Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich darauf aufmerksam machen, dass die für heute verlangte Aktuelle
Stunde zum Thema „Rolle des Bundes beim Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG“ nicht stattfindet. Die
Fraktion Die Linke hat ihren Antrag zurückgezogen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244 ({1})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz ({2}) und den
Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien ({3}) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999
Drucksachen 18/5052, 18/5248
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/5249
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir in 25 Minuten namentlich abstimmen.
Über die Streitkräfteeinsätze in Mali und im Libanon
- das sind die Tagesordnungspunkte 29 und 30 - werden
wir jeweils im Abstand von 25 Minuten ebenfalls namentlich abstimmen. Wir werden also in den nächsten
anderthalb Stunden drei namentliche Abstimmungen
durchführen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache dieses Tagesordnungspunkts 25 Minuten
vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Abgeordnete Dietmar Nietan, SPD-Fraktion, das Wort.
({5})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der KFOR-Einsatz geht nun schon in sein
16. Jahr. Seit 1999 sind deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kosovo präsent. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass unser größter Wunsch ist, dass sich die Situation im Kosovo möglichst schnell in eine Richtung
entwickelt, dass wir dieses Mandat beenden können;
denn wir alle wissen: Die Probleme und die Verwerfungen, die es in der Region gibt und die ihre Ursachen auch
in dem schrecklichen Bürgerkrieg der 90er-Jahre haben,
werden nie mit militärischen Mitteln zu lösen sein, sondern sie können nur im Miteinander in der politischen
Arbeit gelöst werden. Aber - das sage ich an dieser
Stelle auch sehr deutlich - solange diese Situation im
Kosovo noch fragil ist, solange Kosovo noch nicht auf
einem stabilen Weg ist, wäre es verantwortungslos, die
Mission zum jetzigen Zeitpunkt zu beenden.
({0})
Ich will aber auf die politischen Rahmenbedingungen
zurückkommen; denn es reicht nicht aus, dass wir hier
ein Mandat verlängern. Wir müssen uns überlegen, was
wir als Bundesrepublik Deutschland, aber auch gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union tun
können. Ich denke dabei an die Unterstützung von positiven Entwicklungen im Kosovo, die Stärkung der Zivilgesellschaft, die Schaffung einer ökonomischen Perspektive, die Bekämpfung von Korruption und
organisierter Kriminalität oder etwa die Ausarbeitung
von konkreten Roadmaps für eine bessere Governance
im Kosovo. Wir müssen in diesen Fragen eng zusammenarbeiten und immer wieder neue Initiativen starten.
Warum sage ich das? Ich meine damit nicht, dass wir
besser wissen, welcher Weg der richtige für das Kosovo
ist, als die Bürgerinnen und Bürger des Kosovo. Aber
ich sehe es schon als unsere Aufgabe an, deutlich zu machen, dass wir an den politischen Entwicklungen im
Kosovo ein großes Interesse haben, dass wir aber auch
eine Empathie für die Menschen dort haben und wir mithelfen wollen, dass die Menschen eine Perspektive bekommen. Wir müssen ihnen zeigen, dass ihr Weg der
richtige ist, wenn er zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit führt. Dabei muss klar sein, dass dieser Weg am
Ende auch von uns mit dem Ziel unterstützt wird, eines
Tages das Kosovo als Mitgliedstaat in der Europäischen
Union begrüßen zu können.
({1})
Ich halte das auch deshalb für sehr wichtig, weil die
Gesellschaft im Kosovo sehr jung ist; es ist die jüngste
aller europäischen Gesellschaften. Gerade dort, wo eine
Gesellschaft sehr viele junge Menschen hat, können Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit - das müssen wir erkennen - zu besonders großen Problemen führen.
Wir können uns nicht zurücklehnen und sagen: Na ja,
die politischen Eliten im Kosovo hätten auch schon einiges besser machen können - was sicherlich richtig ist -,
sondern wir müssen immer wieder überlegen, wie wir
uns mit den Kräften in der Zivilgesellschaft und auch mit
den Kräften in der Politik im Kosovo engagieren können, die ein Interesse daran haben, den Status quo zu
verändern, und nicht danach schauen, welcher politische
Clan welche Macht und welches Geld einkassiert, und
die ihr Land vielmehr wirklich auf einen guten Weg
bringen wollen. Diese Kräfte gibt es im Kosovo, und sie
erwarten von uns, dass wir sie nicht alleinlassen und
dass wir weiterhin ein großes Engagement, nicht nur im
Kosovo, sondern auch in der gesamten Region des sogenannten Westbalkans zeigen.
Ich will an dieser Stelle betonen, dass wir das Kosovo
natürlich nicht allein betrachten können. Deshalb will
ich ausdrücklich sagen, dass ich es begrüße, dass sich die
Bundesregierung so stark in dieser Region engagiert,
dass 2014 die Westbalkankonferenz stattgefunden hat,
die neue Perspektiven für die gesamte Region entwickeln soll.
Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung
Initiativen auch in der Frage von Beitrittsverhandlungen
mit Serbien gestartet hat; dort soll ein neues Kapitel aufgeschlagen werden. Ich glaube, dass es der richtige Weg
ist und dass jetzt auch die richtige Zeit ist, mit der serbischen Regierung darüber zu sprechen, wie wir die Kapitel 35 und 32 des Besitzstands öffnen können. Wir erwarten, dass auf beiden Seiten, in Serbien, aber auch im
Kosovo, mit Ernsthaftigkeit, mit Lauterkeit daran gearbeitet wird, die Differenzen zwischen beiden Seiten
Schritt für Schritt abzubauen. Am Ende des Weges muss
sich Serbien klar sein - auch das sage ich an dieser Stelle -,
dass der Weg in die Europäische Union nur über die Anerkennung des Kosovo führen wird.
({2})
Allerdings - auch das will ich betonen - müssen wir
uns die Realitäten in der Entwicklung seit dem schrecklichen Bürgerkrieg in der Region anschauen. Deshalb will
ich an dieser Stelle sagen: Es mag bei den fünf EU-Staaten zum damaligen Zeitpunkt gute Gründe gegeben haben, das Kosovo nicht anzuerkennen. Aber ich sage
auch: Wenn wir diese gemeinsame Perspektive für alle
Westbalkanstaaten, insbesondere für Serbien und das
Kosovo, eröffnen wollen, dann ist es jetzt an der Zeit,
dass in diesen fünf Staaten darüber nachgedacht wird, ob
jetzt nicht der Zeitpunkt ist, auch das Kosovo anzuerkennen; denn eine Veränderung von Grenzen und ein Zurückdrehen der Zeit wird keinen einzigen Arbeitsplatz
im Kosovo schaffen, wird keinem jungen Menschen eine
Perspektive geben, aber es wird die nationalistische Auseinandersetzung befeuern und die Region destabilisieren. Deshalb appelliere ich an die fünf Staaten, die es
noch nicht getan haben, zu überlegen, ob jetzt nicht der
Zeitpunkt ist, das Kosovo anzuerkennen.
({3})
Ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist, ist der, dass
wir uns sehr genau überlegen sollten, wie wir deutlich
machen können, dass die Perspektive eines Beitritts zur
Europäischen Union, die wir für das Kosovo und die anderen Staaten aufrechterhalten wollen - wofür auch wir
uns engagieren -, ein Missverständnis von vornherein
ausschließt: Alles Bemühen, eine faire Beitrittsperspektive zu bieten, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass
sich nicht nur im Kosovo, sondern überall in den sogenannten Westbalkanstaaten die politischen Eliten ändern
müssen. Sie müssen von der Haltung wegkommen: Solange ich am Status quo festhalte, meine Pfründe sichere,
aber nach außen erzähle: „Wir wollen in die EU“, fahre
ich am besten. - Nur wenn die politischen Eliten bereit
sind, auf das einzugehen, was sich in ihren Zivilgesellschaften schon längst tut, nur wenn sie bereit sind, ihre
teilweise oligarchischen Strukturen aufzugeben, dann
wird es für die Staaten und insbesondere für das Kosovo
auch eine ernsthafte Perspektive geben. Das ist den
Menschen dort zu wünschen. Ich finde, es liegt auch in
unserer Verantwortung, gerade den jungen Menschen im
Kosovo eine Perspektive zu geben.
Vielen Dank.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die
nächste Rednerin aufrufe, möchte ich einer Kollegin gratulieren. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin
der SPD-Fraktion feiert heute ihren 50. Geburtstag.
Glückwunsch vom ganzen Haus!
({0})
Vizepräsident Peter Hintze
Noch viele weitere spannende Debattenjahre, in welcher
Funktion auch immer!
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke.
({1})
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Laut dem Antrag der Bundesregierung leistet der NATOEinsatz KFOR Folgendes - ich zitiere aus dem Antrag -:
„Unterstützung zur Entwicklung eines stabilen, demokratischen, multiethnischen … Kosovo“. Dafür beantragen Sie auch für das nächste Stationierungsjahr rund
45 Millionen Euro.
Allein: Die Bundeswehr steht schon seit 16 Jahren im
Kosovo, und keines der von Ihnen vorgegebenen Ziele
wurde auch nur annähernd erreicht, meine Damen und
Herren. Im Gegenteil: Die gesamte Regierung besteht
aus ehemaligen UCK-Kadern. Im Schatten der Bundeswehrpanzer im Jahr 2015 agiert diese Terrororganisation
UCK erneut und überzieht die Nachbarstaaten wie
Mazedonien mit Terror. Ihr Rückzugsgebiet ist das
Kosovo. So erhielten die in Mazedonien in einem Gefecht mit Sicherheitskräften getöteten UCKler in Pristina
erst kürzlich ein Heldenbegräbnis auf dem Friedhof der
Märtyrer unter Anwesenheit höchster Kader dieser nationalistischen Truppe.
Muss es Ihnen nicht zu denken geben, meine Damen
und Herren, dass das Kosovo zu der Region in Europa
geworden ist, aus der mittlerweile die meisten Kämpfer
für die Terrorbanden des „Islamischen Staats im Irak und
in Syrien“ rekrutiert werden - und das unter den Augen
der NATO und Ihrer Bundeswehr? Ich finde, Deutschland darf nicht weiter großalbanischen Nationalismus
der UCK und Terrorzentren wie das Kosovo unterstützen, die die Gewalt in die Region und in den Nahen
Osten tragen.
({0})
Das Kosovo ist das Armenhaus Europas. Die Menschen stimmen dort mit ihren Füßen gegen ein zutiefst
korruptes System ab. Gerade die Minderheiten der Roma
und der Serben haben die Region zu Hunderttausenden
verlassen. Auch deshalb ist Ihre Bilanz hier einfach nur
niederschmetternd.
({1})
Auch in puncto Völkerrecht ist Ihre Performance
schlicht negativ. Der ehemalige Bundeskanzler Schröder
aus der SPD erklärte erst letztes Jahr,
({2})
dass es sich beim Jugoslawien-Krieg um einen Völkerrechtsbruch auch der Bundesregierung gehandelt hat.
„Die Bombardierung Jugoslawiens war völkerrechtswidrig“, sagte der ehemalige Bundeskanzler Schröder.
({3})
Ich frage Sie: Welche Konsequenzen haben Sie eigentlich aus dieser Aussage gezogen? Die Bundeswehr
steht im Kosovo in der Folge dieses Völkerrechtsbruchs,
und sie hat wie die deutsche Außenpolitik dort nie eine
neutrale Rolle eingenommen.
({4})
Ich finde, wir brauchen keine deutschen Soldaten auf
dem Balkan, die Partei ergreifen und Völkerrechtsbrüche
militärisch absichern. Wir brauchen eine Rückkehr zum
Völkerrecht; denn nur dies kann die Basis für ein friedliches Zusammenleben in Europa sein.
({5})
In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert,
dass sich der Entschließungsantrag der Grünen von dem
Antrag der Bundesregierung unterscheidet; er fordert
noch schärfer Völkerrechtsbrüche. Jene EU-Mitgliedstaaten, die das Kosovo bzw. die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht anerkannt haben und im
Rahmen des Völkerrechts geblieben sind, sollen diesen
Völkerrechtsbruch gleich der Bundesregierung anerkennen. Während Sie alle hier Russland wegen der Krim
Völkerrechtsbruch vorwerfen und deshalb sanktionieren,
verlangen Sie von Zypern, Rumänien, Spanien, Griechenland und der Slowakei, Ihren Völkerrechtsbruch sozusagen anzuerkennen und ihm zu folgen. Das ist pure
Heuchelei, meine Damen und Herren.
({6})
Doppelte Standards, deutsche Machtpolitik und die
Heiligung von Völkerrechtsbrüchen schaffen keinen
dauerhaften Frieden in Europa. Wir sagen: Wir müssen
zurück zum Völkerrecht und zu der friedlichen Außenpolitik Willy Brandts, sodass niemals wieder Krieg von
deutschem Boden ausgeht.
({7})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Roderich Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der jetzigen
Debatte im Bundestag KFOR Völkerrechtsbruch vorzuwerfen, ist angesichts dessen, was wir zurzeit erleben,
eine Verhöhnung der Geschichte und der historischen
Tatsachen.
({0})
Ich glaube, wir sind uns im Bundestag bis auf wenige
Ausnahmen übergreifend einig, dass es uns in den letzten 25 Jahren wirklich gelungen ist, eine Grundstabilität
auf dem Balkan zu entwickeln. Überlegen wir einmal:
Vor 100 Jahren gingen Mord und Gewalt vom Balkan
aus. Der Erste Weltkrieg hatte dort einen seiner Ausgangspunkte.
({1})
Vor 25 Jahren sind Hunderttausende Menschen vom Balkan in den sicheren Schoß Europas geflüchtet, auch und
gerade nach Deutschland. Vor 15 Jahren befand sich die
NATO in einem Krieg mit Serbien, und wir sind um
Haaresbreite an einem intensiveren Konflikt mit Russland vorbeigeschlittert.
Heute haben wir erreicht, dass im Bewusstsein der
deutschen Bevölkerung und auch aus Sicht Europas der
Balkan eben nicht mehr zur Peripherie Europas gehört.
({2})
Angesichts der Eskalation, die wir gerade am Ostrand
Europas erleben, wird uns immer deutlicher, dass ein
stabiler Balkan zur Befriedung unseres Kontinents beiträgt. Auch wenn Sie weiterhin nicht zuhören wollen: Es
hilft nichts. Sie werden damit keinen Fortschritt erzielen.
Fortschritt erreichen wir - Sie haben Willy Brandt zitiert;
ich sage das als Christdemokrat - nur durch Versöhnen
statt Spalten. Mit Ihren Aufführungen hier versuchen Sie,
zu spalten. Aber der Bundestag steht zusammen und unterstützt das KFOR-Mandat.
({3})
Uns ist bewusst: Der Balkan braucht keine Gesamtbetrachtung, sondern auf dem Balkan müssen wir jedes
einzelne Land gesondert betrachten. Im Kosovo, einem
armen Land mit einem Durchschnittseinkommen von
2 800 Euro, einer Jugendarbeitslosigkeit in Höhe von
40 Prozent und einer Regierung, die dieses Land letztes
Jahr über nahezu ein halbes Jahr im Stich gelassen und
jetzt mühsam zu einer Koalition gefunden hat, müssen
wir uns mit ganz großem Augenmerk um Rechtsstaatlichkeit, die Bekämpfung organisierter Kriminalität und
die Bekämpfung des zunehmenden Islamismus kümmern.
In Albanien haben wir ein schwächelndes Justizsystem und ebenfalls Herausforderungen bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Herstellung
der Rechtsstaatlichkeit. In Mazedonien - der Kollege
Beyer hat es beim letzten Mal angesprochen - versuchen
Kräfte, den gesamten Balkan zu destabilisieren, indem
sie interethnische Konflikte wieder in den Vordergrund
tragen.
Auf der anderen Seite haben wir ein Serbien, von dem
vor 25 Jahren Gewalt ausging und das heute versucht,
mäßigend in der Region zu wirken. Hier geht es mir um
Folgendes: Wir sollten mit aller Kraft darauf hinwirken,
dass die Staaten des Balkans nur gemeinsam die Chance
haben, in die Europäische Union zu kommen, damit es
hier nicht um einen Wettbewerb der besten Staaten geht,
sondern darum, dass diese Länder sich in einer Art Geleitzug untereinander unterstützen.
Aussöhnung ist das Entscheidende. Wie können wir
das schaffen? Indem wir die KFOR-Mission fortsetzen.
Sie merken: Ich gehe gar nicht direkt auf die KFORMission ein. Wir sind jetzt in der 32. Mandatsdebatte seit
1999. Ich glaube, wir sind uns, was das Mandat angeht,
einig. Die Ergebnisse der Rühe-Kommission werden zeigen - fünf Parlamentarier waren ja Mitglied in dieser
Kommission -, dass wir uns künftig auch stärker über
die sicherheitspolitische Ausrichtung unseres Landes
und der EU unterhalten müssen, statt jedes einzelne
Mandat im Detail zu beleuchten.
Es gehört aus meiner Sicht ganz intensiv dazu, dass
wir für den Balkan Stabilität schaffen. Das kann dahin
führen, dass das KFOR-Hauptquartier auf längere Sicht
zu einem gemeinsamen Hauptquartier unter Beteiligung
der sechs Staaten des westlichen Balkans, die noch nicht
Mitglied der EU sind, wird, dass wir also Inklusivität
vorantreiben, dass wir dabei den Aussöhnungsprozess
vorantreiben und Rechtsstaatlichkeitsmissionen unterstützen. Dazu gehört übrigens, dass auch EULEX den
Ansprüchen, die wir an diese Länder stellen, gerecht
werden muss und dass wir auch im Bereich von EULEX
Korruptionsbekämpfung im eigenen Hause stärker durchsetzen müssen.
({4})
Wenn es um die Sicherheit geht, müssen wir auch auf
die Bereiche wirtschaftliche Stabilität, Arbeitslosigkeit
und Korruptionsbekämpfung setzen. Das machen wir,
indem wir Aussöhnungsprogramme unterstützen und indem wir Bildungsprogramme unterstützen. Wir sollten
uns auch parlamentarisch Gedanken machen - dabei
sollten wir allerdings nicht der uneingeschränkten Visaliberalisierung das Wort reden -, wie wir ganz gezielt bestimmte Bevölkerungsgruppen, Wissenschaftler und
Unternehmungen mit Visaerleichterungen unterstützen
können, um den Austausch der jungen Generation mit
Mitteleuropa fortzusetzen und zu befördern.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
abschließend sagen: Mit KFOR stabilisieren wir die Region. Mit KFOR schaffen wir auch den Anker für eine
stärkere sicherheitspolitische Integration. Aber die zivilgesellschaftlichen Anstrengungen, wie wir sie 2003 in
Thessaloniki beschlossen haben, müssen zukünftig zunehmend in den Vordergrund. Überlassen wir den Balkan nicht reaktionären Gestaltungsmächten. Gestalten
wir selbst als Deutsche und als Europäer.
Herzlichen Dank.
({6})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Kiesewetter,
ich möchte zwei Aussagen von Ihnen nicht unwidersprochen hier stehenlassen. Ich glaube auch, dass Sie selber
Ihre Aussagen nicht zu Ende gedacht haben.
({0})
- Ja, ich glaube es. Das muss ja nicht so sein.
Die Aussage, dass der Erste Weltkrieg seinen Ausgangspunkt auf dem Balkan gehabt hat, ist derartig skandalös, weil sie die militante, aggressive Politik des Deutschen Kaiserreiches ausblendet.
({1})
Die deutsche Großmachtpolitik, Flottenaufrüstungsprogramme und die Unterdrückung der inneren Opposition
in Deutschland sind die Ausgangspunkte. 1933 hatte
auch seinen Ausgangspunkt in 1914, letztendlich auch
der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
Wer Geschichte so umfälscht, wie es gerade passt, tut
sich selbst und unserem Land überhaupt keinen Gefallen. Anzuerkennen, dass der deutsche Militarismus für
den Ersten Weltkrieg verantwortlich ist, ist das Mindeste, was gemeinsame Einstellung hier im Hause sein
muss.
({2})
- Es war das Argument eines Teiles der Sozialdemokratie, dass der Erste Weltkrieg geführt worden ist, um den
russischen Zaren zu stürzen. Dieses Argument ist zigfach widerlegt worden, lieber Kollege Mützenich. Lesen
Sie einmal die Protokolle der Zimmerwalder Konferenz
nach. Das lohnt sich heute. Das waren noch Sozialdemokraten und nicht Angepasste.
Das zweite Argument - ich bitte Sie, ernsthaft darüber nachzudenken - ist: Wollen Sie wirklich ein Parlament, das Opposition nicht mehr will?
({3})
Soll die große Übereinstimmung im Parlament, die Sie
ausgerufen haben, die Regel werden? Wer den Widerspruch nicht will, der will keine Demokratie. Das ist das
Entscheidende. Widerspruch hat etwas mit Demokratie
zu tun. Das verfechte ich.
({4})
Die vielen Menschen in unserem Land - mittlerweile
ist es die Mehrheit -, die keine deutschen Militäreinsätze
wollen, müssen im Parlament eine Vertretung haben, damit Demokratie in diesem Land eine Chance hat.
({5})
Denken Sie bitte einmal über die beiden Aussagen nach.
({6})
Zur Erwiderung gebe ich dem Kollegen Roderich
Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten
Damen und Herren, wenn Sie mir genau zugehört hätten
- ich glaube, das ist Ihnen in der Geräuschkulisse Ihrer
Fraktion nicht gelungen -, hätten Sie gehört, dass ich gesagt habe: einer der Ausgangspunkte. Das Attentat von
Sarajevo war der Auslöser. Darüber, dass die Ursachen
vielfältig sind, sind wir uns einig. Aber der serbische Nationalismus seinerzeit war der wesentliche Punkt, der die
anderen Kräfte in den Krieg getrieben hat.
({0})
Vielleicht haben Sie das Buch Die Schlafwandler von
Christopher Clark nicht gelesen. Es arbeitet in herausragender Art und Weise heraus, wie die Ursachen waren.
Lassen wir das einmal ganz beiseite. Ich weiß, woher Sie
kommen, und ich habe Respekt vor Ihrer Sozialisation.
Der zweite Punkt, den Sie genannt haben, ist noch
deutlich gravierender. Wenn eine Opposition ihre Rechte
wahrnehmen möchte, dann hört sie zu und setzt gezielt
Akzente,
({1})
dann begeistert sie den Rest des Parlaments, nämlich die
Mehrheit, mit Initiativen, dann beteiligt sie sich an entscheidenden Punkten.
Sie haben sich an der Rühe-Kommission nicht beteiligt. Sie haben sich auch in nachträglichen Bereichen
verweigert. Sie haben allerdings Gespräche mit den Repräsentanten der Kommission, Volker Rühe und Walter
Kolbow, geführt, denen ich beiden an dieser Stelle ausdrücklich danke. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mir Gelegenheit geben, den Dank an diese beiden deutlich auszusprechen.
({2})
Lassen Sie mich abschließen. Wenn Sie als Opposition konstruktiv mitwirken wollen, dann übernehmen
Sie die Aufgabe, zu kontrollieren. Diese Rechte haben
Sie; sie werden durch die Rühe-Kommission sogar noch
eindeutig gestärkt. Es hilft uns hingegen überhaupt nicht,
wenn Sie Beiträge anderer durch Getöse, Lärm und zeitweise auch durch das Hochhalten von Plakaten unterbinden. Das ist keine Oppositionsarbeit, das ist Polemik.
Herzlichen Dank.
({3})
Nachdem die historischen Streitfragen unterschiedlich dargestellt wurden, darf ich darum bitten, dem
nächsten Redner zu lauschen. - Danke schön.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Debatten über die Rühe-Kommission und über die Ursachen des Ersten Weltkrieges mögen spannend sein, aber
ich möchte mich in meinem Beitrag mit dem KFORMandat befassen.
Das Mandat geht in das 17. Jahr. Ich selbst bin
33 Jahre alt; der Einsatz der Bundeswehr im Kosovo
dauert also schon fast die Hälfte meines Lebens an. Prüfstein für uns muss sein: Was bedeuten 17 Jahre Einsatz
der Bundeswehr im Kosovo? Der lange Einsatz macht
deutlich: Man benötigt Jahre, teilweise Jahrzehnte, um
das, was in Wochen und Monaten zerstört werden kann,
um das Chaos, das in einer so kurzen Zeit verursacht
werden kann, um das, was Gewalt anrichten kann, wieder in den Griff zu kriegen.
Eine Debatte über ein Mandat, das so lange existiert,
darf kein Selbstzweck sein, keine jährliche Selbstvergewisserung, dass alles okay ist. Vielmehr müssen wir uns
fragen: Was ist in dieser Zeit erreicht worden? Welche
Probleme liegen vor uns? Was ist nicht erreicht worden?
Wo liegt der Schlüssel für die Lösung der Probleme?
Es bleibt festzustellen: Seit 1999 hat die Rolle des
Militärs im Kosovo stetig abgenommen, und das ist ein
Erfolg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Im Jahr 1999 hat die Bundesregierung noch eine Obergrenze von 8 500 Soldatinnen und Soldaten beantragt.
Derzeit befinden sich 773 deutsche Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten im Einsatz im Kosovo, denen ich an
dieser Stelle, ich denke, im Namen vieler Kolleginnen
und Kollegen, für ihren Dienst danken möchte.
({1})
2009 hat die NATO im Zuge eines mehrstufigen Prozesses mit einer Reduktion der KFOR-Truppen begonnen. Es ist bedauerlich, dass diese Reduktion nach ersten
Unruhen im Jahr 2011 ausgesetzt werden musste. Meine
Fraktion begrüßt es ausdrücklich, dass die NATO in diesem Jahr den Prozess der Truppenreduktion wieder voranbringen will, indem sie nicht mehr an starren Zielmarken zur Reduktion festhält, sondern nun einen flexiblen
Prozess beginnen will. Wir begrüßen, dass in diesem
Jahr mit der Freigabe solcher ersten Reduzierungsschritte zu rechnen ist. Auch das ist ein Fortschritt, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Wir reden in dieser Debatte - Kollege Kiesewetter hat
es angesprochen - über die notwendigen zivilen Schritte
und darüber, dass der Schlüssel für die Lösung der Probleme in dieser Region das Haus Europa ist. Ich will in
diesem Zusammenhang deutlich sagen: Ja, es muss ein
Ende haben, dass fünf Staaten der Europäischen Union
nach wie vor das Kosovo nicht anerkennen. Ja, beide Staaten, Serbien und das Kosovo, benötigen eine Beitrittsperspektive hin zur Europäischen Union.
Uns muss eines klar sein: Militärische Intervention ist
nicht zwingend die Lösung für die Probleme. Es braucht
aber nach wie vor einen Rahmen für ziviles Wirken, der
durch das KFOR-Mandat gesetzt wird.
({3})
Deshalb fordern wir als Grüne in unserem Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, weitere Schritte
zu unternehmen und sich stärker als bisher zu engagieren: für eine zivile Lösung, für weitere Gespräche, für einen Weg in das Haus Europa für das Kosovo und Serbien.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr
geehrten Damen und Herren, wird meine Fraktion am
heutigen Tag auch der Verlängerung dieses Mandats zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich
das Wort der Abgeordneten Gisela Manderla, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich wiederhole es noch einmal: Deutschland
trägt seit 16 Jahren über seine Beiträge an NATO und
EU-Kommission substanziell zur Stabilisierung dieses
jungen Landes Kosovo und der Gesamtregion bei.
Ich will an dieser Stelle noch einmal daran erinnern,
was die internationale Gemeinschaft Ende der 90erJahre zu diesem Einsatz bewogen hat. Auf der Basis der
Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates ging es um
nicht weniger als die unmittelbare Beendigung der
kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Kosovaren und Serben, um die Beendigung von Vertreibung und Barbarei auf dem Balkan. Das, liebe Kollegen
und Kolleginnen, dürfen wir zu keinem Zeitpunkt vergessen.
({0})
Erinnern wir uns noch einmal an jene Zeit: an die Ohnmacht angesichts der Rückkehr des Krieges nach Europa, an die Brutalität, mit der die verschiedenen Ethnien
übereinander herfielen, und an die ethnischen Säuberungen ganzer Landstriche. Wenn man sich diese Szenen in
Erinnerung ruft und dies dann mit der heutigen Situation
vergleicht, kann man eigentlich nur zu einer vernünftigen Wahrnehmung kommen: Unser Einsatz, der Einsatz
internationaler Streitkräfte zur Beendigung dieses grauGisela Manderla
samen Krieges, war richtig, und er war wichtig, meine
Damen und Herren.
({1})
Die Bundeswehr war dabei seit Anbeginn ein robuster
und verlässlicher Eckpfeiler der internationalen Sicherheitspräsenz. Deutlich mehr als 120 000 Soldatinnen
und Soldaten haben mittlerweile im Auftrag dieses Parlaments ihren Beitrag geleistet zu einem friedlicheren,
demokratischen, rechtsstaatlichen und vor allen Dingen
auch multiethnischen Kosovo; ihnen allen danke ich ausdrücklich für ihren wertvollen Einsatz.
({2})
Mit gegenwärtig circa 773 Einsatzkräften vor Ort, wie
Kollege Dr. Lindner bereits festgestellt hat, stellt das
KFOR-Kontingent den zweitgrößten Auslandseinsatz
der Bundeswehr dar, knapp hinter Resolute Support, der
Trainingsmission in Afghanistan. Was die Mandatsobergrenze anbetrifft, ist KFOR sogar der mit Abstand
größte Einsatz. Diesen Umstand darf man nicht unterschätzen; schließlich lag gerade in den letzten Jahren der
Fokus der öffentlichen Wahrnehmung eher auf dem
deutschen Einsatz in Afghanistan.
Dabei war die in weiten Teilen positive Entwicklung
im Kosovo keineswegs selbstverständlich. Es ist in den
vergangenen Jahren gelungen, die KFOR mehr und
mehr aus der ersten Reihe zurückzunehmen und sie zunehmend mit sekundären Aufgaben zu betrauen. Sie
wirkt mittlerweile oft als stiller Vermittler im Hintergrund. Viele Sicherheitsaufgaben, etwa der Schutz von
serbischen Denkmälern oder Klöstern, werden mittlerweile in Eigenregie von der kosovarischen Polizei ausgeführt.
Als echter Meilenstein im Annäherungsprozess zwischen Serbien und Kosovo gilt das Normalisierungsabkommen zwischen beiden Ländern, das im April 2013
unterzeichnet wurde. Dieses Abkommen war ein echter
Durchbruch und wird mittlerweile in beiden Ländern
von einer immer breiteren politischen, vor allen Dingen
aber von einer zivilgesellschaftlichen Mehrheit getragen.
Es trägt wesentlich zu einer Normalisierung der nachbarschaftlichen Beziehungen bei. Die konkreten Fortschritte,
die seitdem erzielt wurden, dürfen durchaus optimistisch
stimmen, zum Beispiel der Abbau der illegalen Parallelstrukturen im mehrheitlich serbisch bewohnten Nordkosovo und deren Eingliederung in die kosovarische
Staatsverwaltung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe im letzten
Jahr das deutsche KFOR-Kontingent besucht. Ich will an
dieser Stelle klar festhalten: Eine ganze Reihe von Fragen sind immer noch nicht oder nur unzureichend gelöst.
Die kosovarische Regierung muss weiter hart daran arbeiten, tragfähige Strukturen zu implementieren, um in
der Bevölkerung ein belastbares Vertrauen in die eigene
Regierungs- und Handlungsfähigkeit herzustellen. Hier
ist noch ein langer Weg zurückzulegen. Denn, meine Damen und Herren, ohne Vertrauen und Verlässlichkeit ist
kein Staat zu machen.
Korruption, organisierte Kriminalität und unzureichende Rechtsstaatlichkeit müssen noch entschlossener
als bisher bekämpft werden. Die Rechtsstaatlichkeitsmission der EU - EULEX Kosovo -, die den Aufbau
von Polizei, Justiz und Verwaltung im Kosovo aktiv begleitet, ist daher genauso bedeutsam wie das KFORMandat. Auch EULEX muss seine Strukturen überprüfen und darf keinen Anlass für Korruptionsverdacht bieten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unser langfristiges Ziel bleibt ein
dauerhaft friedlicher, mit einer realen europäischen Perspektive ausgestatteter westlicher Balkan. Das KFORMandat bildet auf absehbare Zeit die richtige Plattform,
um - mit Blick auf die militärische Komponente des Gesamtkonzeptes - angemessen reagieren zu können. Ich
bitte Sie deshalb um Zustimmung für das anstehende
Mandat.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deut-
schen Beteiligung an der internationalen Sicherheitsprä-
senz im Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/5248, den Antrag
der Bundesregierung auf Drucksache 18/5052 anzuneh-
men.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich er-
öffne die namentliche Abstimmung.
Sind noch Kolleginnen oder Kollegen im Saal, die
ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? - Das ist
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis wird später bekannt ge-
geben.1)
Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte die Da-
men und Herren Parlamentarische Geschäftsführer, ihre
Plätze einzunehmen, damit alle wissen, wie sie abstim-
men müssen. - Wir stimmen jetzt über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/5260 ab. Wer stimmt für den Entschlie-
ßungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Entschlie-
ßungsantrag abgelehnt. Für ihn haben gestimmt die Grü-
nen, dagegen haben gestimmt CDU/CSU-Fraktion,
SPD-Fraktion und Fraktion Die Linke.
1) Ergebnis Seite 10892 C
Vizepräsident Peter Hintze
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der
Vereinten Nationen in Mali ({1}) auf
Grundlage der Resolutionen 2100 ({2}) und
2164 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 25. April 2013 und 25. Juni
Drucksachen 18/5053, 18/5250
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/5251
Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir, wie angekündigt, in circa 25 Minuten namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Gabi Weber, SPDFraktion.
({5})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mali hat seit Erlangung seiner Unabhängigkeit im Jahre 1960 mit sozialen und politischen
Problemen zu kämpfen.
({0})
2012 eskalierte die Situation im Norden. Glücklicherweise konnten die Franzosen den Konflikt eindämmen.
Seit 2013 unterstützt die UN-Mission MINUSMA die
Stabilisierungsbemühungen. Die Bundeswehr beteiligt
sich an MINUSMA, indem sie Kapazitäten zum Lufttransport und zur Betankung bereithält und sich in der
Missionsführung engagiert.
Frau Kollegin, einen Moment. - Hier wird gebeten,
den Lautsprecher lauter zu stellen. Es wäre natürlich gut,
wenn Sie selber etwas leiser würden.
({0})
Dann könnten wir nämlich der Rednerin zuhören. Wer
etwas Wichtiges zu besprechen hat - ich kann eigentlich
nicht glauben, dass es etwas Wichtigeres gibt -, kann das
bitte draußen tun. - Frau Kollegin, fahren Sie einfach
fort.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Ein Erfolg der Mission ist, dass Mitte Mai endlich ein
Friedensabkommen seitens der Regierung und einiger
regierungsfreundlicher Gruppen, der sogenannten Plattform, unterzeichnet wurde. Am morgigen Samstag wollen
auch die regierungskritischen Gruppen, zusammengefasst
in der „Coordination“, das Abkommen unterschreiben.
Darüber bin ich sehr glücklich. Dieser Erfolg weckt
Hoffnungen, dass endlich, nach mehreren konfliktreichen Jahrzehnten, die Probleme des Landes angegangen
werden können. Das ist ein großer Erfolg, der ohne die
Bemühungen von MINUSMA und anderen, nämlich
EUTM Mali und EUCAP Mali, sicher nicht erreicht
worden wäre.
Aber, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
sollten dennoch zurückhaltend bleiben. Nicht die Unterschrift, sondern die Verwirklichung des Abkommens
wird entscheidend sein. Die politischen Forderungen des
Abkommens nach stärkerer Dezentralisierung müssen
von den Vertragspartnern gemeinsam umgesetzt und
auch garantiert werden.
Die politischen Institutionen Malis sind seit Jahrzehnten sehr schwach. Das bedeutet, dass sich auch nach dem
Friedensschluss eine Verbesserung der Sicherheitslage
im Norden nicht automatisch einstellen wird; wir werden
weiter mit terroristischen Anschlägen und hoher Kriminalität rechnen müssen. Langfristig umso wichtiger ist es
daher, von internationaler Seite Hilfe anzubieten. Wir
sind Bestandteil dieser internationalen Hilfe, und das ist
gut so.
({0})
Militärisch unterstützen wir MINUSMA aktuell mit
acht Soldaten in den Bereichen Aufklärung und Analyse
sowie im Hauptquartier. Darüber hinaus sind sieben
Polizisten im Rahmen der UN-Polizei und der Beratung
der malischen Behörden zur Bekämpfung organisierter
Kriminalität eingesetzt.
In der Mandatsbegründung bezeichnet die Bundesregierung Mali als einen „Schwerpunkt des deutschen sicherheitspolitischen Engagements in Afrika“. Diesen
Anspruch sollten wir ernst nehmen. Das ZIF hat Vorschläge unterbreitet, inwieweit wir im Rahmen des bestehenden Kontingents - das sind wesentlich mehr als
acht Soldatinnen und Soldaten - und gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn weitere Aufgaben übernehmen könnten.
Wie Sie wissen, richtet sich mein Blick bei jeder
Mandatsdebatte auch auf die entwicklungspolitischen
Maßnahmen. Die staatlichen Organisationen GIZ und
KfW sind zurzeit in drei Bereichen besonders aktiv: Dezentralisierung und gute Regierungsführung, Förderung
der Landwirtschaft sowie Trinkwasserversorgung. Daneben kommt der nichtstaatliche Sektor ins Spiel. Beispielsweise setzt sich der Deutsche Hochschulverband
für eine Verbesserung der Alphabetisierung ein. Diese
Programme werden gepaart mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und erzielen umgehend eine positive und
spürbare Verbesserung für die Bevölkerung. Das ist wesentlich, und es ist ein gutes Beispiel, wie Entwicklungszusammenarbeit die zivile Krisenprävention unterstützen kann.
({1})
Es gibt aber auch einen Wermutstropfen: Im letzten
Jahr haben wir über das EZ-Budget 130 Millionen Euro
in Mali eingesetzt und weitere 25 Millionen Euro für
nichtstaatliche Hilfsorganisationen. In diesem Jahr werden diese Mittel leider ganz massiv zurückgefahren. Die
Sondermittel werden reduziert. Diese Reduzierung wird
leider nicht aufgefangen. Das ist ein Riesenproblem. Wir
haben gestern eine Debatte darüber geführt, wie wir die
Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika verstärken
können. An dieser Stelle machen wir aber einen Rückzug. Das ist ein Zickzackkurs. Dadurch werden unsere
Bemühungen im Rahmen der Stabilisierungsmission leider nicht unterstützt.
({2})
Wir brauchen eine stärkere Beteiligung an den Maßnahmen, die in Mali möglich sind. Deswegen müssen diese
Sondermittel wieder zur Verfügung stehen.
({3})
Herr Präsident, ich möchte abschließend ein paar
Worte zum Thema Flüchtlinge sagen; denn auch dieses
Thema spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. In
den vergangenen Wochen hat sich die Lage im Norden
Malis leider wieder verschlechtert. Aus Timbuktu mussten 50 000 Menschen fliehen. Im Moment sind in den
Nachbarländern aufgrund des Konflikts weitere
135 000 Menschen als Flüchtlinge unterwegs. Zugleich
debattieren wir in Europa darüber, welche Länder wie
viele Flüchtlinge aufnehmen können, die es durch die
Sahara und über das Mittelmehr hierher geschafft haben.
