Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich und bitte um Aufmerksamkeit für einige Mitteilungen, bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten.
Zunächst möchte ich im Namen des ganzen Hauses
der Staatsministerin Dr. Maria Böhmer zu ihrem heutigen 65. Geburtstag gratulieren.
({0})
Es ist nicht nur für Sie eine besondere Freude, Ihren Geburtstag im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zumindest beginnen zu können. Auch wir freuen uns natürlich darüber.
In der Osterpause gab es einige besondere Geburtstage. So feierte der Kollege Heinz Wiese seinen 70. Geburtstag und die Kollegen Lothar Binding und Diether
Dehm ihren 65. Geburtstag.
({1})
Der Kollege Peter Gauweiler hat sein Bundestagsmandat niedergelegt. Für ihn ist die Kollegin Iris Eberl
nachgerückt, die ich herzlich begrüßen möchte.
({2})
Ich wünsche uns eine gute Zusammenarbeit.
Wir müssen nun noch eine Reihe von Wahlen durchführen.
Zunächst geht es um die Vertreter der Bundesrepublik
Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des
Europarates. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, die
Kollegin Julia Obermeier als Nachfolgerin für den Kollegen Dr. Bernd Fabritius als ordentliches Mitglied und
den Kollegen Fabritius als Nachfolger für den Kollegen
Florian Hahn als persönliches stellvertretendes Mitglied
von Julia Obermeier zu wählen. Können Sie dem zustimmen? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die
beiden Kollegen als Vertreter der Bundesrepublik in die
jeweiligen Funktionen gewählt.
Als Nächstes schlägt die Fraktion der CDU/CSU vor,
für den Kollegen Norbert Barthle den Kollegen
Eckhardt Rehberg als Mitglied des Verwaltungsrates
der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu wählen. Darf
ich auch dazu Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege Rehberg gewählt.
Schließlich schlägt die Fraktion der CDU/CSU vor,
als Nachfolgerin für die Kollegin Daniela Ludwig die
Kollegin Anja Weisgerber als Mitglied des Stiftungsrates der Bundesstiftung Baukultur zu wählen. Auch hierzu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist die
Kollegin Dr. Weisgerber damit gewählt.
Schließlich müssen wir noch eine Schriftführerwahl
durchführen. Die Fraktion Die Linke schlägt vor, die
Kollegin Birgit Menz als neue Schriftführerin zu wählen. - Auch hierzu stelle ich allgemeines Einvernehmen
fest. Damit ist die Kollegin Menz als Schriftführerin gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Vereinbarte Debatte
Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer
({3})
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Katja Dörner, Oliver Krischer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Heute für morgen investieren - Damit unsere
Zukunft nachhaltig und gerechter wird
Drucksache 18/4689
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({4})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({5})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock,
Marieluise Beck ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsame Grundwerte stärken - Europa
stärken
Drucksache 18/4686
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Claudia Roth ({8}), Uwe
Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte indigener Völker stärken durch Ratifikation der ILO-Konvention 169
Drucksache 18/4688
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({9})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
DIE LINKE:
Einfluss von Interessenvertretern auf die Infrastrukturpolitik der Bundesregierung
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cem
Özdemir, Claudia Roth ({10}), Peter
Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gedenken an den 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern - Versöhnung durch
Aufarbeitung und Austausch fördern
Drucksache 18/4687
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({11})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele,
Irene Mihalic, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine Zäsur und einen Neustart in der
deutschen Sicherheitsarchitektur
Drucksache 18/4690
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Inge
Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die europäische Sicherheitsstruktur retten Übereinkommen in Gefahr
Drucksache 18/4681
Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der
Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Tagesordnungspunkt 18 - hier geht es um die Stellungnahme nach Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes
zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über Gesellschaften mit beschränkter Haftung - soll abgesetzt werden.
Die Tagesordnungspunkte 12 und 16 sowie 23 und 25
tauschen unter Beibehaltung der vereinbarten Redezeiten jeweils ihre Plätze.
Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche
Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der am 20. März 2015 ({12}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales ({13}) und dem
Ausschuss für Tourismus ({14}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention ({15})
Drucksache 18/4282
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({16})
Sportausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Ich frage Sie, ob Sie diesem Paket von Veränderungen
oder Verschiebungen in der Tagesordnung etwas abge-
winnen können. - Es ist überall Begeisterung zu erken-
nen. Dann ist das damit so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b sowie
den Zusatzpunkt 2 auf:
3 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr
2015 ({17})
Drucksache 18/4600
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Präsident Dr. Norbert Lammert
Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen und zur Entlastung von
Ländern und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern
Drucksache 18/4653 ({18})
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({19})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Katja Dörner, Oliver Krischer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Heute für morgen investieren - Damit unsere
Zukunft nachhaltig und gerechter wird
Drucksache 18/4689
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({20})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Für diese Aussprache sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 96 Minuten vorgesehen. - Dazu stelle
ich Einvernehmen fest. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.
({21})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit dem vorliegenden Entwurf eines Nachtragshaushalts 2015 und dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen
und zur Entlastung von Ländern und Kommunen bei der
Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern setzt
die Bundesregierung ihre Politik für eine größere Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und für Wachstum
fort. Eine nachhaltige Finanzpolitik ist eine wesentliche
Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum. Dies beweist
die Politik der Bundesregierung seit Überwindung der
Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahre 2009.
({0})
Die Ergebnisse dieser Politik, die Wachstum fördert,
werden gerade in diesen Tagen noch deutlicher: Alle internationalen Institutionen haben die Prognosen für die
wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland angehoben.
Die Bundesregierung rechnet damit, dass wir in diesem
Jahr, nachdem wir im vergangenen Jahr ein reales
Wachstum von 1,6 Prozent hatten, ein reales Wachstum
von 1,8 Prozent erreichen können, und im kommenden
Jahr sind wir ebenfalls dazu in der Lage. Die Beschäftigung in Deutschland ist auf einem Rekordstand, und die
Arbeitslosigkeit ist erfreulich niedrig. Dies alles zeigt,
beweist und unterstreicht, dass eine konsequente nachhaltige Finanzpolitik einen wichtigen Beitrag leistet, um
nachhaltiges Wachstum und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu verstärken.
({1})
Mit einer solchen Politik leisten wir wichtige Beiträge
zur Stärkung des Vertrauens bei Unternehmern, Investoren und Konsumenten. Deswegen wird die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland im Wesentlichen durch
die Binnennachfrage, und zwar durch die Konsumnachfrage, wie durch die Investitionen getragen.
({2})
Mit dem Verzicht auf neue Schulden in Zeiten normaler konjunktureller Auslastung leisten wir zugleich einen
Beitrag, die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte zu verstärken, und das nutzen wir mit dem vorliegenden Gesetzespaket zur Verstärkung der Investitionen
beim Bund genauso wie bei den finanzschwachen Gemeinden. Das ist der eigentliche Zusammenhang.
({3})
Im Übrigen führt diese Finanzpolitik dazu, dass wir
uns in Richtung auf die Maastricht-Kriterien des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts hinbewegen.
Wir liegen bei der Schuldenstandsquote noch immer
deutlich über der Grenze des Maastricht-Vertrags. Wir
müssen also wissen, dass wir uns in diese Richtung bewegen. Aber wir sind eines der Länder in Europa, die
sich an die Regeln des europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakts halten. Wir leisten damit auch einen
Beitrag, anderen Ländern zu zeigen, dass diese Regeln
richtig sind und dass es sich für die Bevölkerung auszahlt, wenn man sich an diese Regeln hält, weil eine bessere Wirtschaftslage und eine bessere Lage am Arbeitsmarkt das Ergebnis einer solchen Politik ist. Es gibt
keine bessere Alternative dazu.
({4})
Ich will gleich hinzufügen: Es gibt nicht den geringsten Anlass, auch wenn wir derzeit eine gute wirtschaftliche Lage haben, in unseren Anstrengungen nachzulassen. Die weltwirtschaftliche Entwicklung ist nach wie
vor durch eine Reihe von Risiken geprägt. Die Veränderungen der Wettbewerbssituation durch die Rahmenbedingungen der Globalisierung - dazu gehört auch die Digitalisierung der Wirtschaft - sind so rasend schnell,
dass jeder, der glaubt, er habe Anlass dazu, sich ein wenig selbstzufrieden zurückzulehnen, sehr schnell die Zukunft verspielt. Genau deswegen machen wir das nicht.
Vielmehr haben wir zu Beginn dieser Legislaturperiode
verabredet - das setzen wir gemeinsam in der Koalition
um -, dass wir jeden Spielraum, den wir mit dieser Finanzpolitik erschließen, konsequent dazu nutzen, um die
Investitionen zu stärken, die öffentlichen wie die privaten. Wir arbeiten nicht nur an der Stärkung der öffentlichen Investitionen beim Bund, übrigens auch bei den
Ländern und bei den Kommunen, sondern genauso daran, die Rahmenbedingungen für die privaten Investitionen zu verstärken. Das ist die gemeinsame Bemühung
der Bundesregierung.
Weil wir alle Spielräume nutzen, um nachhaltig
Wachstum und Beschäftigung zu stärken, will ich daran
erinnern: Wir haben in den letzten Jahren die Ausgaben
für Bildung und Forschung in einem nie dagewesenen
Maße in der Bundesrepublik Deutschland erhöht.
({5})
Im Jahr 2011 haben wir im Bundeshaushalt 14 Milliarden Euro für Bildung, Wissenschaft und Forschung ausgegeben. Im Haushalt 2016 steigern wir diese Ausgaben
auf 21 Milliarden Euro. Wir liegen bei den Ausgaben für
Forschung und Entwicklung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt mit an der Spitze im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Das ist der entscheidende
Schlüssel zur Stärkung dynamischer Wachstumskräfte in
unserer Volkswirtschaft.
({6})
Dazu gehört übrigens auch, obwohl das in den Ausgaben noch gar nicht enthalten ist, dass wir die Länder
durch die vollständige Übernahme der Leistungen für
das BAföG - es sind immerhin Kosten von jährlich
1,17 Milliarden Euro, die wir den Ländern abgenommen
haben, indem wir das BAföG vollständig aus dem Bundeshalt finanzieren - wiederum in ihrer prioritären Zuständigkeit für Schule und Hochschule stärken; denn sie
haben sich verpflichtet, alle diese Mittel, die sie für das
BAföG nicht aufwenden müssen, in Schule und Hochschule zu investieren. Auch von daher leistet die Bundesregierung einen entscheidenden Beitrag, dass wir in
unserem Land die Mittel für Bildung, Wissenschaft und
Forschung konsequent, nachhaltig und kontinuierlich
steigern.
Daneben konzentrieren wir uns auf die Stärkung der
Investitionen. Wir wollen die öffentlichen Investitionen
verstärken, und wir stimulieren damit zugleich die Investitionen im privatwirtschaftlichen Bereich. Mit dem
vorliegenden Paket setzen wir zunächst einmal um, dass
wir insgesamt im Bundeshaushalt im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung die investiven Ausgaben um
weitere 10 Milliarden Euro erhöhen, und wir leisten darüber hinaus mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zugleich einen Beitrag, dass finanzschwache Kommunen
insgesamt ihre investiven Leistungen erhöhen können.
Die Kommunen sind von den Ebenen Bund, Länder
und Kommunen die wichtigste Ebene für Investitionen.
Sie hatten in den beiden vergangenen Jahren eine hohe
Investitionstätigkeit. Sie haben insgesamt - einschließlich der Extrahaushalte - ihre Investitionen um über
15 Prozent gesteigert, davon im Wesentlichen Bauinvestitionen. Aber die Finanzkraft der Kommunen ist unterschiedlich entwickelt. Durchschnittszahlen hervorzuheben, hilft den schwächeren Kommunen nicht. Deswegen
hat sich die Bundesregierung entschieden, die Finanzkraft der Kommunen, gerade der schwächeren Kommunen, konsequent zu stärken.
Der Sinn dieses Gesetzentwurfes ist, einen Fonds aufzulegen, mit dem wir finanzschwächere Kommunen in
ihrer Investitionskraft konsequent stärken. Damit leisten
wir wiederum einen wichtigen Beitrag nicht nur zur
Stärkung der kommunalen Ebene, sondern auch zur Stärkung der Finanz- und Investitionskraft der Wirtschaft in
unserem Lande insgesamt.
({7})
Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal sagen, dass wir mit diesem Paket insgesamt die öffentlichen Investitionen im Zeitraum von 2014 bis 2018 um
über 40 Milliarden Euro steigern. Das sind rund 1,3 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes. Deswegen steigern
wir unsere Investitionsquote im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt im internationalen Vergleich. So viel zu
manchen internationalen Debatten, die durch Zahlenund Faktenkenntnisse nicht immer allzu sehr beeinträchtigt werden. Es ist wichtig, das gelegentlich einmal zu
sagen.
({8})
Ich weiß, dass leistungsfähige Kommunen die Grundlage eines leistungsfähigen Gemeinwesens gerade in einem föderalen System sind. Gelegentlich muss man daran erinnern, dass nach der Ordnung des Grundgesetzes
die Zuständigkeit für die Kommunen bei den Ländern
liegt.
({9})
Diese Zuständigkeit achtet die Bundesregierung vollständig.
({10})
Wir müssen ja immer darauf achten, dass wir im Rahmen der Zuständigkeitsverteilung unseres Grundgesetzes unsere Aufgaben jeweils wahrnehmen. Insofern will
ich sagen: Die Bundesregierung zeigt, dass sie sich ihrer
Verantwortung für die kommunale Ebene insgesamt
durchaus bewusst ist. Wir haben in den letzten Jahren
mit einer Vielzahl von Maßnahmen die Finanzkraft der
Kommunen entscheidend erhöht. Wir haben die Kommunen durch die vollständige Übernahme der Kosten für
die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
erheblich entlastet.
Wir werden weitere Maßnahmen ergreifen. Wir stärken
nicht nur mit der 1 Milliarde Euro, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, sondern auch mit zusätzlichen
1,5 Milliarden Euro im Jahre 2017 die Leistungskraft der
Kommunen. Darüber hinaus legen wir diesen Fonds auf,
mit dem finanzschwache Kommunen in ihrer Investitionskraft entscheidend gestärkt werden. Das alles zeigt,
dass die Bundesregierung insgesamt konsequent eine
Politik zur Stärkung von Kommunen und Ländern betreibt. Ich behaupte, es hat niemals in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland eine Regierungszeit gegeBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
ben, in der die Bundesregierung die Kommunen stärker
unterstützt hat als diese Bundesregierung.
({11})
Die Kriterien für die Qualifikation der Kommunen für
diese Investitionshilfen sind im Wesentlichen eine Mischung aus Einwohnerzahl, Kassenkreditbeständen und
Anzahl der Arbeitslosen. Das zeigt: Die Kommunen, die
in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage sind, sollen
diese Mittel erhalten. Wir erwarten natürlich, dass die
Länder in ihrer Verantwortung dafür sorgen, dass die
Mittel durch die Kommunen zügig in Anspruch genommen werden können. Die Investitionsschwerpunkte müssen sein - das ist nach der Ordnung des Grundgesetzes unsere Zuständigkeit -: Infrastruktur, Bildungsinfrastruktur
- hier mit dem Schwerpunkt auf energetischer Sanierung
von Bildungseinrichtungen -, Klimaschutz. Damit haben
wir unseren vom Grundgesetz gegebenen Rahmen vollständig ausgeschöpft.
Ich will in diesem Zusammenhang auch erwähnen,
dass wir uns unserer Verantwortung für die Länderfinanzen durchaus bewusst sind. Ich sage das auch im Hinblick auf die Notwendigkeit, dass wir uns in den kommenden Wochen und Monaten dringend gesamtstaatlich
auf die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab Ende 2019 einigen müssen. Das werden schwierige Verhandlungen sein. Da gibt es sehr unterschiedliche Interessen. Aber wir alle, Länder und der Bund,
haben eine gesamtstaatliche Verantwortung, und wir
müssen rechtzeitig die Weichen stellen, dass auch nach
2019, nach dem Auslaufen des Solidarpakts II, Klarheit
herrscht, wie die Entwicklung weitergeht.
Ich will im Übrigen angesichts der vielfältig drängenden Debatte, die wir im Augenblick führen, hinzufügen:
Die Bundesregierung hat vor kurzem mit den Ländern
vereinbart, dass sie den Ländern 500 Millionen Euro in
diesem Jahr und im kommenden Jahr an zusätzlichen
Leistungen zur Verfügung stellt - auch das ist in dem
Gesetzespaket enthalten -, damit die Länder mit der großen Aufgabe, die wachsende Zahl von Menschen, die in
unserem Land Zuflucht sucht, unterzubringen, vom
Bund nicht alleingelassen werden; vielmehr wollen wir,
der Bund, somit unseren Anteil an gesamtstaatlicher
Verantwortung wahrnehmen.
({12})
Dies alles, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dient
dem Ziel, auf dem Pfad der nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung zu bleiben und damit in einer schwierigen Zeit, bei einer nicht unproblematischen demografischen Entwicklung die Leistungen für die Menschen in
unserem Land auch in der Zukunft erbringen zu können.
Ich will in diesem Zusammenhang wiederholen: Wir
sollten nicht glauben, dass wir uns auf der guten Lage
ausruhen können. Wenn wir uns den hohen Anteil an Sozialleistungen in unserem Land weiter leisten wollen
- über 50 Prozent des Bundeshaushalts entfallen auf Sozialleistungen -, müssen wir dafür sorgen, dass eine leistungsfähige Wirtschaft die Voraussetzungen dafür erbringt, also die Mittel dafür erwirtschaftet. Nur so
werden wir den hohen Stand sozialer Sicherheit für die
Menschen in unserem Land bei einer schwieriger werdenden demografischen Entwicklung in der Zukunft erhalten können.
Darin begründet sich die Politik der Stärkung von Investitionen, privaten wie öffentlichen Investitionen, mit
der Priorität auf Bildung und Forschung sowie Innovation. Durch stärkere Entbürokratisierung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren gilt
es, dafür zu sorgen, dass Investitionen auch realisiert
werden; es genügt nicht, nur Mittel bereitzustellen. Es
gilt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die
Bundesrepublik Deutschland, die heute in einer guten
Lage ist, auch für die Zukunft gute Perspektiven hat.
Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bitte ich
Sie um Zustimmung zu den hiermit eingebrachten Gesetzentwürfen.
({13})
Das Wort erhält nun der Kollege Dietmar Bartsch für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Oppermann ruft gerade: „Ein paar lobende Worte für den
Nachtragshaushalt!“
({0})
Ich will schon sagen, dass die Grundrichtung nicht verkehrt ist; das ist ja unbestritten.
({1})
Darauf, dass Deutschland mehr investieren muss und
dass die Lage der Kommunalfinanzen teilweise verheerend ist, haben Wirtschaftsexperten in Deutschland und
in der EU hingewiesen. Darauf hat die Opposition Sie
auch mehrfach in Debatten hingewiesen. Sogar Abgeordnete der die Regierung tragenden Fraktionen weisen
in Hinterzimmern immer wieder darauf hin, dass dort
Defizite sind. Aber das, was Sie hier tun, ist völlig unzureichend.
({2})
Ich nehme mal das DIW als Maßstab. Das DIW
- wahrhaftig nicht links - sagt, dass wir einen zusätzlichen Investitionsbedarf von 75 Milliarden Euro pro anno
haben. Das ist die Zahl, die der Maßstab ist. Mit jedem
Tag des Ausbleibens von Investitionen verfällt die Infrastruktur in Deutschland. Zentrale Zukunftsfragen müssen viel konsequenter angegangen werden. Wissenschaft
und Forschung, Schulen, Klimaschutz - das sind die Bereiche, für die der Nachtragshaushalt eine Chance geboten hätte.
Zum Beispiel: Sie kündigen an, dass Sie innerhalb
von drei Jahren für die öffentliche Verkehrsinfrastruktur
und die digitale Infrastruktur 4,4 Milliarden Euro einsetzen wollen. Allein für den Ersatz von Verkehrsinfrastruktur benötigen wir 3,8 Milliarden Euro pro anno. Das
heißt, dass Sie über die digitale Infrastruktur im Prinzip
sehr viel reden, aber real nicht handeln. Als jemand, der
aus Mecklenburg-Vorpommern kommt, kann ich Ihnen
sagen: Unternehmen und auch viele Menschen beschweren sich immer wieder, dass wir da weiter rückständig
sind. Das ist eine Aufgabe, die Sie in Angriff nehmen
sollten.
({3})
Das, was Sie machen, ist nicht mehr als der Versuch,
Risiken und Nebenwirkungen Ihrer seit Jahren verfehlten Politik ein Stück weit zu bekämpfen. Um das Land
zukunftsfähig zu machen, braucht es mehr Entschlossenheit und deutlich mehr Investitionen. Wann, frage ich
mich, wollen Sie das eigentlich machen? Sie haben gestern das prognostizierte Wirtschaftswachstum nach oben
gesetzt. Wir haben eine Situation der absolut niedrigen
Zinsen. Das ist doch die Gelegenheit, hier mehr zu tun.
({4})
Das wäre die große Chance, jetzt im Nachtragshaushalt
etwas zu machen.
Dann haben Sie hier über die Kommunen gesprochen.
Sie wollen jetzt einen Kommunalinvestitionsförderungsfonds mit 3,5 Milliarden Euro schaffen. Das ist völlig in
Ordnung; natürlich brauchen die Kommunen in Ost und
West mehr Geld - unbestritten. Aber die kommunalen
Kernhaushalte sind derzeit mit 130 Milliarden Euro verschuldet, und der Investitionsstau bei den Kommunen
beträgt 120 Milliarden Euro, meine Damen und Herren.
Da wundert es natürlich nicht, dass niemand in den
Kommunen etwa in Jubelschreie ausbricht. Die nehmen,
was völlig in Ordnung ist, das Geld. Aber das, was Sie
hier anbieten, ist völlig unzureichend.
({5})
Ich will - Carsten Schneider kann ja nachher darauf
eingehen - eine kleine Zusatzfrage stellen. Sie haben
diesmal nicht den Königsteiner Schlüssel, sondern ein
anderes Verfahren gewählt. Komischerweise bekommt
ausgerechnet Thüringen - ich weiß gar nicht, warum deutlich weniger Geld, als es nach dem Königsteiner
Schlüssel bekommen würde.
({6})
Vielleicht können Sie aber darauf eingehen, welche
Gründe es dafür gibt.
Entscheidend ist, dass Sie mit dem Nachtragshaushalt
die Probleme der Kommunen und der Länder in keiner
Weise lösen. Ich habe, Herr Schäuble, mit Interesse zur
Kenntnis genommen, dass Sie gesagt haben, es sei ganz
dringlich, dass die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu
geregelt werden. Ich fordere hier aber ein, dass wir die
Position der Bundesregierung dazu kennen und dass wir
das auch hier im Deutschen Bundestag behandeln. Gilt
denn das Schäuble/Scholz-Papier noch? Wir müssen hier
- und nicht in Hinterzimmern - darüber reden. Wir haben ein Recht darauf, dieses Thema in diesem Haus aufzurufen.
({7})
Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zum Thema
Flüchtlinge machen. Es steht außer Frage, dass Deutschland auf diesem Gebiet in den letzten Jahren - auch im
Vergleich zu anderen europäischen Ländern - viel gemacht hat. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass wir
all denjenigen, die sich in Kommunen engagieren - da
gibt es viele ehrenamtliche Helfer -, gemeinsam lieber
einmal mehr als einmal zu wenig für ihr Engagement
danken sollten.
({8})
Ich war mit einigen Kollegen hier aus dem Haus in
der letzten Woche im Nahen und im Mittleren Osten. Da
habe ich unter anderem auch diverse Flüchtlingslager
gesehen. An der jordanischen Grenze zu Syrien war ich
in einem Lager mit über 80 000 Flüchtlingen. Dort gibt
es sehr viele Kinder. Die Bedingungen sind teilweise katastrophal. Ich habe - Herr Kauder war vor mir da - ein
christliches Flüchtlingslager in Erbil gesehen. Auf engstem Raum sind dort Menschen unter teilweise katastrophalen Bedingungen untergebracht. Ich habe mit Jesiden
geredet, die ihre Heimat verlassen mussten. Dort gibt es
viele traumatisierte Frauen.
Wer das alles gesehen hat, findet die Diskussion, die
wir hier teilweise führen, wirklich kleingeistig und inhuman. Wir sollten bei der Frage der Aufnahme von
Flüchtlingen in Europa eine Führungsrolle einnehmen nicht wenn es um Militär und Ähnliches geht.
({9})
Zeigen Sie hier doch einmal mit dem Nachtragshaushalt,
dass wir das können, dass wir bereit sind, in dieser Situation auch finanzielle Mittel einzusetzen. Die Prognosen
gehen jetzt bis hin zu 500 000 Flüchtlingen. Der Nachtragshaushalt wäre eine Chance gewesen, hier wirklich
auch für die Länder und Kommunen etwas zu tun. Sie
wissen doch, dass die Länder und Kommunen das nicht
stemmen können, wenn es 500 000 Flüchtlinge werden.
Deshalb fordern wir, dass 2 Milliarden Euro eingesetzt
werden. Der Nachtragshaushalt wäre da eine Chance.
Das wäre ein Zeigen von Führungsqualität in Europa.
Damit könnte auch ein Beispiel für andere europäische
Länder gesetzt werden.
({10})
Das Geld, das jetzt dafür vorhanden ist, reicht nicht aus.
Wir haben gestern in einer Schweigeminute gemeinsam der Flüchtlinge gedacht. Aber gerade im 70. Jahr
der Befreiung vom Faschismus und gerade angesichts
unserer wechselvollen Geschichte sollten wir dieses
Thema in anderer Weise behandeln und deutlich machen, dass wir dafür auch ausreichende finanzielle Mittel
bereitstellen - auch in Kenntnis der Tatsache, dass die
Übergriffe auf Ausländer, auf Unterkünfte der Asylbewerber zugenommen haben und dass Menschen, die im
Ehrenamt diese Willkommenskultur, von der wir alle
sprechen, leben, eben nicht wenige Probleme haben. Dagegen müssen wir alle entschlossen agieren.
({11})
Es ist überhaupt nicht hinnehmbar, wenn der Generalsekretär einer immerhin regierungstragenden Partei, der
CSU, sagt, das Asylrecht sei nicht für Sozialtouristen gemacht, die einen Freifahrtschein ins „All-inclusive-Sozialparadies“ buchen wollen. Das ist eine skandalöse
Äußerung.
({12})
Ich frage mich, wieso vonseiten der Bundesregierung
nicht einmal klare Äußerungen gegen einen solchen Unsinn kommen. Das ist nicht zu akzeptieren. Es kommen
keine Kostenfaktoren zu uns, sondern Menschen in
höchster Not um Leib und Leben, meine Damen und
Herren.
({13})
Die Flüchtlinge sind die Botschafter des schreienden
Unrechts und der Kriege auf dieser Welt.
Deshalb: Der Nachtragshaushalt ist notwendig. Bei
Zukunftsinvestitionen müsste geliefert werden. Bei der
Lage der Flüchtlinge müssten Sie mit ganz anderen Dimensionen herangehen. Statt Gesellschaft und Zukunft
zu gestalten, ist es so, dass die Koalition hier erneut nur
mit dem Anspruch eines Reparaturnotdienstes auftritt.
Herzlichen Dank.
({14})
Carsten Schneider ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Präsident! Als diese Koalition vor eineinhalb Jahren ihre
Arbeit aufgenommen hat, haben wir uns natürlich auch
intensiv um die Finanzpolitik gekümmert. Wir haben
festgelegt, dass wir so schnell wie möglich Haushalte
aufstellen wollen, die ohne Neuverschuldung auskommen, und dass wir zusätzlich 23 Milliarden Euro - diese
Zahl wurde damals genannt - zur Entlastung der Länderhaushalte und im Bildungsbereich investieren wollen.
Darin waren auch 5 Milliarden Euro für Investitionen in
die Verkehrsinfrastruktur enthalten.
Nun, eineinhalb Jahre später, haben wir bereits für das
Jahr 2014 im Vollzug einen ausgeglichenen Haushalt erreicht, sogar mit Überschüssen. Voriges Jahr haben wir
auch für 2015 einen Haushalt ohne Neuverschuldung beschlossen. Dabei sind wir von einem geringeren Wachstum ausgegangen, als es nun der Fall ist. Der Bundeswirtschaftsminister hat gestern die Wachstumsprognose
für 2015 und 2016 auf 1,8 Prozent hochgesetzt. Dieser
Wert ist ein bisschen höher als der unseres Potenzialwachstums. Das zeigt: Wir profitieren von externen Faktoren wie dem niedrigen Ölpreis, dem niedrigen EuroKurs, den niedrigen Zinsen, aber auch davon - das ist
der Schlüssel -, dass wir eine sehr konsequente, solide
Finanzpolitik machen, auf die sich die Leute verlassen
können. Dass sie sich darauf verlassen können, bringt
uns Spielräume.
Jetzt stellt sich die Frage: Was machen wir mit den finanziellen Spielräumen, die wir durch die gute Wirtschaftsleistung - ich sage: auch durch die gestiegene
Binnennachfrage, die ihre Ursache in der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns hat, weil die Leute wieder mehr Geld verdienen und Steuern zahlen können zur Verfügung haben?
({0})
Was machen wir mit diesen zusätzlichen Mitteln? Ich
will auf meine Reden hier im Haus zum Haushalt 2015
verweisen. Ich habe bereits damals auf die bestehende
Investitionslücke sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich hingewiesen. Es gab darüber einen Dissens.
({1})
Ich kann mich an gegenteilige Veröffentlichungen aus
dem Bundesfinanzministerium erinnern. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stand - ich weiß nicht, woher
die Überschrift kommt; aber irgendwie muss sie ja Belang haben -, dass die CDU an einer Investitionslücke
zweifelt. Ich halte diese Einschätzung für falsch und
glaube auch nicht, dass sie gerechtfertigt ist; aber zumindest entsteht ein entsprechender Eindruck. Wir als Sozialdemokraten sagen jedenfalls klar: Wenn wir zukünftig unseren Wohlstand sichern wollen, dann müssen wir
sowohl in die private als auch in die öffentliche Infrastruktur investieren. Denn nur wenn wir heute investieren, wird es uns auch in der Zukunft, in fünf oder zehn
Jahren, gelingen, bei Produkten und Wettbewerbsfähigkeit an der Spitze der Welt zu sein und dadurch letztendlich gut bezahlte Arbeitsplätze zu sichern.
({2})
So können wir die privaten Investitionen durch Rahmenbedingungen steuern.
Die öffentlichen Investitionen haben wir aber direkt
in der Hand. Das ist unsere Verantwortung. Deswegen
legt die Regierung heute hier einen Nachtragshaushalt
vor - er ist natürlich auch unter Beteiligung des Parlaments aufgestellt worden -, über den wir in den nächsten
Wochen beraten und entscheiden werden. Er sieht zwei
entscheidende Maßnahmen vor.
Erstens. Die Bundesinvestitionen in die digitale Infrastruktur und die Verkehrsinfrastruktur werden in den
nächsten drei Jahren um 10 Milliarden Euro erhöht, zu9486
Carsten Schneider ({3})
sätzlich zu allem, was wir bisher schon vereinbart haben.
Das ist eine klare Richtung, für mehr Substanzerhalt, für
mehr Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Deswegen begrüße ich diesen Vorschlag.
Der zweite Punkt betrifft die kommunale Infrastruktur. Bundesminister Schäuble hat darauf hingewiesen:
Der Großteil der Investitionen in Deutschland wird von
den Kommunen getätigt. In den vergangenen Jahren - da
gebe ich Herrn Kollegen Bartsch recht; er zitierte aus
Studien des Städte- und Gemeindebundes und von Wirtschaftsforschern - gab es Kommunen, die investiert haben, und manche, die deutlich zu wenig investiert haben,
insbesondere diejenigen, die unter enormen Soziallasten
leiden. Wir greifen jetzt diesen Kommunen unter die
Arme, indem wir ihnen zusätzlich 3,5 Milliarden Euro
für Investitionen zur Verfügung stellen. Ich hoffe und erwarte, dass die Länder das nicht nur kofinanzieren, sondern dieses Geld auch an die Städte und Gemeinden weitergeben. Denn auch unter dem Gesichtspunkt - Kollege
Bartsch hat auf die Flüchtlingsströme hingewiesen -,
dass wir in den nächsten Jahren große Anstrengungen
unternehmen müssen, um Flüchtlinge aufzunehmen und
zu integrieren - Integration ist fast genauso wichtig -,
muss die Leistungsbereitschaft der Kommunen gewährleistet sein. Wenn, wie in meiner Heimatstadt, erst einmal Turnhallen zur Unterbringung genutzt werden müssen, dann sinkt irgendwann auch die Bereitschaft der
Bevölkerung - sie ist noch in großem Maße vorhanden -,
die Flüchtlinge mit offenen Armen aufzunehmen. Das
müssen wir verhindern. Es ist eine nationale Aufgabe,
dass sie mit offenen Armen in der Gesellschaft aufgenommen werden und dass die Kommunen nicht überfordert werden. Deswegen ist dieses Investitionsprogramm
der richtige Weg.
({4})
Zum Abschluss möchte ich noch etwas zu den privaten Investitionen sagen. Diese machen insbesondere bei
den Unternehmensinvestitionen den absoluten Hauptteil
aus. Der Anteil des Staats liegt, bezogen auf die privaten
Unternehmensinvestitionen, bei 10 bis 20 Prozent. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, gehen diese Investitionen in den letzten Jahren zurück. Das ist ein alarmierendes Zeichen; denn wenn Unternehmen heute zu
wenig in die Zukunftsfähigkeit von Produkten investieren, dann fehlt ihnen in zehn Jahren auf dem Weltmarkt,
auf dem wir derzeit noch in vielen Bereichen führend
sind, die Fähigkeit, Produkte zu guten Preisen zu verkaufen und unseren Wohlstand zu sichern.
Man stellt sich die Frage: Woran liegt das eigentlich?
Dann muss man sich nur einmal die Gewinnausschüttungen anschauen, gerade bei den großen DAX-Konzernen.
Wir haben hier ein Rekordhoch bei den Dividendenausschüttungen zu verzeichnen. Wenn bei den Unternehmen
nur noch der Börsenkurs im Mittelpunkt steht, wenn sie
möglichst kurzfristig ihren Kurswert steigern, indem sie
hohe Dividendenausschüttungen quasi als Alternative zu
den mangelnden Zinseinnahmen generieren, dann ist das
eine gefährliche Situation. Es kann nicht sein, dass wir
eine satte Gesellschaft werden, die auf Dauer nur noch
davon lebt, dass die Unternehmen Dividenden ausschütten, und dass Unternehmenserben davon leben, dass die
Unternehmen, die in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut worden sind, Gewinne ausschütten, ohne in die
Zukunft zu investieren. Das ist eine große Herausforderung. Alles, was wir als Politik tun können, was zum
Beispiel die Rahmengesetzgebung bei der Energie, aber
auch bei den Steuern betrifft, muss darauf gerichtet sein,
dass wir Unternehmen in die Lage versetzen, wieder
mehr in die Zukunft zu investieren, als sie es derzeit machen. Das ist im Übrigen auch eine Antwort auf die
europäische Frage, was wir gegen zu geringe Unternehmensinvestitionen tun können.
({5})
Herr Kollege.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Wir beraten in den nächsten Wochen über diesen
Nachtragshaushalt. Auch der Verteilungsschlüssel wird
- Kollege Bartsch hat darauf hingewiesen - Bestandteil
dieser Beratungen sein und ist im Zusammenhang mit
der zukünftigen Finanzverteilung zwischen Bund und
Ländern zu sehen; der Minister hat darauf hingewiesen.
Auf diese Debatte freue ich mich sehr.
Danke sehr.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Kerstin Andreae für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, manchmal wünsche ich mir ein bisschen
Demut. Sie haben wirklich viel Glück. Sie profitieren bis
zum Jahr 2019 von niedrigen Zinskosten in Höhe von
32 Milliarden Euro.
({0})
Sie profitieren von einem niedrigen Ölpreis, der wie ein
Konjunkturpaket mit einem Volumen von 20 Milliarden
Euro wirkt. Sie profitieren bis 2019 von zusätzlichen
Steuereinnahmen von mindestens 100 Milliarden Euro.
Angesichts dessen ist das, was Sie uns hier als Nachtragshaushalt für zusätzliche Investitionen im öffentlichen und privaten Bereich vorlegen, lächerlich gering.
({1})
Der große Wurf bleibt schlicht aus.
({2})
Trotz aller Lippenbekenntnisse bleibt die Investitionsquote bei unter 10 Prozent. Wir weisen Ihnen nach, dass
es anders geht: schneller, mehr und zukunftsfähig. Sie
haben Zeit vertrödelt. Wir haben keine Expertenkommission dafür gebraucht, um zu sehen, dass die Infrastruktur zerfällt.
({3})
Läuft man einmal mit offenen Augen durch die Welt,
sieht man es nämlich.
Aber für Europa ist es noch schlimmer, dass Sie Zeit
vertrödelt haben. Europas Krisenländer brauchen jetzt
schnelle wirtschaftliche Impulse, damit die Reformen
greifen, damit das Vertrauen zurückkehrt und damit die
Konjunktur anspringt. Deswegen haben wir ganz früh
gesagt: Das reiche Deutschland, das in der derzeitigen
Situation so profitiert, soll sich direkt und sofort mit
12 Milliarden Euro am Juncker-Plan beteiligen, damit
die anderen Länder auch nachziehen. Das wäre der richtige, schnelle Schritt gewesen. Den haben Sie leider versäumt.
({4})
Wir weisen Ihnen auch nach: Es geht viel mehr. Wir
legen Ihnen ein Investitionsprogramm im Umfang von
45 Milliarden Euro für die Jahre 2015 bis 2018 vor - solide finanziert, ohne neue Schulden, mit dem Abbau umweltschädlicher Subventionen, was angesichts der Herausforderungen des Klimaschutzes absolut notwendig
ist,
({5})
und mit Entrümpelung bei unsinnigen Milliardenprojekten. Denn bei Ihnen stimmt die Richtung nicht, auch
nicht die Richtung dieses Nachtragshaushaltes und die
Richtung der Investitionsvorschläge, die Sie uns vorlegen.
({6})
Wir fordern Investitionen in Köpfe, in Bildung, in Wissenschaft und in forschende Unternehmen. Über die
Hälfte Ihres Paketes, 4,3 Milliarden Euro, fließt in
Dobrindts Haushalt. Und was wird daraus folgen? Die
übliche Spatenstichpolitik dieser Koalition, neue Milliarden für mehr Beton!
({7})
Unsere Zukunft liegt nicht in neuen Straßen; Innovation
geht anders.
Ein innovativer Standort muss etwas für seine Hochschulen tun, von den Hörsälen über die Bibliotheken bis
hin zu den Forschungsgeräten. Wir brauchen mehr junge
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die hier auch
bleiben wollen. Im Nachtragshaushalt der Regierung stehen null Euro für Wissenschaft - null Euro! Dabei ist
Wissen moderne Infrastruktur. Das ist unsere Ressource;
das ist, was wir haben, was wir können. Da müssen Sie
investieren. Nach wie vor erfüllen Sie nicht den Anspruch der OECD an die Industriestaaten.
({8})
Ein innovativer Standort setzt auf Ideenreichtum, auf
Erfindergeist. Sie alle haben im Wahlkampf die steuerliche Forschungsförderung gefordert. Eine 15-prozentige
Steuergutschrift für kleine und mittlere Unternehmen
muss jetzt endlich kommen. Deutschland investiert in
Start-ups der digitalen Wirtschaft gerade einmal 750 Millionen Euro, Israel 2 Milliarden Euro,
({9})
die USA 50 Milliarden Euro, und das jedes Jahr. Wollen
Sie ernsthaft, dass Deutschland neben Estland das einzige OECD-Land ist, das keine steuerliche Forschungsförderung hat?
({10})
Sigmar Gabriel hat gesagt, er setze die Vorschläge der
Fratzscher-Kommission um. Die Fratzscher-Kommission fordert die steuerliche Forschungsförderung. Auf
geht’s! Tun Sie das!
({11})
Jetzt kommen Sie mit einem Sondervermögen von
3,5 Milliarden Euro für finanzschwache Kommunen.
({12})
Die Richtung stimmt, mehr nicht. Der Investitionsstau,
der Bedarf in den Kommunen ist doch gigantisch.
Schauen Sie sich die Schulen dieses Landes an!
({13})
Das durchschnittliche Parkhaus in der Stadt ist in der Regel in einem besseren Zustand als die Schule nebenan.
({14})
In manchen Schulen ist es im Winter entweder 15 Grad
kalt oder 30 Grad warm, weil keine vernünftige Heizung
existiert. Wir sagen Ihnen: Machen Sie die Schulen fit
für die Zukunft, damit die Kinder gut lernen können!
({15})
Wissen ist unsere Ressource.
({16})
Wir schlagen Ihnen vor, heute für morgen zu investieren, in Ganztagsplätze in den Kitas, in Qualifizierung
und Beratung von Langzeitarbeitslosen ebenso wie von
Asylbewerberinnen und Asylbewerbern sowie Geduldeten und in neue Mobilitätskonzepte, damit die Mobilität
zukunftsfähig wird. Heute gibt es so viele Pkws, dass
alle Deutschen auf den Vordersitzen Platz nehmen können. So funktioniert Personennahverkehr nicht mehr.
Schaffen Sie neue Mobilitätskonzepte! Forschen Sie in
diese Richtung! Bringen Sie die Elektromobilität endlich
erfolgreich auf den Weg! Das ist, was Sie tun müssen;
das sind Zukunftsinvestitionen.
({17})
Wirtschaftsminister Gabriel hat die Investitionslücke
erkannt. Wir erwarten, dass er im Übrigen auch dem
Finanzminister hier die Augen öffnet. Es war wirklich
seltsam, dass auf einmal die Investitionslücke infrage
gestellt wurde. Natürlich geht es um mehr Investitionen
im öffentlichen und auch im privaten Bereich. Dass Unternehmen nicht investieren, zum Beispiel nicht in die
Energiewende und den Netzausbau, liegt doch unter anderem daran, dass absolute Planungsunsicherheit
herrscht, weil zum Beispiel Ministerpräsident Seehofer
nach wie vor im ganzen Land verkündet: Bei mir aber
nicht! Wer soll denn da investieren? Wenn die privaten
Investoren nicht wissen, wohin diese Bundesregierung
bzw. wohin dieses oder jenes Bundesland will, dann
werden sie auch nicht in die Netze investieren.
({18})
Wir sind mutiger. Wir investieren in Zukunft. Wir
brauchen keine Kommission. Vielmehr brauchen wir
eine Regierung, die die vorhandenen Handlungsspielräume nutzt und die sich nicht ausruht. Wir brauchen jemanden, der jetzt für morgen handelt. Wir haben Ihnen
unseren Zukunftsinvestitionsplan vorgelegt. Den schenken wir Ihnen; dann können Sie etwas daraus machen.
({19})
Hier sind unsere Vorschläge. Sie können zehn Punkte
herausnehmen und umsetzen. Es geht um mehr Investitionen in die Zukunftsfähigkeit und in die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Hören Sie auf, zurückzuschauen! Schauen Sie nach vorne!
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat nun der Kollege Ralph Brinkhaus für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein
Nachtragshaushalt ist oft eine unerfreuliche Sache. Dieses Mal ist es eine sehr erfreuliche Sache; denn wir investieren mehr, und wir tun etwas für die Kommunen.
({0})
Dass das gut ist, hat man an den Beiträgen der Opposition gesehen. Der sonst von mir geschätzten Kollegin
Andreae ist nichts Besseres eingefallen, als alles das,
was die Grünen irgendwann einmal verkocht haben,
wieder aufzuwärmen. Das war keine Kritik an unserem
Vorschlag, sondern ein buntes Panoptikum, das nichts,
aber auch gar nichts mit dem Nachtragshaushalt, mit unseren Investitionen und mit der Stärkung der Kommunen
zu tun hat.
({1})
Um was geht es? Erstens. Wir bringen mit diesem
Nachtragshaushalt ein Investitionspaket im Umfang von
7 Milliarden Euro auf den Weg. Diese 7 Milliarden Euro
werden zu zwei Dritteln in den Bereich Verkehr und digitale Infrastruktur fließen. Das ist gut, richtig und notwendig. Wir tun aber auch andere sinnvolle Sachen: für
den Klimaschutz, für die Energieeffizienz und auch für
die Städtebauförderung. Zusätzlich zu diesen 7 Milliarden, die wir mit diesem Nachtragshaushalt zur Verfügung stellen, gibt es ein 3-Milliarden-Paket, das in den
nächsten Jahren die Investitionskraft der einzelnen
Ministerien stärken wird. Insgesamt stellen wir also
10 Milliarden Euro zur Verfügung.
Zweitens. Wir bringen ein kommunales Investitionspaket im Volumen von 3,5 Milliarden Euro auf den Weg,
fokussiert insbesondere auf die finanzschwachen Kommunen, die sich aufgrund der hohen Kassenkredite und
aufgrund der sozialen Probleme die notwendigen Investitionen nicht mehr leisten können. Hier greifen wir ganz
gezielt ein. Das ist gut und wichtig. Und wir setzen noch
einen drauf: Wir als Koalition werden im Jahr 2017 allen
Kommunen 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellen,
damit die Kommunen mehr in Schulen, Kindergärten
und in all die anderen Sachen investieren können, die
wichtig und notwendig sind.
({2})
Wir bringen noch ein drittes Paket auf den Weg. Wir
entlasten die Kommunen bei den Kosten der Versorgung
von Flüchtlingen in Höhe von 1 Milliarde Euro. Das ist
gut, wichtig und auch notwendig. Dafür sind in diesem
Jahr 0,5 Milliarden Euro vorgesehen.
Wir schaffen das alles ohne eine zusätzliche Schuldenaufnahme. Herr Bartsch, Sie haben ein bisschen mit
den niedrigen Zinsen geliebäugelt. Die Linke sagt:
Macht doch Schulden, weil die Zinsen niedrig sind.
({3})
Aber wir geben dieser Versuchung nicht nach, weil wir
genau wissen, dass diese Schulden irgendwann von den
kommenden Generationen zurückgezahlt werden müssen. Herr Bartsch, das ist unseriös.
({4})
Wir tun dies alles, weil uns als Koalition Investitionen
wichtig sind. Es ist zu Recht angemerkt worden, dass in
unseren Haushalten der Sozialkostenanteil sehr hoch ist
und der Investitionsanteil zu niedrig. Deswegen haben
wir uns gegenseitig versprochen - und das halten wir
heute -, dass wir die Spielräume, die wir uns erarbeiten,
nutzen, um Investitionen zu steigern. Das setzen wir hier
und heute mit dem Nachtragshaushalt um. Auch das ist
gut und richtig.
Wenn wir von Investitionen sprechen, dann sprechen
wir nicht nur über Investitionen in Steine oder Straßen,
sondern auch in Köpfe. Der Bundesfinanzminister hat es
angesprochen - Frau Andreae, Sie haben anscheinend
nicht zugehört -: Wir haben die Mittel für den Haushaltsplan der Bundesforschungsministerin in den letzten
zehn Jahren nahezu verdoppelt.
({5})
Im Übrigen haben wir insbesondere in den letzten Jahren
auch in anderen forschungsintensiven Bereichen, im
Wirtschaftsministerium und in anderen Ministerien,
kräftig nachgelegt. Das heißt, wir setzen die richtigen
Schwerpunkte. Wir investieren nicht nur in Steine, sondern auch in Köpfe. Das ist gut, richtig und notwendig.
({6})
Wir sind aber auch eine Koalition der Kommunen.
Wir bringen nicht nur das 3,5-Milliarden-Paket auf den
Weg. Wenn man den Zeitraum von 2010 bis 2018 betrachtet, den Zeitraum, in dem Wolfgang Schäuble im
Wesentlichen für die Finanzen zuständig war - dafür
wird er es auch über 2017 hinaus sein -, dann wird man
feststellen, dass wir insgesamt 80 Milliarden Euro für
die Stärkung der Kommunen ausgegeben haben. 80 Milliarden Euro in acht Jahren - das ist ein Zeichen dafür,
dass wir eine Koalition der Kommunen sind und kommunale Förderung sehr ernst nehmen. Wir reden nicht
nur darüber, sondern setzen das auch tatsächlich um.
Wir sind nicht zuletzt auch eine Koalition der ausgeglichenen Haushalte. Wir schaffen all das mit ausgeglichenen Haushalten. 2014 hatten wir den ersten ausgeglichenen Haushalt seit 1969. Wir haben einen ausgeglichenen
Haushalt 2015. Wenn Sie sich die Finanzplanung anschauen, stellen Sie fest, dass wir auch 2016, 2017, 2018
und gemäß den Eckpunkten sogar 2019 ausgeglichene
Haushalte haben werden. Frau Andreae, das ist nicht
selbstverständlich. Das hat auch nichts mit Glück zu tun;
denn das Glück der niedrigen Zinsen und der niedrigen
Wechselkurse haben auch andere europäische Industrieländer. Und was machen diese Länder daraus? Im
Übrigen haben auch die Bundesländer das Glück, hohe
Steuereinnahmen zu haben. Das gilt auch für das Bundesland, aus dem Sie kommen. Und was machen diese
Länder daraus? Das heißt, das, was die Menschen sich
erarbeitet haben, muss durch vernünftige Politik flankiert werden. Genau das machen wir. Dieser ausgeglichene Haushalt ist ein Gemeinschaftsergebnis der Menschen, die ihn sich erarbeitet haben, und der guten
Finanzpolitik dieser Koalition.
({7})
Jetzt kann man sagen: Alles gut, wir investieren mehr,
und wir tun mehr für die Kommunen. In der Tat können
wir den Nachtragshaushalt, den wir heute einbringen,
durchaus feiern. Richtig bleibt aber - das ist an der einen
oder anderen Stelle eben erwähnt worden -: Die Verantwortung für die Kommunen tragen die Länder. Die
Kommunen sind Bestandteil der Länder, und unser
Grundgesetz, unsere Verfassung sieht eigentlich nicht
vor, dass wir, der Bund, die Kommunen unterstützen.
Wir tun das trotzdem, weil wir unsere gesamtstaatliche
Verantwortung im Gegensatz zu einigen Bundesländern
ernst nehmen. Wir tun das, weil wir das Ganze betrachten und nicht nur unseren Bundeshaushalt. Wir tun das
auch, weil wir die Menschen nicht hängen lassen wollen,
die in Ländern leben, in denen die jeweilige Landesregierung die Kommunen im Stich lässt. Wir wollen den
Menschen im Ruhrgebiet nicht zumuten, unter einer
Landesregierung zu leiden, deren Politik dazu führt, dass
die Kommunen nicht mit genügend Mitteln ausgestattet
sind. Auch das ist Ausdruck unserer verantwortungsvollen Politik.
({8})
Wir tun das auch, weil wir wissen, dass die Kommunalpolitik für die Bürgerinnen und Bürger das Gesicht der
Politik ist. Die Kommunalpolitik ist die Schnittstelle, an
der die Bürgerinnen und Bürger Politik wahrnehmen.
Deswegen stehen wir alle, Bund und Länder, in der Verantwortung, dass diese Schnittstelle gut organisiert und
mit ausreichend Mitteln ausgestattet ist.
({9})
Man muss aber eines sagen: Wir können die Länder
nicht aus der Verantwortung entlassen. Wer jetzt sagt:
„Der Bund hat doch so viel Geld, der kann sich das doch
leisten. Der Finanzminister kann angesichts sprudelnder
Steuereinnahmen doch auch einmal etwas für die Kommunen tun“, dem muss man einmal die finanzielle Situation des Bundes vor Augen führen. Der Bund hat doppelt
so viel Schulden wie die Länder zusammen. Die Zinsausgaben des Bundes im Verhältnis zu einer Ausgabenquote sind höher als die Zinsausgaben der Länder. Das
heißt, die 80 Milliarden Euro, von denen ich eben geredet habe, haben wir uns mühsam abgespart. Diese sind
uns nicht in irgendeiner Art und Weise zugefallen. Ich
würde nicht so weit gehen wie das Handelsblatt, das vor
zwei Tagen in einem Titel schrieb, dass die „Nimmersatten“ beim Bund nicht auf große Begeisterung stoßen. Ich
kann die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister verstehen, die sagen: Ich weiß weder ein noch aus, und ich
brauche Hilfe; irgendjemand muss uns doch helfen. Ich kann diese Bürgermeisterinnen und Bürgermeister
sehr gut verstehen. Am Ende ist das aber nicht allein unsere Aufgabe. Deswegen müssen und werden wir jetzt
die Gelegenheit nutzen und - das ist bereits angesprochen worden - die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu
ordnen. Wir müssen mehr machen als eine Umverteilung
oder eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Wir
müssen dafür sorgen - darüber sind wir uns alle einig -,
dass die Kommunen, egal in welchem Bundesland, mit
ausreichend Finanzmitteln ausgestattet sind. Wir brauchen eine vernünftige Grundlage, um die Kommunalfinanzen in Zukunft besser organisieren zu können.
Dazu haben wir in den nächsten Monaten Gelegenheit. Wir fangen damit an, diesen Nachtragshaushalt
durch das Parlament zu bringen. Wir werden das jetzt
zügig beraten. Bis Ende Mai werden wir fertig werden.
Dann werden wir Mittel zur Verfügung haben, um die
Investitionen zu steigern. Ich freue mich auf die Beratungen. Diese Koalition wird ihre verantwortungsvolle
Finanzpolitik fortsetzen.
Danke schön.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser
Nachtragshaushalt hat ein entscheidendes Problem - weniger in dem, was drinsteht, sondern mehr in dem, was
nicht drinsteht.
({0})
Dieser Haushalt gibt in der Tat keine Antworten auf die
entscheidenden Fragen der Gegenwart und Zukunft. Es
ist deshalb auch kein Haushalt für morgen, sondern ein
Haushalt von gestern.
({1})
Die Welt hat sich in dem halben Jahr, seit wir den
Bundeshaushalt beschlossen haben, verändert. Die EU
will eine große Investitionsoffensive anschieben. Die
EZB ermöglicht faktisch staatliche Anleihen zu null Zinsen. Sie aber bleiben bei der Verehrung Ihres Fetischs,
der schwarzen Null, stehen. Das ist keine Bewegung,
was Sie hier demonstrieren.
({2})
Natürlich - das wurde hier schon gesagt - sind zusätzliche Investitionen des Bundes in Infrastruktur notwendig und sinnvoll. Aber man sieht: Wiederum bevorzugen Sie die Straße deutlich vor der Schiene. Das ist
keine zukunftsfähige Verkehrsinfrastrukturpolitik. Das
wird deutlich, wenn man sich die Einzelheiten anschaut.
({3})
Natürlich sind Investitionen für finanzschwache
Kommunen in Ordnung. Aber in Ihrem Verteilungsschlüssel haben Sie sie so angelegt, dass die Zwietracht
unter den Finanzschwachen gesät wird. Wir werden uns
nicht daran beteiligen, finanzschwache Kommunen in
Nordrhein-Westfalen gegen finanzschwache Kommunen
in Thüringen aufzubringen.
({4})
Man muss doch einmal hinterfragen: In Thüringen hat
die Vorgängerregierung Druck auf die Kommunen ausgeübt, Kassenkredite abzulösen. Das führt nun dazu,
dass die betreffenden Kommunen durch den jetzigen
Verteilungsschlüssel ausdrücklich benachteiligt sind. Ich
sehe hier noch Handlungsbedarf und nach der Rede von
Carsten Schneider auch Möglichkeiten, noch etwas zu
verändern.
({5})
Nun rechnet uns die CDU/CSU immer trotzig vor,
was sie alles an Wohltaten verteilt. Hinzu kommt immer
die Logik wie gerade beim Kollegen Brinkhaus: Der
Hauptfeind steht in 16 Ländern. Wir haben aber den
Bund nicht als Selbstzweck für uns. Das wirkliche Leben findet bekanntlich nicht im Plenarsaal statt, sondern
in den Städten und Gemeinden.
({6})
Da fehlt es an Infrastrukturinvestitionen. Tatsache ist
doch: Wo der Bund nicht mit seinem Haushalt Vorsorge
trifft, da entstehen Privatisierungsfantasien, wie sie im
Wettbewerb zwischen Bundesminister Gabriel und Bundesminister Dobrindt im Moment zu erleben sind. Dann
erfahren wir so kreative Neuheiten wie privatisierte Autobahnen und eine Pkw-Maut sowie den Hinweis, dass
wir die Rendite derjenigen, die da anlegen sollen, immer
bedenken müssten. Da sagen wir Ihnen ganz deutlich:
Die Linke hat nichts gegen eine Beteiligung des privaten
Eigentums an öffentlichen Investitionen. Der einzige
Unterschied ist: Sie wollen bei denen betteln gehen und
mit denen Geschäfte machen. Wir wollen gerecht besteuern. So einfach ist das manchmal.
({7})
Wenn mir dann immer von der Union erklärt wird,
dass es eigentlich nur drei gesellschaftliche Aggregatzustände gibt, nämlich „Deutschland geht es gut“, „Wir
sind auf einem guten Weg“ und „Wenn eins und zwei
einmal nicht funktionieren, ist es alternativlos“,
({8})
dann möchte ich nur darauf verweisen, welche Antwort
die Bundesregierung am Dienstag auf die Anfrage meiner Fraktion zu den Ergebnissen von 20 Jahren Arbeitsmarktreform gegeben hat. Da sieht es schon etwas
anders aus. Die Zahl der Beschäftigten in Teilzeit, Leiharbeit und Minijobs hat sich fast verdoppelt. Die Zahl
befristeter Arbeitsverhältnisse hat sich mehr als verdreifacht. Das ist die bittere Wahrheit, die in dem Slogan
„Arm trotz Arbeit“ zum Tragen kommt. Deshalb ist die
Einführung des Mindestlohns eine Art Wiedergutmachung.
({9})
Den Antrag der Grünen finde ich sympathisch und
vom Text her sehr gut, also Kompliment. Aber er bleibt
natürlich in der Logik der Schuldenbremse. Das ist nicht
unsere Logik.
({10})
Es wird so getan, als gäbe es ein alleiniges Pachtrecht
der Grünen in Sachen Zukunftsfähigkeit. Liebe Grüne,
die 68er sind inzwischen auch 68 geworden.
({11})
Zurück zum Nachtragshaushalt. Zukunft geht anders.
Da uns hier erneut unterstellt wurde, wir wollten das alles mit neuen Schulden finanzieren, sei hier gesagt: Markenzeichen linker Haushaltspolitik sind nicht neue
Schulden, sondern gerechte Steuern.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Repräsentantenhauses von
Neuseeland, Herr David Carter, zusammen mit seiner
Delegation Platz genommen.
({0})
Ich begrüße Sie ganz herzlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen. Wir freuen uns über Ihren Besuch.
Wir sind Ihnen dankbar für die freundschaftlichen und
intensiven Gespräche, die wir gestern in verschiedenen
Formationen miteinander geführt haben. Wir freuen uns
vor allen Dingen auf die vereinbarte Vertiefung unserer
parlamentarischen Beziehungen und die künftige Zusammenarbeit. Alle guten Wünsche für Ihre weitere Arbeit! Welcome in Berlin!
({1})
Nun erleben Sie als nächste Rednerin die Kollegin
Petra Hinz für die SPD-Fraktion.
({2})
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In der Tat: Es ist ein sehr guter Nachtragshaushalt, den wir hier heute in erster Lesung einbringen.
Mit diesem Nachtragshaushalt bringen wir drei verschiedene Säulen auf den Weg. Ich möchte gerne zwei davon
ansprechen. Zunächst komme ich zu der Frage, die uns
insgesamt umtreibt, nämlich zu den kommunalen Finanzen. Zum Schluss werde ich kurz das Thema der Flüchtlinge und Asylbewerber streifen und darauf eingehen,
wie unsere Kommunen damit umgehen und wie wir sie
dabei stärken können.
Wir haben die Stärkung unserer Kommunen in unserem Koalitionsvertrag ganz klar festgeschrieben; im
Haushalt 2014 und im Haushalt 2015 kann man dies explizit nachlesen. Wir reden heute aber nicht über den
Haushalt 2015, sondern über einen Nachtrag dazu. Wir
reden also darüber, dass Mittel zusätzlich eingebracht
werden sollen; das sollte und muss hier auch deutlich gemacht werden.
({0})
Herr Claus, ich teile nicht Ihre Auffassung, dass wir
die Kommunen gegeneinander aufbringen, ganz im Gegenteil. Im Februar dieses Jahres waren 53 Vertreter aus
unterschiedlichen Kommunen, und zwar parteiübergreifend, hier in Berlin. Sie kamen übrigens aus sieben Bundesländern und nicht nur aus einem, und es handelte sich
nicht um eine Handvoll Kommunalvertreter, sondern um
Oberbürgermeister und Kämmerer. Sie haben selbstbewusst und zu Recht darauf aufmerksam gemacht, wo
insbesondere bei ihnen der Schuh drückt. Ich finde, es
war verantwortungsvoll von unserer Regierung, dass sie
sich mit den Vertretern der Kommunen zusammengesetzt hat und in verschiedenen Verhandlungsrunden auch
zu einem Ergebnis gekommen ist.
({1})
So wurde festgestellt, dass es Länder gibt, die einfach
aufgrund ihrer strukturellen Situation Schwierigkeiten
haben.
Ich will auf Nordrhein-Westfalen eingehen. Lieber
Kollege Brinkhaus, das scheint für Sie ja ein Trauma zu
sein.
({2})
- Okay, das will ich einmal so hinnehmen. - Denn es ist
egal, worüber Sie reden: Einen Satz, auch wenn es falsch
ist, widmen Sie immer der Landesregierung.
({3})
- Wenn Sie heimatverbunden wären, dann würden Sie
über die tatsächlichen Erfolge reden und über etwas, was
nicht stimmt.
({4})
- Das wollte ich gerade sagen, lieber Kollege Thomas
Oppermann.
Ich bin seit 2005 im Deutschen Bundestag. Unter anderem in meiner Verantwortung lag die Umsetzung des
Kindertagesstättenausbauprogramms. Es hatte ein Volumen von 4 Milliarden Euro. 2 Milliarden Euro sollten direkt in den Ausbau der Kitas fließen, und 2 Milliarden
Euro sollten für die Unterstützung der Erzieherinnen und
Erzieher und für Betriebskosten zur Verfügung gestellt
werden. Das ist zwar eigentlich gar keine Bundesaufgabe, aber wir haben das gemacht.
Nordrhein-Westfalen sollten zwischen 600 und
700 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Dieses Geld hat das Land auch bekommen. Meine Heimatstadt, die Stadt Essen, hätte zwischen 60 und 70 Millionen Euro für den Ausbau von Kitas bekommen sollen.
Aber der damalige Ministerpräsident hat entschieden:
Nein.
({5})
Petra Hinz ({6})
- Herr Rüttgers.
({7})
Herr Rüttgers, CDU, hat gesagt: Nein, ich bringe gerade
ein Parallelprogramm auf den Weg, nämlich das KiBiz. Das KiBiz war elitär. Die Eltern, die es sich leisten
konnten, mussten sich nämlich entweder für 25, 35 oder
für 45 Stunden in der Woche teuer einkaufen. Ich weiß
nicht, ob das ein gutes Signal vonseiten eines Ministerpräsidenten ist, wenn es darum geht, wie man mit den
Kommunen in dieser Frage verantwortungsvoll umgeht.
({8})
Nach der Wahl haben wir einen Wechsel gehabt. Gott
sei Dank!
({9})
Hannelore Kraft hat in ihrer ersten Regierungszeit als
Allererstes einen Finanzierungspakt für die Kommunen,
die unter Nothaushalten leiden, auf den Weg gebracht.
({10})
Das hat sie in dieser Zeit gestemmt. Ich finde, das sollten
Sie erwähnen: Hannelore Kraft hat unter schwierigen
Voraussetzungen die Kommunen, die sich in einer Haushaltsnotlage befinden, gestärkt.
({11})
Nordrhein-Westfalen ist ein bevölkerungsreiches Bundesland. Wir sind noch dabei, den Strukturwandel zu bewältigen. Insofern finde ich den Verteilungsschlüssel so,
wie er jetzt gewählt worden ist, gut: nach Kriterien wie
Einwohnerzahl, Höhe der Kassenkredite usw.
({12})
Auch das muss einmal gesagt werden, Herr Claus:
Dass die Kommunen Kassenkredite aufnehmen mussten
- ich rede von dem Bereich, von dem ich Ahnung habe;
ich komme ja aus dem Ruhrgebiet -, hat doch einen
Grund. Sollen wir hier tatsächlich Begründungen dafür
liefern, warum die Kommunen dort Kassenkredite aufgenommen haben? Sollen wir Ihnen sagen, seit wann die
Kassenkredite aufgewachsen sind? Sollen wir wirklich
auf die Hintergründe eingehen? - Es bringt nichts, zu
polarisieren, und es bringt auch nichts, zu polemisieren.
({13})
Es gilt jetzt vielmehr - darum haben uns die 51 Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister und die Kämmerer aus sieben Bundesländern, die hier waren, einstimmig gebeten -, hier im Parlament darüber zu
diskutieren,
({14})
uns im Rahmen der Gespräche über den Bund-LänderFinanzausgleich damit zu beschäftigen, wie wir die Politik in Deutschland tatsächlich gut nach vorn bringen
können, ganz egal, um welche Ebene es geht: sei es nun
die kommunale Ebene, sei es die Landesebene, sei es die
Bundesebene. Das ist, glaube ich, unser gemeinsamer
Nenner, warum schlussendlich all das passiert, eben
auch die Investitionen in den Kommunen.
({15})
Jetzt komme ich zu einem weiteren Punkt, und zwar
zu dem Bereich der Flüchtlinge. Ich bin sehr froh und
auch dankbar dafür, dass mein Fraktionsvorsitzender
und auch der Wirtschaftsminister, obwohl wir mit dem
Nachtragshaushalt für 2015 500 Millionen Euro und für
das nächste Jahr noch einmal 500 Millionen Euro auf
den Weg bringen wollen, bereits jetzt aufgrund der Situation, die wir in Europa vorfinden, noch einmal angekündigt haben, dass wir die Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge in toto entlasten werden. Das
ist richtig so.
Es ist auch an der Zeit, all denen, die sich ehrenamtlich engagieren, einmal deutlich Dank zu sagen. Ohne
deren Arbeit in den Kommunen, ohne deren Arbeit gerade jetzt mit Asylbewerbern und Flüchtlingen, würde so
einiges nicht möglich sein, würde vieles teurer werden.
Sie tragen zur Integration bei. Auch dies wird mit dem
Nachtragshaushalt insgesamt gewürdigt.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist die erste Lesung. Wir werden mit diesem Gesetzentwurf in die Anhörung gehen; diese Anhörung wird unter Federführung
des Haushaltsausschusses am 4. Mai stattfinden. Ich
freue mich auf Ihre Anregungen, auf die ach so vielen
Verbesserungen, mit denen Sie die Kommunen stärken
wollen. Ich freue mich darauf, dass wir tatsächlich gemeinsam für die Kommunen, für die Menschen vor Ort
hier Politik machen.
Ich kann nur sagen: Neben dem Haushalt, den wir im
letzten Jahr hier verabschiedet haben, ist dieser Nachtragshaushalt ein Gewinn für die Kommunen, für jede
einzelne Kommune in jedem Bundesland, für jeden
Stadtstaat, egal wie gut die Haushaltslage momentan
aussehen mag oder vor welchen Herausforderungen sie
stehen mögen; das möchte ich hier in dieser Form einmal
festhalten.
Ich möchte mich auch bei all denen bedanken, die
tagtäglich in den Räten vor Ort Politik machen, und zwar
für die Menschen vor Ort. Es ist unsere Aufgabe, überall
da, wo wir verantwortlich sind, dafür zu sorgen, dass die
Dinge vor Ort gestärkt werden.
Einen ganz kleinen Hinweis noch - Herr Präsident,
ich sehe, dass die Redezeit abgelaufen ist -: Der Rechnungsprüfungsausschuss war gestern beim Bundesrechnungshof. Wir haben dort den Bericht zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen gemeinsam diskutiert. Da ist
noch einmal deutlich geworden, was der Bund insgesamt
in der gesamtstaatlichen Verantwortung leistet.
Petra Hinz ({17})
({18})
Dieses werden wir auch zum Gegenstand unserer Beratungen in der Anhörung am 4. Mai machen.
Vielen Dank.
({19})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege SvenChristian Kindler.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Jetzt haben wir tolle Geschichten von der Koalition auch zum Nachtragshaushalt und wieder einmal
viel Eigenlob von Frau Hinz, von Herrn Brinkhaus gehört.
Ich will einmal zur Haushaltspolitik kommen und die
mittelfristigen Effekte in den Blick nehmen.
Man kann sich ja fragen, warum die Finanzlage kurzfristig so gut aussieht. Das liegt daran - das hat die Antwort auf unsere Anfrage gezeigt -: Seit der Krise, also
seit 2008, hat der Bund bis 2014 allein 94 Milliarden
Euro an Zinsausgaben gespart. Deutschland ist also milliardenschwerer Krisengewinner in Europa. Ich finde, da
muss man schon ehrlich sagen: Das ist das Ergebnis
glücklicher Umstände. Das hat wenig mit der Arbeit im
Haushalt zu tun. Da hat die EZB, hat Mario Draghi viel
mehr für die Fortschritte im Haushalt getan als Wolfgang
Schäuble; das müssen wir einmal festhalten.
({0})
Herr Schäuble, Sie haben die außenwirtschaftlichen
Risiken angesprochen, die es für den Haushalt gibt. Die
Euro-Krise ist natürlich ein außenwirtschaftliches Risiko. Das sind die Zinsausgaben, die mittelfristig auch
wieder steigen können. Wir finden aber auch hausgemachte Risiken in diesem Haushalt. Schaut man sich
zum Beispiel die Sozialkassen an, so stellt man fest, dass
Sie in den letzten Jahren in den Gesundheitsfonds gegriffen haben, dass Sie in den letzten Jahren in die Arbeitslosenversicherung gegriffen haben und dass Sie die Mütterrente systemfremd, nämlich aus Beitragsmitteln und
nicht über Steuern, bezahlt haben.
7 Milliarden Euro im Jahr beträgt die Belastung für
die Sozialkassen, für die Rentenversicherung. Das Problem ist - das hat auch Axel Reimann, der Präsident der
Deutschen Rentenversicherung, gesagt -: Die Defizite
der Rentenversicherung werden dazu führen, dass wohl
schon 2018 eine Erhöhung der Beiträge notwendig sein
wird. Das zeigt auch, wer nachher die Zeche für Ihre
Haushaltspolitik zahlt, wer die Zeche dafür zahlt, dass
man in die Sozialkassen greift. Das werden die Rentnerinnen und Rentner über ein sinkendes Rentenniveau
sein. Und es werden die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler sein, insbesondere die Empfänger kleiner
und mittlerer Einkommen, die dafür zahlen. Ich sage Ihnen: Ich finde es extrem ungerecht, dass sie die Zeche
zahlen müssen.
({1})
Ich will auf ein drittes Risiko eingehen, das in diesem
Haushalt mittelfristig besteht: Über Investitionen wurde
schon viel geredet. Man hat sich auch viel dafür gefeiert,
dass man den Nachtragshaushalt jetzt hier vorlegt. Ich
würde sagen: Das ist ein sehr kleiner Schritt, der hier
passiert. Immerhin! Wenn man sich aber die Zahlen des
Bundesfinanzministeriums ansieht, so stellt man fest,
dass die Ausgaben von 2015 bis 2019 von rund 300 Milliarden Euro auf 334 Milliarden Euro steigen. Die Investitionsquote sinkt im gleichen Zeitraum; denn sie bleibt
nominal bei 30 bis 31 Milliarden Euro, also unter
10 Prozent. Wenn man im Haushalt so wenig tut, dann
kann man sich nicht hierhinstellen und sagen: Alles super! Wir investieren in die Zukunft!
({2})
Wir als Grüne haben gezeigt, wie es anders geht, wie
man statt 10 Milliarden Euro in den nächsten Jahren,
also von 2015 bis 2018, 45 Milliarden Euro in wichtige
Zukunftsbereiche investieren kann, nämlich indem man
mit dem Haushalt auch arbeitet, indem man sich traut,
etwas gegen umweltschädliche Subventionen zu tun, indem man für Einnahmeverbesserungen sorgt, indem man
das Betreuungsgeld streicht, indem man endlich Rüstungsgeschäfte kontrolliert und dort Einsparungen vornimmt. Das ist jetzt notwendig für mehr Investitionen.
Man muss mit dem Haushalt arbeiten, und das muss jetzt
endlich auch geschehen.
({3})
Ich will noch etwas zu den Kommunen sagen. Natürlich wird jetzt ein erster wichtiger Schritt gemacht. Der
Druck aus den Kommunen, der Druck aus den Ländern
sowie der Druck vonseiten der Grünen hat hier gewirkt.
Aber insgesamt - seien wir ehrlich - sind 3,5 Milliarden
Euro in drei Jahren angesichts eines Investitionsstaus
von 118 Milliarden Euro leider viel zu wenig. Da muss
man sich doch fragen: Wie können wir das Problem
strukturell lösen? Wie können wir das Altschuldenproblem der Kommunen, die überschuldet sind, die nicht
investieren können, die öffentliche Güter nicht ausreichend bereitstellen können, strukturell lösen? Dafür
muss man im Rahmen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, Herr Brinkhaus oder Herr Schäuble, Lösungen
finden und darf nicht wichtige Einnahmen wie den Soli,
der perspektivisch 19 Milliarden Euro einbringen wird,
abschaffen, sondern muss darangehen, die Altschuldenproblematik in den Ländern und Kommunen mit dem
Soli verbinden und darüber bei der Ausgestaltung der
Bund-Länder-Finanzbeziehungen reden.
({4})
Ich will über ein weiteres Risiko in diesem Haushalt
reden, das uns mittelfristig auch teuer zu stehen kommen
kann. Roland Claus hat es schon angesprochen: Herr
Dobrindt plant eine neue Welle von ÖPP-Projekten. Die
Kommission von Herrn Gabriel hat zwar, wie ich finde,
eine kluge Analyse der Investitionsschwäche vorgelegt,
bei den Vorschlägen riecht aber vieles wieder nach ÖPP
im neuen Gewand unter Umgehung der Schuldenbremse, was nachher wieder zu höheren Kosten für den
Staat führt. Man muss sich einmal die Bundes- und Landesrechnungshofberichte genau ansehen: Gerade ÖPP
als Finanzierungsalternative ist häufig intransparent, unwirtschaftlich und führt damit zu schlechteren, also teureren Konditionen für den Staat. Auch wir Grüne wollen
natürlich privates Kapital für sinnvolle Investitionen in
die Zukunft mobilisieren. Das darf aber nicht passieren,
indem die Schuldenbremse umgangen und eine ÖPPStrategie verfolgt wird. Das muss solide und gerecht im
Haushalt finanziert werden.
({5})
Wenn Sie, Herr Brinkhaus, angesichts der Risiken,
die wir gerade mittelfristig in diesem Haushalt haben
- Leerung der Sozialkassen, Schattenverschuldung bei
öffentlich-privaten Partnerschaften, sehr geringe Investitionen und Zinsrisiken -, davon reden, dass man diesen
Haushalt auch einmal abfeiern kann, dann frage ich mich
schon, in welchem Film wir hier eigentlich sind. Mich
erinnert das alles an eine große Party, auf der man vielleicht das eine oder andere Glas zu viel trinkt und im
Rausch ist. Der Blick ist ein bisschen getrübt, man sieht
die Realität nicht klar und denkt nur an diese eine Nacht,
an den Moment, aber nicht an morgen. Leider wird dieses Morgen aber kommen, und dann muss man aufräumen. Dann wird man wahrscheinlich auch Kopfschmerzen haben, und man wird sehen, was alles kaputt ist und
gemacht werden muss.
Deswegen, finde ich, muss jetzt dieses Wegducken
vor der Realität enden. Jetzt muss es darum gehen, dass
wir 2018 keine Kopfschmerzen bekommen.
({6})
Dafür müssen wir jetzt aber mit dem Haushalt arbeiten
und im Haushalt aufräumen. Fangen Sie endlich damit
an!
({7})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Eckhardt Rehberg
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich möchte eine Vorbemerkung machen:
Ich finde es schon sehr bemerkenswert, liebe Kolleginnen und Kollegen über alle Fraktionen hinweg, welches
Interesse diese Debatte auf der Länderbank findet. Das
muss ich Ihnen wirklich sagen.
({0})
Es geht bei diesem Nachtragshaushalt zum Bundeshaushalt um ein Paket in Höhe von insgesamt 10 Milliarden Euro und ein zusätzliches Investitionspaket in Höhe
von 5 Milliarden Euro. Die 10 Milliarden Euro werden
für sehr viele Dinge ausgegeben - Verkehrsinfrastruktur,
digitale Infrastruktur, CO2-Gebäudesanierung, Klimaschutz usw. -, die den Ländern und Kommunen zusätzlich zugutekommen.
Frau Kollegin Hinz, Sie haben leider nur in einem Nebensatz gesagt, dass wir für Betriebskosten von Kindergärten eigentlich nicht zuständig sind, und Frau Kollegin
Andreae, Sie haben eine lange Latte an kritischen Bemerkungen darüber gemacht, was alles nicht in Ordnung
ist.
({1})
Ich will Ihnen sagen, dass mich die Töne gegenüber dem
Bundesfinanzminister, nach dem Motto, er mache eine
kommunalfeindliche Finanzpolitik, die vor drei, vier
Wochen besonders aus Ihren Landtagsfraktionen in
Nordrhein-Westfalen gekommen sind, schon etwas geärgert haben.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer sich einmal die
Mühe macht und aufreiht, was seit dem Jahr 2010, seit
dem Jahr, in dem Wolfgang Schäuble hier Verantwortung als Bundesfinanzminister übernommen hat, passiert
ist, der stellt fest: Die Länder und Kommunen wurden
seitdem durch den Bund in einem Umfang von 125 Milliarden Euro entlastet - für Dinge, für die der Bund nicht
zuständig ist. Wir sind nicht zuständig für die Grundsicherung im Alter, wir sind nicht zuständig für die Kosten der Unterkunft, wir sind nicht zuständig für die
Hochschulen, wir sind nicht zuständig für die Kindergärten und für die Kinderkrippen. Es gab eine Entlastung in
Höhe von 125 Milliarden Euro in diesen neun Jahren, in
denen Wolfgang Schäuble Bundesfinanzminister ist.
({3})
Vor diesem Hintergrund finde ich die genannten Vorwürfe - auch im Zusammenhang mit dem Nachtragshaushalt, den wir heute beraten - völlig unangemessen.
Es wurde in den letzten Jahrzehnten übrigens nie über einen Nachtragshaushalt beraten, in dem es um Mehrausgaben ging, ohne neue Schulden zu machen, sondern
früher ging es immer darum, mehr Schulden zu machen,
um den Haushalt auszugleichen. Lieber Kollege Kindler,
das ist schon ein diametraler Unterschied zu den Dingen,
die unter Rot-Grün passiert sind.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Dingen, die
wir jetzt für die Kommunen machen, einmal 3,5 Milliarden Euro für den Kommunalinvestitionsförderungsfonds
und einmal 1,5 Milliarden Euro zur Entlastung, wird es
darauf ankommen, einen Punkt besonders im Blick zu
haben: Von den soeben angesprochenen 125 Milliarden
Euro standen den Kommunen nach den politischen Vereinbarungen 82 Milliarden Euro zu. Die Mittel für die
Grundsicherung im Alter sollten eigentlich komplett den
Kommunen zugutekommen. Gucken Sie sich einmal an,
wie manche Ausführungsgesetze der Länder aussehen!
Da gab es sehr wohl Umleitungen der Finanzströme.
Mein Appell an Sie und an uns alle lautet deswegen,
dass wir wirklich genau hinschauen, damit sich die Länder von den 3,5 Milliarden und auch den 1,5 Milliarden
nicht wieder Gelder, die wir als Bund den Kommunen
zukommen lassen wollen, durch Vorwegabzüge oder
über kommunale Finanzausgleichsgesetze in die Tasche
stecken. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.
({5})
Jetzt entsteht immer der Eindruck, dass nur der Bund
Steuereinnahmen habe. Schauen wir uns einmal die
Jahre von 2010 bis 2018 an: In diesem Zeitraum hat der
Bund Steuermehreinnahmen von 79 Milliarden Euro, die
Gesamtheit der Länder aber 85 Milliarden Euro - so ist
die Verteilung der Mittel aus den Gemeinschaftsteuern
zwischen Bund und Ländern - und die Gesamtheit der
Kommunen 30 Milliarden Euro. Das heißt: Es ist mitnichten so, dass die Länder keine Steuermehreinnahmen
haben. Es ist mitnichten so, dass die Gesamtheit der
Kommunen keine Steuermehreinnahmen hat.
Nun erkläre mir einmal jemand - da muss ich jetzt auf
bestimmte Länder eingehen -, warum es Länder wie
Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg trotz
Steuermehreinnahmen und trotz Entlastung durch den
Bund - diese Summe beläuft sich aktuell auf einen zweistelligen Milliardenbetrag - nicht schaffen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Der Bund, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat es geschafft: Er ist 2010 mit
einer Verschuldung von 86 Milliarden Euro gestartet,
2014 hat er eine schwarze Null erreicht und ist jetzt in
der Lage, 15 Milliarden Euro zusätzlich auszugeben.
Das ist doch ein Grund zu feiern, lieber Kollege Kindler.
({6})
Zu Ihrem Vorwurf, Herr Kindler, wir würden kein
Geld für Zukunftsinvestitionen bereitstellen, kann ich
Ihnen nur Folgendes sagen: Der Einzelplan 30 belief
sich 2005 unter Ministerin Schavan auf 7 Milliarden
Euro. Im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung
wird der Einzelplan 30 bei 17 Milliarden Euro liegen.
Das heißt, in gut einem Jahrzehnt haben wir den Einzelplan um über 10 Milliarden Euro erhöht und sein Volumen mehr als verdoppelt. Das gibt es nicht noch einmal
in Europa, und das gibt es auch nicht noch einmal in der
Welt.
({7})
Das heißt, wir investieren nicht nur in Beton. Wir investieren in Köpfe, in Forschung und in Bildung.
({8})
Schauen wir uns einmal die Aufteilung der 7 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen in diesem Nachtragshaushalt an. Fast 2 Milliarden Euro werden für Klimaschutz, Energieeffizienz und CO2-Gebäudesanierung
verwendet. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, wir brauchen Ihren Nachhilfeunterricht
nicht. Wir wissen, dass dort Zukunftsinvestitionen zu tätigen sind. Diese 2 Milliarden Euro sind im Haushalt des
Bundeswirtschaftsministers und der Bundesumweltministerin gut angelegt.
({9})
Zum Verkehrsbereich. Wir werden im Jahr 2017 mit
dem, was wir schon geplant haben - 5 Milliarden Euro
zusätzliche Steuermittel, Mautmehreinnahmen und gut
3,25 Milliarden Euro, die jetzt für alle drei Verkehrsträger bereitgestellt werden -, die Forderung der DaehreBodewig-Kommission erfüllen und 13,5 Milliarden
Euro für alle Infrastruktursysteme zur Verfügung stellen.
Auch im Bereich Straße werden wir die Forderung erfüllen, indem wir 7,3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Im Jahre 2018 werden wir sogar über den Forderungen liegen. Ja, das war ein Kraftakt. Wir haben gesagt:
Wir wollen erst die schwarze Null erreichen, um Spielräume zu haben, und dann in die Zukunft investieren. Ich
glaube, das ist nachhaltige Finanzpolitik. Nachhaltige
Finanzpolitik ist nicht, Schulden zu machen und dann
auf schönes Wetter zu warten. Wir hingegen haben uns
die schwarze Null im Haushalt erarbeitet. Jetzt haben
wir schönes Wetter, und jetzt können wir das Geld zukunftsgerecht ausgeben.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Appell an uns
alle: Im Haushalt stehen 1,1 Milliarden Euro für den
Ausbau des Breitbandnetzes bereit. Länder wie Bayern
geben jährlich selber 1,5 Milliarden Euro dafür aus.
Manche Länder aber tun gar nichts. Kollege Bartsch, das
Land Mecklenburg-Vorpommern setzt dafür nur EUMittel ein und macht ansonsten nichts.
({11})
- Ja, gerne ein Wort dazu. Wissen Sie: Wenn wir Geld
für Kommunen vorsehen und das Geld bei den Kommunen nicht ankommt, dann kritisiere ich dafür auch eine
rot-schwarze Landesregierung. Gucken Sie sich einmal
meine Pressemitteilung zum Thema Hochschulpakt in
Mecklenburg-Vorpommern an. Gucken Sie sich meine
Pressemitteilung zum Thema Entflechtungsmittel an.
Darin weise ich darauf hin, dass das Geld für den Bereich Straßenbau und ÖPNV doch bitte an die Kommunen weitergegeben werden solle und sich die Finanzminister nicht die Hälfte davon in die Taschen stecken
sollten.
({12})
Abschließend will ich wirklich an uns alle einen Appell richten. Man kann über manches debattieren, auch
über die Verteilung der Mittel und entsprechende Gewichtungen, Kollegin Hinz. Es gab auch bei uns kritische Anmerkungen zum Thema Kassenkredite. Man
kann sich über dieses Thema trefflich streiten. Da
müsste man dann auch über die Kommunalaufsicht reden. Aber die Herausforderung, die ich für die nächsten
Jahre für uns sehe, ist, dass wir als Bundestagsabgeordnete, unabhängig davon ob aus Regierungs- oder Oppositionsfraktionen, unabhängig von Bundes- oder Länderinteressen, darauf achten, dass das, was wir politisch für
die Kommunen vorsehen, wirklich bei den Kommunen
ankommt. Denn wenn das bei den Kommunen nicht ankommt, dann hilft es auch nicht, immer mehr Geld hineinzupumpen. Es kann nicht sein, dass die Länder ihre
Haushalte damit sanieren. Die Musik spielt nicht in den
Ministerialstuben in den Landeshauptstädten, sondern
vor Ort in den Kommunen.
Herzlichen Dank.
({13})
Der Kollege Juratovic ist nächster Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Unsere Kommunen sind der Stützpfeiler unserer Gesellschaft. Sie sind der Ort, an dem unsere Bürgerinnen und Bürger das politische Handeln hautnah
erleben. Gerade in dem entscheidenden Bereich der Integration sind die Kommunen der Dreh- und Angelpunkt
aller politischen und gesellschaftlichen Bemühungen.
Wie sehen die Schulen aus, in denen unsere Kinder unterrichtet werden? Wie sind die Freizeitangebote, die ihnen zur Verfügung stehen? Wie ist die Gesundheitsversorgung vor Ort, und wie ist die Infrastruktur? Wie sind
die Sprachkurse und die Unterkünfte für Flüchtlinge organisiert?
Ob ich mich in Deutschland wohl- und willkommen
fühle, wird nicht nur auf der Bundesebene entschieden,
sondern vor Ort - in meiner Kommune. Daher ist es mir
wichtig, die Arbeit der kommunalen Institutionen, aber
auch die Arbeit der Ehrenamtlichen vor Ort, die sich
rund um Flüchtlingsheime engagieren, hervorzuheben
und ihnen zu danken.
({0})
Sie dienen als großes Vorbild für unsere gesamte Gesellschaft.
Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Pflicht als
Deutscher Bundestag, die derzeitige Not der Kommunen
anzuerkennen und ihnen helfend unter die Arme zu greifen. Daher kann die Bedeutung einer angemessenen Finanzierung unserer Kommunen nicht hoch genug geschätzt werden. Deshalb begrüße ich ausdrücklich den
vorliegenden Gesetzentwurf zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen.
Durch die bereitgestellten Mittel wird die faktische
Not unserer Kommunen anerkannt, und es werden sinnvolle Schritte eingeleitet. Die Entlastung der Kommunen
um zusätzliche 1,5 Milliarden Euro, sodass insgesamt
2,5 Milliarden Euro für kommunale Investitionen zur
Verfügung stehen, ist genau das richtige Signal und eine
angemessene Aufstockung, für die sich die SPD bereits
seit einem Jahr starkmacht.
({1})
So können unsere Kommunen endlich auch größere
Baustellen anpacken und zukunftsweisende Projekte voranbringen.
Aus meinen Gesprächen vor Ort weiß ich, wie eng der
finanzielle Spielraum mancher Gemeinden, besonders
der finanzschwacher, ist. Oft schnürt für sie der eigene
Haushaltsplan ein zu enges Korsett für Investitionen.
Mit dem Sondervermögen für finanzschwache Kommunen bringen wir einen Fonds für bessere Infrastruktur,
mehr Klimaschutz und gute Bildung auf den Weg. Kolleginnen und Kollegen, damit rüsten wir unsere Gemeinden für die Zukunft. Diese 3,5 Milliarden Euro sind das
richtige Signal an unsere Kommunen. Denn nur gemeinsam lassen sich Herausforderungen meistern.
Wir wollen, dass gleichwertige Lebensverhältnisse in
unserem Land nicht nur im Grundgesetz stehen, sondern
von den Menschen vor Ort erfahrbar sind. Noch ist der
Weg dahin lang. Gerade im Bereich der Flüchtlingsunterbringung klaffen Anspruch und Realität oft weit auseinander. Denn in der Realität stoßen die Kommunen bei
dem Bemühen, für eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge zu sorgen, an ihre Grenzen.
({2})
Aus diesem Grund werde ich nicht müde, zu betonen:
Der Bund muss die Unterbringung von Flüchtlingen verstärkt auch als eigene Aufgabe betrachten. Es darf nicht
passieren, dass aufgrund der kommunalen Schwierigkeiten die Willkommenskultur in der Bevölkerung kippt.
Zum Glück sind Vorfälle wie die in Tröglitz beschämende Einzelfälle. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung steht beispielhaft zu unserer Willkommenskultur,
indem sie vor Ort auf vielfältige Weise die Ankunft und
das Leben der Flüchtlinge begleitet und erleichtert.
({3})
Kolleginnen und Kollegen, das Recht auf Asyl ist und
bleibt unantastbar. Wir dürfen jedoch den guten Willen
in der Bevölkerung nicht überlasten. Das heißt, dass
auch wir im Bund uns offenen Auges und in Absprache
mit den Ländern und Kommunen um die Geflüchteten
kümmern müssen.
