Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/29/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich und möchte Ihnen vor Eintritt in unsere Tagesordnung mitteilen, dass interfraktionell vereinbart wurde, die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 1, also Außenpolitik, Europa und Menschenrechte, im Anschluss an die Regierungserklärung im Umfang von 60 Minuten nicht, wie ursprünglich vorgesehen, mit den Tagesordnungspunkten 2 und 3 zu verbinden. Damit werden die Bundeswehreinsätze im Rahmen der Mandate OAF und OAE gesondert nach dem Tagesordnungspunkt 1 beraten. Die Dauer der Debatte soll für diese beiden Punkte jeweils 25 Minuten betragen. Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, den Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung aus der 17. Legislaturperiode auf der Drucksache 17/13674 federführend dem Ausschuss für Tourismus und zur Mitberatung dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie, dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sowie dem Ausschuss für Kultur und Medien zu überweisen. Ich hätte auch vortragen können, an wen er nicht überwiesen werden soll. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerinmit anschließender Aussprache Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache nach der Regierungserklärung 5 Stunden und 30 Minuten, morgen 10 Stunden und 17 Minuten - vergessen Sie die Stoppuhr nicht - sowie am Freitag 3 Stunden und 36 Minuten vorgesehen. - Ich sehe überall helle Begeisterung. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der aktuellen Ereignisse lassen Sie mich bitte zu Beginn einige Worte zur Lage in der Ukraine sagen. Durch den Druck der Demonstrationen werden jetzt ganz offensichtlich ernsthafte Gespräche zwischen dem Präsidenten und der Opposition über notwendige politische Reformen möglich. Der Bundesaußenminister, das Kanzleramt und die deutsche Botschaft in Kiew unterstützen die Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts und die berechtigten Anliegen der Opposition mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Wir stehen dazu auch in engem Kontakt mit der Hohen Beauftragten Lady Ashton und werden unsere Bemühungen in den nächsten Stunden und Tagen fortsetzen. Viele Menschen in der Ukraine haben seit dem EUGipfel zur Östlichen Partnerschaft Ende November in Vilnius in mutigen Demonstrationen gezeigt, dass sie nicht gewillt sind, sich von Europa abzukehren. ({0}) Im Gegenteil: Sie setzen sich für die gleichen Werte ein, die auch uns in der Europäischen Union leiten, und deshalb müssen sie Gehör finden. Unverändert gilt, dass die Tür für die Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens durch die Ukraine weiter offen steht. Und unverändert gilt, dass die Gefahr eines Entweder-oder im Hinblick auf das Verhältnis der Länder der Östlichen Partnerschaft zu Europa oder zu Russland überwunden werden muss und - davon bin ich überzeugt - in geduldigen Verhandlungen auch überwunden werden kann. Genau dies haben auch der EURatspräsident Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident Barroso gestern beim EU-Russland-Gipfel gegenüber dem russischen Präsidenten Putin noch einmal zum Ausdruck gebracht. Auch die Bundesregierung wird dies gegenüber Russland unvermindert zum Ausdruck bringen, zum Wohle aller in der Region. Meine Damen und Herren, bevor wir nun auf die nächsten Jahre schauen, sollten wir kurz zurückblicken: auf den Beginn dieses Jahrhunderts. Damals galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Die soziale Marktwirtschaft, die unser Land im 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt hat, wurde national wie international fast schon als Auslaufmodell angesehen. Manche meinten, dass unsere Wirtschafts- und Sozialordnung zu behäbig, zu altmodisch für die Anforderungen der Globalisierung im 21. Jahrhundert geworden sei. Und heute, zehn Jahre später? Heute können wir feststellen: Deutschland geht es so gut wie lange nicht. Die Wirtschaft wächst, ({1}) die Beschäftigung ist auf dem höchsten Niveau seit der Wiedervereinigung, die Menschen schauen so optimistisch in die Zukunft wie seit dem Fall der Mauer nicht mehr, ({2}) und von der sozialen Marktwirtschaft als Auslaufmodell spricht keiner mehr, von Deutschland als krankem Mann Europas erst recht nicht. Im Gegenteil: Deutschland ist Wachstumsmotor in Europa, Deutschland ist Stabilitätsanker in Europa. Wir sind rascher und stärker aus der weltweiten Wirtschaftsund Finanzkrise herausgekommen als andere. Wir tragen maßgeblich dazu bei, dass die europäische Staatsschuldenkrise überwunden werden kann. Für diese Erfolgsgeschichte ist das Zusammenspiel der Sozialpartner ganz entscheidend, das Zusammenspiel der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, das unserem Land gemeinsam mit klugen politischen Entscheidungen die Stabilität und Stärke gibt, die heute notwendig sind. Sie sind notwendig, wenn wir den Anspruch haben, nicht einfach irgendwie die Krisen und Herausforderungen unserer Zeit zu meistern, sondern so, dass sich die Werte und Interessen Deutschlands und Europas auch in Zukunft im harten weltweiten Wettbewerb behaupten können. Ich habe diesen Anspruch, die Regierung der Großen Koalition hat diesen Anspruch. Wir haben den Anspruch, nicht einfach irgendwie aus den weltweiten und europäischen Finanz- und Schuldenkrisen herauszukommen, sondern stärker, als wir in sie hineingegangen sind. Wir haben den Anspruch, nicht einfach irgendwie mit den großen Herausforderungen unserer Zeit beim Schutz unseres Klimas, beim Zugang zu Energie oder beim Kampf gegen die asymmetrischen Bedrohungen fertigzuwerden, sondern so, dass wir unseren Werten und unseren Interessen gerecht werden. ({3}) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist wichtiger denn je. Längst hat die Globalisierung unsere Welt auch im Kleinen erfasst. Heute leben über 7 Milliarden Menschen auf der Erde. Sie alle wollen am Wohlstand teilhaben. Als Exportnation sind wir auf vielfältige Weise mit anderen Nationen verflochten. Niemand kann sich mehr darauf beschränken, nur seine eigenen Belange im Blick zu haben, und wenn er es doch tut, dann schadet er über kurz oder lang sich selbst. In den 50er-Jahren hatte nur 1 Prozent der Weltbevölkerung eine Lebenserwartung von über 70 Jahren. Heute wird über die Hälfte aller Menschen über 70 Jahre alt. Schon diese eine Zahl gibt uns eine Ahnung vom Ausmaß der demografischen Entwicklung, mit der ja auch gerade Deutschland umzugehen lernen muss. Die digitalen Möglichkeiten und das Internet verändern unser Leben rasant. Sie schaffen schier unendliche Kommunikations- und Informationsformen, haben aber auch eine kaum absehbare Wirkung auf den Schutz dessen, was privat und persönlich sein und bleiben sollte. Es versteht sich von selbst: Mit der globalen und digitalen Dynamik unserer Zeit müssen wir Schritt halten. Mehr noch: Ein Land wie Deutschland, größte und stärkste Volkswirtschaft Europas, muss an ihrer Spitze stehen und auch stehen wollen, und zwar nicht um uns ihr zu unterwerfen, sondern um die Chancen erkennen und auch nutzen zu können, die ohne jeden Zweifel in ihr stecken. Das gilt für unsere Forscher und Entwickler, das gilt für unser Bildungssystem, das gilt für unsere Unternehmen und Arbeitnehmer, und das gilt für unsere Art der Energieversorgung. Mit dieser Dynamik Schritt zu halten, an der Spitze der Entwicklung zu stehen, das ist eine der großen politischen wie ethischen Gestaltungsaufgaben unserer Generation. Sie kann nur mit einem Kompass gelingen. Dieser Kompass ist die soziale Marktwirtschaft, ({4}) weil sie immer mehr war als eine Wirtschaftsordnung, weil sie als Wirtschafts- und Sozialordnung wirtschaftliche Kraft und sozialen Ausgleich miteinander verbindet. Die soziale Marktwirtschaft ist unser Kompass, weil ihre Prinzipien zeitlos gültig sind und sie doch mit der Zeit gehen und weiterentwickelt werden können, wie dies mit der ökologischen und der internationalen Dimension unseres Lebens gelungen ist. Die soziale Marktwirtschaft ist unser Kompass, weil sie wie keine zweite Wirtschafts- und Sozialordnung den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Genau darum hat es zu gehen: um den Menschen im Mittelpunkt unseres Handelns. ({5}) Das leitet mich seit meinem Amtsantritt im November 2005 in meinem Verständnis als Kanzlerin aller Deutschen und aller in Deutschland lebenden Menschen, gleich welcher Herkunft, das leitet mich auch in Zukunft, und das leitet die Regierung der Großen Koalition von CDU, CSU und SPD. ({6}) Eine Politik, die nicht den Staat, nicht Verbände, nicht Partikularinteressen, sondern den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt, eine solche Politik kann die Grundlagen für ein gutes Leben in Deutschland und Europa schaffen. ({7}) Die Quellen des guten Lebens sind Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, politische Stabilität, wirtschaftliche Stärke und Gerechtigkeit. Die Regierung der Großen Koalition will die Quellen des guten Lebens allen zugänglich machen, das bedeutet, allen bestmögliche Chancen zu eröffnen. ({8}) Im Zweifel handeln wir für den Menschen. Bei jeder Abwägung von großen und kleinen Interessen, bei jedem Ermessen: Die Entscheidung fällt für den Menschen. ({9}) So dienen wir den Menschen und unserem Land. Wir gestalten Deutschlands Zukunft - um es mit dem ebenso einfachen wie klaren Motto des Koalitionsvertrages von CDU, CSU und SPD zu sagen. Dabei setzen wir erstens auf solide Finanzen, zweitens auf Investitionen in die Zukunft unseres Landes, ({10}) drittens auf die Stärkung unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts, viertens auf die Fähigkeit Deutschlands, Verantwortung in Europa und der Welt zu übernehmen. Diese vier Punkte sind nicht hierarchisch gegliedert. Sie stehen gleichrangig nebeneinander. Ohne solide Finanzen könnten wir keine Zukunft gestalten. Ohne gezielte Investitionen in die Zukunft unseres Landes bliebe Sparen Selbstzweck. Ohne die Stärkung unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts ginge unserem Land vieles von seiner sozialen Stabilität verloren, die ja gerade ein Garant unseres wirtschaftlichen Erfolgs ist. Ohne die Fähigkeit Deutschlands, Verantwortung in Europa und der Welt zu übernehmen, schadeten wir unseren Partnern wie uns selbst, unseren Werten und Interessen, wir schadeten uns politisch und ökonomisch. Es ist doch gerade erst etwas mehr als fünf Jahre her, dass wir erlebt haben, wohin die verantwortungslosen Exzesse der Märkte, Überschuldung und eine mangelhafte Regulierung der internationalen Finanzmärkte führen können. Wir haben erlebt, dass dies mit einem Schlag gravierende Auswirkungen auf alle Staaten dieser Erde hatte, auch auf Deutschland. Wir mussten damals einen der schlimmsten Wirtschaftseinbrüche, den schlimmsten Wirtschaftseinbruch in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, verkraften. Es ist das bleibende Verdienst der damaligen Koalition von CDU, CSU und SPD, Deutschland 2009 gemeinsam mit den Sozialpartnern so rasch, so erfolgreich durch diese Krise geführt zu haben. ({11}) Einen nachhaltigen Erfolg kann Deutschland aber nicht alleine haben. Eine Politik, die den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt, setzt deshalb alles daran, dass alle, dass die ganze Welt die Lektionen aus dieser damaligen Krise lernt. Eine davon ist und bleibt: Kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt und kein Finanzplatz darf ohne angemessene Regulierung bleiben; ({12}) Finanzakteure müssen durch die Finanztransaktionsteuer zur Verantwortung gezogen werden. ({13}) Auch in der internationalen sozialen Marktwirtschaft ist nämlich der Staat der Hüter der Ordnung. Deutschland übernimmt Verantwortung in Europa und der Welt, damit sich genau diese Einsicht, dass der Staat Hüter der Ordnung ist, durchsetzen kann. ({14}) Dazu sind Fortschritte bei der Regulierung der Finanzmärkte unverzichtbar, und zwar Fortschritte, die diesen Namen auch wirklich verdienen, wenn wir das Versprechen einhalten wollen, das wir den Menschen gegeben haben. Das ist das Versprechen, dass sich eine solch verheerende weltweite Finanzkrise nicht wiederholen darf. Das bedeutet, in einem Satz gesagt: Wer ein Risiko eingeht, der haftet auch für die Verluste, und nicht mehr der Steuerzahler. ({15}) Manches ist erreicht. Vieles ist zu tun. Deshalb sind die Regelungen für eine Bankenunion in Europa so wichtig; denn bei der Sanierung und Abwicklung von Banken hat für uns die Einhaltung einer klaren Haftungskaskade eine zentrale Bedeutung. Meine Damen und Herren, wir alle müssen verstehen, dass es mehr denn je nicht mehr ausreicht, nur auf die eigene Kraft und Stärke zu setzen. Konkret heißt das: Auch Deutschland ist auf Dauer nur stark, wenn auch Europa stark ist; auch Deutschland geht es auf Dauer nur gut, wenn es auch Europa gut geht. Doch ich kann uns auch heute nicht ersparen, darauf hinzuweisen: Auch wenn die europäische Staatsschuldenkrise nicht mehr täglich die Schlagzeilen bestimmt, müssen wir doch sehen, dass sie allenfalls unter Kontrolle ist. Dauerhaft und nachhaltig überwunden ist sie damit noch nicht. Wir haben zwar eine Wirtschafts- und Währungsunion, in der nationale Entscheidungen jeweils Auswirkungen auf alle anderen Mitgliedstaaten der Währungsunion haben, aber wir haben auch eine Währungsunion, deren wirtschaftspolitische Koordinierung nach wie vor überaus mangelhaft gestaltet ist. Ohne entscheidende Fortschritte, ohne einen Quantensprung hier werden wir die europäische Staatsschuldenkrise nicht überwinden. Wir werden vielleicht irgendwie mit ihr zu leben lernen, aber unseren Platz an der Spitze der globalen Entwicklung werden wir so nicht halten können. So werden wir nicht stärker aus der Krise herauskommen, als wir in sie hineingegangen sind. Doch nur das kann Europas Anspruch sein: nach der Krise stärker zu sein als vor der Krise; und weil das so ist, dürfen wir der trügerischen Ruhe jetzt nicht trauen. Ja, es ist wahr: Europa ist auf dem Weg zu Stabilität und Wachstum bereits ein gutes Stück vorangekommen. Wahr ist aber auch, dass wir uns unvermindert anstrengen müssen, um Vorsorge für die Zukunft zu treffen. ({16}) Dafür müssen wir die Wirtschafts- und Währungsunion vertiefen und damit das nachholen, was bei ihrer Gründung versäumt wurde: der Währungsunion eine echte Wirtschaftsunion zur Seite zu stellen. ({17}) Hierfür müssen wir auch die europäischen Institutionen stärken. In einer echten Wirtschaftsunion werden wir um ein Mehr an Verbindlichkeit nicht herumkommen. Ich bin überzeugt: Dazu müssen auch die EU-Verträge weiterentwickelt werden. Das Ziel ist ein Europa, das seine Kräfte bündelt und das sich auf die großen Herausforderungen konzentriert. Alle europäischen Politiken, die Energie- und Klimapolitik, die Gestaltung des Binnenmarktes, die Außenhandelsbeziehungen, müssen sich daran messen lassen, ob sie zur Stärkung der europäischen Wirtschaftskraft und damit auch zu Wohlstand und Beschäftigung beitragen oder nicht. Denn sie bilden zusammen mit den nationalen Reformanstrengungen die Grundlage, um neues Wachstum und dauerhafte Beschäftigung für die Bürgerinnen und Bürger Europas zu schaffen. Auch die europäische Politik muss den Menschen in den Mittelpunkt des Handelns stellen. Sie soll den Alltag der Menschen einfacher machen und nicht schwerer. Sie soll die Rahmenbedingungen für Engagement, Eigeninitiative und Unternehmertum verbessern und nicht beeinträchtigen. Deshalb muss gelten: Wer Europa will und wer will, dass es Europa gut geht, der muss bereit sein, Europa stabiler, bürgernäher, stärker, einiger und gerechter zu machen, ({18}) und der muss natürlich zu Hause seine Hausaufgaben machen. Deutschland macht seine Hausaufgaben. Der Bund hat bereits seit 2012 - und damit früher als vorgesehen die Vorgaben der Schuldenbremse eingehalten. Für 2014 ist ein strukturell ausgeglichener Haushalt vorgesehen. Ab 2015 wollen wir ganz ohne Nettoneuverschuldung auskommen. Solch ein Ende der Neuverschuldung nach Jahrzehnten, in denen wir geradezu selbstverständlich Jahr für Jahr immer neue Schulden gemacht haben, ist nicht nur Ausdruck solider Finanzen, es ist vielmehr ein zentrales Gebot der Gerechtigkeit und damit gelebte soziale Marktwirtschaft. ({19}) Das ist nur zu schaffen, wenn wir bei unseren Ausgaben klare Prioritäten setzen und konsequent in die Zukunft investieren. Wir müssen uns dabei immer wieder vor Augen führen, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes unser Gemeinwesen nur dann akzeptieren, wenn sie sich auch vor Ort auf funktionierende Strukturen verlassen können. Deshalb entlastet der Bund die Kommunen auch in Zukunft: in diesem Jahr, indem er nunmehr vollständig die Grundsicherung für ältere Menschen übernimmt, und in den Folgejahren, indem er sich schrittweise an der Eingliederungshilfe bis zu einer Höhe von 5 Milliarden Euro beteiligt. ({20}) Die Gespräche mit den Ländern in den Koalitionsverhandlungen haben im Übrigen einmal mehr deutlich gemacht, dass die Bund-Länder-Finanzbeziehungen ganz grundsätzlich einer Neuordnung bedürfen, und zwar verbunden mit einer klaren Aufgabenzuordnung an Bund, Länder und Kommunen. ({21}) Die Bundesregierung wird bis zum Sommer einen Vorschlag machen, wie die dazu notwendigen Gespräche geführt werden können. Meine Damen und Herren, dass unsere Haushaltslage so gut ist, verdanken wir natürlich ganz entscheidend auch der guten wirtschaftlichen Entwicklung und den Millionen Beschäftigten, Selbstständigen und Unternehmen, die zu dieser wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen haben. Das hat zu einem neuen Rekord an Steuereinnahmen geführt. Auch deshalb ist die Politik es den Menschen schuldig, zu zeigen, dass wir mit dem auskommen, was wir einnehmen, und dass wir keine Steuern erhöhen oder neue einführen. ({22}) Trotz aller Erfolge dürfen wir aber unsere Hände nicht in den Schoß legen. ({23}) Denn unser Land braucht auch in Zukunft eine starke Wirtschaft und eine hohe Beschäftigungsrate. Dafür schafft die Regierung der Großen Koalition die notwendigen Voraussetzungen, zum Beispiel indem wir die Struktur der Bundesregierung an einer zentralen Stelle verändert haben: Wir haben die Kompetenzen von Wirtschaft und Energie in einem Ministerium gebündelt. Wir haben uns dazu entschieden, weil wir überzeugt sind, dass unser Wohlstand nur mit einem starken industriellen Fundament aus großen und mittelständischen Unternehmen gesichert werden kann, dessen unabdingbare Voraussetzung eine umweltfreundliche, sichere und bezahlbare Energieversorgung ist - für unsere Unternehmen genauso wie für die Bürgerinnen und Bürger. ({24}) Deutschland hat den Weg der Energiewende eingeschlagen. Deutschland hat sich entschieden, eine Abkehr vom jahrzehntelangen Energiemix - einem Energiemix aus vornehmlich fossilen Energieträgern und Kernenergie - zu vollziehen. Es gibt kein weiteres vergleichbares Land auf dieser Welt, das eine solch radikale Veränderung seiner Energieversorgung anpackt. Diese Entscheidung wird von der überwältigenden Mehrheit der Deutschen unterstützt. Doch machen wir uns nichts vor: Die Welt schaut mit einer Mischung aus Unverständnis und Neugier darauf, ob und wie uns diese Energiewende gelingen wird. Wenn sie uns gelingt, dann wird sie - davon bin ich überzeugt - zu einem weiteren deutschen Exportschlager. Und auch davon bin ich überzeugt: Wenn diese Energiewende einem Land gelingen kann, dann ist das Deutschland. Bis 2050 wollen wir 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugen. Schon heute haben die erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung einen Anteil von 25 Prozent, der bis 2025 auf 40 bis 45 Prozent und bis 2035 auf 55 bis 60 Prozent ansteigen soll. Mit diesem Ausbaukorridor können wir ganz harmonisch das Ausbauziel von 80 Prozent erreichen - allerdings nur, wenn gleichzeitig unsere Industrie im weltweiten Wettbewerb bestehen kann und Strom für alle erschwinglich bleibt. ({25}) Mit einem Anteil von 25 Prozent an der Stromerzeugung haben die erneuerbaren Energien heute ihr Nischendasein verlassen. Bis dahin war es sinnvoll, sie durch die Umweltpolitik zu fördern. Jetzt aber müssen sie als zunehmend tragende Säule der Stromerzeugung in den Gesamtenergiemarkt integriert werden. Maßstab für den Ausbau der erneuerbaren Energien müssen Planbarkeit und Kosteneffizienz sein. Deshalb muss der Ausbaukorridor auch verbindlich festgeschrieben werden. Die einzelnen Formen der erneuerbaren Energien müssen so schnell wie möglich marktfähig werden; ihr Ausbau und der Ausbau der Transportnetze müssen Hand in Hand gehen. Wir sehen: Das ist eine Herkulesaufgabe; das bedarf einer nationalen Kraftanstrengung. Gerade auch deshalb habe ich davon gesprochen, dass die Große Koalition eine Koalition für große Aufgaben ist. Und wenn es eine politische Aufgabe gibt, bei der nicht Partikularinteressen im Mittelpunkt zu stehen haben, sondern der Mensch, dann ist das die Energiewende. ({26}) Sie kann nur gelingen, wenn alle - Bund, Länder, Gemeinden, Verbände, jeder Einzelne - über ihren Schatten springen und nur eines im Blick haben: das Gemeinwohl. Aber dann - davon bin ich überzeugt - wird die Energiewende auch gelingen; dann wird sie ein weiteres Beispiel gelebter ökologischer und sozialer Marktwirtschaft sein. Das Kabinett hat die dazu vom Bundeswirtschaftsminister vorgelegten Eckpunkte beschlossen. Sie sind Grundlage für den Gesetzentwurf zur Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, die am 9. April im Kabinett verabschiedet und bis zur Sommerpause auch in Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden soll. Zusammen mit dem Netzausbau und mit Entscheidungen über Kraftwerksreserven zur Sicherung der Energieversorgung entsteht daraus der Rahmen zur Umsetzung der Energiewende. Die Bundesregierung wird sich in den anstehenden sicherlich nicht einfachen Beratungen um eine breite Mehrheit bemühen; denn ich bin davon überzeugt: Je größer die Mehrheit, desto größer ist auch die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern. Zeit haben wir allerdings nicht zu verlieren: Wir müssen parallel alles dafür tun, dass unsere Entscheidungen auch in Brüssel akzeptiert werden. Gleichzeitig müssen wir die Energiewende in eine anspruchsvolle nationale und europäische Klimastrategie einbetten. Es ist gut, dass die Kommission mit dem ambitionierten 40-Prozent-CO2-Reduktionsziel die Vorreiterrolle Europas im internationalen Klimaschutz noch einmal unmissverständlich unterstrichen hat. Deutschland wird sich auch mit ganzer Kraft für die Verabschiedung einer international verbindlichen Klimakonvention einsetzen. Gemeinsam mit Frankreich arbeiten wir für einen Erfolg der internationalen Klimakonferenz Ende 2015 in Paris, damit am Ende eine verbindliche Regelung für die weltweite Reduktion von Treibhausgasen ab 2020 gefunden wird. Wir setzen uns auch für einen funktionierenden Emissionshandel in Europa ein, damit umweltfreundliche Kraftwerke wie zum Beispiel moderne Gaskraftwerke endlich wieder eine faire Chance auf den Märkten erhalten. Um im Baubereich zu einer Gesamtstrategie zu kommen, in die auch der Klimaschutz integriert ist, hat die Bundesregierung den Umweltschutz und den Baubereich in einem Ministerium gebündelt. So können wir unsere nationalen Klimaziele auch in den Bereichen der Energieeffizienz und der Gebäudesanierung erreichen. Im Übrigen können unsere Wirtschaft und unser Handwerk davon profitieren. Umweltschutz, die ökologische und soziale Marktwirtschaft schafft Arbeitsplätze. Meine Damen und Herren, vor einem Jahrzehnt, als 5 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos waren, hatten viele Zweifel, ob und inwieweit eine der jahrzehntelangen großen Gewissheiten der sozialen Marktwirtschaft auch in Zukunft noch ihre Berechtigung haben würde, nämlich die Gewissheit, dass es den Arbeitnehmern dann gut geht, wenn es dem eigenen Betrieb auch gut geht. Die Auswirkungen der Globalisierung hatten dieses Grundvertrauen ins Wanken gebracht. Reformen, zuvor jahrelang verzögert oder vermieden, wurden unumgänglich. Es folgte die Agenda 2010 der Regierung Schröder, auf die dann weitere Reformen der Großen Koalition von 2005 bis 2009 und der anschließend christlich-liberalen Bundesregierung fußten. Das Ergebnis dieser Reformen: Heute hat unser Land mehr Beschäftigte als je zuvor. ({27}) Die Arbeitslosigkeit liegt unter 3 Millionen; die Jugendarbeitslosigkeit ist die geringste in Europa. Aber es gibt auch Schattenseiten. Aus der unverzichtbaren Flexibilisierung des Arbeitsrechts sind neue Möglichkeiten des Missbrauchs entstanden. Schon die christlich-liberale Bundesregierung hat einige davon beseitigt, aber die Große Koalition wird weitere Korrekturen vornehmen müssen. ({28}) Konkret geschieht das in der Leiharbeit, deren Dauer auf maximal 18 Monate beschränkt wird. Die gleiche Bezahlung eines Leiharbeiters wie die eines Beschäftigten der Stammbelegschaft hat jetzt nach spätestens 9 Monaten zu erfolgen, und beim Abschluss von Werkverträgen ist in Zukunft der Betriebsrat zu informieren. ({29}) Es ist die gemeinsame Überzeugung von CDU, CSU und SPD, dass derjenige, der voll arbeitet, mehr haben muss, als wenn er nicht arbeitet. ({30}) Niemand, der ein Herz hat, ist deshalb schnell bei der Hand damit, das Instrument eines Mindestlohns rundweg abzulehnen. Doch jeder, der ein Herz hat, muss aber genauso sicherstellen, ({31}) dass der so nachvollziehbare Wunsch nach würdiger Bezahlung nicht Menschen, die heute Arbeit haben, in die Arbeitslosigkeit führt. ({32}) Die Koalitionsverhandlungen um einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ab 2015 haben alle Facetten dieses Dilemmas behandelt. Das Ergebnis ist ein Kompromiss, bei dem - das sage ich aus voller Überzeugung - die Vorteile die Nachteile überwiegen. ({33}) Der Mindestlohn von 8,50 Euro wird ab Anfang 2015 gelten. Allerdings haben wir vereinbart, dass Tarifverträge, die mit einer Lohnuntergrenze von weniger als 8,50 Euro vereinbart wurden, bis Ende 2016 weitergelten können. Im Laufe dieses Jahres können solche Tarifverträge noch abgeschlossen werden. Ich sage ganz ausdrücklich: Arbeitgeber und Gewerkschaften haben damit alle Freiheit und Möglichkeit, genau davon dort Gebrauch zu machen, wo immer dies zum Erhalt von Arbeitsplätzen notwendig ist. Derartige Tarifverträge können in Zukunft in einem vereinfachten Verfahren für allgemeinverbindlich erklärt werden, da sie im öffentlichen Interesse sind. Dadurch wird im Übrigen auch die Tarifpartnerschaft, ein Wesensmerkmal der sozialen Marktwirtschaft, wieder gestärkt, und sie muss in einigen Bereichen gestärkt werden. ({34}) Eine starke soziale Marktwirtschaft braucht international wettbewerbsfähige Unternehmen. Wir wissen aus unseren Erfahrungen, dass das besonders gut funktioniert, wenn Frauen und Männer gleiche Chancen haben. ({35}) Deshalb werden wir für Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen, die ab 2016 neu besetzt werden, eine Quote von mindestens 30 Prozent Frauen einführen. Jahrelanges gutes Zureden hat nicht geholfen. Deshalb müssen wir diesen Schritt jetzt gehen. ({36}) - Nein, große Vorfreude. ({37}) Meine Damen und Herren, unsere sozialen Sicherungssysteme gehören zu den besten der Welt. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, müssen sie sowohl den Erwartungen der heutigen Generation als auch den Anforderungen zukünftiger Generationen entsprechen. Sie müssen also der demografischen Entwicklung unseres Landes standhalten. Diesem Ziel dient die schrittweise Einführung der Rente mit 67 bis zum Jahr 2029. Heute haben bereits deutlich mehr Menschen im Alter zwischen 55 und 65 Jahren eine Chance auf dem Arbeitsmarkt als noch vor wenigen Jahren. Diese Entwicklung muss fortgesetzt werden. ({38}) Dennoch - das sollten wir nicht vergessen - haben wir bei der Einführung der Rente mit 67 bereits diejenigen vom Anstieg der Lebensarbeitszeit ausgenommen, die 45 Jahre lang Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt haben. Diese Regelung werden wir jetzt modifizieren. Wir werden für Menschen mit 45 Beitragsjahren inklusive des Bezugs von Arbeitslosengeld I eine abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren, aufwachsend dann bis Anfang der 30er-Jahre auf 65 Jahre, einführen. Ich füge hinzu: In der Zwischenzeit müssen wir dafür Sorge tragen, dass sich auch die Beschäftigungschancen langjährig Beschäftigter weiter deutlich verbessern. ({39}) Wir wollen im Übrigen nicht länger die Augen davor verschließen, dass viele Frauen eine gerechte Anerkennung der Leistungen für die Erziehung der Kinder anmahnen. Wie ist die Lage heute? Heute werden für die nach 1992 geborenen Kinder drei Jahre im Rentenrecht anerkannt, für die davor geborenen Kinder nur ein Jahr. Das ist in den Augen vieler nicht gerecht. ({40}) Eine Politik, die den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt, muss und will das verändern. Wir haben in den letzten Jahren große Anstrengungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unternommen: den Ausbau der Kitaplätze, verbesserte Möglichkeiten für flexible Arbeitszeiten, die Einführung des Elterngelds mit Vätermonaten. In dieser Legislaturperiode werden wir die Teilzeitarbeit der Eltern durch das ElterngeldPlus erleichtern und den Ausbau der Kitaplätze fortsetzen. Mütter, die vor 1992 ihre Kinder geboren haben, hatten nicht annähernd so gute Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Deshalb wollen wir diesen Müttern, über 9 Millionen Frauen, im Rentenrecht wenigstens ein Jahr mehr für die Anerkennung ihrer Erziehungsleistung anrechnen lassen. ({41}) Wegen der guten Beschäftigungssituation kann die Rentenversicherung diese Aufgabe zurzeit erfüllen. Wir wissen aber: Mittelfristig werden wir einen Teil durch weitere Steuerzuschüsse aus dem Bundeshaushalt ergänzen. ({42}) Außerdem werden wir die Renten im Falle von Erwerbsunfähigkeit verbessern. Das ist unerlässlich. Denn Erwerbsunfähigkeit ist heute eine der Hauptursachen für Altersarmut. Sie wissen: Wir haben heute genau dieses Gesetzespaket auf den Weg gebracht und zur parlamentarischen Beratung überwiesen. ({43}) Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich vor allem an ihrem Umgang mit Schwachen. ({44}) Sie zeigt sich in den Situationen, in denen Menschen auf Schutz und Hilfe angewiesen sind: wenn sie alt sind und wenn sie krank sind. Der medizinische Fortschritt ermöglicht immer neue Heilungs- und Behandlungsmöglichkeiten. Unsere Lebenserwartung steigt stetig an, und gleichzeitig sind immer mehr Menschen auf Pflege angewiesen. Jeder muss die medizinische Versorgung bekommen, die er braucht, und jeder Mensch muss in Würde sterben können. Das sind die zentralen Aufgaben der Politik für unser Gesundheits- und Pflegesystem. Die Bundesregierung will dafür Sorge tragen, dass die medizinische Versorgung verbessert wird, insbesondere bei der Versorgung mit Fachärzten. Jeder muss schnell und gut behandelt werden. Die hohe Qualität unserer medizinischen Versorgung muss auch in Zukunft gerade im ländlichen Raum gesichert werden. Dabei spielt die Entwicklung der Telemedizin im Übrigen eine zentrale Rolle. Für die Pflege werden wir die Leistungen in den nächsten vier Jahren um insgesamt 25 Prozent gegenüber heute steigern. Die zusätzlichen Mittel werden wir insbesondere erstens für die Verbesserung der pflegerischen Leistungen einsetzen - dabei werden wir gleichzeitig die Bürokratie mindern -, zweitens für eine bessere Ausbildung und Bezahlung der Pflegekräfte nutzen, um den vielerorts herrschenden Pflegenotstand abzubauen, ({45}) und drittens für den Aufbau einer demografischen Reserve verwenden, um zukünftige Generationen vor zu hohen Belastungen zu schützen. ({46}) Auch werden wir Hospize und die Palliativmedizin stärken. Doch bei allem dürfen wir zu keiner Zeit vergessen: Immer noch leisten Familienangehörige die meiste Pflegearbeit. Sie gehen dabei oft bis an die Grenzen ihrer Kräfte, nicht selten darüber hinaus. Sie sind die stillen Helden unserer Gesellschaft. ({47}) Das zeigt einmal mehr: Die Familien sind das Herzstück unserer Gesellschaft. Deshalb arbeiten wir für verlässliche und gute Rahmenbedingungen. ({48}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der Veränderung des Altersaufbaus unserer Gesellschaft garantieren auf Dauer nur Investitionen in Forschung und Bildung die Leistungsfähigkeit und den Wohlstand unseres Landes im globalen Wettbewerb. Wir müssen in vielen Bereichen zu den Besten der Welt gehören. Deshalb investieren wir 3 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung und gehören damit in Europa, allerdings nicht unbedingt immer weltweit, zu den führenden Ländern. Unsere Hightech-Strategie setzt Maßstäbe für die Spitzenforschung. Der Bund will seinen Anteil von 3 Prozent für die Forschung auch in den nächsten Jahren halten. Der Bund wird aber zusätzlich auch die Länder entlasten, indem wir den Aufwuchs bei den Mitteln für die außeruniversitäre Forschung voll übernehmen, also auch den Länderanteil, und uns erstmalig auch an der Grundfinanzierung der Universitäten beteiligen werden, um den Abstand zwischen außeruniversitärer Forschung und universitärer Bildung und Forschung nicht zu groß werden zu lassen. ({49}) In den letzten Jahren ist die Zahl derer, die ein Hochschulstudium aufnehmen, auf über 50 Prozent gestiegen. Das ist erfreulich. Aber die Bundesregierung wird in dieser Legislaturperiode gerade auch der anderen Säule unseres Bildungssystems, der dualen Berufsausbildung, be568 sonderes Augenmerk zukommen lassen. Sie ist ein Markenzeichen unserer sozialen Marktwirtschaft. ({50}) Wir wollen den Ausbildungspakt zu einem Pakt für Aus- und Weiterbildung fortentwickeln, an dem sich neben den Arbeitgebern in Zukunft auch die Gewerkschaften wieder beteiligen sollen. Ohne hervorragend ausgebildete Menschen ist Deutschland kein wirtschaftlich starkes Land. In den nächsten Jahren werden immer weniger junge Menschen in Deutschland ins Berufsleben eintreten. Das heißt, wir müssen jedem jungen Menschen die Chance auf eine gute Bildung sichern. Das beginnt beim Ausbau der Kindertagesstätten, an dem der Bund sich weiter beteiligen wird. Das setzt sich fort mit unserer Initiative „Chance Beruf“, die der Bund zu einem flächendeckenden Angebot ausweiten will. Wir führen den Hochschulpakt fort. Studienabbrecher bekommen in Zukunft die Chance, auch eine duale Berufsausbildung zu machen. Junge Menschen über 25, die noch keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, sollen eine zweite Chance bekommen. ({51}) Dies ist auch eine zentrale Aufgabe unserer Integrationspolitik. Auf dem Integrationsgipfel in diesem Jahr - so haben wir es besprochen - werden wir uns schwerpunktmäßig mit der Ausbildung von Migrantinnen und Migranten befassen. Auch werden wir jungen Menschen mit Migrationshintergrund unser Willkommen in Deutschland dadurch verdeutlichen, dass wir bei der Staatsbürgerschaft die Optionspflicht für in Deutschland geborene und aufgewachsene Jugendliche abschaffen. ({52}) Es ist im Übrigen ein Gebot unserer sozialen Marktwirtschaft, dass gerade die Jüngeren der ja immer noch fast 3 Millionen Arbeitslosen eine berufliche Perspektive bekommen; denn wenn sie das in jungen Jahren nicht bekommen, wird es über Jahrzehnte schwierig für sie. In diesem Zusammenhang möchte ich sagen, dass es mir schon Sorge bereitet, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen wieder steigt. Dem müssen wir zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit entgegenwirken. Der Bund verwendet jährlich mehr als 30 Milliarden Euro für die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Jeder hier nicht benötigte Euro kann für Zukunftsprojekte verwendet werden. Zusätzlich müssen wir natürlich weiter offen für Fachkräfte aus dem Ausland sein. Deutschland wird die Möglichkeiten nutzen und nutzen müssen, die die Freizügigkeit in Europa bietet. ({53}) - Deutschland wird die Möglichkeiten nutzen, die die Freizügigkeit in Europa bietet. ({54}) Dennoch - auch das gehört hierher - dürfen wir die Augen vor ihrem möglichen Missbrauch nicht verschließen. ({55}) Es bedarf einer Klärung, wer aus dem europäischen Ausland unter welchen Bedingungen Anspruch auf Sozialleistungen hat. Angesichts völlig unterschiedlicher Sozialsysteme in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union darf es durch das Prinzip der Freizügigkeit nicht zu einer faktischen Einwanderung in die Sozialsysteme kommen. ({56}) Ob sich hier aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nationaler oder europäischer Handlungsbedarf ergibt, ist derzeit noch nicht abzusehen. Dies ist aber auch nicht auszuschließen, weil deutsche Gerichte Vorlagen in dieser Sache an den Europäischen Gerichtshof gegeben haben. Deshalb hat die Bundesregierung einen Staatssekretärsausschuss unter Federführung des Innen- und des Sozialministeriums gebildet, der die offenen Fragen klären wird und mit heute schon besonders betroffenen Kommunen Hilfsmöglichkeiten des Bundes bespricht. ({57}) Als Land in der Mitte Europas ist Deutschland auf eine funktionierende Infrastruktur zwingend angewiesen. Wir haben entschieden, das Verkehrsministerium zu einem Infrastrukturministerium auszubauen. Wir werden in die klassischen Verkehrsstrukturen allein aus Bundesmitteln bis 2017 5 Milliarden Euro mehr investieren. Wir werden die streckenbezogene Nutzungsgebühr für Lkw ausweiten. Für ausländische Pkw werden wir eine Gebühr auf Autobahnen einführen, ohne dass der deutsche Fahrzeughalter stärker als heute belastet wird. ({58}) - Warten Sie es doch einfach mal ab! ({59}) Bis dahin gibt es doch auch noch eine Menge anderer Sachen zu tun. Also wirklich! ({60}) - Einfach noch mal zuhören. Erweitert werden die Zuständigkeiten des Verkehrsministeriums um die Aufgaben der digitalen InfrastrukBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel tur. 2018 soll jeder Deutsche Zugang zum schnellen Internet haben. Hier geht es nicht einfach um ein technisches Ziel, hier geht es gerade für Menschen im ländlichen Raum um gleichwertige Chancen zur Teilhabe an Bildung, medizinischer Versorgung und wirtschaftlicher Tätigkeit. ({61}) Dazu werden wir alle Kräfte zum Netzausbau in einer Netzallianz bündeln. Die europäischen und internationalen Investitionsbedingungen müssen verbessert werden. Dies ist unerlässlich, wenn wir uns klarmachen, welch technologischer Unterschied schon heute in vielen Bereichen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, asiatischen Ländern und Europa besteht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir spüren immer mehr, welch tiefgreifendem Wandel unsere Gesellschaft durch die Digitalisierung ausgesetzt ist. Bildung, Ausbildung, der Arbeitsalltag, die industrielle Produktion verändern sich. Informationen aus der ganzen Welt sind in Sekunden verfügbar. Die Kommunikation der Menschen ist schier grenzenlos. Daten über jeden Einzelnen können in beliebigem Umfang gespeichert werden. Wir wollen, dass das Internet eine Verheißung bleibt; deshalb wollen wir es schützen. ({62}) - Ja, wir wollen, dass es für die Menschen, so wie es heute viele erleben, eine Verheißung bleibt. Allerdings heißt das: Wir wollen es schützen vor Zerstörung von innen durch kriminellen Missbrauch und durch intransparente, allumfassende Kontrolle von außen. ({63}) Der bisherige rechtliche Rahmen für eine vernünftige Balance von Freiheit und Sicherheit - das ist offensichtlich geworden - reicht nicht mehr aus. Einen internationalen Rechtsrahmen gibt es noch nicht. Das heißt, wir betreten Neuland. ({64}) Jeder Einzelne von uns ist davon betroffen. Deshalb wird die Bundesregierung in diesem Jahr unter der gemeinsamen Federführung des Innen-, des Wirtschafts- und des Infrastrukturministeriums eine digitale Agenda erstellen und im Laufe der Legislaturperiode umsetzen. Wir arbeiten an einer europäischen Datenschutzgrundverordnung mit Hochdruck. Aber wir achten dabei sehr darauf, dass der deutsche Datenschutz durch die Vereinheitlichung des europäischen Datenschutzes nicht unverhältnismäßig geschwächt wird. ({65}) Mit großer Wucht sind wir vor einem halben Jahr durch Informationen von Edward Snowden über die Arbeitsweise der amerikanischen Nachrichtendienste mit Fragen der Datensicherheit konfrontiert worden. Niemand, der politische Verantwortung trägt, kann ernsthaft bestreiten, dass die Arbeit der Nachrichtendienste für unsere Sicherheit, für den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger unverzichtbar ist. Niemand, der politische Verantwortung trägt, kann ernsthaft bestreiten, dass die Arbeit der Nachrichtendienste im Zeitalter asymmetrischer Bedrohung, für die der 11. September exemplarisch steht, noch wichtiger als ohnehin schon geworden ist. Gerade um diese Gefahren bannen zu können, ist nicht nur die Arbeit unserer eigenen Dienste von großer Bedeutung für uns, sondern ebenso die Zusammenarbeit mit Nachrichtendiensten unserer Verbündeten und Partner. Es kann gar nicht oft genug betont werden, dass wir gerade unseren amerikanischen Partnern wertvolle Informationen verdanken. Umgekehrt leisten innerhalb dieser internationalen Kooperation auch unsere eigenen Dienste wertvolle Beiträge. Das Parlamentarische Kontrollgremium wird jeweils darüber unterrichtet. Aber niemand, der politische Verantwortung trägt, kann auch ernsthaft bestreiten, dass das, was wir seit einem halben Jahr über die Arbeit insbesondere der amerikanischen Nachrichtendienste zur Kenntnis nehmen müssen, ganz grundsätzliche Fragen aufwirft. Es geht um die Frage der Verhältnismäßigkeit. Es geht darum, in welchem Verhältnis zur Gefahr die Mittel stehen, die wir dann wählen, um dieser Gefahr zu begegnen. Die Bundesregierung trägt Verantwortung für den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor Anschlägen und Kriminalität, und sie trägt Verantwortung für den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor Angriffen auf ihre Privatsphäre. Sie trägt Verantwortung für unsere Freiheit und Sicherheit. Seit jeher stehen Freiheit und Sicherheit in einem gewissen Konflikt zueinander. Sie müssen durch Recht und Gesetz immer wieder in der Balance gehalten werden. Wir kennen das in Deutschland ja zu gut aus unseren langen Diskussionen um Wohnraumüberwachung und Vorratsdatenspeicherung. Kann es also richtig sein, dass unsere engsten Partner wie die Vereinigten Staaten von Amerika oder Großbritannien sich Zugang zu allen denkbaren Daten mit der Begründung verschaffen, dies diene der eigenen Sicherheit und der Sicherheit der Partner? Wir hätten also auch etwas davon. Kann es richtig sein, dass man auch deshalb so handele, weil andere auf der Welt es genauso machten? Kann es richtig sein, wenn es zum Schluss gar nicht mehr allein um die Abwehr terroristischer Gefahren geht, sondern darum, sich auch gegenüber Verbündeten, zum Beispiel für Verhandlungen bei G-20-Gipfeln oder UN-Sitzungen, Vorteile zu verschaffen - Vorteile, die nach meiner jahrelangen Erfahrung sowieso völlig zu vernachlässigen sind? ({66}) Unsere Antwort kann nur lauten: Nein, das kann nicht richtig sein. ({67}) Denn es berührt den Kern dessen, was die Zusammenarbeit befreundeter und verbündeter Staaten ausmacht: Vertrauen. Vertrauen ist die Grundlage für Frieden und Freundschaft zwischen den Völkern. Vertrauen ist erst recht die Grundlage für die Zusammenarbeit verbündeter Staaten. Ein Vorgehen, bei dem der Zweck die Mittel heiligt, bei dem alles, was technisch machbar ist, auch gemacht wird, verletzt Vertrauen; es sät Misstrauen. Am Ende gibt es nicht mehr, sondern weniger Sicherheit. ({68}) Darüber reden wir mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich bin überzeugt, dass Freunde und Verbündete in der Lage und willens sein müssen, Grundsätze ihrer Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet der Abwehr von Bedrohungen zu vereinbaren, und zwar in ihrem jeweils eigenen Interesse. Die Vorstellungen sind heute weit auseinander. Viele sagen, die Versuche für eine solche Vereinbarung seien von vornherein zum Scheitern verurteilt, ein unrealistisches Unterfangen. Mag sein. Mit Sicherheit wird das Problem nicht schon durch eine Reise von mir gelöst und abgeschlossen sein. ({69}) Mit Sicherheit wäre auch der Abbruch von Gesprächen in anderen Bereichen, wie etwa denen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen, nicht wirklich hilfreich. Auch andere sogenannte Hebel, wie es in diesen Tagen so oft heißt, die Amerika zum Umdenken zwingen könnten, gibt es nach meiner Auffassung nicht. Trotzhaltungen haben im Übrigen noch nie zum Erfolg geführt. ({70}) Ich führe - und das mit allem Nachdruck - diese Gespräche mit der Kraft unserer Argumente, nicht mehr und nicht weniger. Aber ich glaube, wir haben davon gute. ({71}) Der Weg ist lang; aber lohnend ist er allemal. Denn die Möglichkeiten der digitalen Rundumerfassung der Menschen berühren unser Leben im Kern. Es handelt sich deshalb um eine ethische Aufgabe, die weit über die sicherheitspolitische Komponente hinausweist. Milliarden Menschen, die in undemokratischen Staaten leben, schauen heute sehr genau, wie die demokratische Welt auf Bedrohungen ihrer Sicherheit reagiert, ob sie in souveräner Selbstsicherheit umsichtig handelt oder ob sie an jenem Ast sägt, der sie in den Augen genau dieser Milliarden Menschen so attraktiv macht - an der Freiheit und der Würde des einzelnen Menschen. ({72}) Doch bei allen Konflikten, bei allen Enttäuschungen, bei allen Interessenunterschieden werde ich wieder und wieder deutlich machen: Deutschland kann sich keinen besseren Partner wünschen als die Vereinigten Staaten von Amerika. Die deutsch-amerikanische und die transatlantische Partnerschaft sind und bleiben für uns von überragender Bedeutung. ({73}) Zusammen sind wir in Afghanistan im Einsatz. Deutschland ist bereit, sich auch nach 2014 an der Ausbildung der Sicherheitskräfte und am wirtschaftlichen Aufbau des Landes zu beteiligen. Voraussetzung ist, dass Präsident Karzai - das sage ich allerdings mit allem Nachdruck; ich habe es neulich auch persönlich dem Präsidenten gesagt - das Sicherheitsabkommen mit den USA und der NATO unterzeichnet. Deutschland beteiligt sich an Einsätzen im Kosovo, vor den Küsten Somalias und des Libanon oder in Mali. Das Mandat in Mali zur Ausbildung malischer Sicherheitskräfte wollen wir nicht nur fortsetzen, sondern auch verstärken. Hinzu kommt die Frage, wie Deutschland seinen Verbündeten Frankreich gegebenenfalls bei der europäischen Überbrückungsmission in der Zentralafrikanischen Republik unterstützen kann; ich sage: gegebenenfalls. Hierbei geht es nicht um einen deutschen Kampfeinsatz, sondern allenfalls um unsere Fähigkeit zur Rettung und Behandlung Verwundeter. Immer gilt: Kein Konflikt kann allein militärisch gelöst werden. Das leitet die Bundesregierung. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik setzt auf die Vernetzung militärischer und ziviler Mittel, und darin sehen wir uns in den letzten Jahren noch mehr bestärkt. 2015 übernimmt Deutschland die G-8-Präsidentschaft. In dem Jahr werden die Vereinten Nationen neue Entwicklungsziele festlegen. Unsere Präsidentschaft wird deshalb auch im Zeichen dieser Neuausrichtung der Entwicklungsziele stehen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, nicht Partikularinteressen stehen im Mittelpunkt unseres Handelns, sondern der Mensch steht im Mittelpunkt. ({74}) Unser Kompass ist die soziale Marktwirtschaft. Damit setzen wir auf solide Finanzen, Investitionen in die Zukunft, die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und Deutschlands Fähigkeit, Verantwortung in Europa und der Welt zu übernehmen - für unsere Werte und für unsere Interessen und in dem Bewusstsein, dass sie sich weltweit stets aufs Neue behaupten müssen. Es ist in diesem Jahr 100 Jahre her, dass der Erste Weltkrieg ausbrach. Er war die erste große Katastrophe des 20. Jahrhunderts, der alsbald die zweite folgen sollte: der Zivilisationsbruch der Schoah und der Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Die anschließend folgende europäische Einigung, die uns Frieden, Freiheit und Wohlstand gebracht hat, erscheint aus dieser Perspektive wie ein Wunder. Wir leben heute in einer politischen Ordnung, in der nicht wie vor 100 Jahren wenige in geheimer Diplomatie die Geschicke Europas bestimmen, sondern in der alle 28 Mitgliedstaaten gleichberechtigt und im Zusammenwirken mit den europäischen Institutionen die Dinge zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger gemeinsam gestalten. Das Europäische Parlament, das gut 375 Millionen Menschen im Mai neu wählen werden, und die nationalen Parlamente sorgen für die notwendige demokratische Legitimität und Öffentlichkeit. Vor 65 Jahren wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Vor 25 Jahren fiel die Mauer. Vor 10 Jahren erlebten wir den Beginn der EU-Osterweiterung. Weitere Grenzen in Europa konnten abgebaut werden. Wir Deutschen und wir Europäer, wir sind heute zu unserem Glück vereint. ({75}) Die neue Bundesregierung will dazu beitragen, dieses Glück zu schützen und zu wahren, indem wir die Quellen guten Lebens allen zugänglich machen: Freiheit, politische Stabilität, Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche Stärke, Gerechtigkeit. Das ist unser Auftrag, und dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. ({76})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Ihnen - sicher im Namen aller Mitglieder des Hauses - eine baldige und vollständige Genesung von Ihrer Verletzung wünschen. ({0}) Da das sicher alle nachfolgenden Redner gleich als Einstieg hatten vortragen wollen, spart es diesen bei ihrer knapp bemessenen Redezeit einige wichtige Sekunden, ({1}) beispielsweise dem Vorsitzenden der Fraktion Die Linke, dem ich in der nun eröffneten Aussprache als Erstem das Wort erteile. ({2})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass ich außerhalb meiner Redezeit doch noch einen Satz dazu sagen darf. ({0}) Frau Kanzlerin, ich hatte im letzten Jahr auch einen Skiunfall. Wir müssen einfach beide lernen, altersgerecht Sport zu treiben. ({1}) - Wir werden das hinbekommen. Aber nun zum Ernst der Lage und damit zu Ihrer Regierungserklärung: Sie haben eine Erklärung abgegeben, die in weiten Teilen mit der Realität nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte. ({2}) Sie haben allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass wir in diesem Jahr den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges, den 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges begehen. Deshalb begreife ich nicht, weshalb auch diese Regierung derart militärisch denkt und handelt. Frau von der Leyen hat gesagt: Es geschähen ja Mord und Vergewaltigung; darum müsse die Bundeswehr nach Afrika marschieren. - Ich bitte Sie: Wenn das das Ziel ist, dann müssten wir die Bundeswehr ja weltweit einsetzen. ({3}) Aber nicht nur darum geht es. Es geht um etwas ganz anderes. Wenn es Ihnen wirklich um die Bekämpfung von Not geht, sollten Sie sich eine Zahl vor Augen führen: Jährlich sterben auf der Erde 70 Millionen Menschen, davon 18 Millionen an Hunger und den Folgen von Hunger. Da sterben Millionen Kinder, Millionen Frauen. Ich habe noch nie von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, oder von Ihnen, Frau von der Leyen, oder von Ihnen, Herr Gabriel, gehört, dass Sie sagen: Das ist die Not, die wir bekämpfen müssen. Wir müssen sofort da hin und etwas unternehmen. ({4}) Nur wenn geschossen wird, dann soll die Bundeswehr mitschießen. Das ist doch wirklich überhaupt kein Argument. Ich kann es wirklich nicht verstehen. Die Hilfe, die wir weltweit gegen Hunger leisten, gerade auch in Afrika, ist sehr, sehr gering, viel zu gering. Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen - ich muss es Ihnen sagen - töten zum Teil, und sie werden zum Teil auch getötet; das ist schlimm genug. Wenn sie dann zurückkommen, kommen sie zum Teil auch krank zurück. Ein Drittel aller Soldatinnen und Soldaten sind psychisch gestört. Das militärische Vorgehen, der Krieg, ist der falsche Weg. Die Probleme der Menschheit müssen wir gänzlich anders lösen. ({5}) Sie haben über NSA gesprochen. Nun wissen wir ja dank Snowden, dass 80 Prozent aller Übermittlungen per Internet, Handy, SMS, über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter abgehört und kontrolliert werden. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben gesagt, Sie arbeiteten mit der Kraft der Argumente. Ich sage Ihnen: Das ist deutlich zu wenig! - Wenn Sie Ihre Unterwürfigkeit gegenüber den USA nicht aufgeben, gibt es keine Partnerschaft und keine Freundschaft. Diese erzeugt vielmehr genau das Gegenteil davon. ({6}) Im Grundgesetz ist doch der Schutz der Privatsphäre geregelt. Es gibt ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie haben einen Eid geleistet, die Bevölke572 rung zu schützen. Wo bleibt denn hier der Schutz? Indem man nur mit der US-Regierung redet, geht es nicht weiter. Warum weisen Sie nicht Leute, die aus den Botschaften heraus Spionage betreiben, aus unserem Land aus? ({7}) Warum werden von der Bundesanwaltschaft keine Ermittlungsverfahren eingeleitet, obwohl Straftaten begangen worden sind? Wieso gilt hier zweierlei Recht? Auch das ist nicht hinnehmbar. ({8}) Nun kommt noch eines hinzu. Präsident Obama hat ja erklärt, dass die Staats- und Regierungschefs befreundeter Staaten nicht mehr abgehört werden. Das ist ein Schutz für Herrn Gauck und für Frau Merkel. Was ist aber mit den 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern dieses Landes? Für diese tragen Sie eine Verantwortung! ({9}) Jetzt kommt etwas Neues. Herr Snowden hat erklärt das haben wir übrigens von Anfang an gesagt -, dass natürlich auch Wirtschaftsspionage betrieben wird. Dazu haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, kein Wort gesagt. Von Anfang an haben wir gesagt, dass auch Wirtschaftsspionage betrieben wird. Jetzt ist es die Linke, die allein die Unternehmen schützen muss. So weit ist es inzwischen in dieser Gesellschaft gekommen. ({10}) - Ja, machen Sie denn etwas dagegen, dass die Unternehmen ausspioniert werden? Nein, die Einzigen, die sich wirklich dagegen wenden, sind wir. Sie haben über Europa gesprochen. Europa und die Europäische Union sind wichtig. Der Frieden zwischen den Mitgliedsländern ist etwas, was erst jetzt zur Realität geworden ist. Frühere Jahrhunderte waren völlig anders geprägt. Aber wenn wir die Europäische Union wollen, dann müssen wir erreichen, dass die Menschen sie als Hort des Friedens, der Demokratie und des sozialen Wohlstands wahrnehmen können. Was macht die EU stattdessen? Sie fasst Aufrüstungs- und Militärbeschlüsse. Zwei Banker werden ohne Volkswahlen einfach zu Ministerpräsidenten gemacht, so in Griechenland und in Italien. Das hat mit Demokratie nichts zu tun. In Griechenland haben wir eine Jugendarbeitslosigkeit von über 60 Prozent, in Spanien von über 50 Prozent. Und das alles auch auf Druck der vorherigen Bundesregierung! Herr Steinmeier, als Sie noch in der Opposition waren, haben Sie an diesem Pult die Sparpolitik im Hinblick auf Griechenland kritisiert. Jetzt fahren Sie als Außenminister nach Griechenland und sagen, sie müssten so weitermachen wie bisher. Das heißt, es soll bei diesem Sozialabbau bleiben. Das ist antieuropäisch, aber es ist nicht antieuropäisch, wenn man soziale Gerechtigkeit für Europa fordert. ({11}) Ich will auch folgenden Zusammenhang erwähnen: Wir stellen in Deutschland doppelt so viel her, wie wir benötigen. Also sind wir auf den Export angewiesen. Aber das bedeutet, dass andere Länder weniger herstellen müssen, als sie benötigen. Um unsere Waren zu kaufen, brauchen diese Länder Geld. Dafür machen sie Schulden. Nun werfen wir ihnen die Schulden vor, nachdem wir an unseren Waren so viel verdient haben. SPD und Grüne sind damals mit der Agenda 2010 einen bestimmten Weg gegangen. Man hat einen Niedriglohnsektor eingeführt, übrigens der größte in Europa. Deutschland hat den größten Niedriglohnsektor in ganz Europa. Sie haben die prekäre Beschäftigung eingeführt. Wir hatten sinkende Reallöhne und Realrenten. Dadurch wurde alles billiger, und dadurch hat der Export zugenommen. Wann begreifen wir denn endlich, dass wir einen umgekehrten Weg gehen müssen? Wir müssen einen Ausgleich im Außenhandel herstellen. So etwas gelingt nur, wenn wir höhere Renten, höhere Löhne, höhere Sozialleistungen haben und wenn wir endlich die Binnenwirtschaft durch höhere Kaufkraft stärken. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. ({12}) Jetzt treiben Sie den Sozialabbau im Süden Europas voran. Eines Tages kann es passieren, dass unser Export stark beeinträchtigt wird, weil der Süden Europas unsere Waren nicht mehr bezahlen kann. Die Steuereinnahmen sind dort ebenfalls rückläufig. Was machen Sie dann? Fordern Sie dann eine neue Agenda 2010? Wollen Sie, um noch etwas verkaufen zu können, dass die Sozialleistungen weiter gesenkt werden? Es wäre verheerend. Wir müssen heraus aus diesem Kreislauf. Das Ungerechteste in der Euro-Zone ist folgende Tatsache: Alle Millionäre der Euro-Zone besitzen ein Geldvermögen - ich rede nicht von Immobilien und Unternehmen, sondern nur vom Geldvermögen -, das größer ist als die Staatsschulden der Euro-Staaten. Das ist die eigentliche Ursache. Aber Sie trauen sich nicht an die geringste Umverteilung heran. Das wird das Problem dieser Bundesregierung werden. ({13}) Herr Gabriel, Sie haben gesagt, die Linke sei europafeindlich. Sie schauen in die ganz falsche Richtung. Schauen Sie einmal in Richtung Regierungsbank. Dort sitzt die CSU. Sie warnt vor Rumäninnen und Rumänen, vor Bulgarinnen und Bulgaren, vor Armutsmigration etc. Das ist europafeindlich, und nicht die Linke, die mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie und mehr Frieden fordert. ({14}) Zur Umverteilung, zu Armut und Reichtum. Es gibt eine neue Statistik von Oxfam. Da hat sich Folgendes herausgestellt: Die reichsten 85 Menschen der Erde besitzen genauso viel wie die finanziell untere Hälfte der Menschheit. Das heißt, 85 Menschen haben das gleiche Vermögen wie 3,5 Milliarden Menschen. Daran, Frau Merkel, wollen Sie nichts ändern? Sie haben es noch nie kritisiert. Das machen Sie und auch die SPD einfach mit? Wir haben weltweit eine große Verteilungsungerechtigkeit. Ich sage Ihnen, dass eine so extreme Verteilungsungerechtigkeit zu Verteilungskriegen führt, die wir zum Teil schon erleben. Wie sieht es in Deutschland aus? In unserem Land sieht es nicht viel besser aus. Die finanziell untere Hälfte unserer Bevölkerung - also 40 Millionen - besitzen 1 Prozent des Vermögens - 1 Prozent! 0,65 Prozent besitzen 20 Prozent des Vermögens, nämlich 2 Billionen Euro. Das ist eine so große Ungerechtigkeit. Und da wollen Sie noch nicht einmal eine ganz geringe Steuererhöhung, kein bisschen Steuergerechtigkeit? Es soll dabei bleiben, dass die Mitte der Gesellschaft alles bezahlt? Das sind die Facharbeiterinnen und Facharbeiter, das sind die Angestellten, das sind auch die Handwerkerinnen und Handwerker, die Mittelständler und die Selbstständigen. Sie alle sollen für die Gesellschaft zahlen, nur weil Sie sich nicht heranwagen an das Vermögen, an die Bestverdienenden und an die Leute, die wirklich viel zu viel Geld haben. Im Übrigen weiß ich, was Banker zum Teil verdienen; es ist - selbst wenn sie fleißig sind - völlig überzogen. Auch deren Tag hat nur 24 Stunden, und 8 Stunden müssen sie noch schlafen. - Damit wir uns nicht missverstehen: Ich will keinen gleichen Lohn für alle. Ich möchte schon, dass es Unterschiede gibt, aber sie müssen nachvollziehbar sein. Es ist maßlos geworden, und Sie gehen an dieses Problem nicht heran. ({15}) Sie wollen endlich den Mindestlohn einführen, was ich sehr begrüße. Es wird auch höchste Zeit. Jahrelang haben wir dafür gekämpft. Aber jetzt geht es um Ausnahmen. Nun hat sich herausgestellt: Wenn man die Ausnahmen macht, die die CSU will, dann bedeutet das, dass die Hälfte derjenigen, die heute unter ihrem gesetzlichen Mindestlohn verdienen, weiterhin unter dem gesetzlichen Mindestlohn verdienen. Wenn es einen gesetzlichen Mindestlohn geben soll, dann muss er flächendeckend sein und keine Ausnahmen regeln. ({16}) Außerdem kommt er zu spät, und er ist zu niedrig. Dann haben Sie geregelt - die Kanzlerin hat es auch wieder betont -, dass bestehende Tarifverträge, die einen geringeren Mindestlohn vorsehen, noch bis 2017 weitergelten können. Die Regierung, auch die SPD, die Gewerkschaften und Herr Jörges vom Stern unterliegen hier einem Irrtum. Sie glauben nämlich, das sei ein genialer Trick: Dadurch werde man gezwungen, Tarifverträge abzuschließen, und dann hätten wir sehr viel mehr Tarifverträge in Deutschland und der Tariflohn spiele dann eine größere Rolle. Ich sage Ihnen: Das ist eine Illusion. Die meisten Unternehmen machen dies nicht für die zwei Jahre, weil sie wissen, dass sie dann auf lange Zeit gebunden sind. Es ist immer schlau gedacht, aber es kommt nichts dabei heraus, außer dass die Leute einen geringeren Lohn beziehen, als sie es in jeder Hinsicht verdient haben. Wenn ich mir Ihre Änderungen hinsichtlich der prekären Beschäftigung ansehe: Mein Gott, Frau Merkel und Frau Nahles! Sie sagen: Nach neun Monaten soll es einen Anspruch auf gleichen Lohn geben. Damit sagen Sie den Unternehmen: Nach neun Monaten müsst ihr wechseln. Das ist alles, was Sie damit sagen. ({17}) Dann sagen Sie: Nach 18 Monaten muss man sogar einen Anspruch auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben. Das heißt, nach spätestens 18 Monaten müssen die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter gewechselt werden. Ich sage Ihnen: Die Unternehmer, die anständig sind, machen es sowieso. Für diese brauchen wir es nicht. Die anderen, die es nicht machen, werden es auch dann nicht machen, sondern sie werden die Frist entsprechend beachten. Was machen Sie gegen den Missbrauch der Werkverträge und gegen Dumpinglöhne? Sie sagen: Personalund Betriebsräte sind zu informieren, aber sie dürfen nicht entscheiden. - Ich sage: Wir brauchen hier ein Mitbestimmungsrecht, damit sie das Ganze unterbinden können. ({18}) Nun zur Rente. Sie ändern nichts an der Senkung des Rentenniveaus, nichts an der Rente erst ab 67. Das wird massiv zu Altersarmut führen. Das wissen Sie alle. Nun haben Sie drei Änderungen geplant. Die eine sieht die sogenannte Rente ab 63 abschlagsfrei vor, wenn man 45 Beitragsjahre hat. Erstens ist der Name „Rente ab 63“ falsch, weil Sie ja generell den Eintritt der Rente bis auf 67 verschieben und die Änderung nachher tatsächlich bedeutet, dass man mit 65 Rente bekommt und nicht mit 63. Also streichen Sie die 63 und sagen, dass es Ihnen um zwei Jahre geht. Es wird zweitens so getan, als ob das eine grundlegende Änderung ist. Schon jetzt können Menschen mit 65 in Rente gehen, obwohl andere erst später in Rente gehen können, wenn sie 45 Beitragsjahre haben. Das heißt, Sie helfen nur einem Teil der Bevölkerung und auch nur vorübergehend. Dieser Teil ist übrigens sehr männlich. Dies erreichen kaum Frauen. Das muss man auch erwähnen. Dann machen Sie Folgendes: Sie sagen, Zeiten mit ALG-I-Bezug sollen mit angerechnet werden, weil auch Beiträge gezahlt werden. Aber wenn dann tatsächlich das Renteneintrittsalter 67 gilt und die Menschen dann 45 Beitragsjahre haben und mit 65 in Rente gehen dürfen, dann gilt die heutige Regelung, bei der Zeiten mit ALG-I-Bezug nicht mit einbezogen werden. Auch das muss korrigiert werden. Aber diese Absicht haben Sie nicht. ({19}) Übrigens: In besseren Zeiten sind während des ALG-II-Bezugs auch Beiträge bezahlt worden. Auch das soll nicht anerkannt werden. Dann komme ich zur Mütterrente - auch ein blöder Name. Frau Merkel, Sie müssen mir eines erklären: Wieso war es vor 1992 so viel leichter, Kinder aufzuziehen, als nach 1992? Wenn es nicht so war, dann müssen Sie mir mit Blick auf das Grundgesetz erklären, warum diese Kinder weniger wert sind. ({20}) Sie verbessern die Stellung, aber Sie stellen nicht gleich. Man bekommt jetzt für ein nach 1992 geborenes Kind 3 Rentenpunkte und für ein vor 1992 geborenes Kind 1 Rentenpunkt. Das wollen Sie auf 2 Rentenpunkte erhöhen. Mit anderen Worten: Sie lassen einen Unterschied. Jetzt kommt aber noch etwas hinzu: Diese Rentenentgeltpunkte unterscheiden sich nach Ost und West. Das heißt, Frau Merkel, dass man im Osten für ein Kind einen geringeren Rentenzuschlag bekommt als im Westen. ({21}) - Ja, eben. ({22}) Es ist jetzt schon ein Skandal, Herr Kauder. Und dass Sie das im 24. Jahr der deutschen Einheit beibehalten und es für die Zukunft so regeln, dass Kinder aus dem Osten weniger wert sind als Kinder aus dem Westen, ist indiskutabel und grundgesetzwidrig. ({23}) Das, Frau Merkel, können Sie dem Osten nicht erklären. Dann planen Sie eine völlig falsche Finanzierung. Also, ich bitte Sie! Sie wollen das Ganze über die Beiträge finanzieren; aber Kinder haben doch mit den Beiträgen nichts zu tun. Kinder sind doch eine Leistung für die gesamte Gesellschaft. Und was kommt dabei heraus? Die Verkäuferin im Bäckerladen, die Lidl-Kassiererin und der Bäckermeister - also auch die Unternehmen bezahlen die sogenannte Mütterrente, und wir Bundestagsabgeordnete beteiligen uns nicht mit einem halben Euro daran, weil wir ja keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Indiskutabel! Es ist aus Steuern zu bezahlen, damit es die gesamte Gesellschaft bezahlt und nicht, wie Sie es gegenwärtig planen, die Beitragszahlerinnen und -zahler und die Unternehmen alleine. ({24}) Zur Lebensleistungsrente nach 40 Beitragsjahren. Es liegt noch kein Gesetzentwurf vor, aber Sie haben gesagt, dass sie 30 Rentenentgeltpunkte betragen soll. Das bedeutet, sie beträgt für Menschen aus den alten Bundesländern etwa 850 Euro, für Menschen aus den neuen Bundesländern rund 760 Euro, weil der Wert der Rentenentgeltpunkte im Osten niedriger ist als im Westen. Beide Beträge sind zu niedrig - das sage ich ganz deutlich -; das löst das Problem der Altersarmt nicht. Aber im 24. Jahr der deutschen Einheit dem Osten wiederum eine geringere Rente zuzubilligen als dem Westen - das, Frau Bundeskanzlerin, darf man dieser Regierung nicht durchgehen lassen. ({25}) Nehmen Sie einen einheitlichen Betrag, regeln Sie das gleich! Zur Energiewende. Herr Gabriel, Sie wollen die gesetzlich zugesicherte Förderung reduzieren, und zwar gerade bei der Windenergie. Und wen trifft’s? Die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Denn im Offshorebereich kürzen Sie natürlich nicht - da geht es um die berühmten Windenergieanlagen im Meer, die von den vier großen Konzernen betrieben werden. Oh Gott, oh Gott, es wäre ja so mutig gewesen, denen einen halben Euro wegzunehmen, aber das trauen Sie sich nicht. ({26}) Nein, Sie treffen damit wiederum die kleinen und mittleren Unternehmen und damit natürlich auch die Beschäftigten dieser Unternehmen. Und wer schützt wieder die kleinen und mittleren Unternehmen? Ich sage es: die Linke. ({27}) Ich habe es Ihnen vorhin schon bei der Wirtschaftsspionage gesagt; hier ist es genauso. ({28}) Insofern sage ich: So kriegen Sie die Preise nicht sozial gestaltet. Wenn wir wirklich den Strom preiswert machen wollen, sodass sich jede und jeder ihn leisten kann, brauchen wir ganz andere Schritte: Wir müssen die Strompreisaufsicht wieder einführen. Ich sage Ihnen auch einen Grund: Der Strompreis an der Energiebörse ist extrem niedrig, aber er wird nicht an die Kundinnen und Kunden weitergereicht. Genau dafür muss eine staatliche Strompreisaufsicht sorgen. Wenn die EEG-Umlage erhöht wird, müssen Sie die Stromsteuer senken oder vielleicht sogar ganz abschaffen; sie hat keine ökologische Wirkung. Die Ausnahmen für die Industrie müssen auf ein Minimum reduziert werden. Es geht doch nicht, dass die Mieterin das alles bezahlt, aber die großen Industrieunternehmen nichts bezahlen müssen. Auch das ist nicht gerechtfertigt. ({29}) Dann brauchen wir endlich eine Abwrackprämie für die Verschrottung stromfressender Haushaltsgeräte, wenn energiesparende angeschafft werden. Bei Autos konnten wir das doch machen. Warum können wir das nicht endlich mal bei Haushaltsgeräten machen? Gerade die ärmeren Haushalte wären sehr darauf angewiesen. Außerdem brauchen wir einen gebührenfreien Sockeltarif; auch das müssen wir haben. Dann wären wir diese Sorgen los und könnten wirklich sagen: Ja, die Energiewende gelingt, und zwar vernünftig, und bleibt für die Leute bezahlbar. Ich warne Sie: Wenn wir den ärmeren Teil der Bevölkerung nicht mitnehmen und ihn mit überhöhten Strompreisen verschrecken, werden wir eine antiökologische Einstellung verursachen, die wir alle uns nicht leisten können. Sie haben in Ihrer Rede gesagt: Ihr Leitfaden ist die soziale Marktwirtschaft. Ich bitte Sie! Fragen Sie die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, fragen Sie die ALG-II-Bezieherinnen und ALG-II-Bezieher, fragen Sie die Leute, die befristet beschäftigt werden! Übrigens: Mehr als die Hälfte aller Neueinstellungen sind befristete Beschäftigungen. Dagegen haben Sie nichts unternommen. Da soll sich gesetzlich auch nichts ändern. Die werden Ihnen erzählen, dass sie diese Marktwirtschaft als höchst unsozial empfinden. Sie wecken hier einfach Illusionen. Ich sage Ihnen eines - das fällt mir schwer -: Unter Kohl war die Marktwirtschaft sozialer als heute. Auch darüber sollten Sie einmal nachdenken, Frau Merkel. ({30}) Ich glaube, dass die Große Koalition zunächst hektisch das eine oder andere beschließen wird, aber viel zu wenig verändern wird. Die Politik von Schwarz-Gelb wird im Kern fortgesetzt. Wir werden später Stillstand und dann Herumwurstelei erleben. Man soll ja nicht wetten, aber ich könnte mit Ihnen wetten, dass die Bevölkerung nach der Regierungszeit der Großen Koalition tief enttäuscht sein wird. ({31})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht, wie unsere gemeinsame Regierung mit den Fraktionen von CDU, CSU und SPD in den nächsten vier Jahren die Zukunft unseres Landes gestalten will. Dies war in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die erste Regierungsbildung, die vom Ausgang eines Mitgliederentscheides abhängig war, und diese Hürde haben wir souverän gemeistert. ({0}) 256 000 SPD-Mitglieder haben sich für diese Regierung entschieden. Sie wollen, dass dieser Koalitionsvertrag umgesetzt wird und dass dadurch das Leben der Menschen in Deutschland besser und gerechter wird. Sie wollen, dass diese Regierung Erfolg hat. Das wollen wir auch. Deshalb freue ich mich auf die gemeinsame Arbeit. Packen wir es an! ({1}) Herr Gysi, Sie sind erstmals Vorsitzender der größten Oppositionsfraktion. ({2}) Sie antworten deshalb unmittelbar auf die Kanzlerin. Sie sind jetzt sozusagen Oppositionsführer. Herzlichen Glückwunsch! ({3}) Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann streben Sie gar nicht an, der größte Oppositionsführer in der Geschichte des Deutschen Bundestages zu werden, sondern Ihr Wunsch ist es, die Linke in die Regierung zu führen. Wenn das wirklich Ihr Wunsch ist, Herr Gysi, genügt es allerdings nicht, so über Europa zu reden, wie Sie es eben getan haben. Vielmehr müssen Sie dafür sorgen, dass Ihre Fraktion und Ihre Partei anders über Europa denken und sprechen. ({4}) Welchen Wert Europa für uns hat, wird uns in diesem Jahr besonders bewusst, wenn wir uns an den Beginn des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren erinnern. Damals taumelte Europa verblendet vom Nationalismus in einen furchtbaren Krieg. Der Erste Weltkrieg war der erste Krieg, in dem moderne Massenvernichtungswaffen eingesetzt wurden. Das Versagen der Diplomatie in Europa forderte 17 Millionen Tote, und trotz dieser Erfahrungen zettelte Deutschland kurze Zeit später einen noch viel furchtbareren Krieg an. Ich finde, jeder, der sich vor Augen führt, welch schreckliche Dinge ihren Ausgangspunkt im nationalistischen Deutschland genommen haben, der muss doch erkennen, wie unschätzbar wertvoll die europäische Integration vor allem für uns Deutsche ist. ({5}) Die Entscheidung für Europa war die beste Antwort sowohl auf den Ersten Weltkrieg als auch auf den Zweiten Weltkrieg. Sie war die beste Antwort auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, ({6}) und sie ist der beste Weg, den Frieden auch in Zukunft zu sichern. ({7}) Aber Europa steht nicht nur für Frieden, sondern Europa steht auch für unser gemeinsames Wertesystem: unsere Freiheit, unsere Demokratie und unser europäisches Sozialstaatsmodell, das Menschen, die in Not geraten, nicht fallen lässt, sondern sie absichert und ihnen wieder neue Chancen gibt. ({8}) In unserer globalisierten Welt wäre jedes einzelne Land zu klein und zu schwach, um diese Werte allein zu verteidigen. Das schaffen wir nur gemeinsam. Deshalb darf es keine Rückkehr zum nationalstaatlichen Denken geben. Gerade im Jahr der Europawahl sage ich ausdrücklich: Wir dürfen Europa nicht den nationalen Populisten überlassen, egal ob sie von links oder von rechts kommen. ({9}) Lieber Herr Gysi, Ihr Parteivorstand nennt die EU in der Präambel eines Leitantrages zur Europawahl eine „militaristische und weithin undemokratische Macht“. ({10}) Das ist nicht etwa ein Zitat von Rosa Luxemburg, mit dem sie die Zustände des deutschen Kaiserreiches vor 100 Jahren beschreibt, sondern das ist Ihre Beschreibung für Europa im Jahr 2014, für eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften seit dem Zweiten Weltkrieg. Ich finde das unglaublich. ({11}) Das ist so abenteuerlich, dass Sie sich davon distanzieren mussten. Ich füge hinzu: Ich glaube Ihnen, dass Sie sich davon ehrlich distanziert haben, dass das Ihre aufrichtige Meinung ist. Aber ich bezweifle, dass diese Distanzierung von Ihrer Partei und Ihrer Fraktion mitgetragen wird. ({12}) Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie in diesem Hause Partner finden wollen, müssen Sie Ihr Verhältnis zu Europa und zum Euro klären. Klären Sie Ihr Verhältnis zur internationalen Verantwortung Deutschlands. Damit haben Sie in den nächsten vier Jahren genug zu tun. ({13}) Das Bekenntnis zu Europa als Macht des Friedens und Hüterin unserer Werte allein reicht nicht. Die EUKommission und die europäische Politik müssen klar besser werden, wenn dem Populismus das Wasser abgegraben werden soll. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, benutzte kürzlich ein sehr treffendes Bild, als er von den zwei Denkschulen sprach, die sich in der Europäischen Kommission sozusagen gegenseitig im Wege stehen: Die einen geben nicht eher Ruhe, bis auch der letzte kommunale Friedhof in Europa privatisiert ist. Und die anderen hören nicht auf, bevor nicht eine einheitliche Friedhofsordnung für ganz Europa entstanden ist. „Das macht die Leute verrückt“, sagt Martin Schulz. Und ich sage: Der Mann hat recht. ({14}) Europa muss nicht alles machen, vor allem nicht das, was die Mitgliedstaaten selber können. Deshalb sage ich: Die Europäische Kommission muss sich in den nächsten Jahren stärker um das kümmern, was Europa eint, was uns stark macht und was die Einzelnen alleine nicht schaffen. Dazu gehört die weitere Bändigung der Finanzmärkte. Dazu gehört die Bekämpfung von Steueroasen und Steuerschlupflöchern, die unsere Steuerzahler hier in Deutschland Milliarden kosten. Dazu gehört die Verringerung des Wohlstandsgefälles innerhalb der Europäischen Union. Und dazu gehört ganz gewiss nicht zuletzt die Bekämpfung der horrenden Arbeitslosigkeit von jungen Menschen in vielen Ländern Europas. ({15}) Auf diese Dinge muss sich die EU konzentrieren, damit die Menschen erkennen können, warum Europa so wichtig für uns alle ist. Viele fragen sich, wie wir in den harten Verhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD zueinandergefunden haben. In der Tat, bei so schwierigen Themen wie Mindestlohn, Rente, Leiharbeit, Pflege oder Frauenquote war es überhaupt nicht selbstverständlich, dass wir uns am Ende verständigen. Das lag natürlich auch an der auf beiden Seiten vorhandenen Kompromissbereitschaft. Aber ich glaube, das lag in erster Linie daran, dass es in Deutschland einen gesellschaftlichen Grundkonsens gibt, einen Grundkonsens über die soziale Marktwirtschaft - darüber hat auch die Bundeskanzlerin gesprochen; und ich stimme ihr zu -: 90 Prozent der Menschen finden die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft richtig für unser Land, und sie wollen, dass sie gesichert und gestärkt werden. ({16}) Die Arbeitnehmer wissen doch ganz genau, dass Wohlstand für alle ohne eine starke Wirtschaft nicht möglich ist. In der sozialen Marktwirtschaft muss der Staat Rahmenbedingungen setzen, die es Unternehmen ermöglichen, Gewinne zu machen. Unternehmer, die keine Gewinne machen, gefährden am Ende Arbeitsplätze. Deshalb brauchen wir Produktivitätsfortschritt, deshalb brauchen wir Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit auf der einen Seite. Aber auf der anderen Seite brauchen wir auch faire Regeln auf dem Arbeitsmarkt, faire Löhne, Arbeitnehmerrechte, Kündigungsschutz und Mitbestimmung. Das sind keine Problemfaktoren, sondern das sind positive Standortfaktoren in einer erfolgreichen Wirtschaft. ({17}) Das eine darf nicht auf Kosten des anderen durchgesetzt werden. Wir brauchen beides: Wettbewerb und faire Regeln. Das ist die Geschäftsgrundlage, auf der wir die soziale Marktwirtschaft in Deutschland in eine stabile Balance bringen können. Das wollen wir umsetzen. Das ist unser Programm. ({18}) Damit fangen wir gleich an. Noch in diesem Jahr wird die Koalition den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro beschließen. Für viele Menschen, die 4, 5 oder 6 Euro in der Stunde verdienen, wird das die kräftigste Lohnerhöhung in ihrem Leben. Das wird das Alltagsleben von Millionen Menschen in diesem Land positiv verändern. ({19}) Dieser Mindestlohn generiert milliardenschwere Kaufkraft. Das ist ein gewaltiges Konjunkturprogramm, das die Binnennachfrage stärken und für zusätzliches Wachstum sorgen wird. Das ist gut für unsere Wirtschaft. Der Mindestlohn ist nicht nur sozial gerecht, weil er der Arbeit wieder Wert und Würde gibt, sondern er ist auch ordnungspolitisch richtig, weil er Wettbewerbsverzerrungen durch Lohndumping beseitigt. ({20}) Wenn wir den Mindestlohn haben, wenn wir die Leiharbeit regulieren, wenn wir die missbräuchliche Nutzung von Werkverträgen beenden und dafür sorgen, dass in den Betrieben gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird, dann werden sich Arbeit und Anstrengungen für Millionen Menschen in Deutschland wieder lohnen. Genau das wollen wir: eine Politik für die fleißigen Leute und für die verantwortungsvollen Unternehmer. ({21}) Das gilt natürlich auch für die Rentner. Wer ein Leben lang hart gearbeitet und Kinder großgezogen hat, hat Anspruch auf ein sicheres Auskommen im Alter. Wenn jetzt bezüglich des Gesetzentwurfs, den Andrea Nahles heute in das Kabinett eingebracht hat, von Unternehmern die Sorge geäußert wird, das könnte zu Frühverrentungen führen, dann sage ich: Diese Arbeitgeber können zuerst selber verhindern, dass es zu Frühverrentungen kommt, ({22}) indem sie 61-Jährige nicht mehr in die Arbeitslosigkeit schicken. ({23}) Wenn es zu einem Missbrauch kommen sollte, dann werden wir diesen Missbrauch mit geeigneten Maßnahmen sofort wieder abstellen. Denn dafür haben wir die Rente nach 45 Berufsjahren nicht eingeführt. Die Mütterrente und die abschlagsfreie Rente nach 45 Beschäftigungsjahren haben eine Debatte über Generationengerechtigkeit ausgelöst, und wir werden uns dieser Debatte stellen. Bei der Rente geht es übrigens immer um Generationengerechtigkeit, aber in beide Richtungen und nicht nur in eine Richtung. ({24}) Frau Göring-Eckardt, Sie haben den Begriff der Generationenkumpanei in diese Debatte eingeführt. ({25}) Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen sich in E-Mails und Briefen an uns darüber empören, dass mit diesem Begriff ihre Lebensleistung abgewertet wird. ({26}) Das ist unfair gegenüber den Müttern und denjenigen, die 45 Jahre hart gearbeitet haben. Das sind doch diejenigen, die mit ihrer harten Arbeit ein umlagefinanziertes stabiles Rentensystem überhaupt erst ermöglichen, Frau Göring-Eckardt. ({27}) Wir sollten uns davor hüten, die Generationen gegeneinander auszuspielen. Die Zukunftschancen der jungen Generation hängen doch nicht in erster Linie von der Rentenpolitik ab, sondern sie hängen davon ab, was wir bildungs- und wirtschaftspolitisch in diesem Lande machen. ({28}) Die Perspektiven hängen davon ab, ob wir in 20 oder 30 Jahren in Deutschland noch eine starke Wirtschaft haben und ein starkes Industrieland sind. Sie hängen davon ab, ob wir jungen Menschen attraktive Jobs anbieten können und ob dort hohe Löhne verdient werden können. Das sind doch die Fragen. Ich sage: Diese Regierung wird die Grundlagen dafür legen. Ich freue mich, dass diese Regierung mit Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister endlich wieder eine aktive Industriepolitik für Deutschland macht. ({29}) Da ist natürlich die ganze Regierung gefordert; denn eine starke Wirtschaft wird es in Zukunft nur geben, wenn wir eine moderne Infrastruktur haben. Wir müssen den Investitionsstau abarbeiten, und wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte. Wir haben 9 Milliarden Euro für Investitionen in Kitas, Forschung und Entwicklung bereitgestellt. Wir brauchen ein hohes Niveau an Forschung und Entwicklung und nicht zuletzt ein Energiesystem, das Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Klimaschutz miteinander verbindet. Deswegen ist es gut, dass das Kabinett schnell Eckpunkte für die Energiewende vorgelegt hat, mit denen der weitere Preisanstieg der erneuerbaren Energien gebremst wird; denn ein funktionierendes Energiesystem ist das Herz-KreislaufSystem der Wirtschaft; ohne ein solches System kann unsere Wirtschaft nicht funktionieren. Alles hängt davon ab, dass Energie bezahlbar bleibt. Ich finde es richtig, dass wir die Nutzung der erneuerbaren Energien weiter ausbauen; aber wir müssen sie so ausbauen, dass Energie für die Menschen und für die Wirtschaft auch bezahlbar bleibt. ({30}) Da muss uns die Europäische Union auch die Möglichkeit lassen, energieintensive, tatsächlich im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen von der EEG-Umlage zu befreien. Das sind doch keine wettbewerbsverzerrenden Entlastungen - entsprechende Belastungen in anderen Ländern gibt es doch gar nicht. ({31}) Wenn übrigens an anderer Stelle argumentiert wird, dass wir auf die energieintensiven Unternehmen in Deutschland im Interesse einer besseren Ökobilanz vielleicht ganz verzichten könnten, dann halte ich das für absolut verantwortungslos. Die Stärke unserer Wirtschaft, das sind doch nicht einzelne industrielle Leuchttürme. Stark sind wir doch deshalb in Deutschland, weil wir über die ganze Wertschöpfungskette verfügen: von der Grundstoffindustrie bis zu den Hightechunternehmen und den hochwertigen Dienstleistungen. ({32}) Diese Wertschöpfungskette darf nicht zerstört werden, meine Damen und Herren. Ich finde, Energieminister Gabriel hat in dieser Debatte einen ganz wichtigen Satz gesagt, der übrigens auch etwas über die Art und Weise, wie Politik gemacht werden sollte, aussagt: Die Summe der jetzt geltend gemachten Interessen ist nicht identisch mit dem Gemeinwohl. - Da hat er recht. ({33}) Natürlich müssen alle Interessen und Argumente gehört, diskutiert und gewichtet werden; aber am Ende muss es eine Entscheidung für eine Energiepolitik im Interesse des Allgemeinwohls geben. ({34}) Dafür hat der Bundeswirtschaftsminister die volle Unterstützung der Koalition. ({35}) Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Wie vielfältig wir geworden sind, spiegelt übrigens auch der Deutsche Bundestag wider: Spitzenreiter bleibt zwar der Nachname „Schmidt“, auf den sechs Kollegen und Kolleginnen hören, aber „Özdemir“ kommt inzwischen genauso häufig vor wie „Mayer/Meier“: zwei Mal. ({36}) Ich freue mich, dass wir vielfältiger geworden sind - genauso wie unser Land. ({37}) Auch wenn die Koalition nicht in allen Fragen der doppelten Staatsangehörigkeit wirklich einer Meinung ist, finde ich es doch gut, dass wir es geschafft haben, uns darauf zu verständigen, dass wir junge Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, nicht mehr in die Zwangslage bringen wollen, sich, um Deutsche bleiben zu können, vor Vollendung des 23. Lebensjahres gegen die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern und Großeltern zu entscheiden. Das wollen wir diesen Menschen ersparen, indem wir ihnen die doppelte Staatsangehörigkeit ermöglichen. ({38}) Meine Damen und Herren, Deutschland ist vor allem wegen seines starken Arbeitsmarktes ein attraktives Einwanderungsland geworden. Angesichts der demografischen Veränderungen und des Fachkräftemangels gilt Einwanderung heute nicht mehr als Belastung, sondern als Chance. 2012 kamen 370 000 Menschen, im letzten Jahr 400 000 Menschen mehr nach Deutschland, als weggegangen sind. Das sind ganz überwiegend gut Ausgebildete und hoch Qualifizierte. Sie sind ein Riesengewinn für unsere Wirtschaft. Deutschland profitiert wie kein anderes Land in der Europäischen Union von der Arbeitnehmerfreizügigkeit. ({39}) Deshalb sage ich: Wir freuen uns über jeden und über jede, die zu uns kommen, um hier zu arbeiten, Geld zu verdienen und ihr Glück zu machen. ({40}) Natürlich bleibt es eine große Herausforderung, unsere Einwanderungsgesellschaft so zu organisieren, dass alle Menschen gut zusammenleben können. Aber da, wo durch Zuwanderung Probleme entstehen - wie in Duisburg, Dortmund, Mannheim oder Berlin -, helfen keine lautstarken Debatten und Parolen, sondern da ist tatkräftiges Handeln gefragt. ({41}) Deshalb begrüße ich es, dass die Regierung schnell einen Staatssekretärsausschuss eingesetzt hat und wir alsbald mit geeigneten Maßnahmen beginnen können, um vor allem den betroffenen Kommunen zu helfen. Wir dürfen diese Kommunen mit ihren Problemen nicht alleinlassen. ({42}) Auch wenn das jetzt vielleicht überraschen mag, möchte ich unserem Koalitionspartner CSU in diesem Zusammenhang ein Kompliment machen. ({43})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jetzt aber langsam zum Mitschreiben.

