tun, als seien unsere Möglichkeiten unbegrenzt . Die Motive der Menschen, die zu uns kommen, sind allesamt ehrenwert, aber nicht allen Verzweifelten werden wir Arbeit, Sicherheit und Zukunft geben können . Der Politik fällt in diesen Tagen auch die Aufgabe zu, die Grenze zwischen Möglichem und Unmöglichem zu ziehen . Da ist „Flüchtling“ in diesem Zusammenhang ein völkerrechtlich klar definierter Begriff, genauso wie das Grundrecht auf Asyl . Das klare Kriterium ist Verfolgung, nicht wirtschaftliche Not . Dass jemand zu uns kommt, weil er in seiner Heimat keine wirtschaftliche und persönliche Perspektive sieht, ist verständlich und übrigens auch kein Verbrechen, aber es ist eben kein Asylgrund. Ich finde, das ist keine unmenschliche oder zynische Einstellung . In einem Kommentar, den ich vor einigen Tagen gelesen habe, wurde nicht ganz zu Unrecht die Situation, in der wir uns derzeit befinden, verglichen mit einem Arzt, der zu einem Massenunfall mit vielen Verletzten gerufen wird . Wenn sich dieser Arzt zuerst um die Schwerverletzten kümmert, dann ist das nicht unmenschlich, sondern durchaus verantwortungsbewusst . Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir einigen, die nicht vor Verfolgung fliehen, ehrlich sagen müssen: Das Asylverfahren ist der falsche Weg, um nach Deutschland zu kommen . Selbst wenn wir alle hier unser Bestes geben, werden wir nicht allen gerecht werden können . Wir sollten das sagen, ohne Ressentiments und Vorurteile zu schüren; denn jemand ist ja kein Unmensch, wenn er für sich und seine Familie eine neue Lebensperspektive sucht. Er ist übrigens auch kein Betrüger, ich finde, auch kein Asylbetrüger . ({3}) Insofern bin ich über manchen Debattenbeitrag der letzten Wochen irritiert . Es kommt jetzt aber auch darauf an, nicht jeden frommen Wunsch als problemlose Realität zu verkaufen . Wir alle wissen: Es gibt viele Schrauben, an denen jetzt gedreht werden muss, und manche Schrauben sind sehr schwergängig . Das A und O wird jetzt sein, für schnelle Asylverfahren zu sorgen . Davon hängt alles andere ab, bis hinunter zu den Kommunen . Hier ist der Bund und sonst niemand gefordert . ({4}) Wenn 60 000 Menschen derzeit länger als ein Jahr auf eine Erstentscheidung in ihrem Asylverfahren warten, ({5}) 12 000 Menschen länger als zwei Jahre, und wir 265 000 unerledigte Asylanträge haben, dann müssen wir jetzt alles dafür tun, dass sich das ändert, und zwar auch mit diesem Bundeshaushalt . ({6}) Ich glaube, da werden die 2 000 Neueinstellungen, die wir uns bis zum Frühjahr vorgenommen haben, nicht reichen . Denn das bedeutet, dass wir bis zum Jahresende 1 000 Entscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge haben . Schafft ein Entscheider im Durchschnitt 500 Fälle, dann macht das bei 1 000 Entscheidern 500 000 Fälle im Jahr . Man muss keine weiterführende Schule besucht haben, um zu erkennen: 800 000 Asylanträge in diesem Jahr plus 265 000 Altfälle - das kann mit 1 000 Entscheidern mehr nicht funktionieren . Da müssen wir mehr tun . Wir müssen jetzt einen entscheidenden Schritt nach vorn gehen, sonst bleibt vieles andere, was wir anpacken, nur Stückwerk . Stückwerk würden wir auch abliefern, wenn wir uns nicht mit allen Kräften darum kümmern würden, die Menschen, die zu uns kommen und bei uns bleiben, ab dem ersten Tag zu integrieren und ihnen beim Erlernen unserer nicht einfachen Sprache zu helfen . Wenn die Zugewanderten auf eigenen Beinen stehen können, wenn ihre Kinder zur Schule gehen, wenn ihre Kinder einen Job haben, dann würden alle Seiten davon profitieren in einem Land, dem in den nächsten 30 Jahren ein Drittel seiner Fachkräfte verloren geht . Dann wäre das, was wir jetzt erleben, nicht nur eine Herausforderung, sondern eine echte Chance für unser Land . Aber auch dafür müssen wir jetzt mit diesem Haushalt die Weichen stellen und nicht erst morgen und übermorgen . Herr Minister, Sie werden die SPD an Ihrer Seite haben, wenn es darum geht, in Europa Tacheles zu reden . Dieses Europa wird eines Tages in den Geschichtsbüchern auch daran gemessen werden, wie es mit seinen Flüchtlingen umgegangen ist . Da muss man im Augenblick leider den Eindruck gewinnen, wir lebten in einer Union der Egoisten, und einige Regierungschefs sind derzeit dabei, Hochverrat an unseren gemeinsamen Werten zu verüben . Die Friedensnobelpreisträgerin EU hat im Augenblick viel zu verlieren, vor allen Dingen ihre Glaubwürdigkeit und ihre menschliche Orientierung . „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, das ist der erste und der allerwichtigste Satz unseres Grundgesetzes - ohne Vorbehalt . Da ist nicht zu lesen: Es sei denn, es sind zu viele Menschen . - Insoweit stehen wir vor einer großen Bewährungsprobe . Scheitern dürfen wir dabei nicht . Danke . ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Kollegin Luise Amtsberg das Wort .