Viele dieser Menschen kommen auch aus Mali. Sie sind
auf der Flucht vor Bedrohungen und auf der Suche nach
einem wirtschaftlich besseren Leben. Das zeigt, wie
wichtig es ist, dass wir hier in Europa die Initiative ergreifen und gemeinsam mit den anderen Europäern vernünftige Regelungen finden, wer Verantwortung für die
Flüchtlinge in Europa übernimmt. Ich denke, wir sind
mit einem guten Beitrag dabei und können die Debatte
nochmals anstoßen.
({4})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir verlängern
heute das Mandat für MINUSMA - hoffentlich. Klar ist,
dass der Konflikt und seine Auswirkungen mit militärischen Mitteln allein nicht zu lösen sind. Entwicklungspolitik und Diplomatie haben gleiche Anteile an diesem
Prozess.
Sicherheitspolitisch: MINUSMA kann einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheitslage und
zur Einhaltung des Friedensvertrages leisten.
Entwicklungspolitisch: Wir kommen nicht umhin, das
Niveau der EZ weiterhin hochzuhalten, auch wenn wir
noch keinen Weg gefunden haben, das 0,7-Prozent-Ziel
zu erreichen.
Diplomatisch: Unser Außenminister Frank-Walter
Steinmeier hat gemeinsam mit den Außenministern
Frankreichs und Italiens Anfang dieser Woche die Europäer aufgerufen, die Herausforderungen, die sich aus der
Migration ergeben, gemeinsam mit den Afrikanern zu
lösen. Gerade Deutschland kann hierzu einen gewichtigen Beitrag leisten, der nicht zuletzt den freundschaftlichen deutsch-malischen Beziehungen gerecht wird. Ich
bitte Sie daher um Ihre Unterstützung für dieses Mandat.
Danke.
({5})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Christine Buchholz, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die UNMission MINUSMA soll seit 2013 die Lage in Mali stabilisieren und die Sicherheit unterstützen. Wenn die
Bundesregierung diesen Maßstab ernst nehmen würde,
müsste sie einräumen: MINUSMA ist eben keine Erfolgsgeschichte. Im Norden Malis herrschen weiter bewaffnete Konflikte, und die UN-Truppe steckt mittendrin. In den letzten drei Monaten gab es 40 Angriffe auf
MINUSMA; die Mission gilt als eine der gefährlichsten
UN-Missionen überhaupt.
Um es plastisch zu machen: Im Januar haben holländische MINUSMA-Soldaten mit Apache-Kampfhubschraubern im Nordosten von Mali ein Fahrzeug von Rebellen angegriffen und dabei mindestens sieben Tuareg
getötet. Die Gefechte dauerten Stunden an. Ebenfalls im
Januar gab es Demonstrationen von Jugendlichen gegen
MINUSMA. MINUSMA-Polizisten schossen in die
Menge, es gab drei Tote. MINUSMA wird zunehmend
als Konfliktpartei angesehen.
({0})
Ich glaube, es muss doch klar sein, dass es Ihnen hier
mitnichten um die Menschen und um Menschlichkeit
geht. MINUSMA ist in Wirklichkeit ein Teil eines viel
größeren militärischen Engagements, das unter französischer Führung steht. Paris geht es insbesondere um die
Sicherung des Uranabbaus in der Region und um die
Vormachtstellung in der Region. Es geht darum, in Mali
eine Regierung zu stabilisieren, die dem Westen genehm
ist. Da will die Bundesregierung nicht hintenanstehen.
Das machen wir nicht mit.
({1})
Wenn die Bundesregierung von Stabilisierung spricht,
dann meint sie auch den Aufbau der malischen Armee.
Doch die bewaffneten Kräfte des Staates Mali sind selbst
Teil des Problems. Im letzten Jahr haben malische Gefechtsverbände, die unter anderem von der Bundeswehr
ausgebildet wurden, die Tuareg-Stadt Kidal angegriffen.
80 Tote waren die Folge. Vor vier Wochen haben Soldaten der malischen Armee im Nordosten des Landes laut
Agenturmeldungen neun Zivilisten hingerichtet, darunter einen 13-jährigen Jungen und Mitarbeiter einer französischen Hilfsorganisation. Die Linke sagt: Probleme
in Mali können nicht militärisch gelöst werden.
({2})
Die meisten Malier sind bitterarm. Das ist das Hauptproblem in diesem Land. Auch der Konflikt im Norden
wird durch Armut und Perspektivlosigkeit befeuert. Die
nordmalische Abgeordnete Aicha Belco Maiga sagte,
dass die Lage katastrophal ist: „Es gibt keine Medikamente, … es fehlt an Nahrungsmitteln und Trinkwasser.
Die Kinder gehen nicht mehr zur Schule.“ Wie wenig die
sozialen Probleme der Bevölkerung für die Bundesregierung eine Rolle spielen, wird auch am Umgang mit den
malischen Flüchtlingen deutlich. Zweieinhalb Jahre
nach Beginn der Militäroperationen sitzen immer noch
135 000 malische Flüchtlinge in Lagern im Ausland fest;
die Kollegin Weber hat es angesprochen. Ihnen muss
endlich geholfen werden.
({3})
Doch, Frau Weber, die Bundesregierung wird jetzt aktiv gegen die Migration in Richtung Europa und nicht
für die Flüchtlinge. Außenminister Steinmeier hat erklärt, die Mission EUCAP in Mali ausweiten zu wollen.
Dabei sollen malische Polizei, Nationalgarde und Gendarmerie befähigt werden, wie es heißt, „illegale Migration“ in Richtung Europa zu verhindern. Aber es gibt gar
keine sicheren legalen Migrationswege nach Europa.
Das heißt, alles läuft wieder auf die Bekämpfung der
Flüchtlinge hinaus. EU und Bundesregierung bekämpfen
Flüchtlinge, nicht Fluchtursachen. Das ist schäbig.
({4})
Als ich im vergangenen November in Mali war, traf
ich viele Menschen, die für die Verbesserung der sozialen Lage im Land und für ihre eigenen Rechte kämpfen.
Ein Generalstreik im August hat zur Anhebung des Mindestlohns um 30 Prozent geführt. Das alles sind ermutigende Schritte aus der malischen Zivilgesellschaft. Die
Linke befürwortet zivile Projekte, die ihren Namen
wirklich verdient haben. Und: Wir unterstützen die malische Bevölkerung in ihrem Kampf für Würde.
({5})
Was wir nicht tun, ist, diesem Bundeswehreinsatz zuzustimmen.
Vielen Dank.
({6})
Unsere Schriftführerinnen und Schriftführer waren
sehr schnell. Ich gebe Ihnen daher jetzt das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der deutschen
Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in
Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 ({0})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni
1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz ({1})
und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien
({2}) und der Republik Serbien vom
9. Juni 1999“, Drucksachen 18/5052 und 18/5248, bekannt: abgegebene Stimmen 599. Mit Ja haben gestimmt
532, mit Nein haben gestimmt 60, Enthaltungen 7. Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 599;
davon
ja: 532
nein: 60
enthalten: 7
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Maik Beermann
Manfred Behrens ({3})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Vizepräsident Peter Hintze
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({7})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
({8})
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({10})
Stefan Müller ({11})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({12})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({13})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({14})
Gabriele Schmidt ({15})
Ronja Schmitt ({16})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({17})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({18})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({19})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({21})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({22})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({23})
Sabine Weiss ({24})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({25})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding ({26})
Burkhard Blienert
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Vizepräsident Peter Hintze
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({27})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({28})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({29})
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({30})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({31})
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({32})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({33})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({34})
Matthias Schmidt ({35})
Dagmar Schmidt ({36})
Carsten Schneider ({37})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({38})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({39})
Volker Beck ({40})
Dr. Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({41})
Christian Kühn ({42})
Markus Kurth
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({43})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
SPD
Klaus Barthel
Dr. Ute Finckh-Krämer
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({44})
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({45})
Richard Pitterle
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({46})
Vizepräsident Peter Hintze
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
Enthalten
SPD
Petra Hinz ({47})
Waltraud Wolff
({48})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Corinna Rüffer
Ich erteile nun als nächstem Redner in dieser Debatte
dem Abgeordneten Philipp Mißfelder, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({49})
Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Frau
Buchholz, ich möchte kurz auf das eingehen, was Sie gesagt haben. Keiner der bisherigen Redner, die sich für
die Verlängerung dieses Mandats ausgesprochen haben,
hat in irgendeiner Form behauptet, dass wir diesen Konflikt militärisch lösen können.
({0})
Wenn die Linke also klatscht, wenn gesagt wird: „Wir
wollen den Konflikt mit politischen Maßnahmen lösen“,
dann sind wir genau dieser Meinung; da können Sie sich
uns gerne anschließen. Auch wir sind der Meinung, dass
man diesen Konflikt nur politisch lösen kann und eben
nicht militärisch.
({1})
Allerdings: Die Zwischenfälle, die Sie aufgezählt haben, sind sehr, sehr ernst zu nehmen, und sie beschäftigen uns natürlich. Aber ohne MINUSMA würde es nicht
bei diesen Zwischenfällen bleiben, sondern dann hätten
wir einen Flächenbrand. MINUSMA bringt uns überhaupt erst in die Lage, die Entwicklungszusammenarbeit
zu vertiefen, Staatlichkeit aufzubauen und das Land wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Das ist ja gelungen.
({2})
In Ihrem ganzen Beitrag haben Sie außer Acht gelassen, dass der Versöhnungsprozess innerhalb des Landes
mittlerweile sehr große Fortschritte macht.
({3})
Daran hat auch MINUSMA einen Anteil; gar keine
Frage. Ohne MINUSMA wäre das nicht zustande gekommen, ohne unser großes politisches Engagement darüber hinaus auch nicht.
Im Bereich der Krisenprävention sind wir mehr als je
zuvor tätig. Wir haben Ausstattungshilfeprogramme für
die malischen Streitkräfte auf den Weg gebracht, um dort
wieder Staatlichkeit hinzubekommen. Polizei und Sicherheitskräfte werden im Rahmen von EU-Missionen
und VN-Missionen nach unseren Maßstäben ausgebildet. Die Entwicklungszusammenarbeit habe ich schon
angesprochen.
Darüber hinaus versuchen wir, die Konfliktursachen
anzugehen. Wir müssen die staatlichen Strukturen in die
Lage versetzen, mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten. Wir haben ein Programm aufgelegt, in dessen Rahmen Trainingskurse für Polizeikräfte durchgeführt werden. Wir haben ein Programm aufgelegt, das eine
Professionalisierung der Medien zum Ziel hat, damit die
Kommunikation wieder funktionieren kann und die
Leute nicht auf einzelne örtliche Stammesgruppen oder
andere Rattenfänger, die versuchen, dort Unruhe zu stiften, hereinfallen. Das alles ist nur möglich, weil wir einen Gesamtansatz gewählt haben; das ist uns nicht
leichtgefallen.
Keiner von uns ist gerne dabei, wenn es darum geht,
Soldaten in gefährliche Einsätze zu schicken. Aber als
unsere französischen Partner uns gefragt haben, ob wir
ihnen zur Seite stehen würden - sie haben dort die LeadFunktion übernommen -, haben wir nicht Nein gesagt,
sondern wir haben gesagt, dass wir unter den Bedingungen, die ich genannt habe, bereit sind, unser Engagement
über das Politische hinaus um eine militärische Komponente zu ergänzen. Das verstehe ich unter Verlässlichkeit, auch im Bündnis mit unseren französischen Freunden, meine Damen und Herren.
({4})
Die Lage - das haben Sie richtig beschrieben - ist
nach wie vor sehr fragil; gar keine Frage. Wir haben am
7. März dieses Jahres einen Anschlag erlebt, von dem
auch Ausländer beinahe betroffen gewesen wären. Dieser Anschlag ist nach wie vor nicht aufgeklärt. Es gibt
verschiedene Terrorgruppen, die dort aktiv sind. Keiner
weiß so richtig, aus welcher Richtung diese Terrorgruppierungen kommen. Damit es keinen erneuten Flächenbrand in Mali gibt, damit dieses Land nicht auseinanderfällt, ist es notwendig, sich ihm mit großer
Aufmerksamkeit zu widmen. MINUSMA ist im Verbund mit unseren entwicklungspolitischen Maßnahmen
die richtige Antwort. Deshalb plädiere ich für die Fortsetzung dieses Mandats.
Herzlichen Dank.
({5})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es
stimmt: Es ist nicht alles gut für die Menschen in Mali.
Nach wie vor ist Mali eines der ärmsten Länder der
Welt. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind dort
5 Millionen Menschen von Hunger bedroht; das ist ein
Drittel der malischen Bevölkerung. Und, ja, die Sicherheitslage in bestimmten Gebieten des Nordens von Mali
hat sich verschlechtert, und sie bietet Anlass zu großer
Sorge.
Meine Damen und Herren, die 2013 eingerichtete
Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission
der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA - heute beraten wir die deutsche Beteiligung daran -, gilt mittlerweile leider als eine der gefährlichsten Missionen der
Welt. Immer wieder werden auch die Camps von
MINUSMA und Blauhelmsoldaten Ziele von Anschlägen. Wir gedenken heute auch der fast 50 Blauhelmsoldaten, die bei ihrem Einsatz für mehr Frieden und Sicherheit im Mali ihr Leben lassen mussten.
Als 2012 eine unheilvolle Allianz aus Rebellengruppen, Unabhängigkeitsbewegungen, religiösen Extremisten und organisierten Kriminellen den Norden des
Landes unter ihre Kontrolle brachte, dort ein Schreckensregime errichtet hat und dann auch noch den Rest
von Mali erobern wollte, hat die internationale Gemeinschaft entschlossen reagiert, und zwar auf einen dramatischen Hilferuf aus der malischen Hauptstadt selbst. Man
hat sich nicht darauf beschränkt, die Gewalttäter zurückzudrängen und aus dem Norden zu vertreiben, sondern
man wollte die Probleme in Mali im Anschluss umfassend angehen; denn die Krise im Jahre 2012 hat auch offenbart, dass die malische Zentralregierung extrem
schwach ist und dass sich die Sicherheitskräfte in einem
desolaten Zustand befinden.
Die Europäische Union, die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, die Afrikanische Union
und die Vereinten Nationen haben eine Vielzahl von
Maßnahmen und auch mehrere Missionen auf den Weg
gebracht, um diese Probleme anzugehen, und das war
richtig und notwendig.
({0})
MINUSMA ist eine dieser Maßnahmen. Ihre Aufgabe ist
es nicht, jemanden militärisch zu bekämpfen, sondern
besteht vor allem darin, die Zivilbevölkerung zu schützen, die Menschenrechte zu fördern und staatliche Institutionen und die Polizei zu stärken.
({1})
Eine besonders wichtige Aufgabe von MINUSMA ist es,
den Dialog und den Versöhnungsprozess zwischen den
verschiedenen Gruppen zu begleiten.
Frau Kollegin Buchholz, Sie haben völlig recht: Es ist
völlig inakzeptabel, dass MINUSMA-Angehörige in
eine Menge von Demonstranten schießen und dadurch
Zivilistinnen und Zivilisten ums Leben kommen. Sie sagen an diesem Pult aber immer nur die Hälfte der Wahrheit, nämlich das, was in Ihre Logik passt.
({2})
Dass die Vereinten Nationen diesen Vorfall sehr ernst genommen und sofort untersucht haben, die drei Schuldigen dafür ausgemacht und für das Strafverfahren in ihre
Heimatländer geschickt haben, haben Sie hier nicht erzählt. Das gehört aber zur Wahrheit dazu.
({3})
Die meisten Soldatinnen und Soldaten, die Polizeiangehörigen und auch die zivilen Expertinnen und Experten leisten im Rahmen dieser Mission einen sehr wichtigen Beitrag für mehr Frieden und Sicherheit in Mali.
Dafür sind wir auch als Grüne sehr dankbar.
Auch wenn die Zunahme an Gewalt im Norden von
Mali wirklich großen Anlass zur Sorge bietet, ist dort
nicht alles düster. In den letzten Jahren konnten Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen stattfinden. Die Menschenrechtslage hat sich verbessert, auch
wenn es dort immer noch gravierende Probleme gibt,
und 200 000 Flüchtlinge konnten mittlerweile zurückkehren. Was besonders wichtig ist und großen Anlass zur
Hoffnung gibt, ist, dass es nach langen und schwierigen
Verhandlungen endlich gelungen ist, ein Friedensabkommen zwischen der Zentralregierung und vielen Gruppen
im Norden von Mali zu verhandeln. Dieses Abkommen
ist die erste Grundlage dafür, dass die Konflikte zwischen dem Norden und dem Süden in Zukunft nicht
mehr mit Gewalt, sondern im Rahmen eines Dialoges
und von Verhandlungen ausgetragen werden, sodass darauf basierend endlich ein Versöhnungsprozess beginnen
kann.
Meine Damen und Herren, für die Menschen in Mali
wäre es schlecht, wenn wir heute gegen dieses Mandat
stimmten. Man muss bedenken: So lange die Verhandlungen über dieses Friedensabkommen auch gingen und
so schwierig sie waren, die größte Herausforderung steht
noch an; denn dieses Abkommen muss umgesetzt und in
konkrete Politik gegossen werden. Das ist eine noch viel
größere Herausforderung. Dafür, dass sich die Hoffnung
der Menschen in Mali auf einen nachhaltigen Frieden
und echte Sicherheit erfüllt, braucht es MINUSMA,
braucht es mehr deutsches Engagement und auch mehr
Engagement der Vereinten Nationen.
Vielen Dank.
({4})
Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich
der Abgeordneten Elisabeth Motschmann, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! MINUSMA ist das kleinste Mandat, über das
wir heute reden. Nur acht Soldaten sind zurzeit in Mali;
es könnten 150 sein. Warum beschäftigen wir uns so intensiv mit diesem Thema? Egal wie groß der Einsatz ist
und wie viele Soldaten im Ausland sind: Jeder Einzelne
hat es verdient, dass wir uns intensiv Gedanken über
seine Sicherheit machen
({0})
und über die Sinnhaftigkeit eines Einsatzes.
({1})
Auf der Grundlage von sozialen, wirtschaftlichen und
politischen Indikatoren veröffentlicht die amerikanische
NGO The Fund for Peace einmal jährlich einen Index
der fragilen Staaten. Mali belegt in dieser Tabelle mit
178 Nationen den 36. Platz. Das bedeutet: Die Lage ist
alarmierend, aber nicht aussichtslos. Staaten, die noch
schlechter als Mali beurteilt wurden, sind unter anderem
Südsomalia, der Kongo, Tschad und Syrien. Aber Platz
36 ist keineswegs beruhigend. Immer noch befinden sich
135 000 Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. In Europa
halten sich etwa 10 000 malische Flüchtlinge auf. „Europa oder Tod“, so hat ein junger Flüchtling seine Situation in der Tagesschau beschrieben. Wir wissen, dass für
viele der Flüchtlinge die Flucht mit dem Tod endet. Vor
diesem Hintergrund müssen wir die Frage beantworten,
warum wir Soldaten nach Mali schicken.
Natürlich ist es zuallererst sinnvoll, dass Menschen in
Freiheit und Sicherheit leben können. Wir haben in den
letzten Wochen und Monaten immer wieder über die
Flüchtlinge und ihre Situation gesprochen. Auch Sie,
Frau Buchholz, haben ja gesagt: Wir wollen die Fluchtursachen bekämpfen. - Aber das geht doch nur, indem
wir für Sicherheit und Stabilität in diesen Ländern sorgen. Diese Flüchtlinge sind ja keine Auswanderer; sie
fliehen vor Mord, vor Terror, vor Gewalt und Vergewaltigung. Deshalb ist es so wichtig, dass wir auch in Mali
- das ist der kleinste, aber vielleicht auch gefährlichste
Einsatz - mithilfe der Soldaten das Ziel verwirklichen,
Stabilität zu erreichen. Wir wollen nicht, dass Menschen
den schier unüberwindbaren Weg durch die Sahara antreten müssen, um sich in Sicherheit zu bringen. Wir
müssen verhindern, dass die Menschen den Weg durch
Staaten suchen, die selbst von Terror und Verfolgung bedroht sind. Wir müssen verhindern, dass Menschen alles
hinter sich lassen und sich nur mit dem Nötigsten am
Leib, nicht selten auch mit einem Säugling im Arm, auf
diesen gefährlichen Weg begeben.
Die Sicherheit in Mali ist noch lange nicht gewährleistet; wir haben das eben gehört. Der Norden des Landes ist nicht befriedet. Dort gibt es Terroristen aus ganz
verschiedenen islamistischen Organisationen. Sie bedrohen die Bevölkerung. Deshalb muss der Einsatz weitergehen. Deshalb müssen wir versuchen, staatliche Autorität wiederherzustellen und die politischen Prozesse
voranzutreiben. Oberstes Ziel - Herr Mißfelder hat es
gesagt - ist die Aussöhnung im Land. Sie schreitet voran, und das macht uns Hoffnung. Insofern ist dieser
Einsatz in Mali gerechtfertigt.
Die humanitäre Lage hat sich inzwischen verbessert.
Das Land macht politische Fortschritte. 80 Prozent der
Binnenflüchtlinge haben den Weg zurück in die Heimat
antreten können. Frau Buchholz, das sind doch Erfolge
und Ergebnisse.
({2})
- Wir wollen nicht, dass diese 135 000 Flüchtlinge nach
Europa kommen,
({3})
sondern in ihrer Heimat bleiben können. Aber dafür
müssen wir vor Ort Sicherheit gewährleisten. Ansonsten
werden sie den Weg nach Europa antreten, und dann sind
die Alternativen nur Europa oder Tod. Genau das wollen
wir nicht. Deshalb danke ich den Soldaten, dass sie versuchen, den Menschen diese Überlegung zu ersparen.
({4})
„Europa oder Tod“ kann nicht das Lebensmotto der
Menschen in Mali oder anderswo sein. Deshalb bitte ich
um Zustimmung für diesen Einsatz.
Danke schön.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Be-
teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Mul-
tidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission in
Mali. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/5250, den Antrag der Bun-
desregierung auf Drucksache 18/5053 anzunehmen.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Sind die Plätze an den Urnen mit Schrift-
führerinnen und Schriftführern besetzt? - Das ist der
Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gege-
ben.1)
1) Ergebnis Seite 10899 C
Vizepräsident Peter Hintze
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der „United Nations
Interim Force in Lebanon“ ({1}) auf
Grundlage der Resolution 1701 ({2}) vom
11. August 2006 und nachfolgender Verlängerungsresolutionen des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen, zuletzt Resolution 2172
({3}) vom 26. August 2014
Drucksachen 18/5054, 18/5252
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/5253
Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir in circa 25 Minuten namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich dem Abgeordneten Thomas Hitschler, SPD-Fraktion,
das Wort.
({5})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine letzte Rede zur UN-Mission im Libanon habe ich mit einem Zitat der libanesischen Sängerin
Fairuz begonnen. Heute möchte ich zum Einstieg noch
etwas weiter in die lange und reiche Geschichte dieses
Landes zurückblicken:
Mit ihren Fußsohlen stampfen sie auf der Erde.
Durch ihr Herumspringen bersten Sirara und Libanon. Da wurde schwarz das weiß‘ Gewölk. Der Tod
regnet wie Nebel auf sie herab.
Diese Zeilen stammen aus dem Gilgamesch-Epos, dem
vielleicht ältesten Mythos der Geschichte. Diese Zeilen
handeln vom epischen Kampf zwischen dem sumerischen König Gilgamesch und dem Wächter des Zedernwaldes. Sirara ist der alte Name für das Kalamun-Gebirge, im Deutschen besser bekannt als der Antilibanon,
das Gebirge, das die Grenze zwischen dem Libanon und
Syrien bildet. Diese Zeilen sind gut 4 000 Jahre alt. Sie
könnten aber auch genauso gut vier Wochen alt sein;
denn vor vier Wochen verkündete der Generalsekretär
der libanesischen Hisbollah die Vertreibung der dschihadistischen Al-Nusra-Front aus dem Kalamun-Gebirge.
„Durch ihr Herumspringen bersten Sirara und Libanon.“ Das Bersten Syriens verfolgen wir seit vier Jahren.
Syrien ist faktisch auseinandergebrochen, zwischen den
letzten Bastionen des Assad-Regimes und dem blutigen
Kalifat des „Islamischen Staates“, zwischen der sunnitischen Al-Nusra-Front und der schiitischen Hisbollah,
zwischen den Interessen Saudi-Arabiens und den Interessen des Iran. Das Bersten des Libanon blieb bisher
aus. Aber auch der Libanon steht vor einer Zerreißprobe
an den eigenen konfessionellen Konfliktlinien, zwischen
den Assad-Unterstützern und den Assad-Gegnern, zwischen den Interessen Saudi-Arabiens und den Interessen
des Iran. Das Bersten Syriens hat den Libanon bisher
noch nicht erfasst. Aber der schreckliche Bürgerkrieg
wirft seine dunklen Schatten immer wieder über die
Grenze, etwa bei blutigen Attentaten wie dem Bombenanschlag im libanesischen Tripolis im Januar dieses Jahres, bei dem neun Menschen starben.
„Da wurde schwarz das weiß‘ Gewölk. Der Tod regnet wie Nebel auf sie herab.“ Immer wieder drängen die
dschihadistischen Kämpfer von IS und al-Nusra aus Syrien auf libanesisches Territorium vor, vor allem in die
Beeka-Ebene, die zwischen dem Libanongebirge und
dem Antilibanon liegt. Aber nicht nur Dschihadisten
drängen aus Syrien in die Beeka-Ebene. In Hunderten
provisorischen Zeltsiedlungen sind die meisten der bis
zu anderthalb Millionen Flüchtlinge untergebracht, die
vor dem syrischen Bürgerkrieg in den Libanon geflohen
sind.
Gemeinsam mit meinen beiden Fraktionskollegen
Christina Kampmann und Jens Zimmermann habe ich
Mitte Februar den Libanon besucht und dort auch eine
dieser Zeltstädte in der Beeka-Ebene. Die Temperaturen
lagen unter dem Gefrierpunkt. Im alles durchdringenden
Schneeregen spielten Kinder im eiskalten Schlamm, in
offenen Sandalen oder barfuß. „Mit ihren Fußsohlen
stampfen sie auf der Erde.“ Dies war nicht das erste
Flüchtlingslager, das ich besucht habe. Aber selten habe
ich in meinem ganzen Leben etwas so Bedrückendes erlebt. Wenn ich dann die Ignoranten bei uns in Deutschland höre, die gegen vermeintliche Wirtschaftsflüchtlinge hetzen, und wenn ich von den Feiglingen lesen
muss, die Unterkünfte für Flüchtlinge anzünden, dann
weiß ich nicht, was ich mehr sein soll: mehr traurig,
mehr wütend oder mehr fassungslos.
({0})
Nur einer Sache bin ich mir ganz sicher: dass wir als Demokraten diese geistige und diese tatsächliche Brandstifterei mit aller Entschlossenheit bekämpfen müssen.
({1})
Dem Libanon und den Flüchtlingen zu helfen, ist eine
Frage der Menschlichkeit. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, ob wir es mit unseren Werten ernst meinen.
Dem Libanon zu helfen, ist aber auch eine Frage unserer
eigenen Sicherheit. Das Bersten Syriens hat zu enormen
Flüchtlingsbewegungen geführt, die den Mittleren Osten
massiv belasten und uns selbst in Europa vor große Herausforderungen stellen. Das Bersten des Libanon würde
diese Situation in einer Dimension vervielfachen, die ich
mir nicht vorstellen möchte. Dieses Bersten müssen wir
verhindern.
Neben der Flüchtlingsproblematik sind zwei weitere
Faktoren in hohem Maße sicherheitsrelevant für Europa:
die zunehmende Instabilität einer Region direkt vor unserer Haustür und der Terrorismus. Zerfallene Staaten
sind Brutstätten des Terrors. Der Niedergang der Staatlichkeit im Mittleren Osten hat den Aufstieg des „Islamischen Staates“ erst ermöglicht. Hier können sich seine
Anhänger ausbreiten. Hier können sie sich zurückziehen.
Hier können sie neue Mitglieder anwerben.
Neben dem IS tummeln sich etliche weitere Terrorgruppen im Grenzgebiet zwischen Syrien und dem Libanon. Die Al-Nusra-Front ist ein direkter Ableger von alQaida. Die Hisbollah greift direkt in den Syrien-Konflikt
ein, gewinnt Kampferfahrung, rüstet auf und steht an der
Schwelle zu einem neuen Krieg mit Israel. Die Sicherheitslage im Libanon ist äußerst fragil. Ich bin mir sicher: Wenn sich die internationale Gemeinschaft in dieser Situation herausziehen würde, wäre das Bersten des
Libanon kaum noch aufzuhalten.
Heute stimmen wir über die UN-Mission UNIFIL
ab - ein kleiner, aber sehr bedeutender Stabilitätsfaktor
für den Libanon. Das bestätigte mir auch der libanesische Außenminister Gebran Bassil bei meinem Besuch.
Davon konnte ich mich auf der deutschen Korvette „Erfurt“ im Hafen von Beirut selbst überzeugen. Unsere
Soldaten leisten dort hervorragende Arbeit in einem
durchaus schwierigen Umfeld.
({2})
Auch sie wissen um die Situation der Flüchtlinge. Auch
sie wissen, dass Anfang des Jahres ein spanischer Soldat
der UN-Mission gefallen ist. Umso wichtiger ist, dass
sie mit ihren Angehörigen in der Heimat kommunizieren können. Dafür müssen wir ihnen die technischen
Möglichkeiten zur Verfügung stellen, wie etwa einen
WLAN-Zugang an Bord. Das wäre das Mindeste.
({3})
UNIFIL sichert die libanesische Küste und den Zugang zu humanitärer Hilfe. Angesichts der katastrophalen Situation der Flüchtlinge ist dies unerlässlich.
UNIFIL stärkt die libanesischen Sicherheitskräfte, die
als einzige Institution konfessionsübergreifendes Vertrauen genießen. Angesichts der politischen Spaltung im
Land ist dies unersetzlich. UNIFIL bietet die einzige
Plattform, auf der sich Israel und der Libanon direkt untereinander austauschen. Angesichts der Spannungen
zwischen der Hisbollah und Israel ist dies unverzichtbar.
Helfen Sie mit, das Bersten des Libanon zu verhindern. Stimmen Sie für die Weiterführung von UNIFIL.
Vielen Dank.
({4})
Ich verlese das Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der zweiten namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({0})
zum Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der
Vereinten Nationen in Mali ({1}) auf Grundlage
der Resolutionen 2100 ({2}) und 2164 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013
und 25. Juni 2014“, Drucksachen 18/5053 und 18/5250:
abgegebene Stimmen 598. Mit Ja haben gestimmt 529,
mit Nein haben gestimmt 65, Enthaltungen 4. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Berlin, den
19. Juni 2015, die Schriftführerinnen und Schriftführer.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 597;
davon
ja: 528
nein: 65
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Maik Beermann
Manfred Behrens ({4})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({8})
Mark Helfrich
Uda Heller
Vizepräsident Peter Hintze
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
({9})
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({10})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({11})
Stefan Müller ({12})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({13})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({14})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({15})
Gabriele Schmidt ({16})
Ronja Schmitt ({17})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({18})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({19})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({20})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({21})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({22})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({23})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({24})
Sabine Weiss ({25})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({26})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding ({27})
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Vizepräsident Peter Hintze
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({28})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({29})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({30})
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({31})
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({32})
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({33})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({34})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({35})
Matthias Schmidt ({36})
Dagmar Schmidt ({37})
Carsten Schneider ({38})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({39})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({40})
Volker Beck ({41})
Dr. Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({42})
Christian Kühn ({43})
Markus Kurth
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({44})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
SPD
Klaus Barthel
Dr. Ute Finckh-Krämer
Cansel Kiziltepe
Christian Petry
Waltraud Wolff
({45})
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({46})
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({47})
Richard Pitterle
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({48})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Peter Meiwald
Corinna Rüffer
Hans-Christian Ströbele
Enthalten
SPD
Marco Bülow
Petra Hinz ({49})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Beate Müller-Gemmeke
Vizepräsident Peter Hintze
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Inge Höger, Fraktion Die Linke, das Wort.
({50})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jahr für
Jahr stimmen wir hier im Bundestag über die Fortsetzung der Beteiligung an dem UNIFIL-Mandat ab. Als
Ergebnis dieses traurigen Rituals entsendet die Bundeswehr zwischen 150 und 250 Soldatinnen und Soldaten in
die Kriegs- und Krisenregion Nahost. Die Situation hat
sich dadurch kaum verbessert. Im Gegenteil: Sie hat sich
in den letzten Jahren deutlich zugespitzt.
Der Auftrag des Mandats war von Anfang an eher
symbolischer Natur. Die Bundesmarine hat dort nach
Waffen gesucht, wo höchstens geschmuggelte Zigaretten
zu finden waren. Das einzig greifbare Ergebnis der deutschen Beteiligung an UNIFIL ist die völlige Enttabuisierung der militärischen Präsenz von deutschen Soldatinnen und Soldaten überall in der Welt.
({0})
Das Ziel der UNIFIL-Mission war ursprünglich die
Umsetzung der UN-Resolution 1701, also die Überwachung des Waffenstillstandes zwischen Israel und dem
Libanon. Das Mandat wirkt inzwischen eher wie ein Syrien-Mandat durch die Hintertür.
({1})
Die Beteiligung an UNIFIL zusammen mit dem PatriotEinsatz in der Türkei ermöglicht es der Bundeswehr, im
Nahen Osten präsent zu sein. Für die Linke ist klar: Wir
wollen keine Auslandseinsätze der Bundeswehr und
ganz besonders keine deutschen Soldaten im Nahen Osten.
({2})
Mir ist bewusst, dass Deutschland in den letzten vier
Jahren 247 Millionen Euro als Hilfe für Flüchtlinge zur
Verfügung gestellt hat. Allerdings ist dies völlig unzureichend, um der humanitären Katastrophe in Syrien und
im Irak gerecht zu werden. Für den Nothilfefonds der
Vereinten Nationen für syrische Flüchtlinge sind von den
notwendigen 4,5 Milliarden Dollar bis Anfang Juni 2015
gerade einmal 23 Prozent zusammengekommen.
({3})
Durch Verzicht auf das Militär bei UNIFIL könnte
Deutschland seinen Beitrag um 50 Prozent steigern. Noch
besser wäre der Verzicht auf das völlig unsinnige Rüstungsprojekt MEADS.
({4})
Mit der möglichen Einsparung von 4 Milliarden Euro
könnte man den gesamten Nothilfetopf auffüllen. Das
wäre aktive humanitäre Hilfe und zugleich aktive Friedenspolitik.
({5})
Dem Welternährungsprogramm stehen gerade 62 Cent
pro Tag und Flüchtling im Libanon zur Verfügung. Davon können die Menschen nicht satt werden,
({6})
von ausreichender hygienischer und medizinischer Versorgung ganz zu schweigen. Die fehlenden Gelder für
die Versorgung von syrischen Flüchtlingen stellen neben
der humanitären Krise auch ein sicherheitspolitisches
Risiko dar. Hier könnte verantwortliche Außenpolitik
wirklich etwas ändern; sonst müssen wir uns über die
weitere Destabilisierung des Libanon und weitere Flüchtlingstragödien im Mittelmeer nicht wundern.
Der Kampf gegen Waffenlieferungen kann übrigens
statt auf dem Mittelmeer sehr viel erfolgreicher in
Deutschland beginnen. Warum kann die Türkei ohne
Konsequenzen Milizen in Syrien bewaffnen? Warum liefert Deutschland U-Boote an Israel, die atomar bewaffnet werden können? Warum schickt Deutschland weiter
Waffen in die Golfregion, obwohl die Waffen an terroristische Gruppen wie den IS geliefert werden? Dass SaudiArabien auch die offizielle libanesische Armee ausrüstet,
ist ebenfalls kein Grund zur Entwarnung. Das nutzt allein der Waffenindustrie. Stoppen Sie die Waffenlieferungen in die gesamte Region, und zwar sofort!
({7})
Unabhängig davon lohnt es sich, die bisherige Strategie des Einfrierens von Konflikten zu überdenken. Die
militärische Präsenz von UN-Truppen beruhigt bestenfalls kurzfristig die Lage. Die Lösung der zugrundeliegenden politischen Probleme tritt dadurch allzu oft in
den Hintergrund. Ein glaubwürdiger politischer Prozess
könnte zum Beispiel eine Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten nach
dem Vorbild der KSZE sein.
({8})
Ohne einen umfassenden politischen Prozess wird es
keinen dauerhaften Frieden und keine Sicherheit im Nahen Osten geben, weder für die Menschen im Libanon
noch für die Menschen in Syrien noch für die Menschen
in Israel. Den notwendigen Friedensprozess sollte
Deutschland nicht durch immer mehr Waffen und Soldaten erschweren; vielmehr sollte man zu einem glaubwürdigen politischen Prozess kommen.
({9})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Philipp Mißfelder, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Frau
Höger, ich hatte gerade schon die Gelegenheit, das, was
Frau Buchholz gesagt hat, einzuordnen. Diese Gelegenheit möchte ich auch bei Ihnen nicht verstreichen lassen.
Ich möchte aber zunächst eine Bemerkung zu den Vorgängen innerhalb Ihrer Fraktion machen. Nachdem ich
gehört habe, was Sie, Frau Höger, und vorher Sie, Frau
Buchholz, gesagt haben, kann ich verstehen, warum
Gregor Gysi aufgegeben hat, zu versuchen, die Linkspartei in der Außenpolitik auf einen verantwortungsbewussten Kurs zu bringen.
({0})
Sie haben gerade gefordert, einen Prozess für den Nahen Osten ähnlich der OSZE anzustoßen. Ich darf Sie
darauf hinweisen, dass UNIFIL genau so etwas ist.
({1})
Ohne UNIFIL würden die Drei-Parteien-Gespräche
nicht stattfinden. Ohne UNIFIL, der Beobachtermission
der Vereinten Nationen, wären diese Gespräche überhaupt nicht auf den Weg gebracht worden. Das Beste an
diesem Mandat ist, dass man alle vier Wochen zusammensitzt und versucht, gemeinsam Lösungen zu finden,
übrigens zur Zufriedenheit aller Beteiligten.
({2})
Die Situation - damit haben Sie recht - ist insgesamt
sehr fragil. Das Mandat ist unter ganz anderen Gesichtspunkten, unter einem ganz anderen Konfliktszenario zustande gekommen. Aber gerade weil sich die Situation
im Nahen Osten insgesamt durch ISIS und durch andere
Vorgänge sehr verschärft hat, kann man nun wirklich
nicht sagen: Wir verschließen die Augen davor und ziehen uns zurück.