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Idee von Horst Seehofer, ({0}) einem Minister aus seinem Kabinett die Zuständigkeit für die Heimat zu übertragen, musste ja viel Spott ertragen, aber ich finde sie überhaupt nicht abwegig. ({1}) Heimat ist die emotionale Verbindung der Menschen mit einer ihnen vertrauten Umgebung. Für ganz viele Menschen in der heutigen Welt ist Heimat alles andere als selbstverständlich. Ob sie aus Syrien fliehen, um ihr Leben zu retten, oder ob sie innerhalb Europas nach neuen Chancen suchen: Viele Menschen sehen sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Deshalb muss es doch die Aufgabe der Politik sein, denen, die einen Neuanfang in Deutschland machen wollen, hier in Deutschland auch eine Heimat zu geben, in der sie sich wohlfühlen und von wo sie nicht gleich wieder weggehen wollen, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse ändern. ({2}) Dazu können wir alle und kann dann auch ein Heimatminister beitragen. ({3}) Die Große Koalition hat im Deutschen Bundestag eine Mehrheit von 504 Abgeordneten. Natürlich werden wir unsere politischen Ziele mit dieser Mehrheit umsetzen. Diese große Mehrheit darf uns aber nicht zu Arroganz verleiten. Deshalb wollen wir die Arbeit des Parlamentes mit Augenmaß gestalten. Ich bin mir sicher, dass wir uns über die Minderheiten- und Oppositionsrechte noch einigen werden. In den Vorschlägen, die der Bundestagspräsident gemacht hat, sehe ich eine gute Grundlage. Hinsichtlich der Redezeit bitte ich um Verständnis, dass auch die Abgeordneten der Koalition frei gewählte Abgeordnete sind und dass sie zu Wort kommen müssen und hier nicht zu Statisten degradiert werden können. ({4}) Die Kontrolle der Regierung ist zwar zuerst die Aufgabe der Opposition, aber nicht allein Aufgabe der Opposition, sondern des gesamten Parlamentes. ({5}) Deshalb, liebe Britta Haßelmann und lieber Herr Gysi, werden wir die Kontrolle der Regierung nicht allein den Oppositionsfraktionen überlassen. ({6}) Wie wichtig diese Arbeit des Parlamentes ist, hat in der letzten Wahlperiode die fraktionsübergreifende Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses gezeigt. Der Ausschuss hat die eklatanten Versäumnisse der Sicherheitsbehörden aufgedeckt und eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, um das gestörte Vertrauen in die Fähigkeit des Staates wiederherzustellen, allen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion, in Deutschland Sicherheit und Schutz zu bieten. ({7}) Die Koalition hat sich darauf verständigt, all diese Empfehlungen umzusetzen. Daran können Sie sehen, wie wichtig eine fraktionsübergreifende Kontrolle der Regierung durch das Parlament ist. ({8}) Wir bieten Ihnen deshalb auch an, beim NSA-Untersuchungsausschuss zusammenzuarbeiten. Dass Millionen Bürger abgehört werden und dass das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin abgehört wird, ist eine Angelegenheit, die das ganze Parlament etwas angeht. ({9}) Die Regierungsbildung war nicht einfach. Wir haben hart gerungen und uns Zeit genommen - auch, um die außergewöhnliche Beteiligung unserer Partei zu ermöglichen. Jetzt erwarten die Menschen, dass unsere Vorhaben umgesetzt werden und wir Ergebnisse liefern. Menschen, die nach langer Arbeit auf eine Rente in Würde hoffen, warten auf die Möglichkeit, nach 45 Berufsjahren in Rente zu gehen. Arbeitnehmer, die trotz Vollzeitjob nicht genug zum Leben verdienen, hoffen auf den Mindestlohn. Pflegebedürftige und ihre Pfleger erwarten, dass die Politik den Pflegenotstand beseitigt. ({10}) Frauen, die im Beruf Nachteile erfahren, warten auf eine neue Gleichstellungspolitik. ({11}) Unternehmen, die viel Energie zum Produzieren brauchen, erwarten eine neue Verlässlichkeit in der Energiepolitik. Wir werden Antworten auf diese Erwartungen geben. Mit diesen Antworten werden wir Deutschland Stück für Stück ein bisschen besser und gerechter machen. ({12}) Das ist der Anspruch. Daran sollten wir in vier Jahren gemessen werden. Vielen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich aufgrund der aktuellen Ereignisse ganz kurz etwas zur Ukraine sagen. Nach den Ergebnissen der letzten Tage ist die Hoffnung größer geworden, dass es eine friedliche Lösung gibt. Aber wir erwarten von Europa, wir erwarten insbesondere auch von der Bundesregierung, dass sie sich stark dafür einsetzen, dass es eine friedliche und demokratische Lösung gibt und dass die demokratische und proeuropäische Opposition nicht alleingelassen wird. Diese Erwartung haben wir an Sie. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Bundeskanzlerin, Sie haben über die Regierungspolitik in den kommenden vier Jahren gesprochen. Sie haben die Unterstützung von 80 Prozent der Abgeordneten hier. Das sind viele; das bezweifeln wir nicht. Aber Masse macht noch nicht automatisch Klasse. Ihre Mehrheit ist groß, der Koalitionsvertrag ist dick. Aber Ihr Regierungsprogramm ist zukunftsvergessen, perspektivlos, eine Verwaltung des Stillstandes. ({1}) Die Große Koalition denkt nicht an morgen. Sie stellt nicht das Klima, sondern die Kohle unter Schutz. Sie investiert nicht in die Zukunft. Und die rechte Hand der Koalition zündelt am gemeinsamen Haus Europa. Das ist ein arg kleiner Plan für so viel Masse, Frau Merkel. ({2}) Vor kurzem stand in der Zeitung: Angela Merkel ist auf dem Zenit ihrer Macht und am Tiefpunkt ihrer inhaltlichen Ansprüche angekommen. - Eine treffende Bemerkung! Dazu fällt mir ein altes Bild ein. Sie haben sich einmal als Klimakanzlerin inszeniert - erinnern Sie sich noch? Das schöne Bild von Ihnen mit der roten Jacke vor den fotogenen Eisbergen in Grönland. Was ist davon übrig geblieben? Ich kann nichts erkennen. Frau Merkel, Herr Gabriel, verspielen Sie die Chance nicht, die Ihnen die Menschen gegeben haben. Gehen Sie die großen Herausforderungen unserer Zeit an. ({3}) Was ist eigentlich Ihre Idee für die kommenden vier Jahre, Frau Merkel? Ich habe Ihnen gut zugehört, auch wenn es manchmal nicht einfach war, aber ich habe nichts gefunden. Sie setzen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, anstatt etwas Großes zu wagen. Je größer die Mehrheit, desto kleiner der Anspruch, so scheint es zu sein. Das ist wohl die Realität dieser Großen Koalition. „Deutschlands Zukunft gestalten“ steht auf dem Titelblatt des Koalitionsvertrages. „Den Status quo verwalten“ wäre die treffendere Bezeichnung gewesen. Überall da, wo neue Wege dringend erforderlich sind, hat die Dagegen-Partei CDU blockiert: gegen den Ausbau der Infrastruktur, gegen eine faire Verteilung der Steuerlast, gegen Klimaschutz, gegen Datenschutz, gegen Verbraucherrechte, gegen Gleichberechtigung und Gleichstellung. Diese Liste ließe sich lange fortsetzen. ({4}) Jetzt sitzen Sie, Frau Merkel, zum dritten Mal als neu gewählte Kanzlerin hier. Ich gratuliere Ihnen ehrlich und wünsche Ihnen wirklich gute Besserung. Sie falten die Hände zur Raute und sagen schöne Worte. Sie wollen die Banken und Finanzmärkte regulieren. ({5}) Wäre das Ihre erste Regierungszeit, würde ich sagen: Richtig! Aber Sie regieren seit acht Jahren, und passiert ist fast nichts. ({6}) Der Soziologe Ulrich Beck bezeichnet solch ein Verhaltensmuster als verbal aufgeschlossen bei weitgehender Verhaltensstarre. ({7}) Alles soll so bleiben, wie es ist. Aber ohne Veränderung gibt es keine gute Zukunft in Deutschland und Europa, ob beim Klimawandel, der Erhaltung unseres Wohlstandes oder beim Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Gestalten statt verwalten: Darum muss es gehen. Aber dazu scheinen Ihnen der Mut, die Ideen oder vielleicht sogar beides zu fehlen. ({8}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, kommt es Ihnen, wenn Sie morgens in Richtung Parlament laufen, nicht manchmal seltsam vor, dass Sie jetzt mit der Union die Politik machen, die Sie noch vor ein paar Monaten ach so sehr bekämpft haben? Wie sehr haben Sie die ungleiche Verteilung von Vermögen und Einkommen beklagt. Was wollten Sie in der Steuerpolitik nicht alles anders machen. Und was haben Sie davon durchgesetzt? In Deutschland leben über 2,5 Millionen Kinder unter der Armutsgrenze. Was aber unternehmen Sie, um das zu ändern? Wie viel mehr haben Sie dafür übrig? Laut Ihrem Koalitionsvertrag nicht 1 Cent mehr. Ist das wirklich Ihr Ernst, Herr Gabriel? Auch wenn es schön ist, dass Frau Schwesig nachträglich Vorschläge macht, gilt auch hier: Für eine Ministerin ist reden allein zu wenig. Im Wahlkampf wollten Sie von der SPD die Steuern erhöhen, um in Schulen und Kitas zu investieren. Aber jetzt tragen Sie eine Politik mit, die diese Probleme ignoriert. Wie sehr haben Sie für einen radikalen Kurswechsel in der Europapolitik gekämpft. Jetzt tragen Sie die Politik der Kanzlerin einfach mit, als ob nie etwas gewesen wäre. Sie waren gegen eine Politik für Banken und, wie Sie schrieben, Finanzjongleure. Jetzt müssen Sie diese Politik mittragen. Sie wollten für ein gemeinsames Haus Europa eintreten. Nun sitzen Sie am Kabinettstisch, mit Ihren neuen Freunden von der CSU, die auf das gemeinsame Haus Europa eintreten. Diesen ekelhaften Populismus der CSU gegen Rumänen und Bulgaren konnten Sie in Ihrer eigenen Koalition nicht unterbinden. ({9}) Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, Ihr Wahlprogramm hieß „Das WIR entscheidet.“ Sie haben es vielleicht schon gemerkt: Es ist meist die Kanzlerin, die entscheidet, wenn in dieser Koalition überhaupt etwas entschieden wird. Immerhin will auch Frau Merkel jetzt den Mindestlohn: teilweise, mit Ausnahmen, später, aber immerhin. Bei der Mietpreisbremse oder der zaghaften Frauenquote gehen Sie immerhin in die richtige Richtung. Ich gratuliere Ihnen zu diesen Schritten. Aber was ignoriert diese Regierung nicht alles? Vor dem Überwachungswahn der US-amerikanischen Regierung haben Sie kapituliert. Frau Merkel, Sie freuen sich über das Versprechen, dass Ihr Handy nicht mehr ausgespäht wird. Aber Sie sind nicht Kanzlerin, um nur Ihre persönlichen Grundrechte zu schützen. Als Kanzlerin sind Sie verpflichtet, für den Schutz der Grundrechte aller Menschen in Deutschland zu sorgen. ({10}) Diese Menschen haben ebenfalls ein Recht darauf, dass ihre Daten geschützt werden. Auch dafür wurden Sie gewählt, wobei sich die Frage stellt, wer in diesem Kabinett eigentlich dafür zuständig ist. Anstatt die Kompetenzen zu bündeln, sind die Zuständigkeiten über acht Ministerien verstreut, bis hin zu einem neuen Minister für Ausländermaut und Breitbandkabel. Mit diesem Kompetenzwirrwarr gibt es bestimmt keine Verbesserung beim Datenschutz, selbst wenn Sie dies wollten, was allerdings angesichts Ihrer Position zur Vorratsdatenspeicherung leider mehr als fraglich ist. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne haben bekanntlich nichts dagegen, Lasten gerecht zu verteilen. Starke Schultern können mehr tragen als schwache. Das ist solidarisch und gerecht. Die Altersarmut ist ein massives Problem. Reicht das Geld im Alter? Diese Frage bereitet vielen Sorgen. Sie wollen 160 Milliarden Euro an zusätzlichen Ausgaben für die Rente beschließen. Man könnte doch meinen, mit so einer Summe sollte das Problem sich lösen lassen. Aber Sie verschütten das viele Geld wie mit der Gießkanne, ohne das Problem der Altersarmut von heute oder von morgen zu lindern. Die armen Rentnerinnen und Rentner in der Grundsicherung fallen durchs schwarz-rote Raster. Eine Rentnerin in der Grundsicherung, die Anspruch auf die Mütterrente hätte, bekommt diese wieder komplett abgezogen und behält nicht einen Cent. Damit nutzt Ihre Reform ausgerechnet den ärmsten Rentnerinnen nichts. Ist das gerecht? ({12}) Genauso ergeht es Menschen, die lange arbeitslos waren: Von der Rente mit 63 haben sie nichts. Das ist ungerecht und auch noch ungerecht finanziert. Die zukünftigen Generationen, die das finanzieren müssen, müssen sogar noch mehr um ihre Rente bangen. Das ist eine traurige Form von Sozialpolitik. Es ist keine Politik für eine gute Zukunft. ({13}) Ich habe erwähnt, dass Sie die vielen Herausforderungen, die vor uns liegen, nicht anpacken, sondern den Stillstand verwalten. Ich will auf zwei Herausforderungen besonders eingehen. Erstens: Wie können wir die Energiewende klug und gemeinsam gelingen lassen, damit Wohlstand und unsere Lebensgrundlagen gesichert sind? Zweitens: Wie können wir Europa wieder zu einem positiven Projekt machen, das uns auch morgen Frieden und Demokratie garantiert? Wofür machen wir die Energiewende eigentlich? Wir machen sie doch nicht, weil wir Windräder schön finden oder weil Solaranlagen wunderbar blau funkeln auf den Dächern. Wir machen sie, um aus der Atomkraft und der Kohlenutzung auszusteigen. Wir machen sie, damit nicht noch mehr klimaschädliches Kohlendioxid in die Luft geblasen wird. Der internationale Klimarat stellt fest: Gelingt nicht bald eine radikale Verminderung dieser Klimakiller, dann wird das Weltklima völlig aus den Fugen geraten. - Die Klimakatastrophe ist für viele Menschen jetzt schon real. Extreme Wetterereignisse häufen sich, und der steigende Meeresspiegel vertreibt bereits jetzt Menschen aus ihrer Heimat. Der Klimawandel gefährdet die Lebensgrundlagen von uns allen auf diesem Planeten. Es ist höchste Zeit, zu handeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, nutzen Sie doch Ihre 80-Prozent-Mehrheit! Nehmen Sie den Kampf gegen den Klimawandel auf. ({14}) Aber was ist die Antwort von Ihnen, Herr Gabriel? Der Klimakiller Kohle bleibt der liebste Genosse der Sozialdemokratie. 2013 hat Deutschland so viel Braunkohle zu Strom verbrannt wie seit 1990 nicht mehr. Die klimafreundlichen Erneuerbaren bremsen Sie aus. Das ist doch das Gegenteil von verantwortlicher Politik. ({15}) Das ist nicht nur schlecht für das Klima. Es ist auch schlecht für die deutsche und die europäische Wirtschaft, wie sogar die EU-Kommission, die nicht gerade für besonderen Ehrgeiz beim Klimaschutz bekannt ist, zugeben muss. 1,25 Millionen neuer Jobs könnten entstehen, wenn die Energiewende klug angepackt werden würde. Das wären viele Jobs in den südlichen Krisenländern. Aber auch in Deutschland, zum Beispiel in NordrheinWestfalen, hängen Tausende Jobs von der Energiewende ab. Es stehen alleine dort Investitionen von 1 Milliarde Euro auf dem Spiel. Die Zukunft Deutschlands finden Sie nicht in Ihren Braunkohlegruben! Die Zukunft Deutschlands entsteht im Sektor der erneuerbaren Energien. Sie entsteht durch die Nutzung von Sonne und Wind. ({16}) Wir Grüne wollen, dass die Energiewende gelingt. ({17}) Wir wollen mit Ihnen zusammenarbeiten, weil wir uns unserer Verantwortung im Bundestag, in den Landtagen und als Partei bewusst sind ({18}) und die Energiewende nur in einem gesellschaftlichen Konsens gelingen kann. Wir strecken die Hand zum Konsens aus, Ihren Fehlstart zu korrigieren. Hören Sie auf, ausgerechnet die kostengünstigste Form der Erneuerbaren, die Windenergie, auszubremsen! Lassen Sie die Energiewende in den Händen der Bürger! ({19}) Machen Sie Deutschland wieder zum Vorreiter des Klimaschutzes! Dann können wir gemeinsam dieses historische Projekt voranbringen. Sehr geehrte Frau Merkel, Sie haben in Ihrer Rede von einem starken Deutschland in einem starken Europa gesprochen. Wer würde sich das nicht wünschen? Ich befürchte nur, dass wir nicht das Gleiche darunter verstehen. Ich wünsche mir ein Deutschland, das solidarisch ist mit seinen Partnern, dessen Regierung eine Wirtschaftspolitik betreibt, die zu Stabilität und Wachstum beiträgt, mit einer Regierung, die beim Klimaschutz vorangeht, die mehr Flüchtlinge aufnimmt und nicht zusieht, wie Menschen - Männer, Frauen und Kinder - im Mittelmeer ertrinken. Stattdessen bauen Sie weiter mit an der Festung Europa, einem Europa der Ausgrenzung, der Abschottung. Ich wünsche mir ein Europa, das stark ist, weil es die Freiheit der Menschen nicht nur achtet, sondern auch garantiert. ({20}) Die offenen Grenzen innerhalb Europas sind eine riesige Errungenschaft. Sie geben uns die Freiheit, dort zu leben und zu arbeiten, wo wir wollen. Diese Freiheit ist in Gefahr durch die Rechtspopulisten von Wilders bis Le Pen. Aber auch das unverantwortliche Geschwätz von Ihrem Koalitionspartner CSU vergiftet das gesellschaftliche Klima in Deutschland. ({21}) Die Populisten von der CSU gaukeln vor, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen. ({22}) Das tun sie nicht. Sie vergiften die Debatte, machen Vorurteile hoffähig und erschweren damit genau die Lösung von Problemen. ({23}) Frau Merkel, wir erwarten von einer verantwortungsvollen Kanzlerin, dass sie diesen Unsinn beendet. Stellen Sie sich klar auf die Seite der Offenheit und Freiheit in Europa und gegen die kleingeistigen Brandstifter, die nicht erkennen, dass Deutschland nur in einem starken und einigen Europa eine gute Zukunft hat. ({24}) Europa als Verheißung, als Ort der Solidarität und des Fortschritts, Europa als Ort der Freiheit und als eine Idee im Dienst der Menschen - so soll unser Europa sein. Es soll keines der Schlagbäume und Grenzen sein, kein Europa des Freihandelsabkommens auf Kosten des Verbraucherschutzes und keines nur für die Interessen einzelner Lobbys. Frau Merkel, Sie tragen schon acht Jahre lang große Verantwortung für Europa. ({25}) In der Vergangenheit haben Sie Ihre Macht für lasche Regeln für die Automobilindustrie und die Deutsche Bank eingesetzt. Damit gewinnt man weder das Herz noch den Verstand der Menschen für unser Europa. Nutzen Sie Ihre dritte Amtszeit richtig, damit Europa zu einem Erfolg für alle wird, mit einer Politik, die die Finanzmärkte endlich an den Krisenkosten beteiligt, die die Banken endlich in ihre Schranken weist und nicht nur hier davon redet, die den sozialen Fortschritt über die Interessen einzelner Lobbyisten stellt, mit einer Politik, die gegen Massenarbeitslosigkeit in den Krisenstaaten vorgeht, mit einer Politik, die gegen den Klimawandel kämpft und den Verfolgten einen sicheren Zufluchtsort bietet, ({26}) mit einer Politik, die Zukunft nicht verwaltet, sondern klug und weitsichtig im Interesse aller gestaltet. Vielen Dank. ({27})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält Volker Kauder das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Thomas Oppermann hat es in seinem Beitrag angesprochen: Wir, die CDU/CSU und die SPD, haben während des ganzen Bundestagswahlkampfes nicht daran gedacht, dass wir zum Start in die neue Legislaturperiode des Deutschen Bundestages in einer Koalition landen würden. ({0}) Wenn man dies weiß, ist auch verständlich, dass es uns nicht leichtgefallen ist, bei dem, was Schwerpunkt und Ziel dieser Großen Koalition sein soll, zusammenzukommen. Ich finde, dass es eine gute Grundlage für diese Koalition ist, dass wir dies auch nicht verborgen haben, sondern dass wir in den Koalitionsverhandlungen ernsthaft gerungen haben und dass wir die Themen offen auf den Tisch gelegt haben. Aber es war uns auch klar, dass wir nicht um unseretwillen in den Deutschen Bundestag gewählt worden sind, sondern dass wir für dieses Land in einer schwierigen Situation eine stabile und handlungsfähige Regierung stellen müssen. ({1}) Es hat auch andere gegeben, die dieses nicht so gesehen haben. Deswegen kam es zur Großen Koalition. Ich bin dankbar, dass dies jetzt gelungen ist. Wenn man den Koalitionsvertrag anschaut und das, was die Bundeskanzlerin vorhin für die Bundesregierung gesagt hat, anhört, dann kann man doch erkennen, dass dies eine gute, gemeinsame Ausgangslage darstellt, um dieses Land tatsächlich in eine gute Zukunft zu führen. ({2}) Ja, Thomas Oppermann, ich teile die Auffassung: Wir müssen uns daran messen lassen, dass es den Menschen und dem Land nach diesen vier Jahren Großer Koalition besser geht als vorher. ({3}) Dafür gibt es eine ganze Reihe von wichtigen Punkten. Das zentrale Thema, auf das es ankommt, ist auch in den nächsten Jahren dieser Großen Koalition Europa. Wenn wir in Europa Fehler machen, schwere Fehler machen, können wir sie mit keiner nationalen Gesetzgebung mehr korrigieren. Deswegen ist Europa so entscheidend. In Europa gibt es politische Leitlinien, die zu beachten sind. Da ist die wirtschaftliche, die finanzielle Situation. Ich finde es gut, dass wir uns trotz unterschiedlicher Ausgangslage in dieser Koalition darauf verständigt haben, wie wir die Europapolitik in den nächsten Jahren gestalten wollen. Wir waren uns einig: Ja, wir Deutsche sind solidarisch in Europa; aber wir verlangen auch die notwendigen Veränderungen. Solidarität ja, aber auch die notwendigen Reformen. Keine Leistung ohne Gegenleistung. ({4}) Das ist unsere Position. Man sieht ja, dass dieser Kurs durchaus erfolgreich ist. ({5}) Jetzt muss man natürlich eines auch sagen: Meine Generation weiß, dass es, gerade wenn man an Europa denkt, einige Zeit dauern kann, bis man Ziele erreicht. Wir alle sind in einer so ungeduldigen Hektik: heute Beschluss, morgen Erfolg. Wir müssen uns alle ein wenig Zeit geben, die Entwicklung hinzubekommen. Große Werke gelingen natürlich nur mit einem entsprechenden Startschuss. Aber dann bedürfen sie auch einer geduldigen Betreuung und Pflege, damit die Dinge vorankommen. Da sind wir, wie ich finde, auf einem guten Weg. Natürlich ist ein zentrales Thema, dass wir die Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen. Von jungen Menschen, die erleben, dass sie keinen Einstieg in die Berufswelt und in ein selbstständiges Leben bekommen, kann man kaum Begeisterung für dieses Europa erwarten. ({6}) Deshalb ist es richtig, dass diese Bundesregierung entsprechende Initiativen ergreift, um in Europa junge Menschen voranzubringen. Daher ist es richtig, dass wir in Deutschland jungen Menschen aus Europa die Möglichkeit geben, hier zu arbeiten, Erfahrungen zu sammeln und dann auch wieder in ihre Heimat zu gehen. Das ist alles in Ordnung. Und es ist auch richtig, dass wir unser anerkanntes System der dualen Berufsausbildung in die anderen europäischen Länder tragen, wenn sie dies wünschen. ({7}) Dies heißt aber auch, dass wir selber diese duale Berufsausbildung in unserem Land ernst nehmen und dass wir sagen: Jawohl, ein exzellent ausgebildeter Meister ist uns so wichtig wie ein Diplom-Ingenieur. ({8}) Wir brauchen beides. Wir sehen ja beispielsweise in Spanien, wohin es geführt hat, wenn man glaubt, nur akademische Ausbildung führe zum Erfolg. Das heißt, auch wir in Deutschland müssen unsere duale Berufsausbildung weiter auf Kurs halten. Es ist natürlich richtig, dass wir in Europa all die Dinge bekämpfen und korrigieren, die zu diesen Ergebnissen geführt haben. Es ist natürlich richtig, dass wir eine europäische Bankenaufsicht schaffen und dass daraus entsprechende Konsequenzen folgen, dass diese Bankenaufsicht also bestimmte Auflagen erteilen kann. Wir wissen aus der Erfahrung der letzten Jahre, dass in manchem europäischen Staat die nationale Bankenaufsicht nicht so hingeschaut hat, wie es notwendig gewesen wäre, um zu dem entsprechenden Ergebnis zu kommen. Ich finde es richtig, dass die Aufsicht in einer besonderen Abteilung der EZB angesiedelt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Bankenaufsicht, die einer politischen Kontrolle unterstellt wäre, würde nie dieselben Ergebnisse bringen wie eine unabhängige Bankenaufsicht. Deswegen ist die Ansiedlung, die jetzt gemacht wird, völlig richtig, und wir unterstützen sie auch. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir dieses Europa anschauen, müssen wir sagen: Europa hat auch deshalb immer wieder Probleme gehabt, weil man sich nicht an das gehalten hat, was man miteinander vereinbart hat. Dabei ist der Satz „Europa hat deshalb Probleme bekommen“ sogar noch falsch. Nicht Europa trägt dafür Verantwortung, sondern es sind noch immer die Nationalstaaten, die dieses Europa bilden und die Verantwortung tragen. ({10}) Deswegen kann ich nur sagen: Deutschland muss dafür sorgen, dass die einmal getroffenen Vereinbarungen eingehalten werden. Das gilt sowohl bei den finanziellen Fragen als auch bei anderen. Es macht keinen guten Eindruck, wenn wir beispielsweise nicht energisch sagen: Die Stabilitätskriterien müssen eingehalten werden. Jede Ausnahme gilt nämlich nicht nur für einen, sondern für das ganze System, und so kam das System ins Rutschen. Wir haben Vereinbarungen, die wir getroffen haben, selber nicht eingehalten, und das kann so nicht weitergehen. ({11}) Das gilt aber auch in allen anderen Bereichen. Damit will ich auf einen Punkt zu sprechen kommen, der in der politischen Diskussion der letzten Wochen durch die Klausurtagung der CSU-Landesgruppe eine gewisse Rolle gespielt hat. Zunächst einmal rate ich immer dazu, sich genau anzuhören, was gesagt worden ist. Dann rate ich dazu, in den Koalitionsvertrag zu schauen und zu lesen, was zu dem Thema dort vereinbart wurde. Und dann wird in den allermeisten Fällen ein gutes Ergebnis herauskommen. ({12}) Auch das hat mit Europa zu tun. In Europa haben wir uns selbst das große Geschenk der Freizügigkeit gemacht, und daran will auch überhaupt niemand rütteln. ({13}) - Daran will niemand rütteln. - Aber wir haben in den Regelungen zur Personenfreizügigkeit in der EU klar und deutlich gesagt, dass in Europa Zuwanderung in Arbeit richtig ist, aber Zuwanderung in soziale Sicherungssysteme nicht erwünscht ist. Wenn man sieht, dass sich das in dem einen oder anderen Fall anders verhält, muss man dies auch ansprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Koalitionsvertrag steht ausdrücklich, dass wir uns solche Fehlentwicklungen anschauen wollen. ({14}) Wir sind für die Freizügigkeit und die Zuwanderung. Aber wir werden mehr Verständnis der Bürgerinnen und Bürger für Europa und für die Politik nur dann bekommen, wenn wir die eine Botschaft klar sagen - und uns nicht von Populisten von links oder rechts beeindrucken lassen -, wenn wir aber auch den Mut haben, in aller Nüchternheit und Klarheit Fehlentwicklungen anzusprechen und dafür zu sorgen, dass sie abgestellt werden. ({15}) Das ist das gemeinsame Thema, und da brauchen wir Belehrungen von links oder von ganz rechts außen nicht. Wenn wir das so machen, dann kommen wir auch gut voran; das findet sich im Koalitionsvertrag wieder. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Europa muss auch mehr sein als ein Europa von Euro und Cent. Ich bin Thomas Oppermann dankbar, dass er angesprochen hat, dass wir eine Wertegemeinschaft sind. Es geht natürlich auch darum, dass wir diese Werte umsetzen. Da haben wir - auch das muss man sagen - in unserem eigenen europäischen Haus an der einen oder anderen Stelle noch miteinander zu tun. Wir sind mit der Situation von Rechtsstaatlichkeit, von Unabhängigkeit der Justiz in dem einen oder anderen europäischen Land nicht zufrieden. Das müssen wir klar und deutlich sagen. Wir können auch nicht zufrieden sein, wenn ein europäisches Land - ich nenne einmal den Namen, nämlich Rumänien sich nicht noch mehr anstrengt, Roma im eigenen Land besser zu integrieren. ({16}) Das muss angemahnt werden. Dafür hat die Europäische Union Geld zur Verfügung gestellt. Es gehört also beides zusammen: Wir sind eine Wertegemeinschaft und müssen diese Werte auch umsetzen. Dann sage ich auch: Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass wir bei Verhandlungen mit Ländern, die zur Europäischen Union gehören wollen, nicht nur einseitig auf die wirtschaftliche Situation schauen dürfen - das sowieso -, sondern auch dafür sorgen müssen, dass der Rechtsstaat und auch die Freiheits- und Bürgerrechte umgesetzt werden. Wir dürfen uns nicht darin täuschen, dass sie erst dann umgesetzt werden, wenn ein Land in Europa ist. Vielmehr muss dies vorher geschehen. Deswegen bitte ich die Bundesregierung ausdrücklich, bei den Verhandlungen mit der Türkei das Thema Rechtsstaatlichkeit, Religionsfreiheit nicht bis zu den Verhandlungen über das letzte Kapitel zu verschieben, sondern deutlich zu machen, dass dieses Thema ein Wesenselement der Wertegemeinschaft Europa ist. ({17}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass es den Menschen nach vier Jahren dieser Großen Koalition bessergeht, wird darüber hinaus ganz entscheidend - auch dies ist von Thomas Oppermann gesagt worden - von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen. Deswegen muss es das erste Ziel sein, alles dafür zu tun, dass die deutsche Wirtschaft sich entwickeln und wachsen kann. Unser Mittelstand steht in einer unglaublichen Wettbewerbssituation, in Asien, aber auch in Europa. Es sind enorme Investitionen notwendig, um die neuen Herausforderungen annehmen zu können. Deswegen war es richtig, das Geld dort zu lassen, wo es gebraucht wird, um die Wirtschaft wachsen zu lassen, statt es durch Steuererhöhungen in den Staatshaushalt hineinzuspülen. Damit haben wir eine richtige Entscheidung getroffen. Ich bin dankbar dafür, dass diese Entscheidung in der Großen Koalition möglich war. Ich will es nur noch einmal sagen - wir brauchen es nicht weiter zu vertiefen -: Bei der Entscheidung „keine Steuererhöhungen“ bleibt es in dieser Koalition in den nächsten vier Jahren. ({18}) Ich bin der Auffassung, auch wenn unterschiedliche Positionen in unseren Gesprächen bei der einen oder anderen Frage zum Vorschein gekommen sind, dass das, was wir jetzt im Koalitionsvertrag vereinbart haben, verantwortet werden kann, sowohl das Rentenpaket als auch die Maßnahmen, die wir im Umfeld des Arbeitsmarktes vereinbart haben. Aber wir sollten uns immer auch darüber im Klaren sein: Verantwortet werden kann es - und wir stehen dazu - nur dann, wenn die wirtschaftliche Entwicklung stabil verläuft. 100 000 Arbeitslose mehr bedeuten 2,2 Milliarden Euro Mehrausgaben bei der Bundesanstalt für Arbeit. Es soll uns immer leiten, alles, was wir machen, daraufhin genau anzuschauen, ob es dazu dient, mehr Arbeit zu schaffen, mehr Menschen in Arbeit zu bringen und nicht weniger. Das muss die Hauptaufgabe bei all diesen Dingen bleiben, diesen Kontrollmechanismus müssen wir genau im Auge behalten. ({19}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur die innenpolitischen Themen sind entscheidend für unser wirtschaftliches Wachstum. Die Energiepolitik - sie ist schon angesprochen worden - ist ein zentrales Thema. Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich kann es an dieser Stelle nur noch einmal sagen: Diese große Aufgabe, die Energiewende voranzubringen und zum Erfolg zu führen, diese Aufgabe, die Sie nun in der Regierung und wir in der gesamten Koalition haben, betrachten wir nicht als die Aufgabe eines SPD-Bundesministers; vielmehr ist es die gemeinsame Aufgabe von uns allen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({20}) Sie können sicher sein, dass wir Sie bei dieser Aufgabe begleiten, vielleicht zuverlässiger als mancher aus Ihren eigenen Reihen, den Sie jetzt gerade hören. ({21}) Damit wende ich mich an die Bundesländer - die Bundeskanzlerin hat es schon angesprochen -: Es geht nicht um Partikularinteressen. Wir müssen klar und deutlich formulieren: Wir machen Energiepolitik für Deutschland. Dafür trägt auch der Bundesrat eine Verantwortung. Natürlich schauen wir auf das eine oder andere Anliegen der Länder. Aber wir machen Energiepolitik, damit Deutschlands Wirtschaft wachsen kann und die Menschen nicht übermäßig zahlen müssen. Auf diesem Weg haben Sie uns an Ihrer Seite. ({22}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die deutsche Wirtschaft ist nicht nur entscheidend, was wir in diesem Land machen. Wir sind eine Exportnation. Deswegen sind wir natürlich auch auf die europäischen Märkte angewiesen. Aber wir sind nicht nur in Europa, sondern weltweit unterwegs. Das muss auch in Zukunft so bleiben. Wir müssen uns daher darum bemühen, dass es in einigen Krisenherden in der Welt wieder mehr Stabilität gibt, und wir müssen uns stattgefundene Veränderungen anschauen. Wir werden deshalb in dieser Koalition für drei Bereiche eine neue Situationsbeschreibung machen müssen. Erstens. Die Veränderungen in Asien waren dramatisch. Wir sehen, dass es neben Veränderungen im wirtschaftlichen Bereich auch Unsicherheiten gibt. Denken Sie nur an die Situation auf der koreanischen Halbinsel oder die Beziehungen zwischen China und Japan. Wir brauchen deshalb eine neue Asien-Strategie. Wir müssen uns fragen: Wie gehen wir mit der neuen Situation um? Zweitens. In diesen Tagen sehen wir ja, was in Afrika los ist. Niemand glaube, dass wir nach dem Motto „Was in Afrika passiert, das geht uns nichts an!“ leben können. Wir brauchen daher eine neue Afrika-Strategie. Da müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie das Verhältnis von politischen Aktivitäten, also dem Vorhererkennen von Krisen und Präventionsmaßnahmen, zu militärischen Notwendigkeiten aussieht. Ich halte das für völlig richtig, was in der Bundesregierung gesagt worden ist, nämlich dass wir auch in Afrika unseren Beitrag leisten. Aber ich bin schon der Meinung, dass wir uns noch einmal darüber unterhalten sollten, was wir konkret machen wollen. Ich kann beim allerbesten Willen nicht erkennen - ich halte unsere damalige Entscheidung für richtig -, dass der militärische Einsatz in Libyen tatsächlich ein Erfolg war. Die Waffen, die dort waren, sind in andere Staaten Afrikas gelangt. Deswegen ist es völlig richtig, wenn wir uns politische und diplomatische Maßnahmen sowie die Notwendigkeit für militärische Aktionen ganz genau anschauen und auf ihre Erfolgsmöglichkeiten hin überprüfen. Drittens. Wir brauchen eine neue Lateinamerika-Strategie. In Lateinamerika wird zu Recht immer wieder beklagt, dass wir uns zu wenig um diese Länder kümmern. Zum Schluss. All das, was wir jetzt beispielsweise in Afrika sehen, hat auch etwas mit unserer eigenen Sicherheit zu tun. Wir sehen eine neue Entwicklung in der Welt. Jeder weiß, dass ich mich mit dem Thema Religionsfreiheit in besonderer Weise befasse. Früher hatten wir immer das Problem, dass Staaten Religionsfreiheit eingeschränkt haben und dass dort Gläubige verfolgt wurden. Zunehmend stellen wir fest, dass die Risiken von Unfreiheit, von Bekämpfung von Glaubensbekenntnissen in sogenannten gefallenen Staaten, in denen es keine staatliche Autorität mehr gibt, steigen. Entlang von ethnischen Grenzen und Glaubensüberzeugungen wird eine Auseinandersetzung geführt. Wo es keine staatliche Gewalt mehr gibt, entstehen islamistische Terrorgruppen, die auch zum Leidwesen der einheimischen muslimischen Bevölkerung ihr Unwesen treiben. Deshalb ist die Frage, mit welcher Strategie wir an diese Fragen herangehen, ein zentrales Thema der Menschenrechte, aber auch der wirtschaftlichen Entwicklung. ({23}) Ich finde, Herr Hofreiter, dass diese Koalition die wirklich großen Fragen in ihrem Koalitionsvertrag angesprochen hat; die Bundeskanzlerin hat diese genannt. Viele Punkte, die in der Koalitionsvereinbarung stehen, sind für Gruppen, aber auch für einzelne Menschen wichtig. Ich kann nur sagen: In Europa dafür zu sorgen, dass es wieder vorangeht, wirtschaftliches Wachstum und Frieden und Stabilität in dieser Welt zu fördern, das sind die großen Herausforderungen, denen wir uns stellen. Herzlichen Dank. ({24})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kauder. - Das Wort hat Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eines können wir zu Beginn dieser Legislaturperiode eindeutig feststellen: Das Feld ist sehr gut bestellt. Die Konjunktur hat wieder an Schwung gewonnen; die Steuereinnahmen haben einen Höchststand erreicht. Es sind wieder mehr Menschen in Beschäftigung als in früheren Jahren, und sie verdienen im Durchschnitt mehr als die Menschen in der Europäischen Union. Dies macht deutlich: Deutschland ist das Chancenland in Europa. Das ist die Ausgangsposition. ({0}) Das hängt damit zusammen, dass die Menschen fleißig sind, dass wir tüchtige Unternehmer haben, dass die Tarifpartnerschaft funktioniert. Aber es hängt auch damit zusammen, dass in den vergangenen acht Jahren unter der Führung von Angela Merkel eine gute Politik für die Menschen im Land gemacht wurde. Der Vertrauensbeweis, den sie und diese Regierungskoalition, insbesondere die Unionsfraktion, bekommen haben, macht deutlich: Die Menschen wollen keinen Politikwechsel. Sie wollen, dass der politische Stabilitätskurs der vergangenen Jahre fortgesetzt wird. ({1}) Vor genau dieser Ausgangsposition standen wir zu Beginn der Koalitionsverhandlungen. Es ist bereits von Volker Kauder und Thomas Oppermann deutlich gemacht worden, dass es wahrlich nicht selbstverständlich war, sich auf ein so starkes Programm für die Menschen im Land, für eine weitere gute Entwicklung zu verständigen. Aber uns war klar: Es ist keine Zeit, um sich zurückzulehnen, schon gar keine Zeit, um von der Substanz zu leben. Der Auftrag, den wir alle haben, ist, dieses Land und die Menschen gut zu regieren und die Herausforderungen, die vor uns stehen, mutig anzugehen. Das haben wir gemacht. ({2}) Als Erstes geht es um die zentrale Frage: Wie kann der Kurs in Richtung Vollbeschäftigung gehalten werden? Eines der wichtigsten Themen dabei war - das wurde gerade von Volker Kauder angesprochen - das Nein zu jeder Art von Steuererhöhungen. Wir hatten da zunächst unterschiedliche Positionen. Aber weil wir wissen, dass Steuererhöhungen Gift für die Wirtschaft, Gift für eine weiterhin gute Beschäftigungssituation wären, haben wir uns gemeinsam darauf verständigt, dass es keine Steuererhöhungen gibt. Dabei muss und wird es auch bleiben. ({3}) Wir haben uns auf ein Zweites verständigt, das für die weitere Beschäftigungsentwicklung von entscheidender Bedeutung ist: den Vorrang von Bildung, Forschung und Innovation. Auch dabei geht es um die Fortführung des Kurses der letzten Legislaturperiode. Damals wurden vonseiten des Bundes zusätzliche Gelder gerade für Forschung ausgegeben, und auch diesen Kurs setzen wir fort. Das, was wir in unsere Kinder und Jugendlichen, in die Köpfe der Menschen investieren, das kann ihnen niemand mehr nehmen. Es ist das Kapital unseres Landes, für eine weitere erfolgreiche Entwicklung der Menschen selbst, aber auch unserer gesamten Volkswirtschaft. Deshalb ist dies so wichtig. ({4}) Wir haben einen dritten Schwerpunkt gesetzt, auch dies in Fortführung dessen, was in der letzten Legislaturperiode begonnen wurde, und zwar auf die Verbesserung der Infrastruktur. Wir alle wissen, dass ohne eine ausreichende Verkehrsinfrastruktur wirtschaftliche Prosperität nicht stattfinden kann. Wir haben hier Nachholbedarf aus früheren Jahren. Deshalb brauchen wir zusätzliche Mittel für die Verkehrsinfrastruktur und auch eine Beteiligung derjenigen, die sich bisher nicht beteiligen, nämlich der Ausländer, die auf unseren deutschen Autobahnen fahren. Das wollen und werden wir auch realisieren. ({5}) Zu einer guten Infrastruktur gehört auch die Versorgung mit einem modernen Breitbandnetz. Deshalb ist es richtig, die Kompetenzen für die Infrastruktur, die Verkehrskompetenz und die Breitbandkompetenz, in einem Ministerium zu bündeln. Wir können es nicht zulassen, dass nur in den Ballungsgebieten, dort, wo es sich marktwirtschaftlich rechnet, eine schnelle Internetverbindung zur Verfügung steht. Jeder Unternehmer, jeder Student, jeder Schüler, jede Privatperson, auch im ländlichen Raum, hat einen Anspruch auf eine schnelle Internetverbindung. Deshalb begrüße ich es besonders, die Kommunen hier finanziell besser zu unterstützen. Ich begrüße auch die Anstrengungen einiger Länder; Bayern tut dies in vorzüglicher Weise. ({6}) Ein Viertes ist für die Beschäftigungssituation und die weitere wirtschaftliche Entwicklung von elementarer Bedeutung: die Bewältigung der Energiewende. Das ist vorhin schon mehrfach angesprochen worden. Was machen wir in diesem Bereich? Wir nehmen im Endeffekt eine Reparatur dessen vor, was insbesondere von den Grünen forciert wurde. Sie haben sich nämlich damals überhaupt nicht um den Netzausbau und den Speicherausbau gekümmert. ({7}) Sie haben sich auch nicht um die Preisentwicklung gekümmert, sondern einen unkoordinierten und ungebremsten Ausbau der erneuerbaren Energien betrieben. ({8}) Wir haben jetzt das zu reparieren, was Sie durch Ihre Fehler und Defizite hinterlassen haben. Das ist die Ausgangsposition. Nun geht es darum, die Energiewende weiter zu begleiten und dabei eben nicht nur darauf zu schauen, dass sich der Anteil der erneuerbaren Energien erhöht, sondern auch darauf, dass die Versorgung gesichert ist, und zwar auch dann, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, und dass die Preise nicht davonlaufen, damit sie jeder private Verbraucher, jede Rentnerin und jeder Rentner, jeder Arbeitnehmer und jedes Unternehmen, das Arbeitsplätze zur Verfügung stellt, auch zahlen kann. Darum geht es, meine Damen und Herren; das haben wir in gemeinsamer Verantwortung zu bewerkstelligen. ({9}) Der Bundesminister hat dazu Eckpunkte vorgelegt; ({10}) das sind richtige Weichenstellungen. Er wird auf Grundlage dieser Eckpunkte einen konkreten Gesetzentwurf vorlegen. Wir werden bei dieser komplizierten Materie natürlich alles diskutieren; das ist auch unsere Verantwortung. Aber eines muss klar sein: Wir müssen dieses Projekt gemeinsam begleiten. Wir alle wissen um die sehr unterschiedlichen regionalen Interessen, um die unterschiedlichen Interessen der Verbände und der betroffenen Wirtschaftszweige. Unser Augenmerk muss immer darauf gerichtet sein, die Aspekte Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Akzeptanz in der Bevölkerung unter einen Hut zu bringen. Das ist eine schwierige Aufgabe - wenn es leicht wäre, hätten wir das längst erledigt -, die wir gemeinsam bewerkstelligen müssen. Sie haben unsere Unterstützung bei der Bewältigung der Energiewende. ({11}) All dies ist die Grundvoraussetzung dafür, dass alle notwendigen Anpassungen im sozialpolitischen Bereich zufriedenstellend gelöst werden können. Bevor ich aber darauf zu sprechen komme, möchte ich einen weiteren Komplex ansprechen, der für die Zukunft unseres Landes von ganz entscheidender Bedeutung ist. Es geht um die Frage: Wie gehen wir mit unseren öffentlichen Finanzen um? Wie halten wir es mit unseren Haushalten? Das ist nicht nur theoretisch zu entscheiden. Es geht auch nicht darum, dass etwas auf dem Papier steht. Hier geht es vielmehr um unser Selbstverständnis, zumindest um mein Selbstverständnis, von politischer Arbeit; denn wir machen nicht nur für die heutige Generation Politik, sondern immer auch mit Blick auf diejenigen, die nach uns kommen, auf unsere Kinder und Enkelkinder. Wenn wir unsere Verantwortung, für solide öffentliche Finanzen zu sorgen, nicht ernst nehmen, dann versündigen wir uns an den nachfolgenden Generationen, an unseren Kindern und Enkeln. ({12}) Ein gutes Beispiel ist Bayern. Seit fast zehn Jahren haben wir einen ausgeglichenen Haushalt; mittlerweile sind wir bei der Tilgung der Altschulden. Auch auf Bundesebene sind wir auf einem sehr guten Weg. In diesem Jahr werden wir einen strukturell ausgeglichenen Haushalt haben und für das nächste Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Das ist das Ergebnis unserer harten Arbeit in den vergangenen Jahren. Wir dürfen jetzt aber nicht stehen bleiben. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass wir uns in den Koalitionsverhandlungen bei zunächst unterschiedlicher Ausgangsposition auf diesen Weg der Stabilität verständigt haben. Das Gleiche gilt für Europa. Auch hier haben wir - die Bundeskanzlerin hat es vorhin angesprochen - in den vergangenen Jahren durch unseren Stabilitätskurs und durch die Hartnäckigkeit der Bundeskanzlerin viel erreicht. Die Situation in den Problemländern hat sich deutlich verbessert. Aber auch hier gilt es, Kurs zu halten; wir sind noch nicht über den Berg. Wir müssen immer wieder deutlich machen: Eine zu hohe Staatsverschuldung ist die Basis für eine weiter schlechte wirtschaftliche Entwicklung auf Jahrzehnte. Wir wollen eine Stabilitätsunion in Europa, statt den Weg in eine Schuldenunion zu gehen. ({13}) Das Thema Europa ist mehrfach angesprochen worden. Ich will dazu nur einige Bemerkungen machen. Trotz all der schwierigen Entscheidungen, die wir in letzter Zeit zu treffen hatten, konnten wir uns die Vorteile Europas bewusst machen und durften erkennen, welch großartiges Geschenk es ist, in der jetzigen Zeit, auch nach schwierigen Phasen in Europa, in Deutschland leben und dieses Europa weiter gestalten zu können. Die Erfahrungen aus der Geschichte haben gezeigt, dass wir ein starkes Europa brauchen, wenn es um Außen- und Sicherheitspolitik geht, wenn es um Wirtschaftskoordinierung und um Währungsfragen geht oder auch um die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in den europäischen Ländern. Aber wir brauchen ein schlankes Europa, wenn es darum geht, den Alltag der Bürger zu gestalten. Europa muss sich nicht in jede Kleinigkeit einmischen - vom Trinkwasser bis zu den Duschköpfen -, sondern sollte sich auf die wesentlichen Aufgaben beschränken. Ich bin froh, dass dieser Gedanke der Subsidiarität, der früher im Wesentlichen ein Gedanke der Union war, gelegentlich sogar nur mit der CSU verbunden wurde, in Europa mittlerweile auch in anderen Parteien Platz gegriffen hat. Das begrüße ich sehr. ({14}) Ich begrüße auch - wenn ich das sagen darf - das große Verständnis für die CSU-Position zur Freizügigkeit in Europa, das heute mehrere Redner zum Ausdruck gebracht haben. Ich betone es hier noch einmal: Ich stehe mit meiner Partei voll zur Freizügigkeit in Europa. Niemand in meiner Partei stellt das infrage, niemand. ({15}) Aber wir wollen keinen Missbrauch der Freizügigkeit, und wir müssen eine Antwort geben auf die Klagen der Kommunen und Städte über die Situation vor Ort. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich der Staatssekretärsausschuss dieser Probleme annimmt und eine Lösung sucht. ({16}) Das ist eine notwendige und richtige Konsequenz. Wenn wir vorhandene Probleme nicht ansprechen, dann brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, dass sich am rechten und am linken Rand unserer Gesellschaft Kräfte tummeln, die wir alle miteinander nicht haben wollen. ({17}) Ich will noch einen Komplex ansprechen. Unser Land lebt ganz wesentlich vom gesellschaftlichen Zusammenhalt, vom Zusammenhalt der Generationen, vom Zusammenhalt der unterschiedlichen sozialen Gruppierungen. Deshalb ist es uns wichtig, den Stellenwert der Familie und den Stellenwert der Erziehung immer wieder deutlich herauszustellen. Wir haben dafür gekämpft, dass das, was in der letzten Legislaturperiode erreicht wurde, nicht reduziert wird. Das haben wir geschafft. Außerdem haben wir dafür gekämpft, dass bei der Rentenversicherung die Erziehungszeiten derjenigen, die vor 1992 Kinder geboren haben, besser anerkannt werden, als das früher der Fall war. ({18}) Das sind wir den Müttern dieser Generation schuldig, die unter viel schwierigeren Bedingungen als heute ihre Kinder großgezogen haben, die häufig gezwungen waren, auf Erwerbstätigkeit zu verzichten und deshalb niedrigere Renten haben. Wir vergessen ferner weder diejenigen, die pflegebedürftig sind, noch diejenigen, die die Pflegebedürftigen pflegen, egal ob in den Familien oder hauptberuflich, stationär oder ambulant. Deshalb wird uns das große Werk der Reform der Pflegeversicherung stark in Anspruch nehmen. Wir vergessen auch die Menschen mit Behinderungen nicht. In diesem Zusammenhang denken wir auch an die Kommunen; denn wir wissen sehr wohl, dass die Leistung für behinderte Menschen, die Eingliederungshilfe, nicht eine kommunalpolitische Leistung ist, sondern eine Leistung, die in den Verantwortungsbereich aller Ebenen fällt, des Bundes, der Länder und der Kommunen. Deshalb werden wir mit dem Bundesleistungsgesetz auch hier ein Zeichen setzen. ({19}) Wir haben bei all diesen Themen eine gemeinsame Verantwortung in diesem Land. Gemeinsame Verantwortung bedeutet aber nicht, dass man über unterschiedliche Positionen nicht kontrovers diskutieren darf. Zu einer Demokratie gehört Meinungsvielfalt, auch einmal Streit im guten Sinne des Wortes. Man darf auch einmal innerhalb einer Partei oder einer Koalition streiten; das sind wir den Menschen schuldig. Das geschieht aber immer unter dem Gesichtspunkt, dass wir alle miteinander, egal welcher Partei, den Auftrag haben, den Menschen zu dienen und dafür zu sorgen, dass es ihnen noch besser geht als heute schon. Das sind Auftrag und Verpflichtung dieser Koalition. Ich danke Ihnen. ({20})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Hasselfeldt. - Ich gebe nun das Wort der Beauftragten für Kultur und Medien, der Staatsministerin Professor Monika Grütters. ({0})