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Haushaltsdebatte - im Besonderen die Debatte über den Etat des Innenministeriums - ist nicht nur eine Debatte über Zahlen, und ich bin froh, dass sie auch in den vergangenen Minuten nicht so geführt wurde . Wir als Parlament müssen mit diesem Haushalt eine Antwort darauf geben, wie wir mit dieser historischen Aufgabe, dieser nationalen Verantwortung und Herausforderung umgehen . Diese historische Aufgabe ist eben nicht die schwarze Null, sondern die Versorgung und Aufnahme von Hunderttausenden Schutzbedürftigen in Deutschland, von Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. ({0}) Was wir derzeit in Deutschland erleben - das gilt insbesondere für die Bilder von den Bahnhöfen in dieser Republik -, macht Hoffnung . Mit dieser Hilfsbereitschaft, aber auch den richtigen politischen Maßnahmen wird Deutschland in den kommenden Jahren nicht nur vielen Menschen Schutz bieten können, sondern für viele auch dauerhaft ein neues Zuhause werden können . Das höchste Gut, das wir derzeit haben, sind diese unglaubliche Hilfsbereitschaft, der Mut und das Engagement von Menschen in Deutschland. Ihnen gilt unser Dank; denn sie waren dort zur Stelle, wo der Staat versagt hat oder politische Mühlen zu langsam gemahlen haben . ({1}) Die Hilfsbereitschaft der Menschen hängt maßgeblich davon ab, was jetzt politisch passiert . Sie hängt davon ab, ob wir es schaffen, Maßnahmen auf den Tisch zu legen, die den derzeitigen Ausnahmezustand beenden . Hier müssen wir tatsächlich über Inhalte streiten . Am Samstag hatte die Bundesregierung noch mit einer großzügigen Geste mehreren Tausend am Budapester Hauptbahnhof festsitzenden Flüchtlingen die Einreise nach Deutschland erlaubt, und schon am Sonntag präsentierte die Große Koalition einen Beschluss, der unter anderem zahlreiche restriktive Maßnahmen enthält . Maßnahmen zur Vereinfachung von Asylverfahren findet man in dem Papier nicht . Darin sehen wir, die grüne Fraktion, aber den wesentlichen Schlüssel . Frau Kollegin Högl, im Gegensatz zur SPD haben wir definiert, wie die Vereinfachung und Beschleunigung von Asylverfahren gelingen kann . Der Beschluss vom Sonntag zeigt, dass man in vielen Punkten hinter die Vereinbarungen der vergangenen Jahre zurückfallen will. Die Residenzpflicht soll wieder ausgeweitet werden und das Sachleistungsprinzip wieder eingeführt werden . Ich frage mich: Warum eigentlich? Das Sachleistungsprinzip ist nicht nur diskriminierend, sondern es verursacht auch einen enormen bürokratischen Aufwand, genauso wie die Residenzpflicht, die sich im Übrigen aus der geplanten Verlängerung des Verbleibs in den Erstaufnahmeeinrichtungen ergibt . Dieser enorme bürokratische Aufwand ist das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können . ({2}) Zum Vorschlag des Innenministers, den Verbleib in der Erstaufnahmeeinrichtung auf sechs Monate zu verlängern: Wieso halten Sie sich eigentlich mit solchen Vorschlägen auf, obwohl Sie wissen, dass es in der jetzigen Situation überhaupt nicht möglich ist, Flüchtlinge so lange in zentralen Aufnahmeeinrichtungen zu halten? Es ist doch eher so, dass wir die Flüchtlinge schnell auf die Kommunen verteilen, weil die Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen fehlen . Daran werden auch 150 000 Erstaufnahmeplätze nichts ändern . Statt die Länder damit in eine schwierige Situation zu bringen, sollte der Fokus des Innenministers endlich auf der Entlastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge liegen . Das fällt in Ihre Zuständigkeit . Der Bearbeitungsstau von mittlerweile über einer Viertelmillion Anträgen kann nur durch Verfahrungserleichterungen beseitigt werden . Ich frage mich: Warum verwenden Sie so viel Kraft darauf, sich an Nationalitäten mit niedrigen Schutzquoten abzuarbeiten, obwohl es bei Nationalitäten mit besonders hohen Schutzquoten so viel Raum für Hilfe durch bürokratische Erleichterungen gibt? Syrien 100 Prozent, Afghanistan 78,4 Prozent, Irak 99,7 Prozent - es dauert zu lange, wenn Asylsuchende aus diesen Ländern im Durchschnitt 11 bis 18 Monate auf eine Entscheidung warten müssen . Hierauf sollte der Fokus liegen . ({3}) Um ein bisschen konkreter zu werden: Es ist Ressourcenverschwendung, wenn man alle Asylanträge von anerkannten Flüchtlingen nach drei Jahren erneut überprüft . Im zweiten Quartal dieses Jahres kam es zur Einleitung von über 3 000 Widerrufsverfahren, über 500 davon gegen anerkannte Syrer . Diese Widerrufsprüfungen binden unnötige Kapazitäten im Bundesamt und verunsichern anerkannte Flüchtlinge . Das ist doch völliger Quatsch . ({4}) Meine Fraktion ist der Auffassung, dass, um tatsächlich einen Anreiz zur Beschleunigung der Verfahren zu setzen, nach einem Jahr ein Schnitt gemacht werden sollte, dass für Asylverfahren, die nicht innerhalb eines Jahres beschieden werden, quasi eine Altfallregelung gelten sollte . Das würde das BAMF wieder voll arbeitsfähig machen und überlange Verfahren endlich beenden . Aber solche Vorschläge bleiben Sie in Ihrem Papier leider Gottes schuldig . Bedauerlicherweise findet sich auch kein Wort im Koalitionsbeschluss zur Zukunft des Dublin-Verfahrens auch ein wesentlicher Punkt, und das, obwohl die Bundeskanzlerin gerade gestern noch der Presse verkündet hat, dass die derzeitige europäische Flüchtlingspolitik komplett gescheitert ist . Im Übrigen sehen wir das schon seit vielen Jahren so und stimmen ihr da ausdrücklich zu . Allerdings liegt der Schlüssel auch hier in der Verkürzung von Verfahren . Wir Grünen wollen, dass die Dublin-Überstellungen neben Syrern auch für andere Staatsangehörige ausgesetzt werden . Denn wie wollen Sie bitte schön erklären, dass man Syrer nicht nach Ungarn, Italien oder Bulgarien abschieben darf, eritreische oder irakische Flüchtlinge aber schon? Das macht keinen Sinn, ({5}) zumal es um die Abschiebung in ein Land