({4})
Die 1 Milliarde Euro, die durch den neuen Gesetzentwurf für die kommenden zwei Jahre den Kommunen für
die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung steJosip Juratovic
hen soll, ist dringend notwendig. Das ist jedoch nicht die
endgültige Antwort der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages. Uns ist bewusst, dass es nicht reicht,
wenn wir uns um eine schnellere Bearbeitung der Asylanträge kümmern und uns sonst damit begnügen, immer
wieder einmal Finanzspritzen für die Kommunen zur
Verfügung zu stellen.
Wir müssen das Problem an der Wurzel packen. Perspektivisch betrachtet müssen wir dafür sorgen, dass der
Bund die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen
voll übernimmt.
({5})
Das wird in dem jetzigen Haushalt nicht möglich sein,
muss jedoch für die Zukunft unser Ziel bleiben; denn
wer glaubt, dass die steigenden Flüchtlingszahlen ein
Phänomen von ein, zwei Jahren sind und dass wir bald
zu unserem alten Vorgehen zurückkehren können, der
hat noch nicht den Blick über den deutschen Tellerrand
geworfen.
Die Krisenherde unserer Welt werden erst über die
nächsten Jahre bis Jahrzehnte zu stabilisieren sein. Trotz
intensiver außenpolitischer Bemühungen müssen wir damit rechnen, dass auch mittelfristig zahlreiche Menschen
bei uns Zuflucht suchen werden. Ihnen wollen wir ermöglichen, dass sie sich bei uns fair behandelt und beschützt fühlen. Diese Aufgabe müssen weiterhin der
Bund, die Länder und die Kommunen gemeinsam bewältigen. Wir, der Deutsche Bundestag, wollen hier unserer Verantwortung gerecht werden. Der vorliegende
Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt in die richtige
Richtung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Der Kollege Bartholomäus Kalb erhält nun das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich gehöre dem Haushaltsausschuss schon
lange an. Das ist der erste Nachtragshaushalt, den wir
beraten, der mir richtig Freude macht; denn es ist uns in
der Vergangenheit gelungen, Spielräume zu erarbeiten,
auf deren Basis wir in den kommenden Beratungen entscheiden können, wie wir Zukunft noch besser gestalten
können.
Der Kollege Schneider und der Finanzminister haben
es in ihren Beiträgen gesagt: Wir haben uns zu Beginn
dieser Großen Koalition darauf verständigt, dass wir
möglichst schnell dazu kommen wollen, keine neuen
Schulden machen zu müssen und keine Steuern erhöhen
zu müssen, und dass wir, wenn Spielräume entstehen,
zuallererst Investitionen verstärken wollen. Das gelingt
uns. Dieser vorgelegte Nachtragshaushalt, Herr Bundesfinanzminister, ist Ausdruck der erfolgreichen Linie, die
wir beschritten haben.
({0})
Der Kollege Claus hat vorhin sinngemäß gesagt, wir
würden uns an der schwarzen Null ergötzen. Ich glaube,
wir können gar nicht oft genug sagen, dass es ein großartiger Erfolg ist, dass es uns in so kurzer Zeit nach der
größten Finanz- und Wirtschaftskrise, die wir zu bewältigen hatten, gelungen ist, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und eine schwarze Null verzeichnen zu
können. Das ist nach 49 Jahren erstmals wieder geschehen. Das ist eine großartige Leistung, die es verdient,
immer wieder erwähnt zu werden.
({1})
Herr Kollege Kindler, ich habe mir die Protokolle heraussuchen lassen, in denen steht, was Sie noch im letzten Jahr im Zuge der Haushaltsberatungen gesagt haben.
Es sei alles getrickst und geschönt, alles sei nicht nachhaltig usw. So haben Sie sich ausgedrückt. Heute können
wir feststellen: Wir haben den ausgeglichenen Haushalt
deutlich früher bekommen, als Sie es uns zugetraut haben, nämlich schon mit dem Jahresabschluss 2014.
Wenn Sie den Finanzplan und die Eckpunkte für den
Haushalt 2016 anschauen, dann werden Sie feststellen
müssen, dass über den gesamten Zeitraum bis 2019 kein
einziger Euro Neuverschuldung vorgesehen ist.
({2})
Ganz im Gegenteil: Wenn die wirtschaftliche Lage
und die weltwirtschaftliche Gesamtsituation stabil bleiben und wir keine Rückschläge durch die Krisen, die wir
natürlich auch sehen müssen, bekommen, dann werden
wir - davon gehen wir aus -, in den nächsten Jahren weitere Spielräume bekommen, um die Zukunft in den verschiedenen Bereichen zu gestalten und zu sichern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben
uns vorgeworfen, das alles sei kurzfristig und nicht dauerhaft. Wir können heute feststellen: Unsere Politik ist
auf Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit angelegt.
({3})
Sie ist darauf angelegt, dass wir die Zukunft noch sicherer machen können und dass wir die notwendigen Rahmenbedingungen für die Menschen in unserem Lande
und für die Wirtschaft in unserem Lande schaffen können.
Wir haben eine Situation, die sehr erfreulich ist. Die
Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumserwartungen nach oben geschraubt. Auch die Bundesregierung und nicht zuletzt gestern der Bundeswirtschaftsminister konnten die Wachstumserwartungen sogar noch
erhöhen. Wir bleiben trotzdem vorsichtig hinsichtlich
des Zahlenwerks, das den Beratungen über den Haushalt
2016 zugrunde liegen wird. Es geht darum, dass wir es
hier mit einer soliden Basis zu tun haben.
Das alles fußt darauf - das ist schon gesagt worden -,
dass wir anders als früher - früher war das Wirtschaftswachstum in Deutschland im Wesentlichen auf den Ex9498
port gestützt - heute eine starke Binnennachfrage haben.
Ich denke, das ist etwas, was sowohl unserem Lande und
unserer eigenen Volkswirtschaft als auch der europäischen Ebene guttut und auch dort bestimmte Effekte auslösen kann.
Wir haben heute einen Spitzenwert an Erwerbstätigen
von 42,8 Millionen Menschen. Wir gehen davon aus,
dass dieser Wert im Jahre 2016 noch ansteigen wird. Angesichts eines Spitzenwertes bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sollten wir uns darüber
freuen; denn diese Menschen haben Arbeit, diese Menschen haben Einkommen. Sie können ihr Auskommen
mit ihrem Einkommen bestreiten. Das ist schon einmal
sehr gut.
({4})
- Danke für den Applaus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus Leistungsempfängern sind immer häufiger Leistungserbringer geworden: Immer mehr Menschen zahlen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Das ist natürlich auch ein Grund
für die gute Situation, in der wir uns befinden. Diese
positive Entwicklung gilt es zu sichern und fortzusetzen.
Dieser Nachtragshaushalt ist schlicht und einfach ein
Investitionshaushalt. Wir setzen damit das um, was
Finanzminister Schäuble vorgegeben hat. Ich gebe zu,
dass nicht nur andere, sondern sogar auch wir etwas
überrascht waren, als Finanzminister Schäuble in einer
Zeit, in der die Wirtschaftsforschungsinstitute und viele
andere Auguren gesagt haben, es könne gar nicht mehr
so gut weitergehen, in einer Zeit, in der die Gefahr bestanden hat, dass sich eine depressive Stimmung breitmacht, mit der Ankündigung des 10-Milliarden-EuroInvestitionsprogrammes die Stimmung im Lande erfolgreich herumgerissen hat. Wir können also heute darangehen, dieses Investitionsprogramm dadurch umzusetzen,
dass wir diese Verpflichtungsermächtigungen konkret
ausbringen und dass wir die 3 Milliarden Euro globale
Minderausgabe, die zunächst auf die einzelnen Etats
- davon waren natürlich die großen Investitionsetats wie
Verteidigung, Verkehr usw. am stärksten betroffen - verteilt war, auflösen. In den jeweiligen Häusern werden somit mehr Investitionsmöglichkeiten geschaffen. Ich verweise auch auf die 7 Milliarden Euro für zusätzliche
Investitionen, zuvörderst natürlich in die Bereiche Verkehr, Infrastruktur, Bau, Klimaschutz usw.; ich möchte
das nur stichwortartig sagen.
Ich denke schon, dass bei alledem, was dazu gesagt
worden ist, was in den Bereichen Bildung, Forschung
usw. notwendig ist, einfach ganz wichtig ist, dass wir unsere gute Verkehrsinfrastruktur erhalten, sichern und
dort, wo notwendig, ergänzen. Ich glaube schon, dass die
gute Verkehrsinfrastruktur sozusagen die Grundlastfähigkeit unserer Volkswirtschaft sichert.
Darüber hinaus stärken wir die Kommunen mit dem
3,5-Milliarden-Euro-Programm für zusätzliche Investitionen. Dann sind im Jahr 2017 weitere 1,5 Milliarden
Euro für die Entlastung der Kommunen vorgesehen.
Herr Kollege.
Der Hintergrund ist auch die Eingliederungshilfe, lieber Herr Präsident.
Das kann mir gar nicht oft genug erklärt werden, ändert nur nichts an der begrenzten Redezeit.
({0})
Ja, es ist schade. Wenn man dahinten sitzt, fragt man
sich immer: Wie viel Zeit hat denn der Redner eigentlich?
({0})
Wenn man hier vorn ist, läuft einem die Zeit davon.
Ich danke Ihnen.
({1})
Nun hat der Kollege Daldrup das gleiche Problem wie
der Kollege Kalb, und wir wollen mal gucken, wie er damit fertig wird.
({0})
Bitte schön, Herr Kollege.
Es könnte sein, Herr Präsident, dass Sie recht haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn man im Zusammenhang mit dem Haushalt über das Verhältnis zwischen
Bund und Kommunen redet, dann ist es, glaube ich,
durchaus gerechtfertigt, wenn man
({0})
an dieser Stelle sagt, dass diese Koalition ganz zweifelsfrei für sich in Anspruch nehmen kann, die Kommunen
zu entlasten, ihre Investitionsfähigkeit zu verbessern und
damit an der Seite der Kommunen zu stehen, auch wenn
die Opposition immer versucht, diese Leistung zu marginalisieren.
Angefangen von der sogenannten Übergangsmilliarde
in den Jahren 2015, 2016 und 2017, die wir jetzt um
1,5 Milliarden Euro in 2017 erhöhen, bis hin zu dem Investitionspaket in Höhe von 3,5 Milliarden Euro: Wir
leisten sehr konkrete Unterstützung für die Kommunen,
die auch tatsächlich wirkt. Das haben uns jedenfalls zu
Beginn der Koalition die meisten in der kurzen Zeit zu
Recht nicht zugetraut. Wenn man die Kofinanzierung
noch dazurechnet, sind es 3,9 Milliarden Euro an Investitionsmitteln.
({1})
Diese Hilfen reihen sich - das ist von verschiedenen
Kolleginnen und Kollegen bereits gesagt worden - in
eine Kette von Maßnahmen ein: Übernahme der Kosten
der Grundsicherung im Alter und eine ganze Reihe weiterer Programme, die schon genannt worden sind.
Deswegen reicht es, wenn ich stichwortartig aufzähle:
Kitafinanzierung, höherer Anteil an den Kosten der Unterkunft, Städtebauförderung, Gemeinschaftsaufgaben.
Wir haben die Interessen der Kommunen im Blick.
({2})
Allerdings: Diese Hilfen sind auch nötig, weil es besorgniserregende Diskrepanzen zwischen den Kommunen
in Deutschland gibt: einerseits sprudelnde Steuereinnahmen, auch Gewerbesteuereinnahmen, andererseits wachsende Sozialausgaben, verfallende Infrastruktur. Alle
Fraktionen haben vor wenigen Wochen mit dem Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden - Für die Würde
unserer Städte“ gesprochen. Über 50 Bürgermeister,
Oberbürgermeister, Kämmerer sind hier gewesen - einige von ihnen sind neben der Delegation aus Neuseeland heute auch unter den Zuhörern; ich begrüße sie
herzlich -; sie haben uns ihr Problem der Vergeblichkeitsfalle dargestellt. Das heißt: Trotz radikalen Sparkurses wachsen die Schulden, sinkt die Handlungsfähigkeit,
fehlt die Investitionskraft.
Herr Brinkhaus und Herr Rehberg, ich habe nicht sehr
viel Interesse daran, mich in die parteipolitischen Scharmützel zu begeben; deswegen will ich an dieser Stelle
nur sagen: Was da zur Erinnerung gesagt worden ist, hat
in Wirklichkeit einen anderen Hintergrund. Herr
Brinkhaus möchte mit seinen Worten nicht etwa RotGrün kritisieren, sondern immer wieder die Erinnerung
an Herrn Rüttgers hervorholen.
({3})
Es ist gut, dass er diese Erinnerung aufgefrischt hat. In
Wirklichkeit will er damit nämlich vor Herrn Laschet
warnen.
({4})
Er könnte etwas Ähnliches machen wie das, was Sie,
Herr Rehberg, meinen und was da in Hessen passiert.
So, wie es in Nordrhein-Westfalen der Fall war - Eingriff in den kommunalen Finanzverbund -, werden auch
in Hessen - in dem Fall sind die Roten nicht beteiligt,
aber die Schwarzen sehr wohl - die Kommunen im
Gemeindefinanzausgleich in jedem Jahr um 340 Millionen Euro geprellt.
({5})
Das ist nicht das, was Sie wollen, Herr Brinkhaus. Weil
Sie das nicht wollen, sollten Sie auch in der Zukunft mit
Ihrer Kritik vorsichtig sein. Es fällt auf Sie selbst zurück,
und davor wollen wir Sie schützen.
({6})
Aber jetzt zum Kern des Problems. Wir haben die Situation, dass auf kommunaler Ebene in MecklenburgVorpommern pro Einwohner roundabout 150 Euro Sachinvestitionen im Jahr erfolgen, gleichzeitig in Bayern
roundabout 470 Euro, also mehr als das Dreifache, im
Saarland 168 Euro und in Baden-Württemberg roundabout 370 Euro. Die Schere zwischen Finanzkraft und
Investitionsfähigkeit für die Gestaltung von Zukunftschancen geht so weit auseinander, dass wir hier helfen
müssen. Diese Drift betrifft nämlich etwas, was wir im
Grundgesetz normiert haben, und zwar die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.
({7})
Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass bis
1994 in unserem Grundgesetz von der „Einheitlichkeit
der Lebensverhältnisse“ die Rede war, wie es heute in
Artikel 106 Grundgesetz übrigens immer noch der Fall
ist. Seit 1994 - das steht in Artikel 72 Grundgesetz - reden wir von der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“.
Was ist eigentlich der Unterschied? Seit 1994 ist nicht
mehr die Wahrung eines bestimmten Zustandes Bezugspunkt, sondern der Auftrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, die wir in Deutschland nicht haben. Deswegen ist es auch keine Wohltat des Bundes,
sondern eine aus dem Grundgesetz abgeleitete Verpflichtung, wenn er an dieser Stelle tätig wird.
({8})
Zusammenstellungen von Leistungen einer Bundesregierung für die Kommunen sind zwar hilfreich. Wenn
Sie, Herr Rehberg, aber in Gutsherrenart den Eindruck
erwecken wollen, die Kommunen seien sozusagen Nimmersatte, dann ist das - das will ich an dieser Stelle sagen - mit Blick auf die Presseberichterstattung nicht
besonders hilfreich. Die Ausländerpolitik ist kein kommunalpolitischer Auftrag. Oder wollen Sie etwas anderes behaupten? Die Außenpolitik ist es ebenso wenig.
Man muss das schlicht und ergreifend so sehen.
({9})
Ich bin der Auffassung, dass der Bund - die Bundesregierung und der Bundestag - mit dem Investitionsförderungsfonds seine Verpflichtungen wahrnimmt. Es ist
auch gut und richtig so, diesen Verfassungsauftrag wahrzunehmen.
({10})
Ich halte auch die Kriterien Einwohnerzahl, Arbeitslosenquote und Höhe der Kassenkredite - da pflichte ich
Ihnen ausdrücklich bei - für richtig. Sie führen dazu,
dass das gemacht wird, was allseits immer wieder gefordert wird, nämlich nach Bedürftigkeit - und nicht nach
anderen Kriterien - zu fördern. Genau das ist gut und
richtig.
({11})
Lassen Sie mich - für vieles andere ist nicht genug
Zeit vorhanden - zuletzt noch auf einen Punkt hinweisen, nämlich auf die 1 Milliarde Euro, die der Bund an
die Kommunen zum Zwecke der Beteiligung an den
Kosten der Unterbringung von Flüchtlingen zahlt. Damit
leistet der Bund einen außerordentlich wichtigen Beitrag
zur Finanzierung dieser Aufgabe. Das ist gut, richtig und
notwendig. Perspektivisch ist das allerdings nicht hinreichend, weil dieses Geld nämlich nicht alle Belastungen
auffängt und damit nur ein Teil finanziert werden kann.
Wer mit den Bürgermeistern in seinem Wahlkreis redet, der weiß, dass schon weit mehr gemacht wird. Ich
nenne hier medizinische Versorgung, psychologische
Betreuung, Sprachförderung, Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten und Integration. Oberbürgermeister Maly
hat das heute Morgen im Morgenmagazin sehr schön
dargestellt. Deswegen kann ich auch die kritischen Bemerkungen den Ländern gegenüber an der einen oder anderen Stelle verstehen. Auch ich appelliere an alle Verantwortlichen, dass es einen Konsens geben muss.
Die Kommunen dürfen jedenfalls nicht in eine Situation kommen, in der sie vor Ausländerfeindlichkeit bzw.
vor Rechten und Rechtsextremisten zurückweichen müssen, weil sie ihre kommunalen Handlungsmöglichkeiten
nicht mehr wahrnehmen können. Das ist ein Zustand,
den wir auf gar keinen Fall akzeptieren dürfen!
({12})
Deswegen muss es, perspektivisch gesehen, in die Richtung gehen, dass sich der Bund an diesen Kosten beteiligt. Das ist eine demokratische, soziale und rechtsstaatliche Verpflichtung, die wir wahrnehmen müssen.
Das, was wir hier zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf
den Weg bringen, ist ein guter Beitrag zur Stärkung der
Kommunen bzw. zur Unterstützung bei der Hilfe, die sie
leisten. Deswegen tun wir es mit gutem Gewissen.
Herzlichen Dank.
({13})
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Ingbert Liebing für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Am Ende dieser Debatte können wir
ein wesentliches Fazit ziehen: Mit dem Nachtragshaushalt, der jetzt in die parlamentarischen Beratungen geht,
sind viele gute Botschaften für die Städte und Gemeinden sowie die Landkreise in Deutschland verbunden.
Dies ist ein gutes Kapitel deutscher Politik für die Kommunen.
({0})
Ich möchte das ausdrücklich mit einem ganz persönlichen Dank und einer Anerkennung an den Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verbinden. Ich kenne
keinen Finanzminister in Deutschland - ich gucke da auf
die Riege der Länderfinanzminister -, der sich so stark
und verlässlich wie Wolfgang Schäuble für die Interessen der Kommunen in Deutschland engagiert.
({1})
Er hat das mit seiner Einbringungsrede heute ausdrücklich unter Beweis gestellt. Ich finde, dies verdient Anerkennung. Dies verdient vor allem auch deswegen Anerkennung, weil wir im Moment in Deutschland eine
etwas abstruse Debatte erleben, in der ihm vorgeworfen
wird, er würde seinen Bundeshaushalt zulasten der
Kommunen sanieren, die schwarze Null im Bundeshaushalt gehe auf Kosten der Kommunen. Das Gegenteil ist
der Fall: Die Sanierung des Haushaltes ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir umsteuern können, dass wir
jetzt überhaupt wieder zusätzlichen Spielraum zur Verfügung haben, mit dem wir den Kommunen helfen können.
Die Sanierungspolitik von Wolfgang Schäuble und der
Koalition sowie der unionsgeführten Bundesregierung in
den letzten Jahren ist die Voraussetzung dafür, dass wir
diese Schwerpunkte setzen können.
({2})
Meine Damen und Herren, ich möchte gerne eine Anmerkung meines Kollegen Daldrup aufgreifen. Wir
kämpfen als kommunalpolitische Sprecher der Koalitionsfraktionen gemeinsam für die Belange der Kommunen, aber es gibt schon den einen oder anderen Auffassungsunterschied. Wenn Sie darauf hinweisen, wie
unterschiedlich die Höhe der Ausgaben und die Finanzausstattung der Kommunen in den einzelnen Bundesländern ist, dann haben Sie mit dieser Feststellung recht.
Aber was ergibt sich denn daraus? Das macht doch nur
deutlich, dass es angesichts dieser Unterschiedlichkeit
der Kommunalfinanzen in Deutschland nur umso
schwieriger ist, von der Bundesebene hier regelnd einzugreifen. Die Unterschiedlichkeit hat doch etwas damit zu
tun, dass es Unterschiede zwischen den Bundesländern
gibt, was die Politik gegenüber ihren Kommunen angeht.
Wenn die Landesregierungen ihre Aufgaben für die
Kommunen nicht erledigen, kann es doch nicht unsere
Aufgabe auf Bundesebene sein, diese Defizite auszugleichen.
({3})
Es kann auch nicht sein, dass die anderen Bundesländer,
in denen die Landesregierungen ihre Aufgaben für die
Kommunen wahrnehmen, in die Röhre schauen. Das
kann nicht die richtige Antwort auf diese Situation sein.
Wir helfen mit dem, was jetzt in die Beratungen geht,
den Kommunen, insbesondere bei den Investitionen. Das
ist wichtig, weil wir insgesamt eine Investitionsschwäche im öffentlichen Bereich haben. Deswegen sind dieser Nachtragshaushalt und das Gesetzgebungsverfahren
gerade von dem Gesichtspunkt der Investitionen geprägt.
Nun wird über den richtigen Verteilungsschlüssel bei
den 3,5 Milliarden Euro für die Kommunen diskutiert.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die Verteilung auf die Kommunen - welche Kommune bekommt wie viel, und welche Kommune ist eigentlich finanzschwach? - von den Bundesländern geregelt wird.
Das können wir nicht auf der Bundesebene machen.
Aber der Verteilungsschlüssel auf die Bundesländer, der
hier angesprochen und teilweise kritisiert wurde, ist aus
meiner Sicht ein gelungener Versuch, Gerechtigkeit herbeizuführen.
({4})
Mit den Kriterien Einwohner, Arbeitslosenzahl und
Kassenkredite wird unterschiedlichen Belangen Rechnung getragen. Ich wundere mich schon, wenn ausgerechnet von den Linken jetzt der Königsteiner Schlüssel
ins Spiel gebracht wird. Der Königsteiner Schlüssel
hätte zur Folge, dass gerade in den Bundesländern, in denen es den Kommunen besonders gut geht - wie zum
Beispiel in Bayern und Baden-Württemberg -, besonders viel Geld landen würde.
({5})
Das ist nicht das, was wir uns vornehmen. Wir wollen
insbesondere den Kommunen helfen, die unter besonderer Finanzschwäche leiden und bei denen die Not am
größten ist. Das tun wir damit.
Wir helfen den Kommunen insbesondere deswegen,
weil sie unter einer besonderen Ausgabedynamik, vor allem im sozialen Bereich, leiden. Bei der Grundsicherung
haben wir bereits geholfen. Die Eingliederungshilfe für
Menschen mit Behinderung ist die nächste große Aufgabe, die noch vor uns liegt und wo wir die Kommunen
ab 2018 jährlich um insgesamt 5 Milliarden Euro entlasten wollen.
Die aktuell größte Herausforderung, vor der die Kommunen deutschlandweit stehen, ist die Unterbringung
der Flüchtlinge. Auch hier helfen wir mit dem, was wir
jetzt auf den Weg bringen: zweimal 500 Millionen Euro
vom Bund für die Länder und Kommunen zur Entlastung bei den Kosten der Flüchtlingsunterbringung.
Kaum ist diese Vereinbarung, die jetzt technisch umgesetzt wird, im November letzten Jahres zwischen
Bund und Ländern verabredet worden, da kamen neue
Forderungen nach noch mehr Geld. Ich erwarte, dass vor
dem Flüchtlingsgipfel zwischen Bund und Ländern, der
Anfang Mai stattfindet, auch die Kommunen einbezogen
werden und dass die Länder den Nachweis führen, was
sie eigentlich mit dem Geld machen, das wir in diesem
Jahr zur Verfügung stellen.
({6})
Wenn in Schleswig-Holstein aus diesen Mitteln, die für
die Hilfe bei der Unterbringung von Flüchtlingen gedacht sind, 240 reguläre Lehrerstellen finanziert werden,
dann ist das Missbrauch dieser Bundesmittel für die
Hilfe für Flüchtlinge, nichts anderes.
({7})
Dafür trägt dort eine grüne Finanzministerin Verantwortung, Frau Andreae. Darauf will ich gerne noch einmal
hinweisen.
Die Flüchtlingsunterbringung ist das aktuell schwierigste Thema für die Kommunen. Die Ehrlichkeit gebietet auch, zu sagen, dass uns dieses Thema nicht nur
heute und morgen, sondern längerfristig beschäftigen
wird. Aber den Kommunen wird nicht allein damit geholfen sein, wenn wir ihnen nur mehr Geld zur Verfügung stellen. Es geht bei diesem Thema um mehr. Wir
müssen auch dafür sorgen, dass der Zuzug derjenigen,
die erkennbar keinen Anspruch auf Asyl haben, gestoppt
wird und dass die Flüchtlinge, die keine Chance haben,
längerfristig zu bleiben - die Hälfte der Asylbewerber,
die Anfang dieses Jahres zu uns gekommen sind, kommen aus Ländern, in denen es keine politische Verfolgung gibt; sie kommen beispielsweise vom Balkan -, gar
nicht erst auf die Kommunen verteilt werden. Sie müssen in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder bleiben. Dafür tragen die Länder die Verantwortung. Sie
müssen nach einem zügigen Abschluss des Verfahrens
auch wieder nach Hause gebracht werden, wo sie gebraucht werden.
Das schafft Luft, damit sich die Kommunen um die
wirklich politisch Verfolgten, die um Leib und Leben
fürchten müssen, besser kümmern können als bisher.
Dazu leisten wir auch mit dem jetzt eingebrachten Gesetzentwurf Hilfe. Zweimal 500 Millionen Euro in diesem Bereich sind eine wesentliche Hausnummer. Dies
hilft den Kommunen bei der größten Herausforderung,
vor der sie aktuell stehen, ganz massiv. Auch das ist eine
gute Botschaft für die Kommunen in unserem Land.
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/4600, 18/4653 ({0}) und
18/4689 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich habe den Eindruck, dass es
dagegen keinen Widerspruch gibt. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 4:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Kleinanlegerschutzgesetzes
Drucksache 18/3994
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
Drucksache 18/4708
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/4709
Präsident Dr. Norbert Lammert
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Interfraktionell ist eine Debattenzeit von 96 Minuten
vereinbart worden. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Das Kleinanlegerschutzgesetz fügt sich ein in eine Reihe von Maßnahmen, mit denen wir neue Sicherheitsnetze um die Finanzmärkte spannen wollen, um Sparer und Steuerzahler
zu schützen.
Was haben wir bisher getan? Spätestens seit der Bankenkrise im Jahr 2008 sind wir gesetzgeberisch unterwegs, diese Sicherheitsnetze zu spannen. Wir haben angefangen mit höheren Eigenkapitalanforderungen an
Banken, wir haben Ratingagenturen reguliert, wir haben
die Finanzaufsicht gestärkt. Mit der Bankenunion, sowohl mit der gemeinsamen europäischen Aufsicht als
auch mit der gemeinsamen europäischen Bankenabwicklung, sind wir einen Schritt weiter bei der Frage, wie viel
Sicherheit es auf dem europäischen Bankensektor gibt.
Weiterhin haben wir die Versicherungsunternehmen gestärkt, indem wir auch bei ihnen die Eigenkapitalanforderungen erhöht haben. Gleichzeitig haben wir sichergestellt, dass es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen
Risiken und Chancen für alle Gruppen innerhalb der
Versicherungen gibt.
Zuletzt haben wir mit der Einlagensicherung den europäischen Sparer geschützt. Bei Schwierigkeiten einer
Bank sind in ganz Europa bis zu 100 000 Euro auf einem
Konto sicher. Wir haben auch die Auszahlungsfristen
verkürzt. In Sonderfällen - zum Beispiel nach Zahlung
einer Abfindung oder nach dem Verkauf einer Immobilie - erhöht sich die garantierte Summe auf
500 000 Euro, und das für sechs Monate.
Heute beraten wir über das Kleinanlegerschutzgesetz.
Das Kleinanlegerschutzgesetz hat ein ausgewogenes
Verhältnis zwischen Verbraucherschutz und der Ermöglichung alternativer Finanzierungsformen nicht nur für
Unternehmen, sondern auch für bürgerschaftliche Projekte zum Ziel. Diese Grundidee einte die Koalition von
Anfang an. Und das bezieht sich auch auf die zuständigen Häuser: das Bundesfinanzministerium und das Bundesjustizministerium. Ich danke ausdrücklich den beiden
Berichterstattern der Koalition, Carsten Sieling und
Frank Steffel, dass sie auf der Strecke vom Entwurf bis
zum heutigen Gesetzentwurf sehr konsensorientiert
Kompromisse im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher gefunden haben. Den Dank kann ich auch der
Opposition zuteilwerden lassen, aber ich glaube, das machen gleich die beiden Berichterstatter.
({0})
- Ja, bei dem Dank darf man gerne auch klatschen. Die
beiden haben es verdient, natürlich auch alle anderen,
die mitgewirkt haben.
Ich glaube, das, was heute vorliegt, ist ein gutes Gesetz, sowohl für Verbraucher als auch im Hinblick auf
Sozialprojekte und Crowdfunding. Es steht unter dem
Schutz der BaFin; denn erstmalig haben wir der BaFin
auch den kollektiven Schutz der Verbraucherinnen und
Verbraucher als Aufsichtsziel zugewiesen. Die BaFin
muss jetzt nicht nur auf die Finanzmärkte, sondern auch
auf die Verbraucherinteressen achten. Wir haben ihr
dazu Instrumente an die Hand gegeben: Die BaFin hat
jederzeit die Möglichkeit, den Verkauf einer Vermögensanlage bei Verstoß gegen die Transparenzvorschriften,
die wir den Anbietern und Vermittlern auferlegen, komplett zu verbieten.
Verbieten ist aber eigentlich nicht unser Hauptziel,
sondern wir wollen, dass der Verbraucher und die Verbraucherin eigenständig erkennen können, welche Risiken mit einer Anlage verbunden sind. Ich nenne da beispielhaft das Crowdinvesting. Wir wollen innovative
Ideen, und wir wollen Menschen, die diese innovativen
Ideen umsetzen. Häufig ist da der klassische Finanzierungsweg über die Banken versperrt, sodass die Möglichkeiten des Crowdinvesting genutzt werden, um
Gelder einzusammeln. Der Entwurf hatte dem schon
Rechnung getragen und bis zu einem Investitionsvolumen von 1 Million Euro eine Freistellung von der Prospektpflicht vorgesehen. Wir sind weiter gegangen und
haben gesagt: Investitionen von bis zu 2,5 Millionen
Euro sollen von der Prospektpflicht freigestellt werden.
Das ist deswegen wichtig, weil die Erstellung eines Prospekts geschätzte 50 000 Euro einschließlich des Genehmigungsverfahrens kostet. Das ist bei kleineren Projekten natürlich schon eine große Summe.
Wir haben aber auch den Anleger geschützt, indem
wir gesagt haben: Bis zu 1 000 Euro kann er ohne weitere Voraussetzungen anlegen; wenn er über diese
Summe hinausgehen will und 10 000 Euro anlegen will,
muss er zumindest über eine Selbstauskunft zeigen, dass
er sich mit den Risiken beschäftigt hat. Auch das ist für
Verbraucherinnen und Verbraucher ein großer Schutz.
Der Gesetzentwurf sah dann vor, dass Werbung für
Vermögensanlagen nach Möglichkeit nur in Printmedien
erfolgen soll. Ich kann dies insofern verstehen, als Werbung in einer Straßenbahn vielleicht auch Verbraucher
ansprechen könnte, die sich nicht so intensiv mit der Anlageform beschäftigen. Ich bin dankbar, dass wir einen
Kompromiss gefunden haben: Werbung wird auch weiterhin zum Beispiel im Internet zulässig sein, aber sie
muss mit einem deutlichen Warnhinweis versehen werden, der ausdrücklich besagt, dass man bei einer Anlage
das gesamte Vermögen verlieren kann. Wer diesen
Warnhinweis liest - das ist ein Appell an die Verbraucherinnen und Verbraucher -, möge ihn bitte auch ernst
nehmen. Denn es ist tatsächlich so, dass Investitionen
manchmal eben nicht zum Erfolg führen. Derjenige, der
Geld anlegt, muss wissen, dass er dieses Geld auch verlieren kann.
({1})
Nun zu den privaten und sozialen Projekten. Gott sei
Dank gibt es engagierte Menschen in unserer Gesellschaft. Wir sind froh über Eltern, die sich zusammentun,
um einen Kindergarten zu finanzieren. Wir freuen uns
über Gleichgesinnte, die sich zusammentun, um ein gemeinsames, soziales Wohnprojekt zu verwirklichen. Wir
wollen dieses Engagement. Aber natürlich sind auch in
solchen Projekten nicht nur seriöse und leider auch nicht
nur erfolgreiche Menschen unterwegs, sodass es eines
Schutzes derjenigen bedarf, die sich da engagieren. Aber
gleichzeitig sollen diese Projekte weiter möglich sein.
Deshalb haben wir bei sozialen Projekten die Prospektpflicht bis zu einer Schwelle von 2,5 Millionen Euro
ausgesetzt. Das macht einschließlich des Fremdkapitals
Investitionen von bis zu 10 Millionen Euro möglich. Das
ist eine Größenordnung, mit der diese Projekte in der
Regel auskommen. Wir stellen aber sicher, dass niemand
innerhalb eines solchen Projektes mit dem Vertrieb der
Anleihen durch Provisionen Geld verdienen kann. Es
soll tatsächlich der soziale, gemeinnützige Aspekt im
Vordergrund stehen. Das werden wir mit diesem Gesetz
erreichen.
Das Gleiche gilt für Projekte von Religionsgemeinschaften und andere gemeinnützige Projekte, wo ebenfalls die Schwelle zur Prospektpflicht auf 2,5 Millionen
Euro erhöht wurde. Allerdings wird hier das Investitionsvolumen in den Bilanzen mit keinerlei Höchstgrenze versehen.
Für die Bereiche des Crowdinvesting und der sozialen
und gemeinnützigen Projekte - hier geht es um eher neuere Finanzierungsformen - haben wir ein Widerrufsrecht
eingeführt. Derjenige, der da investieren möchte, kann
diese Entscheidung innerhalb von 14 Tagen widerrufen.
Das heißt, dass man spontane Entscheidungen, die man
trifft, weil man vielleicht gerade vom Nachbarn besonders beeindruckt war, widerrufen kann. Das führt zu Sicherheit für den Verbraucher. Innerhalb von 14 Tagen
kann man die Entscheidung überdenken und sein Vermögen im Zweifel zurückziehen.
Weil es sich hier um neuere Investitionsformen handelt, die auch auf europäischer Ebene diskutiert werden,
haben wir uns für 2016 eine Evaluierung vorgenommen.
Denn eine Gruppe sagt: Ihr geht gar nicht weit genug;
wir brauchen beim Crowdinvesting hinsichtlich der
Prospektpflicht eine Grenze von 5 Millionen Euro. - Die
andere Gruppe sagt: Bei den gemeinnützigen Projekten
seid ihr mit der Festlegung der Schwelle für die Prospektpflicht bei 2,5 Millionen Euro viel zu großzügig, da
drohen neue Probleme. - Wir werden Ende 2016 die
Ausnahmen von der Prospektpflicht evaluieren und prüfen, ob Nachbesserungsbedarf besteht.
Eine letzte Bemerkung zum vorliegenden Gesetzentwurf. Wir als Finanzausschuss haben uns erstmalig getraut, einen Gesetzentwurf gemeinsam mit der Gesellschaft für deutsche Sprache zu erarbeiten. Ich danke
Lothar Binding, dass er dafür die Initiative ergriffen hat.
({2})
Es ist uns an vielen Stellen gelungen, den Text lesbarer
zu machen. Insbesondere der Warnhinweis - vielleicht
geht Frank Steffel gleich noch einmal darauf ein - ist
deutlich und normal verständlich formuliert. Es mag
sein, dass es uns nicht in jedem Einzelfall gelungen ist,
eine verbraucherfreundliche Formulierung zu finden.
Vielleicht müssen wir künftig früher einsteigen. Ich kann
die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ausschüssen nur ermutigen, es auch einmal zu versuchen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesellschaft
für deutsche Sprache sind sehr kooperativ. Sie nehmen
auch Rücksicht darauf, dass Gesetzgebung häufig sehr
zügig vonstattengeht.
Ich bin sicher: Deutsche Sprache kann auch in Gesetzen eine schöne Sprache sein. Daran sollten wir auch in
diesem Parlament, das sich der deutschen Sprache gewidmet hat, arbeiten. Ich wünsche dabei viel Erfolg.
Herzlichen Dank für die Zustimmung und die Unterstützung bzw. für die kritischen Anregungen der Opposition.
Danke.
({3})
Vielen Dank. - Jetzt hat die Kollegin Caren Lay,
Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Regulierung des Grauen Kapitalmarktes
und der Schutz von Kleinanlegern sind sinnvoll und vor
allen Dingen längst überfällig.
({0})
Das sagen wir als Linke nicht erst seit Prokon. Das sagen
wir seit der Lehman-Pleite, seit der Finanzmarktkrise.
Deswegen haben wir schon vor vier Jahren Anträge eingebracht, in denen wir forderten: Der Graue Kapitalmarkt muss an die Leine gelegt werden.
({1})
Es ist nicht nur für uns als Linke ärgerlich, sondern vor
allen Dingen für die vielen, die von Prokon geprellt wurden, dass unsere Vorschläge damals nicht angenommen
wurden. Das hätte Tausenden Menschen den Verlust ihrer Geldanlagen ersparen können.
Es hat leider zu lange gedauert, aber wir freuen uns
natürlich, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auf
den Finanzmärkten besser geschützt werden sollen. Es
ist zum Beispiel ein Schritt in die richtige Richtung, die
Befugnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, also der BaFin, weiter auszubauen. Wir als Linke
fordern schon lange: Wir brauchen eine schlagkräftige
Aufsicht für die Finanzmärkte, und das heißt mindestens: eine Aufsicht, die warnen muss und nicht nur warnen kann.
({2})
Dabei darf es aus unserer Sicht jedoch nicht bleiben.
Wir fordern schon seit vielen Jahren: Wir brauchen einen
Finanz-TÜV, der dafür sorgt, dass Schrott überhaupt
nicht auf den Markt kommt. Darauf kommt es im Endeffekt an. Am besten wäre es also, die Produkte vor der
Zulassung zu prüfen. Wir stehen mit unserer Kritik nicht
alleine da. Ich darf an die Anhörung im März erinnern.
Dort hat beispielsweise Professor Oehler es ganz gut auf
den Punkt gebracht: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen Sie es maximal, dass der Graue Kapitalmarkt von dunkelgrau in hellgrau wechselt. Dabei darf
es nicht stehen bleiben. Der Graue Kapitalmarkt ist ein
Sumpf, den man trockenlegen muss.
({3})
Neben der deutlichen Vereinfachung von Produkten,
die er fordert, und neben der Definition von Mindestanforderungen kritisiert er auch völlig zu Recht die Zersplitterung der Aufsicht. Ich habe wirklich kein Verständnis dafür, dass die Koalition nicht die Chance
genutzt hat, dieses unsinnige Nebeneinander von Gewerbeaufsicht und BaFin bei der Kontrolle von Finanzprodukten aufzulösen.
({4})
Die vielen freien Finanzvermittler bleiben weiterhin der
laxen Gewerbeaufsicht unterstellt, die fachlich nicht ausgebildet ist. Dort gehört die Aufsicht nun wirklich nicht
hin. Wir sagen auch: Solange die Zuständigkeiten nicht
konzentriert werden, brauchen wir nicht von einer effektiven Aufsicht zu sprechen.
Ich möchte einen Punkt ansprechen, der für uns als
Linke besonders wichtig ist und der auch in der Debatte
eine große Rolle gespielt hat: Es geht um die sozialen
Projekte aus dem Bereich der solidarischen Ökonomie.
Beinahe wäre hier das Kind mit dem Bade ausgeschüttet
worden. Bei aller Notwendigkeit, die wir natürlich sehen, den Grauen Kapitalmarkt zu regulieren und die
Kleinanleger zu schützen, muss man unterscheiden zwischen denen, die auf Kosten der Kleinanleger eine
schnelle Mark machen wollen, und denen, die Geld einsammeln, um Dorfläden, Konsumgenossenschaften oder
freie Schulen zu gründen,
({5})
oder, wie das Mietshäuser Syndikat, Häuser vom Markt
nehmen, um Wohnraum zu günstigen Mieten anzubieten, und das - das ist das Entscheidende - ohne Profitstreben, ohne Provision und ohne professionellen
Vertrieb. Ich freue mich, dass es viele Projekte der solidarischen Ökonomie gibt, bei denen Bürgerinnen und
Bürger Gemeinsinn über Profitstreben stellen. Solche
Projekte müssen anders behandelt werden als windige
Geschäftemacher.
({6})
Wir haben deswegen eine Vertreterin des Mietshäuser
Syndikats in die Anhörung eingeladen, die dort aus ihrer
Sicht - Pars pro Toto - die vielen Projekte der solidarischen Ökonomie vorstellen konnte. Ich möchte an dieser
Stelle sagen, dass ich es gut finde, dass die Koalition
sich das angehört hat und sich offen gezeigt hat, das Anliegen dieser Initiativen ernst zu nehmen.
Die Kriterien für die solidarische Ökonomie hätten
wir im Detail anders geregelt - zwei habe ich genannt -,
trotzdem glaube ich, dass jetzt bei vielen Projekten die
Existenzängste genommen werden können. Ich hoffe,
dass viele Mieterinnen und Mieter, viele Dorfläden und
Konsumgenossenschaften davon profitieren. Ich weiß,
dass Forderungen gestellt werden. Das Mietshäuser Syndikat zum Beispiel sagt, ein Volumen von 2,5 Millionen
Euro reiche nicht, wenn man in einer deutschen Großstadt investieren möchte. Ich denke, darüber müssen wir
im Zuge der Evaluation noch einmal debattieren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss auf einige Punkte zu sprechen kommen, die aus
meiner Sicht für den Schutz der Verbraucherinnen und
Verbraucher relevant sind. Wenn Verbraucherinnen und
Verbraucher wirklich eine mündige Entscheidung treffen
sollen, dann brauchen sie verständliche, vor allen Dingen aber vergleichbare Informationen. Die Prospekte
sind für die Endverbraucherinnen und -verbraucher leider häufig zu umfangreich und zu unverständlich. Diese
Prospekte sind auch kein Garant. Wir wissen zum Beispiel, dass Prokon ein solches Prospekt hatte. Wir Verbraucherpolitikerinnen und Verbraucherpolitiker kennen
diese Debatte von den sogenannten Beipackzetteln, also
von den Produktinformationsblättern bei Wertpapieren.
Sinnvoll wäre ein kurzes, vor allen Dingen standardisiertes Informationsblatt für Vermögensanlagen, das jeder
und jede versteht. Hier muss aus unserer Sicht noch
nachgebessert werden.
({7})
Heute wird die lange Leine, an der der Graue Kapitalmarkt leider jahrelang geführt wurde, um ein paar Zentimeter gekürzt. Das ist kein großer Wurf, aber ein Schritt
in die richtige Richtung. Deswegen werden wir uns der
Stimme enthalten.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank. - Für die Bundesregierung hat jetzt der
Bundesminister Heiko Maas das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! In Zeiten niedriger Zinsen oder mittlerweile sogar negativer Zinsen suchen Menschen neue Anlageformen für ihr Geld. Das ist völlig nachvollziehbar. Wir
müssen aber dafür sorgen, dass der Verbraucherschutz
mit dieser Entwicklung Schritt hält. Das war, wie wir
finden, bisher nicht der Fall. Bisher war der Schutz der
Verbraucher gerade dort schwach, wo das Risiko hoch
gewesen ist, zum Beispiel am Grauen Kapitalmarkt.
Welch verheerende Folgen das haben kann, hat der
schon erwähnte Fall Prokon sehr deutlich gezeigt. Ich
will aber darauf hinweisen, dass die Ziele, die wir mit
der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs erreichen
wollen, schon vor dem Fall Prokon im Koalitionsvertrag
festgelegt wurden. Der Fall Prokon hat die Notwendigkeit lediglich ganz besonders deutlich gemacht und gezeigt, wie dringlich der Gesetzentwurf, den wir jetzt vorlegen, ist.
({0})
Wir sorgen damit für mehr Transparenz, wir verbessern
den Schutz der Anleger, und wir stärken - das ist wichtig
für die Durchsetzbarkeit - die Aufsicht über den Markt.
Der Verkaufsprospekt ist sicherlich das zentrale Instrument, um Transparenz bei der Vermögensanlage zu
erreichen. Er soll dem Publikum eine zutreffende Beurteilung des Anbieters und der Anlage ermöglichen. Das
kann aber nur klappen, wenn die gesetzliche Pflicht, einen Prospekt zu erstellen, tatsächlich greift. Bislang ist
sie durch die Gestaltung der Verträge - und dafür gab es
bedauerlicherweise viele Möglichkeiten - häufig umgangen worden. Genau das verhindern wir jetzt. Wir
schließen ein Schlupfloch, und wir machen es richtig
dicht. Wir machen die Prospekte vor allen Dingen aussagekräftiger. Frau Lay, wir verpflichten die Anbieter zum
Beispiel, personelle Verflechtungen offenzulegen. Wenn
derjenige, der die Anlage vertreibt, letztlich identisch ist
mit demjenigen, dem das Kapital zufließt, dann sollten
die Anleger das zumindest wissen.
Schließlich führen wir auch einen Warnhinweis ein.
Auch das ist mehr als sinnvoll. Denn aus der Verhaltensforschung wissen wir, dass Menschen bei Vermögensanlagen dazu neigen, Chancen zu überhöhen und Risiken
zu ignorieren. Deshalb wird in Zukunft ein Satz ganz
deutlich im Prospekt stehen - ich will ihn einmal zitieren; ich denke, er ist für jeden verständlich -:
Der Erwerb dieser Vermögensanlage ist mit erheblichen Risiken verbunden und kann zum vollständigen Verlust des eingesetzten Vermögens führen.
Neben mehr Transparenz sorgen wir auch für einen
besseren Schutz der Verbraucher. Dazu verbieten wir
zum Beispiel - das halte ich für ganz wesentlich - die
Nachschusspflichten voll und ganz. In Zukunft sind Zahlungspflichten über die Einlage hinaus grundsätzlich
nicht mehr erlaubt. Damit schützen wir Verbraucherinnen und Verbraucher davor, dass sie am Ende doch mehr
Geld investieren müssen, als sie tatsächlich wollen.
Gute Regeln nützen aber nur wenig, wenn ihre Einhaltung nicht auch effektiv überwacht wird. Deshalb
stärken wir ganz besonders die staatliche Aufsicht über
den Finanzmarkt. Die BaFin soll sich in Zukunft nicht
nur um die Stabilität von Finanzinstituten kümmern,
sondern auch um die kollektiven Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Der Finanzmarkt besteht
nicht nur aus Banken, Fonds und Händlern, sondern
auch aus vielen Tausend Kleinanlegern. Auch für sie
wird die BaFin in Zukunft da sein.
({1})
Das ist wichtig und für den Verbraucherschutz eine Art
Paradigmenwechsel. Denn die BaFin kann künftig Warnungen veröffentlichen. Im Extremfall kann sie sogar
einzelne Produkte ganz verbieten. Damit kann sie die
schwarzen Schafe aussondern. Das liegt im Ergebnis
auch im Interesse der Herde, nämlich der vielen seriösen
Anbieter, die es auf dem Markt gibt.
Bei alldem stellen wir auch eines sicher: Bei bürgerschaftlichem Engagement - das ist eben schon angesprochen worden - oder bei sogenanntem Crowdinvesting
bleibt auch in Zukunft eine unbürokratische Finanzierung möglich.
({2})
Das ist uns wichtig gewesen. Deshalb haben wir die entsprechenden Schwellenwerte noch einmal kräftig angehoben. Wenn etwa ein Sportverein eine neue Turnhalle
bauen will, dann kann er künftig bis zu 2,5 Millionen
Euro einsammeln, ohne dass er die strengen Vorgaben
des Anlegerschutzes beachten muss. Das wird auch in
Zukunft entsprechende Projekte möglich machen. Allerdings gibt es eine wichtige Voraussetzung: Beim Vertrieb solcher Anlagen dürfen keine Provisionen fließen.
Außerdem kann jeder Anleger seine Beteiligung - auch
das halte ich für eine nicht unwichtige Verbesserung, die
in den Beratungen in den Gesetzentwurf eingefügt werden konnte - innerhalb von 14 Tagen widerrufen. Das ist
ein fairer Ausgleich aller Interessen.
Dieses Gesetz sorgt insgesamt für mehr Ordnung auf
dem Finanzmarkt. Das ist gut. Das hat damit zu tun, dass
wir den unseriösen Anbietern das Handwerk deutlich erschweren. Das schafft mehr Sicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher und damit auch deutlich
mehr Vertrauen in den Markt. Deshalb ist dieses Gesetz
so wichtig.
Ich bedanke mich für die außerordentlich konstruktiven Beratungen hier im Parlament, und ich danke Herrn
Dr. Meister für die außerordentlich gute Zusammenarbeit mit dem BMF. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Als Nächstes hat Dr. Gerhard Schick,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörinnen und Zuhörer! In den letzten Wochen
konnte man bei den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf manchmal den Eindruck haben, als sei gute Politik
für Verbraucherinnen und Verbraucher etwas, das im Gegensatz steht zu der Förderung von gemeinnütziger
Wirtschaft, von sozialen Initiativen, von bürgerschaftlichem Engagement im wirtschaftlichen Bereich. Wir
Grünen meinen: Das ist nicht so. Vielmehr sind wir da9506
von überzeugt, dass gute Verbraucherpolitik für die verschiedenen Lebensbereiche passgenau sein muss, dass
Verbraucherinnen und Verbraucher, dass Anlegerinnen
und Anleger immer wissen müssen, um was es geht, und
dass man hier zu einem sinnvollen Ausgleich kommen
kann. Genauso wie es bei der Bankenregulierung wenig
sinnvoll ist, für die kleine Volksbank dieselben Regeln
wie für die große Deutsche Bank zu treffen, ist es wenig
sinnvoll, für große Fonds und kleine soziale Projekte vor
Ort dieselben Regeln zu haben. Wir sind froh, dass es
uns gemeinsam mit vielen sozialen Initiativen gelungen
ist, in diesem Gesetzgebungsverfahren an vielen Stellen
einen guten Ausgleich hinzubekommen.
({0})
Diese Gesetzgebungsinitiative wurde nach dem Prokon-Skandal ergriffen. Erlauben Sie mir daher einen kurzen Rückblick. Es ist gut, dass die BaFin jetzt endlich
die Zuständigkeit für den kollektiven Verbraucherschutz
bekommt und sich darum kümmern soll. Es ist richtig,
dass sie auch einzelne Produkte aus dem Verkehr ziehen
kann. Aber die Frage ist: Warum braucht es immer erst
einen neuen Skandal? Wir waren eigentlich schon in der
letzten Legislaturperiode an dieser Stelle der Debatte.
Damals war eine Lösung aber leider noch nicht möglich.
({1})
Es ist gut, dass dies jetzt gelungen ist. Ich hoffe, dass wir
die bestehenden Lücken noch schließen können.
Ich möchte für meine Fraktion ausdrücklich begrüßen, dass das Verbot von Nachschusspflichten aufgenommen und die Verjährungsfristen angepasst worden
sind; das ist richtig und sinnvoll. Auch der Warnhinweis
ist gut formuliert. Wir müssen jetzt hoffen, dass die Umsetzung klappt und die BaFin, also die Finanzaufsichtsbehörde, ihre neuen Kompetenzen wirklich sinnvoll
nutzt. Darauf werden wir achten müssen.
Uns war ein besonderes Anliegen, dass Projekte des
bürgerschaftlichen Engagements und gemeinnützige
Projekte adäquat und passgenau in diesen Gesetzentwurf
eingefügt werden. Das war am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens nicht der Fall. Es war gut, dass viele
protestiert und gesagt haben: So geht es nicht. - Denn
wo stünden wir bei der Energiewende, wenn es nicht
viele bürgerschaftliche Initiativen und viele Genossenschaften gäbe? Wie sähe es auf dem Wohnungsmarkt
aus, wenn wir alles nur den großen und sich immer weiter konzentrierenden Konzernen überlassen würden? Wir
brauchen diese Gegengewichte in unserer Wirtschaft
ganz dringend.
({2})
An ein paar Stellen sind allerdings Lücken geblieben,
die ich kurz benennen will; denn wir werden dem Gesetzentwurf letztlich nicht zustimmen, sondern uns enthalten, weil es diese Lücken gibt. Ich will zum einen das
Thema Crowdinvesting nennen. Wir finden es wichtig,
dass die Schwelle angehoben worden ist; denn innovative Projekte brauchen innovative Finanzierungsmöglichkeiten. Aber als Gegengewicht hätte es dringend eine
Regulierung der Plattformen gebraucht. Das kann man
nicht den Gewerbeaufsichtsämtern überlassen, da diese
dafür nicht die nötige Kompetenz haben. Es ist wichtig,
dass Provisionen und Zuwendungen offengelegt werden,
auch in diesem Bereich. Hier muss Transparenz geschaffen werden. Dazu ist aber keine Regelung getroffen worden. Wir brauchen hier, wie auch bei anderen
Wertpapierdienstleistungsunternehmen, eine Pflicht zur
getrennten Vermögenswahrung. Gerade für Fälle, in denen es um viel Geld geht, müssen klare Regeln getroffen
werden. Das fehlt.
({3})
Dasselbe gilt im Hinblick auf die Frage: Wie sehen eigentlich die Prospekte aus? Es kann nicht sein, dass wir
nur über Ausnahmen in einem Bereich reden, sondern
wir müssen insgesamt feststellen: Die gesetzlich vorgeschriebenen Wertpapierprospekte dienen der Freizeichnung der Anbieter, die sich rechtlich gegen alles absichern können, aber nicht wirklich zur Information für
die Menschen, die ihr Geld geben. Wir sind uns da weitgehend einig.
Ich finde, es wäre nötig gewesen, in diesem Gesetzgebungsverfahren zumindest einen klaren Pfad vorzuzeichnen, der deutlich macht, dass wir diese Kritik ernst nehmen und endlich zu einer Standardisierung der Prospekte
kommen wollen. Wertpapierprospekte müssen verständlicher und kürzer werden; dann können sie vielleicht
auch billiger werden. Dadurch kommen wir in den verschiedenen Bereichen unserer Wirtschaft zu einer guten
Verbraucherpolitik, die dazu führt, dass der Verbraucher
bzw. der Anleger immer auf Augenhöhe mit dem Anbieter ist. Das ist unser Ziel.
Danke schön.
({4})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion erhält
jetzt der Kollege Dr. Hans Michelbach das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit dem Ausbruch der internationalen Finanzund Wirtschaftskrise im letzten Jahrzehnt haben wir national und international auf vielen Ebenen mit einem
ganzen Bündel von Maßnahmen Vorsorge getroffen, um
eine Wiederholung der Schieflage des Finanzsystems
möglichst zu verhindern, um aber zumindest zu verhindern, dass die Staaten und damit letztendlich die Steuerzahler erneut einspringen müssen, um die Fehler von Finanzkonzernen und ihren Managern auszubügeln.
Das Regulierungspaket umfasst mittlerweile fast
40 Maßnahmen und Gesetze. Das ist ein Spannungsfeld;
denn die einen sagen: „Das ist zu viel“, und die anderen
sagen: „Das ist zu wenig“. Deshalb werden wir die Wirkungen immer wieder auf den Prüfstand stellen. Ich
glaube, es ist wichtig und richtig, dass man diesen Prozess als Gesetzgeber immer wieder begleitet. Das tun
wir intensiv. Vielen Dank dafür!
({0})
Zu den Korsettstangen und Leitplanken für die Finanzbranche gehören auch eine Stabilität des Grauen
Kapitalmarktes und ein wirksamer Anlegerschutz. Damit meine ich vor allem den Schutz der Kleinanleger.
Wir setzen heute daher Akzente bei der Transparenz von
Vermögensanlagen. Wir erhöhen die Anforderungen an
die Anbieter und Vermittler. Wir verschärfen die Prospektpflichten und sehen eine erweiterte Rechnungslegung bei Emittenten vor. Und wir setzen Akzente, indem
wir den kollektiven Verbraucherschutz als weiteres Aufsichtsziel der BaFin ergänzen.
Wir schaffen heute im Spannungsfeld zwischen den
Produkten der Vermögensanlagen und dem Verbraucherschutz praxisnahe Lösungen. Wir dienen damit der Akzeptanz des Finanzmarktes in der breiten Bevölkerung.
Hier ist ja auch Vertrauen, eine Vertrauensbasis notwendig. Natürlich müssen wir, was den Anlagemarkt betrifft,
fachlich immer differenzieren. Die großen Player auf
den Finanzmärkten verfügen über nahezu jegliche Information, die für ihre Investitionsentscheidung von Belang
ist. Kleinanleger verfügen über diese Informationszugänge oft nicht oder nur ungenügend. Für sie ist Vertrauen in die Produkte eine ganz zentrale Währung. Sie
müssen sich darauf verlassen können, dass sie nicht
übers Ohr gehauen werden, wenn sie auf der Suche nach
lohnenden Anlagemöglichkeiten sind.
Hier hat der Gesetzgeber die wichtige Rolle wahrzunehmen, die Risiken und Chancen eines freien Marktes
offen und ehrlich zu beschreiben; darauf kommt es an.
Wir dürfen dem Kleinanleger nichts vormachen; deshalb
an dieser Stelle noch einmal klar und deutlich: Dieses
Gesetz ist kein Sorglosigkeitsgesetz für Kleinanleger.
Dieses Gesetz schafft zwar mehr Klarheit und Durchblick; der Anleger bleibt für seine Entscheidung aber
nach wie vor selbst verantwortlich. Eigenverantwortung
gehört auch in Zukunft zur freien Marktwirtschaft,
meine Damen und Herren. Der Staat, der Gesetzgeber ist
weder das Kindermädchen noch der Vormund der Bürgerinnen und Bürger; das muss man ehrlich und offen
sagen.
({1})
Der Fall Prokon wurde wieder angesprochen. Tatsache ist, dass es dort den klaren Warnhinweis gab: Totalverlust ist möglich. - Trotzdem wurde gezeichnet; das ist
die Situation. Auch die BaFin hätte sich schon früher mit
dem Fall befassen können.
({2})
Auch dieses Gesetz enthebt die Anleger nicht der
Pflicht, selbst zu prüfen und verantwortlich zu entscheiden. Dieses Gesetz wird aber dafür sorgen - das sollte
man ehrlich voranstellen -, dass Kleinanleger ihre Entscheidung auf einer deutlich besseren Informationsbasis
treffen können und die Produkte einer Regulierung unterzogen werden.
({3})
Dieses Gesetz kann - auch das müssen wir ehrlich ansprechen - jedoch ein anderes Problem nicht aus der
Welt schaffen, das wesentlich zu Verlusten durch risikoreichere Anlagen geführt hat: die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Sie hat dazu geführt, dass mit sehr
sicheren Anlagen praktisch keine Rendite mehr zu erzielen ist. Eine solche Zinspolitik, die Zinshöhe und Risiko
voneinander entkoppelt, muss auf Dauer zu schweren
Fehleinschätzungen bei den Risiken führen; das ist automatisch so. Sie führt vor allem dazu, dass klassische
Vorsorgeinstrumente entwertet werden, ja dass Vorsorge
insgesamt entwertet wird. Das ist natürlich eine große
Gefahr. Mit ihrer Nullzinspolitik treibt die EZB jene geradezu ins Abenteuer, die auf der Suche nach Anlagen
für die Vorsorge sind, mit denen sie wenigstens noch
eine kleine Rendite erzielen wollen, und Vermögensverluste vermeiden wollen. Dies ist eine Zins- und Geldpolitik, die meiner Ansicht nach an keiner Stelle zu positiven Ergebnissen führt oder auch nur führen kann. Sie
erzeugt bei unseren Anlegern geradezu einen Kollateralschaden bei der Altersvorsorge und beim Vermögensaufbau - auch das gehört dazu - und ist gewissermaßen eine
Anstachelung der Rendite- und Risikofreudigkeit der
Anleger. Sie erhöht die Gefahr, dass mangelnde Vorsicht
bei den Anlegern angestachelt wird und daraus neue Vermögensverluste erwachsen. Vor diesen Folgen der Politik der EZB kann dieses Gesetz leider keinen Schutz bieten. Auch das gehört zur Ehrlichkeit. Dagegen würde nur
ein grundlegender Kurswechsel der EZB helfen, der bedauerlicherweise aber nicht in Sicht ist.
Dennoch haben wir im vorliegenden Gesetzentwurf
praxisnahe Lösungen gefunden, die gleichzeitig einen
hohen Anspruch an das Schutzniveau der Kleinanleger
stellen. Hierzu möchte ich kurz das Crowdinvesting herausgreifen - es ist bereits angesprochen worden -, bei
dem wir das Risiko für Kleinanleger bei Selbstauskunft
auf 10 000 Euro begrenzen. Die Start-up-Branche wird
durch eine Befreiung von der Prospektpflicht bis
2,5 Millionen Euro gestärkt und damit wettbewerbsfähiger gemacht. Das ist ein wesentlicher Punkt. Wir haben
für die sozialen Projekten und die gemeinnützigen Organisationen eine Lösung gefunden. Ebenso haben wir für
das Crowdlending und die Genossenschaften praxisnahe
Lösungen gefunden.
Nun ist es nicht so, dass dieses Parlament in der Vergangenheit auf dem Gebiet des Anlegerschutzes untätig
gewesen wäre. Ich erinnere in diesem Zusammenhang
auch an das Vermögensanlagengesetz. Aber, verehrte
Kolleginnen und Kollegen, wir haben erleben müssen,
dass Anleger in jüngster Zeit als Folge von Vermögensanlagen auf dem sogenannten Grauen Kapitalmarkt zum
Teil erhebliche Vermögensverluste hinnehmen mussten.
Dieses Gesetz wird für mehr Transparenz, Prüfung und
Sicherheit für die Anlegerinnen und Anleger sorgen. Das
ist ein hehres Ziel, es ist ein wichtiges Etappenziel, das
wir heute erreichen, und darauf können wir stolz sein.
Ich möchte insbesondere auch den Koalitionskollegen, die damit befasst waren, danken: Herr Dr. Steffel
und Herr Dr. Sieling, es war großartig, was Sie hier als
Kompromiss und als fachliches Ziel formuliert und letzten Endes auch für uns als Lösung für die Zukunft geschaffen haben. Herzlichen Dank dafür, alles Gute!
Danke.
({4})
Vielen Dank. - Die nächste Rednerin ist Susanna
Karawanskij, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Schwarz, Grau, Weiß - das sind die dominanten Farben in der Diskussion bzw. in der Finanzbranche. Klar, es gibt schwarze Schafe in der Finanzbranche,
es gibt immer noch einen kaum regulierten Grauen Kapitalmarkt, und es gab viel zu lange ein weißes Blatt, weil
sich die Bundesregierung unschlüssig war und sich zögerlich verhielt, wenn es um den Schutz der Kleinanleger ging. Nun, nach den Skandalen unter anderem um
Prokon, nimmt man sich endlich des Kleinanlegerschutzes an und will den Verbraucherschutz stärken. Da
macht man sich endlich, wenn auch zaghaft, an die Regulierung des Grauen Kapitalmarktes. Genau das ist das
Spannungsverhältnis, vor dessen Hintergrund dieser Gesetzesentwurf bewertet werden muss. Es ist klar, dass es
immer wieder schwarze Schafe geben wird, die ebenso
hehre wie haltlose Versprechungen machen und Anleger
vor allen Dingen abzocken wollen.
Es ist wichtig, dass wir vor diesem Hintergrund vor
allen Dingen die Türen vor unseriösen Machenschaften,
vor unseriösen Anbietern geschlossen halten. Darauf haben wir als Linke in der Vergangenheit geachtet, und
dazu haben wir Anträge eingebracht. Dafür werden wir
auch in Zukunft Sorge tragen.
({0})
Es gibt in diesem Gesetzentwurf Licht und Schatten. Das
Licht beschreibt die Große Koalition selbst, sie hat genug Zeit dafür.
Ich werde mich vor allen Dingen auf die Schattenseiten konzentrieren.
({1})
Ich möchte zuerst einmal ein paar Punkte aufgreifen, die
hier eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben:
Es bedarf einer einheitlichen Finanzaufsicht durch die
BaFin, wenn es um den Kleinanlegerschutz geht. Das
Nebeneinander der Aufsicht der Gewerbeämter und der
BaFin in der Anlagevermittlung ist eigentlich unsinnig
und unverständlich. Das nützt den Verbrauchern überhaupt nichts.
Auch in Bezug auf die Schwarmplattformen bzw.
Crowd-Plattformen, die eigentlich nur Vermittler sind,
also Intermediäre, gibt es Nachbesserungsbedarf, und
ich bin sehr gespannt, was die Bundesregierung bzw. die
Große Koalition hier nachliefern wird. Wir brauchen
eine Registrierungspflicht für diese Plattformen.
({2})
Die Anforderungen an die Qualität dessen, was auf diesen Onlineplattformen angeboten wird, müssen standardisiert und eingehalten werden, damit die Kleinanlegerinnen und Kleinanleger Sicherheit haben.
Sie werden auch bei den Haftungsfragen nachbessern
müssen,
({3})
und das muss wiederum in Verbindung mit einer verstärkten Kontrolle seitens der BaFin gebracht werden.
Hier wäre ein Plattform-TÜV, der auch in der Anhörung
genannt wurde, notwendig und wünschenswert. Wir hoffen, dass es hier eine Nachsteuerung geben wird.
In Zukunft werden Sie auch bei den Prospekten, die
verpflichtend sind, nachbessern müssen. Zum einen sollten diese kostengünstiger gestaltet werden. Es ist unlogisch und unbegreiflich, dass diese Prospekte bis zu
50 000 Euro kosten, wodurch sozialen Projekten das
Wasser abgegraben werden kann. Zum anderen müssen
diese Prospekte auch materiell und nicht nur auf Vollständigkeit geprüft werden. Daneben - das wurde in der
Debatte auch schon gesagt - muss es hier eine Standardisierung der Prospekte durch die Aufnahme entsprechender Inhalte geben, um überhaupt eine Vergleichbarkeit
zu erreichen.
({4})
Außerdem brauchen wir Klarheit darüber, welche
Rechtsfolgen entstehen und welche Sanktionen verhängt
werden, wenn kein gültiger Prospekt vorliegt. Das Recht
auf Rückabwicklung wäre ein wichtiger Schritt für den
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({5})
Wir brauchen vor allen Dingen ein Umdenken hin zu
einer präventiven Finanzmarktregulierung. Meine Kollegin Caren Lay hat es bereits genannt: Wir brauchen einen Finanz-TÜV, sodass wir nicht immer wieder hinterherhinken und nachsteuern, sondern damit hochriskante
Papiere - der ganze Finanzschrott - vor einer Zulassung
überprüft werden und gegebenenfalls erst gar nicht auf
den Markt kommen.
({6})
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um auf ein Problem in der Zukunft hinzuweisen. Es geht um die Genossenschaften, die gerade regional wichtige Institutionen
sind, ihre Strapazierfähigkeit in der Bankenkrise unter
Beweis gestellt haben und vor allen Dingen wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedürfnisse miteinander vereinen. Das sage ich jetzt nicht nur als Abgeordnete aus
Nordsachsen, wo Hermann Schulze-Delitzsch die Genossenschaften als Rechtsform begründet hat, in Delitzsch,
und ein Jahr später, 1850, die erste Konsumgenossenschaft von allen Bürgern, Arbeitern und Handwerkern
gegründet wurde, sondern vor allen Dingen, weil die
Genossenschaften möglicherweise ein Schlupfloch aufweisen, sodass sie zum Spielball von finanzgetriebenen,
spekulativen Kapitalinteressen werden können.
Es ist schlüssig, dass Genossenschaften ihren Mitgliedern Finanzprodukte auch ohne die bestehenden Prospektpflichten anbieten dürfen, aber ich möchte bereits
heute davor warnen, dass sich nun vermehrt Genossenschaften mit dem Ziel gründen, ihren Mitgliedern - durch
den Kauf entsprechender Anteile wird man zum Genossenschaftsmitglied - innerhalb dieses Genossenschaftsmantels vor allen Dingen hochriskante Nachrangdarlehen aufzudrücken. Dadurch wird der Gedanke von
Solidarität und Hilfe ausgehöhlt, und dadurch werden
die Genossenschaften diskreditiert. Der Schutz, den
diese Rechtsform eigentlich den Kleinanlegern bietet,
wird geschwächt, und Schutz wird dann nur noch als
Schutz vor Kontrolle wahrgenommen.
Hierauf werden wir in Zukunft ein wachsames Auge
haben. Erste Fälle von Missbrauch sind bereits bekannt.
Wir als Linke wollen verhindern, dass Genossenschaften
von unseriösen Anbietern missbraucht werden und Nischen genutzt werden, um solche Rechtsformen zu diskreditieren.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt
Dr. Carsten Sieling das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Debatte macht sich eine große Zufriedenheit breit: Man
spürt, dass an diesem Gesetzentwurf gemeinsam gearbeitet worden ist. Ich will zum Ausdruck bringen, dass
ich mich über diese Zusammenarbeit und über dieses
gute Ergebnis sehr freue. Es ist aber vor allem wichtig,
dass wir diesen Gesetzentwurf für die Menschen im
Lande erarbeitet haben, um den Verbraucherschutz zu
stärken und gleichzeitig soziales, gesellschaftliches und
wirtschaftliches Engagement in seiner Entwicklung zu
fördern. In diesem Sinne muss man diese große Zufriedenheit sehen.
Kollegin Karawanskij hat hier von Licht und Schatten
gesprochen. Ich werde gleich einige Punkte, die Sie als
Schatten kritisiert haben, ansprechen. Ich kann mir aber
den Hinweis nicht verkneifen, dass die Koalition heute
Petrus auf ihrer Seite hat: Der Verbraucherschutz ist in
diesem Gesetzentwurf so stark verankert, dass als Folge
die Sonne ohne Unterlass scheint. Ich finde, das ist für
unser Vorhaben ein schönes Zeichen.
({0})
Ich will in diesem Zusammenhang den Kompass ansprechen, der uns nicht nur in den parlamentarischen Beratungen begleitet und geleitet hat, sondern auch in
dem Entwurf der Bundesregierung von Bundesminister
Heiko Maas und Bundesminister Schäuble seine Wirkung gezeigt hat. Dieser Kompass soll dazu beitragen,
auf der einen Seite den Anlegerschutz zu stärken und auf
der anderen Seite wirtschaftliches und gesellschaftliches
Engagement nicht zu erschweren.
Ich will auch gerne - das ist mir das Wichtigste - auf
den zentralen Punkt und auf das langfristige Ziel - das
ist meines Erachtens ein strategisch entscheidender
Punkt - in diesem Gesetzentwurf hinweisen. Es ist die
Tatsache, dass die BaFin, die deutsche Finanzaufsicht,
zukünftig nicht nur für die Anbieter, sondern auch für
den Verbraucherschutz zuständig ist.
Kollege Schick hat darauf hingewiesen, dass wir nicht
nur in der letzten Legislaturperiode, sondern auch in den
Jahren davor hier im Hause immer wieder darüber diskutiert haben - wir haben uns in diesem Zusammenhang
auch mit vielen Sorgen auseinandergesetzt -, ob mit einer solchen Regelung nicht eine Staatshaftung für riskante Produkte einhergeht. Diese Sorge konnten wir aus
dem Weg räumen. Damit haben wir hier eine systematische Entwicklung. Diese moderne Finanzaufsicht ist
nicht durch Skandale - Stichwort „Prokon“ - zustande
gekommen, sondern sie ist Folge einer bewussten politischen Entscheidung auf der Grundlage des Koalitionsvertrages. Wir als Sozialdemokraten hatten hieran ein
besonderes Interesse.
Ich will das einmal einordnen: Wir haben den
Kleinanlegerschutz in den Blick genommen. Wir haben die BaFin gestärkt. Wir haben für die Einführung
der Finanzmarktwächter gesorgt und viele andere wichtige Sachen auf den Weg gebracht. So muss das sein.
Das ist der richtige Weg.
({1})
Eine Reihe von Themen sind im Rahmen des Verbraucherschutzes aufgegriffen worden - meine Vorrednerinnen und Vorredner haben das schon genannt -, etwa
dass Nachrangdarlehen in die Regulierung einbezogen
werden, sodass wir insgesamt dafür sorgen, Fehlentwicklungen bei privatem Engagement zu vermeiden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang - mit diesem
Punkt haben sich viele meine Vorrednerinnen und Vorredner auseinandergesetzt - unser Ziel ansprechen - das
will ich sehr deutlich sagen -, soziale Aktivitäten, genossenschaftliche Aktivitäten, gemeinnützige Aktivitäten,
aber auch wirtschaftliche Aktivitäten von Unternehmensgründern und anderen nicht einzuengen, sondern
ihnen mehr Spielraum zu geben. Sehr konkret haben wir
deshalb die Grenze für die Prospektpflicht von 1 Million
Euro auf 2,5 Millionen Euro erhöht. Aber ich darf an
dieser Stelle sagen, weil das ein bisschen unterzugehen
scheint: Es ist natürlich niemandem verboten, für sein
Projekt mehr Geld einzusammeln. Aber dann gilt die
Prospektpflicht. Dann sind gewisse Regulierungsvorgaben zu erfüllen. Dafür gibt es kein Verbot; allerdings
muss man dann einiges auf den Tisch legen. Damit wird
die Sicherheit erhöht und das Risiko erkennbar. Das ist
das Ziel, um das es uns geht.
({2})
Wir haben die Grenze deshalb angehoben, weil uns
die Auskunft gegeben wurde, dass die Prospektpflicht
mit Kosten in Höhe von ungefähr 50 000 Euro verbunden ist. Das muss man in Relation zueinander setzen.
Lassen Sie mich darauf etwas Zeit verwenden, damit
dieser Zusammenhang klar ist und auch klar wird, warum wir nicht höher angesetzt haben, beispielsweise bei
der 4-Millionen-Euro-Grenze, die die Grünen ausdrücklich empfehlen.
Mit 2,5 Millionen Euro, die man einsammeln kann,
kann man nach allgemeiner wirtschaftlicher Einschätzung bei Kreditaufnahme insgesamt 7 Millionen bis
10 Millionen Euro mobilisieren. Wenn man 10 Millionen Euro mobilisiert, entsprechen die 50 000 Euro Kosten einem Anteil von einem halben Prozent. Bezogen auf
die 2,5 Millionen Euro beträgt der Anteil 2 Prozent. Das
ist eine vertretbare Relation.
Kollege Schick und auch Kollegin Lay haben gesagt:
Wir wollen die kleinen sozialen Projekte schützen. - In
der Tat, das wollen wir, und wir wollen den jungen Unternehmern, die das sogenannte Crowdfunding nutzen
- dafür bietet das Internet entsprechende Möglichkeiten -, eine Chance geben. Aber ich darf auf eines hinweisen: Wenn man eine Grenze von 4 Millionen Euro
oder, wie Großbritannien, von 5 Millionen Euro vorsieht, dann kommt man durch die Hebelung, wie man in
der Finanzwirtschaft sagt, sehr schnell zu einer Größenordnung von 15 Millionen bis 20 Millionen Euro. Dann
stellt sich die Frage, ob die Regulierungsvorgaben und
die Prospektpflicht nicht mehr gelten sollen. Wir finden
diese Größenordnung zu hoch. Wir finden, die vorgesehene Grenze ist wirtschaftlich vernünftig und dem Verbraucherschutz dienend richtig gesetzt worden, meine
Damen und Herren.
({3})
Meine Redezeit läuft ab. Da es schon vielfach gesagt
wurde - ich glaube, der Punkt Prospektpflicht bedurfte
besonderer Erläuterung -, brauche ich nicht näher darauf
einzugehen, dass wir das Provisionsverbot durchgesetzt
haben - das ist eine wichtige Maßnahme -, dass wir dafür gesorgt haben, dass die BaFin zukünftig bei Werbung
Beschränkungen aussprechen kann und so etwas wie bei
Prokon nicht mehr möglich ist und dass Produktverbote
ausgesprochen werden können. Das alles bedeutet einen
großen Schritt voran.
Ich möchte mich abschließend auch von meiner Seite
sehr herzlich bei allen bedanken, die uns bei diesem
komplexen Gesetzentwurf mit so vielen rechtlichen Biegungen, Höhen und Tiefen unterstützt und die Vorbereitungen geleistet haben. Sehr stark sind dabei die Fachleute in den Ministerien - sowohl im Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz als auch im Bundesfinanzministerium - eingebunden. Herzlichen Dank
dahin! Herzlichen Dank, Kollege Steffel, für die gute
Zusammenarbeit, aber auch an die Opposition. Denn ich
finde, wir haben etwas Ordentliches hinbekommen.
Ich darf aber auch sagen: Dass wir gut arbeiten, erwarten die Menschen im Lande. Entscheidend ist, dass
wir gute Ergebnisse erzielen und einen guten Gesetzentwurf vorlegen. Das haben wir geschafft, und deshalb
bitte ich um Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({4})
Herzlichen Dank. - Es spricht jetzt Nicole Maisch,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ordnung im Grauen Kapitalmarkt zu schaffen, war überfällig, und der vorliegende Gesetzentwurf ist dafür ein
wichtiger Schritt. Darüber, ob die SPD deshalb gleich
die Sonne scheinen lässt, Herr Kollege Sieling, kann
man sicherlich diskutieren.
({0})
Aber es ist wichtig gewesen, hier Ordnung zu schaffen.
Wir Grünen haben eine Studie in Auftrag gegeben,
die ergeben hat, dass deutsche Verbraucherinnen und
Verbraucher jährlich um 30 Milliarden Euro geschädigt
werden, die sie im Grauen Kapitalmarkt versenken. Wir
alle wissen aus Gesprächen mit geschädigten Anlegern,
dass dies häufig Leute sind, die ihre Altersvorsorge versenken bzw. ihre Existenz vernichten. Wir haben alle
entsprechende Briefe bekommen und Gespräche geführt:
Damit sind Schicksale verbunden, die niemanden von
uns kaltlassen können.
Das waren, Herr Kollege Michelbach, keine klassischen Gier-frisst-Hirn-Geschichten - dafür sind es einfach zu viele Fälle -, es waren wirklich oft Leute,
({1})
die gutgläubig Beratern und Vertriebsleuten vertraut haben und hohe Schäden in Kauf nehmen mussten. Deshalb ist es richtig, hier im Kleinanlegerschutzgesetz den
Grauen Kapitalmarkt zu regulieren.
Aber lassen Sie mich Folgendes sagen: Wenn man
wirklich Kleinanlegerschutz betreiben will, dann gibt es
durchaus im Finanzmarkt noch andere Dinge zu tun. Da
geht es um Riester-Verträge, die nicht passgenau sind, da
geht es um Lebensversicherungen, die viel zu oft frühzeitig gekündigt werden, weil sie zu den Lebensrealitäten der Menschen nicht passen, da geht es um Bausparverträge, die jetzt zu Tausenden gekündigt werden, weil
die Banken die Kunden loswerden wollen. Das heißt,
Kleinanlegerschutz betrifft nicht nur den Grauen Kapitalmarkt, sondern das ist deutlich mehr.
({2})
Aber zurück zum Gesetz. Sie erfüllen damit vieles,
was wir seit Jahren fordern: Nachrangdarlehen regulieren, kollektiven Verbraucherschutz bei der BaFin etablieren, Nachschusspflichten verbieten. Das ist alles
richtig, das ist alles gut. Dieses Kompliment geht nicht
nur an Sie, sondern natürlich auch an uns, weil wir als
Opposition im Gesetzgebungsprozess noch wichtige Aspekte einbringen konnten.
Ich finde, das Gesetz ist im Beratungsverfahren auch
besser geworden, was die Ausnahmen für die solidarische Ökonomie angeht; denn es ist auch eine wichtige
Seite des Grauen Kapitalmarkts, Geldquelle für gesellschaftlichen Fortschritt zu sein, Geldquelle dort zu sein,
wo klassische Finanzierungswege versagen.
({3})
Man muss sagen: Nicht alle Bedenken, die von den
Initiativen im Gesetzgebungsprozess geäußert wurden,
waren begründet; aber es war trotzdem sehr gut, den sehr
restriktiven Gesetzentwurf, den Sie zu Anfang vorgelegt
hatten, nämlich mit nur 1 Million Euro Obergrenze für
die Nachrangdarlehen, die die solidarische Ökonomie
einsammeln darf, mit sehr restriktiven Regelungen zu
der Frage, wie hoch die Verzinsung sein darf, anzupassen und die Tür für die solidarische Ökonomie weiter
aufzumachen. Das war richtig, und das war auch ein Verdienst der parlamentarischen Beratungen.
({4})
Wir Grüne glauben, dass Verbraucherschutz und mehr
Beinfreiheit für die solidarische Ökonomie zusammen
funktionieren. Wir sind der Auffassung, dass man beides
zusammenbringen kann. Hier möchte ich Ihnen drei
Punkte nennen, bei denen, wie wir glauben, der Gesetzentwurf noch Luft nach oben gehabt hätte und man ihn
noch besser hätte machen können.
Das Erste ist der Punkt Anlegerinformation. Hier waren wir uns in den Beratungen eigentlich einig, dass bei
den Wertpapierprospekten Verbesserungsbedarf besteht.
Wir sind der Auffassung, dass nicht nur spezialisierte
Anwältinnen und Anwälte diese verstehen können sollen, sondern auch der interessierte Verbraucher. Deshalb
brauchen wir eine Standardisierung dieser Prospekte mit
einer Struktur, die auch Leute, die nicht promovierte Anwälte oder Finanzexperten sind, verstehen können. Hier
hat der Gesetzentwurf keine Verbesserungen gebracht.
Das empfinde ich als eine vertane Chance.
({5})
Das zweite Thema ist Crowdinvesting. Crowdinvesting und Crowdfunding sind wichtige Instrumente, um
Projekte zu finanzieren, die von den Banken kein Geld
bekommen. Wir brauchen mehr Risikokapital in Deutschland; das ist unbestritten. Trotzdem finden wir, dass solche hochriskanten Investments - das sind nun mal die
Finanzierungen von Start-ups - vernünftig reguliert werden müssen. Hier hätte man bei den Plattformen ansetzen sollen. Wir sind der Meinung: Diese Plattformen gehören unter die Aufsicht der BaFin.
({6})
Dritter Punkt. Bei der solidarischen Ökonomie haben
wir lange darüber gestritten, was die richtigen Ausnahmen sind. Ich denke, dass die 2,5 Millionen Euro, die
jetzt im Gesetzentwurf stehen, vielleicht für heute tragfähig sind. Aber wenn wir uns anschauen, wie in den
größeren Städten die Immobilienpreise explodieren - jeder, der sich im Freundeskreis umhört, was heute ein
Einfamilienhaus auch in mittelgroßen, nicht so attraktiven Städten kostet, schlackert mit den Ohren -, dann
werden wir relativ schnell feststellen, dass gerade im Immobilienbereich die Summe, die die Projektträger brauchen, um Häuser oder Grund und Boden zu kaufen, sehr
schnell nach oben gehen wird. Deshalb denke ich, dass
wir bei der Überprüfung des Gesetzes sehr schnell zu einem Punkt kommen werden, an dem wir feststellen werden, dass diese 2,5 Millionen Euro für heute vielleicht
ausreichend sind, aber für die Zukunft wahrscheinlich zu
knapp bemessen sind.
Denken Sie bitte an die Zeit.
Alles in allem: Der Gesetzentwurf ist sicher ordentlich, aber es wäre an einigen Stellen noch Luft nach oben
gewesen. Deshalb werden wir uns enthalten.
({0})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
Mechthild Heil das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Spricht man über den Grauen Kapitalmarkt,
fällt natürlich immer der Begriff Prokon. Heute ist es genauso. Prokon, das ist der Inbegriff für Regulierungsdefizite geworden. Prokon ging Anfang letzten Jahres
durch die Medien als einer der größten Anlegerskandale
der letzten Jahre. Auf großen Tafeln, auch in der U-Bahn
- das hat am meisten für Verärgerung gesorgt - warb
dieses Unternehmen für seine Genussscheine. Die erneuerbaren Energien lagen schon damals im Trend. Davon
haben sich viel zu viele Anleger blenden lassen, und sie
haben Prokon-Anteile erworben, obwohl das Geschäftsmodell alles andere als eine sichere Anlage war. Das bittere Ende ließ dann nicht lange auf sich warten: Es ist
davon auszugehen, dass die meisten Anleger wahrscheinlich 50 Prozent ihrer Investitionen verloren haben.
Der Fall Prokon hat einmal mehr deutlich gemacht, dass
wir engere Grenzen für Informationspflichten auf dem
Grauen Kapitalmarkt setzen müssen.
Die CDU/CSU-Fraktion und ganz besonders unser
Finanzminister Wolfgang Schäuble haben mit der Erarbeitung des vorliegenden Gesetzentwurfs schnell und
entschlossen gehandelt und werden - das freut mich am
meisten - die Position der Verbraucher in dieser Frage
nachdrücklich stärken. Dabei erfreuen mich insbesondere drei Aspekte dieses Gesetzes: Die Prospektpflichten
werden konkretisiert und erweitert, der Warnhinweis
- darüber haben wir schon gesprochen - wird gestärkt,
aber auch der kollektive Verbraucherschutz wird als
Aufsichtsziel bei der BaFin verankert.
Verbraucher müssen nun auf dem Grauen Kapitalmarkt über Art, Gegenstand und Risiken der Anlage aufgeklärt werden. Dies muss angemessen erfolgen. Also:
Wenn ein Totalverlust droht, muss der Kunde darüber
auch aufgeklärt werden. Der Anleger kann damit Chancen und vor allem Risiken besser einschätzen und auch,
ob eine Anlage eine sinnvolle Investition darstellt oder
eben nicht.
Aber das reicht uns noch nicht. Wir gehen weiter;
denn auch bei Prokon gab es diese Informationen, gab es
schon einen Warnhinweis. Wir tun noch mehr: Wir rücken die Verbraucherpolitik weiter in den Mittelpunkt
der Finanzaufsicht. Die BaFin erhält - neben dem Verbraucherbeirat - weitere Kompetenzen. Sie kann nun
den Vertrieb bestimmter Produkte beschränken oder sogar verbieten, und sie darf nun auch gegenüber Anbietern und Emittenten Werbeverbote verhängen. Wir geben der BaFin also die richtigen Mittel - ich würde es so
ausdrücken: sogar ein scharfes Schwert - in die Hand,
um Missständen bei der Werbung für Vermögensanlagen
zu begegnen. Außerdem stärken wir das Verständnis für
Verbraucheranliegen bei der BaFin.
Es sollte so möglich sein, dass es eine zweite Causa
Prokon nicht mehr geben wird oder dass eine solche zumindest erschwert wird. Ich sage bewusst „erschwert
wird“; denn Verbraucher, die hohe Renditen erzielen
wollen und dafür bereit sind, trotz aller Warnhinweise
hohe Risiken in Kauf zu nehmen, wird es weiterhin geben. Diese werden aber in Zukunft deutlich besser über
ihre Ausfallrisiken informiert werden.
Wir können nicht alle Gefahren dieser Welt wegregulieren. Aber wir können dafür sorgen, dass Verbraucher
besser einschätzen können, welche Produkte für sie infrage kommen und welche eben nicht. So bewegt sich
die Verbraucherpolitik immer im Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Verbraucher und der Freiheit der
Verbraucher. Wir müssen uns immer fragen, ob und inwieweit eine Regulierung des Marktes notwendig ist und
zu den gewünschten Ergebnissen führt. Denn der Verbraucher - nicht der Staat - muss am Ende entscheiden,
welches Produkt ihn überzeugt. Daher begrüße ich auch,
dass wir davon Abstand genommen haben, Werbung nur
in Fachzeitschriften oder etwa nur im Wirtschaftsteil der
FAZ zu erlauben. Wir werden nämlich keinem Leser,
egal welcher Zeitung oder Zeitschrift, unterstellen, dass
er keine Finanzentscheidung treffen könne. Für Verbote
und Vorschriften, für die Entmündigung einzelner Verbrauchergruppen, sind andere Fraktionen bekannt. Das
wird es mit uns nicht geben.
({0})
Wir sagen: Der Verbraucher soll selbst entscheiden
können, und dafür braucht er gute Informationen und vor
allen Dingen auch Auswahlmöglichkeiten. Dies wollen
wir ermöglichen, und gleichzeitig wollen wir den Wettbewerb zwischen den Anbietern zulassen. Die neuen Informationspflichten überfordern kleine Unternehmen
nicht. Anbieter von Crowdinvesting im Start-up-Bereich
werden an den Prospektpflichten jedenfalls nicht scheitern. Der Trend ist klar: Immer mehr Verbraucher wollen
Projekte unterstützen, die neben einer sinnvollen Geldanlage auch noch andere Aspekte abdecken, also andere
Effekte haben, ja, man könnte sagen: die einen anderen
Mehrwert haben. Und das ist gut so. Das unterstützen
wir auch.
Es gibt Anleger, die Ideen, die sie gut finden, die sie
begeistern, fördern wollen. Das reicht dann - wir haben
heute schon ein paar Beispiele gehört - von der Filmproduktion über die Musikproduktion, den Anteil an einem
Verlag oder einem Buch bis hin zu bestimmten Bauprojekten. Das tun sie in der Regel mit vergleichsweise kleinem Geld. Damit erhalten junge Unternehmen die Möglichkeit, frische Ideen, Produkte und Dienstleistungen
auf den Markt zu bringen, die anderweitig keine oder nur
eine unzureichende Finanzierung erfahren würden, auch
weil von Banken das Risiko vielleicht als zu hoch eingeschätzt wird.
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann ich feststellen: Wir bringen auf dem Grauen Kapitalmarkt die
Verbraucher weiter auf Augenhöhe mit den Anbietern.