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von dem wunderbaren, gelegentlich ein wenig satirisch daherkommenden Mark Twain stammt der Satz: Kultur ist das, was übrig bleibt, wenn der letzte Dollar ausgegeben ist. - Hier ist er einmal ganz nüchtern gewesen. In der Tat, Mark Twain hat recht: Kultur ist eben mehr als alles andere, Kultur ist ein Wert an sich. Geld ist nicht alles; das wissen wir hier besser als alle anderen. Ohne Dollars und Euros geht es halt nicht. Zum Glück haben Bundestag und Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode den Etat des Staatsministers für Kultur immer wieder ein wenig aufwachsen lassen. Es wäre schön, wenn es dabei bliebe. Gerade in Zeiten ökonomischer Krisen, wie wir sie nicht nur in Europa, sondern weltweit seit Jahren erleben, wird die Wertegemeinschaft, wird das, was wir das Kulturprojekt Europa nennen, immer wichtiger. Wo, wenn nicht in der Kultur, können Antworten gesucht werden auf die Frage, was uns zusammenhält? Die Frage stellt sich einmal mehr in einem so intensiven Gedenkjahr wie 2014. Welche Werte erkennen wir eigentlich als gemeinsames Fundament an? Eine Kulturnation wie Deutschland, die in ihren Traditionen so reich, aber in ihren Brüchen auch so radikal ist - mehr als alle anderen -, muss sich mehr denn je nach ihrer Rolle im heutigen und im zukünftigen Europa fragen. Ich glaube, Antworten auf diese Fragen sind wir schuldig, und zwar vor Deutschland, vor Europa und auch vor den Augen der Welt. ({0}) Ein Blick auf unsere ja so sperrige Geschichte macht deutlich, dass die Kultur in den vergangenen Jahrhunderten in Deutschland immer eine besondere Rolle gespielt hat. Sie war und ist bis heute das geistige Band, das uns auch über manche föderalen Schwierigkeiten hinweg zusammenhält. Deutschland war zuerst eine Kultur- und dann eine politische Nation. Nationale Identität wächst eben auch zuallererst aus dem Kulturleben eines Landes. Aus den Zusammenbrüchen unserer Geschichte mit zwei Diktaturen in einem Jahrhundert haben wir eine Lehre gezogen. Bereits in Art. 5 Abs. 3 unseres Grundgesetzes heißt es: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“. Das ist der oberste Grundsatz jeder verantwortlichen Kulturpolitik. ({1}) Frei sein können Kunst und Wissenschaft nur, wenn der Staat ihre Freiheiten schützt. Diese staatliche Fürsorge für die Kultur und ihre Freiheit, die mit dem Mut zum Experiment natürlich auch das Risiko des Scheiterns einschließt, hat immer wieder weltweit beachtete Leistungen hervorgebracht. Dieses hartnäckige Engagement für die Künste, die ja nicht immer leicht zu ertragen sind, hat entscheidenden Anteil am mittlerweile wieder hohen Ansehen Deutschlands in der Welt. Eine solche Kultur ist eben nicht das Ergebnis des Wirtschaftswachstums; sie ist vielmehr dessen Voraussetzung. Kulturelle Existenz in Deutschland ist keine Ausstattung, die sich unsere Nation leistet, sondern eine Vorleistung. Wir haben dafür Sorge zu tragen, dass sie allen zugutekommt. Eine so verstandene Kultur ist auch kein dekorativer Luxus, sondern Ausdruck eines menschlichen Grundbedürfnisses. Sie ist nicht allein Standortfaktor, sondern auch Ausdruck von Humanität. Deshalb ist es mir besonders wichtig, neben der Fürsorge für unser kulturelles Erbe, also für die Institutionen, ganz besonders auch die Künstler in den Blick zu nehmen, die Kreativen, und Sorge für die Rahmenbedingungen zu tragen, unter denen sie leben. ({2}) - Danke, ich habe auch Sie persönlich gemeint. ({3}) Denn es sind ja die Künstler, die uns immer wieder mit ihren herausragenden Leistungen beglücken. Ich finde, das, was von den Kreativen kommt, darf auch mal wehtun, darf auch unbequem sein. Sie sind das kritische Korrektiv, das wir brauchen und von dem eine vitale Gesellschaft lebt. Sie dürfen uns zum Nachdenken und auch zur Kritik herausfordern. Ich bin Ihnen ausdrücklich dankbar dafür, dass das immer wieder und so hartnäckig passiert. ({4}) Bei einem solchen Verständnis von Kultur verbieten sich eine allzu kleinliche Steuerung und ein staatliches Kriterienkorsett. Künstler brauchen keine autoritativen Vorgaben; was sie brauchen, sind Inspiration, Anstöße und unseren gemeinsamen Diskurs. Lassen Sie mich an dieser Stelle als Münsteranerin in Berlin und als Berlinerin in diesem Amt ein Wort zu Berlin sagen. ({5}) Mein Berliner Kollege Swen Schulz, meine Kollegin Högl, mir wird immer unterstellt, ich würde jetzt nur noch Berlin sehen. ({6}) Aber Berlin ist eben die Hauptstadt, und das, was in dieser Hauptstadt kulturell gelingt, wird in den Augen der Welt dem ganzen Land gutgeschrieben. ({7}) Andererseits wird - jedenfalls in den Augen der Öffentlichkeit - für das, was hier schiefgeht, auch das ganze Land verantwortlich gemacht. Kulturpolitik in Berlin ist also, ob man das will oder nicht, immer auch Bundespolitik, ({8}) und die Bundeskulturpolitik in und für Berlin ist Ausdruck der Anerkennung der besonderen Rolle der Hauptstadt für die Nation. Gleich wird es Ihnen nicht so gefallen. - In der Kulturpolitik muss den Ländern klargemacht werden, dass Berlin kein konkurrierendes Bundesland, kein Bundesland wie jedes andere ist, sondern unser aller Mittelpunkt. Berlin selbst muss dem Bund aber auch klarma590 chen, dass er als Erster von einer kulturell blühenden Hauptstadt profitiert. Ich würde mich schon freuen - da können Sie mir alle helfen -, wenn Berlin auch einmal Danke sagen würde oder einfach nur erkennen ließe, dass Hauptstadt sein auch eine dienende Funktion ist. ({9}) Um also allen Mutmaßungen entgegenzutreten: Ich verstehe mich als Kulturstaatsministerin für ganz Deutschland, nicht nur, aber ganz besonders auch für Berlin, unsere Hauptstadt. Deshalb hat mich meine erste Dienstreise nach Frankfurt geführt und dort nicht in einen Tempel der Hochkultur, sondern ins Jüdische Museum. ({10}) Dort wird nämlich gerade sehr eindrucksvoll in einer kleinen Kammerausstellung gezeigt, dass es den Nazis 1938 nicht nur und nicht in erster Linie darum ging, die Kunst der Moderne als entartet zu diffamieren, sondern dass das Hauptziel war, auch im Kunstbetrieb jüdische Mitbürger und Akteure zu eliminieren. Deshalb bleiben Provenienzrecherche und Restitution, also die Rückgabe geraubter Güter, für uns ein ganz wichtiges Anliegen. ({11}) Es gehört zu unseren großen Verantwortungen, uns unserer Geschichte und ihren Folgen immer wieder und auch auf diesem bitteren Feld zu stellen, damit das geschehene Unrecht nicht auch noch latent fortdauert. Ich finde es schlicht unerträglich, dass sich immer noch Naziraubkunst in deutschen Museen befindet. ({12}) Allerdings ist in puncto Provenienzrecherche in den vergangenen Jahren sehr viel geschehen. Die Arbeitsstelle für Provenienzforschung hat 2008 ihre Arbeit aufgenommen; finanziert wird sie übrigens vom Bund und von den Ländern. Seitdem sind 14,5 Millionen Euro in die Herkunftssuche geflossen. Was häufig nicht gesehen wird: 90 000 Objekte in 67 Museen und mehr als 520 000 Bücher und Drucke in 20 Bibliotheken wurden mittlerweile überprüft. Nach unseren Erkenntnissen wurden bis September letzten Jahres mehr als 12 200 Objekte - meist diskret - zurückgegeben. Die Koordinierungsstelle Magdeburg, die Arbeitsstelle für Provenienzforschung und die Limbach-Kommission leisten eine hervorragende Arbeit, die übrigens im Ausland sehr wohl anerkannt wird. Aber es fehlt ein erkennbarer Ansprechpartner. Darum sollen die Aktivitäten von Bund, Ländern und Kommunen in den Bereichen Provenienzforschung und Restitution, also tatsächliche Rückgabe, künftig gebündelt und nachhaltig - ich spreche von einer Verdopplung der Bundesleistungen gestärkt werden. Ich habe dazu viele Gespräche mit Länderkollegen geführt und nur positive Rückmeldung bekommen. Es geht uns um mehr als um Kunstobjekte. Es geht um das große Unrecht, um geraubte Identität, um den Verlust von Erinnerungen, die ja mit diesen Stücken verbunden waren, an geliebte Menschen. Ich finde, hier darf sich keine öffentliche Institution wegducken. Bei der Restitution geht es nicht in erster Linie um materielle Werte. Den Anspruchstellern ist besonders wichtig, dass sie, die Opfer, auch als Opfer anerkannt werden. Sie möchten, dass wir alle ihre zerstörten Lebensläufe kennen und dass durch die Anerkennung das Unglück und das Leid, das sie erlitten haben, wenigstens nachträglich sichtbar werden. Ich finde, es ist unsere moralische Pflicht, genau das zu leisten. ({13}) Deshalb ist auch klar, dass die Museen künftig nicht nur, wie bisher, an ihrer Ankaufs- und Ausstellungspolitik, sondern auch daran gemessen werden, wie sie mit ihrer Geschichte und mit der Geschichte ihrer Sammlung umgehen. Weil das nur gemeinsam gelingt, habe ich ein zweites wichtiges Thema auf meiner Agenda: Wir möchten enger mit den Ländern zusammenarbeiten. Ich habe mit den 16 Länderministern inzwischen verabredet, dass wir uns, wenn es irgendwie geht, zweimal im Jahr treffen. Das erste Treffen soll auf meine Einladung hin stattfinden. Dazu möchte ich dann auch die kommunalen Spitzenverbände einladen, weil immerhin 44 Prozent der Kulturleistungen in Deutschland von den wackeren Kommunen erbracht werden. ({14}) Der zweite Besuch - ich respektiere ja mit großer Begeisterung die Kulturhoheit der Länder - soll dann von der KMK selber ausgehen. Wir wollen gemeinsam Strategien dafür entwickeln, wie wir unsere kulturelle Infrastruktur retten können; denn sie wird sich ja vor dem Hintergrund der Demografie und der ethnischen Durchmischung verändern. Dazu gehört eben auch die Stabilisierung der Künstlersozialversicherung; denn der Erfolg der Kreativwirtschaft, die in Deutschland hinter der Automobilindustrie mittlerweile immerhin an zweiter Stelle rangiert, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die allerwenigsten Künstler und Kreativen Großverdiener sind. Die Einführung der Künstlersozialversicherung vor 31 Jahren war ein sozial- und kulturpolitischer Meilenstein. ({15}) Die Künstlersozialkasse garantiert bis heute ganz wesentlich die soziale Absicherung der freiberuflich tätigen Künstler und Publizisten, und ich finde, wir dürfen bei aller immer wieder laut werdenden Kritik aus einschlägigen Kreisen nicht zusehen, wie diese Errungenschaft jetzt beschädigt wird. ({16}) Das hat nämlich auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Wer künstlerische Leistungen in Anspruch nimmt, der muss eben auch ein bisschen dafür Sorge tragen, dass Künstler von ihrer Arbeit leben und nicht nur knapp überleben können, also angemessen bezahlt werden. Andererseits sollen die, die regelmäßig Abgaben entrichten, eben nicht zu Zahlmeistern werden, weil sich die anderen drücken. Deshalb ist eine stärkere, intensivere Prüfung notwendig. Im vergangenen Sommer waren wir kurz davor, das durchzusetzen. Ich bin meiner Kollegin Nahles sehr dankbar, dass auch sie das Thema Künstlersozialkasse ganz oben auf ihre Agenda gesetzt hat. Vielleicht schaffen wir es jetzt. ({17}) - Ja, ich finde, das ist einen Applaus wert. Die Absicherung ist das eine, noch wichtiger ist es aber, dass Künstler von ihrer kreativen Arbeit überhaupt leben können - auch im digitalen Zeitalter. In der kommenden Legislaturperiode wird es deshalb darum gehen, das Urheberrecht weiter an das digitale Umfeld anzupassen. ({18}) Es gilt vor allem, den Wert geistigen Eigentums besser zu vermitteln. Künstlerische Leistungen sind im Internet ja frei verfügbar; das ist unbestritten. Umsonst dürfen sie aber nicht sein. ({19}) Urheberrechtsverletzungen im Netz verursachen gravierende Schäden, nicht nur volkswirtschaftlich. Deshalb müssen wir in der Rechtsdurchsetzung konsequenter sein, und die Rechteinhaber stehen für mich dabei im Mittelpunkt. Wir wollen die Verbraucher nicht sanktionieren, sondern sensibilisieren und aufklären. Mit den digitalen Techniken sind nicht nur Risiken verbunden, sondern sie eröffnen auch einen ganz anderen Zugang zu Kultur und Bildung. Deshalb ist es uns ein wichtiges Anliegen, das kulturelle Erbe zu digitalisieren. Ich möchte hier aber nicht verschweigen, dass das vor allen Dingen sehr teuer ist. Trotzdem ist es bitter, dass wir hier im Vergleich zu anderen Ländern, wie Frankreich, weit hinterherhinken. Das betrifft vor allen Dingen unser nationales Filmerbe, das nicht nur digitalisiert, sondern auch viel besser aufbewahrt werden muss. Als Kulturpolitikerin ist es mir in diesem Kontext wichtig, dass wir auch hier nach den gesellschaftlichen Veränderungen und den Werten fragen, die nicht im Rausch des technisch Machbaren untergehen dürfen. Erlauben Sie mir zum Schluss bitte noch ein Wort zu meinem Herzensanliegen, zum größten Kulturprojekt Europas; denn das entsteht in Berlins Mitte auf dem zentralen Platz der Republik: Es ist das Humboldt-Forum. Das ist schon lange kein Luftschloss mehr. Sie sehen, dass der Keller gedeckt ist und dass es auf starken Fundamenten steht. Ich traue der Stiftung auch zu, dass am Jahresende der Rohbau zu sehen sein wird. Ich möchte versuchen, anhand von zehn einfachen Punkten zu sagen, warum ich eine so leidenschaftliche Verfechterin bin. Erstens. Deutschland hat als einzige Nation der Welt die historische Chance, den zentralen Platz der Republik am Beginn des 21. Jahrhunderts neu zu definieren. Wir machen kein Parkhaus, kein Hotel und auch kein Central Park East, sondern wir laden die Kunst ein. Zweitens. In einer einzigartigen Verbindung werden die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Universität und die Bibliothek die Mitte der Hauptstadt bespielen. Drittens. Hier sollen sich vor allen Dingen die außereuropäischen Künste selbstbewusst darstellen. Viertens. Das Ganze geschieht im direkten Dialog mit unserer eigenen Kunstgeschichte, gegenüber auf der Museumsinsel. Fünftens. Es soll um die Betrachtung der großen Menschheitsthemen gehen, wie die Grenzen des Lebens, Geburt, Tod, Gott, die Bedeutung der Religion, Identität und Migration. Hier erfahren wir das, was wir alle über unser Leben wissen wollen. Sechstens. Wir alle erleben immer wieder, was es heißt, als Minderheit in einer Diaspora zu leben, zum Beispiel ich als Katholikin in Marzahn oder die Schwaben in Prenzlauer Berg. ({20}) Kosmopolitische Städte wie Berlin sind unsere Zukunft. In Museen gilt dieser Unterschied nicht; da sind alle Menschen gleich. Die Unterschiede sind kleiner als die Gemeinsamkeiten. Siebentens. Ich finde, es muss eine Vision für Berlin, die Hauptstadt, her, für Deutschland, eine der bedeutendsten Kulturnationen der Welt. Ich glaube, das kann an diesem Platz in aufregenden Kunstpräsentationen seinen Ausdruck finden. Achtens. Wir wollen die Diskussion interdisziplinär und auf hohem Niveau führen. Neuntens. Berlin ist der Sehnsuchtsort für viele junge Menschen, die Deutschland attraktiv finden. Wir laden die Jugend ein, denn dort sprechen wir eine neue, junge Sprache. Zehntens und last, but not least. Das Humboldt-Forum ist mit einer einzigartigen Idee verbunden. Es geht dabei ja nicht um ein besseres Völkerkundemuseum oder um die pragmatische Unterbringung unserer Sammlung. Es geht um neuartige Kunst- und Kulturerfahrung und um das Wissen über gleichberechtigte Weltkulturen und neue Kompetenzen im Weltverständnis. Damit das gelingt, müssen wir nicht nur das bauliche Entstehen begleiten, sondern wir müssen sehr schnell die Inhalte durch eine Intendanz profilieren, um die ich mich sehr zügig kümmern möchte. Letzter Satz. Der Name „Humboldt-Forum“ steht für die Tradition der Aufklärung, für die weltoffene und selbstbewusste Annäherung der Völker und für das Ideal eines friedlichen Dialogs. Für diese Ideen müssen wir werben. Sie sind von grundlegender Bedeutung für uns in der Gegenwart und in der Zukunft; denn Kultur ist ein Modus für das Zusammenleben. Kultur darf, ja, sie muss zuweilen Zumutung sein. Wenn sie darüber hinaus noch unterhält, umso besser. Wenn wir für all das Sorge tragen, dann bleibt sie uns, selbst wenn Mark Twains letzter Dollar ausgegeben ist. Ich danke Ihnen. ({21})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Monika Grütters. - Das Wort hat Sigrid Hupach für die Linksfraktion. ({0})