geht, das Flüchtlinge interniert, kriminalisiert und demnächst mit Notstandsgesetzen und drakonischen Strafen bei illegaler Einreise reagiert . Deshalb appelliere ich namens meiner Fraktion an Sie, die regierungstragenden Fraktionen, vor allen Dingen in den Gesprächen mit den Ländern diese Vorschläge offen zu prüfen, vielleicht auch zu konkretisieren und zu übernehmen; denn das würde tatsächlich helfen, dem BAMF wieder die Kapazitäten zu geben, die es braucht, um Asylverfahren schnell zu bearbeiten, und auch in der Perspektive - wir müssen davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren ähnlich viele Menschen nach Deutschland kommen und Schutz suchen - mit den jetzigen Personalkapazitäten in irgendeiner Form handlungsfähig zu bleiben . Meine Kollegin Anja Hajduk hat das beschrieben . Das ist derzeit nicht absehbar . Da müssen wir dringend aktiv werden . Herzlichen Dank . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr . André Berghegger für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten hier den Regierungsentwurf 2016 für den Bereich des Bundesministeriums des Innern und seiner Behörden . Der Bereich hat ein Gesamtvolumen von 6,8 Milliarden Euro . Das ist eine Steigerung von gut 520 Millionen Euro im Vergleich zum letzten Jahr . Es werden deutliche Schwerpunkte in diesem Bereich gesetzt . Aus meiner Sicht sind es zwei Schwerpunkte, die wir vernehmen können, und zwar die Stärkung der Terrorismusbekämpfung und der Bereich des Asylverfahrens und der Integration . Zum ersten Bereich, der Stärkung der Terrorismusbekämpfung . Über 4 Milliarden Euro - das sind gut zwei Drittel des Etats - werden in den Sicherheitsbereich eingebracht und dort verwendet . Das sind insbesondere die Bereiche der Bundespolizei, des Bundeskriminalamtes, des THW, des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik . Die Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus stellt unsere Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen . Da nenne ich insbesondere das Bundeskriminalamt als Zentralstelle für die deutschen Polizeibehörden und als zuständige Behörde für die internationale Zusammenarbeit . Hier werden nach derzeitigem Stand zusätzlich 200 Stellen und 12 Millionen Euro als Sachmittel hinzugegeben . Nennen möchte ich auch die Bundespolizei, die nach dem Stand des Regierungsentwurfs zusätzlich 350 Stellen und 26 Millionen Euro an Sachmitteln bekommt . Insbesondere hat sie die Aufgabe, die kritischen Infrastrukturen wie Bahn und Flughäfen zu schützen . Nicht vergessen wollen wir das Bundesamt für Verfassungsschutz . Seit zwei Jahren hat sich insbesondere der Konflikt in Syrien zum Anziehungspunkt für gewaltbereite Islamisten aus ganz Europa und damit auch aus Deutschland entwickelt . Die Ausreise nach Syrien sowie die Rückkehr stellen besondere Gefahrenlagen für die Sicherheit in Deutschland dar . Über 700 Islamisten aus Deutschland sind in Richtung Syrien und in den Irak gewandert . Rund ein Drittel dieser gereisten Personen ist zurzeit wieder in Deutschland, davon rund 50 Personen, die sich aktiv an bewaffnetem Widerstand beteiligt haben . Damit ist die Gefahr von dschihadistisch motivierten Gewalttaten im Bundesgebiet jederzeit so, dass sie sich konkretisieren kann . Deswegen denke ich, dass der Aufwuchs in diesen beiden Bereichen dieses Einzelplans, so wie ich es gerade beschrieben habe, gut und richtig ist und dass diese Schwerpunktsetzung stimmt . ({0}) Der weitere Schwerpunkt „Asylverfahren und Integration“ - wir haben es heute in vielen Beiträgen gehört - ist ein äußerst emotionaler Bereich . In den letzten Wochen haben wir ständig Bilder von leidgeplagten Menschen vor Augen, die auf der Flucht vor Krieg und Elend alles verloren haben und nach Sicherheit suchen und sich deswegen auf nach Europa gemacht haben . Ich habe neulich gelesen, dass Kinderfotos uns die Wahrheit in all ihrer Emotionalität und Bandbreite näherbringen sollen; das ist richtig. Zwei Bilder haben sich bei mir besonders eingeprägt . Eines ist heute schon mehrfach erwähnt worden . Das ist das Bild des kleinen syrischen Jungen, der leblos an die türkische Küste gespült worden ist . Das ist eine Bandbreite der Skala . Das andere Bild zeigt das lachende kleine Mädchen mit den schwarzen Locken, das sich freut, in Deutschland zu sein, das sich aufs Lernen freut, weil es Ärztin werden will . Diese Bilder berühren uns alle, und es kommen täglich neue hinzu . Trotz aller Emotionen - da schließe ich an die Aussagen von Thomas Strobl an - brauchen wir, glaube ich, die - ich will es einmal so formulieren - richtige Balance zwischen Herz und Verstand, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, um diese Herausforderung der Asyl- und Flüchtlingspolitik zu lösen . Das wird die größte Herausforderung, der wir uns gegenübersehen . Ich glaube auch, dass sich die Denkweise dieser Unterscheidung mehr und mehr in der Bevölkerung verbreitet . Diese Herausforderung wird Auswirkungen auf viele Bereiche des Haushaltes haben. Wir sollten die finanziellen Spielräume, die wir dieses Jahr haben, für diese Aufgabe nutzen . Das wird schwierig genug, und das erfordert Disziplin . Aber wir können das schaffen und dennoch die langfristigen Haushaltsziele einhalten, als da sind: ein ausgeglichener Haushalt, eine Steigerung der Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung und im Bereich der