Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
zu unserer Plenarsitzung.
Bevor wir in die Regierungsbefragung eintreten, habe
ich Ihnen noch Folgendes mitzuteilen: Interfraktionell ist
vereinbart worden, die Unterrichtung der Bundesregierung auf Drucksache 18/2150 zum Zwanzigsten Hauptgutachten der Monopolkommission an den mitberatenden Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit zu überweisen. - Trotz allgemeiner
Verblüffung stelle ich dazu jedenfalls keinen erkennbaren Widerstand fest. Dann haben wir diese Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Erneuerbare-EnergienGesetzes
Drucksache 18/4891
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Eine Aussprache ist heute nicht vorgesehen. Daher
können wir gleich die Überweisung beschließen.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/4891 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch
hierzu sehe ich keine anderen Vorschläge, also ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Agrarpolitischer Bericht 2015
der Bundesregierung.
Hierzu erteile ich für den einleitenden fünfminütigen
Bericht dem Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt, das Wort.
Ich bitte, einer inzwischen guten Übung folgend, mir
Hinweise zu geben, ob und, wenn ja, welche Kollegen
später gegebenenfalls auch zu anderen Themen das Wort
wünschen. Wenn die Geschäftsführer dies einmal vorsortieren, erleichtert das die Aufrufung der entsprechenden Kollegen.
Herr Minister, bitte schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
darf aus der heutigen Sitzung des Bundeskabinetts mit
dem Schwerpunktthema „Agrarpolitischer Bericht
2015“ berichten.
Nach dem Landwirtschaftsgesetz ist die Bundesregierung gehalten, im vierjährigen Turnus einen agrarpolitischen Bericht vorzulegen. Wir haben diesen Entwurf für
2015 heute beschlossen. Er umfasst den Berichtszeitraum von 2010 bis 2014.
Agrarpolitik steht im gesellschaftlichen Fokus. Wir
verlangen viel von den Landwirten. Sie leisten viel, und
sie verdienen unsere Aufmerksamkeit. Die Agrar- und
Ernährungspolitik muss heute sowohl die Anforderungen der Verbraucherinnen und Verbraucher und des Umweltschutzes als auch die ökonomischen Interessen des
Sektors im Blick haben. Der Agrarbericht greift dieses
Spannungsfeld auf und dokumentiert sowohl bereits Erreichtes als auch weiteren Handlungsbedarf. Er präsentiert die agrarpolitischen Weichenstellungen und Ziele
der Bundesregierung und informiert über die gegenwärtige Lage der Landwirtschaft im Rückblick der genannten Jahre.
Der politische und gesellschaftliche Konsens, die
Landwirtschaft als elementaren Teil unserer ökonomischen, sozialen, ökologischen und kulturellen Gesellschaftsstruktur anzuerkennen, ist in Teilen brüchig geworden. Das ist leider ebenso festzustellen wie eine
nicht gerechtfertigte Entfremdung von Teilen der Bür9976
gergesellschaft und der Politik von den Bäuerinnen und
Bauern. Deswegen ist unser Ziel, einen Dialog einzuleiten und die Einbettung der Landwirtschaft in die Mitte
der Gesellschaft zu unterstützen und zu fördern. Das gelingt mit praktikablen Lösungen und überlegtem, schrittweisem Vorgehen besser als mit Schuldzuweisungen
oder Abwendung.
Einen Schwerpunkt legt der Bericht im Einklang mit
dem Koalitionsvertrag auf die ländlichen Räume und
ihre Stärkung. Die Förderung der ländlichen Räume
wird neu ausgerichtet, hin zu einer umfassenden ländlichen Entwicklung. Dementsprechend wird die Schaffung der Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung“ als Zielvorgabe genannt. Grundlage hierfür ist die
Koalitionsvereinbarung, die eine Weiterentwicklung der
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ vorsieht.
Mit der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union wurde die Basis dafür geschaffen, die
Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Ernährungswirtschaft zu erhalten. Gleichzeitig wurden mit der stärkeren
Umweltorientierung wichtige Weichen gestellt.
Nun geht es mir darum, unsere Bauern zu entlasten,
wenn möglich, auch durch Vereinfachungen im Bereich
der GAP. Die konsequente Marktorientierung der Landund Ernährungswirtschaft hat sich bewährt. Für diesen
Kurs steht sowohl das Ende der Milchquotenregelung in
diesem Jahr als auch das bereits beschlossene Auslaufen
der Zuckermarktordnung zum 30. September 2017.
Flankiert wird die Marktausrichtung von Direktzahlungen und im Bereich der Milchwirtschaft zusätzlich durch
das Sicherheitsnetz der gemeinsamen Marktorganisation.
Der Agrarexport entwickelt sich positiv. Jeden vierten
Euro erlöst die deutsche Landwirtschaft inzwischen im
Export, die deutsche Ernährungswirtschaft sogar jeden
dritten Euro, und das ohne Exportsubventionen. Diese
haben wir grundsätzlich abgeschafft; die Bundesregierung möchte sie auch in der Europäischen Union nicht
wieder eingeführt sehen.
Das Schützen und das Nutzen unserer natürlichen
Ressourcen sind zwei Seiten einer Medaille. Der Agrarbericht betont die Bedeutung eines verantwortungsvollen Umgangs mit Tieren und Umwelt. Meine Initiative
„Eine Frage der Haltung - Neue Wege für mehr Tierwohl“ soll eine messbare Verbesserung des Tierwohls
erreichen. Sie wird durchaus auch an den Kundenwünschen orientiert; Tierschutz ist als Wettbewerbsvorteil zu
sehen. Die Branche hat diese Erkenntnis bereits in der
gesamten Wertschöpfungskette aufgenommen.
Pflanzenschutz- und Düngerecht sind die Kernfragen
der nachhaltigen Pflanzenerzeugung. Der Flächenanteil
des ökologischen Landbaus soll zukünftig deutlich größer werden, damit deutsche Erzeuger von der steigenden
Inlandsnachfrage nach Bioprodukten, die sich seit dem
Jahr 2000 vervierfacht hat, noch besser profitieren können. Mein Haus erarbeitet dazu die Zukunftsstrategie
Ökologischer Landbau.
Wichtige Basis ist eine gut aufgestellte, innovative
Agrarforschung, die praxisorientierte Kenntnisse liefert.
Das ist allerdings auch der Punkt, an dem die Strukturen
innerhalb des Ressorts noch verbessert werden müssen.
Darüber hinaus darf festgehalten werden, dass das Ziel,
ein Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen
umzusetzen, feststeht.
Von der Lage der Landwirtschaft zeichnet der Bericht
ein differenziertes Bild. 285 000 landwirtschaftliche Betriebe gibt es in Deutschland, fast möchte ich sagen:
noch; denn die Zahl war früher größer.
Herr Minister, die können Sie jetzt nicht alle aufzählen, weil Sie schon mehr als fünf Minuten geredet haben.
Ich habe es befürchtet, Herr Präsident. Aber ich hätte
noch so viel Gutes und Wichtiges zu sagen.
({0})
Möglicherweise geben Ihnen die vielen bereits angemeldeten Nachfragen der Kollegen die Gelegenheit, den
einen oder anderen Sachverhalt darzustellen. - Ich
wollte Ihnen jetzt aber nicht einen letzten Satz vorenthalten. Wenn es eine ganz zentrale, motivierende Botschaft
gibt, sollte die dem Protokoll natürlich nicht vorenthalten werden.
Das ist aber sehr nett. - Die Bruttowertschöpfung im
Bereich der Ernährungs- und Landwirtschaft beträgt
161 Milliarden Euro; das entspricht einem Anteil an der
gesamten Wertschöpfung von 6 Prozent. Allein diese
Zahl zeigt, dass dies ein wichtiger Bereich ist. Das
durchschnittliche Einkommen hat sich in den letzten
Jahren an das außerlandwirtschaftliche Einkommen angenähert; laut Prognose wird das durchschnittliche Einkommen im nächsten Jahr allerdings wieder sinken. Man
sieht: Es besteht struktureller Unterstützungs- und Handlungsbedarf.
Vielen Dank. - Frau Kollegin Tackmann.
Vielen Dank, Herr Minister. - Wir hatten vorhin im
Ausschuss Gelegenheit, das eine oder andere Thema zu
erörtern. Leider konnten wir den Agrarpolitischen Bericht noch nicht lesen, weil er uns erst wenige Stunden
vorliegt.
Sie haben im Ausschuss sehr ausführlich darauf hingewiesen, dass das Thema „Boden“ eine entscheidende
Rolle spielt. Wenn wir gerade regionale Landwirtschaft,
also ortsansässige Betriebe stärken wollen, dann ist es
besonders wichtig, ihnen die Produktionsgrundlage BoDr. Kirsten Tackmann
den nicht zu entziehen bzw. finanzierbar zu machen. Sie
haben dargelegt, dass es eine sehr starke Preisentwicklung gegeben hat und dass viele Pacht- und Bodenpreise
durch landwirtschaftliche Arbeit allein nicht mehr bezahlbar sind. Es wird über verschiedene Vorschläge, wie
man das ändern kann, diskutiert. Aber weder im Leitbild
noch in den politischen Zielen äußern Sie sich dazu.
Deshalb möchte ich Ihnen jetzt die Gelegenheit geben,
auszuführen, was die Bundesregierung gedenkt zu tun,
damit sich diese Situation ändert.
Vielen Dank, Frau Kollegin Tackmann. - Die Beschreibung des Problems finden Sie in den Anlagen des
Agrarberichts. Ich will Ihnen die wichtigsten Punkte
kurz nennen. Die Bodenpreise sowohl für Erwerb als
auch für Pacht sind dramatisch gestiegen, und zwar in
den neuen Bundesländern und in den alten Bundesländern. Wir werden die Vergabestruktur in Bezug auf die
in Bundeseigentum befindlichen Flächen, die landwirtschaftlich genutzt werden - das sind im Wesentlichen
die BVVG-Flächen - anpassen müssen, um gerade jene
zu unterstützen, die neu investieren wollen bzw. die ihren Bereich nach dem Kriterium Regionalität selbst bewirtschaften wollen. Wir werden das im Rahmen dessen,
was das Verfassungsrecht uns erlaubt, auch tun. Die
Bund-Länder-Kommission hat dazu einen entsprechenden Bericht vorgelegt, der eine Reihe von Ansätzen beinhaltet, die ich jetzt im Einzelnen nicht aufzählen kann.
Das geht tatsächlich nicht? - Gut. Dann stellt die
nächste Frage der Kollege Brase.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, wir haben im Bericht gelesen, dass es bei der Abstimmung
zwischen den Ressorts bezüglich der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ und der Reform gewisse Verzögerungen gibt.
Rechnen Sie damit, dass wir noch in dieser Amtsperiode
eine Grundgesetzänderung beschließen werden? Wir haben schon ein bisschen Zeit verloren, und es dauert eine
Zeit, wenn man hier im Bundestag eine Grundgesetzänderung beschließen will. Außerdem muss auch der
Bundesrat zustimmen.
Lieber Kollege Brase, wir haben eine nicht ganz orthodoxe Herangehensweise. Ich kann mich glücklich
schätzen - ich vermute, dass wird gegenwärtig in der
Sitzung des Haushaltsausschusses beschlossen -, dass
dieses Hohe Haus den Vorschlag der Bundesregierung in
Bezug auf einen Nachtragshaushalt mitträgt. Damit kann
mehr Geld für diese Gemeinschaftsaufgabe zur Verfügung gestellt werden, ohne formal den Aufgabenbereich
zu erweitern.
Wir prüfen derzeit, welche Schritte notwendig sind,
um diese Aufgabenerweiterung, die konzertiert ist, umzusetzen. Dies geht bis hin zu der Frage, ob das im Rahmen des bestehenden Rechts der Gemeinschaftsaufgaben möglich ist oder ob man dafür die Rechtsgrundlage
- das hieße in diesem Fall: das Grundgesetz - ändern
muss. Einen Punkt haben wir in Zusammenhang mit Artikel 91 a Grundgesetz in dieser Legislaturperiode bereits relativ schnell erledigt. Wir prüfen also, und ich bin
optimistisch, dass wir das noch in dieser Legislaturperiode schaffen.
Kollege Ostendorff.
Herr Minister, der Agrarpolitische Bericht beginnt
dieses Mal mit einem achtzeiligen Leitbild. Das ist neu.
Dieses Leitbild gibt aber keine Antwort auf die Fragen
der Betriebe, für die in diesem Jahr eine sehr schwierige
Lage vorausgeschätzt wird.
Die sehr positive Entwicklung der letzten beiden
Jahre wird dieses Jahr jäh beendet, und es geht in einen
strammen Sinkflug. Was sind denn nun außer dem, was
wir seit 2011 immer hören, dass nämlich der Export es
richten muss, die konkreten Antworten darauf? Die Exportdaten geben das ja nicht her. Diese Fragen werden
von Ihnen zu beantworten sein: Was kann man heute den
Betrieben sagen, die mit ständig sinkenden Einkommen
zu kämpfen haben? Wo ist die Hoffnung in diesem
Agrarbericht? Worin drückt sie sich aus?
Sie sagen, der Dialog mit der Gesellschaft müsse geführt werden. Hier bleibt natürlich die Frage: Wie denn?
Was sind die Angebote? Sie schreiben, wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Was sind denn die verlässlichen Rahmenbedingungen für diejenigen, deren
Einkommen jetzt sinken? Was wollen Sie der Gesellschaft anbieten? Wie will man miteinander ins Gespräch
kommen?
Hier ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess notwendig. Es muss Diskussionen geben, nicht nur seitens der
Bundesregierung, sondern auch solche, die durch die
Bundesregierung angestoßen und gefördert werden - sowohl innerhalb unserer politischen Strukturen, auch des
Parlaments, als auch gerade in der Zivilgesellschaft. Hier
setze ich auch durch eine entsprechende Förderung des
Dialogs darauf, mit verschiedenen Gruppen ins Gespräch zu kommen und Themen konkret zu erörtern.
Dazu wird auch die Dialogreihe „Gut leben in Deutschland“ einen wichtigen Beitrag leisten, mit der die Bundesregierung in diesem Jahr beginnt.
Zu den Preisen. Es bleibt in der Tat bei der mittelfristigen Erwartung, dass die Preise durch die Nachfrage
- auch im Exportbereich - wieder steigen. Wir sind gegenwärtig in einer volatilen Phase und werden nicht mit
Mitteln der Marktregulierung, die bisher leider versagt
haben, tätig werden, sondern mit Vorschlägen zur strukturellen Unterstützung und Entlastung der Landwirtschaft für die Bereiche aufwarten, in denen sie bürokratisch und sonst wie besonders stark belastet ist.
Frau Möhring.
Herr Bundesminister, meine Frage schließt an die
vorhergehende vom Kollegen Ostendorff an. - Sie haben
ja auch selber angedeutet, dass damit zu rechnen ist, dass
es beim Milchpreis deutliche Schwankungen nach unten
geben wird. Meine Frage ist, wie Sie als Bundesregierung die zukünftige Entwicklung und die Auswirkungen
auf die Milcherzeugerinnen und Milcherzeuger konkret
bewerten.
Wenn man sich die bisherigen Schwankungen in den
letzten Jahren anschaut, dann sieht man, dass der Milchpreis zur Zeit der Milchkrise bei 22 Cent lag und sich
nach einer Erholung auf 42 Cent erhöhte. Mit einem sinkenden Milchpreis wird der Druck auf die Erzeugerinnen und Erzeuger extrem steigen. Die Frage, die sich daran anschließt, lautet: Was beabsichtigen Sie, wirklich
konkret zu tun, damit es auch weiterhin eine regionale
Milchproduktion geben kann?
Vielen Dank. - Die Struktur des Milchmarktes in unserem Lande - von der Produktion über die Molkereien
bis zur abnehmenden Hand - ist weitaus besser als vor
30 Jahren. Wir werden nicht zu einer Milchquotenregelung zurückgehen, die gerade das, was Sie beschrieben
haben, nämlich den Einbruch des Milchpreises auf
22 Cent, nicht verhindern konnte.
Krisenreaktion und Sicherheitsnetz sind hier wichtige
Stichworte. In diesem Jahr werden viele Betriebe wirtschaftlich darunter leiden, dass sie die Superabgabe zur
Vermeidung einer Überproduktion im letzten Quotenjahr
bezahlen müssen. Für diejenigen, die investiert haben
und damit vielleicht auch hohe Erwartungen verbunden
haben, bieten wir mit einem Programm der Landwirtschaftlichen Rentenbank eine Überbrückung an. Mittelfristig gehen wir mit der EU-Kommission davon aus,
dass der Milchpreis nach oben geht. Eine Zielmarge von
35 Cent in den nächsten Jahren ist angesetzt.
Kollege Westermayer.
Herr Bundesminister, ich habe zwei Fragen zum Mindestlohn, der seit Anfang des Jahres gilt. Hat er sich bewährt, und wo genau sehen Sie Änderungsbedarf?
Eine weitere Frage betrifft den Russlandexportboykott für Agrarprodukte. Wie groß ist der Schaden für
deutsche Bauern?
Zur ersten Frage: Nachdem der Deutsche Bundestag
das Mindestlohngesetz beschlossen hat, sind wir gegenwärtig in der Phase der Sammlung von Erfahrungen und
Informationen über die Auswirkungen des Gesetzes. Sie
haben sicherlich registriert, dass die Europäische Kommission in einigen Bereichen Gesprächsbedarf mit der
Bundesregierung sieht. Dem wird selbstverständlich
nachgekommen.
Wir sehen, dass es im Bereich der geringfügig Beschäftigten und Saisonarbeitskräfte durchaus Veränderungen gibt. Die Minijob-Zentrale berichtet von dem
Verlust von circa 250 000 Minijobs. Ob und wie sich das
weiterentwickelt, wird sich zeigen. Die Bundesregierung
ist im Gespräch und im Dialog und wird ausgehend von
der Mindestlohnregelung, die gesetzlich beschlossen ist
und bei der es auch bleibt, mögliche Fragen in diese
Richtung besprechen und klären.
Nicole Maisch.
Herr Minister, wir haben den Bericht zwar sehr kurzfristig bekommen, aber das Kapitel zu den Nutztieren ist
recht kurz, sodass man es noch lesen konnte. Deshalb
frage ich Sie, warum das Gutachten Ihres Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik zum Thema „Wege einer
gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ keinen
Eingang in Ihren Bericht gefunden hat. In diesem Gutachten werden erhebliche Defizite vor allem im Bereich
Tierschutz konstatiert. Es wird gesagt, dass ein Großteil
der Nutztiere in diesem Land unter nicht zukunftsfähigen Haltungsbedingungen leben muss. Welche Schlüsse
ziehen Sie aus diesem vernichtenden Urteil Ihres eigenen Sachverständigenrates zum Thema Tierhaltung?
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Gestatten Sie mir noch
einen Satz zu der vorherigen Frage: Das russische Embargo hat zu einem Verlust von 600 Millionen Euro für
die deutsche Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie geführt.
Zu Ihrer Frage: Es ist kein vernichtendes Urteil, sondern ein wissenschaftlicher Text, der sehr viele Aspekte
beinhaltet, und ich empfehle, ihn nicht nur in der komprimierten Kurzfassung, sondern als Gesamtlektüre zu
lesen. Es ist das zweite wissenschaftliche Gutachten dieses Beirats im Berichtszeitraum. Wir haben beide nicht
aufgenommen, weil ich keine ohnehin publizierten Berichte wiedergeben möchte.
Sie erwarten zu Recht, dass ich politische Schlussfolgerungen ziehe, was ich im Rahmen des Tierschutzberichtes auch tun werde. Ich bin durchaus der Ansicht,
dass Wissenschaft gut und interessant ist, aber nicht immer zielstrebig eins zu eins in politische Maßnahmen
umgesetzt werden muss.
({0})
Dieter Stier.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, unsere
landwirtschaftlichen Betriebe produzieren zweifelsohne
Nahrungsmittel und landwirtschaftliche Erzeugnisse auf
einem hohen Niveau. Allerdings erzählen mir auch die
Landwirte in meinem Heimatbundesland, dass sie nach
der GAP-Reform mehr am Schreibtisch sitzen als Zeit
für ihre Tiere und Felder zu haben. Was tut die Bundesregierung, um die bürokratischen Belastungen unserer
Betriebe entsprechend zu vermindern oder weiter abzubauen?
Die Bundesregierung sieht und erkennt, dass das Volumen der dem Minister vorgelegten Mappe auch einen
Mehrfachantrag beinhalten könnte, und hat deswegen
Verständnis für die Klagen der Landwirte über den zunehmenden bürokratischen Aufwand.
({0})
Sie versucht, diesen bürokratischen Aufwand auf ein
vernünftiges Maß zu reduzieren. Das wird nur gelingen,
wenn die Europäische Kommission bereit ist, entsprechende Schritte mitzugehen. Erfreulicherweise hat die
Kommission unter Präsident Juncker entsprechende
Schritte eingeleitet. Ich bin mit dem zuständigen Kommissar Hogan bereits in intensiven Gesprächen darüber.
Bei den Ratssitzungen in der nächsten Zeit werden wir
diese Schritte konkretisieren - mit dem Ziel, die Landwirte in bürokratischer Hinsicht zu entlasten.
Kollege Ebner.
Herr Minister, Ihr Bericht enthält ein sehr kurzes Kapitel zur Agrogentechnik, in dem es unter anderem um
Opt-outs geht. Ich möchte Sie bitten, da Sie dazu nichts
geschrieben haben, hier Ihre Beweggründe zu erklären.
Wie begründen Sie Ihre Haltung zu dem Vorschlag von
Kommissionspräsident Juncker zu den Opt-outs bei Importzulassungen für gentechnisch veränderte Pflanzen?
Ein zweiter Punkt: Sie haben gesagt, dass es in der
EU auf absehbare Zeit keine Möglichkeit gebe, die
Kennzeichnungslücke hinsichtlich tierischer Produkte
- Milch, Fleisch, Eier - von Tieren, die mit gentechnisch
veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, zu schließen.
Meine Frage dazu lautet: Haben Sie sich damit vom Inhalt des Koalitionsvertrages verabschiedet?
({0})
Das kann sich kein Mensch vorstellen.
({0})
Herr Präsident, kann ich außerhalb der Zeitberechnung eine Verständnisfrage an den Kollegen stellen?
Ja, das ist ja auch ein ungeheuerlicher Verdacht.
Ich möchte ihn bitten, zu bestätigen, ob meine Vermutung richtig ist: Meinen Sie, lieber Herr Kollege, den
Opt-out-Vorschlag für Importprodukte - so sagten Sie
das -, also nicht für Anbau? Ich frage, um richtig antworten zu können.
Genau. Den meinte ich jetzt.
Jetzt läuft die Zeit.
Herzlichen Dank. - Zur ersten Frage: Ich sehe diesen
leicht überraschenden Vorschlag der Kommission, gentechnisch veränderte Organismen auch im Nutzungsbereich nicht einzusetzen, sehr skeptisch. Ich muss das mit
Blick auf die Veredelungswirtschaft auch sein. Das
würde die Hälfte der Veredelungswirtschaft - ich sage es
einmal mit einem politischen Fachbegriff - außer Funktion setzen; denn mit importierten Futtermitteln, die gentechnisch verändert sind, wird die Ernährung der Tiere
insbesondere hinsichtlich der Versorgung mit Eiweiß zu
einem Großteil bestritten.
Zur zweiten Frage: Ich bin durchaus der Meinung,
dass wir mit einer praktikablen Kennzeichnung im Gentechnikbereich dem Auftrag des Koalitionsvertrages und
einem Beschluss des Deutschen Bundestages nachkommen. Wir müssen in Deutschland und in Europa auf diesem Gebiet weiter kämpfen und arbeiten, und das tue
ich.
({0})
- Für mich sind die Beschlüsse des Deutschen Bundestages sogar noch wichtiger, und darin steht: eine praktikable Kennzeichnung.
Ich habe jetzt noch neun weitere Nachfragen zu dem
vorgetragenen Bericht. Damit würde ich es gerne bewenden lassen, weil ich sonst keine Möglichkeit sehe, dass
weitere Fragen, die angemeldet sind, im Rahmen der Regierungsbefragung gestellt werden können. Darf ich
dazu Einvernehmen feststellen? - Das ist der Fall.
Als Nächste fragt die Kollegin Binder. Weiter habe
ich notiert die Kollegen Priesmeier, Ostendorff, Maisch,
Kekeritz, Connemann, Beermann, Stauche - wenn auch
in gemischter Reihenfolge. Ich glaube, das bekommen
wir hin. - Bitte schön, Frau Binder.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Da es sich bei dem
vorliegenden Bericht nicht nur um einen agrarpoliti9980
schen Bericht, sondern auch um einen ernährungspolitischen Bericht handeln sollte, möchte ich gerne eine
Frage zum Schulobstprogramm stellen, das insbesondere
im letzten Jahr infolge der Ukraine-Krise und des Embargos durch Russland einen gewissen Aufschwung erfahren hat. Ich wüsste gerne, welche positiven Meldungen es diesbezüglich zu berichten gibt? Wie viel mehr
Schulen, wie viel mehr Schülerinnen und Schüler haben
von diesem Zuwachs profitiert? Wäre es unter diesen
Umständen nicht eine Überlegung wert, bei diesem Programm noch einmal etwas draufzulegen? Der Bericht
müsste doch eigentlich auf einen Mehrbedarf bei diesem
Programm hinweisen.
Frau Kollegin Binder, herzlichen Dank für diese Hinweise. Ich will vorneweg sagen: Der Agrarbericht umfasst in der Tat ausführlich die Punkte Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau. Nun zu Ihrer Frage
nach dem Schulobstprogramm. Gegenwärtig beteiligen
sich zehn Bundesländer an diesem Programm. Es sind
unterschiedliche Formen in der Kofinanzierung gegeben, und zwar sowohl beim Schulobstprogramm wie
beim Schulmilchprogramm, die wir zusammenführen.
Ich bin fest der Ansicht, dass wir dieses Programm im
Sinne einer guten Schulernährung ausbauen und fördern
sollten.
Ich darf der Vollständigkeit halber darauf hinweisen,
dass mich Geräusche aus Brüssel, aus den Gängen der
Kommission, etwas irritieren. Es ist zu vernehmen, dass
über die Fortsetzung des Schulobstprogramms noch diskutiert wird. Wir - die Bundesregierung und ich - werden uns für die Fortsetzung des Schulobstprogramms
einsetzen und dafür sorgen, dass es finanziell besser ausgestattet wird.
Frau Connemann.
Herr Minister, vielen Dank. - Der agrarpolitische Bericht dient ja nicht nur einer Bestandsaufnahme der Situation in der Landwirtschaft, sondern behandelt auch
die Frage der Weiterentwicklung. Darüber wird hier im
Parlament wie auch in der Gesellschaft hinlänglich gestritten. Es gibt durchaus die Forderungen nach einer
Agrarwende. Brauchen wir eine Agrarwende, und wie
sind an dieser Stelle die agrarstrukturpolitischen Leitlinien Ihres Hauses?
Frau Kollegin Connemann, wir brauchen keine
Agrarwende, vielmehr müssen wir auf der Grundlage
der Situationen, der Fragestellungen, die sich in der Gesellschaft, in der Ökonomie, in der Ökologie ergeben,
aus der Mitte der Gesellschaft heraus und in die Mitte
der Gesellschaft hinein Lösungen finden. Die Kollisionsbereiche sind natürlich größer geworden, wenn ich
etwa den Vergleich mit der Situation von vor etwa
50 Jahren ziehe.
Dessen ist sich die Landwirtschaft aber auch bewusst.
Wir müssen Veränderungen da, wo sie notwendig sind,
anstoßen, unterstützen und fördern. Am liebsten sind mir
die Entscheidungen und Entwicklungen, die freiwillig
kommen, weil ich nicht der Ansicht bin, dass mit einer
regulierten - ich darf Ihr Wort aufnehmen - Wende
wirklich das Ziel, nämlich eine Landwirtschaft, die die
genannten Punkte beachtet und auf dieser Basis ökonomisch erfolgreich ist, erreicht wird. Das heißt für mich,
dass wir daran nicht nur in Deutschland, sondern auch
europäisch arbeiten müssen. Ich bin bereit, wenn ich es
in die Antwort auf die nächste Frage einbringen darf,
Herr Präsident, noch einen Satz dazu zu sagen, wie ich
mir das vorstelle.
({0})
Wobei Sie für die nächste Antwort natürlich keine
Zeitgutschrift haben, nicht wahr? - Herr Kollege
Priesmeier.
Herr Minister, wir haben seit 2011 eine hervorragende
Entwicklung des gesamten Sektors gesehen, mit steigenden Einkommen und einer relativ großen Zunahme der
Wettbewerbsfähigkeit. Das sieht man an den Exporten.
Wir sind auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig. Wir haben natürlich immer die großen Agrarreformen auf der
europäischen Ebene vor Augen. Nach der Reform ist immer vor der Reform.
Wir haben jetzt ein Zwei-Säulen-System, das sich in
den Grundlagen auf 1992 bezieht und auf dieser Grundlage Prämien zahlt. Wir nehmen jetzt aus der ersten
Säule - sie umfasst 5 Milliarden Euro - etwa 225 Millionen Euro und geben sie zusätzlich in die zweite Säule.
Können Sie sich vorstellen, dass wir dort im Hinblick
auf 2017 und die erforderliche weitere Entwicklung der
europäischen Agrarpolitik diesen Anteil erheblich erhöhen und das ausschöpfen, was national möglich ist, nämlich 15 Prozent?
Lieber Kollege Priesmeier, wir haben in der Tat sehr
viele Veränderungen auf europäischer Ebene erlebt. Ich
darf darauf hinweisen, dass die Entkopplung der Zahlungen an die Landwirtschaft - öffentliches Geld für öffentliche Leistungen - von der Produktion ein ganz wesentlicher Einschnitt war, zu dem ich stehe und den ich für
richtig halte, ja, von dem ich ganz im Gegenteil sogar
glaube, dass wir ihn noch zu 100 Prozent durchführen
müssen.