Deshalb bin ich der Meinung, dass wir dieses Mandat
dringend verlängern müssen. Was sich im Irak vollzieht,
der steigende Einfluss des Irans, insbesondere im Libanon, aber auch im Jemen, in der gesamten Region, ist
eine große Gefahr. Zu befürchten ist, dass daraus wieder
neue Konflikte entstehen. Das, was wir in Syrien sehen,
ist - davon sind einige von uns schon seit längerer Zeit
überzeugt - nur der Anfang dessen, was dem Nahen Osten insgesamt an Stellvertreterkonflikten bevorstehen
wird. Wenn die mittleren Mächte und Großmächte wie
die Türkei, Saudi-Arabien und der Iran aufeinanderprallen, dann dürfen wir nicht an der Seitenlinie stehen und
so tun, als wenn uns das nichts angeht. Es geht uns etwas
an. Deshalb ist UNIFIL auch weiterhin wichtig, und deshalb müssen wir mit UNIFIL weiter präsent sein, meine
Damen und Herren.
({3})
Der Hisbollah-Angriff auf zwei israelische und einen
spanischen UNIFIL-Soldaten zeigt, dass die Situation
nach wie vor sehr angespannt ist. Ich befürchte, dass
durch die Vorgänge im Irak, durch den drohenden Einfluss des Irans die Gelegenheit, im Libanon an Einfluss
zuzulegen und die Hisbollah in eine noch viel stärkere
Position zu bringen, nicht ungenutzt bleiben wird. Gerade deshalb ist es wichtig, für Ausgleich zu sorgen. Das
macht UNIFIL in dieser Situation. Deshalb bin ich auch
davon überzeugt, dass das Mandat richtig ist.
Es ist korrekt, dass politische Konflikte - ich wiederhole das, was vorhin viele Redner schon gesagt haben nicht durch militärische Maßnahmen gelöst werden.
Aber die Einbettung dieses Mandats, flankiert durch unsere starken diplomatischen Bemühungen in der Region,
ist sinnvoll, ist nachhaltig und führt dazu, dass es einen
großen Beitrag zum Frieden und zur Stabilität in der Region liefert. Das ist wichtig. Deshalb wollen wir dieses
Mandat auch fortsetzen, meine Damen und Herren.
({4})
Wenn wir resümieren, wo wir in unserer Syrien-Politik stehen, müssen wir natürlich schon kritisch sagen:
Aus der Oppositionsbewegung in Syrien ist nicht das
entstanden, was wir anfangs gehofft hatten. Aber gerade
aufgrund dieser Erfahrung in Syrien kann uns nicht egal
sein, was in Ländern passiert, die auch fragil sind, wie
im Libanon oder in Jordanien, das mit einer so großen
Zahl von Flüchtlingen konfrontiert ist, dass es ein Wunder ist, dass es überhaupt noch so stabil ist. Wir müssen
uns auf allen Ebenen politisch, aber an dieser Stelle eben
auch militärisch engagieren, um die Staatlichkeit weiter
aufrechtzuerhalten.
Das BMZ ist im Libanon stark präsent. Sie haben ausgeblendet, was wir auf dieser Ebene tun. Es ist tatsächlich eine unserer Prioritäten und eine Verpflichtung für
uns, in der gesamten Region mit allen Möglichkeiten,
die die politische Klaviatur bietet, zu helfen und zu unterstützen.
Dieses Mandat ist nur ein kleiner Ausschnitt von dem,
was wir alles tun. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie
um die Verlängerung und weiterhin auch um die Unterstützung derjenigen Maßnahmen, die wir sonst noch
durchführen.
Herzlichen Dank.
({5})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Libanon liegt in einer Region, in der es extreme konfessionelle und ethnische Spannungen gibt, in der es viel zu
viele Waffen gibt, in der extremistische, islamistische
Gruppen Gräueltaten verüben und brutale Regime auch
mit militärischen Mitteln um Macht und Einfluss kämpfen. Auch im Libanon ist die innenpolitische Lage sehr
fragil. Die politischen Institutionen sind sehr schwach.
Wahlen mussten mehrfach verschoben werden, und
wichtige politische Ämter sind vakant. Verschiedenste
Gruppen versuchen, die Konflikte zwischen den Konfessionen zu befeuern und die Lage immer wieder auch mit
Gewalt zu destabilisieren.
Seit Jahren hat das Land eine hohe Bürde auf sich genommen. Man muss sich das einmal vorstellen: Jeder
vierte Mensch in diesem Land, das bei weitem nicht so
wohlhabend ist wie Deutschland, ist ein Flüchtling.
In einem solch schwierigen Umfeld haben Streitkräfte
schon oft eine sehr ungute, eine verheerende Rolle gespielt, gerade in einem solchen politischen Vakuum.
Meine Damen und Herren, dass die Armee im Libanon
bei allen Problemen, die es in ihren Reihen gibt, immer
noch großes Vertrauen in der Bevölkerung genießt und
eben nicht zur Destabilisierung, sondern zur Stabilität
beiträgt, hat auch etwas mit der UN-Mission UNIFIL zu
tun; das ist auch richtig.
({0})
Neben der Aus- und Fortbildung des libanesischen
Militärs hat UNIFIL aber auch die Aufgabe, Waffenschmuggel zu unterbinden und den Schutz der Pufferzone zwischen den ehemaligen Kriegsparteien Israel und
Libanon sicherzustellen. Diese Friedensmission ist angesichts der explosiven Lage in der Nachbarschaft ebenso
wie der innenpolitisch fragilen Situation im Libanon
keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Erfolgsgeschichte. Allein dass mit dem Beginn dieser Mission der
Krieg zwischen Israel und Libanon vor neun Jahren beendet werden konnte, ist, finde ich, auch heute noch ein
Riesenverdienst. Das kann kaum hoch genug gewürdigt
werden.
({1})
Israel und der Libanon gelten auch heute nicht als befreundete Staaten. UNIFIL hat aber nicht nur dazu beigetragen, den Krieg vor neun Jahren zu beenden, sondern leistet Tag für Tag neu einen Beitrag zur
Vertrauensbildung, einen Beitrag dazu, dass Gewalt verhindert wird und Deeskalation stattfindet. Das ist ein
sehr wertvoller Beitrag.
({2})
Ich würde das gern einmal konkret machen, weil das
immer so große Schlagworte sind, die wir benutzen,
wenn wir im Deutschen Bundestag über solche Mandate
sprechen. Wir müssen nur in den Januar dieses Jahres
schauen. Da ist ein Hisbollah-Konvoi von einer israelischen Rakete getroffen worden. Es gab daraufhin einen
Vergeltungsangriff. Israel hat dann wieder mit Artilleriebeschuss reagiert. Die traurige Bilanz dieser drei Vorfälle: Zwei israelische Soldaten, ein UNIFIL-Soldat,
sechs Hisbollah-Kämpfer und ein iranischer Offizier
sind gestorben. Ich finde, es braucht eigentlich gar nicht
so viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass aus solchen
schrecklichen Vorfällen eine neue verheerende Gewaltspirale entstehen kann. Aber gerade auch in diesem Fall
hat UNIFIL dazu beigetragen, dass andere Konfliktlösungsmechanismen greifen, dass die Logik der Gewalt
durchbrochen wird und der Waffenstillstand hält. Ich
finde, das zeigt auch, dass es verantwortungslos wäre,
UNIFIL angesichts der Lage in der Region und im Libanon selbst heute zu beenden, und dass die Soldatinnen
und Soldaten der Marine hier einen wichtigen Beitrag
zur Prävention von Gewalt leisten. Dafür sind wir sehr
dankbar.
({3})
Aber wenn wir über die Situation im Libanon diskutieren, dann müssen wir auch über Flüchtlinge sprechen.
Dass das Programm für die syrischen Flüchtlinge, das
nur zu 20 Prozent ausfinanziert ist, dazu führt, dass die
Menschen dort teilweise nur noch eine Mahlzeit am Tag
bekommen, ist, finde ich, beschämend und ein Armutszeugnis für die internationale Gemeinschaft. Dieses
Geld muss dringend und schnell fließen.
({4})
Ebenso beschämend finde ich die Politik der europäischen Mitgliedstaaten der letzten Jahre, aber auch insbesondere der letzten Wochen. Nicht nur, dass man es versäumt hat, über Jahre hinweg eine funktionierende
Seenotrettung auf den Weg zu bringen, und den Katastrophen im Mittelmeer einfach zugeschaut hat. Ich
wundere mich schon, warum die europäischen Verteidigungs- und Außenminister auf einmal so viel Aktionismus entwickeln und Energie aufwenden, um eine Mission zu planen, die die Schlepperbanden militärisch
bekämpfen soll. Ich finde, das ist gefährlich, und das ist
eine Fortsetzung und sogar eine Verschärfung der falschen und fatalen Politik der letzten Jahre.
({5})
Gerade wenn man verhindern will, dass es im östlichen Mittelmeer zu genau solchen dramatischen Katastrophen wie vor Libyen und Lampedusa kommt, darf
man nicht die Schlepper in einer militärisch hochriskanten Mission bekämpfen. Vielmehr muss dann die Bundesregierung endlich handeln, damit diejenigen, die vor
Not und Gewalt fliehen, nicht auch noch unter Lebensgefahr den Weg nach Europa auf sich nehmen müssen.
Deshalb sind legale und sichere Einwanderungswege
nach Europa die richtige Antwort. Sie sind weniger risikoreich als ein solches militärisches Abenteuer. Sie sind
auch viel geeigneter und nachhaltiger, weil sie den verbrecherischen Schlepperbanden nämlich die Geschäftsgrundlage entziehen. Tun Sie hier endlich etwas!
({6})
Frau Kollegin.
Meine Damen und Herren, im Rahmen von UNIFIL
übernimmt Deutschland Verantwortung.
Geschätzte Frau Kollegin, Sie haben die Zeit überschritten.
Ich bin bei meinem letzten Satz, Herr Präsident.
Sie haben schon dramatisch überzogen, fast schon
eine zweite Rede.
Noch besser wäre es, wenn auch endlich die europäische und deutsche Verantwortungslosigkeit in der
Flüchtlingspolitik ein für alle Mal beendet würde.
({0})
Der Satz war wichtig. Aber sagen wir einmal so: Man
kann einen wichtigen Satz auch an das Ende seiner Rede
legen statt zwei Minuten später. Insofern wäre auch das
einmal gut.
Der nächste Redner - der letzte in dieser Aussprache ist der Kollege Ingo Gädechens, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Erneut stimmen wir über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations Interim
Force in Lebanon“ ab. UNIFIL ist leider so etwas wie
der vergessene Einsatz. Von der breiten Öffentlichkeit
kaum wahrgenommen, leisten seit 2006 unsere Bundeswehrsoldaten einen wertvollen Beitrag zur Friedenssicherung im Libanon.
Die heutige Debatte zur erneuten Verlängerung des
Mandates ermöglicht es, den Fokus etwas schärfer auf
diesen Auslandseinsatz zu richten, um noch einmal herauszustellen, was deutsche Soldatinnen und Soldaten in
diesem Einsatzgebiet tatsächlich leisten. Das ist wichtig,
meine Damen und Herren; denn gerade mit Blick auf
den linken Teil des Plenarsaales wird immer wieder
deutlich, dass gerade die Fraktion Die Linke diesen Einsatz nicht verstehen will. Sie wollen ihn nicht verstehen.
Deshalb werden die guten Argumente noch einmal ins
Feld geführt.
Meine Damen und Herren, es ist wahrlich keine
Selbstverständlichkeit, dass seit dem verheerenden Bürgerkrieg 2006 zwischen Israel und dem Libanon eine relative Ruhe herrscht. Nach dem Libanon-Krieg wurde
UNIFIL zu einem robusten Mandat, bei dem die Zahl
der eingesetzten Blauhelme erheblich erhöht wurde. Ziel
war und ist es, Frieden und Sicherheit in der Region herzustellen, um letztendlich auch der libanesischen Regierung - die Kollegin Brugger hat die Problemvielfalt dort
geschildert - zu helfen, die Souveränität und ihre Autorität in dem Gebiet wieder zu erlangen.
({0})
Die deutsche Marine leistet hier einen wertvollen Beitrag zur Sicherung der Seegrenzen und hat die Führung
im Bereich der seemännischen Ausbildung übernommen.
Die UNIFIL-Mission ist aus Sicht der CDU/CSUFraktion aber viel mehr. Sie ist ein erkennbar starkes Signal an die Nachbarn Israel und Libanon. Auch dieser
Aspekt wird von Ihnen leider völlig ausgeblendet. Die
UN-Kräfte, insbesondere die deutsche Marine, werden
sowohl vom Libanon als auch von Israel als Partner und
Stabilitätsfaktor für die Krisenregion betrachtet. Beide
Staaten schätzen das deutsche Engagement und legen
ausdrücklich Wert auf eine Fortsetzung. Ich wundere
mich bei jeder erneuten Beratung, dass die Linken diesen konkreten Wunsch der beiden Länder nicht erfüllen
wollen.
Gerade mit Blick auf die instabile Lage in Syrien ist
UNIFIL ein sehr wichtiges Mandat. Wir wollen einen
möglichen Flächenbrand in der Region verhindern.
Durch den Syrien-Konflikt und den unverändert anhaltenden Flüchtlingsstrom ist die Sicherheit im Libanon
ohnehin schon stark gefährdet. Zudem nimmt die Bedrohung durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ in der
Region weiter zu. Für diese wachsenden Herausforderungen braucht der Libanon auch weiterhin internationale Unterstützung. Deshalb ist alles, was hilft, um den
libanesischen Staat zu ertüchtigen, gut und richtig.
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz
etwas Allgemeines zum Wirken deutscher Soldaten sagen; denn auch hier werden vom linken Teil des Hauses
oft abstruse Gebilde aufgebaut. Deutsche Bundeswehrsoldaten haben das feste Ziel, überall dort, wo sie
im Friedenseinsatz sind, auch Frieden zu schaffen. Sie
schaffen Vertrauen, bauen Vorurteile ab, sorgen für ein
Klima der Verlässlichkeit und der partnerschaftlichen
Kooperation. Die deutschen Soldatinnen und Soldaten
meistern ihre Aufgabe in allen Einsatzgebieten vorbildlich, professionell und souverän. Damit geben sie unsere
Werte und unser Demokratieverständnis, zum Beispiel
auch im Libanon, weiter an die Menschen und an die
Soldaten. Hier in Deutschland wachen 99,7 Prozent der
Menschen auf und genießen die Freiheit. 0,3 Prozent unserer Menschen, Bundeswehrsoldaten, schützen diese
Freiheit in diesen Einsätzen. Die Bundeswehr sichert unseren Frieden jeden Tag aufs Neue. Dies ist nicht in Zahlen oder Statistiken zu messen, sondern im kontinuierlichen Fortschritt, wie wir im UNIFIL-Mandat auch am
Beispiel der libanesischen Marine gut beobachten können.
Leider ist der Libanon noch weit von einer inneren
Stabilität entfernt und noch lange nicht befriedet. Gerade
in den letzten Monaten gab es immer wieder Grenzzwi10906
schenfälle mit Verwundeten, leider auch mit Toten.
Umso wichtiger ist es, dem etwas entgegenzusetzen. Es
gibt vor Ort viele Libanesen, die sehnlichst auf Frieden
hoffen und aktiv dafür arbeiten. Die Soldaten des deutschen Kontingents unterstützen diese Bemühungen mit
ganzer Kraft. Ihnen gilt mein besonderer Dank.
Ich bitte Sie um die Unterstützung des UNIFIL-Mandats.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United
Nations Interim Force in Lebanon“ ({0}). Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/5252, den Antrag der Bundesregierung
auf Drucksache 18/5054 anzunehmen.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die Plätze an den Urnen zu besetzen. - Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? - Die Plätze an den Urnen
sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer um die Auszäh-
lung. Das Ergebnis wird dann später im Verlaufe der Sit-
zung bekannt gegeben.1)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra
Pau, Jan Korte, Martina Renner, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Unabhängige Polizeibeschwerdestelle auf
Bundesebene einrichten
Drucksache 18/4450
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes - Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt
Drucksache 18/2492
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
1) Ergebnis Seite 10907 D
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus verstetigen und finanziell absichern
Drucksache 18/2493
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Innenausschuss
Sportausschuss
Haushaltsauschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich darf, bevor ich dem ersten Redner, genauer gesagt: der ersten Rednerin, das Wort gebe, bitten, dass die
Kollegen Platz nehmen. Wer meint, er muss unbedingt
etwas besprechen, möge das bitte draußen tun, damit wir
hier ordnungsgemäß unsere Beratungen fortsetzen können. Es wäre uns ein Herzenswunsch, dass auch die Bundesregierung diesem Wunsch des Parlamentes folgt.
Bitte Platz nehmen oder hinausgehen, das sind die beiden Alternativen. Das Allerbeste ist Platz nehmen und
zuhören, das ist vollkommen klar.
Nun rufe ich die erste Rednerin in dieser Aussprache
auf: Das ist die Abgeordnete Petra Pau, Fraktion Die
Linke. - Bitte schön.
({3})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Demnächst jährt sich zum zweiten Mal der
Abschluss des NSU-Untersuchungsausschusses. NSU ist
das Kürzel für eine Nazibande. Über zehn Jahre zog sie
raubend und mordend durch Deutschland, angeblich unerkannt und offenbar ungehindert.
Das Kürzel NSU steht aber auch für ein komplettes
Staatsversagen. Deshalb enthielt der Abschlussbericht
des Untersuchungsausschusses auch 47 dringende Forderungen, was zu ändern sei. Also gefragt: Sind diese
Änderungen inzwischen umgesetzt? Bei einigen ist das
nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten, andere
brauchen Zeit. Aber insgesamt geht es mir, geht es der
Linken zu langsam. Mehr Konsequenz ist längst überfällig.
({0})
Hinzu kommen politische Aktivitäten, die vorgeben,
Missstände in Sicherheitsbehörden zu beheben, es aber
nicht wirklich tun. Dazu gehört der neue Gesetzentwurf
für den Verfassungsschutz - ein Placebo, wie etliche Experten auch im Innenausschuss fanden. Übel werden geregelt, statt behoben. Wir werden diesen Gesetzentwurf
daher in der nächsten Sitzungswoche ablehnen.
Als Lehre aus dem NSU-Desaster hat die Linke nunmehr drei weitere Anträge gestellt. Wir wollen erstens
eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle auf Bundesebene, zweitens ein Aufenthaltsrecht für Opfer rechtsextremer Gewalt und drittens eine solidere Basis für Initiativen gegen Rechtsextremismus.
({1})
Alle drei Anträge sind auch im Sinne der Opfer des
NSU-Netzwerkes und gehen gleichwohl darüber hinaus.
Sie wollen unser aller Demokratie stärken.
Zur unabhängigen Polizeibeschwerdestelle. Ich unterstelle im NSU-Komplex keinem Beamten Rassismus;
aber die Ermittlungen trugen nahezu durchweg rassistische Züge. Die Opfer und Hinterbliebenen der Mordserie wurden als Täter verdächtigt und so von Amts wegen
ein zweites Mal zu Opfern gemacht. Niemand nahm ihre
Einwände, Hinweise und Beschwerden ernst. Es gab für
sie einfach keinen Ansprechpartner, schon gar nicht einen unvoreingenommenen. Ich finde, das kann so nicht
bleiben.
({2})
Eine unabhängige Beschwerdestelle wäre übrigens
zugleich ein Angebot für Polizistinnen und Polizisten.
Auch sie hätten einen Partner, wenn sie Unzulänglichkeiten im Dienst wahrnehmen und ihre Vorgesetzten
nicht als Partner, die unvoreingenommen sind, erfahren.
Zahlreiche Bürgerrechtsverbände und humanistische Organisationen fordern dies seit längerem - die Linke
auch.
Ich komme zum zweiten Antrag, zum Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt. Rechtsextreme Gewalt
nimmt bundesweit zu, insbesondere gegen Flüchtlinge
und ihre Heime, gegen Migranten und ihr Umfeld insgesamt. Es ist höchste Zeit, dagegen Zeichen zu setzen demonstrativ und faktisch. Die betroffenen Menschen
brauchen unsere Solidarität, und sie brauchen Sicherheit.
Deshalb will die Linke, dass von Gewalt Betroffene einen Aufenthaltsstatus erhalten, sofern sie noch keinen
haben oder nur geduldet sind.
({3})
Das würde obendrein den Gewalttätern auch jedwede
Genugtuung - nach dem Kumpanei-Motto „Wir greifen
an, und der Staat schiebt an“ - nehmen.
Ich möchte das Problem und das Anliegen anhand
von zwei Beispielen illustrieren. Vor wenigen Wochen
sollte ein 28-jähriger Asylsuchender aus dem Iran, der
am Anklamer Bahnhof im November 2014 von Rechten
angegriffen wurde, nach Italien abgeschoben werden.
Die Ausländerbehörde hatte dies angeordnet, obwohl der
Betroffene Zeuge und Opfer einer schweren Straftat
wurde und die Täter bislang nicht vor Gericht standen.
Ähnlich erging es einem algerischen Asylsuchenden.
Er war im Juni 2013 in Dresden rassistisch beleidigt und
zusammengeschlagen worden. Die Staatsanwaltschaft
erhob Anklage gegen den Täter. Der Betroffene wollte
und sollte im Prozess als Nebenkläger auftreten. Doch
dann verlängerte die Ausländerbehörde den Aufenthaltsstatus des Algeriers nicht mehr. So konnte er weder im
Gerichtsprozess gegen die Täter aussagen noch seine
Rechte als Nebenkläger wahrnehmen.
Leider sind diese beiden Fälle keine Ausnahmen.
Deshalb muss die Regel zugunsten der Opfer geändert
werden. Genau das ist der Sinn unseres Antrages.
({4})
Zur Förderung gesellschaftlicher Initiativen gegen
Rechtsextremismus: Diese engagieren sich vor Ort für
Demokratie und Toleranz - die meisten hochprofessionell. Mithin sind sie unverzichtbar. Etliche Initiativen
werden inzwischen besser als vordem aus Bundesmitteln
gefördert - aber mitnichten gut. Das muss sich ändern.
Das müssen wir, das muss der Bundestag ändern.
({5})
Dabei geht es auch um Geld. Gefragt ist aber vor allem
Verlässlichkeit, damit diese Initiativen endlich kontinuierlich arbeiten können.
Alle drei Anträge sind, finde ich, in unser aller Interesse. Deshalb hofft die Linke auf prinzipiellen Zuspruch, und zwar so, wie es im NSU-Untersuchungsausschuss möglich war: fraktionsübergreifend. Das ist unser
Angebot.
({6})
Herzlichen Dank. - Ich verlese das Protokoll des von
den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten
Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zum Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der ‚United Nations Interim Force in Lebanon‘ ({0}) auf
Grundlage der Resolution 1701 ({1}) vom 11. August
2006 und nachfolgender Verlängerungsresolutionen des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zuletzt Resolution 2172 ({2}) vom 26. August 2014“, Drucksachen
18/5054 und 18/5252: abgegebene Stimmen 598. Mit Ja
haben gestimmt 526, mit Nein haben gestimmt 65, Enthaltungen 7. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Berlin, den 19. Juni 2015, die Schriftführerinnen und
Schriftführer.
Vizepräsident Peter Hintze
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 599;
davon
ja: 527
nein: 65
enthalten: 7
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Maik Beermann
Manfred Behrens ({3})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({7})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
({8})
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({9})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({10})
Stefan Müller ({11})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Sylvia Pantel
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({12})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({13})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({14})
Gabriele Schmidt ({15})
Ronja Schmitt ({16})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({17})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({18})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({19})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Vizepräsident Peter Hintze
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({21})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({22})
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß ({23})
Sabine Weiss ({24})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({25})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({26})
Burkhard Blienert
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({27})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Dr. Eva Högl
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({28})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({29})
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({30})
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({31})
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({32})
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({33})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({34})
Matthias Schmidt ({35})
Dagmar Schmidt ({36})
Carsten Schneider ({37})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({38})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({39})
Volker Beck ({40})
Dr. Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({41})
Christian Kühn ({42})
Markus Kurth
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({43})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Vizepräsident Peter Hintze
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
SPD
Klaus Barthel
Dr. Ute Finckh-Krämer
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({44})
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff
({45})
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({46})
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({47})
Richard Pitterle
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({48})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
Enthalten
SPD
Cansel Kiziltepe
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Maria Klein-Schmeink
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Corinna Rüffer
Dr. Harald Terpe
Ich gebe nun als Nächstem das Wort dem Abgeordneten Günter Baumann, CDU/CSU-Fraktion.
({49})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Unter dem Tagesordnungspunkt 31 beraten
wir heute drei Anträge der Fraktion Die Linke unterschiedlicher Art.
Ich möchte zunächst zum ersten Antrag sprechen. Die
Fraktion fordert eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle auf Bundesebene und darüber hinaus eine Abstimmung der Gesetzesinitiative, damit ähnliche Polizeibeschwerdestellen in den Ländern entstehen. Meine
Damen und Herren, für mich liegt diesem Antrag ein generelles Misstrauen gegen unsere Polizei, gegen unsere
Institutionen zugrunde,
({0})
und das tragen wir als Fraktion absolut nicht mit.
({1})
Wir möchten einen derartigen Generalverdacht gegen
die Polizei so nicht stehen lassen.
Das gibt mir die Gelegenheit, mich an dieser Stelle
einmal ganz herzlich bei unseren Bundespolizistinnen
und Bundespolizisten sowie Landespolizistinnen und
Landespolizisten für den Job zu bedanken, den sie jeden
Tag für uns alle in Deutschland leisten.
({2})
Wir sehen die Bilder von - auch jungen - Polizisten, die
bei Demonstrationen, bei Fußballchaoten zwischen die
Fronten geraten. Da kann man sich nur bei den Leuten
für das bedanken, was sie für uns leisten.
Meine Damen und Herren, was Beschwerden über die
Bundespolizei und Beschwerden innerhalb der Polizei
anbelangt, gibt es bereits eine Reihe von Möglichkeiten,
Abhilfe zu leisten. Als Erstes steht den Bürgerinnen und
Bürgern eine unabhängige Justiz, die Staatsanwaltschaften und Gerichte, zur Verfügung, um rechtswidriges Verhalten bei der Polizei anzuprangern. Es gibt die Prüfungen der Verwaltungsgerichte, um Anzeigen von Bürgern
nachzugehen. Es gibt staatsanwaltschaftliche, gegebenenfalls strafrechtliche Überprüfungen polizeilichen
Handelns. Das kennen wir alle, da gibt es Beispiele.
Im Falle einer Anzeige gegen Polizeibeamte beauftragt die zuständige Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer
Sachleistungsbefugnis immer eine nicht betroffene Polizeibehörde mit der Ermittlung des Sachverhaltes. Das
heißt, es gibt bereits unabhängige, objektive Ermittlungen. Es gibt bei uns eine generelle Trennung zwischen
Staatsanwaltschaft als Teil der Judikative und Polizei als
Teil der Exekutive, was einen unabhängigen Verfahrensablauf absolut gewährleistet.
Darüber hinaus haben wir Dienstaufsichtsbeschwerdestellen. Auch da gibt es Möglichkeiten, sich direkt
über Fehlverhalten zu beschweren. Es gibt die gesetzlich
vorgeschriebene Möglichkeit, sich bei Personalvertretungen oder Berufsorganisationen zu beschweren und einen Sachverhalt aufklären zu lassen. Der Präsident des
Bundespolizeipräsidiums Dr. Romann hat die Einrichtung einer Sonderbeschwerdestelle angekündigt, die die
Möglichkeit einer Beschwerde außerhalb des Dienstwegs ermöglicht.
Ich möchte einen weiteren Schwerpunkt nennen: unser Petitionswesen. Wir haben den Artikel 17 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, der besagt: Jedermann kann sich mit Bitten oder Beschwerden an das
Parlament wenden. - Gerade in der letzten Woche haben
wir über den Bericht des Petitionsausschusses beraten.
Ich war vor diesem Hintergrund, Frau Kollegin Pau, etwas enttäuscht über Ihren Antrag. Die Fraktion Die
Linke bemüht sich seit Jahren um den Vorsitz im Petitionsausschuss und hat ihn auch inne; Kollegin Steinke
macht das im Übrigen hervorragend. Wir sind überzeugt,
dass wir hier den Bitten und Beschwerden der Bürger
abhelfen können. Eigentlich, Kollegin Steinke, kämpfen
wir gemeinsam darum, dass keine anderen Stellen neben
uns geschaffen werden; denn wir als Parlamentsausschuss können die Angelegenheiten hervorragend klären. Der Tätigkeitsbericht, den wir in der letzten Woche
vorgelegt haben, besagt, dass bei uns jedes Jahr fast
20 000 Bitten oder Beschwerden eingehen und wir den
Bürgerinnen und Bürgern in über 40 Prozent der Fälle
helfen können. Es gibt also beim Bundestag bereits die
Möglichkeit, sich zu beschweren.
Ich kann Ihnen sagen: Der Petitionsausschuss bietet
verschiedene Möglichkeiten. Zum einen stellen wir fest,
dass sich Bürgerinnen und Bürger über die Bundespolizei beschweren. Es wenden sich auch Bundespolizistinnen und Bundespolizisten an uns, die sich über Probleme
innerhalb der Bundespolizei beschweren. Beide Möglichkeiten gibt es bereits, und in beiden Fällen arbeiten
wir es ordnungsgemäß auf. Ich könnte Ihnen eine Reihe
von Beispielen für Petitionen von Bundespolizeibeamten
aus dem letzten Jahr aufzählen, die sich zum Beispiel
über eine nicht erfolgte Beförderung, eine ungenügende
Ausstattung oder einen nicht genehmigten Sonderurlaub
beschwert haben. Es gab also eine Reihe von Beschwerden, denen Vertreter aller Fraktionen gemeinsam nachgegangen sind, und in vielen Fällen konnten wir abhelfen.
Eine zusätzliche Stelle brauchen wir also eindeutig
nicht. Eine weitere Kommission würde aus meiner Sicht
eine Dopplung bedeuten. Deswegen lehnen wir diesen
Antrag ab.
Der zweite Antrag - Frau Pau hat ihn vorgestellt enthält die Forderung nach einem dauerhaften Aufenthaltsrecht für ausländische Personen, die während des
Aufenthalts im Bundesgebiet Opfer einer rechten Gewalttat geworden sind oder denen eine rechte Gewalttat
angedroht wurde. Das heißt, für diese Personen gilt
dann, dass sie nicht mehr ausreisepflichtig sind.
Wir alle - ich denke, da sind wir uns einig - verurteilen rechte Gewalt. Wir haben das Beispiel NSU erlebt.
Alle Fraktionen haben der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses zugestimmt.
Da waren wir uns einig. Ich glaube, wir sollten nicht unterscheiden zwischen rechter Gewalt, linker Gewalt und
terroristisch motivierter Gewalt. Wir haben die Möglichkeit, mit rechtsstaatlichen Mitteln darauf zu reagieren.
({3})
- Wir brauchen das nicht zu erweitern, weil die Möglichkeiten bereits bestehen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellt in seinem
Bericht fest, dass die Anzahl von Gewalttaten zugenommen hat. Unsere Sicherheitsbehörden sind aufgefordert,
zu reagieren. Ich denke, man kann deutlich sagen: Wir
sind nicht auf einem Auge blind, sondern bearbeiten alle
Gewalttaten gleich. In den letzten Wochen und Monaten
gab es auch schlimme linksextremistisch motivierte Gewalttaten. Unterschiede zu machen und Sonderregelungen für eine Opfergruppe zu erlassen, wäre - so sage ich
das einmal - eine Privilegierung einer Opfergruppe.
Dann hätten wir Opfer erster und Opfer zweiter Klasse.
({4})
Frau Jelpke, das brauchen wir auf jeden Fall nicht.
({5})
Deswegen lehnen wir die Privilegierung einer Opfergruppe absolut ab. Das Herleiten eines nachträglichen
Aufenthaltstitels für Personen, denen politisches Asyl in
Deutschland nach einem rechtsstaatlichen Verfahren verwehrt wurde, über einen anderen Weg ist absolut nicht
nachvollziehbar.
In den Vorlagen wurde der Tatbestand sehr weit gefasst und, so möchte ich es sagen, auch schwammig formuliert. Ich möchte zwei Sätze aus dem Gesetzentwurf
zitieren:
Zur Feststellung einer rassistischen oder vorteilsmotivierten Gewalttat genügen in diesem Zusammenhang nachvollziehbare Angaben der Opfer, wobei deren Ängste und subjektive Wahrnehmungen
angemessen zu berücksichtigen sind …
Wenn ein Opfer also sagt: „Mir könnte das eventuell
passieren“, reicht das für einen Aufenthaltstitel. Das
kann so natürlich nicht sein.
Ein weiteres Zitat:
Erforderlich ist nicht, dass eine gerichtliche Verurteilung des Täters vorliegt, die eine solche Motivation als bewiesen annimmt. Ebenso wenig ist
erforderlich, dass Ermittlungsbehörden oder die
Staatsanwaltschaft von einer solchen Motivation
ausgehen.
Die Argumente der Linksfraktion können wir nicht
nachvollziehen. Wir - das gilt für alle Behörden - sind
nicht auf einem Auge blind. Wir behandeln alle Straftaten gleich. Eine anderslautende Unterstellung müssen
alle Parteien, die auf der demokratischen Grundlage fußen, ablehnen. Deshalb müssen wir, die CDU/CSUFraktion, die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 31 a
und 31 b ablehnen.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Irene
Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Zu Beginn dieser Wahlperiode haben
wir mit allen vier Fraktionen hier einen Antrag zu den
Konsequenzen aus dem NSU-Terror beschlossen und darin ausdrücklich eine Fehlerkultur bei den Sicherheitsbehörden angemahnt. Doch leider, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Großen Koalition, fehlt bis jetzt jegliche gesetzgeberische Initiative, um die institutionellen
Voraussetzungen für das Entstehen einer solchen Fehlerkultur zu schaffen, zumindest an den Stellen, an denen
der Bund in der Verantwortung steht. Dabei könnte man
diese Voraussetzungen durch die Einrichtung der Stelle
eines unabhängigen Polizeibeauftragten schaffen.
Herr Kollege Baumann, Sie haben diese Forderung
damit zurückgewiesen, dass das Ausdruck einer Misstrauenskultur wäre. Ich frage mich allen Ernstes: Mit
dem Wehrbeauftragten haben Sie doch auch nicht die geringsten Probleme; oder darf ich Ihrer Zustimmung entnehmen, dass Sie den Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr misstrauen? Ich glaube nicht, dass das der
Fall ist.
({0})
Die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten haben wir Grüne, unterstützt von den Linken, bereits in
zwei Haushaltsberatungen beantragt. Dieser Forderung
haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union
und SPD, stets die kalte Schulter gezeigt. Von Ihnen hieß
es immer: Wozu brauchen wir denn noch einen Beauftragten? Er sei doch ohnehin nur für die Polizeibehörden
des Bundes zuständig. - Ja, und genau in diesen Zuständigkeitsbereich fallen die skandalösen Vorfälle bei der
Bundespolizeidirektion Hannover, die jetzt bekannt geworden sind. Dort hat es in mindestens einer Dienstgruppe über Jahre hinweg eine scheinbar völlig undurchdringliche Struktur mit einem informellen Machtgefüge
des Sich-gegenseitig-Schützens und des Schweigens gegeben. Folter, Nötigung und sogar Vergewaltigung stehen als Vorwürfe im Raum. Diese schlimmen Vorfälle
- auch das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen - betreffen selbstverständlich nicht die gesamte Polizei; aber
weil solche Vorwürfe eben nicht nur in Hannover, sondern auch an anderer Stelle leider immer wieder auftauchen, müssen endlich Konsequenzen gezogen werden.
({1})
Einem Polizeibeauftragten hier beim Deutschen Bundestag könnten sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch
Beamtinnen und Beamte auf Wunsch anonym Hinweise
geben. Das heißt, keiner, der hier sein Herz ausschüttet,
müsste am Ende Angst davor haben, von den Kolleginnen und Kollegen als Nestbeschmutzer diffamiert zu
werden. Hierin liegt der entscheidende Schwachpunkt
beim sogenannten Vertrauensbüro, das Bundespolizeipräsident Romann jetzt als schnelle Konsequenz aus
dem Skandal in Hannover präsentiert hat. Denn dieses
Vertrauensbüro ist Teil der Polizeihierarchie und natürlich auch dem Legalitätsprinzip verpflichtet, strafrechtlich relevante Sachverhalte zu verfolgen. Das betrifft
nicht nur die Beamten, die sich strafrechtlich relevant im
Sinne der Vorfälle, die ich eben geschildert habe, verhalten haben, sondern auch die Beamten, die solche Vorfälle nicht sofort melden, sondern vielleicht zeitlich verzögert. Denn dann muss diese Vertrauensstelle sofort
wegen Strafvereitelung ermitteln. Im Klartext: Das
bringt überhaupt nichts. Solche Vorgänge wie in Hannover werden auch zukünftig viel zu spät bekannt oder
vielleicht nur durch puren Zufall.
Leider ist der Antrag von Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Linken, bei der Frage der Unabhängigkeit sehr ungenau. Sie sagen, eine solche Stelle
müsse räumlich von den Polizeidienststellen getrennt arbeiten und Mitarbeiter dürften in keinem institutionellen
oder hierarchischen Verhältnis zum betroffenen Beamten
stehen. Das reicht meiner Ansicht nach nicht aus.
({2})
Wir brauchen eine völlig autonome Stelle, am besten
hier beim Parlament;
({3})
denn es geht auch um die Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle. Die Unabhängigkeit ist ein zentraler
und unverzichtbarer Bestandteil eines Polizeibeauftragten. Leider bleiben Sie mit der Forderung bei einer Beschwerdestelle stehen. Wir brauchen aber keinen Kummerkasten - entschuldigen Sie, wenn ich das so flapsig
sage -, sondern ein echtes Rad im Getriebe der Sicherheitsarchitektur.
({4})
Es ist natürlich gut, dass sich die Linken mit uns auf
den Weg machen. Die zentrale Frage ist jetzt: Wo steht
die SPD, wo stehen CDU/CSU? Der Vorschlag für einen
Polizeibeauftragten trifft auf äußerst positive Resonanz,
sowohl bei Bürgern als auch bei Experten jeglicher
Couleur und auch bei immer mehr Polizeibeamten. Auch
der ehemalige Wehrbeauftragte und Sozialdemokrat
Reinhold Robbe, der nun nicht gerade bekannt dafür ist,
ein ausgewiesener Grünenversteher zu sein, sagt: Wir
brauchen einen unabhängigen Polizeibeauftragten beim
Deutschen Bundestag. - Ich finde, das kann Sie jetzt
nicht unbeeindruckt lassen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, geben
Sie sich einen Ruck. Packen Sie endlich dieses wichtige
Reformwerk mit uns gemeinsam an.
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Wolfgang
Gunkel von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem
hier vorliegenden Antrag der Linken, der ja sozusagen
dreigeteilt ist, ist es meine Aufgabe, zum ersten Teil zu
sprechen. Zwei weitere Kollegen meiner Fraktion werWolfgang Gunkel
den die anderen Teile behandeln. Deshalb stütze ich
mich jetzt zunächst auf das, was hier zur Polizei zu sagen ist. Wir haben ja gehört, dass auf die NSU-Untersuchungen Bezug genommen wird, also auf die Untersuchungen zu den Vorfällen, die vor einiger Zeit zu zehn
Morden geführt haben und aufs Höchste zu bedauern
sind. Das, was daraus geschlossen wird, ist selbstverständlich richtig, auch, dass es da Veränderungen geben
muss. Es ist aber die Frage zu stellen, ob man der Polizei
strukturellen Rassismus unterstellen kann, weil die Ermittlungen nun leider nicht in die richtige Richtung verlaufen sind.