Sigrid Hupach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004309, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich komme aus Thüringen, einem Land, in dem Goethe, Schiller, Bach und das Bauhaus wirkten. Frau Staatsministerin Grütters, Sie sagen gern: Kunst und Kultur brauchen größtmögliche Freiheit, um sich entfalten zu können. - Da kann ich Ihnen nur zustimmen. ({0}) Die entscheidenden Fragen für mich sind aber: Was bedeutet das für die Kulturpolitik, für Kulturfinanzierung und -förderung? Wie viel Marktfreiheit braucht Kultur, und wie viel Staat und Regulierung verträgt sie? Damit sich Kunst und Kultur entfalten können, brauchen Künstlerinnen und Kreative Rahmenbedingungen, die ihnen Freiräume verschaffen. Aber sie brauchen auch Rahmenbedingungen, die ihnen eine soziale Absicherung garantieren. ({1}) Dazu gehört die Künstlersozialkasse genauso wie steuerliche Vergünstigungen. Viel zu viele Kulturschaffende und Kreative sind nicht nur keine Schwerverdiener, sondern sie leben und arbeiten in prekären Verhältnissen. Als freischaffende Architektin weiß ich, wovon ich rede. Welche Gefahren in einer rein marktorientierten Wahrnehmung von Kultur liegen, zeigen aktuell die Auseinandersetzungen um das Freihandelsabkommen der EU mit den USA. Es war allein Frankreich, welches sich in den Verhandlungen zum Mandatstext für eine kulturelle Ausnahme starkgemacht hat. Deutschland unterstützte es nicht. Aber ein Freihandelsabkommen ohne kulturelle Ausnahme bedroht Errungenschaften wie die Buchpreisbindung, den reduzierten Mehrwertsteuersatz oder die Filmförderung; das sind Mittel der Kulturförderung, deren Wegfall Kultur und Künstlerinnen existenziell gefährden würden. Da machen wir nicht mit. ({2}) Im Koalitionsvertrag bekennt sich die Bundesregierung zu dem besonderen Schutzbedürfnis von Kultur und Medien. Dieses müsse bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen durch Ausnahmeregelungen berücksichtigt und gesichert werden. Wir erwarten, dass dem nun Taten folgen. ({3}) Statt Geheimverhandlungen brauchen wir Transparenz und eine Staatsministerin, die sich für die kulturelle Ausnahme einsetzt. Die Linke hat im Wahlkampf ein Bundeskulturministerium gefordert. Als Ministerin mit Kabinettsrang hätte Frau Grütters in dieser Debatte jetzt auf der europäischen Ebene einen viel besseren Stand. Dies ist aber nicht die einzige vertane Chance im Koalitionsvertrag. Seit Jahren fordert die Linke ein Kooperationsgebot für Bildung und Kultur. Zwar bekennt sich die Bundesregierung zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern, aber hierfür fehlen entscheidende Voraussetzungen. Wie will die Koalition ohne ein Staatsziel Kultur, eine Gemeinschaftsaufgabe, ein Kooperationsgebot und eine Verbesserung der Finanzsituation der Länder und Kommunen die Probleme anpacken? Herr Bundestagspräsident Lammert sagte kürzlich in einer Rede, mit Klauen und Zähnen müssten die Deutschen die traditionell gewachsene reiche Kunst- und Kulturlandschaft verteidigen. Da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Lammert. ({4}) Der Koalitionsvertrag aber gleicht in seinen allgemeinen Formulierungen eher einem zahnlosen Tiger. Danke. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, liebe Kollegin. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede und wünsche Ihnen viel Erfolg in Ihrer neuen Funktion. ({0}) Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Högl für die SPD. ({1})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Koalitionsvertrag wie auch die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin und diese Debatte, die wir schon eine ganze Zeit führen, zeigen eines ganz deutlich: Wir haben vier Jahre engagierter Politik vor uns. Darauf freue ich mich richtig doll. Diese Große Koalition wird viele sehr konkrete Verbesserungen für viele Menschen in Deutschland, in Europa und darüber hinaus bringen. Wir wissen - das gehört zur Wahrheit dazu; das muss ich erwähnen -, dass viele Themen vier Jahre lang liegen geblieben sind. Wir mit dieser Koalition beenden jetzt Stillstand und Blockade. Wir verlieren keine Zeit mit unsinnigem Streit über Kleinigkeiten, sondern wir haben das Wesentliche im Blick. ({0}) Wir werden die große Mehrheit in diesem Hause dafür nutzen, zu gestalten. Wir fangen direkt damit an. Wir legen tatkräftig los. Lieber Herr Hofreiter - er ist nicht mehr anwesend, aber er verfolgt bestimmt die Debatte -, wir haben sowohl Mut als auch Ideen, um genau das zu tun, was wir uns vorgenommen haben, nämlich zu gestalten. ({1}) Unser Koalitionsvertrag ist voller guter Ideen, und zwar mit konkreten Vorschlägen und klaren Vereinbarungen. Es gibt nicht nur Absichtserklärungen und Prüfaufträge, sondern konkrete Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger, und wir leisten mit diesem Beitrag auch ganz konkret etwas Entscheidendes für die Modernisierung unserer Gesellschaft. Meine Damen und Herren, damit spreche ich ein paar Themen an, die zwar nicht in den Kulturteil dieser Aussprache gehören, aber viel mit der Kultur unseres Zusammenlebens zu tun haben. Die Reihenfolge der Reden ist immer etwas unterschiedlich. Zur Kultur wird gleich mein Kollege Martin Dörmann noch ausführlich Stellung nehmen. Es gibt ein paar andere Themen, die viel mit unserem Zusammenleben zu tun haben und dem Motto folgen, das wir, wie gesagt, in den nächsten vier Jahren verwirklichen wollen: einerseits Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger und andererseits die Modernisierung unserer Gesellschaft. Als allererstes Beispiel nenne ich ein Thema, das nicht nur in Berlin, sondern weit darüber hinaus ganz wichtig ist und das wir gleich am Anfang angehen werden: Wir werden die Stellung der Mieterinnen und Mieter verbessern. Das ist dringend erforderlich. ({2}) Wir werden eine klar definierte Obergrenze für Mietsteigerungen bei der Wiedervermietung von Wohnungen einführen. Wir werden damit direkt zu Beginn der Legislaturperiode ein Wahlversprechen umsetzen. Wir helfen damit vielen Menschen in den Ballungszentren und Großstädten, eine bezahlbare Wohnung zu finden und in ihren angestammten Kiezen wohnen bleiben zu können. ({3}) Das verhindert die massenweise Verdrängung an die Stadtränder, und es hilft vor allen Dingen den Kommunen und den Bundesländern. Sie werden mitspielen, liebe Frau Wawzyniak, eine zielgerichtete Wohnraumpolitik zu machen. Wir werden das Ganze flankieren - ich bin sehr stolz darauf, dass wir das im Koalitionsvertrag vereinbart haben - mit einer Aufstockung der Mittel für das Programm „Soziale Stadt“. Damit können wir eine klar akzentuierte Politik für viele Bürgerinnen und Bürger machen. ({4}) Ich spreche noch ein Thema an, das heute schon oft angesprochen wurde, und zwar zu Recht, weil es so wichtig ist. Wir werden im Staatsbürgerschaftsrecht die Optionspflicht abschaffen. Damit werden wir für viele Menschen in unserem Land konkrete Verbesserungen erreichen, nämlich für all diejenigen, die sich bisher mit 23 Jahren für einen von zwei Pässen entscheiden mussten. Wir sagen Ja zu jungen Menschen mit türkischer Familiengeschichte, die hier geboren sind. Denn wir wissen: Deutschland ist ihr Heimatland - Thomas Oppermann hat zum Thema Heimat etwas sehr Wichtiges gesagt -, und gleichzeitig sind diese Menschen in der Kultur ihrer Vorfahren verwurzelt. Deswegen ist es sehr wichtig, dass eine unserer ersten Maßnahmen dazu dient, sie nicht mehr vor eine quälende Entscheidung zu stellen, sondern ihnen beide Perspektiven zu eröffnen, also beide Pässe behalten zu dürfen. ({5}) Damit sagen wir auch ganz klar Ja zu Deutschland als Einwanderungsgesellschaft. Das ist unser Beitrag zu einer Modernisierung unserer Gesellschaft. Ich möchte noch ein drittes Thema ansprechen. Auch hier beenden wir Stillstand und vor allen Dingen einen jahrelangen ideologisch völlig überhöhten Streit, nämlich den Streit um die Frauenquote. Es ist ein großer Erfolg der SPD - das sage ich so deutlich; denn auf Ihrer Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, gab es viele, die das nicht wollten -, dass wir endlich eine Frauenquote in Aufsichtsräten einführen. Ich habe mich heute über die deutlichen Worte der Bundeskanzlerin hierzu sehr gefreut. ({6}) Das ist nicht nur ein Schritt zur Beseitigung bestehender Diskriminierung von Frauen - wir haben hier im Bundestag einen Handlungsauftrag -, sondern wir helfen vor allen Dingen - das ist mir besonders wichtig - all den exzellent ausgebildeten und hervorragend qualifizierten Frauen, die wir in Deutschland haben, endlich auf die Plätze zu kommen, die ihnen immer vorenthalten wurden: in Vorständen, in Aufsichtsräten und im mittleren und höheren Management. Wir machen Schluss mit der gläsernen Decke. Auch das ist ein ganz wichtiger Beitrag zur Unterstützung von Frauen, aber auch zur Modernisierung unserer Gesellschaft. ({7}) Lassen Sie mich noch etwas zu einem Thema sagen, bei dem es mich ganz besonders geärgert hat, dass die letzte Bundesregierung und die sie tragende Koalition hier vier wertvolle Jahre verschenkt haben. Das ist das Thema Menschenhandel. In unserem Land leben Menschen, die Opfer von Zwangsprostitution werden und deren Arbeitskraft widerlich ausgebeutet wird; das ist ein ganz wichtiges Thema. Diese Menschen brauchen unseren Schutz und unsere Hilfe. Hier besteht Handlungsbedarf, und zwar nicht nur weil es eine gute EU-Richtlinie gibt, sondern weil wir diese Menschen schützen und ihnen helfen müssen. Wir wollen die Opfer besser schüt594 zen und die Täter wirksam bestrafen. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, das Thema Menschenhandel engagiert anzugehen und endlich zu konkreten Vorschlägen zu kommen. Ich möchte eine Ergänzung machen, weil das in diesem Kontext immer erwähnt wird: Diese Koalition hat sich ganz klar dazu bekannt, Prostitution - im Gegensatz zu Frankreich nicht zu verbieten. Wir werden die Stellung von Prostituierten stärken, ihre Beschäftigungsbedingungen verbessern und ganz sorgfältig trennen zwischen Menschenhandel, der bekämpft werden muss, und legaler Prostitution. ({8}) Zum Schluss möchte ich ein Thema ansprechen, bei dem nicht die Regierung gefragt ist, sondern wir hier im Deutschen Bundestag. Es geht hier nicht darum, unsere Positionen entlang der Fraktionsgrenzen bzw. nach Mehrheiten festzulegen. Vielmehr versuchen wir, eine gute Debatte in Gang zu bringen, um dann hoffentlich ein hervorragendes Ergebnis bei einem ganz schwierigen Thema zu erzielen - das ist unsere Aufgabe in dieser Legislaturperiode -, nämlich dem Thema Sterbehilfe. Wir werden diese Debatte mit Sorgfalt, ausreichender Zeit und Sensibilität führen. Wir werden hoffentlich eine kluge und sehr wertschätzende Debatte führen. Auch diese Debatte führen wir anders als in der letzten Legislaturperiode, in der ein Gesetz vorgelegt, dann aber doch nicht verabschiedet wurde, weil gar nicht genügend Zeit zur Beratung war. Das Anliegen der Koalition, soweit wir uns bisher vereinbart haben, ist vielmehr, einen intensiven und ausführlichen Diskussionsprozess nicht nur hier im Parlament - ich lade alle ein, mitzumachen -, sondern in der gesamten Gesellschaft zu initiieren. Es geht bei dem Thema Sterbehilfe sowohl um den Umgang mit unheilbaren und sehr schweren Erkrankungen, mit dem Ende des Lebens, um Fragen der Selbstbestimmung, als auch um die Würde des Menschen, und es geht natürlich auch um Nächstenliebe und unser Menschenbild. Es geht nicht darum, die Bundesregierung aufzufordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, und es geht auch nicht darum, die Debatte auf einzelne Begriffe im Zusammenhang mit Sterbehilfe zu reduzieren, sondern es geht um viel mehr, um unser Verständnis von Beistand und Unterstützung und letztendlich um Sterbebegleitung. Deswegen begrüße ich, dass wir uns hier im Parlament bereits auf zwei Dinge verständigt haben: erstens, dass wir diese Debatte sorgfältig führen, dass wir uns Zeit für diese Debatte nehmen, und zweitens - da sind wir jetzt alle gefordert -, dass wir das zu einer Gewissensentscheidung machen. ({9}) Wir sortieren uns nicht entlang der Fraktionsgrenzen, sondern entlang unserer individuellen Auffassungen. Ich habe das Thema extra hier in dieser Generaldebatte angesprochen, weil es - Sie merken das -, ein wichtiges Thema ist, weil ich mich mit vielen Kolleginnen und Kollegen engagieren möchte und weil ich Sie alle einladen möchte - da spreche ich insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der Opposition an -, mit uns gemeinsam diesen Prozess zu gestalten, zu guten Debatten im Bundestag zu kommen und dann eine gute Regelung für dieses schwierige Thema zu finden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Eva Högl. - Ich gebe das Wort an Ulle Schauws für Bündnis 90/Die Grünen.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kultur ist keine Subvention, sondern eine Investition in unsere Zukunft. Diese Aussage findet sich in Ihrem Koalitionsvertrag, und sie ist absolut zutreffend; aber sie geht nicht weit genug. Kultur ist mehr als ein Wirtschaftsgut, Kultur ist notwendiger Teil der Daseinsvorsorge. ({0}) Der kulturelle Reichtum allein in unserem Land sollte uns wirklich beglücken. Er fordert uns auf, alle Möglichkeiten zu nutzen, jede Art von Kunst und Kultur und alle Talente zu fördern. Gerade deshalb engen Förderregeln wie das Kooperationsverbot in der Kulturförderung oder konventionelle Definitionen von Kultur, wie sie sich im Koalitionsvertrag andeuten, das, was kreative Vielfalt ausmacht, ein. ({1}) Was wir brauchen, ist der Wille, Kultur für alle erlebbar zu machen. Dazu gehört der Mut, finanzielle Mittel auch vielen kleinen Initiativen in aller Bandbreite zur Verfügung zu stellen. ({2}) Aber ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Welche Zukunftsperspektive bietet die Bundesregierung denjenigen Menschen in unserem Land, die Kultur gestalten? Im Koalitionsvertrag lassen Sie diese dringende Frage leider offen. Sie begnügen sich mit der vagen Aussage, man müsse zuerst einmal die „Lücken in der sozialen Absicherung von Künstlern … identifizieren …“ Das ist entschieden zu wenig; ({3}) denn die soziale Lage der Kulturschaffenden ist längst bekannt. Sie leben mehrheitlich in prekären Verhältnissen. Sozialversicherungspflichtige werden in die Scheinselbstständigkeit gedrängt, verdienen durchschnittlich unter 1 000 Euro monatlich. Darunter sind vor allem viele Frauen. Im Schnitt liegt der Rentenanspruch bei 420 Euro. Angesichts eines wachsenden Marktes der Kulturund Kreativwirtschaft um jährlich gut 3 Prozent frage ich mich, warum von dieser Wachstumsdividende nichts bei den Kulturschaffenden selbst ankommt. Während meiner Zeit als Filmschaffende war diese Frage für mich existenziell. Daher sage ich: Mir fehlt Ihr klares Bekenntnis zu sozialen Mindeststandards. ({4}) Mir fehlen Ihre Lösungsvorschläge für die vorprogrammierte Altersarmut vieler Kreativer. Gerade deshalb wären weitere Einschränkungen beim Zugang zur Künstlersozialkasse absolut kontraproduktiv. ({5}) Wir Grüne wollen seit langem die circa 1 Million Kulturschaffenden - das sind deutlich mehr Beschäftigte als etwa in der gesamten Automobilindustrie; ich habe da andere Zahlen, Frau Staatsministerin; es handelt sich hierbei um knapp 0,75 Millionen Beschäftigte - fest in das soziale Netz und in die Sozialversicherungssysteme einbinden. Das heißt, wir wollen auch Mindestlöhne und Honoraruntergrenzen im Kulturbereich verankern und selbstverständlich auch Frauen im Kulturbetrieb gleichstellen. Außerdem wollen wir ein deutlich verbessertes Urhebervertragsrecht; denn die Profite müssen stärker bei den Urheberinnen und Urhebern selbst ankommen und dürfen nicht nur bei den Verlagen und Providern hängen bleiben. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf 2014, dem europäischen Erinnerungsjahr mit zahlreichen Jahrestagen, wird es um die Frage gehen, wie wir angemessen gedenken. Hier warten wir immer noch auf Ihre konkreten Vorschläge. In diesem Kontext ist aber auch die aktuelle Debatte um die Beute- und Raubkunst von Bedeutung. Wir Grüne stehen hier für eine rückhaltlose und koordinierte Aufklärung, und das nicht nur im Falle Gurlitt. ({7}) Bundeskulturpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf sich auch nicht auf die Förderung prestigelastiger Schaufenster- und Großprojekte in Berlin, wie zum Beispiel des Stadtschlosses oder einer Staatsoper, deren Umbaukosten gerade explodieren, konzentrieren. ({8}) Ein Blick in die Provinz täte ganz gut. Wenn wir der Vielfalt der Kultur von morgen eine Chance geben wollen, brauchen wir jetzt politische Weitsicht, nachvollziehbare und sozial gerechte Förderkriterien und mehr Transparenz. Da setzen wir ganz besonders auch auf Sie, Frau Staatsministerin; denn Sie haben in den vielen Jahren als Vorsitzende des Kulturausschusses auch mit meiner Fraktion sehr gut und kooperativ zusammengearbeitet. Wenn es Ihnen um eine Kulturpolitik für alle Bürgerinnen und Bürger und eine starke kulturelle Infrastruktur und Bildung in diesem Land geht, dann stehen wir gerne zur Verfügung. ({9}) Kultur ist nämlich keine Subvention, sondern eine Investition in unsere Zukunft und Daseinsvorsorge für alle. Lassen Sie uns diesen Grundsatz gemeinsam umsetzen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Vielen Dank. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, liebe Kollegin Ulle Schauws. - Auch Ihnen gratuliert das ganze Haus zu Ihrer ersten Rede im Bundestag. ({0}) Wir wünschen Ihnen alles Gute als Abgeordnete mit dem Arbeitsschwerpunkt Kultur. Als Nächster hat das Wort Michael Kretschmer für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben in einer einzigartigen Zeit von Chancen und Möglichkeiten. Die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin und die Diskussion darüber haben gezeigt, wie stark unser Land im internationalen Wettbewerb dasteht und wie gut deswegen auch die Chancen für Kunst- und Kulturförderung in unserem Land sind. Für CDU, CSU und SPD ist klar, dass die Freiheit von Kunst und Kultur ein unumstößliches Prinzip ist, wobei für uns Kunst und Kultur und die Freiheit dazu immer auch die Freiheit des Andersdenkenden ist, also dessen, der eine andere Meinung hat. Das zu verteidigen und Freiräume für künstlerische Tätigkeit zu garantieren, das ist das Prinzip der Bundesrepublik Deutschland, das in den vergangenen Jahren, seitdem es einen Kulturstaatsminister gibt, immer Arbeitsauftrag und Verpflichtung war. Die Koalitionsverhandlungen über den Bereich Kultur haben in einer beeindruckenden Harmonie stattgefunden, getragen von dem Willen, gemeinsam etwas für die Kunst und die Kultur, für die Künstlerinnen und Künstler in unserem Land zu erreichen. Ich denke, das Ergebnis dieses Koalitionsvertrages kann sich sehen lassen, gerade im Bereich der Kulturpolitik. Wichtig ist uns, dass die Künstlersozialversicherung auch in Zukunft eine Sonderstellung für die Kulturschaffenden in Deutschland hat. Sie soll soziale Sicherheit schaffen. Die besonderen Herausforderungen, vor denen die Künstlerinnen und Künstler stehen, müssen eben auch in der Ausgestaltung der Künstlersozialversicherung ihren Niederschlag finden. Dazu ist es notwendig, dass die Abgabepflicht und die Prüftätigkeit wirklich geregelt werden. Das muss in den nächsten Wochen und Monaten dringend auf den Weg gebracht werden. ({0}) Meine Damen und Herren, für uns ist klar, dass bei dem Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA keine Zugeständnisse im Bereich kultureller und audiovisueller Dienstleistungen gemacht werden können. Hier ist der Kern unserer kulturellen Identität getroffen. Hier können wir keine Kompromisse machen. ({1}) Bernd Neumann hat die beeindruckende Bilanz der verschiedenen Staatsministerinnen und -minister für Kultur zu einer Größe gebracht, wie viele sie nicht für möglich gehalten haben. Als das Amt eingeführt wurde, haben die Länder parteiunabhängig geschimpft und Bedenken vorgebracht. Kritisiert, dass der Bund sich in diesem Bereich engagiert. Heute ist man froh darüber, dass der Bund sich in der Kultur so stark engagiert und dass Monika Grütters unsere neue Kulturstaatsministerin ist, meine Damen und Herren. ({2}) Wir wollen den Haushalt von 1,2 Milliarden Euro auch in Zukunft stetig anwachsen lassen. Wir wollen die identitätsstiftende Kraft von Kunst und Kultur gerade in einer Zeit mit hoher Migration nach Deutschland fördern. Wir haben heute auch dazu etwas gehört. Viele Menschen werden zu uns kommen. Der Begriff „Heimat“ ist gefallen und positiv besetzt worden, auch von unseren Freunden von der Sozialdemokratie. Wir wollen also gerade in diesen Zeiten Kunst und Kultur als identitätsstiftende Kraft fördern. Deswegen werden wir in diesen Bereich weiter investieren. Für uns ist wichtig, dass die kulturelle Bildung gestärkt wird. Das geht nur in Zusammenarbeit mit den Kulturverbänden, in einer großen Harmonie mit den Ländern und mit den Kommunen. Aber es ist wichtig, zu begreifen, dass Bildung mehr ist als nur Mathematik und Geschichte; es geht darum, Persönlichkeitsentwicklung zu betreiben, soziale Kompetenzen aufzubauen, gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Dazu müssen wir stärker als bisher in die kulturelle Bildung investieren. ({3}) Meine Damen und Herren, die beeindruckende Feierstunde am Montag dieser Woche mit unserem Gast aus Russland hat vielen von uns und auch mir gezeigt, wie schnell man in der Deutung von Geschichte auf Abwege geführt werden kann. Ich gebe zu, dass für mich aufgrund der Prägung durch die DDR-Bildung die Belagerung von Leningrad als großer Kampf in Erinnerung geblieben ist, bei dem großer Widerstand geleistet wurde. Wie die Schattenseiten aussahen, wie die neutrale, unabhängige Bewertung ist, wie wir sie hier gehört haben, das hatte sich mir über lange Zeit nicht eingeprägt. Deswegen müssen wir, was die Erinnerung und die Aufarbeitung der Geschichte unseres Landes und der europäischen Geschichte angeht, weiter investieren. Wir dürfen nicht nachlassen. Wir müssen dafür sorgen, dass Gedenktage wie der 25. Jahrestag des Mauerfalls oder im kommenden Jahr der 25. Jahrestag der Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht in Vergessenheit geraten, und dafür, dass die Täter von damals nicht die Geschichtslehrer von heute werden. Deswegen müssen wir diese Daten bewusst besetzen und sie zum Anlass nehmen, breite Diskussionen anzustoßen. ({4}) Das gilt für auch die anderen Jahrestage, für den 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, für den Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, und für die positiven Gedenktage unserer Geschichte, beispielsweise das Reformationsjubiläum. Meine Damen und Herren, eine große Herausforderung in den kommenden Jahren ist die Digitalisierung gerade auch im Kulturbereich. Wir haben hier große Erfolge vorzuweisen. Wir haben eine Digitalisierungsoffensive gestartet, die fortgeführt werden muss. Die Deutsche Digitale Bibliothek zielt schon heute auf 30 000 Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen ab, die sich hier vernetzen sollen. Es ist klar, dass in Zukunft nur das, was digital verfügbar ist, aufgefunden werden kann. Deswegen muss hier investiert werden. Das gilt auch und gerade bei der Digitalisierung unseres Filmerbes und der digitalen Nutzung verwaister und vergriffener Werke. Hier haben wir in den vergangenen Jahren viel bewegt, und hier werden wir in den nächsten Jahren noch viel mehr bewegen. ({5}) Der fortschreitende demografische Wandel stellt so manche Region in Deutschland vor die Frage, wie es mit dem Angebot von Kultureinrichtungen und kulturellen Initiativen weitergehen kann. Deswegen bin ich froh darüber, dass wir uns in unserem Koalitionsvertrag verständigt haben, hier neue Akzente zu setzen. Wir wollen im demografischen Wandel mit neuen Kooperationsmodellen auf kommunaler Ebene lebendige Kulturräume erhalten. Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Ansatz ist. Meine Damen und Herren, Kulturpolitik hat in den vergangenen Jahren in diesem Parlament immer eine große Rolle gespielt. Wir haben hierfür Ressourcen bereitgestellt, während in anderen Politikbereichen gekürzt wurde. Das ist richtig. Das muss auch weiter so gehen. Das ist der Wille von CDU/CSU und SPD. Herzlichen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege. Eigentlich hätten Sie noch ein bisschen weiterreden können. ({0}) - Nein, man muss nicht, aber man darf, Herr Strobl. Also, vielen Dank, Herr Kollege. Das passiert ja nicht so oft. ({1}) Der letzte Redner in der Aussprache zur Regierungserklärung ist Martin Dörmann für die SPD. ({2})