Das Zweite ist, dass wir in der gegenwärtigen Förderperiode von 2014 bis 2020 rechtzeitig - das heißt für
mich: schon in diesem Augenblick - überlegen, welche
weiteren Herausforderungen es gibt. Sie haben die
zweite Säule angesprochen. Es gibt gegenwärtig Diskussionen, ob es im Bereich der Veredelung Förderungen
für neue Maßnahmen geben sollte. Es gibt Fragen zum
Thema der Düngewirtschaft und des Düngemittelmanagements und zu benachteiligten Gebieten. Wichtig ist:
Es muss nach 2020 weiterhin dieses Programm, diese
gemeinsame Politik geben. Aber sie wird sicherlich da
und dort angepasst werden müssen. Ich lade schon jetzt
zur Diskussion ein.
({0})
Frau Maisch.
Herr Minister, wir hatten ja heute Morgen im Ausschuss schon die Gelegenheit, über den Bericht zu diskutieren. Da haben Sie - ich darf Sie zitieren - über messbare Erfolge der Initiative Tierwohl gesprochen. Deshalb
möchte ich Sie gerne fragen: Was sind diese Erfolge,
und wie wurden sie gemessen?
Vielen Dank. - Die Erfolge wurden beispielsweise bei
den Rahmenbedingungen für Stallhaltungssysteme gemessen, die wir sowohl regulativ als auch im Bereich
von besten Beispielen fördern und unterstützen. Sie wurden auch bei der Reduzierung von nichtkurativen Eingriffen gemessen. Hier gibt es eine gesetzliche Maßgabe,
nämlich das Verbot der Kastration von Ferkeln ohne Betäubung. Ich sehe weitere Entwicklungen sowohl in der
Geflügelhaltung als auch im Bereich der Schweine- und
der Rinderhaltung. Wir sind in dem Kompetenzkreis,
den ich eingerichtet habe, bisher zu sehr guten Ergebnissen gekommen. Ich will auch auf die Brancheninitiative
des Verbandes hinweisen. Was die Eier betrifft, haben
auch Sie sicherlich die Information erhalten, dass wir
technologisch sehr weit sind, sodass wir bald auf das Töten von Ersttagsküken verzichten können.
Maik Beermann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich bin
ein Kind des ländlichen Raumes und fühle mich da auch
sehr wohl. Ich möchte dies auch in Zukunft tun. Daher
würde mich, weil für mich die Landwirtschaft und die
Agrarwirtschaft zum ländlichen Raum gehören, interessieren: Wie sehen Sie persönlich die Rolle der Landwirtschaft zukünftig bei uns in den ländlichen Räumen? Und
in Anlehnung daran: In welcher Rolle sehen Sie Ihr
Ministerium für die Weiterentwicklung der ländlichen
Räume?
Ich denke, ländliche Entwicklung ist eine über die
Landwirtschaft hinausgehende Querschnittsaufgabe,
aber ländliche Entwicklung ohne Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft kann ich mir nicht vorstellen; sonst
müssten wir das Land in die Stadt bringen. Wir hatten
vor einiger Zeit versucht, ein Getreidefeld am Pariser
Platz genehmigt zu bekommen. Darüber war die Bezirksverwaltung von Berlin-Mitte nicht erfreut. Ich will
damit zeigen, dass die städtischen Bereiche nicht ohne
die ländlichen Strukturen leben können; diese muss es
für Produktionen und Lebensweisen geben, die in der
Stadt nicht präsentierbar sind. Deswegen: Kernaufgabe.
Kollege Kekeritz.
Herr Minister, als Entwicklungspolitiker müsste ich
Sie jetzt eigentlich zur Exportorientierung fragen, aber
ich habe vom Kreisrat Ihres Wahlkreises die Aufgabe
bekommen, Sie nach dem EU-Vertragsverletzungsver-
fahren bezüglich der Trinkwasserversorgung zu fragen.
Sie wissen, dass die Berechnungen besagen, dass, wenn
es so weitergeht, bis zum Jahr 2020 circa 40 Prozent un-
seres gesamten Trinkwassers mit zu hohen Nitratwerten
belastet sein werden. Wir wissen auch, dass das Nitrat
von der Oberfläche bis zum Trinkwasser im Schnitt
40 Jahre braucht. Das heißt, wenn wir heute jeglichen
Eintrag von Nitrat verhindern würden, würde es noch
40 Jahre lang immer schlechter werden. Wie ist Ihre
Position dazu? Was gedenkt die Bundesregierung, was
gedenken Sie, a) in Bezug auf das Vertragsverletzungs-
verfahren zu unternehmen und b) tatsächlich auf dem
Land zu tun?
Vielen Dank. - Herr Präsident, ich werte diese Frage
als eigenständige Frage des Kollegen; denn Auftragsfragen werden, glaube ich, im Deutschen Bundestag nicht
besprochen und beantwortet. Ich antworte daher in eigener Kompetenz:
({0})
In der Tat ist die Umsetzung der Anforderungen der Europäischen Kommission im Hinblick auf die Nitratrichtlinie ein Thema, das uns allen am Herzen liegt. Das Wasser muss sauber und trinkbar bleiben. Der Grenzwert
von höchstens 50 Milligramm Nitrat pro Liter muss beachtet werden. Es gibt Bereiche in unserem Land, wo
dieser Wert überschritten wird. Deswegen steht die Bundesregierung in sehr intensiven Gesprächen mit den
Bundesländern, die über den Bundesrat in dieser Angelegenheit ganz wesentlich mitentscheiden und daran mitwirken, eine ökonomisch tragbare und ökologisch sinnvolle Lösung für die Düngeausbringung zu finden. Wir
sind unter der Drohung eines Vertragsverletzungsverfahrens gehalten, dies zügig zu tun. Wir werden zeitnah eine
Änderung des Düngegesetzes zur Beratung in den Deutschen Bundestag einbringen. Dann können wir über dieses Thema noch einmal reden.
Frau Stauche, eine letzte Frage zu diesem Bericht.
Eigentlich schließt meine Frage an die von Frau
Maisch an. Wir wissen ja, wie sehr sich die Nutztierhaltung in den letzten Jahren geändert hat. Wir wissen aber
auch, dass wir trotz vieler Veränderungen immer noch
große Probleme haben, für die es keine praxistauglichen
Lösungen gibt. Ich möchte die Bundesregierung daher
fragen, was sie in den nächsten Jahren im Bereich der
Agrarforschung tut, um der Landwirtschaft weiterzuhelfen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Stauche. - Wenn es mein
politischer Ansatz wäre - was es nicht ist -, durch den
Hinweis auf nicht funktionierende Forschung die Lösung der Probleme nur zu verschieben, dann hätten wir,
glaube ich, weder für die landwirtschaftliche Produktion
noch für das Verbrauchervertrauen, noch für unsere politische und gesellschaftliche Diskussion wirklich etwas
gewonnen. Deswegen muss gelten: Es geht nicht, dass
wir alles auf die Erzeuger abwälzen. Wir müssen auch an
die Wertschöpfungskette denken. Das kostet Geld.
Zur Frage vom Kollegen Stier: Ich möchte auch, dass
wir auf europäischer Ebene einheitliche Regelungen
schaffen. Es ist dem Tier nicht geholfen, wenn es in ein
anderes europäisches Land übersiedelt und in diesem
Land die Tierschutzregeln nicht so streng sind wie bei
uns.
({0})
Deswegen habe ich mit den Niederlanden und Dänemark
eine gemeinsame Initiative gegründet. Wir haben uns bereits in den Niederlanden und in Kopenhagen in Dänemark getroffen und werden uns jetzt in Deutschland treffen. Wir wollen die Kommission ganz gezielt auf die
Interessenlage aufmerksam machen und eine gemeinsame Ebene bzw. gemeinsame Standards schaffen.
Den Namen des Kollegen Krischer habe ich vorhin
notiert, ihn aber nicht verlesen. Muss das noch unbedingt
sein? Nein, oder?
({0})
- Gut. Ich bedanke mich für das Entgegenkommen.
({1})
Dann können wir, wie vereinbart, diesen Bereich abschließen. Der Minister ist auch ganz erleichtert. Es
herrscht allgemeine Begeisterung.
Ich darf dann mögliche andere Fragen zu Themen der
heutigen Kabinettssitzung aufrufen. Die Kollegin
Haßelmann hat um das Wort gebeten.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Krischer konnte
jetzt, glaube ich, nicht anders antworten. Da hat er jetzt
bestimmt einen gut.
Meine Frage betrifft einen ganz anderen Themenkomplex, nämlich den der BND-Affäre und des No-Spy-Abkommens. Herr Minister, mich würde interessieren, ob
dieses Thema heute im Kabinett erörtert worden ist.
Falls das nicht der Fall ist, bitte ich Sie, mir einmal zu
erklären, warum sich das Kabinett in der zweiten Sitzungswoche hintereinander nicht mit einem innen- und
außenpolitisch so relevanten Thema befasst.
Ich habe mir die Geschäftsordnung des Kabinetts und
der Bundesregierung angesehen. Darin steht explizit geschrieben - das ist § 15 Absatz 1 -:
Der Bundesregierung sind … zu unterbreiten alle
Angelegenheiten von allgemeiner innen- und außenpolitischer … Bedeutung …
Da die BND-Affäre und das No-Spy-Abkommen innen- und außenpolitisch unglaublich bedeutsame Themen sind, haben weder ich als Parlamentarierin noch,
glaube ich, viele Menschen draußen Verständnis dafür,
dass sich das Kabinett nicht mit dieser Frage befasst.
Herr Minister.
Liebe Kollegin Haßelmann, in der Tat entspricht es
der Geschäftsordnung, dass sich das Kabinett grundsätzlich mit allen Fragen, die es an sich zieht und die von
Relevanz sind, befassen kann. Das kann nicht in jeder
Sitzung und in jeder Stunde der Fall sein.
Um auf Ihre Frage zu antworten: Wir haben uns heute
nicht mit diesem Thema beschäftigt. Ich erlaube mir allerdings, darauf hinzuweisen, dass in diesem Haus ein
Untersuchungsausschuss zu dem Thema NSA besteht ({0})
- ja -, der auch von der Bundesregierung informiert wird
bzw. mit dem die Bundesregierung im Gespräch ist. Die
Gespräche innerhalb des Kabinetts sind das eine. Sie
wissen und können davon ausgehen, dass das Kabinett
eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit allen Persönlichkeiten, die dem Kabinett angehören, innerhalb und
außerhalb des Kabinetts hat.
({1})
Herr Petzold.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte gerne
nachfragen, ob sich das Kabinett mit der Praxis der Beantwortung Kleiner Anfragen bzw. der Darstellung der
Rechtsposition der Bundesregierung und einzelner Fachminister befasst hat, da es am Wochenende eine Aufregung wegen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage
zum Thema „Notwendigkeit der Änderung des Grundgesetzes für die Öffnung der Ehe“ gegeben hat. Kurz nach
der Beantwortung einer Kleinen Anfrage ist de facto die
Antwort durch den zuständigen Fachminister, den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, widerrufen worden.
Ich möchte gerne wissen, ob diese Beantwortung
heute Thema im Kabinett war und welchen Standpunkt
die Bundesregierung denn nun tatsächlich vertritt.
Das Kabinett hat keine Veranlassung gesehen, sich zu
diesem Thema auszutauschen. Sowohl die Bundesregierung in der Beantwortung der Kleinen Anfrage als auch
Kollege Maas mit seiner Äußerung haben dazu das Richtige gesagt.
Volker Beck.
Darauf bezieht sich auch meine Frage. Sie richtet sich
natürlich auch an den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz. Die
Süddeutsche Zeitung fasst den Vorgang mit folgenden
Worten treffend zusammen:
Einen derartigen Vorgang hat es im politischen Berlin schon länger nicht mehr gegeben. Bundesjustizminister Heiko Maas ({0}) sah sich am Wochenende genötigt, eine Antwort seines eigenen
Ministeriums zu einer wichtigen Frage öffentlich zu
korrigieren.
Wir hatten danach gefragt, warum im Referentenentwurf zum Lebenspartnerschaftsgesetz unter „Alternative“ „keine“ steht, obwohl der Bundesrat alternativ
dazu vorgeschlagen hat, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen.
Darauf antwortet das Bundesjustizministerium in der
mir vorliegenden Drucksache, über deren Gültigkeit ich
zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts weiß, das sei keine
Alternative:
Mit Blick auf die einschlägige ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts … würde
eine Öffnung der Ehe für Paare gleichen Geschlechts eine Änderung des Grundgesetzes … voraussetzen.
Der Bundesjustizminister hat auf Facebook - das ist
gewöhnlich im parlamentarischen Bereich nicht die offizielle Methode, zu antworten - gesagt, eine Grundgesetzänderung sei dafür nicht zwingend.
Schauen Sie gelegentlich auf die Zeit.
Ich frage die Bundesregierung: Gilt die schriftlich gegebene Antwort in der Drucksache, oder ist das nicht die
aktuelle Rechtsauffassung? Wenn Letzteres der Fall ist:
Welche aktuelle Rechtsauffassung zu dieser Frage vertritt die Bundesregierung?
Da sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht verbindlich auf Facebook äußert, sondern in Drucksachen,
die Thematik aber eine weiter gehende ist, würde ich
gerne den Vertreter des zuständigen Bundesministeriums
der Justiz und für Verbraucherschutz um Übernahme und
Stellungnahme zu der Frage bitten.
({0})
Es scheint mir jetzt schon vernünftig, wenn überhaupt
eine Antwort zu der Frage erwartet wird, dass der anwesende Staatssekretär den Versuch einer solchen unternimmt. - Bitte schön.
Herr Präsident, das mache ich gerne.
Bundesminister Heiko Maas hat in seiner in der Frage
zitierten Nachricht auf Facebook, die Sie gerade erwähnt
haben, gesagt, dass er der Auffassung ist, für eine einfachrechtliche Öffnung der Ehe für Partner desselben
Geschlechts sei nicht zwingend eine Grundgesetzänderung erforderlich. Dies entspricht einer in der Literatur
vertretenen Einschätzung, etwa von Professor Dr. Frauke
Brosius-Gersdorf im Dreier-Kommentar zum Grundgesetz; gemeint ist ihr Kommentar zu Artikel 6 des Grundgesetzes, Randnummer 81. Danach liegt eine Öffnung
der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Die Haltung der Bundesregierung hat zuletzt der Regierungssprecher in der Regierungspressekonferenz am Montag, 18. Mai 2015,
wiedergegeben. Herr Kollege Seibert sagte: Es ist darauf
hingewiesen worden, „dass der Koalitionsvertrag die
vollständige Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft nicht vorsieht; deshalb wird das in dieser Legislaturperiode auch kein Projekt dieser Bundesregierung
werden“.
Matthias Gastel, bitte.
Vielen Dank. - Meine Frage bezieht sich darauf, dass
bei der Bahn inzwischen zum neunten Mal gestreikt wird
und die Fahrgäste immer stärker unter diesen Streiks leiden. Ich möchte von Ihnen, der Bundesregierung, gerne
wissen, was Sie ganz konkret unternehmen, um diese Situation zu entschärfen. Ich beziehe mich auf Ihre Rolle
als Gesetzgeber: Sie können Gesetze erlassen oder es
ausdrücklich und bewusst auch bleiben lassen.
Da muss ich doch darauf hinweisen, dass für die Gesetzgebung der Bundestag zuständig ist und nicht die
Bundesregierung.
Die Bundesregierung kann Gesetzentwürfe einbringen oder auch zurückziehen, wie auch immer.
Ich spreche den Bund auch in seiner Rolle als Eigentümer der DB AG an. Was tun Sie, die Bundesregierung,
konkret, um die Situation zu entschärfen?
Zu Ihrer ersten Frage darf ich Folgendes sagen: Wir
sind dieser Aufforderung sogar nachgekommen und haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der, wenn ich es
richtig sehe, am Freitag dieser Woche in zweiter und
dritter Beratung behandelt wird.
({0})
Dieser Gesetzentwurf könnte mit diesem Streik, jedenfalls was das Ergebnis angeht, in Verbindung gebracht
werden.
Herr Präsident, muss ich den Abgeordneten um Erlaubnis fragen, oder kann ich selber das Wort an einen
anderen Regierungsvertreter weitergeben?
Sie müssen den Fragesteller fragen, ob er damit einverstanden ist.
Herr Gastel, sind Sie damit einverstanden, dass ich
die weitere Beantwortung an den Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur weitergebe?
Wenn es der Qualität der Antwort dienlich ist, ja.
Also, ja.
Herr Staatssekretär Ferlemann, bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Bundesminister,
auch Ihnen vielen Dank für das Lob, das mit Ihrer Einschätzung einhergeht, dass wir kompetent antworten
können. - Sicherlich ist es so, dass dieser Streik die deutsche Wirtschaft und den Personenverkehr auf der
Schiene in Deutschland extrem belastet. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverkehrsministers, in einen Tarifkonflikt einzugreifen.
({0})
Gleichwohl ist es so, dass wir in öffentlichen Äußerungen natürlich deutlich machen, dass ein Streik verhältnismäßig sein muss, unabhängig davon, dass eine
Gewerkschaft das Recht hat, einen Streik auszurufen.
Wir sind der Auffassung, dass die Verhältnismäßigkeit
dieser Maßnahme angesichts der Länge dieses Streiks
bei weitem nicht mehr gerechtfertigt ist. Deswegen verhandelt die Gewerkschaft auch mit der Deutschen Bahn
AG darüber, einen Schlichtungsprozess in Gang zu setzen, und wir haben die Hoffnung, dass es zu dieser
Schlichtung kommen wird.
Kollege Krischer.
Herr Minister Schmidt, seit mehreren Wochen wird
öffentlich ein Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums zum Thema Klimaschutzabgabe diskutiert. Die
Position des Bundeswirtschaftsministers ist bekannt.
Mich würde interessieren: War dieses Thema Gegenstand einer Kabinettssitzung? Hat die Bundesregierung
eine Auffassung darüber, wie mit dem Thema Klimaschutzabgabe weiter verfahren werden soll? Ich frage
dies vor dem Hintergrund von Presseberichterstattungen
insbesondere in den letzten Tagen, dass der Vorschlag
quasi aufgeweicht und wirkungslos gemacht werden
soll.
Vielen Dank, für diese Beschreibung und den Hinweis auf die Diskussionen der letzten Wochen. - Der
Bundeswirtschaftsminister hat in seiner Zuständigkeit
einen Vorschlag zu einer Frage vorgelegt, die ihm und
uns als eine wichtige erscheint. Die Bundesregierung ist
über diese Frage noch im weiteren Gespräch und wird
sich zu gegebener Zeit dazu positionieren.
Frau Haßelmann.
Vielen Dank. - Herr Schmidt, ich will noch einmal
kurz auf meine Eingangsfrage zum BND und zum NoSpy-Abkommen zurückkommen. Sie müssen mir das
noch einmal erklären.
Wie muss ich mir das vorstellen? Wie entscheidet ein
Kabinett überhaupt darüber, was es für wichtig oder unwichtig hält? Allein in der letzten Woche haben Minister
de Maizière, wichtiger Minister, Minister des Innern, das
Kanzleramt, Vizekanzler Gabriel und der Justizminister
über die Presse Vorschläge gemacht, Anforderungen formuliert oder sogar Forderungen aufgestellt, was im Hinblick auf die BND-Affäre und das No-Spy-Abkommen
von der Bundesregierung jetzt zu erwarten ist. Sie sind
Teil der Bundesregierung - die vier Genannten sind auch
Teil der Bundesregierung -, und Sie erklären mir jetzt,
dass Sie sich entgegen Ihrer Geschäftsordnung - es geht
um wichtige innen- und außenpolitische Dinge - mit solchen Fragen das zweite Mal hintereinander in einer Sitzungswoche nicht befassen. Das kann man doch nicht
verstehen.
Liebe Kollegin Haßelmann, wir alle, die wir hier, in
welcher Funktion auch immer, Regierungsverantwortung tragen oder getragen haben, wissen, dass sich Kabinettssitzungen dadurch auszeichnen, dass in ihnen über
Tagesordnungspunkte entschieden wird.
({0})
Deswegen gibt es in Kabinettssitzungen Vorlagen, Gesetzentwürfe und Berichte. Der Teil des allgemeinen Gesprächs ist immer sehr kurz gehalten, und das ist auch
gut so. Diese Diskussionen und Fragen gehören in den
politischen Diskussionsprozess. Soweit Entscheidungsbedarf für die Bundesregierung besteht, wird er selbstverständlich im Bundeskabinett befriedigt. Solch ein
Entscheidungsbedarf ist für mich nicht erkennbar.
Letzte Frage. - Volker Beck.
Eine Frage, die den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern betrifft. - Der Focus berichtete gestern
über Aufstände in Mazedonien und meldete, in diesem
Land mitten in Europa drohe uns ein Brandherd wie in
der Ukraine. Mazedonien ist von uns als sicheres Herkunftsland eingestuft. In der Stadt Kumanovo gab es bei
einer Schießerei mit Aufständischen 22 Tote. Die bulgarische Regierung hat gestern erklärt, sie verlege ihre
Truppen an die Grenze zu Mazedonien - für den Fall,
dass sich die Lage dramatisch verschlechtere.
Ich frage die Bundesregierung, welche Konsequenzen
dies für die Einstufung von Mazedonien als sicherer
Herkunftsstaat im Rahmen des Asylrechts aktuell hat.
Die Bundesregierung betrachtet die Entwicklung in
Mazedonien mit Sorge. Sie ist darüber in Gesprächen
und im Kontakt mit der dortigen Seite. Es handelt sich in
der Tat um gewalttätige Auseinandersetzungen. Deren
Hintergründe sind nicht genau erkennbar. Eine Auswirkung auf die Einstufung als sicheres Herkunftsland wird
aber nicht gesehen.
({0})
Jetzt gibt es noch eine Frage zu sonstigen Themen außerhalb der Kabinettssitzung. - Frau Haßelmann.
Ich habe noch eine Frage, auch wieder zum Komplex
„BND-Affäre“ und vor allen Dingen zu den Selektorenlisten BND/NSA. - In der gemeinsamen Sitzung des
Parlamentarischen Kontrollgremiums und der Obleute
des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses am
22. April hat der Chef des Bundeskanzleramts, Peter
Altmaier, den dort Anwesenden fest zugesagt, dass es
nur eine Frage von Tagen sei, bis eine Entscheidung darüber falle, in welcher Form die Selektorenlisten den
Parlamentariern, also dem Parlamentarischen Kontrollgremium und dem Untersuchungsausschuss, übergeben
werden.
Warum bricht jetzt an dieser Stelle das Kanzleramt
seine Zusage gegenüber den Parlamentariern? Ich habe
vorhin einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur
entnommen, dass vor Pfingsten nicht mit einer Entscheidung in dieser Sache zu rechnen ist.
Liebe Kollegin Haßelmann, ich darf die Aussage in
Ihrer Frage, dass die Bundesregierung Zusagen bricht,
zurückweisen. Die Bundesregierung bricht nie Zusagen.
({0})
Ich darf zur weiteren Beantwortung an den Staatsminister bei der Bundeskanzlerin übergeben.
({1})
Liebe Frau Kollegin Haßelmann, wie Sie wissen und
wie wir auch öffentlich dargelegt haben, ist Grundlage
für die Entscheidung ein Konsultationsverfahren. Nach
dem Völkerrecht sind wir verpflichtet, ein solches Verfahren mit den Vereinigten Staaten von Amerika durchzuführen. Da dieses noch andauert, können wir uns im
Augenblick nicht dazu äußern, an welchem konkreten
Tag wir zu einer Entscheidung der Bundesregierung über
die Offenlegung kommen.
({0})
- Nein, die war richtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind nun selbst
bei großzügiger Auslegung unseres eigenen Reglements
am Ende des dafür vorgesehenen Befragungszeitraums.
Deswegen bitte ich um Nachsicht, dass ich jetzt keine
weiteren Zusatzfragen zulasse, die es zweifellos zu diesem Thema noch gibt.
Ich beende nun die Regierungsbefragung und rufe
den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
Drucksachen 18/4907, 18/4927
Die Fragestunde beginnt wie immer, wenn es dringliche Fragen gibt, mit der Beantwortung ebendieser Fragen.
Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 des Kollegen
Oliver Krischer aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Forderungen der bayerischen Landesregierung zur Verlegung
der SuedLink-Stromtrasse ({0}), und welche Kostensteigerungen
wären damit nach Einschätzung der Bundesregierung verbunden?
Herr Staatssekretär Beckmeyer, bitte.
Gerne beantworte ich die Frage des Abgeordneten
Krischer zu den Forderungen der bayerischen Landesregierung zur Verlegung der SuedLink-Stromtrasse.
Die von der bayerischen Landesregierung im Rahmen
der bis zum 15. Mai 2015 laufenden Konsultationen zum
Netzentwicklungsplan 2024 eingereichte Stellungnahme
wird die Bundesnetzagentur ebenso wie andere Stellungnahmen intensiv prüfen und in ihre finale Bestätigung
des Netzentwicklungsplans gemäß § 12 c Absatz 4 Energiewirtschaftsgesetz einfließen lassen. Die Bundesnetzagentur prüft vor ihrer Bestätigung des Netzentwicklungsplanes, ob der energiewirtschaftliche Übertragungsbedarf
der einzelnen Vorhaben zwischen den von den Netzübertragungsbetreibern jeweils vorgeschlagenen Anfangsund Endpunkten tatsächlich besteht.
Die konkrete Trassenführung zwischen bestimmten
Anfangs- und Endpunkten ist bei den Vorhaben in Bundeszuständigkeit, wie zum Beispiel dem sogenannten
SuedLink - Bundesbedarfsplanvorhaben Nummern 3
und 4 -, erst Aufgabe der dann nachfolgenden Verfahren
der Bundesfachplanung und der Planfeststellung, in denen eine Trasse mit den geringstmöglichen Auswirkungen auf Mensch, Natur und weitere Schutzgüter ermittelt
wird. Diesen Verfahren kann die Bundesregierung nicht
vorgreifen, und dementsprechend wird auch keine Bewertung bestimmter Trassenführungsvorschläge vorgenommen.
Die Kosten einer bestimmten Trasse ergeben sich sowohl aus der Länge der Trasse als auch aus örtlichen Begebenheiten und den Verkabelungsanteilen. Daher können auch aktuell nähere Aussagen zu Kostenfolgen
möglicher Trassenführungen seitens der Bundesregierung nicht gemacht werden. So weit die Antwort.
Vielen Dank. - Herr Kollege Krischer.
Herr Beckmeyer, entschuldigen Sie bitte, aber ich
frage mich ehrlich - das ist vielleicht nicht ganz parlamentarisch -, ob Sie mich und die deutsche Öffentlichkeit veräppeln wollen. Sie lesen uns hier den Gesetzestext und die Rechtsgrundlagen vor. Dabei führen wir
eine öffentliche Diskussion darüber, dass ein Bundesland, in dem eine Partei regiert, die Koalitionspartner ist,
den Netzausbau ablehnt und dass eine Landeswirtschaftsministerin sagt: Bei uns sollen keine Leitungen
gebaut werden, sondern sie sollen durch Hessen und Baden-Württemberg verlaufen. Bayern soll zwar den Strom
erhalten, aber keine Leitungen bekommen. - Ich verstehe überhaupt nicht, wie all das technisch gehen soll.
Das wäre all das, was hinter der Frage steht.
Da die Bundesregierung offensichtlich keine Meinung zu all diesen Vorgängen hat, möchte ich Sie fragen
- der Wirtschaftsminister hat sich dazu ja schon in früheren Diskussionen geäußert -: Wird es in irgendeiner
Weise eine politische Lösung dieses Konfliktes geben,
oder ist das am Ende alles nur eine Frage des formalen
Verfahrens bei der Bundesnetzagentur in der Art, wie Sie
es mir gerade vorgelesen haben?
Herr Kollege Beckmeyer, bitte.
Herr Krischer, wenn Sie das ernst meinen, was Sie in
Ihrer Frage geschrieben haben, so geht es darum, dass
Sie nach den Konsequenzen fragen, die die Bundesregierung zu ziehen hat. Die Bundesregierung kann zurzeit
keine Konsequenzen aus dem, was Sie in Ihrer Frage
formuliert haben, ziehen, weil das Verfahren, das ich Ihnen eben geschildert habe, das Verfahren ist, nach dem
gehandelt wird. Und dieses Verfahren ist eindeutig: Die
Bundesnetzagentur hat in dieser Angelegenheit eine sehr
wichtige Rolle inne, da sie bei dem Thema Bundesfachplanung im Grunde - man würde es neudeutsch so sagen - die Hosen anhat.
Herr Kollege Krischer.
Dann darf ich hier feststellen, dass die Bundesregierung keinerlei Aktivitäten unternimmt, um eine Klärung
hinsichtich der Position Bayerns - die sagen ja: wir stellen den gesamten Netzausbau im Bereich HGÜ infrage herbeizuführen. Das kommt bei Ihnen also überhaupt
nicht vor, und es hat für Sie keinerlei politische Relevanz, in irgendeiner Weise zu klären, wie wir beim
Netzausbau vorankommen. Habe ich Sie da richtig verhttp://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-85491.html
http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-85491.html
http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-85491.html
standen, dass dies im Moment die Rolle der Bundesregierung ist, dass sie sich also für alles Mögliche interessiert, aber nicht für das, wofür sie zuständig ist?
Herr Staatssekretär.
Nein, Herr Krischer, da haben Sie mich nicht richtig
verstanden. Die Bayerische Staatsregierung hat nämlich
ihre Stellungnahme in ihrem Schreiben an die Bundesnetzagentur mit Datum vom 5. Mai 2015 im Rahmen
eines laufenden Planungsprozesses abgegeben. Die Bundesnetzagentur nimmt diese Stellungnahme der Staatsregierung wie andere Stellungnahmen auf, prüft und bewertet sie.
Das Entscheidende, Herr Krischer - daran ändert
auch diese Stellungnahme der Bayerischen Staatsregierung überhaupt nichts -, ist: Anfangs- und Endpunkte
der entsprechenden Leitungen sind in der letzten Legislaturperiode durch den Bundestag beschlossen worden;
und daran halten wir uns. Das ist die Ausgangslage, und
vor diesem Hintergrund wird die Bundesfachplanung
durch die Bundesnetzagentur betrieben werden.
Vielen Dank. - Ich sehe keine weiteren Fragen zu dieser dringlichen Frage. Damit danke ich Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen zu den dringlichen Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Ole Schröder zur Verfügung.