Bildung . Andere Wünsche sollten sich hier zurücknehmen und unterordnen . Die Situation rund um die Flüchtlinge zeigt aus meiner Sicht ein Weiteres: Der Haushalt von einem Jahr, so wie wir es systematisch kennen, ist manchmal viel zu langfristig gedacht . Er kann mit den Entwicklungen in der Realität gar nicht Schritt halten . Bei Aufstellung des Entwurfs des Haushaltsplans ging die Prognose noch wir haben es gehört - von 400 000, 450 000 Flüchtlingen aus . Das ist erst einige Wochen her . Im August prognostizierte der Innenminister dann die Ankunft von 800 000 Flüchtlingen in diesem Jahr . Natürlich hat das Auswirkungen . Es hat Auswirkungen auf Stellen und Sachmittel . Ich knüpfe da an Frau Hajduk an . Natürlich hat das einen weiteren Schritt zur Folge . Die Beschlusslage hier bei uns im Hohen Haus ist das eine, aber die Beschlüsse müssen umgesetzt werden . Wir müssen uns in nächster Zeit darüber unterhalten, wie wir bei diesen gestiegenen Anforderungen ausgewiesene Stellen weiterhin schnellstmöglich besetzen können, um dieser Aufgabe effektiv nachgehen zu können . Darüber werden wir während des Haushaltplanverfahrens, denke ich, im Detail diskutieren . Diese Entwicklung ist aus meiner Sicht auch ein Beleg dafür, dass es gut ist, den Haushalt auf Sicht zu fahren, nicht vorschnell Spielräume nachhaltig zu verplanen, sondern Freiräume zu erarbeiten, um flexibel auf genau solche Situationen zu reagieren, wie wir sie jetzt vorfinden . Ich glaube, man kann es nur immer wieder betonen: Die Menschen in Deutschland begegnen den Flüchtlingen mit einer überwältigenden Hilfsbereitschaft und Solidarität . Ich habe das Bild vom Wochenende vor Augen: Spalier stehende Menschen in München, wo am Wochenende Tausende am Bahnhof angekommen sind . Das stimmt mich und, ich denke, uns alle zuversichtlich . Dieses große Engagement gemeinsam mit unserer wirtschaftlichen Stärke in unserem Land ist der Grund dafür, dass wir die Herausforderung selbstbewusst angehen können und dass wir sie auch stemmen können . Die größte Belastung entsteht natürlich bei den Kommunen . Die Aufgabe können wir lösen, aber wir können sie nur gesamtgesellschaftlich lösen, Staat und Zivilgesellschaft gemeinsam . Für dieses große Engagement, teilweise über die Belastungsgrenze hinweg - Frau Högl, hier möchte ich gerne an das anknüpfen, was Sie gesagt haben -, egal ob haupt- oder ehrenamtlich, möchte ich an dieser Stelle allen Menschen danken, die sich da eingesetzt haben . Danke für dieses Engagement! ({1}) Wir sind ein weltoffenes, tolerantes und solidarisches Land . Darauf können wir stolz sein . Deshalb gibt es bei uns auch keinerlei Toleranz für diese empörenden Vorgänge der Extremisten und radikalen Gewalttäter in der letzten Zeit . ({2}) Im Gegenteil: Wir werden das staatliche und das ehrenamtliche Engagement im Bereich der Flüchtlingsarbeit in Zukunft weiter verstärken und verstetigen . Wir müssen aber auch die Behördenstrukturen und die Verfahren in den Fokus nehmen und auf ein dauerhaft hohes Niveau anpassen und nicht dauerhaft nur improvisieren . Das gilt für den Bund ebenso wie für die Länder. Ich finde, es ist ein wichtiges Signal, was der Koalitionsausschuss am Wochenende beraten und beschlossen hat . Frau Jelpke, natürlich kann man sagen, dass 3 Milliarden Euro zu wenig sind, aber ich möchte eines anmerken: Lassen Sie uns nicht in einen Wettbewerb der Überbietung gehen, welche Zahl richtig ist . Ich glaube, wir sollten erst die Aufgabe beschreiben, an der Lösung arbeiten und uns dann gemeinsam um die Finanzierung kümmern . ({3}) Dr . André Berghegger Am Wochenende wurde im Koalitionsausschuss festgehalten - so verstehe ich es -: Alle, die zu uns kommen, werden menschenwürdig behandelt . Alle, die zu uns kommen, werden menschenwürdig aufgenommen . Die, die einen Asylgrund haben, werden schnell auf die Kommunen verteilt, und die Integration soll frühestmöglich - so wie Sie es beschrieben haben, Herr Lischka anfangen . Wir haben in Deutschland einen Rechtsstaat, um den uns viele in der Welt beneiden . Ich bin aber der tiefen Überzeugung, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung, die wir jetzt haben, auch davon abhängt, dass ein Rechtsstaat vollzogen wird . Deshalb müssen diejenigen ohne Asylgrund, so schwer es auch ist, schnell in ihre Heimat zurückgeführt werden, so menschlich nachvollziehbar wirtschaftliche oder andere soziale Gründe auch sind . Unser Asylrecht bietet keinen geeigneten Weg hierfür . ({4}) Ich appelliere an dieser Stelle an die Länder, ihrer Verantwortung nachzukommen und sich dort, höflich formuliert, noch mehr zu engagieren . Wir werden für Angehörige der Weltbalkanstaaten die Möglichkeit der Einwanderung insbesondere bei Vorliegen eines Arbeitsvertrages oder eines Ausbildungsvertrages deutlich machen, um legale Einreisewege aus der Heimat aufzuzeigen . Wir werden Fluchtursachen in den Heimatländern stärker bekämpfen und natürlich die Solidarität anderer EU-Länder einfordern . Hierzu hat der Minister am Anfang ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgestellt . Denn eines ist klar: Bei weltweit geschätzten 60 Millionen Flüchtlingen geht es auf Dauer nicht, dass einige wenige Länder mit der Bewältigung dieser Entwicklung alleingelassen werden . Neben der europäischen Solidarität müssen wir auf ein gemeinsames Asylsystem drängen, immer wieder Wert darauf