Martin Dörmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003517, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich übernehme gerne die zwei Minuten des koalitionären Kollegen, ({0}) ich hoffe aber, dass ich auch so auskomme. Lassen Sie mich zu den verabredeten Projekten der Großen Koalition im Bereich Kultur und Medien mit einigen außerparlamentarischen Stimmen beginnen. So sagt die ARD-Kulturkorrespondentin Maria Ossowski: Noch nie hat es eine so ausführliche und detailreiche kulturpolitische Festschreibung irgendwann in einem Koalitionsvertrag gegeben. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, DJV, Michael Konken, bewertet den Koalitionsvertrag als „in einigen Punkten interessant für die Anliegen der Journalistinnen und Journalisten“. Und der stets aufmerksam-kritische Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, meint: „Es ist wirklich ein guter Koalitionsvertrag für die Kultur.“ - Genau so ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich freue mich, dass auch außen wahrgenommen wird, dass wir uns viel vorgenommen haben. Der Koalitionsvertrag beschreibt für den Bereich Kultur und Medien ein kooperatives Grundverständnis im Zusammenwirken von Bund und Ländern, selbstverständlich unter Wahrung der primären Kompetenzen auf der Länderebene. Mit der Schaffung des Amtes des Beauftragten für Kultur und Medien unter Rot-Grün ist eine Kultur- und Medienpolitik des Bundes entstanden, die die Aktivitäten der Länder unterstützt, gleichzeitig aber auch eigene Akzente setzt. Eine starke Kultur- und Medienpolitik des Bundes wirkt sich so verstanden eben auch positiv und befruchtend auf die Länder aus. Es war kein Zufall, dass die Länder bei den jüngsten Koalitionsverhandlungen in besonderer Weise beteiligt waren. Die Große Koalition hat konkrete Vorhaben vereinbart, die wir nun schnellstmöglich anpacken wollen. Zu den drängendsten Themen gehören aus meiner Sicht insbesondere vier Punkte: Erstens die bereits erwähnte Absicherung der Künstlersozialversicherung. ({1}) Schwarz-Gelb hat in der letzten Legislaturperiode nicht vermocht, die notwendigen Regelungen zu treffen, um alle Unternehmen regelmäßig und gleichmäßig zu überprüfen, damit sie ihrer gesetzlichen Pflicht zur Zahlung der Künstlersozialabgabe auch wirklich nachkommen. So gerät das wichtige Sicherungssystem der Künstlersozialkasse zunehmend unter Druck; der Abgabesatz steigt. Sehr zügig wollen wir dies nun angehen und eine Lösung erreichen. Ich bin sehr froh, dass unsere Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles angekündigt hat, gerade auch diesen Punkt in ihre Vorhabenplanung für dieses Jahr mit aufzunehmen. Das ist ihr ein Herzensanliegen. Wir sehen ja schon am Rentenpaket, wie schnell sie gearbeitet hat. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir da auch in diesem Jahr zu einer gesetzlichen Lösung kommen werden. Ich will auch daran erinnern, dass es damals der SPDFraktionskollege Dieter Lattmann gewesen ist, der am Ende der sozialliberalen Koalition das Ganze auf den Weg gebracht hat. ({2}) Zweiter Punkt ist die einzusetzende Expertenkommission zur Zukunft der Stasiunterlagenbehörde. Auch hier sind wichtige Aufgaben noch unerledigt. Wir erinnern uns: Am 15. Januar 1990, also vor gut 24 Jahren, erstürmten mutige Bürgerinnen und Bürger der damaligen DDR die verhasste Stasizentrale in Berlin-Lichtenberg und stellten kilometerweise Akten sicher, die unter menschenunwürdigen Umständen entstanden sind. Das war ein bis heute einzigartiger Vorgang, der zeigt, wie entschlossen die Menschen waren, ihr Schicksal nun selbst in die Hand zu nehmen. Die Stasiunterlagenbehörde mit der Aufgabe, Zugang zu diesen Akten zu gewähren, war nie auf Dauer angelegt. Damit die Aufarbeitung dieses Kapitels deutscher Geschichte eine Zukunft hat, muss nun geklärt werden, wie und in welcher Form die Aufgaben der Behörde fortgeführt werden können. Dritter Punkt: eine konsequente Provenienzforschung und gegebenenfalls Restitution, also Rückgabe geraubter Kulturgüter. Der Fund von 1 280 Kunstwerken von teilweise ungeklärter Herkunft im Privatbesitz von Cornelius Gurlitt hat dieses Thema auf die Tagesordnung der Politik gesetzt und offenbart, dass wir vor einem weitgehend noch unbewältigten Kapitel deutscher Geschichte stehen. Wir müssen die Entrechtung von Eigentümern von Kunstwerken in der Nazizeit zwingend aufklären und zügiger diskutieren, als wir dies bisher getan haben. Dazu bedarf es - Frau Staatsministerin Monika Grütters hat es bereits erwähnt - einer verstärkten Provenienzforschung. Wir müssen uns aber auch überlegen, ob rechtliche Anpassungen gegebenenfalls notwendig sind. ({3}) Der vierte und letzte Punkt, den ich erwähnen möchte, betrifft die Reform der Medienordnung. Die Digitalisierung und das Internet führen gerade im Bereich der Medien zu großen Umbrüchen. Die Koalition wird die Bemühungen der Länder um eine der Medienkonvergenz angemessene Medienordnung tatkräftig unterstützen. Dazu haben wir uns im Koalitionsvertrag verpflichtet. Wie Sie wissen, soll hierzu eine zeitlich befristete Bund-Länder-Kommission eingesetzt werden. Sie soll klären, ob es an den Schnittstellen zwischen Medienaufsicht, Telekommunikationsrecht und Wettbewerbsrecht mit unterschiedlichen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern zu Anpassungen kommen sollte, die dann auch den Bundesgesetzgeber betreffen könnten. Messlatte für die SPD-Fraktion wird dabei die Frage sein, wie wir auch in einer veränderten Medienwelt die Freiheit, Unabhängigkeit und Vielfalt der Medien bewahren und stärken können. In diesem Zusammenhang will ich Folgendes ergänzen: Frau Staatsministerin Grütters hat in ihren ersten Interviews begrüßenswerterweise darauf hingewiesen, dass wir uns innerhalb der Koalition darauf verständigt haben, beispielsweise auch auf EU-Ebene dafür zu sorgen, dass die Möglichkeit besteht, Bücher und Zeitungen mit Blick auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz sowohl im Online- als auch im Offline-Bereich gleich zu behandeln. Ich glaube, das wäre ein wichtiger Schritt, der dafür sorgt, dass die Medien im Internet am Ende Qualitätsjournalismus finanzieren können. Dazu sollten wir einen Beitrag leisten. ({4}) Eine Baustelle bleibt uns zum Glück erspart. Das Bundesverfassungsgericht hat gestern die Rechtmäßigkeit der Filmförderung durch das Filmfördergesetz bestätigt. Das Urteil ist zugleich ein klares Bekenntnis für eine kulturelle Filmförderung. Das ist ein großer Erfolg. ({5}) Ich will in diesem Zusammenhang noch auf einen Punkt hinweisen: Film ist nach unserem Grundverständnis zwar auch ein Wirtschaftsgut, aber in erster Linie ein kulturelles Gut. Es geht um die Förderung kultureller Werte, und zwar über das hinaus, was die bloße Logik des Marktes ausmacht. Gleiches muss für das Freihandelsabkommen gelten - das ist bereits von dem Kollegen Kretschmer erwähnt worden -: Wir werden dafür sorgen, dass dort die Ausnahmen für die Bereiche Kultur und audiovisuelle Dienste wirklich zum Tragen kommen. Das ist ein ganz zentraler Punkt für uns. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der erste Kulturstaatsminister im Amt, Michael Naumann, hat einmal treffend formuliert: Kultur ist die schönste Form der Freiheit. - Ich will hinzufügen: Freie, unabhängige und vielfältige Medien sind eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Daher ist es wichtig, Kultur und Medien zu stärken, damit wir auch die Freiheit und die Demokratie stärken. Ich freue mich, dass wir heute in dieser Debatte sehr viele Gemeinsamkeiten auch über Fraktionsgrenzen hinweg erkennen konnten. Deshalb freue ich mich in besonderer Weise auf unsere gemeinsame Zusammenarbeit in dieser Legislaturperiode. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit kommen wir zum nächsten Punkt: Außen, Europa und Menschenrechte. Die Debatte wird eröffnet von unserem Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Danke, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nun wahrhaftig keine Selbstverständlichkeit, dass ich nach acht Jahren wieder an diesem Pult stehe und die Chance habe, einen neuen Blick auf die deutsche Außenpolitik und die internationalen Beziehungen zu werfen. Ich versichere Ihnen, dass es für mich nicht einfach eine Wiederholungstat ist, wenn ich Ihnen hier als Außenminister zum zweiten Male innerhalb von wenigen Jahren gegenübertrete. Das liegt auf der Hand; denn zwar ist das Büro, das ich inzwischen im Auswärtigen Amt bezogen habe, dasselbe - völlig unverändert wie das, welches ich vor vier Jahren verlassen habe; aber der Zustand der Welt, über den zu reden ist, hat sich innerhalb dieser letzten vier Jahre gravierend verändert. Krisen und Konflikte sind in dieser Zeit spürbar näher an uns herangerückt. Das alles hat mit uns zu tun: dass die Folgen sowohl außenpolitischen Tuns als auch außenpolitischen Unterlassens uns hier in Deutschland immer irgendwie berühren. Deshalb seien Sie versichert, meine Damen und Herren: Ich weiß, was auf mich zukommt; aber ich freue mich darauf und bitte um Ihre Unterstützung. Gerade weil ich um die eine oder andere Meinungsverschiedenheit in diesem Hohen Hause, insbesondere wenn wir über Mandate reden, weiß, biete ich Ihnen ausdrücklich offene und faire Zusammenarbeit an. Das hat heute Morgen im Ausschuss ganz gut begonnen, und ich hoffe, das setzt sich hier im Plenum fort. Herzlichen Dank schon im Voraus. ({0}) Wenn ich mich in Europa umschaue, dann stelle ich fest, dass sich dieses Europa in den letzten Jahren völlig auf sich selbst konzentriert hat. Seit vier Jahren ringen wir alle miteinander mit der europäischen Krise. Das war auch notwendig. Ich habe aber den Eindruck, dass beim Ringen um den Weg aus der europäischen Krise das ein bisschen aus dem Blick geraten ist, was sich sozusagen jenseits des europäischen Tellerrandes tut. Man muss, glaube ich, die internationale Lage gar nicht in den schwärzesten Farben zeichnen, um zu sehen: Die dramatischen Zuspitzungen, die wir in uns ganz nahen Teilen dieser Welt erleben, werden im Augenblick in der Mitte Europas, erst recht da, wo es wirtschaftlich stabil ist, unterschätzt. Ein Blick in den Mittleren Osten, in den Nahen Osten, in Teile der arabischen Welt reicht aus, um zu sehen, was bei unterstelltem schlechtem Verlauf unserer Bemühungen, die wir und andere gegenwärtig unternehmen, in kurzer Zeit zur Entladung kommen kann - möglicherweise mit Ergebnissen, die überhaupt nicht mehr beherrschbar sind, weder in der Region noch in der Nachbarschaft, auch nicht von uns. Ein Blick in die osteuropäische Nachbarschaft zeigt, dass in die Ukraine gerade eine Form von Unfriedlichkeit zurückgekehrt ist, von der wir nach fast 70 Jahren Frieden in Europa und nach Erreichen der Wiedervereinigung Europas dachten, dass dafür eigentlich gar kein Raum mehr ist, nicht in Europa und auch nicht in den Randzonen der Europäischen Union. Oder schauen wir nach Afghanistan, wo wir im Augenblick noch darum ringen, dass das Land nach dem Abzug der internationalen Streitkräfte nicht einfach wieder zurückfällt in den Status der Konflikte, die es vor 2001 und in den Jahrzehnten des Bürgerkrieges dort gab. Oder schauen wir nach Ostasien. Ich glaube, wir müssen miteinander eingestehen, dass wir - das ist überhaupt kein Vorwurf - die historische Tiefenschärfe des Konfliktes zwischen China und Japan, der sich scheinbar um ein paar Inseln dreht, überhaupt noch nicht verstanden haben, und das ausgerechnet im Falle einer Region - darum erwähne ich es hier -, in der die Staaten noch nach bei uns gar nicht mehr geltenden Kriterien von sehr schlichten geopolitischen Vorstellungen oder sehr vereinfachenden Gleichgewichtsmodellen miteinander umgehen. Das macht diesen Konflikt zu einem nicht ganz ungefährlichen Konflikt. Ich glaube, wir müssen das sehr sorgfältig im Auge behalten, selbst wenn wir von hier aus nicht unmittelbar Einfluss darauf nehmen können. Ich bin ganz sicher: Diese Debatten werden uns beschäftigen. Wir werden uns - Thomas Oppermann hat heute Morgen darauf hingewiesen - diesen Debatten gerade in einem Jahr wie diesem nicht verweigern können, in dem beim Gedenken an 1914, liebe Kolleginnen und Kollegen, an vieles erinnert wird, zum Beispiel an das Versagen von Diplomatie, an das Ausbleiben von Außenpolitik - auch davon waren die sechs Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges gekennzeichnet ({1}) oder an das wachsende Maß der Entfremdung oder der Sprachlosigkeit zwischen den Staaten. Die Folgen dessen zeichnen sich im Kriegsbeginn 1914 ab. Aber all das hat - ohne dass ich vordergründige Parallelen ziehen oder gar Gleichsetzungen machen will - Bezüge zu heute, liebe Kolleginnen und Kollegen. Mit Blick auf Millionen von Menschen, die heute Opfer von Kriegen und Bürgerkriegen sind oder darunter leiden, mit Blick auf die Millionen, die durch diese Auseinandersetzungen vielleicht zu einer Flucht ins Ausland gezwungen werden, sage ich Ihnen vorneweg meine ganz persönliche Meinung: Ich finde es nicht nur unerträglich, sondern sogar ein bisschen zynisch, was man in den letzten Jahren immer wieder - viel zu häufig, wie ich finde - über den Bedeutungsverlust - das wäre ja noch gegangen - oder gar die Bedeutungslosigkeit der Außenpolitik in diesen Zeiten lesen konnte. Demnach sei es geradezu unanständig, das Amt des Außenministers anzutreten, weil das ja alles nichts mehr wert sei. Mit Blick auf eine Welt - ich habe sie eben nur mit einigen Strichen gezeichnet -, die zahlreiche Aufgaben für uns vorhält, finde ich das ziemlich unerträglich. Ich gebe zu: Ja, Außenpolitik folgt nicht unbedingt dem Rhythmus von Onlinemeldungen; das ist wahr. Der Iran-Konflikt zum Beispiel ist ein Konflikt, der uns seit mehr als 30 Jahren beschäftigt. Zehn Jahre lang haben wir verhandelt, und es hat zehn Jahre gedauert, bis zum ersten Mal eine Perspektive für eine Entschärfung des Konfliktes - noch nicht für eine Lösung - sichtbar geworden ist. Ich glaube, das muss man sich vor Augen führen: Gäbe es keine aktive Außenpolitik, auch nicht jene, die sich sozusagen im Zustand der Aussichtslosigkeit immer wieder um kleinste Fortschritte bemüht, dann würden solche Konflikte eben eskalieren. Es gibt diesen alten Satz, der wie verstaubt klingt, einen Satz aus dem vergangenen Jahrhundert: Solange verhandelt wird, wird nicht geschossen. ({2}) Der Satz ist nicht verstaubt. Denn der Iran-Konflikt hat uns gezeigt: Solange verhandelt wurde, wurde nicht geschossen. Aber das Entscheidende ist: Auch die Tür zu einer politischen Lösung wurde mit solchen langandauernden Bemühungen offengehalten. Deshalb, meine Damen und Herren, plädiere ich so sehr für einen hohen Stellenwert der Außenpolitik und für eine aktive Außenpolitik. ({3}) Wenn ich - das hören Sie heute nicht zum ersten Mal von mir - für Zurückhaltung und gegen vorschnelle Entscheidungen in Bezug auf einen Einsatz von Militär bin, hat das gleichwohl seinen Grund nicht darin, dass ich meinen würde - da würden Sie mich missverstehen -, Abwarten wäre die richtige Reaktion. Ich sage eher etwas anderes: So richtig die Politik der militärischen Zurückhaltung ist, sie darf nicht als eine Kultur des Heraushaltens missverstanden werden. Dafür sind wir, auch in Europa, inzwischen ein bisschen zu groß und ein bisschen zu wichtig. Wir sind nicht ein Kleinstaat in einer europäischen Randlage, sondern der bevölkerungsreichste, größte Staat der Europäischen Union; wir haben die stärkste Wirtschaftskraft. Wenn sich ein solches Land bei dem Versuch, internationale Konflikte zu lösen, heraushält, dann werden sie nicht gelöst, dann gibt es keine belastbaren Vorschläge. Das ist der Grund, weshalb eine der ersten Entscheidungen, die Frau von der Leyen und ich dem Kabinett vorgeschlagen haben, eine Änderung des Verhaltens in Bezug auf die Beseitigung und Vernichtung von Chemiewaffen in Syrien war. ({4}) Dieser Fall ist ein plausibles Beispiel dafür, welche Rolle wir spielen. Ich glaube, wir haben richtig gelegen, als wir gesagt haben: In einer solchen Situation Bomben auf Damaskus abzuwerfen, wäre der falsche Weg, wahrscheinlich eher ein Umweg, wenn man irgendwann später zu politischen Lösungen kommen will. Aber man kann sich nicht gegen militärische Optionen aussprechen und sich dann auch noch in Bezug auf die übrig bleibenden Alternativen heraushalten. Aus diesem Grund sage ich: Verantwortung in der Außenpolitik bedeutet, dass man als größtes Land in Europa auch in solchen Situationen Verantwortung übernimmt und sagt: Wenn wir die Möglichkeit haben, eine kleine Basis zu schaffen, auf der dann zukünftig politische Verhandlungen möglich sind, dann müssen wir auch zur Verfügung stehen und unseren Teil dazu beitragen. Ich bin jedenfalls froh, dass das Kabinett eine sehr schnelle Entscheidung getroffen hat, die dazu führen wird, dass wir den größeren Teil der Chemierestbestände, die bei der Vernichtung entstehen, in Deutschland vernichten werden. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nicht enden, ohne einen Blick - nicht auf den Mittleren und Nahen Osten - in die europäische Nachbarschaft zu werfen. Die Entwicklung in der Ukraine hat uns alle miteinander in den letzten Tagen und Wochen hinreichend beschäftigt. Die gute Nachricht ist: Die letzte Nacht war die ruhigste Nacht seit langem. Die schlechte Nachricht ist: Bisher sind alle Angebote, die vonseiten des Präsidenten an die Opposition gegangen sind, nicht belastbar. Ein Einstieg in politische Gespräche konnte stattfinden, weil Janukowitsch auf Druck der Opposition und der internationalen Staatengemeinschaft notwendigerweise anbieten musste, sein Gesetz zur Unterdrückung der politischen Betätigung zurückzunehmen. Es gehörte weiterhin zum Einstieg in politische Gespräche, dass der Ministerpräsident seinen Rücktritt angeboten hat und dass infolgedessen die ganze Regierung zurücktrat. Aber das ist noch nicht die Lösung. Noch wissen wir nicht, ob in der Ukraine vonseiten des Präsidenten auf Zeit gespielt wird. Die Unterzeichnung der notwendigen Gesetze macht Janukowitsch davon abhängig, ob es der Opposition gelingt, den Maidan zu räumen, obwohl er weiß, dass die Opposition nicht auf jeden der beteiligten Demonstranten Einfluss hat. Wir müssen mit unseren Einschätzungen deshalb noch vorsichtig sein. Es gibt aber einen Hoffnungsschimmer, dass die jetzt begonnenen Gespräche - das ukrainische Parlament tagt zu dieser Stunde - vielleicht doch noch den Weg für eine politische Lösung der Konflikte eröffnen. Sicher ist das jedoch nicht. Wir haben uns ganz in den Dienst von Lady Ashton gestellt, die für die Europäer das Vermittlungsgeschäft in der Ukraine übernommen hat. Sie ist gestern dort angekommen und wird heute den ganzen Tag vor Ort sein. Ich denke, wir können uns im Namen des ganzen Hauses bei ihr für das bedanken, was sie bisher getan hat, und Glück und Fortune wünschen, dass es am Ende zu einer friedlichen Lösung für die Ukraine kommt und dass das Land beieinander bleibt. Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. Sie sehen die Unterstützung des ganzen Hauses. - Der nächste Redner in dieser Debatte ist Wolfgang Gehrcke für die Linksfraktion. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe gerade ein bisschen länger gewartet, bis ich zum Rednerpult gegangen bin. Denn es wäre mir wirklich unangenehm gewesen, Beifall, der Frank-Walter Steinmeier galt, für mich in Anspruch zu nehmen. ({0}) Das wird nicht stattfinden; da kann ich Sie beruhigen. Herr Außenminister, ich habe auf eine Botschaft von Ihnen gewartet. Sie haben zu Recht gesagt, dass die Außenpolitik ihren guten Ruf verloren hat. Vielleicht hätte man einmal überlegen sollen, ob es an der Qualität der Außenpolitik liegt, dass sie bei vielen Menschen in dieser Welt so schlecht angesehen ist. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe oft den Eindruck, dass, wenn hier von Menschenrechten geredet wird, eigentlich Öl, Wasser und andere Naturressourcen gemeint sind. ({1}) Das weiß man in der Welt. Die Doppelbödigkeit und die Doppelzüngigkeit der Außenpolitik, auch der deutschen Außenpolitik, haben den Ruf der Außenpolitik versaut. ({2}) Ich finde, da sollte man ansetzen. Ich habe auf eine Botschaft, auf ein Wort von Ihnen zu Edward Snowden gewartet, trotz der vorhandenen Schwierigkeiten, die mir bewusst sind. Ich habe auf die folgende Botschaft gewartet: Wir möchten als Bundesregierung dazu beitragen, dass Edward Snowden in Deutschland Asyl erhalten kann. Das wäre wichtig gewesen für die internationale Politik. Das wäre übrigens auch eine wichtige Ermutigung für die Menschen in unserem Land und in den USA. Es ist doch unsinnig, zu behaupten, dass man sich gegen die Menschen in den USA richtet, wenn man Edward Snowden Asyl gewährt. Ganz im Gegenteil: Das wäre für viele mutige Menschen in den USA eine Ermunterung. ({3}) Aber die Bundesregierung taucht ab. Sie sind nicht bereit, auf Augenhöhe, partnerschaftlich mit den USA darüber zu sprechen. Das spricht dafür, dass immer dann, wenn es schwierig wird, wenn sich die Sache zuspitzt, auf diese Bundesregierung kein Verlass ist. Ich kann Ihnen ankündigen, dass wir als Linke die Alternativen, die Sie nicht präsentieren, vorstellen werden. Wir werden ein Stück weit das schlechte Gewissen des sozialdemokratischen Teils dieser Großen Koalition sein, weil wir uns an vieles halten, was auch die Grundlage Ihrer Geschichte ist. Es wäre gut, wenn Sie mal wieder einen Blick auf Ihre eigene Geschichte werfen würden. ({4}) Sie haben aus der Bundeswehr ein Instrument der Außenpolitik gemacht. Wir sind strikt dagegen. Wenn nach dem Balkan, dem Mittelmeerraum und Zentralasien jetzt Afrika das neue Betätigungsfeld wird, dann kann ich nur sagen: Wir bleiben dabei, dass wir alle Auslandseinsätze der Bundeswehr beenden wollen, und wir möchten, dass die Soldaten zurückgeholt werden - ohne Abstriche. ({5}) Das sind Alternativen, über die zu streiten ist. Da gehen wir nicht zusammen. Ich möchte auch, dass wir hier in einer anderen Art und Weise über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA diskutieren. Für mich wäre dieses Freihandelsabkommen, wenn es in der jetzt vorgesehenen Form durchgesetzt würde, so etwas wie eine ökonomische NATO. Ich finde, schon die NATO ist zu viel, und ich möchte nicht zusätzlich noch eine ökonomische NATO haben. Deswegen bin ich gegen diese Verhandlungen. Ich bin dafür, dass sie abgebrochen werden, ({6}) nicht wegen der Auseinandersetzung um Edward Snowden, sondern weil das Ergebnis eine neue Barriere in der Welt wäre. Ich möchte, dass wir gemeinsam darüber nachdenken, ob es nicht doch Alternativen zur NATO gibt. In Ihrem Koalitionsvertrag steht, dass Sie die NATO stärken wollen. Wir wollen, dass die NATO aufgelöst wird, dass sie sich auflöst, dass an ihre Stelle ein kollektives Sicherheitssystem tritt, das nicht auf dem Militär basiert. Es gab einmal einen großen Sozialdemokraten, der für ein kollektives Sicherheitssystem in Europa eintrat. Haben Sie das schon alle vergessen? ({7}) Wir als Linke möchten, dass ein anderer Kurs eingeschlagen wird. Ich hoffe, dass wir uns zumindest darüber einig sind, dass das jetzige Vorgehen in Bezug auf Russland nicht fortgesetzt werden kann. Sie haben zu Recht gesagt, dass alle Probleme nur in Kooperation mit Russland zu lösen sind. Dann müssen wir aber auch ein Stück weit von unserem hohen Ross herunterkommen. Zur Krise in der Ukraine hat auch die EU-Politik einen gewissen Teil beigetragen. ({8}) Es kann doch nicht sein, dass wir die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine vor die Alternative „Russland oder EU“ stellen. Beides ist für die Bürgerinnen und Bürger wichtig. Ich möchte, dass die Ukraine eine Brücke nach Russland ist und nicht ein Bollwerk gegen Russland. Das wäre eine vernünftige Politik. ({9}) Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen: Ich möchte, dass wir klipp und klar sagen, dass wir mit den Rechten, den Nationalisten, den Rechtsextremen in der Ukraine nichts zu tun haben wollen. ({10}) Das sind keine Freiheitskämpfer, sondern das sind Menschen, die die Freiheit beerdigen wollen. Nun sehen Sie: Eine andere Außenpolitik ist denkbar und möglich. Ich konnte Ihren Beifall zu Recht nicht für mich in Anspruch nehmen, aber Sie können meinen auch nicht für sich in Anspruch nehmen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff das Wort. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Steinmeier, Sie haben zu Beginn des Jahres 2014, am Anfang dieser Legislaturperiode an das Fehlen von Diplomatie, an das Versagen der Außenpolitik vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges erinnert. Der britische Historiker Christopher Clark hat dies in einem Buch mit dem Titel Die Schlafwandler eindrucksvoll dargestellt. Wenn wir uns heute an diese Zeit erinnern und uns fragen, was wir daraus lernen können, dann sehen wir, dass die Außenpolitik nicht nur in den letzten sechs Wochen vor dem Ausbruch des Krieges nicht mehr funktioniert hat, wodurch die Mächte Europas in diesen Krieg hineingestolpert sind, sondern dass die Menschen in Europa ein ganzes Jahrzehnt vor Ausbruch des Krieges im Bewusstsein einer Vorkriegszeit gelebt haben, in einer Logik der Hegemonie, der Eroberung, der Nullsumme, in der sie sich nicht gefragt haben, ob es zum großen Krieg kommt, sondern wann es zum großen Krieg kommt. Wenn wir aus unserer Geschichte etwas gelernt haben, dann ist es die zivilisatorische Leistung Europas. Heute denken wir eben nicht mehr in dieser Nullsummenlogik. Wir sagen heute nicht mehr: Wenn wir unsere Werte verteidigen, wenn wir unseren Interessen dienen, dann tun wir das gegen die Interessen unserer Nachbarn. Was wir gewinnen, müssen wir den anderen wegnehmen. - Heute gestalten wir unsere Außen- und Sicherheitspolitik in einer Logik der Integration. Nur miteinander, in einer immer tieferen Zusammenarbeit können wir unsere Werte, unsere Lebensweise und unsere Interessen verteidigen. Dazu passt eine Kernaussage unseres Koalitionsvertrages. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag geschrieben: „Sicherheit in und für Europa lässt sich nur mit und nicht gegen Russland erreichen.“ Das sehen wir in diesen Tagen bei vielen Fragen, die uns beschäftigen, etwa wenn es um eine erste humanitäre Hilfe in Syrien geht, wenn es um eine Lösung des Nuklearkonfliktes mit dem Iran geht oder - auch darauf wurde hingewiesen wenn es um die Vorgänge in Kiew geht. Deswegen haben wir ein Interesse daran, mit Russland einen konstruktiven und intensiven Dialog zu führen. Wir wollen mit Russland überall da zusammenarbeiten, wo es möglich ist. Wir wollen im Verhältnis zwischen Russland und der NATO - auch hinsichtlich der Frage der Raketenabwehr - Fortschritte erzielen. Wir wollen eine mit politischer Substanz gefüllte Modernisierungspartnerschaft mit Russland voranbringen. Wir wollen auch das EU-Russland-Partnerschaftsabkommen endlich ein Stück weit voranbringen. Leider passt dazu nicht, dass Russland in letzter Zeit immer wieder zu verstehen gegeben hat, es brauche keinen Dialog, es brauche die Zusammenarbeit mit der EU nicht. Diese Haltung nützt niemandem, auch nicht Russland. Deswegen sollten wir den Vorschlag, den Präsident Putin mehrfach geäußert hat, aufgreifen. Präsident Putin sprach von einem großen wirtschaftlichen und humanitären Raum Europa. Diesen Raum wollen wir mit Russland gemeinsam gestalten. Dazu gehört aber auch - auch das schreiben wir im Koalitionsvertrag -, dass wir bei der Zusammenarbeit mit Russland die berechtigten Interessen unserer gemeinsamen Nachbarn berücksichtigen müssen. Deshalb ist es nicht tolerierbar, dass Russland beispielsweise die wirtschaftliche Notlage der Ukraine ausnutzt und die Ukraine erpresst. In einem humanitären und wirtschaftlichen Raum Europa kann es keine Hegemonie geben. Diese Haltung haben Sie, Herr Steinmeier, zu Recht als empörend bezeichnet. ({0}) Wir sollten mit Russland auch über unterschiedliche Vorstellungen von einer Modernisierungspartnerschaft sprechen. Solange Russland damit Know-how-Transfer oder westliche Investitionen hauptsächlich in technologische Projekte versteht, wir aber auch mehr Rechtsstaatlichkeit, weniger Korruption und mehr zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit, so lange können wir das Potenzial, das in dieser Partnerschaft steckt, nicht ausschöpfen. Deswegen hoffen wir, dass wir zu substanziellen Vereinbarungen über eine tiefere zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit kommen und dass wir auch in der Frage der Rechtssicherheit zu Fortschritten kommen. Wir unterstützen Sie bei einer solchen Politik gegenüber Russland ausdrücklich. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rücknahme der repressiven Einschränkungen des Demonstrationsrechts und der Meinungsfreiheit und der Rücktritt der Regierung Asarow in Kiew waren erste Erfolge der Bewegung der Bürger auf dem Maidan und anderswo in der Ukraine. Jetzt müssen weitere Schritte folgen: eine Amnestie und eine Rückkehr zur Verfassung von 2004, die dem Parlament und der Regierung die demokratischen Rechte verleiht, die sie gegenüber dem Präsidenten brauchen. Die Ukraine braucht vor allem mehr Rechtsstaatlichkeit. Dabei kann die EU helfen; aber wir brauchen jetzt auch eine Strategie, wie wir der Ukraine auf ihrem Weg in Richtung Europa helfen wollen. Die Situation ist heute eine andere als im Dezember nach dem Gipfel in Vilnius. Es reicht heute nicht mehr, zu sagen: „Die Tür bleibt offen“, oder: „Wir sind weiterhin bereit, den Assoziierungsvertrag zu unterschreiben“. Wir brauchen die Bereitschaft zu intensiverer wirtschaftlicher Zusammenarbeit. ({2}) Dazu gehört ein klares Konzept zu Finanzhilfen im Zusammenhang mit dem IWF. Dazu gehören vor allem auch Unterstützungsmaßnahmen im Hinblick auf mehr Rechtsstaatlichkeit. Vor allem aber müssen wir der Ukraine klarmachen, dass wir zu Art. 49 des Vertrages über die Europäische Union stehen: dass jedes europäische Land - und die Ukraine ist zweifellos ein Land in Europa - eine europäische Perspektive hat, auch wenn diese in den nächsten 20 Jahren vielleicht noch nicht konkret wird und noch nichts abgeschlossen wird. Es ist wichtig, dass die Menschen, die sich heute auf dem Maidan für Freiheit und Menschenrechte einsetzen, weil sie so leben wollen wie wir und Freiheit und Integration in Europa so verstehen wie wir, sich darauf verlassen können, dass ihnen diese europäische Perspektive nicht genommen wird. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir begrüßen das militärische Engagement der Franzosen in der Zentralafrikanischen Republik. Dort drohte ein religiös motivierter Streit zwischen Christen und Muslimen so zu eskalieren, dass die Vereinten Nationen schon von einem Genozid gesprochen haben. Damit drohte ein weiterer gescheiterter Staat oder scheiternder Staat, von denen es in Afrika schon so viele gibt. Ich glaube, wir brauchen uns heute nicht mehr darüber zu unterhalten, ob das Eingreifen im französischen oder im europäischen Interesse liegt. Natürlich ist die Kombination von fundamentalistischem Terror, organisierter Kriminalität, religiöser Verfolgung, Menschenhandel, Drogenhandel usw. eine der gefährlichsten Bedrohungen für Europa. Wir begrüßen deshalb, dass, wie es die Bundeskanzlerin, der Herr Außenminister und am Wochenende die Verteidigungsministerin angedeutet haben, Deutschland das Engagement der Bundeswehr in Mali verstärken wird, um den Franzosen mehr Kapazitäten für das Vorgehen in der Zentralafrikanischen Republik zu lassen. Diese Frage zeigt doch einmal mehr, dass wir uns nicht erst dann, wenn eine Krise eskaliert, nicht erst dann, wenn eine konkrete Mandatsentscheidung ansteht, Gedanken machen können, wo wir gemeinsame, europäische Sicherheitsinteressen haben, wo wir gemeinsam vorgehen müssen, wo wir die Mittel haben, gemeinsam zu agieren. Stattdessen brauchen wir eine strategische Debatte darüber, in welchen Regionen wir in der Lage sind, mit zivilen und militärischen Mitteln das zu tun, was für die Sicherheit Europas notwendig ist. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo brauchen wir denn eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik? Wir brauchen sie nicht in Asien. Wir brauchen sie auf absehbare Zeit auch nicht in Lateinamerika. Wir brauchen sie mit Sicherheit in Afrika. Die GSVP-Mission Atalanta, die GSVP-Ausbildungsmission in Somalia, zwei Bundeswehrmandate im Sudan, Active Endeavour zur Terrorismusbekämpfung im Mittelmeer, worüber wir heute noch abstimmen werden, Mali und jetzt die Zentralafrikanische Republik: Wir müssen uns in Europa gemeinsam überlegen, was wir mit den Mitteln, die wir haben, tun können - denn wir können nicht überall sein -, und wir müssen dann auch klare Prioritäten setzen, wo wir arbeitsteilig gemeinsam vorgehen wollen. Dass das Auswirkungen auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz hat, steht im Koalitionsvertrag. Deswegen werden wir eine Expertengruppe einsetzen, die uns binnen eines Jahres Vorschläge dazu machen soll, wie wir dieses Parlamentsrecht erhalten und ausweiten können, um uns darauf vorzubereiten, dass wir künftig stärker arbeitsteilig mit unseren Partnern vorgehen wollen. Dies müssen wir gegenüber der Bevölkerung und unseren Partnern verlässlich und berechenbar machen. 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges, 75 Jahre nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und 25 Jahre, nachdem wir die Teilung unseres Landes friedlich - vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse ist das ein besonderes Glück - überwunden haben, stehen wir vor großen Herausforderungen. Die CDU/CSU steht zu einer Kultur der Verantwortung und auch zu einer Kultur der Mithilfe, gemeinsam mit unseren Partnern. Das wird in den nächsten Jahren, in dieser Legislaturperiode nicht einfach werden, ({5}) aber wir empfinden das als ein großes Glück für unser Land. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, natürlich haben gerade Sie als bisheriger Chef einer Oppositionsfraktion auch Anspruch auf die berühmten 100 Tage Zeit für den Start, und zwischen uns und Ihnen gibt es sicher auch viele außenpolitische Schnittmengen. Aber den Koalitionsvertrag haben Sie unterschrieben und zu verantworten, und der ist in zentralen außen- und sicherheitspolitischen Fragen durch ein eher verwirrtes Sowohl-als-auch geprägt. Ich will das an drei Beispielen deutlich machen: Rüstungsexporte. Waffenexporte dürfen kein normales Instrument der Außenpolitik werden bzw. bleiben. Aber es bleibt bei den unverbindlichen Leitlinien für Rüstungsexporte wie bisher. Sie versprechen nur, dass sie strikter eingehalten werden sollen. Der klare Interessengegensatz in der Koalition bei der Exportfrage bleibt bestehen, und man darf wirklich gespannt sein, wer sich im Einzelfall durchsetzt. Klarheit sieht wirklich anders aus. ({0}) Sie wollen sich auch für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen, bekennen sich aber mehrfach ohne jeden Vorbehalt zur NATO-Strategiekonzeption und damit zur nuklearen Teilhabe. Sie versprechen den Abbau der Atomwaffen, und dann unterstützen Sie stattdessen ihre Modernisierung. Das nenne ich doppelte Buchführung. ({1}) Jeder kann an vielen Stellen in diesen Koalitionsvertrag hineinlesen, was er will. Ganz drastisch wird das beim Thema „bewaffnete Drohnen“. Die Union will hier ein Bekenntnis dafür und schürt Erwartungen auf die baldige Beschaffung. Die SPD sieht das nicht so; viele völkerrechtliche Prüfungen, die im Koalitionsvertrag vorgesehen sind, sollen die Sache totprüfen. Man weiß bei keinem dieser Themen, wie die konkrete Politik nun aussehen soll und wer sich im Einzelfall durchsetzen wird. Viel politischer Nebel, wenig klare Konturen! Das gilt leider auch für zentrale Punkte der Europapolitik. Ich will hier aber mit etwas Positivem beginnen: Die neue Akzentsetzung bei der Stärkung der deutsch-französischen Kooperation ist wichtig. Eine politische Initiative war lange überfällig. Da haben Sie unsere Unterstützung. ({2}) Aber worin besteht die Linie der Koalition bei der aktuellen Kernfrage in der Europäischen Union? Was soll als Antwort auf die Krise zur Ankurbelung der europäischen Wirtschaftsentwicklung getan werden? Das bleibt nebulös. Ein schlichtes Beschwören des im Sommer 2012 geschlossenen Paktes für Wachstum und Beschäftigung im Koalitionsvertrag hilft da nicht weiter. Neues ist nicht in Sicht. Sie blockieren sich gegenseitig in der Koalition, und das Resultat ist Stillstand der Marke 2012. Was die transatlantischen Beziehungen, einen Eckpfeiler der deutschen Außenpolitik, betrifft, wird der politische Nebel immer dichter. Nehmen wir die NSASpionage, die offenbar auch Wirtschaftsspionage ist: Was wollen Sie denn jetzt tun, wenn es kein No-Spy-Abkommen mit den USA gibt? Ihre Koalition sendet doch das klare Signal über den Atlantik, dass Sie nicht den Willen haben, dann zum Beispiel in der Europäischen Union eine Aussetzung des SWIFT-Abkommens auf die Tagesordnung zu setzen. Ich sage Ihnen: Wer vorher signalisiert, dass er keine relevanten Konsequenzen ziehen wird, der braucht sich nicht zu wundern, wenn er nur mit netten Worten abgespeist werden wird. ({3}) Was die Gespräche über ein Handels- und Investitionsabkommen mit den USA betrifft, ist ein merkwürdiges Schweigen der Regierung zu verzeichnen. Für die Öffentlichkeit ist der Verhandlungsprozess weitgehend undurchsichtig. Die Befürchtungen sind massiv. In den vertraulichen Berichten, die nur Abgeordnete sehen dürfen, steht sehr oft ganz wenig. So wird Kontrolle unterlaufen. Wir hören aber, dass Kommissar de Gucht unter dem abstrakten Stichwort „Horizontal Regulatory Cooperation“ über eine Art Handelsverträglichkeitsprüfung für jede ordnungspolitische Maßnahme in der EU verhandelt. Das bedeutet dann die systematische Unterordnung unserer Standards und übrigens auch einer sozialverträglichen Industriepolitik unter Handelsinteressen. Von dieser Bundesregierung mit sozialdemokratischer Beteiligung kommt kein Wort der Kritik. Ich sage: Kommissar de Gucht muss gestoppt werden. Die Aussetzung der Verhandlungen ist nötig. Hören Sie auf, zu schweigen! Sie müssen hier endlich handeln. ({4}) In Bezug auf die Russlandpolitik gibt es im Koalitionsvertrag keine klaren Antworten auf die Entwicklung der letzten Jahre und Monate. Ja, Europa braucht Russland. Das ist zentral für deutsche Außenpolitik. Aber die Regierung Putin betreibt eine repressive und modernisierungsfeindliche Gesellschaftspolitik, vor der wir nicht die Augen verschließen dürfen. Sie betreibt eine Nachbarschaftspolitik in Bezug auf Weißrussland und die Ukraine, gegen die klarer Widerspruch geboten ist. Da kann es nicht einfach die Fortschreibung einer Politik der sogenannten strategischen Partnerschaft geben, die sich auf gemeinsame Werte und Wertorientierungen gründen sollte, flankiert von regelmäßigen Protestnoten. Sie werden sich dieser Entwicklung anders stellen müssen, als Sie dies in Ihrem Koalitionsvertrag tun. ({5}) Wir haben eine separate Debatte zur Entwicklung in der Ukraine für den Freitag vereinbart. Ich finde es sehr gut, dass sich der Deutsche Bundestag dieses Themas in einer separaten Debatte annimmt. Deswegen will ich nur wenige Sätze hierzu sagen: Wir alle wissen, dass die Entwicklung auf der Kippe steht. Es ist nicht klar, in welche Richtung sie geht. Wir setzen natürlich unsere Hoffnung darauf, dass es eine friedliche Entwicklung hin zu Freiheit und mehr Demokratie gibt. Wir hoffen, dass die Europäische Union eine wichtige Rolle dabei spielen kann, diese Entwicklung voranzubringen. Wir hoffen auch, dass die Bundesregierung diese Politik der Europäischen Union unterstützt. Wir ermutigen Sie, sich hier zu engagieren. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist offenkundig, dass in dem Krisenbogen vom Nahen Osten über die Länder Nordafrikas bis hin zur Sahelzone eine der zentralen Herausforderungen für die europäische Außenpolitik liegt. Wir erwarten da von Ihnen keine fertigen Antworten. Aber ich sage auch: Ministerinnenthesen, die darauf hinauslaufen, dass eine Kultur der militärischen Zurückhaltung überholt sei, weisen auf jeden Fall in die falsche Richtung. ({7}) Unbedingt notwendig - das möchte ich noch sagen ist eine drastische Kurskorrektur bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem syrischen Bürgerkrieg. ({8}) Die Zusage der Aufnahme von 10 000 Flüchtlingen in Deutschland im letzten Jahr war schon traurig wenig. Aber bis heute sind davon noch nicht einmal 3 000 Menschen hier angekommen und aufgenommen worden. Das ist und bleibt eine Schande für unser Land. ({9}) Die Ankündigung einer europäischen Initiative ist nicht genug. Deutschland muss hier eine aktive Vorreiterrolle übernehmen. Die Zahlen müssen drastisch erhöht werden. Wir müssen aktiv dafür sorgen, dass es klappt, dass die Menschen aufgenommen werden. Das gilt auch für den Einsatz zur humanitären Hilfe in der Region selbst. Wir wünschen uns wirklich, dass Sie dazu die Kraft finden. Danke für die Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Frank Schwabe das Wort. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! In der Tat ist es wohltuend, einen Außenminister zu haben, der schon in kurzer Zeit Deutschlands Stimme in Europa und in der Welt deutlich wahrnehmbar gemacht hat ({0}) und sich mit ganzer Kraft der Konfliktbewältigung und auch der Konfliktprävention widmet, und zwar - das darf ich an dieser Stelle sagen - in guter sozialdemokratischer Tradition. Das finden wir sehr gut und befriedigend, und das macht uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch ein bisschen stolz. ({1}) Frank-Walter Steinmeier steht auch für gute Personalentscheidungen. Ich gratuliere ganz herzlich Christoph Strässer, der heute von der Bundesregierung zum Beauftragten für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe ernannt wurde. ({2}) Christoph Strässer ist jemand, der - so habe ich ihn jedenfalls kennengelernt - mutig seine Stimme erhebt: gegen Unterdrückung und für das Recht. Das tut er manchmal leise, aber auch manchmal laut, wenn es darum geht, Öffentlichkeit zu schaffen. Ich bin mir sicher, dass er für seine neue Aufgabe die Unterstützung des ganzen Hauses braucht, verdient hat und auch bekommt. ({3}) Die Menschenrechte haben einen eigenen Platz im Parlament, und sie haben einen eigenen Platz in der Außenpolitik. Im Grunde sind sie die Grundlage der Außenpolitik. Außenpolitik - und nicht nur sie - muss wertebasiert sein, nämlich auf der Grundlage der Menschenrechte. Ansonsten verkommt sie zur reinen Machtpolitik ohne Kompass. Ich finde, dass der Koalitionsvertrag eine gute Grundlage für die Menschenrechtspolitik der nächsten vier Jahre liefert. ({4}) Ich kann nur auf einige Punkte eingehen. Herr Gehrcke, Sie haben durchaus recht mit Ihrer Betrachtung, dass es nicht sein kann, dass die einen für Fragen der wirtschaftlichen Vernunft und die Sicherung der Rohstoffversorgung zuständig sind und andere für die Menschenrechte. Das muss zusammengehen. Das findet man aber auch im Koalitionsvertrag. Wie das in den nächsten vier Jahren mit dem Koalitionspartner ausgefüllt wird, wird man sehen. Aber wir haben uns klar dazu bekannt, dass transnationale Unternehmen ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung ebenso wie ihrer Verantwortung im Bereich der Menschenrechte gerecht werden müssen. Wir haben uns klar dazu bekannt, dass die UN-Leitprinzipien dazu in Deutschland übernommen werden. Ich finde, das ist erst einmal eine gute Grundlage für die Arbeit der nächsten vier Jahre. ({5}) Ich finde es gut, dass wir uns in einem Punkt, in dem hohe Übereinstimmung herrscht, noch einmal klar positioniert haben, nämlich gegen die Todesstrafe, die es in einigen Ländern der Welt noch gibt. Wir setzen uns für das Verbot der Folter, aber auch für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe ein. ({6}) Wir sind gerade dabei, die Länder, die mit uns gemeinsame Werte teilen, dazu aufzufordern. Ich finde es unerträglich - das sage ich an dieser Stelle deutlich, und das muss geändert werden -, dass es gerade auch in entwickelten Staaten wie den USA und Japan weiterhin die Todesstrafe gibt. Die ganze Kraft dieses Parlaments und Deutschlands muss in den nächsten Jahren für den Kampf dagegen eingesetzt werden. ({7}) Ich will zumindest erwähnen, dass wir mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte eine hochanerkannte Institution haben und dass wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben, dass dieses Institut nach den Pariser Prinzipien unabhängig und sicher finanziert werden muss. Lassen Sie mich noch etwas zu der Institution in Europa sagen, die für den Schutz der Menschenrechte steht. Das ist der Europarat. Ich gehöre ihm seit nunmehr knapp zwei Jahren an. Was ich dort manchmal erlebe, lässt mich daran zweifeln, ob nicht auch in dieser Institution mittlerweile ökonomische Interessen überhandgenommen haben über den klaren Willen, sich für Menschenrechte einzusetzen. Ich glaube, das wird ein großes Thema in den nächsten vier Jahren werden. Umso wichtiger wäre es, an dieser Stelle mit einer neuen Generalsekretärin Zeichen zu setzen, nicht nur weil sie aus Deutschland kommt, sondern weil sie wirklich für eine engagierte Menschenrechtspolitik steht. Ich glaube, es ist gut und richtig, dass nicht nur die alte und die neue Bundesregierung, sondern das ganze Haus hinter der Kandidatur von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger stehen. ({8}) Zum Schluss. Menschenrechte woanders einzufordern, ist im Zweifel einfach und wohlfeil. Es ist aber auch wichtig, sie im unmittelbaren Lebensumfeld vorzuleben. Dabei ist es wichtig, darauf zu achten, wie wir über Menschen reden und dass die Würde von Menschen gewahrt bleibt. Gerade manche Debatten über Men606 schen, die zu uns kommen, in den letzten Wochen haben mich durchaus zum Nachdenken gebracht. Ich will hier kein Scharfmacher sein, sondern bitte lediglich alle Abgeordneten dieses Parlaments, mit gutem Beispiel voranzugehen und darüber nachzudenken, welche Formulierungen zu wählen sind, damit die Würde von Menschen geschützt werden kann. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Dr. Diether Dehm das Wort. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Damen und Herren! Gestern starb der große Pete Seeger. Sein Leben steht für sozialen Kampf und Versöhnung. Er wurde als Kommunist verfolgt. Dieser Amerikaner, dessen Familie aus Deutschland einst emigrieren musste, hat, als er Marlene Dietrich sein Lied Sag mir, wo die Blumen sind gab, mehr vom europäischen Traum des Friedens begriffen als jener Herr, der hier am Mikrofon herumtriumphierte, in der EU werde endlich wieder deutsch gesprochen. Dieses „Deutsch“ der sozialen Kälte gellt nicht nur den griechischen Rentnern und den jungen Arbeitslosen in Südeuropa in den Ohren, sondern auch der alleinerziehenden Hartz-IVEmpfängerin seit der unwürdigen EU-Agenda 2010. Solange es in den EU-Vertragsgrundlagen keine soziale Fortschrittsklausel gibt und nur die Grundfreiheiten des Kapitals einklagbar sind, geht der Krieg gegen Sozialstaat und Tariflöhne ungehemmt weiter. ({0}) Den Eliten - das sagte heute Nacht sogar Barack Obama - geht es so gut wie nie zuvor. Aber die Kaufkraft „unten“ schwindet dahin, und das bringt den nächsten Schub für eine Krise. Und was machen die Verträge der EU? Sie zwingen in Art. 42 EUV die Staaten zur Aufrüstung und verbieten in Art. 63 AEUV, dass Kapitalverkehr kontrolliert wird. Die Linke möchte Abrüstung und auch, dass Kapital kontrolliert wird. ({1}) Das Freihandelsabkommen, das Sie unter strengster Geheimhaltung mit den USA planen, erlaubt zwar der Deutschen Bank, die strengere amerikanische Bankenaufsicht auszuhebeln, und dem US-Konzern Monsanto, sich vor einem Schiedsgericht einen Persilschein für seine Umweltverbrechen abzuholen. Aber die Arbeitenden in Europa und den USA werden dabei noch mehr zum Spielball der Konzerne und Banken. So machen Sie aus der Europäischen Union eine antieuropäische Union. Die Linke sagt: Eine europäische Integration kann nur sozial gelingen. ({2}) Nach dem Faschismus 1945 wurde kapitalistische Macht, mit der Hitler hochfinanziert wurde, in vielen Verfassungen eingegrenzt, in der italienischen und auch in der deutschen. Nach dem Faschismus in Portugal, der jetzt vor 40 Jahren überwiegend von Linken niedergekämpft wurde, gab es eine soziale Verfassung, aufgrund derer jüngst der portugiesische Staatsgerichtshof die drakonischsten Troika-Brutalitäten für unwirksam erklärt hat. Herr Henkel von der AfD, der früher Frau Merkel unterstützt hat, will zurück zur D-Mark, und Frau Merkel hält an der EU fest, so wie sie ist. Aber beide, Henkel und Merkel, wollen einen EU-Wettlauf darum, wo das Kapital am wenigsten besteuert wird, wo die Löhne am meisten sinken, wo die Arbeitslosigkeit am gefügigsten macht, wo der Sozialstaat am meisten leidet und wo Demokratie dem Finanzmarkt am besten unterworfen wird. Wir Linke halten an den fortschrittlichsten, erkämpften Standards in Portugal, Griechenland und auch in unserem Grundgesetz fest; denn nur durch radikal-demokratische Änderungen kann aus der EU ein europäisches Projekt des inneren und äußeren Friedens werden - im Geiste des schönen Pete-Seeger-Songs We shall overcome. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Thomas Strobl hat für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Tagen hat uns von diesem Rednerpult aus ein 95-jähriger Mann, der russische Schriftsteller Daniil Granin, tief berührt. Er hat von der zweieinhalbjährigen Belagerung Leningrads vor 70 Jahren berichtet, von fast 900 Tagen Verzweiflung, Angst, Tod, Hoffnungslosigkeit und Grauen für Tausende von Familien und Kindern. Das hat uns berührt und bewegt. Dass wir 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs und 75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, nach dem Grauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auf diesem Kontinent den Krieg nicht mehr fürchten müssen, hat mit einem politischen Konstrukt zu tun, das zu Beginn der zweiten Hälfte jenes Jahrhunderts erfunden wurde und das uns natürlich heute und in Zukunft sehr beschäftigt, weil es unvollendet ist, und das heißt Europa. Wir sollten diesen Gedanken bei allen Diskussionen um Euro, um Finanzkrise, um Schuldenkrise, um Armutszuwanderung und anderes mehr, wenn wir also über Europapolitik hier im Deutschen Bundestag sprechen, nicht vergessen. ({0}) Apropos Krise: Gestern gab mir ein wohlmeinender Mitbürger, ein Wirtschaftsberater, den Rat, die Regierung könne doch die Finanz- und Schuldenkrise in Europa einfach für beendet erklären. Das wäre doch auch mit Blick auf den 25. Mai, den Europawahltag, eine gute Sache. Nun, für die Wahl könnte es, Herr Bundesaußenminister, vielleicht helfen, aber es wäre nicht wahr; denn die Krise ist keinesfalls überstanden. Thomas Strobl ({1}) Was wir sehen können, ist: Der Weg, den wir gemeinsam in den letzten Jahren gegangen sind, ist richtig; denn wir kommen voran. Griechenland hat aller Voraussicht nach im Jahr 2013 einen primären Haushaltsüberschuss erwirtschaftet. Fast die Hälfte davon hat Athen aus eigener Kraft geschafft. Irland konnte bereits im vergangenen Jahr den Rettungsschirm verlassen. Irland ist an den Markt zurückgekehrt und kann sich inzwischen wieder selbst mit Geld refinanzieren. Spanien ist seit dem 1. Januar nicht mehr auf den Rettungsschirm angewiesen. Im Übrigen ist die Zahl der Arbeitslosen - das finde ich besonders erfreulich - im Dezember des vergangenen Jahres in Spanien signifikant gesunken. Auch in Portugal steigt die Anzahl der Beschäftigten. ({2}) In Italien gewinnen die Märkte wieder Vertrauen. Es geht zumindest aufwärts. Die Richtung stimmt. ({3}) Man sieht also, dass wir mit der Stabilisierung vorankommen. Dabei zahlt es sich vor allem aus, dass wir im Gegenzug für die Hilfe umfangreiche Sparmaßnahmen und Reformen in den Ländern mit Problemen verlangt haben. Die Beseitigung der Ursachen der Krise war uns immer wichtig und hat sich als richtig herausgestellt, auch wenn das ein schwieriger Weg ist. Doch die Ruhe ist eine trügerische. Niemand darf sich ausruhen, und die Partner dürfen auch nicht müde werden, den Weg der Reformen voranzugehen. Dann sind wir weiter bereit, sie auf dem Weg der Konsolidierung zu unterstützen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass dies, jedenfalls inzwischen, eine breite Mehrheit in diesem Haus so sieht. Solidarität nur bei Solidität; Unterstützung bedarf auch der eigenen Anstrengung. Das sind zwei Seiten einer Medaille, und das muss auch in Zukunft so bleiben. ({4}) Wenn man allerdings Auflagen vereinbart und Reformen fordert, dann gehört dazu, dass es für die Umsetzung dieser Reformen auch eine wirksame Kontrolle gibt. Für diese Kontrolle haben wir gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission ein Expertengremium geschaffen, das sich Troika nennt. Dieses Gremium ist in letzter Zeit für das, was es tut, vor allem von der europäischen Linken stark angegriffen worden. Manche finden, es sei undemokratisch, was die Troika tut. ({5}) Ich kann das, ehrlich gesagt, überhaupt nicht verstehen. Denn die Troika unterbreitet nach intensiven Beratungen mit den Reformländern Empfehlungen. Bevor sie umgesetzt werden, werden diese Empfehlungen immer in den nationalen Parlamenten beschlossen. ({6}) Ohne die Zustimmung der nationalen Parlamente passiert überhaupt nichts. Das gilt im Übrigen auch für die Garantieländer. Schließlich beschließen auch wir, der Deutsche Bundestag, jede Hilfsmaßnahme, jede Auszahlungstranche, jede Bürgschaft. Insofern kann an der demokratischen Legitimation dieser Vorgehensweise nicht der geringste Zweifel bestehen. ({7}) Der Vorwurf, die Troika sei undemokratisch, ist absurd, und er ist auch gefährlich; denn er arbeitet den Extremisten und den Gegnern Europas in die Hände. Deswegen weisen wir ihn ausdrücklich zurück. ({8}) Die Tatsache, dass die Empfehlungen der Troika unbequem sind, ändert daran im Übrigen nichts. Wir werden auch weiterhin den Mut zur Unbequemlichkeit haben. Es wäre leichter gewesen, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Europas etwa durch eine Vergemeinschaftung der Schulden, durch Euro-Bonds, zu verdecken, so wie dies die politische Linke immer gefordert hat und heute noch fordert. Aber das ist nicht unser Weg. Wir haben den Mut, an Europa festzuhalten, weil wir wissen, dass Europa unsere Zukunft ist. Das heißt im Übrigen nicht, dass Europa sich um alles Mögliche kümmern muss. Etwa für die Betreuung von Kindern sind bei uns die Kommunen und Länder zuständig. Die berufliche Bildung, der Meisterbrief und das Elterngeld gehören in die nationale Souveränität. Ich weise auch auf die Tatsache hin, dass wir in Deutschland einen Exportüberschuss haben; nach den dieser Tage bekannt gewordenen Zahlen sind wir wieder Exportweltmeister. Das muss die Europäische Kommission jetzt nicht tiefer beschäftigen. Man macht Europa nicht dadurch stark, dass man die Starken schwächer macht. Wir wollen vielmehr, dass die Schwachen in Europa stark werden. ({9}) Gestern hat ein Vertreter der EU-Kommission hier im Deutschen Bundestag beklagt, in Deutschland werde zu viel gespart. Die Kommission wolle sich jetzt der Thematik widmen, warum die Unternehmen in Deutschland so viel sparten und zu wenig investierten. Also gab es auch hierzu ein klares Wort: Wir freuen uns über die hohe Eigenkapitalausstattung unserer Unternehmen. Das ist im Übrigen nicht zuletzt wegen der EU eine Voraussetzung, um Kredite für Investitionen zu erhalten. Es ist auch klar: Unsere Familienbetriebe, unsere Mittelständler, unsere Unternehmer wissen besser als die Beamten in der EU-Kommission, wie sie mit ihrem Geld umgehen, wann und wo sie investieren. Damit muss sich Brüssel nicht beschäftigen. ({10}) Thomas Strobl ({11}) In anderen Bereichen wollen und brauchen wir mehr Europa. ({12}) Klimaschutzprobleme sind nicht national lösbar. Auch im Hinblick auf die Energiepolitik - Leitungstrassen, Speicherkapazitäten und anderes mehr - brauchen wir sicher mehr Europa. Da dürfen wir uns auch an unsere eigene deutsche Nase fassen, weil wir in einem Land leben, in dem der Bund die Kompetenz für die Energiepolitik hat, aber jedenfalls manche der 16 Bundesländer glauben, ihre eigene Energiewende gestalten zu müssen. ({13}) Ich glaube im Übrigen, dass wir eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik brauchen. Wir brauchen eines Tages keine nationalen Armeen mehr, nicht in Deutschland, nicht in Frankreich, nicht in Großbritannien; ({14}) wir brauchen eine gemeinsame europäische „Operative“, die vermutlich eher eine Polizeieinheit als eine klassische Armee sein wird. ({15}) Das würde uns den gleichen Sicherheitsgewinn bringen und würde Milliarden an Einsparungen bringen. Es würde Geld frei, das wir in Europa für andere Dinge gut verwenden könnten. ({16}) Ich will einmal absehen von den Themen „Euro“, „Schulden“, „Finanzen“, „Geld“ und mit einem Satz schließen, den Bundestagspräsident Lammert gesagt hat: „Europa ist mehr als der Euro.“ - Und das ist auch wahr: Europa ist vor allem eine Wertegemeinschaft, gegründet auf dem christlichen Bild vom Menschen. So unterschiedlich Italiener, Spanier, Deutsche, Griechen, Iren, Franzosen sind ({17}) aus diesem Bild leiten wir den Gedanken der Freiheit und der Menschenwürde ab. Darauf gründet alles, was unser Zusammenleben in Europa ausmacht. Aus diesem Gedanken leiten wir ein politisches System namens parlamentarische Demokratie ab, ein Wirtschaftssystem namens soziale Marktwirtschaft, beruhend auf der Freiheit. Daraus leiten wir die Menschenwürde ab, die Gleichheit von Mann und Frau, das Verbot der Diskriminierung von Behinderten