Als Erstes rufe ich die dringliche Frage 2 der Kollegin
Mihalic auf:
Inwieweit unterstützt die Bundesregierung angesichts der
Berichterstattung im Norddeutschen Rundfunk, NDR, vom
17. Mai 2015 zur mutmaßlichen Misshandlung von Gewahrsamsinsassen durch Beamte der Bundespolizei die Forderung,
die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten zu schaffen, bei dem unter anderem Hinweise zu solchen Vorgängen
anonym außerhalb der Hierarchie gemeldet werden können?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Mihalic! Ich beantworte die Frage wie folgt: Derzeit wird an den Sachverhaltsaufklärungen der Vorwürfe gearbeitet. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt den Sachverhalt und hat
mit den Zeugenvernehmungen begonnen. Die Bundespolizei unterstützt die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Da eine Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Hannover bislang noch nicht möglich war,
liegen der Bundespolizei selbst noch keine umfassenden
Erkenntnisse zum Sachverhalt vor. Die Bundespolizei
hat Akteneinsicht beantragt. Diese ist nach Aussage der
zuständigen Staatsanwältin frühestens nach den Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren möglich.
Die Bundespolizei führt ein Disziplinarverfahren gegen den Beamten; in diesem Verfahren werden auf
Bitten der Staatsanwaltschaft Hannover derzeit keine eigenen Zeugenvernehmungen vorgenommen, um das laufende Ermittlungsverfahren nicht zu stören.
Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, werden wir
- das heißt das Bundesministerium des Innern und die
Bundespolizei - mit allen Konsequenzen dagegen vorgehen und auch alle weiteren Möglichkeiten in Betracht
ziehen, die helfen können, solche Vorfälle künftig zu
vermeiden bzw. schnell aufzuklären.
Frau Kollegin Mihalic.
Vielen Dank, Herr Dr. Schröder. Die Antwort auf
meine Frage wäre noch gut, also inwieweit die Bundesregierung im Hinblick auf die Vorfälle, die wir aus Hannover zur Kenntnis nehmen mussten, die Einrichtung der
Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten bewertet,
an die sich auch Bedienstete innerhalb der Polizei wenden können, um solche Vorgänge auch außerhalb der
Hierarchie vortragen zu können.
Es wäre sehr freundlich, wenn Sie mir zunächst meine
Ausgangsfrage beantworten würden, bevor ich dazu eine
Nachfrage stelle.
Herr Schröder.
Das war ein Missverständnis. Ich habe dann die
dringliche Frage 3 als Frage 2 angesehen. Insofern
schlage ich vor, dass ich Ihnen erst einmal die Antwort
auf die Frage, um die es Ihnen eigentlich ging, vorlese.
Es geht also darum, an welche Stelle außerhalb der Hierarchie sich Polizistinnen und Polizisten der Bundespolizei oder auch des BKA angesichts der aktuellen Misshandlungsvorwürfe gegen Beamte der Bundespolizei
aktuell wenden können, um Hinweise auf solche Vorgänge zu melden.
Grundsätzlich haben alle Beamten der Bundespolizei
die Möglichkeit, sich außerhalb des Dienstweges an die
Stabsstellen Innenrevision ihrer jeweiligen Bundespolizeidirektionen zu wenden. Unabhängig davon besteht
auch für Bundespolizisten die Möglichkeit, derartige
Vorfälle bei der zuständigen Staatsanwaltschaft oder
Landespolizeibehörde anzuzeigen. Hierzu sind sie aufgrund des Legalitätsprinzips verpflichtet, wenn sie
Kenntnis von einer Straftat erlangt haben, die kein reines
Antragsdelikt ist.
Vielen Dank. - Frau Kollegin Mihalic.
Ich möchte dazu gerne eine Nachfrage stellen. Das
Problem war ja - wir haben vorhin schon im Innenausschuss darüber gesprochen -, dass die Vorfälle erst so
spät bekannt geworden sind, dass es also ungefähr ein
Jahr gedauert hat, bis überhaupt innerhalb der Bundespolizei bekannt wurde, dass es auf dieser Dienststelle
mutmaßlich solche Vorfälle gegeben hat, und dann natürlich auch erst der Öffentlichkeit bekannt werden
konnte.
Wie würden Sie es angesichts der Tatsache, dass die
Vorfälle erst ein Jahr später bekannt geworden sind, einschätzen, dass sich Polizeibeamte, die solche Vorfälle
nicht sofort, sondern erst verzögert melden, selbst der
Gefahr der Strafverfolgung im Hinblick auf Straftaten
wie Strafvereitelung im Amt aussetzen? Sehen Sie einen
gesetzgeberischen Handlungsbedarf, in diesem Bereich
irgendetwas zu verändern, um meldende Polizeibeamte
nicht unmittelbar der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen?
Herr Staatssekretär.
Dieses Dilemma besteht natürlich immer. Wenn ein
Polizeibeamter wegguckt, wenn solche Misshandlungen
passieren, oder es erst verzögert meldet, wenn er davon
Kenntnis erlangt, dann belastet er sich automatisch immer selbst. Entweder ist es unterlassene Hilfeleistung
- unter Umständen Strafvereitelung im Amt -, oder es
ist die Vortäuschung einer Straftat, wenn er Meldung
macht, aber nichts vorgefallen ist. Selbst wenn ein Polizeibeamter einen solchen Vorfall anonym an eine völlig
unabhängige Stelle meldet, muss dieser Meldung in einem Rechtsstaat ja nachgegangen werden. Insofern
glaube ich nicht, dass wir aus diesem Dilemma herauskommen, auch wenn wir uns noch so sehr darum bemühen. Wichtig ist, dass innerhalb der Polizei eine Kultur
herrscht, derzufolge solche Vorfälle sofort gemeldet werden. Das ist entscheidend.
Wir müssen jetzt genau analysieren, was an diesen
Vorfällen dran ist und weshalb auf diese Vorfälle, wenn
sie sich bestätigen, nicht adäquat reagiert wurde.
Frau Kollegin, Sie haben hierzu keine Fragen mehr.
Ihre erste Frage war ja eben nicht richtig beantwortet
worden.
({0})
- Sie haben noch eine Frage? - Eben wurden ja die Antworten vertauscht. Deshalb können Sie jetzt Ihre zweite
Nachfrage stellen.
Genau, das ist vorhin etwas durcheinandergeraten.
Deswegen möchte ich jetzt in diesem Zusammenhang
noch eine Frage stellen.
Die Frage bezieht sich auf die Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle, um solchen Vorgängen in irgendeiner Art und Weise nachgehen oder davon erfahren
zu können. Da besteht für uns im Moment wirklich nur
die Möglichkeit, das im Innenausschuss zu erfragen. Es
gibt eben keine Einrichtung im Parlament, beispielsweise analog zu der des Wehrbeauftragten, die uns bei
der parlamentarischen Kontrolle der Bundespolizei und
der Sicherheitsbehörden unterstützt. Deswegen stellt
sich mir die Frage - da bitte ich um Beantwortung -, was
die Bundesregierung zurzeit tut oder bei solchen Vorfällen proaktiv leisten kann, um uns bei der Aufgabe der
parlamentarischen Kontrolle zu unterstützen.
Ich habe heute einmal in den Raum gestellt: Wenn wir
von solchen Vorfällen nicht aus den Medien erfahren
hätten, hätte es dann zum Beispiel eine proaktive Unterrichtung der Bundesregierung gegeben?
Herr Staatssekretär.
Parlamentarische Kontrolle wird ja vor allen Dingen
dadurch ausgeübt, dass sich betroffene Beamte direkt an
ihren Abgeordneten wenden. Das ist die sinnvollste, direkteste und wirkungsvollste Form der parlamentarischen Kontrolle.
({0})
Das erleben wir tagtäglich, gerade auch im Zusammenhang mit der Bundespolizei. Wenn es dort Missstände
gibt, können sich die Bundespolizeibeamtinnen und
Bundespolizeibeamten natürlich an die Beschwerdestelle ihrer Dienststelle wenden. Wenn es wirklich um
Straftaten geht, können sie sich an die Staatsanwaltschaft
bzw. an die Landespolizei - auch anonym - wenden. Sie
können sich aber selbstverständlich auch an den Abgeordneten wenden.
Nach derzeitigem Stand - wir sind ja jetzt bei der
Sachverhaltsaufklärung - sind wir aber noch nicht so
weit, dass über weitere Konsequenzen nachzudenken
wäre, insbesondere über die Frage, inwieweit es besondere Beauftragte geben muss.
Vielen Dank. - Dann hat jetzt der Kollege Christian
Ströbele die Gelegenheit zu einer Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben darauf hingewiesen,
dass ein Ermittlungsverfahren gegen eine Person anhängig ist. Das ist schön. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass möglicherweise Beamte, die zur gleichen Zeit
im Dienst waren, keine Meldung erstattet haben, weil sie
sich in dem Zuge vielleicht selbst bezichtigen müssten,
dass sie nichts unternommen haben, es geduldet, hingenommen haben, vielleicht sogar mitgemacht haben.
Haben Sie als Behörde die notwendigen Ermittlungen
angestellt, um festzustellen, wer in dieser Zeit, in der das
passiert sein soll, mit dem Verdächtigen zusammen
Dienst gehabt hat? Ich kann mir vorstellen, dass jeder,
der im Hauptbahnhof von Hannover in eine schwierige
Situation kommt, nun fürchten muss, dass er mit Beamten konfrontiert wird und Beamten ausgeliefert wird, die
bei einer solchen Sache schon einmal dabei gewesen
sind oder zumindest etwas mitbekommen haben und
nichts unternommen haben.
Herr Kollege.
Zunächst: Wir sind bei der Sachverhaltsaufklärung.
Es geht um schwerwiegende Vorwürfe. Es muss durch
die Staatsanwaltschaft genau aufgeklärt werden, ob sich
diese Vorwürfe bestätigen. Es ist auch gut, dass das eine
unabhängige Behörde macht und nicht die Bundespolizei selbst.
Selbstverständlich unterstützt die Bundespolizei die
Staatsanwaltschaft. Dabei geht es natürlich auch darum,
sämtliche Unterlagen und insbesondere das Gewahrsamsbuch, in dem all das ja genau dokumentiert ist,
herauszugeben, genau zu benennen, wer zu diesem Zeitpunkt Dienst hatte und wann die Person, die in Gewahrsam genommen wurde, an die Landespolizei übergeben
wurde, die dann ja wegen möglicher Rauschgiftdelikte
weiter ermittelt. Es ist innerhalb dieses staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens natürlich eine Selbstverständlichkeit, dass diese Unterlagen jetzt unmittelbar
zur Verfügung gestellt werden.
Vielen Dank. - Als Nächste hat die Kollegin Britta
Haßelmann die Gelegenheit, eine Frage zu stellen.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich
habe Ihre Ausführungen vorhin nicht verstanden. Wie
kommen Sie auf die Idee, vorzuschlagen, dass Polizeibeamte der Bundespolizei die Möglichkeit hätten, sich in
einem solchen Kontext, den wir hier erfragen, an den
Abgeordneten im Wahlkreis zu wenden? Wie soll ich
mir das vorstellen: Jemand kommt in mein Wahlkreisbüro, und ich berate ihn auch noch darüber? Das kann
doch kein Ersatz sein für rechtlich klare Verfahrensregelungen, die wir haben oder eben nicht haben, sodass wir
solche installieren müssten.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Sie interpretieren mich bewusst falsch. Deshalb
möchte ich es auch klarstellen. Ich habe gerade erklärt,
dass wir selbstverständlich die notwendigen Kontrollmechanismen innerhalb der Behörde Bundespolizei haben müssen.
Die Kollegin Mihalic hat mich gefragt, was bei der
parlamentarischen Kontrolle noch verbessert werden
kann. Dies ist zunächst einmal eine Frage des Parlaments selbst. Dann habe ich darauf hingewiesen, dass
die parlamentarische Kontrolle generell bzw. zumeist
dadurch ausgeübt wird, dass der Bundestagsabgeordnete
Hinweise bekommt. Das bezieht sich jetzt aber nicht
speziell auf Vorgänge bei der Bundespolizei, sondern gilt
ganz generell.
Vielen Dank. - Die Kollegin Keul möchte noch eine
Nachfrage stellen. - Bitte schön.
Bevor jetzt die Verwirrung vollständig ist: Ich glaube,
Kollegin Mihalic so verstanden zu haben, dass sie fragte,
ob denn die Bundesregierung als oberste Dienstherrin
der Bundespolizei von dem Vorfall erfahren hätte, nicht
das Parlament.
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Frau Mihalic hat danach gefragt, inwieweit der Bundestag seine Kontrolle besser ausüben kann; das war die
Frage von Frau Mihalic.
({0})
Ich habe jetzt aber Ihre Frage nicht verstanden.
({1})
Ich habe keine weiteren Nachfragen zu dieser Frage.
Wir kommen zur dringlichen Frage 3 der Kollegin
Mihalic:
An welche Stelle außerhalb der Hierarchie können sich angesichts der Misshandlungsvorwürfe gegen Beamte der Bundespolizei Polizistinnen und Polizisten der Bundespolizei
oder auch des Bundeskriminalamtes aktuell wenden, um Hinweise auf solche Vorgänge zu melden?
Frau Mihalic, wenn Sie damit einverstanden sind,
dass wir die Beantwortung durch die Antwort des Staatssekretärs von vorhin als gegeben ansehen, würde ich Ihnen jetzt die Gelegenheit geben, Ihre Nachfragen zu stellen.
Ich habe die Antwort auf die dringliche Frage 3 bereits zusammen mit der Antwort auf die dringliche
Frage 2 vorgelesen.
Ja, Sie haben sie eben schon beantwortet.
Ich kann die Antwort gerne noch mal vortragen, wenn
das gewünscht ist.
Darauf können wir vielleicht verzichten, und stattdessen kann Ihnen die Kollegin Mihalic jetzt Zusatzfragen
stellen. - Bitte schön, Frau Kollegin Mihalic.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte gerne
meine Zusatzfrage stellen und dabei die Gelegenheit nutzen, das vorhin Gesagte noch einmal aufzugreifen, weil
sich meine Frage auf denselben Sachzusammenhang bezieht.
Es gibt aktuell ja keine unabhängige Stelle, an die
sich Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte wenden können; alles ist entweder in die Hierarchie der Bundespolizei oder in einen anderen öffentlich-rechtlichen Kontext
eingebunden, der nicht unbedingt als unabhängig bezeichnet werden kann. Da stellt sich natürlich schon die
Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Stelle sozusagen
außerhalb jeder Hierarchie zu schaffen - auch um zum
Beispiel eine bessere parlamentarische Kontrolle zu gewährleisten -, an die sich Beamte und Beamtinnen in einem solchen Fall wenden können. Ich möchte noch einmal nachfragen, inwiefern die Bundesregierung ein
solches Ansinnen unterstützt, auch unter dem Gesichtspunkt, die parlamentarische Kontrolle zu verbessern.
Herr Staatssekretär.
Selbstverständlich gibt es schon jetzt unabhängige
Stellen, an die sich ein Bundespolizist wenden kann,
wenn er Gesetzesverstöße mitbekommt. Er kann sich
zum Beispiel an die Landespolizei wenden. Sie ist unabhängig, ist nicht in die Hierarchie der Bundespolizei eingebunden. Selbstverständlich kann er sich auch an die
Staatsanwaltschaft wenden. Das ist auch die richtige
Stelle, wenn es um die Verfolgung von Straftaten geht.
Insofern glaube ich nicht, dass wir durch die Schaffung von weiteren Stellen aus dem Dilemma herauskommen, das Sie vorhin angesprochen haben, nämlich dass
sich derjenige, der bei einer Straftat nicht hingeguckt hat
oder Beteiligter war, unter Umständen selbst belastet,
wenn er diese Straftat anzeigt. Aus diesem Dilemma
kommt man auch nicht heraus, wenn man eine zusätzliche Stelle schafft, die beispielsweise bei der Bundespolizei oder eben auch woanders angesiedelt ist. Nichtsdestotrotz werden wir natürlich nach Aufklärung des
Sachverhaltes, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen abgeschlossen hat, auch über solche Dinge reden
müssen.
Frau Kollegin Mihalic.
Ich möchte noch einmal meine Frage von vorhin aufgreifen, die meine Kollegin zwar auch schon einzugrenzen versucht hat, was aber nicht zu einer hinreichenden
Beantwortung Ihrerseits geführt hat: Wie unterstützt die
Bundesregierung konkret die heutigen Möglichkeiten
der parlamentarischen Kontrolle, wenn es darum geht,
von solchen Vorfällen bei der Bundespolizei Kenntnis zu
erlangen?
Bitte schön.
Wir unterstützen die parlamentarische Kontrolle als
Bundesregierung vor allen Dingen dadurch, dass wir Informationen zur Verfügung stellen. Das haben wir heute
im Innenausschuss gemacht. Der Präsident des Bundespolizeipräsidiums ist heute sofort in den Innenausschuss
gekommen, aber auch der Präsident der zuständigen
Bundespolizeidirektion. Das ist nach unserer Auffassung
die beste Form der Unterstützung der parlamentarischen
Kontrolle.
Vielen Dank. - Ich sehe keine weiteren Nachfragen.
Dann kommen wir zur dringlichen Frage 4 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich
der Beihilfe oder des Unterlassens von Hilfeleistungen durch
Beamte der Bundespolizei während der mutmaßlichen Misshandlungen von Flüchtlingen in den Gewahrsamszellen der
Bundespolizeiinspektion Hannover am 9. März 2014 und am
25. September 2014 durch den von der Staatsanwaltschaft
Hannover Beschuldigten ({0}), und welche ähnlichen Vorfälle bei der Bundespolizei sind der Bundesregierung in den letzten drei Jahren bekannt geworden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ich beantworte die Frage des Abgeordneten Ströbele
wie folgt: Der Sachverhalt bezüglich der angenommenen
Misshandlungen von Flüchtlingen wird derzeit von der
Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt. Die Staatsanwaltschaft hat darum gebeten, die eigenen Ermittlungen der Bundespolizei ruhen zu lassen, bis die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abgeschlossen sind.
Über mögliche weitere Beteiligungen kann daher keine
Aussage getroffen werden.
Der Bundespolizei liegen keine Erkenntnisse über die
Misshandlung von Flüchtlingen in Gewahrsamszellen in
den vergangenen drei Jahren vor.
Herr Kollege Ströbele.
Da Sie vorhin eine ähnliche Frage von mir nur zu einem ganz kleinen Teil beantwortet haben, stelle ich sie
jetzt noch einmal ganz konkret: Sind die Mitarbeiter der
Bundespolizei, gegen die entweder direkt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren läuft, gegen die ein Verdacht besteht oder die zumindest während der Zeit, in
der die Vorfälle passiert sein sollen, anwesend gewesen
sind, noch im Dienst? Müssen also Personen, die den
Hauptbahnhof in Hannover aufsuchen, gewärtig sein,
dass sie mit solchen Mitarbeitern der Bundespolizei konfrontiert werden?
Bitte schön.
Der Hauptbeschuldigte ist nicht im Dienst. Ob die anderen zurzeit im Dienst sind oder sich noch im Urlaub
befinden oder anderswo sind, das kann ich nicht sagen;
das entzieht sich momentan meiner Kenntnis. Aber es ist
dafür gesorgt worden, dass der Hauptbeschuldigte nicht
mehr berechtigt ist, in der Öffentlichkeit eine Waffe oder
eine Uniform zu tragen.
Herr Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, sind Sie, nach dem, was Sie vorhin schon ausgeführt und auch jetzt angedeutet haben,
mit mir der Auffassung, dass auch Personen, die anwesend waren, die möglicherweise Wahrnehmungen gemacht haben, aber offensichtlich nichts unternommen
haben, ungeeignet sind, weiterhin an der Dienststelle
Dienst zu tun, zumindest so lange, bis die Vorfälle geklärt und Konsequenzen gezogen worden sind?
Herr Staatssekretär.
Das muss jetzt die Sachverhaltsaufklärung ergeben.
Nach meinem Kenntnisstand sind weitere Beschuldigte
nicht mehr an dieser Dienststelle im Dienst, sondern sind
bereits an anderen Dienststellen tätig. Die Antwort
würde ich Ihnen aber gerne schriftlich nachreichen, um
detaillierter Stellung nehmen zu können.
Ich sehe keine weiteren Meldungen zu einer Nachfrage. Damit sind die dringlichen Fragen aufgerufen und
beantwortet.
Ich rufe die mündlichen Fragen auf Drucksache 18/4907
in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend.
Die Fragen 1 und 2 der Abgeordneten Katrin Kunert
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Enak Ferlemann zur Verfügung.
Die Frage 3 des Abgeordneten Matthias Gastel wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Matthias
Gastel auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
Tatsache, dass sich das Land Baden-Württemberg an der
Finanzierung von Lärmschutzmaßnahmen an der Rheintalbahn beteiligt, die eigentlich in der Zuständigkeit des Bundes
liegt ({0}), und
inwieweit teilt die Bundesregierung die Kritik an der Finanzierung von Lärmschutzmaßnahmen durch die Länder insbesondere vor dem Hintergrund unterschiedlicher Finanzstärken
der Bundesländer ({1})?
Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Kollege Gastel fragt danach, ob die
Finanzierung von Lärmschutzmaßnahmen, die an der
Rheintalbahn getätigt worden sind, und zwar von Dritten, in dem Fall vom Land Baden-Württemberg, obwohl
eigentlich der Bund zuständig ist, sinnvoll ist. Dazu gebe
ich folgende Antwort: Die Finanzierungszuständigkeit
des Bundes bezüglich der Lärmvorsorge im Rahmen von
Maßnahmen des Bedarfsplans Schiene ist auf den in den
einschlägigen gesetzlichen Vorschriften verankerten
Umfang begrenzt. Zur Umsetzung darüber hinausgehender Forderungen bedarf es, wie im Falle der Rheintalbahn, auch künftig zusätzlicher Finanzierungsquellen
und eines expliziten Auftrags des Haushaltsgesetzgebers.
Herr Kollege, Sie haben die Möglichkeit, nachzufragen. - Bitte schön.
Das muss ich auch tun, weil der zweite Teil der Frage
nicht beantwortet wurde. Herr Staatssekretär, ich bitte da
um Antwort.
Zu dem ersten Teil meiner Frage, den Sie teilweise
beantwortet haben: Ich habe nicht in Abrede gestellt,
dass diese Maßnahmen sinnvoll sind. Vielmehr geht es
mir um die Frage: Wer finanziert die Maßnahmen? Denn
letztlich geht es darum - und das betrifft den zweiten
Teil meiner Frage -, dass sich Länder, die finanziell besser dastehen, über die gesetzlichen Normen hinausgehende Lärmschutzmaßnahmen für ihre Bürgerinnen und
Bürger leisten können und andere nicht. Das führt dann
dazu, dass es in den Bundesländern unterschiedliche
Lärmstandards gibt. Deswegen die Frage: Betrachtet die
Bundesregierung dies als ein Problem?
Das betrachten wir nicht als ein Problem. Ich teile
Ihre Einschätzung nicht, dass es eine Unterscheidung
gibt zwischen Ländern, die sich das leisten können, und
Ländern, die sich das nicht leisten können. Das ist eine
Frage der Prioritätensetzung der Länder.
Es gibt klare Grundlagen für den Lärmschutz in
Deutschland, die die Bundesregierung auch einhält.
Über diesen Rahmen dürfen wir nur hinausgehen, wenn
Dritte diese Maßnahmen finanzieren oder wenn der
Deutsche Bundestag uns über diesen gesetzlichen Rahmen hinausgehende Lärmschutzmaßnahmen bewilligt.
Das tun wir auch, und in aller Regel gibt es dann, wie im
Fall der Rheintalbahn, eine Mitfinanzierung: 50 Prozent
Bund, 50 Prozent Land. Das ist durchaus üblich, und das
konnten sich bisher auch alle Länder leisten, wenn sie
die Priorität entsprechend gesetzt haben.
Herr Kollege Gastel, möchten Sie noch eine weitere
Frage stellen? - Bitte schön.
Ja, das möchte ich; vielen Dank für die Möglichkeit. Nach meiner Wahrnehmung wird beim Lärmschutz an
der Schiene immer häufiger über die gesetzlichen Standards hinausgegangen, indem die Kommunen oder die
Länder eigene Mittel in die Hand nehmen und damit eine
Aufgabe übernehmen, die eigentlich eine Bundesaufgabe oder eine Aufgabe der DB ist. Meine Frage lautet:
Kann man das aus Sicht der Bundesregierung so interpretieren, dass die geltenden Gesetze und Lärmschutzverordnungen - all das, was es in dieser Richtung gibt nicht ausreichen, oder wie kann man es sich erklären,
dass immer häufiger über die geltenden Normen hinaus
Lärmschutzmaßnahmen finanziert werden?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Präsidentin, das waren viele Fragen in einer
Frage. Es wäre ein abendfüllendes Kolloquium, das alles
zu beantworten; aber ich bemühe mich einmal, das in der
Kürze der Zeit zu tun.
Die Bundesregierung freut sich über jeden Euro, den
ein Dritter zum Lärmschutz beiträgt. Ob es nun Kommunen oder Länder sind, wir machen das gerne, wenn man
in der Bürgerschaft und in den Ländern und Kommunen
über den bestehenden Schallschutz hinausgehen will.
Warum möchten die Menschen das? Es gibt beim Schienengüterverkehr ein Akzeptanzproblem hinsichtlich des
Lärmschutzes. Deswegen forciert die Bundesregierung
massiv die Umrüstung am Rad-Schiene-System mittels
anderer Bremssysteme, um den Schienenlärm in Deutschland bis 2020 flächendeckend zu halbieren. Das ist die
Maßnahme, die am weitesten geht.
Die Menschen haben aber heute erhöhte Anforderungen - vor allem bei Neubaumaßnahmen -, wofür wir
nach unseren gesetzlichen Normen keinen Anlass sehen.
Wenn diese Anforderungen erfüllt werden sollen, dann
muss eben ein Dritter dafür bezahlen. Das ist die derzeitige Lage.
Ich teile nicht Ihre Einschätzung, dass das überall der
Fall ist; aber es gibt einige Strecken, zu denen eine Diskussion in besonderem Maße tobt, und das ist unter anderem die Rheintalbahn.
Vielen Dank. - Ich sehe keine weiteren Nachfragen.
Die Fragen 5 und 6 des Abgeordneten Herbert
Behrens und die Frage 7 der Abgeordneten Sabine
Leidig werden schriftlich beantwortet.
Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Rita SchwarzelührSutter zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Jeweils welcher Sicherheitsebene sind die sicherheitstechnisch wichtigen Hilfssysteme der Atomkraftwerke Gundremmingen B und C - insbesondere das Steuerluftsystem - genehmigungsrechtlich oder laut Betriebshandbuch zugeordnet
({0}), und jeweils welche sicherheitstechnisch
wichtigen Hilfssysteme der Atomkraftwerke Gundremmingen
B und C sind räumlich nicht getrennt ({1})?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl, die in der Fragestellung verwendete Bezeichnung „sicherheitstechnisch
wichtige Hilfssysteme“ wird in den Genehmigungsunterlagen und im Betriebshandbuch des Kernkraftwerks
Gundremmingen nicht verwendet. Die Steuerluftversorgung des Schnellabschaltsystems gehört laut Betriebshandbuch des Kernkraftwerks Gundremmingen nicht zu
den sicherheitstechnisch wichtigen System- und Anlagenteilen und ist damit, wie bereits in der Antwort auf
die Fragen 7 und 8 der Kleinen Anfrage auf Drucksache 18/4742 mitgeteilt, insbesondere nicht Bestandteil
des Sicherheitssystems.
Bereits im Sicherheitsbericht von 1974 zur Errichtung
des Kernkraftwerks ist in einer Genehmigungsunterlage
ausgeführt, dass das Reaktorschnellabschaltsystem so
ausgelegt ist, dass die Reaktorschnellabschaltung beim
Ausfall der Steuerluft automatisch abläuft.
Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie haben jetzt die Möglichkeit einer Nachfrage.
Ja, vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank für
die Antwort, Frau Staatssekretärin. Mich nimmt das etwas wunder, weil die Sicherheitsvorgaben im Allgemeinen nicht von den Atomaufsichten der Länder festgelegt
werden, sondern eine Ebene höher, also im BMUB. Meines Wissens gehört das Steuerluftsystem nach den aktuellen, seit 2012 gültigen Sicherheitsanforderungen an
Atomkraftwerke, also nach dem Stand von Wissenschaft
und Technik, der zugrunde zu legen ist, zu den sicherheitstechnisch wichtigen Einrichtungen. Deswegen habe
ich diesen Begriff gewählt. Können Sie das bestätigen,
oder bestreiten Sie das?
Frau Staatssekretärin.
Bei diesem Kernkraftwerk ist die Bezeichnung „sicherheitstechnisch wichtige Hilfssysteme“ eben nicht in
den Genehmigungsunterlagen und im Betriebshandbuch
enthalten. Die Sicherheitseinrichtungen sind blockzugeordnet und auch getrennt. Danach hatten Sie in Ihrer
Kleinen Anfrage gefragt.
Sicherheitstechnisch wichtige Systeme und Anlagenteile der Blöcke B und C des Kernkraftwerks Gundremmingen werden in dem ihm zugehörigen Betriebshandbuch aufgelistet. Das sind mehr als 100 Einträge und ist
für die Entscheidung hinsichtlich der Meldepflicht von
Ereignissen nach der Verordnung über den kerntechnischen Sicherheitsbeauftragten und über die Meldung von
Störfällen und sonstigen Ereignissen von Bedeutung.
Laut einleitender Erläuterung im Betriebshandbuch
gehört zum Betrachtungsumfang der in der Liste aufgeführten entsprechend eingestuften Komponenten auch
die zugehörige Steuerungs-, Energie- und Hilfsmediumversorgung, soweit sie für die sicherheitstechnische
Funktion von Bedeutung ist.
Eine weitere Nachfrage.
Ja; danke schön, Frau Präsidentin. - Ich habe in der
Tat schon in der schriftlichen Kleinen Anfrage danach
gefragt. Darin hatte ich aber ausdrücklich danach gefragt, welcher Sicherheitsebene die Bundesregierung das
Steuerluftsystem und vergleichbare Systeme zuordnet.
Sie haben sich dann ausschließlich auf die Auskunft des
Bayerischen Staatsministeriums berufen. Nun soll es ein
weiteres Fachgespräch geben. Die Fachgespräche fanden schon in den Jahren 2013 und 2014 statt, und meines
Wissens sollte das Fachgespräch im September 2014 eigentlich das letzte sein, um die letzten noch offenen Fragen zu klären und die Informationen und Angaben zu besprechen, die Ihr Ministerium noch von dem zuständigen
Bayerischen Staatsministerium brauchte.