Am Ende entscheidet natürlich nach wie vor der Einzelne selbstständig und eigenverantwortlich über seine
Anlage. Die CDU/CSU ist ein Gewinn für die Verbraucher, und das Kleinanlegerschutzgesetz wird es auch
sein.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Dr. Julia Verlinden,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es sind nicht die großen Energiekonzerne, die in Deutschland die Energiewende vorantreiben. Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die als
Pioniere vorangegangen sind. Sie haben sich zusammengetan, gemeinsam Windräder errichtet, Solarzellen auf
Dächer geschraubt und damit die Energiewende so weit
gebracht, wie sie heute ist. Dieses - auch finanzielle Engagement ist der Schlüssel für den Umbau hin zu einer zukunftsfähigen, zu einer enkeltauglichen Energieversorgung.
({0})
Der Beitrag der Bürgerinnen und Bürger zur Energiewende ist beeindruckend. Denn knapp die Hälfte der Anlagekapazitäten, die erneuerbaren Strom produzieren,
sind in Bürgerhand. Ich sage Ihnen: Die Energiewende
in Deutschland wäre ohne Bürgerprojekte gar nicht vorstellbar.
({1})
Schon die vermurkste Novelle zum ErneuerbareEnergien-Gesetz letztes Jahr hat Bürgerprojekte massiv
ausgebremst. Das war ein Anschlag auf die Bürgerenergiewende. Die fragwürdige Auslegung des Kapitalanlagegesetzbuchs durch die BaFin gegenüber einigen
Bürger-Energiegenossenschaften sorgte dann in der Vergangenheit für weitere Verunsicherung und dafür, dass
es zu weniger Neugründungen von Energiegenossenschaften kam. Aber damit nicht genug. Als die ersten
Entwürfe des Kleinanlegerschutzgesetzes bekannt wurden, waren engagierte Menschen fassungslos: Wie kann
es sein, dass die Bundesregierung ihren Initiativen derart
viele Steine in den Weg legen will?
Ich bin froh, dass zumindest einige dieser geplanten
Hürden nun doch nicht im Gesetzentwurf stehen. Aber
das, was Sie jetzt vorlegen, reicht noch nicht. Weiterhin
sind einige Rechtsunsicherheiten nicht aufgelöst worden. Es braucht zum Beispiel eine Klärung, dass BürgerEnergiegenossenschaften nicht nur Anlagen errichten
können, um erneuerbaren Strom ins Netz einzuspeisen;
sie wollen sich auch an der Infrastruktur beteiligen:
Stromnetze übernehmen, Nahwärmenetze bauen und in
Energieeffizienz und Energiesparen investieren. Dieses
Engagement von den Bürgerinnen und Bürgern brauchen wir dringend, damit es bei der Energiewende überhaupt vorangeht; denn die Bundesregierung diskutiert
lieber, anstatt die Ärmel hochzukrempeln.
({2})
Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die vorangehen,
auch beim Kampf gegen steigende Mieten. Fast 2 000
Wohnungsgenossenschaften mit über 2 Millionen Wohnungen gibt es in Deutschland. Soziale Wohnprojekte
sorgen dafür, dass Ältere, Familien und Menschen mit
niedrigem Einkommen auch heute noch in begehrten Innenstadtlagen bezahlbare Wohnungen finden. Und: Sie
sanieren behutsam, ohne dass die Mieten danach explodieren, und sie bieten echte Beteiligung an.
Wir müssen alles dafür tun, dass Bürgerinnen und
Bürger in ihrem Engagement für generationengerechtes
Wohnen, für Dorfläden, für die Energiewende und andere solidarische und innovative Projekte nicht ausgebremst, sondern von der Politik so gut wie möglich unterstützt werden.
({3})
Natürlich ist es wichtig, Kleinanleger vor unseriösen
Anbietern zu schützen; klar. Aber die Instrumente müssen verhältnismäßig sein und zu den unterschiedlichen
Bereichen der Wirtschaft passen. Echte solidarische, gemeinnützige und demokratisch organisierte Projekte haben nichts mit profitgierigen, windigen Finanzhaien zu
tun, im Gegenteil. Gerade bei den Genossenschaften
sieht man, dass sie besonders solide wirtschaften.
Schließlich gibt es dort so gut wie keine Insolvenzen.
Menschen, die gemeinsam vor Ort in einen Windpark,
ein Wohnprojekt oder eine freie Schule investieren, erwarten keine Riesenrenditen. Die wollen in erster Linie
einen Beitrag leisten, für ihre eigene Region und für unsere Gesellschaft insgesamt.
({4})
Dafür bin ich dankbar. Dieses Engagement und auch
diese Finanzmittel brauchen wir, wenn der Umbau zu einer zukunftsfähigen, solidarischen und gerechten Gesellschaft gelingen soll - heute mehr denn je. Statt Bürgerinnen und Bürger durch immer neue, unnötige Hürden zu
verunsichern und zu blockieren, erwarte ich von Ihnen,
dieses Engagement zu fördern und zu unterstützen.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Dr. Jens Zimmermann, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Als Netzpolitiker und Finanzpolitiker freue ich mich über den vorliegenden und
jetzt endgültigen Entwurf des Kleinanlegerschutzgesetzes gleich doppelt. Denn wir haben es hinbekommen, an
dieser Stelle einen wirksamen Verbraucherschutz festzulegen und jungen Start-ups trotzdem eine Perspektive
aufzuzeigen, wo und wie sie auf modernen und innovativen Wegen an Kapital kommen können.
Ich will den Begriff Crowd-Finanzierung, weil er
schon so oft genannt worden ist, erläutern. Dabei geht es
nicht um Gemüse, sondern um Schwarmfinanzierung:
Das sind viele Menschen, die ein Projekt unterstützen.
Jeder, der sich einmal eine solche Plattform angeschaut
hat, wird festgestellt haben, dass diejenigen, die dort investieren, sehr viel besser darüber Bescheid wissen, in
was sie eigentlich investieren, als das bei vielen anderen
Projekten der Fall ist. Die Unternehmen müssen sich
nämlich sehr intensiv vorstellen und müssen sehr genau
aufzeigen, was sie mit dem Geld vorhaben. Ich glaube,
es ist gut, dass wir durchgesetzt haben, dass diese innovativen Finanzierungen in Grenzen weiter möglich bleiben.
({0})
Wir senden damit ein wichtiges Signal an die Gründerszene. Die ist in Deutschland nach wie vor sehr aktiv;
es werden, gerade auch hier in Berlin, sehr viele Unternehmen gegründet. Wenn die aber eine gewisse Größe
erreicht haben, passiert Folgendes: Sie gehen zu Banken,
treffen also auf das etablierte deutsche Finanzwesen. Die
können aber häufig mit den Finanzierungsbedürfnissen
und auch mit den Geschäftsmodellen dieser Unternehmen nicht wirklich viel anfangen. Deswegen ist es eine
gute Möglichkeit, über Crowd-Plattformen an Kapital zu
kommen.
Wir haben eine Grenze von 2,5 Millionen Euro festgelegt, unterhalb derer die Projekte von der Prospektpflicht ausgenommen sind. Diese Grenze ist gut gewählt.
Denn 99,9 Prozent aller Finanzierungen solcher Unternehmen, die es in der Vergangenheit gegeben hat, werden auch nach der Einführung dieses Kleinanlegerschutzgesetzes möglich sein.
Ferner haben wir durchgesetzt, dass es eindeutige
Hinweise auf das Verlustrisiko gibt. Ich denke, es ist
wichtig, dass Leute nicht das Gefühl haben: Das ist ein
tolles Projekt, ich investiere hier Geld, und das ist eine
sichere Sache. - Das wäre, denke ich, ein großes Problem.
Die Kollegin hat gerade über die erneuerbaren Energien gesprochen. Ich selbst bin Mitglied einer Energiegenossenschaft und sage: Auch in einer Energiegenossenschaft gibt es ein Verlustrisiko. Beispielsweise kann
sich der Standort einer Windkraftanlage am Ende als
schlecht herausstellen. Es gibt also ein finanzielles Risiko. Deswegen sollte man darauf achten. Die Art des Investments sagt noch nichts darüber aus, ob ein Geschäftsmodell am Ende solide ist oder nicht. Das gilt für
erneuerbare Energien genauso wie für Start-ups. Deswegen weisen wir auf die Risiken hin. Ich denke, das ist
auch gut so.
Außerdem haben wir in den Verhandlungen durchgesetzt, dass jemand, der auf einer solchen Plattform tätig
wird, am Ende nicht das Informationsblatt ausdrucken,
unterschreiben und dann per Post verschicken muss.
Diesen Medienbruch haben wir beseitigt. Man wird das
auch online tun können. Ich glaube, dass man damit das
Ergebnis, das wir erzielen wollten, nämlich dass die Anlegerinnen und Anleger wissen, was sie da tun, sehr gut
erreichen kann.
({1})
Ich komme zum Schluss. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird Deutschland in meinen Augen über
eine der modernsten Regulierungen der Crowd-Branche
verfügen. Vor allem Start-ups und mittelständische Unternehmen werden von diesen Finanzierungsmöglichkeiten profitieren, und das alles bei einem sehr hohen
Verbraucherschutzniveau. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf natürlich zustimmen.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Hansjörg Durz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Regelmäßig
diskutieren wir darüber, dass es in Deutschland zu wenige Unternehmensgründungen gibt und dass wir die
Rahmenbedingungen für Gründungen verbessern wollen. Aus diesem Grund ist es vielen von uns ein Anliegen, die Finanzierungsbedingungen von Start-ups, von
jungen Unternehmen, zu verbessern. Auch in der Digitalen Agenda der Bundesregierung wird als eine Maßnahme „die Verbesserung der Finanzierungsbedingungen für Start-ups durch international wettbewerbsfähige
Rahmenbedingungen für Wagniskapital und Crowd-Investments“ genannt.
Crowdfunding, also Schwarmfinanzierung, entwickelt
sich seit einigen Jahren als innovative Finanzierungsmöglichkeit für junge Unternehmen und Projekte, die
über die klassischen Finanzierungsformen nur schwer
oder überhaupt nicht an Kapital gelangen. Seit 2011
wurden in Deutschland circa 40 Millionen Euro über
Crowdinvesting-Plattformen investiert. Laut einer Umfrage von BITKOM gibt es in Deutschland 3,5 Millionen
Menschen, die sich grundsätzlich vorstellen können, in
junge Firmen zu investieren. Hier steckt also Potenzial
für die Förderung von Innovationen in unserem Land.
Schon deshalb sollten wir solch eine innovative Finanzierungslösung, wie sie Crowdfunding darstellt, auf keinen Fall schwächen, sondern unterstützen.
Vergessen darf man aber auch nicht, dass Crowdfunding ein hochriskantes Anlagegeschäft sein kann. Umso
wichtiger ist es, dass der Verbraucher alle nötigen Informationen erhält, die er für seine Entscheidung für oder
gegen ein Investment braucht. Vor allem muss er aber
auch Kenntnis über das hohe Risiko haben. Nur wenn
Anleger ausreichend informiert sind, können sie eigenverantwortlich die richtigen Entscheidungen treffen. Mit
dem Kleinanlegerschutzgesetz gilt es also einerseits die
berechtigten Interessen des Verbraucherschutzes zu
berücksichtigen, andererseits aber eben auch sicherzustellen, dass sich Crowdfunding in Deutschland
weiterentwickeln kann. Diese Abwägung ist mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf und den Änderungen, die
im parlamentarischen Verfahren vorgenommen wurden,
sehr gut und vor allem praxisgerecht gelungen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang drei Punkte
hervorheben.
Erstens. Ursprünglich war vorgesehen, die Prospektpflicht vorzuschreiben, wenn der Gesamtbetrag der vom
Emittenten ausgegebenen Vermögensanlage 1 Million
Euro übersteigt. Die Erstellung eines Prospekts verursacht relativ hohe Kosten - es ist bereits mehrfach darüber gesprochen worden -, die von kleinen, jungen Unternehmen nicht getragen werden können. Soziale und
kulturelle Projekte wären davon besonders betroffen gewesen. Die ursprüngliche Grenze von 1 Million Euro bei
Schwarmfinanzierungen hat berechtigte Kritik hervorgerufen. Diese Grenze hätte wohl dazu geführt, dass das
eine oder andere innovative Projekt im Keim erstickt
worden wäre. Die nun gefundene Grenze von 2,5 Millionen Euro, unterhalb derer die Prospektfreiheit gilt, stellt
einen guten Kompromiss dar, der sich auch in den internationalen Rahmen einfügt.
Zweitens. Im ursprünglichen Entwurf war vorgesehen, dass Werbung für Vermögensanlagen in Printmedien und deren Onlineausgaben unbeschränkt zulässig,
Werbung in sozialen Netzwerken jedoch verboten ist.
Das ursprünglich vorgesehene Werbeverbot im Internet
und in den sozialen Medien hätte aber im Widerspruch
zu dem Konzept des internetbasierten Crowdfunding gestanden, das darauf ausgelegt ist, eine breite Öffentlichkeit anzusprechen, um die Finanzierung innovativer Projekte durch eine Vielzahl von kleineren Investments zu
schultern. Die Streichung des Werbeverbots im Internet
und in den sozialen Medien war gerade aus digitalpolitischer Sicht unverzichtbar. Werbung darf nun in allen
Medien geschaltet werden. Wichtig ist aber der deutlich
erkennbare Warnhinweis an prominenter Stelle. Dies
stellt sicher, dass Kleinanleger über die hohen Risiken
von Crowd-Investitionen informiert sind und dass sie
das persönliche finanzielle Risiko richtig einschätzen
können. Werbung ist also künftig in allen Medien, auch
digitalen, erlaubt, nicht aber ohne den Warnhinweis an
prominenter Stelle.
Drittens. Die wohl wichtigste Änderung betrifft das
Vermögensanlagen-Informationsblatt, VIB. Auf maximal drei DIN-A4-Seiten müssen die wesentlichen Informationen über die Vermögensanlage in übersichtlicher
und leicht verständlicher Weise enthalten sein, inklusive
Risikoaufklärung. In der ursprünglichen Fassung des
Gesetzes musste der Anleger dieses Blatt ausdrucken,
unterschreiben und per Post an den Anbieter zurücksenden - bei einem internetbasierten Angebot ein unverständlicher und nicht akzeptabler Medienbruch.
Der nun gefundene Vorschlag dürfte für alle Seiten
akzeptabel sein. Künftig wird das VermögensanlagenInformationsblatt allen Anlegern unabhängig von der
Höhe der Anlagesumme, also ab dem ersten Euro bis zur
höchsten Einzelanlagesumme von 10 000 Euro, zur Verfügung gestellt. Der Anleger aber muss dieses Blatt nicht
ausdrucken und unterschrieben per Post zurücksenden,
sondern kann in elektronischer Form die Kenntnisnahme
des Warnhinweises auf dem VIB bestätigen. Die ursprünglich vorgesehene Bagatellgrenze von 250 Euro,
bis zu der das VIB nicht zur Verfügung gestellt werden
muss, entfällt damit auch. Somit haben wir nicht nur den
Medienbruch beseitigt, sondern auch das Gesetz einen
Tick schlanker gemacht. In der Praxis heißt das, dass
jeder potenzielle Anleger das Vermögensanlagen-Informationsblatt per Mail, SMS oder auf elektronische
Weise erhalten kann. Er muss nicht zur Post gehen oder
das Faxgerät bemühen, sondern kann mit der Eingabe
eines Satzes die Kenntnisnahme des Warnhinweises
elektronisch bestätigen. Der Anleger ist damit über das
Risiko informiert und muss selbst die Eingabe vornehmen, wonach ihm die Risiken bekannt sind. Eine sehr
schlanke, klare und zeitgemäße Regelung, die sehr praxistauglich ist und tatsächlich auch beachtet werden
wird, im Gegensatz zu manch kleingedruckten AGB, denen zwar zugestimmt wird, die aber nie gelesen werden.
Auch die Höchstgrenze für die Einzelanlage von
10 000 Euro stand und steht in der Diskussion. Wenn
man jedoch auf die durchschnittliche Portfoliogröße
schaut - diese beträgt 1 500 Euro pro Investor -, so sieht
man: Die Deckelung bei 10 000 Euro entspricht sicherlich der Praxis. Wichtig war uns, dass wir Kapitalgesellschaften von dieser Regelung ausnehmen, sodass die für
Start-ups wichtigen Ankerinvestoren auch die Möglichkeit haben, über dieser Grenze zu investieren.
Ein weiterer Schutz für die Verbraucher ist das 14-tägige Widerrufsrecht, das wir mit dem Kleinanlegerschutzgesetz einführen werden.
Das Ziel, die Kleinanleger besser zu schützen, werden
wir mit diesem Gesetz erreichen. Wir sorgen für Transparenz, und Transparenz schafft Vertrauen. Das wiederum kommt am Ende nicht nur den Verbrauchern zugute,
sondern schafft auch den richtigen Rahmen für alternative und neue Finanzierungsinstrumente. So setzt das
Kleinanlegerschutzgesetz auch die richtigen Rahmenbedingungen für ein weiteres Wachstum der digitalen
Crowdfunding-Branche. Da Geschäftsmodelle gerade
im digitalen Umfeld hoher Dynamik unterliegen, müssen wir immer wieder überprüfen, ob Regelungen noch
passgenau sind. So ist im Gesetz bereits eine Evaluierung bis Ende 2016 fixiert. Heute aber verabschieden
wir ein sehr gelungenes und ausgewogenes Regelwerk.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Christian Petry.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Heute ist ein guter Tag für den Verbraucherschutz.
Ein weiterer Schritt zur Stärkung des Verbraucherschutzes ist getan.
Sehr geehrter Herr Minister Maas, lieber Heiko, sehr
geehrter Herr Staatssekretär Dr. Meister, das Engagement, insbesondere aus dem Verbraucherschutzministerium, das sich wie ein roter Faden durch unsere Politik
zieht, ist darauf ausgerichtet, das Vertrauen und die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher am Finanzmarkt zu stärken. Dieses Gesetz ist ein weiterer großer
Schritt dazu. Herzlichen Dank an alle, die in den Ministerien, aber auch im Parlament dazu beigetragen haben.
({0})
Das alles wollen wir mit Maß und Ziel tun.
Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz ziehen wir die
Lehren aus den Finanzmarktskandalen. Wir regulieren
den Grauen Kapitalmarkt. Frau Kollegin Lay, eine kleine
Anmerkung zu Ihrer Rede. Sie haben einige Dinge genannt, auf die ich eingehen will, die auch ich sehr positiv
finde. Aber ich meine: Der Graue Kapitalmarkt ist nicht
per se das Böse; vielmehr bietet er Gründungsinitiativen
und spannende moderne Entwicklungen, die wir positiv
begleiten müssen. Das heißt, wir wollen keine abwehrende Haltung einnehmen, sondern den Verbraucher
schützen und diesen Markt weitestgehend regulieren und
kontrollieren.
({1})
Anlageformen mit hohen Risiken und hohen in Aussicht gestellten Renditen können angeboten werden; aber
es muss darauf hingewiesen werden, dass ein Totalverlust eintreten kann. Wir haben in diesen Jahren viel für
den Verbraucherschutz getan; das zieht sich wie ein roter
Faden durch unsere Politik. Frau Tillmann hat darauf
hingewiesen: Wir haben das Bail-in im Rahmen der
Bankenunion sowie die Einlagensicherung im Rahmen
von Solvency II eingeführt. Das sind Punkte, die den
Verbraucherschutz stärken. Auch mit diesem Gesetz
werden wir den Verbraucherschutz weiter stärken.
Die Prospektpflicht ist angesprochen worden. Das
Vermögensanlagen-Informationsblatt ist nun bei jeder
Anlage vorzulegen. Das ist eine Änderung, und das ist
auch gut so. Ab dem ersten Euro, den man investieren
möchte, kann man sich informieren. Das Blatt muss verständlich und übersichtlich gehalten sein. Auch dies ist
ein Fortschritt. Ferner sind die von uns eingeführten
Warnhinweise, deren Kenntnisnahme auch bestätigt werden muss, sehr wichtig.
Durch die Nachbesserung des Gesetzeswerkes vermeiden wir Medienbrüche beim Crowdfunding und bei
anderen internetgestützten Investitionsformen. Das ist
mit Sicherheit ein Schritt nach vorne. Das stärkt die
Szene und verbessert die Flexibilität und Handhabbarkeit dieser Investitionsformen.
({2})
Wir haben ein 14-tägiges Widerrufsrecht eingeführt.
Ich glaube, das ist eine der stärksten Maßnahmen im
Sinne des Verbraucherschutzes. Herr Dr. Michelbach,
Sie sind eben von der Kollegin Maisch darauf hingewiesen worden: Bier-statt-Hirn-Philosophie. Ich halte das
nicht für besonders gut. Wir denken etwa daran, dass
jemand abends im Internet surft, einmal klickt und am
nächsten Morgen vielleicht feststellt: Das war der falsche Klick. - Das hat aber nichts mit einer Bier-stattHirn-Philosophie zu tun. Das ist Verbraucherschutz. Ich
glaube, heute, am Tag des Bieres, ist dies nicht der richtige Vergleich. Ich denke, die 14-tägige Widerrufsfrist ist
gut.
({3})
Die Verjährungsfristen sind angesprochen worden. Es
ist sehr wichtig, dass sie von einem Jahr auf drei Jahre
angehoben wurden. Es ist sehr gut, dass die Strafbewehrung bei falscher oder unterlassener Anlegerinformation
nun länger erhalten bleibt, also die Verjährungsfristen
hochgesetzt wurden. Das war eine Forderung, deren
Realisierung in der letzten Legislatur noch von SchwarzGelb blockiert wurde. Hier zeigt sich die sozialdemokratische Handschrift des Gesetzes. Darauf sind wir sehr
stolz.
Die Festlegung des kollektiven Verbraucherschutzes
als Aufsichtsziel der BaFin stärkt die Aufsicht. Es ist
von Ihnen, Frau Karawanskij und Herr Dr. Schick, gefordert worden, dass die Finanzaufsicht für Finanzmakler nun einheitlich geregelt werden sollte. Dem können
wir sehr viel abgewinnen. Das ist im Gesetzentwurf
nicht geregelt; es bleibt nun alles beim Alten. Das heißt
aber nicht, dass wir bei der Evaluierung oder im weiteren Prozess nicht darüber nachdenken sollten, ob eine
zentrale Aufsicht bei der BaFin nicht ein geeigneter
Schritt wäre, der zu mehr Verbraucherschutz auf den
neuen Märkten und den Plattformen für internetbasierte
Investitionen führen würde. Das ist heute nicht Gegenstand des Gesetzes, aber wir können es ja wieder auf die
Tagesordnung nehmen.
({4})
Bürgerschaftliches Engagement in Genossenschaften
ist weiter möglich. Ich bin froh, dass es durch das Engagement von Carsten Sieling, aber auch von Fritz
Güntzler und anderen gelungen ist, dass die Genossenschaften von den Pflichten des KAGB ausgenommen
worden sind, da festgestellt wurde, dass sie keine Anlagestrategie verfolgen. Nun müssen sie die entsprechenden Regularien nicht umsetzen. Das stärkt wiederum das
Engagement der Genossenschaften, das wir sehr positiv
sehen.
Soziale und gemeinnützige Projekte und Religionsgemeinschaften sind von bestimmten bürokratischen
Pflichten ausgenommen. Ich weise auf die Schwelle von
2,5 Millionen Euro bei Vermögensanlagen hin; durch
den Hebelfaktor - Carsten Sieling hat es genannt - sind
es eigentlich 10 Millionen Euro. Das ist ein vernünftiger
Wert. Zudem wurden Bestimmungen über den Zins der
Vermögensanlage getroffen und Provisionen ausgeschlossen. Ich glaube, das ist ein rundes Paket, mit dem
das Engagement, das wir sehr unterstützen und befürworten, tatsächlich vollumfänglich möglich ist.
Es ist aber ein Schutzriegel eingebaut worden. Eine
Lücke würde andere dazu bringen, sich auf diese Rechtsformen zu stürzen und sie zu missbrauchen. Auch davor
muss man schützen; man muss beachten, dass es einen
Verdrängungseffekt geben könnte. Wenn man in diesem
Bereich eine Lücke lässt, ist sie schnell gefüllt. Ich
glaube, auch hierfür sind sehr vernünftige Regelungen
geschaffen worden.
({5})
Das Crowd-Investment ist genannt worden. Ankerinvestoren, die sehr wichtig sind, können entweder direkt oder
über Kapitalgesellschaften tätig sein. Auch die 14-tägige
Widerrufsfrist sowie der Warnhinweis sind genannt worden.
2016 wird eine Evaluierung vorgenommen. Die Informationspflichten am Grauen Kapitalmarkt sind nun
sichergestellt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher
können gut informiert eigenverantwortlich ihre Anlageentscheidungen treffen.
Die große Einigkeit bei der Arbeit an diesem Gesetzentwurf hat gezeigt, dass der Anlegerschutz unser gemeinsames Anliegen ist. Ich möchte persönlich meinem
saarländischen Minister Heiko Maas danken. Dir, lieber
Heiko, ein Dankeschön für dein Engagement. Ich danke
aber auch allen anderen Beteiligten. Heute ist ein guter
Tag für den Verbraucherschutz im Jahr 2015.
Glückauf!
({6})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Dr. Frank Steffel, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe den Eindruck: Nach 13 Rednerinnen
und Rednern ist inhaltlich und im Detail zu diesem Gesetzentwurf eigentlich alles gesagt, was es zu sagen gibt.
({0})
Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen und insbesondere unseren Zuhörerinnen und Zuhörern und unseren Zuschauern verdeutlichen, wie dieses Gesetz zur
Information und zum Schutze der Bürgerinnen und
Bürger entstanden ist. Das wird sie insbesondere dann
interessieren, wenn sie sich als Kleinanleger engagieren.
Der Ausgangspunkt dieses Gesetzes war erstens der
Koalitionsvertrag und zweitens eine Vorlage der beiden
Minister Schäuble und Maas, die im Mai vergangenen
Jahres, also ziemlich genau vor einem Jahr, erste Grundzüge eines Kleinanlegerschutzgesetzes vorgestellt haben. Im November 2014 hat das Bundeskabinett einen
Gesetzentwurf beschlossen, der dem Bundesrat zugeleitet wurde. Der Bundesrat hat uns bemerkenswerte
30 Änderungsvorschläge in die parlamentarische Beratung mitgegeben.
Wir, das heißt die Fraktionen CDU/CSU und SPD,
der Finanzausschuss und die übrigen Fraktionen dieses
Hauses, haben uns ab 27. Februar - das war der Tag der
ersten Lesung hier im Deutschen Bundestag - noch intensiver mit den Details des Gesetzentwurfs beschäftigt.
Das ist gerade einmal acht Wochen her. In diesen acht
Wochen haben mich über 60 Organisationen, Vereine
und Interessengruppen angerufen, angeschrieben und
persönlich informiert. Hunderte von Bürgerinnen und
Bürgern haben sich an uns gewendet, die Probleme mit
einzelnen Passagen des Gesetzes oder Hinweise und Anregungen hatten. Wir haben uns bemüht, all diese Anregungen ernst zu nehmen. Dafür gibt es übrigens im
Deutschen Bundestag - was die deutsche Öffentlichkeit,
wie ich finde, viel zu wenig bemerkt - Anhörungen.
Am 16. März dieses Jahres, also vor vier Wochen, gab
es eine Anhörung im Deutschen Bundestag, in der alle
Betroffenen, alle Organisationen, alle Verbände und sehr
viele Fachleute die Gelegenheit hatten, uns, den Abgeordneten, im persönlichen Gespräch ihre Anregungen,
ihre Hinweise und ihre Stellungnahme mit auf den Weg
zu geben. Entgegen dem häufig zitierten Vorurteil, Einfluss auf die Politik hätten nur die großen und finanzkräftigen Lobbyverbände, kann ich Ihnen aus der Praxis
berichten, dass die Mehrzahl der Änderungswünsche
und Anregungen von kleinen Vereinen, von kleinen
sozialen Projekten, von sehr vielen Genossenschaften,
von Kirchen, von Bürgerinitiativen und von vielen Bürgerinnen und Bürgern kam, die sich Gott sei Dank sehr
leidenschaftlich für ihre Kommune und für unsere
Gesellschaft engagieren. So hat ein Stadtbauernhof aus
Saarbrücken darauf hingewiesen, dass die Begrenzung
des Zinssatzes seine Akquise von Geld deutlich erschwert, weil selbst begeisterte Mitbürger wenigstens
1 oder 2 Prozent Zinsen haben wollen, wenn sie ihr Geld
für lange Zeit in ein Projekt investieren. Das hat dazu geführt, dass wir in diesem Gesetz eine Zinsgrenze von
1,5 Prozent festgelegt haben.
Mitarbeiter eines Solarprojektes der Universität Potsdam haben uns detailliert dargelegt, dass das generelle
Werbeverbot die Erreichung der notwendigen Anlegerzielgruppen sehr erschwert. Man hat uns dringend gebeten, das generelle Werbeverbot zu überdenken. Wir haben das getan. Wir haben den Warnhinweis verschärft
und seriöse Werbung in allen Medien zugelassen.
Ein Wohnprojekt aus Erfurt hat befürchtet, dass die
Prospektpflicht zukünftig auf dieses Wohnprojekt durchschlägt, und dringend darum gebeten, dass soziale Projekte unabhängig von ihrer Rechtsform die Möglichkeit
haben, Ausnahmen im Sinne dieses Gesetzes zu nutzen.
Auch dem haben wir Rechnung getragen. Auch diese
Forderung wurde in den Gesetzentwurf eingearbeitet.
Ein Sozialprojekt aus Freiburg hat uns angeschrieben
und gesagt, die vorgesehene Obergrenze von 1 Million
Euro, die für die Befreiung von der Prospektpflicht vorgesehen war, sei deutlich zu gering. Es gebe größere
Projekte, die ebenfalls eine wichtige soziale Funktion erfüllen. Deswegen haben wir uns entschieden, 2,5 Millionen Euro als Grenze für die Prospektpflicht in den Gesetzentwurf zu schreiben. Das führt dazu, dass man
durch zusätzliches Fremdkapital 7 Millionen, 8 Millionen, 9 Millionen oder 10 Millionen Euro für soziale Projekte in Deutschland zusammensammeln kann.
Viele Verbraucherschützer haben uns gebeten, über
ein Provisionsverbot nachzudenken und insbesondere
ein vierzehntägiges Widerrufsrecht sehr klar und präzise
zu formulieren. Auch das haben wir getan. Auch diese
Anregung der Verbraucherschützer haben wir gerne umgesetzt.
Die Caritas, die Diakonie, das Rote Kreuz und viele
andere Wohlfahrtsverbände äußerten die Sorge, dass insbesondere Spender- und Stifterdarlehen an gemeinnützige Organisationen von diesem Gesetz betroffen sind.
Sie haben uns dringend gebeten, deutlich zu machen,
dass wir genau sie nicht treffen wollen. Das haben wir
am gestrigen Tage im Finanzausschuss gemeinsam ergänzend verabschiedet und im Ausschussbericht festgehalten.
Der Bundesverband Deutscher Stiftungen hat darauf
hingewiesen, dass für gemeinnützige Stiftungen und
Vereine die Buchführungs- und Bilanzierungsregeln
heute bewusst vereinfacht sind und mit diesem Gesetz
deutlich mehr Bürokratie aufgebaut werde. Auch das haben wir verhindert. Auch hier haben wir im Gesetzgebungsverfahren nachjustiert.
Unzählige Sportvereine, zahlreiche Kulturprojekte
und auch viele freie Schulen hatten die Sorge, dass sie
künftig noch stärker mit bürokratischen Aufgaben beschäftigt sind, was Kosten verursacht, dass sie noch
mehr tun müssen, wenn sie für Investitionen in den Bereichen Schule, Verein oder Kultur Darlehen von Eltern
oder Mitgliedern in Anspruch nehmen wollen. Sie baten
deshalb um eine Sonderregelung für gemeinnützige Organisationen. Auch diese Sonderregelung für gemeinnützige Organisationen haben wir gerne und sehr bewusst ins Gesetz geschrieben. Es war uns wichtig,
Ehrenamtliche, die sich engagieren, nicht an den
Schreibtisch zu fesseln, sondern sie einfach ihre Arbeit
machen zu lassen.
({1})
- Danke schön. - Es war uns wichtig, ihnen damit zu
zeigen, dass sie bei uns einen Vertrauensvorschuss genießen, dass nicht ehrenamtliche Organisationen, soziale
Projekte, gemeinnützige Projekte für die Probleme des
Grauen Kapitalmarkts in Deutschland verantwortlich
waren. Wir wollen die Menschen in Deutschland ermutigen, sich in solchen Projekten zu engagieren. Viele engagieren sich übrigens mit ihrem eigenen, schwer erarbeiteten Geld.
({2})
Der Bundesverband Deutsche Startups kam mit der
dringenden Bitte auf uns zu, die Projektobergrenze für
Crowdfunding von 1 Million Euro anzuheben. Wir haben das gerne getan - viele Vorredner haben darauf hingewiesen -, weil wir natürlich dazu beitragen wollen,
dass die deutsche Crowdfunding-Branche in Europa führend wird, investieren kann und so Arbeitsplätze in
Deutschland entstehen können.
Der Verband BITKOM hat uns auf den Medienbruch
hingewiesen und gesagt: Es macht doch keinen Sinn,
dass jemand, der sich im Internet informiert hat und
100 Euro investieren möchte, Formulare ausdrucken
und faxen muss. Das macht das Ganze kompliziert. Gebt
uns doch die Möglichkeit - mit einem verschärften
Warnhinweis und einem verschärften Widerrufsrecht -,
dass über das Internet kleinere Beträge direkt und unmittelbar investiert werden. - Auch dieser Anregung haben
wir im Gesetzgebungsverfahren gerne Rechnung getragen.
Die Crowdfunding-Branche und viele kleine Unternehmen haben uns dringend darum gebeten, die Werbebeschränkung im Internet zu lockern, weil das Internet
ihr Vertriebskanal ist. Ein Werbeverbot hätte für diese
Unternehmen im Ergebnis ein Vertriebsverbot bedeutet.
Deshalb haben wir diesen kleinen Unternehmen sehr bewusst die Möglichkeit eingeräumt, bei Facebook, Twitter und vielen anderen sozialen Medien und Netzwerken
im Internet für ihre Projekte, für ihre Start-up-Unternehmen zu werben.
Viele Wirtschaftsprofessoren und Fachleute haben darauf hingewiesen, dass es ein Unterschied ist, ob ein
Kleinanleger eine Privatperson ist oder ob es sich um ein
Unternehmen handelt, beispielsweise eine GmbH oder
eine AG, und dass die Schutzbedürftigkeit bei Investitionen hier durchaus unterschiedlich ist. Deshalb haben wir
dafür gesorgt, dass die Zeichnungsgrenze von 10 000
Euro beim Crowdfunding für Kapitalgesellschaften aufgehoben wurde. Diese Unternehmen sollten wissen, was
sie tun. Das unterscheidet sie möglicherweise von dem
einen oder anderen Kleinanleger.
Im Ergebnis kann ich Ihnen zusammenfassend sagen
- das zeigt Ihnen allen die heutige Debatte -: Wir haben
eigentlich fast alle Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern, von Vereinen und sozialen Organisationen in diesem Gesetz berücksichtigen können. Insofern ist die Enthaltung der beiden Oppositionsfraktionen im Deutschen
Bundestag die höchste Form der Zustimmung, die in einer parlamentarischen Demokratie üblich ist.
({3})
Wir unterstreichen damit, dass es uns allen gemeinsam
um ein berechtigtes Anliegen geht. Das zeigt sich auch
darin - der Kollege Sieling hat darauf hingewiesen -,
dass die Koalitionsfraktionen in Zusammenarbeit mit
den Ministerien offensichtlich ordentliche Arbeit geleistet haben.
Ich möchte mich sehr herzlich bei allen Bürgerinnen
und Bürgern, bei allen Vereinen und Organisationen bedanken, die sich die Zeit genommen haben, uns Politikern bei diesem Gesetz zu helfen, uns Anregungen zu
geben und uns ihre Anliegen und ihre Sorgen präzise
und klar - gesetzespräzise und gesetzesklar - vorzutragen. Ich möchte Sie auch ermuntern, das bei weiteren
Gesetzesvorhaben genauso zu tun. Glauben Sie mir, der
Deutsche Bundestag und die Abgeordneten des Deutschen Bundestag freuen sich über Ihre Anregungen und
beziehen sie gerne, wie dieses Gesetzgebungsverfahren
beweist, in ihre parlamentarische Arbeit ein.
Ich möchte den Sozialdemokraten, vor allem den Kollegen Sieling und Petry, sehr herzlich danken. Das Ergebnis ist vom Geist konstruktiver Zusammenarbeit getragen. Wir haben das sehr freundschaftlich, konstruktiv
und lösungsorientiert miteinander hinbekommen.
Ich möchte auch mit einem Vorurteil, wenn ich das so
sagen darf, ein Stück weit aufräumen. Dies betrifft Beamte in deutschen Ministerien. Was die Beamten der beiden zuständigen Ministerien hier geleistet haben - sie
waren bereit, sich bis in die Nacht zu engagieren, und
haben auch noch um 23 Uhr E-Mails beantwortet -, mag
nicht die Regel sein, aber das zeigt, dass nicht alle Beamten in Deutschland gleich sind. Zumindest die Beamten, die an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, sind fleißige, zielorientierte Beamte. Sie waren uns eine große
Hilfe. Ich bitte die beiden Minister, diesen Dank weiterzutragen. Wir wollen die Beamten in Deutschland auch
einmal loben, wenn es angebracht ist.
({4})
Meine Damen und Herren, wir als Parlament haben
bei diesem Gesetz erstmalig die Gesellschaft für deutsche Sprache beteiligt. Denn uns ist klar: Wenn ein Autofahrer ein Verkehrszeichen nicht versteht, dann darf
man sich nicht darüber beklagen, dass er falsch parkt.
Genauso ist es bei diesem Gesetz. Das Gesetz ist für die
Bürgerinnen und Bürger gemacht. Deswegen ist es uns
als Gesetzgeber ein Anliegen, dass die Bürgerinnen und
Bürger das Gesetz verstehen. Darum haben wir uns bemüht. Dabei hat uns die Gesellschaft für deutsche Sprache geholfen. Deshalb bin ich sicher, dass dieses Kleinanlegerschutzgesetz ein verständliches Gesetz, ein gutes
Gesetz ist und dass es gleich eine große Zustimmung
und so gut wie keine Gegenstimmen hier im Deutschen
Bundestag geben wird.
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält jetzt der Kollege Lothar Binding,
SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Der Kollege Steffel hat
gerade gesagt, dass wir uns sehr über Einmischung und
über Anregungen von Bürgern freuen. Wir bekommen
wirklich exzellente Hinweise auf die konkreten Wirkungen von gesetzlichen Formulierungen. Ich freue mich
aber immer weniger über Massenpost.
({0})
Dies sieht meist so aus: Jemand schreibt: „Sehr geehrter
Herr Binding“, und dann folgt ein gestohlener Text aus
dem Netz oder ein Text, den man sich dort geklickt hat.
Solch ein Text ist eigentlich keine Meinung, die man
sich gebildet hat, sondern eine Meinung, die man sich
geklickt hat. In „sich eine Meinung bilden“ kommt das
Wort „Bildung“ vor. Unter diesem geklickten Text steht
dann: „Ich bin ganz persönlich an Ihrer Meinung interessiert. Viele Grüße“, und dann kommt der Name. Sie haben nicht mehr gemacht, als zweimal zu klicken und es
wegzuschicken.
Wir bekommen dann 100 Seiten Text oder 100 solcher Mails. Das bedeutet, dass unsere Arbeitskapazität
durch Antworten an Leute, die keine eigenen Texte geschrieben haben, aufgefressen wird. Ich muss sagen: Das
lähmt uns wirklich. Jeder individuelle Brief ist uns sehr
viel wert. Er wird auch liebevoll und fachlich korrekt beantwortet. Diese Anregungen kommen an. Darauf wollte
ich einmal hinweisen; denn Massenpostverfahren führen
nicht zu einer besseren Qualität der Arbeit.
({1})
Ganz wichtig: Wenn wir Kleinanleger und Verbraucher schützen und das Ganze gesetzlich regulieren wollen, ist es von Vorteil - das wurde schon angedeutet -,
wenn die Verbraucher, die Kleinanleger und alle Leute
das, was wir für sie regulieren, lesen und verstehen können. Nicht alle Verbraucher sind Juristen, und nicht alle
Verbraucher sind Germanisten oder Finanzexperten. Wir
müssen selbstkritisch sagen: Wir haben uns eine Sprache
angewöhnt, die für viele gewöhnungsbedürftig ist. Es ist
sicher nicht so, dass wir immer so reden, dass es alle
Leute verstehen. Aber jeder hat das Recht, uns zu verstehen, speziell dann, wenn wir etwas für ihn regeln.
Deshalb müssen wir in diesem Fall Frau Dr. Sibylle
Hallik von der Gesellschaft für deutsche Sprache dankbar sein - wir sind es auch -, die endlos viele Vorschläge
gemacht hat, in diesem Gesetzentwurf Vereinfachungen
vorzunehmen und eine bessere Verständlichkeit herzustellen. Diese Initiative geht eigentlich zurück - um daran einmal zu erinnern - auf den Kollegen Dr. Ole
Schröder, heute Parlamentarischer Staatssekretär, und
mich. Wir haben erreicht - ein ganz großes Ergebnis -,
dass im BMJV heute immerhin eine eigene Abteilung
zur Verbesserung der Verständlichkeit der Sprache existiert. Es gibt sie seit einigen Jahren, und sie wurde auch
ausgebaut; das ist ein großer Erfolg.
Wir hatten von Anfang an die Idee, eine solche Institution auch für das Parlament zu schaffen. Denn das, was
die Exekutive vorlegt, wird von uns verändert. Wenn es
sprachlich zum Schlechten verändert wird, dann versteht
es keiner. Deshalb sagen wir: Wir brauchen eine solche
Einrichtung auch für das Parlament. Diese Vorgehensweise ist hier - ich glaube, das ist ein großer Erfolg - das
erste Mal in einem Gesetzgebungsverfahren systematisch angewandt worden.
({2})
Ich möchte mich auch bei den beiden Ministern bedanken. Es ist eine Gratwanderung zwischen Verbraucherschutz einerseits und den Freiheitsgraden beim
Crowdfunding - davon haben wir gehört - und bei der
Finanzierung sozialer und ökologischer Projekte andererseits. Es wird mit Sicherheit so sein: Wir werden jetzt
zu wenig Verbraucherschutz betrieben haben, und die
Freiheit der Geldanleger wird zu klein sein. Egal was
passiert: Auf einer der beiden Seiten müssen wir mit
Sicherheit verbessern und nachjustieren. Dafür brauchen
wir Erfahrungen. Wenn jemand sein Geld verliert, ist
völlig klar, wer daran Schuld hat: dieses Gesetz. Denn
oft - das ist auch mit Blick auf Prokon zu beobachten
gewesen - schalten die Leute ihren gesunden Menschenverstand aus. Wenn ich am Markt überall 1 Prozent Zinsen bekomme und mir jemand 8 Prozent bietet, könnte
mir das ja zu denken geben. Ich könnte denken, dass
nicht die ganze Welt so dumm ist, ihr Geld dann für nur
1 Prozent anzulegen. Aber viele Leute glauben: Ich erziele natürlich 8 Prozent. - Daran merkt man: Man
braucht den gesunden Menschenverstand im Hintergrund sehr wohl.
Ich möchte noch jemandem danken, der sich auch daran gewöhnen musste, dass es diese Sprachbetrachtung
gibt, nämlich dem Regierungsdirektor Jürgen Rödding,
Lothar Binding ({3})
der eigentlich die Substanz für dieses Gesetz geliefert
hat. Er hat exzellent mit der Gesellschaft für deutsche
Sprache zusammengearbeitet. Das Produkt kann sich sehen lassen, auch wenn noch Aufgaben vor uns liegen.
Wer das ein bisschen genauer nachlesen will, der
kann sich zum Beispiel den neuen § 2 a des Vermögensanlagegesetzes anschauen. Hier haben wir Verweisketten
formuliert. Wer sie auf Anhieb versteht, dem müssen
wir, glaube ich, kräftig gratulieren; denn diese Verweisketten sind unverständlich. Daran gilt es sicherlich weiter zu arbeiten. Deshalb: Wenn wir diesen Prozess der
sprachlichen Begleitung auch bei den nächsten Gesetzgebungsverfahren anwenden, haben wir sehr viel gewonnen. Heute sind wir einen ersten großen Schritt gegangen.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Kleinanlegerschutzgesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4708, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/
3994 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
CDU/CSU- und SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/4712. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Volker Beck ({0}), Özcan Mutlu, Omid
Nouripour, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwirklichung des Geburtsrechts im Staatsangehörigkeitsrecht
Drucksache 18/4612
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Willkommenskultur beginnt im Kreißsaal. Wer in Deutschland geboren ist, soll von Anfang an dazugehören. Dies
regeln wir heute mit dem Gesetzentwurf zur Verwirklichung des Geburtsrechts im Staatsangehörigkeitsrecht:
Wir wollen das Geburtsrecht im Staatsangehörigkeitsrecht endlich Wirklichkeit werden lassen.
({0})
Hier geborene Kinder von Eltern, die mit einem Aufenthaltstitel in Deutschland leben, sollen von Anfang an
Deutsche sein. Das Bürokratiemonster Optionszwang
wollen wir abschaffen. Hier geborene Kinder, deren Eltern erst nach der Geburt eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, sollen die Staatsangehörigkeit mit der Erteilung
des Aufenthaltstitels der Eltern bekommen. Das ist ein
starkes integrationspolitisches Signal; aber es ist alles
andere als revolutionär. Wir gehen damit noch nicht mal
so weit wie das kanadische bzw. das US-amerikanische
Staatsangehörigkeitsgesetz.
Bundespräsident Gauck hat bei einer Einbürgerungsfeier letztes Jahr gesagt - ich zitiere -:
Wir können also sagen: Deutschland ist auf einem
guten Weg und hat eine gute Wegstrecke bereits zurückgelegt.
Der größte Schritt war wahrscheinlich 1999 die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Neben das ius
sanguinis trat das ius soli. Seitdem kann Deutscher
werden, wer in Deutschland geboren wurde, auch
wenn seine Eltern es nicht sind.
({1})
Ja, recht hat der Bundespräsident. Alle glaubten auch,
er beschreibe die Rechtslage. Das zeigt, wie akzeptiert
das eigentlich ist, was wir hier vorschlagen: Niemand
hat sich darüber aufgeregt. Ich sage Ihnen: Es ist an der
Zeit, dass dieser Wunsch des Bundespräsidenten im
Bundesgesetzblatt steht.
({2})
Die Menschen draußen im Lande denken auch immer,
das sei schon längst Rechtslage. Dabei ist es tatsächlich
so, dass nur jedes zweite Kind von ausländischen Eltern,
das in Deutschland geboren wird, tatsächlich die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt. Man bekommt sie
nämlich nur, wenn die Eltern acht Jahre hier sind und einen unbegrenzten Aufenthaltstitel haben. Das heißt, sie
Volker Beck ({3})
sind entweder EU-Bürger oder - bei Drittstaatlern - Inhaber einer Niederlassungserlaubnis. Das sind viel zu
hohe Hürden. Wenn wir wollen, dass Menschen sich von
Anfang an hier dazugehörig fühlen, dass Kinder von
Ausländern kein Thema der Integration sind, sondern
der gemeinsamen Gesellschaft, des Zusammenlebens,
dann ist diese Reform längst überfällig.
({4})
Wenn man in unser Staatsangehörigkeitsgesetz schaut
- trotz der Reformen, die wir 1999 gemacht haben und
die ein großer Schritt waren -, muss man sich immer
noch fragen: Wie viel deutsche Luft muss man atmen,
wie viele Weißwürste essen,
({5})
wie viele Polkas tanzen, bevor man Deutscher werden
darf?
({6})
- Der Berliner darf Currywurst essen; aber ich glaube,
die bayerischen Weißwürste sind in der Staatsangehörigkeitsdebatte eher das Problem.
({7})
Bundesinnenminister de Maizière hat am 14. April
eine Migrationskonferenz abgehalten. Da sagte er - und
das ist richtig -:
Es ist nicht so, als würden die Fachkräfte aus dem
Ausland an den deutschen Grenzen Schlange
stehen …
Viele Fachkräfte ziehen lieber nach Kanada, Australien, Neuseeland oder die USA. Deutschland ist
für sie bisher nicht so attraktiv. Hier müssen wir ansetzen.
Und er sagt weiter:
Die Forderung nach einer „Willkommenskultur“ ist
zwar schnell aufgestellt und sicherlich auch gut gemeint. Letztendlich ist sie aber folgenlos, wenn sie
zu unbestimmt bleibt.
Das ist richtig so. Deshalb sagen wir: Eine Willkommenskultur entsteht nicht nur durch die staatliche Gesetzgebung. Aber es ist auch entscheidend, welchen
Geist unsere Gesetze atmen, ob die Menschen, die zu
uns kommen, auf Augenhöhe behandelt werden oder wir
sie als Bittsteller, als Menschen minderen Rechts behandeln. Deshalb brauchen wir endlich eine Staatsangehörigkeitsreform einerseits bezüglich des Geburtsrechts,
andererseits - das werden wir bis zur Sommerpause vorlegen - der Erleichterung der Einbürgerung und der Ermöglichung der Mehrstaatigkeit. Wir brauchen auch den
Schutz von Ehe und Familie im Aufenthaltsgesetz, er ist
an vielen Stellen nicht verwirklicht. Hierzu haben wir
bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt. Und es ist an der
Zeit, dass wir das kommunale Wahlrecht für Drittstaatler
genau so regeln, wie es für EU-Bürger bereits geregelt
ist.
({8})
Was kommt aus dem Innenministerium? Minister de
Maizière ist der Minister „No Willkommenskultur“.
({9})
Kein Ius soli, kein kommunales Wahlrecht, und beim
Einwanderungskonzept - das hat er in seiner Rede deutlich gemacht - weiß der Minister vor allen Dingen, was
er nicht will. Er will keine neuen Möglichkeiten für eine
bedarfsgesteuerte, aber angebotsorientierte Zuwanderung beispielsweise durch ein Punktesystem. Er will
keine Entbürokratisierung durch die Möglichkeit des
Statuswechsels, und die zirkuläre Migration - eine entscheidende Frage für moderne Arbeitsmärkte - ist für
ihn weiter ein Fremdwort.
Meine Damen und Herren, Deutschland braucht aus
demografischen Gründen in den nächsten Jahren mindestens 300 000 Arbeitskräfte jährlich. Dass das kein
akutes Problem ist, liegt an der Einwanderung von Menschen aus den südeuropäischen Ländern infolge der
Euro-Krise und an den Flüchtlingen, die wir gegenwärtig aufnehmen. Aber diese Situation wird nicht dauerhaft
anhalten. Deshalb wäre es an der Zeit, die Weichen für
eine moderne Einwanderungspolitik zu stellen.
Ich weiß, beim Punktesystem werden wir mit der
Union ein bisschen streiten und länger reden müssen. Es
hat ja auch ein paar Jahrzehnte gebraucht, bis Sie kapiert
haben, dass die Gastarbeiter Einwanderer sind und
Deutschland ein Einwanderungsland ist. Aber lassen Sie
uns die Zeit in dieser Debatte dafür nutzen, wenigstens
die Signale auf Willkommenskultur zu stellen. Dazu
leistet dieser Gesetzentwurf einen Beitrag. Ich hoffe auf
Ihre wohlwollende Erwägung unserer Vorschläge.
({10})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Michael Frieser,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei dieser emotional geführten Debatte - das ist etwas,
was ich begrüßen kann, weil es immerhin
({0})
um die Wurzeln dieses Staates geht - geht es um etwas
sehr Grundsätzliches, nämlich um das Staatsangehörigkeitsrecht. Da darf man auch einmal sehr emotional sein.
Wir haben bei der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts nun wirklich mehrere Handvoll Anträge, Gesetzentwürfe, die wir da hinterherwerfen. Die Frage stellt
sich schon: Wie viele Reden von grünen Abgeordneten
muss man gehört haben, um eine Einbürgerung in dieses
Land zu verdienen?
({1})
Das ist ein harter Stresstest.
({2})
Es ist ein harter Test, den man da durchleiden muss. Da
muss man auch Menschen, die es mit diesem Staat, mit
dieser Verfassung, mit dieser Demokratie ernst meinen,
({3})
sagen: Ja, auch diese Leidensfähigkeit gehört dazu, ein
Deutscher zu sein und eingebürgert zu werden, auch
wenn es ein hartes Stück Brot ist. Deshalb ist die Debatte
über das Ius soli im Grunde schon eine geschichtliche
Debatte, die wir hier in Deutschland führen, und wir führen sie auch nicht zum ersten Mal. Da bekommt die Opposition den Preis für Hartnäckigkeit. Aber man muss
ehrlich sagen: Sie bekommt auch den Preis für die beste
Realitätsverdrängung.
({4})
Was haben wir denn getan? Da wird es nun wirklich
abstrus. Den Bundesinnenminister als denjenigen zu bezeichnen, der der Integration im Wege stand, heißt wirklich, das, was die Union in den letzten Jahren mit dieser
Regierung getan hat, vollkommen zu verleugnen.
({5})
Trotz Ihres erhöhten Tonfalles habe ich überhaupt nicht
den Eindruck zu vermeiden versucht, dass in dieser
Frage auch unter Rot-Grün etwas passiert ist. Das will
ich überhaupt nicht in Abrede stellen.
({6})
Die entscheidende Frage ist, was in der Integrationspolitik zum Thema Anerkennungsgesetz und Ähnliches
passiert ist. Trotz der Änderungsbereitschaft und trotz
dessen, was diese Regierung bereits vorgelegt hat, sagen
Sie jetzt, es gebe keinen Weg zu einer Willkommenskultur und kein wirkliches Willkommenheißen von Menschen, die es mit dem Bekenntnis zu diesem Staat und zu
dieser Grundordnung ernst meinen und die vor allem den
deutlichen Willen haben, sich in diese Gesellschaft zu
integrieren. Der Innenminister ist dafür doch ein Vorreiter.
({7})
Wir haben die Optionsregelung so weit angepasst, dass
man deutlich sagen kann: Die Zerrissenheit bei der Abstimmung, durch die junge Menschen erkennbar auch
gelitten haben, existiert nicht mehr. Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass man sich auf der
einen Seite mit Stolz zu seinen Wurzeln bekennen und
auf der anderen Seite trotzdem als Bürger am Aufbau
und an der Integrität eines Landes teilnehmen kann. Das
ist möglich, setzt aber vor allem das Bekenntnis voraus:
Ich bin bereit, meinen Teil beizutragen und mich auf einen solchen Prozess der Integration auch wirklich einzulassen.
({8})
Das heißt natürlich, dass es bestimmte Voraussetzungen geben muss. Ich denke nicht nur an die Voraussetzung der Geburt in diesem Land, sondern es muss auch
um die Dauer gehen, wie lange man an dieser Gesellschaft teilnimmt.
({9})
Außerdem geht es um die Institutionen. Ich denke zum
Beispiel daran, dass man der Schulpflicht nachgekommen sein muss. Das alles haben wir getan. Wer das verkennt, tut dies nicht aus Realitätsnähe, sondern aus ideologischen Gründen. Das mag Ihnen überlassen sein, aber
so ist das.
({10})
Letztendlich bleibt es dabei: Die Einbürgerung ist ein
Akt, der am Ende eines erfolgreichen Prozesses steht, eines Prozesses, der mit dem Bekenntnis zu diesem Staat,
zu seiner Gesellschaft und zu seinen Zielen und Grundwerten beginnt. Dieser Akt kann nicht am Anfang stehen.
Das bedeutet auch, dass man deutlich sagen muss: Es
ist schwierig, sich in diesen Dingen mit anderen zu vergleichen. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Opposition vor allem die Vereinigten Staaten oder Australien
einmal herzzerreißend gerne als besonders hoch gehängten Maßstab angenommen hat, wenn es um Flüchtlinge
und Einbürgerung ging. Diese Vergleiche sind ansonsten
immer sakrosankt. An diesem Punkt schauen Sie aber
plötzlich in die Vereinigten Staaten. Nun gut, ich scheue
auch diesen Vergleich nicht. Wollen Sie aber den ethnischen Spannungen, die es vor allem auch in den Vereinigten Staaten gibt, mit einer solchen Politik wirklich
Vorschub leisten? Ich würde sagen, dann gehen wir einmal weiter zurück - von Australien ganz zu schweigen.
Einer solchen Entwicklung wollen wir nicht das Wort reden.
({11})
Ich glaube, den Vergleich mit den Vereinigten Staaten
brauchen wir nicht. Wir können gerne in Europa bleiben.
Hier sind die Vergleiche nun wirklich eindeutig. Es gibt
die unterschiedlichsten Modelle des Abstammungs- und
Staatsangehörigkeitsrechts in Europa. Es ist hier möglich, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Italien, Österreich,
Polen, Schweden und das gesamte Baltikum, wo es genau so geregelt ist, wie wir uns das in Deutschland vorstellen, in einem Atemzug zu nennen.
Nein, es nimmt Ihnen niemand ab, dass es Ihnen hier
um ein besonderes Willkommenheißen geht. Seien Sie
an dieser Stelle einmal ganz offen, und sagen Sie der Bevölkerung die Wahrheit! Es geht darum, dass man auch
um Wählerstimmen giert.
({12})
Sie glauben allen Ernstes, dass sich die Änderungen Ihrer Vorstellungen zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht
irgendwann einmal positiv auf Ihre Wählerstimmen auswirken können. Das ist aus meiner Sicht der einzige
Grund.
({13})
Deshalb sage ich an dieser Stelle: Da können und werden wir nicht mitmachen. Den vorliegenden Gesetzentwurf werden wir auf jeden Fall ablehnen.
Vielen Dank.
({14})
Herr Kollege Frieser? - Okay.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen,
Die Linke.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Frieser, man kommt nicht umhin, wenigstens
auf zwei Punkte Ihrer wirklich ungeheuerlichen Rede
einzugehen.
Der erste Punkt sind die Ausschreitungen in den
USA, Sie nannten sie „ethnische Spannungen“. Sie sind
keine Folge des Staatsangehörigkeitsrechts in den USA,
({0})
sondern das ist schlicht Rassismus. Das ist das Problem
dieser Spannungen und Ausschreitungen in den USA.
Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
({1})
Der zweite Punkt. Wenn Sie den Grünen und allen anderen, die für ein republikanisches Staatsangehörigkeitsmodell in Deutschland streiten und sich dafür einsetzen,
vorwerfen, nur auf Wählerinnen- und Wählerstimmen
abzuzielen, dann möchte ich Sie darauf hinweisen, dass
der Vizevorsitzende der Bundes-CDU, Laschet,
({2})
im Rahmen des Wahlkampfes dem Verein Milli Görüs in
Bremen einen Besuch abgestattet hat, einem islamistischen Verband, der kein Problem mit Dschihadisten hat,
und dort um Wählerinnen- und Wählerstimmen geworben hat. Das ist schändlich, Herr Frieser. Das sollten Sie
sich einmal ansehen.
({3})
Deshalb ist klar: Die Linke unterstützt diesen Gesetzentwurf der Grünen - um das unmissverständlich zu sagen. Wir Linke fordern seit Jahren, die bestehende Dominanz des Blutsrechts, des Ius sanguinis, im deutschen
Staatsangehörigkeitsrecht abzuschaffen.
({4})
Wir wollen eben nicht - Herr Beck hat das richtig gesagt -, dass nur diejenigen der hier geborenen Kinder die
deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, deren Eltern die
deutsche Staatsangehörigkeit bereits besitzen.
Auch die hier geborenen Migrantinnen- und Migrantenkinder sind frei und gleich an Rechten geboren, wie
es in der französischen Erklärung der Menschen- und
Bürgerrechte von 1789 heißt. Ich finde, wir sollten im
21. Jahrhundert nicht hinter die Zeit von 1789 zurückfallen. Diese Bürgerinnen- und Bürgerrechte sollten wir
uns zu eigen machen.
({5})
Kinder von Migrantinnen und Migranten sollen hier als
gleichberechtigte Staatsbürgerinnen und Staatsbürger
aufwachsen können. Das geltende Staatsangehörigkeitsrecht macht aus den hier geborenen Menschen in vielen
Fällen Ausländer, obwohl sie eben Inländer sind.
Auch wenn ich das prinzipiell nicht mache, möchte
ich Ihnen ein Beispiel aus meinem Leben geben. Ich bin
in Duisburg in Nordrhein-Westfalen als Kind von Eltern
aus der Türkei geboren, die als Gastarbeiter hierhergekommen sind. Ich bin hier geboren. Weil meine Eltern
die türkische Staatsangehörigkeit hatten, hatte auch ich
die türkische Staatsangehörigkeit.
Ich bin hier geboren, aufgewachsen, habe hier die
Schule, die weiterführende Schule und die Universität
besucht. Ich habe mich die ganze Zeit geweigert, für etwas einen Antrag stellen zu müssen, was meiner Meinung nach eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Warum
konnten sich meine deutschen Freundinnen und Freunde
deutsche Staatsbürger nennen, während ich sagen
musste: „Nein, ich bin keine deutsche Staatsbürgerin“?
Dabei bin ich genauso hier geboren und aufgewachsen
wie die anderen.
An der Universität musste ich nochmals eine Diskriminierung erleben. Als ich ein Stipendium gewonnen
hatte, um ein Jahr lang in Australien zu studieren, wollte
ich einen Antrag auf Auslands-BAföG stellen, so wie
das auch meine Kommilitonin tat, die mit mir dorthin
fahren wollte. Meiner Kommilitonin wurde das gestattet,
mir wurde das nicht gestattet. Warum? Weil ich keine
deutsche Staatsbürgerin war. Ich finde das einfach unfair. Ich finde, das ist ungerecht.
({6})
Mit mir zusammen finden es Tausende davon betroffene
Menschen ungerecht, für eine Selbstverständlichkeit erst
einmal einen Antrag zu stellen, was andere nicht tun
müssen, obwohl man wirklich in jeder Hinsicht genauso
wie die Freundinnen und Freunde mit einem deutschen
Pass ist.
Die Anforderungen des Geburtsrechts, des Territorialprinzips Ius sanguinis im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht sind einfach deutlich zu hoch. Hier müssen
wir die Hürden absenken, wie das mein Kollege Beck
sagte, gerade wenn wir an einer wirklichen Integrationspolitik interessiert sind, meine Damen und Herren.
({7})
SPD und Grüne haben damals bei der Reform des
Staatsbürgerschaftsrechts 1999 einen längst überfälligen
Einstieg in das Ius soli gemacht.
({8})
Doch leider war dieser Schritt zögerlich und unzureichend.
({9})
Wenn einer Sache Lob gebührt, sollte man dieses Lob
auch ausdrücken, lieber Herr Kollege,
({10})
aber nicht wie Sie, wenn Sie sagen, dass Herr Beck seine
Rede aus dem Regierungsprogramm der SPD abgeschrieben habe. Dieses Programm haben Sie selbst Tag
für Tag verraten. Sie sollten sich selbst an dieses Programm halten, statt darauf zu warten, dass wir Ihnen das
Programm widerspiegeln. Das ist die Wahrheit, meine
Damen und Herren.
({11})
Ein Geburtsfehler unter Rot-Grün, die Optionspflicht,
wurde anderthalb Jahrzehnte später mehr schlecht als
recht beseitigt.
({12})
Aber die sehr hohen Anforderungen an das Ius soli, an
den Aufenthaltsstatus wie den achtjährigen Aufenthalt
oder das unbefristete Aufenthaltsrecht der ausländischen
Eltern hier geborener Kinder sind nach wie vor in Kraft.
Insofern gibt es Handlungsbedarf. Ich bleibe dabei:
Diese hohen Hürden müssen endlich abgesenkt werden.
Deshalb begrüßen wir diesen Gesetzentwurf.
({13})
Ich begrüße den Gesetzentwurf der Grünen auch, weil
die Reform der Staatsangehörigkeit bei den Grünen bisher zumeist sehr unkritisch als Erfolg der rot-grünen Regierungszeit gefeiert worden ist und die verbliebenen
Hürden und Härten gering geschätzt wurden, was mit
diesem Gesetzentwurf ein Stück weit korrigiert wird. Ja,
über die Stichworte „deutliche Gebührenerhöhung“,
„höhere Sprachanforderungen“ und „Beseitigung des sogenannten Inländerprivilegs“, das dazu führte - wir wissen es -, dass sehr viele türkische Staatsangehörige, die
bisher die doppelte Staatsbürgerschaft hatten und auch
deutsche Staatsangehörige waren, zu Tausenden und
Zehntausenden ihre Staatsangehörigkeit verloren hatten,
wurde einfach hinweggegangen.
Falls Ihnen das nicht bewusst ist: Die Einbürgerungszahlen in Deutschland lagen unter dem rot-grünen
Staatsbürgerschaftsrecht bereits im Jahr 2003 unter den
Zahlen nach dem alten Recht von 1913. 1999 waren es
noch 143 000, und nach der Reform von Rot-Grün waren es 140 000.
Deshalb finde ich es gut, dass man sieht, dass diese
Hürden immer noch bestehen und es keinen Grund gibt,
wie bisher zu feiern, sondern dass die Dinge beim Namen genannt werden und die Abschaffung des Optionszwangs gefordert wird. Das unterstützen wir.
({14})
Wir unterstützen auch, dass der sinnlose Aufwand im
Zusammenhang mit dem Optionsmodell, das von dieser
Regierung eben nicht abgeschafft worden ist, grundsätzlich vollständig abgeschafft wird. Deshalb appelliere ich
an die SPD, sich hier endlich zu bewegen und sich nicht
weiterhin der Ausgrenzungspolitik von CDU und CSU
anzuschließen.
Danke.
({15})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Lars Castellucci, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1997 habe
ich, glaube ich, zum ersten Mal richtig verstanden, worum es bei dem Thema geht. Damals habe ich nämlich in
den Vereinigten Staaten studiert, und ich war bei einer
wunderbaren Gastfamilie untergebracht. Meine Gasteltern waren 1972 für ein knappes Jahr in Deutschland.
Dort ist ihr Sohn auf die Welt gekommen, und zwar in
Baiertal, in der Schulstraße, auf der Couch, mit Unterstützung einer Hebamme.
Als es um die Ausweispapiere ging und meine Gasteltern sich wieder nach Hause aufmachen wollten, gab
es plötzlich ein Problem. Die deutschen Behörden haben
nämlich gefragt: Was wollen Sie eigentlich von uns? Sie
sind doch Amerikaner. Das ist ein amerikanisches
Kind. - Die amerikanischen Behörden wiederum haben
gefragt: Was wollen Sie denn? Das Kind ist in Deutschland geboren. Es ist ein deutsches Kind.
Das Beispiel zeigt: Wir haben unterschiedliche Traditionen. Es wurde bereits angesprochen: Ius soli heißt, es
gilt, wo man geboren ist. Ius sanguinis heißt, es gilt die
Abstammung.
Sie schlagen nun vor, das Geburtsprinzip im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht zu verankern, und zwar
für alle Kinder, deren Eltern sich rechtmäßig hier aufhalten und ihren gewöhnlichen Aufenthalt hier haben.
Nebenbei bemerkt - ich nutze die Gelegenheit -: Wir
sollten auch einmal über die Menschen sprechen, die
sich in unserem Land nicht rechtmäßig aufhalten.
({0})
Das ist natürlich keine Frage des Staatsangehörigkeitsrechts.
Mit Ihrem Vorschlag jedenfalls würden beispielsweise Kinder von Studierenden, die hier geboren werden
und deren Eltern eine ausländische Staatsbürgerschaft
haben, Deutsche werden können.
({1})
Ausländische Studierende sind für uns eine wichtige
Zielgruppe. Es gibt sogar Bundesprogramme, mit denen
wir sicherstellen wollen, dass diese bei uns bleiben können. Andere gehen zurück und sind dann hoffentlich
gute Botschafter unseres Landes in der Welt. Aber die
Kinder derer, die bleiben, würden von Anfang an als
Deutsche aufwachsen. Das hätte eine ganze Menge Vorteile.
({2})
Jetzt will ich auch sagen: Es gibt sicherlich schlimmere Schicksale, als in Deutschland als Kind sogenannter oder wie auch immer genannter ausländischer Eltern
aufzuwachsen. Aber für die Kinder bleibt das mit einer
Erfahrung verbunden, und diese Erfahrung lautet: Wir
gehören nicht ganz dazu. - Die Kinder spüren - dieses
Gefühl ist auch mit der letzten Reform nicht vollständig
ausgeräumt worden - einen Vorbehalt. Sie spüren also
keinen Vertrauensvorschuss, sondern sie spüren einen
Misstrauensvorschuss. Das tut keiner Beziehung gut.
Auch daraus können sich weitere Distanzierungen von
ihrer Heimat Deutschland ergeben. Die aber sind in niemandes Interesse.
Ja, es geht um das Bekenntnis zu unserem Staat, vor
allem zu unserem Grundgesetz. Aber mir geht es auch
um ein grundsätzliches Bekenntnis zu den Menschen.
Das Ziel muss ein großer gesellschaftlicher Zusammenhalt sein, und den schafft man immer nur dann bestmöglich, wenn man nicht in „die“ und „wir“ aufteilt.
({3})
Sie sehen also: Ich habe alle Sympathien für Ihren
Gesetzentwurf. Was Sie fordern, steht auch in unserem
Regierungsprogramm. Aber jetzt kommen wir zu dem
Kapitel „Ewig grüßt das Murmeltier“. Wo das nämlich
nicht steht, das ist der Koalitionsvertrag.
({4})
Tatsache ist - jetzt wollen wir einmal ernsthaft weitermachen; ich mache es auch mit der notwendigen Empathie für unseren Koalitionspartner -, dass unser Koalitionspartner sich mit dieser Frage außerordentlich
schwertut. Einerseits stört mich das, weil ich gerne das,
was wir hier vorliegen haben, hätte, andererseits sind wir
nun einmal unterschiedliche Parteien. Es wäre seltsam,
wenn plötzlich alle das Gleiche wollten. In Wahrheit tut
sich nicht nur unser Koalitionspartner mit dieser Frage
schwer, sondern das ganze Land tut sich mit dieser Frage
schwer. Deswegen ist die Repräsentanz dieser Gruppe,
die sich schwertut, hier auch gewährleistet und gerechtfertigt.
Wer sind wir? Wer und was gehört zu uns? Das sind
Fragen, über die wir ganz trefflich und heiß diskutieren
können; das ist eben wieder angeklungen. Gehört nun
der Islam zu Deutschland? Das ist eine dieser Debatten.
Auch die zahllosen Begriffe, mit denen wir nicht, noch
nicht oder irgendwie nicht richtige Deutsche bezeichnen,
sprechen eine klare Sprache: Ausländer, Migranten, Mitbürger mit Migrationshintergrund, von einem oder zwei
ausländischen Elternteilen, aus der soundsovielten Generation, Deutsche mit Zuwanderungsgeschichte. Wir
machen es uns wirklich nicht leicht.
Als ich Geschichte studiert habe, hießen die Seminare
immer: Deutsche Geschichte von bis. - Die ersten Stunden und die Einleitungskapitel in den Büchern hingen
immer von der Frage ab, was wir eigentlich ganz genau
meinen; denn als Staat existieren wir erst seit 1871. Woran machen wir also deutsche Geschichte überhaupt
fest? An Sprache, an Kultur, an besiedeltem Territorium,
an der Nationalität des Herrschers? Nichts davon funktioniert. Die Wirklichkeit ist komplizierter. Der Zugang
liegt immer im Auge des Betrachters.
Dass wir uns so schwertun, kann man bedauern, aber
damit bekommen wir das Problem nicht weg. Deswegen
unternehme ich jetzt den Versuch, eine Brücke zu bauen.
Vielleicht ist der behutsame Weg der Veränderung, den
wir schrittweise gehen, deshalb auch angemessen. 1999
haben wir den ersten Anlauf genommen; es ist davon die
Rede gewesen. Wir haben einiges erreicht. Das Staatsangehörigkeitsrecht stammte aus dem Kaiserreich und hieß
auch so. Wir haben es modernisiert. Seitdem gelten Elemente des Geburtsortsprinzips. Die Optionspflicht haben
wir mit der neuen Reform fast überwunden. Ich will sagen: Wir sind auf dem Weg. Es geht in die richtige Richtung, und den Rest schaffen wir auch noch.
({5})
Bis wir so weit sind, können wir aber auch über ein
paar Fragen nachdenken. Da spreche ich Sie als Oppositionsfraktion, die den Gesetzentwurf eingebracht hat, direkt an. Wie ist das eigentlich mit der Weitervererbung
von Mehrstaatigkeit? Diese Frage ist aus meiner Sicht
nicht sinnvoll und nicht konzeptionell gelöst. Wie können also Regelungen über Generationen hinweg aussehen, die dafür sorgen, dass es nicht zu einer Multiplikation von Staatsangehörigkeiten kommt? Müssen wir
über etwas nachdenken, was beispielsweise eine ruhende
Staatsangehörigkeit ist?
Außerdem begründen Staatsbürgerschaften Rechte
und Pflichten. Ich äußere mich jetzt einmal als Sprecher
der AG Demokratie: Wo soll man denn eigentlich das
Wahlrecht haben - in der ersten Generation, in der zweiten Generation und dann in der dritten Generation, wenn
möglicherweise gar keine Bezüge zu den Ursprungsländern mehr da sind? Nach meiner Vorstellung sollte eine
Person - aber dann durchaus auch alle Gruppen, die Sie
angesprochen haben - dort wählen, wo sie lebt, wo sie
ihren Lebensmittelpunkt hat.
({6})
Es wäre gut, wenn Sie sich auch diesen Fragen zuwenden würden; denn in Ihrem Antrag bleiben sie offen.
Auch in Ihrer Rede haben Sie zwar über eine Willkommenskultur gesprochen, aber sehr wenig gesagt zu den
Fragen und den Details, die wir auf dem Weg dahin bewältigen müssen.
({7})
Wir können diese Fragen also weiterbearbeiten; das
sollten wir auch tun. Aber wir müssen dabei auch nicht
stehen bleiben, sondern wir können heute schon Spielräume nutzen, die unter dem aktuellen Staatsbürgerschaftsrecht möglich sind. Beispielsweise in BadenWürttemberg, woher ich komme, ist die Anzahl der Einbürgerungen im letzten Jahr auf den höchsten Stand seit
2003 gestiegen. Das ist kein Selbstläufer, sondern dahinter steckt eine einbürgerungsfreundliche Politik.
({8})
Da gab es Plakatkampagnen. Da gibt es würdige Veranstaltungen, mit denen die Menschen willkommen geheißen werden.
({9})
Dort gibt es zielgruppengerechte Informationen und weitere gute Sachen. Von Einbürgerung profitieren schließlich alle.
Das ist wieder so ein Argument. Die Statistiken zeigen wirklich klar: Eingebürgerte erreichen höhere Bildungsabschlüsse; sie sind erfolgreicher auf dem Arbeitsmarkt; sie erzielen höhere Einkommen; sie zahlen mehr
Steuern. Einbürgerung ist wirklich ein Gewinn für die
gesamte Gesellschaft. Wir müssen jetzt aber nicht auf
das Staatsangehörigkeitsrecht starren wie das Kaninchen
auf die Schlange, sondern wir können heute schon die
Spielräume nutzen und kreativ und engagiert sein.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir waren länger in
unserer Geschichte ein Auswanderungsland. Erst langsam gewöhnen wir uns daran, ein Einwanderungsland zu
sein. Ich finde, es ist in Ordnung, wenn wir uns daran gewöhnen. Es ist ein Prozess. Die Deutschen, die nach
Amerika ausgewandert sind, waren zuerst Deutsche in
Amerika, dann waren es German Americans, und
schließlich waren es Amerikaner mit deutschen Wurzeln - drei Generationen; es braucht Zeit. Es ist also gut,
dass wir hier darüber debattieren - auch wenn es emotional zugeht -, wie es einmal aussehen kann. Aber die
Zeit, bis wir so weit sind, dass wir diese Ziele erreichen,
können und sollten wir nutzen, um die offenen Fragen zu
klären, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen sind.
({11})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Tim Ostermann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland
gilt bislang das eingeschränkte Geburtsortsprinzip. Das
heißt, wer sich zum Zeitpunkt der Geburt in Deutschland
befindet, der wird dann deutscher Staatsangehöriger,
wenn mindestens ein Elternteil seit wenigstens acht Jahren hier aufhältig ist und über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt.
Aus Sicht der Grünen soll diese Einschränkung nun
wegfallen. Künftig würden, wenn der Vorschlag der
Grünen Gesetz würde, Neugeborene bereits dann die
deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, wenn ein Elternteil seinen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt in
Deutschland hat.
({0})
Die Grünen begründen diesen Schritt damit, dass die
globale Mobilität der Menschen zunehme. Daher komme
es zu einem Spannungsverhältnis zwischen den zugezogenen in Deutschland lebenden Menschen und dem
wahlberechtigten Staatsvolk. Die Grünen legen damit
ein Verständnis von Staat und Staatsbürgerschaft an den
Tag,
({1})
das die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht teilen kann.
Einerseits degradieren Sie, Herr Beck, unter dem Deckmantel der Globalisierung und der Mobilität die Staatsangehörigkeit zu einem beliebigen Status.
({2})
Nach Ihrer Ansicht ziehen Menschen in andere Länder
und nehmen die dortige Staatsangehörigkeit an, wie es
ihnen gerade so passt. Mit der Zeit gefällt diesen Menschen ihr Aufenthaltsort vielleicht nicht mehr. Bei einem
erneuten Umzug um den Globus lässt man die Staatsangehörigkeit entsprechend hinter sich und nimmt weitere
Staatsangehörigkeiten an. Das ist eine Politik, die unserem Verständnis eklatant widerspricht.
({3})
Es gibt noch einen zweiten Aspekt, den wir nicht teilen. Die Grünen sprechen von einem Gegensatz zwischen den hier lebenden Menschen, die zugezogen sind,
und dem Staatsvolk.
({4})
Sie sehen darin einen verfassungswidrigen Zustand. Die
Lösung der Grünen dafür ist schon kurios: Deutsche
Pässe für alle! Dann gibt es keinen Gegensatz mehr. Aber gerade das ist doch verfassungswidrig: das Aushöhlen des verfassungsrechtlichen Gehalts der Staatsangehörigkeit.
Lassen Sie mich einige grundsätzliche Ausführungen
zur Staatsangehörigkeit machen. Nach herrschender
Auffassung setzt sich ein Staat aus drei Elementen zusammen: dem Staatsgebiet, der Staatsgewalt und dem
Staatsvolk. Das Staatsvolk wird durch das Institut der
Staatsangehörigkeit rechtlich handhabbar und inhaltlich
definierbar. Die Definition des Zugangs zur Staatsangehörigkeit regelt wiederum die Aufnahme in das Staatsvolk. Hier stellen sich zwei Fragen.
Die erste Frage lautet: Was verstehen wir unter dem
Erwerb der Staatsangehörigkeit? Aus unserer Sicht ist
damit nicht lediglich der Erwerb einiger zusätzlicher
Rechte gemeint wie etwa des Wahlrechts, des Zugangs
zum Beamtenstand, des konsularischen Schutzes im
Ausland oder der Möglichkeit, BAföG zu erhalten. Stattdessen ist der Erwerb eine bewusste Entscheidung für einen Staat und für seine Werte. Mit dieser Entscheidung
drückt der Erwerber seine Zugehörigkeit zu einer
Schicksals- und Wertegemeinschaft aus. In diese Gemeinschaft soll er sich einbringen, und er soll sich ihr
angehörig fühlen.
({5})
Das macht aus unserer Sicht den Erwerb der Staatsangehörigkeit aus.
Die zweite Frage lautet: Wen wollen wir als neue
Staatsbürger gewinnen?
({6})
Die Antwort auf diese Frage sollte man sich gut überlegen. Das beliebige Verteilen von deutschen Pässen kann
jedenfalls keine Antwort sein. Stattdessen sollten diejenigen, die wir für unseren Staat gewinnen wollen, in der
Staatsangehörigkeit mehr sehen als nur die Erweiterung
ihrer Rechte. Die Menschen, die unserem Staat beitreten,
sollen sich unserer Wertegemeinschaft anschließen und
sich ihr verbunden fühlen.
({7})
Sie sollten sich bewusst und wohlüberlegt für unseren
Staat entscheiden. Diese Menschen wollen wir.
Daher sind die geltenden Voraussetzungen aus unserer Sicht unabdingbar: acht Jahre Aufenthalt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Die deutsche Staatsbürgerschaft sollte nicht, wie die Grünen es wollen, allein
aufgrund eines örtlichen Zusammenhangs vergeben werden. Sie sollte nicht einfach nur ein Vorschuss sein, auf
dass die künftige Integration der Staatsbürger gelingen
möge. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist kein beliebiger Status, der leichtfertig vergeben werden sollte. Die
Verleihung der Staatsbürgerschaft sollte vielmehr das
vorläufige Ende des Integrationsprozesses darstellen.
({8})
Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen,
sollten sich bewusst für Deutschland entscheiden. Sie
sollen hier leben wollen. Sie sollen insbesondere unsere
Werte leben wollen, Herr Beck.
({9})
- Es ist richtig, dass ein Neugeborenes sich nicht für
Deutschland und seine Werte entscheiden kann. Aber die
Eltern haben dies für ihre Kinder im Vorhinein tun können. Demjenigen, der hier acht Jahre gelebt hat und sich
einen dauerhaften Aufenthaltsstatus erarbeitet hat, kann
man unterstellen, dass er sich in Deutschland wohlfühlt
und dass er etwas zu dieser Gesellschaft beitragen will.
({10})
Die Kinder dieser Menschen erhalten zu Recht den deutschen Pass; denn ihre Eltern haben sich bereits an ihrer
Stelle zu Deutschland bekannt.
Die Grünen mögen das „hohe Hürden“ nennen; wir
nennen das eine wohlüberlegte Entscheidung für
Deutschland und ein Bekenntnis zu unserer Gesellschaft.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Özcan Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich
so manchen Beitrag Revue passieren lasse, dann habe
ich den Eindruck, dass es hier immer noch viele gibt, die
sich die Zeit vor 1999 zurückwünschen. Da gucke ich
insbesondere in die Reihen der CDU/CSU.
({0})
Sie haben gar nichts gelernt.
({1})
Damals hieß es: Deutsche sollen nur diejenigen werden, die deutsche Vorfahren nachweisen können. - Es
galt das wilhelminische Ius sanguinis. Das deutsche Blut
war entscheidend für die Staatsbürgerschaft und den
deutschen Pass. Leider scheint sich dieser Gedanke in
manchen Köpfen bis heute gehalten zu haben. Anders ist
nämlich das krampfhafte Festhalten an der Optionspflicht im Staatsbürgerschaftsrecht nicht zu erklären.
Bei Ihrer Rede, Kollege Frieser, habe ich mich ernsthaft gefragt: In welchem Jahrhundert leben Sie? Kommen Sie endlich im 21. Jahrhundert an! Dieses Land
braucht ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht und nicht
weniger.
({2})
Meine Damen und Herren, die leidige Optionspflicht
ist nicht abgeschafft worden, wie wir es gerade noch einmal gehört haben. Daran ändert sich nichts, auch wenn
Sie vonseiten der SPD es hier gebetsmühlenartig wiederholen. Das Gesetz, das 2014 in Kraft getreten ist, ist
nämlich - mein Kollege Volker Beck hat es gesagt - eine
Mogelpackung. Deutsche dürfen nur diejenigen bleiben,
die als Kind oder Jugendlicher mindestens acht Jahre in
Deutschland gelebt haben, sechs Jahre brav in einer
deutschen Schule waren und einen Schulabschluss in
Deutschland erworben haben.
Warum die Kinder, die hier in Deutschland geboren
und aufgewachsen sind, nicht die gleichen Rechte bekommen sollen wie zum Beispiel Kinder, die deutsche
Eltern haben, haben Sie hier bisher nicht erklärt. Ich
glaube, Ihnen geht es vor allem darum, welchen Nutzen
Menschen für unsere Gesellschaft haben können. Ähnlich ist auch Ihr Motto bei der Diskussion um die Einwanderung. Wer nützlich ist, der soll herkommen und
hierbleiben dürfen. Er soll den deutschen Pass bekommen, alle anderen aber nicht. Ich würde mir dagegen
wünschen, dass Sie endlich kapieren, dass der Wert eines
Menschen weder an seinen Fähigkeiten noch an seiner
Religion gemessen wird. Er sollte auch nicht nach seinen
Schulabschlüssen bestimmt werden.
({3})
An dieser Stelle möchte ich gerne - mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident - Bertolt Brecht zitieren, der vor fast
75 Jahren schrieb:
Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen.
Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall
zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und
ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals.
Diese Zeilen, meine Kolleginnen und Kollegen, treffen
den Kern der heutigen Debatte. Es geht uns um Bürgerrechte für alle ohne Wenn und Aber. Das sollten Sie endlich einmal kapieren.
({4})
Meine Damen und Herren, in der letzten Optionspflichtdebatte sagte der Bundesinnenminister im Bundestag, mit der Neuregelung der Optionspflicht würden
90 Prozent der Jugendlichen von ihr befreit. Genau aus
diesem Grund sagen wir Grüne heute und hier: Lassen
Sie uns gemeinsam dieses Bürokratiemonster beerdigen.
Lassen Sie uns gemeinsam die Länder und die Kommunen entlasten. Und lassen Sie uns gemeinsam für ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht eintreten und die Jugendlichen von diesem Druck befreien. Stimmen Sie
deshalb unserem Antrag zu. Das sage ich in Richtung
der SPD.
({5})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Mahmut Özdemir, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann nur mutmaßen, was der Entwurf eines Gesetzes zur Verwirklichung des Geburtsrechts im
Staatsangehörigkeitsrecht zu diesem Zeitpunkt bewirken
soll. Die Rezitation des SPD-Regierungsprogramms benötige ich als Sozialdemokrat jedenfalls nicht. Dennoch
freue ich mich natürlich jederzeit über die vielfältigen
Anträge und Gesetzentwürfe vonseiten der Opposition,
Mahmut Özdemir ({0})
die eine Ableitung des sozialdemokratischen Regierungsprogramms darstellen.
({1})
Ich frage mich jedoch, was Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, heute von sozialdemokratischen Rednern erwarten. Erwarten Sie wieder
eine solche Phrase wie „Der Gesetzentwurf stößt bei uns
auf große Sympathie, aber im Koalitionsvertrag ist das
leider nicht geregelt“? Erwarten Sie gar in dieser Wahlperiode von uns eine Zustimmung zu Ihrem Gesetzentwurf?
({2})
So langsam wird es doch langweilig und ungebührlich.
({3})
Sind wir Sozialdemokraten etwa in Hessen politisch unterbelichtet, wenn die hessischen SPD-Landtagskollegen
denselben Antrag, den Sie hier stellen, nicht als Gesetzentwurf im dortigen Landtag einbringen?
({4})
Und sind sie politisch so unterbelichtet, dass sie die folgende Formulierung im schwarz-grünen Koalitionsvertrag nicht einzuschätzen in der Lage sind? Ich zitiere aus
dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag:
Auf bundespolitischer Ebene werden wir die Aufhebung der Optionspflicht und die Akzeptanz von
Mehrstaatigkeit im Staatsangehörigkeitsrecht für in
Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder
ausländischer Eltern unterstützen.
Das steht im Koalitionsvertrag in Hessen, den auch die
Grünen mit unterzeichnet haben.
Solche Spielchen gibt es mit uns nicht. Deshalb erwarte ich in Bezug auf die Kompromisse, die wir als
große Volksparteien im Koalitionsvertrag gefunden haben, auch keine Verschonung durch die Opposition.
({5})
Ich erwarte jedoch, dass Sie nicht die Mechanismen unserer Demokratie für kurzfristige Presseerfolge instrumentalisieren und gleichzeitig so tun, als würden durch
diese Mechanismen der Demokratie Ideale verkauft. Je
mehr wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Kompromiss als Ausverkauf von Aufrichtigkeit in der Parteiendemokratie darstellen, desto größer wird die Zahl derer,
die glauben, dass durch Wahlen nichts mehr bewegt werden kann. Zwei gewichtige Ideale von uns Sozialdemokraten sind seit mehr als zwei Jahrzehnten die Verwirklichung des Geburtsrechtes im Staatsangehörigkeitsrecht
ebenso wie das Bekenntnis zur Mehrstaatigkeit. Wir liefern uns diesbezüglich vielleicht viele Wortgefechte im
Plenum.
Herr Kollege, Stichwort „Wortgefechte“: Da gibt es
den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Wollen Sie sie
zulassen, oder wollen Sie fortfahren?
Ich würde gerne im Zusammenhang vortragen.
Okay.
Aber draußen bei den Bürgerinnen und Bürgern bringen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Grünen,
nicht nur die SPD in Misskredit, sondern auch den politischen Prozess als solchen, indem Sie das Vorurteil bedienen, dass nach der Wahl Versprechen nichts mehr
wert seien. Besonders verwerflich ist es hierbei, einen
politischen Weggefährten in diese Situation zu bringen,
der 1999 das Geburtsrecht im Zusammenhang mit der
Mehrstaatigkeit erstmals gesetzlich billigte und damit
dann teilweise das Abstammungsprinzip verdrängte. Das
Staatsangehörigkeitsrecht eignet sich deshalb nicht unbedingt für solche Spielchen. Das Spiel mit der Identität
hier geborener junger Menschen, deren Eltern ausländische Staatsangehörige sind, aber auch das Spiel mit der
Lebensleistung derer, die als sogenannte Gastarbeiter kamen und dem Wirtschaftswunder mit Geistes- und Körperkraft Auftrieb verschafften, eignen sich nicht für die
politische Bühne,
({0})
erst recht nicht, wenn die letztere Gruppe bei völlig
überlasteten Ausländerbehörden im hohen Alter auf die
Abwicklung ihrer Anträge warten muss. Das Staatsangehörigkeitsrecht ist die notarielle staatliche Beurkundung
eines Bandes, des Bandes, das mich mit meiner Geburt
im Krankenhaus Duisburg-Homberg vor 27 Jahren mit
diesem Land, meiner Heimat, verbunden hat, eine Verbindung, die stärker ist als jedes Dokument. Gerade deshalb war die Zeit des Wartens auf diese Beurkundung für
mich und viele andere bis zur richtigen politischen
Mehrheit in diesem Land erträglich.
({1})
Wir haben als Sozialdemokraten den Weg gewählt,
lieber ein kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit
zu verfluchen.