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Strobl, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie der Kollegin Steinbach die Redezeit wegnehmen.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ich bin sofort zu Ende -, die Toleranz ({0}) - ich werde sofort zum Ende kommen

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Präsidentin kämpft für die Rechte aller Abgeordneten.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- gegenüber Andersdenkenden. Diese Werte zu bewahren, darum geht es auch in den nächsten vier Jahren. Auch daran habe ich gedacht, als vor zwei Tagen der 95jährige russische Schriftsteller Daniil Granin hier am Rednerpult stand und mich mit seinen Worten so sehr berührt hat. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Erika Steinbach das Wort. ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutsche Europa- und deutsche Außenpolitik ist immer auch Menschenrechtspolitik gewesen und wird es auch in Zukunft sein. Unsere Große Koalition hat sich dem - das können Sie im Koalitionsvertrag nachlesen - sehr nachdrücklich verpflichtet. Wir sehen heute, dass in erschreckend vielen Ländern der Erde Menschenrechte zunehmend keine Heimstatt mehr haben. Aber mit Krieg und mit Gewalt lassen sich diese für Menschen elementaren Grundlagen nicht verbessern und Unrechtssysteme nicht beheben. Wir brauchen engagierte Diplomatie. Ich freue mich, dass wir in der Großen Koalition in diesen schwierigen Zeiten mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier einen sehr erfahrenen Diplomaten haben. ({0}) Er hat hervorgehoben, dass wir Diplomatie gerade jetzt brauchen. Eines ist aber auch zwingend nötig: Wir müssen als Parlamentarier, als Bundesregierung Defizite immer und immer wieder ansprechen und alle Möglichkeiten nutzen, Menschenrechtsverletzungen geradezu schlaglichtartig zu beleuchten. Das sensibilisiert am Ende, das prangert die Täter an, macht sie vielleicht auch nachdenklich. Gute Gelegenheiten, eine große Öffentlichkeit für Menschenrechtsanliegen zu interessieren - viele Menschen im Lande bewegt es gar nicht, wenn es Defizite gibt -, sie zu mobilisieren, sind immer auch sportliche Großereignisse. Ob Fußballweltmeisterschaften oder Olympische Spiele - da schauen alle Menschen hin. Die Winterolympiade in Russland macht das sehr deutlich. Schon im Vorfeld dieser Olympiade werden schlaglichtartig zahlreiche Menschenrechtsdefizite in Russland immer wieder benannt und einer großen Öffentlichkeit bekannt gemacht. Zuvor hatten nur Nichtregierungsorganisationen, die interessierten Politiker, die dafür verantwortlichen Fachkollegen Interesse an der Thematik. Heute geht es über die Bildschirme, und es werden viele auf Defizite gestoßen, von denen sie keine Ahnung hatten. Vor dem Hintergrund ist es, wie ich glaube, auch gut, wenn sportliche Großereignisse immer wieder einmal auch in diesen Ländern stattfinden, seien es die Olympischen Spiele damals in China oder jetzt in Russland oder demnächst die Fußballweltmeisterschaft in Katar, weil wir so die Gelegenheit nutzen können, schlaglichtartig zu beleuchten, was mit den Menschenrechten dort geschieht. ({1}) Ein Kernanliegen unserer Menschenrechtspolitik ist das elementare Menschenrecht der Religionsfreiheit. Religion ist ja für Milliarden von Menschen elementarer Teil der Identität. Mit großer Sorge sehen wir die Entwicklung sowohl in Afrika als auch im Vorderen Orient. Wir müssen leider erkennen, dass es dort Schlachtfelder der Religion gibt. Häufig ist Religion ein willkommener Vorwand für aggressive und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen, und in Regionen, in denen über lange Zeiträume hinweg die Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit in friedlichem Miteinander oder wenigstens friedlich nebeneinander gelebt haben, herrscht heute Mord und Totschlag. Im Nahen und Mittleren Osten sehen wir das aggressive Gegeneinander von Schiiten gegen Sunniten, von Sunniten gegen Schiiten oder Aleviten. Dazwischen werden die Christen zerrieben. Muslime in Afrika morden Christen, und Christen morden Muslime. All das macht deutlich: Da hat sich etwas entwickelt, was für uns sehr beklemmend ist. Deutschland und Europa haben das im Dreißigjährigen Krieg erlebt: Katholiken gegen Evangelische, Evangelische gegen Katholiken. Wir wissen, was Religion für eine zerstörerische Gewalt entfacht hat und entfachen kann, wenn sie missbraucht wird, um Machtansprüche zu manifestieren oder Gruppen gegeneinander zu hetzen. Religiöse Toleranz ist die unverzichtbare Grundlage für ein friedliches Miteinander von Volksgruppen. Mit gutem Beispiel - das ist endlich auch einmal ein Lichtblick - geht Tunesien, einst das Ursprungsland des sogenannten Arabischen Frühlings, ein Frühling, der ja inzwischen für viele Regionen zum Winter der Menschenrechte geworden ist, voran. Mit der Verabschiedung der neuen tunesischen Verfassung, in der Religions- und Gewissensfreiheit sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter verankert sind, wurde eine beachtliche Grundlage für eine gute Zukunft geschaffen. ({2}) Wir können daran mitwirken und sollten alles dafür tun, damit das, was dort niedergeschrieben ist, jetzt auch eine Chance hat, Realität zu werden und in das alltägliche Leben eingebracht zu werden. In Europa selbst sehen wir für das Freiheitsbedürfnis der Ukrainer - ich sage es einmal so - einen ganz schmalen Lichtstreif am Horizont. Die Demonstranten haben erreicht, dass der Regierungschef Asarow mit seinem gesamten Kabinett zurückgetreten ist. Das ukrainische Parlament hat die sogenannten Diktaturgesetze vom 16. Januar wieder aufgehoben. Wir wollen, wir müssen, wir sollen den Dialog mit den Demonstranten, mit der Ukraine selbst, aber auch mit Russland führen, um dazu beizutragen, dass die Ukraine den Kontakt zur Europäischen Union weder aufgibt noch verliert noch unter Druck gesetzt werden kann, ihn aufzugeben. Es ist aber noch ein weiter Weg. Der Außenminister hat darauf hingewiesen. Die Gefahren sind noch längst nicht gebannt, vielmehr ist noch harte Arbeit zu leisten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Steinbach, es tut mir wirklich leid: Auch wenn die Kollegin Beck jetzt versucht, mit einer Zwischenfrage Ihre schon überzogene Redezeit zu verlängern - ich habe dabei noch nicht einmal die Zeit abgezogen, die der Kollege Strobl hier überzogen hat -, bitte ich Sie, jetzt zum Schluss zu kommen.

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme selbstverständlich gerne zum Schluss, Frau Präsidentin. Auch in Deutschland haben wir eine große Aufgabe zu bewältigen. Wir haben nämlich hier im eigenen Lande dafür zu sorgen, dass Menschenhandel und Zwangsprostitution erfolgreich unterbunden werden. Was sich hier abspielt, ist eine Schande für dieses Land. Wir sind ein Eldorado für Menschenhändler geworden. Das darf nicht so bleiben. Wir haben in der Großen Koalition gemeinsam beschlossen, das zu unterbinden. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Schluss dieses Debattenteils. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO auf Ersuchen der Türkei und auf Grundlage des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung ({1}) sowie des Beschlusses des Nordatlantikrates vom 4. Dezember 2012 Drucksachen 18/262, 18/347

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Abgeordnete Philipp MißfelderNiels AnnenSevim DağdelenOmid Nouripour - Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/382 Berichterstattung:Abgeordnete Alois KarlDoris BarnettMichael LeutertDr. Tobias Lindner Ich mache Sie jetzt schon darauf aufmerksam, dass wir über die Beschlussempfehlung später namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion. ({1})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorwegzusagen: Die Verlängerung des PatriotMandats wird den Bürgerkrieg in Syrien weder beenden noch anfeuern. Es geht in erster Linie um einen Beitrag im Bündnis und um den Versuch, einen ohnehin entfesselten und enthemmten Krieg nicht weiter zu entgrenzen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir glauben, dass das Mandat, das die Bundesregierung hier vorgelegt hat, verantwortbar ist, weil es defensiv ist bzw. weil es - wie wir es in den 70er-Jahren im Rahmen des Ost-WestKonflikts manchmal diskutiert haben - nicht angriffsfähig ist. Es erteilt sozusagen aus unserer Verantwortung heraus einen defensiven Auftrag. Es wirkt nicht in den syrischen Luftraum, es leistet keiner Flugverbotszone Vorschub, und es enthält eine Zusammenarbeit mit anderen Partnern. Nicht zuletzt: Es wirkt im Bündnis. Wenn wir - einige Tausende Kilometer entfernt glauben, die Bedrohung sei nicht existenziell für die Türkei, so möchte ich daran erinnern, dass in diesem Bürgerkrieg 600 bis 700 Mittelstreckenraketen dem Regime in Syrien zur Verfügung stehen. Dieses Regime hat die Mittelstreckenraketen auch schon eingesetzt. Da die Bedrohung in unmittelbarer Umgebung so wahrgenommen wird und da wir in Deutschland um einen Beitrag zusammen mit den Niederlanden und den USA gebeten werden, ist das eine akzeptable Maßnahme innerhalb des Bündnisses, von dem auch Deutschland profitiert hat. Wir sollten uns weiterhin auch Folgendes deutlich machen: Diese Patriot-Einheiten verteidigen keine Regierung, keine politischen Handlungen, sondern Flüchtlinge, deren Helfer und letztlich die Menschen, die in diesem Gebiet entlang der türkisch-syrischen Grenze wohnen. Es soll durch Abschreckung geschützt werden. Zumindest hat dies in den letzten Monaten funktioniert. Dass sich die Bundeswehr daran beteiligt hat, ist auch diesem Mandat letztlich geschuldet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es besteht kein Zweifel: Die Türkei ist direkt und indirekt in diesen Konflikt involviert - im Guten wie im Schlechten. Von dieser Stelle muss gerade der Türkei, den Hilfsorganisationen und insbesondere den Menschen, die in diesem Gebiet Flüchtlinge aufgenommen haben, gedankt werden für die humanitäre Hilfe für die vielen Tausend Flüchtlinge, die aus dem Bürgerkriegsgebiet in die Türkei geflohen sind. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Mützenich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dağdelen?

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege Mützenich. - Herr Kollege Mützenich, Sie haben gesagt, dass dieses Mandat ein verantwortbares Mandat ist und dass es dazu da ist, besonders Flüchtlinge an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien zu schützen. Ich möchte Sie aber auf einen Punkt hinweisen. In dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung dieses Einsatzes der Bundeswehr steht im zweiten Absatz unter „Völkerrechtliche Grundlagen“, dass auf Antrag der Türkei im Nordatlantikrat am 26. Juni und am 3. Oktober 2012 Konsultationen stattgefunden haben aufgrund zweier Ereignisse. Aufgrund dieser zwei Konsultationen hat die NATO beschlossen, dass es diesen Einsatz geben soll. - Können Sie mir bis hierhin folgen? ({0}) Die Begründungen - ({1}) - Er hat so grimmig geguckt. Deshalb frage ich, ob er mir überhaupt folgen kann. Dies steht im Antrag der Bundesregierung, den Sie höchstwahrscheinlich gelesen haben. Die Begründungen der Entsendung von Patriots sind aber nicht haltbar. Auf Antrag der Türkei fanden zwei NATO-Konsultationen statt. Die erste befasste sich mit dem Abschuss eines türkischen Militärflugzeugs durch die Syrer, die zweite Konsultation mit dem Granatbeschuss der Syrer RichSevim Dağdelen tung Türkei. Das steht in dem Antrag der Bundesregierung. Diese Begründungen sind schlicht nicht haltbar, Herr Kollege, weil sich herausgestellt hat, dass in einem geheimen NATO-Bericht - diesen Bericht legt die Bundesregierung bisher nicht vor - steht, dass diese türkische Version nicht stimmt. Deshalb frage ich Sie, Herr Kollege: Wie kommen Sie darauf, den Antrag zu unterstützen, obwohl in dem NATO-Bericht steht, dass die Konsultationen, auf deren Grundlage dieser Einsatz heute noch einmal beschlossen werden soll, uns Abgeordneten nicht wahrheitsgemäß vermittelt worden sind? Wir sind getäuscht worden. Die International Crises Group und die Stiftung „Wissenschaft und Politik“ haben gesagt, dass die Darstellung der Türkei falsch war. Warum sagen Sie jetzt, dass dieser Antrag immer noch auf der gleichen Grundlage im Bundestag bewilligt werden muss? Ich frage Sie, wenn sich der Anlass, der in diesem Antrag zugrunde liegt, als unwahr erwiesen hat: Was ist der eigentliche Sinn und Zweck dieses Einsatzes? Teilen Sie dem Bundestag und auch der Öffentlichkeit mit, warum Sie dem AKP-Regime unter dem autoritären Führer Erdoğan mit dem Einsatz von Patriots zur Seite stehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ein kleinen Moment, Kollege Mützenich. Ich habe die Uhr inzwischen angehalten.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist gut so. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte nur darum, bei weiteren Debatten und Zwischenfragen nicht den Umstand auszunutzen, dass wir zwischendurch einen kleinen Technikausfall hatten und daher die Zeit für eine Bemerkung oder Frage nicht messen konnten, und die Redezeit zu überschreiten. Ich bitte um die gebotene Kürze, damit wir die Debattenzeit auf diese Art und Weise nicht verdoppeln. Ich denke, wir sind alle fähig, den Sachverhalt zu erläutern und eine Frage zu stellen. Kollege Mützenich, Sie haben das Wort für die Antwort. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich halte es auch für angemessen; denn wir führen hier eine ernste Debatte über die Verlängerung von Mandaten, bei denen wir die Bundeswehr in Regionen schicken, in denen Krisensituationen herrschen. Deswegen vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie mir diese langen Zusammenhänge und Fragen zutrauen. Ich bin Ihren Ausführungen schon gefolgt. ({0}) Der entscheidende Punkt, den ich versucht habe Ihnen am Anfang deutlich zu machen, war, dass dieses Mandat, als es damals hier in den Deutschen Bundestag eingebracht worden ist, einen allein defensiven Charakter hatte, dass es keine provokativen Elemente gegenüber dem syrischen Regime hatte. In diesem Zeitraum mussten wir immer wieder erleben, dass in Syrien Mittelstreckenraketen von der dortigen Armee eingesetzt wurden. Ich glaube, dass die Bedrohung existenziell zu diesem Zeitpunkt gewesen ist, wie sie es auch heute ist. Wenn Sie berücksichtigen, dass es 600 bis 700 Mittelstreckenraketen in Syrien gibt und dort ein entfesselter Krieg - mit 130 000 Toten - stattfindet, angesichts dessen 9,3 Millionen Menschen in Syrien auf Hilfe angewiesen sind und es 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge und 2,4 Millionen Flüchtlinge gibt, die unter anderem in die Türkei gehen, dann erkennen Sie, welche Krisen sich aus dieser Situation entwickeln können, die sich letztlich auch auf die Türkei auswirken. Deswegen mache ich es noch einmal sehr deutlich: Dies ist ein defensiver Auftrag. In dem Mandat der Bundesregierung steht nichts von der AKP-Regierung, die Sie hier eben benannt haben. Wenn Sie einen Geheimbericht haben, den Sie uns, den Kolleginnen und Kollegen, zukommen lassen wollen, haben wir, glaube ich, genügend Gelegenheit, im Auswärtigen Ausschuss darüber zu reden. ({1}) Ich bin mir nicht sicher, warum wir ihn nicht mit Ihrer Hilfe bei den Beratungen im Auswärtigen Ausschuss einsehen konnten. Das wäre hilfreich gewesen. ({2}) Es macht keinen Sinn, wenn hier nur etwas von einem Bericht behauptet wird. Dann besteht letztlich keine Möglichkeit, ihn in die Beratung dieser Fragen einzubeziehen. Ich würde gerne noch sagen - wenn Sie, Frau Präsidentin, es erlauben -: Sie sollten sich auch die Frage stellen, ob es manchmal nicht besser ist, einen Partner durch eigene Beiträge im Bündnis zu halten und an der Politik zu beteiligen. Sie unterstellen der AKP-Regierung ja eine Menge. ({3}) Stellen Sie sich nicht die Frage, ob es nicht möglicherweise hilfreich ist, einen Beitrag zu leisten, wenn ein Bündnispartner Hilfe erbittet, um ihn auf diese Weise eng an die Politik zu binden, die in den letzten Wochen und Monaten in Montreux und Genf verfolgt wurde? Wir versuchen nämlich, die falsche Politik in dieser Region, die auch die AKP-Regierung mit zu verantworten hat, zu korrigieren. ({4}) Darauf würde ich gerne im Laufe meiner Redezeit, die mir noch zur Verfügung steht, zu sprechen kommen. ({5}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was Sie von der Linksfraktion immer wieder übersehen, ist, dass solche Mandate in einen politischen Handlungsrahmen eingebettet sind. Wir haben gerade eine Generaldebatte über die Außen- und Sicherheitspolitik geführt. Der Außenminister hat hier betont, welche aktive Rolle diese Bundesregierung in den letzten Wochen gerade auch bei der zivilen und politischen Bearbeitung des Bürgerkrieges in Syrien gespielt hat. Diesen Beitrag, diese diplomatischen Bemühungen - ich hoffe, da spreche ich für das gesamte Haus - sollte Deutschland weiterhin erbringen. Ich bin sehr dankbar, dass die Bundesregierung innerhalb weniger Tage eine frühere Entscheidung korrigiert hat - ich hätte es mir schon früher gewünscht -: Sie hat zugesagt, die Restbestände an chemischen Waffen, die das syrische Regime eingesetzt hat, in Deutschland zu vernichten. Ich finde, das ist ein exzellenter Beitrag, den wir mit den Mitteln und Instrumenten, die in Deutschland auch aufgrund des Ost-West-Konflikts und der Hilfe bei der Zerstörung der libyschen Chemiewaffen vorgehalten werden, leisten können. In diesem Zusammenhang möchte ich auch im Hinblick auf die Haushaltsberatungen betonen, wie wichtig in Zukunft zum Beispiel das Kapitel zu Abrüstung und Rüstungskontrolle sein wird. Wir, das Parlament - auch wir Sozialdemokraten -, werden sehr selbstbewusst darauf achten, dass entsprechende finanzielle Mittel vorgehalten werden, damit immer wieder ad hoc auf bestimmte Situationen reagiert werden kann und wir unseren Beitrag zu Abrüstung und Rüstungskontrolle leisten können. Damit besteht letztendlich die Möglichkeit, auf die entsprechenden Länder einzuwirken.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Mützenich, ich habe gerade wieder die Uhr angehalten, um Sie zu fragen, ob Sie dem Kollegen van Aken eine Bemerkung oder Frage gestatten. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Mützenich, Sie haben gerade eben gesagt - es war nur ein kleiner Halbsatz -, dass auch die syrische Regierung Chemiewaffen eingesetzt hat. Sie wissen, dass Sie nicht wissen, wer sie eingesetzt hat. Sie wissen, dass die UNO nicht weiß, wer diese Chemiewaffen eingesetzt hat. Ich frage Sie: Warum behaupten Sie das hier? Ich habe die gesamten Unterlagen dazu gelesen. Die UNO sagt ausdrücklich, sie wisse nicht, wer es war. Ich habe alle Anschuldigungen von Kerry und den USA gelesen, die nachweisen wollen, dass es das Assad-Regime war. Ich habe früher bei der UNO in diesem Bereich gearbeitet und sage: All das, was die USA vorlegen, ist ganz dünn. Ich habe auch die Unterlagen gesehen, die Russland vorgelegt hat, um nachzuweisen, dass es die Rebellen waren. Auch all das ist ganz dünn. Ich möchte nur feststellen: Es gibt niemanden, der objektive Fakten darüber hat, wer diese Chemiewaffen eingesetzt hat. Ich frage Sie: Warum behaupten Sie hier, ohne Belege zu haben, dass es das Regime war? Ich möchte hier nur für Objektivität sorgen. Dann möchte ich in diesem Atemzug noch eine Bemerkung machen: Wenn Sie schon erwähnen, dass es syrische Chemiewaffen gibt, müssten Sie auch dazusagen, woher das syrische Regime unter Assad die Chemikalien für die Herstellung von Sarin geliefert bekommen hat. Sie kommen nämlich aus Deutschland. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege van Aken, Sie wissen genauso gut wie ich, dass der Versuch unternommen worden ist, durch eine unabhängige Kommission auf der Grundlage eines Beschlusses des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Überprüfungen durchzuführen. Viele der dadurch gewonnenen Indizien - und das verschweigen Sie in Ihrer Frage -, deuten auf das syrische Regime hin. ({0}) Das betrifft sowohl die Substanzen als auch die Munition, die von dieser unabhängigen Expertengruppe gefunden worden sind. All das ist ein deutlicher Fingerzeig auf dieses Regime. Ich glaube, es ist notwendig, das noch einmal zu betonen. Ich will Ihnen deutlich sagen: Wie in Ihrem Beitrag zu diesem Mandat in der ersten Lesung zeigt sich auch jetzt wieder, wie sehr Sie versuchen, Realitäten auszublenden. Sie haben zum Beispiel davon berichtet, dass Sie in den kurdischen Gebieten in Syrien unterwegs gewesen sind. Daraus haben Sie in der ersten Lesung die Schlussfolgerung gezogen, dass die Kurden in Genf und Montreux eigentlich viel besser vertreten sein müssten. Dabei haben Sie aber verschwiegen, dass viele Kurden, auch in der Opposition, in Genf und in Montreux dabei gewesen sind. Letztlich fordern Sie ein Mandat für die in Syrien lebenden Kurden ein. Deswegen frage ich Sie: Denken nicht auch Sie in Kategorien der Ethnisierung in Bezug auf Konflikte und Konfliktbearbeitung? Ich finde, Sie sollten sich dieser Realität stellen. Darauf kommt es in einer seriösen Debatte an. ({1}) Zum Zweiten. Sie haben sehr stolz darüber berichtet, dass Sie in den kurdischen Gebieten Syriens unterwegs gewesen sind. Während ich Ihnen zugehört habe, habe ich mich gefragt: Wie waren Sie denn dort unterwegs? Hat Sie dort jemand beschützt? Mit Waffen? Ist dieses Gebiet mit Waffen freigekämpft worden? Von dieser Realität haben Sie hier nämlich nichts berichtet, weil Sie immer nur einen kleinen Ausschnitt - vielleicht ist das sogar provokativ gemeint - in die Debatte des Deutschen Bundestages einbringen. Ich finde, es gehört zu einer ehrlichen Debatte - und ich hoffe, dass das in den nächsten vier Jahren der Fall sein wird -, nicht ständig Realitäten auszublenden, insbesondere wenn es um internationale Konflikte geht. Deswegen sage ich: Stellen Sie sich der Aufgabe, Realitäten zu benennen. Es wäre sehr hilfreich, wenn wir es schaffen könnten, Sie doch zu überzeugen, mit uns wenigstens über Einsätze auf der Grundlage von Kapitel VI der Charta der Vereinten Nationen - hier geht es um friedliche Streitbeilegung - zu sprechen, wenn Sie schon nicht darüber diskutieren wollen, Einsätze der Bundeswehr zu mandatieren. Vielleicht käme dadurch ein bisschen Bewegung in die Diskussion. So könnten Sie sich den Realitäten annähern. ({2}) Meine Damen und Herren, ich weiß, dass ich dem Deutschen Bundestag durch die Zulassung der vielen Zwischenfragen und letztlich auch durch die Antworten darauf ein wenig Zeit gestohlen habe, aber ich finde diese Auseinandersetzung sehr wichtig, und zwar nicht nur in Bezug auf Mandate, sondern auch in Bezug auf die Nutzung unserer diplomatischen Möglichkeiten. Ich habe daran erinnert, wie sehr sich die Bundesregierung eingesetzt hat. Ich finde, dass von diesem Hause aus auch ein Dankeschön an den Vermittler des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Herrn Brahimi, gehen sollte, ({3}) der sich unermüdlich für diesen kleinen Erfolg im Bereich der humanitären Hilfe eingesetzt hat. Ich hoffe, dass die Hilfe die Menschen in Homs oder an anderer Stelle erreicht. In der Tat ist es so - Kollege Schmidt hat darauf hingewiesen -, dass wir in Deutschland in den letzten Jahren gerade im Hinblick auf die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen wenig getan haben. 26 000 Flüchtlinge sind bisher nach Deutschland gekommen. Ich glaube, es gibt viele, die sich wünschen, dass im Rahmen des Kontingents, das Sie angesprochen haben, noch mehr zu uns kommen. Ich bin den syrischen Familien dankbar, die entweder Bekannte, Freunde oder Verwandte trotz begrenzter Möglichkeiten bei sich aufgenommen haben. Unsere Aufgabe ist es nun, die Kommunen dabei zu unterstützen, für gute Bedingungen bei der Aufnahme der Flüchtlinge zu sorgen. Mit diesem Mandat ist nicht nur der Einsatz der Bundeswehr verbunden, sondern auch diplomatische und humanitäre Aufgaben. Vielleicht können wir uns zumindest auf diesen Teil beziehen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katrin Kunert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir am Montag im Verteidigungsausschuss die Position der Linken zu den zwei Einsätzen im Mittelmeer und an der türkisch-syrischen Grenze vorgetragen haben, hat ein Kollege gesagt, unsere Argumente gegen diese Einsätze seien unerträglich. Ich will Ihnen einmal sagen, was für meine Fraktion und für mich unerträglich ist: Erstens. Die Große Koalition hatte überhaupt nicht vor, die Mandatsverlängerung hier im Parlament ordentlich zu beraten, ({0}) wie es das Parlamentsbeteiligungsgesetz vorschreibt. Herr Mützenich, Sie fordern eine offene Debatte über die Auslandseinsätze OAF und OAE; dabei wollten Sie diese Debatte in einer Regierungserklärung verstecken. Erst nachdem die Linke eine Geschäftsordnungsdebatte beantragt hatte, war man bereit, die abschließende Lesung aus der Regierungserklärung herauszulösen und über die Mandate einzeln zu debattieren. ({1}) Sie glauben - auch das muss man hier einmal sagen -, dass Sie mit Ihrer großen Mehrheit hier machen können, was Sie wollen. Ich sage Ihnen: Das wird Ihnen die Linke nicht durchgehen lassen. ({2}) Zweitens. Ich will noch einmal festhalten, wie es zu dem Einsatz deutscher Abwehrraketen an der türkischsyrischen Grenze gekommen ist. Der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien stellte nach Angaben der Türkei eine Gefahr für die territoriale Integrität des Landes dar. Vor allem Einschläge fehlgeleiteter Granaten auf dem türkischen Territorium wurden als Grund genannt, die NATO um Beistand zu bitten. Die Türkei selbst räumte ein, dass die Granaten nicht auf ihr Land gerichtet gewesen seien. Es gab also keine konkrete Bedrohungslage. Hinzu kommt, dass die Patriot-Raketen bei einem möglichen Einsatz von Chemiewaffen oder Granatenbeschuss völlig wirkungslos sind. Das verdeutlicht, dass Sie unter falschen Voraussetzungen einen Bundeswehreinsatz kreiert haben. Das ist aus unserer Sicht die falsche Antwort. ({3}) Drittens. Die Türkei ist Teil des Konflikts. Sie unterstützt radikale Aufständische, gewährt islamistischen Gotteskriegern die Einreise über ihr Territorium und lässt Waffenlieferungen aus den Golfstaaten die Grenze passieren. Die Regierung in Ankara boykottiert jegliche Versuche demokratischer Selbstverwaltung in den kurdischen Provinzen Syriens, indem sie die Grenzen abriegelt und selbst humanitäre Hilfe blockiert. Die Türkei befördert somit Kriegshandlungen im Nachbarland und beklagt sich dann über fehlgeleitete Granaten. Das ist doch absurd. ({4}) Ich bitte Sie: Beenden Sie das Mandat. Ziehen wir die deutschen Raketen ab. ({5}) Die Linke fordert die Bundesregierung auf, sich für einen Waffenstillstand und die friedliche Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien einzusetzen. Die Linke fordert die Bundesregierung auf, sich beim Bündnispartner Türkei dafür einzusetzen, dass die Blockaden an den Grenzen aufgehoben werden, um humanitäre Hilfe und ganz normalen Handel zu unterstützen. ({6}) Lassen Sie uns die knapp 20 Millionen Euro, die der Patriot-Einsatz kosten würde, für Medikamente und notwendige Lebensmittel einsetzen. Das wäre humanitäre Hilfe. ({7}) Raketen machen nicht satt, und sie bringen auch keinen Frieden. Insofern - das ist unser Vorschlag - sollten wir jetzt alle unser ganzes diplomatisches Geschick für ein friedliches und demokratisches Syrien einsetzen. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Roderich Kiesewetter hat für die Unionsfraktion das Wort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nehme an, der Kollege Kiesewetter freut sich darüber, dass Sie so zahlreich hier im Plenarsaal vertreten sind. ({0}) Es wäre aber schön, wenn Sie jetzt auch die Voraussetzung dafür schaffen würden, dass alle im Plenarsaal die Beiträge des Kollegen Kiesewetter und der folgenden Rednerinnen und Redner verfolgen können. Daher bitte ich, notwendige Gespräche nach draußen zu verlagern. Bitte. ({1})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute mehrfach von einem Teil der Opposition gehört, dass wir Auslandseinsätze der Bundeswehr beenden sollen. Wir haben mehrfach gehört, dass wir eine andere Sicherheitspolitik anstreben sollen. Wir sollten das nicht als gebetsmühlenartig abtun, sondern wir sollten uns in unserer großen Mehrheit, als Große Koalition bewusst sein, dass wir unsere Auslandseinsätze auf einem klaren sicherheitspolitischen Fundament diskutieren und verabschieden. Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir die Sicherheitspolitik nicht einer kleinen Gruppe von Fachleuten überlassen dürfen, sondern als Große Koalition gemeinsam dafür stehen müssen. Deshalb bin ich auch sehr froh und dankbar, dass vor dieser Debatte eine breite sicherheitspolitische Generaldebatte stattgefunden hat. Ich kann hier nur einigen Vorrednern, zum Beispiel Thomas Strobl, zustimmen, die gesagt haben, dass Sicherheitspolitik in Wirtschaftspolitik, in Sozialpolitik und in Außenpolitik einzubetten ist. Wenn wir uns jetzt mit dem Mandat Operation Active Fence, also dem Schutz des Luftraums in der Türkei, beschäftigen, müssen wir uns im Klaren sein, dass wir dies vor einem Jahr zum ersten Mal verabschiedet haben und sich die Bedrohungslage nicht verändert hat. Die Türkei hat aber in der Zwischenzeit 72 zivile Tote zu beklagen und kümmert sich - sie übernimmt damit Solidarität für viele Staaten Europas - um 800 000 Flüchtlinge auf dem eigenen Territorium. Der Einsatz Active Fence bleibt unverändert notwendig. Warum? Die Türkei verfügt über keine eigenen Flugabwehrsysteme. Die Türkei hat kein Patriot-System. Aber - das zeigt die Bündnissolidarität - Deutschland, die USA und die Niederlande helfen der Türkei mit diesem System aus. Worum geht es dabei? Es geht nicht darum, im Luftraum Syriens zu wirken, sondern es ist eine defensive Maßnahme, die der NATO-Rat beschlossen hat und der wir im Bundestag, glaube ich, einmütig zustimmen können. Es geht dabei darum, den Luftraum der Türkei zu schützen. Syrien verfügt - Kollege Mützenich hat es vorhin gesagt - über ballistische Raketen und setzt sie im eigenen Land ein. Es ist ein Zeichen der Solidarität Deutschlands, der Niederlande und der Vereinigten Staaten, Seite an Seite mit der Türkei ihren Luftraum zu schützen. ({0}) Im Übrigen leistet Deutschland einen weiteren Beitrag, den wir hier ansprechen sollten. Der Einsatz wird ja nicht von der Türkei, sondern aus Deutschland heraus vom Air Command in Ramstein geführt. Das ist ein NATO-Kommando auf deutschem Boden. Hier zeigen wir, dass wir Teil dieser NATO-Operation sind, wir zeigen Bündnissolidarität und leisten auch mit Blick auf die Kommandostrukturen der reformierten NATO einen Beitrag. Lassen Sie mich zum Abschluss auch das Übergeordnete ansprechen. Diese Operation ist in ein größeres Krisen- und Konfliktmanagement eingebettet. Kollege Mützenich hat das sehr deutlich angesprochen. Wir Deutschen leisten auch einen Beitrag im Bereich der humanitären Hilfe, der Übergangshilfen, der Krisenbewältigung und des Konfliktmanagements. Die Kosten unseres Einsatzes bei Active Fence betragen rund 20 Millionen Euro im Jahr, während die der humanitären Hilfe, der Übergangshilfen, im Bereich des Konfliktmanagements und der zivilen Krisenprävention über 400 Millionen Euro jährlich betragen. Wir zeigen damit, dass wir einen mehrfachen Beitrag leisten und uns mit einer beispielhaften vernetzten Sicherheitspolitik für die Türkei einbringen. Dadurch werden wir auch unserem Koalitionsvertrag gerecht, in dem wir schreiben, dass wir zivile und militärische Instrumente abgestimmt und vor allen Dingen mit parlamentarischer Begleitung zum Einsatz bringen wollen. Lassen Sie mich abschließend den zurzeit 400 deutschen Soldatinnen und Soldaten, aber auch unseren niederländischen und amerikanischen Bündnispartnern auf türkischem Boden unsere Solidarität versichern und ihnen für ihren Einsatz danken. Ich werbe um Zustimmung für das Mandat und danke für Ihre Aufmerksamkeit. Danke schön. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Dr. Franziska Brantner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Ich bitte noch einmal die Kolleginnen und Kollegen, die schon im Saal sind und noch keinen Sitzplatz gefunden haben, sich jetzt bitte zu setzen oder notwendige Gespräche nach draußen zu verlegen. - Sie haben das Wort.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir Grüne werden der Verlängerung des Mandats zur Aufstellung der Patriot-Systeme in der Türkei aufgrund der Verpflichtungen im Bündnis, weil die Kriegsgefahr in der Region im letzten Jahr zumindest nicht gesunken ist, zustimmen. Wir stimmen auch zu, weil das Mandat aufgrund des Drucks von uns Grünen im letzten Jahr so angepasst wurde, dass politische Manipulationen erschwert werden. Ich nenne als Beispiel die ausreichende Distanz zur türkisch-syrischen Grenze. Die Entsendung der Patriot-Einheiten darf aber nicht den Blick auf die Krise in Syrien verstellen. Hier liegen die Ursachen dafür, dass es notwendig ist, Abwehrsysteme zu stationieren. Hier müssen wir liefern, wenn das Mandat ein Ende finden soll. ({0}) Am Montag sprach - Herr Strobl, Sie haben ihn erwähnt - Daniil Granin zu uns. Seine Schilderung der Blockade von Leningrad hat mich sehr berührt. Als er über das Elend der Kinder sprach, schnürte sich mir der Hals zu. Ohne dass ich die deutschen Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg irgendwie relativieren wollte, muss ich sagen, dass mir bei Herrn Granins Erinnerungen Bilder von Kindern und Frauen aus Homs in den Kopf kamen. Auch die syrische Stadt Homs wird seit Monaten, seit Jahren belagert, beschossen, ausgehungert. Die Menschen dort stehen ohne medizinische Versorgung da. Zwei Drittel der Krankenhäuser sowie der Krankenwagen in Syrien sind zerstört. Die syrische Regierung verhindert die Lieferung medizinischer Hilfsgüter in Gebiete, die von den Oppositionellen kontrolliert werden. Es gibt Bestrebungen, den Verantwortlichen für zehntausendfache Folter, Tod, Aushungern, für Jahrzehnte der Unterdrückung - Baschar al-Assad - als die bessere Alternative darzustellen. Das, meine Damen und Herren, dürfen wir nicht durchgehen lassen. Hier muss Herr Steinmeier ein klares Signal setzen. ({1}) Ich hätte mir gewünscht, dass es in den Genf-II-Verhandlungen einen Hoffnungsschimmer für Homs gibt; aber trotz der Zusage des Assad-Regimes hat humanitäre Hilfe Homs bis heute Nachmittag nicht erreicht. Stattdessen fordert das Regime heute, Frauen und Kinder von den Männer zu trennen. Das ruft mir unweigerlich Srebrenica ins Gedächtnis: Die Frauen und Kinder haben ihre Männer und Väter damals nie wieder gesehen. So weit dürfen wir es nicht kommen lassen. Das humanitäre Völkerrecht ist nicht verhandelbar, es gilt für alle, ohne Wenn und Aber. ({2}) Wir dürfen Assads Hinhaltetaktik nicht weiter dulden. Seien wir doch ehrlich: Wenn der Zugang nach Homs nicht bald gelingt, wird die Opposition am Verhandlungstisch nicht sitzen bleiben können, ohne jegliche Glaubwürdigkeit innerhalb Syriens zu verlieren. Dann wären die Verhandlungen erst einmal vorbei. Herr Steinmeier ist in diesem Moment leider nicht da. Ich möchte ihn fragen: Tun Sie wirklich alles, um den Druck auf Assad und seinen Partner Putin so zu erhöhen, dass humanitäre Hilfe Zugang nach Homs bekommt? Was für Chemiewaffeninspekteure möglich ist, das muss doch erst recht für humanitäre Helfer möglich sein: Sie müssen im ganzen Land unbeschränkten Zugang bekommen. Der Schutz der Bevölkerung darf doch nicht bei der Vernichtung der Chemiewaffen enden. ({3}) Es würde Russland gut anstehen - auch mit Blick auf den olympischen Frieden von Sotschi -, ein humanitäres Zeichen zu setzen, indem man sich dafür starkmacht - wenn nicht in Genf, dann in New York, im Sicherheitsrat -, dass humanitäre Hilfe Zugang nach Homs bekommt. Herr Steinmeier, üben Sie bitte auch Druck aus auf Saudi-Arabien und Katar - Länder, aus denen Dschiha616 disten finanziert werden -, die auch keine humanitäre Hilfe zulassen. Da wird wieder einmal klar: Wir brauchen endlich eine echte Contact Group, in der Russen, Iraner, Saudi-Araber, eben alle an einem Tisch sitzen, um sich auch zwischen Friedenskonferenzen abzustimmen und zu einigen. Und, liebe Bundesregierung, wir brauchen eine europäische Stimme; die gibt es in der Syrien-Politik momentan gar nicht. Der Europäische Auswärtige Dienst mit Herrn Vimont an der Spitze liest die französischen Kabelberichte, Frau Ashton hört auf Herrn Cameron, und was machen die Deutschen? Es ist unsere Chance, hier endlich Kohärenz herbeizuführen und vielleicht einen Beitrag zu leisten. ({4}) Letzte Frage an Herrn Steinmeier und Herrn Müller: Leisten wir Deutsche wirklich alles - alles -, um die humanitäre Hilfe in Syrien zu stärken? Können wir nicht noch mehr Gelder senden? Der Treuhandfonds, der mit Deutschlands Hilfe aufgelegt wurde, ist noch längst nicht gefüllt; da könnten wir doch zum Beispiel nachlegen. Sehr geehrte Damen und Herren, aus unserer Geschichte erwächst Verantwortung. Gedenken ohne Handeln reicht nicht. Wir müssen uns besonders engagieren. In diesem Sinne appelliere ich an den Minister: Tun Sie mehr, tun Sie alles in Ihrer Macht Stehende! Ich danke Ihnen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Reinhard Brandl für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eines vorausschicken: Das Leid der Menschen in Syrien lässt einen manchmal schier verzweifeln. Jeden Tag lesen wir neue Nachrichten über Tod und Vertreibung - auch heute wieder; Frau Brantner, Sie haben es angesprochen -, und das, obwohl gleichzeitig in Genf Friedensverhandlungen stattfinden. Es wird in diesem Konflikt keinen Sieger im militärischen Kampf geben. Vielmehr kann Frieden in Syrien nur über den Verhandlungsweg erreicht werden. Insoweit ist es zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass sich in Genf gerade zu der Stunde, in der wir hier debattieren, die Oppositionsparteien mit den Regierungsparteien zumindest in einem Raum befinden und indirekt miteinander reden. Ich hoffe, dass die internationalen Anstrengungen, dort eine Lösung herbeizuführen, in den nächsten Wochen und Monaten fruchten werden. Deutschland tut, was möglich ist, um das Leid der Menschen in Syrien zu lindern. Wir sind einer der größten Geber von bilateraler Hilfe. Der Kollege Kiesewetter hat die 440 Millionen Euro seit 2012 angesprochen. Wir unterstützen die besonders betroffenen Nachbarländer in vielerlei Hinsicht, nehmen selber Flüchtlinge auf und helfen jetzt ganz aktuell, die syrischen Chemiewaffen zu vernichten. Wir können als Deutschland nicht alles leisten, aber die Vernichtung dieser Chemiewaffen ist zum Beispiel ein Beitrag, den wir leisten können, weil wir dafür die Technologie und das Know-how haben. Wir stellen uns dieser Verantwortung und bringen diesen Beitrag ein, und das ist wichtig und richtig. ({0}) Meine Damen und Herren, das ist internationale Gemeinschaft: Jeder leistet entsprechend seinen Möglichkeiten und seinen Fähigkeiten einen Beitrag zur Lösung des großen Problems. Ein solcher Beitrag ist auch der Schutz der Türkei vor fehlgeleiteten Raketen. Diese Hochtechnologiefähigkeit der Raketenabwehr haben im Bündnis nur wir, die USA und die Niederlande. Die Türkei selber hat sie nicht. ({1}) - Da ist der Wunsch einer Zwischenfrage; ich würde sie zulassen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut, Kollege Brandl. Jetzt, am Beginn der Legislaturperiode, scheinen sich neue Freundschaften in Bezug auf Zwischenfragen und Antworten zu bilden. ({0}) - Ja, ich werde genau beobachten, wie sich das hier weiterentwickelt. - Kollegin Dağdelen, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage oder Bemerkung.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Kollege, danke, dass Sie es zugelassen haben, Sie kurz zwei Dinge zu fragen. Denn Sie haben ja gesagt: Dieser Einsatz dient dem Schutz der Türkei. Erstens. Vor dem Hintergrund, dass ich es sehr bedauere, dass in dieser Debatte bis jetzt kein Wort, kein kritisches Wort über die Unterdrückung in der Türkei gefallen ist, möchte ich Sie fragen: Ist es nicht eher so, dass die Bundeswehr mit diesem Einsatz das AKP-Regime und Erdogan schützen soll? Zweitens: Wie gehen Sie in den Koalitionsfraktionen damit um, dass laut Umfragen von unabhängigen Instituten in der Türkei - auch aktuellen Umfragen - eine große Mehrheit der Bevölkerung in der Türkei gegen diesen Patriot-Einsatz in der Türkei ist? Es gab massenhafte Demonstrationen und Proteste gegen die Bundeswehr und auch gegen diesen Einsatz. Wie gehen Sie damit eigentlich um?