Ich weise darauf hin, dass mehrere Beamte des bayerischen Landeskriminalamts sehr wohl die Spur des
rechtsextremen Verhaltens aufgedeckt haben. Leider ist
diese Spur dann nicht weiterverfolgt worden, weil die
Mehrheit anderer Auffassung war. So etwas kann passieren. Das ist höchst peinlich. Das hat ja dann auch zu den
entsprechenden Ergebnissen geführt. Letztendlich blieb
als Konsequenz übrig, dass viele Menschen sehr tief bestürzt waren, dass da vielen Ausländern Unrecht geschehen ist. Auch das muss man ganz einfach konstatieren.
Welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen?
Ich glaube nicht, dass die Polizei strukturell rassistisch
ist und dass diese Ermittlungen nur unter diesem Aspekt
geführt wurden, zumal es auch Landesbehörden waren,
nämlich die von Bayern, Sachsen und Thüringen, und
die entsprechenden Verfassungsschutzämter, die da versagt haben. Die Bundespolizei, um die es ja bei einem
Bundespolizeibeauftragten oder bei einer polizeilichen
Beschwerdestelle beim Bund geht, ist daran überhaupt
nicht beteiligt gewesen.
Aber es ist natürlich richtig: Man muss fragen, ob das
im Wesentlichen Sinn macht. Wir haben gerade ein leidenschaftliches Plädoyer dafür gehört. Ich kann mich
dieser Frage nicht entziehen. Deswegen will ich auf das
zurückkommen, was wesentlich ist.
Uns liegt ein Antrag der Linkspartei vor. Darin wird
die Einrichtung einer Beschwerdestelle gefordert, die
zwar unabhängig sein, aber die vollen Befugnisse einer
Staatsanwaltschaft erhalten soll, also das Recht der Zeugenvernehmung, das Recht auf Akteneinsicht und das
Recht auf Beweisführung. Das stößt nach meiner Ansicht an rechtsstaatliche Grenzen. Denn im Rahmen unserer Gewaltenteilung haben wir die Exekutive, die Legislative und die Jurisdiktion, und die Staatsanwaltschaft
ist zuständig, wenn es sich um Straftaten handelt, die
von Polizeibeamten begangen wurden.
Es ist bekannt, dass viele Bundesländer bei der Staatsanwaltschaft Dezernate unterhalten, die sich ausschließlich mit Beamtendelikten befassen, also auch mit von
Polizeibeamten begangenen Straftaten. Es ist keineswegs so, dass da gemauschelt wird oder Ähnliches. Im
Gegenteil: Da wird ganz präzise ausermittelt, und die
entsprechenden Verurteilungen erfolgen. Es ist für mich
nicht tragbar, eine Parallelinstitution zu schaffen, um damit den Nachweis zu führen, dass bei der Polizei irgendetwas falsch läuft. Von daher geht das nach meinem Dafürhalten leider an der Sache vorbei.
Eine andere Frage ist, wie man generell mit diesem
Thema umgeht. Ich kann eine gewisse Sympathie nicht
verhehlen. Der Wehrbeauftragte des Bundestages ist dafür sicherlich das Maß aller Dinge.
({0})
In einem Bundesland gibt es ja schon einen Polizeibeauftragten; darauf möchte ich einmal zu sprechen kommen.
({1})
Rheinland-Pfalz hat seit Juli 2014 einen Polizeibeauftragten.
({2})
- Ja, darauf komme ich gleich; warten Sie es ab. - Dieser Polizeibeauftragte war vorher schon Bürgerbeauftragter. Jetzt hat er die Aufgabe, auch Beschwerden von
Polizeibeamten entgegenzunehmen. Ich habe mir einmal
angesehen, was er bisher gemacht hat. Herr Burgard hat
da einen Rechenschaftsbericht vorgelegt. Es gab 35 Beschwerden von Bürgern. Bei diesen Beschwerden ging
es im Wesentlichen um rauen Ton und Unhöflichkeit, um
überzogene Personen- und Fahrzeugkontrollen und um
Rangeleien bei Fußballspielen. Na ja, gut; so etwas ist
alltäglich, wenn man sich dorthin begibt.
Die zweite Frage, die auftauchte, lautete: Über was
haben sich Polizeibeamte beschwert? Es waren 25 an der
Zahl. Sie haben im Wesentlichen Beschwerden über ihre
Vorgesetzten geführt; das heißt, sie sind mit ihren Vorgesetzten nicht gut klargekommen. So weit, so gut.
Auf die Frage nach den Vorfällen in Hannover - Frau
Mihalic, Sie haben sie ja hier sehr schön erwähnt - hat er
geantwortet: Das ist erste Aufgabe der Ermittlungsbehörden. - Genau so ist es.
({3})
- Danke. - Dieser Polizeibeauftragte handelt nach meiner Ansicht insofern völlig korrekt, als er sagt: Wenn es
sich um Straftaten handelt, dann ist in erster Linie die
Ermittlungsbehörde zuständig, also die Staatsanwaltschaft. - Hinzugefügt hat er aber - auch das muss man
erwähnen -: Natürlich untersuchen wir dann, wenn dieses Verfahren abgeschlossen ist, ob es vielleicht Ansatzpunkte gibt, um in der Polizeiarbeit Verbesserungen zu
erzielen, bei Aus- und Fortbildung und Ähnlichem.
({4})
Dass dies möglich ist, kann ich mir durchaus vorstellen.
Dazu bedarf es natürlich auch einiger Initiativen.
({5})
Insgesamt sage ich: Dieser Antrag ist ein Anstoß dieser Diskussion vonseiten der Linkspartei, den ich ganz
gut finde. Was Sie da aufgeschrieben haben, ist aber in10914
haltlich falsch. Deswegen müssen wir den Antrag leider
ablehnen.
({6})
Aber wir werden weiter über dieses Thema diskutieren.
Ich habe ja vor einiger Zeit im Innenausschuss gesagt,
dass es Aufgabe von uns allen ist, sich darüber Gedanken zu machen. Über dieses Thema werden wir also
noch weiter zu diskutieren haben. Heute möchte ich zusammenfassend sagen: So wie es in Ihrem Antrag steht,
geht es nicht. Deswegen wird meine Fraktion diesen Antrag ablehnen.
Danke.
({7})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Dr. Volker
Ullrich von der CDU/CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Antrag der Linkspartei auf Einrichtung einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle und eines
Aufenthaltsrechts für Opfer ist dem Titel nach eine
Sorge um die Polizei und den wehrhaften Rechtsstaat.
Tatsächlich ist Ihr Antrag aber geprägt von einer tendenziösen Sprache und von Voreingenommenheit.
({0})
Ihr Antrag, in dem über unsere Polizei „institutioneller Rassismus“, „Corpsgeist“, „bestehende Polizeikultur“, „Schwierigkeiten, Fehlverhalten anzeigen zu können“ zu lesen ist, ist von einem tiefen Misstrauen
gegenüber dem Rechtsstaat und der Polizeiarbeit geprägt.
({1})
Wir setzen dem Misstrauen gegenüber der Polizeiarbeit
das Vertrauen in den wehrhaften Rechtsstaat und in unsere Polizei gegenüber.
Viele Zehntausend Menschen sind in diesem Land als
Polizeibeamte tätig - die meisten davon im Streifendienst, auf den Straßen, auf den Plätzen, in den Revieren,
im Umfeld von Fußballstadien, an Flughäfen und an
Bahnhöfen. Diese Polizeibeamten haben keine leichte
Aufgabe. Sie sind meist im mittleren Dienst besoldet, sie
haben Nachtschichten und haben mit Gewalttätern und
Betrunkenen zu kämpfen, und sie sind oftmals nicht im
großen Maße sichtbar, sind aber immer da, wenn es darum geht, Freiheit und Sicherheit zu verteidigen.
Deswegen lade ich Sie ganz persönlich ein: Machen
Sie einmal eine Nachtschicht mit Polizisten am Hauptbahnhof oder mit Streifenbeamten in einer deutschen
Großstadt.
({2})
Sie werden erkennen, welch wertvolle Arbeit unsere
Polizei leistet. Wir danken für deren Arbeit.
({3})
Natürlich kommen auch - das sind aber die absoluten
Ausnahmen - Fehlverhalten von einzelnen Polizeibeamten vor. Diese müssen und werden vom Rechtsstaat verfolgt werden. Das Gewaltmonopol des Staates verlangt,
dass dieser Staat bei einem Überschreiten der Grenzen
intensiv reagiert, und wir haben gar keine Erkenntnisse,
dass dies nicht der Fall ist.
({4})
Herr Dr. Ullrich, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein.
({0})
Dienstaufsichtsbeschwerden, interne Ermittlungsgruppen, Disziplinarverfahren, die Möglichkeit zur Remonstration, besondere Straftatbestände, die eine höhere
Strafdrohung haben, wenn im Dienst Gewalt angewendet wird oder gar bei Verfolgung Unschuldiger, zeigen,
dass dieser Rechtsstaat sehr klar und deutlich reagiert,
wenn Inhaber und Träger des Gewaltmonopols ihre
Grenzen überschreiten. Wir haben Vertrauen in diesen
Rechtsstaat.
Der Linkspartei scheint es auch entgangen zu sein,
({1})
dass 47 Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses teilweise schon umgesetzt worden sind.
Im Bereich der Gewaltkriminalität wird sorgfältiger
geprüft, ob ein rassistischer oder anderweitig politisch
motivierter Hintergrund vorliegt. Wir haben vor einigen
Monaten § 46 des Strafgesetzbuches geändert und damit
auch den Staatsanwaltschaften den Auftrag gegeben, rassistische oder menschenverachtende Motive besonders
zu berücksichtigen. Wir haben dem Generalbundesanwalt mehr Kompetenzen gegeben. Das, was Sie fordern,
ist zu einem großen Teil bereits umgesetzt, und die anderen Punkte werden wir umsetzen. Dieser Staat handelt,
er schläft nicht.
({2})
Meine Damen und Herren, in diesem Land ist aber
nicht nur über das Fehlverhalten einzelner Polizisten zu
sprechen, sondern auch über die Frage, wie diese Gesellschaft mit denjenigen umgeht, die uns schützen. Deshalb
sei noch ein Wort in Bezug auf Blockupy und Frankfurt
verloren: 150 verletzte Polizeibeamte, verletzte Feuerwehrleute, circa Tausend Gewalttäter: Das sind schreckliche Bilder, die uns noch gut in Erinnerung sind.
Was sagt die Vorsitzende der Linkspartei, Katja
Kipping? Parlamentarier seien anwesend gewesen, um
zu deeskalieren, weil - ich zitiere -:
Dies war auch deshalb notwendig, weil Teile der
Polizei zum Aufheizen der Stimmung beigetragen
haben.
({3})
Ihre Kollegin Heike Hänsel hat Rauchschwaden in
Frankfurt mit dem Maidan verglichen - ich zitiere -:
Auf dem Maidan in Kiew waren Rauchschwaden
für die Presse Zeichen der Freiheitsbewegung!
({4})
Ulrich Wilken, Landtagsvizepräsident in Hessen, hat
gesagt:
Klar ist uns allen, dass die Proteste, die in Frankfurt
auch in Gewalt stattgefunden haben, in anderen europäischen Ländern viel selbstverständlicher sind,
als das in Deutschland Demonstrationskultur ist.
Wilken sieht die Ausschreitungen nur als „Auswirkungen einer gewalttätigen Politik“. Der Fraktionschef Ihrer
Partei im hessischen Landtag, Willi van Ooyen, sagt,
wer Sturm ernte, werde Wind säen.
({5})
Meine Damen und Herren, die Äußerungen Ihrer Parteikollegen sind inakzeptabel. Ich verlange eine Ablehnung
und Distanzierung von Gewalt im Bereich der politischen Auseinandersetzung.
({6})
Wer Gewalt relativiert oder sie zu politischen Zwecken billigt, stellt sich außerhalb des demokratischen
Konsenses. Deswegen wäre es wichtig, dass Sie sich von
diesen Aussagen eindeutig distanzieren und die gute
Polizeiarbeit in Frankfurt und auch anlässlich des G-7Gipfels klar und deutlich würdigen. Das ist in diesem
Hohen Haus einfach Ihre Pflicht.
({7})
Unsere Anstrengungen gelten unserer Polizei. Wir
werden bei der Bundespolizei 750 neue Stellen schaffen.
Wir werden die Ausrüstung verbessern. Wir werden
auch ein Gesetzespaket zum besseren Schutz von Polizeibeamten und Rettungskräften angehen. Das sind wir
denjenigen schuldig, die diesen Staat schützen.
Diese Rede wäre aber unvollständig, wenn man nicht
auch noch auf Ihren zweiten Punkt eingehen würde: Sie
fordern ein Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt.
Wir werden diesen Antrag aus vielen guten Gründen, die
meine Kollegen schon angesprochen haben, ablehnen.
Aber es bleibt augenfällig, wen Sie ausblenden: Sie
blenden die Opfer linker Gewalt aus. Sie blenden die
Opfer religiös-extremistischer oder islamistischer Gewalt aus. Sie blenden die Opfer von Menschenhandel
aus, von Ausbeutung und von erpresserischem Menschenraub.
({8})
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Sie sehen Menschen nur
in Gruppen gemäß Ihren Interessen aufgeteilt.
({9})
Wir haben alle Menschen im Blick; alle Menschen, die
Opfer von Gewalt, von Übergriffen und von Intoleranz
werden. Wir werden es nicht zulassen und auch nicht
dulden, dass unvollständige Anträge beschlossen werden, dass man linke, rechte oder islamistische Gewalt
gegeneinander ausspielt. Wir bekämpfen Gewalt und
Extremismus jeglicher Couleur.
({10})
Meine Damen und Herren, diese Anträge sind rechtsstaatlich bedenklich, unvollständig und drücken Misstrauen gegenüber diesem Rechtsstaat und der Polizei
aus. Wir leben eine Kultur des Vertrauens in den Rechtsstaat, der Tauglichkeit unserer Maßnahmen, der Freiheit
und der demokratischen Werte. Deswegen lehnen wir
diese Anträge ab.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Frank Tempel von der Fraktion Die
Linke erhält jetzt die Möglichkeit zu einer Kurzintervention.
Herr Dr. Ullrich, ich kann mir bei dem, was Sie erzählen, sehr gut vorstellen, dass Sie Angst vor Zwischenfragen haben.
({0})
Aber man darf zum Glück eine Kurzintervention machen.
Wenn Sie über Polizeibeamte reden und glauben, Ihre
Verweigerungshaltung, zum Beispiel zur Einrichtung einer polizeilichen Beobachtungsstelle, mit der Ablehnung
von Polizeibeamten begründen zu können, dann rate ich
Ihnen, sich besser zu informieren. Da Sie so viel über
den Polizeidienst gesprochen haben: Fahren Sie einfach
einmal eine Weile mit, und schauen Sie sich an, was dort
passiert.
Polizeibeamte wenden sich nach den Vorfällen in
Hannover sehr häufig an uns Abgeordnete, gerade auch
an mich als ehemaligen Polizeibeamten, was zeigt, dass
die Zustimmung zu einer solchen polizeilichen Beobachtungsstelle bei Polizeibeamten enorm steigt. Wie ist es
denn, wenn jemand tatsächlich den Mund aufmachen
will, um Missstände anzusprechen? Er hat Angst, als
Nestbeschmutzer dazustehen. Er hat Angst, eine Durchschnittsbeurteilung zu bekommen. Er hat Angst, nie
wieder befördert zu werden. Es gibt zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass genau das eingetreten ist. Als
Polizeibeamter in einer Dienststelle tatsächlich den
Mund aufzumachen, erst recht, wenn Vorgesetzte involviert sind, ist fast unmöglich, weil dann die Karriere zu
Ende ist.
Deswegen wollen viele Polizeibeamte - Personalräte,
Gewerkschafter und auch ganz normale diensttuende
Polizeibeamte wenden sich an mich und verfolgen, was
hier diskutiert wird - eine auch für sie nutzbare Polizeibeschwerdestelle, bei der ihnen außerhalb des Dienstweges rechtssicher Vertraulichkeit zugesichert werden
kann, bei der sie sicher sind, dass diese Einrichtung parlamentarisch und demokratisch kontrolliert wird. Eine
solche Beschwerdestelle wollen sie, um gerade solche
Dinge vorzutragen und um sich sicher zu sein, dass ihre
weitere Karriere in der Polizei nicht gefährdet wird.
Wir brauchen eine solche Stelle, die in alle Richtungen entsprechend nutzbar ist. Das zeigt sich gerade,
wenn wir auf das schauen, was im Zusammenhang mit
dem NSU passiert ist. Das ist übrigens der Anlass der
heutigen Diskussion. Man muss daraus Rückschlüsse
ziehen; denn vieles davon ist passiert, ohne dass eine
entsprechende Rückmeldung möglich war. Es wird immer ordentlich der Dienstweg beschritten. Dabei ist auch
vieles versandet oder gestoppt worden. Wir haben die
vielen Berichte von Polizeibeamten und die Zeugenaussagen gehört. Diese Rückmeldungen muss man doch
ernst nehmen.
Verkaufen Sie Ihre Verweigerungshaltung nicht als
Willen der Polizeibeamten!
({1})
Diese sehen das sicherlich sehr unterschiedlich. Bei ihnen wird das Thema genauso kontrovers diskutiert wie
hier.
({2})
Sie haben nicht das Recht, für alle Polizeibeamten zu
sprechen. Es gibt eine ganze Menge, für die Sie heute
nicht gesprochen haben.
({3})
Herr Dr. Ullrich, Sie erhalten das Wort zur Erwiderung.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Tempel, in den letzten
Jahren bin ich sicherlich ein Dutzend Mal in Polizeidienstwagen zur Nachtschicht mitgefahren.
({0})
Ich war mit Feuerwehreinsatzkräften, mit dem Roten
Kreuz und dem Rettungsdienst unterwegs, und ich habe
auch eine Schicht mit Verkehrskontrolleuren verbracht.
Ich habe eine ganz andere Beobachtung als Sie. Zwar
gibt es - ich habe das vorhin angesprochen - auch Vorfälle innerhalb der Polizei, bei denen Fehlverhalten vorliegt. Das ist gar keine Frage. Aber ich glaube, wir sollten uns vielmehr darum sorgen, wie wir diejenigen
schützen, die alltäglich ihren Kopf riskieren oder, wie
bei der Feuerwehr, sogar ihr Leben einsetzen, um andere
zu retten. Das sind die entscheidenden Fragen, um die es
geht.
({1})
Wenn Sie selber nachts unterwegs wären, dann würden Sie erleben, dass gerade bei alkoholbedingten Ausfällen Polizisten bespuckt und angegriffen werden.
({2})
Sie müssen auch bei Demonstrationen ihren Kopf hinhalten. Deswegen gilt unsere Sorge der Integrität und
dem Schutz unserer Polizei. Das werden wir uns auch
von solchen Kurzinterventionen nicht nehmen lassen.
({3})
Wir fahren fort in der Debatte. Als nächste Rednerin
hat Monika Lazar von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin den Ausführungen des Kollegen Tempel sehr
dankbar, weil er einige Beispiele aus der Praxis gebracht
hat. Im Gegensatz dazu hatte ich bei der Rede des Kollegen Ullrich - die Nachbemerkungen haben es nicht besser gemacht - eher das Gefühl, wir leben in unterschiedlichen Welten.
({0})
Denn wir alle müssen konstatieren - das hat uns gerade auch die gemeinsame Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss gezeigt, und dort waren wir uns in vielen Fragen einig -, dass wir in unserem Land auf vielen
Ebenen ein Problem mit Rassismus haben. Das zeigt
sich im Alltag, und das reicht bis in die letzten Monate
hinein. Die Aktivitäten von Pegida und Co. haben gezeigt, wie tief rassistische Einstellungen in der GesellMonika Lazar
schaft verankert sind und wie viele verschiedene Erscheinungsformen es gibt. Rassismus ist nicht nur im
Alltag verankert, sondern auch in staatlichen Institutionen. Sie sind nicht frei davon.
({1})
Gerade die Opfer des NSU hätten sicherlich davon
profitieren können, wenn es schon damals auf Bundesoder Landesebene so etwas wie einen unabhängigen
Polizeibeaufragten gegeben hätte.
({2})
Denn ich könnte mir durchaus vorstellen, dass dann
manches, was wir heute zum Glück alle so bitter beklagen, anders gelaufen wäre.
Einige Beispiele: Ein Kriminalbeamter in der Zwickauer Polizeidirektion hat mehrfach fahndungsinterne
E-Mails mit rassistischen Bemerkungen versehen und an
seine Mitarbeiter weitergeleitet. Das Foto eines Dunkelhäutigen kommentierte er mit den Worten: „Der sollte
sich mal die Hände waschen.“ Bei einem anderen ergänzte er die Frage, ob der Mann seine Frau oder Tochter auf den Strich schicke. Der Beamte ist vom Dienst
suspendiert worden. Dazu mag es im Einzelfall kommen.
({3})
- Ja, aber erst im Nachhinein.
({4})
Aber es wäre früher möglich gewesen, wenn sich die
Kollegen, die die E-Mail bekommen haben, sofort bei einer solchen unabhängigen Beschwerdestelle hätten melden können. Darum geht es.
({5})
Es geht darum, sofort zu reagieren. Das ist als Schutz der
Polizisten gedacht. Ich glaube, das verstehen Sie aufseiten der CDU/CSU einfach nicht.
({6})
Wo immer Rassismus auftaucht, muss er geahndet werden.
Kollegin Mihalic hat gesagt, dass wir schon in den
letzten Haushaltsberatungen Anträge dazu gestellt haben, weil wir das finanziell abgesichert wissen wollen.
Nach dem NSU-Untersuchungsausschuss waren wir uns
alle einig, dass sich Diskursfähigkeit und Fehlerkultur in
den Behörden verbessern müssen.
Es gibt auch Beispiele dafür, dass die Polizei Bürger
unangemessen behandelt. Im Zusammenhang mit den
Protesten von Legida in Leipzig wurde meinem grünen
Landtagskollegen Sebastian Striegel von der Polizei vorgeworfen, er habe einen Böller geworfen. Für diesen
Vorwurf gab es weder Anhaltspunkte noch Zeugen.
Trotzdem kam es zu Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft. Auch in einem solchen Fall könnte man sich
direkt bei einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle
beschweren.
Die Vorfälle, die wir immer wieder beobachten, passen nicht in das Bild einer Polizei, die unsere Grundrechte schützen soll.
({7})
Sie beschädigen das Vertrauen der Bevölkerung in die
Sicherheitsorgane. Aber dieses Vertrauen braucht die
Polizei zur Erfüllung ihrer wichtigen Aufgaben. Deshalb
fordern wir Grüne schon lange einen strukturierten Dialog zwischen Polizei und Zivilgesellschaft sowie einen
unabhängigen Polizeibeauftragten.
Frau Lazar, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wendt zu?
Aber selbstverständlich.
({0})
- Weil ich schon weiß, was kommt.
Sie haben das Wort, Herr Wendt.
Ich möchte ein paar Dinge klarstellen, weil die Zuschauerinnen und Zuschauer sonst den Eindruck bekommen könnten, dass wir in einem von Polizeigewalt geprägten Staat leben.
({0})
Da Sie aus Leipzig stammen: Nehmen Sie zur Kenntnis,
dass in Leipzig alleine im letzten halben Jahr fünf spontane Gewaltaktionen gegen Polizei, staatliche Behörden,
Gerichte und das US-Generalkonsulat stattfanden, dass
dabei bis zu 600 vermummte Personen wie ein Mob vandalierend durch die Stadt gerannt sind und Bierflaschen
und Steine geworfen haben, dass Polizisten verletzt wurden und dass es am Rande der Legida-Demonstrationen
zu linksextremistischer Gewalt gegen die Polizei kam,
oder wollen Sie das negieren?
Vielen Dank.
Am Rande von Legida kam es nicht zu den von Ihnen
so genannten linksextremistischen Gewalttaten.
({0})
- Ich komme darauf noch zu sprechen. Hören Sie mir
jetzt bitte erst einmal zu! Ich möchte hier eine Trennung
vornehmen.
Zu den Vorfällen am Rande der Legida-Demonstrationen: Ich war dabei und habe beide Seiten - auch die
Polizei - beobachtet. Am Rande der Legida-Demonstrationen kam es nicht zu den von Ihnen so genannten
linksextremistischen Gewalttaten.
({1})
Es war eher so, dass Legida-Teilnehmer Linke und auch
Journalisten angegriffen haben. So viel zu diesem Fall.
Zu den von Ihnen erwähnten Gewalttätigkeiten: Ich
glaube, hier sind wir uns einig. Ich finde, dass alle Vorkommnisse seit Anfang des Jahres absolut inakzeptabel
sind; denn egal wer Gewalttaten verübt, für uns Grüne
ist Gewalt kein Mittel der politischen Auseinandersetzung.
({2})
Gewalt ist absolut abzulehnen. Gewalttaten sind extrem
kontraproduktiv, weil man mit Gewalt nicht das erreicht,
was man erreichen will. Vielmehr bringt man den Protest
insgesamt in Misskredit.
Die Zahl der gewalttätigen Ausschreitungen in Leipzig hat sich zum Glück nicht erhöht. Die Zahl ist sicherlich noch immer zu hoch. Aber wir unterstützen so etwas
auf keinen Fall. Wir sind uns einig, dass wir solche Gewalttätigkeiten ablehnen. Aber das eine hat mit dem anderen nur indirekt etwas zu tun. Wenn sich ein Polizist
über einen Gewalttäter hätte beschweren wollen, dann
hätte er sich auch bei einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle beschweren können. Das eine schließt
das andere nicht aus.
({3})
- Natürlich, der Petitionsausschuss wurde schon angesprochen. Wir beide sind Mitglieder dieses Ausschusses
und wissen, dass er eine Möglichkeit darstellt, sich zu
beschweren. Es geht aber darum, eine weitere Beschwerdemöglichkeit zu schaffen. Kollegin Mihalic hat auf den
Wehrbeauftragten Bezug genommen. Diesen wollen Sie
auch nicht abschaffen.
Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass es darum geht, dass sich Menschen in unserem Land sicher
und willkommen fühlen. Präventionsarbeit ist unverzichtbar. Wir müssen dort ansetzen, wo Rassismus und
Diskriminierung beginnen, und nicht erst dort, wo es
schon zu Eskalation und Gewalt kommt.
Gerade deshalb brauchen wir ein umfassendes Konzept zur Förderung der demokratischen Kultur in unserer
gesamten Gesellschaft. Ich hoffe, da sind wir uns dann
wieder einig.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Dr. Lars
Castellucci von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche
zum Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt“. Zunächst
einmal muss unmissverständlich klargestellt sein: Menschen anzugreifen, die gerade Schutz hier bei uns suchen, gehört zum Schändlichsten, was man sich überhaupt ausdenken kann.
({0})
Dem müssen wir alles entgegenstellen, was wir als
Rechtsstaat haben. Wir alle sind gefordert; denn es geht
immer auch um Einstellungen und Haltungen; es geht
um Vorurteile und kleine Diskriminierungen, die die
Einstellung und Haltung, die zu so etwas führen, fördern.
Sie schlagen nun vor, dass diejenigen, die Opfer rechter Gewalt werden, automatisch ein Aufenthaltsrecht in
Deutschland bekommen. Ich muss Ihnen sagen: Zunächst einmal halte ich das für eine charmante Idee.
Wenn Sie sich im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur bewegen und jemanden darstellen würden, der sich
mit anderen zusammensetzt und wirklich viel Hirnschmalz darauf verwendet, um herauszufinden, was man
eigentlich tun müsste, um der Sache Herr zu werden, und
welche Ideen man entwickeln müsste, dann würde ich
Sie für preiswürdig halten. Aber für ein Gesetz reicht das
nicht.
Es reicht auch deshalb nicht, weil Sie keine Analyse
vorlegen, die eine belastbare Grundlage für diesen Ansatz enthält. Frau Pau, Sie sprechen selber davon, dass
Einzelfälle keine Ausnahmen seien. Nur, woher nehmen
Sie das? Wenn etwas zu machen ist, ausgehend von dem,
was Sie gesagt haben, dann müssen wir mehr Engagement aufwenden, um das Dunkelfeld zu erhellen; wir
müssen besser Bescheid wissen, bevor wir Gesetzentwürfe vorlegen.
({1})
Sie erwähnen auch die Residenzpflicht, die wir längst
abgeschafft haben. Das heißt, in vielen Teilen ist dieser
Gesetzentwurf veraltet.
Schauen Sie, wenn auf dem Pausenhof jemand von seinen Schulkameradinnen oder Schulkameraden - Schulkameraden werden es wohl eher sein - vermöbelt wird,
sollen wir dann ein Gesetz beschließen, dass derjenige in
der Schule automatisch versetzt wird? Ich glaube, das ist
nicht die richtige Antwort, weil das eine sachfremde
Antwort ist. Sachlich richtig ist die Antwort, dass man
diejenigen, die sich fehlverhalten, zur Rechenschaft
zieht, dass man präventiv arbeitet und dass man sich für
Zivilcourage einsetzt. Das ist etwas, was wir mit Programmen wie „Demokratie leben!“ fördern. Meine Kollegin Susann Rüthrich wird darauf eingehen.
Ich möchte eine Stelle aus der Problembeschreibung
in Ihrem Gesetzentwurf zitieren. Frau Pau, ich weiß
nicht, ob Sie diesen Satz aufgeschrieben haben. Ich frage
Sie an dieser Stelle, welches Geschäft Sie eigentlich betreiben. Sie schreiben hier:
Zum anderen muss bereits der Anschein eines - und
sei es unfreiwilligen - Zusammenwirkens zwischen
rechten Gewalttätern und dem Staat vermieden
werden.
Der Passus „… der Anschein eines - und sei es unfreiwilligen - Zusammenwirkens …“ heißt: in Teilen eines
möglicherweise sogar ganz bewussten Zusammenwirkens zwischen dem Staat und rechten Gewalttätern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da überziehen Sie wieder einmal.
({2})
Herr Castellucci, lassen Sie die Zwischenfrage von
Frau Pau zu?
Ja. Bitte schön.
Frau Pau.
Ich empfehle, nachher den Blick auf das Protokoll der
Rede zu richten. Ich habe genau ein solches Beispiel, in
dem es um diesen Anschein geht - also nicht um irgendeine Regel -, hier zitiert. Es war das Beispiel eines Opfers von schwerer Gewalt, welches durch seine Abschiebung seines Rechts beraubt wurde, als Nebenkläger
aufzutreten. Diese Abschiebung hat gleichzeitig den Tätern die Genugtuung verschafft, dass sie ihr Ziel erreicht
haben.
Wir wissen genau: Es ist doch das Ziel dieser Gewalttäter, Migranten, Asylsuchende und in der sozialen
Hierarchie vermeintlich unter ihnen Stehende einzuschüchtern und ihnen zu bedeuten: Wir wollen euch
nicht hier haben. Jetzt geht es mir doch gar nicht darum, dass jeder, der
- in welcher Weise auch immer - Opfer solcher Gewalttaten wird, für immer und ewig in der Bundesrepublik
leben soll; er will es vielleicht auch gar nicht. Aber er
muss doch wenigstens die Möglichkeit haben, die Möglichkeiten des Rechtsstaates hier auszuschöpfen, beispielsweise indem er in einem solchen Prozess als Zeuge
auftritt und seinem Nebenklagerecht nachgeht.
Ich empfehle Ihnen - das war der Inhalt meines Zwischenrufs vorhin - den Band mit den Geschichten der
Überlebenden der NSU-Anschläge und der Angehörigen
der NSU-Opfer, den Barbara John, Mitglied der Partei
Ihres Koalitionspartners, im November letzten Jahres
herausgegeben hat. Dort schildern beispielsweise Witwen der NSU-Opfer, wie sie beinahe ihres Aufenthaltsstatus verlustig gegangen wären, weil sie als Folge des
Mordes an ihren Ehemännern nicht mehr ihren Lebensunterhalt hier bestreiten konnten. Tatsächlich erhielten
einige von ihnen eine Aufforderung zur Ausreise. Wir
reden über solche Extremsituationen.
Mag sein, dass das handwerklich besser zu lösen ist,
als wir es vorgeschlagen haben; deswegen habe ich Sie
zu dieser Debatte eingeladen. Aber dann sollten wir uns
genau dieser Frage zuwenden.
({0})
Frau Kollegin Pau, so wie Sie hier sprechen und wie
Sie sich jetzt zu Wort gemeldet haben, diskutiere ich alle
diese Fragen sehr gern mit Ihnen; denn Sie argumentieren differenziert und unterlegen ihre Äußerungen mit
konkreten Beispielen. Ich beziehe mich aber auf das,
was Sie hier aufgeschrieben haben.
Das, was Sie hier aufgeschrieben haben - ich sage es
noch einmal: „Anschein eines - und sei es unfreiwilligen - Zusammenwirkens“, heißt - das weiß man, wenn
man sich mit der deutschen Sprache auskennt -, dass es
eben auch ein freiwilliges Zusammenwirken von Staat
und rechten Gewalttätern geben kann. Davon distanziere
ich mich. Das hat hier keinen Boden.
({0})
- Frau Pau, ich habe Sie ja deswegen extra persönlich
angesprochen.
Was Sie mit solchen Aussagen erreichen, ist, dass Sie
den Rechtsstaat madig machen.
({1})
Damit leiten Sie Wasser auf die Mühlen von Leuten, bei
denen Sie das gar nicht wollen. Damit fordern Sie nicht
die Stärke des Rechts, sondern diejenigen, die meinen,
dass das Land mit dem Recht des Stärkeren zu regieren
sei. Auch das kann nicht in Ihrem Interesse sein.
Meine Damen und Herren, das Beispiel, das Sie genannt haben, legt nahe, dass wir uns verstärkt um Einzelfälle kümmern müssen. Wir brauchen rechtsstaatliche
Mittel, die uns in die Lage versetzen, auch im Einzelfall
Gerechtigkeit walten zu lassen; aber wir brauchen keine
Verallgemeinerung in dem Sinne, dass jeder, der Opfer
rechter Gewalt ist, hier Aufenthaltsstatus bekommt.
Im Übrigen machen wir eine ganze Menge dafür, dass
der Aufenthaltsstatus sicher werden kann. Wir werden
hier in Kürze einen Gesetzentwurf einbringen, in dem es
um die Ausweitung des Bleiberechts und die Abschaffung von Kettenduldungen geht. Das sind ganz wichtige
Initiativen, die von dieser Bundesregierung ergriffen
werden.
Die entscheidende Frage ist, wo der richtige Anknüpfungspunkt ist, wenn wir gegen rechte Gewalt vorgehen
wollen. Wir wissen, dass die Einstellungen, die rechter
Gewalt zugrunde liegen, tief in der Bevölkerung verankert sind. Deswegen geht es um Demokratielernen. Dazu
wird meine Kollegin Susann Rüthrich noch etwas sagen.
Es geht darum, die Einstellung zu verändern. Es geht
auch darum, das Dunkelfeld aufzuhellen und mit der Bevölkerung im Gespräch darüber zu sein, wie wir in diesem Land zusammenleben können. Das ist zentral. Aber
das macht man nicht, indem man rechtsstaatliche Institutionen infrage stellt, sondern gerade dadurch, dass man
herausstellt, welchen Wert diese rechtsstaatlichen Institutionen in Deutschland für das Gemeinwesen haben.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Martin
Patzelt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Als ich den Antrag der Linken zur Kenntnis genommen habe - ich spreche jetzt über das Begehren, 10 Millionen Euro mehr in die Präventionsprogramme gegen Rechtsextremismus zu stecken -, habe
ich gedacht: Es ist wieder so, dass Sie zwei verhängnisvollen Irrtümern erliegen.
Der erste Irrtum ist: Viel hilft viel. Das ist durchaus
nicht der Fall. Jeder gute Arzt schaut genau, welche Medikation indiziert ist und wird diese entsprechend dosiert
verordnen. Ich bin dem Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und insbesondere Herrn
Heppener außerordentlich dankbar, dass sie in einem
ganz anderen Ansatz nach unserer Debatte zu den Ergebnissen des NSU-Ausschusses eine äußerst akribische
Herangehensweise gewählt haben. Wir haben gemeinsam vereinbart, dass wir die Ansätze verstetigen. Das haben wir getan. Das ist jetzt auf fünf Jahre ausgedehnt.
Damit kann man für einen überschaubaren Zeitraum planen. Wir haben weiter gesagt: Die Ergebnisse müssen
ausgewertet werden. - Wir haben dann noch einmal
10 Millionen Euro draufgelegt.
({0})
- Unser gemeinsamer Antrag war das damals; daran
möchte ich erinnern.
Jetzt sagen die Linken: Wir legen noch einmal etwas
drauf. - Herr Heppener hat mit seinem Team eine hervorragende Arbeit geleistet. Wir haben erst in den letzten
Tagen die letzten Millionen vergeben. Das hat also über
ein Jahr gedauert. Warum? Weil er nicht alle Antragsteller aus den vergangenen Jahren so bedacht hat, wie sie
das begehrt hatten. Es wurde genau evaluiert: Welche
Ergebnisse sind da erzielt worden? Wer war daran beteiligt? Die Antragsteller mussten ihr Begehr verteidigen.
Er hatte unabhängige Gutachter dazugenommen. Dann
wurde sehr akribisch gearbeitet und entschieden - wer
wollte, konnte als Parlamentarier daran teilnehmen -,
wer wie viel bekommt. Die Programmmittel sind tatsächlich nach sehr nachvollziehbarer fachlicher Erkenntnis vergeben worden und nicht einfach nach dem Motto:
Jetzt geben wir noch ein paar Millionen aus; wir haben
es ja.
Wir haben gerade in den letzten Tagen eine Veröffentlichung vom Deutschen Jugendinstitut zu den Ursachen
von Radikalismus bekommen; wer will, kann es nachlesen. Danach hat sich deutlich herausgestellt, dass es
nicht nur die politischen Rahmenbedingungen sind,
nicht die aktuelle politische Situation, die politisch wirksamen Kräfte und die Abhängigkeitsverhältnisse, sondern dass die Ursachen ganz wesentlich zu liegen scheinen - man ist noch vorsichtig, aber es sind etliche
Untersuchungsergebnisse angeführt worden - in der Primärsozialisation in den ersten Jahren der Kindheit. Jugendliche Straftäter, Extremisten haben vermehrt davon
berichtet, dass sie aus Stiefkinderfamilien kommen, dass
der Vater gefehlt hat, dass das Klima rau und grob war,
dass es gleichgültig war, dass keine Zeit für die Kinder
vorhanden war, dass Konflikte unangemessen verarbeitet wurden, dass das die Sicht auf die Welt und das Miteinander geprägt hat und dass im Laufe des weiteren Lebens die Erfahrungen in der Schule, die Erfahrungen in
der Ausbildung vielleicht noch diese Sicht in der selektiven Wahrnehmung immer wieder verstetigt haben.