({2})
Wir erwarten nicht mehr, dass hier geborene junge Menschen mit einer Entscheidung, spätestens mit dem
23. Lebensjahr, den Beweis antreten, ob sie der Beur9530
Mahmut Özdemir ({3})
kundung der Staatsangehörigkeit wert sind. Damit tragen wir ihrer Identität, ihrer Lebenssituation und ihrem
inneren Frieden Rechnung. Dies tun wir mit einem Koalitionspartner, der auf Landesebene in Hessen mit einer
Kampagne gegen den Doppelpass das Ende einer rotgrünen Bundesratsmehrheit einläutete.
Im Übrigen ist die reine Debatte um das Staatsangehörigkeitsrecht auch nicht geeignet, die Lebensrealitäten
der betroffenen Menschen tatsächlich abzubilden. Frau
Staatsministerin Özoğuz machte bereits in mehreren Reden darauf aufmerksam,
({4})
wie dringend notwendig es ist, die Realitäten im Bildungsbereich und der Arbeitswelt im Hinblick auf die
Chancengleichheit auf die politische Agenda zu setzen.
Im Grundgesetz heißt es in Artikel 116:
Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Dieser Status ist wichtig für die Berechtigung spezifischer deutscher Grundrechte. Dieses Statut ist mittlerweile im Hinblick auf die Grundrechtsberechtigung von
Unionsbürgern aufgrund eines Diskriminierungsverbotes europarechtlich überlagert und dem faktischen Wandel unterworfen worden. Selbst ein aktives und passives
Kommunalwahlrecht für Unionsbürger wird davon getragen. Ich möchte darauf hinaus, dass die Formulierung
im Grundgesetz bewusst auf eine einfache gesetzliche
Definition durch den Bundestag setzt, damit wir auf
gesellschaftlichen Wandel reagieren können. Der gesellschaftliche Wandel ist im Bundestag insoweit angekommen, als die Optionspflicht durch die aktuelle Bundesregierung aufgehoben wurde als Beginn - ich betone: als
Beginn - exakt des Wandels, den Sie - genauso wie wir vollumfänglich im Gesetzentwurf zu beschreiben versuchen. Für Ihren Gesetzentwurf in der vorliegenden Form
besteht aber derzeit leider keine politische Mehrheit in
diesem Hause,
({5})
aber eben nicht aus Gründen mangelnder Ideale, sondern
aus Gründen zwingender demokratischer Mechanismen.
Wenn wir hier im Deutschen Bundestag über Gesetze
oder deren Änderung reden, dann denken wir an die
Staatsgewalt, die auf unserem Staatsgebiet die rechtsstaatliche Ordnung durchsetzt. Den Begriff des Staatsvolkes
behandeln wir hierbei jedoch recht stiefmütterlich, obwohl uns das Grundgesetz neben der Möglichkeit, das
Staatsangehörigkeitsrecht sukzessive anzupassen, zumindest die Hausaufgabe aufgibt, gesellschaftliche Realitäten abzubilden. Die SPD-Fraktion ist allzeit bereit,
sich diesen Hausaufgaben in aller gebotenen Vernunft
und Ernsthaftigkeit zu stellen. Zugleich - hier besteht
kein Widerspruch, liebe Kolleginnen und Kollegen gelten unser Wort und das Versprechen aus dem bestehenden Koalitionsvertrag, jedenfalls bis 2017. Denn
schon bei Immanuel Kant galt, dass der öffentliche Gebrauch von Vernunft durch die Übernahme eines Amtes
eingeschränkt wird.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und Glück auf!
({6})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Barbara Woltmann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Nein, es tut mir leid, liebe Kolleginnen und Kollegen
vom Bündnis 90/Die Grünen:
({0})
Ihr Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Geburtsrechts im Staatsangehörigkeitsrecht findet nicht unsere
Zustimmung, um das von Beginn an klarzustellen, und
das ohne Wenn und Aber.
({1})
Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Erst im
letzten Jahr - Sie haben es selber auch angesprochen haben wir, CDU/CSU und SPD, mit unseren Stimmen
das Staatsangehörigkeitsrecht geändert.
({2})
Ich will auch noch einmal in Erinnerung rufen: Im Koalitionsvertrag hatten wir vereinbart,
({3})
den Optionszwang für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern aufzuheben
und die Mehrstaatigkeit zu akzeptieren. Wir haben aber
auch gesagt, dass es im Übrigen beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht bleibt. Mitte des letzten Jahres - das
ist nicht lange her - haben wir über die Änderungen hier
im Plenum sehr intensiv diskutiert - nicht zur Freude aller. Wir von der Union haben nicht die zwingende Notwendigkeit für eine Gesetzesänderung gesehen.
({4})
Aber nun gut, wir haben das im Koalitionsvertrag so vereinbart, und dann stehen wir auch dazu.
Seit dem 20. Dezember 2014 gilt nun dieses geänderte Staatsangehörigkeitsgesetz. Darin haben wir festBarbara Woltmann
gelegt, dass diejenigen in Deutschland geborenen Kinder
ausländischer Eltern von der Optionspflicht befreit werden, die bei Vollendung des 21. Lebensjahres mindestens
acht Jahre in Deutschland gelebt haben. Gleiches gilt,
wenn die betroffene Person sechs Jahre in Deutschland
eine Schule besucht hat. Die Optionspflicht entfällt auch
für diejenigen, die über einen in Deutschland erworbenen Schulabschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Das alles ist einfach nachzuweisen
und zu belegen, zum Beispiel durch Schulzeugnisse. Das
hat nichts mit irgendwelchen Bürokratiemonstern zu tun.
Das ist ganz und gar nicht so.
Nach der Einführung - das ist auch schon angesprochen worden - des Ius-soli-Prinzips, des Geburtsortprinzips,
({5})
im Jahre 2000 durch Rot-Grün - das hat damals auch
nicht unsere Zustimmung gefunden, aber die Mehrheiten
waren so - fielen bis zum Jahre 2013 rund 540 000 Personen unter die Optionspflicht.
({6})
Mit der Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes im
letzten Jahr entfällt für rund 90 Prozent der Personengruppe die Optionspflicht. Das heißt, die Betreffenden
können beide Staatsangehörigkeiten behalten. Damit haben wir einen guten Kompromiss gefunden, der die Lebensumstände junger optionspflichtiger Menschen berücksichtigt.
({7})
Die Regelung betont auch den besonderen Wert, den
die deutsche Staatsangehörigkeit für unser Zusammenleben hat. Wir sollten und müssen uns immer wieder die
Frage stellen: Was macht einen Staat denn eigentlich
aus? Tim Ostermann hat es vorhin schon gesagt. Man
kann das rechtlich definieren über die Einordnung in
Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk.
({8})
- Ja, das sind aber wichtige Punkte, Herr Beck. - Das
Staatsvolk ist dabei ein zentrales Element für ein funktionierendes Staatsgebilde. Wir dürfen nicht vergessen:
Die Staatsangehörigkeit ist das höchste Recht, das ein
Staat verleihen kann. Es stärkt meines Erachtens die Demokratie, wenn diejenigen, die hier geboren sind und optionspflichtig sind, sich aktiv mit der Frage nach ihrer
Staatsangehörigkeit auseinandersetzen. Die Entscheidung, die sie treffen, ist für mich ein Nachweis dafür,
dass sie als mündige Bürger handeln. Wir von der Union
sind für ein klares Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland. Das
schließt für uns die Staatsbürgerschaft und das Staatsbürgerrecht ein. Das, meine Damen und Herren, sind keine
Dinge, die der Beliebigkeit unterliegen dürfen.
Nach unserer Grundüberzeugung drückt sich die Zuwendung oder Hinwendung zu einem Staat auch darin
aus, wie man es denn mit seiner Staatsbürgerschaft hält:
Welches Bekenntnis gebe ich zu diesem, meinem Land,
zu meiner Heimat ab, in der ich leben und dauerhaft bleiben will? Oft geht es um Menschen, die hier sogar schon
in der zweiten oder dritten Generation leben.
Frau Kollegin, Herr Beck wünscht, eine Zwischenfrage zu stellen. Möchten Sie sie zulassen, oder wollen
Sie weitersprechen?
Ich würde gerne erst zu Ende reden.
({0})
Wie stabil ist die innere Einstellung zu diesem Staat,
und wie sehr bin ich bereit, für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten? Ein eindeutiges
Bekenntnis zur Staatsangehörigkeit ist auch ein positives
Signal für diesen Staat und seine Gesellschaft.
Die Gesetzesänderung ist erst vor vier Monaten in
Kraft getreten, zugegebenermaßen ohne die Stimmen der
Opposition.
({1})
Schon jetzt, gerade mal vier Monate nach Inkrafttreten,
mit einem neuen Gesetzentwurf zu kommen, ist natürlich ohne Frage legitim; aber ob das politisch klug ist,
möchte ich bezweifeln.
({2})
Alle haben sich gerade erst auf die neuen Regelungen
eingestellt, sowohl die Betroffenen als auch die Verwaltungen und Ausländerbehörden.
({3})
Ich selber komme beruflich aus der Exekutive. Es macht
eben nicht immer Freude, ständig mit neuen Gesetzen,
Verordnungen und Richtlinien umgehen zu müssen, die,
genauso wie dieser Gesetzentwurf, nicht notwendig sind.
Damit bringen wir nur Sand ins Getriebe.
({4})
An dieser Stelle möchte ich auch mal eine Lanze für all
die Menschen in der öffentlichen Verwaltung brechen,
die jeden Tag einen guten Job für unser Land machen.
({5})
Gesetze müssen Sinn machen, meine sehr verehrten
Damen und Herren.
({6})
Das, meine lieben Kollegen von den Grünen, trifft auf
Ihren Gesetzentwurf nicht zu. Es ist schon klar, was Sie
wollen: Sie wollen das Optionsrecht vollständig abschaffen. Jeder soll durch Geburt in der Bundesrepublik sofort
Deutscher werden und seine eventuell doppelte Staatsbürgerschaft behalten dürfen.
({7})
Nur, das wollen wir nicht! Und ich sage Ihnen auch
gerne, warum. Die von uns 2014 beschlossene Regelung
ist integrationspolitisch sinnvoll. Ein eindeutiges Bekenntnis zu Deutschland stärkt die Bindung zu unserer
Gesellschaft.
({8})
In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern,
die hier weder aufgewachsen noch zur Schule gegangen
sind, können diese Bindung doch gar nicht erst oder nur
sehr schwer aufbauen.
Wir kennen Ihre Forderung nach einer großzügigen
Verteilung der deutschen Staatsangehörigkeit schon
lange. Ihr Argument, liebe Kollegen und Kolleginnen
von den Grünen, die Demokratie werde durch die vorbehaltlose Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft allein durch Geburt in der Bundesrepublik gestärkt, teilen
wir so nicht.
({9})
Dass es bei EU-Bürgern anders ist, hat seinen Grund im
EU-Recht. Wir sind eben nicht nur Deutsche, sondern
auch Europäer.
({10})
Schauen wir einmal über die Grenzen Europas hinaus.
Was passiert denn eigentlich in Ländern wie den USA
und Kanada, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf erwähnen
und in denen ein uneingeschränktes Ius-soli-Geburtsrecht gilt? Viele von uns kennen doch die Reportagen
und Dokumentationen über hochschwangere Frauen, die
über den Pazifik in die USA einfliegen, um dann dort
ihre Kinder zu bekommen. Das ist mittlerweile ein richtiges Geschäft geworden.
({11})
Meine Damen und Herren, diesen Tourismus möchten
wir hier nicht.
({12})
Aber der Vorschlag der Grünen lädt praktisch dazu ein.
In Ihrem Gesetzentwurf steht - ich zitiere -:
Damit wird dem demokratischen Prinzip Rechnung
getragen, das eine Kongruenz zwischen den Inhabern politischer Herrschaft und den dauerhaft einer
Herrschaft Unterworfenen anstrebt.
Abgesehen davon, dass kaum jemand versteht, was Sie
damit aussagen wollen, verehrte Kollegen, wage ich mal
eine einfache Übersetzung: Jeder, der will, darf.
({13})
Zwar formulieren Sie in Ihrem Gesetzentwurf in § 4 Absatz 3 Satz 1 StAG, dass die Kinder ausländischer Eltern
durch Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit
erwerben können, wenn ein Elternteil rechtmäßig seinen
gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Sie wollen damit die Staatsangehörigkeit an einen rechtmäßigen Aufenthalt der Eltern knüpfen. Diesen Ansatz sehe ich
durchaus positiv.
({14})
Aber was heißt das denn? Was verstehen Sie unter dieser
Rechtmäßigkeit?
({15})
In Ihrer Gesetzesbegründung sagen Sie lediglich - ich
zitiere wieder -: Eingeschränkt wird das Geburtsortsprinzip „fortan nur noch, wenn sich im Zeitpunkt der
Geburt kein Elternteil rechtmäßig im Inland aufhält bzw.
wenn kein Elternteil einen gewöhnlichen Aufenthalt im
Inland hat“. Damit sind für mich viele Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert. Wie viele Streitfälle haben wir
denn jetzt schon im Asylrecht?
({16})
Frau Kollegin, die Zeit läuft ab.
Ich komme gleich zum Schluss. Der Hinweis in Ihrer Gesetzesbegründung auf die dann
weitgehend gleiche Rechtslage in den USA und Kanada
lässt ja gerade den Schluss zu, dass es eben doch zu Geburtstourismus kommen kann.
({0})
Ich frage mich, wie überzeugt Sie eigentlich selbst von
Ihrem Vorhaben sind. Denn Sie sagen auch - ich zitiere
Sie -:
Die Erfahrung aus diesen Staaten
- also USA und Kanada zeigt, dass die Anknüpfung des Erwerbs der Staatsangehörigkeit an die Geburt im Inland dem gesellschaftlichen Zusammenhalt jedenfalls nicht abträglich ist.
({1})
Wahre Begeisterung oder Überzeugung hören sich für
mich anders an.
Es gibt verschiedene Zwischenfragen, die ich aber
nicht zulasse, weil Ihre Redezeit schon lange zu Ende ist.
Ich fasse zusammen: Wir werden dem Gesetzentwurf
nicht zustimmen. Wir haben bereits im letzten Jahr eine
gute Regelung getroffen. Weitergehende Änderungen
werden wir daher nicht zulassen.
Danke schön.
({0})
Ich erteile Renate Künast das Wort für eine Kurzintervention.
Ich musste mich an dieser Stelle melden, weil ich
finde, dass einige Äußerungen der Kollegin Woltmann
angesichts der Politik, die diese Bundesregierung angeblich machen will, ungeheuerlich sind. Zum Beispiel behaupten Sie, dass es massenhaft zu Rechtsstreitigkeiten
kommen würde, wenn ein Kind von Eltern, die sich
rechtmäßig hier in Deutschland aufhalten, die deutsche
Staatsangehörigkeit bekommen würde. Es wird Ihnen
doch nicht entgangen sein, dass ein solcher Begriff wie
rechtmäßiger Aufenthalt längst ausdefiniert ist.
({0})
Sie könnten ihn gesetzlich anders definieren. Zum Beispiel könnten Sie problemlos definieren - das steht Ihnen frei -: Der Begriff „rechtmäßig“ gilt nur für denjenigen, der eine einjährige Aufenthaltserlaubnis hat, und
nicht für Touristen. Dann gäbe es null Rechtsstreitigkeiten. Bei der Ausstellung der Staatsangehörigkeitsurkunde müsste nur noch bei der Ausländerbehörde der
konkrete Aufenthaltsstatus abgefragt werden.
Was mich aber noch viel mehr geärgert hat, das sind
nicht nur Ihre rechtlichen Sorgen, die meines Erachtens
unbegründet sind, sondern es ist die Tatsache, dass Sie
hier quasi vor Erschleichen warnen. Sie haben von Geburtstourismus gesprochen.
({1})
Was sollen zum Beispiel Menschen in Indien denken,
wenn Sie auf der einen Seite sagen: „Es gibt eine Blue
Card, kommt hierher, arbeitet als IT-Spezialisten für
drei, vier oder fünf Jahre“ - natürlich mit rechtmäßigem
Aufenthaltstitel -, und wenn Sie auf der anderen Seite
sagen: „Kinder dürft ihr hier aber nicht bekommen; denn
das würden wir als Geburtstourismus denunzieren“?
Viele haben früher die Gastarbeiter nicht als Menschen
wahrgenommen. Später hieß es dann: Wir haben Gastarbeiter gerufen, und es sind Menschen gekommen. - Das
gilt auch für das IT-Zeitalter. Wenn Sie Zuwanderung
wollen, wenn Sie wollen, dass junge Menschen hierher
kommen, dann werden Sie sich von Ihren Einschätzungen freimachen müssen und schlichtweg sagen: Wenn
man sich hier rechtmäßig aufhält und ein Kind bekommt, dann ist das Kind willkommen und qua Geburt
deutscher Staatsbürger.
({2})
Sie würden auch keiner deutschen Wissenschaftlerin, die
für drei oder vier Jahre in die USA geht, um sich fortzubilden oder vielleicht ihre Doktorarbeit zu schreiben,
und neues Wissen und Berufserfahrung gesammelt hat,
sagen: Bitte verzichten Sie freiwillig auf die US-Staatsbürgerschaft Ihres auf US-Territorium geborenen Kindes, weil das am Ende als Geburtstourismus denunziert
werden könnte.
({3})
Ich sage Ihnen: Alle Menschen sind gleich. Menschen
kriegen Kinder, und das ist nie Geburtstourismus.
({4})
Frau Woltmann, wollen Sie darauf antworten, oder
wollen Sie das so stehen lassen? - Es gibt keinen
Wunsch auf Erwiderung.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/4612 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Vizepräsident Peter Hintze
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 e sowie
die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:
30 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Informationsweiterverwendungsgesetzes
Drucksache 18/4614
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Rindfleischetikettierungsgesetzes
Drucksache 18/4615
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes
Drucksache 18/4624
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Häftlingshilfegesetzes und
zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes
Drucksache 18/4625
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Neunten Ge-
setzes zur Änderung des Weingesetzes
Drucksache 18/4656
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock,
Marieluise Beck ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Gemeinsame Grundwerte stärken Europa stärken
Drucksache 18/4686
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Claudia Roth ({6}), Uwe
Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte indigener Völker stärken durch
Ratifikation der ILO-Konvention 169
Drucksache 18/4688
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Einfluss von Interessenvertretern auf die Infrastrukturpolitik der Bundesregierung
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke.
({8})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Nach Schätzungen, die ernst zu nehmen sind,
beträgt der Investitionsrückstand der Kommunen in der
Bundesrepublik über 100 Milliarden Euro. Seit 2003
sind die Abschreibungen höher als die Bruttoinvestitionen des Staates. Trotz eines Wirtschaftswachstums von
2000 bis 2014 von insgesamt fast 16 Prozent laufen wir
in Deutschland auf der Felge. Wir leben von der Substanz. Dabei sind die Zinsen historisch niedrig. Die öffentliche Hand kann sich so gut wie kostenfrei verschulden.
({0})
- Ich rede ja auch über jetzt und nicht über das, was in
zehn Jahren sein wird.
({1})
Welche Möglichkeiten gäbe es, die Investitionslücke
zu schließen?
Die erste Möglichkeit wäre, die Verschuldungsspielräume zu nutzen. Die Bundesregierung aber trägt die
schwarze Null wie eine Monstranz vor sich her
({2})
und lastet damit den künftigen Generationen bei weitem
mehr Kosten auf, als die gegenwärtige zu tragen hätte,
wenn man die Investitionslücke jetzt schließen würde.
Es gäbe eine zweite Möglichkeit. Man könnte die höheren Vermögen angemessen besteuern, um damit die
dringend notwendigen Investitionen des Staates zu
finanzieren. Die UBS-Bank hat festgestellt, dass allein
die Vermögen derer, die 30 Millionen Dollar und mehr
besitzen, von 2013 bis 2014 um 235 Milliarden Dollar
gestiegen sind. Ich wiederhole: Das Vermögen derer, die
ein Vermögen von mehr als 30 Millionen Dollar haben,
ist allein in der Bundesrepublik Deutschland um
235 Milliarden Dollar gestiegen. Das ist ein Zuwachs
von 10 Prozent. Würde man diese Vermögen mit 5 Prozent besteuern, hätten wir Mehreinnahmen von ungefähr
120 Milliarden Euro. Damit könnte man die notwendigen Investitionen finanzieren. Damit wäre der
Investitionsstau erledigt. Aber diese Bundesregierung
meidet die Besteuerung von Reichen wie der Teufel das
Weihwasser. Warum eigentlich?
Nun haben Sie einen genialen Ausweg kreiert. Sie
bringen privates Kapital ins Spiel. Privates Kapital soll
eingesetzt werden, um die öffentliche Infrastruktur zu finanzieren. Dazu haben Sie eine Expertenkommission
eingerichtet. Diese Expertenkommission hat nun ihre
Vorschläge unterbreitet. Die Bundesregierung lässt sich
unter anderem von folgenden Experten beraten: Vertreter
der Allianz, der ERGO-Versicherungsgruppe, von Siemens, von BASF und vom Bundesverband der Deutschen Industrie.
({3})
Unter den Experten finden wir auch Herrn Fitschen von
der Deutschen Bank. Er muss sich wegen mutmaßlichen
Prozessbetrugs vor Gericht verantworten. Außerdem
repräsentiert Herr Fitschen eine Bank, die, wie bekannt
ist, bei Zinsmanipulationen kräftig mitmischte. Ausgerechnet diesen Herrn Fitschen, der die Kommunen offensichtlich sauber hinter die Fichte geführt hat, berufen
Sie in eine solche Kommission. Respekt! Damit macht
man nun wirklich den Bock zum Gärtner.
Was ist das Interesse der Experten, die Sie beraten?
Sie haben ein Interesse daran, renditeträchtige Anlagen
für ihr Kapital zu organisieren. Sonst würden sie das ja
nicht machen. Private Finanzierung öffentlicher Infrastruktur ist aber allemal teurer, als wenn der Staat das
selbst finanziert.
({4})
Ich zitiere aus dem Bericht des Bundesrechnungshofs:
Der Bundesrechnungshof ist der Auffassung, dass
die bisherigen ÖPP-Projekte unwirtschaftlich sind.
Ein Beispiel ist die Firma Toll Collect. Da haben wir
das ja versucht. Wie war das Ergebnis? Viel zu spät
brauchbar, bei weitem teurer als geplant, das Konsortium ein Hort der gegenseitigen Schuldzuweisungen.
Die beteiligten Unternehmen finden die Idee ganz
charmant. Dafür habe ich sogar Verständnis. Da sie auf
dem Markt im Augenblick wenig Zinsen erhalten, gefällt
ihnen die Idee, eine gute Rendite durch Maut oder
direkte Überweisungen des Staates zu erhalten. Wer soll
das zahlen? Zahlen werden das die Bürgerinnen und
Bürger, als Steuerzahler über ihre Steuern oder als Verbraucher über Mautabgaben oder Ähnliches.
Mich erinnert das an die Handelsabkommen, über die
wir zurzeit diskutieren. Dort haben die Unternehmen
große Vorteile und die Bürger große Nachteile. Deshalb
gibt es zurzeit die Proteste.
Ich sage Ihnen: Den Widerstand der Bürger bei TTIP
und CETA haben Sie unterschätzt. Ich befürchte, dass
Sie auch den Widerstand gegen diese direkte Finanzierung der Renditen der Unternehmen durch Steuerzahler
und Verbraucher unterschätzen.
({5})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst möchte ich mich bei den Linken ausdrücklich
bedanken, dass sie heute diese Aktuelle Stunde beantragt
haben, in der wir deutlich machen können, wie diese
Regierung versucht, nicht nur durch den Haushalt und
durch Steuermittel, sondern auch durch privates Geld die
Infrastruktur in diesem Land voranzubringen. Wir haben
jetzt durch diese Aktuelle Stunde Gelegenheit, darüber
zu sprechen.
Es gibt weltweit Billionen von Euro - nicht Milliarden, sondern Tausende von Milliarden -, die von privaten und institutionellen Anlegern, zum Beispiel von
Lebensversicherungen, angelegt werden. Dieses Geld
wird in Staatsanleihen in Griechenland, in Deutschland
und in anderen Ländern angelegt. Ich bin mir nicht sicher, ob dies die richtige Anlageform ist. Denn sie führt
dazu, dass sich Staaten und öffentliche Institutionen bei
uns im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden
über Jahrzehnte übernehmen und Dinge finanzieren, die
sie sich eigentlich nicht leisten können. Die dadurch entstehende Verschuldung kann nur über Steuern bzw.
Steuererhöhungen - dies impliziert ja letztlich Verschuldung - zurückgeführt werden.
Ich muss Sie schon fragen, warum Sie es für einen
Skandal halten - eigentlich müssten Sie uns dafür loben -,
dass wir versuchen, mit regulatorischen Rahmenbedingungen diese Billionen Euro teilweise in Investitionen in die öffentliche Infrastruktur fließen zu lassen. Sie
haben von einem Investitionsrückstand in Höhe von
100 Milliarden Euro gesprochen. Damit meinten Sie
sicherlich nicht Investitionen in die Wirtschaft. Diese
100 Milliarden Euro fehlen bei öffentlichen Investitionen. Diese notwendigen Investitionen erfolgen im
Moment nicht, weil wir sie aus dem Haushalt nicht fi9536
nanzieren können. Wir bauen schließlich Schulden ab,
korrigieren die Fehler der Vergangenheit und wollen zukünftig ordentlich wirtschaften.
Trotz des ordentlichen Wirtschaftens gelingt es uns
jetzt, zusätzlich 15 Milliarden Euro öffentliches Geld zu
mobilisieren. Aber das reicht natürlich nicht aus. Deshalb ist es nicht nur legitim, sondern geradezu sinnvoll
und notwendig, diese Billionen, diese Tausende von
Milliarden, die es weltweit gibt, in die Infrastruktur zu
lenken. Das gelingt uns in bestimmten Bereichen bisher
schon erfolgreich, zum Beispiel im Energiebereich, insbesondere beim Ausbau der Energienetze.
({0})
- Ja, aber da liegt es nicht am Geld, sondern an anderen
Dingen.
({1})
- Da sind wir uns einig.
({2})
Wir reden jetzt über die Punkte, wo es am Geld liegt.
Das Geld für Straßen- und Schienenausbau, für Schulausbau und für andere öffentliche Investitionen ist nicht
in den Haushalten vorhanden. Was ist die Konsequenz?
Es findet später statt, oder es findet gar nicht statt.
({3})
- Steuererhöhungen sind also Ihre Forderung.
({4})
- Da haben wir es. Ich glaube, darüber brauchen wir uns
nicht weiter zu unterhalten. Die Grünen haben bei der
letzten Bundestagswahl einschlägige Erfahrungen gemacht, wie überzeugend die Argumente sind, wenn man
den Menschen sagt, sie sollten noch mehr Steuern zahlen.
({5})
Wir zahlen sowieso schon viel zu viele Steuern in diesem Land. Darüber sind wir uns auf der rechten Seite des
Hauses einig. Deshalb wollen wir Geld, das vorhanden
ist, in öffentliche Investitionen lenken. Das wäre eine
Win-win-Situation für alle. Das gelingt mit diesem
Modell, das jetzt vorgeschlagen wurde, und wird hoffentlich dazu führen, dass wir - neben den bisherigen
Bereichen, die ich genannt habe - dieses Geld auch in
andere Infrastrukturen lenken, zum Beispiel in den Ausbau von Straßen. Wir haben bisher, Herr Staatssekretär
im Verkehrsministerium, aus meiner Sicht viel zu wenige ÖPP-Projekte bei der Infrastruktur, insbesondere
bei den Straßen. Bei den wenigen, die es gab, wurden
der Zeitplan und der Budgetrahmen eingehalten,
({6})
im Gegensatz zu öffentlichen Projekten. Hier in Berlin
ist seit geraumer Zeit ein Flughafen im Bau; ob er jemals
fertiggestellt wird, weiß kein Mensch. Es handelt sich da
um eine öffentliche Investition. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das ein leuchtendes Beispiel dafür ist, dass man
mit höheren Steuern und mehr Verschuldung öffentliche
Investitionen voranbringen kann.
Insofern sind wir, glaube ich, alle gut beraten, zur
Kenntnis zu nehmen: Das ist eine Win-win-Situation,
angesichts der Niedrigzinsphase auch für private Anleger. Diese sind doch bereit, zu investieren. Sie müssen
doch nicht in ausländische Pensionsfonds - in den USA,
in Hongkong oder sonst wo - investieren, sondern können ihr Geld bei uns in Deutschland anlegen, und das zu
attraktiven Bedingungen - zum Vorteil für die privaten
Anleger auf der einen Seite und für die Infrastruktur in
Deutschland auf der anderen Seite.
({7})
Insofern sind wir ohne Frage auf dem richtigen Weg.
Wir müssen hier noch viel mehr und nicht weniger machen. Ich freue mich, dass wir jetzt endlich starten.
Vielen Dank.
({8})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Oliver Krischer, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Pfeiffer, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die Energienetze angesprochen haben. Sie hätten da jedoch einmal in den Bericht der Kommission schauen müssen. Da
steht nämlich etwas völlig Richtiges drin: Das Problem
an dieser Stelle ist in der Tat nicht das Geld, und Fonds
oder so etwas nützen uns da gar nichts, sondern das Problem ist der regulatorische Rahmen. Diese Bundesregierung war bisher nicht in der Lage, einen geeigneten Rahmen für Energieinvestitionen zu schaffen.
Das kann man an einigen Beispielen schön sehen. Sie
haben die Erneuerbaren aus dem Land getrieben; hier
will niemand mehr investieren.
({0})
Herr Seehofer bekämpft den Netzausbau; auch das treibt
all diejenigen, die in diesem Bereich etwas tun wollen,
aus dem Land. Jetzt wollen Sie - das ist die aktuelle Debatte - 50 Jahre alte Gaskraftwerke unter Naturschutz
stellen. Wer soll denn da noch in moderne Kraft-WärmeKopplung, moderne Speicher und Ähnliches investieren? Das genau ist das Problem, weshalb wir im Energiebereich eine Investitionsschwäche haben. Genau so
steht es in dem Bericht, und da hat die Kommission völlig recht.
({1})
Meine Damen und Herren, das Problem wird sein,
dass genau diese Punkte am Ende bei der Debatte in der
Versenkung verschwinden werden. Das merken wir
schon jetzt, und zwar daran, dass die vier Herren, die
sich dazu äußern - Herr Schäuble, Herr Gabriel, Herr
Dobrindt und Herr Fitschen -, nur noch über die Frage
reden: Wie schafft man es, bei der Finanzierung von
Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen private Investitionen einzubeziehen? Ich kann Ihnen sagen: Die
Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, sind nichts anderes
als eine kalte Privatisierung, eine Privatisierung durch
die Hintertür, eine Privatisierung des Tafelsilbers des
Bundes. Es geht nämlich darum, am Ende die Bundesfernstraßeninfrastruktur anderen für ihre Zwecke zugänglich zu machen.
({2})
Meine Damen und Herren, das ist der Versuch, den gescheiterten Börsengang der DB jetzt bei Straßen bzw.
Autobahnen zu wiederholen. Das müssen Sie sich ins
Stammbuch schreiben lassen.
({3})
An dieser Stelle wird sogar ganz offen gesagt: Ja,
klar; wenn wir Private in die Bundesfernstraßengesellschaft aufnehmen, dann wird es teurer.
({4})
Das Verrückte ist: Wenn Sie sich die Berichte des Bundesrechnungshofes anschauen, stellen Sie fest, dass das
Teurere nicht einmal dazu führt, dass es irgendeinen
Mehrwert gibt,
({5})
sondern wir müssen mehr bezahlen und bekommen am
Ende bestenfalls das Gleiche dafür. Das ist an dieser
Stelle wirklich nicht verantwortlich.
Ich sage Ihnen noch etwas: Es geht hier gar nicht um
die Verkehrsinfrastruktur, sondern es geht darum, dass
Herr Schäuble die Schuldenbremse umgehen will. Die
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sollen nämlich
in einen Schattenhaushalt ausgelagert werden. Auch
Herr Dobrindt würde davon profitieren. Er hätte dann
mehr Mittel, die er, statt sie in den Erhalt der Straßeninfrastruktur zu investieren, ausgeben könnte, um nötige
Umgehungsstraßen, vor allen Dingen in Bayern, bauen
zu lassen.
({6})
Und Herr Gabriel könnte durch die Lande ziehen und
sein leider etwas ramponiertes Konzernimage aufpolieren. Aber vor allen Dingen würde an dieser Stelle Herr
Fitschen profitieren, der nur ein Interesse hat: Er braucht
dringend Ersatzrenditemöglichkeiten für gescheiterte Finanzprodukte in Lebensversicherungen. Das ist der
wahre Grund, weshalb Sie das machen: Sie wollen auf
der einen Seite die Schuldenbremse umgehen, und Sie
wollen auf der anderen Seite einen Rettungsschirm für
Lebensversicherungen aufspannen. Das hat mit der Verkehrsinfrastruktur gar nichts zu tun.
({7})
Ich will Ihnen eines sagen: Wenn dieses Beispiel
Schule macht in Deutschland, dann sagt mir demnächst
mein Bäcker, wenn ich bei ihm reinkomme: Hurra,
meine Bäckerei gehört jetzt der Deutschen Bank. Dafür
werden die Brötchen um 5 Cent teurer. Sie werden vielleicht etwas verschrumpelter, weil das alles nicht mehr
so gut geht. Aber dafür, Herr Krischer, haben Sie vielleicht Glück und bekommen später noch eine Rendite
aus Ihrer Lebensversicherung.
({8})
Das ist doch irre, was Sie an dieser Stelle machen. Das
ist nicht zukunftsfähig. Das kann doch wohl nicht sein!
({9})
Was wir an der Stelle brauchen, meine Damen und
Herren, ist endlich eine Konzentration auf den Erhalt der
Straßeninfrastruktur. Immer noch werden zwei Drittel
der Mittel in den Neubau investiert. Das fehlt natürlich
beim Erhalt.
({10})
Statt überflüssige Umgehungsstraßen in Bayern zu
bauen,
({11})
sollten wir uns auf die Leverkusener Rheinbrücke oder
auf die Schiersteiner Brücke konzentrieren - um nur
diese symbolisch zu nennen - und das erhalten, was wir
an Verkehrsinfrastruktur haben. Das ist die Herausforderung.
({12})
Ich sage Ihnen auch: Worüber man reden kann, worüber man reden muss - darüber reden Sie interessanterweise nicht; Sie reden nur über irgendwelche Fonds und
Finanzierungen und private Anlageformen -,
({13})
ist, dass die organisierte Verantwortungslosigkeit bei der
Straßenbauverwaltung angepackt werden muss. Da gibt
es eine Baustelle, um die man sich kümmern muss. Das
darf aber nicht dazu führen, meine Damen und Herren,
dass am Ende unsere Bundesautobahnen, unsere Bundesstraßen zum Rettungsschirm für gescheiterte Finanzprodukte der Versicherungswirtschaft werden. Das ist
nicht die Antwort auf das, was wir in der Verkehrsinfrastrukturpolitik brauchen.
Danke schön.
({14})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Hubertus Heil, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Deutschland befindet sich derzeit in
einer überaus erfreulichen wirtschaftlichen Situation:
Die Wachstumszahlen sind gerade nach oben korrigiert
worden. Unser Land steht wirtschaftlich sehr gut da. Wir
haben eine hohe Beschäftigungsquote. - Das ist die gute
Nachricht und betrifft den Istzustand.
Die problematische Nachricht ist - das ist, glaube ich,
in diesem Haus weidlich unumstritten -, dass wir ein
Problem haben mit Investitionen in diesem Land. Es ist
Auftrag einer Expertenkommission - übrigens mit einer
sehr breiten Zusammensetzung; ich komme gleich darauf, Herr Kollege Ernst - unter Leitung von Professor
Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung, gewesen, der Frage nachzugehen,
was getan werden muss, damit wir in drei Bereichen zu
neuen Lösungen kommen.
Erstens sollte im privatwirtschaftlichen bzw. unternehmerischen Bereich herausgefunden werden, welche
Rahmenbedingungen wir brauchen, damit Unternehmen
in Deutschland investieren. Wir müssen seit vielen Jahren leider beobachten, dass zwar in diesem Bereich wie
in vielen anderen Bereichen auch in Forschung und Entwicklung investiert wird, aber zu wenig. Ich glaube, es
ist unstrittig, dass wir uns als Wirtschaftspolitiker um
solche Fragen zu kümmern haben. Ich glaube, da hat die
Kommission gute Vorschläge gemacht.
Zweitens. Wir haben eine Investitionsschwäche im
öffentlichen Bereich, und zwar vor allen Dingen im
kommunalen Bereich. 60 Prozent der öffentlichen Investitionen sind kommunale Investitionen. Die Bundesregierung und die Koalition tun übrigens mit dem heute
Morgen vorgelegten Investitionspaket im Nachtragshaushalt etwas, um den Kommunen unter die Arme zu
greifen, um sie zu entlasten, um strukturschwachen
Kommunen dabei zu helfen, ihre kommunale Infrastruktur zu ertüchtigen. Da geht es gar nicht um öffentlichprivate Partnerschaften, sondern es geht darum, dass wir
mit Steuergeld mithelfen, die öffentliche Infrastruktur in
diesem Land zu verbessern. Das ist etwas, was auf Linie
der Kommissionsvorschläge liegt.
Drittens. Ja, es geht auch um die Frage, in welchen
Bereichen es Sinn macht, für öffentliche Infrastruktur
privates Kapital zu mobilisieren. Aber im Gegensatz zu
dem, was Sie erzählen, Herr Kollege Ernst, ist die Zusammensetzung der Kommission eine ganz andere gewesen. Ich muss Ihnen bei aller Wertschätzung eines sagen: Besonders redlich ist es nicht, sich einzelne
Mitglieder der Kommission herauszugreifen, aber beispielsweise zu verschweigen, dass der Vorsitzende des
Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Vorsitzende der
Gewerkschaft Verdi, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft IG BAU, ein Vertreter des Deutschen Städtetages und viele andere aus Wirtschaft, Gewerkschaften
und Wissenschaft Teil dieser Kommission waren.
({0})
- Ich verschweige überhaupt nicht, dass es in der Kommission ein sehr breites Meinungsbild gegeben hat. Das
Ergebnis ist ein Kommissionsbericht, der eben nicht ein
unkritisches Bejubeln von ÖPP-Projekten zum Inhalt hat
- man sollte den Bericht auch mal lesen! -, sondern der
sehr differenziert deutlich macht: Es hat in der Vergangenheit gescheiterte Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft gegeben, zulasten der öffentlichen Hand.
({1})
Und es hat sehr erfolgreiche Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft gegeben. Unterhalten Sie sich beispielsweise mal mit dem Kämmerer der Stadt Nürnberg;
das ist im Norden des Freistaats Bayern, nicht so weit
von Schweinfurt entfernt, Herr Kollege Ernst. Da gibt es
sehr erfolgreiche Beispiele.
Es geht eher darum - und das ist Gegenstand der
Kommissionsvorschläge -, durch eine gute Beratung
von Kommunen, vor allen Dingen von kleinen Kommunen, dafür zu sorgen, dass sie nicht unkritisch bestimmte
Beschaffungsvarianten wählen, und ihnen aufzuzeigen,
was jeweils die beste und wirtschaftlichste Lösung ist.
({2})
Das sind die Qualitätsmaßstäbe, die in diesem Bericht
gesetzt werden.
Ich sage Ihnen noch etwas: Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur bringen Sie hier einiges durcheinander; das
wird Ihnen meine Kollegin Kirsten Lühmann noch einmal deutlich machen. Das Wichtigste ist, dass wir als
Staat mehr in diesen Bereich investieren, und das tun wir
Hubertus Heil ({3})
in den Haushalten. Das tun wir im Verkehrshaushalt, das
tun wir im Bereich der digitalen Infrastruktur, in anderen
Bereichen ebenfalls. Wir erhöhen die Investitionsquote,
müssen in diesem Bereich aber noch weiter gehen.
Dann gibt es einen Vorschlag, Herr Kollege Krischer,
eine Infrastrukturgesellschaft zu gründen, aber eben
nicht zur Privatisierung der Verkehrswege in diesem
Land.
({4})
- Nein. Im Gegenteil, das ist ein Vorschlag, den man
sich genau angucken und durchleuchten muss: 100 Prozent Bund.
({5})
- Doch, zu 100 Prozent Bund.
({6})
- Nein, in dieser Variante geht es um Anlagefähigkeit,
um Kreditwürdigkeit. Das ist eine Frage, die Sie sich an
dieser Stelle genauer angucken sollten. Das ist ein Unterschied.
({7})
Mein grundsätzliches Problem ist doch Folgendes:
Hier ist hochtransparent eine Kommission eingesetzt
worden, die sehr breit gefächert zusammengesetzt ist aus
Menschen aus der Wirtschaft, aus der Wissenschaft, aus
der Gesellschaft. Und ich frage Sie, Herr Kollege Ernst
- das mag uns unterscheiden -, ob es nicht vernünftig
ist, Rat aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft
einzuholen,
({8})
Sachverstand zu fragen. Am Ende des Tages sollten Sie
aber eines nicht tun: so tun, als würden wir Kommissionsergebnisse eins zu eins übernehmen. Natürlich sind
Interessenvertreter in einer solchen Kommission.
({9})
Wer ist denn kein Interessenvertreter? - Aber eine Bundesregierung zu diffamieren, die sich Rat holt, die ein
Meinungsbild von einer unabhängigen Kommission einholt, dann aber selbst entscheidet, was sie macht und was
nicht, ist, wie ich finde, unwürdig. Das ist Ihrer unwürdig und intellektuell unredlich.
({10})
Ich sage Ihnen ganz offen: Wer ständig „Skandal!“
ruft, lenkt von den eigentlichen Skandalen in dieser Gesellschaft ab. Wer demokratische Politik zu delegitimieren versucht, indem er Verschwörungstheorien in die
Welt setzt,
({11})
schadet dem Ansehen demokratischer Politik. Es handelt
sich hier um eine hochtransparente Kommission.
({12})
Wir werden genau prüfen, was wir machen und was wir
nicht machen. Die Art und Weise, wie Sie jetzt so tun,
als seien wir alle Marionetten von dunklen Mächten,
({13})
entstammt der Kiste der Verschwörungstheorien, mit der
Sie Politik machen. Mit demokratischem Anstand hat
das nicht viel zu tun. Das finde ich unanständig. Das will
ich zum Schluss sagen.
({14})
Wir werden uns die Ergebnisse der Fratzscher-Kommission sehr genau ansehen. Da sind sehr, sehr gute Vorschläge dabei.
({15})
Da sind auch welche, die man kritisch diskutieren muss.
Wir aber werden uns dem Thema zuwenden, wie in
Deutschland investiert wird - öffentlich und privat -,
weil uns die Zukunft dieses Landes interessiert. Das mag
uns unterscheiden, Herr Ernst.
({16})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Ulrich Lange, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir
war, Herr Ernst, eigentlich nicht so ganz klar, was wir
hier diskutieren sollten. Aber nach Ihrem Wortbeitrag ist
es klar:
({0})
Sie wollen zurück in eine Schuldenrepublik. Sie wollen
zurück in eine Pleiterepublik, und Sie wollen weiter auf
Kosten der nächsten Generationen leben.
({1})
Sie sind absolut verantwortungslos und heucheln hier
Verantwortung, wenn Sie eine solche Politik machen
wollen.
Herr Krischer, Sie haben einen Bayern-Komplex, es
tut mir einfach leid.
({2})
Sie kommen nicht damit zurecht, dass in Bayern gut und
erfolgreich regiert wird und man deshalb ein bisschen
besser dasteht als dort, wo Sie mit in der Regierung sitzen.
({3})
Hören Sie bitte auf, in jeder Debatte mit Zahlen zu jonglieren und - ich sage es Ihnen so offen - zu lügen.
({4})
Ein Drittel in den Neubau, zwei Drittel in den Bestand ich kann es Ihnen noch einmal geben; ich gebe es jedes
Mal. So sind sie nicht mehr als ein kreischender Pinocchio.
({5})
Wir wollen uns jedoch dem positiven Investitionshochlauf dieser Bundesregierung zuwenden. Da ist es
richtig, dass wir eine Expertenkommission einsetzen. Da
ist es richtig, dass wir mit allen reden. Da ist es natürlich
auch richtig, dass man mit den Banken genauso redet
wie mit den Gewerkschaften, lieber Herr Kollege von
den Linken.
({6})
Damit bin ich auch schon beim Stichwort Infrastrukturgesellschaft. Natürlich müssen wir uns ernsthaft mit
diesem Thema auseinandersetzen. Natürlich sehen wir
- da haben Sie sogar recht, Herr Krischer -, dass es Auftragsverwaltungen gibt, die hier nicht nachkommen, dadurch kein Baurecht herstellen und somit auch nichts in
den Bestand investieren können. Das ist richtig. Damit
müssen wir uns als Bund auseinandersetzen, und das
werden wir tun, indem wir in aller Ruhe überlegen, mit
welchem Modell wir auch zukünftig unser Verkehrsnetz
qualitativ hochwertig und leistungsfähig zur Verfügung
stellen können. Wir werden auch weiterhin überwiegend
in den Bestand investieren.
Wir haben ja mit dem Investitionshochlauf - ich habe
das Wort schon genannt - bereits begonnen. Diese Bundesregierung investiert wie kaum eine andere zuvor:
Ausweitung der Lkw-Maut, Vorbereitung einer LkwMaut auf allen Bundesstraßen ab 2018, 5 Milliarden
Euro zusätzlich für die Verkehrsinfrastruktur gemäß dem
Koalitionsvertrag und jetzt noch einmal 4,35 Milliarden
Euro
({7})
- danke, Herr Kollege Behrens; ich hätte es nicht vergessen -, Einführung der Infrastrukturabgabe, was auch ein
Baustein zur Finanzierung ist,
({8})
natürlich verbunden mit dem Systemwechsel von der
Steuerfinanzierung hin zu einer stärkeren Nutzerfinanzierung. All das sind wichtige Bausteine unserer Infrastrukturpolitik.
Dazu gehört auch die Säule ÖPP. Ich sage das ganz
deutlich: ÖPP ist nicht die Lösung aller Probleme, aber
das ist ein Teil der Infrastrukturfinanzierung und ist auch
nicht unwirtschaftlich.
In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Koalition
aus Union und SPD haben wir auch die Vertreter des
Bundesrechnungshofes befragt. Es ist schon ganz interessant, wenn man Berichte, die man in die Welt gesetzt
hat, auf Nachfragen hin auch ganz konkret erläutern
muss. Was kam denn dabei heraus? Es war der Totaleinbruch der Argumentation des Bundesrechnungshofes;
({9})
denn bisher wurden insgesamt 667 Millionen Euro für
ÖPP verauslagt, vorausberechnet waren 665 Millionen
Euro. Das sind gerade einmal 2 Millionen Euro und
nicht 2 Milliarden Euro mehr. Auch das ist ein kleiner
Hinweis an den Bundesrechnungshof in Bezug auf ÖPP.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind beim Investitionshochlauf für unsere Infrastruktur. Dafür werden wir mit allen gesellschaftlichen Schichten und mit
allen Beteiligten reden. Ich kann mich hier nur dem Kollegen Heil anschließen: ({11})
Aber nicht mehr so lange.
- Es ist nicht redlich, hier von Verschwörungstheorien
zu sprechen. Nein, wir kümmern uns um die Infrastruktur, damit man auch weiterhin auf Deutschlands Verkehrswegen gut unterwegs ist.
Danke schön.
({0})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Susanna Karawanskij, Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Wort Infrastruktur ist in aller Munde. Das ist richtig. Das
hören wir jetzt auch schon die ganze Zeit in dieser Debatte. Auch darüber, dass eine Investitionslücke besteht,
sind wir uns einig. Die Frage ist nur, wie wir sie schließen wollen.
({0})
Dass Sie hier nun vorschlagen, durch die Hintertür ÖPPProjekte einzuführen, die mitnichten besser als eine öffentliche Investitionsstrategie sind - wobei Sie sich die
Probleme durch die Schuldenbremse und den Fetisch der
Schwarzen Null selber eingebrockt haben -, macht die
ganze Sache nicht besser.
({1})
Dieser Investitionsstau, der jetzt vor uns liegt, kommt
nicht von ungefähr. Sie haben massive Steuersenkungen
für Besserverdienende und Unternehmen durchgesetzt.
Dadurch gab es Steuerausfälle in den Gebietskörperschaften, und die öffentlichen Ausgaben wurden tatsächlich heruntergefahren. Viele Kommunen pfeifen auf dem
letzten Loch, und wir leben vom Substanzverzehr. Sie
müssen jetzt das auslöffeln, was Sie sich eingebrockt haben, und haben dafür eine sogenannte Gabriel-Kommission gegründet,
({2})
deren Ergebnisse nun vorliegen. Ich kann vor den Maßnahmen, die Sie aufgrund dieser Ergebnisse hier jetzt anstreben, tatsächlich nur warnen.
Ich möchte vor allen Dingen über die Mobilisierung
von privaten und institutionellen Geldgebern sprechen,
über den öffentlichen Infrastrukturfonds. In diesen
Fonds können private und institutionelle Investoren Geld
geben. Um es auf den Punkt zu bringen: Mit diesem
Fonds sprechen Sie Großbanken und Versicherungen an.
In Niedrigzinsphasen suchen diese nämlich nach Anlagemöglichkeiten. Ich kann mich noch gut an das Gejammer der Versicherungsbranche vor etwa einem halben
Jahr erinnern. Die Branche hat im Rahmen der Änderung des Lebensversicherungsreformgesetzes darauf gedrängt, die Bewertungsreserven zu kürzen, wodurch
Gelder, die eigentlich den Kunden zustehen, massiv gekürzt wurden.
Auch eine völlige Offenlegung der Höhe der Provisionen wurde verhindert. Ich habe den Eindruck, Sie
haben überhaupt kein Interesse daran, die genauen Vergütungen und dieses ganze undurchsichtige Überschusssystem offenzulegen. Es handelt sich dabei aber um
Geld, das die Kunden eingezahlt haben. Dieses Geld verschwindet dadurch, dass es woanders geparkt wird; und
Sie haben dabei sekundiert. Als ob das nicht schon reichen würde, möchten Sie für die Versicherungen jetzt
auch noch attraktive Renditemöglichkeiten schaffen.
Auch wenn dieser Begriff selten fällt: Hier geht es um
eine Ausweitung von öffentlich-privaten Partnerschaften. Dieser Begriff ist inzwischen verbrannt. Er ist deswegen verbrannt, weil die Kommunen jetzt das ausbaden müssen, was sie sich mit den öffentlich-privaten
Partnerschaften eingebrockt haben. Sie stehen vor einem
Scherbenhaufen und müssen draufzahlen. Am Ende
zahlt das wieder der Steuerzahler. Aber jetzt ist die Situation, dass aufgrund der Schuldenbremse weder die
Länder noch die Kommunen investieren dürfen.
Meine Damen und Herren, es ist wirklich schade,
dass Sie daraus nichts gelernt haben. Der Bundesrechnungshof und im Übrigen auch die Landesrechnungshöfe haben es Ihnen ins Stammbuch geschrieben: Die
Finanzierungskosten sind wegen der Renditeerwartungen, die die privaten institutionellen Anleger fordern,
höher, als sie es im Falle eines öffentlichen Engagements
wären. Und zugleich bleiben die Risiken ungleich verteilt. Wer jetzt denkt, dass die Versicherungsbranche das
Risiko mitträgt, indem sie mehr Verantwortung übernimmt, der täuscht sich.
({3})
Es handelt sich lediglich um eine scheinbare Risikoübernahme. Die Versicherungen hantieren letztendlich ja
wieder mit den Kundengeldern. Wenn dann ein Großprojekt scheitert oder nicht vorangeht - das soll es ja geben:
Flughafen Berlin, Elbphilharmonie und Stuttgart 21 -,
dann sind zuvorderst die Kundengelder futsch. Das Kundengeld wird damit zum Risikokapital. Da machen wir
nicht mit.
Der Staat kann im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge kein Projekt einfach streichen. Das darf er
nicht. Also haben die Versicherungen überhaupt nichts
zu befürchten. Sie tragen nur ein geringes Risiko, bekommen aber eine hohe Rendite zugesichert. Das ist
eine ganz klare Win-win-Situation, allerdings nicht für
den Steuerzahler und für die öffentliche Hand, sondern
nur für die Versicherer.
({4})
Das ist noch nicht alles. Es geht nicht nur um höhere
Renditen. Die Versicherungslobby bemüht sich auch darum, einfacher und vor allen Dingen mehr in Infrastruktur investieren zu dürfen. Hier geht es insbesondere um
die Eigenmittelanforderungen; diese sollen für Investitionen in Infrastruktur gesenkt werden. Bisher müssen
nach Solvency II, dem Versicherungsaufsichtsrecht in
Europa, für ein Investment in Infrastruktur 49 Prozent
Eigenmittel als Sicherheiten vorgehalten werden. Dieser
Prozentsatz soll jetzt möglicherweise auf das Niveau von
Pfandbriefen oder Immobilien gesenkt werden. Dieses
Niveau liegt zurzeit bei 20 oder 25 Prozent. Das bedeutet, dass Versicherungen dann genauso wie Banken für
ein Infrastrukturinvestment weniger Geld zur Absicherung dieses Investments hinterlegen müssen.
Wenn ein solches Projekt erfolgreich durchgeführt
wird, dann bekommen aber nicht die Kunden das Geld,
sondern die Aktionäre, weil sie bevorzugt behandelt
werden. Wenn ein Projekt aber scheitert, ist das Geld der
Kunden noch schneller weg. Dann muss der Steuerzah9542
ler, der auch wegen der geringeren Absicherung einspringen muss, noch schneller einspringen.
Alles in allem wird damit der Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge Vorschub geleistet. Gewinner werden die Banken und die Versicherungen sein. Wir
werden uns vehement dagegen stellen; denn es kann
nicht sein, dass die öffentliche Hand herhalten muss und
kommunale Selbstverwaltung ad absurdum geführt wird.
Letztendlich werden mit diesem Maßnahmenpaket und
mit den Infrastrukturprojekten, die auf dem Plan stehen,
die öffentliche Hand und der Staat zu Statisten degradiert.
({5})
Ein freundlicher Hinweis an alle Redner: Wenn am
Rednerpult die rote Lampe aufleuchtet, dann ist das
nicht die Aufforderung, zum zentralen Punkt der Rede
vorzudringen, sondern das Zeichen dafür, dass die Redezeit abgelaufen ist. Bisher haben alle Redner der Fraktionen länger gesprochen.
({0})
Wir haben das jetzt einmal so hingenommen. Aber es
wäre schon schön, wenn in der Aktuellen Stunde jeder
versucht, sofort zum zentralen Punkt zu kommen, und
dann, wenn die rote Lampe aufleuchtet, den nächsten
Redner ans Pult zu lassen.
Jetzt erteile ich für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Uwe Beckmeyer das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die bisherigen Beiträge der Oppositionsrednerinnen und -redner dieses Hauses verfolgt hat, dann
kommt man zu dem Schluss, dass sie zwar viel gesagt
haben, aber keine einzige Minute darauf verwendet haben, um sich tatsächlich mit dem Bericht auseinanderzusetzen, den die Kommission verfasst hat.
({0})
Was an fundamentalem Unsinn erzählt und grob fahrlässiger Verdummung des Publikums draußen betrieben
wird, ist schon hanebüchen.
({1})
- Herr Krischer, Sie sind dabei fast der Spitzenreiter.
Das muss man an dieser Stelle einmal sagen. Denn es
geht nicht nur hart an der Wahrheit vorbei, sondern ist
am Ende von Ihnen bewusst auf das Ziel gerichtet, die
Menschen fehlzuleiten. Das ist eine schlimme Agitation,
die man Ihnen einfach nicht durchgehen lassen kann.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich
über die Investitionsstrategie der Bundesregierung spreche, müssen wir erst einmal feststellen, dass - darin sind
wir uns, glaube ich, alle in diesem Hause einig - Investitionen das Fundament für Wachstum und Beschäftigung
sind. Insofern sind Investitionen wichtig, und zwar Investitionen im öffentlichen Bereich, aber natürlich auch
Investitionen im privaten Bereich. Herr Ernst, 90 Prozent der Investitionen in dieser Republik werden im privaten Bereich getätigt, und das ist gut so. Wir brauchen
davon noch viel mehr, um auch das einmal deutlich zu
sagen.
({3})
Wir haben im Bereich der öffentlichen Hand - dabei
haben wir gerade jetzt in dieser Großen Koalition eine
Superperformance hingelegt - viele neue Investitionen
angeregt. Die Initiativen dieser Bundesregierung, getragen von den beiden großen Fraktionen, zur Unterstützung der Kommunen sind einzigartig. Diese Unterstützung der Kommunen ist auch notwendig. Denn wir
haben unter anderem auch festgestellt - das unterstreicht
die Kommission -, dass es im Bereich der kommunalen
Investitionen in der Vergangenheit leider einen starken
Rückgang zu verzeichnen gibt, und zwar von ehemals
50 Prozent der öffentlichen Investitionskraft auf deutlich
unter 40 Prozent.
({4})
Dies ist festzuhalten, und dem muss man entgegenwirken, und das tun wir,
({5})
und zwar zunächst einmal mit einer öffentlichen Investitionspolitik der Bundesregierung mit Unterstützung der
Großen Koalition. Dazu gehört unter anderem - das
möchte ich an dieser Stelle deutlich machen -, dass wir
die Länder und Kommunen in die Lage versetzen, ihre
Infrastruktur in Ordnung zu bringen. Einerseits klagen
sie darüber, aber auf der anderen Seite fragen sie: Was
macht ihr eigentlich, und mit welchen Instrumenten
macht ihr das?
Erst einmal machen wir es mit öffentlichen Instrumenten, enthalten in den ganzen Katalogen, unter anderem beschlossen in dem heute vorgelegten Nachtragshaushalt.
({6})
- Entschuldigung, hören Sie doch mal zu!
({7})
Fragen Sie doch anschließend! Ohne zugehört zu haben,
können Sie doch gar keine Frage stellen.
Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass Bund und
Länder mit dem Nachtragshaushalt Investitionen in
Höhe von 10 Milliarden Euro sowie weitere 1,5 Milliarden Euro und 3,5 Milliarden Euro für die Kommunen
beschlossen haben.
({8})
Wir haben im Bereich der Verkehrswege Investitionspakete von 5 Milliarden Euro und weiteren 10 Milliarden Euro beschlossen. Das sind Beschlüsse dieser Koalition, die umgesetzt werden. Wir haben also eine
mächtige Bewegung im Bereich der öffentlichen Investitionen.
Wir haben in den Bereichen Technologie, Bildung,
Ausbildung und Wissenschaft in beträchtlichem Umfang
Geld in die Hand genommen; auch das will ich an dieser
Stelle sagen. Aber unterm Strich stellen wir fest: Es
könnte noch mehr sein. Darum brauchen wir hier noch
weitere Initiativen.
Es ist doch richtig, dass eine Bundesregierung und ein
Bundeswirtschaftsminister die Situation in Deutschland
erst einmal genau betrachten wollen und Experten zusammenkommen lassen, die sie auf diesem Gebiet beraten können. Was ist denn dagegen einzuwenden? Was ist
dagegen einzuwenden, dass unter diesen Beratern ein,
zwei Banker sind?
({9})
Es waren zwei oder drei dabei.
({10})
Aber es waren natürlich auch Gewerkschafter dabei.
({11})
Diese Beratungskapazität ist wichtig. Es ist doch geradezu ideal, dass sie gesagt haben: Liebe Freunde, „one
dollar“, und ich gebe euch mein Wissen. - Doch am
Ende des Tages entscheiden wir im Parlament, was wir
tun wollen. Das ist das Faktum, das man doch berücksichtigen muss.
({12})
Sie sagen einfach: Die wollen denen schon wieder etwas
in die Tasche stecken. - Nein, wir wollen auf diese Art
und Weise den Wohlstand dieses Volkes und den Wohlstand in diesem Land mehren. Das ist unsere Absicht.
Das werden wir auch mit Nachdruck tun.
({13})
Ich will an dieser Stelle sagen, dass wir gerade mit
dem nationalen Investitionspakt für Kommunen, der in
diesem Vorschlag der Fratzscher-Kommission aufgeschrieben worden ist, ein ideales Instrument besitzen,
das dazu führen kann, dass wir Beratung für Kommunen
organisieren, dass wir ihnen Chancen eröffnen und dass
wir den schwachen und kleinen Kommunen etwas an die
Hand geben, das ihnen hilft, und dabei auch ein Instrument der Finanzierung organisieren. Das ist ein Element,
das wir bisher in unserem Kanon der Hilfeleistungen für
Kommunen noch nicht haben. Ich finde, das ist ein ganz
zentrales Ergebnis der Arbeit dieser Kommission, das
wir nicht hoch genug schätzen können. Wir müssen es
fördern und unterstützen. Wir sollten nicht darüber lamentieren, sondern dafür sorgen, dass dieses möglichst
rasch umgesetzt wird.
Zur Verkehrsinfrastruktur und ÖPP. Hierin steht eindeutig - lesen Sie den Text! -, dass in gar keiner Weise
Privatisierungen angestrebt werden.
({14})
- Hören Sie zu! Privat bedeutet doch nicht Privatisierung. Es ist so, dass man privates Geld nutzt, aber das
bedeutet doch nicht Privatisierung. - Städtische, kommunale und staatliche Infrastrukturen werden so bleiben,
wie sie sind. Das steht eindeutig hier drin. Sie müssen es
nur lesen. Es steht auch darin, dass ÖPP nur dann genutzt werden kann, wenn der Nachweis erbracht wird,
dass dieses Mittel besser und effektiver als eine staatliche Finanzierung ist. Auch das steht darin.
({15})
Wenn man das aber nicht liest und nur daherschwafelt,
was man die ganze Zeit schon gesagt hat, und wenn man
aus dem Off ruft, was man sich irgendwie aufgeschrieben hat, dann kommt man natürlich nie zu der Erkenntnis, dass es vielleicht auch noch etwas Besseres gibt. Vor
allem steht etwas von Risikoteilung darin - das ist etwas
Neues -, auch beim privat eingesetzten Geld.
Herr Krischer, ist es eigentlich falsch, wenn 1,2 Milliarden Euro für einen Windpark von privater Seite finanziert werden? Können wir uns nicht alle darüber
freuen?
({16})
Die Privaten erhalten natürlich eine entsprechende Rendite für den gelieferten Strom, aber dafür investieren sie
auch. Sind private Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien nicht gut?
({17})
Warum sagen Sie denn nicht einmal: „Das ist gut, Herr
Beckmeyer“? Das wäre doch einmal eine faire Geste
auch in Richtung der Bundesregierung.
({18})
Sagen Sie doch: Bundeswirtschaftsminister, das hast du
genau richtig gemacht. Du hast im Rahmen deiner Erneuerbare-Energien-Politik dafür gesorgt, dass wieder
zwei Windparks pro Jahr von Privaten finanziert werden. - Das wollen wir, und das werden wir auch in anderen Bereichen schaffen.
({19})
- Herr Krischer, wenn man hört, was Sie sagen, dann
muss man dafür sorgen, dass das Publikum und die Menschen draußen darüber aufgeklärt werden, was tatsächlich in diesen Papieren steht.
({20})
Die adäquaten Rahmenbedingungen, die wir auch für
die privaten Investitionen schaffen müssen, gehören
ebenfalls dazu. Wir wollen und müssen in Deutschland
im Bereich der privaten Investitionen dafür sorgen, dass
wir über adäquate Rahmenbedingungen auch große Unternehmen in Deutschland wieder verstärkt zu Investitionen anreizen. Auch das ist unsere Aufgabe in Deutschland bei dieser Frage.
({21})
Es muss das Ziel einer modernen Volkswirtschaft
sein, 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für Innovationspolitik und für Forschungs- und Entwicklungspolitik aufzuwenden. Wir wollen auch mit diesem Instrument dieses Ziel erreichen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({22})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Kerstin Andreae, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da
ist gerade eine ganz schöne Menge Überheblichkeit in
der Debatte.
({0})
Aber einmal der Reihe nach.
Ein Problem dieser Kommission war, dass zwei Bereiche miteinander vermengt wurden. Der eine ist die
Frage der Investitionen. Wir haben heute Morgen schon
gesagt, dass wir für eine Antwort keine Kommission gebraucht hätten. Das hätten wir auch so gewusst. Aber
okay: Die Experten haben es Ihnen noch einmal aufgeschrieben. Es gibt eine echte Investitionslücke, sowohl
von privater als auch von öffentlicher Seite. Der andere
ist die Frage, wie Geld angemessen und sicher verzinst
angelegt werden kann. Diese Vermengung war ein
grundsätzlicher Konstruktionsfehler.
({1})
Der Bundeswirtschaftsminister hat im letzten Jahr angekündigt, er wolle den Lebensversicherungen attraktive
Angebote machen, sich an der Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur zu beteiligen. Ich frage: Was heißt das
denn in einer Phase, in der die Rendite niedrig ist? Das
heißt doch nur, dass es teurer wird, weil das Ganze über
eine höhere Rendite bezahlt werden muss.
({2})
Das ist der Konstruktionsfehler gewesen. Sie haben zwei
Dinge miteinander vermischt. Es ist wie ein Trojanisches
Pferd: von außen nett - Kita, Schule, bessere Brücken und innen ist der Rettungsschirm für die Versicherungen;
innen sind neue verdeckte Staatsschulden, für die letztlich die Bürgerinnen und Bürger aufkommen müssen.
Das ist das Problem.
({3})
Ich teile die Kritik an der Zusammensetzung dieser
Kommission; das war ein zweiter Fehler. Hätte es dort
unterschiedliche Interessenvertretungen gegeben, wäre
der Lobbyismusvorwurf an dieser Stelle gar nicht aufgekommen. Außerdem gehörte ihr niemand an, der sich für
das Bezahlen zuständig fühlte. Der Bund der Steuerzahler ist nicht der Freund der Grünen; dennoch hätten wir
ihn in dieser Kommission gern vertreten gesehen. Die
Verbraucherschützer hätten wir dort ebenfalls gern vertreten gesehen. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen und NGOs hätten wir dort gern vertreten gesehen.
Dass ihr nur 3 Frauen, aber 18 Männer angehörten, sei
nur am Rande erwähnt. Die Zusammensetzung dieser
Kommission hat halt nicht gestimmt. Das ist ein Problem ihrer Ausrichtung gewesen. Sie haben Verträge zulasten Dritter gemacht.
({4})
Jetzt zu dem Einwand, wir hätten dies alles nicht gelesen. So etwas akzeptiere ich nicht, weil wir erstens sehr
wohl alles gelesen haben und weil es zweitens ein unverfrorener Vorwurf ist.
({5})
Jetzt sage ich Ihnen einmal, was ich Ihnen vorwerfe:
Sie, Herr Heil, und Sie, Herr Beckmeyer, haben gesagt:
Na ja, da steht doch - Seite 41 -, diese Verkehrsinfrastrukturgesellschaft sei vollständig in Bundesbesitz. Auf Seite 42 heißt es aber, man könne natürlich auch die
Beteiligung Privater an dieser Gesellschaft ermöglichen.
Private Anteilseigner, was ist das denn anderes als eine
Teilprivatisierung dieser Infrastrukturen?
({6})
- Meine Herren, natürlich haben wir es gelesen.
Aber wissen Sie, das Problem an all dem ist doch: Öffentliche Aufgabe ist, öffentliche Infrastruktur in öffentlicher Verantwortung bereitzustellen, und zwar in der für
den Steuerzahler wirtschaftlichsten Form, nicht nur für
die jetzigen Steuerzahler, sondern auch für die Steuerzahler in 20 Jahren. Die Koalition verlagert hier nämlich
ein Problem in die Zukunft. Sie umgehen die Schuldenbremse. Beides verstößt gegen die Generationengerechtigkeit.
({7})
Wenn Sie mir das nicht glauben
({8})
- ja, das ist unglaublich -, dann würde ich Ihnen empfehlen, einmal mit dem Herrn Rehberg zu sprechen. Das
ist Ihr Chefhaushälter. Ihnen von der SPD würde ich einmal empfehlen, mit Herrn Kahrs zu sprechen; das ist Ihr
Chefhaushälter. Die Rede war von hartem Widerstand
der Haushälter im Bundestag. Herr Kahrs sagt: Das wäre
eine staatliche Gesellschaft zur Umgehung der Schuldenbremse. - Ach!
({9})
Er sagt: Es gibt keinen Grund, warum der Bundestag
Versicherungen Rendite beschaffen soll. - Ach! Der
Herr Rehberg sagt: Als Haushälter - Ihr Haushälter! bin ich strikt dagegen, Schattenhaushalte einzurichten.
({10})
Danke schön, das ist genau das, was auch wir Ihnen vorwerfen. Es bringt zum Ausdruck, was wir befürchten
und was hier passiert. Hören Sie auf Ihre Haushälter,
wenn Sie schon nicht auf uns hören.
({11})
Die Linke schwingt hier die große Keule, indem sie
von den Lobbyisten am Kommissionstisch spricht. Ich
finde, man muss eins zugutehalten: Diese Kommission
tagte öffentlich. Es war transparent, wer in dieser Kommission war. Dass andere ihr nicht angehört haben, die
wir gerne in ihr vertreten gesehen hätten, habe ich Ihnen
gesagt.
Wissen Sie, was das Problem ist? Das Problem ist
doch eigentlich: Jetzt geht es erst los. Jetzt geht es nämlich an die Ausgestaltung von dem Ganzen. Es gab - das
wissen Sie - zwischen 2004 und 2006 in Ministerien
zeitweise 300 Beschäftigte aus Wirtschaftsunternehmen, die an Gesetzen und Verordnungen mitgeschrieben
haben, die ihnen genutzt haben. Deswegen fordern wir
Grüne schon seit langem ein Lobbyistenregister, aus
dem transparent hervorgeht, wer wen bei welchen Themen und mit welchem finanziellen Aufwand vertritt.
Denn jetzt geht das Geschacher los.
Meine Redezeit geht zu Ende; deswegen nenne ich
noch ein Beispiel. Die ÖPP-Projekte, die hier im Raum
stehen, nutzen genau vier großen Unternehmen. Der
Mittelstand ist draußen. Das Handwerk wehrt sich gegen
diese Pläne. Herr Wollseifer sagt: Solche Modelle verdrängen den Mittelstand aus dem öffentlichen Raum.
Wir werden sehr genau aufpassen, wie Sie diese Infrastrukturgesellschaft für Bundesfernstraßen umsetzen,
wer daran mitschreibt, wer davon profitiert. Die Aufgabe
fängt jetzt erst an.
Vielen Dank.
({12})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr. Herlind Gundelach, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
bisherige Debatte hat gezeigt, dass in diesem Hause offensichtlich sehr unterschiedliche Ansichten vor allen
Dingen zum Bereich der öffentlich-privaten Partnerschaften bei Infrastrukturinvestitionen existieren. Wir
haben hier gesehen: Von wirtschaftsfreundlicher bis
staatsgläubiger Haltung - ich glaube, bei dem einen oder
anderen muss man das fast so sagen - ist hier fast alles
vertreten. Es ist falsch, nur auf die eine oder die andere
Form zu setzen oder die Formen gar gegeneinander auszuspielen. Ich glaube, es ist notwendig, dass wir jedes
Vorhaben individuell betrachten, sorgfältig untersuchen
und vorbereiten und danach die Entscheidung treffen, in
welcher Form es finanziert wird.
Dazu gehört selbstverständlich eine Lebenszyklusbetrachtung, und zwar inklusive der Personalbereitstellung.
Dazu gehören eine sorgfältige Kostenplanung und eine
Wirtschaftlichkeitsuntersuchung; dazu ist heute schon
einiges gesagt worden. Es müssen auch die sogenannten
Eh-da-Kosten der Verwaltung mit eingepreist werden;
die werden nämlich manchmal übersehen. Wir brauchen
eine Wertschöpfungskette aus Planen, Bauen, Erhalten
und Betreiben, verbunden mit einer optimal zugeschnittenen Finanzierung. Das muss im Vordergrund einer
wirtschaftlichen Projekterledigung stehen.
Wir brauchen aus meiner Sicht auch zwei Sichtweisen, nämlich zum einen die betriebswirtschaftliche und
zum anderen die volkswirtschaftliche. Ich möchte das
einmal an einem ganz konkreten Beispiel aus meinem
Wahlkreis verdeutlichen:
Wir alle wissen, dass Hamburg einen Hafen hat und
dass der Hamburger Hafen das Herz der Hamburger
Wirtschaft darstellt. Um erfolgreich zu sein, braucht er
eine optimale verkehrliche Anbindung; das ist absolut
unverzichtbar.
({0})
Die sogenannten Hafenhinterlandverkehre sind für uns
ein ganz entscheidender Punkt, weil sie momentan ein
wenig notleidend sind.
Hamburg hat als einzige Großstadt keine Autobahnumfahrung - das ist nicht zuletzt Ausdruck einer verfehl9546
ten Verkehrspolitik in den 60er- und 70er-Jahren, für die
aber nicht die CDU verantwortlich war -, das heißt jeglicher Verkehr geht durch die Stadt. Die A 7 im Westen
und die A 1 im Osten haben keine leistungsfähige Verbindung miteinander. Deswegen diskutiert Hamburg seit
gut 20 Jahren die sogenannte Hafenquerspange, die
beide Autobahnen endlich miteinander verbindet und zugleich die Güterverkehre aus dem Hafen und in den Hafen verbessert.
Unter Schwarz-Grün haben wir uns nach vielen Jahren auf eine vernünftige Trassenführung verständigt, die
vom Bund auch genehmigt worden ist. Die Kollegin
Hajduk - ich habe sie eben noch gesehen; sie will gerade
gehen - will ich ausdrücklich loben; das hat sie ausgezeichnet gemacht.
({1})
- Nein, dafür haben wir uns im Senat viel zu gut verstanden. - Wir stehen mit dem Bau jetzt erst am Anfang;
denn die Hafenquerspange war bislang nicht im Bundesverkehrswegeplan. Das konnte sie mangels konkreter
Planung auch nicht sein. In der Zwischenzeit ist sie angemeldet. Aber Sie alle wissen: Es dauert normalerweise
ziemlich lange, bis man mit einem Vorhaben auf dem
obersten Treppchen der Bauausführung angekommen
ist.
Nun gibt es im Ministerium die Überlegung, die Hafenquerspange als sogenanntes ÖPP-Projekt zu planen,
damit sie möglichst rasch realisiert werden kann. Ich
kann nur sagen: Das findet meine volle Unterstützung.
Ich hoffe, wir sind am Schluss erfolgreich, und das wird
tatsächlich ein ÖPP-Projekt; denn die Vorteile liegen
meines Erachtens auf der Hand: Es gibt eine deutlich raschere Realisierung. Wenn sauber geplant ist - das setze
ich mal voraus -, ist das auch nicht teurer als im konventionellen Bauverfahren. Ich möchte hier ausdrücklich
auf das Ausbauprojekt zur A 7 nördlich von Hamburg
und seine sehr ausgefeilte Finanzierungsstruktur hinweisen. Das hat uns genau gezeigt, dass man so hervorragend finanzieren kann, dass man sogar noch in der Lage
ist, Mittel für unerwartete Mehrkosten oder Umplanungen vorzuhalten. Ich glaube, das kann man alles vernünftig machen.
({2})
Hinzu kommen Fakten - das ist für mich ganz entscheidend -, die sich gar nicht unmittelbar in der Rechnung niederschlagen. Wenn wir die Hafenquerspange
schnell haben, dann können die Verkehre aus dem Hafen
natürlich auch deutlich schneller abgeführt werden. Das
wiederum spart Kosten für die Betriebe und die Logistiker, da sie verlässlicher planen und entsprechend auch
verlässlicher liefern können. Die Staukosten im Hamburger Raum gehen in der Zwischenzeit in die Millionen.
Ein Weiteres kommt noch hinzu: Ausweichverkehre
in die Wohnquartiere werden vermieden, da die Verbindung zwischen den Autobahnen endlich funktioniert.
Damit verbunden ist eine deutliche Verminderung der
gesundheitlichen Belastung der von Lärm und Immissionen geplagten Anwohner.
Das bedeutet letztendlich wiederum geringere Gesundheitskosten und eine Steigerung der Wohn- und Lebensqualität in den betroffenen Wohngebieten. Ich
denke, das ist finanziell vermutlich kaum quantifizierbar.
Aus meiner Sicht sind das alles Aspekte, die man berücksichtigen muss, wenn es darum geht, Investitionen
möglichst schnell realisieren zu können. Deswegen ist
mein Rat, daraus keinen Glaubenskrieg zu machen, jedes
Projekt für sich zu betrachten, eine saubere Plus-MinusBilanz aufzustellen und danach zu entscheiden.
Danke.
({3})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Kirsten Lühmann, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Sehr verehrte Zuhörende! Die Links-Fraktion hat die
Frage gestellt: Welchen Einfluss haben Interessenvertreter auf unsere Infrastrukturpolitik? Die Antwort ist kurz
und einfach: eine angemessene. Das hätten wir auch am
Rande des Plenums bei einer Tasse Kaffee besprechen
können. Also warum diese Debatte hier?
({0})
Es stellt sich doch die Frage: Haben Interessenvertreter zum Beispiel keinen Einfluss auf politische Entscheidungen der Mitglieder der Links-Fraktion? Wenn ich mir
die Homepage des Kollegen Behrens anschaue, sehe ich,
dass er zum Thema „Wasser- und Schifffahrtsverwaltungsreform“ mit Verdi und den Personalräten geredet
hat und anschließend zu dem Entschluss gekommen ist,
dass die Reform des damaligen Ministers Ramsauer
mangelhaft ist.
Gut, so ähnlich ist es auch uns ergangen. Wir haben
über die Reform mit Verdi und dem Fachverband der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung gesprochen. In dieser Legislaturperiode haben wir es sogar durchgesetzt,
dass Interessenvertretungen des Personals beim Umbau
der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung angemessen beteiligt werden. Ich bin froh, dass diese Interessenvertretungen Einfluss auf unsere Infrastrukturpolitik haben;
denn jetzt ist die Reform endlich auf den richtigen Weg
gebracht worden.
({1})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, das alles wissen Sie
ja. Also ist die Frage: Warum debattieren wir hier eigentlich? Was wollen Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen
von der Opposition, den Menschen in unserem Land damit eigentlich sagen? Dass Sie nicht mit Interessenvertretern zusammenarbeiten und von Fachleuten keine Argumente hören wollen?
Wir glauben, dass die Bevölkerung möchte, dass Politik ihre Entscheidungen nicht aus einem Bauchgefühl
heraus fällt, sondern aufgrund vernünftiger Argumente.
Und Argumente fallen nicht wie eine göttliche Eingebung auf uns herunter, sondern diese Argumente müssen
wir uns in Gesprächen - unter anderem mit Interessenvertretungen - holen, liebe Kollegen und Kolleginnen.
({2})
Bei diesen Gesprächen sind uns drei Dinge wichtig: erstens Transparenz, zweitens Ausgewogenheit und drittens
Unabhängigkeit. Lassen Sie uns doch einmal kurz die
von Ihnen so kritisierte sogenannte Fratzscher-Kommission auf diese drei Punkte hin untersuchen.
Transparenz. Bundeswirtschaftsminister Gabriel
suchte für eine drängende Herausforderung unserer Zeit
Lösungsansätze. Er ist an die Öffentlichkeit gegangen
und hat für diese Aufgabe ein Gremium eingerichtet.
Außerdem hat er gesagt, wer in diesem Gremium, bestehend aus 21 Personen, vertreten ist.
Ausgewogenheit. In dieser Kommission sind Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die Wirtschaft und
die Gewerkschaften vertreten. Ja, liebe Kollegen und
Kolleginnen, auch Banken und Versicherungen sind in
ihr vertreten. Die Frage, die ich mir stelle, lautet aber:
Gibt es für Sie eigentlich gute und schlechte Fachleute,
gute und schlechte Argumente? Wie arrogant ist das
denn, liebe Kollegen und Kolleginnen!
({3})
Für ein gutes Ergebnis sollten wir alle sachlichen Argumente bedenken. Wie wir diese dann im Einzelnen gewichten, dürfte auch von unseren politischen Präferenzen abhängen. Diese Argumente aber gar nicht hören zu
wollen, zeugt doch wohl von unerträglicher Arroganz!
({4})
Unabhängigkeit. Die Ergebnisse beinhalten nicht nur
die Mehrheitsmeinung der Kommission, sondern es wurden auch alle Minderheitenvoten aufgeschrieben. So
sollte es doch sein. Wir wollen von der Kommission Entscheidungshilfen bekommen; aber wir wollen nicht fertige Gesetze von ihr geliefert bekommen.
Schauen Sie sich das Kapitel zum ÖPP an. Lieber
Kollege Lange, es scheint mir, dass Sie nur die Seite mit
den positiven Argumenten gelesen haben. Ich muss Ihnen sagen: Wir haben den kompletten Text gelesen.
({5})
In ihm ist aufgeführt, dass ÖPP durchaus auch negative
Seiten hat. Auch die werden wir bei unserer politischen
Arbeit beachten.
({6})
Darüber, was nun passiert, entscheidet nicht die Kommission, sondern entscheiden wir, liebe Kollegen und
Kolleginnen, und zwar nach eingehender Beratung.
Liebe Kollegin Andreae, wie sieht denn eine Infrastrukturgesellschaft möglicherweise aus? Dazu sind
viele Argumente dargelegt worden. Einige davon haben
Sie genannt. Wir haben uns auch andere Argumente angesehen. Für die SPD ist wichtig, dass es auf der einen
Seite keine Privatisierungen gibt; das haben auch Sie angeführt. Dass es auf der anderen Seite möglicherweise
auch Privatinvestitionen geben kann, ist eine Option.
Das ist keine Forderung.
({7})
Für uns ist ganz wichtig: keine Privatisierung. Eine Gesellschaft muss zu 100 Prozent in Bundesbesitz sein.
Wir müssen in Zukunft davon wegkommen, bei den
Planungen allein von den Herstellungskosten auszugehen. Die Kommission rät uns, mehr auf ein Lebenszyklusprinzip zu setzen. Die Finanzströme müssen absolut
transparent sein, und eine solche Gesellschaft muss
komplett unter parlamentarischer Kontrolle sein. Was,
liebe Kolleginnen und Kollegen, ist daran denn so fürchterlich?
({8})
Bezüglich der Kapitalfindung haben wir die Seiten zu
den sogenannten Bürgerfonds sehr genau gelesen. Das
ist etwas, was die SPD schon immer interessant fand und
was zum Beispiel bei den Stadtwerken in München
schon umgesetzt wurde. Dort sind auch von Kleinanlegern Gelder gesammelt worden, zum Beispiel zum Ausbau Erneuerbarer-Energien-Projekte. Das ist das, was
wir uns anschauen wollen. Dann werden wir entscheiden.
({9})
In unserem parlamentarischen System ist die Einbindung von Interessenvertretungen verpflichtend und gut
organisiert. Zum Beispiel muss jeder Gesetzentwurf in
eine Verbändeanhörung kommen.
Und jeder Redner muss einmal auf die Uhr schauen.
({0})
Die Uhr ist direkt vor mir. - Wir sammeln Argumente
und gewichten sie teilweise unterschiedlich. Dies ist
beim Kollegen Lange und mir der Fall, wenn es beispielsweise um die Frage geht, was der Bundesrechnungshof zum Thema ÖPP sagt. Aber entscheidend ist,
was hinten rauskommt. Das muss transparent sein. Da
können wir alle vielleicht noch ein bisschen mehr tun.
Sigmar Gabriel hat es uns mit der Fratzscher-Kommission vorgelebt.
Herzlichen Dank.
({0})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Mark Hauptmann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! In dieser hitzigen Debatte über öffentlich-private Partnerschaften - das ist,
glaube ich, ein Konsens zwischen uns allen - ist langfristiges Denken gefragt. Dass die Linke mit kurz-, mittel- und langfristigem Denken permanent überfordert ist,
ist für uns keine Neuigkeit, wegen der es einer Aktuellen
Stunde bedarf.
({0})
- Lieber Herr Kollege Ernst, Sie hatten Ihre Chance und
haben sie abermals nicht genutzt. - Von daher hat der
Kollege Beckmeyer hier vollkommen recht: Was Sie
hier veranstalten, verdient die Bezeichnung Volksverdummung. In dieser Debatte der Volksverdummung
- der Kollege Krischer freut sich sogar noch - haben Sie
in dem Lügenbaron Klaus Ernst Ihren Meister gefunden.
({1})
Sie sind die Hauptakteure.
({2})
- Ich bin kein Dampfplauderer, sondern ich setze mich
sehr wohl mit Ihrer Argumentation auseinander.
({3})
Ihre charmante Kollegin hat uns den Fetisch einer
schwarzen Null vorgeworfen.
({4})
Dieser sogenannte Fetisch kommt Deutschland zugute
und ist somit ein Fetisch, über den wir hier positiv reden
können. Ihr Konzept „Investitionen auf Pump“ ist doch
ein Konzept von gestern, Herr Kollege. „Investitionen
auf Pump“ kann nicht mehr funktionieren; denn nur
durch die schwarze Null generieren wir ja gerade wieder
Haushaltsinvestitionen von morgen.
({5})
Das heißt, wir schaffen Voraussetzungen dafür, auch in
Zukunft seitens des Staates investieren zu können.
({6})
Dass wir das nicht nur staatlich, sondern auch noch im
Verbund mit den Privaten machen wollen, ist ebenfalls
Teil der heutigen Debatte.
({7})
Die Fratzscher-Kommission hat uns in ihrem Bericht
klar gesagt, warum wir darüber debattieren sollten, wie
wir erstens in Zukunft die langfristige Sicherung unseres
Wohlstands über Investitionen garantieren können und
wie wir zweitens dafür bessere Rahmenbedingungen
schaffen; denn der Staat alleine kann diese nicht schaffen. Das ist, glaube ich, auch jedem von uns klar. Da
stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit diesem Modell
von ÖPP um, um eine sinnvolle Ergänzung seitens der
Privaten zu dem staatlichen Mechanismus zu haben? Der
klare Vorteil, den wir mit den Privaten haben, wenn wir
sie ins Boot holen, ist, dass sich ein Projekt über einen
gesamten Lebenszyklus erstreckt: planen, bauen und
hinterher eben auch über mehrere Jahre betreiben.
({8})
- Das scheitert eben nicht. Sie sehen bei uns in Deutschland bereits sehr positive Beispiele, bei denen es überhaupt nicht scheitert.
({9})
Schauen Sie sich die A 1 zwischen Hamburg und Bremen an. In vier Jahren konnte hier ein Projekt realisiert
werden, von dem alle Verkehrsminister und alle Experten sagen:
({10})
Hätte das der Staat alleine gemacht, hätten wir zehn
Jahre gebraucht, um den ganzen Prozess durchzuführen.
Wir hätten es also nicht so schnell durchführen können.
Vielleicht hätten wir es aufgrund der begrenzten finanziellen Ressourcen überhaupt nicht realisieren können.
Da bin ich ganz schnell bei Ihrer Debatte, die Sie führen wollen, nämlich warum man Mittel in Neubauprojekte und nicht nur in den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur steckt. Herr Kollege Krischer, ich komme aus den
neuen Bundesländern. Wir haben in den letzten 25 Jahren verschiedene Infrastrukturprojekte in Angriff genommen. Wir haben den Menschen immer gesagt: Wenn
wir eine große Autobahn bauen - bei mir im Wahlkreis
sind es die A 71 und die A 73 -, dann werden wir mit
Blick auf die Lebensumstände der Menschen dafür sorgen, dass Schwerlasttransporte nicht durch die Dörfer
und Innenstädte fahren, und ordentliche und angemessene Ortsumgehungen schaffen.
Dass wir auch in Zukunft - die Kollegen haben es
richtig gesagt - noch Neubauprojekte im Bereich der
Verkehrsinfrastruktur brauchen, ist kein Widerspruch,
({11})
sondern zeigt letztendlich, dass unsere Investitionen in
den neuen Ländern beileibe noch nicht abgearbeitet sind.
Es gibt immer noch Projekte, bei denen wir mit privaten,
aber auch mit öffentlichen finanziellen Mitteln dafür sorgen wollen, eine gute Infrastruktur aufzubauen.
({12})
Dass wir bei ÖPP-Projekten einen Perspektivwechsel
brauchen, der die Langfristigkeit des Lebenszyklus in
den Mittelpunkt stellt, wollen wir gar nicht bestreiten.
Wir können zum Beispiel über das Schweizer Modell
debattieren, bei dem wir uns nicht am Billigsten orientieren, sondern den günstigsten und teuersten Anbieter
streichen und dann den Anbieter nehmen, der am nächsten am Median liegt, weil er die langfristigen Kosten mit
einkalkuliert. Das heißt, wir wollen kein Preisdumping
in den Vordergrund stellen, wir wollen keine Gewinnmaximierung in den Vordergrund stellen, wie es uns die
Linke unterschieben will, sondern letztendlich einfach
nur die Chancen von öffentlich-privaten Projekten in den
Vordergrund stellen.
Diese Chancen lassen sich in drei wesentlichen Aspekten zusammenfassen: Erstens. Ich kann schneller realisieren. Zweitens. Ich kann eine Langfristigkeit im
Denken realisieren. Wenn das nicht Nachhaltigkeit ist,
was dann, liebe Kollegen der Grünen? Drittens. Ich kann
Win-win-Situationen für Wohlstand und Wirtschaft
schaffen.
Herzlichen Dank.
({13})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Marcus Held, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer kennt das nicht aus seinem Wahlkreis? Die
Ortsstraße, die vor lauter Schlaglöchern kaum noch befahrbar ist und deshalb dringend ausgebaut werden
müsste, der Sportplatz, der dringend einen neuen Belag
braucht, oder die Schule,
({0})
in der seit 40 Jahren, Herr Krischer, die sanitären Anlagen nicht mehr modernisiert worden sind. Solche Beispiele könnten wir alle zuhauf vortragen. Sie basieren
auf dem Problem, dass in Deutschland die Investitionen
nicht ausreichend sind.
Dieses Problem wurde nun zum Glück von unserem
Minister Sigmar Gabriel aufgegriffen, der erstmals Fachleute aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft an einen Tisch geholt hat und mit der Expertenkommission ergebnisoffen hat arbeiten können. Er hat,
wie ich finde, ein gutes Ergebnis vorgelegt. Wichtig war
dabei natürlich die dezidierte Bestandsaufnahme der
Probleme. Natürlich - darin sind wir uns einig, und das
merkt man auch an der Debatte - kann man über den
Weg diskutieren und unterschiedlicher Auffassung sein;
aber im Ziel waren sich alle Mitglieder der Kommission
einig,
({1})
nämlich: Wir brauchen mehr Investitionen in Deutschland, meine Damen und Herren. Und in diesem Ziel sollten wir uns im Deutschen Bundestag einig sein.