legen und dafür werben . Wir werden schnell handeln, so wie es auch bei anderen Themen geschehen ist und wie es beispielsweise Kardinal Marx angemerkt hat . Den Zeitplan haben wir gehört: Wenn alles glatt läuft und alle mitmachen, werden wir Mitte Oktober ein großes Maßnahmenpaket beschlossen haben, in die Umsetzung gehen können und gute, nachhaltige Lösungen erarbeiten . ({5}) Zum Schluss kann ich sagen: Die Menschen in diesem Land erwarten von uns eine sachliche Debatte ohne parteipolitisches Klein-Klein . Der Regierungsentwurf für diesen Haushalt und die Beschlusslage im Koalitionsausschuss liefern hierfür eine gute Grundlage, eine Chance, diese gesellschaftliche Herausforderung anzugehen . Der Wunsch ist eine möglichst große Zustimmung . Ich kann für die CDU/CSU-Fraktion sagen, dass wir sicherlich unseren Beitrag dazu leisten werden . Ich freue mich auf die anstehende Debatte und bedanke mich fürs freundliche Zuhören . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Gabi Fograscher für die SPD-Fraktion . ({0})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie München am vergangenen Wochenende die Ankunft von Zehntausenden von Flüchtlingen bewältigt hat, war großartig und vorbildlich . Wir können dankbar sein für die Hilfsbereitschaft der vielen ehrenamtlichen und freiwilligen Helferinnen und Helfer . In diesen Dank möchte ich ausdrücklich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und der Verwaltung einbeziehen, die in diesen Tagen mehr als ihren Job machen . ({0}) Diese Haltung der Menschen steht im krassen Gegensatz zu den Äußerungen einiger aus der CSU . ({1}) Heute, kurz vor der Debatte, gegen 15 Uhr gab es eine Tickermeldung mit dem Wortlaut: Aus der CSU wird die Forderung laut, abgelehnte Asylbewerber auch in das Bürgerkriegsland Syrien abzuschieben . ({2}) … Max Straubinger …: „Nicht überall in Syrien wird gekämpft . Aleppo ist nicht Damaskus .“ Straubinger - so heißt es in dieser Meldung weiter - kritisierte die Aussage des SPD-Vorsitzenden Gabriel, der gesagt hat, dass Deutschland mit einer halben Million Flüchtlingen klarkomme . Für Straubinger ist dies „ein falsches Signal nach draußen“ . Herr Straubinger, geben Sie im Netz nur die Stichworte „Aleppo“ und „Damaskus“ ein . Dann sehen Sie zerstörte und umkämpfte Städte . ({3}) Die CSU will abschieben, abschrecken, abschotten und dann noch die Schuld der SPD zuweisen . So leisten Sie keinen Beitrag zur Bewältigung der wahrhaft großen Aufgabe, vor der wir stehen . ({4}) Zum Haushalt: Der vorliegende Entwurf des Einzelplans 06 für 2016 sieht Ausgaben in Höhe von rund 6,8 Milliarden Euro vor . Das sind rund 8,2 Prozent mehr als 2015, und er enthält eben noch nicht das Maßnahmenpaket, das der Koalitionsausschuss am Wochenende beschlossen hat . Mehr Geld, mehr Personal und mehr Flexibilität sind nötig, um die Aufnahme und die Integration der Flüchtlinge nicht nur kurzfristig bewältigen zu können . Dr . André Berghegger Schon seit Jahren steht die Bundespolizei am Rand der personellen und sachlichen Kapazitäten . Der Einsatz bei Großereignissen, der Kampf gegen die Alltagskriminalität an Bahnhöfen und an Flughäfen und der Beförderungsstau im mittleren Polizeivollzugsdienst waren in den vergangenen Jahren immer Themen in den Haushaltsdebatten . Ich begrüße es ausdrücklich, dass der Koalitionsausschuss am vergangenen Sonntag beschlossen hat, in den kommenden drei Jahren zusätzliche 3 000 Stellen zu schaffen . Uns ist es wichtig, dass diese zusätzlichen Stellen nicht nur wegen der aktuellen Lage geschaffen werden, sondern langfristig erhalten bleiben . ({5}) Vor der Sommerpause haben wir die Reform des Bundesamtes für Verfassungsschutz beschlossen . Diese Konsequenz aus dem NSU-Untersuchungsausschuss bildet sich jetzt im Haushaltsentwurf ab . Die Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden der Länder und die Analysekompetenz im Bereich Rechtsextremismus sollen und werden sich durch diese Aufstockung der Mittel verbessern . Die Bundeszentrale für politische Bildung leistet einen wesentlichen Beitrag zur Extremismusprävention. Sie hat im Bereich „Salafismus und Dschihadismus“ einen Aufgabenschwerpunkt gesetzt . Deshalb ist die im Haushaltsentwurf vorgesehene Kürzung der Mittel von 6,8 Prozent kontraproduktiv . Sie muss im parlamentarischen Verfahren korrigiert werden . ({6}) Die Digitalisierung unserer Gesellschaft schreitet unaufhaltsam voran . Neben den positiven Seiten steigt auch die Gefährdung der digitalen Infrastruktur . Deshalb ist die Aufstockung der Mittel für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik um 11 Millionen Euro notwendig . Wie wichtig die Arbeit des BSI ist, haben wir hier im Deutschen Bundestag selbst erfahren, als das Bundestagsnetz das Ziel eines Hackerangriffs war . Auch das Bundeskriminalamt braucht eine moderne und leistungsfähige Software- und IT-Ausstattung . Der vorliegende Entwurf hält für das BKA einen Aufwuchs der Mittel für den Bereich „Software und Informationstechnik“ um 3,7 Prozent bereit . Die wachsende Cyberkriminalität auf der einen Seite und das zunehmende digitale Abwickeln von Geschäften und Behördenangelegenheiten auf der anderen Seite machen das BSI und das BKA zu unverzichtbaren Behörden, die gut ausgestattet werden müssen . Datenschutz und Datensicherheit sind elementar für das Funktionieren der digitalen Welt . Die