Ich erzähle Ihnen das, weil das nun einmal eine wissenschaftliche Erkenntnis und nicht meine persönliche
Erkenntnis ist. Danach müssen wir noch einmal ganz
woanders gucken, müssen vielleicht auch in unserer Familienpolitik Ansätze suchen, um dem politischen Extremismus zu begegnen. Es reicht nicht, immer sozusagen
eine Soforthilfe, ein Notprogramm zu fordern, ein Pflaster aufzukleben, um sagen zu können: Jetzt haben wir
Politiker etwas gemacht. - Notwendig ist, systematisch
von der Ursache her zu denken und von der Ursache her
zu handeln, eine gesunde Familienpolitik zu betreiben.
Es gilt, nicht bestimmten ideologischen Schimären zum
Opfer zu fallen. Es ist immer so naheliegend, zu sagen:
Die Armen, die Ausgegrenzten, das sind diejenigen, die
das Potenzial für unangemessene Verhaltensweisen haben.
Ich komme aus einer armen Familie, Nachkriegsgeneration, viele Kinder. Ich hatte das große Glück, dass ich
Armut erlebt habe, Glück deshalb, weil wir nicht auf materielle Werte setzen konnten, weil wir kulturvoll und sozial sehr befriedigend miteinander umgegangen sind.
Das hat mir eine Sozialisation geschenkt, aufgrund derer
ich heute sagen kann: Ich bin ein glücklicher Mensch. Das würde ich auch meinen Kindern wünschen.
Aber Glück gibt es nicht zu kaufen. Mit Geld und immer mehr Geld können wir die Probleme der Kinder
nicht lösen. Wir brauchen für die Kinder Zeit. So ist das
Programm „Elterngeld Plus“ zum Beispiel ein wesentlicher Beitrag dazu, dass Eltern mehr Zeit für Kinder haMartin Patzelt
ben. Wir müssen die Aufmerksamkeit darauf richten,
dass Eltern nicht nur ihre Karriere oder ihre neue Liebschaft im Auge haben, sondern dass sie tatsächlich sehen: Mein Kind braucht mich.
({1})
Kinder sind nicht die Glücksgehilfen für die Eltern. Ich
habe in all den Debatten, die wir geführt haben, immer
das Kind ein bisschen vermisst.
({2})
Kinder sind erst einmal für sich selbst Mensch. Sie brauchen unsere Fürsorge, unsere Unterstützung. Wenn wir
dadurch glücklich werden, dann ist das wunderbar, aber
sie sind nicht Objekt, um uns Befriedigung zu verschaffen.
Das zu dem Teil, auf den bezogen ich sage: „Viel hilft
viel“ ist einfach falsch.
Dann sind Sie in Ihrem selbst geschaffenen Gefängnis
der ideologischen Verblendung. Der Antrag hätte sich ja
auch gegen politischen Extremismus richten oder Mittel
für Programme gegen politischen Extremismus fordern
können. Aber auf diesem linken Auge sind Sie einfach
blind.
Man hat im Ministerium die Sorge gehabt, dass sich
viel zu wenige - vielleicht referiert meine Kollegin
Rüthrich nachher die Zahlen; damit will ich Sie jetzt gar
nicht belasten - oder kaum Antragsteller melden, die
Opfer politischen Linksextremismus wurden.
({3})
- Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Dann können
wir nachher oder an einer anderen Stelle darüber reden.
- Der politische Extremismus ist in jeder Hinsicht eine
Irreführung. Deswegen bin ich immer ein bisschen skeptisch, wenn eine Aufteilung in die alten Bilder von rechts
und links erfolgt und dann Etiketten verteilt werden, damit wir wissen, wo die Guten und wo die Bösen sind.
Das ist doch eine Engführung, in der wir selber hängen
bleiben.
Es geht darum, dass es ein unangemessenes Verhalten
von jungen Menschen gibt, das sie selbst in eine schwierige Situation bringt, das sie unglücklich macht und das
anderen Menschen Unglück bringt. Da müssen wir einmal genau schauen: Wie kommt es dazu? Welche Rahmenbedingungen können wir beeinflussen? Wie können
wir ihnen helfen und damit auch uns? Das kommt mir
immer viel zu kurz. Ich habe manchmal den Eindruck,
dass - nicht gewollt; aber doch in der Wirkung ganz sicher - auch zum Hass erzogen wird, nicht gegen das
Rechte und gegen das Feindliche, sondern gegen die
Menschen. Das ist äußerst gefährlich.
Ich bin in einer Situation aufgewachsen, in der man
gesagt hat: Wir müssen das Böse hassen. Wir müssen
den Klassenfeind hassen. Wir müssen uns stark machen
dagegen. - Wenn ich die Aktionen der Linken in meiner
Stadt beobachtet habe, habe ich immer gedacht: Meine
Güte, wie rennen diese armen jungen Menschen gegen
einen vermeintlichen Feind an, weil sie in ihrem pubertären Drang und aufgrund von Idealen - ja, guter Ideale
- meinten, sie könnten mit Gewalt, mit Gewalt der
Straße das Unrecht und das Elend der Welt beseitigen.
Es sind Milliarden Liter Blut geflossen, beispielsweise während der Französischen Revolution und auch
bei anderen Revolutionen. Hat das die Welt wesentlich
verändert? Nein. Wir sind heute in einer Phase, in der
wir mit Vernunft und Verstand sowie angemessenen Hilfen den Menschen tatsächlich helfen können, die Dinge
neu zu sehen. Sie haben das vorhin selber gesagt: Gewalt
ist niemals ein Mittel - niemals. Damit meine ich nicht
nur körperliche Gewalt. Kollege Ullrich hat ja die Zitate,
die ich mir aufgeschrieben habe, hier schon vorgetragen.
Aber eines möchte ich doch noch vortragen, insbesondere meinen linken Kollegen, weil mich das so erschrocken gemacht hat. Auf der Homepage des Kollektivs
CrimethInc. steht:
Deshalb mag es zwar manchmal sogar nötig sein,
Polizist_innen anzuzünden, allerdings sollte dies
nicht in einem Anflug von rachsüchtiger Selbstgerechtigkeit geschehen, sondern von einem Standpunkt der Fürsorge und des Mitgefühls aus - wenn
auch nicht für die Polizei, dann wenigstens für alle,
die sonst unter ihnen zu leiden hätten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir solche
Haltungen bei jungen Menschen befördern - ich meine
nicht unbedingt das mit dem Verbrennen; das ist ein
Extrem -,
({4})
wenn die Polizei, also diejenigen, die das Gewaltpotenzial des Staates verbürgen, in ihrer Existenz angegangen
werden, wenn man nicht dagegenhält, dann setzen wir
unseren Staat aufs Spiel, dann setzen wir unsere Demokratie aufs Spiel. Genau das passiert aber.
({5})
Sie waren wohl noch nicht bei den Demonstrationen
dabei, wenn die Bullen getrieben wurden, wenn die Bullen sich schützen mussten. In meiner Tageszeitung in
Frankfurt ({6}) stand nach einer der letzten Demonstrationen sinngemäß: Es war eigentlich relativ friedlich. Es
sind nur drei Polizisten verletzt worden. - Toll! Die Polizisten, die das Gewaltmonopol haben und die dafür
Sorge tragen, dass wir in unserem Staat friedlich leben
können, werden dann noch zum Opfer von jungen, und
ich sage: fehlgeleiteten, Menschen.
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.
Ja, ich weiß, meine Zeit ist um. Danke schön. - Ich
sage einmal: Dieser Antrag ist ein Schaufensterantrag.
Es liegt nichts drin, was mich überhaupt nur anziehen
könnte, die Ware zu kaufen. Überlegen Sie einmal, wie
Sie Ihre Anträge besser und möglichst ideologiefrei stellen können. Dann haben wir vielleicht eine gemeinsame
Zukunft.
Danke.
({0})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Susann
Rüthrich von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Letzte Woche
ist bei mir zu Hause eine Asylunterkunft mit Steinen angegriffen worden. Das geschieht dieser Tage immer wieder, überall in Deutschland. Es werden Menschen angegriffen. Sie werden angepöbelt. Manche Jugendliche
werden zu Glaubenskriegen rekrutiert. An anderer Stelle
wird vor einer vermeintlichen Islamisierung Deutschlands gewarnt. Ich will, dass das anders wird, dass alle
Menschen, die bei uns leben, sicher sind - egal woher
sie kommen, wie sie aussehen und was sie glauben -:
ohne Demütigungen, ohne seelische und ohne körperliche Übergriffe. Doch das kommt nicht von allein. Vor
Ort muss das Miteinander gestützt und gefördert werden,
und zwar verlässlich, sicher und ausreichend.
Der Antrag der Linken handelt von genau dieser Unterstützung. Er ist schon einige Tage alt - macht nichts.
Für mich sind diese Fragen immer aktuell. So nehme ich
den Ball also gerne auf und rede darüber, was wir mit
dem Programm „Demokratie leben!“ umsetzen, das vom
Familienministerium unterstützt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns einstimmig dazu bekannt, die Forderungen des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen. Wir haben zugesagt,
die Förderung der Demokratie dauerhaft mit mehr Geld
zu unterstützen. Wir wollen ein eigenes Bundesgesetz,
um diese Arbeit auch zukünftig zu sichern. So ist unsere
Beschlusslage, und im Übrigen sieht das auch der Koalitionsvertrag vor. Der Beschluss ist sehr gut. Gut ist auch,
dass er umgesetzt wird.
In 220 Kommunen gibt es jetzt lokale „Partnerschaften für Demokratie“. In den Gemeinden können vor Ort
Einwohnerinnen und Einwohner ganz konkrete Projekte
umsetzen, egal ob es Kinderkonferenzen sind oder das
Engagement für Asylsuchende. Alle 16 Bundesländer
haben jetzt Demokratiezentren, in denen die Opferberatung, die mobile Beratung und weitere Beratungsansätze, etwa für Schulen, koordiniert und umgesetzt
werden. 28 bundesweit wirkende Initiativen und Projektträger haben jetzt die Möglichkeit, ihre Arbeit auf stabile
Füße zu stellen. Sie sind so etwas wie ein inhaltliches
Dach, weil sie Konzepte und Inhalte von einem Ende
Deutschlands an das andere transferieren können und
dann inhaltliche Koordinierungen umsetzen können. Zusätzlich erproben 54 Modellprojekte, was beispielsweise
Demokratie im ländlichen Raum stützt. Weitere 36 Modellprojekte wirken präventiv gegen Radikalisierungen.
Ich kann nur sagen: Ich bin davon beeindruckt, was hier
alles möglich gemacht wird. Ich sage den vielen Engagierten Danke, die jeden Tag dabei helfen, dass wir uns
in Deutschland alle wohlfühlen können.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Programm
ist komplett neu geschrieben worden. Für den Prozess,
wie das Familienministerium - von der Spitze mit
Manuela Schwesig über die Leitungsebene bis zu den
Fachabteilungen - diese Aufgabe angegangen ist, kann
ich nur aus vollem Herzen Danke sagen. Es wurde beraten, miteinander gesprochen, gemeinsam gedacht - und
das nicht nur mit uns Abgeordneten, sondern auch mit
den Engagierten in den Projekten. Das war eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Das ist eine Qualität für sich.
Dafür vielen Dank.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 40,5 Millionen
Euro: Das ist die Summe, die wir jetzt in das Programm
stecken können. Nun schauen wir, ob das reicht, um
auch den Forderungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss gerecht zu werden; denn weiße Flecken - egal ob
regional oder inhaltlich - können wir uns nicht leisten.
Die darf es nicht geben. Wenn Notwendiges am Geld
scheitert, dann sind wir im Parlament gefragt, solche
Missstände aufzuheben.
Noch etwas ist neu. Die Programmlaufzeit beträgt
jetzt fünf statt drei Jahre. Die Engagierten können endlich einige Jahre ihre Arbeit machen, ohne an den Folgeantrag und das nächste Projekt denken zu müssen.
Verstetigung aber heißt - sowohl im NSU-Abschlussbericht als auch im Koalitionsvertrag -: eine dauerhafte
Lösung. Eine dauerhafte Lösung ist eine eigene bundesgesetzliche Grundlage. Das Gutachten von Herrn Professor Battis sagt, dass wir dafür auch die Zuständigkeit
haben. Meiner Meinung nach geht es jetzt darum, das
Programm „Demokratie leben!“ in eine Institution „Demokratie leben!“ zu überführen. Das wird auch der Arbeit der Träger gerecht; denn Bildungsarbeit, Opferberatung, mobile Beratung sowie Gemeinwesenarbeit sind
keine Projekte, die einen Anfang und ein Ende haben;
vielmehr wird mit ihnen eine Daueraufgabe erledigt.
({2})
Dem tragen wir Rechnung, indem wir diese Aufgaben
auf Dauer unterstützen. Wir haben das versprochen. Ich
finde, das ist ein gutes Ziel für die zweite Halbzeit dieser
Legislaturperiode.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/4450, 18/2492 und 18/2493 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Agrarpolitischer Bericht der Bundesregierung 2015
Drucksache 18/4970
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner erhält
Bundesminister Christian Schmidt für die Bundesregierung das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der Vorlage des Agrarberichts rückt das
Thema Landwirtschaft in das Zentrum der Debatte und,
ich hoffe, auch in das Zentrum der Gesellschaft. Für die
Debatte stehen uns 38 Minuten zur Verfügung. Ich
würde mich freuen, wenn es uns darüber hinaus gelingt,
die Diskussionen über die Zukunft der Landwirtschaft,
der Forstwirtschaft und, nicht zu vergessen, der Fischereiwirtschaft breit in die Gesellschaft hineinzutragen.
Die Debatte muss nicht von allgemeinen Übereinstimmungen gekennzeichnet sein. Auf jeden Fall aber sollten
wir den Handelnden - das sind in der Land-, Forst- und
Fischereiwirtschaft in erster Linie die Erzeuger, die
Bäuerinnen und Bauern, die Fischer und die Forstwirte zunächst dafür danken,
({0})
dass sie unser Land in einem hervorragenden Zustand
halten und die Ernährung sichern.
({1})
Der Agrarbericht zeigt, dass wir in Bezug auf Leistungsfähigkeit und Produktivität zusammen mit den vorund nachgelagerten Bereichen - ein Begriff, der alles
umfasst: vom Boden bis zum Teller - bisher viel erreicht
haben. Die Land- und Ernährungswirtschaft hat eine
Bruttowertschöpfung von 161 Milliarden Euro erzielt.
Das sind mehr als 6 Prozent der Wertschöpfung aller
Wirtschaftsbereiche und unterstreicht die Bedeutung der
Ernährungswirtschaft.
({2})
Unsere Produkte sind weltweit beliebt und gefragt.
Jeden vierten Euro erlöst die deutsche Landwirtschaft im
Export, die deutsche Ernährungswirtschaft sogar jeden
dritten Euro. Der Export ist natürlich keine Einbahnstraße. Aber wir sollten uns auch in Verhandlungen über
Freihandelsabkommen immer wieder vor Augen führen:
Wir müssen einerseits unsere Standards durchsetzen,
aber wir müssen andererseits im globalen Kontext
gestaltungsfähig bleiben und deshalb unsere Qualitätsprodukte aus Deutschland mit Selbstbewusstsein vermarkten. Ein Nichtvermarkten, eine Entlastung der Produktion zulasten von anderen Märkten über den Weg
von Exporterstattungen, gibt es mit mir und dieser Bundesregierung Gott sei Dank nicht mehr. Das ist kein richtiger Weg.
({3})
Das würde auch die Auffassung, über die die wichtigsten
Industriestaaten beim G-7-Gipfel in Elmau übereingekommen sind, nicht widerspiegeln. Wir wollen uns mit
fairen Produkten und fairer Produktion auf dem globalen
Markt behaupten. Das ist das Ziel.
Die bäuerliche Landwirtschaft ist das Rückgrat des
Erfolges. In Deutschland gibt es 285 000 solcher Betriebe, 90 Prozent davon sind Familienbetriebe. Ich freue
mich deshalb, dass es uns gelungen ist, den Strukturwandel, der stattgefunden hat und der, wie der Strukturwandel in anderen Bereichen unserer Gesellschaft auch, weitergehen wird - da sollten wir ganz realistisch sein -,
etwas abzufedern.
Heute haben wir im Verhältnis zur Zahl der Betriebe
vor 40 Jahren gerade noch 15 Prozent; die Leistungsfähigkeit ist hingegen deutlich gesteigert worden. Ich
möchte klar sagen, dass für die bäuerlichen, familiären
Betriebe mit ihrer Unmittelbarkeit im Wirtschaften, aber
auch für die Nebenerwerbsbetriebe, die ich auch erwähnen möchte, eine Stabilisierung der Produktion und die
Orientierung nicht nur am Markt, sondern auch in der
Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen.
Ich sehe meine Aufgabe darin, deutlich zu machen,
dass der vorgelegte Bericht einen Hinweis gibt, dass die
Landwirte im Prinzip zuversichtlich nach vorne schauen
können. Damit das weiter so bleibt, ist vorgesorgt: Die
beschlossene Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union bis 2020, die bei uns umgesetzt wird, trägt
zur Planungssicherheit für unsere Bäuerinnen und Bauern bei; das ist der Boden, auf dem sie und auch wir stehen. Wir haben stabile Direktzahlungen in Höhe von
knapp 5 Milliarden Euro bis 2020 gesichert. Dadurch hat
sich die Einkommenslage der Landwirte weiter verbessert. Deutschlands Landwirte liegen mit im Schnitt
45 800 Euro Gewinn deutlich über dem EU-Durchschnitt von knapp 18 000 Euro. Denjenigen, die jetzt zuhören und sich fragen: „Ja, was sagt denn der Minister
hier? Weiß der nicht, wie meine augenblickliche Milchabrechnung aussieht? Die sieht nicht so aus“, muss ich
sagen: Ich weiß. Ich berichte über einen vergangenen
Zeitraum, den Zeitraum bis Ende letzten Jahres. Wir
müssen feststellen, dass es in der Einkommenssituation
der Landwirte in diesem Jahr leider Verwerfungen gibt.
Was ist daran schuld? „Schuld“ ist das falsche Wort. Was
sind die Ursachen? Wetter, Märkte, Menschen.
({4})
- Gegen das Wetter, lieber Kollege Ostendorff, können
wir gerne gemeinsam vorgehen.
({5})
- Da Sie das Einkommen ansprechen: Sie wissen ja, dass
wir gerade durch die Stabilität unserer Politik die Grundlage dafür schaffen, dass das Einkommen der Landwirte
erhalten bleibt und besser wird.
({6})
- Bei der Milch haben wir einen großen Wandel weg von
der Milchquote bewältigen müssen. Die Milchquote hat
übrigens auch nicht die Milchkatastrophe in den Jahren
2007 und 2008 verhindert.
({7})
Alle die, die Patentrezepte kennen, möchten sich bitte
bei mir melden. Nein, wir brauchen ein Netzwerk, das
Leitplanken schafft und Krisenreaktionen beinhaltet.
Das hat die Europäische Union, glaube ich, ganz gut entwickelt. Wir müssen in diesem Bereich aber aktiv bleiben und werden das tun.
Ich will auf das Bodenrecht hinweisen. Steigende
Pachtpreise, mancherorts um 50 Prozent, und eine zunehmende Flächenkonzentration sehe ich kritisch für unsere heimische Agrarstruktur. Das ist eine Baustelle, an
der wir arbeiten müssen.
({8})
Eine weitere Baustelle ist die Bürokratie. Es gab einmal die Diskussion um eine Steuerreform - Sie erinnern
sich vielleicht noch -, in der ein Bierdeckel eine Rolle
spielte. Auf den will ich gar nicht hinaus. Aber die Ausdehnung der bürokratischen Belastungen - Mehrfachantrag etc., durch das Greening nicht weniger geworden - sind für mich Anlass, anzukündigen, dass die Bundesregierung, mein Haus, zukünftig im Abstand von
zwei Jahren einen Bericht darüber vorlegen wird, wie
die Belastung der Landwirtschaft und der Erzeuger
durch europäische und nationale Regelungen aussieht
und wo Verbesserungsmöglichkeiten bestehen. Wir müssen dieses Thema angehen.
({9})
Es gibt eine Reihe von Themen, die es erfordern, dass
die Mitte der Gesellschaft mitredet. Diejenigen, die über
die Landwirte reden, sollten zuerst mit ihnen reden. Das
schärft den Blick für das Wesentliche und das Machbare.
Ich appelliere an die Dialogfähigkeit unserer Gesellschaft. Nicht über die Landwirtschaft reden, sondern mit
ihr, das schafft Erkenntnis.
({10})
Das gilt auch für die Frage des Tierwohls, wo wir
viele Initiativen ergriffen haben, die eindeutig und gut
überschaubar Verbesserungen bringen. Es geht um die
Kernkompetenz der Agrar- und Ernährungsbranche. Dabei sind Anpassungsfähigkeit, Modernität und Innovation von Bedeutung. Es ist ja nicht so, dass diese keine
Rolle spielen. Dabei gibt es auch eine Verknüpfung mit
den umweltpolitischen Herausforderungen, zum Beispiel mit den Düngeregelungen, die wir in der nächsten
Zeit besprechen werden, oder mit den Belastungen der
Luft. Das sind Probleme, welche die Landwirtschaft
nicht leugnet. Sie ist bereit, darüber zu sprechen. Wir
müssen über diese Dinge in einem gesamtgesellschaftlichen Dialog reden und dann Entscheidungen treffen.
Herr Minister, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich
überschritten.
Herzlichen Dank für den Hinweis. - Ich möchte noch
einen letzten Hinweis bezüglich des ländlichen Raums
geben, der für uns ganz wichtig ist. Eine unabhängige
Jury hat mein Modellvorhaben „Land({0})Schwung“ bewertet. Von den 37 Landkreisen in Deutschland, die sich
beworben hatten, sind 13 ausgewählt worden. Auch die
nicht Ausgewählten verdienen für ihr Konzept Achtung
und Unterstützung. Bei ihnen wird es noch manch eine
Weiterentwicklung geben. Heute werden die entsprechenden Landkreise die Information erhalten, dass sie
ihr Entwicklungskonzept für den ländlichen Raum in
den nächsten Jahren mit einer Finanzierung von ungefähr 1,5 Millionen Euro umsetzen können.
Wir bleiben bei der Agrarentwicklung und brauchen
keine Agrarwende.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin in dieser Debatte hat Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die
Linke das Wort.
({0})
Die Koalition hat ja so wenig Redezeit, da muss man
schon mal überziehen!
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Als ich das Inhaltsverzeichnis des Agrarberichtes las, war ich positiv überrascht. Denn das erste
Mal seit 1990 wurde dort der Begriff „Agrarleitbild“ erwähnt. Beim weiteren Lesen wurde ich doch bitter enttäuscht. Von den siebeneinhalb Zeilen im entsprechenden Absatz wird höchstens ein Phrasenschwein fett.
Ja, alle Stichworte sind richtig: ländliche Räume,
multifunktionale Land- und Forstwirtschaft, Fischerei,
landwirtschaftliche Familienbetriebe, Unternehmen mit
bäuerlicher Wirtschaftsweise. - Das wurde sprachlich
noch mit Adjektiven wie „attraktiv“, „vital“, „lebenswert“, „ökologisch verantwortbar“, „nachhaltig“ sowie
„ökonomisch leistungsfähig“ geschmückt. Aber das sind
doch bestenfalls Überschriften. Sie stellen jedoch kein
Leitbild dar. Dabei ist ein Leitbild bei den vielen ökologischen und sozialen Herausforderungen doch wirklich
dringend notwendig.
Bei diesen Herausforderungen geht es zum Beispiel
um die Bodenpolitik. Der Agrarbericht beschreibt immerhin sehr zutreffend die Problemlage, auf die wir Linken seit Jahren hinweisen. Dabei geht es um zum Teil
drastisch gestiegene Kauf- und Pachtpreise, um die zunehmende Aktivität nichtlandwirtschaftlicher Investoren, um - wie es zum Beispiel auch in meinem Dorf in
Brandenburg der Fall ist - Holdingstrukturen in der
Landwirtschaft sowie um die deutliche Zunahme der
Konzentration des Bodenbesitzes in bestimmten Regionen.
Ja, das führt zu einschneidenden Veränderungen auf
dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt. Aber, Minister
Schmidt, wo sind denn Ihre Initiativen, um das endlich
zu ändern? Beim Boden geht es doch schließlich um die
Existenzgrundlage der regionalen Landwirtschaft. Gerade in Ostdeutschland läuft doch längst die Umverteilung des Bodens in die Hände landwirtschaftsfremder
Kapitalgeber. Es gibt doch real längst Ackerbauholdings,
die aus der Ferne gesteuert werden. Zum Beispiel geschieht das auch in Bezug auf die Felder in meinem
Dorf. Dabei wird in Niedersachsen bestimmt, was in
Brandenburg wächst. Statt aber Vorschläge zu machen,
verweisen Sie auf die Zuständigkeit der Länder. Und Sie
sagen, dass alles so kompliziert sei und man miteinander
reden müsse.
({1})
Ja, richtig. Aber mit welchem Ziel denn? Es gibt doch
Vorschläge, die sinnvollerweise im Bund oder wenigstens bundeseinheitlich geregelt werden sollten. Zum
Beispiel geht es darum, dass Anteilskäufe bei Agrarunternehmen von Behörden genehmigt werden müssen.
({2})
Tun Sie doch endlich etwas gegen die feindlichen Übernahmen durch landwirtschaftsfremdes Kapital!
({3})
Wo bleibt denn ein bundesweites Kataster, aus dem hervorgeht, wer wo wie viel Boden besitzt? Ich fürchte, es
gibt ein böses Erwachen, weil sich schon jetzt immer
mehr Boden im Besitz von wenigen kapitalstarken Händen konzentriert. Hier ist Gefahr in Verzug. Handeln Sie,
Herr Minister!
({4})
Wem gehört das Land? Das ist doch eine der zentralen
Zukunftsfragen. Marktgläubigkeit ist hier die völlig falsche Antwort! Es geht aber nicht nur um die ortsansässigen Betriebe. Wenn Bodeneigentum und Landbewirtschaftung nichts mehr mit den Menschen in den Dörfern
zu tun haben, dann stirbt das Dorf. Deshalb wollen wir
Linken eine Allianz zwischen Dorfbevölkerung, ortsansässigen Betrieben und Verbraucherinnen und Verbrauchern.
({5})
Es gibt noch mehr Brennpunkte, denen Sie ausweichen, Herr Minister. Stichwort: Bioökonomie. Ja, wir
müssen raus aus dem fossilen Kohlenstoffzeitalter; aber
wenn die Landwirtschaft zum Rohstofflieferanten degradiert wird, ist es doch mit der Nachhaltigkeit zu Ende.
Die Konflikte zwischen Tank, Trog und Teller werden
dann nur noch nach Gewinnerwartungen entschieden.
Das dürfen wir doch nicht zulassen.
({6})
Hier geht es schließlich um die Daseinsvorsorge, um die
Versorgung mit Lebensmitteln und erneuerbaren Energien.
Nachwachsende Rohstoffe sind nicht unendlich verfügbar. Die Anbaufläche ist doch begrenzt, und wir verlieren täglich 70 Hektar. Zwischen 2005 und 2013 ist die
Anbaufläche für Biomasse um rasante 40 Prozent gewachsen, zulasten von Lebensmitteln und Futtermitteln.
Der Anstieg hat sich jetzt zwar verlangsamt, aber wir
brauchen endlich eine Biomassestrategie, die energetische und stoffliche Nutzung zusammenführt. Dann wird
es auch was mit dem nachhaltigen Anbau.
({7})
Noch ein Thema möchte ich ansprechen. Die USA erleben gerade einen verheerenden Vogelgrippeseuchenzug, dem schon 40 Millionen Stück Geflügel zum Opfer
gefallen sind. 10 Prozent der Eierproduktion wurden
vernichtet. Als Tierärztin sage ich: Das hat auch was mit
Risikostrukturen zu tun, nämlich mit zu vielen Tieren an
einem Standort und in einer Region.
({8})
Das sollte uns jetzt wirklich mahnen. Lassen Sie uns
endlich Obergrenzen für Tierbestände an einem Standort
und in einer Region gesetzlich definieren.
({9})
Das bringt übrigens auch wieder Frieden in die Dörfer;
denn 40 000 Schweine oder 400 000 Hähnchen in der
Nachbarschaft sind definitiv zu viel.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank. - Als nächster Redner spricht
Dr. Wilhelm Priesmeier von der SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter
Herr Minister, ich freue mich außerordentlich, dass Sie
die Zeit gefunden haben, in der wichtigen Debatte heute
einen Redebeitrag zu leisten.
({0})
Denn ich glaube, es ist die vornehmste Aufgabe des
Ministers, zum Agrarbericht hier im Parlament Stellung
zu beziehen.
Wir haben die zeitliche Abfolge vor etlichen Jahren
verändert: Früher gab es jährlich einen Agrarbericht;
jetzt diskutieren wir alle vier Jahre einen Agrarbericht.
Deshalb kann man jetzt immer nur auf vier Jahre zurückschauen. Die Rückschau weist viele Zahlen für die letzten vier Jahre aus, die durchaus positiv sind. Da kann
man würdigen, dass unsere Agrarwirtschaft international
wettbewerbsfähig ist. Das Exportvolumen von 60 Milliarden Euro spricht eine deutliche Sprache. Bei so vielen positiven Zahlen und Entwicklungen kann man an
sich stolz sein.
({1})
Wenn wir die Diskussionen in der Rückschau betrachten und versuchen, in die Zukunft zu schauen, erkennen
wir aber auch eine Diskussion in der Gesellschaft, in der
viele die Form der Produktion und Wertschöpfung kritisch hinterfragen. Das ist auch ihr gutes Recht. 40 Prozent der Bevölkerung sind laut einer Umfrage in besonderer Weise an gesunden und sicheren Lebensmitteln
interessiert. Sie wollen, dass die Politik ihren Beitrag
dazu leistet; das ist ihnen vielleicht wichtiger als das
Wirtschaftswachstum oder eine gesicherte Energieversorgung. Das macht deutlich, wie wichtig dieser Sektor
für uns und für die Menschen ist.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher vertrauen dabei auf eine hohe Lebensmittelsicherheit und auf eine
hervorragende Produktqualität.
({2})
Diese liefert unsere deutsche Landwirtschaft, und damit
wird in der deutschen Landwirtschaft auch Geld verdient - zu Recht. Aber das Hinterfragen der Produktionsweise in der gesellschaftlichen Diskussion müssen
wir natürlich auch ernst nehmen. Begriffe wie „industrielle Massentierhaltung“, „Antibiotikamissbrauch“ und
- regelmäßig im Januar, wenn die Grüne Woche stattfindet - der Satz „Wir haben es satt!“ machen deutlich, dass
die Form, die Art und Weise der Produktion und bestimmte Strukturen kritisch hinterfragt werden. Ich
finde, es ist bislang für die Politik nicht ganz einfach, die
richtige Antwort darauf zu finden.
Es beginnt ein Umdenkprozess in der Branche. Die
Landwirte stellen sich diesen Themen. Der Bauernverband hat diese Diskussion, wenn ich zurückschaue, vor
Jahr und Tag vermutlich gar nicht so ernst genommen.
Mittlerweile reagiert aber nicht nur er darauf, sondern
auch die ISN, wie ich neulich auf einer Veranstaltung der
ISN, bei der es hervorragendes deutsches Fleisch gab,
live feststellen konnte.
Ich glaube, das sind richtige Ansätze, um sich mit
dem auseinanderzusetzen, was notwendig ist. Notwendig ist natürlich auch der stete Wandel. Notwendig ist
auch, dass man auf die Gesellschaft zugeht. Ich hoffe,
dass das alle Landwirte in Zukunft weiter gemeinsam
tun werden.
Agrarpolitik ist heute ein Teil der Gesellschaftspolitik. Tiergerechte Haltungssysteme, Tierhygiene und besseres Management sind an sich Selbstverständlichkeiten,
die in unseren Ställen umgesetzt werden. Wir sollten die
Ställe an die Tiere anpassen und nicht umgekehrt.
({3})
Deshalb begrüße ich die Initiative Tierwohl; denn
hierbei wird zum ersten Mal der Versuch unternommen,
entlang der Kette ein System zu schaffen, das zu spürbaren Verbesserungen führt. Das ist ein erster Versuch; das
ist ein erster Anlauf.
({4})
Es bedarf allerdings weiterer Initiativen und, wie ich
glaube, auch einer entsprechenden Flankierung.
Ich glaube, der Verbraucher sollte klar und deutlich
erkennen, unter welchen Tierschutz- und Tierwohlbedingungen das Fleisch produziert worden ist, das er an der
Ladentheke kauft. Zu bedenken ist, dass die höheren
Standards nicht nur für das Fleisch gelten, das an der Ladentheke unter diesem Label verkauft wird, sondern
auch für das Fleisch, das für den Export bestimmt ist.
Höhere Standards sind nur dann umzusetzen, wenn die
Wettbewerbsfähigkeit der Branche in Gänze nicht infrage gestellt wird.
({5})
Die Branche muss letztlich so wettbewerbsfähig und so
produktiv sein, dass Maßnahmen für höhere Tierschutzstandards finanziert werden können.
({6})
Das Gutachten des Sachverständigenrates liefert einen, wie ich finde, guten und positiven Ansatz, der die
Diskussion in den nächsten Jahren mit Sicherheit erheblich beflügeln wird.
({7})
Diese Diskussion ist notwendig. Notwendig ist aber
auch, dass wir Konsequenzen ziehen und diesen Prozess
begleiten, und zwar auch durch entsprechende Forderungen.
Dazu bedarf es vielleicht einer neuen Architektur der
Agrarpolitik auf europäischer Ebene. Vielleicht muss
man Geld aus dem kaum an Bedingungen geknüpften
Zahlungssystem herausnehmen und zielgerichtet in landwirtschaftliche Betriebe investieren, die bereit sind, sich
diesem Prozess zu stellen, die bereit sind, zu investieren
und das Risiko zu tragen. Durch diese finanzielle Förderung kann man dafür sorgen, dass das Risiko derjenigen,
die diesen Weg zuerst beschreiten, abgemildert wird.
Das ist, glaube ich, grundsätzlich richtig.
Wenn wir uns die Ausrichtung der Agrarpolitik anschauen - dafür ist der Agrarpolitische Bericht immer
ein guter Anlass -, sollten wir unser Augenmerk auch
auf 2017 richten. Wir sollten die notwendigen Konsequenzen hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung der europäischen Agrarpolitik ziehen. Ich halte das jetzige
System - das habe ich hier schon wiederholt kundtun
dürfen - für wenig zukunftsfähig. Man sollte langsam
beginnen, aus dem jetzigen System auszusteigen. Ziel
muss es sein, dass wir nach 2020 aus dem Säulensystem,
das wir auf europäischer Ebene entwickelt haben, herauskommen. Wir müssen für mehr Effizienz im Zahlungssystem sorgen, als wir heute haben.
({8})
Einen ersten Ansatz haben wir in die Koalitionsverhandlungen eingebracht: 4,5 Prozent aus der ersten in
die zweite Säule. Mit Blick auf 2017 muss man natürlich
sehen, dass 225 Millionen Euro in diesem Zusammenhang nicht allzu viel sind. Da kann man mehr tun.
({9})
Theoretisch können wir 750 Millionen Euro umschichten. Ich halte diesen Weg für richtig. Wir sollten das zum
Ziel unserer Arbeit hier im Deutschen Bundestag machen; denn undifferenzierten Zahlungssystemen gehört
sicherlich nicht die Zukunft.
Wir brauchen natürlich auch einen guten Ansatz für
die Weiterentwicklung der Politik für die ländlichen
Räume. Im Koalitionsvertrag haben wir dazu etwas aufgeschrieben: Wir wollen aus der GAK etwas Ordentliches machen. Diese Aufgabe werden wir jetzt angehen,
im Sinne unserer ländlichen Räume. Wir wollen uns den
Problemen stellen, die in bestimmten Regionen besonders groß sind, zum Beispiel bei mir zu Hause, wo wir
2035 - das ist nicht lang hin; das sind nur 20 Jahre - ein
Viertel weniger Einwohner haben werden. Das macht
deutlich, dass wir auch in diesem Bereich zusätzlicher
finanzieller Ressourcen bedürfen, um die Politik für die
ländlichen Räume aktiv ausgestalten zu können, um Prozesse aktiv begleiten zu können. Es geht nicht darum,
Sterbehilfe für die Dörfer zu leisten, sondern darum, Initiativen zu fördern, darum, bürgerschaftliches Engagement zu fördern, darum, all diejenigen zu fördern, die
Ideen haben und sich in diesen Prozess einbringen wollen.
Angesichts des, glaube ich, schon in der Abstimmung
befindlichen Gesetzes zur Novellierung der alten GAK
hoffe ich auf den Herbst und darauf, dass wir eine
fruchtbare Diskussion führen werden.
In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Friedrich
Ostendorff von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Überall volle Säle, kein Ereignis hat in den vergangenen Wochen die Diskussion über die Landwirtschaft und die Zukunft der Landwirtschaft so bestimmt
und verändert wie das Gutachten des Wissenschaftlichen
Beirates des Bundeslandwirtschaftsministeriums zur gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung. Überall wird
heute entlang konkreter Vorschläge diskutiert, wohin unsere Nutztierhaltung gehen muss, um zukunftsfähig zu
sein.
Allerdings, nebenbei bemerkt, verhält sich Minister
Schmidt auch zu dieser großen gesellschaftlichen Debatte wie immer, nämlich gar nicht. Stille, absolute
Stille im Haus des Bundeslandwirtschaftsministers. Herr
Minister Schmidt, Sie werden scheinbar zwischen Münchener Staatskanzlei und Bauernverband bis zur Unkenntlichkeit pulverisiert, aber nicht nur Sie, sondern leider auch - das bedauern wir besonders - das ganze
Ministerium.
Herr Minister, die große Frage für uns alle ist doch:
Wohin soll sich unsere Landwirtschaft entwickeln? Darüber müssen wir diskutieren und debattieren, und Sie
müssen handeln. Sie sind die Handlungsebene.
({0})
Wenn ich aber in den Agrarpolitischen Bericht schaue,
dann muss ich feststellen, dass sich hinter Ihrem agrarpolitischen Leitbild - Kollegin Tackmann sagte es
schon - nur leere Worthülsen, nur Allgemeinplätze verstecken: „… attraktive, lebenswerte und vitale ländliche
Räume und eine nachhaltige, ökologisch verantwortbare,
ökonomisch leistungsfähige und multifunktionale Landwirtschaft“ - wir Grünen hätten es nicht besser formulieren können - streben Sie an. Danke, Herr Minister, ja,
aber etwas genauer wollten wir es dann doch schon wissen. Das ist, glaube ich, klar.
({1})
Aber da Sie, Herr Minister Schmidt, im Zweifel nichts
entscheiden, wird der Aktenberg der ungelösten Probleme höher und höher - statisch sehr bedenklich, nämlich bedrohlich hoch.
({2})
Uns würden wirklich einmal die konkreten Konzepte,
mit denen Sie die Probleme anpacken wollen, interessieren. Reden wir doch endlich einmal Tacheles. Initiative
Tierwohl - das Thema, das die Landwirtschaft momentan neben der großen Frage der Zukunft der Tierhaltung
bewegt -: Welche Strategie, Herr Minister, haben Sie
denn, um den Betrieben zu helfen, die sich auf den Weg
gemacht haben, Tierschutz in die Ställe zu bringen, die
Geld investiert haben und die heute im Regen stehen, da
über die Hälfte von ihnen nicht in den Genuss der Ausgleichszahlungen kommt? Erklären Sie uns doch bitte
Ihre Strategie. Hier und heute ist der Ort, wo die Landwirtschaft eine Antwort erwartet.