({2})
An die Adresse der Fraktion Die Linke: Die Ergebnisse gehen weit über das hinaus, was Sie sich heute hier
in einzelnen Punkten herausgepickt haben. Ich möchte
Ihnen einige Beispiele aus dem Bericht der Expertenkommission nennen. Sie spricht zum Beispiel von der
digitalen Infrastruktur. Im Bericht heißt es dazu:
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss Deutschland in seine digitale Infrastruktur investieren. …
Es müssen vorrangig Investitionen auf der Ebene
der Breitbandnetze getätigt werden, da deren Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit in Deutschland
im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich
ist und sich diese digitale Lücke zu Wettbewerbern
vergrößert.
Deshalb brauchen wir hier Investitionen.
Aber wir brauchen auch Lockerungen, zum Beispiel
wenn es darum geht, freies WLAN einzuführen. Daher
freue ich mich natürlich darüber, dass Herr Söder aus
Bayern twittert, dass es für freies WLAN ein Ende der
Störerhaftung braucht. Wir setzen uns in Berlin dafür
ein. Danke schön, Herr Söder. Bitte überzeugen Sie Ihre
Kollegen im BMI davon, damit wir endlich diese Störerhaftung abschaffen können. Wir als SPD unterstützen
Sie gerne dabei, und das sollten wir hier herausstellen.
({3})
Die Expertenkommission hat zum Beispiel auch - das
möchte ich hier betonen - weitere 15 Milliarden Euro für
die Kommunen gefordert. Mit dieser Forderung fühlen
wir uns als SPD-Fraktion bestätigt. Denn wir haben diesen Weg mit der Bundesregierung schon eingeschlagen;
Staatssekretär Beckmeyer ist in seinen Ausführungen
darauf eingegangen. Wir haben beschlossen, dass in den
Jahren 2016 bis 2018 10 Milliarden Euro für die öffentliche Infrastruktur bereitgestellt werden. Wir haben ebenfalls beschlossen, dass wir den Städten und Gemeinden
weitere 5 Milliarden Euro geben werden, mit denen sie
Investitionen anstoßen können. All das, meine Damen
und Herren - das richtet sich auch an die Kolleginnen
und Kollegen der Linken -, wird schon jetzt vor allem
über den Bundeshaushalt finanziert. Hier wird nicht ein
einziger Euro an privaten Mitteln verwendet. Der Bun9550
deshaushalt zeigt einfach, wie sich die Realität darstellt.
Man sollte hier nicht einfach das Gegenteil behaupten.
Wir fühlen uns als SPD auch deshalb durch diesen
Bericht bestätigt, weil wir uns bei den eben angesprochenen 5 Milliarden Euro für eine Zweckbindung entschieden haben. Diese Milliarden sollen nämlich für die
Kinderbetreuung, für Soziales und vor allem für Bildung
ausgegeben werden. Im Expertenbericht heißt es hierzu:
Neben einem bedarfsgerechten Angebot an Kinderbetreuungsplätzen müssen die Investitionen in den
Ausbau der Ganztagsschulen deutlich forciert werden, was bis zum Jahr 2020 erreicht werden sollte.
Ich als Rheinland-Pfälzer bin natürlich doppelt stolz,
meine Damen und Herren, denn unsere Landesregierung
verfolgt seit Jahren diese Linie. In Rheinland-Pfalz wird
investiert.
({4})
Die erfolgreiche SPD-geführte Landesregierung unter
Malu Dreyer hat beispielsweise dafür gesorgt - ich weiß,
dass Sie von der CDU/CSU dies nicht gerne hören -,
dass in Rheinland-Pfalz als erstem Bundesland die Kindergartenbeiträge erlassen werden. Diesen Weg müssen
wir im Bereich der Bildung weiterhin gehen, meine Damen und Herren.
({5})
- Bayern hat bis 1989 so viel Unterstützung bei Investitionen bekommen; da würde ich mich wirklich mal zurückhalten. Bayern tut immer so, als ob es ganz
Deutschland finanziere. Bayern zahlt nicht alleine. Alle
Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zahlen, nicht
nur die Bayern. Das können wir hier einmal am Rande
festhalten.
({6})
Ein weiterer Punkt ist mir wichtig, nämlich die Investitionsverpflichtung in Höhe der Abschreibung für Kommunen. Hierzu heißt es in dem Bericht:
Prüfung der Einrichtung einer haushaltsrechtlichen
Verpflichtung zu öffentlichen Investitionen in einer
Höhe, die zumindest die Abschreibungen auf das
Vermögen der öffentlichen Hand kompensiert.
Diese Forderung kann ich als langjähriger Kommunalpolitiker nur unterstützen. Denn nur so schaffen wir es,
dass die Kommunen ihr Eigenkapital nicht infolge der
Einführung der Doppik innerhalb weniger Jahre aufzehren.
Im Ergebnis bietet der Bericht also viele gute Ansätze. Wir sollten diesen nicht - wie heute Nachmittag
teilweise leider geschehen - zerreden, sondern anpacken, um Deutschland weiterhin zukunftsfähig zu machen. Nach den Reformen, die für den jetzigen wirtschaftlichen Erfolg entscheidend waren, brauchen wir
wieder weitblickende Entscheidungen für Deutschlands
Zukunft. Wir als SPD unterstützen diese gerne.
Danke schön.
({7})
Abschließender Redner in dieser Aktuellen Stunde ist
der Kollege Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht
der Linken wieder einmal um vermeintliche Heuschrecken, um das vermeintliche Bedienen von Interessen der
Privatwirtschaft, um die vermeintlichen Machenschaften
von Banken und Versicherungen,
({0})
kurz: um Mythen, Verdummung und Verschwörungstheorien. Uns, den Koalitionsfraktionen, geht es aber um
mehr Investitionen in Deutschland. Uns geht es um eine
zukunftsfähige Entwicklung hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland.
Ein maßgeblicher Faktor für unsere Wettbewerbsfähigkeit ist unsere im internationalen Vergleich leistungsfähige Infrastruktur.
Der Wettbewerbsbericht des Weltwirtschaftsforums
lobt ausdrücklich die Innovationskultur in Deutschland,
die Stärken im Bereich der Forschung und Entwicklung
und eben die Infrastruktur. Deutschland steht hinsichtlich des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigungssituation wirtschaftlich gut da.
Aber wir wissen: Die größte Gefahr für die Zukunft
ist der Erfolg der Gegenwart. Laut KfW-Kommunalpanel gibt es in Deutschland einen Investitionsstau von
rund 119 Milliarden Euro; die Größe der Lücke variiert
je nach Studie. Es gibt auch andere Sichtweisen. Beispielsweise sagt der Sachverständigenrat, dass es kein
pathologisches Defizit hinsichtlich der Investitionen
gibt. Wir als Koalitionsfraktionen haben uns jedoch dazu
verpflichtet, mehr in die öffentlichen Infrastrukturen zu
investieren. In den Jahren 2014 bis 2017 stellt der Bund
insgesamt 5 Milliarden Euro zusätzlich für den Erhalt
und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung.
({1})
- Das ist ja auch schon bekannt.
({2})
Das Investitionsprogramm der Bundesregierung für
den Zeitraum 2016 bis 2018 umfasst weitere zusätzliche
Mittel für öffentliche Investitionen in Höhe von 10 Milliarden Euro. Hiervon gehen 4,35 Milliarden Euro in den
Ausbau der Infrastruktur, in die Bundesfernstraßen und
Schienenwege. Ein Schwerpunkt wird dabei der BreitDr. Andreas Lenz
bandausbau sein. Wir investieren also nicht nur in die
von den Grünen zu Recht geforderten Fahrradautobahnen - die sind wirklich nicht schlecht -, sondern wir investieren in die gesamte Zukunft unseres Landes. Wir
entlasten außerdem die Kommunen, die für über die
Hälfte der Investitionen verantwortlich sind.
Aber es stimmt: Wir brauchen noch mehr Investitionen.
({3})
Nun ist es so, dass von den jährlichen Investitionen in
Deutschland, die rund 460 Milliarden Euro ausmachen,
nur rund 9 Prozent auf den öffentlichen Sektor entfallen.
Wir brauchen also vor allem Rahmenbedingungen für
mehr private Investitionen und für mehr private Innovationen. Genau dafür wurde vom Wirtschaftsminister die
Expertenkommission zur Stärkung von Investitionen in
Deutschland eingesetzt. Die Vorschläge der sogenannten
Fratzscher-Kommission liegen jetzt vor. Diese waren
schon innerhalb der Kommission nicht ganz unstrittig,
und ich wage zu prophezeien: Sie werden auch hier im
Bundestag nicht unstrittig sein. Sie sehen daran auch,
dass letztendlich die Politik entscheidet, welche Vorschläge umgesetzt werden, und eben nicht die Interessenvertreter.
Im Übrigen gelten bei öffentlich-privaten Partnerschaften hinsichtlich der Finanzierbarkeit und der Haushaltsverträglichkeit die gleichen Anforderungen wie bei
konventionellen Projekten. Dabei kommt es eben nicht
nur auf die Höhe des jeweiligen Finanzierungszinssatzes
an. Für eine Gesamtbeurteilung müssen die gesamten
Preis- und Leistungskonditionen berücksichtigt werden.
Hierzu gehören die Planungsvoraussetzungen, der Bau,
das Gewusst-wie und der Betrieb über den gesamten Lebenszyklus eines Projekts. Hier können private Anbieter
sehr wohl die für den Steuerzahler günstigere Alternative sein, wie man gerade an Großprojekten hier in Berlin sehen kann.
Natürlich müssen private Investoren auch Risiken
übernehmen. Rentabilität und Risiko hängen zusammen.
Dabei würden keine Autobahnen verkauft werden - das
ist in diesem Zusammenhang überhaupt nicht der Punkt,
Herr Krischer -,
({4})
aber die Prüfung einer öffentlichen Infrastrukturgesellschaft macht auf jeden Fall Sinn, und wir werden diese
Prüfung auch durchführen. Wir betrachten das, im Gegensatz zu Ihnen, überhaupt nicht ideologisch. Es geht
schlicht um eine Kosten-Nutzen-Abwägung.
({5})
Wir werden über alle Vorschläge diskutieren, auch mit
Ihnen - es hilft ja nix -, und ich rate Ihnen, dies ohne
Schaum vorm Mund zu machen.
({6})
Sie glauben, dass der Staat alles besser machen kann.
Wir glauben nicht, dass der Staat der bessere Unternehmer ist. Wir trauen den Menschen etwas zu, wir trauen
den privaten Investoren etwas zu, wir trauen den Menschen insgesamt etwas zu.
({7})
Wir gestalten den gesetzlichen Rahmen so aus, dass auch
die privaten Investitionen gut für unser Land sein werden.
Herzlichen Dank.
({8})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lenz. - Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten
Jahresbericht 2014 ({0})
Drucksache 18/3750
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch oder anderweitige Meinungen.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Hellmut
Königshaus.
({2})
Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Das Jahr 2014 war in mehrfacher Hinsicht ein Jahr der Wahrheit für die Bundeswehr, ein Jahr,
in dem bereits seit langem schwelende Probleme plötzlich aufloderten und latenter Bedarf akut wurde. Wir
mussten alterungsbedingte Ausfälle bei der Bewaffnung
und beim Material feststellen, und das in einem noch
nicht gekannten Ausmaß. Und es wurde deutlich, dass
der personelle, materielle und organisatorische Zuschnitt
der Streitkräfte in einigen Verwendungsreihen und -bereichen nicht den gewachsenen Anforderungen gerecht
wird. Zudem zeigte sich, dass der Verfall der vielerorts
Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus
seit Jahren vernachlässigten baulichen Infrastruktur in
vielen Liegenschaften zu einem nicht mehr hinnehmbaren Zustand geführt hat. Dies alles hat den Dienst der
Soldatinnen und Soldaten mehr denn je belastet und in
einigen Bereichen auch die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte beeinträchtigt.
In den vergangenen Jahren waren diese Probleme
nicht so deutlich hervorgetreten, weil die Soldatinnen
und Soldaten sich zunächst selbst zu helfen suchten. Soldaten sind eben erfindungsreich und engagiert, wenn es
darum geht, den Dienstbetrieb, wie es so schön heißt,
mit Bordmitteln aufrechtzuerhalten. Das ist auf kurze
Sicht gut und richtig, führt auf lange Sicht aber dazu
- das zeigt die heutige Situation -, dass nur Symptome
und nicht die eigentlichen Ursachen der Probleme behandelt werden. Gepaart mit gelegentlichen Beschönigungen und Relativierungen der für Abhilfe eigentlich
zuständigen Dienststellen wird so eine rasche Erkennung
und Behebung von Problemen behindert. Im Ergebnis
verschärfen sich dann die Missstände immer weiter, bis
die Probleme kaum mehr beherrschbar sind.
Ihre Forderung, Frau Bundesministerin von der
Leyen, nach einer Kultur der Wahrhaftigkeit in der Bundeswehr und auch im Ministerium kann ich deshalb
wirklich nur sehr nachdrücklich unterstreichen.
({3})
Tatsächlich ist festzustellen: Die Bundeswehr hat sich in
dieser Hinsicht auf den Weg gemacht. Das gilt auch für
die Darlegung der strukturellen Finanzierungslücken im
Bundeshaushalt. Diese Offenheit zahlt sich aus. Die am
18. März 2015 vom Kabinett beschlossenen Eckwerte
zum Bundeshaushalt 2016 und die sogenannte mittelfristige Finanzplanung sind mit einer deutlichen Steigerung
der Mittel im Verteidigungshaushalt verbunden. Damit
ist zumindest der finanzielle Grundstein gelegt, um einige der Probleme angehen zu können; aber das ist eben
nur der Grundstein und noch lange nicht das ganze Bauwerk. Auch deshalb vertraue ich nicht zuletzt auf Sie,
meine Damen und Herren Abgeordnete, auf die Einsicht,
dass wir hier etwas tun müssen. Aus vielen Äußerungen,
die ich in der Vergangenheit gehört habe, schließe ich,
dass das von vielen von Ihnen so gesehen wird.
Lassen Sie mich noch kurz auf die Personalsituation
in den Streitkräften eingehen. Die dienstliche Beanspruchung ist ungleich verteilt. Soldatinnen und Soldaten in
Spezialverwendungen, teilweise aber auch ganzen Truppengattungen sind in unzumutbarem Maße belastet.
Zahlreiche Beispiele dafür sind im Jahresbericht aufgelistet. Ich kann sie hier nicht alle im Detail ansprechen.
Es ist zu begrüßen, dass Sie, Frau Bundesministerin, das
Prinzip „Breite vor Tiefe“ behutsam korrigieren und die
einsatzbedingte Unwucht im System ausbalancieren, um
die zunehmende Überlastung in diesen Bereichen zu vermindern.
({4})
Mit Freude stelle ich fest, dass bei aller berechtigten
Schwerpunktsetzung bei den inzwischen offenkundig
gewordenen Problemen in den Bereichen Ausrüstung,
Ausstattung und Bewaffnung, aber auch bauliche Infrastruktur die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung
der Vereinbarkeit von Familie und Dienst vorankommen, wenngleich wir auch in diesen Bereichen erst einige Schritte auf einem noch sehr weiten Weg gegangen
sind. Es zeigen sich aber auch hier erste Erfolge, die
auch statistisch belegbar sind: Die Eingabequote beim
Wehrbeauftragten ist wieder rückläufig. Zum Stichtag
31. März ging die Quote im Jahresvergleich um rund
10 Prozent zurück, wenngleich sie immer noch auf einem recht hohen Niveau ist. Es gibt also noch einiges zu
tun. Aber immerhin zeigt sich eine Trendumkehr.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gäbe sicherlich noch viele Punkte aus meinem Jahresbericht anzusprechen - ich lege Ihnen ans Herz, diese Punkte im
schriftlichen Jahresbericht nachzulesen -, doch zu allem
reicht meine Redezeit hier nicht aus. Ich muss mich daher auf die Punkte, die ich bisher angesprochen habe, beschränken.
Erlauben Sie mir trotzdem noch einige Anmerkungen.
In wenigen Wochen endet nach fünf erfüllten Jahren
meine Amtszeit als Ihr Wehrbeauftragter. Es waren
Jahre, die teilweise von erschütternden Ereignissen, aber
auch von Beispielen beglückender Kameradschaft, Hilfe
und Unterstützung geprägt waren. Ein Rückblick über
den aktuellen Berichtszeitraum hinaus zeigt, dass sich
auch vieles zum Besseren gewandelt hat, nicht erst jetzt
in den letzten Wochen, Monaten und Jahren, sondern
eben auch über die letzten fünf Jahre hinweg.
Allein die Entwicklung der Zahlen von Gefallenen
und Verwundeten zeigt, welche Fortschritte es gegeben
hat. Natürlich ist das nicht nur auf die bessere Ausstattung und Ausrüstung zurückzuführen; auch die immer
weniger häufige robuste Teilnahme unserer deutschen
Kräfte an Gefechtshandlungen hat etwas damit zu tun.
Aber es hat eben auch mit diesen Verbesserungen zu tun.
Daher bin ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie diese mit angeschoben und mit angestoßen haben.
({5})
Die notwendige Priorisierung des Einsatzbedarfs ging
allerdings zulasten des Unterhalts und der Regeneration
derjenigen im Grundbetrieb. Es ist gut, dass der Fokus
nun auch auf eine rasche Verbesserung der Situation in
der Heimat gelegt wird. Ohne jetzt den Einfluss des
Wehrbeauftragten auf diese Entwicklung überbewerten
zu wollen: Ein wenig haben mein Amt und ich selbst
wohl schon dazu beigetragen. Daher möchte ich allen,
die mich dabei unterstützt haben, ein herzliches Dankeschön sagen.
Ich danke zuallererst Ihnen, meine Damen und Herren
Abgeordnete des Deutschen Bundestages, meinen Auftraggebern, für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und
für all das, was wir zum Teil gemeinsam im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten erreichen konnten.
In gleicher Weise danke ich natürlich auch jenen, die
mir ihr Vertrauen schenkten und ihre Sorgen und Nöte
anvertrauten: unseren Soldatinnen, unseren Soldaten und
Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus
ihren Angehörigen. Es war großartig, zu sehen, was Sie
alle für unser Land leisten und was Sie alles an Opfern
und Belastungen auf sich genommen haben.
({6})
Ebenso danke ich den drei Bundesministern der Verteidigung, die ich während meiner Amtszeit erleben
konnte; Dr. Jung habe ich auch erlebt, aber nicht während meiner Amtszeit. Ganz besonders danke ich Ihnen,
Frau Dr. von der Leyen. Sie haben stets für alle Themen,
mit denen ich auf Sie zukam, ein offenes Ohr gehabt und
sind Anregungen stets nachgegangen, auch wenn Sie naturgemäß nicht alles Wünschenswerte erfüllen konnten.
Es ist eben für einen Wehrbeauftragten einfacher, Forderungen zu erheben, als für eine Verteidigungsministerin,
sie auch zu erfüllen. Das weiß ich sehr wohl. Ich weiß
auch zu schätzen, mit welcher Kraft Sie sich stets darum
bemüht und vieles auch schon erreicht haben. Ich bin sicher, Sie werden auf dem Weg weitergehen.
({7})
Dieser Dank geht natürlich auch an die übrige politische und militärische Führung der Bundeswehr sowie an
alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesministerium der Verteidigung, in den Kommandobehörden, in
den Ämtern und in der Truppe, die meine Anfragen zu
den Eingaben und sonstigen Themen bearbeitet haben
und mir bei meinen Truppenbesuchen hilfreich zur Seite
standen.
Ganz besonders danken möchte ich jedoch - das werden Sie verstehen - den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Amtes, ohne die ich meine Arbeit so nicht
hätte bewältigen können.
({8})
Ich gebe zu, ich habe es genossen, in den letzten Monaten immer mehr Lob gehört zu haben. Aber der größte
Teil des Lobes, das ich gehört habe, gebührt im Grunde
genommen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ohne
sie wäre das alles gar nicht zu bewältigen und zu erreichen gewesen. Sie haben mit großem Sachverstand, aber
auch mit der notwendigen Empathie geholfen, den mir
von der Verfassung vorgegebenen Auftrag zu erfüllen.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle auch noch einige
Anmerkungen zur Situation jener, die unseren Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan als Ortskräfte kameradschaftlich zur Seite standen und denen auch der ihnen
gebührende Dank zustehen würde, den sie aber so nicht
erhalten oder der ihnen nur widerwillig zuteilwird. Es ist
und bleibt für mich unverständlich, wie wenig zugewandt unsere deutschen Behörden denen unter ihnen begegnen, die sich gefährdet fühlen und zu uns kommen
wollen. Wir sollten diese treuen Helfer doch zumindest
nicht schlechter behandeln als jene, die bei uns um Aufnahme ersuchen,
({9})
weil sie sich in Syrien, Libyen oder anderswo gefährdet
fühlen. Auch unseren afghanischen Helfern gegenüber
haben wir eine moralische Fürsorgepflicht, auch wenn
sie nicht im Gesetz steht. Ich habe nicht das Gefühl, dass
wir dieser Pflicht angemessen nachkommen.
({10})
Demnächst endet, wie gesagt, meine Amtszeit. Meinem Nachfolger, Dr. Hans-Peter Bartels, möchte ich mit
auf den Weg geben, dass eine großartige Aufgabe auf ihn
wartet. Aber sie bringt natürlich auch mancherlei Belastungen mit sich. Ich wünsche dir, lieber Hans-Peter, dass
die positiven Erfahrungen überwiegen werden. Ich wünsche dir Erfolg und will dich, wenn ich das kann, mit Rat
und Tat gerne weiterhin unterstützen. Ich sage dir zu,
dass dich mein Rat jedenfalls nicht ungebeten und auf
keinen Fall über Interviews oder Verlautbarungen erreichen soll.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Bevor ich der Ministerin als nächster Rednerin das
Wort erteile, möchte ich dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zunächst für die
Vorlage des Jahresberichts 2014 danken. Lieber Herr
Königshaus, dies ist, wie Sie gesagt haben, zugleich der
letzte Jahresbericht, den Sie vorlegen. Deshalb möchte
ich Ihnen im Namen der Kolleginnen und Kollegen des
Deutschen Bundestages für Ihre Arbeit in den zurückliegenden fünf Jahren von Herzen danken.
({0})
Ihr Amt wurde laut Grundgesetz als Hilfsorgan des
Bundestages bei der parlamentarischen Kontrolle der
Streitkräfte geschaffen. In Ihrer Amtszeit haben Sie als
Wehrbeauftragter im Auftrag des Deutschen Bundestages einen wesentlichen Beitrag zur parlamentarischen
Kontrolle der Bundeswehr als Parlamentsheer bzw. -armee
geleistet. Sie haben sich mit allen Aspekten der Bundeswehr befasst. Missständen sind Sie stets hartnäckig und
entschlossen auf den Grund gegangen. Ein besonderes
Anliegen war Ihnen die Erhöhung der Sicherheit sowie
die Verbesserung der Ausrüstung und der Ausbildung
der Soldatinnen und Soldaten. Sie waren immer ein Ansprechpartner für die Mitglieder des Deutschen Bundestages, insbesondere natürlich für die Kolleginnen und
Kollegen des Verteidigungsausschusses, genauso aber
auch für die Soldatinnen und Soldaten. Ich möchte Ihnen
deshalb im Namen der Soldatinnen und Soldaten, aber
auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen für Ihre
Arbeit als Wehrbeauftragter danken und wünsche Ihnen
für den weiteren Lebensweg alles Gute und Gottes Segen.
({1})
Jetzt erteile ich das Wort der Bundesministerin der
Verteidigung, Frau Dr. Ursula von der Leyen.
({2})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Herr Königshaus, Sie haben jetzt
zum fünften und damit letzten Mal als Wehrbeauftragter
den Deutschen Bundestag unterrichtet. Das ist immer
der Moment, in dem dem Parlament und der Öffentlichkeit bewusst wird, wie wichtig der Wehrbeauftragte ist;
denn dieser Bericht ist quasi ein Protokoll über all das,
was Sie im letzten Jahr von den Soldatinnen und Soldaten an Nöten, an Sorgen, an Beschwerden erfahren haben, aber eben auch an Vorschlägen.
Allein im Jahr 2014 haben Sie, Herr Königshaus,
rund 4 400 Eingaben bearbeitet. Wenn man das einmal
extrapoliert, dann sind das in Ihrer Amtszeit ungefähr
24 000 Eingaben gewesen, quer durch alle Bereiche der
Bundeswehr. Das sind beeindruckende Zahlen; aber
diese Zahlen sind eher trocken. Viel beeindruckender
sind das Herzblut, die Hartnäckigkeit, die Empathie,
aber vor allem auch der Sachverstand, mit dem Sie diese
Eingaben bearbeitet haben. Dafür, lieber Herr
Königshaus, danke ich Ihnen auch im Namen der Soldatinnen und Soldaten und dieses Parlamentes.
({0})
Die Aufgabe des Wehrbeauftragten ist es, aus den
Tausenden von Eingaben die Themen herauszudestillieren, die die Angehörigen der Bundeswehr bewegen, und
ihnen damit dann auch eine Stimme zu geben. Das haben
Sie getan. Das hilft der Bundeswehr, das hilft dem Parlament, das hilft der Regierung, die Themen politisch richtig zu setzen. Das ist Ihnen, lieber Herr Königshaus,
zweifelsohne in hervorragender Weise gelungen. Wenn
man Ihre Berichte durchblättert, sieht man das an den
Themen: Neuausrichtung, Ausrüstung, Auslandseinsätze, Vereinbarkeit von Dienst und Familie, Personal um nur ganz wenige zu nennen.
Ihnen, lieber Herr Königshaus, lag immer sehr am
Herzen, dass die Ausrüstung stimmt - zu Recht. Dahinter steht der gesamte Rüstungsprozess. Dieser Rüstungsprozess ist natürlich nicht das oberste Anliegen der Soldatinnen und Soldaten - die wollen wissen, was hinten
rauskommt, was sie zum Schluss in den Händen halten.
Aber der vorgelagerte Beschaffungsprozess ist wichtig
für eine passgenaue Ausrüstung. Deshalb sind Sie auch
einer der Treiber gewesen, der uns zum Schluss geholfen
hat, den richtigen Weg einzuschlagen: Agenda Rüstung,
Rüstungsgutachten, die neuen Projektstatusberichte, das
Rüstungsboard. Das sind all die Dinge, die wir miteinander diskutieren.
Diese sind jedoch kein Selbstzweck. Wir reden ja immer auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau, immer
enorm theorielastig; aber zu guter Letzt sind es diese
Prozesse, die darüber entscheiden, wie gut ausgerüstet
die Soldatinnen und Soldaten für uns in den Einsatz gehen. Das ist es, was wir uns immer wieder vor Augen
führen müssen, wenn es bei einzelnen Rüstungsvorhaben Frust gibt, weil es langsam vorangeht, widersprüchlich, behäbig oder theorielastig ist. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, unter dem Strich kann das über Leben und
Tod entscheiden. Deshalb lohnt sich jede Hartnäckigkeit
und jeder lange Atem gerade bei diesen Themen.
Ausrüstung, meine Damen und Herren, hat einen qualitativen, aber auch einen quantitativen Aspekt. Deshalb
haben Sie, Herr Königshaus, zu Recht immer wieder gemahnt, die Truppe ausreichend mit Gerät auszustatten.
Wir haben das aufgegriffen und betrachten noch einmal
die Obergrenzen der Hauptwaffensysteme. Erste Entscheidungen sind gefallen: Wir werden das dynamische
Verfügbarkeitsmanagement gar nicht erst einführen, und
wir haben die Obergrenze beim Leopard 2 angehoben.
Sie, Herr Königshaus, haben auch immer zu Recht
betont, dass das modernste Material nichts nützt, wenn
man das Personal dafür nicht hat. Ich erinnere mich noch
sehr gut, wie Sie mir zu Beginn meiner Amtszeit den
Rücken gestärkt haben, wie Sie aber auch gemahnt und
mich auf die Schwachstellen gerade beim Thema Personal, gerade beim Thema Attraktivität hingewiesen
haben. Sie haben mich gemahnt, hartnäckig zu bleiben.
Sie haben mir dadurch am Anfang auch Sicherheit gegeben, wenn ich so manches Mal verunsichert war, ob das
der richtige Pfad ist. Deshalb möchte ich Ihnen vor dem
Hohen Hause von ganzem Herzen dafür danken. Vor allem weiß ich, wie dankbar die Truppe Ihnen dafür ist,
Herr Königshaus.
({1})
In Ihrer unnachahmlichen Art haben Sie auch noch
ein Thema aufgegriffen, was vielleicht eines der - in
Anführungszeichen - letzten Themen Ihrer Amtszeit ist
- dies gibt aber auch uns den Schwung, es mit in die
Zukunft hineinzutragen - das Thema der Ortskräfte in
Afghanistan. Meine Damen und Herren, ich habe mir die
Zahlen noch einmal angeschaut; wir sind da einfach zu
langsam. Mir sagt auch mein Gefühl: Wir haben diesen
Männern und Frauen in Afghanistan vertraut, wir haben
ihnen indirekt das Leben der Soldatinnen und Soldaten
anvertraut. Wenn sie nicht aufrichtig gewesen wären,
hätte das Soldatenleben gekostet. Deshalb bin ich der
festen Überzeugung, dass es eine unserer vornehmen
Aufgaben ist, noch mehr Tempo in diesen Prozess hineinzubringen und großzügiger zu werden. Wir haben
diesen Menschen vertraut. Wir sollten ihnen auch weiterhin vertrauen.
({2})
Da ich beim Thema Vertrauen bin, erlauben Sie mir,
lieber Kollege Königshaus, zu sagen: Sie haben sich das
Vertrauen der Soldatinnen und Soldaten erworben, und
Sie haben den Begriff Fürsorge weiß Gott mit Leben erfüllt.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Für die Fraktion Die
Linke spricht jetzt die Kollegin Christine Buchholz.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Königshaus!
Meine Damen und Herren! Vor einem Jahr hat Ministerin von der Leyen sehr viel Wind um die Vereinbarkeit
von Dienst und Familie gemacht. Heute ist das Thema
aus den Schlagzeilen heraus, und wenn man den Jahresbericht des Wehrbeauftragten liest, dann weiß man auch,
warum. Die Bundeswehr war, ist und bleibt eines der familienunfreundlichsten Unternehmen in diesem Land.
Zu den konkreten Problemen: Im Bericht des Wehrbeauftragten ist zu lesen: Eine Soldatin beantragt Elternzeit, doch weil der Antrag nicht bearbeitet wird, kann sie
kein Elterngeld beziehen. - Das ist nur ein kleines Beispiel für den enormen Rückstau von Anträgen und dafür,
wie er sich auswirkt. Weil zahlreiche Posten in der Verwaltung nicht besetzt sind, betragen die Bearbeitungszeiten mitunter sechs Monate. Selbstverständliche Ansprüche werden nicht erfüllt. Das kann nicht sein.
({0})
Eines der größten Probleme für die Familien ist die
erzwungene Pendelei aufgrund von Versetzungen. Die
Attraktivitätsoffensive hat an der mangelnden Planbarkeit dieser Versetzungen nichts geändert. Hinzu kommt,
dass selbst bei der finanziellen Abfederung wichtiger
Forderungen nichts getan wurde. So weist der Bericht zu
Recht darauf hin, dass es nach Versetzungen keine Wahlfreiheit zwischen der Inanspruchnahme von Trennungsgeld und Umzugskostenvergütung gibt, wie es in vielen
zivilen Bereichen selbstverständlich ist. Die Konsequenz
ist bitter: Fast die Hälfte der befragten Soldatinnen und
Soldaten einer vom Wehrbeauftragten angeregten Studie
hat angegeben, dass dienstliche Erfordernisse bereits
mindestens einmal ihre Ehe oder Partnerschaft zerstört
haben. Die Bundeswehr ist und bleibt für viele ein Familienkiller.
In dem Attraktivitätsprogramm geht es vor allen Dingen darum, mehr Bewerber anzulocken. Doch was mit
den Soldaten passiert, wenn der Dienst erst einmal läuft
oder vorbei ist, interessiert nicht weiter.
Nehmen wir die Radarstrahlenopfer. Dabei handelt es
sich um ehemalige Soldaten, die durch den Dienst für
die NVA oder die Bundeswehr erkrankt sind. Viele von
ihnen wurden in zermürbende Prozesse gezwängt, um zu
ihrem Recht auf Entschädigungen und Ausgleichszahlungen zu kommen. Wir lesen hier von einem Wartungstechniker der Marineflieger, der über 20 Jahre gegen die
Bundeswehr prozessierte, bis er Recht bekam. Andere
starben, bevor ihre Prozesse zu Ende waren.
({1})
50 Prozesse sind noch anhängig, und ich sage: Beenden
Sie endlich dieses unwürdige Gezerre!
({2})
Die Zahl derjenigen, die aus Afghanistan traumatisiert zurückgekommen sind, steigt weiter, und dies, obgleich die Zahl der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan
deutlich reduziert wurde. Warum ist das so? Soldatinnen
und Soldaten waren in Afghanistan durchschnittlich
dreimal im Einsatz. Viele haben sich immer wieder gemeldet und psychische Probleme immer wieder verdrängen können. Nun kommen die Folgen dieser Traumatisierung heftig zum Ausbruch. Aufgefangen werden die
Betroffenen jedoch nicht ausreichend. Der Bericht
spricht von einer außerordentlich geringen Behandlungsquote. Jene, die behandelt werden wollen, müssen
durchschnittlich zwei Monate warten, und das, meine
Damen und Herren, ist unwürdig.
({3})
Frau von der Leyen, Sie sagten zum Auftakt des
Weißbuchprozesses: Unsere Interessen haben keine unverrückbare Grenze, weder geografisch noch qualitativ. - Damit reden Sie der Entgrenzung militärischer Gewalt das Wort. Worüber Sie aber nicht sprechen, sind
zum einen die zukünftigen Opfer in den Einsatzgebieten
und zum anderen die Ortskräfte. Sie sagen hier, dass an
dieser Stelle endlich etwas getan werden muss. Dann tun
Sie es auch!
({4})
Worüber Sie auch nicht sprechen, ist, dass diese Politik von den eingesetzten Soldatinnen und Soldaten und
ihren Familien ausgebadet wird. Frau von der Leyen, Sie
fordern Auslandeinsätze ohne Grenzen und Tabus. Damit tragen Sie auch die Verantwortung für die psychisch
kranken Heimkehrer von morgen.
({5})
Dies ist die letzte Debatte mit Herrn Königshaus als
Wehrbeauftragtem. Herr Königshaus, Sie und Ihre Mitarbeiter haben oft den Finger an der richtigen Stelle in
die Wunde gelegt, gerade wenn es um soziale Belange
der Soldatinnen und Soldaten ging. An einer Stelle widersprechen wir als Linke Ihnen allerdings heftig. In Ihrem Bericht fordern Sie die Erhöhung des Verteidigungshaushaltes - das haben Sie in Ihrer Rede eben auch getan
- und plädieren Sie für die Aufrüstung mit Großgerät bis hin zur Forderung nach Kampfdrohnen.
Die Linke ist überzeugt: Sicherheit wird so nicht geschaffen. Im Gegenteil: Wer Sicherheit für die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien will, kann einiges
dafür tun; vor allem sollte er sie nicht in immer mehr
Auslandseinsätze schicken.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Heidtrud Henn für
die SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Wehrbeauftragter! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wer im Moment über die
Bundeswehr redet und schreibt, spricht und schreibt über
das G36. Mal mehr, mal weniger differenziert werden
technische Daten verglichen und grafisch aufbereitet. Es
wird gefragt, wer wann wo von welchem Problem gewusst hat, und dabei wird auch Parteipolitik betrieben.
Ja, es ist richtig und wichtig, zu klären, wie Vertrauen
wiederhergestellt werden kann, ob ein neues Sturmgewehr beschafft werden soll und wie Fehler zukünftig
vermieden werden können.
Am Anfang von Verbesserungen steht immer die
Wahrheit, und es ist auch dem Wehrbeauftragten und seiner Hartnäckigkeit zu verdanken, dass nun die Ergebnisse von Untersuchungen zum G36 auf dem Tisch liegen. Hier zeigt sich, dass es eben nicht immer schön ist,
recht zu haben. Der Wehrbeauftragte hatte mit seinen
Befürchtungen aber recht, und es ist gut, dass die Berichte nun ausgewertet werden, um Lösungen zu finden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe in den letzten Tagen oft daran gedacht, dass es leichter ist, über Abstraktes, Zahlen, Statistiken, Treffsicherheit und Streukreisausweitung zu sprechen als über den Menschen, der
im Einsatz ist und der Funktionsfähigkeit seines Gewehres vertrauen muss.
Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lieber Herr
Königshaus, haben Sie Dank für Ihren Bericht, der uns
dabei hilft, unsere Arbeit gut zu machen. Auch Ihren
Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gilt mein Dank. 4 656
Soldatinnen und Soldaten haben sich im Berichtszeitraum mit Eingaben an den Wehrbeauftragten gewandt.
Diese zu sortieren und zu bearbeiten, ist eine beachtliche
Leistung. Dass Sie bereits Ende Januar weit mehr als die
Hälfte der Eingaben bearbeitet hatten, ist beeindruckend.
Meinen Dank werde ich heute zum letzten Mal an Sie
in Ihrer Funktion als Wehrbeauftragter richten. Ich war
mir immer sicher, bei Ihnen eine offene Tür zu finden.
Sie haben stets meine Fragen beantwortet und meine Bedenken aufgenommen. Sie waren ein guter Wehrbeauftragter, weil für Sie der Mensch zählt und weil Sie ein
Gefühl für Ihr Gegenüber haben. Ich habe von Ihnen gelernt, lieber Herr Königshaus. Vielen Dank!
({0})
Ich bin viel unterwegs, um mir an Standorten ein Bild
von der Truppe und den Mitarbeitern zu machen. Ich
lade dort immer dazu ein, mir nicht eine schöne Fassade
zu zeigen, sondern es offen und ehrlich zu sagen, wenn
es irgendwo hakt. Ich erlebe an den Standorten Soldatinnen und Soldaten und natürlich auch zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die stolz auf ihren Arbeitgeber
sind und ihren Beruf tatsächlich lieben. Ich freue mich,
das zu hören. Aber leider hakt es an einigen Standorten
nicht nur, sondern es stinkt.
Ein Beispiel aus der Praxis: An einem Standort war
über sieben Jahre lang eine Baustelle. Die Arbeiten sind
beendet, und nun wird das Bataillon aufgelöst. Der Umzug für die Soldatinnen und Soldaten steht ins Haus.
Wohin? In eine Baustelle. In dieser Baustelle, in der die
Unterkünfte sind, stinkt es in den Fluren nach Urin. Das
ist nicht akzeptabel. Hier erwarte ich, dass die Sanierung
schnell in Gang kommt. Es geht hier um Soldatinnen
und Soldaten, die oft im Auslandseinsatz sind und dort
in Containern besser untergebracht sind als zu Hause.
({1})
Der Mensch zählt und ist das Kostbarste, was die
Bundeswehr hat. Für deren Gesundheit zu sorgen, ist
Aufgabe des Sanitätsdienstes. Er gilt auch international
als „Schmuckkästchen“. Diese Bezeichnung habe ich
übrigens von einem Soldaten. Ich finde sie sehr passend.
Unser Sanitätsdienst ist da: hier und weltweit bei den
Einsätzen und Übungen. Obwohl die Menschen des Sanitätsdienstes immer da sind, steht der Sanitätsdienst
allzu oft in der zweiten Reihe.
Die Soldatinnen und Soldaten des Sanitätsdienstes
sind immer da: manchmal sichtbar an vorderster Front
im Einsatz und manchmal unsichtbar. Für ihre Kameradinnen und Kameraden ist das ein sehr gutes Gefühl. Ich
muss an Schutzengel denken, wenn ich von den Angehörigen des Sanitätsdienstes spreche. Damit diese Schutzengel ihre Aufgaben erfüllen können, müssen wir dafür
Sorge tragen, dass sie die bestmögliche Ausstattung haben, zum Beispiel einen Hubschrauber, der überall landen kann, auch nahe am Ort des Geschehens oder auf einem Krankenhausdach.
Beim Sanitätsdienst ist vieles sehr gut. Nicht gut ist
die Tatsache, dass hier immer noch viel Papier auf Reisen gehen muss. Die elektronische Gesundheitskarte, die
für uns im zivilen Leben selbstverständlich ist, gibt es
bei den Soldatinnen und Soldaten nicht. Man kann es
sich kaum vorstellen, aber bei der Bundeswehr geht die
Patientenakte auf Papier auf Reisen. Das oft zitierte Vertrauensverhältnis zum Hausarzt gibt es für Soldatinnen
und Soldaten nicht, wenn sie häufig unterwegs sind. Allergien, Vorerkrankungen und auch die Persönlichkeit des
Patienten sind dem behandelnden Arzt nicht bekannt,
weil ihm der Patient nicht bekannt ist. Ich bin dafür, hier
für Abhilfe zu sorgen. Ein modernes Gesundheitsmanagement sollte gerade bei der Bundeswehr selbstverständlich sein.
({2})
Die Qualität der Ausbildung beim Sanitätsdienst ist
hervorragend. Ebenso hervorragend sollte auch der
Stand der Technik sein. Das medizinische Informationsmanagement der Bundeswehr braucht eine elektronische
Patientenakte, die immer dort ist, wo die Soldatin oder
der Soldat ist. Das hilft dem Patienten und dem Arzt.
Der Markt bietet hierfür Lösungen an. Es gibt keinen
Grund, nicht denen zu helfen, deren Beruf es ist, anderen
zu helfen. Ich gehe davon aus, dass ich hierfür Ihre Unterstützung habe, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Im Bericht finden wir Zahlen, die mich ganz besonders berühren. Sie machen mich traurig und zornig. Über
24 Suizide und 43 Suizidversuche berichtet der WehrbeHeidtrud Henn
auftragte. Auch wenn die Gründe hierfür einen privaten
Hintergrund haben mögen: Es ist die Pflicht des Arbeitgebers Bundeswehr, hier genau hinzuschauen. Wenn der
Wehrbeauftragte den Eindruck hat, dass eine systematische Betrachtung dieser Suizide nicht stattfindet, dann
besteht dringender Handlungsbedarf.
Vergessen dürfen wir aus meiner Sicht auch nicht die
ehemaligen Soldatinnen und Soldaten, die nach ihrer
Dienstzeit von psychischen Belastungsreaktionen geplagt werden. Vor wenigen Monaten habe ich einen Soldaten aus meinem Heimatort auf seinem letzten Weg
begleitet. Er hatte sich das Leben genommen. Der Familienvater war ein guter Soldat. Seine Krankheit konnte er
nicht aushalten. In der Predigt sagte der Pfarrer, der Soldat habe Angst gehabt, unehrenhaft aus der Armee entlassen zu werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige von Ihnen
denken jetzt sicherlich: Niemand wird unehrenhaft entlassen. Das ist richtig. Diese Angst des Soldaten, die er
ausgesprochen hat und die der Pfarrer mit uns geteilt hat,
zeigt aber eines ganz deutlich: An der Seele erkrankte
Soldaten müssen von jemandem behandelt werden, der
versteht, wie sich ein Soldat fühlt. Es ist gut, dass wir
psychische Erkrankungen im wahrsten Sinne des Wortes
schon ein wenig aus der Dunkelheit geholt haben. Das
hilft den Betroffenen, den Angehörigen und auch dem
Arbeitgeber Bundeswehr.
Hierfür ist dem Wehrbeauftragten zu danken. Aber
auch hier muss noch vieles getan werden. Denn wer leidet, braucht einen kurzen Weg zu jemandem, dem das eigene Leiden nicht fremd ist. Die psychische Betreuung
muss enger und damit auch besser werden.
Die Arbeit der Militärseelsorge leistet dazu einen
wichtigen Beitrag. 2014 waren mehr als 100 Seelsorger
im Auslandseinsatz. Ihnen sowie allen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern, die an den Standorten Not lindern und
Freude schenken, danke ich.
({4})
Sie schaffen Oasen des Vertrauens und der Zuversicht.
Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, sehr geehrter
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
wünsche Ihnen allen jemanden, der an Ihrer Seite ist,
wenn es in Ihrer Welt dunkel ist, jemanden, der zuhört,
der versteht und Ihnen Halt gibt. Der Wehrbeauftragte
Königshaus hat zugehört, und er hat verstanden. Es ist
nun an uns, daraus die richtigen Entscheidungen abzuleiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen Gottes Segen.
({5})
Der Kollege Dr. Tobias Lindner spricht als Nächster
für Bündnis 90/Die Grünen.
Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Königshaus, es ist der
letzte Bericht, den Sie heute diesem Hohen Hause vorlegen. Aber die Probleme in der Bundeswehr sind damit
beileibe nicht zu Ende gegangen. Im Gegenteil: Sie
selbst haben von dem Jahr 2014 als Jahr der Wahrheit
und der Wahrhaftigkeit gesprochen.
Aber bevor ich zu Ihrem Bericht komme, will ich
noch etwas zu den Ortskräften in Afghanistan sagen,
weil sie auch von Ihnen, Frau Ministerin von der Leyen,
erwähnt worden sind. Sie sprachen davon, dass wir diesen Menschen vertraut haben. Das ist richtig, aber man
muss hinzufügen: Diese Menschen haben auch uns vertraut, und wir haben damit ein ganzes Stück Verantwortung auf uns geladen. Alle Fraktionen haben im Verteidigungsausschuss immer wieder die Großzügigkeit, die
Sie nun ankündigen, eingefordert, und sie haben gefordert, dass wir uns zu dieser Verantwortung bekennen.
Da Sie heute dieses Signal senden, fordere ich Sie im
Namen meiner Fraktion, aber ich denke, auch der anderen Kolleginnen und Kollegen auf: Machen Sie innerhalb der Bundesregierung Druck! Reden Sie auch mit
dem Bundesministerium des Innern, das aus meiner
Sicht oftmals an der falschen Stelle auf der Bremse gestanden hat, damit dieser Ankündigung und Ihren Worten auch Taten folgen, Frau von der Leyen!
({0})
Das Jahr 2014 begann mit zwei Ankündigungen von
Ihnen, Frau Ministerin. Sie haben im Januar davon gesprochen, dass die Bundeswehr einer der attraktivsten
Arbeitgeber in Deutschland werden soll. Im Februar haben Sie bei der Sitzung des Rüstungsboards gravierende
Veränderungen angekündigt und eingefordert. Sie sind
selbst darauf eingegangen.
Aber angesichts der Realität und des Berichts des
Wehrbeauftragten stellt man fest, dass Anspruch und
Wirklichkeit leider immer noch ganz weit auseinanderliegen. Ich will das an einigen Punkten deutlich machen.
Es reicht nicht, im Zusammenhang mit dem Personal
über mehr Attraktivität zu sprechen, wenn es immer
noch - Kollegin Buchholz hat Beispiele genannt - ein
erhebliches unausgeschöpftes Potenzial bei der Frage
der Gleichstellung von Frauen und Männern in der
Truppe gibt.
({1})
Wenn wir wirklich über eine attraktive, zeitgemäße
Bundeswehr reden, wenn wir vom Staatsbürger in Uniform reden, dann kann es nicht um ein „Truppenbild mit
Dame“ gehen, sondern dann muss es um Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Uniform gehen, die gleiche
Rechte, Pflichten und vor allem Chancen in unserer
Bundeswehr haben. Hier erwarten wir uns von Ihnen,
Frau Ministerin, deutlich mehr Anstrengungen als bisher.
({2})
Sie, Herr Königshaus, haben in Ihrem Bericht auch
die Einsatzrealität angesprochen. Schauen wir uns den
Patriot-Einsatz in der Türkei an. Wir schaffen es eben
nicht, das Versprechen, das wir Soldatinnen und Soldaten geben, nämlich dass sie nach vier Monaten im Auslandseinsatz 20 Monate in Deutschland bleiben können,
einzuhalten. Das schaffen wir in einer gravierenden Anzahl von Fällen nicht. In diesem Zusammenhang ist die
Diskussion über Breite vor Tiefe bei den Fähigkeiten
keine theoretische oder rüstungspolitische Diskussion.
Nein, liebe Kollegin Henn, da geht es genau - da haben
Sie voll und ganz recht - um den Menschen in der
Truppe, und es geht um konkrete Erfahrungen. Da zeigt
sich, dass dieses Konzept, auch wenn wir den Menschen
in den Mittelpunkt stellen, an inneren Widersprüchen gescheitert ist. Deswegen gilt es, hier umzudenken.
Wenn wir beim Thema Attraktivität sind, müssen wir
natürlich auch die Unterkünfte in den Blick nehmen. Sie,
Frau von der Leyen, haben großspurig ein Sofortprogramm angekündigt. Aber in den letzten Haushaltsberatungen, noch am Freitag vor der Bereinigungssitzung,
haben Sie Mittel für Infrastrukturmaßnahmen mit der
Begründung reduziert - das war Ihr Haus -, der Bedarf
sei niedriger. Das muss wie Hohn in den Ohren der Soldatinnen und Soldaten klingen, die sich nicht nach
Flachbildfernsehgeräten oder Minikühlschränken sehnen, sondern nach ordentlichen Sanitäreinrichtungen in
ihren Kasernen.
({3})
Über Ausrüstung ist schon viel diskutiert worden.
Herr Königshaus, Sie haben immer wieder Hinweise auf
Probleme beim Sturmgewehr G36 gegeben, Sie haben
Informationen eingefordert und Druck gemacht. Das ist
Ihr Verdienst. Das Ministerium unter Ihrer Leitung, Frau
Ministerin, hat im letzten Jahr immer wieder Zweifel angemeldet. Ohne Herrn Königshaus hätten wir heute nicht
diese Debatte und wären wir nicht so schlau, wie wir
sind. Herr Königshaus, auch im Namen der Soldatinnen
und Soldaten: Vielen Dank, dass Sie an dieser Stelle
nicht lockergelassen haben.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten
Damen und Herren, lieber Hellmut Königshaus, es sind
heute schon viele Worte des Dankes gefallen. Wir werden Sie noch verabschieden. Wir wollten Ihnen heute
nicht noch einen dritten oder vierten Blumenstrauß hinstellen, aber ich kann Ihnen versprechen: Wir werden
uns bei Ihnen bedanken. Auch wir als Opposition müssen Dank sagen; denn Sie als Hilfsorgan liefern uns
manchmal Anstöße und Anregungen, aber auch Informationen, an die man sonst nicht käme. Man muss auch
sagen: Sie sind nicht nur ein Hilfsorgan des Bundestages, um in die Truppe hineinzuwirken, sondern Sie sind
auch das Hilfsorgan, das unseren Soldatinnen und Soldaten hilft, ihre Grundrechte wahrzunehmen und an den
Deutschen Bundestag herantreten zu können.
Ich wünsche Ihnen ganz persönlich, aber vor allem im
Namen unserer gesamten Fraktion eine gute Zeit in den
kommenden drei Wochen in Ihrem Amt. Ich wünsche
dir, lieber Hans-Peter, danach eine erfüllende Aufgabe
und viel Erfolg. Ihnen, Herr Königshaus, vor allem für
die Zukunft alles Gute! Ich danke Ihnen im Namen unserer Fraktion und möchte Ihnen auch im Namen des Hauses Respekt für Ihre Arbeit aussprechen.
Vielen Dank.
({5})
Die Kollegin Anita Schäfer spricht jetzt für die CDU/
CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lieber
Hellmut Königshaus! Nach fünf Jahren scheiden Sie
jetzt aus dem Amt des Wehrbeauftragten aus. Im Namen
der CDU/CSU-Fraktion, aber auch ganz persönlich
möchte ich Ihnen daher sowohl für Ihre Arbeit am Jahresbericht über das vergangene Jahr als auch für Ihren
Dienst insgesamt danken. Besonders möchte ich Ihnen
für Ihr großes Engagement bei der Unterstützung unserer
Soldatinnen und Soldaten im Einsatz wie auch im
Grundbetrieb danken. Diese fünf Jahre waren geprägt
von zahlreichen gleichzeitig laufenden Auslandseinsätzen, insbesondere in Afghanistan, von der umfassendsten Strukturreform seit Bestehen der Bundeswehr, einschließlich der Aussetzung der Wehrpflicht, und zuletzt
von einem neuen Umbruch sicher geglaubter Gegebenheiten durch das Vorgehen Russlands in der Ukraine.
Die ständige Präsenz, die Sie in dieser Zeit gezeigt
haben, ist etwas, was zum Verständnis des Amtes gehören muss. Dazu braucht man dann auch schon mal die
notwendige Hartnäckigkeit, die Sie, lieber Herr
Königshaus, auf jeden Fall bewiesen haben und die vielleicht erst nach längerer Zeit Früchte trägt, wie aktuell
an der Debatte um das Gewehr G36 zu sehen ist, die Sie
seit drei Jahren wesentlich mitbestimmt haben. Auch im
aktuellen Jahresbericht ist diesem Punkt ja wieder ein
Abschnitt gewidmet.
Nach vielen widersprüchlichen Untersuchungen
herrscht mit den jetzt vorliegenden Berichten auf jeden
Fall weitgehende Klarheit über das Verhalten des G36
bei hohen Temperaturen, wobei es nach wie vor keine
Erkenntnisse darüber gibt, dass Soldaten aufgrund fehlender Zielgenauigkeit zu Schaden gekommen sind. Die
Peschmerga beschweren sich, wie die FAZ heute in einem Kommentar süffisant schreibt, gerade nicht über
solche Mängel.
Anita Schäfer ({0})
Aber zur unabhängigen Untersuchung möglicher
Auswirkungen im Einsatz hat die Bundesverteidigungsministerin ja bereits eine Kommission unter Vorsitz des
ehemaligen Kollegen Winfried Nachtwei eingesetzt, der
auch Sie, Herr Königshaus, angehören werden. Sie werden dieses Thema also auch nach Ablauf Ihrer Amtszeit
als Wehrbeauftragter verfolgen. Somit sind die Voraussetzungen für eine umfassende Aufklärung geschaffen.
Unser Hauptaugenmerk sollten wir allerdings nicht
auf die Vergangenheit, sondern auf die militärischen Anforderungen heutiger und künftiger Einsätze richten. Daran sollte das Anforderungsprofil hinsichtlich der Ausrüstung dann auch eindeutig ausgerichtet werden, und
dieses Profil sollte nicht hinterher siebzehnmal geändert
werden.
Lieber Herr Königshaus, das war aber natürlich bei
weitem nicht das einzige Thema, mit dem wir uns gemeinsam befasst haben. Immer wieder haben Sie Impulse gegeben, die der Verteidigungsausschuss aufgegriffen hat. Einer der wichtigsten Themenblöcke bleibt
die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr. Hier ist
uns mit dem kürzlich verabschiedeten Attraktivitätssteigerungsgesetz ein großer Schritt gelungen, der in seltener Einigkeit auch von fast allen bis hin zum Deutschen
BundeswehrVerband als solcher gelobt worden ist.
Unter anderem haben wir die Alterssicherung für
Zeitsoldaten erheblich verbessert. Wir haben den Geltungsbeginn für die Hinzuverdienstgrenze für Berufssoldaten im Ruhestand an die besondere Altersgrenze für
Bundespolizisten angeglichen. Wir haben viele Erschwerniszulagen und einige Stellenzulagen erstmals
seit 1990 an die Lebenshaltungskosten angepasst. Zum
ersten Mal seit Bestehen der Bundeswehr wird eine gesetzlich geregelte Arbeitszeit für Soldaten im Grundbetrieb eingeführt, einschließlich der Vergütung von Überstunden.
Zudem haben wir mit Blick auf die Vereinbarkeit von
Familie und Dienst die Beantragung von Teilzeitbeschäftigung erleichtert. Soldaten können nun auch bis zu
24 Monate ihrer Elternzeit nach dem dritten Geburtstag
ihres Kindes nehmen. Zusätzlich hätten wir gern endlich
die gesetzliche Verankerung des dauerhaften Wahlrechts
zwischen Trennungsgeld und Umzugskostenvergütung
bei Versetzungen geschafft, die wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben. Die Abstimmung zwischen den Ressorts war aber komplex.
Außerdem haben wir es vorgezogen, das Erreichte
schnellstmöglich umzusetzen, statt eine unbestimmte
Zeit auf mögliche weitere Verbesserungen zu warten. Insofern sollten wir uns bei aller Freude nicht auf dem Ergebnis ausruhen, sondern bereits künftige Schritte ins
Auge fassen. Dafür wird auch der nächste Wehrbeauftragte zweifellos wieder Impulse liefern.
Ihnen, Herr Königshaus, wünsche ich für die Zeit
nach Ihrem Ausscheiden weiterhin dieselbe Kraft und
Hartnäckigkeit. Herzlichen Dank möchte ich zudem einmal mehr Ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sagen, die wie immer an der Entstehung des Jahresberichtes mitgewirkt haben.
Zum Schluss möchte ich aber vor allem den Soldatinnen und Soldaten und zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr danken, die in dieser fordernden Zeit ihren Dienst
für die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten
leisten. Seien Sie gewiss, dass der Bundestag weiterhin
dafür Sorge tragen wird, dass Sie diesen Dienst unter
den bestmöglichen Bedingungen verrichten können!
Herzlichen Dank.
({1})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Florian Hahn, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Der
Wehrbeauftragte ist das Hilfsorgan des Bundestages, das
bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle der
Bundeswehr unterstützen soll; so ist es festgeschrieben.
Der Bericht ist ein zentrales Instrument dieser Kontrolle.
Aber in der Wahrnehmung der Soldatinnen und Soldaten
und in der Öffentlichkeit ist der Wehrbeauftragte nicht
nur ein technisches Hilfsorgan, sondern - gefühlt - ein
Anwalt der Soldaten. Das liegt vor allem an den vielen
außergewöhnlichen Persönlichkeiten, die dieses Amt innehatten und geprägt haben.
Das ist nun der letzte Bericht des Wehrbeauftragten
Hellmut Königshaus, der nach fünf Jahren das Amt in
neue Hände geben wird. Diese letzten fünf Jahre gehören sicherlich zu den spannendsten in der Geschichte der
Bundeswehr. Sie waren geprägt von großen Umbrüchen;
ich nenne nur: Aussetzung der Wehrpflicht, Fortsetzung
der Bundeswehrreform, Neustrukturierung des Beschaffungswesens, neue Einsätze und eine sich dramatisch
verändernde außen- und sicherheitspolitische Großwetterlage. Dazu kommen drei verschiedene - ich meine tatsächlich: sehr verschiedene - Minister in dieser Zeit.
Ich hatte den Eindruck, dass sich Hellmut Königshaus
in kürzester Zeit in die Rolle eingelebt hat und mit Haut
und Haaren in diesem Amt aufgegangen ist. Hunderte
manchmal schon fast gefürchtete Besuche vor Ort zeigen: Der Wehrbeauftragte wollte ganz nah am Alltag der
Soldaten sein und ein Ohr für alle Soldaten und ihre Sorgen haben. Seine Amtszeit und seine Berichte zeigen
aber auch, dass das Amt des Wehrbeauftragten weiterhin
erforderlich ist.
Jeder Wehrbeauftragte prägt das Amt und drückt ihm
seinen persönlichen Stempel auf. Wahrgenommen habe
ich bei Hellmut Königshaus immer seine unermüdliche
Sorge um die beste Ausstattung und Ausrüstung der
Soldaten im Einsatz. So zeigte er beispielsweise bei den
Besuchen in den Einsatzgebieten großes Interesse für die
einzelnen Waffen und Fahrzeuge, für konkrete Erfahrungen und Anforderungen des jeweiligen Einsatzes.
Manchmal wurde das kritisiert, und es wurde gefordert,
der Wehrbeauftragte solle sich mehr um die Grundrechte
der Soldaten kümmern. Königshaus hat zu Recht den
Anspruch der Soldatinnen und Soldaten auf optimalen
Schutz im Einsatz herausgestellt.
Die Schwerpunkte des Berichts decken sich stark mit
den Schwerpunkten und Forderungen meiner Partei, der
CSU, und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: bestmögliche Ausstattung, Vermeidung unzumutbarer Belastung,
attraktives Arbeitsumfeld, optimale Arbeitsbedingungen, Anpassung der Verteidigungsausgaben an den gestiegenen Bedarf.
Zum Schwerpunkt „Ausstattung“ möchte ich sagen:
Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit verlangen eine
erstklassige Ausstattung der Streitkräfte. Die Fürsorgepflicht gebietet die Beschaffung bestmöglichen Materials, optimalen Schutz im Einsatz. Dazu gehört beispielsweise die Minimierung des Einsatzrisikos durch die
Beschaffung und den Einsatz von Drohnen.
Der Bericht weist zu Recht auf massive Mängel und
Defizite bei der Ausstattung zum Beispiel mit militärischem Großgerät hin, vor allem beim Grundbetrieb. Dort
herrscht oft akute Mangelverwaltung. Häufig muss die
Bundeswehr wegen großer Lieferverzögerung auf wichtige Waffensysteme verzichten. Die Aufrechterhaltung
der Verfügungsbereitschaft ist nur mit Einfallsreichtum
und nicht unerheblichem zusätzlichen Ressourceneinsatz
möglich.
Trotz dieser Engpässe leisten unsere Streitkräfte hervorragende Arbeit in den internationalen Einsätzen. Wir
dürfen das aber nicht überstrapazieren. Ich habe den
Eindruck, dass das BMVg dies nicht nur erkannt hat,
sondern beispielsweise durch eine weitere Professionalisierung des Rüstungsmanagements und durch schnelle
Entscheidungen über wichtige Beschaffungsprojekte
auch Abhilfe schaffen will.
({0})
Auch auf das Thema „Vermeidung von unnötigen und
unzumutbaren Belastungen“ weist der Wehrbeauftragte
zu Recht hin. Dabei gilt es aus meiner Sicht, auch laufende Engagements - zum Beispiel bei der Operation
Active Fence in der Türkei - immer wieder zu überprüfen. Hier sind die Einsatzbelastungen der Soldaten hoch,
obwohl die Wahrscheinlichkeit eines Luftschlags auf
türkischem Gebiet stark gesunken ist oder er fast unmöglich ist.
Bei der Steigerung der Attraktivität haben wir in Zusammenarbeit mit dem Wehrbeauftragten viel erreicht.
Dieses Thema ist zudem ein Schwerpunkt dieser Koalition und trägt die klare Handschrift von Ministerin von
der Leyen. Aber die Steigerung der Attraktivität der
Bundeswehr darf nicht auf Kosten des Materialerhalts
und der Modernisierung der Ausrüstung gehen.
Mehr Engagement und mehr internationale Verantwortung bedeuten eben auch mehr Ausgaben. Deshalb
ist die geplante Erhöhung des Verteidigungshaushalts
unerlässlich. Die bis 2019 geplanten zusätzlichen Mittel
werden in großem Maße für Personal- und Liegenschaftskosten verwendet werden müssen. Ich bin daher
fest davon überzeugt, dass dies nur ein guter Anfang ist
und wir schon bald über zusätzliche Investitionsmittel
für unsere Sicherheit diskutieren müssen.
Abschließend, auch für die CSU: Noch einmal ein
herzliches Dankeschön an Hellmut Königshaus für seine
wichtige und gute Arbeit und das immer glaubhafte tausendprozentige Engagement für die Bundeswehr und unsere Soldatinnen und Soldaten. Gottes Segen und alles
Gute für dich, Hellmut!
({1})
Damit sind wir am Ende dieser Aussprache angekommen, und ich stelle fest, dass das Amt des Wehrbeauftragten, ausgeübt vom lieben Kollegen Herrn
Königshaus, weniger als Hilfsorgan des Deutschen Bundestags empfunden worden ist, sondern geradezu als
Hauptorgan. Dafür herzlichen Dank.
({0})
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/3750 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe keinen
Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags
Drucksache 18/4649
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Auch hier
sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das somit beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist für die
Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Michael Meister.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Bundeskabinett hat am 28. Januar 2015 den 10. Existenzminimumbericht beschlossen. In diesem Bericht
wird die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums für Erwachsene und Kinder in den Jahren 2015
und 2016 hergeleitet. Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf der Bundesregierung wird die verfassungsrechtlich gebotene Anhebung der steuerlichen Freibeträge - also sowohl des Grundfreibetrages wie auch der
Kinderfreibeträge - für die Jahre 2015 und 2016 umgesetzt.
Zur Förderung der Familien, bei denen sich der Kinderfreibetrag nicht auswirkt, wird das Kindergeld in
gleichem Verhältnis für 2015 und 2016 angehoben.
Außerdem wird der Kinderzuschlag erhöht. Der Kinderzuschlag wird denjenigen Eltern gewährt, die mit ihrem
Erwerbseinkommen zwar den eigenen Bedarf nach dem
Sozialgesetzbuch II decken, bei denen dieses Erwerbseinkommen aber nicht ausreicht, um den Bedarf ihrer
Kinder hinreichend zu decken. Dieser Kinderzuschlag
wird zusammen mit dem anteiligen Wohngeld und dem
Kindergeld gewährt, um einen Ausgleich zu schaffen.
Durch die regelmäßig gestiegenen Regelbedarfe in
der Grundsicherung für Arbeitsuchende reicht die aktuelle Höhe des Kinderzuschlags - zusammen mit dem
Kindergeld und dem anteiligen Wohngeld - nach unserer
Einschätzung in immer weniger Fällen aus, um den
durchschnittlichen Bedarf eines Kindes zu decken.
Deshalb wollen wir die Erhöhung des Kinderzuschlags
vornehmen und damit einen größeren Teil der Eltern aus
den Leistungen der Grundsicherung herausnehmen.
Wir werden im Jahr 2016 den Grundfreibetrag von
8 354 Euro auf 8 652 Euro anheben, den Kinderfreibetrag von derzeit 7 008 Euro auf 7 248 Euro und das Kindergeld von aktuell 184 Euro für das erste und zweite
Kind auf dann insgesamt 190 Euro. Der Kinderzuschlag
wird zum 1. Juli 2016 um 20 Euro auf dann höchstens
160 Euro erhöht. Wenn wir dieses Maßnahmenpaket in
seiner Gänze sehen, dann merken wir: Es hat in der vollen Jahreswirkung ein Gesamtvolumen von 3,7 Milliarden Euro, was den Steuerzahlern und insbesondere den
Familien in diesem Lande zugutekommt. Ich glaube, es
ist ein gutes Signal, dass wir in dieser Situation Steuerzahler und insbesondere Familien in Deutschland entlasten.
({0})
Wir sollten nicht so tun, als seien wir als Bund der
alleinige Wohltäter. Es entfallen 1,8 Milliarden Euro auf
die Bundeskasse, 1,5 Milliarden Euro zahlen die Länder
und eine halbe Milliarde Euro die Kommunen. Ich
glaube, dass Deutschland damit im internationalen Vergleich ein hohes Niveau der Familienförderung hat. Wir
haben - Frau Kollegin Schwesig ist ja anwesend - in der
vergangenen Wahlperiode die Familienleistungen in
Deutschland evaluiert und festgestellt, dass wir ein Volumen von rund 200 Milliarden Euro pro Jahr für Familien
aufwenden. Ich glaube dennoch, dass wir hiermit ein
gutes Signal setzen, weil wir ja nicht nur über die Leistungen im Rahmen dieses konkreten Gesetzes reden,
sondern darüber hinaus auch sehen müssen, was wir im
Bereich der Kinderbetreuung - das geschieht außerhalb
dieses Gesetzes - aufwenden oder was wir etwa beim
Elterngeld den Menschen zugutekommen lassen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir führen
damit den familienfreundlichen Kurs der Bundesregierung fort. Das dokumentiert auch der Finanzplan, den
wir diskutiert und im Kabinett beschlossen haben. Dort
ist für 2016 beim Haushalt des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum ersten Mal
die 9-Milliarden-Euro-Grenze überschritten worden. Ich
will aber hier zur Vorsicht mahnen: Wir befinden uns
momentan, wenn wir die Beschäftigung in diesem Lande
und die Wachstumszahlen unserer Wirtschaft anschauen,
in einer extrem guten Lage. Deshalb ist auch der Bundeshaushalt jetzt in einer entspannteren Situation, als
wenn Beschäftigungslage und Wirtschaftswachstum
nicht ganz so gut wären. Dennoch haben die Sozialausgaben einen Anteil von 52 Prozent am Bundeshaushalt.
Ich glaube, wir müssen schon sehen: Wenn die Zeiten
schwieriger werden, werden die Sozialausgaben mit
Sicherheit nicht sinken, sondern in absoluten Zahlen
tendenziell steigen. Das würde bedeuten, dass auch die
entsprechenden Prozentzahlen im Bundeshaushalt wachsen. An dieser Stelle will ich einfach zur Vorsicht raten.
Angesichts dieser 52 Prozent müssen wir nicht sagen:
Hier sind Kürzungen oder Reduzierungen notwendig. Ich glaube vielmehr, wir müssen mit Blick auf eine
nachhaltige Haushaltswirtschaft auch darauf achten,
dass die Balance innerhalb des Bundeshaushalts gewahrt
wird. Deshalb sollten wir gerade mit Blick auf Kinder
sagen: Wir müssen in Zukunft in unserer Haushaltsgesetzgebung auch auf schwierigere Zeiten vorbereitet
sein.
Lassen Sie mich abschließend noch eine Bemerkung
zum Entlastungsbetrag für Alleinerziehende machen.
Auch dazu steht etwas im Koalitionsvertrag, nämlich
dass wir hier Veränderungen vornehmen wollen, allerdings nicht in dem Sinne, dass es zur Ausweitung von
Leistungen kommen soll, sondern dass wir hier eine
Prioritätensetzung vonseiten der Politik vornehmen.
Prioritätensetzung vonseiten der Politik heißt nicht, dass
all das, was man sich wünschen kann, gemacht wird,
sondern dass man das, was man für wichtig und notwendig hält, aus dem, was man verfügbar hat, finanziert.
Deshalb ist unsere Abrede an dieser Stelle, dass wir über
die Veränderungen beim Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gerne sprechen können, dass aber die Mittel
hierfür aus dem Etat des Ministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend kommen müssen.
({1})
Dieser Entlastungsbetrag hat heute eine Höhe von
1 308 Euro. Diese Höhe ist seit dem Jahre 2004 unverändert. Wir müssen allerdings, wenn wir darüber debattieren, auch berücksichtigen, dass wir auf der einen Seite
etwa 1,6 Millionen Alleinerziehende in diesem Land
haben, dass auf der anderen Seite dieser Entlastungsbetrag nur 1,1 Millionen Menschen zugutekommt.
Denn man muss immer daran denken: Eine Vergünstigung im Steuerrecht kommt nur demjenigen zugute, der
auch Steuern zahlt. Deshalb müssen wir bei dieser Debatte aufpassen. Es kann nicht sein, dass wir alle meinen,
aber an dieser Stelle nur für einige wenige etwas tun.
Ich wünsche mir, dass wir hier im Deutschen Bundestag zu konstruktiven Beratungen kommen. Ich glaube,
dass wir ein gutes Gesetz für die Bürger und die Familien in diesem Land auf den Weg bringen werden.
Herzlichen Dank.
({2})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Susanna Karawanskij.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Es wurde aber auch allerhöchste Eisenbahn, Herr Meister. Endlich, nach ganz schön langer
Wartezeit, liegt nun der Gesetzesentwurf vor, der die Anpassung und die Anhebung des Grundfreibetrages, des
Kinderfreibetrages, des Kindergeldes und des Kinderzuschlages vorsieht. Das war auch längst überfällig.
Die späte Vorlage empfinden zumindest meine Kollegen und ich als Zumutung; denn wenn ich mich recht
entsinne, hätte es gemäß dem 9. Existenzminimumbericht, also dem vorletzten Existenzminimumbericht dort wird ja die Höhe des Existenzminimums für Erwachsene und Kinder festgestellt; das ist genau jene
Summe, die von der Einkommensteuer befreit ist -, eine
Anhebung des Kinderfreibetrages um 72 Euro schon ab
2014 geben müssen. Ich sage: „hätte“. Es ist nichts passiert; denn die Anhebung wurde nicht umgesetzt. Der
damals geltende Freibetrag für das sächliche Existenzminimum für Kinder entsprach nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das wirkt ein bisschen wie eine
Verzögerungstaktik der Bundesregierung, sogar dann,
wenn es sich um verfassungsrechtlich gebotene Maßnahmen handelt.
Auch beim 10. Existenzminimumbericht ging es mit
der Warteschleife weiter. Ich kann mich noch gut daran
erinnern, dass die Bundesregierung Ende September
letzten Jahres zugesagt hat, ihn noch 2014 vorzulegen.
Wir haben im Finanzausschuss immer wieder nachgefragt, aber er wurde erst 2015 vorgelegt. Ihre Zusage haben Sie nicht eingehalten. Die Leidtragenden sind die
Familien und Kinder. Das ist für mich absolut nicht
nachvollziehbar.
({0})
Der Bundesregierung ist offensichtlich der Sparwahn
wichtiger als Politik für Kinder und Familien.
Zur Sache und den vier Instrumenten. Der steuerliche
Grundfreibetrag soll nun im Jahr 2015 auf 8 472 Euro
angehoben und 2016 auf 8 652 Euro erhöht werden. Wir
als Linke sagen, dass der Grundfreibetrag auf
9 300 Euro angehoben werden muss.
({1})
Dabei muss vor allen Dingen der Tarifverlauf der Einkommensteuer durchgehend linear-progressiv gestaltet
werden, wobei der Spitzensteuersatz auf 53 Prozent
steigt.
({2})
Bevor Sie wieder sagen, dass wir uns damit in einem
Wettbewerb befinden, bei dem es darum geht, wer am
meisten fordert, sage ich: Hier geht es nicht um aus der
Luft gegriffene Forderungen, sondern hier geht es
schlicht und ergreifend um Gerechtigkeit, um Verteilungsgerechtigkeit. Die von mir eben angesprochene
Maßnahme würde vor allen Dingen die mittleren und unteren Einkommen entlasten, Familien und Kinder besserstellen.
({3})
Daran anknüpfend wird nun endlich auch der steuerliche Kinderfreibetrag, also das sächliche Existenzminimum von Kindern, angehoben. Aber ich möchte vor allen Dingen auch auf das Kindergeld zu sprechen
kommen. Das soll in diesem Jahr um 4 Euro pro Monat
und im nächsten Jahr um 2 Euro pro Monat steigen. Dass
das real zu wenig Geld ist, ist klar. Durch diese geringe
Anpassung wird die Schere in der derzeitigen Familienförderung bzw. zwischen armen und reichen Kindern die Kinder sind ja von der Erwerbssituation der Eltern
abhängig - weiter geöffnet. Das muss geändert werden.
Wir als Linke sagen: Es müssen ebenso Kinder vom
Kindergeld profitieren, deren Eltern nicht so viel verdienen, und es dürfen nicht nur Kinder von Spitzenverdienern über den Kinderfreibetrag bessergestellt werden.
({4})
Menschen im Hartz-IV-Bezug haben ohnehin nichts
von einer Kindergelderhöhung; denn sie wird immer
noch auf Hartz IV angerechnet. Wenn Sie schon die Anrechnung beibehalten, sollten Sie zumindest die
Hartz-IV-Kinderregelsätze anheben, um Kinderarmut zu
verringern.
({5})
Da sollte die Politik ansetzen.
Kommen wir zum Kinderzuschlag, der nun auch angehoben werden muss. Da verstehe ich schlicht und ergreifend nicht, warum das erst 2016 erfolgen soll. Sie
verhöhnen damit doch genau diejenigen, die Sie eigentlich fördern wollen, diejenigen, die jeden Euro bitter nötig haben; das trifft knapp 1 Million Kinder und Jugendliche. Ich verstehe es nicht. Ich halte es für nicht
hinnehmbar, dass Sie hier nicht sofort nachsteuern.
({6})
Wir haben jüngst erfahren, dass Sie den Steuerfreibetrag für Alleinerziehende um 600 Euro anheben wollen.
Das ist gut, das ist richtig. Es ist ein guter Ansatz. Aber
es betrifft nur sehr wenige; Sie haben es gerade selber
gesagt. Wir sagen: Die steuerlichen Maßnahmen reichen
nicht aus, um die Situation von Alleinerziehenden zu
verbessern - ein Familienmodell, das immer wichtiger
wird. Wir brauchen vor allen Dingen arbeitsmarkt- und
sozialpolitische Instrumente, eine bessere Vereinbarkeit
von Familie und Beruf, einen verbesserten Kündigungsschutz, gute Teilzeitarbeitsbedingungen und vor allen
Dingen eine flächendeckende, gebührenfreie, bedarfsund altersgerechte Kindertagesbetreuung.
({7})
Wir haben ja nichts dagegen, dass Sie jetzt die Freibeträge und das Kindergeld anheben. Ich möchte es nur
noch einmal sagen: Diese steuerlichen Maßnahmen reichen nicht aus, um Kinderarmut, die immer mit der Einkommensarmut der Eltern einhergeht, zu bekämpfen. Sie
zu bekämpfen, sollte im Zentrum des politischen Handelns stehen. Wir brauchen existenzsichernde, gute Arbeitsplätze für die Eltern, eine familienfreundliche Arbeitswelt und eben keine prekäre Beschäftigung. Das
sollte im Zentrum stehen, und hier ist noch ordentlich
Luft nach oben. Der Blick auf die schwarze Null allein
reicht da nicht aus.
Vielen Dank.
({8})
Für die Bundesregierung spricht jetzt die Bundesministerin Manuela Schwesig.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Die Familien sind für mich die
Leistungsträger in Deutschland. Dort, wo sich junge
Frauen und Männer für Kinder entscheiden, dort, wo
Mütter und Väter Kinder großziehen, dort, wo Männer
und Frauen sich um ihre pflegebedürftigen Angehörigen
kümmern - viele von ihnen sind gleichzeitig berufstätig,
zahlen Sozialabgaben und Steuern -, dort liegt der Kern
des Wohlstands in Deutschland. Deshalb ist jede Unterstützung für Familien für mich eine wichtige Unterstützung, um den Wohlstand und das Wachstum in Deutschland zu erhalten und zu stärken. Die Familien sind die
Leistungsträger, und deshalb haben sie auch Unterstützung verdient.
({0})
Es stimmt: Nicht eine einzelne Leistung - sei es das
Kitaangebot, die Steuerentlastung oder das Kindergeld reicht, um Familien zu unterstützen. Deshalb muss Familienförderung auf drei Säulen stehen:
Erstens: Unterstützung durch die Infrastruktur, durch
Ganztagskitas, Ganztagsschulen. Da haben wir im letzten Jahr viel getan. Ich nenne nur das Kitagesetz zur
Schaffung von Ganztagsplätzen und die Bildungsgelder
für den Ausbau von Ganztagsschulen. Es wird ein Programm für Randzeitenbetreuung geben, das gerade alleinerziehenden Frauen helfen wird, die übrigens häufig
im Hartz-IV-Bezug sind, weil sie nicht arbeiten gehen
können.
Die zweite Säule besteht aus Unterstützung für Familien, damit man Zeit füreinander hat. Auch da haben wir
im letzten Jahr viel gemacht: Elterngeld Plus, Familienpflegezeit.
Die dritte Säule ist ganz konkrete materielle Unterstützung und Entlastung bei Steuern und Abgaben. Darum geht es heute - Sie haben es gehört -: ein Milliardenpaket für die Familien in Deutschland. Es ist wichtig,
dass die Unterstützung jetzt schnell ankommt.
({1})
Es ist wichtig für die Handwerksmeisterin, die sich vor
vier Jahren selbstständig gemacht hat und im August
zum ersten Mal einen Azubi eingestellt hat. Ihr Mann hat
ein festes Einkommen. Beide Einkommen reichen gerade so, um über die Runden zu kommen. Es ist wichtig
für den alleinerziehenden Vater, der in Vollzeit erwerbstätig ist und mich fragt, wie er seinem Sohn erklären
soll, dass er einen Ausflug in den Freizeitpark nicht finanzieren kann. Denn es gibt immer noch die Eltern, die
arbeiten gehen, aber am Ende des Monats kaum etwas
übrig haben. Deswegen darf kein Euro, auch nicht
6 Euro mehr Kindergeld, unterschätzt werden. Es gibt
immer noch viele Mütter und Väter in unserem Land, die
auf jeden Euro mehr im Monat angewiesen sind.
({2})
Wenn der Deutsche Bundestag die Freibeträge und
das Kindergeld erhöht, dann deshalb, weil den Familien
das zusteht. Mit dem Gesetzentwurf wird endlich die gebotene Anhebung umgesetzt. Auch das Kindergeld wird
angehoben. Das Kindergeld ist die beliebteste und verlässlichste Familienförderung, und es ist eine Maßnahme
gegen Armut.
Die Evaluation hat gezeigt: Durch das Kindergeld
schützen wir über 1 Million Kinder vor Armut. Mit dem
Kindergeld erreichen wir 17 Millionen Kinder.
({3})
- Damit alleine nicht, und deswegen war es mir wichtig,
dass es nicht alleine bei der Anhebung des Freibetrags
und des Kindergelds bleibt.
Für mich sind zwei Maßnahmen entscheidend für ein
echtes Familienpaket zum Wohle der Kinder - das hat
auch die gemeinsame Evaluation von Finanzministerium
und Familienministerium gezeigt -: Wir brauchen zur
Bekämpfung der Kinderarmut eine Erhöhung des Kindergeldes und den Kinderzuschlag. Mindestlohn, Kindergeld und Kinderzuschlag führen dazu, dass Kinder
mit ihren Eltern den Weg aus Armut finden. Das ist nur
gerecht; denn Kinder müssen sehen, dass das Geld, das
ihre Eltern verdienen, die jeden Morgen aufstehen und
arbeiten gehen, reicht, und zwar ohne, dass man Sozialtransfers in Anspruch nehmen muss. Deswegen brauchen wir den Kinderzuschlag.
({4})
Ja, mir und vielen anderen war es wichtig - so ist es
auch im Koalitionsvertrag verankert -, dass wir nach
zehn Jahren endlich ein wichtiges Zeichen an die Alleinerziehenden senden. Die Alleinerziehenden profitieren
auch von Kindergeld und Kinderzuschlag, vor allem von
den Maßnahmen, die wir im letzten Jahr im Bereich der
Infrastruktur vorangebracht haben. Viele der Alleinerziehenden gehen arbeiten und zahlen Steuern. Das heißt
ja nicht, dass man für die anderen beim Mindestlohn,
dem Kinderzuschlag, den Regelsätzen oder der Infrastruktur nichts tun muss.
Ich sage Ihnen: Die alleinerziehenden Frauen und
Männer, die jeden Tag arbeiten, arbeiten mehr als die anderen Eltern. Es ist üblich, dass die alleinerziehende
Frau im Schnitt ein paar Stunden mehr pro Woche arbeitet und trotzdem weniger Einkommen zur Verfügung
hat, und sie arbeitet oft zu Zeiten, in denen andere nicht
arbeiten: in Randzeiten, Schichtzeiten. Sie arbeiten überdurchschnittlich viel, um sich und ihre Kinder über die
Runden zu bringen. Deshalb ist es wichtig und richtig,
dass wir endlich den Entlastungsbetrag für die Alleinerziehenden anheben. Sie bekommen dadurch nicht mehr,
aber sie werden nun endlich bessergestellt; denn gegenüber Paaren wurden sie bisher ungerecht behandelt. Das
ist ein wichtiges Signal. 15 Euro im Monat sind für die
alleinerziehende Bürokauffrau, die 2 500 Euro Bruttoeinkommen hat, viel Geld. Eine alleinerziehende Mutter
hat mir erzählt, dass sie 180 Euro im Monat für eine
Klassenfahrt braucht. Es ist nicht für jeden selbstverständlich, dass man das einfach bezahlen kann.
({5})
- 15 Euro. Sie können ja eine andere Rechnung aufmachen; das werden Sie als Grüne wahrscheinlich auch tun.
({6})
Fakt ist: Die Alleinerziehenden tun viel. Seit über
zehn Jahren wurde der Entlastungsbetrag nicht angehoben. Deswegen ist es an der Zeit, dass wir es tun. Ich
freue mich, dass die Regierungsfraktionen sich darauf
verständigt haben.
({7})
Wichtig dabei ist, dass es nicht nur um die materielle
Entlastung geht. Eine Frau, die drei Kinder allein erzieht
und Vollzeit arbeitet - das muss man sich einmal vorstellen -, schreibt auf Facebook: Ich freue mich, weil es
auch eine Wertschätzung und Anerkennung für die
wahnsinnige Leistung von alleinerziehenden Müttern
und Vätern ist. - Und genau das ist es: Das Familienpaket, das der Bundestag berät, ist ein Signal der Wertschätzung und der Anerkennung für alle Familien in unserem Land, weil es die Mütter und Väter sind, die den
Wohlstand unseres Landes sichern.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Franziska
Brantner, Bündnis 90/Die Grünen.
Danke, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in
den letzten Tagen und Wochen immer wieder darüber
diskutiert, dass es in Deutschland zu wenige Kinder gibt.
Deutschland steht im europäischen Vergleich an letzter
Stelle. Nur 13 Prozent unserer Bevölkerung sind unter
18. Das ist eine traurige Zahl.
Herr Meister, Kinder zu haben, heißt nicht, zum
Sozialfall zu werden. Es sollte das Allernatürlichste der
Welt sein. Kinder sollten nicht nur mit den Stichworten
„Sozialfall“ oder „soziale Absicherung“ diskutiert werden.
({0})
Das Traurige ist, dass Kinder zu haben in Deutschland
ein Armutsrisiko ist. Das ist vielleicht einer der Gründe
für die niedrige Kinderzahl. Es wäre doch Ihre Aufgabe
als Große Koalition, das mit Kindern verbundene Armutsrisiko endlich zu beseitigen, also dafür zu sorgen,
dass Kinder zu haben in Deutschland das Natürlichste
der Welt ist und kein Armutsrisiko, sodass man durch
Kinder nicht zum Sozialfall werden kann. Für alle sollte
Teilhabe möglich sein.
({1})
Seit 2012 ist klar: Die Freibeträge, die für Kinder bei
der Steuererklärung geltend gemacht werden können,
decken das Existenzminimum nicht mehr ab, also den
Betrag, den man für Nahrung, Wohnen, Kleidung etc.
braucht. Drei Jahre später haben wir den Gesetzentwurf,
in dem eine Erhöhung vorgesehen ist, aber nicht rückwirkend für 2014; das wurde schon gesagt. Damit werden eigentlich noch nicht einmal die Vorgaben des Verfassungsgerichts umgesetzt, obwohl diese eigentlich
schon letztes Jahr hätten umgesetzt werden müssen. Die
Vorgaben werden mehr schlecht als recht umgesetzt. Sie
kommen ihrer Pflicht nach und machen nichts darüber
hinaus, und das, obwohl wir Kinderarmut haben, wovon
ich gerade schon gesprochen habe.
Wir geben in diesem gesamten Bereich in Deutschland jährlich 200 Milliarden Euro aus. Das ist nicht wenig. Die Studie, die die letzte Regierung zur Evaluierung
in Auftrag gegeben hat, um herauszufinden, wie das
Geld ankommt, inwiefern das Geld hilft, hat ziemlich
eindeutig gezeigt: Wir brauchen große Reformen, wir
müssen gründlich nachdenken, weil sich die Leistungen
gegenseitig konterkarieren. Kinderbetreuung und Elterngeld tragen in familienwirtschaftlicher Hinsicht zur Stabilisierung bei, doch das Ehegattensplitting steht dem
entgegen. Die Studie hat auch gezeigt, dass das Kindergeld allein nicht zur Kinderarmutsbekämpfung ausreicht. Dazu bedarf es eindeutig mehr. Deswegen muss
die Familienförderung endlich grundlegend gerechter
gestaltet werden: Erstens. Statt gut verdienenden Familien noch mehr zu geben und den geringer verdienenden
Familien nur das Nötigste, gilt es, jene zu stärken und zu
unterstützen, die mehr brauchen, um Teilhabe endlich effektiv zu garantieren.
({2})
Zweitens muss man - ich finde, das muss man im Zusammenhang mit diesem Thema auch ansprechen -, statt
über das Ehegattensplitting pauschal die Ehe zu fördern,
endlich die Unterstützung an den Kindern festmachen
und nicht am Trauschein.
({3})
Vorteil einer Großen Koalition ist doch, dass man
große Veränderungen angehen könnte; aber das passiert
leider nicht. Stattdessen gab es diesen Streit über die Alleinerziehenden. Das tat einem regelrecht leid: Das stand
schon im Koalitionsvertrag, und der Betrag, um den es
geht, wäre bezogen auf andere Haushalte kaum einer
Debatte wert, und trotzdem wurde extrem darum gerungen. Man konnte sich fast fragen, warum Herr Schäuble
die Alleinerziehenden unbedingt nicht entlasten wollte,
was ihn da getrieben hat. Zum Glück wurde an dieser
Stelle der Koalitionsvertrag umgesetzt. Das Traurige ist
aber, Frau Schwesig, dass das Geld dafür aus Ihrem
Haushalt kommen soll.
({4})
- Wenn das Verfassungsgericht etwas entscheidet, was
uns allen, glaube ich, gefallen würde, haben wir da vielleicht mehr Spielräume. - Die Frage ist: Warum muss
das Geld aus Ihrem Haushalt kommen, Frau Schwesig?
Warum muss, gerade wenn es um Kinder und Familien
geht, im Gegenzug bei Kindern und Familien gekürzt
werden? Ich finde, das ist nicht Ausdruck einer Politik,
die sich die Familienfreundlichkeit auf die Fahnen
schreibt, liebe CDU.
({5})
Die geplante Erhöhung des Kinderzuschlags finden
wir richtig. Wir glauben aber, dass man die Einkommensgrenzen und Anrechnungsmodalitäten viel stärker
ändern müsste, damit endlich viel mehr Familien unabhängig von Sozialleistungen leben können. Da machen
Sie auch nichts. Die Erhöhung ist gut, aber Sie machen
nicht das wirklich Notwendige.
({6})
Es gab eine Ansage von Siegmar Gabriel: Das System
des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge sollte
grundlegend reformiert werden. Ich habe schriftlich
nachgefragt. Die Antwort war leider etwas erschütternd.
In der Antwort heißt es - ich zitiere -: Die Bundesregierung hat weder über einen zeitlichen Rahmen noch über
die Ausgestaltung von verfassungsrechtlichen Änderungen im Zusammenhang mit Kindergeld und Kinderfreibeträgen entschieden. - Diese Antwort macht deutlich,
dass da nicht so viel geplant ist, weder der Rahmen noch
die Ausgestaltung noch sonst was. Das heißt, von der
Großen Koalition können wir da nichts erwarten. Das ist
traurig. Hoffen wir, dass das Verfassungsgericht uns etwas mehr Spielraum gibt.