Datenschutzbeauftragte hat jetzt mit einer eigenen Behörde die notwendige Unabhängigkeit, um öffentliche Stellen beraten und kontrollieren zu können . Um ihrem Auftrag gerecht zu werden, ist eine angemessene personelle und sachliche Ausstattung notwendig . Der Haushalt der Datenschutzbeauftragten ist von 9 Millionen Euro in 2013 auf 13,2 Millionen in 2016 gestiegen . Aber auch für die Zukunft gilt: Mit steigenden Aufgaben muss auch die Personalausstattung mithalten . Das Technische Hilfswerk ist im In- und Ausland im Einsatz . Die technische Ausstattung, der Fahrzeugbestand und die Liegenschaften entsprechen noch immer nicht den vielfältigen Aufgaben, die es zu bewältigen hat . Auch die vorgesehenen Kürzungen beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe werden wir in den Beratungen nochmals thematisieren . Das BMI und seine nachgeordneten Behörden stehen beim Thema „Integration und Innere Sicherheit“ vor großen Herausforderungen . Wir werden bei den Beratungen zum Bundeshaushalt und zum Nachtragshaushalt alles daransetzen, dass das BMI diesen Herausforderungen gerecht werden kann . Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Menschen, die nach Deutschland kommen, erhoffen sich Perspektiven, und sie wollen in Sicherheit leben . Perspektiven und Sicherheit erwarten auch die Menschen hier in Deutschland . Diese Aufgabe, vor der wir stehen, beschrieb Johannes Rau bereits 2000 in seiner Berliner Rede, aus der auch Sie, Herr Innenminister, zitiert haben, treffend: Wir brauchen eine neue Anstrengung für das Zusammenleben aller Menschen in Deutschland ohne Angst und ohne Träumereien . Ich danke für die Aufmerksamkeit . ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr . Reinhard Brandl hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, als Sie am Wochenende die Bilder aus Ungarn und vom Münchener Hauptbahnhof gesehen haben . Ich persönlich war hin- und hergerissen . Auf der einen Seite ging mir das Herz auf, als ich sah, mit welchem Engagement, mit welcher Hilfsbereitschaft zahlreiche Ehrenamtliche und Vertreter von Hilfsorganisationen den Menschen auf der Flucht und in Not sofort unkompliziert beigestanden sind . Auf der anderen Seite ist mir auch bewusst, dass genau diese Bilder dazu geeignet sind, falsche Hoffnungen bei Abertausenden Menschen zu wecken, die ebenfalls auf der Flucht sind und die vielleicht auch nach Deutschland kommen wollen . Es ist heute schon mehrmals gesagt worden: Wir können nicht alle aufnehmen . Wir können auch nicht allen, die zu uns wollen, eine Perspektive für Integration in Deutschland bieten . Meine Damen und Herren, ich werde gleich darüber sprechen, was wir in unserem Haushalt alles an Maßnahmen stehen haben, um die aktuelle Krise in Deutschland und in Europa zu bewältigen . Aber ich will eines vorausschicken: Lösen können wir das Problem nicht in Deutschland und auch nicht in Europa . Die Lösung muss in den Herkunftsländern gefunden werden . ({0}) Wir befinden uns momentan gesamtstaatlich in einem Notfallmodus . Die Zahl der Asylbewerber wächst exponentiell. Jede Prognose ist eine Verdoppelung der vorhergehenden Prognose . Erst waren es 200 000, dann 400 000, jetzt 800 000 Menschen . Damit wir dieses Problem lösen, reicht es jetzt nicht, nur mehr Geld und Personal bereitzustellen - das werden wir auch in den kommenden Wochen tun -, sondern wir müssen auch an Strukturen, an Gesetze und Standards herangehen . Ich will Ihnen ein Beispiel nennen . Ich war letzte Woche mit einem Fall befasst, bei dem sich ein Landrat fast gezwungen sah, ein ehemaliges Kasernengebäude der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ({1}) zu beschlagnahmen, weil er keine andere Möglichkeit mehr gesehen hat, die ihm zugewiesenen Flüchtlinge unterzubringen . Dank einer guten Kooperation mit der BImA konnte in letzter Minute eine Lösung gefunden werden . Wir werden jetzt daran arbeiten, wie in solchen Fällen die Kommunen bei den Herrichtungskosten unterstützt werden . Aber das eigentliche Problem ist ein anderes . In dieses Gebäude sollte ursprünglich eine Hochschule einziehen . Dieser Plan ist zumindest zeitlich verschoben worden . Das Problem ist auch, dass wenige Kilometer davon entfernt an einer Bahnlinie Flächen zur Verfügung stehen, auf denen man Unterkünfte bauen und Asylbewerber unterbringen wollte, aber dann waren sie zu nah an der Bahnlinie, und aus immissionsschutzrechtlichen Gründen war es nicht möglich, dort Unterkünfte zu errichten . Selbst wenn das möglich gewesen wäre, gab es noch eine andere Sache . Der Bürgermeister vor Ort sagte mir: Wenn er jetzt hier etwas Massives, etwas Festes bauen möchte und er sich dabei an die bei uns geltenden Bauvorschriften und Vergabeverfahren hält, dann dauert das Ganze mindestens ein halbes Jahr, bevor er überhaupt daran denken kann, einen Auftrag zu vergeben . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir in der nächsten Woche nicht nur mehr Geld und Personal bereitstellen, sondern wir müssen insbesondere auch unsere Standards der Situation anpassen . ({2}) Aber trotzdem bin ich ein Stück weit zuversichtlich, dass wir die Situation meistern, weil ich in den letzten Wochen gesehen habe, welche Kraft in unserem Land steckt . Ich habe vorher die Ehrenamtlichen und die Hilfsorganisationen erwähnt . Aber was unsere Mitarbeiter auf allen staatlichen Ebenen im Moment leisten, ist schier unbeschreiblich . Ich möchte mich deswegen an dieser Stelle explizit bei den Mitarbeitern im Bund bedanken, vor allen Dingen bei denen im BAMF und in der Bundespolizei, bei den Mitarbeitern in den Ländern, aber vor allem auch bei den Mitarbeitern in den Kommunen, in den Landkreisen, die vor Ort täglich damit befasst sind, neue Unterkünfte zu organisieren, zu schauen, wie man Menschen unterbringen und ihnen unkompliziert helfen kann . Es ist unglaublich, wie sie über sich hinauswachsen . Meine Damen und Herren, herzlichen Dank von dieser Stelle aus . ({3}) Gleiches gilt für die Bürgermeister und Landräte, die diese Aufgabe als das begreifen, was sie ist, nämlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir profitieren als Gesamtgesellschaft auch davon, dass wir in einem der stabilsten, wohlhabendsten und sichersten Länder der Welt wohnen dürfen . Meine Damen und Herren, dann müssen wir auch damit umgehen, dass von uns für alle Menschen, die nicht so wie wir hier leben können, eine magnetische Anziehungskraft ausgeht . Meine Damen und Herren, ich habe es vorhin erwähnt: Wir können nicht alle, die zu uns kommen, bei uns aufnehmen . Das fairste Verfahren für alle Beteiligten ist es, den Menschen, die zu uns kommen, frühzeitig mitzuteilen, ob sie in unserem Land eine Perspektive haben, und, wenn sie eine solche haben, ihnen schnellstmöglich Integrationsangebote - zum Beispiel in Form von Sprachkursen - zu machen . Wenn sie keine Perspektive haben, sollten wir ihnen das auch offen sagen, sie zur Ausreise auffordern oder notfalls zurückführen . Gerade deshalb haben wir bereits in den letzten Jahren das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kontinuierlich verstärkt . Wir haben es im letzten Jahr um 300 Mitarbeiter und in diesem Jahr in einer ersten Tranche um 350 Mitarbeiter verstärkt, und in einer zweiten Tranche gab es eine Aufstockung um 750 Mitarbeiter . ({4}) Liebe Frau Kollegin Hajduk, Sie haben jetzt gerade den Vorwurf gemacht, dass dort auch noch zu viele unbesetzte Stellen vorhanden sind . Man muss aber natürlich sagen: 750 Stellen gelten seit dem 2 . Juli 2015 . Seitdem ist der Nachtragshaushalt in Kraft . ({5}) Seitdem läuft auch die Besetzung, und ich bin zuversichtlich, dass das Bundesamt bis Ende des Jahres all seine Stellen besetzt haben wird . ({6}) Wir merken es auch bei den Verfahren . In den letzten Jahren wurden die Asylverfahren deutlich beschleunigt . In 2014 hatten wir eine durchschnittliche Verfahrensdauer von 7,1 Monaten . Jetzt sind wir mittlerweile schon bei 5,3 Monaten . Bei Syrern sind es 3,9 Monate . ({7}) Das Problem ist nur, dass die Anzahl der Flüchtlinge viel schneller wächst, als dass wir in gleichem Tempo Personal seriös einstellen und qualifizieren können; denn wir haben hohe Anforderungen an dieses Personal, was die Qualität ihrer Entscheidungen angeht . Dr . Reinhard Brandl ({8}) Meine Damen und Herren, der Konflikt in der arabischen Welt, insbesondere in Syrien, betrifft uns nicht nur in Bezug auf die Flüchtlinge, sondern es gibt im Moment auch die größte Gefährdung - es ist die größte überhaupt in unserer Geschichte - durch islamistischen Terrorismus . Auch wenn das jetzt momentan in den Medien nicht so sehr präsent ist - die Anschläge in Paris und Belgien sind erst wenige Monate her : Wir müssen uns auch, was die Sicherheitsbehörden anbelangt, auf diese Lage einstellen . Wir haben bei der Bundespolizei im letzten Jahr für dieses Jahr bereits 400 Stellen genehmigt . Dann kamen die Anschläge . Der Minister hat das Antiterrorpaket mit verhandelt . Danach gab es 350 weitere Stellen . Und jetzt, angesichts der Eskalation der Flüchtlingskrise, gab es noch einmal 3 000 Stellen für die Bundespolizei . Sehr geehrter Herr de Maizière, sehr geehrter Herr Schäuble, vertreten heute durch Jens Spahn, ich möchte mich ganz herzlich bei BMI und BMF für den Schritt bedanken, der am letzten Sonntag getan worden ist . Das ist ein starkes Signal für die innere Sicherheit in unserem Land . Herzlichen Dank dafür . ({9}) Meine Damen und Herren, ich könnte noch über andere Sicherheitsbehörden sprechen . Die Frau Kollegin Fograscher hat vorhin angesprochen, dass das BSI großartige Leistungen bei der Bewältigung des Cyberangriffs gezeigt hat . Ich wüsste gar nicht, wie wir es ohne das BSI geschafft hätten . Der Präsident der Bundeshelfervereinigung des THW hat mich explizit auch noch einmal gebeten, etwas zum THW zu sagen . Das mache ich - insbesondere auch im Kontext der aktuellen Flüchtlingskrise - gern. Denn das THW ist die Organisation, die wirklich überall hilft . Auf der einen Seite muss es dorthin, wo Flüchtlinge ankommen und kurzfristig in großem Maße schnell und unkompliziert untergebracht werden müssen . Auf der anderen Seite gilt das aber auch für die Herkunftsländer . Wir - Kollege Gerster und Frau Hajduk waren auch dabei - waren in al-Zaatari, einem Flüchtlingslager in Jordanien mit über 80 000 Flüchtlingen, die dort untergebracht sind . ({10}) Das deutsche THW baut dort Kläranlagen und trägt vor Ort massiv dazu bei, dass die Menschen dort bleiben . Deswegen haben wir das THW schon im laufenden Jahr mit einem großen Liegenschaftsprogramm gestärkt . Überall in Deutschland werden im Moment Liegenschaften renoviert und neu gebaut . Ich möchte mich bei Bundesminister de Maizière bedanken, der dem THW bereits im Regierungsentwurf 2 Millionen Euro mehr für Investitionen zur Verfügung gestellt und es auch bei den Einsparungen deutlich entlastet hat . ({11}) Meine Damen und Herren, der Haushalt des Bundesinnenministers ist nicht der größte im Bundeshaushalt, aber der Minister, sein Haus und der Haushalt werden einen entscheidenden Einfluss darauf haben, ob wir die aktuellen Krisen bewältigen . Herr Minister, unsere Unterstützung haben Sie dabei . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Matthias Schmidt für die SPD-Fraktion . ({0})