Deshalb habe ich jetzt die Frage: Wann soll das Gundremmingen-Fachgespräch zwischen BMUB und Landesaufsichtsbehörde stattfinden, das mir in der Antwort
vom 7. Mai genannt wurde, und aus welchen Gründen
bedarf es dieses erneuten Fachgesprächs überhaupt?
Gibt es immer noch ungeklärte Aspekte?
Ich kann Ihnen das genaue Datum nicht mitteilen und
würde Ihnen das gerne schriftlich nachreichen, weil das
auf der Arbeitsebene geklärt wird. Ich würde es Ihnen
dann zukommen lassen.
({0})
Vielen Dank. - Ich sehe keine weiteren Nachfragen.
Dann kommen wir zur Frage 9 der Abgeordneten
Dr. Julia Verlinden:
Wie setzt die Bundesregierung die Empfehlungen der
Europäischen Kommission zur Regulierung von Fracking
({0}), die unter anderem Mindestabstände zu Wohnbebauung, Mindestabstände zwischen
Grundwasser und der zu frackenden Horizonte sowie die
Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung, SUP, vorgeben, im laufenden Gesetzgebungsverfahren zum Fracking
um und, wenn nicht, warum nicht?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Verlinden, die Empfehlung 2014/70 der EU-Kommission enthält eine Vielzahl von Einzelempfehlungen zu den unterschiedlichsten
Aspekten im Zusammenhang mit der Exploration und
Förderung von Kohlenwasserstoffen, zum Beispiel
Schiefergas, unter Einsatz der Fracking-Technologie.
Diese Einzelempfehlungen sollen überwiegend durch
den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wasser- und
naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und
zur Risikominimierung bei den Verfahren der FrackingTechnologie sowie die Verordnung zur Einführung von
Umweltverträglichkeitsprüfungen und über bergbauliche
Anforderungen beim Einsatz der Fracking-Technologie
und Tiefbohrungen im Bundesrecht umgesetzt werden.
Wie Sie wissen, sind der Gesetzentwurf und die Verordnung von der Bundesregierung am 1. April 2015 beschlossen worden.
Bereits in deutsches Recht umgesetzt worden ist dagegen die Empfehlung der Europäischen Kommission
zur Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung
vor der Erteilung von Lizenzen zum Einsatz der Fracking-Technologie. Insoweit besteht hier kein weiterer
Bedarf zur Umsetzung.
Frau Kollegin.
Vielen Dank für die Antwort. - Ich bin etwas überrascht, weil es auch andere Einschätzungen bezüglich
sozusagen der Synchronität der Empfehlungen der EUKommission und des von Ihnen vorgeschlagenen Fracking-Regelungspakets gibt. Aber ich nehme es zur
Kenntnis, dass Sie der Ansicht sind, dass die Empfehlungen der EU-Kommission in dem Gesetzespaketvorschlag entsprechend umgesetzt werden.
Mich interessiert, ob sich die Bundesregierung in Zukunft auf europäischer Ebene dafür einsetzt, dass diese
Empfehlungen der EU weiter verschärft werden. Denn
die Mindestempfehlungen werden gerade evaluiert. Ich
fände es spannend, ob Sie sich als Bundesregierung auf
EU-Ebene zum Beispiel dafür einsetzen, dass es weitere
verbindliche Vorgaben zum Schutz der Umwelt und der
Gesundheit geben soll, oder ob Sie sich vielleicht sogar
für ein verbindliches Fracking-Verbot einsetzen; denn
ich möchte einschätzen können, wie Sie die bundespolitische Debatte auf die europäische Ebene weitertragen
werden. Sie haben wahrscheinlich zur Kenntnis genommen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung in
Deutschland für ein absolutes Fracking-Verbot ist, wie
die jüngste Umfrage von Infratest dimap gezeigt hat.
Bitte schön.
Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf eingebracht. Er befindet sich im parlamentarischen Verfahren.
Dieses parlamentarische Verfahren werden wir abwarten.
Möchten Sie eine weitere Nachfrage stellen? - Bitte
schön, Frau Kollegin.
Ich habe das so verstanden: Sie wollen vor der Evaluation dieser Mindestempfehlungen, die auf EU-Ebene
gelten, erst einmal das parlamentarische Verfahren in
Deutschland abwarten, um sich dann zu entscheiden, wie
man auf EU-Ebene weiter mit dem Thema Fracking umgeht. - Okay.
Ich hätte noch eine weitere Frage. Der Bundesrat hat
sehr viele Verschärfungen des geplanten Fracking-Regelungspakets angemahnt und die Bundesregierung aufgefordert, diesbezüglich aktiv zu werden. Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung zu diesen
Forderungen steht, ob sie Forderungen des Bundesrates
umsetzen wird und, wenn ja, welche. Kann man zum
Beispiel hinsichtlich der gebietsbezogenen Verbotsregelungen mit den vom Bundesrat geforderten Verschärfungen rechnen? Welche Kriterien legen Sie zugrunde, um
zu entscheiden, welche der Forderungen des Bundesrates, die mit großer Mehrheit beschlossen wurden, in
diesen Prozess einfließen?
Frau Staatssekretärin.
Die Bundesregierung hat heute eine Gegenäußerung
zu der Stellungnahme des Bundesrates beschlossen. Darin werden die einzelnen Punkte abgearbeitet.
Vielen Dank. - Damit sind die Fragen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit beantwortet. Ich
bedanke mich bei der Parlamentarischen Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes.
Die Frage 10 des Abgeordneten Hans-Christian
Ströbele wird zurückgezogen.
Die Frage 11 des Abgeordneten Hans-Christian
Ströbele und die Frage 12 der Abgeordneten Britta
Haßelmann werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Britta Haßelmann
auf:
Welche Unterschiede sieht die Bundesregierung im Detail
zwischen dem von Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, und Professor Dr. Markus Krajewski vorgelegten Vorschlag für ein ISDS-Kapitel ({0}) im Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP ({1}) und dem Vorschlag der EU-Kommissarin
Cecilia Malmström zur Reform der Schiedsgerichte in TTIP
({2})?
Gerne beantworte ich die Frage der Kollegin
Haßelmann zum Thema „Reform der Schiedsgerichte in
TTIP“. Die Antwort lautet: EU-Kommissarin Malmström
hat am 4. Mai dieses Jahres ein Konzeptpapier mit Vorschlägen zur Reform von Investitionsschutz und Investor-Staat-Schiedsverfahren vorgelegt, das sich auf die
vier Bereiche bezieht, für die die EU-Kommission nach
Abschluss der Konsultation zu Investitionsschutz und
ISDS weiteren Diskussionsbedarf gesehen hat. Das Konzeptpapier enthält noch keine konkreten Formulierungsvorschläge für Rechtstexte, sondern beschreibt mögliche
Ansätze für Reformen. Nach den ersten positiven Reaktionen von Abgeordneten aus dem Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedstaaten will die Kommission bis zur Sommerpause konkrete Textvorschläge
vorlegen. Bis dahin werden die Mitgliedstaaten mit der
Kommission weitere Gespräche führen, um die Vorschläge zu konkretisieren.
Das Gutachten von Professor Krajewski greift dagegen die Vorschläge des sogenannten Madrid-Papieres
von Bundesminister Sigmar Gabriel und seinen Amtskollegen aus Frankreich, den Niederlanden, Dänemark,
Schweden und Luxemburg zur Reform von Investitionsschutz und ISDS in den vier von der Kommission im
Rahmen der Konsultation identifizierten Bereichen auf.
Professor Krajewski hat auf dieser Grundlage einen konkreten Rechtstext ausformuliert. Das Gutachten von Professor Krajewski ist insoweit deutlich detaillierter als das
Papier der Kommission.
Wegen des unterschiedlichen Charakters der Papiere
ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich, das
Konzeptpapier der Kommission und das Gutachten von
Professor Krajewski direkt miteinander zu vergleichen.
Erst nach Vorlage der konkreten Textvorschläge der
Kommission wird ein Vergleich zwischen der Position
der Kommission und dem Gutachten von Professor
Krajewski möglich sein.
Das Konzeptpapier von Kommissarin Malmström
enthält jedoch Vorschläge, die grundsätzlich in dieselbe
Richtung wie diejenigen des Gutachtens gehen. So
möchte die Kommission das Recht nationaler Parlamente, Gesetze zu erlassen, das Right to Regulate, in einer verbindlichen Vorschrift verankern. Auch möchte die
Kommission ebenso wie Professor Krajewski die
Schiedsrichter durch die Vertragsparteien vorauswählen
lassen und verbindliche Vorgaben für deren Qualifikation im Abkommen vorsehen.
Die Kommission schlägt ebenso wie Krajewski vor,
einen festen Berufungsmechanismus einzurichten. Auch
beim Verhältnis nationaler Gerichtsverfahren zu ISDS
zieht die Kommission ähnlich wie Krajewski eine verbindliche Entscheidung des Investors vor Klageerhebung zwischen nationalem Rechtsschutz und Investitionsschutz als einen von zwei möglichen Ansätzen in
Betracht.
Vielen Dank. - Vielleicht kann die Bundesregierung
zukünftig darauf achten, dass für die Beantwortung nur
zwei Minuten zur Verfügung stehen, wie wir es gemeinsam vereinbart haben. - Die Kollegin Haßelmann hat
jetzt sicherlich noch eine Nachfrage.
Ja; vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, danke für die Antwort. Ich habe eine Nachfrage. Sie
hatten vorhin betont, dass die Bundesregierung in den
nächsten Wochen und Monaten in Brüssel weitere Gespräche über die Frage der Schiedsgerichte führen wird.
Mich würde jetzt interessieren, welche Position Sie als
Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission vertreten, wenn Sie mit Frau Malmström reden. Spricht sich
dann Sigmar Gabriel als Parteichef oder Privatperson gegen private Schiedsgerichte aus, oder vertreten Sie die
bisherige gemeinsame Auffassung der Bundesregierung
- so wird uns das ja immer übermittelt -, sich für private
Schiedsgerichte auszusprechen? Mich würde interessieren: Welche Haltung nehmen Sie dort ein? Mit welcher
Linie verhandeln Sie: Handelsgerichtshof etc. nach
Krajewski oder private Schiedsgerichte nach Merkel?
Die zweite Nachfrage - die kann ich vielleicht gleich
anschließen; dann ist das erledigt -: Wann werden Sie
innerhalb der Bundesregierung einen Beschluss im Kabinett fassen, um im Hinblick auf die Verhandlungen
endlich eine klare Haltung zum Thema Investitionsschutz, private Schiedsgerichte und Daseinsvorsorge
einzunehmen?
Herr Staatssekretär, jetzt dürfen Sie beide Fragen
gleichzeitig beantworten. Sie haben damit für die Beantwortung zwei Minuten.
Ja, gern, Frau Präsidentin. Herzlichen Dank. - Bundesminister Gabriel bzw. das Wirtschaftsministerium ist
ja das entscheidende Ressort für die Fragen, die im Handelsministerrat beraten werden. Im Handelsministerrat
ist am 7. Mai dieses Jahres zum ersten Mal dieses Konzeptpapier beraten worden. Seitens des Vertreters der
Bundesregierung dort ist klargestellt worden, dass das in
die richtige Richtung geht.
Gleichwohl wissen wir, dass wir den Dialog mit den
anderen Mitgliedstaaten als Partner hinsichtlich einer gemeinsamen Position gegenüber der Kommission - vor
dem Hintergrund des Madrid-Papiers - weiterzuführen
haben. Wir hoffen, dass sich auch die Kommission - das
ist ja der entscheidende Fakt - in diese Richtung bewegen möchte und bewegen wird. Wenn wir einen konkreten Textvorschlag haben, kann man darüber auch konkret sprechen. Dann werden wir ihn mit dem
vergleichen, was Krajewski vorgeschlagen hat, und wir
hoffen, dass wir dann auch in der Diskussion mit der
Kommission die entsprechenden Klarstellungen hinsichtlich der Fähigkeiten von Personen, die in solchen
Schiedsgerichten sitzen, des Verfahrens für die formale
Berufung solcher Personen und des gesamten Prozederes, das notwendigerweise dazugehört, fixieren können.
Wichtiger Punkt ist, dass Europa in dieser Frage eine
einheitliche Position findet. Wir wollen alles dafür tun,
dass das auch gelingt. Gott sei Dank haben wir diverse
Mitgliedstaaten, die sich in diesen Madrid-Prozess ebenfalls eingebracht haben, auf unserer Seite. Ich denke, das
ist schon einmal ein gutes Ergebnis.
Vielen Dank.
({0})
Den Kabinettsbeschluss kann ich zurzeit leider noch
nicht in irgendeiner Weise avisieren. Ich denke, er wird
wie üblich im Laufe dieses Prozesses kommen; aber terminieren kann ich ihn zurzeit nicht.
Wunderbar. - Der Kollege Kekeritz hat noch eine
Nachfrage. Bitte schön.
Danke schön. - Es ist ja interessant, dass sich im Bereich des Schiedsgerichtsverfahrens bei TTIP sehr viel
tut. Dort bewegt sich offensichtlich etwas. Welche Relevanz hat eigentlich diese Veränderung, wenn man davon
ausgehen kann, dass 80 Prozent sämtlicher amerikanischen Konzerne Niederlassungen in Kanada haben und
diese über das traditionelle Schiedsgerichtsverfahren in
Kanada klagen können?
Weil ich mit dieser Frage gerechnet habe
({0})
und sie ja auch auf der Hand liegt, kann ich Ihnen folgende Antwort geben: Auch die Kommission denkt über
diese Frage nach. Die Kommission hat auch Gespräche
über mögliche Verbesserungen hinsichtlich dieses Kontextes mit Kanada aufgenommen. Zurzeit läuft die
Rechtsförmlichkeitsprüfung. Das ist eine Gelegenheit,
noch einmal mit Kanada in dieser Frage ins Gespräch zu
kommen. Bei substanziellen Änderungen werden wir sehen, wie sich die kanadische Seite verhält. Ich habe jedenfalls Kenntnis davon, dass aus Kanada Signale gekommen sind, dass man durchaus bereit ist, in dieser
Frage noch eine Nachbesserung zuzulassen, einfach
auch aus dem Interesse heraus, dass das Abkommen
Gültigkeit erlangt.
Danke schön.
Wir kommen zur Frage 14 der Abgeordneten KottingUhl:
Jeweils von wem sollen nach aktueller Planung die drei
hinsichtlich der Rückstellungen der Atomkraftwerke betreibenden Energiekonzerne für AKW-Rückbau und Atommüllentsorgung angekündigten Vorhaben Stresstest der Werthaltigkeit, Gewährleistung der Konzernhaftung auch bei
Konzernumstrukturierungen und Prüfung der Etablierung einer internen oder externen Fondslösung bearbeitet werden,
und jeweils bis wann ({0})?
Bitte schön.
Auch diese Frage beantworte ich gerne. Bei der Frage
geht es um die Rückstellungen der Atomkraftwerke. Die
Antwort der Bundesregierung lautet wie folgt: Für die
Frage der Rückstellungen im Kernenergiebereich ist innerhalb der Bundesregierung das Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie federführend zuständig. Die drei
von der Fragestellerin genannten Maßnahmen werden
daher federführend vom BMWi in Abstimmung mit dem
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit bearbeitet. Derzeit entwickelt das
BMWi ebenfalls in Abstimmung mit dem BMUB die
Eckpunkte dieser Maßnahmen und wird voraussichtlich
zeitnah einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer mit der
Untersuchung der Rückstellungen der Energieversorgungsunternehmen beauftragen. Die beiden anderen
Maßnahmen werden derzeit rechtlich vertieft geprüft.
Frau Kotting-Uhl.
Danke für die Gelegenheit zur Nachfrage. - Herr
Staatssekretär, wir alle lesen im Allgemeinen ja den
Spiegel. Sicherlich haben auch Sie die Meldung gelesen,
dass das Kanzleramt, dass Kanzleramtsminister
Altmaier jetzt ankündigt, dass bis zum Sommer über die
Frage, welche Lösung für die Rückstellungen gefunden
werden soll, entschieden werden soll. Ich sehe zwischen
den Auskünften, die Sie mir geben und die mir auch
Frau Zypries schon gegeben hat, wann denn nun die Entscheidungsgrundlagen vorhanden sein sollen, und der
Ankündigung von Kanzleramtsminister Altmaier ein gewisses Delta. Deswegen frage ich zum einen: Können
Sie die Meldung in der aktuellen Spiegel-Ausgabe, dass
das Kanzleramt noch vor der Sommerpause entscheiden
will, bestätigen? Zum anderen: Ist das BMWi als das zuständige Fachressort in der Lage, bis dahin die Entscheidungsgrundlagen zu haben, präsentieren zu können? Es
geht ja nicht nur um die Beauftragung, sondern der Auftrag muss dann auch ausgeführt sein.
Bitte schön.
Ich kann für die Bundesregierung hier nicht irgendwelche Texte aus dem Spiegel bestätigen; das sei dahinParl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
gestellt. Das ist hier heute auch nicht meine Aufgabe. Ich
kann für das Bundeswirtschaftsministerium an dieser
Stelle nur ausführen, dass wir vor dem Hintergrund der
Diskussionen, die Sie mit Ihrer Frage berührt haben, die
Risiken der Rückstellungen der KKW-Betreiber einem
Stresstest unterziehen - das haben wir auch öffentlich
gesagt -, um Klarheit darüber zu gewinnen, ob alle Aufgaben und die damit voraussichtlich verbundenen Kosten in den gebildeten Rückstellungen vollständig enthalten sind. Das ist, denke ich, der erste notwendige und
wichtige Schritt. Ein damit verbundenes Ziel ist auch,
die Transparenz für die allgemeine Öffentlichkeit zu erhöhen.
Als Ergebnis der Prüfung der Rückstellungen soll dargestellt werden, unter welchen Annahmen und besonders für welche Aufgaben und erwarteten Kosten Rückstellungen in den Bilanzen gebildet sind. Ziel ist es, die
Rückstellungen auf Vollständigkeit und Angemessenheit
zu prüfen. Ein weiteres Ziel auch im Hinblick auf die
Kostentragungspflichten der KKW-Betreiber bzw. der
Konzerngesellschaften ist es, einen gewissen Einblick in
das Vermögen der Unternehmen im Hinblick auf die
Rückstellungszwecke zu gewinnen. Das ist, denke ich,
die logische Konsequenz aus dem jetzigen Prozess. Diesen Prozess müssen wir jetzt erst einmal vorantreiben,
um diese Erkenntnisse zu erlangen.
Frau Kollegin.
Danke. - Zweite Nachfrage. Das ist völlig richtig. All
das, was Sie gesagt haben, sehe auch ich als richtig an.
Aber darum ging es in meiner Frage nicht. Sie müssen
den Spiegel nicht lesen oder Spiegel-Meldungen bestätigen; aber ich erwarte von Ihnen schon, dass Sie innerhalb der Bundesregierung auch über solche Fragen einen
gewissen Austausch pflegen. Wenn nun der Kanzleramtsminister ankündigt, dass bis zur Sommerpause eine
Entscheidung vorliegen soll, dann ist es mir ein bisschen
zu wenig, wenn Sie nur referieren, was der Inhalt der
Entscheidungsgrundlage sein soll. Denn das, mit Verlaub, weiß ich bereits.
Ich muss also noch einmal die gleiche Frage stellen:
Gibt es eine Abstimmung zwischen dem Kanzleramt und
dem Bundeswirtschaftsministerium? Wie sieht es mit
der Zeitspanne aus? Gibt es bis zum Sommer Entscheidungsgrundlagen, oder ist das wieder einmal einfach ein
Schuss ins Blaue, der seinen Weg in den Spiegel findet,
in dem dann zu lesen ist, dass bis zum Sommer entschieden werden muss, obwohl das überhaupt nicht zur Debatte steht?
Herr Staatssekretär.
Liebe Kollegin, seien Sie gewiss, dass wir nicht trommeln, sondern dass wir Telefone haben und miteinander
kommunizieren
({0})
und dass auch zwischen dem Wirtschaftsministerium
und dem Kanzleramt ordentlich kommuniziert wird.
Ich habe Ihnen eben plausibel dargelegt - Sie haben
das bestätigt -, was notwendigerweise von allen, die da
aktiv sind, gewusst werden muss. Der Stresstest, den wir
durchführen, ist die Grundlage für alle Entscheidungen von wem auch immer sie getroffen werden. Am Ende
wird die Bundesregierung insgesamt eine Entscheidung
zu treffen haben. Das muss ordentlich vorbereitet werden.
Danke schön. - Der Kollege Krischer hat eine Nachfrage. Bitte.
Herr Beckmeyer, mich würde interessieren - das war
auch die Frage der Kollegin Kotting-Uhl -, ob Sie es für
realistisch halten, dass Ihre Entscheidungsgrundlagen
bis zum Sommer vorliegen und dass das, was Peter
Altmaier im Spiegel ankündigt, dann auch angegangen
werden kann. Ist das eine realistische Perspektive, oder
schätzen Sie es so ein, dass das bis zum Sommer überhaupt nicht zu leisten ist?
Herr Staatssekretär.
Ich bin nicht hierhergekommen, um in irgendeiner
Weise Terminsetzungen zu bestätigen.
({0})
Was wir leisten können, ist, dass der Stresstest jetzt ordentlich durchgeführt wird.
Ich möchte an dieser Stelle Folgendes sagen: Wenn
Sie sich das Atomgesetz anschauen, aus dem wir das
Recht, nachzufragen, ableiten, sehen Sie, dass wir kaum
Instrumente in der Hand haben, die Unternehmen zu
zwingen, alles offenzulegen. Wir sind daher auf Kooperationen mit den Unternehmen angewiesen. Wir setzen
darauf, dass wir diese Fragen durch gute Gespräche mit
den Unternehmen möglichst zügig und umfassend klären
können und auf diese Art und Weise ein ausreichendes
Bild davon bekommen, wo wir stehen und welche Maßnahmen wir ergreifen müssen, um das Ziel, das wir alle,
denke ich, gemeinschaftlich verfolgen, zu erreichen.
Da es keine weiteren Nachfragen gibt, kommen wir
zur Frage 15 des Kollegen Oliver Krischer:
Hält die Bundesregierung die Rückstellungen für Atomkraftwerke für gesichert, vor dem Hintergrund der Aussage
des Vorstandsvorsitzenden der RWE AG, Peter Terium
({0}), der angab, dass die
Rückstellungen für Atomkraftwerke erst noch verdient werden müssten?
Herr Staatssekretär.
Auch Ihre Frage, Herr Krischer, beantworte ich gerne.
Es geht um die Aussagen von Herrn Terium hinsichtlich
der Rückstellungen für Atomkraftwerke. Das ist also ein
ähnliches Thema wie das, das wir eben gehabt haben.
({0})
Die Bundesregierung beantwortet die Frage wie folgt:
Das Recht der Rechnungslegung schreibt vor, dass
Rückstellungen mit nach vernünftiger kaufmännischer
Beurteilung notwendigem Erfüllungsbetrag anzusetzen
sind und unter Berücksichtigung des marktüblichen
Zinsniveaus abgezinst werden müssen. Dahinter steht
der wirtschaftliche Gedanke, dass die Vermögenswertanlagen der Unternehmen eine Rendite erwirtschaften, die
auch für die Erfüllung der den Rückstellungen zugrundeliegenden Verpflichtungen verwandt werden kann. Bleiben alle Kosten unverändert, ist also jährlich die Rückstellung aufzuzinsen und eine entsprechende Zuführung
zu bilanzieren. Insofern entspricht es handelsrechtlichen
Vorgaben, dass Erfüllungsbeträge von Rückstellungen
bis zum Fälligkeitszeitpunkt noch teilweise erwirtschaftet werden müssen.
Im Übrigen sind die Kernkraftwerke betreibenden
Energieversorgungsunternehmen als Verursacher gesetzlich verpflichtet, sämtliche Stilllegungs- und Rückbaukosten der Kernkraftwerke sowie die Kosten zur Entsorgung radioaktiver Abfälle zu tragen. Sie sind angesichts
ihrer Verpflichtung, entsprechende Rückstellungen zu
bilden, auch für etwaige Kostenberechnungen und Kostenschätzungen verantwortlich. Dabei muss gewährleistet sein, dass die erforderlichen finanziellen Mittel im
Bedarfsfall in der notwendigen Höhe zur Verfügung stehen.
Vielen Dank. - Es gibt eine Nachfrage. Bitte schön.
Herr Kollege Beckmeyer, ich glaube, heute haben wir
beide das Problem, dass Sie mir immer die Gesetzestexte
vorlesen.
Das ist doch kein Gesetzestext.
Es ist aber eine Erläuterung bzw. die Übersetzung des
Gesetzestexts. Mit der Antwort konterkarieren Sie völlig
das, was Sie eben der Kollegin Kotting-Uhl gesagt haben; denn Sie sagen nichts anderes, als dass alles gut ist
und man Peter Terium an dieser Stelle durchaus recht geben kann. Anders kann ich das nicht interpretieren; denn
er sagt uns, dass das Geld, das er als Rückstellung in
seine Bilanz eingestellt hat, faktisch nicht da ist.
Sie haben eben netterweise gesagt, Sie seien bei der
Frage der Rückstellungen auf die freundliche Kooperation der Energieversorgungsunternehmen - so ungefähr
war Ihr Wortlaut - angewiesen. Deshalb würde mich angesichts der Äußerung von Peter Terium, die ich nur so
interpretieren kann, dass das Geld nicht da ist und dass
die ernsthafte Situation eintreten kann, dass das Geld
nicht mehr realisierbar ist, interessieren - das ist meine
Frage -: Ist es nicht notwendig, dass wir schnell gesetzliche Grundlagen schaffen, damit Sie anders handeln können?
Bitte schön.
Auf die letzte Frage antworte ich rundheraus Ja. Wir
müssen eine Basis schaffen, mit der wir sicherstellen,
dass die notwendigen Finanzen zur Verfügung stehen,
wenn der Fall eintritt, dass rückgebaut werden muss
und dass weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Das ist zweifelsohne völlig richtig. Da sind wir völlig
d’accord.
Was über das wirtschaftliche Agieren von RWE gesagt wird, ist aber auch richtig. RWE hat das Geld natürlich nicht irgendwo auf einem Konto liegen, sondern das
Geld steckt in dem Unternehmen und das Unternehmen
wirtschaftet damit. Auf der Passiv- und Aktivseite in der
Bilanz gibt es unterschiedliche Bewertungsmöglichkeiten. Das ist eine Frage, die ebenfalls richtig ist. Sie wird
nur draußen falsch interpretiert, und zwar nach der Melodie: Wir haben das Geld nicht, und deshalb müssen wir
das Geld erst einmal verdienen. - Nein, die haben Geld,
die müssen aber auch Geld verdienen, und zwar mit den
Anlagen, die sie besitzen. Das ist genau der Punkt, den
ich hier zum Ausdruck gebracht habe.
Vielen Dank. - Eine weitere Frage.
Herr Kollege Beckmeyer, ich habe das bisher immer
so verstanden, dass das Geld für die Rückstellungen für
den Rückbau und die Endlagerung schon in der Vergangenheit durch die Atomkraft selber verdient worden ist
und dass über die subventionierte Produktionsform am
Ende das Geld bei den Konzernen gelandet und für die
Rückstellungen verwendet worden ist. Herrn Terium
verstehe ich aber so, dass genau das nicht passiert ist,
sondern dass keine Rückstellungen aus dieser Energieerzeugungsform erwirtschaftet worden sind. Deshalb sagt
er in einem weiteren Schritt: Wir brauchen unsere alten
Kohlekraftwerke, um damit das Geld für die Atomrückstellungen und andere Verbindlichkeiten des Konzerns
zu verdienen.
Deshalb meine Frage an Sie: Ist es aus Ihrer Sicht ein
Erwägungsgrund für die Bundesregierung, dass die
Energiekonzerne, zum Beispiel RWE, um Atomrückstellungen bedienen zu können, Kohlekraftwerke länger, als
das vielleicht einmal mit Klimaschutzabgaben oder anOliver Krischer
deren Maßnahmen von der Bundesregierung vorgesehen
war, weiter betreiben können?
Herr Staatssekretär.
Herr Krischer, noch einmal: Wenn Sie der Meinung
sind, dass das Geld thesauriert ist, dann sind Sie naiv.
({0})
Thesauriert worden ist das nicht, sondern es ist im handelsrechtlichen System der Passivierung von Rückstellungen insgesamt im Unternehmen. Das Unternehmen
haftet mit dem vollständigen Vermögen für die durch die
Rückstellungen abgebildeten Verbindlichkeiten.
Die haben aber 30 Milliarden Euro Schulden. Womit
will das Unternehmen haften?
Wenn das Unternehmen Außenstände hat, heißt das
nicht, dass es überschuldet ist. Wenn dem so wäre, müssten Sie hier feststellen, dass das Unternehmen überschuldet ist. Das möchte ich im Bundestag nicht tun, weil das
nicht zutreffend ist. Insofern seien Sie vorsichtig mit solchen Äußerungen hinsichtlich der Kondition von großen
Unternehmen in Deutschland.
Ich sage an dieser Stelle nur: Eine Zuordnung konkreter Vermögenswerte zu den einzelnen Verbindlichkeiten
bzw. Rückstellungsposten findet im Handelsrecht nicht
statt. Insofern muss man diese öffentliche Aussage von
Herrn Terium auch so aufnehmen. Er verhält sich im
handelsrechtlichen Rahmen völlig korrekt. Dass das
draußen anders aufgenommen wird, liegt immer an der
Interpretation des jeweils anderen, der das möglicherweise missverstehen möchte.
Vielen Dank. - Jetzt hat die Kollegin Kotting-Uhl
eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich jetzt einige Ihrer Aussagen zitiere, dann werden Sie vielleicht mit mir zusammen Widersprüche darin finden. Sie sagten zum einen:
Die Betreiber sind verpflichtet. - Das wissen wir ja auch.
Dann sagten Sie: Es muss gewährleistet sein, dass die
Mittel zur Verfügung stehen. - Außerdem sagten Sie:
Wir müssen eine Basis schaffen, die sicherstellt, dass das
Nötige vorhanden ist. - Zum Schluss sagten Sie noch in
einer Antwort auf eine Frage von Herrn Krischer: Die
haben Geld.