Ansonsten: Fangen Sie nächstes Jahr eine grundlegende Debatte an! Deutschland, finde ich, und die Kinder, die in diesem Land leben, haben das verdient. Kinder sollten endlich willkommen geheißen sein und kein
Armutsrisiko mehr sein.
Ich danke Ihnen.
({7})
Der Kollege Olav Gutting ist der nächste Redner für
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute die Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrages und des Kinderfreibetrages für die Jahre
2015 und 2016. Manche meinen, wir wären damit zu
spät. Das ist aber nicht richtig; denn die Gesetzeswirkung erfolgt rückwirkend zum Beginn dieses Jahres, das
heißt, keinem wird für 2015 irgendetwas genommen.
Auch hier gilt wie immer: Gründlichkeit geht vor
Schnelligkeit.
Zur Förderung der Familien, bei denen sich der Kinderfreibetrag nicht auswirkt, werden wir das Kindergeld
in gleichem Verhältnis um zusammen 6 Euro pro Monat
erhöhen. Es gab im Vorfeld einige Diskussionen, ob eine
Erhöhung des Kindergeldes überhaupt angezeigt ist.
Denn es ist ja richtig, dass es keine verfassungsrechtliche, keine gesetzliche Verpflichtung dazu gibt, bei einer
Anhebung des Kinderfreibetrages und des Grundfreibetrages auch automatisch das Kindergeld zu erhöhen. Ich
halte es dennoch für wichtig und für richtig, einen
Gleichlauf beim Kinderfreibetrag und beim Kindergeld
zu wahren. Aktive und stringente Familienpolitik ist für
uns in der Union ein ganz wichtiger Eckpfeiler. Familienpolitik sollte auch kein Feld für ideologische Grabenkämpfe sein. Kindergeld ist gut, und es ist für viele
Familien eine ganz wichtige finanzielle Stütze.
Wundern muss ich mich ein bisschen über diejenigen,
die jetzt eine deutlichere Anhebung des Kindergeldes
und des Kinderfreibetrages fordern, die aber zu Beginn
der letzten Legislaturperiode, als wir hier mit dem
Wachstumsbeschleunigungsgesetz eine massive Erhöhung des Kindergeldes beschlossen haben, nämlich um
20 Euro pro Monat, dagegengestimmt haben,
({0})
dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Übrigen, das
dazu beigetragen hat, dass wir heute ohne Steuererhöhungen die Spielräume im Haushalt haben, um eine weitere steuerliche Entlastung der Familien vorzunehmen,
ohne die schwarze Null zu gefährden.
Der aktuelle Entwurf fügt sich nahtlos in die familienfreundliche Politik der unionsgeführten Bundesregierung der letzten Jahre ein: massive finanzielle Unterstützung des Ausbaus der U3-Betreuung, Einführung eines
Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz, Elterngeld,
Elterngeld Plus, familienfreundlichere Arbeitsplätze und
das Betreuungsgeld. Wir stehen zur beitragsfreien Mitversicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, und wir halten auch am Ehegattensplitting
fest. Die CDU/CSU hat in den letzten Jahren eine umfassende Förderung von Familien und Kindern etabliert.
({1})
Im Gegensatz zu anderen wollen wir Familien nicht
gängeln. Wir schreiben Familien nicht vor, welches Familienmodell sie in welcher Lebensphase zu leben haben, sondern bieten ihnen Wahlmöglichkeiten. Jedes
Kind ist anders, und jede Familie hat unterschiedliche
Bedürfnisse. Mit der Erhöhung des Kinderfreibetrages
und des Kindergeldes sowie der gleichzeitig vorgesehenen Anhebung des Kinderzuschlags auf monatlich
160 Euro ab Mitte 2016 bleiben wir auf unserem familienpolitischen Kurs.
Die Anhebung des Grundfreibetrages kommt vielen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute. Wir
müssen auch Folgendes bedenken: Mit jeder Anhebung
des Grundfreibetrages ohne eine gleichzeitige Verschiebung des Tarifverlaufs bekommen wir gerade in der unteren Progressionszone einen steileren Tarifverlauf. Eine
weitere Stauchung in diesem unteren Bereich belastet
gerade die niedrigeren Einkommen. Deswegen müssen
wir auch darüber reden, wie wir bei einer Anpassung
und bei der Anhebung des Grundfreibetrages auch den
nachfolgenden Tarifverlauf anpassen. Ich glaube, wir
sollten uns dem noch in dieser Legislaturperiode annehmen und dann auch das Problem der kalten Progression
angehen.
({2})
Ich freue mich jedenfalls auf die weiteren Beratungen zu
diesem Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
({3})
Der Kollege Frank Junge spricht jetzt für die SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Gutting,
wenn Sie ins Feld führen, dass es immer noch Leute
gibt, die über die Höhe des Kindergeldes debattieren,
dann will ich Ihnen sagen, dass es Ihre eigenen Ministerpräsidenten sind. Bei uns ist dieses Thema insoweit
durch, als wir finden, dass wir hier ein recht ausgewogenes Paket haben. Sie sollten Ihre eigenen Leute noch einmal darauf ansprechen; das insofern vorweg.
Frau Brantner, wenn Sie mit Ihren Worten zum Ausdruck bringen, dass die Alleinerziehenden eine wichtige
Zielgruppe sind, aber bemängeln, dass der Prozess, bis
wir zu einer Einigung gekommen sind, so lange gedauert
hat, dann können Sie sich ja jetzt mit uns freuen, weil
auch wir finden, das wir schon viel früher zu einer solchen Einigung hätten kommen können.
({0})
Meine Damen und Herren, es ist hier schon zur Sprache gekommen: Kluge Politik für Mütter und Väter sorgt
- Punkt Nummer eins - für eine familienfreundliche Infrastruktur, unterstützt - Punkt Nummer zwei - die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und trägt
- Punkt Nummer drei - zur finanziellen Förderung und
zur steuerlichen Entlastung von Eltern bei. Ich stelle dies
meinen Ausführungen auch deshalb voran, um deutlich
zu machen, dass wir nur in diesem Dreiklang, im Zusammenspiel dieser drei Säulen, gute Familienpolitik machen können und nicht etwa, indem wir lediglich an die
Erhöhung des Kindergeldes, des Kinderzuschlags, des
Freibetrags etc. denken. Nur im Dreiklang dieser Maßnahmen gelingt es uns, diese Zielgruppe entsprechend zu
betreuen.
({1})
Schauen wir einmal zurück, welche SPD-geprägten
Projekte diese Bundesregierung auf den Weg gebracht
hat. Die Kitas wurden bundesweit ausgebaut. Wir haben
das Elterngeld Plus auf den Weg gebracht. Wir haben Investitionen in die frühkindliche Bildung unterstützt. Wir
haben den gesetzlichen Mindestlohn und die Familienpflegezeit auf den Weg gebracht.
({2})
Ich denke, jeder kann sich einmal durch den Kopf gehen
lassen, inwieweit all das nachhaltige Maßnahmen sind,
die nicht nur, aber auch die Familien in unserem Land
unterstützen.
({3})
Jetzt noch einmal zu Ihnen, Frau Dr. Brantner. Wenn
wir über ein drohendes Armutsrisiko bei Alleinerziehenden mit Kindern reden, dann sind genau die Maßnahmen, die wir hier beschlossen haben, geeignet, Erwerbstätigkeit zu unterstützen und eine Absicherung
vorzunehmen, damit Familien nicht in diese Falle tappen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir eröffnen heute
das parlamentarische Verfahren zu einem Gesetzentwurf, mit dem wir die Familien in unserem Land durch
ein Gesamtpaket - bestehend aus Grund- und Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag und Kindergeld - entlasten
wollen. Diese Maßnahmen dienen natürlich zunächst
einmal der verfassungsrechtlich gebotenen steuerlichen
Freistellung des Existenzminimums; das ist ganz klar.
Aber daneben nehmen wir auch Kindergelderhöhungen
in zwei Schritten vor. Wir unterstützen damit in nicht unerheblichem Maße natürlich auch die Familien. Zusätzlich werden wir den Kinderzuschlag anheben - auch das
ist hier schon zur Sprache gekommen -, wovon insbesondere Familien mit geringem Einkommen profitieren.
Die 3,7 Milliarden Euro, die dieses Gesamtpaket kostet, halte ich für von dieser Bundesregierung gut invesFrank Junge
tiertes Haushaltsgeld. Ich glaube, dass wir bereits mit
den im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Vorhaben,
insbesondere die Alleinerziehenden als Zielgruppe in
den Blick zu nehmen und zu stärken, einen ganz wichtigen Schritt tun. Denn die 1,6 Millionen Alleinerziehenden, zu denen überwiegend Frauen gehören, haben im
Vergleich zu anderen Familien natürlich doppelt so viel
zu leisten, um mit ihrer Familie durchzukommen. Vor
diesem Hintergrund ist die Erhöhung des Freibetrags um
600 Euro aus meiner Sicht ein längst überfälliger Schritt.
({4})
Herr Meister, ich will Ihnen sagen: Klar, die Zielgruppe ist recht klein. Aber angesichts der Last, die die
Alleinerziehenden, seitdem sie alleinerziehend sind, zu
schultern haben, und vor dem Hintergrund, dass der
Freibetrag seit 2004 nicht mehr angepasst worden ist,
sich aber die ganze Welt um sie herum weitergedreht hat,
ist das aus meiner Sicht ein längst überfälliger Schritt.
({5})
Es gibt einen weiteren Aspekt, der an dieser Stelle
eine Rolle spielt und untersetzt, warum der Schritt der
Bundesregierung, insbesondere Alleinerziehende in den
Fokus zu nehmen, richtig ist. 80 Prozent der Alleinerziehenden verfügen heute nämlich über ein Einkommen,
das geringer ist als das mittlere Einkommen von Familien. Wenn man sich vor Augen führt, dass Alleinerziehende, wenn sie etwas mehr Geld verdienen, überproportional höher besteuert werden, dann schließt sich für
mich der Kreis, wenn es um die Frage geht, warum hier
die dringende Notwendigkeit besteht, zu handeln.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf die
Uhr komme ich zum Schluss. Für den nun vor uns liegenden Prozess des parlamentarischen Verfahrens ist der
SPD-Fraktion ein Punkt ganz besonders wichtig: dass
wir - nach meinem Dafürhalten unbedingt - rückwirkend für 2014 die Anhebung des Kinderfreibetrages und
des Kindergeldes einfordern müssen. Allein die Tatsache, dass von einer entsprechenden Anhebung natürlich
die Familien in unserem Land profitieren, ist es wert, so
vorzugehen. Das ist aber längst nicht alles: Wenn wir in
anerkannter Weise die Steuerfreistellung der Existenzminima für 2015 und 2016 regeln, weil wir akzeptieren,
dass das verfassungsrechtlich geboten ist, dann ist es für
mich völlig unlogisch, wenn wir, obwohl in diesem Fall
die gleichen Gründe gelten, 2014 unter den Tisch fallen
lassen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns damit verfassungsrechtlich angreifbar machen. Aus meiner
Sicht wäre es in hohem Maße peinlich, wenn uns ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts per Anordnung vorgeben würde, was wir hier zu tun haben.
Herr Kollege Junge, Sie haben angekündigt, zum
Schluss zu kommen, was angesichts der Redezeit auch
richtig wäre.
Als Gesetzgeber können wir das schließlich selbst in
die Hand nehmen.
Vielen Dank.
({0})
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Gudrun Zollner für die CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Gäste auf den
Tribünen! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir
Familienpolitiker freuen uns natürlich immer, wenn der
Familienetat vonseiten der für den Haushalt zuständigen
Kolleginnen und Kolleginnen angehoben wird; denn Familienpolitik stand und steht bei der Unionsfraktion
schon immer ganz oben auf der Prioritätenliste.
({0})
Bereits im vergangenen Jahr wurde der Etat im Einzelplan 17 von 7,9 Milliarden auf 8,5 Milliarden Euro angehoben. Für den kommenden Haushalt ist nochmals eine
Erhöhung, auf über 9 Milliarden Euro, geplant. Das
zeigt, wie wichtig uns die Familienförderung ist.
Die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geplante
Erhöhung des Kinderfreibetrages, verbunden mit dem
Kindergeld und dem Kinderzuschlag, umfasst weitere
einzelne Schritte in diese Richtung. Umso wichtiger ist
es, dass endlich der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in Angriff genommen wird; denn der steuerliche
Entlastungsbetrag wurde seit seiner Einführung zum
1. Januar 2004, seit über elf Jahren, nicht mehr erhöht.
Zum Vergleich: Der Kinderfreibetrag und das Kindergeld wurden seit 2004 um rund 23 Prozent erhöht.
Es freut mich daher sehr, dass sich die geschäftsführenden Vorstände der Koalitionsfraktionen in der
vergangenen Woche auf eine bessere Entlastung für
Einelternfamilien geeinigt haben und dies nun in die parlamentarische Beratung eingebracht wird. Sie haben eine
Anhebung um gut 46 Prozent vereinbart, und zwar rückwirkend: Ab 1. Januar 2015 soll der Entlastungsbetrag
für Alleinerziehende somit 1 908 Euro betragen. Die
Neuerung, dass der Entlastungsbetrag für jedes weitere
Kind um 240 Euro steigen soll, begrüße ich ebenfalls
sehr.
In Deutschland leben 1,6 Millionen Einelternfamilien
mit circa 2,2 Millionen minderjährigen Kindern. Diese
Mütter oder Väter sind zum großen Teil erwerbstätig:
70 Prozent gehen einer geregelten Arbeit nach, 45 Prozent in Vollzeit. Das heißt, dieser Entlastungsbetrag in
der Steuerklasse II kommt direkt bei den Alleinerziehenden an.
An dieser Stelle möchte ich dem haushaltpolitischen
Berichterstatter der Union für den Familienetat, dem
Kollegen Alois Rainer, ganz herzlich danken. Wir hatten
viele bayerische Gespräche zum Thema Alleinerziehende, und er hat immer Unterstützung signalisiert.
Sehr geehrte Damen und Herren, im Mittelpunkt
unserer Familienpolitik stehen die Wünsche von Eltern
und die Bedürfnisse von Kindern. Aber wir alle kennen
das Sprichwort „Geld allein macht nicht glücklich“. Nur
mit finanzieller Förderung werden wir keinen neuen
Babyboom auslösen. Wir brauchen ein gesellschaftliches
Umdenken, eine Willkommenskultur für Kinder; denn
Kinder sind keine lärmenden Quälgeister, sondern Kinder sind unsere Zukunft. Damit sich Frauen und Männer
für ein Kind entscheiden, sind eine familienfreundliche
Infrastruktur und bessere Regelungen zur Vereinbarkeit
von Familie und Beruf nötig. Eltern wählen den Standort
ihres neuen Eigenheims oder ihrer Wohnung nach Faktoren wie der Nähe zum Kinderspielplatz oder dem Schulangebot. Ganz wichtig ist natürlich ein Platz in einer nahegelegenen Kita.
Zur Willkommenskultur gehört aber auch, dass sich
die Wirtschaft auf sich verändernde Familienmodelle
besser einstellt. Frauen entscheiden sich seltener für ein
Kind, wenn ihr Arbeitsverhältnis befristet ist. Firmen
werden keine Fachleute halten können, wenn ihre Mitarbeiter zwischen Job und Familie wählen müssen und
sich letztendlich für die Familie entscheiden; denn auch
Väter wünschen sich mehr Zeit für ihre Familie und ihre
Kinder.
Zeit für Familie, darauf müssen wir unser künftiges
Hauptaugenmerk legen; denn viel zu schnell vergeht die
Zeit, und plötzlich sind die Kinder erwachsen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, jede Mutter und
jeder Vater unter Ihnen wird mir beipflichten, wenn ich
behaupte: Was gibt es Schöneres, als die ersten Worte
seines Kindes zu hören? Wie stolz ist jeder von uns, die
ersten Schritte miterleben zu dürfen? Für diese erste Zeit
des Miterlebens haben wir das Betreuungsgeld eingeführt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Vielen Dank, Frau Kollegin Zollner. - Damit schließe
ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4649 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu
sehe ich weder andere Vorschläge noch einen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Jan Korte, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Krieg in Afghanistan - Eine Bilanz
Drucksachen 18/2144, 18/4168
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Wolfgang Gehrcke für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({0})
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine ordentliche Fleißarbeit
der Bundesregierung, auf unsere 186 Fragen geantwortet
zu haben.
({0})
Den Fleiß bestätige ich Ihnen, der Inhalt hält mit dem
Fleiß aber nicht mit. Was von der Bundesregierung gar
nicht erst versucht wird, ist, eine Wertung vorzunehmen.
Die Bevölkerung unseres Landes hat das Recht, nach
14 Jahren Krieg eine eindeutige Wertung der Bundesregierung zu erfahren. Ich mache Ihnen einen Vorschlag
für einen Satz, mit dem man die Wertungen zusammenfassen könnte. Er würde lauten: Die deutsche Kriegsbeteiligung war ein grundlegender Fehler, und die Konsequenz, die wir daraus ziehen, heißt: Nie wieder! - Ich
möchte, dass das hier im Bundestag festgeschrieben
wird.
({1})
Man kann, wenn man sich die einzelnen Punkte
anschaut, sehr deutlich sehen, welche Probleme mit diesem Krieg aufgeworfen - nicht gelöst, sondern aufgeworfen - worden sind. Das erste Problem ist, dass man
sich davor drückt, eindeutig zu sagen, dass auch die
deutsche Kriegsbeteiligung der jeweiligen Regierungen
in unterschiedlichen Farbzusammenstellungen - was
nicht so erheblich ist - dazu beigetragen hat, dass Menschen in Afghanistan ihr Leben verloren haben. Sie
haben nicht Leben gerettet. Sie haben in Afghanistan Leben vernichtet. Das muss man mit aller Deutlichkeit aussprechen. 70 000 Menschen sind seit 2001 im Zuge dieses Krieges umgekommen. Das ist eine furchtbare
Katastrophe, eine furchtbare Bilanz. Davor, das zur
Kenntnis zu nehmen, kann man sich nicht drücken.
Wenn das so ist, müsste eine Regierung doch einmal
einen Gedanken darauf verschwenden, wie Schuld, die
man auf sich geladen hat, abgetragen werden kann. Ich
finde, dieser Bundestag muss darüber nachdenken,
Schuld abzutragen, und nicht neue Schuld aufhäufen.
({2})
Das Zweite ist, nachzuprüfen, wie viel Geld in diesem
Krieg falsch eingesetzt worden ist. Geld für Krieg ist immer falsch. Insgesamt sind mindestens 11 Milliarden
Euro - das wird dann mit „einsatzbedingten Ausgaben
für ISAF und OEF“ beschrieben - eingesetzt worden.
Dabei habe ich noch gar nicht das Geld hineingerechnet,
das zusätzlich für Rüstung ausgegeben worden ist. Was
hätte man mit 11 Milliarden Euro an Not, Elend und
Unterentwicklung in solchen Ländern korrigieren können, wenn sie von Anfang an sinnvoll eingesetzt worden
wären? Das wäre die Aufgabe gewesen. Das war die
Chance, die man da gehabt hat. Das ist aber nicht passiert.
({3})
Es schmerzt ungeheuer, dass auch heute überhaupt
keine Ideen für politische Lösungen präsentiert werden.
Wenn man die afghanische Entwicklung wirklich in einer vernünftigen Art und Weise vorantreiben will, dann
erreicht man das nicht, ohne dass der Iran und China in
die Lösung eingebunden werden. Das liegt doch auf der
Hand. Was kommt? Nichts! Was tut die Politik? Fehlanzeige! Bei den Militärausgaben hat diese Bundesregierung dagegen immer offene Taschen. Das finde ich
falsch.
({4})
Ich glaube, zur Bilanz gehört auch, dass das Völkerrecht vielfach gebrochen worden ist. Es hätte immer andere Chancen gegeben.
({5})
Das Völkerrecht bietet genügend Möglichkeiten, einen
Krieg bzw. Angriff abzuwehren. Die Verantwortung
muss dann aber auch auf die Vereinten Nationen übergehen und darf nicht von einer Koalition der Willigen oder
Unwilligen eigensüchtig in Anspruch genommen werden.
Das Völkerrecht ist auch mit deutscher Beteiligung
gebrochen worden. Ich will dazusagen: Auch Deutschland ist an gezielten Tötungen in Afghanistan beteiligt.
({6})
- Davor können Sie sich nicht drücken. Das ist doch so! Meine Kollegen, die hin und wieder im Verteidigungsministerium dabei waren, haben doch die Bilder gesehen. Durch die Benennung von Menschen mit Namen
auf diesen Listen - das war Ministerangelegenheit - sind
Menschen gezielten Tötungen ausgeliefert worden. Ich
finde es eine furchtbare Katastrophe, dass wir dem, was
wir vorgeben, bekämpfen zu wollen, mit diesem Krieg
immer ähnlicher geworden sind. Das ist der Preis eines
Krieges, und man muss raus aus dieser Spirale.
({7})
Ich möchte auch festgehalten wissen - auch das gehört ja zur Bilanz -, dass Deutschland in diesen Krieg hineingelogen und der deutschen Bevölkerung zu keinem
Zeitpunkt die Wahrheit gesagt worden ist. Die Losung,
dass in Afghanistan auch die deutsche Sicherheit verteidigt wird, hat viele Menschen getäuscht. In Afghanistan
ist nicht die Sicherheit Deutschlands oder Europas verteidigt worden, sondern in Afghanistan haben wir Krieg
geführt, und Krieg schlägt irgendwann immer zurück.
Das erleben wir doch dieser Tage. Auch hier ist aus
meiner Sicht also ein „Nie wieder!“ notwendig. Es ist
unbedingt erforderlich, Deutschland nie mehr in Kriege
hineinzulügen.
Da wir gerade beim Lügen sind: Es ist auch eine
Lüge, dass der deutsche Militäreinsatz in Afghanistan
beendet wird. Sie lassen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan, auch die USA lassen ein großes Kontingent in
Afghanistan. Sie können tausendmal sagen, dass sie ausbilden sollen. Sie werden als Besatzer wahrgenommen,
und solange Besatzer in Afghanistan sind, wird es keinen Frieden in Afghanistan geben. Deswegen muss man
die Bundeswehr jetzt komplett abziehen, um ein Beispiel
dafür zu geben, dass dieser Krieg nach 14 Jahren endlich
beendet wird.
Das ist meine Konsequenz aus der fleißigen Arbeit,
auf 186 Fragen Antworten zu geben. Das ist eine politische Konsequenz, und vor dieser Konsequenz können
Sie sich nicht drücken, weil sie in der deutschen Bevölkerung mehrheitsfähig ist. Ich sage Ihnen: Es ist sehr
schön, dass man in unserem Lande mittlerweile mit Frieden und nicht mit Kriegsbeteiligungen Wahlen gewinnen
kann. Daran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Als nächster Redner hat der Kollege Roderich
Kiesewetter das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lachende
Kinder, selbstbewusste Frauen, dampfende Maschinen:
Das ist das Bild, das sich mir heute bietet, wenn ich
durch Kabul, Kandahar oder Masar-i-Scharif gehe. Wie
war das vor acht Jahren, als ich das erste Mal in Afghanistan war? Angst, Gefahr, bedrückte Gesichter, leere
Straßen oder Straßen voll von Militär. Lieber Herr Kollege Gehrcke, mit Ihren Fragen - 186 an der Zahl - haben Sie eine Fleißarbeit gemacht, aber einige wesentliche Fragen nicht gestellt: Wie ist es zu diesen
Fortschritten gekommen? Und vor allen Dingen: Wie ist
es passiert, dass Afghanistan in diese Katastrophe gerutscht ist? Dazu stellen Sie noch nicht einmal eine
Frage.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Land
wie Afghanistan mit 54 verschiedenen Volksgruppen
und Stämmen, mit 45 verschiedenen Dialekten und
Sprachen, ist nicht mit einem Land Europas oder einem
Land auf dem amerikanischen Kontinent zu vergleichen.
Es ist ein Land, das 1973 die Monarchie abgeschafft hat,
das 1978 eine Diktatur weggeputscht hat, das 1992 die
Kommunisten beseitigt hat und viele Jahre sowjetischer
Besetzung hinter sich hatte, das 1996 die Mudschaheddin abgelöst hat und schließlich 2001 die Taliban. Keines dieser Systeme hat Afghanistan auch nur in Ansätzen stabilisiert.
Wenn wir uns an den 11. September erinnern und an
die wirklich schwierigen Beschlüsse und Diskussionen
damals im Bundestag - ich weiß nicht, ob Sie die Debatten nachgelesen haben, als Sie Ihre Fragen gestellt haben -,
dann wird uns deutlich: Hier muss sich die internationale
Gemeinschaft engagieren. Sie hat es getan. Bei einem
Vergleich der Lage in den Jahren 2006/2007 mit der von
heute wird klar: Es gibt erhebliche Fortschritte.
Herr Kiesewetter, lassen Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Buchholz zu?
Selbstverständlich.
Vielen Dank, Herr Kiesewetter. - Sie beschrieben zu
Beginn Ihrer Rede quasi blühende Landschaften in
Afghanistan. Wie passt das mit der Tatsache zusammen,
dass die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle steigt?
Das ist auch in der Antwort auf unsere Anfrage genannt,
die Details sind leider nicht öffentlich.
Wir müssen auch feststellen, dass seit Oktober 2013
die genaue Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle
von der Bundesregierung nicht mehr frei veröffentlicht
wird. Wie sehen Sie das? Wie sehen Sie auch den Anstieg an zivilen Toten? Wie passt das mit dem Bild zusammen, das Sie am Anfang Ihrer Rede gezeichnet haben?
({0})
Das Bild, das ich zeichne, ist das Bild eines Landes
im Umbruch. Kinder, die Schulen besuchen, Frauen, die
selbstbewusst zur Arbeit gehen, dampfende Maschinen,
die zum wirtschaftlichen Aufschwung des Landes beitragen: 80 Prozent des Landes Afghanistan sind stabil. Ein
Land, das über 40 Jahre - wenn Sie mir zugehört haben,
wissen Sie das -, nämlich 42 Jahre lang, geschunden
wurde, zwei Generationen lang, ist nicht über Nacht zu
einer Demokratie westlicher Stabilität zu machen.
Was Sie mit Ihrem Ansatz verkennen, ist, dass es sich
bei Afghanistan um ein fragiles Land handelt; ein Land
- das muss man sehr deutlich machen -, das längst noch
nicht den Standard von beispielsweise Bangladesch oder
Ghana erreicht hat. Auch Ghana und Bangladesch sind
fragile Staaten, aber diese bringen sich bereits in der internationalen Gemeinschaft, bei den Vereinten Nationen,
ein. Sie geben etwas von dem zurück, was ihnen die internationale Gemeinschaft gegeben hat.
Afghanistan selbst - das ist das Chaos, das Sie beschreiben - ist ein Land, das dank der internationalen
Hilfe zur Stabilität zurückgefunden hat. Sie aber reden
es schlecht. Zu der schonungslosen Bilanz, die Sie fordern, gehört genauso schonungslos die Frage: Was hat
Afghanistan ins Chaos gestürzt? Das verkennen Sie. Das
habe ich versucht herauszuarbeiten. Das ist der ganz entscheidende Punkt.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt natürlich auch Punkte, bei denen wir selbstkritisch nachfragen müssen: Wo müssen wir besser werden? Hier waren
am Anfang die Ziele und Erwartungen mit Blick auf
Afghanistan unendlich, die eigenen Mittel, die eigene
Bereitschaft, sich einzubringen, äußerst begrenzt:
hinsichtlich der Bereitschaft von Nichtregierungsorganisationen, sich dort zu etablieren, hinsichtlich der Bereitschaft bestimmter Staaten, sich bei der Polizeiausbildung zu engagieren - da haben wir Deutschen eine
schwierige Lektion gelernt -, und hinsichtlich der Bereitschaft, die Wirklichkeit anzuerkennen.
Überlegen wir doch selbst, wie wir Anfang des letzten
Jahrzehnts unserer Öffentlichkeit den notwendigen Beitrag eines Engagements nahegebracht haben. Wir haben
gesagt: Wir helfen beim friedlichen Wiederaufbau. Wir
haben Jahre gebraucht, bis uns klar war, dass dieses
Land aus kulturellen, aus politischen, aus historischen
Gründen nicht ohne Weiteres in einen friedlichen Wiederaufbau zu bringen ist.
Herr Gehrcke, Sie haben aus meiner Sicht einen gravierenden Fehler gemacht: Mit Geld allein, Stichwort
11 Milliarden Euro, bewegen Sie in Afghanistan überhaupt nichts.
Es gehört, glaube ich, inzwischen zu den Grunderkenntnissen unseres Parlaments, dass zu Entwicklung
Sicherheit gehört. Ein Mindestmaß an Sicherheit ist
Hilfe zur Selbsthilfe. Gerade dass wir die Mission ISAF
beenden konnten und sie in eine Unterstützungsmission
überführt haben, zeigt, dass die internationale Gemeinschaft in Afghanistan eine Grundstabilität erreicht hat.
2011 haben wir - Frau Hänsel war damals auch dabei in Bonn die zweite Petersberger Konferenz miterlebt.
Auf dieser Konferenz wurde eine Zwischenbilanz gezogen. Dabei war klar: Afghanistan hat noch einen sehr
weiten Weg vor sich. Unser Ziel war, Afghanistan bis
zum Jahr 2024 zu einem Entwicklungsland wie Ghana
oder Bangladesch werden zu lassen. Das ist eine schwierige Aufgabe. Wir gehen diesen Weg durch eine verstärkte internationale Kooperation, Energiepartnerschaften und die Einbindung von Initiativen wie „Neue
Seidenstraße“ oder „Heart of Asia“. Wir gehen ihn auch
dank Botschafter Koch und Botschafter Steiner, denen es
gelungen ist, eine große Kontaktgruppe von Staaten einzubeziehen. Denn es geht auch um die Nachbarn: ohne
Iran kein Kümmern um Flüchtlinge, ohne Pakistan kein
Grenzschutz.
Wir haben uns, glaube ich, damals zu sehr um Afghanistan und zu wenig um die Nachbarstaaten gekümmert.
({1})
Meine Damen und Herren, das sind die wahren Lektionen, die wir gelernt haben.
Vor anderthalb Stunden hat unser Wehrbeauftragter,
der noch anwesend ist, in diesem Saal seine letzte Rede
als Wehrbeauftragter gehalten. Ihm und seinen VorgänRoderich Kiesewetter
gern ist es zu verdanken, dass die Bundeswehr in Afghanistan realistischer geworden ist und dass unsere Politik
eine bessere Beratung bekommen hat, was militärisch,
politisch, sozial und wirtschaftlich in Afghanistan überhaupt geleistet werden kann. Lassen Sie mich an dieser
Stelle unserem Wehrbeauftragten für sein hohes persönliches Engagement, aber auch für das seiner Vorgänger
danken.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie geht es
weiter? Es ist nichts schönzureden; aber dass in Afghanistan Frauen selbstbewusst zur Arbeit gehen können,
dass es dort statt 100 000 Schülern nunmehr 7 Millionen
Schülerinnen und Schüler gibt und dass sich unterschiedliche Regionen besser entwickeln, als wir es je gedacht haben, ist ein Verdienst der internationalen Gemeinschaft.
Unsere Lehre ist, dass wir nie mehr blauäugig und
ohne die notwendigen Mittel in solche Einsätze gehen.
Das müssen wir uns selbst ins Stammbuch schreiben.
Lassen Sie uns gemeinsam für die Zukunft Afghanistans arbeiten. Im Jahr 1915 haben die ersten diplomatischen Kontakte stattgefunden. Wir sind eines der wenigen Länder, zu denen Afghanistan über drei
Generationen hinweg seit 100 Jahren Vertrauen aufgebaut hat. Lassen Sie uns dieses Vertrauen auch in den
nächsten Jahrzehnten fortsetzen.
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Omid
Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über den Afghanistan-Einsatz
und die Lehren, die wir daraus ziehen sollten. In einem
sind wir uns sicherlich einig: Dieser Einsatz hat nicht nur
die Bundeswehr, sondern auch die Bundesrepublik
Deutschland tiefgreifend verändert. Es ist der teuerste
und aufwendigste Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr.
Wir schulden die Aufarbeitung nicht nur denjenigen,
die in Zivil oder in Uniform in Afghanistan gearbeitet
und geholfen haben, den Tausenden und Abertausenden
von Menschen, die dort unter schwierigsten Bedingungen gearbeitet haben und ihren Familien sehr viel zugemutet haben, die vor allem aber auch sehr viele Opfer
gebracht haben, manche von ihnen sogar ihr Leben gegeben haben.
Die kritische außenpolitische Debatte in Deutschland
muss die Gesellschaft aber aushalten, gerade auch, wenn
von vornherein gesagt wird, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen will. Denn wenn wir
daraus nichts lernen, dann werden wir auch nichts richtig
machen.
Die Debatte, aber vor allem auch die Große Anfrage
und die Antworten der Bundesregierung darauf zeigen,
woran die Debatte bisher auch ein wenig krankt. Die
Linke stellt eine Anfrage, für die ich allein schon deswegen sehr dankbar bin, weil wir heute darüber diskutieren
können. Aber sie verfolgt damit sehr klar den fast rituellen Vorsatz, festzustellen, dass in Afghanistan alles
schlechter ist als vor dem Einsatz. Auf der anderen Seite
antwortet die Bundesregierung, wiederum rituell, so, als
wäre alles ein riesengroßer Erfolg. Beides wird dem
Ernst der Lage vor Ort leider nicht gerecht.
({0})
Man kann ewig weiter darüber streiten: Sind
555 Schulen genug? Sind 855 Kilometer Straßen genug?
Ist es ausreichend, dass Afghanistan jetzt auf Platz 175
des Entwicklungsindexes der Vereinten Nationen von
187 Staaten ist? Das sind aber genau die Diskussionen,
die uns nicht weiterbringen, die uns vielmehr dazu verleiten, dass wir an den zentralen Lehren vorbeireden.
Ich will zwei dieser Lehren, die aus meiner Sicht sehr
deutlich sind, benennen. Die erste Lehre ist: Wir haben
in Afghanistan von vornherein auf lokale Machthaber
und ihre Milizen vertraut, anstatt dass wir Governance
aufgebaut haben. Wir haben viel zu spät mit dem Staatsaufbau angefangen und viel zu oft die Geister gerufen,
die wir später nicht mehr in die Flasche zurückstecken
konnten.
({1})
Das ist nicht nur für Afghanistan relevant. Das ist
auch deswegen relevant, weil exakt dasselbe uns weiterhin droht. Das ist exakt dieselbe Lehre, die man von
Mali bis zum Irak ziehen kann und sollte, damit man es
beim nächsten Mal anders macht.
In der Anfrage beantwortet die Bundesregierung die
Fragen zur Rolle der Milizen zum Beispiel mit den Worten, es gebe keine belastbaren Aussagen über deren Gesamtumfang. Es heißt:
Die Bundeswehr arbeitet grundsätzlich nicht mit
Milizen zusammen.
Das Letzte ist formal sicher richtig. Ich glaube aber
nicht, dass das, wenn man den Ernst des Problems kennt,
eine seriöse Auseinandersetzung mit der Situation und
der Problematik der Milizen in Afghanistan ist.
Die zweite Lehre ist, dass es eine unglaublich große
Schieflage zwischen militärischem und zivilem Engagement gibt. Es wurden 9,8 Milliarden Euro für Militär
ausgegeben, 3,4 Milliarden Euro für zivile Projekte. Wir
haben nicht wegen zu geringer Ausgaben für das Militär
vieles nicht erreicht, sondern wir haben vor allem wegen
zu wenig zivilen Engagements dort vieles nicht erreicht.
({2})
Wenn man bedenkt, dass Deutschland einmal Führungsnation beim Polizeiaufbau war - ich bin für jeden
einzelnen Polizisten und für jede einzelne Polizistin, der
bzw. die freiwillig vor Ort war, wirklich dankbar; sie haben eine wirklich hervorragende Arbeit geleistet -, und
wenn man bedenkt, dass wir heute nur 14 einzelne Polizisten im Norden von Afghanistan im Einsatz haben,
dann sieht man, wie wenig ernst das leider genommen
worden ist.
Wenn man bedenkt, dass die Taliban auch von der
Bundesregierung nicht zu Treffen eingeladen worden
sind, um zu politischen Lösungsansätzen beizutragen,
dann sieht man, woran es mangelt. Um noch ein klassisches ziviles Beispiel zu nennen: Wir reden über ein
Land, das traditionell in erster Linie von der Agrarwirtschaft lebt. Es ist einfach viel zu wenig für die ökonomische Entwicklung in der Landwirtschaft getan worden.
Es gab immer Führungsnationen für den Aufbau der
Polizei oder für den militärischen Aufbau, aber es gab
nie eine klare Verantwortung für die Entwicklung der
landwirtschaftlichen Strukturen in diesem Land. Das war
ein riesengroßer Fehler.
Es ist klar, dass man mehr Zeit braucht und wir mehr
politische Geduld brauchen, um die Situation in Afghanistan zu verbessern. Aber es reicht nicht, einfach nur
Demut vorzutäuschen, sondern man muss wirklich ernsthaft lernen. Wenn man sich die Lustlosigkeit der Bundesregierung, die sich in den Antworten widerspiegelt,
anschaut, dann stellt man einfach fest, dass keine große
Bereitschaft vorhanden ist.
Wenn auf die Frage der Linken, wie stark denn die
Aufständischen im Norden seien, die Antwort gegeben
wird, es lägen darüber keine belastbaren Angaben vor,
dann kann ich nur hoffen, dass das nicht richtig ist.
({3})
Wenn auf die Frage nach der Entwicklung der Erwerbstätigkeit von Frauen ganz viele Projekte aufgezählt
werden, aber nicht einmal erklärt wird, ob diese denn
greifen und was diese wirklich für die Erwerbsquote der
Frauen in Afghanistan bedeuten, dann hat das mit mehr
Verantwortung nichts zu tun. Man will nicht eingestehen, dass man möglicherweise Fehler gemacht hat. Da
kann ich nur sagen: Schauen Sie sich die Amerikaner an,
schauen Sie sich die Holländer an! Die Art und Weise,
wie sie gerade im zivilen Bereich die Evaluation durchführen, ist vorbildlich. Dagegen sind wir ganz schlecht.
Unter dem Strich würde ich sagen: Die Linke hat am
Anfang der Großen Anfrage Kriterien für die Bewertung
genannt. Das sind politische Kriterien, die ihre Vorstellung der Dinge widerspiegeln. Ich teile die Haltung der
Linken nicht. Ich komme nicht zu dem Ergebnis, dass alles schlecht ist. Man muss sagen, dass es einen Fortschritt gibt, allein deshalb, weil deutlich mehr Menschen
in Afghanistan besser leben und unter friedlicheren Bedingungen leben können, als es vor dem Einsatz der Fall
war. Aber gleichzeitig muss man auch sagen: Für all die
Opfer, die gebracht worden sind, für all das, was aufgewendet worden ist, ist das, was erreicht worden ist, einfach zu wenig.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Als nächster Redner hat Dr. Hans-Peter Bartels von
der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach 4 756 Tagen ist am 31. Dezember 2014 die ISAFMission in Afghanistan zu Ende gegangen. Das ist noch
nicht das Ende des Engagements der internationalen Gemeinschaft, auch nicht das Ende des militärischen Engagements. Wir haben eine Nachfolgemission, Resolute
Support, die noch eine Weile im Land sein wird.
Insofern geht es hier heute nicht um eine Bilanz, sondern um eine Zwischenbilanz. Aber es ist gut, dass wir
uns als Bundestag mit diesem Thema beschäftigen. Das
tun wir aber nicht zum ersten Mal, sondern das tun wir
natürlich auch anhand der Fortschrittsberichte der Bundesregierung. Das tun wir anhand von Studien, die uns
wissenschaftliche Institutionen vorlegen.
Ich hatte heute die Gelegenheit, ein Buch vorzustellen, das von der Bundeszentrale für politische Bildung
herausgegeben worden ist. Autoren dieses Buches sind
General Rainer Glatz und Rolf Tophoven. Glatz war
lange Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der
Bundeswehr und hat unmittelbar nach seiner Pensionierung angefangen, Bilanz zu ziehen. Das ist vorbildlich.
Das ist genau das, was wir wollen: dass diejenigen, die
zuständig waren, diejenigen, die Erfahrungen haben,
diese Erfahrungen auch vermitteln und auswerten, sodass wir wieder damit arbeiten können. Auch das ist ein
Stück Zwischenbilanz.
Was wir irgendwann einmal brauchen, ist die wissenschaftliche Aufarbeitung im Auftrag der Bundesregierung oder des Bundestages, die übrigens unsere Fraktion
einmal 2010 gefordert hat. Aber das Ganze ist ja auch
noch nicht zu Ende. Wir wollen, dass wir aus dem Auslandseinsatz in Afghanistan wie aus anderen Einsätzen
lernen. Aber dies ist ein besonders langer Einsatz. Ich
glaube, es gibt einige Lessons learned, über die man
heute hier schon reden kann.
Ich will drei Stichworte sagen:
Erstens: die Internationalität. In Deutschland glauben
wir gelegentlich, dass an einzelnen Entscheidungen, die
unsere Bundesregierung dem Bundestag zum Beschluss
vorlegt, das Wohl und Wehe Afghanistans hänge. Realität ist: Wir waren bei ISAF eine von 50 truppenstellenden Nationen. Als die USA 100 000 Soldaten im Land
stationiert hatten, waren es seitens der Bundeswehr
5 000. Wir entscheiden dort nichts allein.
Zweitens. Es gab viele, vielleicht zu viele Akteure, zu
viele Strategien und zu wenig Koordination. Eine Lektion für künftige Stabilisierungseinsätze könnte lauten:
Wir brauchen eine Art ziviler Hochkommissar mit umfassenden Kompetenzen.
Drittens. Es ist in Afghanistan zu viel Zeit ungenutzt
verstrichen, gerade zu Beginn; da stimme ich dem Kollegen Nouripour zu. Bei Stabilisierungsmissionen muss
am Anfang die militärische Komponente besonders stark
sein. Die zivile Hilfe braucht dann deutlich mehr Vorlauf, bis sie sich positiv auswirken kann.
Wir haben erlebt, wie sich über mehr als ein Jahrzehnt
die Bundeswehr verändert hat. Über die Zeit haben gut
100 000 Deutsche als Soldatinnen und Soldaten in unseren Einsatzkontingenten für Afghanistan Dienst getan.
Sie stützen sich auf eine andere Ausbildung und bringen
andere Erfahrungen mit nach Hause, als es sie in der
alten Bundeswehr gab, auch komplexe Gefechtserfahrungen. Die Ausrüstung hat sich - Stichwort „einsatzbedingter Sofortbedarf“ - radikal verändert. Das neue Gerät heißt zum Beispiel Dingo, Fennek, Boxer, Eagle,
Enok, Heron, Tiger und NH90. Das alles gab es schon
im Einsatz, bevor die Ausbildung damit zu Hause richtig
beginnen konnte - einerseits gut, andererseits schlecht.
In Deutschland, aber wohl auch in den USA und in
der NATO sind wir uns überwiegend einig darüber, dass
Afghanistan kein Modell, keine Blaupause für andere
Missionen sein kann. Jede Krise ist anders, und in dieser
Krise haben wir, das heißt die internationale Gemeinschaft, viel Lehrgeld gezahlt. Damit das nicht verloren
ist, müssen wir dann aber auch die entsprechenden Lehren daraus ziehen und annehmen.
Suzana Lipovac, die das erste zivil-militärische Projekt im Kosovo betreute und seit Anbeginn für die Organisation Kinderberg in Afghanistan engagiert ist, formuliert ihr Fazit so:
Die zukünftigen Auslandseinsätze der Bundeswehr,
auch unter einem robusten UN-Mandat, können nur
dann gesellschaftlich akzeptiert werden, wenn sie
zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebenssituation der Zivilgesellschaft und der Sicherheitslage im Einsatzland, der Region und auch der Welt
führen. Das ist nur durch die Kooperation aller diplomatischen, entwicklungspolitischen, zivilgesellschaftlichen, polizeilichen und militärischen Akteure erreichbar. Hier bestehen das größte Defizit
und gleichzeitig das stärkste Verbesserungspotenzial. Als Hilfsorganisation versuchen wir zwar, mittels der Projekte präventiv gegen die Ursachen von
gewalttätigen Konflikten vorzugehen, aber man erkennt leidvoll, dass man keinen Menschen oder gar
sich selbst vor radikalisierter bewaffneter Gewalt
bewahren kann. Als Zivilist ist man nicht in der
Lage, einer terrorisierten Bevölkerung das zu geben, was sie als das Dringendste im Wesentlichen
benennt: Sicherheit.
Dafür brauchen wir den Einsatz von Soldaten, und zwar
so lange, wie er erforderlich ist.
Ein langer Atem, strategische Geduld - das muss
auch für das internationale Engagement in Afghanistan
gelten. Der Irak und Libyen sind da keine Vorbilder. Ziel
bleibt immer, dass es ohne fremde Soldaten geht. Für so
eine Zukunft, für diese Vision haben Soldaten, Entwicklungshelfer, Polizisten, Diplomaten, auch Journalisten
aus vielen Ländern Opfer gebracht. Sie dürfen nicht umsonst gewesen sein.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Julia
Obermeier von der CDU/CSU das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Deutschland und Afghanistan verbindet eine
lange Freundschaft. Vor 100 Jahren begann die Niedermayer-Mission. Deutschland hat über viele Jahrzehnte
den Kontakt zu den Stämmen am Hindukusch gehalten.
Ich erinnere nur an die 1924 in Kabul gegründete
Amani-Oberrealschule. Diese langjährige Tradition der
Entwicklungszusammenarbeit haben wir seit 2001 wieder verstärkt. Ich finde es wirklich bedauerlich, Herr
Gehrcke, wie Sie die Leistungen unserer zivilen Entwicklungshelfer und Soldaten schlechtreden. Auch wenn
heute noch nicht alles gut ist in Afghanistan; wir reden
hier immerhin von einem der ärmsten und am wenigsten
entwickelten Länder der Erde.
Ja, die anfangs gesteckten Ziele der Mission waren
unrealistisch hoch. Ich bin Ihnen, Herr Nouripour, dankbar für Ihre offenen Worte dazu, dass Rot-Grün anfangs
unsere Soldaten unvorbereitet und ohne die richtige Ausrüstung in den Einsatz geschickt hat.
({0})
Dennoch haben unsere Männer und Frauen in den
13 Jahren von ISAF viel erreicht.
({1})
Schauen wir zurück in die 90er-Jahre! Als die Taliban
1996 Kabul eroberten, musste Schukria Barakzai wie
alle Frauen ihr Studium abbrechen. Drei Jahre später
wurde sie von den Taliban körperlich gezüchtigt. Sie
hatte es gewagt, zum Arzt zu gehen, zwar in ihrer Burka,
aber ohne männliche Begleitung.
Meine Damen und Herren, seit ISAF hat sich viel in
Afghanistan verändert. Besuchte 2001 nur 1 Million
Kinder, ausschließlich Jungen, eine Schule, lernen heute
8,5 Millionen Kinder lesen und schreiben, darunter
3,5 Millionen Mädchen. Deutliche Fortschritte gibt es
auch bei der medizinischen Grundversorgung. Stand sie
2001 nur ganz wenigen zur Verfügung, ist sie heute dem
Großteil der Bevölkerung zugänglich. Die Müttersterblichkeit ist um 80 Prozent zurückgegangen. Zwar leben
immer noch viele Menschen in Armut, doch das ProKopf-Einkommen hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Für mehrere Millionen Men9574
schen gibt es neue Straßen und Brücken, Strom und
Trinkwasser. Dies alles war nur durch die Unterstützung
der internationalen Gemeinschaft möglich. Durch einen
vernetzten Ansatz von Militär, Polizei, Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie haben wir viel für die
Kinder, Frauen und Männer in Afghanistan erreicht.
Deutschland ist der drittgrößte Geldgeber für zivilen
Wiederaufbau und Entwicklung. Das BMZ unterstützt
die afghanische Bevölkerung jedes Jahr mit 430 Millionen Euro. Wir haben auch das wichtigste sicherheitspolitische Ziel des Afghanistan-Einsatzes erreicht. Das Land
ist kein Rückzugsort mehr für den international tätigen
Terrorismus.
({2})
Allerdings haben wir einen hohen Preis dafür bezahlt.
55 gefallene Kameraden - das ist auch für uns Parlamentarier schwer zu ertragen. Auch haben wir eine Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten, die
an Körper und Seele verwundet aus dem Einsatz zurückgekehrt sind. Für sie wollen wir mehr tun.
Mein persönlicher Dank und der Dank der CDU/
CSU-Fraktion gilt allen, die vor Ort oder auch in der
Heimat ihren Beitrag für Wiederaufbau und Entwicklung in Afghanistan geleistet haben oder nach wie vor
leisten. Auf diesem langen Weg haben wir gemeinsam
schon viel erreicht. So konnte Schukria Barakzai wie
auch viele andere Frauen nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Taliban ihr Studium wieder aufnehmen. Als eine von 67 Parlamentarierinnen kämpft sie
heute für die Rechte und den Schutz von Frauen und
Mädchen in Afghanistan. Dabei unterstützen wir sie und
ihre Landsleute.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Niels Annen
von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem sich die Bundesregierung so viel Mühe gegeben hat, die Fragen zu beantworten, ist es eigentlich schade, dass sie jetzt gerade nicht
vertreten ist. Trotzdem möchte ich etwas zum heutigen
Thema sagen.
Ich freue mich darüber, dass wir vielleicht - nach sehr
vielen ritualisierten Debatten auch in diesem Hause - die
Möglichkeit haben, doch ein wenig differenzierter über
die Lage in Afghanistan zu reden. Es ist schon darauf
hingewiesen worden, dass weder alles gut noch alles
schlecht in Afghanistan ist.
Gerade wir, die Bundesrepublik Deutschland, haben
eine lange Geschichte politischer Beziehungen zu Afghanistan. Es ist darauf hingewiesen worden: Wir werden in diesem Jahr den 100. Jahrestag der Beziehungen
zwischen Deutschland und Afghanistan begehen. Das ist
ein Datum, das in Afghanistan deutlich stärker als hier
bei uns beachtet wird. Ich glaube, das sagt auch etwas
über die Intensität der Ereignisse und der gemeinsamen
in der Tat zum Teil auch blutigen Geschichte aus.
Meine letzte Reise in die Region ist schon lange her.
Ich habe in der letzten Woche die Gelegenheit gehabt,
das erste Mal seit 2008 wieder Kabul zu besuchen. Ich
muss sagen, es haben sich viele Dinge wirklich positiv
entwickelt. Diese Entwicklung lässt sich auch mit Zahlen belegen: Die durchschnittliche Lebenserwartung ist
bei Männern von 45 Jahren im Jahre 2000 auf 58 Jahre
und bei Frauen auf 61 Jahre gestiegen. 57 Prozent der afghanischen Bevölkerung - das ist schon gesagt worden haben Zugang zu medizinischer Versorgung. Medizinische Versorgung gibt es nicht nur in Kabul und den großen Städten. Der Anteil lag 2002 dagegen bei lediglich
katastrophalen 9 Prozent.
Es gibt auch andere Punkte, Herr Gehrcke, auf die
man vielleicht noch einmal hinweisen sollte. Das fehlte
ein bisschen nicht nur in Ihrer Rede heute, sondern eigentlich über die gesamten Jahre hinweg. Besonders
deutlich sind die Auswirkungen der verbesserten Schulbildung zu spüren. Während vor 14 Jahren 1 Million
Kinder - wohlgemerkt: nur Jungen - eine Schule absolviert hat, gehen aktuell 8,2 Millionen Kinder in Afghanistan zur Schule. Es gibt heute in Afghanistan Absolventen der Schulen, die wir aufgebaut haben. Und es gibt
dort Universitäten. Natürlich kann man immer darüber
diskutieren, wie die Qualität und wie der Zugang ist.
Wenn Sie sich, Herr Gehrcke, aber einmal die Mühe machen würden - wie das einige Kollegen Ihrer Fraktion
dankenswerterweise getan haben -, sich mit diesen Menschen zu unterhalten, um zu erfahren, welche Erwartungen sie an die Zukunft ihres Landes haben und wie sie
sich in die Politik ihres Landes einmischen, werden Sie
feststellen, dass sich dort etwas verbessert hat.
Ich bin ganz fest davon überzeugt: Wenn wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und Afghanistan jetzt in einer sehr kritischen Phase nicht alleine lassen, wird sich vor allem dieses Investment in Bildung
und Ausbildung positiv für das Land selbst auswirken.
Denn am Ende - da sind wir uns wieder einig - können
weder der Deutsche Bundestag noch die UNO noch die
NATO noch die Europäische Union über die Zukunft Afghanistans bestimmen; das muss vielmehr eine Initiative
der Afghaninnen und der Afghanen selber sein. Aber die
Voraussetzungen dafür, dass es überhaupt diese Möglichkeit gibt, haben wir geschaffen.
({0})
Es ist über die Regionen geredet worden, die wir am
Anfang all dieser Initiativen sicherlich nicht ausreichend
in den Blick genommen haben. Ich bin froh darüber,
dass zumindest die Spitzen des Staates von Pakistan und
Afghanistan gut übereinander reden. Das ist ein Zeichen
der Hoffnung, das wir nicht ungenutzt verstreichen lassen dürfen.
Ich kann das gerne wiederholen: Selbstverständlich
hat sich in Afghanistan nicht alles positiv entwickelt.
Wir haben gerade in den letzten Tagen auch Rückschläge
zur Kenntnis nehmen müssen. Es hat Anschläge, Entführungen usw. gegeben. Das ist keine Wortschöpfung von
uns, sondern eine afghanische Wortschöpfung: Das, was
die Afghanen selber die Kampfsaison nennen, hat bereits
blutig begonnen. Das ist etwas, was uns Sorgen bereiten
muss. Trotzdem können wir uns heute darauf verlassen,
dass die afghanischen Sicherheitskräfte auch ohne ISAF
in der Lage sind, selber die Sicherheit der Regierung zu
gewährleisten. Sie sind in der Lage gewesen, eine demokratische Wahl abzusichern, die zum allerersten Mal in
der Geschichte des Landes dazu geführt hat, dass wir vor
einigen Tagen mit dem ehemaligen Präsidenten Afghanistans hier in Deutschland reden konnten, weil er nämlich die Macht abgegeben hat. Das ist ein enormer Fortschritt.
({1})
Ich will deswegen schon noch einmal sagen: Dass
sich Menschen unter Gefahr für Leib und Leben an dieser Wahl beteiligt haben, ist ein Bekenntnis zur Zukunft
ihres eigenen Landes, ein viel stärkeres Bekenntnis, als
das bei uns der Fall ist, wo man das quasi für eine Selbstverständlichkeit hält. Insofern haben Präsident Ghani
und Chief Executive Officer Abdullah jetzt auch die Verantwortung, mit den Hoffnungen vernünftig umzugehen,
eine Regierung zu bilden und dafür zu sorgen, die bestehenden Erwartungen nicht nur bezüglich der Gewährleistung von Sicherheit, sondern auch bezüglich der Bildung und der Partizipation am gesellschaftlichen Leben
in der Realität zu erfüllen.
Ich glaube, wir sollten die Menschen in Afghanistan
in den Mittelpunkt stellen. Es bleiben Meinungs- und
Bewertungsunterschiede, Herr Gehrcke. Das ist vollkommen in Ordnung. Aber machen Sie sich einmal die
Mühe, und reden Sie mit den Menschen, um die es geht,
und nicht über Ideologien.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat der Kollege
Thorsten Frei von der CDU/CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde schon, dass wir eine selbstkritische Debatte
hier im Deutschen Bundestag führen, und zwar nicht nur
heute, sondern auch in den vergangenen Monaten, in denen wir uns immer wieder mit Afghanistan beschäftigt
haben. Ich finde es auch grundsätzlich richtig, unsere
Außenpolitik einer kritischen Selbstreflexion zu unterziehen und das dann insbesondere auf dem großen Politikfeld zu machen, das in den vergangenen zehn Jahren
ganz wesentlich unsere Außenpolitik geprägt hat, weil es
unsere Kräfte und Mittel in schwieriger Zeit gebündelt
hat. Ich bin aber dafür, dass man wirklich ehrlich miteinander umgeht.
Der Kollege Annen hat beispielsweise gerade ein Gespräch mit dem ehemaligen Präsidenten Karzai erwähnt,
der darauf hingewiesen hat, wie die Zustände in Afghanistan waren, als er ins Amt gewählt wurde. Er hat sehr
bildhaft beschrieben, dass er letztlich aus dem Nichts etwas aufbauen musste, weil keine Strukturen vorhanden
waren und der afghanische Staat und das afghanische
Volk nach dem Wegfegen der Taliban bei null beginnen
mussten. Ich glaube, wenn man das zugrunde legt, dann
muss man zugestehen, dass da eine unheimliche Entwicklung vonstattengegangen ist.
Meine Vorredner sind darauf eingegangen, dass ohne
ein hinreichendes Maß an Sicherheit - dafür haben unsere Bundeswehr und unsere Soldatinnen und Soldaten
gesorgt - eine solche Aufbauleistung nicht möglich ist.
Aber das, was wir getan haben, ist auch weit darüber
hinausgegangen. Wenn Sie bedenken, dass alleine zwischen 2002 und 2012 für mehr als 150 Programme und
Projekte 2,8 Milliarden Euro an ziviler Entwicklungshilfe in das Land geflossen sind, dass wir drittgrößter
Geber sind und für die weitere Zukunft unsere Unterstützung zugesichert haben, dann ist vollkommen klar, dass
wir es mit diesem vernetzten und umfassenden Ansatz
geschafft haben, die Entwicklung in Afghanistan zu verbessern und die Grundlagen dafür zu legen, dass die
Afghanen selbst in der Lage sind, ihr Land zu regieren
sowie für ein hinreichendes Maß an Sicherheit und auch
für Wohlstand, wenn auch auf niedrigem Niveau, zu sorgen. Das ist der Erfolg dieser Politik. Das ist der Erfolg
der internationalen Gemeinschaft und auch unser Erfolg
hier in Deutschland.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist darauf
eingegangen worden, dass sich vieles verbessert hat. Das
kann man an nackten Zahlen sehen, etwa im Bereich der
Infrastruktur, der Gesundheitsversorgung, der Energieversorgung - hier ist noch viel zu tun, aber es ist auch
schon viel passiert -, im Straßen- und Wegebau, im Anwachsen der durchschnittlichen Lebenserwartung und in
der Halbierung der Kinder- und Müttersterblichkeit seit
2001 sowie in der Versechsfachung des Bruttoinlandsprodukts seit 2001. Aber was ich ganz bemerkenswert
finde: Neben dem umfassenden Zugang zu Bildung, auf
den bereits eingegangen worden ist, ist Afghanistan im
Bereich der bürgerlichen Freiheitsrechte, etwa bei der
Pressefreiheit, besser als viele seiner Nachbarn, besser
als der Iran, besser als Pakistan, besser sogar als Indien.
Das ist absolut bemerkenswert, wenn man die Geschichte des Landes kennt. Damit sind wir insgesamt auf
dem richtigen Weg.
In der vergangenen Woche hatten wir in Kabul auch
Gelegenheit, uns über ein bilaterales Polizeiprojekt zu
informieren. Dort ist sehr deutlich geworden, dass es
nicht ausreicht, nur Geld in dieses Land zu bringen, sondern dass es darauf ankommt, unser Know-how, unsere
Stärken und unsere Kompetenzen zur Verfügung zu stellen. Wenn ich sehe, wie erfolgreich dort gearbeitet wird,
dann habe ich den Eindruck, dass die Menschen mit dem
zufrieden sind, was wir an Unterstützung leisten können.
Sie haben eher die Befürchtung, dass wir das Land ver9576
lassen, bevor die Aufgaben erledigt sind. Deshalb ist es
ganz wichtig, dass wir eine ehrliche Debatte führen und
in diesem Hause darüber nachdenken, was nach der Beendigung von Resolute Support passiert. Die übersteigerte Erwartungshaltung, von der heute bereits die Rede
war, kommt auch daher, dass wir nicht die Geduld mitbringen, die beispielsweise die Vereinten Nationen für
fragile Staaten vorsehen. Es heißt: Viele Erfolge werden
häufig erst nach 15, 20 oder vielleicht sogar erst nach
30 Jahren sichtbar. Deswegen müssen wir darauf achten,
dass die Erfolge, die erzielt worden sind, eine gewisse
Nachhaltigkeit bekommen. Deswegen darf es in der
Debatte nicht nur um eine Zwischenbilanz gehen. Die
Debatte muss vor allen Dingen ein Ausgangspunkt dafür
sein, wie wir die Aufgaben, die wir begonnen haben,
auch in Zukunft gut erledigen können. Das ist die Verantwortung, die wir haben. Das sind wir dem afghanischen Volk schuldig.
Es geht um Vertrauen. Es geht um Verlässlichkeit. Es
geht darum, dass wir den erfolgreich eingeschlagenen
Weg weitergehen. Darauf brauchen wir eine Antwort.
Diese Antwort geben wir mit der aktuellen Politik. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Ich glaube, damit sind
wir erfolgreich.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 9:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes und des
Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre
Drucksache 18/4630
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Wir können die Aussprache beginnen, wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière das Wort.
- Herr Minister.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bringe einen Gesetzentwurf zur Beratung im Deutschen Bundestag ein, dem zwei grundsätzliche Erwägungen zugrunde liegen. Erstens. Wir wollen weiterhin
Menschen aus der breiten Fülle des beruflichen Lebens
für die Politik gewinnen, auch für Ämter in der Bundesregierung. Eine Rückkehr in den alten Beruf oder eine
andere Beschäftigung unmittelbar nach Ende eines politischen Amtes soll für diese Menschen weiterhin möglich sein. Zweitens. Wir wollen, dass nicht der Anschein
entsteht, dass aus dem Amt eines Ministers oder eines
Parlamentarischen Staatssekretärs ein fachbezogener,
ein besonderer Vorteil für das berufliche Fortkommen
entsteht.
Mit dem Gesetz führen wir daher Anzeigepflichten
und Untersagungsmöglichkeiten für die Dauer einer
Karenzzeit ein; ich komme darauf gleich im Einzelnen
zurück. Gleichzeitig wollen wir keine stets und starr einzuhaltende Sperrzeit für alle ehemaligen Regierungsmitglieder, wenn sie nach ihrer Zeit im Amt eine Beschäftigung aufnehmen wollen. Für den Rechtsanwalt muss es
nach seiner Zeit als Minister prinzipiell eine Möglichkeit
zur Rückkehr in sein Rechtsanwaltsbüro geben, ebenso
für den Unternehmer, der nach seiner Zeit als Bundesminister seinen Betrieb weiterführen will. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt deshalb nicht auf eine starre
Frist ab, sondern darauf, ob durch die angestrebte Beschäftigung nach der Amtszeit ein Interessenkonflikt mit
dem vorherigen Amt droht oder drohen könnte. Wenn es
keinen Interessenkonflikt gibt, dann kann die neue Beschäftigung unmittelbar nach Beendigung des Amtes des
Bundesministers oder des Parlamentarischen Staatssekretärs aufgenommen werden.
Wenn es aber einen Interessenkonflikt gibt bzw.
- strenger sogar - wenn ein Interessenkonflikt zu besorgen ist, kann die Bundesregierung die angestrebte
Beschäftigung für die Dauer von 12 bis 18 Monaten untersagen. Die Bundesregierung trifft ihre Entscheidung
selbst, aber sie trifft sie auf der Grundlage der Empfehlung eines beratenden Gremiums, dessen Mitglieder die
politischen Zusammenhänge aus eigener Erfahrung kennen und die Fälle gut beurteilen können. Die Entscheidung der Bundesregierung muss zusammen mit der
Empfehlung des Gremiums veröffentlicht werden. Die
Empfehlung des Gremiums wird dadurch ein überragendes Gewicht bei der Entscheidung bekommen. Wir
schaffen damit ein Verfahren, in dem jeder die Entscheidung über die Untersagung einer Beschäftigung einfach
nachvollziehen kann. Kommt es zu einer solchen Untersagung, soll ihre Dauer in der Regel ein Jahr nicht überschreiten. In Ausnahmefällen kann sie aber auch bis zu
18 Monate betragen. Wir orientieren uns damit am bestehenden Regelwerk, etwa am Verhaltenskodex der EUKommission, der ebenfalls eine bis zu 18 Monate dauernde Karenzzeit für ausscheidende Kommissionsmitglieder vorsieht.
Die Anzeigepflicht trifft jedes amtierende und ehemalige Mitglied der Bundesregierung, Parlamentarische
Staatssekretäre und selbstverständlich auch die Bundeskanzlerin bzw. den Bundeskanzler - wer immer dieses
Amt innehat. Sie gilt für alle Tätigkeiten, die in den
ersten 18 Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Amt
außerhalb des öffentlichen Dienstes angestrebt werden.
Der Betroffene muss, wenn die entsprechenden Gespräche ein gewisses Stadium erreicht haben, selbst über die
angestrebte Tätigkeit informieren, damit das Verfahren
beginnen kann. Das können selbstständige Tätigkeiten
sein, freiberufliche Tätigkeiten, nichtselbstständige
Tätigkeiten. Das können sogar - auch darüber gab es
Debatten - unentgeltliche und sonstige Beschäftigungen
sein; denn auch unentgeltliche Beschäftigungen, zum
Beispiel bestimmte Ehrenämter, können massive Interessenkonflikte beispielsweise mit dem vorherigen Ministeramt auslösen, etwa wenn der Verband Fördermittel
von der Bundesregierung bekommt, und zwar aus dem
Ressort, aus dem der Minister stammt. Wir haben uns
also für einen sehr weiten Anwendungsbereich entschieden, der nicht nur erwerbsorientierte Tätigkeiten nach
Ausscheiden aus dem Amt umfasst.
Die Regelung dient damit zwei Zielen: Erstens. Es
soll bereits der Anschein einer voreingenommenen
Amtsführung im Hinblick auf spätere Verwendungen
oder durch die private Verwertung von Amtswissen nach
dem Ausscheiden aus dem Amt verhindert werden.
Zweitens wollen wir auch - das ist ein wichtiger Punkt,
der in der Debatte manchmal unterschätzt wird - die
Betroffenen vor Unsicherheiten und ungerechtfertigter
Kritik schützen, nämlich dann, wenn das beratende
Gremium und das Kabinett sagen, dass kein Interessenkonflikt zu befürchten ist.
Diese Regelung ist ein Eingriff in das Grundrecht der
freien Berufsausübung in Artikel 12 des Grundgesetzes.
Deswegen muss sie verhältnismäßig sein und auch klug
angewandt werden. Wir sind sicher, dass das mit dieser
Regelung gelingt. Wir setzen auf eine flexible Regelung
und auf einen transparenten Entscheidungsprozess. Ich
bin mir sicher: Die Regelung wird später schon allein dadurch Wirkung entfalten, dass es sie gibt. Dadurch wird
manche Überlegung, nach dem Ende der Amtszeit eine
Tätigkeit anzustreben, von der man weiß, dass sie nicht
genehmigt wird, erst gar nicht angestellt. Auch das wäre
ein Erfolg.
Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf, um dessen
weitere Beratung ich hiermit bitte, markiert das Ende
einer mehr als zehnjährigen Debatte über verbindliche
Regelungen für den Wechsel von Regierungsmitgliedern
in die Wirtschaft. Viele der hier vorgesehenen Regelungen wären wohl nicht nötig gewesen,
({0})
wenn sich manche in der Vergangenheit, gleich welcher
Partei sie angehören und welcher Bundesregierung sie
angehörten, anders verhalten hätten.
({1})
Hier würden uns bestimmt aus allen Fraktionen entsprechende Namen einfallen.
({2})
Deswegen bietet der Gesetzentwurf - das ist sozusagen
meine Bitte zum Schluss - keine Gelegenheit zu parteipolitischen Auseinandersetzungen. Das fällt im Zweifel
auf den, der etwas in der Richtung vorträgt, zurück.
({3})
Vielmehr bietet er Anlass zu guter Beratung und zu einer
breiten Zustimmung. Ich hoffe, dass wir diese sehr komplizierte Angelegenheit damit befrieden können.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Halina
Wawzyniak von der Linken das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Wir reden über den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung einer Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder. Sie nennen das eine gesetzliche Regelung. Ich nenne das Selbstverpflichtung zu einem
Verfahren; mehr ist das leider nicht. Die vorliegende Regelung, die nicht mehr ist als eine Selbstverpflichtung,
weist mindestens vier grundlegende Probleme auf.
Ich fange an mit der willkürlichen Festlegung von
Fristen. Sie haben eben auf den Verhaltenskodex der
EU-Kommission verwiesen. Tatsächlich ist es aber so:
Eine Frist von einem Jahr ist der Regelfall. Innerhalb
dieser Frist ist eine Anzeige zu erstatten, wenn man
wechseln möchte. In Ausnahmefällen beträgt die Frist
18 Monate. Ich habe mich allerdings immer gefragt: Wie
kommen die eigentlich auf diese Fristen? Denn es gibt
überhaupt kein sachlich fundiertes Kriterium für diese
Fristen. Man muss sich schon fragen: Haben Sie gelost?
Haben Sie gewürfelt? Haben Sie Stöckchen geschmissen? - Ich weiß es nicht.
Die zentrale Problemnorm in Ihrem Gesetzentwurf ist
§ 6 b, in dem in jedem Absatz Probleme auftreten. Sie
haben beispielsweise formuliert: Wenn man anzeigt,
dass man wechseln will, dann besteht die Möglichkeit
der Untersagung der Erwerbstätigkeit bzw. Beschäftigung. Nach dem Gesetzentwurf soll das möglich sein
- ich zitiere -, „soweit zu besorgen ist, dass durch die
Beschäftigung öffentliche Interessen beeinträchtigt werden“. Das ist eine abstrakte Formulierung, die so weit
okay ist. Dann versuchen Sie aber, diese abstrakte Formulierung mit einer Insbesondere-Formulierung zu unterlegen. Diese ist für die Juristen hochspannend, weil
sie zwei Alternativen enthält.
Die erste Alternative ist echt super. Ich hätte mich gar
nicht aufregen müssen, weil hier ganz klare Kriterien
gelten. Die erste Alternative besagt: Die Karenzzeit ist
einzuhalten, wenn eine Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses zu befürchten ist. Das ist dann der Fall,
wenn die zukünftig angestrebte Beschäftigung „in Angelegenheiten oder Bereichen ausgeübt werden soll, in
denen das ehemalige Mitglied der Bundesregierung
während seiner Amtszeit tätig war“. Das ist klar und
nachvollziehbar. Das wird dem Spannungsverhältnis
zwischen Berufsfreiheit sowie - wie es im Gesetzent9578
wurf heißt - „Lauterkeit und Integrität des Regierungshandelns“ gerecht. Wir haben einen Tatbestand und eine
Rechtsfolge - alles super. An dieser Stelle hätten Sie
Schluss machen können, haben Sie aber nicht. Sie haben
in § 6 b Absatz 1 noch Ziffer 2 eingefügt, die offensichtlich jemand geschrieben hat, der nach der Devise verfährt: So schwammig wie möglich, damit es überhaupt
nicht zutrifft. - In Ziffer 2 heißt es: Die Karenzzeit soll
eintreten, wenn „das Vertrauen der Allgemeinheit in die
Integrität der Bundesregierung beeinträchtigt werden
kann“. Das klingt irre radikal. Ich dachte zuerst, dass Sie
das übernommen haben, was wir sagen. Wenn es eine
Verquickung gibt, dann muss eine Karenzzeit eingehalten werden. Aber Sie haben mir in der Fragestunde gesagt, dass Sie das nicht meinen. Das heißt, diese irre radikal klingende Formulierung ist am Ende ein
Gummiparagraf, der niemandem nützt.
({0})
- Herr Beck, ich komme gleich dazu, Ihnen im Detail zu
erklären, was die richtige, juristisch saubere und nicht
populistische Formulierung gewesen wäre.
Die Entscheidung über eine Karenzzeit soll in einem
beratenden Gremium getroffen werden. Die Mitglieder
werden im Übrigen nicht vom Bundestag gewählt, sondern irgendwie ernannt. Das beratende Gremium bestimmt dann: Okay, wir finden, es sollte eine Karenzzeit
geben. Die Bundesregierung sagt dann: „Ja, finden wir
auch“, oder sagt: „Nein, finden wir nicht“, und dann gibt
es eine Karenzzeit oder auch nicht. Das Parlament bleibt
außen vor. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung. Es gibt also keinen klaren Tatbestand und keine
klare Rechtsfolge.
Der letzte Punkt, auf den ich hinweisen will, betrifft
die Frage des Übergangsgeldes. Sie haben folgende Regelung getroffen: Wenn das Übergangsgeld nicht so
lange gezahlt wird, wie die Karenzzeit dauert, muss das
Übergangsgeld länger gezahlt werden. Mit Blick auf die
Berufsfreiheit ist diese Regelung total richtig, in systematischer Hinsicht ist sie aber, ehrlich gesagt, Unsinn;
denn sie erhöht die Bereitschaft, nach dem Ausscheiden
aus dem Amt eine Tätigkeit in der Wirtschaft aufzunehmen. Ich finde, Sie hätten das Gesetz so nennen sollen:
Gesetz zur Regelung eines Verfahrens, wie die Bundesregierung im Ausnahmefall eine Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder aussprechen kann.
Die einzig sinnvolle und juristisch saubere Lösung
wäre, die Karenzzeit an die Dauer des Anspruchs auf
Übergangsgeld und die ressortmäßige Zuständigkeit zu
knüpfen. Man hätte einfach schreiben können: Wer in
seinem Ressort mit amtlichen Vorgängen befasst war,
die seinen künftigen Arbeitgeber betreffen, muss eine
Karenzzeit einlegen.
({1})
Demnächst geben wir Ihnen vielleicht auch noch Formulierungshilfe.
({2})
Das wäre jedenfalls eine klare gesetzliche Regelung, und
diese wäre wirklich angebracht.
({3})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Mahmut
Özdemir von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Aus Sicht der Opposition mag die heutige Debatte ungewöhnlich sein; denn wir sprechen heute nicht
über einen Antrag, sondern über einen Gesetzentwurf
der Bundesregierung, mit dem Karenzzeiten verbindlich
geregelt werden sollen. Damit schließen wir gesetzgeberisch eine Lücke, die uns aufgrund einer Vielzahl von
Gründen beschäftigt hat, aus Gründen der Transparenz,
aus Gründen der Vertraulichkeit und der Integrität von
Politik und nicht zuletzt aus Gründen des Schutzes des
Rechtsstaats und seiner hoheitlichen Kenntnis.
Vergegenwärtigt man sich rückblickend den Verlauf
dieser Debatte - von Regierungsprogrammen über Koalitionsverträge und anschließende Oppositionsanträge
bis hin zum fertigen Gesetzentwurf -, so stellt man fest:
Es bestand immer Einvernehmen über das Ob von Karenzzeiten. Nur über das Wie haben wir in der Sache
hart, aber stets respektvoll miteinander debattiert. Zunehmend erschwert wurde diese Diskussion durch sich
häufende Meldungen von ehemaligen und amtierenden
Regierungsmitgliedern, die ohne nennenswerten zeitlichen Abstand vom Regierungsamt in die Wirtschaft
wechselten. Spätestens an dieser Stelle kommt man nicht
mehr darum herum, sich vor Augen zu führen, weshalb
ein zeitlicher Abstand zwischen dem Regierungsamt und
einer neuen Tätigkeit bei einem privaten Arbeitgeber
sinnvoll und zweckmäßig ist.
Erstens. Wir wollen Kenntnisse und Entscheidungsnetzwerke des Regierungsamtes schützen, die auf Kosten des Steuerzahlers erworben wurden, und verhindern,
dass diese zu einem wirtschaftlichen Gut werden.
Zweitens. Wir wollen die betroffenen Regierungsmitglieder in die Lage versetzen, die angestrebte Tätigkeit
über jeden Zweifel erhaben und frei von Vorwürfen einer
Interessensverflechtung anzutreten. Wenn eine solche
Interessensverflechtung doch festgestellt wird, soll diese
Tätigkeit unterbunden werden können.
Drittens. Jetzt gilt es, sich vorzustellen, was von dieser Fachdebatte auf der Straße und in Ihren Wahlkreisen
in Erinnerung bleiben sollte. Meiner Meinung nach ist
die zentrale Botschaft dieses gesetzlichen Verbotsvorbehalts, dass die Politik offen und transparent ist und nicht
vor der Übermacht der Wirtschaft die Waffen streckt.
Mahmut Özdemir ({0})
Zur Erreichung dieser Ziele war es notwendig, in ein
Grundrecht einzugreifen, das zu den fundamentalen
Werten unserer Wettbewerbswirtschaft zählt, nämlich in
die in Artikel 12 unseres Grundgesetzes festgeschriebene Berufsfreiheit; der Minister hat das gerade gesagt.
Die Schwierigkeit bestand darin, sich nicht dem Vorwurf
eines grundrechtswidrigen Berufsverbots auszusetzen
und gleichzeitig nicht dem unbändigen Wechsel von der
Politik in die Wirtschaft Tür und Tor zu öffnen.
Letztlich erfolgt dieser Eingriff eben nicht aus Eitelkeit oder wegen des Neides derer, die kein lukratives
Angebot erhalten haben, sondern deshalb, weil unmittelbare Wechsel aus ethischer Sicht besonders geeignet
sind, das Ansehen der Politik zu beschädigen. Jenseits
der Eignung und Befähigung für den arbeitsvertraglich
vorgesehenen Einsatz ist die Besonderheit, Minister
oder Parlamentarischer Staatssekretär gewesen zu sein,
grundsätzlich gleichbedeutend mit der überlegenen
Sachkenntnis - negativ formuliert: Insiderwissen - und
zumindest konkludent verbunden mit dem Hintergedanken, zur Not fehlendes Hoheitswissen über entscheidende Netzwerke beschaffen zu können. Diesem Widerstreit unter Würdigung von Artikel 12 Grundgesetz
einerseits und verhältnismäßiger Anordnung eines
pragmatischen Prozesses andererseits wird der Gesetzentwurf vollumfänglich gerecht. Schon während der Anbahnung eines Vertragsverhältnisses außerhalb des öffentlichen Dienstes wird eine Anzeigepflicht ausgelöst,
die im Zweifel für das betroffene Regierungsmitglied die
größte Hemmschwelle darstellt; denn unterbleibt die Anzeige, verhält sich das Regierungsmitglied rechtswidrig.
Scheitern die Vertragsverhandlungen, so würde zu
dem potenziellen Titel „Minister a. D.“ noch ein „in spe“
hinzukommen. Diese Obliegenheit der Anzeige besteht
für amtierende und bereits ausgeschiedene Regierungsmitglieder, vom Amt des Kanzlers bis zum Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs oder der Staatssekretärin,
für einen Zeitraum von 18 Monaten gleichermaßen.
Über die Anzeige entscheidet die Bundesregierung als
Kollegialorgan abschließend, nachdem zuvor ein nach
dem Vorbild der europäischen Ethikkommission entsprechend einzurichtendes Beratergremium, besetzt mit
Personen, die an der Spitze von staatlichen oder gesellschaftlichen Institutionen gestanden haben, eine Empfehlung abgegeben hat.
Am Ende steht jedoch die Entscheidung, ob eine Interessensverflechtung zwischen der Tätigkeit in der Bundesregierung und der angestrebten neuen Tätigkeit attestiert werden kann. Dies löst wiederum die Rechtsfolge
aus, dass für einen Zeitraum von in der Regel bis zu
12 Monaten und in besonderen Fällen von bis zu 18 Monaten die angestrebte Tätigkeit untersagt werden kann.
Das ist ein Grundrechtseingriff in sachlicher und zeitlicher Hinsicht, der vom Gesetzgeber behutsam und sensibel vorgenommen wird, der sich allerdings auch auf besonders wichtige staatspolitische Gründe stützt und nicht
zuletzt das Vertrauen in die Unbestechlichkeit und Unabhängigkeit der Politik sicherstellt. Diesem Vertrauen
wird künftig durch die Anzeige des betroffenen Regierungsmitglieds, ob Kanzler oder Kanzlerin, Minister
oder Ministerin, Parlamentarischer Staatssekretär oder
Staatssekretärin, Rechnung getragen.
Damit das Vertrauen niemals enttäuscht wird, wachen
letztlich staatliche Gerichte über diese Entscheidung der
Bundesregierung. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des
Bundesverwaltungsgerichtes garantiert wiederum eine
stets einheitliche Rechtsprechung. Ebendiese Zuständigkeit wird gerade auch der Tatsache gerecht, dass es sich
bei den Betroffenen, die der Entscheidung unterworfen
werden, und denen, die die Entscheidung treffen, letztlich um Verfassungsorgane handelt. Dies zeigt, dass die
zeitliche und sachliche Dimension zwangsläufig nur einheitlich zu regeln ist, weil die zeitliche Dimension nur
eine Folgewirkung darstellt. Verlängerte man grundrechtlich gesprochen den zeitlichen Eingriff, so wie Sie
es wollen, also verlängerte man die Dauer der Abkühlphase, um die Attraktivität des zu rekrutierenden Regierungsmitgliedes für den privaten Arbeitgeber zu
schmälern, so würde das gleichermaßen einen unverhältnismäßigen Eingriff in den persönlichen und sachlichen
Schutzbereich der Berufsfreiheit bedeuten.
({1})
- Dazu komme ich noch.
Schließlich haben auch wichtige und strategische
Kenntnisse nur eine gewisse Halbwertzeit. Letztlich soll
die Karenzzeit kein Berufsverbot auf Ewigkeit sein. Daher ist es eine gute Lösung, ein unabhängiges Gremium
diese Entscheidung zumindest auf Sachebene vorbereiten
zu lassen, damit eine Interessensverflechtung analysiert
werden kann. Denn so einfach sich das Wort „Interessenverflechtung“ ausspricht, so subtil und so vielschichtig
könnte sie sich darstellen. Nicht immer muss der ressortaffine Wechsel zugleich eine Interessenverflechtung
aufgrund des Zukaufs von Hoheitswissen sein. Ebenso
wenig darf bei einem ressortfremden Wechsel von vornherein ein Ausschluss stattfinden.
Die Einführung von Karenzzeiten ist eine Gesetzesänderung, die simpel anmutet, aber verfassungsrechtlich
aufgeladen ist. Genauso wie jede andere Gesetzesnovellierung kostet diese Geld. Jedoch handelt es sich hierbei
um Haushaltsmittel, die wir in die Unbestechlichkeit und
Integrität unserer Demokratie investieren. Im Einzelnen
wird der Haushalt gegebenenfalls durch eine Verlängerung des Anspruchs auf Übergangsgeld für das Regierungsmitglied belastet, also bei Anordnung einer Karenzzeit, die über den Anspruch auf Übergangsgeld
- dieser besteht für 12 bis 18 Monate - hinausgeht.
Ferner erfolgt eine Belastung durch die Einrichtung des
Beratergremiums, also durch Aufwandsentschädigung
sowie Reisekosten der Mitglieder.
Diese vielen Kleinigkeiten und noch viele mögliche
Differenzierungen zeigen: Auch die Opposition konnte
den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Rechtsverhältnisse von Bundesministern und Parlamentarischen Staatssekretären nicht schneller vorlegen.
({2})
Mahmut Özdemir ({3})
Die abgegriffene Maxime von Gründlichkeit vor Schnelligkeit hat daher in ihrem Sinngehalt nichts eingebüßt.
Mit eben jener Gründlichkeit gilt es jedoch, parlamentarisch sowie in den Fraktionen und Parteien weiterhin
Ansätze zu entwickeln, die das Ansehen der Politik und
das Vertrauen in die Integrität und Transparenz von
Mandatsträgern zusätzlich stärken.
In gerade einmal 18 Monaten hat diese Koalition unter maßgeblicher Beteiligung der SPD die Abgeordnetenbestechung im Strafgesetzbuch umfassend und zeitgemäß reformiert. Die Herstellung von Öffentlichkeit
beim Einsatz von Externen in der öffentlichen Verwaltung wird konstant vorangetrieben. Die Offenlegung von
Nebeneinkünften hat mit einer feingliedrigeren Einteilung eine neue Stufe der Bekanntgabe erreicht. Mit der
Einführung von Karenzzeiten wird dieser Maßnahmenkatalog zur Transparenz vorerst komplettiert, ich betone:
vorerst.
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ging alles nicht schnell genug. Nun liegt eine vorbildliche Gratwanderung in Gestalt eines Gesetzentwurfes vor, der die Notwendigkeit einer Regelung für
Interessensverflechtungen von Regierungsmitgliedern
mit der Berufsfreiheit in Einklang bringt.
Nach gut 15 Jahren Debatte erreichen wir eine neue
Stufe der Abwägung von Vertrauen und Kontrolle bei
Wechseln von der Politik in die Wirtschaft. Trotz aller
politischen Differenzen haben wir in diesem Gesetzentwurf den größtmöglichen Konsens im Deutschen Bundestag zusammengetragen. Jede weitere Kritik im Hinblick auf die Verlängerung der Dauer einer Karenzzeit
und einer entsprechenden beruflichen Sanktionierung
entbehrt verfassungsrechtlicher Grundlagen.
Ich verdeutliche abschließend erneut: Einzelne Regierungsmitglieder und das Kollegialorgan als solches vor
Vorverurteilungen zu schützen, ist gleichrangig mit dem
Ziel, ein geordnetes gesetzliches Prüfverfahren für einen
Wechsel in die Privatwirtschaft zu etablieren. Nur so
kann das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die
Politik im Allgemeinen und in die Regierung im Besonderen zusätzlich gestärkt und der Verdacht einer voreingenommenen Amtsführung auf den letzten Metern beseitigt werden, bevor er medial schlagartig aufkommt.
Der Debatte im Innenausschuss sehe ich mit der entsprechenden Vorbereitung entgegen. Ich bin bereit, für
meine Fraktion das Notwendige zu tun, um diesen Prozess weiter zu verfolgen und nunmehr zu beschleunigen,
bin aber natürlich gerne bereit, alle Fraktionen in diesem
Hause bei diesem Prozess mitzunehmen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und
schließe mit: Glück auf!
({4})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Britta
Haßelmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe
Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Meine
Kolleginnen und Kollegen! Herr Özdemir, ich muss Sie
korrigieren. Sie haben gesagt, hier im Plenum sei es nie
um das Ob, sondern immer nur um das Wie gegangen.
Ich rate Ihnen dringend, sich einmal die Redebeiträge
der Debatte vom 16. Januar 2014 anzusehen. In ihnen
haben uns die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag noch ganz einmütig erklärt, dass es keine gesetzliche Karenzzeit geben muss, sondern dass eine Selbstverpflichtung ausreicht.
Diese Erklärungsfigur - so nenne ich sie einmal - hat
einen ganzen Tag gehalten. Nachdem das Kabinett selbst
geprüft hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass
eine Selbstverpflichtung für Regierungsmitglieder keinen Rechtsrahmen bietet, wussten auch Sie alle, dass es
zu einer gesetzlichen Karenzzeit kommen muss und dass
es gar nicht anders geht, als dies für Regierungsmitglieder und Staatssekretäre gesetzlich zu regeln. Eine Selbstverpflichtung reichte keinesfalls aus. Ich bin froh, dass
jetzt auch Sie zu dieser Einsicht gekommen sind.
({0})
Meine Damen und Herren, in der Tat ist heute ein guter Tag. Endlich, nach über zehn Jahren Debatte im
Deutschen Bundestag, kommen wir zu einem Ergebnis.
Wir haben in der Vergangenheit sehr darüber gestritten,
ob es überhaupt die Notwendigkeit einer gesetzlichen
Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder gibt.
Dabei ist es doch selbstverständlich, dass sie in einen Interessenkonflikt kommen können, wenn sie aus ihrer
ehemaligen Funktion, die sie in der Regierung hatten, in
eine Funktion in der Privatwirtschaft wechseln.
Zu Recht ist dieses Thema in der Öffentlichkeit kritisch aufgestoßen. Zu Recht ist in der Öffentlichkeit kritisch hinterfragt worden: Welches Wissen aus der Zeit in
einer Regierungsfunktion nimmt jemand in eine neue
Funktion in der Wirtschaft mit? Muss es da nicht eine
gewisse Karenzzeit geben? Das waren berechtigte Fragen, die öffentlich gestellt und thematisiert wurden.
Auch wir Grüne haben seit 2005 versucht, dieses Thema
hier im Plenum durch Anträge und Initiativen voranzutreiben. Das ist bisher nicht gelungen. Heute ist also ein
guter Tag, weil wir jetzt endlich über eine gesetzliche
Grundlage für eine Karenzzeit reden. Da ich bin auch
mit Ihnen einig: Ja, es wird eine gesetzliche Karenzzeit
geben, und das ist gut und richtig. Darüber freue ich
mich; denn das ist inhaltlich überfällig.
Wir haben am 16. Januar 2014 hier im Plenum aus aktuellem Anlass über dieses Thema gesprochen. Damals
ging es um den vorhin schon erwähnten Ronald Pofalla,
der einen Wechsel zur Bahn anstrebte, sozusagen von
der Regierungsbank - er war Kanzleramtsminister - in
den Vorstand der Deutschen Bahn. Das hat für große öffentliche Aufregung gesorgt. Da war klar: Dieser Zustand ist so nicht mehr zu halten. Danach gab es viele
weitere Situationen.
In diesem Punkt stimme ich wieder nicht mit Ihnen
überein: Hätten Sie nicht so lange laviert und blockiert,
auch in der Großen Koalition - wir diskutieren ja seit Januar 2014 darüber -, dann wäre uns der eine oder andere
Wechsel, den wir in den letzten Monaten erlebt haben,
vielleicht etwas klarer geworden, Herr Özdemir. Ich
weiß es noch genau: Der Tag, als Herr de Maizière den
Gesetzentwurf hier in der Regierungsbefragung vorgestellt hat, war der Tag, an dem Katherina Reiche beschloss, als Hauptgeschäftsführerin zum VKU zu wechseln; somit wird sie nun wohl nicht mehr unter die
gesetzliche Regelung fallen. Von daher hätte etwas weniger Blockade vonseiten der Union und der SPD uns allen gutgetan.
Jedenfalls ist es richtig, dass es jetzt endlich zu einem
Gesetz kommt.