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir nehmen die Stimmung in der Türkei sehr zur Kenntnis, wobei ich Ihnen sagen muss, dass es nicht so eindeutig ist, wie Sie sagen. Ich habe auch andere Stimmen aus der Türkei gehört. Wir haben erst in der letzten Woche mit türkischen Vertretern gesprochen, die den Einsatz der Deutschen sehr begrüßen. Ich möchte Ihnen eines zur Bedrohungslage in der Türkei sagen: Auf türkischem Gebiet gab es seit dem Ausbrechen des Bürgerkriegs 309 Verletzte und 94 tote Zivilisten. Die Zahl ist vom November; jetzt werden es sicher schon wieder mehr sein. Unsere Patriot-Systeme sind seit einem Jahr im Einsatz; wir haben darüber diskutiert. In diesem Jahr haben diese Systeme über 300 Abschüsse von Kurzstreckenraketen festgestellt. Diese Kurzstreckenraketen haben eine Reichweite von etwa 700 Kilometern. Wenn die Rakete startet, wissen Sie nicht, wo sie einschlagen wird. Es dauert eine gewisse Zeit, bis Sie errechnen können, wo der Einschlagpunkt ist. Dass die Menschen in diesem Gebiet Angst haben, liebe Frau Kollegin, ist doch nachvollziehbar. Sie müssen sich das ganz praktisch vorstellen. Das ist ein Kriegsfall. Sie wissen nie, wer dahinter steht, wer zum Beispiel die Koordinaten für die Rakete eingibt, welche Motive er hat und ob er immer rational handelt. Sie wissen beispielsweise nie, ob die Rakete Giftgas mit sich führt. Dieses Risiko konnte im letzten Jahr deutlich minimiert werden, auch mit deutscher Hilfe. Aber aus Deutschland heraus die Bedrohungslage in der Türkei infrage zu stellen, finde ich schon ziemlich vermessen. Liebe Frau Kollegin, die Frage ist jetzt beantwortet. ({0}) Wir leisten unseren Beitrag im Rahmen der Bündnissolidarität. Die Türkei hat bei der NATO und damit auch bei uns um diesen Beitrag nachgefragt. Gerade Deutschland hat jahrzehntelang von der Solidarität im Bündnis dahin gehend profitiert, dass unsere internationalen Partner in unserem Land stationiert waren und im Falle eines Falles eingegriffen hätten. Davon haben wir profitiert. Unsere Partner haben unsere Sicherheit garantiert. Jetzt leisten wir einen Beitrag zur Sicherheit und zur Stabilität im Bündnis. Ich finde, wir sollten das tun. Ein solcher Einsatz ist doch rein defensiv. Ich verstehe, ehrlich gesagt, gar nicht, was die Linken immer gegen solche Einsätze haben. Wenn Sie grundsätzlich gegen Bundeswehreinsätze sind, dann sagen Sie das. Sagen Sie doch: Wir lehnen einen solchen Einsatz aus grundsätzlichen Erwägungen ab. - Aber inhaltlich können Sie diesen Einsatz doch nicht kritisieren. Er ist rein defensiv. Es geht nicht darum, jemanden mit Raketen anzugreifen, sondern es geht nur darum: Wenn eine Rakete aus Syrien auf türkisches Gebiet fliegt, dann soll sie abgeschossen werden, bevor sie in Kahramanmaras oder in einer anderen Großstadt einschlägt. Dagegen kann man nichts haben. Das ist ein wertvoller Beitrag, den wir im Bündnis leisten. ({1}) Ich denke, wir sollten diesen Beitrag nicht verwehren. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Mandat. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftvertei- digung der NATO auf Ersuchen der Türkei. Mir liegen zwei Erklärungen der Kolleginnen Dağdelen und Kiziltepe nach § 31 unserer Geschäftsord- nung vor. Wir nehmen sie entsprechend unseren Regeln zu Protokoll.1) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/347, den Antrag der Bundesre- gierung auf Drucksache 18/262 anzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte jetzt um Aufmerksamkeit. Mir ist zu Ohren gekommen, dass noch nicht alle, insbesondere neu dem Haus angehö- rende Mitglieder des Bundestages, wissen, mit welchen Materialien sie sich für die unterschiedlichen Abstim- mungsformen, die wir heute alle üben, jeweils ausstatten müssen. Deshalb bitte ich darum, mir jetzt sehr genau zuzuhören. Sie brauchen für die namentliche Abstimmung die Stimmkarte Ihrer Wahl, die Sie aus dem Kartenfach in der Westlobby geholt haben. Ich bitte Sie, zu überprüfen, ob die Stimmkarte, die Sie schon bei sich haben, tatsäch- lich Ihren Namen trägt, und gegebenenfalls, sollten Sie aus Versehen die Stimmkarte Ihres Nachbarn mitgenom- men haben, den entsprechenden Austausch vor der Ab- stimmung vorzunehmen. Ich weise Sie außerdem darauf hin, dass nach dieser Abstimmung eine weitere Debatte stattfindet, welche wie- derum in eine namentliche Abstimmung mündet, welche wiederum mittels Stimmkarte vollzogen wird. Die weite- ren gedruckten Karten, Wahlausweise, die Sie gegebenen- falls auch schon aus Ihren Kartenfächern geholt haben, brauchen wir erst für die darauffolgenden Wahlgänge. Ich bitte Sie trotzdem, da es offensichtlich schon zu Verwechslungen gekommen ist, die Zeit der nächsten Debatte dafür zu nutzen, zu überprüfen, ob die Wahlaus- weise und die Stimmkarte, die Sie schon haben, entspre- chend gekennzeichnet sind, also Ihren Namen tragen. Sollte dies nicht der Fall sein, bitte ich Sie, die Wahlaus- weise an das rechtmäßig abstimmungsberechtigte Mit- glied des Bundestages zurückzugeben. Denn einige Kol- legen haben offensichtlich ihre Wahlausweise nicht mehr im Fach vorgefunden; die muss also schon jemand anders herausgenommen haben. 1) Anlage 2 Vizepräsidentin Petra Pau Ich hoffe, ich habe mich jetzt deutlich genug ausge- drückt, welche Aufgaben Sie neben dem Verfolgen der Debatte und den Abstimmungen in den nächsten Minu- ten noch zu erfüllen haben. Wir kommen jetzt zur namentlichen Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge- sehenen Plätze einzunehmen. Ich bitte um ein Zeichen, ob an jedem Abstimmungsplatz eine Schriftführerin oder ein Schriftführer der Koalitionsfraktionen und eine Schriftführerin oder ein Schriftführer der Oppositions- fraktionen anwesend ist. - Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die erste namentliche Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Hier vorn ist noch ein Wahlausweis übrig; der wird ja, wie gesagt, später noch gebraucht. ({0}) Ich habe gerade den Hinweis bekommen, dass ich alle Instrumente, die dem Präsidium zur Verfügung stehen, nutzen soll. Das scheint mir an dieser Stelle angebracht zu sein. ({1}) Ich bitte all diejenigen, die der folgenden Debatte nicht folgen können oder wollen, den Saal zu verlassen, und alle anderen, Platz zu nehmen. - Ich werde die Debatte nicht eröffnen, bevor wir nicht die notwendige Ordnung hergestellt haben. Dieser Hinweis gilt sowohl für die Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten als auch für die Mitglieder der Bundesregierung. ({2}) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen der SPDFraktion, der Unionsfraktion, der Grünen und auch der Fraktion Die Linke, den Bemühungen ihrer Parlamentarischen Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen, hier die notwendige Ordnung herzustellen, nun auch Folge zu leisten. ({3}) - Kollege Ulrich, es ist gut, aber auch Sie können noch besser werden. Auch Mitglieder der Fraktion Die Linke stehen noch. - Kollege Ströbele, es macht mich traurig, dass Sie mich ignorieren. ({4}) - Das gilt natürlich auch für die Kolleginnen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die da noch stehen. ({5}) 1) Ergebnis Seite 620 D Wenn die Kollegen der SPD und der Union auch noch die notwendige Ordnung herstellen, können wir fortfahren. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation Active Endeavour im gesamten Mittelmeer Drucksachen 18/263, 18/348 Berichterstattung:Abgeordnete Philipp MißfelderNiels AnnenWolfgang GehrckeDr. Frithjof Schmidt - Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/383 Berichterstattung:Abgeordnete Alois KarlDoris BarnettMichael LeutertDr. Tobias Lindner Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Niels Annen für die SPD-Fraktion. ({8})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, vielen Dank, dass Sie so wacker für Aufmerksamkeit gekämpft haben. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten und beschließen heute über den Antrag der Bundesregierung, die Beteiligung an der Operation Active Endeavour fortzusetzen. Wie Sie alle wissen, hat sich meine Fraktion mit diesem Mandat besonders intensiv auseinandergesetzt. Von diesem Rednerpult aus haben Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten darauf hingewiesen, dass die Begründung des Einsatzes der Diskussion bedarf. Deswegen will ich daran erinnern: Die Grundlage für die Entsendung von deutschen Streitkräften im Rahmen dieses Mandates ist die Ausrufung des Bündnisfalls nach Art. 5 des NATOVertrages. ({0}) Diese Entscheidung war nach dem Angriff des 11. September 2001 auf unsere amerikanischen Verbündeten richtig. Sie war ein Akt der Solidarität, ein Akt der Bündnistreue. Im Rahmen dieses Einsatzes haben wir in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass der Terrorismus bekämpft worden ist und dass wir hier in Deutschland sicherer geworden sind. Aber es ist auch richtig, dass unter der Überschrift „Krieg gegen den Terrorismus“ vieles falschgelaufen ist. Überreaktionen und Fehlentwicklungen - darüber sind sich, glaube ich, viele in diesem Hause einig - haben dazu geführt, dass die Glaubwürdigkeit des Westens in vielen Bereichen gelitten hat. Die Stichworte sind uns hier alle präsent: die Debatte über Folter, die Debatte über Guantánamo, über illegales Töten etc. Ich bin überzeugt davon: Die terroristische Bedrohung auch im Mittelmeer ist nicht gebannt, und es wäre fahrlässig, diesen Eindruck zu erwecken. Aber wir brauchen eine neue Grundlage zur Bekämpfung des Terrorismus und dafür auch einen neuen politischen Konsens. Wir glauben, dass der Bezug dieses Mandates auf Art. 5 des Nordatlantikvertrags in den nächsten Jahren ersetzt werden sollte. ({1}) Wir stimmen heute zu, weil wesentliche Kritikpunkte aus unseren Vorschlägen, aber auch aus der Diskussion in diesem Land von der Bundesregierung aufgegriffen worden sind. Wir stimmen heute einem veränderten Mandat zu: Die Obergrenze der Zahl der Soldaten ist gesenkt worden, das sogenannte Einmelden von Schiffen findet künftig nicht mehr statt, und die exekutiven Befugnisse sind begrenzt worden. Ich will aber deutlich sagen, auch in Richtung der Bundesregierung: Wir stimmen auch in der Erwartung zu, dass die Botschaft, die wir ausgesandt haben, aufgegriffen wird, dass die doch relativ kurze Zeit der Mandatierung - elf Monate - dafür genutzt wird, in der NATO dafür zu sorgen, dass dieser neue politische Konsens Gestalt annimmt, und dass wir gemeinsam mit unseren Bündnispartnern ein neues Mandat ohne den Bezug auf Art. 5 erreichen können. Ich bin dem Bundesaußenminister und auch der Verteidigungsministerin sehr dankbar dafür, dass die ersten Gespräche bereits geführt worden sind. Ich erwarte, dass das in den nächsten Monaten weiter geschehen wird. Dann werden wir gemeinsam hier darüber beraten und auch Bilanz ziehen können. Ich möchte noch etwas zu der Frage der Bündnissolidarität sagen, auch mit Verweis auf die vorhergehende Diskussion. Herr Kollege Gehrcke, ich habe Ihnen wie immer aufmerksam zugehört. ({2}) - Danke schön. - Mir geht es um einen Punkt: Ich habe den Eindruck, es gibt in einem Teil der politischen Linken ein Missverständnis, was unsere Beziehung zur NATO betrifft. Sie glauben, wenn Deutschland sich einseitig aus dem Bündnis verabschiedet - es ist Ihr Vorschlag, die NATO aufzulösen; in diesem konkreten Fall ist Ihr Vorschlag, wir sollten uns einseitig aus der Operation zurückziehen -, dann würde das Ansehen unseres Landes in der Welt steigen, und wir würden Respekt genießen. Habe ich Sie richtig verstanden? ({3}) Schauen Sie in die Geschichte, auch die der SPD, zurück. Die Diskussion haben wir in den 50er-Jahren geführt. Damals gab es ganz viele, die dieser Meinung waren. Seit der großen Rede von Herbert Wehner 1960 ({4}) gibt es in diesem Land einen Konsens, dem Sie sich verweigern. Wir kommen zu einem genau anderen Ergebnis: Die feste Verankerung unseres Landes in den internationalen Bündnisstrukturen der Europäischen Union und der NATO hat - davon bin ich fest überzeugt - die Grundlage für das hohe Ansehen unseres Landes erst gelegt. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Annen, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Ströbele?

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das tue ich gerne.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Kollege. - Ihnen ist wahrscheinlich wie mir bekannt, dass in den letzten Jahren im Mittelmeer kein einziges Boot durch die Bundesmarineeinheiten, die dort sind, aufgebracht oder kontrolliert worden ist. Halten Sie es wirklich für richtig und entspricht es Ihrer Überzeugung, allein deshalb einen Bundeswehreinsatz im Ausland weiterhin zu praktizieren und das Bestehen des Bündnisfalls in der NATO weiterhin anzunehmen und zu unterstützen, weil man mit den Partnern im Augenblick noch nicht geredet hat oder weil man Bündnistreue beweisen muss, obwohl dieser Einsatz überhaupt keinen Sinn mehr macht, oder weil man sich einfach nicht traut, aus diesem Einsatz herauszugehen, obwohl man ihn selber für falsch und überflüssig hält? Das heißt, halten Sie einen bewaffneten Bundeswehreinsatz im Ausland allein aus demonstrativen Gründen für richtig? ({0})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ströbele, ich danke Ihnen für die Frage. Ich glaube, dass nun eine gute Gelegenheit ist, noch einmal darauf hinzuweisen - ich hätte das sonst in der Form vielleicht gar nicht gemacht -, dass es einen Unterschied gibt, seit die Sozialdemokratische Partei in die Bundesregierung eingetreten ist. Wir haben uns nämlich in der Opposition und jetzt in der Regierungsverantwortung mit genau dem Punkt, den Sie ja zu Recht ansprechen, auseinandergesetzt. Ich möchte Ihre Frage schon im Hinblick auf den spezifischen Fall beantworten; generell muss jeder Einsatz detailliert und für jeden Einzelfall begründet werden. Insofern bin ich gar nicht bereit und nicht in der Lage, Ihre Frage allgemein mit Ja oder Nein zu beantworten. Wir kommen zu dem Ergebnis: Die Bündnissolidarität muss in unserer Abwägung immer eine Rolle spielen, auch insofern, als wir uns alle - ich bin mir sicher, die Bundesregierung tut das auch - die Frage stellen müssen: Was würde eine einseitige Entscheidung, so wie sie uns die Kollegen der Linkspartei hier vorschlagen, für unseren politischen Spielraum bedeuten? Ich habe auch in meiner Rede eben sehr klar die Erwartung geäußert - ich wiederhole das gerne -, dass in den nächsten elf Monaten etwas passiert. Insofern bin ich mit diesem Mandat sehr zufrieden, als es in eine Richtung geht, von der wir immer gefordert haben, dass sie formuliert wird. Darüber hinaus ist das Ganze sehr verantwortbar, weil wir nicht dasselbe, sondern ein verändertes Mandat beschließen. Darauf habe ich am Anfang hingewiesen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte am Ende meiner Rede versuchen, an einen vorherigen Gedanken anzuschließen. Ich hatte, Frau Präsidentin, eine Zwischenfrage eher von der linken Seite erwartet; aber das scheint sich nach der vorhergehenden Debatte insoweit erledigt zu haben. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich weise vorsorglich darauf hin, dass ich eine Verdoppelung oder gar Verdreifachung der Redezeit durch Zwischenfragen - auch wenn das durch Koalition und Opposition verabredet worden ist - nicht zulassen werde. Das wurde ja vorhin schon probiert.

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das war keine Verabredung. - Ich komme auch gleich zum Schluss meiner Ausführungen. Wir haben bereits in der vorherigen Debatte detailliert über die Einsatzbedingungen und auch über die Lage im Mittelmeer diskutiert. Klar wurde, dass dort weiter die Notwendigkeit für diesen Einsatz besteht, dass wir ein Interesse daran haben müssen, Informationen aus einer Region zu bekommen, die großen Spannungen unterliegt, in der es politische und auch militärische Spannungen gibt, und dass wir von dieser Region ein aktuelles Lagebild brauchen. Das steht für mich gar nicht zur Diskussion. Ich glaube, dass es die Politik dieser Großen Koalition auszeichnet, dass wir diese Debatte mit unseren Partnern führen, ({0}) und dass es eine Erweiterung unserer politischen Spielräume bedeutet, wenn wir nicht einfach Knall auf Fall - nur weil sich eine Regierungskonstellation in Deutschland verändert hat - sagen: Da machen wir nicht mehr mit. - Wir nehmen nämlich zur Kenntnis, Kolleginnen und Kollegen, dass es innerhalb der NATO Partner gibt, die vielleicht zu einem anderen Bedrohungsbild und zu einer anderen politischen Lageeinschätzung kommen als wir. Ich komme zum Schluss meiner Rede. Wir vertrauen auf die Argumentationskraft und darauf, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung diesen Impuls aus dem Deutschen Bundestag aufgreifen. Deswegen bitte ich um Zustimmung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben 523 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 71 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, und es gab 7 Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 600; davon ja: 522 nein: 71 enthalten: 7 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Vizepräsidentin Petra Pau Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({2}) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({3}) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({4}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Dr. Stefan Kaufmann Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({5}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Carsten Müller ({6}) Stefan Müller ({7}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({8}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({9}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({10}) Gabriele Schmidt ({11}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({12}) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({13}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({14}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl ({15}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({16}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Marcus Weinberg ({17}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({18}) Sabine Weiss ({19}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({20}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Matthias Bartke Vizepräsidentin Petra Pau Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({21}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Uli Grötsch Michael Groß Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({22}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({23}) Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Daniela Kolbe Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({24}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Aydan Özoğuz Mahmut Özdemir ({25}) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({26}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({27}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Axel Schäfer ({28}) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder ({29}) Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({30}) Matthias Schmidt ({31}) Carsten Schneider ({32}) Ursula Schulte Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({33}) Volker Beck ({34}) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Tom Koenigs Oliver Krischer Stephan Kühn ({35}) Christian Kühn ({36}) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({37}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Valerie Wilms Nein SPD Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Petra Hinz ({38}) Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis Dr. Hans-Joachim Schabedoth Swen Schulz ({39}) Waltraud Wolff ({40}) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. André Hahn Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Vizepräsidentin Petra Pau Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({41}) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Corinna Rüffer Enthalten SPD Marco Bülow Dr. Daniela De Ridder Ewald Schurer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Monika Lazar Dr. Julia Verlinden Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Dr. Alexander Neu für die Fraktion Die Linke. ({42})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Operation Active Endeavour soll erneut unter Verweis auf Art. 51 der UN-Charta in Verbindung mit Art. 5 des Nordatlantikvertrags verlängert werden. Es geht um die kollektive Selbstverteidigung, zumindest formell. De facto aber geht es um etwas ganz anderes. In der Begründung Ihres Antrages schreiben Sie schon im ersten Satz: Das Mittelmeer gehört zu den wichtigsten interkontinentalen Transportkorridoren weltweit und ist für den innereuropäischen und transatlantischen Handel von geostrategisch vitaler Bedeutung. Genau darum geht es. Es geht darum, dass Sie die Bundeswehr für das deutsche Kapital ins Mittelmeer schicken, um dort die Interessen zu verteidigen. Das ist der eigentliche Ansatz Ihrer Politik. ({0}) Die Operation Active Endeavour läuft nun seit 2001, das heißt seit zwölf Jahren. Seit zwölf Jahren spinnen Sie an der Legende, es sei eine kollektive Selbstverteidigung. Das ist es nicht. Es sind nämlich gewisse Kriterien nicht erfüllt. Es gibt also Gründe, die erhebliche Zweifel an Ihrer Behauptung aufkommen lassen. Dazu gehören die räumliche und zeitliche Dimension eines Selbstverteidigungsfalls, auch von OAE. Der Terroranschlag 2001 hat nicht im Mittelmeer stattgefunden - das sollte Ihnen bekannt sein, sehr geehrte Damen und Herren -; er hat in New York stattgefunden. Die räumliche Verteidigung viele Tausend Kilometer vom Anschlagsort entfernt ist mehr als fragwürdig. Man stelle sich einfach einmal vor - ich mache ein Gedankenexperiment -, es gäbe einen Terroranschlag in China, in Peking. Herr Arnold, ich habe das Argument schon einmal vorgebracht. ({1}) - Die bringe ich gerne mit ein. - Man stelle sich vor, China würde fortan eine maritime Dauerpräsenz in der Ostsee, in der Nordsee oder im westlichen Atlantik schaffen mit dem Argument: Wir müssen uns verteidigen. - Ich wäre gespannt auf das Geschrei der hiesigen Politik und der Medien. Es wäre ganz gewaltig. ({2}) - Die Marsmännchen fehlen noch, genau; darauf komme ich gleich zurück. Auch der zeitliche Aspekt ist mit Blick auf Art. 51 der UN-Charta in Verbindung mit Art. 5 des Nordatlantikvertrags nicht tragfähig. Sollte hier jemals das Verteidigungsargument gezogen haben, woran die Linke erhebliche Zweifel hat - denken Sie an den Hinweis, den ich gerade gegeben habe -, so ist der Zeitraum von zwölf Jahren wirklich nicht mehr vertretbar. ({3}) Das Fazit, welches es zu ziehen gilt, ist: Der Selbstverteidigungsfall war im Mittelmeer nie gegeben. Er ist, wie man es auch drehen und wenden mag, auch unter zeitlichem Aspekt nicht gegeben gewesen. Es hat im Mittelmeer - darauf wurde vom Kollegen Ströbele gerade zu Recht hingewiesen - niemals eine konkrete Bedrohung Europas und der USA gegeben. Das ist der eigentliche Punkt. Die präventive Selbstverteidigung gegen eine abstrakte Bedrohung - das ist der Begriff, den Sie verwenden - ist völkerrechtswidrig und irgendwie auch lächerlich, wäre sie nicht friedensgefährdend. ({4}) Aber die Lächerlichkeit haben auch Sie irgendwann erkannt, selbst in den Reihen der CDU/CSU. Nun verstecken Sie sich hinter dem Argument der Bündnisverpflichtung und der Bündniszuverlässigkeit. Zum Thema Bündnisverpflichtung nur so viel: Sie greift nicht. Art. 5 des Nordatlantikvertrages ist so formuliert, dass die Beteiligungsform relativ offen ist. Es reicht auch ein Beileidsschreiben, so wurde mir von meinem Prof an der Uni erzählt. Ich habe es nachgeprüft; das reicht tatsächlich aus. Zur Bündniszuverlässigkeit. Das ist nichts anderes als eine irrationale Nibelungentreue auf Kosten der Solda624 tinnen und Soldaten, ihrer Familien und der Steuerzahler. Sie zahlen dafür, dass Sie den USA gegenüber auch im Mittelmeer Nibelungentreue demonstrieren. ({5}) Wir, die Linke, fordern deshalb die sofortige Aufhebung des Bündnisfalls und die Beendigung zumindest der deutschen Beteiligung an der Operation Active Endeavour. Sollten gewisse NATO-Partner nicht mitziehen, was wohl der Fall sein wird, ist eine einseitige Aufkündigung des Konsenses in unseren Augen zwingend erforderlich. Die Konsensaufkündigung ist das souveräne Recht eines Landes, insbesondere dann, wenn die Auflösung des Konsenses im Nordatlantikvertrag noch nicht einmal fixiert ist. Von daher ist die Rückfalllinie, dass ein souveräner Staat von einem Abkommen zurücktreten kann. Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Bundesregierung, nutzen Sie die Souveränität, um endlich eine verantwortungsvolle Außenpolitik einzuleiten! ({6}) Die Gegenargumente, die ich heute gehört habe, vor allem von der SPD, zeigen nur eines: Unsere Forderung nach Austritt aus den militärischen Strukturen der NATO ist richtig. Noch eines müssen wir, glaube ich, feststellen: Schwarmintelligenz, vor allem auch die der NATO, ist nicht immer intelligent - siehe den kollektiven Selbstmord von Lemmingen. Danke. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war die erste Rede des Kollegen Dr. Neu. ({0}) Jetzt rufe ich den nächsten Redner auf. Das ist der Kollege Peter Beyer. Sie haben das Wort. ({1})

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Operation Active Endeavour ist ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der NATO-Bündnispartner, und Bündnistreue - das geht insbesondere an die Adresse des Vorredners von der Linksfraktion - ist für uns ein wichtiger Faktor. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 rief die NATO erstmals den Bündnisfall nach Art. 5 aus. Einer der daraus resultierenden Bundeswehreinsätze ist die Operation Active Endeavour. Seither debattiert der Deutsche Bundestag jedes Jahr über die Verlängerung dieses Mandats. Das machen wir heute auch in dieser Debatte. Die Opposition verweist unter anderem auf die - das haben wir vorhin gehört - umstrittene völkerrechtliche Grundlage oder auf die veränderte Bedrohungslage im Mittelmeerraum. Ein Kollege der Fraktion Die Linke hatte in der Debatte zu dem Antrag der Bundesregierung am 16. Januar dieses Jahres gesagt - ich zitiere -: „Es gibt im Mittelmeer keine Bedrohung für Europa.“ Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer das glaubt, ist blauäugig. Wahr ist, die Bedrohungslage hat sich in den letzten 13 Jahren verändert. Die Bedrohungslage ist, wie es in dem Antrag der Bundesregierung heißt, abstrakt. Die Bedrohung durch maritimen Terrorismus wird inzwischen als gering eingeschätzt. Das liegt nicht zuletzt an der Operation Active Endeavour, die eine abschreckende und eine präventive Wirkung entfaltet hat. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich allen Soldatinnen und Soldaten in der Verwendung bei der Operation Active Endeavour für ihren Einsatz danken. ({0}) Die Sicherheitslage bleibt jedoch aufgrund der politischen Umwälzungen im gesamten arabischen Raum durchaus fragil. Piraterie, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, organisierte Kriminalität und daraus resultierende Sicherheitsrisiken bestehen weiterhin. Mit einem präventiven und netzwerkbasierten Ansatz und einem Schwerpunkt auf Informationsgewinnung kann und muss die Operation Active Endeavour auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur maritimen Sicherheit im Mittelmeerraum leisten. Daran hat nicht zuletzt unser Land ein strategisches Interesse; denn auch die deutsche Wirtschaft ist auf sichere Seewege angewiesen. Für den innereuropäischen und den transatlantischen Handel gehört das Mittelmeer zu den wichtigsten Transitrouten. Der Suezkanal ist die meistbefahrene Seestraße der Welt. Gerade Deutschland als Exportnation profitiert von einem sicheren Mittelmeer am allermeisten. Daher hat Deutschland ein großes Interesse an einem lückenlosen Lagebild vom Mittelmeer, um potenzielle Risiken schneller zu erkennen. Genau das leisten die Soldatinnen und Soldaten bei der OAE. ({1}) Im Übrigen wäre ein Ende der deutschen Beteiligung an der OAE kein gutes Signal an unsere Bündnispartner. Deutschland ist ein verlässlicher internationaler Partner. Das müssen wir zeigen, indem wir weiterhin einen verlässlichen Beitrag leisten. Mir ist durchaus bekannt, dass dies nicht nur auf Zustimmung stößt, wie wir ja auch heute in der Debatte erfahren konnten. Deutschlands sicherheitspolitische Zurückhaltung in den letzten Jahren hat bei unseren Partnern nicht nur für Irritationen gesorgt, sondern zuweilen auch dazu geführt, dass unsere Verlässlichkeit infrage gestellt wurde. Deutschland muss weiterhin und - meiner Überzeugung nach - auch verstärkt eine wichtige Rolle in der Welt spielen. Deutschland ist willens, fähig und in der Lage, sich insbesondere mit unseren Freunden auf der anderen Seite des Atlantiks, den Vereinigten Staaten von Amerika, gemeinsam globalen Herausforderungen zu stellen. Die Weiterentwicklung und Anpassung des Mandats an die Einsatzrealität ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Der deutsche Beitrag wird sich künftig mit einer maximalen Obergrenze von 500 Soldatinnen und Soldaten auf die Beteiligung an den ständigen maritimen VerPeter Beyer bänden der NATO und an den Aufklärungs- und Frühwarnflugzeugen der NATO, AWACS, sowie auf den Austausch von Lagedaten beschränken. Die OAE konzentriert sich inzwischen ohnehin auf die Seeraumüberwachung und den Lagebildaustausch. Damit kommt ihr eine wichtige und nicht zu unterschätzende Frühwarnfunktion zu. Deutschland setzt sich kontinuierlich dafür ein, die Einsatzgrundlagen der Operation auch konzeptionell der tatsächlichen Einsatzrealität anzupassen. Auf deutsche Initiative hin hat die NATO im April des vergangenen Jahres 2013 eine Option eröffnet, OAE perspektivisch in eine nicht durch Art. 5 gestützte Operation zu überführen. Die aktuelle Verlängerung des Mandats unter den geänderten Bedingungen stellt damit eine Übergangslösung dar. Sie ist ein wichtiger Schritt in dem Prozess zur Weiterentwicklung der Operation Active Endeavour. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ich werbe um Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung für das Mandat OAE. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächster spricht der Kollege Tobias Lindner.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir in diesem Hohen Haus über Auslandseinsätze der Bundeswehr sprechen, dann kommt uns an zwei Stellen eine besondere Verantwortung zu. Ich bin daher froh, dass wir heute überhaupt über dieses Mandat diskutieren. Die erste Verantwortung, die uns zukommt, ist, sich im Zweifel für den Parlamentsvorbehalt zu entscheiden. Noch im Dezember wollte uns der damals geschäftsführende Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière erklären, dass OAE nicht zustimmungspflichtig sei. Ich bin daher froh, dass sich die Argumente auch unserer Fraktion durchgesetzt haben und wir in diesem Hause über dieses Mandat abstimmen. ({0}) Es wäre nämlich geradezu absurd, ein Mandat nicht für zustimmungspflichtig zu erachten, das mit Art. 5 des NATO-Vertrages begründet wird. Art. 5 des NATOVertrags ist ein hohes Gut. Er besagt, dass es die Unterzeichnerstaaten als einen Angriff auf ihr Land betrachten, wenn ein Mitgliedstaat angegriffen wird. Wenn wir Angriffe auf andere Mitgliedstaaten als Angriffe auf unser Land empfinden, dann kann ich nicht verstehen, wie man auf die Idee kommen kann, ein Mandat, das mit Art. 5 des NATO-Vertrags begründet wird, sei nicht zustimmungspflichtig. Die zweite Verantwortung, die uns zukommt, wenn wir über Auslandseinsätze reden, ist, uns Folgendes zu fragen: Ist erstens das Mandat richtig begründet? Liegt uns zweitens eine für uns nachvollziehbare und glaubwürdige Schilderung der Situation vor? Sind drittens die Mittel, zu denen wir die Bundeswehr ermächtigen, geeignet, um mit dieser Situation umzugehen? Lieber Niels Annen, hier muss man sagen: Ja, das Mandat ist verändert worden. Aus Sicht meiner Fraktion ist dieses veränderte Mandat, das uns heute vorliegt, aber in sich widersprüchlich. Damit wir uns richtig verstehen: Wir reden hier über Art. 5. Ich persönlich fand es richtig, nach den Anschlägen des 11. September den Bündnisfall auszurufen. Diese Anschläge waren ein menschenverachtender Akt des Terrorismus. Es war ein Angriff, und es bestand eine konkrete Bedrohung der Vereinigten Staaten. Aber genauso wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es, dass dies nach zwölf Jahren nicht mehr als Begründung für eine, wie Sie selber im Antrag schreiben, abstrakte Bedrohungssituation im Mittelmeer dient. Allein das ist ein Grund, warum meine Fraktion diesem Mandat heute nicht zustimmen kann. ({1}) Der andere Punkt ist: Wenn wir uns anschauen, zu welchen Mitteln bei einer solch abstrakten Bedrohungssituation gegriffen wird - wir haben es hier gehört: Seeraumüberwachung, Fernmeldeaufklärung, Patrouillieren -, dann stellen wir fest, dass es in vielen Teilen dieses Mandats um Elemente geht, wie sie in routinemäßigen Missionen der NATO vorkommen. Das heißt, die Bundesregierung hat es nicht nur versäumt, sich dafür einzusetzen, dass der Bündnisfall endlich beendet wird, sondern auch nicht dafür gesorgt, das Mandat so weit zurückzuführen, dass es einer Routinemission entspricht. So ist dieser Antrag ein widersprüchliches Wischiwaschi. Ich komme zum Ende. Sie legen uns hier ein verändertes, aber nach wie vor mit Art. 5 begründetes Mandat vor. Wenn Sie es schon nicht geschafft haben, sich innerhalb der NATO dafür einzusetzen, dass der Bündnisfall beendet ist, dann wäre es Ihre Aufgabe gewesen, sich dafür einzusetzen, dass sich Deutschland an dieser Mission, ähnlich wie in Libyen, nicht beteiligt. Wir erkennen nach wie vor nicht den Sinn. Deswegen werden wir, wie in den Vorjahren auch, heute diesem Mandat nicht zustimmen. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Julia Bartz. ({0})

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Neu, es freut mich, dass Sie sich bei Ihrer ersten Rede zumindest mit einer Unterstellung zurückgehalten haben. Bei vergangenen Debatten zur Operation Active Endeavour haben die Linken zum wie626 derholten Male unseren Soldatinnen und Soldaten unterstellt, Sie würden im Mittelmeer Flüchtlinge jagen. Zur Erinnerung: Kollegin Dağdelen behauptete am 28. November 2013, dass - ich zitiere - „NATO-Schiffe im Mittelmeer zur Flüchtlingsjagd, zur Hetze gegen Flüchtlinge … eingesetzt werden sollen“. Kollege Liebich wiederholte diesen Vorwurf am 16. Januar 2014 und sprach von einer Abwehr der Flüchtlinge durch die Hintertür. Ihre Unterstellungen weise ich entschieden zurück. ({0}) Dass Ihnen Auslandseinsätze der Bundeswehr gegen den Strich gehen, haben wir ja verstanden. Aber eine Diffamierung unserer Soldatinnen und Soldaten lasse ich in diesem Hohen Hause nicht zu. ({1}) Unsere Soldatinnen und Soldaten erfüllen einen wichtigen Auftrag für unser Land. Sie tun dies in unterschiedlichen Teilen der Erde. Unsere Soldatinnen und Soldaten schützen am Horn von Afrika Handelsschiffe vor Piraterie. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind es, die im Kosovo für Stabilität sorgen. Sie sind es, die an der Grenze zu Syrien die Sicherheit der Türkei gewährleisten, und unsere Soldatinnen und Soldaten sind es, die bei der Hochwasserkatastrophe im Juni 2013 mit 18 000 Frauen und Männern an Elbe, Inn, Saale und anderen Flüssen den Opfern der Hochwasserkatastrophe geholfen haben. Ihnen gebühren unser Dank und unsere Anerkennung. ({2}) Heute beschließen wir den Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Operation Active Endeavour im Mittelmeer. ({3}) Die Fortsetzung der Operation ist notwendig, weil sich erstens die instabile Lage im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika zuspitzt. Die gesamte Region ist ein Pulverfass, neben dem das Feuer in Syrien brennt. Nordafrika entwickelt sich mehr und mehr zu einer Bastion für terroristische Zellen. Menschen-, Drogen- und Waffenhandel sind dort an der Tagesordnung. Hier schlummert eine große Gefahr für viele Staaten Afrikas und Europas. Zweitens. Die Operation Active Endeavour ist wichtig, weil das Mittelmeer eine der bedeutendsten Handelsrouten für Deutschland ist. 220 000 Handelsschiffe, ein Drittel aller über See verschifften Waren und ein Viertel aller Öltransporte durchqueren jährlich das Mittelmeer. Deshalb brauchen wir ein aktuelles Lagebild der Region.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Bartz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Omid Nouripour?