Matthias Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004403, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das wichtigste Thema dieser Debatte ist selbstverständlich die Flüchtlingspolitik . Ich möchte trotzdem meinen Schwerpunkt auf den Sport legen . Denn auch der Sport kann für Flüchtlinge eine Brücke in unsere Gesellschaft bauen . ({0}) Grundsätzlich, Herr Minister, hat es der Sport im BMI-Haushalt nicht immer leicht, sich zu behaupten . Das galt nie für die Höhe des Haushaltsvolumens oder für die konkrete Sportförderung, aber politisch wurde der BMI-Haushalt immer von anderen Themen dominiert . Auch in diesen Haushaltsberatungen ist das sehr offensichtlich . Flüchtlingspolitik ist das beherrschende Thema, und das ist auch richtig und gut so . Gleichwohl, auch der Sport geht weiter . Hamburger Zeitungen fragen im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte schon, ob in diese Zeiten überhaupt eine Olympiabewerbung passt . Ich meine: Ja, unbedingt . ({1}) Der Sport leistet einen wichtigen Beitrag zur Integration . Er kann ihn leisten . Nicht nur der Sport kann das leisten - viele andere Bereiche der Gesellschaft können es auch -, und der Sport kann es schon gar nicht alleine tun, aber er leistet einen wichtigen Beitrag . Er ermöglicht Gemeinschaftserlebnisse, er lehrt Regeln, und er ist gewöhnlich sehr fair . Dem Spitzensport, den wir fördern, kommt gemeinsam mit dem Breitensport eine enorme gesellschaftliche Bedeutung zu . In diesem Sinne hat das Bundesministerium des Innern einen sehr guten Haushaltsentwurf vorgelegt, der auf hohem Niveau verbleibt, was angesichts der Herausforderungen unserer Zeit wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist . ({2}) Dr . Reinhard Brandl Ich möchte einige Punkte positiv hervorheben . So ist die Förderung für „Jugend trainiert für Olympia“ und „Jugend trainiert für Paralympics“, worüber wir im Parlament sehr gestritten haben, fortgeschrieben worden . Sie bleibt erhalten . Es gibt Aufwuchs für wichtige Projekte für Fair Play und im Kampf gegen Rechtsextremismus. Auch das ist ein sehr aktuelles Thema . Der Haushalt sorgt weiter dafür, dass Doping bekämpft werden kann, mit Zuschüssen an die WADA und an die NADA . Dazu passt auch unser Anti-Doping-Gesetz, das wir im Parlament noch beraten und beschließen werden . Ich möchte zusätzlich sehr positiv erwähnen, dass die Förderung bei IAT und FES, die beide für den Spitzensport einen sehr wichtigen Beitrag leisten, auf hohem Niveau erhalten geblieben ist . Wenn es uns gelingt, der Sportwissenschaft ein wenig Konkurrenz einzuhauchen und dort zu neuen Ergebnissen zu kommen, dann ist das auch nicht schlecht . Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten . Das Erste, worüber man im Haushalt stolpert, Herr Minister, ist, dass bei der Olympiabewerbung für Hamburg eine Null eingestellt ist . Wir hatten im Nachtragshaushalt 10 Millionen Euro für dieses Jahr und für die beiden folgenden Jahre beschlossen . Ich hatte erwartet, dass das im Haushalt auch so fortgeschrieben wird . Das ist nicht der Fall . Ich habe heute schon einmal mit Herrn Staatssekretär Schröder darüber diskutiert . Ich habe die Gründe nicht genau verstanden . Auch aus dem Schwerpunktpapier des Einzelplans 06 geht das nicht eindeutig hervor . Aber dafür gibt es auch noch die Ausschussberatungen, in denen wir dies beraten können . Der Ansatz für den Behindertensport erfährt leider eine leichte Absenkung . Es handelt sich zwar nur um 7 000 Euro . Gleichwohl ist das ein falsches Signal, das wir an dieser für unsere Gesellschaft so wichtigen Stelle aussenden . Auch die Mittel für Verbände mit besonderer Aufgabenstellung werden erheblich gekürzt . Aber all das sind Themen, die wir in den Ausschussberatungen behandeln werden . Es gibt neben dem Haushalt in der Sportpolitik eine wichtige Sache, die ich ganz kurz ansprechen möchte, Herr Minister . Der deutsche Sport steht vor einer Neuausrichtung der Spitzensportförderung . Dazu haben Sie ein Beratungsgremium aus jeweils drei Mitgliedern des BMI und des DOSB einberufen . Auch die SMK ist vertreten. Sieben Expertinnen und Experten runden dieses Gremium ab . Wir Abgeordnete sind nicht dabei . Aber wir sind der Haushaltsgesetzgeber. Ich finde, Sie müssen schon versuchen, uns an den Tisch zu holen und unseren Sachverstand einzubeziehen . Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, diese Forderung noch einmal zu untermauern . Ich glaube, wir Sportpolitikerinnen und Sportpolitiker wären sehr froh, wenn wir dabei wären . Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und einen schönen Abend . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor . Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 9 . September 2015, 9 Uhr, ein . Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute . Die Sitzung ist geschlossen .