({1})
Wir werden im Gesetzgebungsverfahren an verschiedenen Punkten noch Dinge thematisieren, die so eindeutig
nicht sind: Wie wird denn der Ausnahmefall definiert,
Herr Minister? Sie haben ja vorhin darüber gesprochen:
Im Regelfall sollen 12 Monate, im Ausnahmefall 18 Monate gelten. Warum keine generelle Regelung mit 18
Monaten, wie sie das EU-Parlament seit Jahren praktiziert und mit der es gute Erfahrungen gesammelt hat?
Wo wollen Sie die Grenze ziehen? Nach welchen Kriterien sollen die einen 12 Monate, die anderen 18 Monate
Karenzzeit haben müssen? Wie wollen Sie das definieren? Wie setzt sich die Kommission zusammen? Was
sind das für beratende Mitglieder, die dort tätig sein sollen? Wie und in welchem Zeitrahmen wird das Ganze
diskutiert? Wie lange dauert es, bis man sich mit einem
Fall beschäftigt und eine Empfehlung ausgesprochen
hat, sodass das Kabinett dann eine entsprechende Entscheidung treffen kann? Was ist mit der Veröffentlichungspflicht? In welcher Art und Weise findet das statt,
und wie wirkt sich das auf den direkten Wechsel aus?
Das sind alles Themen, meine Damen und Herren, die
wir im Gesetzgebungsverfahren diskutieren werden.
Aber, Herr Özdemir, was mich irritiert, ist, dass Sie jetzt
schon sagen, dass alles so bleibt, wie es ist. Ihr ehemaliger Fraktionsvorsitzender, den ich sehr geschätzt habe,
hat doch immer gesagt: Das eine ist der Gesetzentwurf,
der ins parlamentarische Verfahren geht; die Entscheidung aber liegt dann natürlich beim Parlament.
Vielleicht können wir Sie ja an der einen oder anderen
Stelle überzeugen, dass dieser Gesetzentwurf noch ein
paar Veränderungen vertragen kann,
({2})
zum Beispiel im Hinblick auf die Karenzzeit; ich denke
da an die 18-Monate-Regelung, die das EU-Parlament
praktiziert und mit der es gute Erfahrungen gesammelt
hat.
Ich bin froh, dass der Druck gewirkt hat und es zu einer gesetzlichen Karenzzeit kommt. Daran führt jetzt
kein Weg mehr vorbei. Ich freue mich auf die Beratung.
({3})
Vielen Dank. - Jetzt hat Helmut Brandt von der CDU/
CSU das Wort als letzter Redner in dieser Debatte.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bundesregierung hat - wie schon im Koalitionsvertrag vereinbart - nicht nur versprochen, eine
Regelung vorzunehmen, sondern sie hat auch geliefert:
Der Bundesinnenminister selbst hat heute einen Gesetzentwurf eingebracht.
Der Gesetzentwurf, um den es hier und heute geht,
betrifft insbesondere - das ist ja schon erwähnt worden Minister, Ministerinnen und Parlamentarische Staatssekretäre. Es war nach meiner, nach unserer Auffassung
das gute Recht der Bundesregierung, hier selbst einen
Lösungsvorschlag zu unterbreiten. Deshalb war es richtig, auf diesen Entwurf zu warten. Ich muss ganz ehrlich
sagen: Ich kann nicht erkennen, dass es in dieser Legislaturperiode bis zur Vorlage des Entwurfs unverhältnismäßig lange gedauert hätte. Ich muss Ihnen auch sagen:
Einen wirklich dringenden Grund, das von heute auf
morgen zu regeln, gab und gibt es nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Wechseln
von ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretären und
Ministern gerät - das ist ja hier mehrfach erwähnt worden - dieses Thema immer wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Vor dem Hintergrund, dass bei solchen
Wechseln die Wellen regelmäßig hochschlagen, begrüße
ich - das muss ich ganz ehrlich sagen - letztlich natürlich auch diese Regelung; aber nach meiner Einschätzung hätte auch eine andere Regelung Platz greifen können.
Mit diesem Gesetzentwurf soll schon der Eindruck
verhindert werden, dass spätere Karriereaussichten Einfluss auf die Amtsführung haben könnten oder durch die
private Verwertung von Amtswissen nach Beendigung
des Amtsverhältnisses das Vertrauen der Allgemeinheit
in die Integrität der Bundesregierung beeinträchtigt
werde.
Tatsächlich - das ist sicher unstreitig - verfügen Regierungsmitglieder in der Regel über besonderes Insiderwissen und Informationen, die für Unternehmen wichtig
sein können und ihnen gegebenenfalls auch Vorteile gegenüber der Konkurrenz verschaffen. Dass aus diesem
Grund möglicherweise Bedenken in Verbindung mit einem Wechsel von der Politik in die Wirtschaft aufkommen, soll künftig gänzlich vermieden werden.
Eines lassen Sie mich jedoch ganz deutlich sagen:
Das ist der Hintergrund des vorliegenden Gesetzentwurfs, und nur das! Die Debatte darüber, dass Politiker
ab und an verantwortungsvolle Positionen in der Wirtschaft annehmen, ist oft - den Eindruck hatte man - aus
Neid geführt worden. Wir wollen somit Wechsel mit dieser Regelung nicht unmöglich machen. Ein Wechsel
muss möglich bleiben.
Zum einen ist die Politik ein Mandat auf Zeit. Für die
allermeisten Politiker gibt es ein Davor und ein Danach.
Allein die Tatsache, dass ein Politiker aufgrund seines
Wissens und seiner Kontakte eine Stelle als Unternehmens-, Verbands- oder NGO-Lobbyist bekommt, ist für
mich per se nicht anstößig. Eine Pflichtkarenzzeit, wie
von der Linken angeregt und beantragt, scheidet deshalb
nach meiner Auffassung gänzlich aus.
({0})
- Ja, wir kommen noch im Ausschuss auf Ihre Bedenken, die ich in keinem Punkt teile, die ich auch für gekünstelt halte, so wie Sie sie eben vorgetragen haben, zu
sprechen.
Zum anderen: Wenn Lobbyismus ein wichtiger und
zu Recht anerkannter Faktor in der Demokratie und der
Politik ist, dann muss auch akzeptiert werden, dass prominente Vertreter zwischen Politik und Wirtschaft wechseln. Deshalb, meine Damen und Herren, ist dieses Gesetz zwar wichtig, um diese von allen Vorrednern schon
dargestellte Situation künftig zu vermeiden, es muss
aber auch ausgewogen sein. Ausgewogenheit ist der Regierung mit diesem Gesetzesvorschlag meiner Auffassung nach gelungen. Jeder, der sich damit beschäftigt,
weiß - auch das ist eben schon einmal angeklungen -:
Ein solcher Eingriff in die Berufsfreiheit, in das Grundrecht gemäß Artikel 12 des Grundgesetzes, muss einer
Abwägung unterliegen. Nicht jeder Fall ist gleich, deshalb eben auch keine starren Karenzzeiten. Vielmehr
muss und soll das von Fall zu Fall und je nach Betroffenheit entschieden werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht
kann ich denen, die dargestellt haben, dass ihnen die vorgesehenen Fristen als nicht ausreichend erscheinen, noch
Folgendes sagen: Wir betonen immer wieder, dass ein
Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft möglich sein
und möglich bleiben muss. Wenn das aber ernst gemeint
ist, dürfen wir diesen Weg nicht durch starre und unverhältnismäßig lange Karenzzeiten blockieren; denn
Wechsel finden nicht nur von der Politik in die Wirtschaft, sondern auch in umgekehrter Richtung statt. Welche Managerin, welcher Manager eines erfolgreichen
Unternehmens wäre wohl noch bereit, in ein in der Regel
schlechter dotiertes öffentliches Amt zu wechseln, wenn
sie oder er im Anschluss daran für eine Zeit von drei
Jahren, wie wohl in Ihren Vorschlägen, Frau Haßelmann,
immer vorgesehen, beruflich aussetzen müsste?
Darauf aufbauend, liebe Kolleginnen und Kollegen,
möchte ich Ihnen zum Schluss meiner Rede noch einen
kleinen Denkanstoß mit auf den Weg geben und die
heute geführte Diskussion mit der Frage verknüpfen:
Welche Art von Politiker wollen wir eigentlich? Von
Parteiapparaten abhängige Berufspolitiker, die in ihrem
Leben nie oder kaum einer Arbeit außerhalb der Politik
nachgegangen sind und deren weiteres Fortkommen somit von dem nächsten sicheren Listenplatz oder der Aufstellung im richtigen Wahlkreis abhängt? Ist ein solches
Mandat - die sicherlich zugespitzte pointierte Darstellung sei einmal erlaubt - dann überhaupt noch in dem
Maße frei, wie es das Grundgesetz fordert? Oder wollen
wir Abgeordnete, Parlamentarische Staatssekretäre und
Minister, die sich auch außerhalb von Parlamenten bewiesen und durchgesetzt haben und so immer wieder
neue Erfahrungsschätze und Perspektiven in die Politik
einbringen? Ein selbstkritischer Blick über Fraktionsgrenzen hinweg kann hier sicherlich nicht schaden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte den vorliegenden Gesetzentwurf - Sie werden es gemerkt haben schon jetzt für ausgewogen. Dennoch freue ich mich
auch auf die Beratungen. Wir werden da vielleicht das
eine oder andere noch vertieft diskutieren können
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/4630 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg,
Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Solidarität zeigen - Aufnahme von syrischen
und irakischen Flüchtlingen ausweiten
Drucksachen 18/3154, 18/4163
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang
Gehrcke, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Humanitäre Hilfe und Flüchtlingsschutz für
Jesiden, Kurden und andere Schutzbedürftige im Norden des Irak und Syriens
Drucksachen 18/2742, 18/4417
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Andrea Lindholz von der CDU/CSU das Wort.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Bürgerkrieg in Syrien ist zur schlimmsten humanitären Katastrophe unserer Zeit geworden. Über 220 000
Menschen sind seit Ausbruch des Krieges gestorben.
Mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist heute
auf der Flucht und auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Rund 4 Millionen Syrer haben das Land verlassen, und
weitere 7,6 Millionen gelten als Binnenflüchtlinge im eigenen Land und befinden sich teilweise außerhalb der
Reichweite jeder internationalen Hilfe.
Syrien ist als Staat heute im Grunde nicht mehr existent. Die Oppositionsbewegungen, bestehend aus Leuten
der Muslimbruderschaft, Liberalen, Kommunisten, Kurden, arabischen Stämmen und Assyrern, hat einen
schweren Stand. Der Terror der IS und die nicht weniger
brutalen Truppen des Assad-Regimes massakrieren die
Zivilbevölkerung. Mit der Al-Nusra-Front als Ableger
von al-Qaida gibt es einen weiteren unberechenbaren
Akteur in diesem ohnehin unübersichtlichen Konflikt.
Auch viele ausländische Kräfte üben ihren Einfluss in
Syrien aus.
Was kann Deutschland angesichts dieser extrem
schwierigen Lage also tun, um das Leid des syrischen
Volkes zu lindern? Wir können natürlich, wie im Antrag
gefordert, syrischen Flüchtlingen in Deutschland Asyl
gewähren. Genau das tut Deutschland längst, und zwar
in einem Ausmaß wie kein anderes Land außerhalb der
Region.
Seit Beginn des Krieges hat Deutschland über
100 000 Syrern Schutz gewährt. Deutschland hat als einziges Industrieland substanzielle Sonderprogramme beschlossen, über die 30 000 besonders schutzbedürftige
Syrer hierher ausgeflogen werden. Deutschland ist auch
bereit, noch mehr Verantwortung für die syrischen
Kriegsflüchtlinge zu übernehmen. Einher gehen muss
dies aber mit einem europäischen Konsens über ein gemeinsames EU-Kontingent. Das aktuell im Rahmen des
Zehn-Punkte-Plans diskutierte Kontingent von über
5 000 Plätzen ist sicherlich nur ein kleiner Fortschritt.
Allein die bisherigen rein deutschen Sonderkontingente
sind schon sechsmal größer. Europa könnte und Europa
sollte viel mehr leisten.
({0})
Sonderprogramme allein stellen aber keine nachhaltige Lösung dar. Natürlich freue auch ich mich über die
vierköpfige syrische Familie, die in meinem Wahlkreis
Obdach gefunden hat und freundlich aufgenommen
wurde. Die Kinder können heute wieder zur Schule und
zum Fußballverein gehen, die Eltern bekommen
Deutschunterricht und finden hoffentlich bald Arbeit.
Gleichzeitig denke ich aber an ein Bild, über das uns
Entwicklungsminister Müller - mit „uns“ meine ich die
CDU/CSU-Fraktion - am Montag berichtet hat. Gerd
Müller traf in den vergangenen Wochen in einem Flüchtlingslager in Jordanien auf eine Frau, deren Mann im
Krieg umgekommen ist. Ihre neun Kinder muss sie heute
alleine versorgen. Sie muss irgendwie jeden Monat
100 Euro nur für ein Dach über dem Kopf aufbringen. Das sind nur zwei Beispiele von vielen.
Wir dürfen nicht vergessen: Über 11 Millionen Syrer
brauchen Hilfe. Hinzu kommen viele weitere Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika. Die Vereinten
Nationen schätzen, dass weltweit über 50 Millionen
Menschen auf der Flucht sind. Wer behauptet, diese
größte Flüchtlingskatastrophe seit Ende des Zweiten
Weltkrieges ließe sich mit Sonderkontingenten und Programmen zur Neuansiedlung in Deutschland beheben,
der verkennt die Realität, sowohl in den deutschen Kommunen als auch in den Herkunftsländern.
({1})
Angesichts des gewaltigen Ausmaßes der Katastrophe in Syrien ist die Hilfe vor Ort wichtiger als jedes
Kontingent. Alle syrischen Flüchtlinge brauchen Hilfe.
Das Deutsche Rote Kreuz ist in der Lage, mit einer
Spende in Höhe von 99 Euro eine fünfköpfige Familie
drei Monate mit Nahrung zu versorgen. Wir müssen uns
daher gut überlegen, wie wir unsere begrenzten Hilfsmittel einsetzen.
Die Bundesregierung hat längst die richtige Entscheidung getroffen und den Schwerpunkt ihres Engagements
auf die Hilfe vor Ort gelegt. Von Anfang an gehörte
Deutschland weltweit zu den größten Geldgebern in der
Syrien-Krise. Seit 2012 hat die Bundesregierung rund
1 Milliarde Euro für Hilfe in der Region zur Verfügung
gestellt. Weitere 500 Millionen Euro wurden bis 2017
zugesagt. Unser THW hilft in Flüchtlingslagern mit lebensnotwendigen Infrastrukturen.
Ich plädiere daher auch heute dafür, den Fokus der
Hilfe weiter in der Region zu belassen. Wir können nicht
alle syrischen Flüchtlinge bei uns aufnehmen. Ein koordinierter Einsatz der europäischen Entwicklungshilfe
kann dazu beitragen, die ganze Region zu stabilisieren.
Die Anrainerstaaten Libanon, Jordanien, Irak oder Türkei leisten extrem viel, und auch sie brauchen dringend
unsere Unterstützung. Dort muss die wahre Flüchtlingskrise bewältigt werden. Mit seiner Sonderinitiative
„Fluchtursachen bekämpfen - Flüchtlinge reintegrieren“
hat Bundesentwicklungsminister Müller gezeigt, wie
man Fluchtursachen überwinden, die Aufnahmegebiete
unterstützen und Reintegration fördern kann.
Eine Aufnahme in Deutschland kann nur im Einzelfall helfen. Wir versperren uns dem auch nicht grundsätzlich. Aber bevor wir beschließen, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, sollten wir die aktuell stattfindenden
Verhandlungen in Brüssel abwarten. Weitere deutsche
Aufnahmeprogramme müssen endlich Teil einer europäischen Antwort sein. Deshalb werden wir den heute
vorliegenden Anträgen auch nicht zustimmen.
Das grundlegende Problem werden wir nur dann lösen, wenn es endlich gelingt, den Konflikt einzudämmen
und Syrien einen Weg zu Frieden und Stabilität zu eröffnen. Vielleicht kann die sich jetzt abzeichnende Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Iran und der
westlichen Welt eine Chance für Frieden in Syrien sein.
Wir müssen jede Chance nutzen.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Ulla Jelpke
von der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollegin Lindholz, Sie haben ja recht, wenn Sie sagen, dass
man sehr viel für die Flüchtlinge tun muss, sowohl in
den Anrainerstaaten, wo ja die Zustände katastrophal
sind, aber, wie ich meine, eben auch in Deutschland.
Man sollte nicht immer so tun, als wenn Deutschland
nicht mehr machen könnte. Ich gebe Ihnen auch gerne
darin recht, dass auch andere EU-Staaten mehr tun müssen. Aber so zu tun, als wären unsere Kapazitäten völlig
erschöpft, halte ich für absolut falsch und auch für keine
besonders humanitäre Geste angesichts der Situation in
vielen dieser Länder.
({0})
Meine Damen und Herren, wir beraten heute auch einen Antrag der Linken. Es geht darin um die humanitäre
Hilfe und den Flüchtlingsschutz für Jesidinnen und Jesiden. Viele erinnern sich an die schrecklichen Ereignisse
vom letzten Sommer, als der mörderische sogenannte Islamische Staat insbesondere in Schengal die Nichtgläubigen, also die Jesidinnen und Jesiden, angegriffen hat.
Vor allen Dingen in dieser Region wurden Tausende von
Frauen verschleppt, vergewaltigt und versklavt. Viele Jesidinnen und Jesiden konnten überhaupt nur durch das
Eingreifen kurdischer Milizen gerettet werden. Diese haben einen Korridor erkämpft und viele Tausende aus
Schengal herausgeholt.
({1})
- Nein, nicht ohne Waffen, Kollege. Sie hatten sehr wohl
Waffen, wie wir wissen. - Jedenfalls hat es dort viele
Hilfen gegeben, und ich denke, dass man gerade auch
diesen Milizen dafür danken muss, dass sie durch ihren
Einsatz dort so viele Tausend Menschen gerettet haben.
({2})
Insgesamt muss man aber leider feststellen, dass sich
in dieser Region nichts geändert hat. Die meisten Jesiden
leben in Flüchtlingslagern. Nach wie vor wird Schengal
vom IS angegriffen; es werden Heiligtümer geschändet
und dem Erdboden gleichgemacht. Zurzeit sind viele
Flüchtlinge in Rodschawa bzw. im Nordirak, um dort
Schutz zu suchen. Diese Flüchtlinge brauchen auf jeden
Fall mehr Hilfe. Alle Berichte, die ich bekomme, besagen: Die Lage vor Ort ist katastrophal. Wenn nicht geholfen wird - das muss die internationale Gemeinschaft
machen, aber eben auch Deutschland -, dann sind das
die nächsten Flüchtlinge, die sich auf den Weg machen
und auf die Schiffe gehen, um nach Europa zu kommen.
Das kann nicht die einzige Alternative sein; denn die
Mehrheit gerade der Jesidinnen und Jesiden, die aus
Schengal kommen, will eigentlich in ihre Heimatregionen zurückkehren, wenn der mörderische IS das Land
dort nicht mehr besetzt hält.
Meine Damen und Herren, es geht auch nicht nur um
Geld. Die Bundesregierung muss auch politischen Druck
auf die Türkei und den Irak ausüben.
({3})
Insbesondere Syrien unterliegt dem Embargo. Viele
Hilfsgüter kommen dort gar nicht an. Deswegen müssen
endlich Grenzen geöffnet werden, damit die Flüchtlinge
entsprechend versorgt werden können und nicht die
ärmsten Regionen alleine mit den Flüchtlingen dastehen.
Ich will auf diesen Punkt noch näher eingehen. Es
gibt einige Initiativen der Bundesländer. BadenWürttemberg zum Beispiel will 500 Jesidinnen aufnehmen. Ich finde, das ist ein gutes Beispiel, dem andere
Länder folgen sollten. So könnte Frauen, die schwer
traumatisiert sind, hier vor Ort geholfen werden. Sie,
Frau Lindholz, haben eben auch gesagt, dass Einzelfallentscheidungen notwendig sind, dass individuell entschieden werden muss. Auch wenn es in diesem Fall um
eine Gruppe geht, wäre genau hier Hilfe notwendig. Ich
appelliere nicht nur an den Bund, sondern auch an die
Länder, an dieser Stelle aktiv zu werden.
Ich gibt zurzeit noch ein weiteres großes Problem.
Viele Flüchtlinge, die hierhergekommen sind, haben ihre
Familien in den Ländern, zum Beispiel im Irak oder
auch in Syrien, zurückgelassen. Damit die Familien
nachziehen können, brauchen sie Visa. Ich will ein Beispiel nennen: Ein junger Mann, der hierher geflüchtet ist
und als Flüchtling anerkannt wurde, hat sich an mich
gewandt. Seine Frau hat Anfang des Jahres ein Kind
geboren. Er möchte seinen Sohn, den er bis heute nicht
gesehen hat, und sie hierherholen. Die Botschaften sind
zurzeit aufgrund schlechter Personalausstattung so überlastet, dass er erst einen Termin im Dezember bekommen hat.
({4})
Die Botschaft, die ich angeschrieben habe, bzw. das
Auswärtige Amt hat gesagt, das sei kein Notfall. Ich
finde es wirklich halbherzig, wenn Flüchtlinge so lange
warten müssen, bis ihre Familien nachziehen können,
die dadurch ja auch Gefahren ausgesetzt werden. Deswegen fordern wir Linke, endlich die Botschaften entsprechend auszustatten, damit nicht so viel Zeit vergeht,
bis Familien zusammengeführt werden können.
({5})
Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich
noch einen Punkt ansprechen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Sie
haben Ihre Redezeit schon weit überzogen.
Es ist mein letzter Satz. - Wir haben gestern ausführlich über die EU-Abschottungspolitik, insbesondere was
die Flüchtlinge aus Syrien und Irak betrifft, gesprochen.
Ich denke, wenn wir sichere Fluchtwege schaffen, dann
müssen wir die Flüchtlinge hier auch aufnehmen. Wir
können nicht, wie es eben schon anklang, dann die Grenzen dichtmachen.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Christina
Kampmann von der SPD das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als
ich am 17. Februar dieses Jahres zusammen mit meinen
Kollegen Jens Zimmermann und Thomas Hitschler eine
kleine Zeltsiedlung im Libanon nahe der syrischen
Grenze betrat, war das Erste, was wir sahen, Kinder,
viele kleine Kinder, die dort barfuß durch den Schnee
stapften. Nein, es waren keine 20 Grad und Sonne, es
hatte geschneit, und die Temperaturen lagen um den Gefrierpunkt. In vielen Zelten hatte es durchgeregnet, sodass zu der bitteren Kälte auch noch Feuchtigkeit kam,
die es mir unmöglich erscheinen ließ, dass man dort
wirklich leben konnte.
Den Flüchtlingen aus Syrien fehlt es am Nötigsten.
Das wissen wir alle. Vier von fünf Syrern leben inzwischen in Armut. Aber was heißt das eigentlich, wenn es
am Nötigsten fehlt? Wir hatten die Möglichkeit, mit
zwei Familien dort darüber zu sprechen. Sie haben uns
deutlich gemacht, was es eigentlich bedeutet, jeden Tag
Hunger zu haben und das wenige Essen, das man bekommt, mit der ganzen Familie teilen zu müssen, was es
bedeutet, den ganzen Tag zu frieren und abends eben
kein warmes Bett zu haben, sondern nur eine feuchte
Decke, die für die ganze Familie reichen muss.
Bei all diesen Dingen, die fehlen oder von denen es zu
wenig gibt, obwohl sie eigentlich dieses Nötigste, von
dem wir so oft sprechen, darstellen, gibt es dennoch etwas, das schlimmer als Hunger, Durst und Kälte zusammen ist. Das ist die fehlende Hoffnung auf eine Perspektive, die Menschen oft auch Unerträgliches ertragen
lässt. Für die syrischen Flüchtlinge gibt es diese Perspektive nicht. Die Sorge, dass dort eine verlorene Generation heranwächst, treibt, so glaube ich, uns alle hier an.
Lag die Alphabetisierungsquote in Syrien vor Beginn
der Krise noch bei 95 Prozent, so ist die Einschulungsquote heute eine der weltweit niedrigsten. Es fällt nicht
schwer, sich auszumalen, was das für die Zukunft in Syrien bedeutet. Deshalb ist es nicht nur menschlich geboten, sondern es ist auch politisch vernünftig, dass wir uns
für die Menschen, die vor Gewalt und Elend fliehen,
engagieren.
({0})
Es ist richtig: Deutschland hat sich mehr engagiert als
die meisten anderen Länder. Frau Lindholz hat das
Kontingent von 31 000 Personen angesprochen. Über
100 000 Menschen aus Syrien sind inzwischen insgesamt zu uns gekommen. Wir haben auch finanzielle Unterstützung für die Hilfe vor Ort geleistet. 850 Millionen
Euro wurden seit 2012 bereitgestellt. Auf der Flüchtlingskonferenz im vergangenen Oktober haben FrankWalter Steinmeier und Entwicklungsminister Müller
noch einmal 500 Millionen Euro bis 2017 zugesagt. Von
dieser Hilfe wurde bereits die Hälfte umgesetzt. Auf der
Geberkonferenz Ende März dieses Jahres wurden erneut
255 Millionen Euro versprochen.
Diese humanitäre Hilfe ist richtig. Ich erwarte nicht,
dass sie in Ihrem Antrag eine besonders herausgehobene
Würdigung erfährt; denn das ist selbstverständlich. Ich
finde aber durchaus, dass es notwendig wäre, in dem Antrag die Hilfe anzuerkennen, und zwar nicht als Selbstzweck, sondern um anzuerkennen, was viele Hundert
freiwillige Helfer jeden Tag vor Ort leisten, was Kommunen und Länder jeden Tag vor Ort leisten, um Integration möglich zu machen. Ich finde, das deutsche und
kommunale Engagement hätte durchaus eine Anerkennung in diesem Antrag erfahren können.
({1})
Ich bin dennoch dankbar für beide Anträge, weil ich
die Meinung teile, dass es das noch nicht gewesen sein
kann; denn der Krieg in Syrien ist nicht zu Ende. Die Erfolge im Vorgehen gegen den „Islamischen Staat“ sind
zwar da, aber es fliehen weiterhin Menschen vor dessen
Gräueltaten. Deshalb wäre es falsch, sich jetzt zurückzulehnen, sich auf die Schulter zu klopfen, sich mit dem
Getanen zufriedenzugeben und mit dem Finger auf die
anderen zu zeigen und zu rufen: Jetzt seid ihr aber dran.
Es stimmt, dass es eine gesamteuropäische Verantwortung gibt. Ich teile auch Ihre Auffassung, dass es gut
ist, dass es Teil des Zehn-Punkte-Plans der Europäischen
Union ist, ein Kontingent von 5 000 Menschen aufzunehmen. Aber es muss auch mehr legale Wege der Einwanderung geben. Die Aufnahme eines europäischen
Kontingents wäre ein wichtiger und richtiger Schritt.
({2})
Was ich aber nicht teile und was ich wirklich kritisch
sehe, das ist die Aussage unseres Innenministers, die
Aufnahme eines weiteren deutschen Kontingentes an das
Zustandekommen dieses europäischen Kontingentes zu
knüpfen; denn die Diskussion um die Aufnahme eines
europäischen Kontingentes gab es auch vorher schon.
Wir alle wissen: Da ist lange Zeit nichts passiert. Das
liegt an der mangelnden Bereitschaft vieler Mitgliedstaaten. Es ist richtig, dass das nicht sein kann. Deshalb müssen wir da auch weiterhin Druck machen. Meine Meinung ist aber, dass diese Tatsache uns nicht von der
Verantwortung entbindet, selbst tätig zu werden.
({3})
Der Vergleich mit anderen europäischen Ländern mag
eine richtige politische Kategorie sein. Für mich ist er
aber nicht die maßgebliche politische Kategorie; denn
messen lassen müssen wir uns an unseren eigenen Werten und an unserer eigenen Verfassung. Ich bin der Meinung, dass es nicht damit getan sein kann, einmal zu
helfen, dann die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, was andere tun. Denn die Menschen kommen
sowieso, weil sie keine andere Wahl haben. Deshalb
müssen wir auch so ehrlich sein und da, wo es möglich
ist, Möglichkeiten der legalen Einwanderung schaffen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Flüchtlingspolitik
funktioniert aber nur dann, wenn sie eben nicht nur von
einem Ende her gedacht ist. Eine erfolgreiche Flüchtlingspolitik zeichnet sich dadurch aus, dass man die
Menschen, die zu uns kommen und Schutz vor Vertreibung und Gewalt suchen, aufnimmt. Sie hat aber auch
die andere Seite im Blick, die deutlich macht, dass es
eben nicht reicht, Flüchtlinge hierherzubringen, sondern
dass wir sie auch menschenwürdig unterbringen müssen
und ihnen vor Ort Perspektiven aufzeigen müssen. An
dieser Stelle sind mir Ihre Anträge, ehrlich gesagt, zu
kurz gedacht. Vor Ort müssen nämlich auch die Möglichkeiten geschaffen werden, und die Kommunen dürfen nicht alleingelassen werden. Deshalb bin ich sehr
froh über die klaren Worte von Sigmar Gabriel und
Thomas Oppermann, wenn es um die Übernahme von
Kosten für die Unterbringung der Flüchtlinge in den
Kommunen geht.
({5})
Es ist richtig, dass nicht die Kommunen die Verantwortung für die Krisen und Kriege in dieser Welt haben;
die Kommunen sind aber von den Folgen direkt betroffen. Wenn vor Ort entschieden werden muss, ob entweder ein neues Flüchtlingsheim gebaut wird oder eine
Schule saniert wird, dann ist gesellschaftlicher Friede
ganz konkret in Gefahr. Ich finde, es ist auch unsere Aufgabe als Politiker, dafür Verantwortung zu übernehmen.
({6})
Deshalb kann eine größere finanzielle Unterstützung der
Kommunen an dieser Stelle - das sage ich auch ganz
deutlich Richtung Koalitionspartner - die einzig richtige
Antwort auf die steigenden Flüchtlingszahlen sein.
Ich bin froh und dankbar, dass ich in ganz vielen Städten und Gemeinden viele Menschen erlebe, die sich gerade freiwillig melden und sagen: „Wir wollen helfen“,
die da helfen, wo Hilfe nötig ist, egal ob bei der Hausaufgabenbetreuung, beim Erlernen der Sprache oder
vielleicht bei der Durchführung eines gemeinsamen
Kochabends. Sie bringen damit ein Stück Menschlichkeit in eine Umgebung, die von vielen schweren Schicksalen und traurigen Lebensgeschichten geprägt ist.
Danke ihnen allen für ihr Engagement, das in einer Zeit,
in der mehr Menschen denn je weltweit auf der Flucht
sind, von unschätzbarem Wert ist, wie ich finde.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Flüchtlingspolitik
hat viele Facetten. Sie wird uns nur dann gelingen, wenn
wir alle diese Facetten zusammendenken. Dazu müssen
wir zum einen die Situation in den Herkunftsländern im
Blick haben. Wir müssen uns auch die Lage in den angrenzenden Staaten anschauen, die mehr Flüchtlinge
aufnehmen als wir alle zusammen. Wir müssen eben
auch die Lage der Kommunen vor Ort im Blick haben.
Nur wenn wir diese Aspekte gleichrangig betrachten,
werden wir den Herausforderungen, die sich aus der Tatsache ergeben, dass weltweit über 50 Millionen Menschen auf der Flucht sind, auch so begegnen können,
dass wir Menschen Schutz und Perspektive geben können, die bei uns eine Zuflucht suchen.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat die Kollegin
Luise Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kein Essen, kein Wasser, keine medizinische Hilfe,
keine Elektrizität, tagelanger Beschuss durch die Terrormiliz IS - so die Lage im palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk in Syrien, die von Tag zu Tag verzweifelter
wird. In dem Viertel, das durch eine fast zweijährige
Blockade durch die syrischen Regierungstruppen ohnehin völlig ausgeblutet ist, leben circa 18 000 Menschen,
darunter 3 500 Kinder. Ich frage mich, wenn ich Ihre
Worte, Frau Lindholz, ernst nehmen soll: Wie möchten
Sie dort vor Ort helfen? Ich frage mich das wirklich,
weil ich für diese Idee offen bin und das Engagement an
dieser Stelle gern loben würde. Aber wenn man sich die
Situation in Jarmuk anguckt, dann weiß man einfach
- diese Meinung werden alle hier teilen können -, wie
schwierig die Lage in Syrien ist und wie wenig dieser
Satz kurzfristig in die Realität umgesetzt werden kann.
Ob bedroht durch Assads Regierungstruppen oder die
Milizen des IS - in Syrien ist ein sicheres Leben derzeit
nicht mehr möglich.
Im Irak ist die Lage ebenfalls besorgniserregend.
Mittlerweile sind laut UNHCR mindestens 2,7 Millionen
Menschen innerhalb des Iraks auf der Flucht. Obwohl
die Bundesregierung immer wieder besonders auf die
dramatische Lage der stark betroffenen Minderheiten im
Irak hinweist, ist sie diesbezüglich bisher untätig geblieben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind diese
Menschen, die unsere gezielte Hilfe brauchen. Ihnen
müssen wir das Höchstmaß unserer Solidarität entgegenbringen.
({0})
Dass man etwas tun kann, macht uns zum Beispiel
das Land Baden-Württemberg vor. Die grün-rote Landesregierung hat damit begonnen, ein Sonderkontingent
von 1 000 Frauen aus den kurdischen Teilen des Iraks
aufzunehmen. Das ist nur eine kleine Zahl; aber das Einzelschicksal ist entscheidend.
Ja, Deutschland tut viel, viel mehr als andere europäische Staaten. Das zu erwähnen und zu betonen, ist gut
und wichtig, aber vor allem deshalb, um die anderen
Staaten, die untätig sind, anzutreiben, sich ihrer Verantwortung nicht zu entziehen, und nicht deshalb, um uns
unserer Verantwortung zu entziehen.
({1})
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn die Untätigkeit anderer
EU-Staaten ein Argument ist, nicht mehr Menschen aus
Syrien aufzunehmen, warum ist das Engagement von
Ländern wie dem Libanon, Jordanien oder der Türkei
dann nicht ein Argument, deutlich mehr in Deutschland
aufzunehmen? Das ist doch eine verdrehte Logik.
({2})
Ich kann verstehen, dass Sie sich an der Rhetorik unseres Antrags stoßen, weil wir das deutsche Engagement
nicht ausreichend loben. Aber ich kann darin natürlich
nicht die Ergebnisse von Konferenzen loben, die nach
der Erstellung des Antrags stattgefunden haben; das
muss ich an dieser Stelle vielleicht einmal erwähnen.
Der Antrag ist aus dem November letzten Jahres. Es ist
aber auch so: Unsere Fraktion ist vorher auf alle zugegangen. Wir haben versucht, einen gemeinschaftlichen
Antrag zu dieser Sache mit dem zentralen Ziel, mehr syrische Flüchtlinge in geregelten Verfahren auf sicherem
Weg nach Europa zu bringen, zu erreichen. Die Bereitschaft, mit uns gemeinsam einen solchen Antrag auf den
Weg zu bringen, der dann vielleicht auch diesen Aspekt
berücksichtigt, war nicht da. Mit dem Ansatz sind wir
leider gescheitert.
Wir Grüne glauben, dass der deutsche Beitrag größer
sein kann als bisher.
({3})
Mindestens könnte man an den derzeit bestehenden immanenten, auch menschenrechtlichen Defiziten bei der
Aufnahme von Flüchtlingen arbeiten. Ich finde, es kann
nicht sein, dass die Aufnahme syrischer Flüchtlinge im
Rahmen der Familienzusammenführung so katastrophal
verläuft wie derzeit.
({4})
Auch auf Nachfragen im Innenausschuss haben Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition,
immer wieder gesagt, dass die Botschaften ihr Bestes
tun. Das stimmt gar nicht; sie tun mehr als ihr Bestes.
Sie leisten sogar Wochenendschichten. Trotzdem - das
haben wir gerade erfahren - hat die Botschaft in Ankara
bis Mitte 2016 keine freien Termine mehr. Genau das,
liebe Kolleginnen und Kollegen, ist für viele Syrerinnen
und Syrer der Anlass, mit viel Geld auf dem Schwarzmarkt Termine zu ergattern oder Schlepper zu bezahlen,
damit sie sie über das Mittelmeer fahren. Wie das enden
kann, haben wir am Wochenende gesehen. Wir sollten
alles daransetzen, dass das nicht wieder passiert.
({5})
Uns erreichen täglich in unseren Büros, auch hier im
Bundestag, die verzweifelten Briefe und Anrufe von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der AWO, der Diakonie, der Caritas oder anderer Einrichtungen, die bei ihrer
Arbeit jeden Tag syrische Familienväter beruhigen müssen, weil diese auch nach sieben Monaten noch keine
Anhörung beim Bundesamt hatten und aus Sorge um
ihre Familien im Heimatland fast umkommen. Diese
Menschen haben genug hinter sich, aber auch noch genug vor sich. Wir dürfen sie nicht alleinlassen.
({6})
Ein zentraler Punkt in unserem Antrag ist, dass wir
mehr Personal in den Botschaften, aber auch im Bundesamt fordern. Wir fordern des Weiteren, die gesamte Infrastruktur zur Aufnahme von Flüchtlingen zu verbessern; denn so, wie es jetzt läuft, ist es eines Rechtsstaats
wirklich unwürdig.
({7})
Dieser Antrag befasst sich nun einmal auch mit den
Dingen, die bei der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen nicht so gut laufen. Auch wenn dies immer wieder
bestritten wird: Noch immer gibt es Rücküberstellungen
von Syrern nach Ungarn und Bulgarien. Dazu laufen bei
uns jede Menge Petitionen. Wir finden, dass das nicht
verhältnismäßig ist. Auch bei den Menschen aus dem
Irak gibt es weiterhin Dublin-Rücküberstellungen, auch
wenn ihre Familien in Deutschland leben. Bei uns liegen
sogar Petitionen von Flüchtlingen aus dem von mir
schon erwähnten Jarmuk vor, die nach Italien zurückgeschickt werden sollen, obwohl sie Verwandtschaft in Baden-Württemberg haben. Ich meine, das kann doch kein
Zustand sein, der uns zufriedenstellt.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, es mag sein, dass dieser Antrag, was die Form anbelangt, Sie nicht zu 100 Prozent überzeugt. Die in ihm
genannten Defizite sind aber real. Sie alle werden damit
in Ihren Wahlkreisen konfrontiert. Ich bitte Sie noch einmal eindringlich, darüber nachzudenken, zumindest den
Forderungen in diesem Antrag Ausdruck zu verleihen,
indem Sie ihm zustimmen.
Herzlichen Dank.
({9})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat die Kollegin
Nina Warken von der CDU/CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Bundesinnenminister hat
es vergangene Woche bei seiner Eröffnungsrede auf dem
Migrationsgipfel auf den Punkt gebracht:
Kein Land in Europa leistet bei der Aufnahme von
Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Irak und aus
Syrien so viel wie Deutschland. Deutschland nimmt
rund drei Viertel aller syrischen Flüchtlinge auf, die
weltweit durch humanitäre Programme außerhalb
der Krisenregionen Schutz finden.
Meine Damen und Herren, 125 000 Syrer leben heute
in Deutschland. Davon sind fast 70 000 nach Beginn des
Konfliktes als Asylbewerber zu uns gekommen. Die Solidarität mit den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien
und aus dem Irak ist nach wie vor groß in unserem Land.
Ausländerbehörden und Sozialarbeiter haben ein offenes
Ohr für die Belange der Flüchtlinge und tun viel, um den
Menschen zu helfen. Besonders bemerkenswert finde
ich aber vor allem das Engagement der unzähligen ehrenamtlichen Helfer, die überall in Deutschland die angekommenen Flüchtlinge unterstützen.
({0})
Auch und gerade beim Familiennachzug sind diese
Ehrenamtlichen eine gewaltige Stütze. Sie helfen beim
Kontakt mit Behörden, bei der Suche nach einer geeigneten Wohnung und bei der Beschaffung der erforderlichen Unterlagen für das Visumverfahren. Ich bin stolz
darauf, dass es bei uns in Deutschland ein so ausgeprägtes ehrenamtliches Engagement für Flüchtlinge gibt. Einen deutlicheren Beweis dafür, dass unser ganzes Land
zu seiner humanitären Verantwortung steht, kann es
kaum geben.
Deutschland nimmt aber nicht nur die meisten Flüchtlinge in Europa auf, sondern ist auch der größte finanzielle Geber in der Region. Seit Beginn des Konflikts in
Syrien ist mittlerweile fast 1 Milliarde Euro an humanitärer Hilfe, strukturbildenden Übergangshilfen und bilateraler Unterstützung für die Nachbarstaaten gezahlt
worden. Auch das THW unterstützt die Menschen vor
Ort in den Flüchtlingslagern maßgeblich. Dank der ehrenamtlichen Helfer vom THW gibt es eine ordentliche
Trinkwasserversorgung, und die Lager konnten im vergangenen Herbst winterfest gemacht werden. Auch in
dieser Beziehung ist Deutschland führend.
({1})
All dem, meine Damen und Herren, werden die beiden Anträge überhaupt nicht gerecht. Sie blenden das
beträchtliche Engagement einfach aus. Stattdessen fordern Sie unreflektiert immer mehr. Wieso unreflektiert?
Diese Frage möchte ich Ihnen beantworten.
Erstens. All die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen würden derzeit nur den Exodus aus der Region fördern.
Zweitens. Es kommt hinzu - das werden auch Sie
kaum bestreiten können -, dass jeder von uns gegebene
Euro vor Ort wesentlich mehr Menschen zugutekommt,
wodurch viel mehr geleistet werden kann. Das sehen im
Übrigen auch Hilfsorganisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk so, das explizit darauf drängt, die Hilfe
auf die Krisenregion zu konzentrieren.
Drittens. Mit jedem Aufnahmeprogramm - egal wie
groß wir es bemessen - kann immer nur einem Bruchteil
der Flüchtlinge geholfen werden. Deshalb sind die Bundesaufnahmeprogramme explizit dafür gedacht, besonders Schutzbedürftige nach Deutschland zu holen, denen
in den Lagern vor Ort nicht geholfen werden kann. So
sind über die Aufnahmeprogramme von Bund und Ländern bisher rund 27 300 Menschen nach Deutschland gekommen. Die Aufnahmeprogramme sind aber noch
nicht voll ausgeschöpft.
Meine Damen und Herren, das Aufnahmeprogramm
für besonders Schutzbedürftige muss nun europäisch
werden; denn wenn Deutschland so viele Flüchtlinge
aufnehmen kann, dann können das auch unsere europäischen Partner. Dennoch wollen wir, dass der Schwerpunkt unserer Hilfe für syrische und irakische Flüchtlinge in der Krisenregion bleibt.
Meine Damen und Herren, die Opposition kennt einmal mehr nur die Methode „Fische verschenken“. Fische
sind aber schnell gegessen. Deswegen muss man nicht
nur Fische, sondern auch eine Angel liefern. Dieser Gedanke hat sich leider noch nicht durchgesetzt. Wir aber
glauben trotz mancher Schwierigkeit nach wie vor an die
Methode der Angel.
Frau Warken, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Künast zu?
Nein.
({0})
Ich möchte aber noch weitere Gründe nennen, warum
Ihre Anträge abzulehnen sind. Viele Ihrer Forderungen
sind schlicht überflüssig. Der Abschiebestopp nach
Syrien oder in den Irak muss beispielsweise nicht verlängert werden. Bund und Länder haben sich bereits darauf
verständigt, dass niemand nach Syrien abgeschoben
wird, solange der Krieg dort andauert.
({1})
Das gilt auch für den Irak. Seit Juni 2014 wurde kein
Asylantrag mit dem Herkunftsland Irak negativ entschieden. Auch der Familiennachzug zu Flüchtlingen in
Deutschland ist klar geregelt. Anders als in anderen LänNina Warken
dern besteht bei uns ein Recht auf Familiennachzug. Das
dürfte auch Ihnen bekannt sein.
({2})
Das Personal in den Botschaften wurde deutlich aufgestockt, und die Mitarbeiter arbeiten unter Hochdruck.
Auch das Personal im BAMF wurde aufgestockt.
({3})
Schließlich gilt es, den Blick auch auf unsere Kommunen zu lenken, die Sie einmal mehr vollkommen außer Acht gelassen haben. Unsere Landkreise, Städte und
Gemeinden stehen schon heute vor gewaltigen Herausforderungen. Sie brauchen Zeit, um diese zu bewältigen.
Strukturen müssen geschaffen, Asylbewerberheime gebaut werden. Sie jetzt durch gesetzgeberische Maßnahmen potenziell weiter zu belasten, wäre ein vollkommen
verfehltes Zeichen.
Frau Warken, es gibt den Wunsch nach einer weiteren
Zwischenfrage von Frau Haßelmann.
({0})
Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank auch,
Frau Warken, dass Sie die Frage zulassen. Ich mache es
auch ganz kurz.
Sie beklagen, dass unsere Fraktion, die den Antrag
zum Thema „zusätzliche Aufnahme syrischer Flüchtlinge“ gestellt hat, in dem wir fordern, das Kontingent zu
erhöhen und die Familienzusammenführung zu erleichtern, die Kommunen, die in dieser Frage sehr wichtig
sind, aus dem Blick verloren hat bzw. die Belange der
Kommunen nicht stärker berücksichtigt.
Wenn Sie das von uns einfordern - wir wissen sehr
wohl, dass Kommunen, Städte, Gemeinden, Landkreise
eine ganz bedeutende Aufgabe bei der Erstaufnahme, bei
der Begleitung und bei der Betreuung von Flüchtlingen
haben -, dann frage ich mich: Wie können Sie sich eigentlich erklären, dass zu dem nationalen Flüchtlingsgipfel der Bundesregierung, der am 8. Mai 2015 stattfindet und auf dem über die Unterbringungssituation von
Flüchtlingen in Deutschland gesprochen werden soll, die
Kommunen von der Kanzlerin und den Regierungsfraktionen gerade nicht eingeladen wurden, obwohl sie doch
die Hauptakteure sind? Können Sie uns das einmal erklären?
({0})
Die Länder waren ja am Tisch.
({0})
Die Verantwortung für die Unterbringung liegt ja bei den
Ländern. Dieser Verantwortung müssen die Länder auch
gerecht werden.
({1})
Ich glaube nicht, dass es so ist, dass die Kommunen und
die kommunalen Spitzenverbände im Bundeskanzleramt
kein Gehör finden, so wie Sie das darstellen.
({2})
Ich glaube schon, dass da auch Gespräche stattfinden.
({3})
Aber bei dieser Zusammenkunft geht es eben um die
Verantwortung und um die Aufgaben der Länder.
({4})
Wir sollten den Kommunen die Zeit geben, die sie benötigen, und gleichzeitig auch überlegen, wie wir ihnen
unter die Arme greifen können. Damit meine ich nicht so
wie Sie, ständig mehr Geld vom Bund zu fordern. Wir
dürfen schließlich auch die Bevölkerung nicht überfordern. Es herrscht eine große Solidarität. Damit dies so
bleibt, müssen Sorgen und Ängste ernst genommen werden. Dafür ist es notwendig, mit Bürgerinnen und Bürgern zu reden und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestern hat
der Bundestag über die tragische Flüchtlingskatastrophe
im Mittelmeer debattiert. Das Leid und die Not dort sind
unermesslich. Aber auch hier gilt der gleiche Grundsatz:
Wenn wir nicht dazu beitragen, den Menschen in ihrer
Heimat eine Perspektive zu geben, werden wir die Probleme nicht lösen. Deutschland will den Menschen aus
den Bürgerkriegsländern helfen, und Deutschland hilft
mit Maß, Verstand und Mitte. Daher lehnen wir Ihre Anträge ab.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Frank
Heinrich von der CDU/CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Gestern hatten wir
eine sehr emotionale Debatte - wie ich finde, nicht abgleitend emotional - zur Flüchtlingskatastrophe auf dem
Mittelmeer. Angesichts der Toten wird deutlich: Die humanitäre Hilfe - darüber sind wir uns übrigens einig,
auch wenn jetzt vielleicht ein anderer Eindruck entstanden ist - muss ausgebaut werden. Die EU und auch
Deutschland haben viel getan. Das hat auch die Opposition so dargestellt. Wir müssen, wollen und werden noch
mehr tun. Das kann es noch nicht gewesen sein, haben
Sie, Frau Kampmann, gesagt. Genau.
Ich möchte zu Beginn ein Zitat anführen. 2009, also
noch in einer Zeit, in der das Flüchtlingsproblem noch
nicht so drastisch war, wurde auf der Katholischen Bischofskonferenz Italiens gesagt:
Wir können nicht zulassen, dass dort Menschen
sterben, wenn die Möglichkeit besteht, sie zu retten.
Angesichts der Bilder, die wir vor Augen haben, auch
die vom letzten Wochenende, ist es fast zynisch, in der
heutigen Debatte über Zahlen zu reden. Doch ist es ein
Stück weit unsere Aufgabe.
Sie, Frau Amtsberg, haben gesagt, dass Ihr Antrag im
November gestellt wurde. Der Antrag der Linken ist
vom Oktober. Deshalb ist es ein bisschen schwierig, die
Anträge zu beurteilen. Es hat sich nämlich seitdem einiges geändert. Gerade im Norden des Irak und Syriens ist
die Bundesregierung sehr aktiv. Das haben auch die Vorredner gesagt. Bei aller Betroffenheit dürfen wir das,
was wir gut tun, nicht kleinreden.
({0})
Ich bin froh darüber, dass Sie das genauso sehen, Frau
Amtsberg.
Zur Situation. Im Februar 2015 waren im Irak
235 000 Flüchtlinge aus Syrien registriert, hauptsächlich
im Norden des Landes, und zwar in Dohuk an der
Grenze zur Türkei. Insgesamt sind 4 Millionen Menschen in die umliegenden Länder geflüchtet. Im Irak selber sind eine halbe Million Menschen auf der Flucht.
Eine meiner Vorrednerinnen hat es ebenfalls gesagt.
Es tauchen immer wieder Fragen auf, die wir auch in
unserem Land beantworten müssen: Wie groß ist zum
Beispiel der Finanzbedarf für die syrischen Flüchtlinge?
Der UNHCR hat gesagt, dass es in diesem Jahr 4,5 Milliarden US-Dollar sind. Das ist eine Menge Holz. Damit
ist auch klar, dass es nicht nur ein Problem Deutschlands
ist, sondern der Weltgemeinschaft. Wir haben heute sehr
oft gehört: auch der EU. Wir fordern zur Hilfe auf, indem wir schon in Vorleistung gehen.
Eine weitere Frage ist: Mit wie viel Geld hilft
Deutschland? Das BMI hat die Gesamtsumme der durch
das Auswärtige Amt und das BMZ geförderten Hilfsmaßnahmen zusammengerechnet. Es sind 743,9 Millionen Euro in den letzten drei Jahren. Ende März hat
Deutschland angekündigt, in diesem und den zwei Folgejahren weitere 500 Millionen Euro zu geben. Damit
gehören wir weiterhin - das ist gut so; ob genug, darüber
können wir gerne diskutieren - zu den größten Gebern
humanitärer Hilfe in dieser Region.
Aber es geht nicht nur um Geld. Es geht auch um
Know-how. Vorhin wurde gesagt, dass sich das Technische Hilfswerk in Flüchtlingslagern in Jordanien und im
Irak um die Wasserversorgung und insbesondere um die
Abwasserentsorgung kümmert.
Wer nimmt Flüchtlinge auf? Das sind in erster Linie
die Nachbarländer. 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge
hat die Türkei aufgenommen. Frau Jelpke, Sie haben gerade in Ihrer Rede gesagt, dass wir politisch Druck machen sollten. Es mag sein, dass das an der einen oder anderen Stelle nötig ist, aber wir müssen auch respektieren,
dass die Türkei eine große humanitäre Last dieser Krise
mitträgt. Der Libanon hat fast 1,2 Millionen Flüchtlinge
aufgenommen. Wenn wir das prozentual auf unser Land
übertragen würden, dann müssten wir 27 Millionen
Menschen bei uns aufnehmen. Jordanien hat 630 000
Flüchtlinge, der Irak 250 000 aufgenommen. Die Zahlen
kennen Sie.
Dafür bekommen die Länder der Krisenregion finanzielle, technische und personelle Unterstützung.
Deutschland bekennt sich auch zur Stärkung längerfristiger humanitärer und struktureller Hilfen. Hinzu kommt darauf bin ich noch nicht eingegangen; der Innenminister hat diese Zahl genannt -, dass Deutschland bereits
105 000 syrische Flüchtlinge aufgenommen hat. Ein
Drittel davon hat inzwischen Asyl bei uns beantragt.
Der Bund wird weiterhin im Rahmen verschiedener
humanitärer Programme - wir haben gehört, dass hier
noch einiges möglich ist - Flüchtlinge hier aufnehmen
und damit humanitäre Verantwortung übernehmen. Ich
würde gerne in der weiteren Diskussion in unserem Ausschuss, Frau Amtsberg, darüber reden, wie man nach Ihrer Meinung in Jarmuk mit Kontingenten helfen kann.
Der Bund hat vorletztes Jahr und dieses Jahr bereits zwei
Programme aufgelegt; das Kontingent ist verdoppelt
worden.
Ich komme noch einmal auf die Familien zu sprechen,
die wir in unseren Wahlkreisen treffen und für die wir
uns einsetzen. Ich habe ein Ehepaar vor Augen, das in
meinem Büro war. Es konnte seine Familie tatsächlich in
die Arme schließen. Als sie bei mir im Büro saßen, kam
die Nachricht, dass ihr Nachbarhaus zerstört ist und ihre
Nachbarn nicht mehr leben - Dankbarkeit und Schock
innerhalb weniger Stunden.
Wir sind vom UN-Flüchtlingskommissar gelobt worden, und doch darf das, was wir tun, nicht genug sein.
Das Fazit ist: Die Not der Flüchtlinge lässt uns nicht
kalt. Bei den Konflikten in Syrien und im Nordirak sind
bis dato keine politischen Lösungen in Sicht. Deshalb ist
Deutschland aktiv wie kaum ein anderes Land. Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Im Antrag der Linken
({1})
Frank Heinrich ({2})
wird diese Hilfeleistung schon ein bisschen herabgewürdigt. Nicht nur deswegen können wir nicht zustimmen,
sondern auch, weil die Zahlen teilweise veraltet sind.
Und doch werden wir - um Sie zu zitieren - die Hände
nicht in den Schoß legen.
Herr Kollege, ich muss auch Sie bitten, zum Schluss
zu kommen.
Ein Abschlusszitat. Ich habe mich an einen Liedertext
eines Liedermachers aus Süddeutschland, Manfred Siebald, mit folgenden Worten erinnert:
Ist schon alles geklärt? Sind wir wirklich schon
dort, wo das Reden aufhört und die Tat folgt dem
Wort?
Ich wünschte, es würde uns jetzt prägen, dass die Taten
den Worten folgen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zunächst zur Beschlussempfehlung des
Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Solidarität zeigen Aufnahme von syrischen und irakischen Flüchtlingen
ausweiten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4163, den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
18/3154 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich
jemand? - Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei
Gegenstimmen der Opposition angenommen worden.
Ich komme zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Humanitäre Hilfe und Flüchtlingsschutz für Jesiden, Kurden und
andere Schutzbedürftige im Norden des Irak und Syriens“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4417, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2742 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen
worden.
Ich rufe jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, den
Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung
von verbraucherschützenden Vorschriften des
Datenschutzrechts
Drucksache 18/4631
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Innenausschuss
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
erhält jetzt das Wort der Parlamentarische Staatssekretär
Ulrich Kelber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die zunehmende Digitalisierung unseres Alltags ermöglicht es
Unternehmen, personenbezogene Daten von Verbraucherinnen und Verbrauchern in immer größerem Umfang
zu verarbeiten. Bei jedem Klick im Internet, jeder Nutzung einer Smartphone-App, aber auch bei der Kommunikation vernetzter Komponenten hinterlassen wir digitale
Spuren. Diese Daten sind zu einer Währung geworden.
Das Sammeln und Auswerten von Verbraucherdaten ist
in der digitalen Welt ein lukratives Geschäft. Unternehmen, insbesondere die Anbieter von Suchmaschinen und
sozialen Netzwerken, lassen sich ihre Leistungen mit
personenbezogenen Daten ihrer Nutzer bezahlen, die sie
dann zu Werbezwecken oder anderen kommerziellen
Zwecken nutzen oder sogar an andere Unternehmen veräußern.
Gleiches gilt für das Massengeschäft der App-Anbieter. Wenn diese Daten verknüpft werden, dann können
umfassende Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellt und Verhalten gelenkt werden. Dies stellt eine besondere Gefährdung des Persönlichkeitsrechts dar. Davon sind alle Verbraucherinnen und Verbraucher in der
digitalen Welt gleichermaßen betroffen. Deshalb wird
wirksamer Verbraucherdatenschutz immer wichtiger.
Das beste Datenschutzrecht ist aber nur so gut wie
seine Durchsetzung. Im Datenschutzrecht gibt es hierfür
zwei Säulen: die öffentlich-rechtliche Durchsetzung
durch Datenschutzbehörden und die zivilrechtliche
Durchsetzung durch die betroffenen Verbraucherinnen
und Verbraucher selbst. Wir wissen aber: Die einzelnen
Verbraucherinnen und Verbraucher sind oft nicht zur individuellen Durchsetzung ihrer Rechte in der Lage.
Viele der betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher
sind sich der Art und des Umfangs solcher kommerziellen Datenverarbeitung auch nicht bewusst. Aber selbst
wenn sie wissen, was mit ihren Daten geschieht, stehen
sie dem oft alleine und hilflos gegenüber. Selbst wenn
sie meinen, dass ein datenschutzrechtlicher Verstoß vorliegt, können oder wollen sie sich nicht alleine gegen ein
Unternehmen wehren. Dafür wäre erhebliche juristische
und häufig auch technische Expertise erforderlich, über
die der Einzelne nur selten verfügt, anders als die großen
IT-Unternehmen, die teilweise global aufgestellt sind. Es
gibt daher nur wenige Verbraucherinnen und Verbraucher, die es auf sich nehmen, ihre Ansprüche wegen der
Verletzung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gegen Unternehmen durchzusetzen. Hier wollen wir ansetzen.
Um die Durchsetzung von verbraucherschützenden
Vorschriften des Datenschutzrechtes zu verbessern, soll
es deswegen zukünftig auch den Verbraucherverbänden,
den Wirtschaftsverbänden und Kammern ermöglicht
werden, bei Verstößen gegen das Datenschutzrecht der
Verbraucher mit Abmahnungen und Klagen gegen die
verantwortlichen Unternehmen vorzugehen. Dazu sollen
datenschutzrechtliche Vorschriften, die die Zulässigkeit
der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten regeln, in den Katalog der Verbraucherschutzgesetze aufgenommen werden. Die anspruchsberechtigten Verbände sollen von den Unternehmen verlangen können,
die Zuwiderhandlungen zu unterlassen. Dabei muss es
sich um einen Verstoß handeln, der über den Einzelfall
hinausgeht und die Kollektivinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher berührt. Wir wollen diese Reglung um einen Beseitigungsanspruch ergänzen, damit
die unzulässig erhobenen Verbraucherdaten gesperrt
oder gelöscht werden.
Die Digitalisierung stellt gerade den Datenschutz vor
eine große Herausforderung. Deswegen hat die Bundesregierung in diesem Fall als einen Baustein ihrer Digitalen Agenda beschlossen, ein Verbandsklagerecht zur
Verbesserung des Datenschutzes einzuführen. Der vorgelegte Regierungsentwurf wird die Durchsetzung des
Datenschutzes entscheidend verbessern. Ich hoffe auf
Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Caren Lay, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Datenschutzaktivist Max Schrems hat Facebook gezwungen, alle über ihn gespeicherten oder weitergegebenen Daten herauszugeben. Im Ergebnis erhielt
er einen Ausdruck von sage und schreibe über 1 000 Seiten. Jetzt verklagt er Facebook vor dem EuGH. Seiner
Klage haben sich über 25 000 Menschen angeschlossen,
und das zu Recht; denn Verbraucherinnen und Verbraucher müssen vor der unseriösen Abzocke durch die Nutzung ihrer Daten endlich besser geschützt werden.
({0})
Wir alle kennen personalisierte Werbungen, die einen
auf Facebook oder per E-Mail erreichen und das Postfach zumüllen. Es gibt schlimme Fälle von Datenklau
oder von Identitätsdiebstahl, und niemand kann mehr
wirklich sagen, wo seine Daten überall herumschwirren.
Unternehmen erschleichen sich das Einverständnis zur
unbegrenzten Datenweitergabe etwa durch versteckte
Klauseln in den AGB oder dadurch, dass der Vertragsabschluss von vornherein an die Erteilung eines solchen
Einverständnisses gekoppelt ist. Die Aussicht auf Gewinnmaximierung lässt die Datenfänger zur Höchstform
auflaufen. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern wird
häufig suggeriert, die Nutzung eines bestimmten Angebots sei kostenlos. In der Praxis erweist sich das aber als
glatte Lüge; denn die Daten, die dabei herausgegeben
werden, sind bares Geld wert. Verbraucherinnen und
Verbraucher zahlen gewissermaßen mit der Herausgabe
ihrer Daten. Der Handel mit Verbraucherdaten ist ein
überaus lukratives Geschäft, das endlich aufhören muss.
({1})
Persönlichkeitsprofile, personalisierte Preisangebote,
ungewollte Ortungen, damit Kontrolle auf Schritt und
Tritt möglich ist - wer will das schon?
Die Verbraucherzentralen, die Datenschutzorganisationen, digitalcourage mit ihrer Datenschutzpionierin
Rena Tangens und der Chaos Computer Club klopfen
schon seit über zehn Jahren bei der Regierung an und
fordern, endlich ein stärkeres Augenmerk auf den Schutz
der Verbraucherdaten zu legen, und das zu Recht. Die
Datenschutzbehörden stoßen nämlich schnell an ihre
Grenzen. Sie können bei Verstößen allenfalls Bußgelder
verhängen. Das nützt den Verbraucherinnen und Verbrauchern aber nicht wirklich, wenn ihre Daten schon
überall unterwegs sind. Verbraucherorganisationen hingegen können nicht abmahnen, was auch ein ganz großes Manko ist, wenn man die Sache in den Griff bekommen möchte. Diese Lücke ist dringend zu schließen.
({2})
Wir begrüßen es, dass diese kollektiven Klagerechte
jetzt gestärkt werden sollen. Das wurde höchste Zeit.
Als problematisch sehen wir die in dem vorliegenden
Gesetzentwurf vorgesehene Ausnahmeregelung an, nach
der genau dann keine Klagerechte bestehen sollen, wenn
Unternehmen die Daten zu vertraglichen Zwecken erheben oder verarbeiten. Das hört sich für mich geradezu
nach einer Einladung für Unternehmen an, genau diese
Begründung vorzuschieben. Deswegen darf diese Formulierung so nicht bleiben.
({3})
Wir begrüßen es, dass die Zusammenarbeit mit den
Datenschutzbehörden geregelt werden soll. Wichtig ist,
dass tatsächlich Klarheit über die zuständige Behörde
hergestellt wird, damit die Klagen nicht am Ende aus
formalen Gründen abgewiesen werden. Auch dieser Aspekt wird uns in der Debatte über diesen Gesetzentwurf
sicherlich noch beschäftigen.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt anführen: Wenn
wir schon Gelegenheit haben, über ein weiteres Verbraucherschutzgesetz zu debattieren, sollten wir auch über
kollektive Klagerechte reden und beispielsweise Finanzmarktwächtern ein Klagerecht verleihen. Das würde uns
ein erneutes, aufwendiges Verfahren ersparen, und den
Finanzmarktwächtern bliebe das Betteln um eine gesetzliche Regelung erspart.
Wir sind gespannt, wie sich die Sachverständigen in
der Anhörung im Mai äußern werden. Wir hoffen, dass
es gelingt, eine praktikable Lösung zu finden, die den
Verbraucherinnen und Verbrauchern und dem Schutz ihrer Daten auch tatsächlich etwas bringt.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Als Nächstes hat der Kollege
Dr. Stefan Heck, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wahrscheinlich kennen Sie das alle: Sie haben
ein Reiseziel oder ein Elektrogerät gegoogelt, und in den
nächsten Tagen oder Wochen werden Ihnen Dutzende
Werbeanzeigen zu diesem Suchbegriff angezeigt. Es
geht inzwischen nicht mehr nur um das Posten oder
Twittern von Informationen. Nein, schon eine ganz normale Internetsuche genügt, um quasi unbemerkt im Hintergrund zahlreiche Algorithmen in Gang zu setzen, die
mit Informationen gefüttert werden. Deswegen ist der
Gesetzentwurf, den wir heute hier behandeln, wichtig.
Datenschutz ist ein berechtigtes Anliegen, das wir alle
sehr ernst nehmen sollten.
Zu einer ehrlichen Debatte gehört aber auch die Feststellung, dass beide Seiten, sowohl die Internetdienstleister als auch die Internetnutzer, legitime Interessen
und berechtigte Erwartungen aneinander haben. Deswegen sollten wir neben den Gefahren, die heute zu Recht
im Mittelpunkt stehen, immer auch die Chancen sehen,
die mit der digitalen Wirtschaft verbunden sind. Gerade
die IT-Branche bringt Deutschland Wohlstand und Arbeitsplätze. Dabei stehen die Start-ups im Moment im
Vordergrund. Sie sind das Symbol der digitalen Wirtschaft, und sie erwecken eine Gründungskultur, wie wir
sie am Anfang des 20. Jahrhunderts in unserem Land
schon einmal hatten. Deswegen haben wir es uns ganz
bewusst zur Aufgabe gemacht, gute Rahmenbedingungen für die Internet- und Start-up-Branche zu setzen.
Gleichwohl werden wir heute Regelungen treffen, die
zur Sicherung des Daten- und Verbraucherschutzes erforderlich sind. Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt die Große Koalition eine
Verabredung aus dem Koalitionsvertrag um, die vorsieht, dass wir die Position des Verbrauchers weiter stärken. Dabei geht es heute gar nicht um den materiellen
Inhalt eines Gesetzes, sondern schlicht um die Frage der
Durchsetzbarkeit.
Man muss feststellen, dass zwischen den Unternehmen auf der einen Seite und den Verbrauchern auf der
anderen Seite ein strukturelles Ungleichgewicht besteht,
das den Staat auf den Plan ruft und staatliche Lenkungsmaßnahmen erforderlich macht, weil ansonsten keine
Waffengleichheit zwischen Verbrauchern und Unternehmern besteht. Es ist häufig so, dass es bei kleinen
Rechtsverstößen nicht zu Gerichtsprozessen kommt,
weil Verbraucher den enormen Aufwand, das finanzielle
Risiko und nicht selten auch die emotionale Belastung
scheuen, die mit einer prozessualen Durchsetzung ihrer
Rechte verbunden sind.
In dem Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, wird
vorgeschlagen, dieses strukturelle Ungleichgewicht
durch eine Stärkung des Verbandsklagerechtes auszugleichen. Das ist keine neue Erfindung. Das Verbandsklagerecht in seiner jetzigen Form kennt unser Schuldrecht schon seit der Schuldrechtsmodernisierung im
Jahr 2002. Es ist ein altes Instrument im deutschen
Zivilrechtssystem. Dieses Rechtsinstrument soll heute
erweitert werden.
Es ist häufig so, dass es Verbrauchern, die in den
meisten Fällen juristische Laien sind, schwerfällt, datenschutzrechtliche Verstöße zunächst als solche zu erkennen und dann gegen sie vorzugehen. Wir wollen sogenannten qualifizierten Einrichtungen wie beispielsweise
den Verbraucherzentralen ein Klagerecht einräumen, damit diese die notwendige Unterstützung leisten und sich
Verbraucher so gegen Verstöße gegen Datenschutzgesetze wehren können. Aber ich sage ganz bewusst:
Wir stehen heute erst am Anfang eines Gesetzgebungsverfahrens. Wir müssen im Laufe dieses Verfahrens an
einigen Stellen noch Klärungen herbeiführen.
Zwei Punkte sind mir dabei besonders wichtig.
Erstens. Es muss sichergestellt werden, dass dieses
Verbandsklagerecht nicht dazu führt, dass Verdachtsklagen sozusagen einfach ins Blaue hinein geführt werden. Denn selbst wenn unberechtigte Klagen am Ende
abgewiesen werden, kann schon allein die Tatsache einer
öffentlichkeitswirksamen Klageerhebung zu einer erheblichen und am Ende ungerechtfertigten Rufschädigung
führen. Gerade für Start-ups und kleine Unternehmen
besteht hier die Gefahr, dass sie dann einer Übermacht
von Verbänden gegenüberstehen, die mit Juristen ausgestattet sind, während sie selbst diese Möglichkeiten einfach nicht haben. Deswegen sage ich heute ganz bewusst: Wir wollen Waffengleichheit schaffen und keine
neue Waffenungleichheit zulasten der Unternehmen generieren.
({0})
Zweitens; auch dieser Punkt beschäftigt uns. Wir
wollen ein unkoordiniertes Nebeneinander von zivilrechtlichem Verbandsklagerecht auf der einen Seite und
öffentlich-rechtlicher Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten auf der anderen Seite unbedingt vermeiden.
Uns bereitet es große Sorge, dass künftig womöglich
zwei verschiedene Mechanismen nebeneinander stehen,
die zu widersprüchlichen Ergebnissen führen könnten.
In dem Bereich, mit dem wir uns im Zusammenhang
mit diesem Gesetzentwurf beschäftigen, sind bereits
heute die Datenschutzbeauftragten der Länder tätig. Die
Gefahr, die wir konkret sehen, ist, dass Verbandsklagen
vor den Zivilgerichten verhandelt werden, während für
Maßnahmen der Datenschutzbeauftragten die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Wenn es zu einer divergierenden Rechtsprechung zwischen der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit und den Zivilgerichten kommt,
dann schadet das am Ende Unternehmern und Verbrauchern. Beide Seiten brauchen Klarheit darüber, was erlaubt ist und was nicht.
Wir bringen heute ein wichtiges Vorhaben auf den
Weg. Zugleich haben wir für das Gesetzgebungsverfahren noch einige Hausaufgaben im Gepäck.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Vielen Dank. - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Renate Künast.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuallererst: Wir alle wissen, dass wir im Alltag immer mehr
Geschäfte digital abwickeln. Man kauft online Bücher
oder Schuhe ein. Man lädt Apps herunter. Tickets für
den Urlaub oder für Verwandtenbesuche werden im Internet gebucht. Man kommuniziert in den sozialen Netzwerken. Dabei kommt immer eine Unmenge von Verbraucherdaten zustande, die erhoben und auch genutzt
werden, die gespeichert werden. An dieser Stelle muss
ich etwas zu meinem Vorredner sagen. Herr Heck hat ja
gesagt: Wir dürfen die ungeheuren Chancen, die in der
digitalen Welt und in der digitalen Wirtschaft liegen,
nicht ungenutzt lassen. - Herr Heck, das stimmt. Aber es
gibt ein Aber. Dieses Aber besteht darin, dass sich die
Wirtschaft bei der Nutzung dieser Chancen natürlich immer in den Grenzen des Kernbereichs des Datenschutzrechts des Betroffenen bewegen muss; darüber hinaus
geht das nicht.
({0})
Aber viele machen das eben nicht, wie wir gerade gehört
haben. Frau Lay zum Beispiel hat über Facebook und
über Herrn Schrems, den Kläger, geredet, und wir
kennen noch viele andere Beispiele, bei denen genau das
nicht gemacht wird. Es ist aber ein Irrläufer, zu sagen,
das ordentliche Einhalten von Datenschutzregeln sei im
Ergebnis ein Hindernis für die Wirtschaft. Ich glaube,
dass diejenigen, die diesen Vorwand vortragen, nur zu
faul sind, kreativ zu sein.
({1})
Es gibt nämlich jede Menge Möglichkeiten, neue Unternehmen und Angebote zu entwickeln, die die Datenschutzregeln zu den individuellen Daten genau einhalten; ich rede gar nicht von Big Data, sondern von den
individuellen Daten des Einzelnen. Es gibt hier sehr
viele Geschäftsideen. Ich sage Ihnen nur: Verstöße
gegen Datenschutzgesetze müssen verhindert werden.
Das ist die Aufgabe des Gesetzgebers. Es ist daher richtig - das ist lange überfällig -, dass wir die zivilrechtlichen Möglichkeiten im Unterlassungsklagerecht stärken.
({2})
Jetzt komme ich zu dem Aber, meine Damen und
Herren. Bisher gibt es keine generelle Klagemöglichkeit
für Verbraucherorganisationen, quasi stellvertretend für
den einzelnen Verbraucher. Auch dieser Gesetzentwurf
schafft das nicht so recht. Denn immer noch, zum
Beispiel im Hinblick auf die Teilnahme von Kindern an
Online-Gewinnspielen, wird keinerlei wirkliche Klagemöglichkeit geschaffen. Dieser Gesetzentwurf schafft
hier nur teilweise Abhilfe. Klageberechtigt sollen die
Organisationen sein, wenn es um die kommerzielle Nutzung von Verbraucherdaten geht. Das gilt aber, wie gesagt, nur für die kommerzielle Nutzung. Das heißt, dann
muss man nachweisen, dass sie tatsächlich zu kommerziellen Zwecken und nicht zu anderen Zwecken erhoben
und genutzt werden.
({3})
An dieser Stelle hat der Gesetzentwurf einen Fehler.
Meine Damen und Herren, fragen wir uns einmal, wie
dieser Fehler zustande gekommen ist. Ich will auf die
Historie eingehen. Das Bundesministerium der Justiz
und für Verbraucherschutz sah einen viel weitergehenden Anwendungsbereich vor. In den Beratungen hatte
aber leider das BMI die Finger im Spiel. Was ist herausgekommen? Jetzt steht im Gesetzentwurf: Im Sinne des
Gesetzes zur Klage berechtigt ist man im Hinblick auf
Daten, die zu Zwecken der Werbung, der Markt- und
Meinungsforschung, des Betreibens einer Auskunftei,
des Erstellens von Persönlichkeits- und Nutzungsprofilen, des Adresshandels oder zu vergleichbaren kommerziellen Zwecken verarbeitet und genutzt werden.
Ausdrücklich ausgeschlossen ist das, was vorher im
Entwurf des BMJV stand. Darin hieß es, dass personenbezogene Daten eines Verbrauchers von einem Unternehmen ausschließlich für die Begründung, Durchführung oder Beendigung eines rechtsgeschäftlichen oder
rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnisses erhoben,
verarbeitet oder genutzt werden dürfen. Man sagt also,
gegen die Erhebung und Nutzung der Daten, die ein
Rechtsverhältnis begründen, darf man nicht klagen.
Aber wer stellt eigentlich sicher, meine Damen und
Herren, dass sie am Ende nicht doch für die falschen
Zwecke genutzt werden?
({4})
Ich kann Ihnen einige Beispiele nennen. Erstens: ein
Probeabo in einer Online-Partnervermittlung. Stellen Sie
sich vor, ein einsamer MdB schließt einen solchen
Vertrag ab, überlegt es sich anders und sagt: Löschen Sie
die Daten über mich. - Dann sagt die Online-Partnervermittlung: Nein, diese Daten sind ja nur erhoben worden,
um das Vermittlungsverhältnis zu begründen.
Zweitens: der Abschluss eines Vertrages über einen
Leihwagen, bei dem Sie auch Ihre E-Mail-Adresse angeben müssen; Sie kennen das sicherlich. Wenn Sie später
sagen, dass Ihre Daten gelöscht werden sollen, sagt man
Ihnen: Nein. - Wissen Sie, was die mit Ihrer E-MailRenate Künast
Adresse anstellen? Man braucht sie für das Vertragsverhältnis in Wahrheit ja gar nicht. Sie werden sich wundern, wenn Sie Werbung bekommen.
({5})
Aber jetzt nicht mehr so viele Beispiele, Frau Kollegin Künast.
({0})
Nein. - Drittens - mein letztes Beispiel -: ein Kaufvertrag im Bereich E-Commerce, in dem alle rechtmäßig
bezogenen Daten am Anfang stehen. Wenn Sie später
Werbung bekommen und nachfragen, welche Daten
noch vorrätig sind, bekommen Sie keine Auskunft.
In allen drei Fällen hätte die Verbraucherorganisation
keinerlei Klagebefugnis. Das gilt auch im Hinblick auf
Kinder, wenn es zum Beispiel um Online-Gewinnspiele
geht. Deshalb kann ich nur sagen: Der Referentenentwurf des BMJV war gut. Das BMI hat ihn verschlechtert. Wir hoffen auf das Struck’sche Gesetz, dass
Gesetze anders aus dem Bundestag herauskommen, als
sie hineingekommen sind.
({0})
Danke. - Nächste Rednerin ist die Kollegin Michelle
Müntefering, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Die
Generation meiner Großeltern kannte noch den grünen
Daumen; die jungen Leute heute kennen wohl eher den
blauen Daumen - ich meine den Like-Button bei
Facebook. Der steht nicht für die Umwelt, sondern für
die digitale Welt, die Teil der Realität und des Lebensalltags geworden ist.
Bestehen bleibt die alte Erkenntnis: Wissen ist Macht.
Dieses Wissen wird heute mehr und mehr über Daten generiert, die wir als digitale Fingerabdrücke im Netz hinterlassen. Gemeint ist das Wissen über Gewohnheiten,
über Konsumverhalten, über unsere Vorlieben, über Beziehungen, Frau Künast, und über unsere Einstellungen.
Es wird festgehalten, wie lange wir uns eine Werbeanzeige ansehen, wann wir wo einkaufen, wie viel Geld
wir ausgeben. Das meiste davon ist rechtens, vieles ist
allerdings fragwürdig, manches ist schlichtweg illegal.
Deswegen braucht es mindestens Aufklärung, braucht
der Einzelne die Möglichkeit, zu verstehen, was er gerade von sich preisgibt, und es braucht wirksamen
Schutz bei Verstößen gegen unsere Datenschutzgesetze.
({0})
Oftmals willigen wir ein, ohne wirklich einen Überblick darüber zu haben, was in den seitenlangen Datenschutzerklärungen steht, weil wir davon ausgehen, dass
im Internet Recht und Gesetz genauso gelten wie in der
ganz normalen, in der analogen Welt.
Klar ist: Wenn Sie im Internet etwas bestellen, dann
brauchen die Unternehmen Ihre Daten, damit das Paket
überhaupt bei Ihnen zu Hause ankommt. Aber wenn die
Daten missbraucht werden, gegen unseren Willen verwendet werden, dann kann das unangenehme Folgen
haben. Dann stehen plötzlich persönliche Daten auf
Webseiten oder landen bei kommerziellen Anbietern.
Wer von Ihnen geht denn schon zum Anwalt, weil er
einen Versandkatalog oder Werbung zugeschickt bekommt, die er gar nicht bestellt hat?
Fakt ist: Nach derzeitiger Rechtslage ist es für einen
Verbraucher kaum möglich und auch finanziell schlichtweg nicht zumutbar, gegen Datenschutzverstöße rechtlich vorzugehen. Nun mögen manche argumentieren:
Damit kann man ja wohl im Einzelfall noch leben. - Ich
bin damit nicht einverstanden. Und wenn dieses widerrechtliche Verhalten nun Tausende Verbraucherinnen
und Verbraucher betrifft? Dann stellt das eine erhebliche
Benachteiligung der Verbraucher gegenüber den Vertragspartnern dar.
Genau damit beschäftigt sich der Gesetzentwurf, über
den wir heute sprechen. Die Verbraucherverbände sollen
die Möglichkeit bekommen, auch bei Verstößen gegen
Datenschutzgesetze zu klagen. Das ist zunächst einmal
per se ein Gewinn für die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land, weil hier eine Lücke bei der
Rechtsdurchsetzung geschlossen wird. Im Detail, Kolleginnen und Kollegen - da gebe ich einigen meiner Vorredner durchaus recht -, werden wir sicher noch einiges
diskutieren müssen. Mein Vorschlag ist: Lassen Sie uns
aus dieser guten Vorlage gemeinsam ein sehr gutes Gesetz machen!
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Jetzt erhält Dr. Volker Ullrich das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im Mittelpunkt dieser Debatte steht die Sorge
um unsere Daten. Daten sind viel mehr als nur gespeicherte Datensätze, Zahlen und Adressen. Daten sind
heutzutage Teil der Persönlichkeit eines Menschen. Die
Würde und die entsprechende Persönlichkeit eines jeden
Menschen reflektieren sich auch in den Daten, die über
ihn gespeichert werden. Daten sind Teil dieser Persönlichkeit; deswegen müssen Daten geschützt werden.
Den Wert dieser Daten erkennt man daran, dass mittlerweile Unternehmen, die vielleicht nur wenig Umsatz
machen und die nicht einmal Gewinn erzielen, trotzdem
Milliarden Euro an den Börsen wert sind, nur weil sie
entsprechende Datensätze über uns alle haben. Deswegen besteht eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die
Spielregeln so aufzustellen, dass diese Daten nur in einem anständigen und für alle vertretbaren Rahmen genutzt und verwertet werden. Wir müssen ein Auseinanderfallen der Möglichkeiten der Onlineanbieter und der
Möglichkeiten der Verbraucher verhindern und zu einer
Balance kommen. Deswegen ist es richtig, dass sich
diese Große Koalition darauf verständigt hat, auch im
Bereich des Datenschutzes Verbandsklagerechte einzuführen. Aber wir sollten diese Rechte so ausgestalten,
dass sie auch praxistauglich sind.
In der Praxis haben wir im Augenblick schon die
Möglichkeit, über die Datenschutzbeauftragten der Länder bei entsprechenden Verstößen gegen Unternehmen
vorzugehen. Leider wird sie viel zu wenig genutzt. Wir
müssen uns alle fragen, weshalb von dieser Möglichkeit
in der Praxis viel zu wenig Gebrauch gemacht wird.
Möglicherweise liegt das auch daran, dass die Länder
die Datenschutzbeauftragten mit zu wenig Personal und
Ressourcen ausstatten. Deswegen muss der Appell ergehen, dass man auch die entsprechenden Ressourcen bereitstellt, damit Datenschutzbeauftragte ihre Arbeit vollbringen können.
({0})
Wenn wir über die Aufgaben der Datenschutzbeauftragten sprechen, dann ist es mir ein Anliegen - das wird
in diesem Gesetzgebungsverfahren noch zu besprechen
sein -, zu klären, wie wir aus den Befugnissen der zur
Verbandsklage berufenen Stellen einerseits und der Datenschutzbeauftragten andererseits kein Nebeneinander,
kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander für die Belange der Verbraucher machen. Wir brauchen Regeln für
die Zusammenarbeit. Das ist im Regierungsentwurf
noch nicht zufriedenstellend gelöst.
Wir müssen uns auch überlegen, wie wir diesen Entwurf vor dem Hintergrund einer sich formenden Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union, in
der ein solches Verbandsklagerecht möglicherweise
nicht gilt, auch europarechtskonform machen. Ich
glaube, das sind wir dem Jahrhundertwerk der Datenschutz-Grundverordnung schuldig.
({1})
Meine Damen und Herren, ich wünsche mir, dass wir
diese Debatte insgesamt auch nutzen, um die besondere
Bedeutung der Daten auch in diesem Hohen Hause zu
reflektieren. Daten sind eine Währung. Sie sind, wenn
sie in großen Mengen vorliegen, auch Rohstoff, Gold
des 21. Jahrhunderts. Deswegen haben Daten unseren
besonderen Schutz verdient. Wir werden sehr sensibel
bei diesem Gesetzgebungsverfahren darauf achten, dass
der Schutz des Verbrauchers im Mittelpunkt steht.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4631 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Staat Palästina anerkennen - Vollmitgliedschaft Palästinas in der UNO aktiv unterstützen
Drucksache 18/4334
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Wolfgang
Gehrcke, Fraktion Die Linke.
Danke sehr. - Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Unser Antrag, der hier im Parlament bereits diskutiert worden ist, hat eine sehr lebhafte Debatte
ausgelöst. Ich will Ihnen nur einmal aus einem Kommentar des ehemaligen israelischen Diplomaten Alon
Liel im Tagesspiegel zitieren. Er schreibt:
Es ist gut möglich, dass die schicksalhafte Entscheidung, ob jemals ein palästinensischer Staat
entstehen wird, in den Händen des Bundestages
liegt.
Ich finde, er hat recht, und genau deswegen haben wir
den Antrag geschrieben und hier eingebracht.
Ich möchte mit Ihnen jetzt einmal sehr ernsthaft ausloten, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt, um diese
katastrophale Situation im Nahen Osten, möglichst in
Richtung Frieden, zu beenden. Sie kennen ja die Erklärung des israelischen Regierungschefs Netanjahu, dass
es keinen palästinensischen Staat geben wird, solange er
Regierungschef ist. Er hat seine Erklärung zwischenzeitlich relativiert - das weiß ich auch -, aber das ist seine
Grundeinstellung.
Ich denke, dass man hier drei Möglichkeiten gegeneinander abwägen muss:
Erste denkbare Möglichkeit. Es bleibt beim Besatzungsstatut und einer Fortsetzung der Besatzung Palästinas. Das wird immer wieder Gewalt produzieren und gewaltsame Auseinandersetzungen mit sich bringen. Die
Fortsetzung der Besatzung ist nicht friedlich zu gestalten.
Die zweite denkbare Möglichkeit ist ein gemeinsamer
demokratischer Staat mit demokratischen Institutionen,
gegenseitiger Akzeptanz und der Bereitschaft zu einer
gemeinsamen Staatsbürgerschaft. Das würde bedeuten,
dass die Jüdinnen und Juden in diesem Staat in der Minderheit wären. Das wird in Israel nicht akzeptiert und
scheidet deswegen klar aus.
Die dritte denkbare Möglichkeit ist, dass es zwei demokratische Staaten nebeneinander gibt, die miteinander
verbunden sind: Israel und Palästina.
Sie entscheiden jetzt, in welche Richtung der Deutsche Bundestag votieren und Druck entwickeln soll.
Meine Entscheidung ist hier völlig klar: Ich möchte, dass
ein lebensfähiger und demokratischer palästinensischer
Staat entsteht, und das muss relativ schnell passieren. Es
ist nicht mehr viel Zeit.
({0})
Ich möchte gerne einmal aus dem grandiosen, großartigen Buch mit dem Titel Judas von Amos Oz zitieren,
das zur Buchmesse herausgebracht worden ist. Ich kann
jedem nur empfehlen, dieses Buch zu lesen. Amos Oz
beschreibt die Debatte in Israel vor der Staatsgründung.
Er sagt:
Dieses Land wird in zwei selbstständige Staaten
aufgeteilt, die durch eine Wirtschaftsunion und eine
gemeinsame Währung verbunden sind. Jerusalem
und Bethlehem werden unter internationale Kontrolle gestellt.
Ich finde, das ist eine großartige Vision, die er im
Rückblick entwickelt. Er schließt solche Überlegungen
also nicht aus. Um dorthin zu kommen, führt der Weg
heute über einen eigenständigen demokratischen palästinensischen Staat.
Zum Abschluss will ich Ihnen auch nicht vorenthalten, was seine - meine auch - Angstvision ist. Er
schreibt in diesem Buch auch:
Die Araber erleben Tag für Tag die Katastrophe ihrer Niederlage, und die Juden erleben Nacht für
Nacht ihre Angst vor der Rache.
Das ist die Angstvision von heute. Ich finde, aus dieser Angstvision muss es einen Ausweg geben, und ich
möchte gerne, dass wir diesen Ausweg mit aufzeigen.
Der Bundestag hat die Verpflichtung, klar für eine
Zweistaatenlösung einzutreten. Der Weg zur Zweistaatenlösung geht über eine Vollmitgliedschaft Palästinas in
der UNO. Warum soll man denn unseren Freunden nicht
sagen, was heute notwendig ist?
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Als Nächster hat Dr. Johann
Wadephul, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Gehrcke, ich bin mit Ihnen der
Auffassung, dass das Hohe Haus eine große Bedeutung
hat und dass wir zum Palästinakonflikt sicherlich auch
Stellung nehmen sollten. Wir sollten aber nicht den Eindruck erwecken, dass wir als Deutscher Bundestag das
jetzt alleine entscheiden. Wir sollten uns konstruktiv an
dem Prozess beteiligen. Das tun wir. Die deutsche Bundesregierung tut dies seit vielen Jahren, und ich denke,
das sollten wir auch fortsetzen.
Sie haben hier drei Möglichkeiten aufgezeigt. Es ist
doch völlig unstreitig, dass die dritte Möglichkeit präferiert und auch von der internationalen Gemeinschaft eindeutig unterstützt wird. Das heißt, die Zweistaatenlösung
muss verfolgt werden. Diese unterstützen wir, hinter ihr
stehen wir, und das sollte auch niemand infrage stellen.
Es ist in der Tat - da haben Sie recht - eine Tragik, dass
die Bemühungen, nachdem sich die amerikanische Administration viele Jahre zurückgehalten hatte und Außenminister Kerry hier wieder initiativ geworden ist und
viel Kraft, Zeit und amerikanische Autorität investiert
hat, erst einmal gescheitert sind. Ich kann die amerikanische Seite nur auffordern, bitten und ermuntern. Ich
denke, wir sollten unseren Beitrag dazu leisten, dass die
amerikanische Administration den Faden noch einmal
aufnimmt, auch in der verbleibenden Amtszeit von Präsident Obama. Wir sollten ihn und John Kerry auffordern und unterstützen, ihre Bemühungen wieder aufzunehmen und das Ziel einer Zweistaatenlösung
weiterzuverfolgen. Das würden wir unterstützen.
({0})
Sie haben die Äußerungen Netanjahus angesprochen.
In der Tat hat diese Wahlkampfäußerung - ich glaube,
das war wirklich nur eine Wahlkampfäußerung - für Irritationen gesorgt. Ich stehe nicht an, hier eindeutig zu sagen: Sollte irgendein israelischer Politiker eine Art versteckte Agenda haben, also die Zweistaatenlösung nur
formal verfolgen, aber in der Sache nicht bereit sein, den
Weg zu einem demokratischen, rechtsstaatlichen und
friedlichen Palästinenserstaat zu beschreiten, dann hätte
er dafür nicht unsere Unterstützung; das muss man klar
sagen.
Auf der anderen Seite muss man auch klar sagen, dass
wir von allen Palästinensern, insbesondere der Hamas,
erwarten müssen, dass sie bereit ist, Israel als einen eigenständigen Staat mit einem eigenständigen Existenzrecht anzuerkennen. Das haben wir in dieser Klarheit
bisher nicht gehört.