Wenn ich das alles jetzt zusammenfüge, dann kann
ich daraus eigentlich nur schließen, dass Sie ganz genau
wissen, dass diese Äußerungen von Herrn Terium ein
Erpressungsversuch sind, für die es eigentlich keine
Grundlage gibt; denn die Unternehmen sind verpflichtet,
Rückstellungen zu bilden. Sie haben Geld; denn sie haben Geld verdient. Es kann also nur ein Erpressungsversuch sein, um das Wirtschaftsministerium zu zwingen,
von der geplanten Klimaschutzabgabe abzurücken, zumindest so weit, dass es Herrn Terium wieder passt. Sie
müssten doch mit mir einig sein, wenn ich behaupte,
dass man diesen Erpressungsversuch eigentlich mit Empörung zurückweisen müsste. Sind Sie da nicht meiner
Meinung?
Herr Staatssekretär.
Erstens. Ihre Behauptung, ich hätte etwas gesagt, was
sich widerspricht, weise ich zurück; das stimmt nämlich
nicht. Zweitens. Ich sehe das nicht als einen Erpressungsversuch, auch wenn Sie es als einen solchen verstehen.
Sie haben in diesem Bereich viel Erfahrung, da Sie im
politischen Raum schon lange tätig sind. Womit haben
wir es zurzeit zu tun? Wir haben eine entsprechende
steuerliche Berichterstattung, die in den Finanzbehörden
vertraulich behandelt wird und die uns für die Beurteilung nicht zur Verfügung steht. Was wir zusätzlich haben, ist das, was solche Gesellschaften veröffentlichen,
nämlich ihre Bilanzen, und in diese Bilanzen wollen wir
jetzt hineinschauen. Wir wollen herausfinden, in welcher
Werthaltigkeit das, was vorhanden ist, existiert. Das bedeutet, dass wir uns gemeinsam mit den Unternehmen
diesem Stresstest nähern. Damit bekommen wir im
Grunde eine gute, solide Basis von Kenntnissen über die
Werthaltigkeit der verschiedenen Bereiche des Unternehmens.
Ich will nicht ausschließen, verehrte Kollegin, dass
bezogen auf Marktsituationen Risiken da sind; das ist
zweifelsohne so. Es wäre politisch töricht, das auszuschließen. Aber diese Risiken muss man ebenfalls beurteilen, und im Stresstest werden wir das Entsprechende
feststellen.
Jetzt hat die Kollegin Steffi Lemke das Wort.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für Ihre bisherigen
Antworten. Ich finde diese Antworten durchaus aufschlussreich. Wenn wir schon einmal dabei sind, dann
möchte ich Ihnen natürlich auch bestätigen, dass Sie
nicht naiv sind. Deshalb gehe ich fest davon aus, dass
Sie nicht glauben, dass Herr Terium diese Aussage presseöffentlich getroffen hat, um der Bundesregierung oder
der Öffentlichkeit anzukündigen, dass sein Unternehmen
gerade ganz vehement dabei ist, die Rückstellungen gesetzeskonform vorzunehmen. Das kann nicht Sinn und
Zweck dieser Aussage gewesen sein; vielmehr muss hinter dieser Aussage eine andere Absicht stecken.
Die Interpretation, dass es ein Erpressungsversuch ist,
haben Sie gerade zurückgewiesen. Sie haben aber eben
bestätigt, dass in Abhängigkeit von Marktsituationen natürlich Risiken vorhanden sind. Eine Absicht kann also
gewesen sein, anzukündigen, dass RWE nicht in der
Lage sein könnte, die Bereitstellung dieser Rückstellungen vollständig zu gewährleisten. Sie haben auch ausgeführt: Dann müssen wir - Sie benutzten das Wort „wir“ Maßnahmen ergreifen, dass die Verpflichtung, Rückstellungen bereitzustellen, nichtsdestotrotz erfüllbar ist. Welche Maßnahmen plant denn die Bundesregierung für
den Fall, dass die von Ihnen hier eben in den Raum gestellten Marktrisiken dazu führen, dass RWE die Rückstellungen nicht bedient?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ich möchte mich nicht selbst interpretieren.
({0})
Die Bundesregierung versucht, nach besten Wissen und
Gewissen vorzugehen.
({1})
- Ja, genau.
Bitte keine Zwiegespräche.
Ich habe eben ausgeführt, dass wir einen Stresstest
machen, um Klarheit darüber zu gewinnen, wie es in den
Unternehmen aussieht. Da kooperieren wir mit Unternehmen, und die Unternehmen kooperieren auch mit
uns. Das ist auch schon angekündigt, und das ist erst einmal positiv und wichtig. Wenn wir diesen Stresstest abgeschlossen haben, dann werden wir über Maßnahmen
nachdenken müssen und gegebenenfalls auch Maßnahmen ergreifen müssen. Aber jetzt schon vor dem Stresstest über Maßnahmen zu reden, wäre, glaube ich, falsch.
Insofern: Eins nach dem anderen; das ist klug, das ist
richtige Politik und angemessen.
({0})
Danke schön. - Die Frage 16 des Kollegen Krischer
ist zurückgezogen.
Wir kommen zur Frage 17 der Kollegin Dr. Julia
Verlinden:
Mit welchen konkreten Maßnahmen über die bereits im
Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz genannten ({0}) hinaus will die Bundesregierung, wie von Bundesminister Sigmar Gabriel in seinem Schreiben vom 5. Mai
2015 an die Mitglieder der SPD-Fraktion angekündigt, ineffizienten Ölheizungen „zu Leibe rücken“, und ab welchem Jahr
plant die Bundesregierung, den Einbau von Ölheizungen in
Neu- und Altbauten generell zu beenden?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Beckmeyer.
Auch diese Frage beantworte ich gern. - Die Bundesregierung wird den Austausch besonders ineffizienter
Heizungsanlagen durch besonders effiziente Anlagen in
Form einer verstärkten Zuschussförderung anreizen. Die
konkreten Förderbedingungen werden derzeit spezifiziert. Zusammen mit den im Nationalen Aktionsplan
Energieeffizienz genannten Maßnahmen wie Heizungscheck, Label für Heizungskessel, Fortentwicklung des
Marktanreizprogramms für erneuerbare Energien schaffen wir damit ein Maßnahmenbündel, das alten Heizungen zu Leibe rückt. Pläne zur Beendigung des Einbaus
von Ölheizungen in Neu- und Altbauten liegen nicht vor.
Bitte schön.
Sie haben gesagt, dass Sie im Wirtschaftsministerium
verschiedene Maßnahmen planen, um den Ölheizungen
zu Leibe zu rücken, wie es in dem Schreiben von Herrn
Gabriel so schön heißt. Aber dann schlagen Sie nur vor
- ein Beispiel -, bunte Aufkleber auf Bestandsheizungen
aufzukleben, oder verweisen auf Projekte und Programme, die es bereits gibt oder die schon im Nationalen
Aktionsplan Energieeffizienz genannt werden. Was ist
jetzt das Neue an diesen Maßnahmen? Vor allen Dingen
- das interessiert mich noch viel mehr -: Was soll den
durchschlagenden Effekt bei der Heizungserneuerung
bringen? Sie brauchen ja ein Programm, mit dem der
Wegfall des sogenannten Steuerbonus kompensiert wird.
Herr Staatssekretär.
Das sind auch zwei Fragen. Ich versuche, sie zu beantworten.
Aber trotzdem nur eine Minute.
Ich korrigiere Ihre Aussage. Wir rücken alten, ineffizienten Heizungen zu Leibe. Es kann auch Ölheizungen
geben, die - ich will das nicht ausschließen - effizient
sind. Ich möchte hier nichts Falsches im Raum stehen
lassen.
Was wir tun müssen, ist - das ist richtig -, bei der bestehenden KfW-Förderung und dem Marktanreizprogramm ein Thema noch zu besetzen; das werden wir
auch tun. Wir werden neben der Ergänzung der Zuschuss- und Kreditförderung natürlich auch einige weitere Elemente berücksichtigen, die bisher noch nicht so
im Fokus standen, wie wir uns das aktuell gewünscht
hätten. Das kann die Brennstoffzelle sein, im Kleinen
oder im Großen. Ich sage es an dieser Stelle mit der gebotenen Vorsicht. Darüber müssen wir uns noch ein bisschen konkreter mit den Fachleuten auseinandersetzen,
sodass es richtig funktioniert. Wir sind momentan dabei;
die Fachleute unterhalten sich sehr intensiv darüber. Ich
glaube, dass wir im Bereich der Energieeffizienz am
Ende gemeinsam noch deutlich besser werden.
Danke.
Ich habe noch einen Satz hinzuzufügen. - Ich habe
gerade in dieser Woche das Thema Nichtwohngebäudeförderung ganz prominent hier in Berlin vorgestellt.
Auch da werden wir, gerade was Energieeffizienz angeht, noch richtig Gas geben und im Rahmen guter Programme und guter Beratung, auch aus den Verbänden
heraus, konkrete Inhalte präsentieren.
Vielen Dank.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass dort
oben ein Licht leuchtet, für jeden sichtbar. „Grün“ heißt:
Man ist im Zeitrahmen. „Gelb“ heißt: Achtung, komme
zum Schluss! „Rot“ heißt: Die Zeit ist absolut überschritten. - Wenn alle immer so lange reden, bis es rot
leuchtet, dann werden wir heute nicht mehr fertig, und
viele bekommen ihre Frage nicht beantwortet. Bitte denken Sie alle an die Zeit!
Die Kollegin Verlinden hat jetzt noch einmal das Wort
und die Gelegenheit, eine Nachfrage zu stellen.
Vielen Dank. - Herr Beckmeyer, Sie haben mich
heute im Wirtschaftsausschuss explizit aufgefordert,
Herrn Gabriel irgendwann einmal zu loben. So weit
würde ich nicht gehen. Aber ich finde es immerhin interessant, dass er in seinem Brief schreibt, dass Öl die am
stärksten begrenzte Brennstoffressource ist und dass Sie
daher diesen ineffizienten Heizungen mit einem Maßnahmenbündel zu Leibe rücken wollen; das ist durchaus
diskussionswürdig.
Aber Sie haben mir meine eigentliche Frage nicht beantwortet; denn Sie haben nicht erklärt, wie sich die
40 Petajoule, die Sie nun nicht einsparen werden, weil
der Steuerbonus nicht umgesetzt werden kann, im Rahmen der neuen Programme, die Sie angeblich noch in
der Pipeline haben, einsparen lassen. Wenn Sie den Ölheizungen wirklich zu Leibe rücken wollen, dann sollten
Sie einmal nach Dänemark schauen. Dort gibt es entsprechende Programme, um voranzukommen, und zwar
mit etwas größeren Schritten als in Deutschland.
Herr Staatssekretär Beckmeyer.
Liebe Kollegin, es gibt vier konkrete Förderfelder:
erstens forcierte Markteinführung der hocheffizienten
Heizungstechnik Brennstoffzelle durch Investitionszuschüsse, zweitens besondere Zuschussförderung für
hocheffiziente Heizungen mit einem unterlegten Maßnahmenbündel, drittens Sonderzuschussförderung für
die Kombination aus wohnwertsteigernden Maßnahmen
und viertens Begleitung der genannten Maßnahmen
durch Qualitäts-, Beratungs- und Bildungsoffensiven.
Wenn das kein ordentliches Programm ist, dann weiß ich
es auch nicht.
Vielen Dank. - Der Kollege Krischer hat noch eine
Nachfrage.
Herr Beckmeyer, dass Herr Gabriel den Heizungen zu
Leibe rückt, habe ich mir gerade bildlich vorgestellt.
Aber danach möchte ich nicht fragen. Sie haben eine interessante Unterscheidung vorgenommen. Sie haben gesagt: Es gibt alte, ineffiziente Ölheizungen, denen man
zu Leibe rücken will, und andere, denen man nicht zu
Leibe rücken will. Mich interessiert, wie Sie das genau
unterscheiden. Was ist nach den Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministeriums eine alte, ineffiziente Ölheizung, und was ist eine neue, effiziente Ölheizung?
Bitte schön.
Ich habe bewusst gesagt, dass es nicht nur um Ölheizungen geht, sondern um alte Heizungsanlagen. Das
können auch Gasheizungen sein, die mit einer Technologie ausgestattet sind, die von vorgestern ist.
({0})
Meine Fachabteilung wird sich mit den technischen Details befassen, und ich werde Ihnen dann berichten. Ich
bitte daher um schriftliche Beantwortung.
Vielen Dank. - Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die geduldige Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Für die Beantwortung steht die Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer zur Verfügung.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Ich rufe als Erstes die Frage 18 der Abgeordneten
Dr. Franziska Brantner auf:
Was hat die Bundesregierung bewogen, ungeachtet der
Annullierung des ägyptischen Wahlgesetzes durch das Verfassungsgericht, ihre mehrfach betonte ({0}) Konditionierung einer Einladung des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi an vor einem Deutschlandbesuch abzuhaltende Parlamentswahlen fallen zu lassen,
und über welche Informationen verfügt sie, wann diese Wahlen stattfinden sollen?
Bitte schön.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Brantner, die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hatte den ägyptischen
Präsidenten el-Sisi bereits im September 2014 zu einem
Besuch nach den Parlamentswahlen in Ägypten eingeladen. Die zuletzt für März/April 2015 geplanten Wahlen
wurden inzwischen aufgrund eines Urteils des obersten
Verfassungsgerichts verschoben. Ein neues Datum
wurde noch nicht festgelegt. Aufgrund diverser Krisenherde und der prekären Lage in der Region hält es die
Bundesregierung für wichtig, das Gespräch nicht länger
zu verschieben.
Frau Kollegin Brantner.
Danke, Frau Präsidentin. - Es gibt aufgrund des ausgesprochenen Todesurteils gegen den ehemaligen Präsidenten Mursi eine neue Situation. Herr Lammert hat deswegen Gespräche abgesagt. Meine Frage an Sie lautet:
Am 2. Juni wird in Ägypten darüber entschieden, ob das
Todesurteil bestätigt wird oder nicht. Wenn am 2. Juni
das Todesurteil bestätigt wird: Halten Sie trotzdem an
der Einladung fest?
Frau Kollegin Brantner, es ist zunächst angezeigt,
dies abzuwarten. Aber ich möchte Ihnen zwei Dinge sagen:
Wie Sie wissen, ist das eine ausgesprochen schwierige Entscheidung. Ich war mit Sicherheit genauso bestürzt wie Sie, als ich von den Todesurteilen in der vergangenen Woche erfahren habe. Sie betreffen nicht nur
Mursi, sondern weit mehr Menschen. Das ist etwas, was
uns zutiefst erschüttert, was aber auch immer wieder unseren Protest und Widerstand gegen Todesurteile hervorruft.
Sie wissen aber auch, wie sich die Bundesregierung
für Menschenrechte in Ägypten einsetzt. Ein solcher Besuch gibt natürlich die Chance, gerade über diese kritischen Punkte zu sprechen. Ich habe vorhin über den
ägyptischen Botschafter erfahren, dass der ägyptische
Präsident die Bitte bzw. das Interesse geäußert hat, mit
Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu sprechen. Es
ist jetzt an Ihnen, zu entscheiden, ob Sie unmittelbar das
Gespräch mit ihm suchen wollen.
Frau Kollegin Brantner.
Ich habe noch eine Rückfrage. Mich würde interessieren, was aus Ihrer Sicht noch passieren müsste, damit ein
solcher Besuch nicht stattfindet. Es gibt keine Wahlen,
obwohl diese angesetzt waren. Es gibt massenhaft Verhaftungen und Todesurteile, und es gibt mittlerweile eine
politische Justiz. Es gibt immer noch keine Regelung für
die Konrad-Adenauer-Stiftung. Es geht nicht nur gegen
die Muslimbrüder, sondern gegen große Teile der Menschenrechtsorganisationen. Was müsste aus Ihrer Sicht
menschenrechtspolitisch noch geschehen, damit man
Herrn el-Sisi nicht den roten Teppich ausrollt und ihn
willkommen heißt?
Ich glaube, es geht nicht darum, den roten Teppich
auszurollen. Das will niemand von uns. Es geht darum,
das Gespräch zu führen, gerade angesichts einer außerordentlich schwierigen Situation in der Region.
Der Bundesaußenminister war anfangs persönlich
dort und hat keine Möglichkeit ausgelassen, mit Vertretern der Zivilgesellschaft zu sprechen. Natürlich werden
uns all diese Punkte, die Sie eben genannt haben, ebenfalls umtreiben, wenn der Präsident nach Deutschland
kommt. Ich kann Ihnen nur anheimstellen, ebenfalls das
unmittelbare Gespräch zu suchen. Aber das ist eine Entscheidung, die jeder und jede Abgeordnete für sich zu
treffen hat.
Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 19 der Abgeordneten
Dr. Franziska Brantner:
Teilt die Bundesregierung die von Präsident Abdel Fattah
el-Sisi mehrfach vorgetragene Sorge hinsichtlich einer Destabilisierung seines Landes durch innere und äußere Kräfte sowie die Einschätzung des Fraktionsvorsitzenden der CDU/
CSU, Volker Kauder, wonach Ägypten als regionaler Stabilitätsanker gestärkt werden müsse ({0})?
Ich bitte Sie um Beantwortung, Frau Staatssekretärin.
Gerne, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, die Region
rund um Ägypten ist von Krisen geschüttelt, die sich direkt auf das Land auswirken. So ermöglicht zum Beispiel die instabile Lage in Libyen Waffenschmuggel
über die Grenze nach Ägypten zu extremistischen Gruppen, die weiterhin regelmäßig Terroranschläge durchführen, insbesondere im Norden des Sinai, aber auch auf
dem Festland.
Ägypten bleibt ein wichtiger und unverzichtbarer
Partner bei der Lösung der Konflikte in der Region, sei
es in Libyen, im Gazastreifen oder im Jemen. Das heißt
nicht, dass wir mit dem innenpolitischen Vorgehen der
ägyptischen Regierung einverstanden sind. Wir befürchten vielmehr, dass das repressive Vorgehen gegen die
Opposition und die Zivilgesellschaft und insbesondere
die Ausgrenzung der gewaltfreien Teile der Muslimbrüder die Spaltung der ägyptischen Gesellschaft vertieft.
Aus unserer Sicht sind die Wahrung der Menschenrechte und eine freie und unabhängige Zivilgesellschaft
Voraussetzung für die langfristige Stabilität und Entwicklung des Landes. Die Bundesregierung bringt in allen Gesprächen mit Ägypten ihre Sorge über die Lage
der Menschenrechte sowie der Zivilgesellschaft zum
Ausdruck.
Danke schön. - Frau Kollegin Brantner.
Ich fahre übrigens in der nächsten Woche nach Ägypten. Ich bin regelmäßig dort, um einen Meinungsaustausch zu führen.
Sie sagten gerade, es gehe um den Dialog und es sei
eine schwierige Situation. Darin würde ich Ihnen zustimmen, aber die Frage ist trotzdem, ob die Einladung
an Herrn el-Sisi von ihm nicht auch als ein Symbol verstanden und dementsprechend genutzt wird; denn er verkauft in Ägypten seinen Besuch als Zeichen der Unterstützung Deutschlands für seinen Kurs, und das ist
natürlich mehr, als wenn man jemanden einlädt und in
einen Dialog mit ihm - Frau Merkel und Herr Gauck
werden ihn treffen - eintritt.
Dieser Besuch wird in Ägypten ganz stark als eine
Unterstützung für el-Sisis Kurs wahrgenommen. Wollen
Sie sich nicht lieber der Verantwortung stellen und diese
Einladung nicht aufrechterhalten?
Bitte schön.
Frau Kollegin Brantner, ich sehe, Sie stellen sich auch
der Verantwortung, indem Sie unmittelbar nach Ägypten
reisen. Wahrscheinlich wird das dort genauso registriert;
denn wenn eine Abgeordnete des Deutschen Bundestages reist, dann ist das natürlich auch ein Signal. Ich
nehme an, dass Sie dort die kritischen Fragen genauso
ansprechen, wie es der Bundesaußenminister und die
Bundeskanzlerin - ich bin mir sicher, auch der Bundespräsident - im Gespräch mit dem ägyptischen Präsidenten tun werden.
Ich kann nur noch einmal betonen: Auch bei seiner
letzten Reise hat Bundesaußenminister Steinmeier ganz
gezielt Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft
geführt. Bei Fragen wie der nach den Menschenrechten
genauso wie der nach der Verhängung von Todesurteilen
ist es so, wie ich es eben gesagt habe: Wir haben in diesem Zusammenhang erhebliche Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit. Keiner wird diesen Themen ausweichen,
sondern wir werden damit sehr offensiv umgehen.
Danke schön.
In meiner Frage beziehe ich mich auf die Formulierung von Ägypten als „Stabilitätsanker“ in der Region.
Wir haben in den letzten Tagen und Wochen mit Blick
auf die Flüchtlingskatastrophe und -tragödien auch viel
über Libyen gesprochen. Dabei wird Ägypten leider
nicht als „Stabilitätsanker“ wahrgenommen, sondern
eher als destabilisierender Faktor. Das Land treibt die
Spaltung des Landes voran. Es tritt zwar offiziell für den
Dialog ein, liefert aber andererseits an eine Seite Waffen
und ist selber militärisch aktiv.
Die Frage ist doch: Ist Ägypten nicht eher ein destabilisierender Faktor in der Region, der eben nicht als „Stabilitätsanker“ bezeichnet werden sollte? Mich würde interessieren, ob das Auswärtige Amt es so sieht wie Herr
Kauder, der davon spricht, dass Ägypten ein Stabilitätsanker in der Region ist.
Frau Staatsministerin.
Wir haben wiederholt gesagt: Wir müssen beides tun.
Wir müssen die Gespräche über die kritischen Punkte
führen; denn nur das wird auch zu Veränderungen führen. Das wird übrigens auch von vielen wahrgenommen,
die in Ägypten aufgestanden sind und deren Zahl inzwischen zu einer kleinen Gruppe herangewachsen ist. Man
kann aber auf der anderen Seite nicht bestreiten, dass
Ägypten für uns ein zentraler politischer Partner ist.
Die Lage in der Region - das wissen wir alle - ist
mehr als instabil und außerordentlich kritisch. Ich denke
da etwa an Libyen; wir werden gleich über die Flüchtlingsfrage sprechen. Man muss hier alles tun, um die
Verhältnisse ein wenig nach vorne zu bringen. Das ist
ungemein schwierig. Aber das Auswärtige Amt und die
Bundesregierung setzen sich mit aller Kraft dafür ein.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Uwe Kekeritz
auf:
Welche Bemühungen unternimmt die ägyptische Führung
nach Erkenntnissen der Bundesregierung derzeit, um einen
Prozess der nationalen Versöhnung einzuleiten, der insbesondere die verfolgten und inhaftierten, aber auch die nichtradikalisierten Anhänger der Muslimbruderschaft einbezieht?
Frau Staatsministerin.
Gerne, Frau Präsidentin. - Herr Kekeritz, die Frage 20
darf ich wie folgt beantworten: In der am 3. Juli 2013
veröffentlichten Roadmap hatte sich die ägyptische Regierung dazu verpflichtet, staatliche Institutionen zu
schaffen, die die nationale Aussöhnung vorantreiben sollen. Dies ist bislang nicht geschehen. Die ägyptische Regierung verweist als Begründung auf die terroristische
Bedrohung im Land und in der Region. Insbesondere
Anhänger der Muslimbrüderschaft werden verfolgt und
von einer Beteiligung am politischen Prozess ausgeschlossen. Weit darüber hinaus sind auch viele andere
politische Gruppierungen von Verfolgung betroffen.
Danke schön. - Herr Kekeritz, bitte.
In diesem Zusammenhang eine Nachfrage. Nach wie
vor besteht die ägyptische Regierung darauf, dass sämtliche zivilgesellschaftliche Projekte, die mit Geldern aus
Deutschland gefördert werden, einzeln genehmigt werden. Wie hängt das mit der Terrorismusbedrohung in
Ägypten zusammen? Wie schätzen Sie das ein?
Wir sehen das als sehr bedenklich an; denn die Projekte leider unter diesen Repressalien. Wir haben deshalb die Projekte auslaufen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage?
Nein.
Dann rufe ich die Frage 21 des Abgeordneten
Kekeritz auf:
Inwieweit sieht die Bundesregierung im repressiven Vorgehen der ägyptischen Regierung gegen die islamistisch orientierte
Opposition einen sinnvollen Beitrag zu den „gemeinsame({0})
Interessen im Kampf gegen den Terrorismus“ ({1}), besonders vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sie innerhalb Ägyptens zu einer Welle der Gewalt,
sowohl in der Hauptstadt ({2}) als auch auf
der Sinai-Halbinsel ({3}) geführt hat?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Auf die Frage 21 darf ich Ihnen wie folgt antworten:
Die Bundesregierung spricht in ihren Kontakten mit der
ägyptischen Regierung stets an, dass die Wahrung und
der Schutz von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit wichtige Voraussetzungen für einen erfolgreichen
Übergang und politische Stabilisierung sind.
Auch in sicherheitspolitisch schwierigen Zeiten muss
zwischen Terror und gewaltfreier innenpolitischer Opposition unterschieden werden. Nur durch einen inklusiven
politischen Prozess, der alle Teile der Gesellschaft einbezieht, kann eine langfristige Stabilisierung des Landes
und der Region erreicht werden. Mit Blick auf die Situation auf dem Sinai ist die Bundesregierung überzeugt,
dass militärische Maßnahmen nicht das alleinige Mittel
der Terrorbekämpfung sein dürfen.
Herr Kollege.
Frau Staatsministerin, ich hätte von Ihnen gerne irgendetwas Positives zu Ägypten gehört. In diesem Zusammenhang frage ich mich dann doch: Wie kommen
Sie dazu, den ägyptischen Präsidenten einzuladen? Sie
haben gerade darauf hingewiesen, dass man mit solchen
Menschen reden muss, um den Kontakt nicht zu verlieren. Aber dafür gibt es doch auch die diplomatische
Ebene. Das muss nicht gerade ein Staatsbesuch sein.
Zu Ihrem Hinweis, dass auch die Kollegin Brantner
ihre Verantwortung wahrnimmt: Es ist doch etwas ganz
anderes, ob die Bundeskanzlerin, die mächtigste Frau
der Erde, diesen Präsidenten empfängt oder ob eine Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen nach Ägypten
fährt. Sie wissen, wie das in den Medien aufgegriffen
wird. Sicherlich kann Frau Brantner in Ägypten in den
Zeitungen erscheinen. Aber der Besuch des Präsidenten
bei uns wird in der gesamten Region, in der ganzen Welt
publiziert. Das ist somit eine enorme Public-RelationsKampagne für den Präsidenten.
Frau Staatsministerin, bitte.
Herr Kekeritz, ich darf richtigstellen: Es handelt sich
hier nicht um einen Staatsbesuch, sondern um einen Arbeitsbesuch. Nachdem Sie das Wort der Bundeskanzlerin
so deutlich in den Blick gerückt haben - ich glaube, da
stimmen wir jetzt mal sehr überein -, will ich betonen:
Es ist wichtig, dass aus den Worten, die die Bundeskanzlerin finden wird, deutlich wird, wie wichtig die Achtung
der Menschenrechte ist, wie wichtig die Einbeziehung
der Zivilgesellschaft ist und dass es darum geht, den Prozess nach vorne zu bringen, und dass es keinen Stillstand
geben darf.
Danke schön. - Dann rufe ich Frage 22 der Abgeordneten Katja Keul auf:
Welche Projekte im Rahmen der internationalen rechtlichen Zusammenarbeit führt die Bundesregierung seit der
Wahl des Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi mit Ägypten durch,
und wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung der insgeVizepräsidentin Ulla Schmidt
samt seit dem Jahr 2011 mit Ägypten durchgeführten Projekte
in diesem Bereich vor dem Hintergrund der gegenwärtigen
politischen Entwicklung Ägyptens ({0})?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Die Antwort zu Frage 22, Frau Keul: Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer internationalen rechtlichen
Zusammenarbeit seit dem Amtsantritt von Präsident elSisi am 8. Juni 2014 nur ein Projekt in Ägypten finanziert; ich darf es nennen: ein Projekt der IRZ, Deutsche
Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit,
und zwar vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember
2014 mit Veranstaltungen zu Verfassungsrecht, Menschenrechten, Zivil- und Wirtschaftsrecht, Strafrecht und
Strafverfahrensrecht. Aufgrund politischer Restriktionen
seitens der ägyptischen Regierung wurde im Dezember
2014 beschlossen, dass die Projektarbeit des IRZ im Jahr
2015 nicht mehr fortgesetzt werden kann. Die seit 2011
insgesamt drei jeweils einjährigen Folgeprojekte der IRZ
im Bereich der rechtlichen Zusammenarbeit zielten auf
die Vermittlung richterlicher Unabhängigkeit, menschenrechtlicher Standards und effizienter Organisationsstrukturen. Zielgruppe waren Richter, Anwälte und Mitarbeiter des Justizministeriums. Die geförderten Projekte
dienten der Schulung und Vernetzung innerhalb der Zielgruppe. Die Bundesregierung hält grundsätzlich Fortschritte im Bereich der Rechtsstaatlichkeit für prioritär.
Dazu zählt auch die Aufarbeitung von Vorfällen staatlicher bzw. polizeilicher Gewalt, wie zum Beispiel des gewaltsamen Vorgehens bei der Massendemonstration im
Oktober 2011 oder der Auflösung der Rabia-Sit-ins im
August 2013.
Danke schön. - Eine Nachfrage?
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wurden all
diese Projekte spätestens jetzt eingestellt, sodass derzeit
keine IRZ-Projekte stattfinden. Richtig?
Ja.
Keine weiteren Nachfragen.
Danke. - Dann kommen wir zur Frage 23 der Abgeordneten Katja Keul:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das militärische Eingreifen Ägyptens in Libyen, und welche völkerrechtliche Grundlage sieht sie für diese Intervention?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Die Bundesregierung hat Kenntnis davon, dass die
ägyptische Luftwaffe nach der Ermordung von ägyptischen Gastarbeitern durch ISIS deren Stellungen in Libyen angegriffen hat. Die Bundesregierung will nicht
der Bewertung der Ereignisse durch die beiden hauptsächlich betroffenen Staaten, Ägypten und Libyen, vorgreifen.
Eine Nachfrage?
Dazu habe ich eine Nachfrage: Ich wüsste gerne, welche Kenntnis die Bundesregierung davon hat, dass
Ägypten libysche Gruppierungen mit Waffenlieferungen
unterstützt.