({3})
Aber auch hier: nichts, gar nichts von Ihnen, kein Wort.
Die Betriebe, die sich aufgemacht haben, müssen doch
endlich für ihren Aufwand entlohnt werden, damit sie
Mut fassen, auf diesem richtigen Weg weiterzumachen.
Ihre Versprechungen, Herr Minister, waren groß. Sie haben während der Grünen Woche viel darüber geredet.
Aber jetzt sind wir in einer Zeit, in der Taten erforderlich
sind. Wir wollen endlich Taten sehen.
({4})
Ihre Aufgabe ist es, den Lebensmittelhandel mehr in
die Verantwortung zu nehmen, sodass er das notwendige
Geld für die tierwohlgerechte Haltung bereitstellt.
({5})
Warme Worte helfen den Betrieben hier überhaupt nicht.
Die Folgen Ihres Nichthandelns bezahlt die Gesellschaft,
bezahlen die Steuerzahler, bezahlen die Bäuerinnen und
Bauern. Aber es kann doch nicht sein, dass Steuerzahler
die Auswüchse des falschen Wirtschaftens bezahlen. Ist
denn der Staat zum Reparaturbetrieb der Wirtschaft verkommen? Das kann doch nicht Staatsaufgabe sein.
({6})
Aber was macht der Minister? Selbst die Kosten für
die Beendigung des Kükenschredderns sollen nun die
Steuerzahler zahlen. Wenn das nicht ein Beispiel für eine
falsche wirtschaftliche Entwicklung ist, dann weiß ich
nicht, was eins sein soll.
({7})
Noch schlimmer: Die Lösung vertagen Sie auch noch
auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Wie steht es denn nun um die Betriebe? Für die meisten Betriebe hat sich zum Glück das Einkommen - das
war nötig für sie - in den letzten vier Jahren bis 2014 gut
entwickelt, sehr gut entwickelt.
Aber wir alle wissen doch, dass dies ganz besondere
Jahre waren. Und aktuell? Die Betriebsergebnisse werden aufgrund der abstürzenden Preise, der rasant abstürzenden Preise in diesem Jahr viel, viel schlechter ausfallen. Viele werden große Schwierigkeiten haben, die
nächsten Jahre zu überstehen.
Sie wissen genauso gut wie ich, Herr Minister: Die
Situation vieler Milchviehbetriebe entwickelt sich trotz
Ihrer blumigen Zukunftsvisionen seit dem Wegfall der
Quote am 1. April dieses Jahres desaströs. Schöne Märchen haben Sie in der Zeit rund um März/April erzählt.
Wie blumig sie waren, die Worte! Sie sagten, wie toll alles wird, wie gut die Zukunft für die Milchviehhaltung
ist.
({8})
- Ich habe den Milchpreis nicht gemacht - das wäre eine
falsche Entwicklung, Herr Auernhammer -,
({9})
und ich glaube, Sie auch nicht; also wir beide nicht.
Aber wir hätten es gemeinsam beeinflussen können.
({10})
Um die Situation der Milchviehhalter in dieser Krisenzeit zu verbessern, sind ein effektives Krisenmanagement und Marktregulierungen nötig.
({11})
Dazu haben wir Sie immer wieder aufgefordert, und das
haben wir immer wieder angemahnt. Sie haben das vom
Tisch gewischt. Wir Grüne haben deutlich gemacht, dass
eine aktive Marktgestaltungspolitik für die Milch gebraucht wird, und wir haben deutlich gemacht, wie sie
auszusehen hat.
({12})
Was hören wir auch hier vonseiten des Ministers seit
Wochen, seit der Milchpreis abgestürzt ist? Nichts, gar
nichts, eisiges Schweigen, Ignoranz!
({13})
Dabei laufen selbst auf europäischer Ebene die Diskussionen, wie die Probleme gelöst werden können, auf
Hochtouren. Herr Minister, Handeln, auch wenn es Ihnen schwerfällt, ist dringend notwendig, mehr als dringend notwendig. Deshalb fordern wir von Ihnen: Legen
Sie endlich einen Masterplan zum Umbau der Tierhaltung vor!
({14})
Herr Ostendorff, lassen Sie eine Zwischenfrage von
Herrn Minister Schmidt zu?
Wenn ich meine drei Forderungen genannt habe, können wir gerne darüber diskutieren. Lassen Sie mich das
aber eben zu Ende vortragen; denn sonst ist das abgehackt. - Legen Sie endlich einen Masterplan zum Umbau der Tierhaltung vor, Herr Minister! Sorgen Sie endlich dafür, dass der Lebensmittelhandel unter Druck
gesetzt wird und er für die Initiative Tierwohl mehr Geld
bereitstellt! Geben Sie der Milchviehhaltung eine Perspektive! Sorgen Sie endlich für aktive Milchmengensteuerung, damit nicht weiterhin jedes Jahr 4 Prozent der
Milchbetriebe aufgeben müssen!
({0})
Jetzt Sie, Herr Minister; ich freue mich auf Ihre
Frage.
({1})
Jetzt der Abgeordnete Schmidt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Der Abgeordnete
Schmidt möchte diese Diskussion mit zwei Fragen zu
dem in der Rede des Kollegen Vorgetragenen ergänzen.
Darf ich Sie bitten, uns an Ihren Ideen im Hinblick
auf die Milchmarktregelung teilhaben zu lassen, bzw. ist
Ihnen bekannt, welche Aussagen zur Zukunft des Milchmarktes in dem Gutachten, das das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium gerade zu diesem
Thema eingeholt hat, vor dem Hintergrund der derzeit
schwierigen Situation getroffen worden sind?
Die zweite Frage, die ich stellen möchte, betrifft die
Initiative Tierwohl. Ist Ihnen bekannt, dass die Initiative
Tierwohl eine private Brancheninitiative des Deutschen
Bauernverbandes und des Lebensmitteleinzelhandels
ist? Welche Mittel schlagen Sie dem Bundesminister
vor, um unter Beachtung des Kartellrechtes zu verordnen, was wo wer bezahlen soll?
Ja, wunderbar; danke für diese Fragen. - Nicht nur
wir, sondern auch die Kollegen der Linken haben seit der
Grünen Woche dazu aufgefordert
({0})
- Herr Minister bzw., in diesem Fall, Herr Kollege, jetzt
hören Sie mir bitte zu -,
({1})
sich aktiv um die Milch zu kümmern, weil wir die Sorge
hatten - das ist leider eingetreten; keiner von uns kann
das wollen -, dass die Preise in große Turbulenzen kommen, und sich Gedanken zu machen: Welche Hilfsinstrumente kann es geben, um die Märkte zu stabilisieren?
Aber Sie haben ja jede Debatte darüber abgelehnt; Sie
haben sich auf keine Debatte eingelassen.
({2})
Das wollen wir doch erst einmal feststellen!
({3})
Wir haben gesagt, dass die Marktbeobachtungsstelle
in Brüssel, die von den Milchviehhalterinnen und Milchviehhaltern mühsam erkämpft worden ist, gestärkt werden muss. Wir haben das in den Haushaltsberatungen gesagt und entsprechende Anträge eingebracht, um dabei
zu helfen, die Aktivitäten der Milcherzeuger zu bündeln
und zu stärken.
({4})
Was war? Sie haben es abgelehnt! Sie haben ja keine Debatte darüber zugelassen!
({5})
Sich jetzt hierhinzustellen und uns zu fragen: „Wo sind
denn die Instrumente?“, halte ich für infam. Wir werden
Ihnen all unsere Vorschläge, die wir in den ganzen Reden der letzten Wochen und Monate vorgetragen haben,
zuschicken.
({6})
Das ist infam, wie Sie hier Politik machen.
({7})
Herr Minister, die Initiative Tierwohl ist sehr zu begrüßen. Sie haben immer wieder erklärt, dass sich das
Ministerium in die Debatte einbringen wird, wenn diese
Brancheninitiative Schwierigkeiten hat. Das ist sogar in
den Verträgen niedergelegt. Was ist denn jetzt? Wo bringen Sie sich denn ein? Sagen wir es doch einmal so: Was
muss denn noch passieren, damit Fahrt aufgenommen
wird
({8})
und wir diese Debatte beginnen?
({9})
Kommen Sie doch einmal mit mir in die Säle Westfalens und Niedersachsens, und hören Sie sich an, was dort
zur Initiative Tierwohl diskutiert wird. Vielleicht haben
Sie ja in Bayern keine Gelegenheit dazu. Die Bauern und
Bäuerinnen fragen Johannes Röring und alle, die wir
hier sind, wo die Hilfe bleibt, die ihnen versprochen
worden ist. Hier ist der Minister gefordert.
({10})
Herr Abgeordneter, Sie können sich gerne hinsetzen;
ich bin mit meiner Beantwortung fertig.
({11})
Zum Schluss will ich Ihnen, Herr Minister, aber noch
sagen: Die Hoffnung stirbt zuletzt - auch bei uns, und
das ist bei einem evangelischen Christen sehr schwer.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren jetzt in
der Debatte fort. - Als nächste Rednerin hat Ingrid
Pahlmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wohl.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Minister Schmidt hat
ja die großen Schlaglichter des Agrarpolitischen Berichts
beleuchtet und deutlich gemacht, dass die Anforderungen
an die deutsche Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft in
immer stärkerem Maße auch mit den gesellschaftspolitischen Anforderungen korrespondieren müssen. Ich
danke ihm auch ganz besonders für die Anerkennung,
die er hier eben den so wirtschaftenden Betrieben ausgesprochen hat.
Herr Ostendorff, mir ist ein stilles, konkretes, effektives Arbeiten zehntausendmal lieber als laute Schaumschlägerei, die nur aus viel heißer Luft besteht.
({0})
Aufgabe der Politik muss es sein, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen
({1})
für ein Nebeneinander von Akzeptanz, Wertschätzung,
aber auch wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit der
Branche.
({2})
Die Branchen sind bereit, sich den gesteigerten Anforderungen zu stellen und die Dinge mitzumachen, die auf
den Weg gebracht werden.
Ich möchte jetzt aber die Aufmerksamkeit auf zwei
spezielle Bereiche des Berichts lenken, die hier noch
nicht behandelt worden sind, nämlich auf die Fischerei
und auf die Forschung.
In der Fischereipolitik ist nachhaltige Fischerei das
oberste Ziel - in der Binnen- wie auch in der Seefischerei -; denn eine nachhaltige Bewirtschaftung der Fischbestände ist ökologisch geboten, und der Erhalt der Biodiversität ist im Sinne der Bewahrung der Schöpfung.
Gesunde Bestände sichern aber auch die wirtschaftliche
Lebensgrundlage der Fischer, die so einen wesentlichen
und immer bedeutsamer werdenden Beitrag als Lieferanten gesunder Lebensmittel leisten können. Hier gilt, wie
in anderen Bereichen auch, was der Bundesminister
bereits bei der Vorstellung des Agrarpolitischen Berichts
2015 in der Befragung der Bundesregierung am
20. Mai 2015 postulierte:
Das Schützen und das Nutzen unserer natürlichen
Ressourcen sind zwei Seiten einer Medaille.
({3})
Das Fischereiwesen in Deutschland ist ein traditioneller Bestandteil von Wirtschaft und Kultur - besonders an
der Küste, aber auch im Binnenland. Deshalb ist es auch
erfreulich, dass der weitaus größte Teil der deutschen Fischereifahrzeuge, nämlich 1 166 von insgesamt 1 530,
der kleinen Küstenfischerei angehört. Auch wenn wir es
kritisch sehen, dass sich die Kapazität der Fischereiflotte
in den letzten Jahren insgesamt weiter verringert hat
- die Fischereiflotte hat ja wirtschaftlich durchaus einen
schweren Stand -, ist der eingeschlagene Weg auf jeden
Fall der richtige.
Gerade im Bereich der Hochseefischerei und der Küstenfischerei war der große Kraftakt der vergangenen
Jahre die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik. Sie
gilt seit dem 1. Januar des letzten Jahres. Auch wenn mit
dem Inkrafttreten die eigentliche Arbeit erst angefangen
hat und längst noch nicht alles zufriedenstellend gelöst
ist, muss man doch anerkennen: Das Nachhaltigkeitsziel
als oberstes Prinzip ist ein großer Erfolg.
({4})
Rückwurfverbot und Anlandegebot zeigen bereits erste
Wirkungen. Die Entwicklung der Fischbestände im Berichtszeitraum ist erfreulich und zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind, den wir konsequent fortsetzen wollen.
Auch die Aquakultur darf in diesem Zusammenhang
nicht unerwähnt bleiben. Hier besteht noch erhebliches
Potenzial für Wachstum und Produktionssteigerung, woIngrid Pahlmann
bei auch hier die nachhaltige und tiergerechte Erzeugung
das oberste Prinzip sein muss.
Das spannt dann auch den Bogen zu meinem zweiten
Schwerpunkt, der Agrarforschung. Hier wird das gefördert, was wir schon lange fordern: eine innovative und
gut aufgestellte Forschung, die anwendungsorientiert
zukunftsfähige Lösungen entwickelt, die Ressourcen
schont und umweltverträglich unsere Agrar- und Ernährungswirtschaft wettbewerbsfähig hält. Dabei sind die
einzelnen Forschungsfelder derart komplex, dass ihnen
eigentlich eine weitaus größere Aufmerksamkeit zukommen sollte.
({5})
Ich nenne zukunftsfähige und attraktive ländliche
Räume; nachhaltige Produktion und Nutzung pflanzlicher Ressourcen; Tiergesundheit, Tierschutz und nachhaltig gestaltete Erzeugung tierischer Produkte; funktionsfähige Märkte und faire Handelsbedingungen;
Lebensmittel- und Produktsicherheit; gesunde Ernährung und Lebensweise sowie Sicherung der globalen Ernährung. All die genannten Forschungsfelder stehen
gleichberechtigt nebeneinander und sind unabdingbar
für eine gelingende Gesellschaft.
({6})
Dabei soll Forschung nicht nur gesellschaftliche Debatten aufgreifen und für diese Lösungen entwickeln,
sondern sollte selbst auch zukunftsweisende Prozesse
anstoßen. Hierfür muss Forschung allerdings nicht nur
mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet werden,
sondern auch strukturell ermöglicht werden, indem zum
Beispiel Hindernisse abgebaut werden, die in der Programmförderung weiterhin noch vorhanden sind. Wir
haben das Stichwort schon gehört - der Minister hat es
angesprochen -: Entbürokratisierung ist ein großes
Thema, auch für die Forschung.
({7})
Die Ausgaben für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung haben sich seit dem letzten Bericht um knapp
40 Millionen Euro erhöht. So fördern wir seit 2014 zum
Beispiel im Rahmen der Eiweißstrategie
Frau Kollegin.
- ich bin gleich fertig - Forschungsvorhaben mit dem
Ziel, die Versorgung mit pflanzlichen Eiweißen heimischer Produktion zu verbessern.
Weil Forschungsergebnisse eben erst dann nutzbringend sind, wenn sie auch praktische Anwendung in den
Betrieben finden, wurde die Deutsche Innovationspartnerschaft Agrar gegründet.
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
kommen.
Ja, ich komme zum Schluss. - Wir brauchen die Forschung an der Seite der Politik, wir brauchen die Forschung an der Seite der Betriebe - im Interesse aller und
im Miteinander für den ländlichen Raum. Dann gelingt
das auch.
Ich danke Ihnen.
({0})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Rainer
Spiering von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Meinen Redebeitrag zum
Agrarpolitischen Bericht 2015 möchte ich mit einem Zitat beginnen:
Der politische und gesellschaftliche Konsens, die
Landwirtschaft als elementaren Teil unserer ökonomischen, sozialen, ökologischen und kulturellen
Gesellschaftsstruktur anzuerkennen, ist in Teilen
brüchig geworden.
Das sagte Landwirtschaftsminister Schmidt bei der Vorstellung des Agrarpolitischen Berichts 2015.
Ein zweites Zitat daraus, auch vom Landwirtschaftsminister:
Die Bruttowertschöpfung im Bereich der Ernährungs- und Landwirtschaft beträgt 161 Milliarden
Euro;
- diese Zahl ist heute schon einmal genannt worden das entspricht einem Anteil an der gesamten Wertschöpfung von 6 Prozent.
Diese beiden Zitate machen das Spannungsfeld klar,
in dem wir uns zurzeit befinden: Wir haben eine sehr
leistungsfähige Agrarwirtschaft. Aber wir haben auch
eine gesellschaftliche Entwicklung, die dazu führt, dass
die Menschen den Produkten der Agrarwirtschaft nicht
mehr das Zutrauen entgegenbringen, das sie ihnen eigentlich entgegenbringen müssten.
({0})
Daran müssen wir schwerpunktmäßig arbeiten, und zwar
unter Berücksichtigung der Kritik, die geübt worden ist.
Im Agrarpolitischen Bericht wird die Bedeutung eines verantwortungsvollen Umgangs mit Tieren und Umwelt betont. Zitiert worden ist heute bereits Professor
Spiller, der mit seinem Gutachten über die Marketingseite - diese darf man nie vergessen - deutlich macht,
wie das Produkt zurzeit in seinem Umfeld, also in
Deutschland, wahrgenommen wird. Daraus folgt, es gibt
in Deutschland nachhaltig, in unserem inneren Kreis und
nicht irgendwo draußen, ein Unwohlsein. Dieses Unwohlsein kann man nicht wegdiskutieren; denn es ist da.
Man kann es auch nicht verdecken; denn es ist da. Das
heißt, wir müssen irgendwie damit umgehen. Und „umgehen“ bedeutet hier, eine Strategie zu entwickeln, mit
der nach vorne geschaut wird.
Tierwohl kann dabei eine sehr große Rolle spielen.
Ich möchte mich ausdrücklich bei meiner Kollegin
Christina Jantz bedanken, die in diesem Zusammenhang
ein wirklich ausgesprochen innovatives Papier entwickelt hat. Wir werden gemeinsam mit Christina dafür
kämpfen, dass wir es umsetzen. Denn Tierwohl ist ein
marktrelevanter Faktor. Aber wenn wir uns mit diesem
marktrelevanten Faktor auseinandersetzen wollen, dann
brauchen wir keine Versuche - probieren reicht nämlich
nicht aus -, sondern nachhaltige wissenschaftliche Untersuchungen.
Die Kollegin Pahlmann hat gerade die Forschung angesprochen. Wir sind ein Land, das im Bereich Forschung und Entwicklung sehr stark ist. Zur Frage des
Tierwohls sind wir aber offensichtlich noch nicht in der
Lage nachhaltige Untersuchungsergebnisse vorlegen zu
können. Das wird unsere Aufgabe sein.
Diskutiert wird auch der Stall der Zukunft. Aber der
Stall der Zukunft - das hat gestern unser Gespräch mit
der DAFA gezeigt - ist ein ausgesprochen vielschichtiges und analytisch schwer zu erfassendes Instrument.
Die DAFA weist zu Recht darauf hin, dass eine Erprobung, wenn man sich dafür entscheidet, in mehreren
Streams gemacht werden muss. Das heißt, man muss
mehrere Projekte gleichzeitig auf den Weg bringen.
Wenn man das tun will und den Landwirten, die man dafür braucht, nachhaltige Sicherheit für ihr Experiment
geben will, dann müssen wir dafür Geld ausgeben, Herr
Minister Schmidt. Das ist eine Tatsache; das ist eine einfache Wahrheit.
({1})
Das gilt auch für andere Forschungsbereiche. Die Eiweißpflanzenstrategie ist bereits angesprochen worden.
Schön und gut, Kolleginnen und Kollegen, aber damit,
dass wir der Eiweißpflanzenstrategie die richtige Richtung geben, geben wir letztlich noch keine schlüssige
Antwort. Das heißt, dass wir auch im Rahmen der Eiweißpflanzenstrategie sehr gründlich darüber nachdenken müssen, wie wir Proteine in einem ganz anderen
Maße nutzen können, als wir das derzeit tun. Denn die
Nutzung von Proteinen erfolgt nicht nur auf dem Weg
über das Tier. Es gibt auch andere Nutzungsmöglichkeiten für Proteine. Auch in diesem Bereich werden wir
Geld für Forschung in die Hand nehmen müssen. Forschung ist schlechthin der Ansatz, den wir brauchen, um
überhaupt agieren zu können.
Da meine Redezeit schon abgelaufen ist, lassen Sie
mich Folgendes sagen: Landwirtschaft made in Germany ist weltweit gefragt. Wir haben hochwertige Lebensmittel. Wir haben sehr hohe prozessorientierte Standards, und wir haben Spitzentechnologien im Bereich
der Landmaschinentechnik. Wir können es schaffen, die
ökonomischen Interessen der Landwirtschaft mit den gestiegenen Anforderungen des Verbraucher- und des Umweltschutzes zu verknüpfen. Aber wir müssen dies auch
wollen. Und dafür werden wir Geld in die Hand nehmen
müssen.
Wir müssen besser werden. Forschung ist dabei von
zentraler Bedeutung. Der Agrarsektor ist - das ist mir in
den letzten zwei Jahren klar geworden - einer der wenigen Sektoren, bei dem wir in Deutschland Urproduktion
haben. Wir reden immer davon, dass wir nur eine Basis
haben, nämlich unser Wissen. Nein, wir haben im landwirtschaftlichen Bereich auch Urproduktion, und wir
müssen die Möglichkeiten, die wir im Bereich der Urproduktion haben, nutzen.
({2})
Mittels Pflanzen findet Urproduktion statt. Aber es
reicht nicht, darüber zu reden. Man muss auch Geld in
die Hand nehmen, um eine Zukunftsperspektive aufzubauen. Wir können das, und wir wollen das.
Wir können mit Big Data, Toptechnologie und einer
hochengagierten Landwirtschaft mit stark ausgeprägtem
Umwelt- und Produktbewusstsein einen Zyklus vorgeben, mit dem Deutschland in der Welt Vorreiter sein
kann - wenn wir denn wollen.
Ich danke fürs Zuhören.
({3})
Vielen Dank. - Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Franz-Josef Holzenkamp von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Lieber Rainer Spiering, mit
dieser Rede kann man sich sogar bei der CDU bewerben.
({0})
Aber zurück zum Agrarpolitischen Bericht 2015. Man
sollte vielleicht auch noch den Gartenbau erwähnen. Er
wurde nämlich bislang komplett vergessen.
Jedenfalls, meine Damen und Herren, tut sich etwas
in unserem Land. Das Interesse am Essen und Trinken
- und auch ein bisschen die Wertschätzung dafür steigt,
({1})
wenn es auch, wie ich finde, noch zu gering ist; da ist
noch Luft nach oben. Über diese Entwicklung können
wir uns freuen. Auch das Interesse an der Art und Weise
der Erzeugung in Deutschland steigt,
({2})
ob im Pflanzenbau oder in der Tierhaltung. Die Agrarpolitik steht also zunehmend im gesellschaftlichen Fokus.
Ich will an dieser Stelle aber auch anmerken: Ich
finde, wir verlangen richtig viel von unseren Landwirten, und sie leisten auch richtig viel. Ich finde, dafür haben sie ganz banal Dank, Würdigung und Unterstützung
verdient.
({3})
Sie sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten dem
Preisdruck der Märkte und den Forderungen nach Effizienzsteigerungen sehr erfolgreich entgegengetreten.
Aber gleichzeitig - auch das ist wahr - sind Akzeptanz
und Vertrauen spürbar gesunken. Die Erwartungen und
Ansprüche der Gesellschaft steigen. Das tatsächliche
Kaufverhalten ist aber nach wie vor im Wesentlichen
von Preisbewusstsein geprägt. Der Agrarpolitische Bericht greift dieses Spannungsfeld als Standortbestimmung auf. Wichtig ist nun, die Weichen richtig zu stellen
und die entsprechenden Vorhaben auf den Weg zu bringen.
Ich will behaupten: Das BMEL, die Agrarwirtschaft
und wir als Agrarpolitiker sind auf einem guten Weg,
und zwar mit einer Art Qualitätsoffensive Landwirtschaft made in Germany, wie ich es einmal nennen
möchte.
({4})
Wir haben auch Veränderungsbereitschaft - das hat Bundesminister Schmidt deutlich gemacht -, Landwirtschaft
neu zu denken. Aber wir machen es ein bisschen anders
als einige andere, nämlich miteinander statt gegeneinander.
({5})
Wir wollen den notwendigen Änderungsprozess als
Chance verstehen. Aber dafür brauchen wir Begeisterung. Wir dürfen keine Zukunftsängste unter den Landwirten und in der Landwirtschaft verbreiten. Da stehen
wir alle in der Verantwortung, meine Damen und Herren.
Der gesundheitliche Verbraucherschutz spielt eine
große Rolle. Ich will nur zwei Beispiele nennen. Wir
wollen die Kennzeichnung vorantreiben, damit jeder
weiß, ob das drin ist, was draufsteht, nach dem Motto
„Wahrheit und Klarheit“.
({6})
Deshalb kämpfen wir für eine umfassende GVO-Prozesskennzeichnung. Ich will an dieser Stelle auch erwähnen: Wir haben trotz Anlaufschwierigkeiten das AMG
novelliert, um den Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung zu reduzieren, und haben damit große Verantwortung übernommen. Dieses Gesetz ist beispielhaft und
dient dazu, den Antibiotikaeinsatz jedes landwirtschaftlichen Betriebs zu ermitteln und automatisch Reduktionsmaßnahmen auf den Weg zu bringen.
({7})
Hier sind wir hervorragend aufgestellt. Darüber dürfen
wir uns auch einmal freuen.
({8})
Landwirtschaft, meine Damen und Herren, ist aber
auch Wirtschaft. Nur durch Landwirtschaft gibt es nämlich auch lebendige Dörfer. Natürlich funktioniert Wirtschaft nur - Herr Spiering hat bereits darauf hingewiesen -, wenn Wettbewerbsfähigkeit gegeben ist. Im Übrigen gibt es ohne Wettbewerbsfähigkeit auch keine Nachhaltigkeit. Das hat der kollektive Zusammenbruch des
Sozialismus gezeigt. Anders geht es nicht. Dabei gewinnt Regionalität an besonderer Bedeutung. Ich will
aber klarstellen: Für uns sind Regionalität und Globalität
kein Widerspruch. Wochenmarkt und Weltmarkt sind
unsere Leitlinie. Deshalb bin ich dem Bundesminister
dankbar, dass beide Richtungen gestärkt und nicht gegeneinander ausgespielt werden.
({9})
Wir wollen unsere Ressourcen im Umweltbereich
schützen und nutzen. Pflanzenschutz und Düngerecht
stehen im Zentrum einer effizienten und ressourcenschonenden Pflanzenerzeugung. Es wurde darauf hingewiesen, dass wir die Düngeverordnung neu regeln,
({10})
um Einträge in Wasser zu minimieren. Aber ich will unterstreichen: Auch die Pflanzen müssen ausreichend ernährt werden. Das geht nicht mit Verboten, sondern nur
mit Lösungen.
({11})
Auch in der Tierhaltung ergreifen wir - das wurde
schon mehrfach angesprochen - konkrete politische
Maßnahmen. Ich weise auf die Tierwohl-Initiative des
BMEL hin. In diesem Rahmen wollen wir konkrete Lösungen durch Forschung erarbeiten und den Landwirten
anbieten. Wir machen Politik, indem wir Lösungen anbieten, und nicht, indem wir nur Verbote aussprechen;
das greift nämlich zu kurz. Deshalb haben wir die Initiative „Verbindliche Freiwilligkeit“ ins Leben gerufen.
Friedrich Ostendorff, ich weiß um all die Probleme, die
du zu Recht angesprochen hast, und dass sich der Handel
stellenweise nicht ausreichend seiner Verantwortung
stellt. Daran arbeiten wir.
Herr Kollege Holzenkamp, Sie müssen zum Schluss
kommen.
Ich komme zum Schluss. - Die Initiative „Verbindliche Freiwilligkeit“ ist ein erster Schritt; nur so haben wir
die Chance, dass die Landwirte für ihre höheren Standards tatsächlich angemessen entlohnt werden.
Meine Damen und Herren, wir sind auf einem sehr
guten Weg. Wir nehmen die richtigen Weichenstellungen
vor. Wir stehen vor einer herausfordernden und spannenden Aufgabe.
({0})
Ich lade Sie alle herzlich ein, mitzumachen, aber bitte
konstruktiv.
Vielen Dank.
({1})
Danke, Herr Kollege. - Ich wünsche Ihnen allen sowie unseren Gästen auf der Tribüne einen schönen
Mittag.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4970 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich bitte um Platzwechsel. Wer die nächste Debatte
nicht verfolgen will, möge den Saal bitte zügig verlassen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU
und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte
Drucksache 18/5201
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Heiko Maas, der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, hat das
Wort.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir den Beruf der Syndikusanwälte und -anwältinnen zum ersten Mal auf eine eigene gesetzliche
Grundlage stellen. Wir wollen damit Rechtssicherheit
für die Betroffenen schaffen, aber wir wollen vor allen
Dingen auch - das ist ein wichtiges Ziel - die Einheit der
Anwaltschaft stärken.
Dieser Gesetzentwurf hat einen Anlass. Es sind die
Urteile des Bundessozialgerichts aus dem vergangenen
Jahr. Die meisten, die sich damit beschäftigt haben, werden sie kennen. Das Gericht in Kassel war der Ansicht,
dass ein Jurist, der bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber angestellt ist, kein Anwalt sein kann. Diese Urteile
haben bei den Betroffenen für große Unsicherheit gesorgt; denn damit standen für sie die Mitgliedschaft in
den Versorgungswerken der Anwaltschaft und damit
auch ihre Altersversorgung auf dem Spiel.
Mit diesem Gesetzentwurf formulieren wir jetzt erstmals klare Voraussetzungen, unter denen ein Syndikus
für seine Tätigkeit im Unternehmen zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden kann. Wir schaffen damit
Rechtssicherheit für über 40 000 Kolleginnen und Kollegen; denn wir geben ihnen die Möglichkeit - darum geht
es im Wesentlichen in diesem Gesetzentwurf -, in die
Versorgungswerke zurückzukehren.
Unser Gesetzentwurf geht von einer berufsrechtlichen
Lösung aus. Ob ein Unternehmensjurist als Anwalt zu
qualifizieren ist, hängt danach von folgenden Umständen ab: Er muss fachlich unabhängig und weisungsfrei
tätig sein. Seine Tätigkeit muss darin bestehen, Rechtsfragen zu prüfen, Rechtsrat zu erteilen und Rechtsverhältnisse zu gestalten, und er muss eine Vertretungsbefugnis nach außen besitzen. Dabei orientieren wir uns
genau an den Kriterien, die die Deutsche Rentenversicherung auch bisher schon angelegt hat.
Mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft werden die
Syndikusanwälte den übrigen Anwälten weitestgehend
gleichgestellt. Einige Unterschiede bestehen nur bei der
Vertretung und bei den Privilegien in der Strafprozessordnung; aber das ist, wie ich finde, nachvollziehbar und
berechtigt.
Der Syndikusrechtsanwalt ist in seiner Beratung und
Vertretung grundsätzlich auf die Rechtsangelegenheiten
seines Arbeitgebers beschränkt. Wo vor Zivil- und Arbeitsgerichten Anwaltszwang herrscht, dürfen Syndikusanwälte ihren Arbeitgeber nicht gerichtlich vertreten.
Auch das halte ich für sinnvoll und notwendig. In Strafund Bußgeldverfahren besteht ein umfassendes Vertretungsverbot. Außerdem sollen das Zeugnisverweigerungsrecht und das Beschlagnahmeverbot der StPO hier
nicht gelten. - Diese Einschränkungen sind allesamt begründet, sie sind der besonderen Stellung der angestellten Anwältinnen und Anwälte in ihren Unternehmen
geschuldet und deshalb, wie ich finde, alle sehr nachvollziehbar.
Ganz wichtig bei diesem Gesetzentwurf ist auch, dass
sich zugelassene Syndikusanwälte in Zukunft wieder
von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen können. Für besondere Rechtssicherheit - darauf kommt es
vielen Syndikusanwälten, die im Moment sehr verunsichert sind, an - sorgt dabei die Bindungswirkung der
Kammerentscheidung. Wenn die Rechtsanwaltskammer
einen Unternehmensjuristen zur Rechtsanwaltschaft zuBundesminister Heiko Maas
gelassen hat, dann bindet diese Entscheidung auch die
Rentenversicherer, wenn es um die Befreiung von der
Versicherungspflicht geht.
Der Gesetzentwurf geht noch weiter. Er schafft nämlich auch Vertrauensschutz: Wer bis zu den Urteilen des
Bundessozialgerichts von der Versicherungspflicht befreit war und anschließend in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, der kann seine Beiträge nun in
die anwaltliche Versorgung zurückführen.
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf
schaffen wir alles in allem ein modernes Berufsrecht,
wir schützen das Vertrauen der Syndikusanwälte in ihre
Alterssicherung, und wir stärken damit die Anwaltschaft
als Ganzes.
({0})
- Aber er war immer noch an der richtigen Stelle, Herr
Petzold.
({1})
Dieses Thema ist umfassend diskutiert worden, und
das ist auch alles gut und richtig. Dieser Gesetzentwurf
ist mittlerweile bei den Betroffenen, in der Fachwelt,
aber auch in allen politischen Lagern auf viel Zustimmung gestoßen. Deshalb hoffe ich, dass dieser Entwurf
auch in diesem Hause auf große Zustimmung stößt.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank, Heiko Maas. - Nächster Redner in der
Debatte: Harald Petzold für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen!
Die Bundesregierung will - so schreibt sie in ihrem Gesetzentwurf, und so hat es der Minister gerade vorgetragen - die Stellung des Syndikusanwalts als Rechtsanwalt
gesetzlich regeln. Nun kann man das natürlich so sehen,
wie es der Minister hier gerade vorgetragen hat. Für die
Linke kann ich nur sagen: Es ist zumindest bedauerlich,
dass diese Gesetzesinitiative erst dann zustande kam, als
uns das Bundessozialgericht dazu gezwungen hatte, hier
aktiv zu werden. Sie wäre eigentlich schon längst überfällig gewesen. Das Kernproblem, um das es geht, nämlich die rentenrechtliche Frage, hätte eigentlich schon
längst gelöst sein können, wenn Sie sich einer Diskussion über eine solidarische Bürgerversicherung nicht
ständig verweigern würden.
({0})
Mit den bisherigen gesetzlichen Regelungen haben
Syndikusanwälte - ich erläutere diesen Begriff für diejenigen, die ihn heute zum ersten Mal hören -, also
Rechtsanwälte, die im Rahmen eines dauerhaften Beschäftigungsverhältnisses ihre Arbeitszeit und ihre Arbeitskraft einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber, etwa
Unternehmen, Versicherungen, Banken, Verbänden, zur
Verfügung stellen, vor allen Dingen ein rentenrechtliches Problem. Nun kann man sagen: Das stimmt ja gar
nicht. Das Bundessozialgericht hat doch nur entschieden, dass Rechtsanwälte, die nicht selbst anwaltlich tätig
sind, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung nicht mehr befreit werden können. Das stimmt zwar. Wenn wir aber, wie gesagt, eine Versicherung einführen würden, in die alle einzahlen und die
dann auch für alle gilt, dann hätten wir dieses vermeintliche rentenrechtliche Problem mit einem Schlag gelöst.
Denn wir hätten eine Rentenversicherung, in die erstens alle einzahlen, in der es zweitens keine Beitragsbemessungsgrenzen gibt - wer wenig leisten kann, zahlt
also wenig ein, und wer mehr leisten kann, zahlt auch
mehr ein -, in die drittens alle Einkommensarten einbezogen werden, bei der es viertens eine Parität zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt und für die fünftens gilt, dass die Leistungen, die daraus resultieren, so
geregelt sind, dass wir Sonderversorgungssysteme und
private Versicherungssysteme eigentlich nicht mehr als
Vollversicherungssysteme brauchen.
({1})
- Nein, wir machen eben nicht alle gleich. Aber wir stellen einen solidarischen Ausgleich in der Gesellschaft
her; das ist etwas anderes. - Dementsprechend wird unser parlamentarisches Handeln in der vorliegenden Sache darauf gerichtet sein, dass wir eine sozialrechtliche
Lösung anstreben, und alles andere ist ein erfundenes
Nebenproblem.
({2})
Natürlich ist es ein längst überfälliger Schritt, dass gesagt wird, dass Syndikusanwälte neben ihrer Tätigkeit
als angestellter Anwalt auch als niedergelassener Anwalt
tätig sein können. Damit werden die Syndikusanwälte
den niedergelassenen Rechtsanwälten gleichgestellt,
wenn sich - das ist wiederum das Problem dabei - aus
ihrem Anstellungsvertrag ergibt, dass die anwaltliche
Unabhängigkeit nicht durch das Weisungsrecht eines Arbeitgebers beeinträchtigt wird.
Es ist natürlich zu unterstützen, dass die bisherige
Praxis, so zu verfahren, fortgesetzt wird. Auf der anderen Seite ist das für die Syndikusanwälte überhaupt
keine Gewähr für eine ausreichende Unabhängigkeit.
Die würden sie nur erreichen, wenn es einen Sonderkündigungsschutz für sie gibt. Das alles festzustellen, also
herauszufinden, wer tatsächlich unabhängig ist, also
nicht weisungsgebunden arbeitet, überlassen Sie dann
wieder der Rechtsanwaltskammer. Die bekommt die bürokratische Arbeit aufgebürdet. Ich sage: Entbürokratisierung sieht anders aus.
({3})
Harald Petzold ({4})
Wir begrüßen natürlich die Einschränkungen bei der
gerichtlichen Vertretung des Arbeitgebers durch einen
Syndikusanwalt. Ohne diese Einschränkungen würde es
zu einem Ungleichgewicht zwischen den Prozessparteien kommen: Einzelpersonen oder kleine und mittlere
Unternehmen ohne eigene Rechtsabteilung müssten ihren Rechtsanwalt selbst bezahlen, während sich große
Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung durch ihre eigenen Syndikusanwälte vertreten lassen könnten
({5})
und so ihr Kostenrisiko in einem Prozess minimieren
könnten. Das kann nicht sein. - Die Einschränkungen
unterstützen wir natürlich.
Es wäre aber nicht notwendig gewesen, extra ein Gesetz dafür zu schaffen, um hier ein Berufsrecht zu definieren. Wir sagen: Schaffen Sie endlich eine solidarische
Bürgerversicherung! Dann bekommen wir das Problem
gelöst.
In diesem Sinne werden wir uns in den Ausschusssitzungen an der Arbeit an dem Gesetzentwurf beteiligen.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Kollege Petzold. - Nächster Redner in
der Debatte: Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung formuliert:
„Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der
Rechtspflege.“ In § 3 Absatz 1 heißt es, dass der Rechtsanwalt „der berufene unabhängige Berater und Vertreter
in allen Rechtsangelegenheiten“ ist. Ich glaube, diese
wenigen Worte verdeutlichen, dass der Rechtsanwalt ein
zentraler Akteur in unserem rechtsstaatlichen Gefüge ist.