({1})
Herr Kollege Gehrcke, ich will in die Debatte keine
Schärfe hineinbringen, aber da gibt es auch in Ihrer
Fraktion noch einigen Nachholbedarf, was das Verhältnis zu Israel angeht. Ich gehe davon aus, Sie arbeiten daran. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg. Aber dass die
Existenz des Staates Israel - wir werden in der nächsten
Sitzungswoche 50 Jahre diplomatische Beziehungen
zwischen Deutschland und Israel zu würdigen haben für Deutschland eine besondere historische Verantwortung ist, soll hier noch einmal unterstrichen werden. Es
ist die Aufgabe aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages, dafür einzustehen. Die Linke ist herzlich eingeladen, hier mitzumachen.
Dann müssen wir uns fragen: Wie können wir diesen
Weg weiter verfolgen und hier vorangehen? Da sind in
nächster Zeit auf beiden Seiten Kompromissbereitschaft
und auch die Bereitschaft gefordert, miteinander zu diskutieren. Sie selber haben gerade erklärt: Ja, wir brauchen die Anerkennung eines demokratischen Staates Palästina. Dazu muss man sagen, dass Präsident Abbas,
den wir durchaus schätzen und der, glaube ich, auch guten Willens ist, hier zu einer Lösung zu kommen, nachdem er für vier Jahre gewählt worden war, jetzt im neunten Jahr seiner Dienstzeit steht. Dass da demokratische
Legitimation nicht mehr vorhanden ist, muss man ehrlicherweise dazusagen.
({2})
- Man kann das faktisch betrachten und sagen: Seien Sie
froh, dass gerade diese oder jene Person an der Macht
ist. Aber ich meine, wir müssen mit unserem Verständnis, Herr Kollege Gehrcke, Wert darauf legen, dass diejenigen, die Regierungsgewalt ausüben, demokratisch
legitimiert sind, sei es durch Wahlen, sei es durch Abstimmungen. Das ist derzeit in Palästina nicht der Fall.
Es hat eine Einheitsregierung gegeben; das ist ein
hoffnungsvolles Zeichen gewesen. Es hat auch positive
Entwicklungen gegeben; auch das muss ich sagen.
({3})
Wir müssen natürlich auch erwarten, dass diese Einheitsregierung funktioniert. Das tut sie aus meiner Sicht zum
jetzigen Zeitpunkt nicht. Sie ist nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen. Sie ist auch nicht in der Lage, dafür
zu sorgen, dass es keine Raketenangriffe oder andere
Anschläge auf israelisches Gebiet oder gegen israelische
Bürger gibt. Diese hat es leider zuletzt gegeben; das
muss man eindeutig sagen.
In dieser Situation halten wir es für verkehrt - Frau
Präsidentin, ich komme zum Schluss -, einseitig voranzugehen, Palästina einseitig anzuerkennen, auf welchem
Wege auch immer. Wir sind weiterhin der Auffassung:
Der Weg zu einer Zweistaatenlösung muss weiterverfolgt werden. Da müssen wir Druck aufbauen, und da
müssen wir Unterstützung leisten. Ich denke, wenn wir
das machen, dann gibt es auch eine Aussicht auf Erfolg.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Als Nächstes hat Omid Nouripour,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute
ist ein besonderer Tag für Deutschland und für Israel.
Heute ist der Unabhängigkeitstag Israels. Dieser Tag ist
eng mit der deutschen Geschichte verbunden. Aus ihr
heraus ergibt sich unsere unverbrüchliche Verpflichtung
für die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel.
({0})
In seiner Rede zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus hat Bundespräsident Gauck darauf hingewiesen, dass diese Verpflichtung für alle gilt, die in
Deutschland zu Hause sind, als eine Verantwortungsgemeinschaft, die nicht aus einer Erfahrungsgemeinschaft
herrührt. Ich finde, der Bundespräsident hat recht.
({1})
Das Recht auf Selbstbestimmung, auf ein Leben in
Frieden und in Freiheit gilt für alle Menschen gleichermaßen. Selbstbestimmung, Sicherheit und Freiheit können für Palästinenser und Israelis letztlich nur dann Realität werden, wenn sie sie sich gegenseitig gewähren.
Denn Israelis und Palästinenser sind auf ewig Nachbarn.
Kein Zaun ist hoch genug, um auf Dauer Frieden zu ersetzen, und einen dauerhaften Frieden kann es nur mit
einer Zwei-Staaten-Lösung geben.
({2})
Eine Zwei-Staaten-Lösung ist die einzige Antwort auf
die berechtigten nationalen Ansprüche beider Seiten.
Viele entscheidende Parameter einer friedlichen Lösung
liegen längst vor. Eine Einigung hat es bisher nicht gegeben. Das Zeitfenster wird kleiner. Wenn man sich fragt,
warum, dann fallen einem die Worte des libanesischen
Schriftstellers Elias Khoury ein, der gesagt hat: Wir erleben einen Pessimismus des Willens im Nahen Osten.
Nichts ist gefährlicher, als sich in diesem Pessimismus bequem einrichten zu wollen. Israel schafft mit seiner Siedlungspolitik Fakten, die sich immer schwerer
umkehren lassen. Der Alltag der Besatzung schafft eine
tiefsitzende Frustration. Die humanitäre Not im Gazastreifen wird täglich größer. Hamas, aber auch Israel und
Ägypten tragen dafür eine große Verantwortung.
Gleichzeitig häufen sich Berichte darüber, wie erfolgreich der islamische Dschihad und die Hamas in Gaza
bereits Rekrutierungen für die nächste militärische Auseinandersetzung betreiben. So dreht sich die Eskalationsspirale jeden Tag weiter. Am Ende leidet vor allem
die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten.
In beiden Gesellschaften ist die Mehrheit der Menschen für die Zwei-Staaten-Regelung immer noch sehr
groß. Gleichzeitig haben diese Menschen seit Jahren
kaum noch Grund, darauf zu vertrauen, dass es erfolgreiche Verhandlungen geben wird. Das scheint auch für die
internationale Gemeinschaft zu gelten, nachdem die
zahlreichen Bemühungen von US-Außenminister Kerry
im vergangenen Jahr gescheitert sind.
Die fatalen Wahlkampfäußerungen von Netanjahu,
aber auch die Schwäche von Abbas sind besorgniserregend und tragen nicht dazu bei, das Vertrauen wieder
aufzubauen. Aber gerade in dieser Situation müssen wir
alles, was wir können, dazu beitragen, dass die Hoffnung
auf Frieden und eine Zwei-Staaten-Lösung auf keinen
Fall dauerhaft verloren geht.
({3})
Deutschland muss klarmachen, dass es an der Seite
Israels steht und dass für uns die Wiederaufnahme der
Friedensverhandlungen oberste Priorität hat. Denn so
wie Verhandlungen eine Anerkennung nicht ersetzen, so
ersetzt eine Anerkennung nicht die Friedensverhandlungen. Die Anerkennung Palästinas muss mit der Unterstützung der Entwicklung von Friedensverhandlungen
Hand in Hand gehen, wie es das Europäische Parlament
in seiner Resolution vorschlägt.
Was Sie vorschlagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken, nämlich eine unverzügliche Anerkennung durch Deutschland, ist eher eine Trotzreaktion,
aber keine Politik. Noch verwirrender ist aus meiner
Sicht, dass Sie in dem Zusammenhang komplett auf den
europäischen Kontext verzichten, gerade wenn man berücksichtigt, dass es auf dieser Ebene sehr viel Dynamik
gibt.
Wir müssen uns mit allen Kräften darum bemühen,
eine glaubwürdige Perspektive für die Zwei-StaatenLösung aufrechtzuerhalten. Das passt sicherlich nicht
damit zusammen, dass einzelne Kolleginnen und Kollegen die BDS-Kampagne unterstützen, die faktisch gegen
die Zwei-Staaten-Lösung arbeitet. Denn wenn wir die
Hoffnung aufrechterhalten wollen, dann müssen wir diejenigen stärken, die sich auf beiden Seiten für eine friedliche Regelung des Konflikts einsetzen.
({4})
Kein Zaun ersetzt auf Dauer Frieden, und dauerhaften
Frieden gibt es nur mit einer Zwei-Staaten-Lösung.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt
Niels Annen das Wort.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion
ebenso wie die Bundesregierung und, ich denke, auch
die Europäische Union halten an der Zwei-StaatenLösung fest. Wir sind der Auffassung, dass zunächst die
Friedensverhandlungen wieder aufgenommen werden
müssen, da einseitige Maßnahmen das Konfliktpotenzial
erhöhen und deswegen eine dauerhafte Belastung für
den Friedensprozess darstellen würden. Die israelische
Regierung und die Palästinensische Autonomiebehörde
sind daher aufgerufen, schnellstmöglich an den Verhandlungstisch zurückzukehren und die Umsetzung einer
Zwei-Staaten-Lösung nun wirklich als Ziel in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei muss natürlich sowohl das
Existenzrecht Israels als auch ein lebensfähiger palästinensischer Staat in den Mittelpunkt gerückt werden.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, werden
wir Ihren Antrag ablehnen.
Dennoch gibt es natürlich Gründe - das ist auch deutlich geworden -, über den Konflikt zwischen Palästina
und Israel zu diskutieren; denn die Wahrheit ist doch:
Fortschritte sind trotz enormer internationaler Bemühungen ausgeblieben. Nach dem Scheitern der von Außenminister Kerry vermittelten Friedensgespräche befinden
wir uns nun wieder dort, wo wir uns vorher befunden haben, nämlich in einer Sackgasse.
Unruhe und Unzufriedenheit über den Stillstand bei
diesen Verhandlungen wachsen, und das ist auch nachvollziehbar. Ich denke, auch hier bei uns im Deutschen
Bundestag, auch in Europa steigt die Frustration über die
fortdauernde Besatzung und über die fortgesetzte Siedlungspolitik; vor allem Letztere ist ein großes Hindernis
für das Zustandekommen einer politischen Lösung.
Diese Frustration erklärt auch die Debatten über eine
Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen
Staates in anderen europäischen Staaten. Darüber ist
auch in anderen europäischen Parlamenten sicherlich
diskutiert worden.
({0})
Deswegen, Herr Kollege Gehrcke, ist Ihr Antrag auch
nicht überraschend. Es ist auch in Ordnung, dass wir darüber diskutieren. Mich hat eher gewundert, dass er erst
jetzt gestellt wird.
({1})
Die politische Situation, vor der wir stehen, ist durchaus zwiespältig. Natürlich gibt es auf der einen Seite
gute Gründe, die Politik der gegenwärtigen israelischen
Regierung zu kritisieren. Ich bin der Meinung, dass die
Regierung Netanjahu sehr viel Zeit, eher zu viel Zeit, ungenutzt hat verstreichen lassen, überwiegend taktiert hat
und damit leider konkrete Schritte in Richtung einer
Zwei-Staaten-Lösung unterminiert hat. Das ist eine bedauerliche Entwicklung, und das ist auch von Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung und auch dieses Parlamentes wiederholt in einer angemessenen Form
zum Ausdruck gebracht worden.
Ich denke auch, man kann am Ende nur schwer dem
widersprechen, was Außenminister Kerry vor dem Kongressausschuss gesagt hat. Er hat relativ deutlich gemacht, wo er den größten Hinderungsgrund für das
Scheitern seiner Initiativen gesehen hat, nämlich in der
Weigerung der Regierung Netanjahu, sich wirklich auf
substanzielle Gespräche einzulassen. Dazu gehört natürlich auch die Bereitschaft, entsprechende Zugeständnisse zu machen.
Aber auf der anderen Seite kann man hier auch nicht
einfach so tun, als hätten wir hier im Deutschen Bundestag es in der Hand, über die Anerkennung eines palästinensischen Staates zu entscheiden.
({2})
Das entspricht einfach nicht den Realitäten. Es ist so:
Der Bundestag verfügt nicht über den Schlüssel - Sie,
Herr Kollege Gehrcke, mögen das bedauern - zur Lösung des Nahostkonflikts. Man sollte darauf hinweisen,
dass selbst dort, wo Anerkennungen ausgesprochen worden sind - im UN-Rahmen hat das die große Mehrheit
der Staaten getan -, diese Anerkennungen, wenn man
ganz ehrlich ist, fast keinerlei Auswirkungen auf die
Politik der israelischen Regierung gehabt haben. Das
mag man bedauern; trotzdem ist dies eine Tatsache.
({3})
Deswegen habe ich den Eindruck, dass hier eine Erwartung geschürt wird, die nicht erfüllt werden kann.
({4})
Ich habe auch mit Vertretern der Palästinensischen Autonomiebehörde darüber gesprochen. Das ist eine Erwartung der Autonomiebehörde, die ich gut nachvollziehen
kann, die aber trotzdem in die Irre führt. Um es sehr klar
zu sagen: Ein palästinensischer Staat entsteht nicht durch
den Beschluss des Deutschen Bundestages, er entsteht
nur durch eine einvernehmliche politische Lösung zwischen den Partnern.
({5})
Ich glaube, es ist wichtig, gerade in einer ausgesprochen sensiblen und entscheidenden Situation, in der in
Israel darüber diskutiert wird, wie die neue Regierung
zusammengestellt wird, noch einmal darauf hinzuweisen, dass es die große Sorge gibt, zumindest in meiner
Fraktion - ich könnte mir vorstellen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, dass Sie diese Sorge teilen -, dass sich das
Zeitfenster für eine Zwei-Staaten-Lösung langsam zu
schließen beginnt.
({6})
Es muss uns Sorge machen - das ist hier von anderen
Kollegen zu Recht gesagt worden -, dass die Äußerungen im Wahlkampf, dass es mit ihm, Netanjahu, als
Ministerpräsidenten keine Zwei-Staaten-Lösung geben
werde, in der Tat eine bedenkliche Entwicklung darstellen, auch einen Höhepunkt der bisherigen Palästina-Politik von Ministerpräsident Netanjahu. Denn er hat mit
dieser Äußerung ja nicht nur eine Wahlkampfäußerung
getätigt, Herr Kollege Wadephul, sondern natürlich im
Kern auch das Instrumentarium, das wir über viele Jahre
aufgebaut haben, infrage gestellt.
Ich will an dieser Stelle schon sagen: Wenn das die
Politik einer neuen israelischen Regierung sein sollte,
dann würde das natürlich nicht nur einen großen Rückschlag in der Debatte darstellen, sondern es wäre auch
ein Bruch mit internationalen Verpflichtungen, die Israel
eingegangen ist.
({7})
Deswegen glaube ich, dass man in dieser Situation darüber noch einmal diskutieren müsste.
Ich bin schon ermutigt dadurch, dass Premierminister
Netanjahu diese Äußerungen in den vergangenen Wochen relativiert hat und seine Bereitschaft geäußert hat,
über die bisherigen Vorschläge von Außenminister
Kerry weiter zu diskutieren.
({8})
Ich will am Ende noch etwas zu der innenpolitischen
Verfasstheit Israels sagen. Viele von uns haben bei der
Beobachtung des Wahlkampfes den Eindruck gewonnen,
als stünde die Frage der Zwei-Staaten-Lösung im Mittelpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzung in Israel.
Ich glaube, dass das eine Fehleinschätzung ist.
({9})
Es gibt in Israel große innere Spannungen. Sie haben etwas mit der demografischen Entwicklung zu tun. Sie haben etwas mit der ungerechten Einkommensentwicklung
zu tun. Wir haben eine soziale Protestbewegung erlebt,
die sich artikuliert hat und deren Vertreter jetzt zum Teil
Mitglied der Knesset sind. Ich glaube, dass wir dieses
ganz besondere Jahr des 50-jährigen Jubiläums der
deutsch-israelischen Beziehungen nicht nur nutzen sollten, um offizielle Gespräche zu führen - das ist alles hervorragend organisiert, und ich freue mich auf viele Begegnungen mit Kolleginnen und Kollegen in Israel -,
sondern auch, um mit den Vertretern der neuen zivilgesellschaftlichen Initiativen über die gesamte Bandbreite
unserer Beziehungen zu diskutieren und auch über die
Sorgen, die in dieser Debatte artikuliert worden sind.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Vielen Dank. - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Andrea Lindholz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am 12. Mai dieses Jahres werden wir das 50-jährige Jubiläum der deutsch-israelischen Beziehungen feiern.
Nach dem Grauen des Holocaust, mit dem Nazideutschland unfassbares Leid über das jüdische Volk gebracht
hat, wirkt dieses Jubiläum wie ein Wunder.
Die deutsch-israelischen Beziehungen gehören genauso wie das Existenzrecht Israels zu den Säulen der
deutschen Außenpolitik. Daran darf und wird sich auch
nichts ändern. Schon allein aufgrund unserer besonderen
Verantwortung gegenüber Israel muss sich Deutschland
für Frieden und Stabilität im Nahen und Mittleren Osten
einsetzen.
Im Koalitionsvertrag haben wir eine Zwei-StaatenLösung zu unserem Ziel erklärt. Wir wollen einen Staat
Israel in anerkannten und dauerhaft sicheren Grenzen sowie einen unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat. Diese Zwei-Staaten-Lösung schließt letztendlich auch eine Anerkennung des
Staates Palästina durch die Bundesrepublik mit ein.
Einige Parlamente in Europa haben diese Anerkennung in den letzten Monaten gefordert, allerdings nicht
bedingungslos, wie es im Antrag der Linken ausgeführt
wird. Das Europaparlament und das spanische Parlament
unterstützen die Anerkennung Palästinas zwar im Prinzip, sie wird aber von erfolgreichen Friedensverhandlungen abhängig gemacht. Ein solcher Vorbehalt befindet
sich zum Beispiel im Antrag der Linken nicht.
({0})
Eine Zwei-Staaten-Lösung kann nur zusammen mit
und nicht gegen Israel gelingen. Das israelische Volk
muss davon überzeugt werden, dass die Sicherheit Israels von einem souveränen palästinensischen Staat
nicht bedroht wird, sondern dass dieser Staat eine Voraussetzung für dauerhaften Frieden schaffen kann.
Auf die Anerkennung Palästinas durch Schweden hat
Israel mit dem schärfsten diplomatischen Mittel reagiert
und den Botschafter aus Stockholm abgezogen. Eine solche Eskalation der Beziehungen zwischen Israel und
Deutschland zum 50-jährigen Jubiläum zu riskieren,
wäre unerträglich.
Im Antrag der Linken wird mit keinem Wort das Sicherheitsbedürfnis Israels und sein Existenzrecht erwähnt. Beides muss aber im Friedensprozess eine zentrale Rolle spielen und insbesondere auch in einem
Antrag des Deutschen Bundestages.
({1})
Diese Einseitigkeit zeugt von fehlendem außenpolitischem Gespür.
Eine Anerkennung, wie sie im Antrag der Linken gefordert wird, hätte vor allen Dingen einen symbolischen
Charakter und würde einseitig Druck aufbauen. Angesichts des extrem instabilen Friedensprozesses sollten
wir uns genau überlegen, ob wir damit den Friedensprozess tatsächlich voranbringen würden.
Unser primäres Ziel muss es sein, die Friedensverhandlungen wieder in Gang zu setzen; denn nur so kommen wir der Zwei-Staaten-Lösung näher.
Seit den Friedensverträgen von Oslo nimmt Israel
Steuern für die palästinensischen Behörden ein und
überweist sie.
({2})
Wenn die israelische Regierung diese Gelder nun teilweise zurückhält, um damit politische Stimmungsmache
zu betreiben und Druck auf die palästinensische Verwaltung auszuüben, dann schadet sie sich selbst in dreifacher Hinsicht: Erstens schwächt sie damit die Kräfte im
Westjordanland, die auf palästinensischer Seite aktiv an
einer friedlichen Lösung des Konfliktes mitarbeiten.
Zweitens steigt dadurch die Gefahr einer Radikalisierung. Drittens verstößt die israelische Regierung damit
gegen Friedensverträge.
Letztendlich zeigt dieses Beispiel aber auch, wie abhängig Palästina von Israel ist. Nur am Verhandlungstisch kann die internationale Gemeinschaft an dieser Abhängigkeit etwas ändern. Wenn die Lage eskaliert, so
wie in Schweden, dann gewinnt man nichts.
Deutschland muss daher klar Position beziehen und
Israel zur Mitarbeit an der Zwei-Staaten-Lösung nachhaltig drängen. Echte Freundschaft zeichnet sich auch
dadurch aus, dass man ehrlich zueinander ist und Fehlentwicklungen anspricht. Das muss Deutschland in Israel weiterhin tun.
An einer Delegationsreise des Innenausschusses nach
Israel vor drei Wochen haben Vertreter aller Fraktionen
teilgenommen, auch Vertreter Ihrer Fraktion, von denen
heute aber kein einziger hier ist - im Gegensatz zu den
Vertretern der anderen Fraktionen. Das hat mich überrascht und auch etwas gewundert. Wir haben in diesen
Gesprächen vor Ort, in denen wir uns mit palästinensischen und israelischen Gesprächspartnern aus den verschiedensten Bereichen unterhalten haben, gespürt, wie
unterschiedlich die Sichtweisen beider Lager zum Teil
sind. Wir haben gespürt und gehört, wie schwierig es ist,
die Verhandlungen zu führen, und was für ein zweifellos
hartes Stück Arbeit das bedeutet. Wir haben aber auch
erlebt, wie stark die Bande zwischen unseren Ländern
heute sind. Wir haben gesehen, was wir gefährden würden, wenn wir Ihrem Antrag heute zustimmen würden.
Wenn ich mich daher gegen Ihren Antrag ausspreche,
dann ist das kein Votum für Israel und gegen Palästina,
sondern ein Votum für Palästina und Israel mit der Hoffnung, dass die Friedensverhandlungen zügig wieder aufgenommen werden.
Danke schön.
({3})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4334 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe: Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
der Verfolgung der Vorbereitung von
schweren staatsgefährdenden Gewalttaten
({0})
Drucksache 18/4087
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung der Verfolgung
der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten
({1})
Drucksache 18/4279
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({2})
Drucksache 18/4705
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dirk Wiese,
SPD-Fraktion.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Gedanke ist unerträglich: Deutsche
Staatsbürger morden, foltern, entführen, begehen im
Ausland schlimmste Straftaten im Namen terroristischer
Vereinigungen. Es handelt sich dabei nicht um Einzeltäter, sondern es ist eine stetig steigende Zahl von meist
jungen Männern, die sich auf den Weg machen, um sich
Terrororganisationen wie dem IS anzuschließen. Nach
Daten des Verfassungsschutzes reisten bislang über
680 deutsche Staatsbürger als sogenannte Foreign Fighters in die Krisengebiete im Irak und in Syrien aus, davon allein 175 aus meiner Heimat Nordrhein-Westfalen.
Das kann kein Staat dulden. Das können wir nicht
dulden. Keiner darf tatenlos zuschauen, wenn die eigenen Bürger Tod und Leid in die Welt hinaustragen. Terrorismus darf nicht zum Exportgut werden.
({0})
Dieser Gedanke findet auch Ausdruck in der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
24. September 2014, die wir heute in nationales Recht
umsetzen. Zukünftig macht sich derjenige strafbar, der
in Krisengebiete reist oder zu reisen versucht, um dort
ein terroristisches Ausbildungslager zu besuchen oder an
Kampfhandlungen teilzunehmen. Flankiert wird diese
Änderung im Strafgesetzbuch durch ein weiteres Gesetzgebungsverfahren, in dem wir das Passgesetz ändern und
Gefährdern - also Personen, die unter Terrorismusverdacht stehen - den Personalausweis entziehen und sie
am Verlassen des Landes hindern.
Mit dieser Maßnahme unterbinden wir nicht nur
Straftaten im Ausland, sondern stärken auch die innerdeutsche Sicherheit; denn Rückkehrer aus diesen Konfliktregionen, von denen es nach Schätzungen des Bundeskriminalamtes derzeit um die 200 gibt, bilden ein
großes Sicherheitsrisiko für die Bürgerinnen und Bürger
in unserem Land. Sie sind ideologisch geschult und im
Umgang mit Waffen und Sprengstoff ausgebildet. Sie
sind zu schlimmsten Taten fähig, was auch die schrecklichen Anschläge von Paris gezeigt haben. Auch diese Täter hatten vorher im Ausland entsprechende Erfahrungen
gesammelt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das allein reicht
aber noch nicht aus; denn wenn wir Terrororganisationen
wie den IS in ihrem Kern treffen wollen, müssen wir
auch ihre Finanzierungsquellen trockenlegen. Dazu
brauchen wir eine verstärkte internationale Zusammenarbeit. Das gilt für die Strafverfolgungsbehörden, aber
auch für internationale Konzerne. Auch sie tragen Verantwortung und sollten genau hinschauen, mit wem sie
Geschäfte machen.
Auch deshalb schaffen wir mit § 89 c des Strafgesetzbuches einen eigenständigen Tatbestand der Terrorismusfinanzierung,
({1})
der einheitlich alle Formen der Terrorismusfinanzierung
unter Strafe stellt - auch Fälle, in denen es sich nur um
kleinste Beträge handelt. Damit schließen wir eine entscheidende Strafbarkeitslücke und erfüllen zugleich die
Forderung der bei der OECD angesiedelten sogenannten
Financial Action Task Force.
Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen sind
wir zu dem Schluss gekommen, den § 89 c um das
Merkmal der tätigen Reue zu ergänzen. Zum einen wollen wir dadurch Tätern die Möglichkeit geben, durch
eine aktive Mitarbeit an der Aufarbeitung ihrer Taten
über eine sogenannte goldene Brücke zurück in die Legalität zu gelangen. Zum anderen geben wir auch den
Ermittlungsbehörden ein strategisches Mittel in die
Hand, um auf gefasste Täter einwirken und für die Preisgabe von wichtigen Informationen Strafnachlässe in
Aussicht stellen zu können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir, glaube ich, ein Zeichen,
dass wir Gewalt und Terror entschlossen und mit der
ganzen Härte des Gesetzes verfolgen. Gleichwohl ist uns
natürlich klar, dass das Strafrecht immer nur Teil einer
Gesamtstrategie sein kann; denn wenn das Strafrecht
zum Einsatz kommt, ist es meistens schon zu spät. Wir
müssen eingreifen, bevor sich Menschen radikalisieren
und im schlimmsten Fall zu Straftätern werden.
Es ist der Initiative von Bundesfamilienministerin
Manuela Schwesig zu verdanken, dass die für Präventionsprogramme gegen Islamismus bereitstehenden Gelder gerade erst durch den Deutschen Bundestag um
10 Millionen Euro erhöht wurden.
({2})
Ich glaube, das ist ein guter und richtiger Weg; denn nur
durch Präventionsprogramme können wir auch den
Kampf um die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen und ihnen zeigen, dass der Weg in den Terrorismus
immer eine Sackgasse ist, an deren Ende nur Leid und
Unglück stehen, nicht aber das Paradies wartet.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Vielen Dank. - Das Wort hat Halina Wawzyniak,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wollen Sie die Ausreise und den Versuch der Ausreise in einen Staat, in dem sich ein sogenanntes Terrorcamp befindet, unter Strafe stellen, wenn diese Ausreise in der
Absicht geschieht, eine terroristische Gewalttat zu begehen. Gleichzeitig wird die Bestrafung der sogenannten
Terrorismusfinanzierung neu geregelt.
Die in der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf
vorgetragenen Einwände bleiben bestehen. Es gibt - erst
recht nach der Anhörung im Ausschuss - noch weitere
Argumente, weshalb wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen
werden. Ein Teil der Sachverständigen hat verfassungsrechtliche Bedenken vorgetragen. Diese beziehen sich
auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Übermaßund das Bestimmtheitsgebot.
({0})
Ich teile diese Bedenken ausdrücklich.
Darüber hinaus wurde von einigen Sachverständigen
auf Nachweisprobleme hingewiesen. Diese wiederum
könnten dazu führen, dass es zwar einen Straftatbestand
im Strafgesetzbuch gibt, in einem rechtsstaatlichen Verfahren eine Verurteilung aber nicht herbeiführbar ist. Damit bleibt eine solche Gesetzesänderung nur reine Symbolpolitik.
({1})
Der vorgelegte Änderungsantrag macht den Gesetzentwurf auch nicht zustimmungsfähig; denn was auf der
einen Seite eine moderate und kleine positive Änderung
ist - nämlich die Einführung der tätigen Reue -, wird auf
der anderen Seite durch die Erweiterung des subjektiven
Tatbestandes wieder aufgehoben. Sie schreiben in der
Begründung, dass Sie davon ausgehen, dass Nachweisprobleme verringert werden sollen. Ich sehe das genau
andersherum. Die Absicht der Terrorismusfinanzierung
nachzuweisen, wird mindestens genauso schwer sein,
wie das Wissen um die Terrorismusfinanzierung nachzuweisen. Wir alle hier im Saal sind uns einig, dass wir
nicht wollen, dass jemand in solche Camps ausreist.
Aber - auch da wiederhole ich mich im Hinblick auf das,
was ich in der ersten Lesung gesagt habe - wie soll denn
praktisch die Ausreise verhindert werden? Tatsächlich
wird es wohl so sein, dass derjenige, der ein Flugticket,
zum Beispiel in den Irak, nach Syrien oder in ein Transitland wie die Türkei, erwirbt und den Sicherheitsbehörden terrorverdächtig erscheint, vor der Ausreise festgenommen werden kann. So ist es geplant. Aber die
Fragen, wer terrorverdächtig ist, wie das konkret geprüft
werden soll und warum es dann, wenn man terrorverdächtig ist, nicht andere Wege geben soll, die Ausreise
zu verhindern, sind auch in der Anhörung nicht beantwortet worden. Am Ende - das muss man mit aller Deutlichkeit sagen - ist dieser Gesetzentwurf ein weiterer
Schritt zur Umwandlung des Rechtsstaates in einen Präventionsstaat. Der liberale Rechtsstaat ist aber ein Wert
an sich, und wir sollten ihn gemeinsam verteidigen, statt
ihn immer weiter auszuhöhlen.
({2})
Wenn wir auf dem Weg des Ausbaus von Überwachungsinstrumenten in der Strafprozessordnung und im
Gefahrenabwehrrecht weitergehen, dann stellen wir
selbst infrage, was wir eigentlich verteidigen wollen.
Wenn wir auf dem mit dem Terrorismusstrafrecht 1976
begonnenen Weg einer Entwicklung weg von Tatstrafrecht und Schuldprinzip hin zu einer Verpolizeilichung
des Strafrechts nicht endlich umkehren, sondern ihn immer weiter beschreiten, dann haben am Ende all jene
Terroristinnen und Terroristen gewonnen, die sich gegen
eine freiheitlich-demokratische Grundordnung wenden.
Lassen Sie uns endlich zu folgendem Grundsatz zurückkehren und ihn einhalten: Für die Abwehr konkreter Gefahren ist das Gefahrenabwehrrecht zuständig und nicht
das Strafrecht. Das Strafrecht verlangt eine Rechtsgutverletzung, mindestens aber eine konkrete Rechtsgutgefährdung.
Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung in
Deutschland fordert eine strafverfolgungspraktische,
verfassungsrechtliche und rechtspolitische Überprüfung
des GVVG. Sie hätten der Kommission folgen sollen,
statt auf die billige Beruhigungspille Strafrecht zu setzen. Die Linke lehnt deshalb Ihren Gesetzentwurf ab und
fordert im vorliegenden Entschließungsantrag seine
Rücknahme.
({3})
Vielen Dank. - Jetzt erhält Ansgar Heveling, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es war offensichtlich eine große Portion Glück mit im
Spiel, als die französische Polizei gestern in Paris die geplanten Attentate auf zwei christliche Kirchen in Frankreich aufdecken und vereiteln konnte. Soweit bisher bekannt ist, hatte der 24-jährige mutmaßliche Attentäter
den Auftrag für die Anschläge von einer bislang unbekannten Person aus dem Ausland, vermutlich aus Syrien,
erhalten. Im vergangenen Jahr hatte er zudem offenbar
versucht, nach Syrien auszureisen.
Dieses hochaktuelle Beispiel macht deutlich: Terrorismus kann uns überall umgeben. Attentäter können jederzeit und an jedem Ort zuschlagen. Die Gefahren sind
real. Terrorismus kennt keine nationalen Grenzen, und
seine internationalen Netzwerke funktionieren offensichtlich reibungslos. Wir sehen es auch am IS: Der Verkauf von Öl, der Handel mit geraubten Kunstwerken,
aber auch die Zusammenarbeit mit weltweit operierenden Strukturen der organisierten Kriminalität,
({0})
all das sorgt für die nötige Liquidität, um Angst und
Schrecken, Tod und Terror in die Welt zu tragen. Das bedeutet aber gleichzeitig auch, dass die Bekämpfung des
Terrorismus keine Aufgabe einzelner Nationalstaaten
mehr sein kann. Sie ist vielmehr eine Herausforderung
für alle Staaten, die Freiheit und Sicherheit garantieren
wollen. Die Weltgemeinschaft hat reagiert; hierauf hatte
ich bereits in der ersten Lesung aufmerksam gemacht.
Erstmalig bildet eine Resolution des UN-Sicherheitsrates die Grundlage für einen Gesetzentwurf im Deutschen
Bundestag.
({1})
Der Blick auf die Resolution zeigt zunächst vor allem
eines: Viele der in der Resolution genannten Aspekte,
die von den Vereinten Nationen zur Umsetzung vorgeschlagen werden, sind bereits geltendes deutsches Strafrecht.
({2})
Lediglich bei der Strafbarkeit der Terrorismusfinanzierung und bei der Strafbarkeit des Ausreisens mit dem
Ziel, terroristische Straftaten zu begehen, hat sich Anpassungsbedarf ergeben. Hier setzt der vorliegende Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung
beraten und beschließen, an. Über die Details haben wir
bereits bei der ersten Lesung ausführlich debattiert.
Im Zuge der Beratungen im Rechtsausschuss und als
Ergebnis der Sachverständigenanhörung hat sich weiterer Ergänzungsbedarf ergeben, dem wir als Koalitionsfraktionen mit einem Änderungsantrag nachgekommen
sind.
Das betrifft zum einen die tätige Reue. Während sich
bei der Strafbarkeit der Ausreise mit der Absicht, terroristische Straftaten zu begehen, die Neuregelung in die
Systematik des § 89 a Strafgesetzbuch einfügt, sodass
die tätige Reue zu einer Strafmilderung oder zu einem
Absehen von Strafe führen kann, war dies im Zusammenhang mit der Terrorismusfinanzierung nicht vorgesehen.
({3})
Nunmehr wird mit dem neuen § 89 c Absatz 7 auch
für die Strafbarkeit der Terrorismusfinanzierung die tätige Reue als Möglichkeit der Strafmilderung oder des
Absehens von Strafe eingeführt. Das ist ein wichtiges Signal, um denjenigen Tätern, die sich vom Terrorismus
abwenden möchten, die Möglichkeit zu geben, ihre
Strafe durch die aktive Hilfe zur Aufklärung der Strukturen des Terrorismus zu reduzieren oder gar abzuwenden.
Mit der Anpassung des Vorsatzerfordernisses wird die
Vorschrift im Hinblick auf die subjektive Tatseite im Übrigen moderat erweitert.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das heute zu
beschließende Gesetz ist ein wichtiger Baustein bei der
Bekämpfung des Terrorismus mit dem Mittel des Strafrechts. Es ist ein gutes Gesetz, das sich nahtlos in die
wichtigen sicherheitsrechtlichen Vorhaben der Bundesregierung einfügt. Wir unterstützen die Regierung durch
unsere Entscheidungen im Deutschen Bundestag heute.
„Ein Baustein“ bedeutet, dass er nicht alleine steht.
Auch die Leitentscheidung der Bundesregierung zur
Vorratsdatenspeicherung in diesen Tagen ist ein weiterer
Aspekt bei der Frage, schwere Straftaten zu bekämpfen.
Es ist auch nicht auszuschließen, dass wir uns angesichts
der Strukturen des Terrorismus noch über weitere Maßnahmen des Gesetzgebers in naher oder weiterer Zukunft
werden unterhalten müssen. So ist es schlicht nicht von
der Hand zu weisen, dass das aktive Werben für ausländische terroristische Organisationen eine immer größere
Bedeutung erlangt. Insofern wird uns der strafrechtliche
Aspekt der Terrorismusbekämpfung weiter beschäftigen.
Wir werden dem Gesetz heute zustimmen und den Entschließungsantrag ablehnen.
Vielen Dank.
({4})
Danke schön. - Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt
Hans-Christian Ströbele das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist ganz einfach nicht richtig, dass uns die UNResolution dazu veranlasst oder gar zwingt, ein solches
Gesetz zu verabschieden. Herr Kollege, die Beispiele,
die Sie genannt haben, sind alle nach geltendem Strafrecht mit ganz erheblichen Freiheitsstrafen, Freiheitsstrafen zwischen fünf und zehn Jahren bis zu lebenslänglich, bedroht. Natürlich ist es strafbar. Jeden Monat
werden in Deutschland Personen verurteilt, die nichts
anderes getan haben, als für eine terroristische Organisation irgendwo in Syrien, in der Türkei oder im Irak Geld
zu sammeln. Das ist der klassische Fall der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Dafür brauchen
wir dieses Gesetz nicht. Natürlich ist es strafbar, in den
Heiligen Krieg zu ziehen, zu ISIS oder dem IS in Syrien
oder im Irak, wo im Augenblick solch schreckliche Zustände herrschen und Menschen hingerichtet werden.
Natürlich ist das schon heute nach geltendem Recht
strafbar. Was Sie mit dem Gesetz machen, ist: Sie verlegen die Strafbarkeit noch ein bisschen vor. Sie sagen:
Nicht nur der Versuch ist strafbar, sondern wer unternimmt, auszureisen, macht sich strafbar. Keiner kann
mir sagen, was es heißt: „unternimmt, auszureisen.“ Ist
es schon das Unternehmen einer Ausreise, wenn jemand
in seiner Wohnung Stiefel einpackt, oder ist es das erst,
wenn er die Straßenbahnfahrkarte zum Bahnhof kauft
oder wenn er am Flughafen oder Bahnhof ist oder wenn
er die Grenze übertritt? Das alles ist völlig unbestimmt.
Ich werfe Ihnen vor, dass Sie die Auseinandersetzung
darüber, was heute nach geltendem Recht strafbar ist und
wo vielleicht eine Straflücke bestehen könnte, im
Rechtsausschuss einfach scheuen.
({0})
Sie sagen dazu nichts, sondern legen einfach ein Gesetz
vor und sagen: „Da müsst ihr jetzt mitmachen“, obwohl
von allen Möglichen verfassungsrechtliche Bedenken
geltend gemacht worden sind.
({1})
So bleibt von dem Gesetz eigentlich nur das übrig, was
Sie gesagt haben: Sie wollen ein Zeichen setzen. Aber
das Strafrecht ist nicht dafür da, dass man Zeichen setzt,
({2})
sondern es hat eine ganz andere Bedeutung.
Nicht nur der Tatbestand des Unternehmens der Reise
ist völlig unbestimmt, sondern auch die Art des Einsammelns von Geld für Dritte, die wiederum möglicherweise eine kriminelle oder terroristische Organisation
unterstützen; auch das ist viel zu weit gefasst. Ich habe
schon in der letzten Lesung dazu angebracht: Was ist mit
der Oma, die Geld sammelt, damit sie ihrem Enkel viel
Geld vererben kann, weil er immer so nett ist, der aber
gleichzeitig Islamist ist, was sie auch weiß? Macht sie
sich jetzt strafbar, wenn sie möglichst viel Geld zusammenbringt, damit sie es ihm vererben kann?
({3})
Das ist in der Anhörung von Sachverständigen aufgenommen worden. Sie bringen das jetzt in ihren Vorlesungen, wie sie mir erzählt haben. Also, liebe Kolleginnen
und Kollegen, lassen Sie die Kirche im Dorf, und
schauen Sie sich unser geltendes Recht an. Dann lassen
Sie uns darüber reden, was da möglicherweise noch
fehlt.
Niemand ist dafür - auch wir nicht -, dass Dschihadisten, die ins Ausland ausreisen wollen, um in den Heiligen Krieg zu ziehen, und das möglicherweise auch
noch im Internet erklären, einfach so rausgelassen werden. Aber um das zu verhindern, gibt es andere Vorschriften: Es gibt Möglichkeiten, sie zu beobachten, ihnen ein Ausreiseverbot zu erteilen oder, wie es auch
schon praktiziert wird, ihnen den Pass zu entziehen bzw.
Meldeauflagen zu erteilen und diese zu überprüfen. Es
gibt also eine ganze Reihe von sehr viel besseren Möglichkeiten, die rechtlich und grundgesetzlich viel weniger problematisch sind und die wir nutzen sollten. Dieses Gesetz brauchen wir nicht. Es schadet unserer
Rechtsordnung und führt auf falsche Wege. Lassen Sie
uns darüber reden, was man in den anderen Bereichen
noch machen kann, aber verabschieden Sie sich von diesem Gesetz! Es ist falsch, und wahrscheinlich wird es
vor den Augen der Richter in Karlsruhe keinen Bestand
haben.
({4})
Danke schön. - Als Nächster spricht Michael Frieser,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ganz schlau bin ich jetzt nicht aus der Rede des
Herrn Ströbele geworden. Das muss man aber auch
nicht; es passiert mir wirklich selten.
({0})
Ich will nur sagen: Die Diskussion im Rechtsausschuss
war meines Erachtens schon sehr ausführlich.
({1})
Aber wenn man es nicht akzeptieren will! Und glauben
Sie uns: Wir werden Sie nicht zwingen, mitzustimmen;
das ist nicht die Intention der Koalitionsfraktionen.
Ich glaube aber, dass es wichtig ist, noch einmal festzuhalten: Wir haben einen grundgesetzlichen Auftrag.
Der grundgesetzliche Auftrag aus Artikel 26 lautet: Wer
Handlungen in der Absicht vornimmt, den Frieden der
Völker zu stören und Schaden anzurichten, der muss
strafrechtlich verfolgt werden; er handelt verfassungswidrig. - Dann kommt noch die UN-Resolution hinzu.
Das ist genau der Punkt; das sind die zwingenden Argumente.
Dass man jetzt noch die Oma auspackt, die ein bisschen Geld für den Enkel sammelt, geht tatsächlich zu
weit. Ich habe gestern extra noch einmal mit Herrn Professor Sieber, der ja bei der Anhörung war, gesprochen.
Wenn es um internationale Finanzströme geht, muss man
sagen: IS ist die reichste Organisation, die diesen Planeten jemals mit Terror überzogen hat. Das ist eine Organisationsform, der wir uns nicht mehr mit den Sandschäufelchen entgegenstellen können, die wir im Augenblick
zur Verfügung haben.
({2})
Ich muss sagen: Ich nehme es schon übel, dass man jetzt
versucht, das kleinzureden.
Es geht in der Tat darum, die Handlungen zur Vorbereitung von Reisen miteinzubeziehen; denn dort findet
die Radikalisierung doch vor allem statt. Ich würde es ja
noch akzeptieren, wenn man fragte, ob das wirklich das
Einzige ist, was man macht. Aber diese beiden Sachen
- erstens Handlungen zur Vorbereitung des In-denKrieg-Ziehens und zweitens die Frage der Terrorfinanzierung - sind die wesentlichen Bausteine dieses Gesetzes.
Ich glaube, es ist schon wichtig, dass wir es dabei
nicht belassen, sondern bei der Frage der Radikalisierung durch Islamisten, was die Aufrufe auf der Straße
betrifft, noch etwas tun. Die Bundeszentrale für politische Bildung leistet hier Wesentliches und arbeitet mit
neuen Instrumenten, vor allem, was die Onlineinstrumente betrifft.
Es geht darum, dass wir beispielsweise die Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge in Nürnberg ausbauen. Unser Vorgehen
muss auf zwei Säulen beruhen. Zum einen muss man etwas für die Prävention tun - und wir ergreifen hier tatsächlich eine ganze Reihe von Maßnahmen -, zum anderen müssen wir deutlich machen, dass der strafrechtliche
Schutz nicht nur uns dient, sondern am Ende auch Syrien. Wir sind aufgrund unserer internationalen Verantwortung aufgerufen, nicht zuzulassen, dass Vorbereitungen hier getroffen werden und Kriegsgut exportiert wird,
auch schon deshalb, weil wir damit rechnen müssen,
dass diejenigen, die radikalisiert und abgestumpft sind,
wieder in unser Land zurückkehren. Diese Aspekte werden im vorliegenden Gesetzentwurf geregelt.
Kollege Frieser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Ich würde mich ja gegen die Ordnung des Hauses vergehen, wenn ich sie nicht zuließe. - Herr Ströbele, bitte
schön.
Herr Kollege Ströbele, bitte.
({0})
Danke, Herr Kollege. - Sie behaupteten gerade, wir
hätten über dieses Thema schon im Rechtsausschuss diskutiert. Könnten Sie mit einem Satz darauf eingehen,
dass das alles bereits strafbar ist? Ist Ihnen bekannt
- vielleicht ist es Ihnen auch nicht bekannt -, dass, während wir hier diskutieren, Menschen, denen nichts anderes vorgeworfen wird, als beispielsweise Geld gesammelt zu haben oder sich an einer Sammlung beteiligt zu
haben, um die PKK, um ISIS oder Ähnliches zu unterstützen, in Untersuchungshaft sitzen und auf ihren Prozess warten? Ist Ihnen das bekannt? Und wenn Ihnen das
bekannt ist: Wozu brauchen Sie dann ein neues Gesetz?
({0})
Herr Ströbele, ich gebe zu, dass Sie sich aufgrund Ihrer Erfahrung und Ihres Alters mit den Zeiten, in denen
sich Deutschland mit den Themen der Gründung bzw.
der Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen beschäftigt hat, besser auskennen als ich.
({0})
Ich gebe auch gerne zu, dass es nach den geltenden Regelungen bereits strafbar ist, wenn jemandem eindeutig
nachzuweisen ist, dass er Geld für terroristische Vereinigungen sammelt - damit hat sich übrigens schon der
Rechtsausschuss beschäftigt -,
({1})
aber jetzt geht es um etwas anderes, und das wissen Sie
genau. Jetzt geht es um Finanzierungsströme von außerhalb, die ich aus Deutschland heraus nicht nachvollziehen kann. Es geht um neue Finanzsysteme in der Wirtschaftsstruktur. Im Augenblick kommen wir mit dem,
was wir alleine tun können, nicht besonders weiter. Es
geht auch darum, dass wir die zweite Säule, die Vorbereitungshandlungen, nicht ganz vergessen.
Sie beantworten Ihre Frage an dieser Stelle meines
Erachtens selber. Was in diesem Gesetz steht, das ist im
Rechtsausschuss schon diskutiert worden. Im Augenblick ist die Frage, wie mit der internationalen Terrorismusfinanzierung umzugehen ist, der wesentliche Aspekt
der Diskussion. Das wissen Sie genau, Herr Ströbele.
({2})
Ich möchte noch hinzufügen: Wir hätten uns an der
einen oder anderen Stelle gewünscht, etwas mehr zu machen. Kollege Fechner wird natürlich sofort sagen:
„Sympathiewerbung“. Jawohl: Über die „Radikalisierung auf der Straße“ müssen wir einen intensiven Dialog
führen. Der Rechtsausschuss hat sich, auch in Anhörungen, schon damit beschäftigt. Beim Thema Sympathiewerbung gab es einen Koalitionskompromiss; das will
ich nicht in Abrede stellen. Aber wir müssen junge Menschen aufklären, die vor einer schwierigen Entscheidung
stehen, die offen für Radikalisierung sind, weil sie orientierungslos sind. Ich will um Gottes Willen kein Gedankenstrafrecht in Deutschland einführen, aber wir müssen
auf diesem Sektor mehr tun. Es bedarf der Unterstützung, des Auffangens, aber auch des Abfangens. Es bedarf zugegebenermaßen auf der einen Seite der Keule
des Strafrechts. Aber auf der anderen Seite bedarf es
auch der Zuwendung des Staates, um diese Form der Radikalisierung zu verhindern. Das ist meines Erachtens
ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Deshalb
halten wir den vorliegenden Gesetzentwurf für sinnvoll.
Warum wir den Entschließungsantrag ablehnen, das hat
Kollege Ansgar Heveling schon mit viel Herzblut begründet.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Dr. Johannes Fechner.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Gestern haben wir alle in einer sehr bewegenden Debatte hier der
Opfer der schrecklichen Schiffskatastrophe im Mittelmeer gedacht, bei der über 800 Menschen zu Tode gekommen sind. In der anschließenden Debatte haben alle
Redner und Rednerinnen Konsequenzen gefordert. Ich
finde, eine Konsequenz muss sein, dass wir uns entschlossen dafür einsetzen, dass die Menschen nicht aus
ihrer Heimat fliehen müssen, zum Beispiel, weil es dort
aufgrund von Terrorismus zu unsicher geworden ist.
({0})
Dazu gehört, dass wir die Möglichkeiten, die wir als Gesetzgeber zur Terrorismusbekämpfung haben, nutzen
und mithelfen, dass die Herkunftsregionen der Flüchtlinge sicher sind, dass sie sich erst gar nicht auf diese
selbstmörderische Reise begeben müssen.
Genau dieses Ziel verfolgt die UN-Resolution, in der
der Sicherheitsrat alle Mitgliedstaaten auffordert, die
Ausreise von Dschihadisten, die in terroristischer Absicht ausreisen wollen, unter Strafe zu stellen. Dem gleichen Ziel dient die Aufforderung der Financial Action
Task Force der OECD, jegliche Terrorismusfinanzierung
unter Strafe zu stellen. Diesen Aufforderungen kommen
wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nach. Zukünftig wird bestraft, wer ausreisen will, um im Ausland Gewalttaten zu begehen oder sich in Terrorcamps für Gewalttaten ausbilden zu lassen. Richtig ist, dass die
Strafbarkeit sehr weit vorgezogen wird - das will ich
überhaupt nicht in Abrede stellen -, aber angesichts des
hohen Gefährdungspotenzials und des dringenden Handlungsbedarfs, den Terrorismus zu bekämpfen, ist dies
aus meiner Sicht gerechtfertigt. Das ist notwendig und
vor allem von den internationalen Organisationen wie
den Vereinten Nationen vorgegeben. Deswegen sollten
wir diesen Schritt gehen.
({1})
Darüber hinaus streichen wir die Erheblichkeitsschwelle bei der Strafbarkeit der Terrorfinanzierung. Sie
haben recht, Herr Kollege Ströbele: Schon heute ist die
Terrorismusfinanzierung strafbar. Deswegen geht es nur
darum, die Erheblichkeitsschwelle zu streichen.
({2})
Da gibt es eine eindeutige Vorgabe von der UNO und
von der Financial Action Task Force.
An dieser Stelle will ich aber auch sagen, dass die
besten Gesetze nichts nützen, wenn die Strafverfolgungsbehörden nicht angemessen ausgestattet sind. Wir
haben deshalb für die Bundespolizei im letzten Bundeshaushalt 20 Millionen Euro mehr für Ausrüstung und
Fahrzeuge zur Verfügung gestellt. Wir haben 400 neue
Stellen geschaffen und 260 Beförderungen ermöglicht.
Außerdem darf ich daran erinnern, dass wir beim Generalbundesanwalt sechs zusätzliche Stellen geschaffen haben, sodass jetzt zusätzliches Personal im Bereich der
Terrorismusbekämpfung ganz gezielt eingesetzt werden
kann. Das war wichtig und kam bei der Generalbundesanwaltschaft sehr gut an. Das war dort ein Motivationsschub, weil die Mitarbeiter ganz erheblich belastet sind.
({3})
Zur Sympathiewerbung. Die Tatsache, dass erst der
letzte Redner der Union dieses Thema angesprochen hat,
werte ich einmal als gutes Zeichen, dass die Sympathien
der Union hierfür nachlassen.
({4})
Aber im Ernst: Ich glaube, wir haben diesen Punkt zu
Recht gestrichen. Es gab so gut wie keine Verurteilungen. Liebe Kollegen von der Union, bringt doch endlich
einen Formulierungsvorschlag, der verfassungsgemäß
ist! Darauf warten wir schon sehr, sehr lange. Das müsst
ihr machen, wenn ihr tatsächlich eine verfassungsgemäße Regelung haben wollt. Eine solche Formulierung
gibt es nicht. Deswegen war es gut, dass wir das gestrichen haben.
Ich glaube - damit komme ich zum Schluss -, dass
wir mit diesem Gesetzentwurf wichtige Bausteine bei
der Bekämpfung des Terrorismus und seiner Finanzierung beschließen. Wir verhindern, dass in Deutschland
Geld zur Finanzierung von Terrorismus gesammelt werden kann, und wir verhindern, dass Terroristen aus
Deutschland ausreisen, um im Ausland Straftaten zu begehen, dort für unermessliches Leid sorgen und die
Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Das machen wir
nicht mit. Deswegen ist das ein guter Gesetzentwurf.
Wir können zustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende der Ausspra-
che angekommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung der Verfolgung der Vorberei-
tung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Zu dieser Abstimmung liegt eine Erklärung nach § 31
unserer Geschäftsordnung vor.1)
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4705, den Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache
18/4087 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4710. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung
von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4705, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4279 für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Kühn ({0}), Tabea Rößner, Matthias Gastel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fluglärm wirksam reduzieren
Drucksache 18/4331
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
1) Anlage 2
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, jetzt ihre
Plätze einzunehmen und notwendige Gespräche außerhalb des Saales zu führen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Stephan
Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Ich will vorwegstellen: Es fällt nicht
leicht, nach dem Absturz der Germanwings-Maschine
am 24. März in den Alpen andere Probleme der Luftfahrt
zu diskutieren. Wie stark die Ereignisse emotional nachwirken, haben wir, glaube ich, gestern gemeinsam im
Verkehrsausschuss erlebt.
Dennoch wird weiterhin geflogen, und kein anderer
Verkehrsträger wächst so schnell wie der Flugverkehr.
Viele Menschen im Umfeld von Flughäfen sind hohen
Lärmbelastungen ausgesetzt und fühlen sich in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Deshalb müssen wir uns mit
diesen Themen auseinandersetzen, zumal nächste Woche
wieder der Internationale Tag gegen Lärm ist.
({0})
Dass Fluglärm die Gesundheit gefährdet, ist inzwischen
unumstritten und wissenschaftlich gut belegt. Kinder, ältere und kranke Menschen sind für die schädlichen Wirkungen von Lärm besonders sensibel. Deshalb müssen
wir Fluglärm wirksam reduzieren.
({1})
Der Flugverkehr hat sich in den letzten 20 Jahren in
Deutschland mehr als verdoppelt. Zwar sind neue Flugzeuge in den letzten Jahren deutlich leiser geworden,
doch der rasante Anstieg des Luftverkehrs und der längere Einsatz von älteren Flugzeugtypen haben zur Folge,
dass die Lärmbelastung insgesamt nicht sinkt. Der
Schutz der Betroffenen vor Fluglärm ist gesetzlich völlig
unzureichend geregelt.
({2})
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung hat im vergangenen Jahr ein Sondergutachten mit dem Titel „Fluglärm reduzieren: Reformbedarf
bei der Planung von Flughäfen und Flugrouten“ vorgelegt und darin festgestellt, dass Luftverkehr und Fluglärm im geltenden Recht in nicht mehr zeitgemäßer
Weise privilegiert werden und - so heißt es dort - die gesetzliche Regelung der Fluglärmproblematik im Luftverkehrsrecht unterentwickelt ist. Ich finde, das ist ein vernichtendes Urteil.
({3})
Herr Kollege Kühn, lassen Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Nissen zu?
Gerne.
Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Kühn, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - „Fluglärm reduzieren“ ist wirklich ein
wunderbarer Titel. Mein Wahlkreis ist Frankfurt. Der
Frankfurter Flughafen liegt mittendrin. Ich weiß, wie die
Bürgerinnen und Bürger dort leiden. Ich selbst habe bei
Menschen übernachtet, die mitten in der Lärmschutzzone 1 wohnen. Ich weiß, dass morgens um fünf die
Nacht dort vorbei ist.
Die hessischen Grünen haben wunderbarerweise in
ihrem Wahlprogramm stehen gehabt, dass sie verhindern
wollen, dass Terminal 3 gebaut wird. Sie haben auch
versprochen, ein Nachtflugverbot zwischen 22 Uhr und
6 Uhr einzuführen. Wir wissen: Wir haben inzwischen
eine schwarz-grüne Landesregierung, und auch in
Frankfurt regiert Schwarz-Grün. Es passiert in dieser
Hinsicht aber nichts.
({0})
Ich möchte Sie fragen: Wie wollen Sie den hessischen
Bürgerinnen und Bürgern diesen Antrag erklären, wenn
Sie dort, wo Sie in der Landesregierung sind, nicht entsprechend handeln? Das würde ich gerne von Ihnen wissen.
({1})
Ich erkläre Ihnen das gerne, Frau Kollegin. Natürlich
hätten wir uns gewünscht, im Rahmen des Koalitionsvertrages in Hessen mehr für den Lärmschutz durchzusetzen, wie Sie es in einer ähnlichen Situation in Landesregierungen vermutlich ebenfalls versucht haben.
Warum bringen wir diesen Antrag ein? Weil einer
Landesregierung natürlich die Hände gebunden sind,
wenn die Bundesgesetze so sind, wie sie sind. Der Bundesgesetzgeber ist für das Luftverkehrsgesetz und das
Fluglärmschutzgesetz zuständig. Wir wollen mit diesem
Antrag einen Beitrag dazu leisten, dass darüber diskutiert wird: Wie kann der Fluglärmschutz auf bundesgesetzlicher Ebene verbessert werden? Eine Landesregierung muss sich an Recht und Gesetz halten; das ist doch
klar.
({0})
Jetzt hat wieder der Kollege Kühn das Wort.
Ich will diese Gelegenheit nutzen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, auf den Koalitionsvertrag zu sprechen zu
kommen, auf den der Großen Koalition. Man muss sagen, dass da wenig drinsteht, und das Wenige, das da
drinsteht, wird noch nicht einmal umgesetzt. Zum Beispiel wird darin eine deutlichere Spreizung bei den lärmabhängigen Flughafenentgelten angekündigt. Doch Verkehrsminister Dobrindt hat die geplante Novelle zum
Luftverkehrsgesetz, die dafür erforderlich wäre, aus der
Vorhabenplanung der Bundesregierung gestrichen.
({0})
Das ist unglaubwürdig, meine Damen und Herren.
({1})
Absurd ist auch, wie die Bundesregierung beim Nationalen Verkehrslärmschutzpaket vorgeht. Es ist bereits
2008 beschlossen worden. Das Ziel war, den Fluglärm
bis 2020 um 20 Prozent zu verringern. Wir haben die
Bundesregierung gefragt: Wie sieht es damit aus? Die
Antwort war, dass sie uns nicht sagen kann, welches das
Ausgangsniveau und welches das Zielniveau war, wie
man den Lärmschutz also verbessern will, und sie hat
auch nicht vor, einzelne Maßnahmen hinsichtlich ihrer
Wirkung zu berechnen. Meine Damen und Herren, das
ist nichts anderes als eine Mogelpackung. Das ist reine
Symbolpolitik. Sie lassen die Betroffenen an dieser
Stelle allein.
({2})
Notwendig sind substanzielle Maßnahmen. Wir schlagen verschiedene vor. Wir wollen den Vorrang des aktiven Schallschutzes vor dem passiven Schallschutz im
Luftverkehrsrecht verankern, wie es auch bei den anderen Verkehrsträgern der Fall ist. Wir brauchen Lärmobergrenzen und ein Lärmminderungsgebot. Außerdem
hat die EU im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens, in dem es um die Frage der Festlegung von Flugroutenplanung geht, kritisiert, dass es derzeit keine
Umweltverträglichkeitsprüfung gibt. Wir brauchen Vorgaben für eine lärmreduzierte Flughafenplanung. Wir
brauchen eine starke Öffentlichkeitsbeteiligung und
transparente Abwägungskriterien für die Planung von
Flugrouten. All das fehlt.
Auch das Fluglärmschutzgesetz schützt nicht wirklich
wirksam vor Fluglärm. Hier müssten die Grenzwerte gesenkt werden. Deshalb erwarten wir, meine Damen und
Herren von der Koalition, dass Sie die Überprüfung des
Fluglärmschutzgesetzes vorziehen und noch diese Legislaturperiode wirksame Maßnahmen zur Verbesserung
des Fluglärmschutzes einleiten. Wir erwarten ebenso,
dass im geplanten nationalen Luftverkehrskonzept eine
umfassende Lärmminderungsstrategie verankert wird.
Stephan Kühn ({3})
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie
müssen jetzt Farbe bekennen, erklären, dass Sie es mit
dem Fluglärmschutz wirklich ernst meinen, und entsprechende Vorschläge machen. Wir haben Vorschläge eingebracht.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Peter Wichtel,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der uns vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
spricht ein Thema an, das sich wunderbar eignet - der
Kollege Kühn hat das vorgetragen -, darüber zu diskutieren. Wir als CDU/CSU-Fraktion freuen uns jedes Mal,
wenn wir uns im Deutschen Bundestag über dieses
Thema konstruktiv mit Ihnen auseinandersetzen können.
Dies bedeutet insbesondere, dass zusammen mit den
Bürgerinnen und Bürgern, mit den Anwohnern um die
Flughäfen herum, diskutiert werden muss.
Im Übrigen kann ich dazu sagen, dass die CDU/CSUBundestagsfraktion in der letzten Legislaturperiode
unter Führung von Arnold Vaatz einen Initiativkreis
Luftverkehr hatte, in dem wir sehr sachbezogen gearbeitet haben. Wir haben nicht nur mit Vertretern der Luftverkehrswirtschaft gesprochen, sondern auch mit Interessenvertretern der Fluglärmgegner und mit der
Fluglärmkommission und sind zu dem Ergebnis gekommen - das gilt auch heute noch -, dass insgesamt alle
Verkehrsbereiche zu viel Lärm machen und die Bevölkerung belasten.
({0})
Wir hoffen, dass Sie das genauso sehen, wenn wir dann
über den Schienenlärm reden, den wir gerade nachts haben.
({1})
Da sind wir ja auch gemeinsam unterwegs. Ich denke, da
gibt es viele Dinge zu tun. Nur, wir haben unterschiedliche Ansätze, wie man da etwas tun kann.
In der Debatte fehlen meiner Ansicht nach insbesondere zwei wichtige Dinge. Erster Punkt. Sie wissen genau, dass man im Zusammenhang mit Lärm rund um
Flughäfen nur dann eine friedlichere und bessere
Zielrichtung in die Diskussion bekommt, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten und man fair und offen mit
dem Thema umgeht. Ich sage ganz deutlich: Dank von
Generation zu Generation immer leiser werdenden
Triebwerken sind die Flugzeuge in den letzten 14 Jahren
durchschnittlich um 75 Prozent leiser geworden. Ich
möchte das ganz besonders betonen, weil ja immer behauptet wird, die Luftverkehrsbranche tue nichts gegen
den Lärm. Die Luftverkehrsbranche investiert jedoch
17 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung.
({2})
Diese Zahlen belegen eindeutig, dass das, was Sie hier
ansprechen, unabhängig von gesetzgeberischen Maßnahmen in der Branche bereits heute umgesetzt wird.
Der zweite Punkt, den ich vermisse, ist, dass die Beteiligten rund um einen Flughafen offen, ehrlich und
transparent miteinander diskutieren. Als ein Bürger, der
bis heute zeit seines Lebens in der Einflugschneise des
Frankfurter Flughafens lebt, kann ich nur bestätigen:
Selbst wenn es zwischen Anwohnern und Flughäfen unterschiedliche Auffassungen gibt, ist das Verhältnis vor
Ort von Akzeptanz und Respekt geprägt. Ich sage aber
genauso deutlich: Der größere Anteil der Anwohner
rund um die Flughäfen schätzt die Flughäfen als Arbeitgeber, als Wirtschaftsmotoren und als Tore zur Welt. Die
Diskussion, die Sie hier führen - Sie sprechen von Intransparenz und Sonstigem -, kann ich schlichtweg nicht
verstehen.
({3})
Was Sie in Ihrem Antrag ansiedeln, ist für mich nicht
nachvollziehbar. Sie müssen auf einem anderen Stern
leben.
Schauen Sie sich die Wahlergebnisse rund um den
Frankfurter Flughafen an: Kein einziger Abgeordneter,
der als Flughafengegner angetreten ist, ist direkt in den
Deutschen Bundestag gewählt worden.
({4})
Aber ich sage einmal ganz deutlich: Das ist ein anderes
Thema.
Das Verhältnis zwischen den Anwohnern und den
Flughäfen ist kein schlechtes. Ich denke, man kann das
noch an einer anderen Zahl festmachen, die ich Ihnen
auch mitteilen möchte: Laut einer Umfrage des Bundesumweltministeriums ist der Prozentsatz der Menschen,
die sich von Fluglärm belästigt fühlen, in den letzten
14 Jahren von 15 Prozent auf 6 Prozent gefallen. All
diese Zahlen ignorieren Sie schlicht, weil Sie aus Populismus alles andere an die Seite schieben.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, selbstverständlich sind wir insgesamt unterwegs, die Lärmziele
und die Rahmenbedingungen rund um die Flughäfen
weiterhin zu verbessern. Ich denke, es ist deutlich
geworden, dass die Industrie an diesem Thema arbeitet;
dazu braucht sie aber eine ausreichende finanzielle
Situation.
Ich möchte abschließend sagen: Ich sehe es als wirtschaftlich unbedingt wichtig an, dass keine Sonderbelastungen der Luftverkehrswirtschaft da sind. Die Luftverkehrsteuer und Dinge wie die auf Europa beschränkte
Emissionshandelsthematik tragen nicht dazu bei, dass es
weltweit zu einem fairen Wettbewerb kommt.
({6})
Auch deswegen fehlen die Gelder, um noch schneller in
leisere Flieger zu investieren. Ich erwarte einfach, dass
das passiert. Deswegen sind all die Dinge, die Sie hier
vortragen, aus Sicht der Wirtschaft und derjenigen, die
sich regelmäßig um den Luftverkehr kümmern, erledigt.
Wir werden Ihren Antrag ablehnen.
({7})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke spricht
jetzt Herbert Behrens.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn es damit getan wäre, dass die Luftverkehrswirtschaft schon alles für sich allein regelt und wir uns gar
nicht darum kümmern müssten, wären wir hier, glaube
ich, fehl am Platze. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen,
die wir ergreifen müssen, um die Lärmbelastung, die
objektiv da ist, wirklich zu senken. Es hilft nicht der
Hinweis auf Prozentzahlen, die früher höher waren als
heute, um zu sagen: Das Problem ist damit gelöst. - Im
Gegenteil: Wir haben das Problem der Belastungen. Wir
haben ein erhöhtes Risiko bei Kreislauferkrankungen.
Wir haben Schlafentzug, wir haben Kreislaufbeschwerden als Folgen von Fluglärm. Wir haben den Nachweis,
dass Kinder in ihrer Entwicklung behindert werden,
wenn sie Fluglärm ausgesetzt sind. Darum müssen wir
uns hiermit beschäftigen. Darum ist es auch wichtig,
dass es diesen Antrag der Grünen gibt. Vielen Dank dafür!
({0})
Angesichts des Lärmterrors und auch der hohen
Umweltbelastungen, der Umweltverpestung, die im
Luftverkehr außerordentlich ist, ist es wichtig, dass wir
uns mit den einzelnen Punkten, die in diesem Antrag genannt worden sind, auseinandersetzen.
Angesichts des Ausmaßes der Belastungen, die wir
trotz gesunkener Prozentzahlen, Herr Wichtel, die Sie
vorgetragen haben, verzeichnen, ist hier wirklich schnelles Handeln erforderlich. Wenn wir nämlich nicht beherzt eingreifen, kommt es zu der exorbitanten Steigerung des Luftverkehrs um 65 Prozent bis zum Jahr 2030.
Dieses Szenario sollten wir uns ersparen.
({1})
Eine Wende im Luftverkehr heißt, dass wir den Zuwachs
stoppen. Wir unterstützen deshalb die Forderungen in
dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Wir unterstützen insbesondere auch die Forderungen der Bürgerinitiativen aus Frankfurt, aus Berlin, die teilweise in diese
Forderungen eingeflossen sind, und sagen: Wir brauchen
ein Nachtflugverbot, um zumindest in der Nacht den
Fluglärm zu verhindern.
({2})
Wir brauchen, wie es Initiativen in Frankfurt fordern,
eine Maximalbelastung von 380 000 Flugbewegungen,
damit die Leute auch einmal Ruhe finden können.
({3})
Gesundheit geht vor Wirtschaftlichkeit. Das haben
auch Gerichte festgestellt, und das ist gut so. Das ist ein
Erfolg der Bürgerinnen und Bürger, die sich seit Jahren
und Jahrzehnten mit dieser Frage auseinandergesetzt haben. Das sollte auch ein Ansporn für uns sein, in dieser
Frage weiterzuarbeiten, um zu mehr Entlastung der
lärmgeplagten Bürgerinnen und Bürger zu kommen.
14 Forderungen haben Bündnis 90/Die Grünen in ihr
Papier aufgenommen und aufgefordert, aktiv zu werden.
Ich finde, die Forderungen gehen in die richtige Richtung. Wenn man diese Bundesregierung aber auffordert,
doch bitte schön einen Gesetzentwurf einzubringen, ist
damit sehr viel Hoffnung verbunden. Ob das erfolgreich
sein wird, weiß ich nicht,
({4})
aber zumindest sind die Forderungen auf den Punkt gebracht. Das ist in Ordnung so, darum unterstützen wir sie
auch.
Wir brauchen ein neues Luftverkehrsgesetz, damit
auch gesetzlich klargestellt wird, dass Gesundheit vor
Profit geht. Wir brauchen ein neues Fluglärmschutzgesetz, damit die Anwohner von alten und von neuen
Flughäfen gleichgestellt werden, und wir brauchen weitere Maßnahmen zur Entlastung. Lärmpausen - wie jetzt
in Frankfurt ausprobiert - helfen uns da nicht wirklich
weiter.
({5})
Sie entlasten zwar an der einen Stelle dadurch, dass bestimmte Flugkorridore zeitweise nicht mehr bedient werden, aber die Flüge finden an anderen Stellen statt. Diese
zusätzliche Belastung dürfen wir nicht akzeptieren, und
darum kann das nicht mehr als ein Versuch sein. Ich
hoffe, dass sich das auch in Hessen schnell herausstellt.
Wir brauchen auch keine Erweiterung des Flughafens
durch ein weiteres Terminal in Frankfurt. Wir brauchen
eine Reduzierung im Luftverkehr. Viele Inlandsflüge
lassen sich durch einen vernünftigen Bahnverkehr und
ein vernünftiges Fernverkehrskonzept ersetzen.
Wir brauchen eine Wende im Luftverkehr dadurch,
dass die einseitigen Bevorzugungen, die direkten und
indirekten Subventionen abgebaut werden. Wir brauchen
eine Gleichbehandlung der Verkehrsträger. Die Steuerfreiheit bei Kerosin ist von gestern. Wir brauchen auch
keine Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer auf die
Tickets.
({6})
Wir müssen anders produzieren, damit wir Frachtflüge anders gestalten.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen sollte deshalb unterstützt werden. Lassen Sie uns darüber hinaus
diese Debatte dazu nutzen, sowohl parlamentarisch als
auch außerparlamentarisch zu einer neuen Initiative gegen Fluglärm zu kommen.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Arno Klare, SPDFraktion.
({0})
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich finde, das ist eine sehr muntere Debatte,
und ich hoffe, ich kann auch ein wenig zu dieser Munterkeit beitragen.
Der Antrag der Bündnisgrünen ist sehr umfassend,
und da wir ihn im Ausschuss noch einmal zu beraten
haben werden, will ich hier nur ein paar sehr allgemeine
Ausführungen machen und damit beginnen, was im
Koalitionsvertrag sehr allgemein steht - ich zitiere -:
Mobilität ist eine wesentliche Voraussetzung für
persönliche Freiheit, gesellschaftliche Teilhabe sowie für Wohlstand und Wirtschaftswachstum.
Grundlage hierfür ist eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur. Sie sichert unsere europäische und
globale Wettbewerbsfähigkeit.
Ich füge sehr bewusst und sehr dezidiert hinzu: Dazu gehört auch unverzichtbar der Luftverkehr.
({0})
Diese Tatsache haben die Wählerinnen und Wähler
bzw. Sympathisantinnen und Sympathisanten der Bündnisgrünen übrigens durchaus verinnerlicht, wie wir aus
einer Umfrage wissen.
({1})
Sie sind die Partei, die am meisten fliegt;
({2})
das heißt, Sie schätzen diesen Mobilitätsmodus in besonderer Weise.
Ich will mich jetzt nicht auf so eine Schlagzeile wie
die des Fokus beziehen - er hat „Ökofreunde im Kerosinrausch“ getitelt -, weil das wüste Polemik ist, und
dem schließe ich mich nicht an.
({3})
Es gibt aber eine durchaus sozialwissenschaftliche Erklärung dafür, dass die Wählerinnen und Wähler Ihrer
Partei mehr fliegen als die der Sozialdemokraten. Sie
sind die Partei der Besserverdienenden,
({4})
und Sie sind in der Lage, sich diese Flüge zu leisten.
({5})
Die Maya-Tempel auf Yucatán erreicht man nicht mit
dem Ökofahrrad - das ist richtig -, wobei ich nichts
dagegen habe, dass Sie da hinfliegen.
({6})
Setzte man alle 14 Punkte, die in diesem Antrag stehen, um, dann würde das zu einer massiven Gefährdung
des Luftverkehrsstandortes Deutschland führen. Das
wollen wir nicht, und insofern können wir diesem Antrag nicht zustimmen.
({7})
Aus meiner Sicht blenden Sie einen Aspekt völlig
aus. Dafür nenne ich Ihnen nur zwei Beispiele. Ein
Beispiel ist der Flughafen Frankfurt - Ulli Nissen hat
das gerade schon einmal angesprochen - und das andere
mein Heimatflughafen Düsseldorf. Der Flughafen
Frankfurt ist einer der größten Arbeitgeber und Steuerzahler in Hessen, und der Düsseldorfer Flughafen - er ist
deutlich kleiner als der Frankfurter - ist mit 54 000
Arbeitsplätzen einer der größten Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen.
({8})
Insgesamt sind Flughäfen Kristallisationskerne wirtschaftlicher Prosperität, und diese Kerne müssen wir
erhalten.
Herr Kollege Klare, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Krischer?
Bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege Klare, ich bin Ihnen dankbar für Ihre
Ausführungen, weil Sie den Menschen im Land verdeutlichen, wer für die Fluglärmproblematik verantwortlich
ist. Ich glaube, wer dazu steht, zeigt Ihr Redebeitrag sehr
deutlich.
({0})
Ich möchte Ihnen eine sehr konkrete Frage stellen, da
Sie ja nur allgemeine Ausführungen machen wollen. Die
nordrhein-westfälische Landesregierung, die bekanntermaßen aus SPD und Grünen besteht, fordert seit langem
einvernehmlich ein Nachtflugverbot für Frachtmaschinen am Flughafen Köln/Bonn, und auch die Region
fordert das. Hier besteht großes Einvernehmen. Können
Sie mir erklären, warum die Bundesregierung, die Sie ja
mittragen, dieses Nachtflugverbot am Flughafen Köln/
Bonn erst kürzlich durch Herrn Verkehrsminister
Dobrindt abgelehnt hat?
Herr Krischer, ich weiß nicht, woher Sie die Information haben. Diese Forderung eines Nachtflugverbotes
gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht.
({0})
Hören Sie jetzt bitte zu.
Das steht so nicht im Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen. Das ist auch so nicht gemeint.
({0})
Die CDU fordert das in der Tat - das ist richtig -, aber
die SPD nicht. Ich bin dafür, dass dieses Nachtflugverbot nicht kommt. Es muss Nachtflüge geben, weil die
Logistik in Köln diese Nachtflüge braucht.
({1})
Auch Sie wissen das. An diesem Logistikstandort in
Köln hängen Tausende von Arbeitsplätzen.
({2})
Sie tun so, als gäbe es in der gesamten Luftfahrt keinerlei Anstrengungen, Lärm zu minimieren und Kerosin
einzusparen. Gerade eben sind schon die Lärmminderungen um 75 Prozent, also 25 Dezibel, in den letzten
30 Jahren erwähnt worden. Diese Lärmminderung
konnte durch neue Triebwerkstechnologien, durch neue
Aerodynamik und durch eine Gewichtsreduktion erreicht werden.
Ich war in der vorigen Woche mit dem Kollegen
Rimkus in Hamburg: Wir haben den Hafen besichtigt.
Wir haben auch Airbus besichtigt. Dort haben wir auch
Bauteile aus dem 3-D-Drucker gesehen. Diese filigranen
Bauteile haben die gleiche Stabilität wie andere Bauteile, aber nur die Hälfte des Gewichts.
({3})
Das reduziert erstens enorm Lärm und zweitens Gewicht. Daraus resultiert auch eine Verminderung des Kerosinverbrauchs der Flugzeuge.
Wir haben auch gesehen, dass die neue Generation
der Flugzeuge für das Rollen auf dem Boden keine Engines mehr brauchen, sondern stattdessen wird ein Elektromotor ins Bugrad eingebaut, im Übrigen betrieben
durch eine Brennstoffzelle, was enorm Kerosin spart und
was dazu beitragen wird, dass die Geräuschemissionen
sinken werden.
({4})
Auch eines muss man sehen: Wir beide waren in
Hamburg. Ich fliege nicht besonders gerne, wie alle wissen, weil ich ein bisschen unter Flugangst leide.
({5})
Herr Rimkus ist zurückgeflogen, ich bin mit dem Zug
zurückgefahren. Jetzt habe ich mir Folgendes überlegt:
Mein Zug hat auf einer Strecke von 400 Kilometern
durch die niedersächsische Tiefebene,
({6})
an wunderschönen Dörfern vorbeifahrend, ohne Lärmschutz, eine Lärmschleppe von 400 Kilometern hinter
sich hergezogen. Herr Rimkus hat zwei Schallereignisse
erzeugt, eins in Fuhlsbüttel, eins in Mülheim bzw. in
Düsseldorf, wo er gelandet ist. Als er die Strecke in
10 000 Metern Höhe zurückgelegt hat, hat das im Dorf
keiner gehört. Wer stört nun die Menschen mehr?
({7})
- Der Zug, nicht der Flieger.
({8})
Wir müssen, glaube ich, anfangen, anders darüber nachzudenken, wenn wir Lärm bewerten.
({9})
Ein paar Fakten zum Schluss. 80 Prozent aller Flüge
von Deutschland gehen ins Ausland und betragen mehr
als 400 Kilometer. Der Schienenverkehr ersetzt durchaus
Flüge, zum Beispiel zwischen Köln und Frankfurt oder
zwischen Berlin und Hamburg; das ist nachgewiesen.
Nur 3 Prozent aller Flüge sind zwischen 23 Uhr und
5 Uhr morgens. Dass also nachts viel geflogen wird,
stimmt nicht.
Lärmabhängige Flughafengebühren gibt es seit den
70er-Jahren. Die Passagierzahlen sind von 1991 bis
heute um 260 Prozent gestiegen, die Zahl der Flüge nur
um 163 Prozent. Diese Entkopplung, die Sie leugnen,
gibt es also tatsächlich. 51 Prozent aller Incoming-Touristen kommen mit dem Flugzeug, also ein sehr großer
Wirtschaftsfaktor.
Die Steuerleistung des Luftverkehrssektors liegt bei
14 Milliarden Euro im Jahr. Wenn man die Einnahmen
aus der Sozialversicherung hinzurechnet, kommen noch
einmal 9 Milliarden Euro dazu. Die Höhe dieser Einnahmen ist ungefähr mit der Höhe der Kfz-Steuer zu vergleichen, also nicht zu vernachlässigen.
Die indirekten Subventionen belaufen sich keinesfalls
auf 10 Milliarden Euro, sondern auf maximal 500 Millionen Euro, wie dem Subventionsbericht der Bundesregierung eindeutig zu entnehmen ist.
({10})
Diese Zahl wurde so errechnet, wie man rechnen muss.
Eine Mehrwertsteuer auf Tickets für Flüge im Inland
fällt an, aber nicht auf Tickets für Auslandsflüge, weil
die Mehrwertsteuer ab der Grenze nicht mehr erhoben
werden kann. Um das nicht ausrechnen zu müssen - das
ist äußerst kompliziert -, ist man dazu übergegangen, die
Mehrwertsteuer nicht zu berechnen. Wenn man über die
Kerosinbesteuerung redet, sollte man sich vielleicht daran erinnern, dass wir dem Chicagoer Abkommen beigetreten sind, mit dem diese Besteuerung ausgeschlossen
wird.
Diese ganze Debatte werden wir im Ausschuss noch
sehr detailliert zu führen haben. Dazu bin ich gerne bereit. Aber so, wie Sie das machen, ist das im Grunde nur
ein psychotaktisches Manöver, um von Ihren Versäumnissen gegenüber Ihrer eigenen Klientel in Hessen abzulenken. Das ist der Punkt. Hier gibt es Fundamentalismus und in Hessen Gott sei Dank die Realpolitik.
({11})
Vielen Dank. - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Florian Oßner. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir jetzt keine Zwischenfragen
mehr zulassen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Grünen, Ihr Antrag ist wieder einmal an
Realitätsferne nicht zu überbieten.
({0})
So ist gleich zu Beginn Ihres Antrags von einer angeblich umfassenden Subventionierung des Luftverkehrs in
Deutschland die Rede. Das kann man angesichts der
wirtschaftlichen Gesamtlage der deutschen Fluggesellschaften und der scharfen Wettbewerbssituation mit den
Konkurrenten aus der Türkei und dem Mittleren Osten
nur als blanken Hohn bezeichnen.
({1})
In Ihrem Antrag lassen Sie geflissentlich sämtliche
Anstrengungen der Flughäfen und der Luftverkehrswirtschaft für einen verbesserten Schutz vor Fluglärm unberücksichtigt. Es wird auch mit keiner Silbe erwähnt, dass
die Schutzziele, die sich aus den Durchführungsverordnungen zum bestehenden Fluglärmschutz ergeben, an
vielen Standorten noch in der Umsetzung sind. Insofern
kann man Ihren Antrag nur wie folgt zusammenfassen:
viel Ideologie und wenig Substanz.
({2})
Wenn dann auch noch ein prominentes Mitglied Ihrer
Fraktion, nämlich die Kollegin Renate Künast - leider
ist sie heute nicht anwesend -, sich via Twitter darüber
aufregt, dass Air Berlin den Lieferanten seines berühmten Schokoladenherzens wechselt, zeigt sich die Doppelzüngigkeit der Grünen, wenn es um das Thema Luftfahrt
geht, wieder einmal mehr als deutlich.
({3})
Hier wird abermals Wasser gepredigt und Wein getrunken. Der Kollege Klare hat es schon sehr gut ausgeführt:
Einerseits will man den Leuten das Fliegen verbieten,
aber andererseits selbst alle Vorteile des Fliegens genießen. Sie sollten endlich aufhören, die Menschen in unserem Land ständig zu bevormunden und ihnen zu sagen,
was richtig oder falsch ist.
({4})
Mobilität ist heute eine Grundvoraussetzung für das
wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenleben.
Fakt ist auch, dass Mobilität Umweltbelastungen wie
Lärmemissionen verursacht; keine Frage. Das gilt für
alle Verkehrsträger gleichermaßen. Laut Auswertung des
Umweltbundesamtes sind in Deutschland 10,2 Millionen
Menschen von Straßenlärm und 8,2 Millionen Menschen
von Schienenlärm mit einem durchschnittlichen Schallpegel von mehr als 55 Dezibel betroffen. Von Fluglärm
ist jedoch eine wesentlich kleinere Gruppe betroffen.
({5})
Insgesamt ist von 738 000 Menschen die Rede. Das ist
eine deutlich geringere Anzahl, als Sie uns mit Ihrem
Antrag weismachen wollen.
({6})
- Dazu dürfte auch ich selbst gehören, um auf Ihren Zuruf einzugehen. Denn ich wohne selbst in der Einflugschneise
({7})
des Münchner Flughafens.
Laut Bundesumweltministerium hat sich der Anteil
derjenigen, die sich von Fluglärm belästigt fühlen - der
Herr Kollege Wichtel hat es bereits angesprochen -, von
2006 bis 2014 um insgesamt 65 Prozent reduziert.
({8})
Das müssen Sie doch auch einmal zur Kenntnis nehmen.
({9})
Das ist aus meiner Sicht ein enormer Erfolg in Anbetracht der Tatsache, dass die Zahl der Flugbewegungen
kontinuierlich zugenommen hat und die Bevölkerung
durch Neu- und Ausbauprojekte stärker für das Thema
Fluglärm sensibilisiert ist. Dieser Erfolg geht vor allem
auf das Engagement der Flugzeug- und Triebwerkshersteller zurück.
Moderne Flugzeuge werden durch den Einsatz neuer
Technologien immer leiser, sodass sie bereits jetzt die
zulässigen Lärmgrenzen deutlich unterschreiten. Sämtliche großen Hersteller, ob Airbus, Boeing, Bombardier
oder Embraer, sind gerade dabei, ihre Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge mit Getriebefan-Triebwerken auszustatten. Hierbei handelt es sich um eine Technologie, die
vom Münchner Triebwerkshersteller MTU Aero Engines mitentwickelt wurde. Durch diese Technologie verkleinert sich der Lärmteppich während des Starts um insgesamt 70 Prozent. Dies sind Innovationen, die unser
Land braucht.
({10})
Der erste mit einem solchen Triebwerk ausgerüstete
A320neo wird bereits im vierten Quartal 2015, also noch
heuer Ende des Jahres, in Dienst gestellt.
({11})
Aber es wird noch leiser werden: Mit dem E-Fan will
die Airbus Group einen elektrisch betriebenen Zweisitzer zur Serienproduktion bringen. Dieses extrem leise
Flugzeug soll als Schulflugzeug eingesetzt werden und
wird eine erhebliche Entlastung für die Anwohner an
kleinen Sportflugplätzen bringen. Gemeinsam mit RollsRoyce arbeitet Airbus zudem an der Vision eines hybridelektrisch angetriebenen Passagierflugzeuges mit bis zu
90 Sitzen.
Sie sehen, meine Damen und Herren: Elektromobilität findet zukünftig nicht nur auf der Straße statt, sondern bald auch in der Luft - ein Thema, das leider noch
keine große Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden
hat.
({12})
Aber, Herr Kollege, das werden Sie nicht mehr erläutern. Kommen Sie bitte zum Schluss.
Um den Kreis zu dem anfangs erwähnten Schokoladenherzen zu schließen, möchte ich, gerichtet an die
Kollegen der Grünen, noch abschließend sagen,
({0})
dass ich mir, wenn es um die deutsche Luftfahrt geht,
statt unnötiger, ideologisch geprägter Scheindebatten,
die Sie führen, ein wesentlich größeres Herz für die
deutsche Luftfahrtindustrie wünsche.
({1})
Die deutsche Luftfahrtbranche sieht sich derzeit einer
Vielzahl von Problemen ausgesetzt.
Der Antrag der Grünen ist somit abzulehnen. Unser
primäres Ziel in der nächsten Zeit muss vielmehr sein,
die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland zu
stärken, um weiter am langfristig weltweiten Wachstum
des Luftverkehrs teilzuhaben und damit Arbeitsplätze zu
halten, neue zu schaffen und die Individualmobilität des
Einzelnen, ein wesentliches Lebensqualitätsmerkmal
und somit ein Stück Freiheit, 9616
Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.
- zu sichern.
Herzlichen Dank für das Zuhören. Herzliches Vergelt’s Gott.
({0})
Das war das Ende der Debatte.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4331 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Wenn jetzt die erhitzten Gemüter zur Ruhe kommen
und Sie mir noch eine gewisse Zeit Ihre Konzentration
schenken, dann kommen wir auch irgendwann zum
Ende der heutigen Sitzung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Personalausweisgesetzes zur Einführung eines Ersatz-Personalausweises und
zur Änderung des Passgesetzes
Drucksache 18/3831
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes zur Einführung eines ErsatzPersonalausweises und zur Änderung des
Passgesetzes
Drucksache 18/4280
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
Drucksache 18/4706
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor.
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/4706, die Gesetzentwürfe der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/3831 sowie
der Bundesregierung auf Drucksache 18/4280 zusam-
menzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
1) Anlage 3
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4711. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Sevim Dağdelen, Jan Korte, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Deutsche Beteiligung an der EU-Polizeimis-
sion in der Ukraine beenden
Drucksachen 18/3314, 18/3932
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) Sie sind damit einverstanden.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Auswärtige
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/3932, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/3314 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Personalrechts
der Beamtinnen und Beamten der früheren
Deutschen Bundespost
Drucksache 18/3512
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
Drucksache 18/4707
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.3) -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
2) Anlage 4
3) Anlage 5
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/4707, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/3512 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPDFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in dritter Lesung
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Sabine Weiss ({4}), Frank
Heinrich ({5}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU sowie der
Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Axel
Schäfer ({6}), Heinz-Joachim
Barchmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung global gestalten - Post-2015-Agenda auf den
Weg bringen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Heike
Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Armut und soziale Ungleichheit weltweit
überwinden, natürliche Grundlagen bewahren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia
Roth ({7}), Annalena Baerbock, Uwe
Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gipfeljahr 2015 - Durchbruch schaffen
für Klimaschutz und globale Gerechtig-
keit
Drucksachen 18/4088, 18/4091, 18/3156,
18/4669
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden1). - Ich sehe keinen Widerspruch.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche
1) Anlage 6
Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache
18/4669.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrages der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/4088 mit dem Titel „UN-Ziele für nachhaltige
Entwicklung global gestalten - Post-2015-Agenda auf
den Weg bringen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/
CSU-Fraktion und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4091 mit dem Titel „Armut und soziale Ungleichheit weltweit überwinden, natürliche Grundlagen
bewahren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPDFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3156 mit dem Titel „Gipfeljahr 2015 - Durchbruch schaffen für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSUund SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren
({8})
Drucksache 18/4621
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({9})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden.2) - Ich sehe keinen Widerspruch.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/4621 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes gegen den unlau-
teren Wettbewerb
2) Anlage 7
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Die Reden werden auch hier zu Protokoll gege-
ben1). - Sie sind damit ebenfalls einverstanden.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4535 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Ich sehe: Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur
Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften
Drucksache 18/4632
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({1})
1) Anlage 8
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Die Reden werden zu Protokoll gegeben2). - Kein
Widerspruch.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4632 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 24. April 2015, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allen
noch einen wunderschönen Abend.