Dazu kann ich Ihnen jetzt nichts sagen. Also, ich habe
persönlich keine Kenntnis davon.
Daran schließt sich meine weitere Nachfrage an - da
Ägypten nach wie vor Interesse an Waffenlieferungen
seitens der Bundesrepublik hat und kürzlich der Export
von Waffensystemen wieder genehmigt worden ist -:
Wird die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die
Frage von Waffenlieferungen nach Libyen mit Ägypten
erörtern, bevor sie weitere Waffenlieferungen genehmigt?
Sie wissen um die Position der Bundesregierung,
nämlich dass wir beispielsweise die Forderung, die
Ägypten bei der Arabischen Liga erhoben hat, das Waffenembargo aufzuheben, außerordentlich kritisch sehen.
Das trifft auch auf Forderungen nach einer militärischen
Intervention zu.
Danke schön. - Die Kollegin Brantner hat eine Nachfrage. - Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Staatsministerin, die aktuelle Lage in Libyen
und die Rolle Ägyptens wurden gerade angesprochen.
Sie haben gesagt, Sie hätten keinerlei Kenntnisse von
ägyptischen Waffenlieferungen.
Also, ich persönlich.
Vielleicht können Sie da eine schriftliche Antwort
nachliefern; das würde mich interessieren.
In dem Zusammenhang stelle ich noch mal die Frage:
Sehen Sie Ägypten wirklich als einen Stabilitätsanker an
oder eher als einen Akteur, der die Region auch mit destabilisiert?
Frau Kollegin Brantner, ich glaube, Sie haben die
Frage eben schon einmal gestellt, und ich habe sie Ihnen
auch schon beantwortet. Ich beziehe mich auf die Antwort, die ich gegeben habe.
Vielen Dank. - Die Frage 24 des Kollegen Gehrcke
und die Fragen 25 und 26 der Kollegin Dağdelen werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 27 der Kollegin Heike Hänsel auf:
Mit welcher Begründung will die EU ein UN-Mandat im
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erwirken, und sieht die
Bundesregierung vor dem Hintergrund der Äußerung des
Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier,
der laut Medienberichten ({0}) mit einem UN-Mandat gegen
Schlepper rechnet, eine Bedrohung des Weltfriedens?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Frau Kollegin Hänsel, Frage 27 darf ich wie folgt
beantworten: Die Hohe Vertreterin der EU, Federica
Mogherini, hat vor dem VN-Sicherheitsrat am 11. Mai
2015 um Unterstützung beim Vorgehen gegen Schleuserkriminalität und Menschenschmuggel geworben. Die
Autorisierung durch den VN-Sicherheitsrat ist aus Sicht
der Bundesregierung Voraussetzung für die Übernahme
von Aufgaben im Rahmen einer GSVP-Mission, die
über Überwachung und Beobachtung der Schleuseraktivitäten auf hoher See hinausgehen. Es ist Aufgabe des
Sicherheitsrats, im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Resolution auch darüber zu entscheiden, ob
eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen
Sicherheit vorliegt.
Bitte schön, Frau Hänsel.
Danke schön. - Da würde ich gerne nachfragen.
Meine Frage war ja auch, ob die Bundesregierung die
Schlepperboote als Bedrohung des Weltfriedens einordnet. Mich würde vor allem interessieren: Was ist in den
aktuellen Verhandlungen über ein mögliches UN-Mandat die Haltung Russlands und Chinas?
Das hat wohl alle interessiert, die von EU-Seite an
den Verhandlungen beteiligt waren. Uns hat über Frau
Mogherini die Botschaft erreicht, dass dort keine Bedenken gegen eine solche Resolution zu erwarten sind.
Frau Kollegin Hänsel, bitte schön.
Dann würde mich konkret interessieren: Wie stellt
sich die Bundesregierung vor, militärisch gegen Schlepperboote vorzugehen? Könnten Sie mir erklären, wie die
Bundesregierung zum Beispiel den Unterschied zwischen Fischerbooten und Schlepperbooten definiert?
Wie wollen Sie eigentlich die militärischen Ziele definieren, gegen die vorgegangen werden soll?
Mich würde auch interessieren, was Sie zu der Kritik
sagen, die es mittlerweile auch aus den eigenen Reihen
gibt. Entwicklungsminister Müller sieht das ganze Unterfangen eher als unangebracht an, wenn es darum geht,
sich der Flüchtlingsfrage zu stellen.
Frau Staatsministerin.
Ich glaube, man muss zum einen davon ausgehen,
dass wir es bei den Schlepperbanden mit hochkriminellen Organisationen und Personen zu tun haben, die die
Situation von Flüchtlingen in dramatischer Art und
Weise ausnutzen.
Das Zweite, das man zu bedenken hat, ist, dass die
Mission ein Baustein ist und man das Gesamtpaket betrachten muss. Sie wissen, dass am Montag ein Beschluss zu der Mission getroffen worden ist und sehr
deutlich gesagt worden ist: Es gibt drei Phasen. - Die
erste Phase wird dazu dienen, sich ein solides Lagebild
von den Schleuseraktivitäten auf hoher See zu machen.
Später sollen dann jeweils die weiteren Entscheidungen
innerhalb der EU getroffen werden. Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass es bei den Entscheidungen keinen Automatismus gibt, sondern sie den Fortschritten bei den Erkenntnissen entsprechend getroffen
werden. Ich glaube, dass niemand daran zweifeln kann,
dass es wichtig ist, sich jetzt in dieser ersten Phase ein
solides Lagebild von den Schleuseraktivitäten zu machen, von dem aus sich alle weiteren Entscheidungen
entwickeln werden.
Frau Kollegin Hänsel, haben Sie noch eine Nachfrage?
Ich habe noch eine zweite Frage zum Thema Flüchtlinge bzw. Fluchtursachen eingereicht.
Dann rufe ich die Frage 28 der Abgeordneten Heike
Hänsel auf:
Welche Fluchtursachen ({0}) sieht die
Bundesregierung vor dem Hintergrund der Äußerung des
Bundesministers des Auswärtigen, dass die EU sich stärker
bei der Bekämpfung von Fluchtursachen engagieren soll
({1}),
und wie sollen diese konkret bekämpft werden?
Bitte schön.
Ich beantworte Ihre Frage, Frau Kollegin Hänsel, wie
folgt: Der aktuelle Zustrom an Flüchtlingen ist die Folge
mannigfaltiger Krisen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika. Staatliche Unterdrückung, Terrorismus,
bürgerkriegsähnliche Zustände, Verfolgung politischer,
ethnischer oder religiöser Gruppen, zum Beispiel in Syrien und im Irak, Verfolgung ethnischer oder religiöser
Gruppen oder politisch Andersdenkender, zum Beispiel
in Eritrea, zerfallende Staatlichkeit, zum Beispiel in Somalia, Armut, zum Beispiel in Westafrika, und Wegfall
wirtschaftlicher Lebensgrundlagen, unter anderem aufgrund klimatischer Veränderungen, sind nur einige der
Probleme in den Herkunftsstaaten der Flüchtlinge und
Migranten. Sie zu bekämpfen, bedarf einer Gesamtstrategie in europäischer Verantwortung. Es geht insbesondere darum, das Potenzial Afrikas zu entwickeln, Migration und Mobilität in ein der Entwicklung förderliches
Verhältnis zu bringen, fairen Handel zu fördern und die
Sicherheitszusammenarbeit zu stärken. Dazu wird es im
Herbst einen Gipfel der EU mit der Afrikanischen Union
in Malta geben. Der Khartoum- und der Rabat-Prozess
helfen Transitstaaten beim menschenwürdigen Umgang
mit Flüchtlingen und Migranten.
Die europäische Entwicklungszusammenarbeit leistet mit fast 100 Milliarden Euro für die Jahre 2014 bis
2020 einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung von Armut und Unsicherheit. Die bereits existierenden zivilen
GSVP-Missionen in Niger und Mali werden um eine
Grenzschutz- und Migrationskomponente erweitert. Gerade mit Blick auf eine wirksame Bekämpfung von Fluchtursachen wird die Bundesregierung weiter entschlossen
die VN-Vermittlungsbemühungen um eine politische
Lösung der Lage in Libyen und Syrien unterstützen. Mit
der Berliner Syrien-Flüchtlingskonferenz Ende Oktober
2014 leistete die Bundesregierung einen international
anerkannten Beitrag zur Stärkung der Fähigkeit der
Nachbarländer Syriens, Millionen von Flüchtlingen zu
beherbergen. Bundesminister Steinmeier hat dazu in der
vergangenen Woche Gespräche im Libanon und in Jordanien geführt.
So, jetzt lasse ich nur noch die Nachfragen der Kollegin Hänsel zu; denn die Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen. Ich bitte Sie jetzt alle, die Redezeit einzuhalten. - Bitte schön.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Böhmer, Sie
haben vor allem von den Krisen- und Kriegsregionen
dieser Welt gesprochen. Aber in Ihrer Antwort dazu, wie
Sie Fluchtursachen bekämpfen wollen, fehlt mir ein
ganz entscheidendes Wort, nämlich „Rüstungsexporte“.
Wir wissen, dass die Bundesregierung auch in Krisenund Kriegsregionen Waffen exportiert. Nach wie vor
werden Waffen nach Saudi-Arabien geliefert, obwohl
sich Saudi-Arabien an einer militärischen Intervention
im Jemen beteiligt. Es wurden in den Irak Waffen geliefert, die vom IS erbeutet wurden; das sind in diesem Fall
US-amerikanische Waffen, aber das kann auch deutsche
Waffen betreffen. Meine Frage: Wann ändert die Bundesregierung ihre Rüstungsexportpolitik? Denn das wäre
notwendig, wenn sie Fluchtursachen ernsthaft bekämpfen will.
Frau Staatsministerin.
Frau Kollegin Hänsel, ich will Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, dass die Bundesregierung eine sehr restriktive Rüstungspolitik verfolgt. Sie können sicher sein,
dass wir bei einer solchen restriktiven Rüstungspolitik
auch bleiben werden.
Vielen Dank. - Die Kollegin Hänsel hat noch eine
Nachfrage, ganz schnell.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Sie sprachen kurz
das Thema „fairer Handel“ an. Wir wissen, dass die EUFischereipolitik - Sie haben von der Armut in Westafrika gesprochen - massiv dazu beiträgt, dass viele
Fischerfamilien verarmen. Daher müssen sie ihre Boote
verleihen, auch an Flüchtlinge oder an Schleppergruppen; wie auch immer Sie die bezeichnen wollen. Das
heißt, es gibt direkte Zusammenhänge zwischen Fischereipolitik und Fluchtursachen.
Die EU-Fischereipolitik und die EU-Freihandelspolitik bedrohen viele Existenzen in den afrikanischen Ländern. Selbst der Afrika-Beauftragte der Bundesregierung
hat die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen stark kritisiert. Wann gibt es hier endlich einen Richtungswechsel?
Setzt sich die Bundesregierung auch in der EU dafür
ein? Das müssten Sie tun, wenn Sie ernsthaft über die
Bekämpfung von Fluchtursachen sprechen wollen.
Frau Kollegen Hänsel, ich weiß um Ihr Engagement
in diesen Fragen, und Sie können sicher sein, dass das
Engagement der Bundesregierung groß ist, die Fluchtursachen in den afrikanischen Regionen zu bekämpfen.
Wir haben hierfür eine eigene Afrika-Strategie entwickelt.
All das, was wir tun, geht weit über die Punkte hinaus, die Sie angesprochen haben. Es geht darum, dass
die Menschen ihre eigene Existenz sichern können, dass
Korruption bekämpft wird und dass es dort stabile Staaten gibt. Das ist etwas - das muss ich Ihnen in aller Ehrlichkeit sagen -, was nicht von heute auf morgen gelingen wird. Deshalb werden uns die Themen „Flüchtlinge“
und „Bekämpfung von Flüchtlingsursachen“ leider immer wieder hier im Parlament beschäftigen. Wir werden
von unserer Seite aus alle Anstrengungen unternehmen,
um den Menschen zu helfen.
Ich bedanke mich bei der Staatsministerin für die Beantwortung der Fragen.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde angekommen. Alle weiteren Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Aktuelle Prognose des IWF - Perspektiven
für Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, der
Aufschwung der deutschen Wirtschaft setzt sich fort.
Das ist auch das Ergebnis der Beobachtungen internationaler Organisationen, wie des IWF und auch der Europäischen Kommission.
Sie haben ihre Prognosen aktuell korrigiert und angehoben. So erwartet der IWF in seinem World Economic
Outlook vom April dieses Jahres für Deutschland ein
Wachstum von 1,6 Prozent im laufenden Jahr und für
2016 ein Wachstum von 1,7 Prozent. Da der IWF die
Wachstumsraten kalenderbereinigt ausweist, entspricht
das exakt der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung.
Wir rechnen im laufenden Jahr - unbereinigt - mit einem Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts um
1,8 Prozent und im kommenden Jahr mit einem weiteren
Zuwachs - unbereinigt - um erneut 1,8 Prozent.
Besonders erfreulich ist, dass dieser Aufschwung bei
den Menschen in unserem Lande ankommt; denn er wird
vor allem auch vom Konsum getragen. Die Einkommen
steigen, der Arbeitsmarkt entwickelt sich hervorragend,
die Arbeitslosigkeit bewegt sich auf einem historischen
Tiefstand, und die Beschäftigung erreicht von Jahr zu
Jahr neue Höchststände.
Dass sich die deutsche Wirtschaft auf einem soliden
Wachstumspfad befindet, ist umso beachtlicher, als das
außenwirtschaftliche Umfeld weiterhin schwierig ist.
Für die Weltwirtschaft rechnet der IWF in 2015 lediglich
mit einem Wachstum von 3,5 Prozent und für 2016 mit
3,7 Prozent. Das sind vergleichsweise moderate Wachstumsraten. Die weltwirtschaftliche Belebung bleibt fragil, aber sie setzt sich fort. Für die Industriestaaten haben
sich die Wachstumsaussichten laut IWF eingetrübt. Das
Potenzialwachstum liegt 0,5 Prozentpunkte unter den
Szenarien der Vorkrisenzeit.
Zu den Risiken im außenwirtschaftlichen Umfeld gehören die zahlreichen geopolitischen Konflikte, zum
Beispiel in der Ukraine oder auch im Nahen Osten. Hier
sieht der IWF durchaus Gefahren einer Abschwächung
- auch des chinesischen Wachstums - und Probleme in
Schwellenländern. Schauen Sie zum Beispiel nach Brasilien, wo die Investitionen der dortigen staatlichen Ölindustrie vor allem vor dem Hintergrund des schwachen
Ölpreises konsolidiert und auf fast 50 Prozent reduziert
worden sind.
Wir haben es also mit einer nicht ganz wolkenfreien
Großwetterlage zu tun. Unser Wachstum ist solide, aber
wir sind uns der Risiken bewusst.
Die gute Entwicklung ist dennoch kein Grund, sich
zurückzulehnen. Wir leben in einer Welt des ständigen
Wandels mit immer neuen Herausforderungen, denen
wir uns stellen müssen. Die Bundesregierung arbeitet
deshalb weiter entschlossen an den Wachstumsperspektiven für Deutschland. Eine zentrale Rolle spielen dabei
Investitionen. Diese Einschätzung deckt sich auch mit
den diesjährigen Konsultationen des IWF und den länderspezifischen Empfehlungen der Europäischen Kommission.
Um Deutschlands Zukunft zu sichern, brauchen wir
mehr öffentliche Investitionen in Bildung und Forschung
und in die Infrastruktur. Wir brauchen aber auch die richtigen Rahmenbedingungen für die privaten Investitionen, vor allem für junge, innovative Unternehmen. Investitionen bedeuten zweierlei: Erstens erhöhen und
verbessern sie mittel- und langfristig die produktiven
Kapazitäten und damit, technisch gesprochen, das
Wachstumspotenzial, und zweitens stärken sie kurzfristig die nationale, aber auch die globale Nachfrage.
Die Bundesregierung hat die Stärkung der Investitionen zu ihrer wesentlichen Priorität erklärt.
({0})
Unser Ziel ist, dass Deutschland mit Blick auf das Investitionsniveau im gesamtwirtschaftlichen Maßstab wieder
einen Spitzenplatz unter den Industrieländern einnimmt,
und wir haben dafür erhebliche Anstrengungen unternommen.
({1})
Der Bund wird 2017 zusätzlich 5 Milliarden Euro für
die Verkehrsinfrastruktur einsetzen. Hinzu kommt eine
weitere Entlastung von Kommunen und Ländern. Damit
unterstützen wir sie, ihren Aufgaben bei Krippen, Kitas,
Schulen und Hochschulen besser nachzukommen. Dafür
werden bis zum Jahr 2017 rund 10 Milliarden Euro zusätzlich bereitgestellt.
Finanzhilfen des Bundes in Höhe von 3,5 Milliarden
Euro sollen gezielt finanzschwachen Kommunen zugutekommen. Das ist ein weiterer dicker Punkt, den wir
hier auch ansprechen sollten. Weitere 10 Milliarden Euro
sind für den Zeitraum 2016 bis 2018 vorgesehen, um öffentliche Zukunftsinvestitionen anzustoßen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Bundeswirtschaftsministerium setzt sich dafür ein, dass neben
der Förderung der Energieeffizienz und der Verkehrsinfrastruktur auch Mittel zum Anstoß kommunaler Investitionen eingesetzt werden. Zudem investiert die Bundesregierung zusätzlich 3 Milliarden Euro im Bereich
Forschung und Entwicklung.
Die vom Bundesministerium und insbesondere von
Bundesminister Sigmar Gabriel eingesetzte hochrangige
Expertenkommission aus Wissenschaft und Praxis hat
darüber hinaus eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt,
wie die Investitionsdynamik in Deutschland im öffentlichen und privaten Bereich weiter gefördert werden kann.
Diese Vorschläge sind auch vom IWF in seiner Deutschland-Prüfung gewürdigt worden.
Wir werden diese Vorschläge innerhalb der Bundesregierung und mit den Ländern und Gemeinden genau analysieren und, wo machbar und konsensfähig, an der konkreten Umsetzung arbeiten. Dazu gehören zum Beispiel
auch gründer- und wachstumsfreundliche Rahmenbedingungen, um die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken. Hierzu zählen
nicht zuletzt die steuerlichen Rahmenbedingungen. Zu
wachstumsfreundlichen Rahmenbedingungen gehört
aber auch die erfolgreiche Energiewende, über die wir
uns heute schon in verschiedenen Facetten in der Fragestunde auseinandergesetzt haben.
Die Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz ist dabei ein wichtiger Schritt. Nun steht das nächste Großprojekt dieser Energiewende an. Neben der Energieeffizienz
geht es auch um die Frage des zukünftigen Strommarktdesigns.
Darüber hinaus werden wir auch mit dem Bündnis
„Zukunft der Industrie“ und der Digitalen Agenda einen
Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit leisten.
Ich glaube, das ist ebenfalls ausgezeichnet und unterstützenswert. Denn wenn wir von guten Voraussetzungen
für Wohlstand, Wachstum, Innovationen und zukunftssichere Arbeitsplätze sprechen, meint das die Industrie
und auch den gesellschaftlichen Dialog mit den Menschen, die die Zukunft unseres Landes sichern. Meine
Damen und Herren, arbeiten wir weiter daran!
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Klaus Ernst, Fraktion Die Linke.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Zum Jubeln gibt dieser Bericht der Koalition keinen großen Anlass.
({0})
- Ich weiß nicht, was ihr habt. Nehmen wir doch gleich
den ersten Punkt. In den Medien ist zu lesen: IWF fordert von Berlin höhere Investitionen. - Das zeigt doch
offensichtlich, dass die Investitionen der Bundesregierung nach Meinung des IWF nicht ausreichen.
({1})
Sie ziehen den IWF heran, um zu sagen: Wir sind so
gut! - Wissen Sie: Dem Unterbewusstsein ist es egal,
wer einem auf die Schulter klopft, Kollege Straubinger.
Das ist ein bisschen das Problem dieser Regierung.
({2})
Meine Damen und Herren, in diesem Bericht heißt es
auf Seite 2 - ich möchte das zitieren -:
Der Privatverbrauch, untermauert durch einen starken Anstieg des real verfügbaren Einkommens,
wird vermutlich den größten Beitrag zum Wachstum leisten …
Das ist immer unsere Position gewesen. Unsere!
({3})
- Nein, nein, nein. - Die Realität ist: Das Bruttoinlandsprodukt ist von 2000 bis 2014 real um fast 16 Prozent
gewachsen, die realen Arbeitnehmerentgelte je Beschäftigten sind im selben Zeitraum aber um 1,4 Prozent gesunken.
({4})
Sie können doch nicht sagen, dass das eine gesunde Entwicklung ist. Da könnt ihr lachen, so viel ihr wollt.
Wenn jetzt selbst der IWF schreibt, dass der private
Verbrauch offensichtlich ein Schlüssel ist, müssen Sie
sich einmal an die eigene Nase fassen und sich selbst fragen: Was haben wir in der letzten Zeit eigentlich für eine
Politik betrieben - diese Frage müssen sich übrigens
auch die Sozialdemokraten angesichts ihrer Agendapolitik stellen -, dass sich die Löhne in diesem Land so entwickelt haben, wie sie sich entwickelt haben?
({5})
Nächster Punkt. In diesem Bericht heißt es auch:
Unseren Prognosen zufolge wird der Überschuss
- der Leistungsbilanzüberschuss dieses Jahres mehr als 8 Prozent des BIP betragen …
Finden Sie das wirklich gut? Finden Sie das klasse?
Selbst die Europäische Kommission sagt: Alles, was
über 6 Prozent ist, ist ein Problem. - Der IWF bescheinigt der Bundesregierung eine Politik, die im Ergebnis
dazu führt, dass andere Länder wegen unserer Leistungsbilanz Schaden nehmen. Das ist ein Problem.
({6})
Das, was Sie hier machen, ist die größte Form der
Ignoranz: Sie ignorieren einfach, was in diesen Berichten steht. Aber sich dann noch hinzustellen, eine Aktuelle Stunde zu machen und zu sagen: „Jubel, Jubel, wie
klasse wir sind“ - das ist wirklich eine hervorragende
Leistung!
({7})
In diesem Bericht heißt es auch - Zitat -:
Gleichwohl gibt der anhaltend große Leistungsbilanzüberschuss auch Anlass zur Sorge, insbesondere
angesichts der aktuellen Nachfrage in den Industrieländern, die trotz ultra-expansiver Geldpolitik
schwach ist.
Sie müssen doch selbst merken, dass das kein Lob ist.
({8})
In diesem Bericht heißt es weiter:
Die Aussicht auf eine sinkende Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter drückt künftiges Wachstum
nach unten. Deshalb müssen die Hemmnisse für
Frauen, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen,
abgebaut werden.
({9})
Weiter heißt es:
Darüber hinaus könnte die Versorgung mit zusätzlichen und besseren Betreuungsangeboten für Kleinund Schulkinder die Entscheidungen berufstätiger
Eltern erleichtern.
Und ihr macht eine Herdprämie! Das ist doch das klassische Gegenteil von dem, was der IWF euch vorschlägt.
({10})
Und jetzt sitzt ihr hier in der ersten Reihe und macht
euch über das, was wir sagen, lustig. Interessant!
({11})
Das muss man erst mal hinkriegen.
Jetzt kommen wir zur Steigerung der öffentlichen Investitionen. Ich höre immer, wie toll die Bundesregierung ist. Wir haben die schwarze Null. - Seid mir nicht
böse, aber langsam habe ich den Eindruck, die meisten
schwarzen Nullen sitzen in dieser Bundesregierung.
({12})
Nicht nur Die Welt, sondern auch der IWF stellt fest:
Es würde auch die kurz- bis mittelfristige Binnennachfrage stützen, den aktuellen Leistungsbilanzüberschuss abbauen helfen und positive Übertragungswirkungen im übrigen Euroraum erzeugen …
hier sind größere Anstrengungen gefragt. Diese
Ausgaben wären unter dem bestehenden fiskalischen Regelwerk möglich.
Der IWF plädiert also, so steht es auch in der Welt, für
mehr Investitionen, mehr, als Sie machen.
({13})
- Ja, noch mehr. - Es zeugt wirklich von Ignoranz gegenüber dem Bericht, den Sie hier zur Debatte stellen,
wenn Sie ihn als großes Lob für die Bundesregierung begreifen. Ich würde lieber meine Hausaufgaben machen,
bevor ich solche Berichte als Lob verstehe und hier zur
Debatte stelle.
Danke fürs Zuhören.
({14})
Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU
der Kollege Axel Knoerig.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte
mir vorweg eine kurze Anmerkung zum Bahnstreik erlauben: Dieser erneute Streik verursacht hohe volkswirtschaftliche Kosten und vor allem emotionale Belastungen bei den betroffenen Fahrgästen. Das ist aber nicht
nur allein der GDL anzulasten, sondern auch dem Vorstand der Deutschen Bahn.
({0})
Der Reiseverkehr wird voraussichtlich auch während des
Pfingstfestes betroffen sein. Man kann wirklich nur hoffen, dass bald eine Einigung zwischen den Vertragsparteien erzielt wird.
({1})
Aber nun zum eigentlichen Thema, das wir heute haben: die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Das lässt
sich am besten mit Zahlen bemessen. Die Zahlen belegen eindeutig die Erfolge unserer Wirtschaftspolitik. Das
Bruttoinlandsprodukt wird laut der Prognose des Bundeswirtschaftsministeriums um weitere 1,8 Prozent zunehmen. Für 2016 erwarten wir einen neuen Beschäftigungsrekord mit über 43 Millionen Personen.
({2})
Deswegen ist es jetzt folgerichtig, zu fragen: Was ist
jetzt zu tun, um diese positive Entwicklung auch in Zukunft fortzusetzen?
Wir müssen uns von dem Gedanken leiten lassen,
dass die entscheidenden Ressourcen unseres Landes
nicht mehr ausschließlich Bodenschätze, Kapital oder
Personal sind. Die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts sind
Daten. Wir haben bereits vielfältige Maßnahmen auf den
Weg gebracht, um den digitalen Wandel aktiv mitzugestalten. Einmal haben wir mit der Digitalen Agenda neue
Leitlinien in der Wirtschafts- und Innovationspolitik
festgelegt.
({3})
Schon in der vergangenen Legislaturperiode haben wir
mit der Hightech-Strategie dazu beigetragen, dass unsere
Leitbranchen im internationalen Wettbewerb an der
Spitze bleiben. Wir haben über die Jahre hinweg den
Etat für Bildung und Forschung verdoppelt, um dadurch
insbesondere eine Stärkung des Forschungsstandorts
Deutschland herbeizuführen.
Doch nun gilt es, den digitalen Wandel in unserer
Wirtschaft voranzutreiben; denn dieser Wandel muss in
sämtlichen Bereichen von Industrie, Handel und Dienstleistungen umgesetzt werden, und das sofort. Nur so
schaffen wir die Grundlagen, um im Internetzeitalter international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Es ist wichtig, dass neben den großen Konzernen vor
allem die kleineren, mittelständischen IT-Firmen in
Deutschland das annehmen. Das haben die auch sehr
wohl verstanden; denn sie decken mittlerweile rund
50 Prozent des europäischen Marktes ab. Gerade im ITBereich ist der Zugang zu internationalen Märkten besonders wichtig. Dazu brauchen wir Freihandelsabkommen - davon haben wir über 130 an der Zahl -, und dabei ist auch das TTIP-Abkommen mit den Amerikanern
zu nennen. Gerade unser Mittelstand als größter Arbeitgeber in Deutschland kann von TTIP erheblich profitieren.
({4})
In der Digitalwirtschaft gibt es hierzulande über 90 000 Unternehmen, die mittlerweile Millionen Erwerbstätige beschäftigen und jährlich über 15 Milliarden Euro investieren.
Aber nicht nur dieser Bereich, sondern auch die anderen Mittelständler und vor allem das Handwerk müssen
stärker an elektronische Geschäftsprozesse herangeführt
werden; denn im Gegensatz zu Großunternehmen verfügen diese kaum über IT-Personal oder ein Budget für externe Dienstleister. Deshalb ist das Programm „Mittelstand Digital“, das das Bundeswirtschaftsministerium
aufgelegt hat, sehr wichtig, um die digitale Kompetenz
in kleineren Betrieben zu fördern.
Für die Kompetenz unserer Fachkräfte ist maßgeblich, dass die berufliche und die akademische Bildung
gestärkt werden, und das sehr wohl in gleichem Maße.
Wir brauchen keinen „Akademisierungswahn“, sondern
eine Aufwertung der beruflichen Bildung, also: „Berufsschule 4.0“.
({5})
In kleineren Betrieben unterstützen wir deshalb auch
Forschung und Innovation. Da gibt es das „Zentrale
Innovationsprogramm Mittelstand“, kurz ZIM genannt.
Ich kann einmal an einem Beispiel die Wirkung dieses
Programms kurz darstellen. Bei mir im Wahlkreis Diepholz - Nienburg sind mittlerweile über 50 kleine mittelständische Unternehmen mit 5,6 Millionen Euro gefördert worden. Wenn man das bundesweit hochrechnet,
wurde dieser Etat mittlerweile auf 780 Millionen Euro
aufgestockt. Diese ZIM-Projekte tun der heimischen
Wirtschaft außerordentlich gut.
Grundvoraussetzung für die Digitalisierung ist aber
auch, dass der Ausbau des Breitbandnetzes gelingt.
({6})
Auch hier gilt, dass die Kommunen überall - das sage
ich insbesondere als Vertreter des ländlichen Raumes an das schnelle Internet angebunden werden müssen.
({7})
Hier strebt ja die Bundesregierung eine flächendeckende
Versorgung bis 2018 mit mindestens 50 Mbit/s an. Aber
gerade weil wir die Technikabfolgen kennen, frage ich,
ob wir da nicht immer schneller werden müssen. Und
wir müssen uns selbstkritisch fragen: Reichen diese Vorgaben und die veranschlagten Mittel überhaupt aus, und
können wir uns dafür wirklich weitere drei Jahre Zeit
lassen?
Aber ganz wichtig ist auch - um das europäisch zu
formulieren -: Wir brauchen einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt im Digitalbereich, und es muss
uns bis 2016 gelingen, dass diese 28 nationalen Märkte
entsprechend zusammengeführt werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Kerstin Andreae.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben zurzeit wirklich große Probleme und über viele
Sachen zu diskutieren. Wir hätten zum Beispiel gern
über die Kohleabgabe gesprochen, wir hätten gern über
die NSA gesprochen und, und, und.