Ohne freie Advokatur, ohne Anwälte, die dem Justizgewährungsanspruch der Bürger tatsächlich Geltungskraft
verschaffen, gibt es keinen Rechtsstaat.
Meine Damen und Herren, was macht einen unabhängigen Rechtsanwalt aus? Bei dieser Frage scheiden sich
die Geister. Die Diskussion darüber hat letztlich ihren
Kulminationspunkt in den Urteilen des Bundessozialgerichts vom April des letzten Jahres gefunden. Darin hat
das Gericht allen in Unternehmen angestellten Syndikusanwälten abgesprochen, Rechtsanwälte zu sein; denn
nach Ansicht des Gerichts - wir haben es hier gehört schließen sich abhängige Beschäftigung und anwaltliche
Tätigkeit aus. Weil Syndizi als abhängig Beschäftigte
dem Direktionsrecht ihres Arbeitgebers unterliegen,
seien sie nicht in der Lage, so das Gericht, unabhängigen
und weisungsfreien Rechtsrat zu erteilen. Die sozialrechtliche Folge dieser Auffassung war, dass Syndikusanwälte sich nicht mehr von der Versicherungspflicht in
der gesetzlichen Rentenversicherung haben befreien lassen können.
Diese Urteile - das haben wir gehört - haben zu einer
wirklich großen Verunsicherung der Betroffenen geführt.
Sie reichen aber weiter. Sie betreffen auch die Grundfragen des anwaltlichen Berufsbildes.
Da muss man schon einmal fragen: Ist denn eigentlich
das vom Bundessozialgericht zugrunde gelegte Berufsbild richtig? Bildet es die Realität des Anwaltsberufs
nicht nur in den Unternehmen, sondern etwa auch mit
Blick auf die große Zahl angestellter Anwälte in Kanzleien treffend ab? Ich glaube, man muss hier sagen, dass
die Prämissen des Bundessozialgerichts an dieser Stelle
falsch gewesen sind.
({0})
Keinem Unternehmen - das muss man deutlich formulieren - ist mit einem nach Weisung erstellten geschönten Rechtsgutachten geholfen. Da setzt sich ein
Vorstand nur der Gefahr von Haftungsfällen, von Compliance-Verstößen oder gar der Gefahr aus, strafrechtlich
zur Verantwortung gezogen zu werden. Nein, es ist so,
dass Syndikusanwälte ihren Berufsethos und damit das
Recht in die Unternehmen tragen. Deswegen können,
sollen und müssen Syndizi unabhängigen Rechtsrat für
ihren Arbeitgeber erteilen. Alles andere verkennt die
Realität in den Unternehmen.
({1})
Deswegen war für uns als Union in dieser Diskussion
immer klar: Syndikusanwälte sind keine Anwälte zweiter Klasse, sondern, im Gegenteil, sie sind zentrale und
integrale Bestandteile der Anwaltschaft, meine Damen
und Herren.
({2})
Weil wir an dieser Stelle so klar waren, haben wir aus
den Urteilen des Bundessozialgerichts einen klaren gesetzgeberischen Handlungsauftrag abgeleitet. Wir wollen klarstellen, dass Syndikusanwälte wirkliche, echte
Anwälte sind und sich dann in der Folge auch wieder
von der Versicherungspflicht befreien lassen können.
Insofern freut es mich, dass wir nach über einem Jahr
zusammenkommen, um über diesen Gesetzentwurf zu
diskutieren. Unser Ziel ist dabei ganz klar: Wir wollen
den Status quo ante, also vor den Urteilen des Bundessozialgerichts, wiederherstellen. Der Entwurf geht an der
Stelle in die richtige Richtung, einen berufsrechtlichen
Ansatz in der Bundesrechtsanwaltsordnung zu finden,
der dann auch von sozialrechtlichen Regelungen im
SGB VI flankiert wird.
Was sagt nun der Entwurf? Dazu haben wir schon einiges gehört. Erst einmal ist es so, dass der Syndikusanwalt legal definiert und statusrechtlich anerkannt wird.
Ich will an der Stelle auch sagen: Es geht hier nicht darum, dass jeder Jurist, der in einem Unternehmen tätig
ist, zukünftig auch ein Syndikusanwalt ist. Darum geht
es nicht. Wir reden nicht über den Sachbearbeiter bei einer Versicherung, sondern wir reden über diejenigen, die
wirklich anwaltlich tätig sind, das heißt fachlich unabhängig und eigenverantwortlich ihre Tätigkeit ausüben.
Das Gesetz definiert hier klare Kriterien. Diese lehnen sich an denen der Rechtsprechung und an denen der
Deutschen Rentenversicherung an. Die Deutsche Rentenversicherung hat hier eine Vier-Kriterien-Theorie entwickelt: Rechtsberatung, Rechtsgestaltung, Rechtsentscheidung und Rechtsvermittlung, das waren die
Stichworte. Die finden sich im Anklang jetzt auch im
Gesetz wieder. Mir ist ganz wichtig, an der Stelle zu betonen: Diese vier Kriterien wollen wir beibehalten. Wir
wollen diesbezüglich keine Änderungen erreichen und
schon gar keine Verschärfung. Deswegen müssen wir
auch noch einmal genau hinschauen, etwa was die Vertretungsbefugnis nach außen anbelangt: Das ist ein
Kriterium an dieser Stelle. Damit ist natürlich eine gerichtliche Vertretungsbefugnis gemeint, nicht etwa eine
rechtsgeschäftliche im Sinne von Prokura oder etwas
Ähnlichem. Im parlamentarischen Verfahren soll klargestellt werden, dass hier an die bisherigen Kriterien angeknüpft wird.
Die entscheidende Frage ist natürlich: Wer legt denn
diese Kriterien aus? Wer entscheidet letztlich darüber,
was anwaltliche Tätigkeit ist und was nicht? Für uns als
Union war die Beantwortung der Frage sehr klar: Wir
wollen, dass diejenigen, die die Sachkompetenz über das
anwaltliche Berufsbild haben, die auch die Veränderungen im Zeitablauf nachverfolgt haben, darüber entscheiden. Für uns ist ganz klar, wer das ist: Das sind die jeweiligen Rechtsanwaltskammern. Das ist ausdrücklich
nicht die Deutsche Rentenversicherung. Auch die Sozialgerichte haben über diese Frage nicht zu entscheiden.
({3})
Das Letztentscheidungsrecht über diese Fragen muss bei
den anwaltlichen Kammern liegen.
Insofern ist es gut, dass der Kabinettsentwurf gegenüber dem Referentenentwurf jetzt klarstellt, dass eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung von der Rechtsanwaltskammer zukünftig auch für die Deutsche
Rentenversicherung bindend ist. Es ist gut und richtig,
dass es hier nicht zu gegenteiligen Entscheidungen
kommt und die Deutsche Rentenversicherung das eine
sagt, die Kammer das andere und man sich fragt: Wie
geht man damit um? Das war im Referentenentwurf
noch nicht vernünftig geregelt. Im Kabinettsentwurf
geht das jetzt in die richtige Richtung.
Wir haben einige weitere Punkte, die wir im Rahmen
des parlamentarischen Verfahrens klären müssen. Die
kann ich jetzt aus Zeitmangel nicht mehr alle nennen.
Ein Punkt ist mir aber ganz wichtig: Wir müssen noch
die Frage der Pflichtmitgliedschaft klären, die Anknüpfungspunkt bei der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ist. In § 6 SGB VI ist die Pflichtmitgliedschaft in einem Versorgungswerk geregelt. Nun ist es so,
dass die Landessatzungen der Versorgungswerke eine
Altersgrenze von 45 Jahren eingezogen haben. Das
heißt: All diejenigen, die nach dem 45. Lebensjahr in ein
Unternehmen wechseln, hätten ein Problem bei der Befreiung. Das müssen wir noch klarstellen und im Kabinettsentwurf ändern.
Das Gleiche gilt für die Frage der Berufshaftpflichtversicherung. Hier müssen wir noch einmal schauen, ob
die Grundsätze der Haftungsprivilegien für Angestellte
im Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber auch entsprechend
widergespiegelt sind. Da ist noch einiges zu tun.
Ich will am Schluss nur noch sagen: Wir tun hier etwas für die Syndikusanwälte. Das ist gut. Wir als Union
nehmen aber auch die anderen freien Berufe in den
Blick: die Ärzte, die Apotheker, die Architekten. Diese
freien Berufe sind alle miteinander das Rückgrat unserer
mittelständischen Wirtschaft. Auch für die müssen wir
beim Befreiungsrecht etwas tun, vielleicht nicht in diesem Gesetzgebungsverfahren; aber wenn wir das als
Pars pro Toto nehmen, können wir uns diesem nicht verweigern. Auch die Angehörigen der freien Berufe haben
ein Anrecht, in der Zukunft Rechtssicherheit zu haben.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege. - Nächste Rednerin:
Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine Damen und
Herren! Ich hätte es ja anfangs gar nicht gedacht, dass
ich in den letzten 15 Monaten zu diesem Thema, über
das wir jetzt reden, so viele Zuschriften bekommen
würde, vor allem von jungen Kolleginnen und Kollegen,
die sich nach dem zweiten Staatsexamen oder kurz vorher die Frage gestellt haben, wie sie sich eigentlich absichern, auch für das Alter, wenn sie nach dem zweiten
Staatsexamen in ein Unternehmen gehen und dort Syndikus werden. Das Urteil des Bundessozialgerichts von
April 2014 war für sie dann schon ein schwerer Schlag,
weil es einfach zu Handlungsunfähigkeit geführt hat.
Deshalb an dieser Stelle, Herr Minister - ich bin manchmal nicht einer Meinung mit Ihnen, vor allem nicht mit
dem, was Sie heute und morgen beschäftigt -, ein klares
Lob, dass es eine Vorlage gibt, die, wie ich finde, recht
gut ist, wenn auch noch nicht alles darin geregelt ist.
({0})
Der mittelenglischen Umgangsformen wegen müsste
ich Ihnen für morgen eigentlich alles Gute wünschen.
Aber das kann ich leider nicht,
({1})
weil ich bei der Vorratsdatenspeicherung auf der anderen
Seite stehe. Wir werden sehen.
({2})
- Herr Fechner sagt: „Selbstläufer!“ Das werden wir sehen. Denn es gibt am Ende immer noch den Bundestag
und das Bundesverfassungsgericht. Mal sehen, wohin
die Reise am Ende geht.
Hier geht es jetzt aber um die Syndikusanwälte. Sie
präsentieren eine berufsrechtliche Lösung. Ich finde es
gut, dass wir an der Stelle diese Variante nehmen, ohne
uns, lieber Harald Petzold, etwas für die Zukunft zu verbauen. In Zukunft muss es nämlich um eine Bürgerversicherung gehen, meine Damen und Herren.
({3})
Das sage ich gerade auch in Abgrenzung zu den Worten,
die Herr Luczak am Ende gesagt hat, und zu den Reaktionen der CDU/CSU.
Wir haben hier folgendes Problem: Anwälte, die angestellt sind, haben nach dem BSG-Urteil die Verpflichtung, in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert
zu sein. Sie können nicht mehr einem anwaltlichen Versorgungswerk angehören. Diese Verunsicherung müssen
wir beseitigen. Man kann diese Anwälte nicht alleinlassen, und deshalb sind wir in der Pflicht. Aber langfristig,
bei allem, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten
gesehen und erlebt haben und was wir über die Zukunft
bei der Altersversicherung wissen, ist eine solidarische
Bürgerversicherung für alle die richtige Antwort, die übrigens auch jede Menge Probleme löst, sogar noch besser als dieser Gesetzentwurf.
({4})
Deshalb, Kollege Petzold, ist die Bürgerversicherung als
Perspektive und Ziel wichtig, aber wir müssen das Problem auch heute irgendwie lösen. Das gilt gerade für die
Jüngeren; denn sie wissen noch nicht, wie sie sich orientieren sollen.
Ich finde, es ist richtig, dass die Anwaltskammer letztentscheidlich ist. Wir haben einen freien Beruf. Wer,
wenn nicht die Anwaltskammern, soll dann über diese
Frage entscheiden? Ich glaube nicht, dass die Kammern
wehklagen müssten, sie hätten zu viel zu tun. Wenn wir
ihnen die Arbeit nicht geben würden, würden sie wehklagen, dass sie nicht selbst entscheiden dürfen. Wenn es
eine Anerkennung als anwaltliche Tätigkeit gibt, ist an
dieser Stelle klar, dass der Syndikus dann eine Pflichtmitgliedschaft in der Anwaltskammer und eine Pflichtmitgliedschaft im anwaltlichen Versorgungswerk hat.
Daraus ergibt sich dann die Möglichkeit, sich von der
Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung
befreien zu lassen.
Da wir - das hat Herr Luczak angesprochen - die
Grenze von 45 Jahren in einigen Satzungen der Versorgungswerke haben, müssen wir sehr genau hinschauen.
Wir würden uns dem verweigern, zu sagen, dass wir dieses Problem lösen, indem wir für alle ab 45 Jahre eine
Lösung nehmen, die noch weiter von der Bürgerversicherung entfernt ist. Das würden wir nicht tragen, meine
Damen und Herren.
({5})
Wir finden, dass durch diese Vorlage eine Art Marktbereinigung entsteht. Trotzdem müssen wir im Gesetzgebungsverfahren noch einige Punkte diskutieren. Ich
will zwei, drei nennen. Das eine ist die Frage: Warum
wurde es unterlassen - absichtlich oder unabsichtlich -,
den Arbeitgeber zu verpflichten, die Unabhängigkeit des
Syndikusanwaltes herzustellen? Warum gibt es nicht die
Pflicht auf dieser Seite, sondern warum bleibt sie auf der
anderen Seite bestehen? Ich finde, dass man zum Schutz
der Syndikusanwälte Maßnahmen treffen muss, die ihre
Position auch weiter stärken. Das wäre zu diskutieren.
Es geht aber auch um die Frage: Warum sind es die
Syndikusanwälte, die sich vor dem Berufsgericht verantworten müssen, wenn ihr Arbeitgeber ihnen die anwaltliche Tätigkeit nicht ermöglicht? Das sind ein paar Diskussionspunkte, die wir klarstellen müssen. Wenn der
DAV kritisch sieht, dass es das Zeugnisverweigerungsrecht oder Beschlagnahmeverbote nicht gibt, dann kann
ich nur sagen: Diskutieren können wir gerne darüber.
Aber wir müssen in unserer Variante der Tatsache Rechnung tragen, dass man auf der einen Seite Syndikus und
auf der anderen Seite Anwalt ist, meine Damen und Herren.
Wir können also mit diesem Gesetzentwurf leben.
Gut, dass wir die Vorlage haben. Gut, dass wir ein Stück
Sicherheit bekommen. Es sind nur noch kleine Dinge zu
regeln. Wir schaffen hier hoffentlich und bald Rechtssicherheit, weil ich will, dass auch die Angehörigen der
freien Berufe in eine Altersversorgung eingebunden
werden und nicht, was es in diesem Bereich leider auch
noch gibt, später in ein tiefes schwarzes Loch fallen, wo
die Allgemeinheit wieder helfen muss. Auch diese Berufe sollen die Pflicht und die Chance haben, sich zu versichern.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Renate Künast. - Nächste
Rednerin in der Debatte: Elisabeth Winkelmeier-Becker.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Das Urteil des Bundessozialgerichts aus dem letzten Jahr hat die Syndikusanwälte bei einem ausgesprochen sensiblen Thema, bei
ihrer Altersversicherung, kalt erwischt. Es gibt zwar Bestandsschutz für die Tätigkeiten, die man schon ausübt,
für die man befreit ist; aber in Zukunft ist jeder Wechsel
mit dem Risiko verbunden, dass man vom Versorgungswerk in die Rentenversicherung wechseln muss. Das bedeutet erhebliche Einschnitte hinsichtlich des Status, den
man hat. Man muss Wartezeiten erfüllen, man verliert
die Berufsunfähigkeitsversicherung, und eventuell reduziert sich die Höhe der Altersversicherung.
Kein Wunder also, dass die Betroffenen extrem verunsichert sind. Deshalb darf man mit diesem Thema
- das möchte ich unterstreichen - nicht leichtfertig umgehen. Man darf beim Thema Altersvorsorgeplanung
nicht leichtfertig all das über Bord werfen, was sich
Menschen aufgebaut haben, sondern man muss besonders auf die Lebensplanung und die damit verbundene
Berufsplanung Rücksicht nehmen.
Das Urteil hat aber noch weitere Auswirkungen. Es
belastet die Wirtschaft. Wir hören aus der Wirtschaft,
dass sie Schwierigkeiten hat, entsprechende Stellen zu
besetzen, weil die Menschen nicht mehr bereit sind, die
angestammten Arbeitsplätze aufzugeben. Das hemmt
den erwünschten und gewollten Erfahrungsaustausch,
den wir gerade zwischen Phasen der Tätigkeit in einer
Kanzlei und Phasen der Tätigkeit in einem Unternehmen
brauchen.
Dazu muss man wissen, dass durch die zunehmende
Bedeutung von Corporate Governance den Unternehmen
immer mehr Pflichten auferlegt werden. Zum Beispiel
ist es erforderlich, dass es in Unternehmen unabhängige
Juristen als Ansprechpartner gibt, dass diese als unabhängiges Organ der Rechtspflege tätig sind und eben
nicht nur als Angestellte. Durch ihre innere Unabhängigkeit haben die Anwälte in den Unternehmen ein besonderes Standing.
({0})
Syndikusanwälte sind das rechtliche Gewissen der
Unternehmen. Wir als Gesetzgeber sorgen dafür, dass sie
weiterhin diese wichtige Rolle spielen. Wir treffen immer wieder neue rechtliche Entscheidungen, durch die
den Unternehmen weitere Pflichten, zum Beispiel weitere Haftungsrisiken bis hin zu einer persönlichen Haftung, übertragen werden. In der Beratung befinden sich
beispielsweise neue Tatbestände im Korruptionsrecht.
Im Ministerium berät man sogar ein Unternehmensstrafrecht. Da ist es doch klar, dass es für die Unternehmen
immer wichtiger wird, sich Rechtsrat einzuholen.
Zu einer anderen Vorgabe. Auch die Partnerschaftsgesellschaften haben als Leitbild vor Augen, dass sich
Juristen und Spezialisten zusammentun und wiederum
weitere Kollegen anstellen. Das ist auch auf angestellte
Anwälte gemünzt. Wir dürfen das Leitbild des Anwaltsberufs nicht mehr ausschließlich am forensisch tätigen
Anwalt ausrichten, der Generalist ist und alles macht,
sondern wir müssen den Beruf des angestellten Anwalts
in die neue Berufsordnung übernehmen. Wir brauchen
eine stringente Politik, die diese Entwicklung nachzeichnet. Wir wollen nicht - gewollt oder ungewollt -, dass
den Menschen durch die Änderungen bei der Altersvorsorge der Boden unter den Füßen weggezogen wird.
Ich möchte daran erinnern: Als es darum ging, die
Rentenversicherung zu gründen, hat man die freien Berufe explizit außen vor gelassen. Es ist nicht etwa so,
dass sich die freien Berufe der Solidarität entzogen haben. Damals wurde die Entscheidung getroffen, die
freien Berufe nicht in das gesetzliche System, das auch
steuerfinanzierte Anteile hat, aufzunehmen. Vielmehr
sollten sie sich in eigenen Versorgungswerken zusammenschließen und sich so um ihre Altersversicherung
kümmern. Erst daraufhin wurden die Versorgungswerke
gegründet. Das muss man immer wieder im Blick haben,
wenn man meint, man müsse die freien Berufe in eine
Bürgerversicherung integrieren.
({1})
Ich füge ausdrücklich hinzu: Wir wollen das auch für
die anderen freien Berufe regeln, für die es entsprechende Regelungen gibt. Auch hier ist die Altersversorgung möglicherweise infrage gestellt. Das ist eine existenzielle Frage, die eben nicht nur Anwälte betrifft.
({2})
Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, der
anders als seine Vorläufer auch diese Fragen vernünftig
in dem angesprochenen Sinne löst. Für uns ist klar, dass
die Frage, wer die Tätigkeit eines Syndikus mit all den
damit verbundenen Anforderungen, auch mit der notwendigen Unabhängigkeit, erfüllt, nur beurteilt werden
kann von der Anwaltskammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die - davon können wir ausgehen - da
nicht nach Gusto verfährt, sondern sich an das hält, was
im Berufsrecht festgelegt ist.
Es ist wichtig, noch einmal zu unterstreichen, dass
sich die Regelung am Status quo ante orientiert. Wir
wollen die Regelung, die vorher in der Praxis gegolten
hat, im Wesentlichen materiell wiederherstellen. Das ist
allerdings kein ganz banales Unterfangen. Das hätte es
sein können, wenn man sich an § 6 SGB VI herangewagt
hätte. Dafür gab es aber keine Mehrheit. Deshalb müssen
wir hier über das Berufsrecht gehen.
({3})
Jetzt liegt ein Entwurf vor, mit dem man gut arbeiten
kann. Es gibt aber noch einige Fragen und Sorgen: Es ist
klar, dass die neu formulierten Kriterien für den Syndikus in der Praxis nicht zu substanziellen Einschränkungen des Tätigkeitsbereichs führen dürfen. Wir müssen
klären, wie das Merkmal der Vertretungsbefugnis ausgelegt werden muss. Kaum ein Syndikus ist forensisch tätig; das darf also nicht der Maßstab sein, sonst wäre das
ein Ausschlusskriterium. Wir müssen klären, was es mit
der doppelten Pflichtmitgliedschaft in Kammer und Versorgungswerk auf sich hat. Da darf nicht die Regelung,
dass die Rechtsanwaltskammer verbindlich Vorgaben
macht, auf anderem Wege wieder aufgehoben werden.
Wir müssen die Frage der Haftpflichtversicherung regeln; das hat mein Kollege schon ausgeführt. Wir müssen uns auch noch einmal anschauen, welche Anforderungen an die fachliche Unabhängigkeit zu stellen sind.
Es besteht natürlich im Arbeitsverhältnis ein Spannungsverhältnis zwischen den Vorgaben des Arbeitgebers einerseits und der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts andererseits. Aber ich denke, Maßstab ist auch da der
selbstständige, niedergelassene Rechtsanwalt: Auch er
kann von seinem Mandaten entlassen werden, auch ihm
können von seinem Mandanten Vorgaben gemacht wer10940
den. Wenn wir das als Maßstab für Abhängigkeit im Arbeitsverhältnis nehmen und nicht darüber hinausgehen,
dann wird das ein gutes Gesetz.
Ich danke Ihnen.
({4})
Vielen herzlichen Dank, Frau Winkelmeier-Becker. Nächster Redner: Christian Flisek für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter
Tag, nicht nur weil er einer der wenigen Tage ist, an denen Frau Künast als Vorsitzende des Rechtsausschusses
ausdrücklich mal einen Gesetzentwurf des Bundesjustizministers lobt - dafür danke ich Ihnen -,
({0})
sondern auch deswegen, weil dieser Tag etwas Gutes für
die mehr als 40 000 Syndikusanwälte in Deutschland
bringt, für jene Rechtsanwälte, die in Unternehmen, in
Verbänden, in der Wirtschaft anwaltlich tätig sind.
Der Bundestag berät heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für
Verbraucherschutz, mit dem wir die aktuell bestehende
Rechtsunsicherheit in Bezug auf den berufsrechtlichen
und auf den sozialversicherungsrechtlichen Status dieser
Berufsgruppe beseitigen wollen. Diese Rechtsunsicherheit - das ist bereits angesprochen und betont worden ist entstanden durch ein Urteil des Bundessozialgerichtes
im Frühjahr letzten Jahres. Dieses Urteil war für die
Syndikusanwälte in Deutschland ein Paukenschlag: Von
einem auf den anderen Tag wurde eine über viele Jahre
gelebte Rechtspraxis infrage gestellt. Das hat viele Sorgen hervorgerufen: Sorgen der Syndikusanwälte, aber
auch Sorgen der Arbeitgeber dieser Syndikusanwälte,
Sorgen bei den Versorgungswerken, der gesetzlichen
Rentenversicherung, aber auch bei den Anwaltskammern und den Verbänden, beispielsweise dem Deutschen
Anwaltverein oder dem Bundesverband der Unternehmensjuristen in Deutschland.
Die Politik - der Bundestag, die Koalitionsfraktionen
und vor allen Dingen auch das Bundesministerium der
Justiz - hat hierauf sehr schnell reagiert. Diese Sorgen
wurden aufgegriffen. Wir haben bereits vor Beginn der
parlamentarischen Beratungen in einem sehr intensiven
Dialog mit allen Beteiligten nach Lösungen gesucht.
Es ging darum, das Berufsrecht und den versicherungsrechtlichen Status von Syndikusanwälten - das betone ich - zügig auf eine verlässliche Grundlage zu stellen und die zum Teil bestehenden existenziellen Sorgen
und Unsicherheiten zu beseitigen. Ich finde, das ist auch
gelungen.
Ich möchte hier und heute die Gelegenheit nutzen,
dem Bundesjustizminister Heiko Maas, aber auch der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Frau Nahles,
deren Häusern, den beteiligten Staatssekretären sowie auch
den Berichterstattern der Koalitionsfraktionen - überhaupt
allen Beteiligten, die sich konstruktiv in diesen Dialog
eingebracht haben - dafür herzlich zu danken, dass das
so zügig geschehen ist. Nur so ist das überhaupt in dieser
Zeit zu bewerkstelligen gewesen.
({1})
Der Dialog ist noch nicht zu Ende. Wir befinden uns,
wie gesagt, erst am Beginn der parlamentarischen Beratungen. Wer sich den Gesetzentwurf anschaut - es ist
heute schon, was einige Details angeht, viel Richtiges
gesagt worden -, wird feststellen: Syndikusrechtsanwälte haben in Zukunft ein Wahlrecht. Sie können zum
Beispiel ihre Tätigkeit auf ihre Arbeit als Syndikusanwälte in einem Unternehmen oder einem Verband beschränken. Wenn sie sich darauf beschränken, regelt dieser Gesetzentwurf klipp und klar ihren berufsrechtlichen
sowie ihren versicherungsrechtlichen Status. Sie können
auch bei dieser Tätigkeit weitgehende Vertretungsbefugnisse vor Gericht wahrnehmen. Wir haben aber auch darauf geachtet, dass die Rechte und Interessen der niedergelassenen Rechtsanwälte gewahrt bleiben.
Meine Damen und Herren, wer sich den Gesetzentwurf anschaut, wird feststellen, dass der Syndikusanwalt
in Zukunft ein Rechtsanwalt eigener Art sein wird. Das
zeigt sich auch darin - das ist ebenfalls schon angesprochen worden -, dass ihm beispielsweise einige strafprozessuale Privilegien vorenthalten bleiben. Wenn man
etwa über das Beschlagnahmeverbot redet, ist das für jedermann einsichtig und deutlich. Es ist auch sachgerecht; denn wir wollen vermeiden, dass in Zukunft Strafverfolgungsbehörden - etwa durch einen Missbrauch
von Syndikusanwälten quasi als Wagenburg in einem
Unternehmen - daran gehindert werden, ihre Arbeit zu
tun und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
Ich sage aber auch deutlich, dass ich mir gewünscht
hätte, dass man dabei nicht so „hopp oder top“ vorgegangen wäre, sondern bei den strafprozessualen Regelungen eine differenziertere Betrachtung vorgenommen
hätte. Wenn man den Syndikusanwalt als Rechtsanwalt
definiert - das tun wir ja -, dann sage ich sehr deutlich:
Ich kann mir einen Rechtsanwalt, der noch nicht einmal
ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, irgendwie nicht
wirklich vorstellen. Das wäre auch etwas, was ich gerne
in den parlamentarischen Beratungen auf die Tagesordnung bringen würde. Vielleicht gelingt es uns, bei diesen
strafprozessualen Privilegien eine etwas differenziertere
Betrachtung hinzubekommen.
Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass
dieser Gesetzentwurf auch im Hinblick auf die Frage der
Haftung eine gute Grundlage dafür sein wird, dass die
Versicherungswirtschaft brauchbare Lösungen finden
und anbieten wird.
Wer als Syndikusanwalt in Zukunft zusätzlich zu seiner Tätigkeit im Unternehmen noch als niedergelassener
Anwalt tätig sein will, der muss zusätzliche VoraussetChristian Flisek
zungen erfüllen. Ich finde, auch das ist eine absolut sachgerechte Lösung - auch wenn mir klar ist, dass wir zu
diesem Punkt noch viele Diskussionen führen werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen, sofern
Sie eine große sozialrechtliche Lösung lieber gehabt hätten, Folgendes sagen: Ich finde, das Bundessozialgericht
hat ausschließlich für die Syndikusanwälte entschieden.
Wir sollten an dieser Stelle - davon bin ich überzeugt den Ball im Sinne einer schnellen und zügigen Lösung
für diese 40 000 Kolleginnen und Kollegen flach halten.
Denn eines - das wurde auch in dieser Debatte deutlich ist klar: Wenn wir das Fass aufmachen und die große
Lösung suchen, wäre eine solche Lösung im Sinne dieser Kolleginnen und Kollegen weit weg bzw. nicht so
schnell in Sicht. Deswegen: Überlegen Sie sich das noch
einmal.
({2})
Ich denke, dass wir nah beieinander sind; aber in dieser
Frage sollten wir noch ein bisschen näher aneinanderrücken.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank, Herr Kollege Flisek. - Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Dr. Silke Launert für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir haben
es schon mehrfach gehört: Die Entscheidung des Bundessozialgerichts zur gesetzlichen Rentenversicherungspflicht der Syndikusanwälte hat wirklich für ordentlich
Wirbel gesorgt. Sie hat nicht nur die Unabhängigkeit der
Syndikusanwälte infrage gestellt und damit überhaupt
erst so richtig die Grundsatzdiskussion über die rechtliche Stellung der Syndikusanwälte ausgelöst; sie hat vor
allem die langjährige Praxis der Deutschen Rentenversicherung durchkreuzt. Bis dahin war es nämlich in der
Regel so, dass für Syndikusanwälte grundsätzlich eine
Befreiung von der Rentenversicherungspflicht vorgesehen war. Somit war der Weg frei in die berufsständische
Versorgung.
Das Bundessozialgericht hat jetzt gesagt: Das geht
grundsätzlich nicht mehr. Man muss sagen: Das hat die
Altersversorgung von 40 000 Syndikusanwälten ins Wanken gebracht. Deshalb wundert es mich überhaupt nicht,
Frau Künast, dass bei Ihnen so viele Beschwerdeschreiben eingegangen sind. 40 000 Menschen, die plötzlich
Angst um ihre Altersversorgung haben - das ist nicht
nichts. Und Syndikusanwälte sind als Juristen meistens
auch in der Lage, zu schreiben.
({0})
Es gibt aber ein weiteres Problem - Frau
Winkelmeier-Becker hat es schon angesprochen -: Das
schränkt auch die Mobilität ein. Es führt dazu, dass man
aus Angst, die Vorteile der berufsständischen Versorgung zu verlieren, nicht mehr in ein Unternehmen wechselt. Aber gerade diesen Wechsel - freier Anwalt, Anwalt in der Kanzlei eines anderen Anwalts, Anwalt in
einem Unternehmen -, den Transfer von Erfahrungen
hin zu Unternehmen und vielleicht auch wieder zurück
wünschen wir uns, wie wir uns generell mehr Erfahrungsaustausch, vielleicht auch in der Politik, wünschen.
Die Unternehmen haben sich zu Recht gemeldet und
gesagt: Es ist immer schwieriger, gute Leute zu finden,
die eine gewisse Erfahrung haben. - Insofern denke ich,
es war höchste Zeit, etwas zu tun. Die Rechtsunsicherheit war enorm. Es bestand ein großes Bedürfnis nach
Klarstellung.
({1})
Auch wenn der Ruf nach der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Syndikusanwälte durch die
Entscheidung aus dem letzten Jahr erst so richtig laut
geworden ist: Es gab ihn vorher auch schon. Die Syndikusanwälte wurden schon vorher stiefkindartig behandelt. Es war jetzt Zeit, sie endlich gleichzustellen - im
Sinne einer Einheit der deutschen Anwaltschaft, wie es
Herr Minister zu Recht betont hat.
Das sieht der jetzt vorliegende Entwurf auch vor. Es
wird klargestellt: Man kann Arbeitnehmer sein und
trotzdem Anwalt, trotzdem fachlich unabhängig und eigenverantwortlich agieren, wie es mein Kollege Herr
Luczak ausgeführt hat. Die Anforderungen stehen genau
im Gesetz. Ich finde, das trägt massiv zur Rechtsklarheit
bei.
Man spricht jetzt nicht mehr von Syndikusanwälten.
Sie haben das Recht, sich als Rechtsanwalt zu bezeichnen, mit dem Zusatz „Syndikusrechtsanwalt“ in Klammern. Es ist ganz klar, worum es sich hier handelt. Man
ermöglicht den Syndikusanwälten den Verbleib bzw.
künftig den Eintritt in das anwaltliche Versorgungswerk.
Über die Frage, ob anwaltliche Tätigkeit vorliegt oder
nicht, entscheidet nicht irgendeine sachfremde Rentenversicherung, sondern die Anwaltskammer. Die Frage,
ob anwaltliche Tätigkeit vorliegt oder nicht, sollte tatsächlich die Anwaltskammer treffen. Ich bin jemand, der
sagt: bei Fachfragen lieber die Fachkompetenz nutzen.
An eine entsprechende bestandskräftige Zulassungsentscheidung ist die Rentenversicherung dann auch gebunden.
Besonders wichtig ist der Vertrauensschutz für diejenigen Syndikusanwälte, die schon einen Bescheid über
eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht haben. Die weiteren Details werden wir im
Gesetzgebungsverfahren noch ansprechen.
Ich möchte zum Schluss auf die freien Berufe eingehen, die hier schon mehrfach angesprochen worden sind.
Dieser Entwurf beseitigt jetzt die Unsicherheit bei den
Syndikusanwälten, aber bei den anderen freien Berufen
besteht nach wie vor Unsicherheit: Was ist mit den Ärz10942
ten, mit den Apothekern und mit den Architekten? Sie
haben jetzt ebenfalls Schwierigkeiten bei der Befreiung
von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht. Wir
haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die
funktionierende berufsständische Altersversorgung beizubehalten.
Herr Petzold, ich wundere mich immer: Wieso müssen wir nach Ihrer Meinung immer das abschaffen, was
funktioniert, und in das integrieren, was nicht funktioniert?
({2})
Ich weiß, Sie würden immer gerne jedes Instrument zum
kompletten Sozialausgleich heranziehen, aber das ist es
eigentlich nicht. Man könnte schauen, ob wir ein effektives Instrument finden; aber die Integration in die gesetzliche Rentenversicherung ist vielleicht nicht das perfekte
Mittel.
({3})
Frau Winkelmeier-Becker hat die Frage bereits angesprochen: Wollen Sie die staatlichen Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung auch noch den Ärzten
und Anwälten zukommen lassen? Ich glaube, nicht.
Wir machen den ersten Schritt und sorgen für eine
Klarstellung bei den Syndikusanwälten. Von daher sage
ich: Vielen Dank für diesen Gesetzentwurf. Es geht hier
um Sicherheit und Vertrauen in einem der elementarsten
Bereiche, nämlich dem der Altersversorgung. Wenigstens in diesem Bereich sollte Klarheit herrschen.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Launert. - Damit
schließe ich die Aussprache.
Die Redezeiten waren, glaube ich, großzügig bemessen. Da ich viel gelernt habe, war ich nicht so streng.
({0})
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/5201 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich bitte diejenigen, die an der nächsten sehr spannen-
den Debatte nicht teilnehmen wollen, ihren Platz zu räu-
men, damit wir zügig weiterdebattieren können.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a und 34 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Kordula Schulz-Asche, Uwe Kekeritz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bevölkerung vor Krebsgefahr durch das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat schützen
und EU-Neuzulassungsverfahren für Glyphosat stoppen
Drucksache 18/5101
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({2}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin
Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel einschränken
Drucksachen 18/1873, 18/5087
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Harald
Ebner für Bündnis 90/Die Grünen.
({3})
Werte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Zum dritten Mal innerhalb von drei Jahren reden wir
heute in diesem Parlament über einen Pestizidwirkstoff,
der traurige Berühmtheit erlangt hat, über Glyphosat, einen Wirkstoff von Totalherbiziden, also Pflanzenvernichtungsmitteln mit umfassender Breitenwirkung.
Die Bundesregierung hat hinsichtlich der Senkung
des Pestizideinsatzes nichts erreicht, die Hersteller von
Pestiziden feiern erneut Rekordumsätze. Noch nie wurde
weltweit mehr Glyphosat verwendet als heute, über
5 000 Tonnen pro Jahr allein in Deutschland. Und noch
nie war der Einsatz von Glyphosat so fragwürdig wie
heute!
({0})
Schon lange gibt es Hinweise, dass dieses Zellgift
Krebs, Erbgutschäden, Missbildungen und andere Gesundheitsschäden verursacht, übrigens auch bei Tieren.
Der Spiegel hat letzte Woche über missgebildete Ferkel
und andere Folgen berichtet. In Argentinien hat sich die
Krebs- und Missbildungsrate in Sojaregionen mit massiHarald Ebner
vem Glyphosateinsatz vervielfacht. 30 000 Ärzte schlagen dort deshalb Alarm.
Über viele Jahre haben Industrie, Bundesregierung
und Behörden uns dennoch versichert, dass dieses Pflanzenvernichtungsmittel gesundheitlich unbedenklich sei.
Das werden wir ganz bestimmt gleich auch wieder von
der Union hören; sie hat das heute bereits der Presse mitgeteilt. Jetzt hat aber Ende März dieses Jahres die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, die
IARC, Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend bei
Menschen“ eingestuft. Das ist die zweithöchste Risikokategorie. Damit kann und darf es kein „Weiter so“ bei
Glyphosat geben.
({1})
Die IARC ist unbestritten die wissenschaftliche Institution weltweit für die Bewertung krebserzeugender
Substanzen. Sie arbeitet unabhängig, transparent, nach
strengen Regeln, und sie berücksichtigt keine Geheimstudien von Herstellern, sondern ausschließlich öffentlich zugängliche, überprüfte und überprüfbare Studien.
Das ist der wissenschaftliche Goldstandard! Wenn eine
solche Institution eine solche Warnung ausspricht, muss
das Konsequenzen haben,
({2})
gerade in Deutschland, das von den Herstellern als Berichterstatter für die EU-Neuzulassung von Glyphosat
benannt wurde.
Aber was macht die Bundesregierung? Sie sieht keinen Handlungsbedarf. Das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, hat schon nach wenigen Tagen die Ergebnisse kleingeredet: Sie seien „wissenschaftlich schlecht
nachvollziehbar“. Ganz ähnlich hat auch Monsanto reagiert. Dessen Chef, Hugh Grant, hat die Arbeit des
IARC als „junk science“, also als Dreckswissenschaft,
bezeichnet, und das alles noch, bevor der umfassende
Bericht, die Monografie, dazu veröffentlicht wurde.