({0})
Jetzt haben wir eine Aktuelle Stunde über eine Art Zeugnis, das wir unterschiedlich interpretieren. Das erinnert
mich an die Sache mit den Gummibärchen. Das kennen
Sie bestimmt, wenn Sie Kinder haben. Wenn Sie Ihren
Kindern sagen: „Räumt einmal das Zimmer auf“, dann
hören die gar nichts. Wenn Sie sagen: „Es gibt Gummibärchen“, dann stehen sie sofort bei Fuß. Denn man hört
nur das, was man hören will.
({1})
Sie machen das Gleiche bei diesem IWF-Bericht. Sie
hören: Deutschland hat eine gute wirtschaftliche Lage.
({2})
Aber das ist nicht das Ergebnis Ihrer Wirtschaftspolitik.
({3})
Vielmehr ist es das Ergebnis des Dauerdopings von
Niedrigzinsen. Das ist das Ergebnis eines niedrigen Ölpreises, und das ist das Ergebnis eines schwachen EuroKurses.
({4})
Das würden Sie wissen, wenn Sie den IWF-Bericht einmal zu Ende gelesen hätten. Denn dort steht auch, dass
Sie bei den öffentlichen Investitionen viel zu wenig machen. Wir haben zwischen 2015 und 2019 zusätzliche
Steuereinnahmen von 160 Milliarden Euro.
({5})
- Nein, nein, wegen Niedrigzinsen und niedrigem Ölpreis. Das können Sie alles genau nachlesen.
({6})
Sie machen ein Investitionspaket mit zusätzlichen Investitionen im öffentlichen Bereich in Höhe von gerade
einmal 10 Milliarden Euro über die kommenden drei
Jahre. Das ist zu wenig. Das hat Ihnen der IWF konstatiert. Er hat Ihnen gesagt: Um als Lokomotive in Europa
voranzugehen,
({7})
um wirtschaftliche Perspektive in Europa zu erreichen,
müsst ihr investieren und mehr investieren. Das ist die
Aufforderung des IWF an die Bundesregierung, und wir
teilen diese Aufforderung.
({8})
Sie hören auch nicht, dass gesagt wird: Die Rahmenbedingungen für private Investitionen stimmen nicht
mehr. Wo ist denn die wirtschaftspolitische Agenda dieser Bundesregierung? Wo wollen wir denn in zehn Jahren stehen? Nehmen wir einmal die Energiewende: Es ist
doch nicht so, dass die Industrie Arbeitsplätze aus
Europa verlagert oder Industrien und Fabriken abzieht,
weil sie sagt, dass der Industriestrom anderswo so billig
ist. Das ist Quatsch. Das macht sie, weil sie überhaupt
nicht weiß, wie die Energiewende hier eigentlich weitergeht. Es gibt einen mäandernden bayerischen Ministerpräsidenten, der bei der Trassenführung querschießt.
Niemand weiß, wie eigentlich die Rahmenbedingungen
für die Energiewende in der Zukunft sind. Das ist doch
das Problem.
({9})
Wie wird Deutschland digitale Souveränität zurückerlangen? Wir reden immer über Breitbandausbau. Das ist
notwendig. Da machen Sie etwas, da macht die Industrie
etwas, da muss mehr geschehen. Der ländliche Raum
muss angebunden werden etc. Aber wir verlieren digitale Souveränität. Die anderen Länder hängen uns ab bei
der Frage, wie es weitergeht mit der Implementierung
von digitalem Know-how, mit Industrie 4.0, mit dem
Mittelstand, der hier Antworten braucht, mit der Verzahnung von Digitalisierung und Produktion. Da werden
wir abgehängt. Das ist digitale Souveränität. Wir fordern
in diesem Bereich mehr private Investitionen und Förderung.
Schließlich gibt es ein Fachkräfteproblem. Wir haben
ein gigantisches Fachkräfteproblem. Dazu kommt die
Situation, dass wir älter werden und dass wir weniger
werden. Das heißt, wir brauchen Zuwanderung. Wir
brauchen Qualifizierung. Die Ressourcen, die da sind,
müssen wir schöpfen. Heute bildet noch jedes fünfte Unternehmen aus. 250 000 Jugendliche sind ohne Ausbildungsplatz. Das sind die Probleme, die wir angehen
müssen, wenn wir die Investitionsbedingungen bzw. die
wirtschaftlichen Bedingungen verbessern wollen.
Sie sagen: Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland ist
gut. Ich sage Ihnen: Sie stehen auf Treibsand. Ja, die
wirtschaftliche Lage ist gut. Aber der Boden, auf dem
wir uns bewegen, ist dünn. Es fehlen viele Initiativen,
die Sicherheit geben, die Planungssicherheit geben, die
den Rahmen für Investitionen im öffentlichen Bereich
und im privaten Bereich sichern. Nach wie vor fehlen
die Punkte zu Innovationen und zur steuerlichen Forschungsförderung. Das schreibt Ihnen nicht nur der IWF,
sondern im Übrigen auch die Fratzscher-Kommission.
Fangen Sie an, Innovationen von kleinen und mittelständischen Unternehmen jenseits des ZIM zu fördern! Fangen Sie an, Kreativität herauszuholen!
({10})
Das sind die Rahmenbedingungen, die wir brauchen.
Der Schlüssel für den Wirtschaftsstandort Deutschland
liegt in Investitionen und Innovationen. Wir haben die
Potenziale, und wir haben die kreativen Köpfe. Wir haben die besondere Situation, dass wir derzeit auch genügend Mittel haben. Setzen Sie diese Mittel klug ein!
Machen Sie eine kluge und zukunftsgewandte Haushaltspolitik und nicht Rentenpakete, die zu Fachkräftemangel führen. Machen Sie eine zukunftsgewandte Politik, die die Ökologie in den Schwerpunkt rückt und
wirksame Anreize setzt, damit die Unternehmen investieren und gute Arbeitsplätze schaffen! Damit schaffen
Sie ein Fundament für Wettbewerbsfähigkeit.
Vielen Dank.
({11})
Die Aktuelle Stunde wird fortgesetzt durch den Kollegen Ingbert Liebing von der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass wir heute eine
solche Debatte führen könnten. Wer hätte 2010 auf dem
Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise geglaubt,
dass wir heute über negative Auswirkungen des Außenhandelsbilanzüberschusses, über einen hohen Beschäftigungsgrad und über einen ausgeglichenen Haushalt sprechen könnten. Davon hätte vor fünf Jahren niemand
träumen mögen.
Wenn uns der IWF heute bescheinigt, dass wir gute
Ergebnisse erzielt haben, und wir gute Perspektiven aus
diesem Bericht herauslesen können, dann ist dies erst
einmal auch ein Grund zur Freude. Ich kann nur diejenigen bedauern, die im Zweifelsfall jedes Papier nur nach
einer negativen Botschaft durchkämmen. Als ob wir uns
in Deutschland nicht auch einmal über gute Nachrichten
und über eine gute Situation freuen könnten.
({0})
Das möchte ich ausdrücklich vorwegschicken, und zwar
insbesondere im Vergleich zu dem, was wir in den vergangenen fünf Jahren durchgemacht haben.
Diese Freude ist vor allem gut für die Menschen in
unserem Land, für die Menschen, die vor Jahren noch arbeitslos waren und jetzt in Lohn und Brot stehen. Das ist
gut für die Arbeitnehmer, die inzwischen auch wieder
reale Einkommenszuwächse erzielen können. Es ist auch
für die nächste Generation gut, dass wir seit dem vergangenen Jahr wieder ausgeglichene Bundeshaushalte beschließen und damit der nächsten Generation keine zusätzlichen Schulden hinterlassen.
({1})
Diese Situation und diese guten Nachrichten fallen
aber nicht vom Himmel. Sie sind sicherlich, Frau
Andreae, auch Ergebnis von externen Faktoren, die Sie
genannt haben, wie einem niedrigen Ölpreis und dem
Wechselkurs des Euro. Sie sind aber auch Ergebnis kluger Politik, die wir hier in der Koalition seit Jahren betreiben. Denn wir haben umgesteuert. Wir haben die Ergebnisse guter Konjunktur und Steuermehreinnahmen
klug für eine Kurskorrektur genutzt. Wir haben trotz
steigender Einnahmen die Ausgaben konstant gehalten.
Das wiederum hat Luft geschaffen, umzusteuern, hin zu
den Investitionen, die der IWF zu Recht einfordert. Wir
tun dies, indem wir jetzt mit dem Nachtragshaushalt und
dem Investitionspaket für die Kommunen - Staatssekretär Beckmeyer hat dies bereits erläutert - den Schwerpunkt bei den Investitionen setzen.
Nichts ist für den wirtschaftlichen Erfolg so wichtig
wie die öffentlichen Investitionen. Wir müssen unsere
Infrastruktur in Ordnung bringen. Das Thema Breitband
ist angesprochen worden. Es ist gut, dass mit zusätzlichen 1,1 Milliarden Euro endlich auch auf Bundesebene
eine nennenswerte Größenordnung für die Breitbandförderung zur Verfügung steht. Wenn wir über 3 Milliarden
Euro in die Infrastruktur geben, davon allein fast 2 Milliarden Euro in die Verkehrsinfrastruktur, dann sind das
ebenfalls wichtige Beiträge, die wir morgen beschließen
werden.
Investitionen hängen aber nicht nur vom Geld ab. Wir
können nur dann investieren, wenn wir auch fertige, baureife Projekte haben. Wir müssen aber feststellen, dass
wir hier in Deutschland Defizite haben. Ich möchte ausdrücklich die Situation in meinem Heimatbundesland
Schleswig-Holstein ansprechen. Wir könnten noch einmal 3 Milliarden Euro zusätzlich für Investitionen in
Straßen zur Verfügung stellen: In Schleswig-Holstein
kann aber nicht ein einziges neues Projekt begonnen
werden, weil es keine Baureife gibt. Aber dafür tragen
die jeweiligen Landesregierungen über ihre Straßenbauverwaltungen die Verantwortung.
({2})
Wir haben nicht ein einziges baureifes Projekt. Von diesen Milliarden wird nichts ins Land Schleswig-Holstein
hineinfließen - bestenfalls für eine Lärmschutzwand.
Deswegen müssen wir Bund, Länder und Kommunen
zusammen betrachten. Da ist es schon ein Armutszeugnis, wenn einzelne Bundesländer bei den Investitionen
nicht Schritt halten. Wir tun dies auf Bundesebene. Bayern hat eine Investitionsquote von über 12 Prozent, während wir in Schleswig-Holstein bei gerade einmal 7 Prozent herumkrebsen und im nächsten Jahr unter 7 Prozent
rutschen werden.
({3})
Da besteht Nachholbedarf, und deswegen müssen wir
dies als eine Einheit betrachten. Wir helfen auf Bundesebene auch den Kommunen, gerade denen, die unter Investitionsschwäche leiden. Mit 3,5 Milliarden Euro legen wir auf die finanzschwächeren Kommunen einen
zusätzlichen Schwerpunkt. Deswegen müssen wir den
Gesamtzusammenhang bei den Investitionen sehen. Jeder muss seinen Beitrag leisten. Wir tun dies auf Bundesebene, die Länder müssen dies ebenfalls tun. Wir helfen den Kommunen.
Insgesamt steht Deutschland gut da, aber es gibt immer noch Aufgaben, an denen wir zu arbeiten haben.
Wir haben keinen Grund zur Selbstzufriedenheit, sondern müssen diese gute Situation nutzen, um Vorsorge
für schwierigere Zeiten zu treffen. Dies tun wir mit kluger Politik in der Koalition.
Vielen Dank.
({4})
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege
Alexander Ulrich das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch nach dem fünften Redner erschließt sich uns immer noch nicht, was diese heutige Aktuelle Stunde eigentlich soll.
({0})
Wir hätten über so viele Themen reden können, aber was
diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
heute machen, ist nichts anderes als Selbstbeweihräucherung. Wenn ich die Reden höre, wie gut es uns in
Deutschland geht, und sehe, dass man sich gegenseitig
auf die Schultern klopft, offensichtlich aber ganz außer
Acht lässt, zu welcher sozialen Spaltung Ihre Politik in
den letzten Jahren beigetragen hat, dann kommt mir das
so vor, als ob Sie wirklich nur noch im Interesse der
deutschen Wirtschaft handeln, aber nicht mehr im Interesse der Menschen in diesem Land.
({1})
Generell sollte man sich die Frage stellen, ob man
überhaupt auf den IWF so großen Wert legen sollte.
({2})
Wir wissen, dass der IWF dazu beiträgt, eine neoliberale
Politik auf der ganzen Welt und als Mitglied der Troika
auch in Europa umzusetzen. Wir wissen, was er in Portugal, Spanien und auch in Griechenland angerichtet hat.
Wenn eine neoliberale Organisation eine neoliberale
Politik lobt, dann sollte man sich einen solchen Bericht
zweimal durchlesen.
({3})
Ja, Deutschland ist exportstark, Deutschland ist wettbewerbsfähig. Aber warum ist das denn so? Grundlage
für diese wirtschaftliche Stärke war doch über 15 Jahre
Lohndumping auf hohem Niveau. Lohndumping in
Deutschland ist die Grundlage für wirtschaftliche Stärke.
Wir sagen: Ein Land ist nur dann erfolgreich, wenn wirtschaftliche Stärke mit sozialem Fortschritt einhergeht.
Leider ist sozialer Fortschritt in diesem Land unter Ihrer
Regierung nicht mehr möglich.
({4})
Bitte beschäftigen Sie sich nicht nur mit dem IWF,
sondern schauen Sie sich an, was zum Beispiel der Paritätische Wohlfahrtsverband sagt.
({5})
- Ja, der beschreibt genau die Auswirkungen auf die
Menschen in diesem Land.
({6})
Wir haben zum Beispiel die Situation, dass Armut
gravierend zunimmt. Immer mehr Menschen in diesem
Land sind armutsgefährdet oder arm. Immer mehr Menschen in diesem Land können von ihren Löhnen nicht
mehr leben. Immer mehr Menschen haben überhaupt
keinen Fortschritt mehr durch Lohnsteigerungen, weil
sie aus der Tarifbindung herausfallen. Alles das ist die
Folge einer Politik, die mit der Agenda 2010 und
Hartz IV einen deutlichen Schub bekommen hat. Darauf
können wir in diesem Land wirklich nicht stolz sein.
({7})
Dann behaupten Sie immer wieder aufs Neue, wir
hätten eine Rekordbeschäftigung.
({8})
Schauen wir uns die Arbeitsstunden in diesem Land an,
dann stellen wir fest, dass sich die Zahl der Arbeitsstunden in den letzten 13 Jahren überhaupt nicht erhöht hat.
({9})
Es gibt vielleicht mehr Köpfe, die in Arbeit sind - aber
zu welchen Bedingungen? Wir haben Vollzeiterwerbstätigkeit abgebaut und haben immer mehr prekäre Beschäftigung. Jeder vierte Beschäftigte in diesem Land arbeitet prekär. Das muss verändert werden. Nur dann
haben auch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land
etwas von diesem wirtschaftlichen Fortschritt.
({10})
Es sind mittlerweile im Prinzip 4,5 Millionen Bad
Jobs seit 2000 entstanden. 1,7 Millionen Vollzeitstellen,
von denen man leben konnte, sind vernichtet worden,
weil jetzt die Menschen mit zwei oder drei Jobs versuchen müssen, durch den Monat zu kommen. Das ist die
Auswirkung Ihrer Wirtschaftspolitik.
({11})
Der IWF sagt Ihnen ganz deutlich, dass das, was Sie
tun, auch auf Kosten unserer Nachbarländer geht. Noch
einmal: Deutschland ist Mitverursacher der Euro-Krise.
({12})
Die riesigen Außenhandelsüberschüsse sind Mitverursacher der Euro-Krise gewesen. Wenn Sie immer noch
glauben, man könnte immer mehr Produkte und Dienstleistungen verkaufen, als man selbst braucht, und die anderen Länder sollten sich immer weiter verschulden, um
das zu finanzieren, dann muss ich Ihnen sagen: Wir arbeiten auf Kosten der anderen Länder. Wenn Deutschland ein Interesse daran hat, dass die Euro-Zone beruhigt
wird, dann muss es seine Außenhandelsüberschüsse
drastisch abbauen.
({13})
Zum vierten oder fünften Mal in Folge bewegen sie sich
außerhalb der Richtlinien der EU-Kommission. Die EUKommission hat noch einmal gesagt, Sie müssten die
Außenhandelsüberschüsse abbauen. Aber Sie ignorieren
alle Hinweise, auch die aus Brüssel.
({14})
Insofern ist Ihre Wirtschaftspolitik alles andere als
glanzvoll. Die Menschen in diesem Land merken auch,
dass sie von diesem scheinbaren Wirtschaftswachstum
nichts mehr haben. Was wir endlich bräuchten, ist ein
Ende der Agenda-2010- und der Hartz-IV-Politik.
({15})
Was wir endlich bräuchten, wäre ein Mindestlohn von
mindestens 10 Euro pro Stunde, von dem man tatsächlich leben kann.
({16})
Wir bräuchten viel mehr Investitionen. Allein das
Aussetzen der von uns ja abgelehnten Schuldenbremse
würde Ihnen die Möglichkeit geben, pro Jahr bis zu
18 Milliarden Euro mehr zu investieren. Sie fahren mit
Ihrer Schwarze-Null-Politik das Land auf Verschleiß.
Fragen Sie die Länder, fragen Sie die Kommunen, wie
viel Geld notwendig wäre, um wenigstens das Notwendigste instand zu halten! Sie lassen die Länder und die
Kommunen im Stich, weil Sie im Prinzip an dieser
schwarzen Null festhalten.
Was wir auch bräuchten, ist die Beendigung einer
Politik, die noch mehr auf Sozialabbau setzt. Deshalb sagen wir als Linke: Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, die Verhandlungen über die Freihandelsabkommen TTIP und CETA abzubrechen.
({17})
Ihre heutige Beweihräucherung geht leider an den Interessen der Menschen vorbei. Dass so viele Menschen
im Land auf der Straße sind und zurzeit auch streiken, ist
auch ein Ausdruck dessen, dass sie mit diesen Verhältnissen nicht mehr einverstanden sind. Wir freuen uns
über den Streik der Lokführer. Sie haben unsere Unterstützung genauso wie die Erzieherinnen in den Kindergärten.
Vielen Dank.
({18})
Der Kollege Matthias Ilgen hat jetzt das Wort für die
SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde,
der „Weltwirtschaftsausblick“ - so lautet die Übersetzung ins Deutsche des vom IWF gebrauchten Wortes zeigt vor allem eines, nämlich dass die Befürchtungen
der Opposition in diesem Hause unberechtigt sind. Ich
habe das alles vom letzten Jahr noch im Ohr. Ich zitiere
einmal Frau Wagenknecht: Die hartnäckigen, starrköpfigen Konservativen und die rückgratlosen, wirrköpfigen
Politiker der gemäßigten Linken - damit müssen wohl
wir gemeint gewesen sein; so hat sie das untermauert würden Deutschland auf den Weg in den Abschwung
führen. - Wenn ich mir die Ergebnisse unserer Politik
anschaue, kann ich nur das Gegenteil feststellen: Wir haben in diesem und im nächsten Jahr in dieser Republik
einen stabilen Wirtschaftsaufschwung.
({0})
Meine Damen und Herren von der Linkspartei, Sie
sollten sich wirklich einmal um Ihre Schwesterpartei in
Griechenland kümmern, bevor Sie hier solche Reden
halten.
({1})
Sie ist nämlich mit der Politik, die Sie uns hier gerade
vorgeschlagen haben, auf dem besten Weg, Griechenland aus der Euro-Zone zu katapultieren. Nehmen Sie
das zur Kenntnis, und kümmern Sie sich um sie!
({2})
- Wie auch immer.
Auch wir in Deutschland müssen natürlich aus der
Analyse des IWF - sie enthält ja einige Punkte, die nachdenkenswert sind - Konsequenzen für unsere eigene
Wirtschaftspolitik ziehen. Ich möchte heute auf zwei Bereiche eingehen: Zum einen ist die Stärkung der privaten
und öffentlichen Investitionen, genau wie es schon Herr
Beckmeyer für die Bundesregierung beschrieben hat, einer der wichtigen Punkte in den kommenden Jahren. Der
zweite Bereich ist der Ausbau unserer mittelfristigen
Wachstumspotenziale; denn ohne die wird es mittel- und
vor allem langfristig nicht gehen.
Zur Stärkung der Investitionen tragen zuallererst unser ausgeglichener Bundeshaushalt und vor allem ein
ausgeglichener gesamtstaatlicher Haushalt bei; denn das
ist - Euro-Krise hin, Euro-Krise her; Zentralbank hin,
Zentralbank her - die Grundvoraussetzung für ein langfristig niedriges Zinsniveau, wie wir es in Deutschland
haben.
({3})
Dies wirkt sich bekanntermaßen - um das festzustellen,
muss man kein Volkswirt sein - auch auf das Investitionsklima positiv aus.
Nach der erfolgreichen Reform des EEG, die wir im
letzten Jahr gemeinsam durchgeführt haben, konzipieren
wir nun auch ein neues Strommarktdesign, das die Energiewende mit unseren energiepolitischen Zielen - bezahlbare Energiepreise, Versorgungssicherheit und Klimaschutz - zusammenbringt. In diesem Bereich sind
nämlich verlässliche Rahmenbedingungen für die Unternehmen unverzichtbar. Wir brauchen diese Planungssicherheit in Deutschland. Dies bleibt wahrscheinlich die
wichtigste Aufgabe, die wir in diesem Jahr zu lösen haben.
Bei den öffentlichen Investitionen - das hat Herr
Beckmeyer alles angesprochen - legen wir ordentlich
nach. Hier geht es uns als Sozialdemokraten vor allem
darum, noch einmal zu erwähnen, dass das 5-MilliardenEuro-Paket für die Kommunen das größte ist, das wir in
diesem Bundestag in den letzten zehn Jahren beschlossen haben. Deswegen ist und bleibt es richtig.
({4})
Wir werden mittelfristig, was Investitionen angeht,
auch mehr im Bildungsbereich tun müssen. Da gibt es
einen ersten Ansatz. Einer der Schwerpunkte - neben
Klimaschutz und Infrastruktur - ist die Bildung, ist die
Frage: Wie schaffen wir einen stärkeren Ausbau von
Kitas, Schulen und Hochschulen? Wenn wir das Ziel
„10 Prozent am Bruttoinlandsprodukt“ halten wollen,
werden wir hier in den nächsten Jahren nachlegen müssen.
Der zweite Punkt. Wenn wir darüber sprechen, wie
unsere Wachstumspotenziale mittelfristig sind, ist es interessant, sich im IWF-Bericht einmal anzugucken: Was
tun andere Länder? Es gibt ein weltwirtschaftliches
Wachstum von 3,5 Prozent oder 4 Prozent in den kommenden Jahren, während das Wachstum in Deutschland
laut IWF - wir haben es gehört - bei 1,8 Prozent bis
2 Prozent liegt. Warum eigentlich? Das Wachstum in
Europa liegt darunter; da ist Deutschland verhältnismäßig gut.
Einer der Gründe dafür, dass das Wachstum in den
USA am oberen Ende dieser Skala liegt, ist, dass die
USA eine Einwanderungsgesellschaft sind, eine Gesellschaft, die einen Bevölkerungszuwachs hat. Alle Länder,
die einen Bevölkerungszuwachs haben - das sind natürlich vor allem die Schwellenländer und die Entwicklungsländer -, haben einen Drive in ihrer ökonomischen
Entwicklung. Wir in Deutschland haben - das wissen
wir - eine verhältnismäßig niedrige Geburtenrate, die
wir auch mit aller guten Familienpolitik, die wir hier gemeinsam im Hause machen, nicht von heute auf morgen
werden erhöhen können. Wir müssen auch auf Zuwanderung setzen; wir jedenfalls tun das.
({5})
- Die Sozialdemokraten klatschen.
Um ein Einwanderungsland zu werden, das die Herausforderungen der Integration schultert, brauchen wir
in Deutschland einen stärkeren Bewusstseinswandel,
nicht nur bei den Kollegen der Union, sondern ein Stück
weit bei uns allen, glaube ich.
Neben einer Willkommenskultur geht es auch darum,
die Einwanderer, die zu uns kommen, insbesondere
Flüchtlinge aus Krisenstaaten, schnellstmöglich an Bildung heranzuführen sowie für eine Integration in den
Arbeitsmarkt und für ein vernünftiges Wohnumfeld zu
sorgen. Wir Sozialdemokraten jedenfalls wollen die Zukunftschancen ergreifen, die in den Talenten stecken, die
diese Menschen mitbringen. Wir wollen diese Menschen
in den nächsten Jahren noch stärker in unseren Wirtschafts- und Arbeitsprozess einbeziehen, um die Defizite
- der Fachkräftemangel ist in diesem Hause mehrfach
angesprochen worden - ausgleichen zu können.
Vielen Dank.
({6})
Der Kollege Dieter Janecek spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren von der Koalition! Mir ist ein bisschen
schleierhaft, was Sie hier machen. Sie feiern ziemlich
leidenschaftslos die gute wirtschaftliche Lage; über die
freue ich mich auch ausdrücklich. Herr Liebing, ich
finde es super, dass es uns steuerlich gut geht und dass es
der Wirtschaft gut geht. Aber was haben Sie damit zu
tun? Das haben Sie uns in Ihrer Rede nicht erklären können.
({0})
Ich sage es Ihnen einmal ganz konkret: Was Sie bisher
getan haben, ist, in Ihrer Reformpolitik - so nennen Sie
sie - den künftigen Generationen neue Lasten aufzubürden: Rente mit 63, Mütterrente, Einknicken gegenüber
der Kohlelobby jetzt jüngst und Ausbremsen der Energiewende.
({1})
Das ist Ihre Politik, die Sie hier als zukunftsgewandt verkaufen wollen.
({2})
Jetzt komme ich speziell zur Union. Bei manchem,
was Minister Gabriel - er ist heute nicht da - macht, gehen wir mit, zum Beispiel, wenn er sagt: Bei der Kohleabgabe müssen wir vorangehen; da müssen wir etwas
tun. - Da geht er voran. Und was machen Sie? Sie bremsen ihn aus. Sie schaffen es nicht, hier ein zukunftsfähiges Signal zu setzen. - Punkt Nummer eins.
({3})
Punkt Nummer zwei. Energiewende, Trassenausbau
in Bayern.
({4})
Herr Straubinger, schauen Sie da einmal hin! Ganz
Deutschland lacht über Sie, lacht über diesen Ministerpräsidenten. Sie kriegen es nicht hin, in Bayern eine
Energiewende zu organisieren. Sie schaffen die Windkraft ab. Sie schaffen keine Stromleitungen. Sie wollen
die Leitungen am besten noch nach Baden-Württemberg
verlegen. Sie kriegen überhaupt keine zukunftsfähige
Politik hin.
({5})
Sie ducken sich weg. Die Kanzlerin duckt sich weg. Sie
hatten die CSU nicht im Griff. Sie mäandert durch die
Gegend und boykottiert alles, was an Sinnvollem von
der anderen Seite kommt.
Wir reden heute über den IWF-Bericht. Es gibt noch
einen zweiten Bericht; er ist aus dieser Woche. Den fand
ich in Teilen weitaus spannender als den ersten. Der
erste hat ein paar Signale gesetzt - auf die will ich auch
noch eingehen -, aber der zweite hat eine Grundaussage
getroffen. Es wurde ermittelt, wie viele Subventionen
weltweit für Energieträger gegeben werden, und man ist
auf die Zahl von 5 Billionen Dollar jährlich gekommen.
Das ist mehr als die gesamten Gesundheitsausgaben der
Welt. Der Anteil am globalen Bruttosozialprodukt ist
dramatisch hoch, nämlich 6,5 Prozent.
({6})
In Deutschland sind es 50 Milliarden Euro. Wo sind Ihre
Ansätze, an die umweltschädlichen Subventionen heranzugehen und für Zukunftsfähigkeit zu sorgen? Es ist
schön, dass wir gute Steuereinnahmen haben. Das wäre
aber auch die Gelegenheit, mal eine zukunftsfähige Politik zu machen. Aber das kriegen Sie nicht hin.
({7})
Die energetische Gebäudesanierung ist der nächste
Punkt. Ich weiß nicht, was die CSU will. Woher wollen
Sie denn Strom bekommen, Herr Straubinger?
({8})
Aus der Steckdose kommt der Strom weiterhin. Aber
ohne Trassenausbau gibt es bald keine Kabel mehr,
durch die Strom fließen kann. Wenn Sie es nicht schaffen, gegen zwölf Bundesländer im Bundesrat eine gemeinsame Lösung zugunsten der energetischen Gebäudesanierung zu finden,
({9})
dann ist das nichts anderes als Versagen auf der ganzen
Linie. Auch hier ducken Sie sich weg. Sie handeln gegen
jedwede Vernunft.
({10})
Zukunftsthema Elektromobilität. 1 Million Elektrofahrzeuge wollten wir bis 2020 auf die Straße bringen.
Aktuell sind es 20 000. Wenn es gut läuft, dann fahren
2020 rund 100 000 Elektrofahrzeuge auf unseren Straßen.
({11})
Aber Sie haben hier keinen Zukunftsplan. Wir haben etwas vorgelegt, und Sie haben es abgeschmettert. Sie
kommen auch hier nicht voran. Ich kann Ihnen bis heute
um Mitternacht einen Strauß aus Zukunftsthemen aufzählen, bei denen nichts geschieht. Da ich nur noch zwei
Minuten Redezeit habe, möchte ich folgende Punkte beispielhaft nennen.
Ausbau der digitalen Infrastruktur. Wo sind die Zahlen, die das Ausbauziel von 50 MBit unterlegen? Ich
kann davon nichts sehen. Sie haben es nicht geschafft,
1 Milliarde Euro im Koalitionsvertrag zu verankern.
Ähnliches gilt für die steuerliche Forschungsförderung.
Im IWF-Bericht wird ausdrücklich erwähnt, dass wir
hier nachlegen müssen. Sie schaffen es außerdem nicht,
Hemmnisse für Frauen auf dem Arbeitsmarkt abzubauen. Das ist ein ganz zentraler Punkt im IWF-Bericht.