Schauen wir doch einmal auf das BfR und seine entwarnende Risikobewertung. Im BfR-Pestizidkomitee sitzen seit Jahren Angestellte großer Agrochemiekonzerne
wie Bayer und BASF.
Die WHO-Wissenschaftler fanden klare Belege für
die Mechanismen, durch die Glyphosat Krebs verursachen kann: Schädigung des Erbguts und oxidativer
Stress. Diesen Risikobereich hat das BfR aber kaum untersucht und wichtige Studien dazu ignoriert.
Das BfR verwendet nicht nur in großem Umfang Industriestudien. Viel schlimmer: Es hat eine große Anzahl
dieser Studien auch gar nicht selber bewertet, sondern
die Bewertung der antragstellenden Industrie übernommen. Unter einer eigenständigen Bewertung stellen wir
uns jedenfalls etwas anderes vor.
({3})
Gleichzeitig verharmlosen das BfR und andere Glyphosat-Fürsprecher das Gift und seine Risiken weiter.
BfR-Präsident Hensel erzählt im Agrarausschuss, Glyphosat sei weniger toxisch als Kochsalz oder Kaffee.
Der Vergleich ist, gerade wenn es um Krebsverdacht
geht, absolut abwegig. Verbraucher können immerhin
selber entscheiden, wie viel Salz oder Kaffee sie zu sich
nehmen. Hinsichtlich Glyphosat weiß ich doch gar nicht,
was in meinem Brötchen ist. Das steht nicht drauf.
({4})
Dass selbst bei vielen Großstädtern schon Glyphosat im
Körper nachgewiesen wird, ist für Herrn Hensel normal
und erwartbar. Die Bundesregierung und Teile dieses
Hauses mögen die Auffassung teilen, dass es normal ist,
wahrscheinlich krebserregende Substanzen im Körper zu
haben. Wir jedenfalls können das nicht verantworten.
({5})
Öko-Test wurde bei den meisten auf Glyphosat getesteten Getreideprodukten fündig. Sind Sie denn wirklich
sicher, Herr Bleser, dass Glyphosat nicht schon längst in
der Muttermilch auftaucht und Babys es aufnehmen?
Um zu wissen, woher die Belastungen der Menschen
kommen und wie hoch sie sind, brauchen wir eine umfassende Überwachung der Lebensmittelrohstoffe und
endlich ein Human-Biomonitoring für Glyphosat.
({6})
Trotz Krebsrisiko plädiert das BfR für eine Anhebung
der akzeptablen Aufnahmedosis um zwei Drittel. Das ist
bei einem wahrscheinlich krebserregenden Stoff schlicht
fahrlässig, weil hier jede noch so kleine Dosis schaden
kann. Wir brauchen keine höheren, sondern wir brauchen niedrigere Grenzwerte. Gerade hier muss uns das
Vorsorgeprinzip oberstes Gebot sein. Bei deutlichen
Hinweisen auf eine Gefährdung von Mensch und Umwelt dürfen wir eben nicht warten, bis die Gefährdung
abschließend geklärt ist und der Krebsverdacht eindeutig
belegt oder widerlegt ist. Aber der BfR-Präsident deutet
das Vorsorgeprinzip um und spricht von einem „ökonomischen Vorsorgeprinzip“. Heißt das im Klartext, dass
wir Gesundheitsrisiken in Kauf nehmen sollen, wenn es
um Gewinne geht? Wir meinen: Wenn der Chef einer so
hochrangigen staatlichen Behörde den begründeten Verdacht auf krebserregende Wirkung derart kleinredet,
dann ist das ein untragbarer Zustand.
({7})
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Die
Bundesregierung will erst einmal abwarten und behauptet, es gebe keine Rechtsgrundlage für ein Eingreifen.
Die Niederlande und Österreich beweisen das Gegenteil.
Sie sind tätig geworden. Wo ein Wille ist, ist auch ein
Weg. Herr Schmidt, Herr Bleser, Glyphosat gehört nicht
in die Hände von Privatpersonen. Das sagen auch der
Bundesrat, die Fachminister der Bundesländer und die
Umweltverbände. Auch da hat die Bundesregierung
nichts gemacht. Da musste erst die Opposition einen
Brief an die Baumärkte schreiben, die jetzt nach und
nach dieses Mittel aus den Regalen nehmen. Das zeigt,
wie es geht. Tun Sie etwas! Nehmen Sie das Problem
endlich ernst! Lesen Sie unseren Antrag! Ich freue mich
auf die Debatte im Ausschuss.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank, Harald Ebner. - Nächster Redner in der
Debatte: Hermann Färber für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Zuschauer oben auf den
Tribünen! Im März dieses Jahres hat die IARC - das ist
die Internationale Agentur für Krebsforschung - die Einstufung von Glyphosat in die Kategorie 2A veröffentlicht. Danach ist Glyphosat wahrscheinlich krebserzeugend. Glyphosat ist nach Einstufung der IARC also
genauso gefährlich wie Matetee. Ja, Sie haben richtig gehört: genauso gefährlich wie Matetee; denn beide sind in
der gleichen Gefahrenklasse eingruppiert. Ein Antrag
der Grünen zum Verbot von Matetee liegt allerdings bisher noch nicht vor. Ebenso wenig liegt ein Antrag der
Grünen vor, alle Frisörgeschäfte in Deutschland zu
schließen,
({0})
obwohl die IARC bereits 2010 die Berufsausübung von
Frisören als vermutlich krebserzeugend eingestuft hat.
Ist das etwa eine beklagenswerte Lücke in der Antragsarbeit der Opposition, meine Damen und Herren? Nein,
das ist es nicht.
Ich will hier nicht polemisch werden.
(Dr. Kirsten Tackmann ({1}): Oh
nein! Natürlich nicht! - Nicole Maisch
({2}): Daran sind
Das ist ja
peinlich! - Harald Ebner ({0}): Dann hören Sie lieber auf!)
Aber was ich deutlich machen will, ist Folgendes: Die
Opposition erweckt mit der Einbringung ihres Antrags
den Eindruck, eine Einstufung als vermutlich krebserzeugend durch die IARC sei so schlimm und dramatisch, dass sofortige Verbotsmaßnahmen nötig seien.
Meine Beispiele zeigen aber, dass genau dies eben nicht
erforderlich ist.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
Bemerkung der Kollegin Künast?
Die Frau Künast soll jetzt einfach einmal meiner
Rede zuhören.
({0})
Es wäre gut gewesen, wenn sie schon früher, in ihrer
Zeit als Ministerin, mehr zugehört hätte.
({1})
Also nein.
Im Anschluss.
({0})
Meine Beispiele zeigen, dass das ganz und gar nicht
so ist. Übrigens - für denjenigen, der es nicht weiß -:
Als sicher krebserzeugend eingestuft ist Alkohol. Auch
hier möchte niemand ein Verbot.
({1})
Wir müssen uns auch im Klaren darüber sein, dass
diese neue Einstufung nicht die einhellige Haltung der
Weltgesundheitsorganisation ist;
({2})
denn andere WHO-Gremien, etwa die JMPR, vertreten
nach wie vor die gegenteilige Ansicht.
Ebenso sieht auch die europäische Bewertungsbehörde EFSA bislang keine Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung; auch das gehört zur vollständigen
Wahrheit. Der Bewertung von Glyphosat liegen immerhin mehr als 1 000 Studien zugrunde.
({3})
Richtig ist aber, Herr Ebner, dass diese Einstufung
Grund zu weiterer Überprüfung ist. Deshalb hat die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion unmittelbar nach Bekanntwerden der Einstufung im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft einen Bericht beantragt,
({4})
um zu prüfen, ob Sofortmaßnahmen notwendig sind.
({5})
Wir haben dort am 22. April dieses Jahres eine Stellungnahme von Professor Hensel gehört; er ist der Präsident
des Bundesinstituts für Risikobewertung. Dieses Institut
ist die für solche Fragen zuständige wissenschaftliche
Bewertungsbehörde. Professor Hensel hat uns in dieser
Sitzung klar und deutlich erklärt, dass eine wissenschaftliche Bewertung dieser Einstufung ohne Kenntnis der
vollständigen Unterlagen nicht möglich sei.
({6})
Die IARC hat die Veröffentlichung dieser Unterlagen
für Juli, also für den nächsten Monat, angekündigt. Übrigens hat auch ein Vertreter der IARC, nämlich Professor
Rusyn, bei einem Fachgespräch der Grünen am vergangenen Montag erklärt,
({7})
das BfR solle mit Verlautbarungen besser warten, bis die
vollständigen Unterlagen veröffentlicht sind.
({8})
Das ist ein wissenschaftlicher Ratschlag, den wir für vernünftig halten und dem wir uns gerne anschließen. Deshalb können wir heute noch gar nichts zu den nötigen
rechtlichen Folgerungen aus dieser Einstufung sagen.
({9})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mir ist ein
Aspekt in dieser ganzen Diskussion sehr wichtig, nämlich die Frage: Welche Expositionspfade, die laut IARC
zu erhöhter Krebsgefahr führen, sind eigentlich für
Deutschland relevant? Zur Beantwortung dieser Frage
brauchen wir die Unterlagen, die aber noch nicht veröffentlicht sind.
Herr Kollege?
Ja?
Herr Kollege, ich versuche es noch einmal - bzw. ein
Kollege versucht es noch einmal -: Erlauben Sie eine
Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Ebner?
Auch der Herr Kollege Ebner sollte sich damit abfinden, dass er sich im Anschluss an meine Rede äußern
kann.
({0})
Gut, nein; alles klar.
Ja. - Wir sind uns doch hier im Hause einig, dass die
Art und Weise der Glyphosatanwendung in Deutschland
in keiner Weise mit der Anwendung in Nord- und Südamerika vergleichbar ist. Wir haben hier wesentlich
strengere Anwendungsbestimmungen und arbeiten nicht
mit Monokulturen, sondern mit Fruchtfolgen. Schon das
vermindert im Vergleich den Herbizideinsatz. Im Übrigen sind bei uns auch viele Beistoffe verboten, die in anderen Ländern noch erlaubt sind, wie zum Beispiel Tallowamine, die zwar als Zusatz in Pflanzenschutzmitteln
verboten, in Körperpflegemitteln aber nach wie vor erlaubt sind. Pflanzenschutzmittel erfüllen bei uns also höhere Standards als Körperpflegemittel. Auch bei der
Kombination verschiedener Wirkstoffe ist Deutschland
wesentlich restriktiver als andere Länder. Das lernen die
jungen Bauern bereits sehr früh in der Ausbildung.
Die Definition guter fachlicher Praxis in Deutschland
bewährt sich auch bei Glyphosat. Das sieht man schon
daran, dass es in Deutschland keine Resistenzen gegen
Glyphosat gibt, wie das in anderen Ländern der Fall ist.
Es ist also sehr gut möglich, dass die Unterlagen der
IARC zeigen werden, dass Deutschland schon alles Notwendige getan hat, um die Umwelt, die Verbraucher und
die Landwirte hinreichend zu schützen.
({0})
Wir wissen sehr gut, dass es in anderen Ländern noch
erheblichen Handlungsbedarf gibt. Dieses Problem können wir aber nicht durch eine schärfere Gesetzgebung in
Deutschland lösen;
({1})
denn dann würden wir die landwirtschaftliche Produktion ins Ausland exportieren.
({2})
Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hat
am Mittwoch einstimmig, also mit den Stimmen der Opposition, beschlossen, im September eine Anhörung zu
Glyphosat durchzuführen.
({3})
- Herr Ebner, ich habe immer den Eindruck, Sie hören
das nicht. Deshalb spreche ich ein bisschen lauter.
({4})
Bis dahin - jetzt kommen wir wieder runter und werden wieder sachlich - können auch die zuständigen deutschen Bewertungsbehörden die ausführliche Monografie
der IARC prüfen und dann eine fundierte Bewertung ab10946
geben. Auf deren Grundlage ist dann eine Entscheidung
möglich. Nur das ist die richtige Reihenfolge.
({5})
Jetzt noch einige Worte dazu, was andere Länder machen. Das Schweizer Landwirtschaftsministerium hat
am 19. Mai 2015 erklärt, es könne die Einstufung erst
dann bewerten, wenn die ausführliche Begründung vorliege. Erst dann könne man entscheiden, ob weitere
Maßnahmen nötig seien.
Mit Frankreich möchte ich ein weiteres Beispiel nennen. Dazu hat es in den letzten Tagen eine massive
Falschinformation der Öffentlichkeit gegeben, als in verschiedenen Medien erklärt wurde, Frankreich wolle ein
Verbot des Verkaufs von Glyphosat in Gartencentern.
Ich habe die entsprechende Aussage der französischen
Umweltministerin Royal übersetzen lassen. Sie möchte
lediglich ein Verbot des Verkaufs auf Selbstbedienungsbasis. Es soll verpflichtend werden, dass die Pflanzenschutzmittel, die Glyphosat enthalten, nur direkt durch
einen Verkäufer abgegeben werden. Damit würde sich
Frankreich dem in Deutschland längst geltenden Standard anpassen, und das ist doch durchaus zu begrüßen.
Die falsche Meldung wurde tagelang unter anderem
auf www.tagesschau.de verbreitet. Deshalb ein Wort an
die Medienvertreter: Ein Blick auf die entsprechende
Meldung auf der Homepage des französischen Umweltministeriums hätte ausgereicht, um den Fehler zu korrigieren. Ich erwarte gerade auch von unserem finanziell
sehr gut ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk,
dass er dieses Minimum an Recherche leistet
({6})
und Presseerklärungen nicht einfach ungeprüft übernimmt und sich so an gezielten Fehlinformationen beteiligt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, ich
konnte mit diesen Informationen etwas zur Aufklärung
beitragen.
({7})
Dass die CDU/CSU-Fraktion aufgrund dieser Tatsachen
die Anträge der Opposition ablehnt, ist nur folgerichtig.
({8})
Wir sind immer bereit, neue Informationen in unsere
Entscheidungen einfließen zu lassen. Aber wir beteiligen
uns nicht an Panikmache, an der Angstindustrie und
schon gar nicht an blindem Aktionismus.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege Färber. - Jetzt erhält zu einer Kurzintervention der Kollege Ebner das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Kollege, Sie haben
sehr darauf abgezielt, dass man erst einmal die Monografie abwarten müsse. Das ist richtig. Dies sollte man
aber auch tun, bevor man die Arbeit des IARC in Grund
und Boden verdammt. Das wäre meine Aufforderung
ebenso an das BfR.
({0})
Deutschland ist berichterstattender Staat für ganz Europa bei der Neuzulassung von Glyphosat. Davon sind
28 Mitgliedstaaten betroffen, Herr Kollege. Nehmen Sie
bitte zur Kenntnis, dass das BfR seinen Bericht über
Glyphosat vor Vorliegen dieser Monografie unverändert
an die EFSA geschickt hat. Wie passt das mit Ihrer Rede
zusammen? Das würde mich wirklich interessieren.
Sie haben so schön gesagt, die WHO habe ja auch
noch andere Gremien. Da frage ich Sie: Wollen Sie die
wissenschaftliche Reputation des Gremiums der WHO,
das für die Einstufung von Substanzen im Hinblick auf
die Krebsgefahr zuständig ist und bezüglich krebserregender Substanzen weltweit am besten Bescheid weiß,
infrage stellen und relativieren?
Sie haben sich auf das JMPR berufen. Mich interessiert, ob Ihnen bekannt ist, dass sowohl in der einzuberufenden Taskforce als auch im JMPR Mitglieder sind, die
für das ILSI und für Chemieunternehmen arbeiten, etwa
Boobis, Moretto und Dellarco - ich kann Ihnen auch die
Namen nennen -, und dass dort auch ein Mitarbeiter des
BfR vertreten ist. Wie bewerten Sie es, dass ein solches
Gremium mit solchen Interessenvertretern besetzt ist?
({1})
Herr Färber, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Ebner, das Problem ist, dass Sie mir
nicht zuhören wollen.
({0})
Wenn Sie, so wie ich, abends gescheiter ins Bett gehen
wollen, als Sie morgens aufgestanden sind, dann werden
Sie nicht umhinkommen, anderen einmal zuhören zu
müssen.
Herr Ebner, ich habe das eben ausgeführt.
({1})
Die Frage ist doch folgende: Welche Expositionspfade
nutzt die IARC bei der Einstufung in ihren Grundlagen,
die für Deutschland überhaupt repräsentativ sind? Wir
haben hier andere Zulassungsvoraussetzungen. Wir haben eine andere Form der Anwendung.
({2})
- In der Zulassung und in der Anwendung haben wir in
Deutschland andere Vorgaben; das ist völlig klar.
({3})
Jetzt ist Herr Färber dran.
Vielen Dank. - Das ist doch die Frage. Man sollte
jetzt nicht in blinden Aktionismus verfallen und sagen:
Wir sehen - auf der Basis von Nichtinformationen - ein
Verbot vor. Damit bestünde nämlich das Risiko, dass wir
dieses Verbot nachher nicht begründen könnten.
Ich muss sagen: Das BfR, das von Ihnen jetzt ins Nirwana geredet wird, ist das in Deutschland zuständige
Institut, ob Ihnen das gefällt oder nicht. Es ist auch ein
gutes, weltweit anerkanntes Institut. Alle Bewertungsbehörden, die an dem Zulassungsprozess für Glyphosat
als Berichterstatter beteiligt sind, haben ja nicht nur eine
Studie als Grundlage genommen. Sie haben mehr als
1 000 Studien aus ganz verschiedenen Bereichen verwendet. Entscheidend ist, ob die Studien, die verwendet
werden, auch wissenschaftlichen Standards entsprechen. Darüber haben wir im Ausschuss schon oft gesprochen. Es gibt auch Studien, die etwas anderes besagen.
Entscheidend ist, ob die Studien wissenschaftlichen
Standards entsprechen. Das ist doch die Frage.
({0})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin in dieser Debatte ist
Dr. Kirsten Tackmann für Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Gäste auf den Tribünen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der gefährliche Unkrautvernichter Glyphosat ist in aller Munde, und zwar
leider nicht nur im übertragenen Sinne. Das hat der
BUND vor fast zwei Jahren in einer Studie gezeigt.
182 Urinproben von Menschen aus Großstädten in
18 Ländern Europas wurden auf Glyphosat untersucht,
und in keinem einzigen Land waren alle Proben frei von
Glyphosat. Im Gegenteil: In Malta wurde in 90 Prozent
der Urinproben, in Deutschland immer noch in 70 Prozent der Proben Glyphosat gefunden. Ich finde das alarmierend.
({0})
Nein, das ist keine repräsentative Studie. Aber selbst
das Bundesinstitut für Risikobewertung hält die Ergebnisse für plausibel. Die Messwerte liegen zwar unterhalb
der Schwelle der gesundheitlichen Unbedenklichkeit,
aber sind ein Hinweis auf eine allgemeine Hintergrundbelastung europäischer Bürgerinnen und Bürger mit
Glyphosat. Ich finde das bedenklich.
({1})
Aber bis heute wurde keine einzige repräsentative Studie
in Auftrag gegeben, um diese alarmierenden Ergebnisse
entweder zu widerlegen oder zu bestätigen. Das finde
ich fahrlässig. Wir brauchen hier endlich Klarheit.
({2})
Bis dahin sollten wir davon ausgehen, dass der
BUND recht hat. Dann stellen sich aber mindestens drei
dringende Fragen: Erstens. Warum wird so häufig Glyphosat im Urin von Menschen gefunden? Zweitens. Welche Risiken sind damit verbunden? Drittens. Was kann
oder, besser gesagt, was muss getan werden?
Warum haben so viele Menschen Glyphosat im Urin?
Das ist der Fall, weil Glyphosat sehr häufig in der Landwirtschaft eingesetzt wird und so in die Lebensmittel gelangt. Vielleicht haben Sie schon einmal im Frühjahr
Äcker gesehen, auf denen alle Pflanzen totgespritzt waren. Das ist Unkrautbekämpfung mit Glyphosat. Wenn
ein Mähdrescher einmal nicht schnell genug für die
Ernte bereitsteht oder die Ernte nicht gleichmäßig genug
reift - die Antwort ist Glyphosat. Das wurde im Sommer
2014 selbst dem Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit zu krass, und es schränkte die
Zulassung ein. Immerhin! Ob es daran liegt oder an der
öffentlichen Debatte, zumindest habe ich in meiner Heimatregion Priegnitz in diesem Frühjahr seltener totgespritzte Felder gesehen.
Aber auch für den Haus- und Kleingartenbereich sind
51 glyphosathaltige Mittel zugelassen. Man kann sie kanisterweise im Baumarkt kaufen, angeblich mit Beratung; nun ja. Bei www.amazon.de gibt es 500 Milliliter
Roundup Easy für 17,63 Euro, gänzlich ohne Beratung.
In Nord- und Südamerika werden glyphosatresistente
Gentech-Pflanzen, zum Beispiel Roundup-Ready-Soja,
in großem Stil angebaut und nach Europa importiert.
Auch so kommt Glyphosat in den Urin der europäischen
Bevölkerung. Glyphosat ist unterdessen das weltweit am
stärksten verbreitete Pflanzenschutzmittel. Das ist ein
Riesengeschäft für Monsanto, und zwar auf unsere Kosten.
Umso wichtiger ist die zweite Frage: Welche Risiken
sind damit verbunden? Die ökologischen Risiken sind
im Grundsatz klar. Wenn auf einem Acker ausschließlich
Mais, Getreide oder Kartoffeln wachsen dürfen, ist das
eine ökologische Wüste. Auch Hinweise auf Schäden
bei Lebewesen in Gewässern gibt es, übrigens auch von
Bundesoberbehörden. Über das konkrete Ausmaß der
ökologischen Schäden wissen wir fast nichts. Aber noch
größer sind die Wissenslücken bei den gesundheitlichen
Risiken. Es gibt zwar immer wieder Hinweise auf erhebliche Tiergesundheitsprobleme bei Rindern und Schweinen, die mit Glyphosat in Verbindung gebracht werden.
Aber offiziell wurden diese gesundheitlichen Risiken
immer verneint - bis zum Paukenschlag Ende März, als
die Internationale Agentur für Krebsforschung der WHO
- das ist schon erwähnt worden - Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat.
Ja, die wissenschaftliche Dokumentation dazu liegt
erst Mitte Juli vor, und ja, es ist völlig legitim, diese
noch einmal zu überprüfen. Aber dass Union und Bundesregierung schon vorab die wissenschaftliche Kompetenz dieser WHO-Agentur infrage stellen, finde ich absolut inakzeptabel.
({3})
Ich muss ehrlich sagen: Diese deutsche Arroganz ist erschreckend und hochnotpeinlich.
({4})
Damit kommen wir zur dritten Frage: Was muss jetzt
eigentlich getan werden? Die Forderungen der Linken
liegen seit einem Jahr vor. Wenn die Krebsforscher der
WHO recht haben, dann sind das, was wir fordern, nur
die allernötigsten Maßnahmen.
Unsere erste Forderung wird von vielen Baumärkten
- vielleicht in vorauseilendem Gehorsam - schon umgesetzt. Sie nehmen Glyphosat aus dem Sortiment, und das
ist auch gut so.
({5})
Was sagt es eigentlich über unser Land, wenn Baumärkte
vorsorgender denken als die Bundesregierung?
({6})
Zweitens. Glyphosat gehört nicht in die Ernte. Drittens wollen wir mehr Forschung zu ökologischen und
gesundheitlichen Risiken. Das kann man nun wirklich
nicht ablehnen.
({7})
Vielen Dank, Frau Kollegin Tackmann. - Nächste
Rednerin in der Debatte: Rita Hagl-Kehl für die SPD.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Unser täglich Brot gib uns heute.“ Diesen
Satz habe ich als gläubige Christin - genauso wie Millionen andere Menschen - schon tausendfach gen Himmel gesandt, immer in der Überzeugung, dass dieses Lebensmittel gut für mich, meine Kinder, meine Familie
ist. Genau dieses Lebensmittel steht nun im Verdacht,
ein krebserregendes Pflanzenschutzmittel in unseren
Körper zu bringen.
Glyphosat ist ein Wirkstoff, der in den letzten Jahren
immer mehr zum Einsatz kommt. Es ist das weltweit
- auch in Deutschland - am meisten verwendete Herbizid. Die Zahlen wurden schon genannt. Allein in
Deutschland werden 5 000 bis 6 000 Tonnen Glyphosat
jährlich eingesetzt. Durch die massive Anwendung von
Glyphosat werden die damit bespritzten Unkräuter aber
immer resistenter. Dies führt zu einem verstärkten Einsatz dieses Herbizidwirkstoffs und steigender Konzentration des Wirkstoffs. Darüber hinaus kommt es oft zur
Vermischung mit anderen Herbiziden. Dadurch entsteht
eine noch größere Toxizität.
In Deutschland sind derzeit 83 glyphosathaltige Mittel zugelassen, etwa die Hälfte davon auch für Haushalt
und Kleingärten. Das heißt, man kann sie, wie wir von
der Kollegin vorhin gehört haben, in Baumärkten frei erhalten. Diese Mittel stehen in einem mit einem Schloss
gesicherten Schrank. Man geht zur Verkäuferin und sagt,
dass man 500 Milliliter haben möchte. Die Verkäuferin
fragt dann zurück: Welche Marke hätten Sie denn gerne?
Dann gibt sie uns die gewünschte Marke. Ähnliches gilt
für das Schneckenkorn. Beratung findet kaum statt. Ich
kann mich jedenfalls an keine ausführliche Beratung erinnern. Gleichzeitig verlangen wir von den Landwirten
einen Sachkundenachweis. Dabei darf jeder Hobbygärtner solche Mittel einfach so verwenden.
Laut einer Studie werden 39 Prozent der Ackerflächen in Deutschland mit glyphosathaltigen Wirkstoffen
behandelt. Das ist eine sehr hohe Zahl. Aber die Anwendung von glyphosathaltigen Mitteln betrifft nicht nur die
Ackerbauflächen und die heimischen Gärten, sondern
auch den öffentlichen und insbesondere den kommunalen Bereich. Dieser Wirkstoff wird zur Pflege von öffentlichen Grünflächen und Spielplätzen sowie zur
Pflege von Bahnstrecken und Autobahnrandstreifen verwendet. Welche Mutter lässt es kalt, wenn sie weiß, dass
der Spielplatz, auf dem ihr Kind gerade im Sand buddelt,
zuvor mit Glyphosat behandelt wurde? Mich würde es
nicht kaltlassen.
({0})
Die aktuelle Studie der Arbeitsgruppe der Krebsforschungsagentur, die von meinen Vorrednern bereits
mehrfach genannt wurde, hat mit der Einstufung von
Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ große Besorgnis in der Bevölkerung ausgelöst.
Dazu hat auch die Presse beigetragen, die dies vermittelt
hat; das ist auch richtig so. Die neuesten Erkenntnisse
haben bewirkt, dass Produkte mit diesem Wirkstoff in
den Baumärkten zum Teil schon freiwillig aus dem Sortiment genommen wurden.
Wie der Kollege Ebner bereits gesagt hat, haben wir
die Aufgabe, bis Ende 2015 bei der Entscheidung auf
EU-Ebene mitzuwirken, ob Glyphosat auch in den
nächsten zehn Jahren verwendet werden soll. Bei dieser
Entscheidung muss der Schwerpunkt auf die Gesundheit
von Menschen und Tieren sowie auf die Folgen für die
Umwelt gesetzt werden. Wir als SPD nehmen dieses
Problem sehr ernst und haben deswegen der Anhörung
zugestimmt, die wir im September haben werden. Wir
wollten diese Anhörung auch deshalb, weil dort hoffentlich die neuesten Erkenntnisse für uns zusammengetragen werden.
({1})
Bevor wir an ein umfassendes Verbot denken, sollten
wir eine Reihe von bevorstehenden Ereignissen noch abwarten. Auf die Monografie der Krebsforschungsagentur, die die Belege für die Einstufung von Glyphosat als
„wahrscheinlich krebserregend“ enthalten wird, warten
wir noch bis Juli. Auch die Schlussfolgerung der Neubewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit zum Pflanzenschutzmittelwirkstoff wird noch
veröffentlicht werden. Wir werden darauf einwirken,
dass die EU auch diese Studie der IARC mit einbezieht.
Bei der Anwendung von Glyphosat zur Abreifebeschleunigung wurde bereits 2014 eine Einschränkung
vorgenommen. So dürfen nur noch Flächen behandelt
werden, auf denen das Getreide unregelmäßig gereift ist
und auf denen eine Beerntung ohne diese Behandlung
nicht möglich wäre. Dies ist ein erster Schritt; aber wir
wissen auch, dass diese Maßgabe schwer zu kontrollieren ist.
Wir brauchen mehr Forschung, um relevante Alternativen zum Glyphosateinsatz zu finden und weiterzuentwickeln, die zum einen denselben Effekt haben und die
Produktion nicht hemmen, zum anderen aber nicht gefährlich für Menschen, Tiere und Umwelt sind. Es ist
uns wenig geholfen, wenn wir in Deutschland sofort den
Einsatz verbieten
({2})
und dann aufgrund von Ernteausfällen, die womöglich
eintreten, Getreide importiert wird, von dem wir auch
nicht wissen, ob es belastet ist.
({3})
Auch andere Länder, wie zum Beispiel die Schweiz
- vorhin wurde auch Frankreich genannt -, arbeiten bereits an einer entsprechenden Gesetzgebung.
({4})
Immer mehr Länder nehmen die Gefahr der Verwendung
ernst. Obwohl ein vollkommenes Verbot mehr Zeit in
Anspruch nehmen wird, als wir heute haben, scheint mir
doch ein Verbot des Verkaufs zum privaten Gebrauch eigentlich sehr realistisch. Dieses Ziel müssen wir uns vornehmen.
({5})
Denn ich kann zwar nicht vom Bauern verlangen, dass er
jedes Unkraut auszupft; aber von einem Hobbygärtner
kann ich sehr wohl verlangen, dass er seine Unkräuter
noch mit der Hand auszupft und nicht die Giftspritze benutzt.
Herzlichen Dank.
({6})
Vielen herzlichen Dank, liebe Kollegin Hagl-Kehl. Nächster Redner in der Debatte: Arthur Auernhammer
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Tagesordnungspunkt 34“ steht hier, und darunter: „Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat“.
({0})
Man könnte meinen, man sei in einer militärischen Debatte.
({1})
Diese Überschrift passt wieder ideal in das große politische Leitbild der Grünen, nämlich die deutsche Landwirtschaft zu stigmatisieren, wie es ständig in diesem
Hause geschieht.
({2})
- Ich bitte die Saaldiener, den Grünen Baldriantropfen
vorbeizubringen; denn die sind heute etwas sehr aufgedreht.
Haben Sie eine Ahnung, wie das ist, wenn die wirklich aufgedreht sind?
({0})
Dann möchte ich Sie nicht im Rücken haben, Frau
Präsidentin.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
bundeseigene Institutionen - BfR und UBA, Umweltbundesamt -, wo gut bezahlte Wissenschaftler sitzen, die
sich mit dem Thema Glyphosat befassen. Wir sollten
doch in dieser Diskussion auf die Wissenschaftler vertrauen und nicht auf kurzfristige Polemik abfahren.
({1})
Wir haben bereits im Jahr 2014 gehandelt; das ist angesprochen worden. Die sogenannte Sikkation wurde
verboten. Das Mähdreschermanagement, das teilweise
großflächig angewandt wurde, ist nicht mehr erlaubt. Es
ist sehr eingeschränkt, und es war gut so, dies zu machen.
Wir diskutieren hier oft über den Schaden durch
Pflanzenschutzmittel. Ich war als Landwirt heilfroh, als
- ich nenne das Kind jetzt einmal beim Namen Roundup auf den Markt kam und wir zur Bekämpfung
der sogenannten Gemeinen Quecke - sie ist wirklich gemein; zuvor hatten wir zu ihrer Bekämpfung nur Bodenbearbeitungsgeräte - endlich ein effektives Mittel hatten.
Durch die mechanische Bodenbearbeitung hatte ich mir
wie viele andere Landwirte schon Bandscheibenschäden
zugezogen, und deshalb waren wir alle froh, als dieses
Präparat auf den Markt kam. Wir wollen alles dafür tun,
dass wir es auch weiterhin nutzen können.
({2})
Wenn wir von heute an landauf, landab auf Glyphosat
verzichten würden, wäre Europa - das ist bereits angesprochen worden - zum Beispiel nicht mehr in der Lage,
Weizen zu exportieren, sondern müsste, um die eigene
Ernährung sicherzustellen, Weizen importieren.
({3})
Wissenschaftler haben bereits Berechnungen dazu angestellt und sind zu entsprechenden Erkenntnissen gekommen. Wir haben aber die Verantwortung - das will ich
hier ebenfalls sagen -, einen Beitrag zur Welternährung
zu leisten.
In diesem Zusammenhang wird immer wieder auch
über die Kleingärtner und die Baumärkte gesprochen. Es
wird gefordert, jeder Baumarkt müsse dieses Präparat
sofort aus seinem Sortiment nehmen. Ja, sollen es die
Baumärkte herausnehmen. Aber man muss bedenken:
Gemessen an der Gesamtmenge an eingesetztem Glyphosat liegt der Anteil bei den in Baumärkten vertriebenen Produkten bei vielleicht 1 Prozent. Natürlich stellt
sich auch mir die Frage, ob eine Verbraucherin oder ein
Verbraucher das in einem Baumarkt gekaufte Glyphosat
auch richtig einsetzt. Die Landwirtschaft verfügt über
Sachkundenachweise, über Ausbildung, über eine geprüfte, kontrollierte Technik. In einem Baumarkt öffnet
sich einem ein Glasschrank, und jeder kann das angebotene Präparat erwerben. In welcher Konzentration er das
auf das Pflaster ausbringt, ist dann die Frage.
({4})
- Herr Kollege Ebner, nicht alle Menschen machen das,
was man darf. So weit sind wir noch nicht.
({5})
Es lebt nicht jeder wie Sie in einer Gutmenschenwelt.
Meine Damen und Herren, das Thema „Glyphosat in
Verbindung mit GVO-Anbau“ ist bereits angesprochen
worden, Stichwort: Roundup und Co. Wir haben gerade
durch den GVO-Anbau die eine oder andere Resistenz in
Nord- und in Südamerika festgestellt. Ich habe das Beispiel Atrazin vor Augen: Atrazin war ein gutes Produkt
zur Unkrautbekämpfung beim Maisanbau.
({6})
Am Anfang betrug die Aufwandmenge pro Hektar
1,5 Kilogramm. Dann kamen die ersten Resistenzen, und
man hat die Aufwandmenge erhöht, woraufhin Atrazin
im Grundwasser nachgewiesen wurde. Bei der Frage, ob
etwas giftig ist, ist immer die Dosis entscheidend. Gerade beim GVO-Anbau ist es wichtig, genau hinzuschauen, inwieweit höhere Aufwandmengen genutzt
werden, um die Resistenzen zu bekämpfen.
Eines muss ich noch sagen: Warten wir doch erst einmal ab, was uns die Wissenschaftler im im Juli erscheinenden WHO-Bericht sagen. Dann können wir in diesem Hause entscheiden und eine gute und vernünftige
Lösung für die deutsche Landwirtschaft und für die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher finden.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege Auernhammer. - Dann
kommen wir zur letzten Rednerin in dieser Debatte und
wahrscheinlich auch des heutigen Tages. Das ist Frau
Elvira Drobinski-Weiß für die SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz
zum Kollegen Auernhammer bin ich der Meinung, dass
eine Landwirtschaft ohne Glyphosat möglich ist.
({0})
Ganz sicher bedeutet ein Verzicht darauf weder den Untergang der deutschen Getreide- und Zuckerrübenproduktion noch das Ende des unkrautfreien Kleingartens.
Die Internationale Agentur für Krebsforschung - sie
ist heute schon mehrfach genannt worden - hat Glyphosat
als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft; Hinweise
darauf existieren schon seit langem. Die Rückstände dieses Pflanzenschutzmittels finden sich in Brötchen, Mehl
und im menschlichen Urin.
Im Gegensatz zur Internationalen Krebsforschungsagentur halten das Bundesinstitut für Risikobewertung
und die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde
Glyphosat bisher für unbedenklich; das ist hier schon angeklungen. Angeblich fehlen die wissenschaftlichen Belege für die gesundheitlichen Risiken. Beide Behörden
müssen jedoch endlich die gesamte Studienlage in ihre
Bewertung einbeziehen. Es ist den Verbraucherinnen
und Verbrauchern, die im Übrigen zu Tausenden für ein
Verbot von Glyphosat demonstrieren, schwer zu vermitteln, dass die kritischen, unabhängigen Studien wegen
formaler Ausschlusskriterien nicht in die Bewertung einfließen, während die industriefinanzierten Studien einbezogen werden, im Übrigen oft, ohne dass sie öffentlich
zugänglich sind. Die formalen Kriterien, die die Behörden ansetzen, sind von vielen unabhängigen Universitätsinstituten jedoch kaum einzuhalten, und sie sind
gleichzeitig auch kein Garant für die Qualität oder Aussagekraft der Studien.
({1})
Mir erscheint diese Praxis außerordentlich problematisch.
Wir haben die Aufgabe, die Gesundheit und Unversehrtheit von Menschen und die Umwelt zu schützen.
({2})
In Sachen Glyphosat nichts zu unternehmen, wird dieser
Aufgabe jedoch nicht gerecht.
({3})
Ja, der Einsatz kurz vor der Ernte, um die Reife zu
beschleunigen, ist inzwischen eingeschränkt. Ja, die
Anwendungsbestimmungen sind im letzten Jahr noch
einmal konkretisiert worden. Aber dennoch landen Tausende Tonnen Glyphosat auf Pflanzen, Spielplätzen, öffentlichen Anlagen und eben auch in privaten Gärten;
das ist schon mehrfach genannt worden.
Die Handelskette Rewe hat sich inzwischen dazu entschieden, keine Produkte mit Glyphosat mehr zu verkaufen. Man will stattdessen umweltverträglichere Alternativen anbieten. Das ist sehr begrüßenswert. Ich hoffe,
dass andere Unternehmen folgen.
Das entbindet uns aber selbstverständlich nicht von
der Pflicht, bald zu entscheiden, wie wir mit den Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation und dem
breiten gesellschaftlichen Protest gegen Glyphosat umgehen. Dazu haben wir in dieser Woche eine Anhörung
im Bundestag beschlossen. Das ist auch gut so. Auch
wollen wir die vollständige Auswertung der Stellungnahme der Internationalen Krebsforschungsagentur abwarten; darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden.
Aber eines ist jetzt schon klar: Das Vorsorgeprinzip
wird uns gebieten, den Einsatz deutlich zu beschränken.
Für uns bedeutet das auf jeden Fall: Glyphosat sollte in
Baumärkten für den privaten Gebrauch nicht mehr frei
erhältlich sein. Dafür werden wir uns einsetzen. Und
- ich sage es noch einmal -: Auch eine Landwirtschaft
ohne Glyphosat ist zweifellos möglich.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Drobinski-Weiß. - Damit
schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5101 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel
einschränken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5087, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1873 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die
Beschlussempfehlung angenommen. Die Große Koalition - CDU/CSU und SPD - hat zugestimmt. Dagegen
waren Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 1. Juli 2015, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen, auch Ihnen auf den Tribünen, ein
schönes Wochenende und noch viel Spaß in Berlin.
Die Sitzung ist geschlossen.