Ich glaube, die SPD würde hier ein Stück weit mit uns
mitgehen. Aber Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, tun das nicht. Sie blockieren. Sie sind auch
bei Familienfreundlichkeit und Kinderbetreuung noch
immer nicht dort, wo wir sein könnten.
Noch ein Punkt. Ich bin Münchner. Vielleicht haben
Sie den IWF-Bericht tatsächlich gelesen. Sie beantragen
eine Aktuelle Stunde, um sich abzufeiern. Aber wir lesen
auch die Berichte, über die wir reden. Das ist vielleicht
ein Unterschied. Bei den Preisen für Wohnimmobilien
blinken jedenfalls die Warnleuchten auf. In meiner Heimatstadt München sind die Preise in den letzten zwei
Jahren um 12 Prozent angestiegen. Die Mietpreisbremse
mag ein erster Ansatz sein. Aber wie wollen Sie das weiter gestalten?
Was Sie schon zweieinhalb Jahre vor der nächsten
Bundestagswahl machen - NSA, Stromtrassen und viele
andere Themen -, erinnert mich stark an die Vorbereitungen auf diese Wahl. Sachpolitik findet nicht mehr
statt. Sie haben einen enormen Spielraum. Darüber sollten Sie genauso wie wir glücklich sein. Aber Sie nutzen
diesen Spielraum nicht, insbesondere bei einem zentralen Thema nicht, mit dem ich abschließen möchte. Es
gibt eine digitale Revolution; das ist gut. Die Mitglieder
des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
haben gestern den Bundespräsidenten besucht. Er hat
sich gegenüber diesem Thema sehr aufgeschlossen gezeigt. Ich weiß auch, dass im BMWi an entsprechenden
Lösungen gearbeitet wird. Aber wo schaffen Sie den Zusammenhang zwischen digitaler Technologie und ökologischer Wirtschaftsweise? Auch dieses Thema verschlafen Sie. All die Zukunftschancen, die wir brauchen,
werden nicht genutzt. Sie feiern sich nur ab und verwalten, anstatt zu gestalten.
Ich danke Ihnen.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Jan Metzler, CDU/
CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Vorbemerkung: Man muss den Bericht des IWF auf besondere
Art und Weise lesen, wenn man seine positiven Punkte
nicht herauslesen möchte. Obwohl er ein eindeutig positives Zeugnis ausstellt, handelt es sich nicht um Lobhudelei. Es wird nicht nur auf die positive Bilanz Deutschlands verwiesen, sondern auch darauf, dass Deutschland
seine Hausaufgaben gemacht hat.
({0})
Ich zitiere:
Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer günstigen Phase des Konjunkturzyklus, die durch starke
Bilanzen untermauert und zum Teil durch kurzfristige Faktoren unterstützt wird.
Das heißt nichts anderes, als: Erstens. Die deutsche
Wirtschaft ist stark und weiter auf Wachstumskurs. Die
Bundesregierung hat erst kürzlich die Wachstumsprognose für dieses Jahr auf 1,8 Prozent angehoben, übrigens deutlich vorsichtiger als einige Wirtschaftsforschungsinstitute.
Zweitens. Deutschland ist solide finanziert, mit ausgeglichenem Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung.
Das mag man kaputtreden, wie man will, aber das ist
eine exzellente Bilanz, die hervorgehoben gehört.
({1})
Drittens. Besonders die andauernde Konsumlaune
sorgt für gute Konjunkturstimmung. Laut dem Nürnberger Marktforscher GfK ist die Kauflaune so gut wie seit
mehr als zehn Jahren nicht mehr.
Viertens. Speziell der deutsche Arbeitsmarkt wird im
Bericht als stark hervorgehoben, und das auch zu Recht.
Insofern ist die Ausgangslage mehr als ordentlich.
Dazu gehört auch - das mag ich an dieser Stelle überhaupt nicht verschweigen -, dass natürlich Faktoren wie
billiges Öl, dauerhaft niedrige Zinsen und ein günstiger
Euro-Kurs ihren Anteil dazu beitragen. Aber wer den anderen Teil des Berichts absichtlich verschweigt, der will
die positive Bilanz ins Negative verkehren. Das entspricht nicht der Tendenz des gesamten Berichts.
({2})
Ich kann Ihnen im Allgemeinen nur zustimmen: Entscheidend sind jetzt die richtigen Weichenstellungen für
die Zukunft und die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit
unseres Landes. Dabei haben wir bereits viel auf den
Weg gebracht - Kollege Liebing hat bereits einige
Punkte dazu genannt -: 10 Milliarden Euro Investitionspaket, 5 Milliarden Euro Stärkung der Kommunen, besonders der finanzschwächeren, sowie der avisierte Abbau der kalten Progression.
Da auch ein Stück weit durchgedrungen ist, dass jenseits des ZIM für kleine und mittelständische Betriebe
keine Fördermaßnahmen bereitgestellt werden, möchte
ich an den Topf des Bundesforschungsministeriums erinnern, aus dem seit 2008 insgesamt 1 800 Betriebe kleiner
und mittelständischer Prägung mit über 750 Millionen
Euro gefördert werden. Wer das in diesem Haus verschweigt, der verschweigt auch einen Teil der Gesamtbilanz, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Insgesamt sind wir auf einem guten Kurs. Klar ist dabei: Eine florierende Wirtschaft ist Dreh- und Angelpunkt für den Wohlstand unseres Landes. Dazu gehören
eine gute Infrastruktur, gut ausgebaute Verkehrswege,
schnelles flächendeckendes Internet und zuverlässige
Energie. Erinnern möchte ich jenseits der bereits angesprochenen Punkte, auch zum Thema Familienfreundlichkeit, daran - Herr Janecek, Sie haben es angesprochen -: Der Bund steckt insgesamt über 6 Milliarden
Euro in den Ausbau von Betreuungseinrichtungen im
Bereich U 3. Auch hier sehe ich, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben, was letztlich ebenfalls positiv
in die Gesamtbilanz einzubringen ist.
Es bleibt also festzuhalten: Wettbewerbsfähig zu bleiben ist ein Kraftakt, den wir alle gemeinsam - Bund,
Länder und Kommunen - bewältigen müssen. Hervorragende Perspektiven für unser Land können nur gemeinsam gestaltet werden. Wir dürfen und wollen uns nicht
auf den Lorbeeren von gestern oder heute ausruhen, sondern müssen die richtigen Entscheidungen für die Zukunft treffen. Das ist eine gemeinsame Anstrengung.
Dieser werden wir uns gern stellen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein,
SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist eine Tatsache: Die wirtschaftliche Lage
in Deutschland sieht ausgesprochen positiv aus. Alle wichtigen Indikatoren belegen den anhaltenden Aufschwung.
Klar ist auch, dass wir dennoch mehr in die Infrastruktur,
in Straßen, Schulen und Brücken, investieren müssen.
Das nehmen wir ernst, dies tun wir. Dazu haben unser
Staatssekretär Uwe Beckmeyer und mein Kollege
Matthias Ilgen bereits etwas gesagt.
Wenn wir über mehr private und öffentliche Investitionen sprechen, dann muss es uns aber auch um mehr
Investitionen in gute Ideen, in Innovationen und junge
Unternehmen gehen. Wir sind auf dem richtigen Weg,
aber wir können noch mehr. Deshalb liegt mir ein Thema
besonders am Herzen: Wie schaffen wir es, so wie im
Koalitionsvertrag formuliert, eine „Neue Gründerzeit“ in
Deutschland zu initiieren? Denn Gründungen, gerade
auch im innovativen Bereich, sind für Fortschritt, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit ebenso wichtig wie eine
moderne Infrastruktur.
({0})
Die Voraussetzungen für Gründungen sind im Moment offensichtlich besser denn je. Galten die Deutschen
vor nicht allzu langer Zeit als Gründungsmuffel, sieht
das heute schon ganz anders aus. Nach einer repräsentativen Studie der Markt- und Meinungsforschungsfirma
YouGov sind die Deutschen inzwischen sogar eher bereit als die US-Amerikaner, ein Unternehmen zu gründen. Hört! Hört! Sage und schreibe 44 Prozent der Befragten trauen sich grundsätzlich zu, eine eigene Firma
zu gründen. Es ist ein beachtliches Ergebnis, dass es allein im Jahr 2014 in Deutschland über 800 000 Neugründungen gab. Berlin, unsere Hauptstadt, steht dabei an der
Spitze. Als internationale Metropole für Start-ups weist
Berlin eine hohe Gründungsdynamik auf.
({1})
Was besonders erfreulich ist: Jede fünfte Gründung in
Deutschland geht auf Migrantinnen und Migranten zurück. Darunter sind immer mehr innovative Start-ups.
Mit ihrer höheren Neigung, sich selbstständig zu machen
und dabei auch Arbeitsplätze zu schaffen, stellen Migrantinnen und Migranten eine tragende Säule des Gründungsgeschehens in Deutschland dar.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese positive Entwicklung zeigt, dass wir in den vergangenen Jahren vieles richtig gemacht haben. Dazu gehören nicht zuletzt
die zahlreichen konkreten Fördermaßnahmen und Initiativen, mit denen wir speziell junge innovative Unternehmen unterstützen, wie zum Beispiel das EXIST-Gründerstipendium oder der High-Tech Gründerfonds sowie
das Programm INVEST, das einen Zuschuss für Wagniskapital beinhaltet. Insgesamt stellt der Bund für die
nächsten Jahre 2 Milliarden Euro für die Weiterentwicklung und Aufstockung dieser bestehenden Programme
bereit.
({3})
Doch auf dem Erreichten ruhen wir uns nicht aus;
denn wir wissen, dass das Gründungspotenzial in
Deutschland noch lange nicht ausgeschöpft ist und dass
Gründerinnen und Gründer noch bessere Rahmenbedingungen brauchen. Viele erfolgversprechende Start-ups
sind noch zu klein und wachsen zu langsam, oder sie
verlassen Deutschland sogar, weil sie hier das notwendige Wagniskapital nicht vorfinden.
Wenn wir uns im internationalen Vergleich umsehen,
müssen wir feststellen, dass bei uns zu wenig privates
Kapital in Gründungen und Wachstum investiert wird. In
anderen Ländern wird ein Vielfaches investiert, beispielsweise in Amerika oder Israel. Auch in anderen europäischen Ländern wie Schweden, Frankreich oder
Großbritannien wird deutlich mehr an Wagniskapital investiert als bei uns. Wir werden deshalb, so wie es im
Koalitionsvertrag festgelegt ist, Deutschland als Investitionsstandort für Wagniskapital attraktiver und international wettbewerbsfähiger machen.
({4})
Deshalb ist es gut, dass wir gemeinsam mit unserem
Wirtschaftsminister daran arbeiten, die rechtlichen und
steuerlichen Rahmenbedingungen für Wagniskapital zu
verbessern.
Noch ein weiterer Punkt ist mir wichtig. Wir werden
auch beim Abbau von unnötiger Bürokratie für Existenzgründerinnen und Existenzgründer sowie für junge Unternehmen mit dem Bürokratieentlastungsgesetz einen
wichtigen Schritt in die richtige Richtung gehen. Noch
im Juni soll der entsprechende Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag diskutiert und verabschiedet werden.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen also, dass
wir uns trotz des guten Zeugnisses, das uns der IWF ausstellt, nicht auf dem Erreichten ausruhen. Wir werden
die Chancen des aktuellen Aufschwungs nutzen, um in
Deutschland neben einer besseren Infrastruktur auch die
notwendigen Rahmenbedingungen für eine höhere
Gründungsdynamik zu schaffen.
({6})
Wir wollen, dass sich noch mehr Menschen nicht nur
vorstellen können, ein Unternehmen zu gründen, sondern das auch tun.
Vielen Dank.
({7})
Der Kollege Klaus-Peter Flosbach hat jetzt für die
CDU/CSU das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Tat hat vor wenigen Tagen der IWF seine Prognosen
und Empfehlungen abgegeben, was er regelmäßig
macht. Der IWF ist für die Überwachung der weltweiten
Finanzstabilität und die Förderung dessen zuständig. Zunächst einmal ist festzuhalten: Er hat Deutschland ein
unglaublich positives Zeugnis ausstellt.
({0})
Wir haben Wachstum, wir haben wachsende Einkommen, und wir haben eine stabile Wirtschaft. Der wichtigste Punkt für den Internationalen Währungsfonds ist
nämlich die Frage: Ist dieses Land stabil?
Herr Kollege Ulrich, Sie haben sich hier hingestellt
und erklärt, wir seien in unserer Leistungsbilanz zu stabil und zu leistungsfähig. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Gehen Sie doch einmal in einen Betrieb, sprechen
Sie mit den Arbeitnehmern und sagen Sie ihnen: Sie sind
einfach zu leistungsfähig,
({1})
Sie exportieren zu viel. Hören Sie damit auf; Sie gefährden die weltweite Finanzstabilität. - Das ist natürlich
nicht der Fall. Aber diskutieren Sie einmal mit diesen
Menschen. Dabei machen Sie völlig andere Erfahrungen.
({2})
Sie können den Erfolg, den wir hier erleben, nicht kleinreden.
({3})
Der Kollege Liebing hat deutlich gemacht: Wir kommen nicht aus einer Phase, in der alles optimal gelaufen
ist und es uns gut gegangen ist. Noch vor wenigen Jahren hatten wir mit drei Krisen zu kämpfen: Es gab 2008
die Bankenkrise. Im Jahr darauf hatten wir eine Wirtschaftskrise und ein Jahr später eine Staatsschuldenkrise,
die oftmals Euro-Krise genannt wird.
In der Bankenkrise haben wir viele Maßnahmen - über
40 Maßnahmen - umgesetzt. Auch der Bericht des IWF
weist darauf hin, dass wir vieles richtig gemacht haben.
Große Banken werden heute in Europa umfangreich
kontrolliert. Wir haben ein Abwicklungsregime gegründet. Wenn also große Banken in eine Schieflage geraten,
müssen sie nicht vom Steuerzahler aufgefangen werden.
Die Eigentümer, die Gläubiger werden herangezogen,
und gegebenenfalls muss ein Fonds, der von den Banken
selbst finanziert wird, herangezogen werden. Das wertet
der Internationale Währungsfonds als Stabilität. Deswegen sollten wir darauf stolz sein, dass wir zum Beispiel
dieses Thema gelöst haben.
({4})
Wir haben auch - das möchte ich ausdrücklich betonen - in der damaligen Phase einen Garantierahmen von
168 Milliarden Euro bereitgestellt. Dieser Rahmen ist
damals ausgenutzt worden, aber alle Garantien, die wir
damals herausgegeben haben, sind zurückgeführt worden. Wir haben gemeinsam mit der SPD schon im Jahre
2009 manche Maßnahmen in der Krise eingeführt. Denken wir einmal an die Ausweitung der Kurzarbeit, denken wir an die Konjunkturpakete, die gerade den Kommunen zugutegekommen sind, und denken wir an die
Schuldenbremse. All das hat hinterher gewirkt. Wir waren in der Lage, den anderen Ländern in Europa zu helfen. Wir konnten anderen helfen.
({5})
Mit 27 Prozent sind wir bei allen Rettungsmaßnahmen
dabei, weil wir in dieser Zeit stark geworden sind.
({6})
Das lag sicherlich nicht allein an der Politik, sondern an
allen Akteuren, auch in der Wirtschaft. Ich denke hier an
meinen eigenen Wahlkreis. Wir hatten bis zu 10 000 zusätzliche Arbeitslose. Wir hatten Einbrüche von bis zu
80, 90 Prozent. Aber durch die Kurzarbeit konnte damals Stabilität geschaffen werden. Als wir aus der Krise
herauskamen, hatten alle Unternehmen ihre Stammbelegschaften und konnten weiterarbeiten.
Heute haben wir ein Wachstum von 1,8 Prozent. Die
Bruttolöhne sind um 4 Prozent gestiegen. Wir haben steigende Unternehmensgewinne. 52 Prozent unseres Bundeshaushalts - das sollten wir auch einmal festhalten - gehen
in die Sozialpolitik. Wir sind heute in der Lage, 52 Prozent unserer gesamten Ausgaben, über 150 Milliarden
Euro, in die Sozialpolitik hineinzustecken. Das soll uns
erst einmal einer nachmachen, meine Damen und Herren.
({7})
Wir hatten im Haushalt 2009 eine Nettoneuverschuldung von 86 Milliarden Euro. Jeder vierte Euro war
nicht gedeckt. Heute haben wir - man sagt: eine
schwarze Null - Überschüsse. Dafür werden wir kritisiert. Wer hat uns denn geglaubt, dass wir die Schuldenbremse einhalten würden? Wer hat denn geglaubt, dass
wir einen ausgeglichenen Haushalt schaffen würden?
Wer hat uns denn geglaubt, dass wir das ohne Steuererhöhungen machen? Herr Janecek hat gerade gesagt:
Damit haben Sie nichts zu tun. - Wenn Sie an die Regierung gekommen wären, hätten Sie durch Ihre Vermögensabgabe dem Mittelstand 100 Milliarden Euro entzogen. Dann hätten wir heute eine völlig andere Situation
in Deutschland.
({8})
Meine Damen und Herren, der IWF hat auch darauf
hingewiesen: Wir sollten Warnungen nicht überhören. Er
hat - ich bin im Finanzausschuss tätig - deutlich gesagt:
Derzeit sind die Banken nicht in der Lage, Erträge zu generieren - wir haben derzeit sehr schwache Banken -;
passen Sie also auf, dass kein neues Risiko entsteht wie
bei den Lebensversicherungsgesellschaften. Die Versicherungsgesellschaften haben in ihren Erträgen so
niedrige Zinsen, dass es nicht nur für die Altersvorsorge
ein Problem ist, sondern auch für die Lebensversicherungsverträge. Herr Hufeld, der neue Chef der Bankenaufsicht - er kommt aus dem Bereich der Versicherungen -, hat deutlich gesagt, dass er hier einen
Schwerpunkt setzen wird. Aber wir haben in der Koalition das Lebensversicherungsreformgesetz umgesetzt,
um zu stärken, dass die Lebensversicherungen stabil
sind. Die Linken und die Grünen waren völlig anderer
Meinung. Sie waren nicht der Meinung, dass wir die
Versicherungsgesellschaften stärken sollten, damit sie
die Erträge für alle Versicherten zahlen können.
Liebe Kollegen, ich komme zum Ende. Der IWF lobt
in dieser Prognose unsere Leistungen, aber er bestätigt
vor allen Dingen den Weg, den wir in dieser Koalition
gehen:
({9})
Stabilität und Sicherheit für unsere Bürger herzustellen.
Vielen Dank.
({10})
Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Sabine
Poschmann für die SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So langweilig wie angenommen ist die Debatte eigentlich gar
nicht, wenn Sie einmal ehrlich sind.
({0})
Der Internationale Währungsfonds bestätigt uns, auch
entsprechend Ihrer Aussagen, gute Perspektiven und
kommt zu dem Schluss, dass unsere Wirtschaft „auf
einem soliden Fundament“ steht. Damit zu tun hat eine
solide Wirtschaftspolitik - natürlich auch andere Dinge,
das bestreite ich gar nicht. Ich glaube aber, mit „Fundament“ ist auch dies gemeint.
Wir haben das unter anderem aber auch dem Mittelstand und dem Handwerk in Deutschland zu verdanken.
Die Unternehmer kleiner und mittelständischer Betriebe
sorgen mit ihrer Leidenschaft und ihren Ideen dafür, dass
Deutschland in vielen Bereichen Vorreiter ist und
wettbewerbsfähig bleibt, weil sich diese Unternehmen
aufgrund ihrer Größe schneller an den Markt, an die
Nachfrage nach anderen Produkten und an das Verbraucherverhalten anpassen können. Zudem haben sie in der
Finanzkrise Standhaftigkeit bewiesen. Das macht die
deutsche Wirtschaft insgesamt krisenfester, und das ist
unser Fundament.
({1})
Die meisten dieser Unternehmen - auch das unterscheidet sie von manch großem Unternehmen - zweifeln
nicht den Wirtschaftsstandort Deutschland an. Sie gehen
auch nicht wegen Dumpinglöhnen im Ausland an andere
Standorte, sondern sehen sich in der Verantwortung
- das ist uns Sozialdemokraten wichtig - gegenüber den
Arbeitnehmern. Sie zahlen häufig Löhne weit über dem
Mindestlohn. Deshalb ist der Mindestlohn an sich für sie
nicht das Thema.
Die Frage ist: Wie können wir diese starke Wirtschaftskraft, die gute Arbeitsplätze schafft, stabil halten
und ausbauen? Das zu tun, hat uns der IWF mit auf den
Weg gegeben. Die Handlungsfelder sind weitgehend bekannt; denn wir haben verstärkt - das ist das Wesentliche
an dieser Regierung und den Koalitionsfraktionen - auf
Dialog gesetzt. Wir haben alle mitgenommen; wir haben
einen großen Beteiligungsprozess angestrebt, in dem wir
Gewerkschaften, Unternehmen und Verbände nach Ansatzpunkten und Verbesserungsvorschlägen gefragt haben.
Erst gestern fand der Branchendialog zu Potenzialen
und Herausforderungen im Handwerk im Wirtschaftsministerium statt. Auch hier kristallisierten sich drei
Themen heraus: Fachkräftesicherung - sie wurde heute
schon erwähnt -, Digitalisierung und Investitionen. Nun
gilt es, Handlungsoptionen zu identifizieren und Maßnahmen zu entwickeln, die über das Bisherige hinausgehen und durch ihre Passgenauigkeit noch effektiver greifen. Dabei darf nicht nur der Staat gefragt sein: Wir
müssen auch Unternehmen und Verbände stärker in die
Pflicht nehmen, sich selber dieser Verantwortung zu stellen. Aber auch hier gibt es gute Vorschläge, die zum Teil
schon in die Tat umgesetzt worden sind.
Einige Beispiele: Das Gütesiegel für eine gute Ausbildung könnte durchaus ein Anreiz für junge Fachkräfte
sein, sich verstärkt dem Handwerk zu widmen. Ich halte
es auch für einen guten Ansatz des Handwerks, jungen
Flüchtlingen eine Chance auf eine Ausbildung zu geben.
Auch im Handwerk - Herr Janecek, da bin ich bei Ihnen darf das Potenzial der Frauen nicht außer Acht gelassen
werden. In einigen Handwerksbereichen sollte man sich
gedanklich - das ist das Mindeste - gegenüber Frauen
öffnen.
({2})
Die Polizei hat es uns vorgemacht: Woran vor Jahren
noch keiner denken konnte - Frauen bei der Polizei -,
das ist heute etwas ganz Selbstverständliches.
Ein weiteres drängendes Thema ist die zurückhaltende Investitionstätigkeit der Unternehmen; auch das
haben meine Kollegen schon angesprochen. Deutschland braucht mehr Investitionen für Innovationen. Das
hält unsere Unternehmen wettbewerbsfähig. Das Kapital
ist vorhanden, die Notwendigkeit auch. Also, was hält
unsere Unternehmen davon ab, selber zu investieren?
Eine aktuelle Studie der KfW zeigt, dass ältere Arbeitgeber weniger investieren, vor allen Dingen, wenn die
Unternehmensnachfolge unklar ist. Bei einer fehlenden
Unternehmensnachfolge stehen wir vor dem großen Problem, wie wir die beiden Parteien zueinanderbringen.
Aber hier hat das Wirtschaftsministerium gestern das
Projekt „Nachfolge beginnt jetzt!“ ins Leben gerufen
- alle Projekte, die ich genannt habe, haben wir bereits
angepackt -, das innovativen Content zum Thema Unternehmensnachfolge bietet. Das Projekt dockt an die
„nexxt“-Initiative an - sie ist Ihnen bekannt -, die seit
vielen Jahren erfolgreich Inhaber und Nachfolger zusammenbringt. Durch praxistaugliche Informationen
und durch die Nutzung neuer Medien wird das bestehende Angebot verbessert. Vor allen Dingen werden dadurch neue Zielgruppen erschlossen.
Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich in ihrer neuen
Projektgruppe „Neue Erfolge - Vorsprung durch Innovation“ ebenfalls sehr auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen, vor allem auf die Stärkung von Innovationen, konzentrieren.
({3})
Ziel dabei ist es, Deutschland zukünftig noch innovativer zu machen. Technologische Trends müssen frühzeitig erkannt und genutzt werden, um auch soziale Ziele zu
erreichen; das sollte unser aller Bestreben sein. Wir sind
nicht dafür angetreten, der Wirtschaft Geld in den Rachen zu stecken. Unser Ziel muss vielmehr sein, neue
und bessere Arbeitsplätze zu schaffen und für eine intakte Umwelt, für ein gutes Leben in Deutschland insgesamt zu sorgen.
({4})
Frau Kollegin Poschmann, ich darf Sie darauf hinweisen, dass bisher alle Kolleginnen und Kollegen sehr diszipliniert waren, was die Redezeit betrifft.
Auch ich werde mich an die Redezeit halten, Herr
Präsident.
({0})
Ich komme zum Schluss. Ich wünsche uns, dass wir
auch in Zukunft eine positive Kritik vom IWF bekommen und dass wir alle zusammen positiv in die Zukunft
schauen.
Herzlichen Dank.
({1})
Zum Abschluss der Aktuellen Stunde hat das Wort
der Kollege Dr. Hans Michelbach.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
wurde die Frage gestellt: Warum gibt es heute diese Aktuelle Stunde? Ja, warum denn?
({0})
Diese Aktuelle Stunde wurde heute auf die Tagesordnung gesetzt, weil Leistung und Erfolg Anerkennung
finden sollten und weil wir wissen, dass sich die Opposition darüber richtig ärgert.
({1})
Das haben Sie heute, wie immer sehr defätistisch, zum
Ausdruck gebracht. Sie haben einfach nicht die Größe,
sich über den Aufschwung,
({2})
über die Wachstumsentwicklung und über den Wohlstand der Menschen zu freuen.
({3})
Nicht einmal Mitfreude ist ihnen gegönnt.
Herr Janecek, Ihre Frage, was wir als Regierungskoalition damit zu tun hätten, beantworte ich Ihnen natürlich sehr gerne. Das ist ganz einfach: Wir haben die
Wirtschafts- und Finanzmarktkrise in Europa mit über
40 Gesetzen zur Finanzmarktregulierung am besten bekämpft. Wir haben neue Investitionsanreize geschaffen.
Mit uns gab es keine Steuererhöhungen, wie Sie sie gefordert haben.
({4})
Wir haben eine zweiläufige Finanzpolitik verfolgt mit
einem guten Mix aus Haushaltskonsolidierung, einer
Nettoneuverschuldung, die bei Null liegt, und mehr Investitionen für Forschung und Entwicklung. Wir haben
mit großem Erfolg für mehr Finanzstabilität gesorgt. In
vier Jahren haben wir für Steuermehreinnahmen in Höhe
von über 100 Milliarden Euro gesorgt. Damit haben wir
eine Vertrauensbasis für die Zukunftsfähigkeit unseres
Wirtschaftsstandortes geschaffen, und ohne Vertrauen
gibt es kein Fundament für die Zukunft.
({5})
Natürlich dürfen wir uns auf den Erfolgen nicht ausruhen. Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen.
Die vorgetragene Sorge der Opposition, unsere Leistungsbilanzüberschüsse seien etwas Schlimmes, etwas
Negatives, ist natürlich Unsinn.
({6})
Gerade durch unsere starke Wirtschaftsleistung schaffen
wir eine erhebliche Nachfrage nach Importgütern aus
anderen Ländern; darauf können Sie sich einen Reim
machen. Das, was Sie hier vortragen, ist reine VoodooÖkonomie.
({7})
Das ist der falsche Ansatz. Wir müssen positiv über unsere Wirtschaftsleistung und über unsere Leistungsbilanzüberschüsse sprechen; denn wir stärken mit unserer
Wirtschaftsleistung die anderen Länder um uns herum,
weil wir mehr importieren, sie mehr in unser Land exportieren können. So wird ein Schuh draus. Wir müssen
unsere Bemühungen offensiv, optimistisch und positiv
voranbringen.
Wenn wir über die Aufgaben, die vor uns liegen, sprechen - weiterhin Anreize zu schaffen, die Vertrauensbasis zu stärken -, dann werden wir uns immer an dem
Prinzip orientieren müssen: Das, was erwirtschaftet
wird, hat Vorrang vor dem, was man ausgibt. Deswegen
ist es wichtig, dass wir erkennen: Nicht der Staat mit seinen Einnahmen kommt zuerst, sondern der Bürger, der
diese erarbeitet. Der Bürger hat Vorrang.
Deswegen sind die steuerlichen Rahmenbedingungen
weiter zu verbessern. Das ist unsere Aufgabe.
Bei der anstehenden Reform der Erbschaftsteuer müssen wir eine Generationenbrücke für Familienunternehmen einführen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, damit
wir unsere mittelständische Wirtschaftsstruktur in
Deutschland erhalten. Das ist ja unsere Stärke.
Wir müssen die kalte Progression abbauen. Es darf
nicht sein, dass die Menschen trotz einer Lohnerhöhung
aufgrund der Inflation letzten Endes weniger Geld zur
Verfügung haben. Abschreibungsverbesserungen und
die Förderung der energetischen Gebäudesanierung sind
hier weitere wichtige Themen.
({8})
- Wer blockiert das denn, Herr Kollege Straubinger? Die
Grünen blockieren das!
({9})
Ich kann Ihnen eines sagen, Herr Janecek - und das
kann ich Ihnen auch ins Stammbuch schreiben, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen -: Die Energiewendepolitik der Grünen ist für mich der Gipfel der
Heuchelei!
({10})
Das, was Sie tun, ist Heuchelei. Vor Ort führen Sie die
Bürgerinitiativen gegen die Stromtrassen an, und hier
fordern Sie, dass die Stromtrassen möglichst schnell
ohne Bürgerbeteiligung gebaut werden.
({11})
Das ist Heuchelei, was Sie hier betreiben.
({12})
Ich kann Ihnen sagen: Sie haben in der Bevölkerung
einfach kein Vertrauen für Ihre Heucheleipolitik.
({13})
Sie müssten sich einmal anstrengen, Ihre Widersprüche
aufzulösen. Darum geht es! Wir haben das Vertrauen der
Bevölkerung für die Zukunft, und das ist der wesentliche
Punkt.
({14})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit zugleich am Schluss unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 21. Mai 2015,
9 Uhr, ein. Kommen Sie alle gesund wieder.
Die Sitzung ist geschlossen.