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte meine Rede zu Ende führen. ({0}) Die Aufgabe der Erstellung eines aktuellen Lagebildes der Region können wir nur im Bündnis erfüllen. Hierbei müssen wir unserer Rolle in der NATO gerecht werden. Unsere Beteiligung an OAE macht deutlich: Deutschland ist ein verlässlicher Partner; wir stehen zu unserer Verantwortung. Ich fasse zusammen: Die Instabilität im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika, die Absicherung einer der wichtigsten Handelsrouten und unsere Bündnissolidarität sprechen für die Fortsetzung der Operation Active Endeavour. Es liegt im Interesse Deutschlands, dass die NATO im Mittelmeerraum präsent ist. Wir müssen die Lage auf dem Schirm haben. OAE liefert uns dieses dichte Lagebild dank fliegender und maritimer Aufklärung. Durch unsere Präsenz im Mittelmeerraum hat sich OAE zu einem präventiven Ordnungsfaktor entwickelt. Zudem hat sich OAE zu einer Kooperationsplattform entwickelt, an der auch viele Mittelmeeranrainer mitwirken. Die Ziele der Operation haben sich zunehmend hin zur Seeraumüberwachung, Aufklärung und Lagebilderstellung in und über See gewandelt. Der Antrag der Bundesregierung wird diesen neuen Anforderungen gerecht und bereitet gleichzeitig den Weg für eine Neukonzipierung und Weiterentwicklung des Mandats. ({1}) Unser gemeinsames Ziel ist es, OAE in eine nicht auf Art. 5 des NATO-Vertrags gestützte Operation zu überführen. Wir unterstützen deshalb seitens der CDU/CSUFraktion den Antrag der Bundesregierung. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt erhält der Kollege Liebich das Wort zu einer Kurzintervention.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Kollegin Bartz, Sie hatten mich direkt angesprochen. Sie haben zitiert, was ich in meiner letzten Rede gesagt habe, und dann geäußert, Sie würden dies nicht zulassen. Sie haben hier im Deutschen Bundestag zwar eine 80-Prozent-Mehrheit, aber das Recht, unsere Meinung zu vertreten, auch wenn das nicht Ihre Meinung ist, werden wir uns nicht nehmen lassen. ({0}) Ich möchte ein Zweites hinzufügen. Sie haben eben das Argument vorgebracht, dass es im Mittelmeer wichtige Handelsrouten gibt und diese geschützt werden müssen. Das ist nun ausdrücklich nicht Bestandteil des Mandats, über das wir hier reden, und zwar aus gutem Grund; denn unsere Bundeswehr hat nicht die Aufgabe - das ist Gott sei Dank auch im Grundgesetz nicht vorStefan Liebich gesehen -, Handelsrouten für den privaten Schiffsverkehr freizuhalten. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin Bartz erhält das Wort zur Erwiderung.

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Liebich, natürlich kann ich weder Ihnen noch jemand anderem das Wort verbieten. Aber gestehen Sie mir bitte zu, dass ich Ihnen deutlich widerspreche. ({0}) Wie gesagt: Ein Ziel der Operation Active Endeavour ist die Entwicklung eines präventiven Ordnungsfaktors, ist die Stabilisierung der Region, und das wird damit erfüllt. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation Active Endeavour im gesamten Mittelmeer. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/348, den Antrag der Bundesre- gierung auf Drucksache 18/263 anzunehmen. Wir stim- men über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich mache darauf aufmerksam, dass im Anschluss an diese Abstimmung vier Wahlen mit Stimmkarte und Wahlausweis stattfinden werden. Ich bitte die Kollegin- nen und Kollegen, sich die Unterlagen für diese Wahlen zu holen, falls dies noch nicht geschehen ist. Zunächst möchte ich jedoch die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze einzu- nehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Ich er- öffne hiermit die zweite namentliche Abstimmung. Ist ein Mitglied dieses Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Ich bitte Sie, Ihre Plätze wieder einzunehmen. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe diese große Glocke noch nicht zum Einsatz gebracht. Wenn es notwendig ist, mache ich das gleich. Das soll aber ohrenbetäubend laut sein. Deshalb bitte ich Sie, einfach Ihre Plätze einzuneh- men, damit wir mit den Beratungen fortfahren können. Das gilt für die Kollegen, die hier vorne stehen und mit- einander sprechen, und auch für diejenigen, die im Hin- tergrund stehen und miteinander sprechen. - Liebe Kol- leginnen und Kollegen, noch einmal die Bitte an Sie: Nehmen Sie die Plätze ein. Die Gespräche können Sie anschließend fortsetzen. 1) Ergebnis Seite 628 C Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf: a) - Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Einsetzung des Vertrauensgremiums ge- mäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushalts- ordnung Drucksache 18/358 - Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremi- ums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundes- haushaltsordnung Drucksache 18/359 b) - Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Einsetzung eines Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes Drucksache 18/360 - Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes Drucksache 18/361 c) Wahl der Mitglieder des Wahlausschusses für die vom Deutschen Bundestag zu berufenden Richter des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 6 Absatz 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes Drucksachen 18/362, 18/363, 18/364, 18/365 ({0}) d) Wahl der Mitglieder des Ausschusses für die Wahl der Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes ({1}) Drucksachen 18/366, 18/367, 18/368, 18/369 Zunächst bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für Hinweise, die für alle vier Wahlen gelten. Ich werde diese Hinweise nicht jedes Mal wiederholen. Deshalb bitte ich Sie jetzt um Aufmerksamkeit. Sie benötigen Ihre Wahlausweise in den Farben Gelb, Weiß, Grün und Grau, die Sie, soweit noch nicht geschehen, bitte Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen. Ich gehe aber davon aus, dass Sie Ihre Wahlausweise inzwischen haben. Bitte achten Sie darauf, dass Ihre Wahlausweise auch tatsächlich Ihren Namen tragen. Dieser Hinweis ist nicht überflüssig. Es geschieht leider immer wieder, dass mancher in das falsche Fach greift. Also bitte überprüfen Sie das. Der Nachweis für die Teilnahme an den Wahlen kann nämlich nur durch Abgabe des Wahlausweises, der Ihren Namen trägt, erbracht werden. Den Wahlausweis übergeben Sie bitte einem der Schriftführer an den Wahlurnen, bevor Sie bei dem jeweiligen Wahlgang Ihre Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen. Die Wahlen finden offen statt. Die Stimmkarten können also an Ihrem Platz angekreuzt werden. Die Wahlen Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn werden einzeln aufgerufen. Die gelbe Stimmkarte für die erste Wahl, die Wahl zum Vertrauensgremium, ist bereits verteilt worden. Die Stimmkarten für die drei folgenden Wahlen werden später unmittelbar vor jeder Wahl im Saal ausgehändigt. Kreuzen Sie Ihre Stimmkarte bitte erst an, wenn ich die jeweilige Wahl eröffnet habe. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4 a, zur Wahl des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung. Bevor wir die Mitglieder wählen, rufe ich den gemeinsamen Antrag der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/358 zur Einsetzung des Gremiums und zur Festlegung der Anzahl der Mitglieder auf. Wer stimmt für diesen interfraktionellen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen worden. Damit ist das Vertrauensgremium eingesetzt und die Mitgliederzahl auf neun festgelegt. Bevor wir zur Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums kommen, gebe ich noch weitere Hinweise. Diese gelten auch für die im Anschluss folgende Wahl zum Gremium nach dem Bundesschuldenwesengesetz. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt, wer mindestens 316 Stimmen erhält. Auf den beiden Stimmkarten sind die Namen der vorgeschlagenen Kandidaten aufgeführt. Sie können zu jedem Kandidatenvorschlag „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“ ankreuzen. Wenn Sie bei einem Namen mehr als ein Kreuz oder gar kein Kreuz machen oder andere Namen als die der vorgeschlagenen Kandidaten oder Zusätze eintragen, ist diese Stimme ungültig. Für die nun folgende Wahl brauchen Sie die gelbe Stimmkarte und den gelben Wahlausweis, und Sie haben neun Stimmen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann die Wahl nicht eröffnen, solange die Urnen noch nicht besetzt sind. - Ich frage jetzt noch einmal: Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann ist damit die Wahl eröffnet. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich damit den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bevor ich den nächsten Wahlgang aufrufe, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation Active Endeavour mitteilen: Abgegeben wurden 602 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 467, mit Nein haben gestimmt 129, und 6 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 602; davon ja: 467 nein: 129 enthalten: 6 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({2}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({5}) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Andreas Jung ({6}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Dr. Stefan Kaufmann Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({7}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Carsten Müller ({8}) Stefan Müller ({9}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Ronald Pofalla Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({10}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({11}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({12}) Gabriele Schmidt ({13}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({14}) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({15}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({16}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl ({17}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({18}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Marcus Weinberg ({19}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({20}) Sabine Weiss ({21}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({22}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({23}) Burkhard Blienert Dr. Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier-Heite Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Uli Grötsch Michael Groß Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({24}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({25}) Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Gabriele Katzmarek Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({26}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir ({27}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({28}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({29}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({30}) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder ({31}) Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({32}) Matthias Schmidt ({33}) Carsten Schneider ({34}) Ursula Schulte Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Ute Finckh-Krämer Petra Hinz ({35}) Ralf Kapschack Gerold Reichenbach Swen Schulz ({36}) Rüdiger Veit Waltraud Wolff ({37}) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. André Hahn Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({38}) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({39}) Volker Beck ({40}) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({41}) Christian Kühn ({42}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({43}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Dr. Valerie Wilms Enthalten SPD Willi Brase Dr. Daniela De Ridder Gabriele Hiller-Ohm René Röspel Ewald Schurer Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Ich komme damit zum nächsten Tagesordnungspunkt, dem Tagesordnungspunkt 4 b: Einsetzung eines Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes, also des Bundesfinanzierungsgremiums. Wir kommen auch hier zunächst zum gemeinsamen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Einsetzung dieses Gremiums und Festlegung der Anzahl der Mitglieder, Drucksache 18/360. Wer stimmt für diesen interfraktionellen Antrag zur Einsetzung des Bundesfinanzierungsgremiums? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist dieser Antrag einstimmig angenommen. Damit ist das Gremium gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes eingesetzt und die Zahl der Mitglieder auf zehn festgelegt. Für die Wahl der Mitglieder benötigen Sie nun die weiße Stimmkarte und Ihren weißen Wahlausweis. Die weißen Stimmkarten werden jetzt im Sitzungssaal verteilt. Sie haben zehn Stimmen und können wiederum zu jedem Kandidatenvorschlag „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“ ankreuzen. Für diese Stimmkarten gilt das Gleiche, was ich vorhin ausgeführt habe; deswegen verzichte ich auf die Wiederholung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist auch der Fall, soweit ich das sehe. Damit eröffne ich die zweite Wahl, Farbe Weiß, Bundesfinanzierungsgremium. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde Ihnen für den nächsten Wahlgang genau sagen, wo diejenigen stehen, die die Stimmzettel verteilen, damit das nicht noch einmal so chaotisch wird wie jetzt. Ich warte jetzt so lange, bis alle einen Stimmzettel haben, und bitte noch einmal diejenigen, die die Stimmzettel verteilen, ihren Arm hochzuheben, damit die Kolleginnen und Kollegen das wirklich sehen können. - Ich bitte Sie, die graue und die grüne Stimmkarte noch nicht auszufüllen. Bei der grauen Stimmkarte haben Sie zum Beispiel nur eine Stimme. Ich bitte Sie also noch um einen Moment Geduld. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das die weiße Stimmkarte und den weißen Wahlausweis noch nicht abgegeben hat? Sie müssten sich dann sofort melden, da ich ansonsten den Wahlgang schließe. - Ich schließe hiermit den Wahlgang. Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 4 c. Dazu liegen Ihnen auf den Drucksachen 18/362 bis 18/365 ({44}) Listen mit Wahlvorschlägen der einzelnen Fraktionen vor. Für diese Wahl benötigen Sie die grüne Stimmkarte und Ihren grünen Wahlausweis. Die grünen Stimmkarten werden jetzt im Saal verteilt. Ich möchte Sie gleich darauf aufmerksam machen, dass Sie auf dieser Stimmkarte nur einen Vorschlag ankreuzen dürfen. Demzufolge sind Stimmkarten ungültig, die mehr als ein Kreuz tragen oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht bitte keinen Eintrag. Jetzt ein Hinweis, wo Sie die Karten erhalten: Sie erhalten die Karten vorne rechts und links an den beiden Säulen, direkt vorne an den Wahlurnen und hinten bei den beiden Säulen. Das müsste jetzt klappen. Die Schriftführerinnen und Schriftführer haben ihre Plätze bereits eingenommen. Ich eröffne den Wahlgang. Gibt es einen Kollegen, der noch keine Stimmkarte abgegeben hat? Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich damit den Wahlgang. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4 d: Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses. Dazu liegen Ihnen auf den Drucksache 18/366 bis 18/368 Listen mit Wahlvorschlägen der einzelnen Fraktionen vor. Sie benötigen nun die graue Stimmkarte und Ihren grauen Wahlausweis. Die grauen Stimmkarten werden ebenfalls im Saal verteilt. Die Schriftführerinnen und Schriftführer haben ihre Plätze an den Urnen eingenommen. Ich eröffne den Wahlgang. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich den Wahlgang. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit haben wir diese Übung absolviert. Ich bitte um Entschuldigung, aber wir werden uns im Präsidium für das nächste Mal ein anderes Verfahren überlegen müssen. ({45}) Ich hoffe, dass es jetzt trotzdem noch einigermaßen ge- klappt hat. Aber ich denke, dass wir die Übung in dieser Form nicht wiederholen sollten. Die Ergebnisse der Wahlen werden Ihnen später be- kannt gegeben.1) Wir fahren mit Tagesordnungspunkt 1 fort: Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin({46}) Wir kommen zum Themenbereich Verteidigung. Für die Aussprache sind 60 Minuten vereinbart worden. Das Wort hat zunächst die Bundesministerin Ursula von der Leyen. Frau Ministerin, Sie haben das Wort. ({47})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, zunächst einmal auf der Tribüne Fall- schirmjäger des Bataillons 263 aus Zweibrücken ganz herzlich zu begrüßen. Ich freue mich, dass Sie heute die- ser Debatte beiwohnen können. 1) Ergebnisse Seiten 659 C, D, 660 A ({0}) Das Jahr 2014 ist ein wichtiges Jahr für die deutsche Sicherheitspolitik, für Europa und die Nordatlantische Allianz, und zwar aus vielerlei Gründen. Ich möchte zu einigen Stellung nehmen. Zunächst einmal: In welchem Rahmen bewegen wir uns? Die NATO erreicht die Mitte der Dekade, die durch ihr strategisches Konzept von Lissabon 2010 bestimmt ist. Wir werden auf dem NATO-Gipfel im September entscheiden, wie die zweite Hälfte unter sich verändernden Bedingungen gestaltet werden soll; das wird ein spannender Prozess werden. Zugleich haben wir erlebt, dass der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs im Dezember 2013 zum ersten Mal seit Jahren die Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik - ich betone: Gemeinsamen - auf den Weg gebracht hat. Sie hat sich ein sehr anspruchsvolles Programm für die Verbesserung der zivilen und militärischen Fähigkeiten der Europäer gegeben. Das alles spielt sich vor dem Hintergrund ab, dass in Afghanistan die Allianz und ihre Partner den größten, den längsten und den anspruchsvollsten Kampfeinsatz in der Geschichte der NATO beenden. Bei aller Pein, die das mit sich gebracht hat, hat uns Afghanistan viel gelehrt. Der Kampfeinsatz war anfangs notwendig zur Bekämpfung des Terrorismus. Aber gerade als Verteidigungsministerin kann ich nur immer wieder betonen, wie wichtig der vernetzte Ansatz ist, bei dem militärische Sicherheit, entwicklungspolitische Hilfe, diplomatische Verhandlung und wirtschaftlicher Aufbau Hand in Hand gehen. ({1}) Wir wollen, dass dieses Land für seine Sicherheit und Stabilität bald selber sorgen kann. Dazu setzen wir bereits jetzt alle Kraft für die Ausbildung einer afghanischen Armee und Polizei ein. Wir haben den Flughafen in Masar-i-Scharif den Afghanen übergeben. Wir haben im vergangenen Sommer ein Generalkonsulat in Masar-iScharif eröffnet. Das ist ein starkes Zeichen dafür, wie wichtig uns Afghanistan ist. Aber wir müssen auch willkommen sein. Die kommenden Monate sind entscheidend, ob es gelingt, dass Karzai oder ein Nachfolger das bilaterale Sicherheitsabkommen mit den USA unterschreibt. Das ist Grundbedingung dafür, dass wir die für uns so wichtige Folgemission der Ausbildung und der Unterstützung auf den Weg bringen können. Heute Nacht hat Obama in seiner State of the Union noch einmal bekräftigt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika auf diesem Sicherheitsabkommen zu Recht bestehen, aber dass sie dann bereit sind, diese Resolute Support Mission zu unterstützen. Ich will nicht verhehlen, dass ich mir gewünscht hätte, dass in Afghanistan die Vorarbeit für diese Mission früher begonnen hätte, dass die Folgemission also jetzt schon gesichert wäre. Die Zeit drängt, und umso wichtiger ist es, dass wir in der verbleibenden Zeit alles daransetzen, dass Schutz, Training und Ausbildung, also RSM, möglich werden. Afghanistan hat aber auch zum allerersten Mal gezeigt, wie sehr die Europäer in der NATO darauf angewiesen sind, sich untereinander abzustimmen. Im Norden tragen wir die Hauptverantwortung; wir sind die Rahmennation für 16 weitere Nationen. Im Ergebnis zeigt sich ein geschlossener, kohärenter Einsatz, breit angelegt und durchhaltefähig. Wir haben im Einsatz gelernt: Keiner kann mehr alles allein vorhalten. Nur gemeinsam können wir Verantwortung in Europa übernehmen. Hinzu kommt, dass die globale Finanzkrise, insbesondere die Euro-Krise, tiefe Spuren hinterlassen hat. Die neue europäische Wirtschafts- und Währungsunion nimmt feste Formen an; aber alle hier im Raum wissen, dass unsere nationalen Budgets unter einem enormen Konsolidierungsdruck stehen. Das ist so. In der Folge werden Verteidigungsbudgets gekürzt, ob es gefällt oder nicht. Wir müssen aber vermeiden, dass unabgestimmt in vielen Mitgliedstaaten gekürzt wird, was zur Folge haben kann, dass viele Lücken gerissen werden und wir den Verlust von gemeinsamen Fähigkeiten noch erhöhen. Ich bin der Überzeugung, dass wir trotz der schwierigen Lage als Europäer intelligenter zusammenarbeiten können, und das sollten wir auch tun. ({2}) Wir brauchen mehr Kooperation, wir brauchen mehr Transparenz, wir brauchen mehr Abstimmung, und das heißt mehr Vertrauen. Das sind die Gebote der Stunde. Sie kennen die Schlagworte: Smart Defense und Pooling and Sharing. Wir müssen auch nach dem ISAF-Einsatz das hohe Niveau der Zusammenarbeit, das, was wir im Norden gelernt haben - ich habe es eben geschildert -, unter anderem durch anspruchsvolle Übungsprogramme in den nächsten Jahren wahren. Da ist die Connected Forces Initiative der NATO ein richtiger und wichtiger Schritt in die Zukunft. Dieses Signal sollten wir verstärken. Deutschland übernimmt Verantwortung im Bündnis. Das brauche ich hier eigentlich nicht zu wiederholen. Alle wissen, dass wir der zweitgrößte Beitragszahler sind und dass wir bei den beiden größten NATO-Missionen in Afghanistan und im Kosovo einer der zentralen Truppensteller sind. Nun werden wir zusehends mit einer Vielzahl von Krisenherden in Afrika konfrontiert. Diese haben sehr schnell auch Auswirkungen auf Europa. Keiner von uns hat die Bilder von Lampedusa vergessen. Wir sind daher auch hier zum Handeln verpflichtet. Das beginnt mit der Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika und geht bis hin zu Einsätzen in Mali und Zentralafrika. Wir wollen den in 2013 begonnenen Einsatz in Mali zusammen mit unseren europäischen, aber auch mit unseren afrikanischen Partnern zu einem Erfolg bringen. Wir überprüfen daher die Ergänzung, aber auch die Aufstockung der Zahl unserer Soldatinnen und Soldaten, die in Mali schon im Einsatz sind, und wir prüfen eine Unterstützung der kommenden EUMission in der Zentralafrikanischen Republik. Wir haBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen ben diese EU-Mission als Europäer gemeinsam auf den Weg gebracht. Also müssen wir uns jetzt, wenn wir diese Mission ausplanen, auch entsprechend verhalten. Mir sind zwei Dinge wichtig. Erstens. Es bleibt bei unserem Grundsatz: Kein Kampfeinsatz in Zentralafrika. Aber wir haben Fähigkeiten - das geht unter den Begriffen Pooling and Sharing und Smart Defense ganz konsistent voran - zum Beispiel im Verwundetentransport, MedEvac, die andere so nicht haben. Wenn diese Fähigkeiten nötig sind, dann sollten wir sie auch stellen. Wir sollten diese Diskussion führen; denn ich finde: Wenn man innerhalb des Bündnisses gemeinsam etwas auf den Weg bringt, dann muss man auch bereit sein, gemeinsam die Verantwortung dafür zu übernehmen. Das heißt, ein differenziertes Vorgehen ist uns wichtig, und dieses Vorgehen muss selbstverständlich auf dem Boden eines Mandats stattfinden. Der zweite Punkt, der mir wichtig ist. Dauerhafte Stabilität kann nur durch den Wiederaufbau staatlicher Strukturen erzeugt werden, siehe Afghanistan. Wir haben gelernt, dass es auch eine Frage der Zeit ist, wann man mit Folgemissionen auftritt. Dabei geht es um vernetzte Sicherheit. Deshalb: Der Wiederaufbau staatlicher Strukturen kann nicht und darf nicht nur die Aufgabe des Militärs sein. Gerade als Verteidigungsministerin kann ich immer wieder nur betonen, wie wichtig es ist, die militärische Sicherheit, die entwicklungspolitische Hilfe und den Wiederaufbau Seit’ an Seit’ zu haben. Denn ich bin der festen Überzeugung: Streitkräfte und damit die Bundeswehr sind gelegentlich nötig, um die Lage zu klären; gar keine Frage. Wir sehen mit Stolz und Dankbarkeit auch auf unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, die das für uns immer wieder im Bündnis leisten. ({3}) Aber wir wissen eben auch: Wir sind Teil des Gesamtinstrumentariums der vernetzten Sicherheit, und wir können und dürfen nicht das einzige Instrument sein. Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass es richtig ist, sich jetzt an eine Afrika-Strategie zu machen, diese gemeinsam mit den Ressorts - dem Außenministerium, dem Entwicklungshilfeministerium - und den Fraktionen auf den Weg zu bringen. Ich habe mich über die verschiedenen Signale gefreut. Ja, Afrika ist unser Nachbar. In Afrika ist uns vieles nicht von vornherein selbstverständlich und nah. Aber wir als Europäer haben eine enge Verbindung zum Nachbarkontinent. Wir als Europäer wissen viel über Afrika. Wenn wir dieses Wissen und unsere Fähigkeiten bündeln, dann ist das der richtige Weg zur Erreichung von Frieden und zum Aufbau demokratischer und stabiler Strukturen in Afrika. Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist ein zentrales sicherheitspolitisches Instrument mit dem Mandat des Deutschen Bundestages. Lassen Sie mich noch den Blick nach innen werfen. Wir haben in der letzten Sitzungswoche eine ausgeprägte Diskussion über die Attraktivität der Bundeswehr im Rahmen der Debatte über den Bericht des Wehrbeauftragten geführt. Deshalb verwende ich heute weniger Zeit darauf. Ich fand es sehr schön, wie die Kanzlerin heute Morgen sagte: Wir machen Politik für die Menschen. - Das wollen wir durchdeklinieren bis tief in die Bundeswehr und ihren Alltag hinein, liebe Freundinnen und Freunde. ({4}) Das zentrale Ziel der Neuausrichtung ist die dauerhafte Einsatzfähigkeit. Ja, das stimmt. Aber Attraktivität, Modernität, Verankerung in der Gesellschaft sind auch zentrale Faktoren der dauerhaften Einsatzfähigkeit. Sie sind kein Widerspruch, sondern ergänzen sich. Ich bin der festen Überzeugung: Eine familienfreundliche Bundeswehr wird nicht schwächer, sie wird stärker. ({5}) Die Diskussion über das Wie wird noch lange andauern. Vieles ist gut; aber viel ist auch noch zu tun. Mir ist wichtig: Das ist keine Frage, die „nur“ die Frauen in der Bundeswehr angeht, sondern eine Frage, die vor allem auch den Soldaten betrifft, der Vater ist und für sein Kind als Vater unverzichtbar ist. Das bedeutet, dass er gemeinsame Zeit mit seiner Familie braucht, und die wollen wir ermöglichen. Wir wollen nicht aasen mit seiner Zeit, sondern wir wollen durch Flexibilität diese Zeit ermöglichen. Wir haben in der letzten Sitzungswoche eine breite Diskussion über das Thema „Frauen in der Bundeswehr“ geführt. Auch dazu sage ich: Mehr Frauen in der Bundeswehr machen die Bundeswehr ganz sicher nicht schwächer, sondern sehr viel stärker. ({6}) Der Frauenanteil in der Bundeswehr liegt bei 10 Prozent; das wissen wir alle. Diese Frauen in der Truppe sind selbstbewusste Frauen. Ich weiß aus der eigenen Lebenserfahrung, dass nicht jeder damit umgehen kann, aber die allermeisten können das - und die wollen wir stärken. Deshalb müssen wir die Karrierepfade für Frauen gangbarer machen. Wir müssen sie sichtbarer machen, und wir müssen sichtbarer machen, wie sehr die Bundeswehr von der wachsenden Zahl der Frauen in der Truppe profitiert. Meine Damen und Herren, die Bundeswehr hat sich bewährt. Sie hat sich bewährt als eine Armee für den Frieden im multinationalen Raum und als eine Armee der Demokratie. Wir wollen sicherstellen, dass das so bleibt. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächster spricht Dr. Alexander Neu. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die beste familienfreundliche Bundeswehr ist eine Bundeswehr, die zu Hause bleibt, die das Territorium Deutschlands verteidigt, und keine Interventionsarmee. ({0}) Ich habe mich heute auf das Thema Verteidigung eingestellt. Ich habe aber zum Thema Verteidigung nicht sehr viel gehört, Frau von der Leyen. ({1}) Was ich gehört habe, ist „Afrika“, was ich gehört habe, ist „Menschenrechte“ etc., aber von Verteidigung nichts. Ich möchte gern einmal charakterisieren, was Verteidigung ist. Die Verteidigung ist laut Grundgesetz eine Territorialverteidigung. Ich kann das gern auch zitieren; Art. 87 a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 115 a Abs. 1. Dort heißt es: Die Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht ({2}), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates. Ein zentraler Begriff ist „Bundesgebiet“; das heißt, ein räumlich bestimmter Verteidigungsbegriff. Ein weiterer zentraler Begriff ist „Waffengewalt“; das heißt die konkrete Anwendung von Waffengewalt gegen Deutschland, keine Spekulation und vor allem keine abstrakten Bedrohungsgefühle. Das Dritte ist der Präemptionsfall - ein Angriff droht unmittelbar -; das heißt Akzeptanz des Präemptionsfalls, was wiederum heißt: zeitliche Unmittelbarkeit, Angriff im Kommen. Mit anderen Worten: Das eigene Staatsgebiet ist gegenwärtig Ziel eines Angriffs. Ein Beispiel: Die funkelektronische und satellitengestützte Aufklärung macht klar, dass auf Deutschland Waffensysteme gerichtet sind und agieren. Die Völkerrechtsliteratur, sehr geehrte Damen und Herren, kommt mehrheitlich zu dem Ergebnis, dass der Präemptionsschlag legitim ist. Die Grundgesetzformulierung ist sehr gut, und die Linke teilt genau diese, nämlich den verteidigungspolitischen Begriff als einen territorial gebundenen Begriff. ({3}) Allerdings erleben wir von den Bundesregierungen wechselnder Couleur und von unseren NATO-Verbündeten seit Anfang der 90er-Jahre, dass sie sich regelmäßig in Völkerrechtsbrüchen üben. Nicht nur Präemption, sondern auch Prävention, sogenannte offensive Selbstverteidigung, soll legalisiert werden. ({4}) - Ja! - So heißt es zum Beispiel im Entwurf des Weißbuchs aus dem Jahr 2006 - nächstes Zitat -: Die gewandelten Sicherheitsherausforderungen erfordern ein neues, gemeinsames Verständnis des Systems der Charta der Vereinten Nationen … das Recht auf Selbstverteidigung [muss] präzisiert und präventives Eingreifen auf völkerrechtlich gesicherten Grundlagen geregelt werden. Also, Prävention wird eingefordert. Stichworte wie „Proliferation von Massenvernichtungswaffen“, „internationaler Terrorismus“, „Problemstaaten“ - schon der Begriff „Problemstaaten“ irritiert mich sehr -, „Cyberwar“ etc. suggerieren nichts anderes als asymmetrische Risiken, die eine, wie es so schön heißt, Neuinterpretation des Völkerrechts oder eine Weiterentwicklung des Völkerrechts erforderlich machen. Nun ist es aber so, dass eine Weiterentwicklung oder eine Neuinterpretation des Völkerrechts einige Haken hat: Erstens. Die Staaten des globalen Südens finden das überhaupt nicht toll. Dort wird keine Bereitschaft zu erkennen sein, Präventivkriege als Selbstverteidigungskriege in irgendeiner Weise völkerrechtlich oder vertragsrechtlich gewohnheitsmäßig zu etablieren. Zweitens. Eine völkerrechtliche Etablierung von Präventivkriegen als Selbstverteidigungsfall ist nichts anderes als ein Ermächtigungsgesetz, und ich glaube, das wollen wir nun wirklich nicht haben. ({5}) - Nein, ich hatte einen sehr guten Lehrer - im Gegensatz zu Ihnen; aber darüber können wir gerne streiten. - Das heißt, mit der Etablierung des Selbstverteidigungskrieges als Präventivkrieg schaden Sie nachhaltig dem Friedensvölkerrecht. Sie erledigen es quasi. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Lieber Kollege, ich darf Sie darauf hinweisen, dass wir den Begriff „Ermächtigungsgesetz“, der einen klaren Bezug und eine klare Bedeutung aus der Zeit des Nationalsozialismus hat, in der Debatte heute nicht verwenden sollten und auch solche Vergleiche nicht anstellen sollten. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich werde diese Belehrung für den heutigen Tag akzeptieren, Frau Präsidentin. ({0}) Ich hoffe, dass die Sekunden, die mir dadurch gerade verloren gegangen sind, wieder gutgeschrieben werden. ({1}) Ich darf fortsetzen. - Bei einem entterritorialisierten Verteidigungsbegriff, der Aspekte - ({2}) - Ich bitte um Ruhe; ich lasse Sie auch ausreden. ({3}) - Sie reden so viel Unsinn jeden Tag. Das fällt gar nicht mehr weiter auf. Wir sind bei dem entterritorialisierten Verteidigungsbegriff, in dessen Rahmen Werte- und Interessenverteidigung - die Kanzlerin hat heute selber die Begriffe „Interessenverteidigung“ und „Werteverteidigung“ in den Mund genommen - akzentuiert werden. Wenn dieses auf dem Territorium von Drittstaaten gegen deren Willen praktiziert wird, handelt es sich um eine blanke Aggression und nicht um eine Selbstverteidigung. ({4}) - Hören Sie zu, dann lernen Sie noch etwas. - Der Verteidigungsbegriff, der seiner spezifischen zeitlichen und räumlichen - ({5}) - Können Sie das bitte unterbinden? Das ist unerträglich. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, es gehört erstens zu den parlamentarischen Gepflogenheiten, dass auch Zwischenrufe erlaubt sind. ({0}) Zweitens, Herr Kollege, greife ich dann ein, wenn ich es für angemessen halte. ({1})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da habe ich wieder etwas gelernt. - Wenn Frau Ministerin von der Leyen damit argumentiert, Deutschland müsse seiner gewachsenen Verantwortung mehr gerecht werden, kann ich dazu nur sagen: Sie hat recht, es muss nur nicht militärisch sein. ({0}) Es gibt eine Menge Möglichkeiten, wie man es auch zivil handhaben kann. Jährlich verhungern weltweit zwischen 20 und 40 Millionen Menschen. Kommen Sie Ihrer Verantwortung nach und tragen Sie zu einer fairen Weltwirtschaft bei, ({1}) statt mit Krieg und militärischer Drohpräsenz deutsche Exportchancen zu erkämpfen! Westerwelles Kultur der militärischen Zurückhaltung, sehr geehrte Damen und Herren, war richtig. Die Linke teilt genau diesen Ansatz. ({2}) - Ja, wer hätte gedacht, dass die Linke einmal einem Au- ßenminister Westerwelle nachtrauern würde. Das ist nun leider der Fall. Eine unmittelbare territoriale Bedrohung Mitteleu- ropas und damit Deutschlands mit konventionellen militärischen Mitteln besteht heute nicht mehr. Das wird … auf absehbare Zeit auch so bleiben. So der Generalinspekteur Wieker in seinem Bericht zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010. Frau Ministerin von der Leyen, ziehen Sie aus dieser Feststellung von Wieker und meinen Ausführungen ent- sprechende Konsequenzen, nämlich a) die massive personelle Reduktion der Bundeswehr und b) die Restrukturierung der Bundeswehr zu einer reinen Verteidigungsarmee. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Neu, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Natürlich.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Bitte, Herr Kollege.

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Neu, ich habe nur eine ganz kurze Frage. Ich bin auch neu hier, aber nicht mit Namen. Soll das jetzt wirklich so weitergehen, diese Unart, diese Ungezogenheit? Sie sagen, Frau Bellmann würde nur Unsinn reden, ({0}) und anderen werfen Sie es auch vor. ({1}) Das ist, glaube ich, in so einem Haus doch nicht notwendig. Das ist auch nicht gut für den Namen unseres Hauses, weil sich der eine oder andere das auch unter menschlichen Gesichtspunkten anschaut. Ich würde schon bitten, auch als neuer Kollege da vielleicht doch ein bisschen Ehre an den Tag zu legen und so etwas einfach zu unterlassen. Meine Frage wäre jetzt: Wollen Sie das so weiterführen, oder wollen Sie sich da vielleicht etwas zurücknehmen? Danke schön.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das war eine verkappte Frage. Das war ein Verhaltenshinweis. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde gleich zum Ende kommen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Weiler, Sie müssten während der Antwort stehen bleiben. Das ist aber entschuldigt bei einem neuen Abgeordneten, keine Frage.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie, Herr Weiler, sind halt neu im Hause, ich auch. Ja, die Antwort habe ich gegeben. Es war keine wirkliche Frage, sondern eine verkappte Frage. Ich würde gerne fortfahren und werde versuchen, mich zu disziplinieren. ({0}) - Ich kann fortfahren? - Wenn nun die Bundesregierung der Auffassung ist, dass sie etwas verteidigen und schützen möchte, dann soll sie es tun. Sie möge endlich ihrer originären staatlichen Aufgabe nachkommen, nämlich die Menschen in diesem Lande vor Cyberwar zu schützen. Cyberspionage, Cybersabotage ist Cyberwar. 80 Millionen Menschen in diesem Land sind potenzielle und reale Opfer von Cyberangriffen auf deutschem Territorium. Es gibt also massive und permanente Angriffe auf die Souveränität unseres Landes und auf die Bürgerrechte durch einen Drittstaat bzw. sogar durch mehrere Drittstaaten. Frau Bundeskanzlerin - sie ist zwar jetzt nicht mehr hier, aber dennoch richte ich diese Worte an sie -, Sie haben einen Eid auf das Grundgesetz abgelegt. Sie sind dem Grundgesetz und den Menschen dieses Landes gegenüber verpflichtet, nicht gegenüber Washington. Tun Sie etwas! Kommen Sie Ihrer Pflicht nach, zum Wohle dieses Landes und seiner Menschen! Handeln Sie endlich! Danke. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Rainer Arnold das Wort. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich mich mit den Linken nicht auseinandersetzen. Aber Ihre Ausführungen waren so schlimm, dass ich richtig Sehnsucht nach Ihrem Vorgänger Paul Schäfer habe. ({0}) Mit dem konnte man streiten, was man mit Ihnen nicht mehr tun kann, Herr Kollege Neu. Sie haben mich vorhin auf unseren Disput im Verteidigungsausschuss angesprochen. Sie haben dort die abstrakte terroristische Bedrohung mit Marsmännchen verglichen. Herr Kollege, Ihre Rede war außerirdisch. Insofern trifft Ihr Vergleich zu. ({1}) Herr Kollege, wer negiert, dass die Vereinten Nationen deutsche Einsätze mandatieren, ({2}) wer negiert, dass das Bundesverfassungsgericht Verfassungsrecht gesprochen hat, und wer Thesen wie „völkerrechtswidrig“ oder gar „Ermächtigungsgesetz“ in den Raum stellt, ({3}) der kann nicht mehr ernst genommen werden; es tut mir leid. Darüber können wir nicht streiten, weil es einfach nicht stimmt. ({4}) Die Ministerin hat heute nach ihrem Impuls in der letzten Woche zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf längere Linien gezogen. Wir begrüßen dies außerordentlich. Wir sind nämlich der Auffassung, dass die Große Koalition eine Chance sein kann, hier eine entsprechende Debatte anzustoßen, die in Deutschland heikel und angesichts der deutschen Geschichte sowie der vorhandenen Distanz vieler Menschen in Deutschland zu militärischen Themen vielleicht eine sensible Angelegenheit ist. Gründe für die vorhandene Distanz - ich sage ausdrücklich, dass mir diese Distanz lieber ist, als wenn es andersherum wäre - sind ein Stück weit durch Debatten zu klären. Es ist ein vernünftiger Aufschlag, in Deutschland in den nächsten vier Jahren in der Großen Koalition Klarheit darüber zu schaffen, welche Verantwortung und welche Rolle Deutschland in der internationalen Politik spielen soll. Mein Eindruck ist: Die deutschen Bürgerinnen und Bürger sind längst bereit, über die strategische Ausrichtung, über die Grundlagen der Sicherheitspolitik und über die Legitimation von Einsätzen der Streitkräfte vernünftig zu reflektieren.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, ich habe so lange gewartet, bis Sie eine kleine Pause machen. Nun möchte ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel zulassen.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege Arnold, Sie sagten, die UN mandatiere die deutschen Einsätze. Meine Frage ist: Wer hat denn die Patriot-Stationierung mandatiert? Wer hat Operation Enduring Freedom mandatiert? Wer hat Operation Active Endeavour mandatiert? Hier finden doch Selbstmandatierungen eines Militärbündnisses statt. Hier findet Selbstermächtigung in Bezug darauf statt, wann eine Gefahr besteht. Hier wird im Grunde neues Recht geschaffen. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht sind Sie ja vergesslich. Deswegen möchte ich Sie daran erinnern: Die Vereinten Nationen haben nach den Anschlägen von 9/11 die Staatengemeinschaft aufgefordert, alles, was möglich ist, zu tun, um gegen diese Bedrohung vorzugehen. Die Bedrohung kam in diesem Fall aus Afghanistan. Ihr Kollege hat vorhin davon gesprochen, dass es zerfallende Staaten gibt, was er offensichtlich nicht so schlimm findet. Als ob uns dies nichts anginge! In zerfallenden Staaten schlachten sich Ethnien oder Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften gegenseitig ab. Mit Verlaub: Dies müsste Politiker der Linken doch aus ethischen Gründen etwas angehen. Zerfallende Staaten, die Rückzugsräume für Terroristen bieten, auf deren Agenda steht, gegen unser Leben und gegen unsere Länder vorzugehen, müssen uns alle miteinander etwas angehen. ({0}) Zu Ihrem letzten Beispiel, Einsatz in der Türkei, will ich sagen: Es ist Alltag im Bündnis, dass man Landesverteidigung bündnisweit sieht. Wir verteidigen unser Land nicht mehr, indem wir warten, bis die Risiken bei uns angekommen sind, sondern wir verteidigen das Bündnis insgesamt. Dies ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ganz eindeutig geklärt. Was wir in der Türkei machen, ist NATO-Routine. ({1}) Wir haben mit AWACS einen ständigen Aufklärungsverband der NATO in der Türkei. Eigentlich ist es kein großer Aufreger, wenn defensive Systeme bereitgehalten werden. Wir mandatieren diesen Einsatz deshalb, weil an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien ein bewaffneter Konflikt stattfindet, bei dem die Gefahr besteht, dass türkische Bürgerinnen und Bürger in ihrer Gesundheit geschädigt werden und dass sie vielleicht sogar - das ist bereits geschehen - ums Leben kommen. Deshalb gibt es ein Mandat. Aber es ist alles völkerrechtlich in Ordnung. Hören Sie deshalb auf, den Unsinn zu verbreiten, wir würden völkerrechtswidrige Einsätze beschließen! ({2}) Wir als Abgeordnete würden uns strafbar machen, wenn wir dies täten. Jeder deutsche Soldat - auf der Zuschauertribüne sitzen einige Soldaten - dürfte nicht nur, sondern er müsste den Befehl verweigern, wenn er sich in einem völkerrechtswidrigen Einsatz befinden würde. Hören Sie mit diesem Quatsch einfach auf! ({3}) Ich war bei dem Thema: Wie können wir die gesellschaftliche Debatte in Deutschland voranbringen? Ich bin mir darüber klar, dass das auch Sache des Parlaments ist. Ich bin froh über Beiträge aus der Gesellschaft. Ich stimme zwar nicht überein mit dem, was die EKD veröffentlicht hat; aber es ist ein guter Auftakt, um mit den Kirchen über die deutsche Verantwortung und Rolle in der Welt zu sprechen. Wir nehmen dieses Angebot sehr gerne an. Die Lehre aus Afghanistan hat die Ministerin auch beschrieben, nämlich dass es nur ressortübergreifende Ansätze gibt. Noch einmal an die Linken: Niemand behauptet, dass die Probleme der Welt militärisch zu lösen sind. Wir alle wissen längst, dass das Militär zunächst einmal das Schlimmste verhindern kann, ein Zeitfenster für zivile Leistungen offenhalten kann. Wir wissen schon lange, dass ziviler Aufbau, diplomatische Bemühungen und militärische Interventionen dort, wo sie notwendig sind, zusammen gedacht, zusammen geplant und zusammen organisiert werden müssen. Deshalb ist es natürlich richtig, wenn wir diesen vernetzten Ansatz in dieser Großen Koalition noch deutlicher zum Tragen bringen. Ich wünsche mir, dass wir, statt Verteidigungspolitische Richtlinien zu veröffentlichen, wieder zu einer alten Tradition in der Bundesregierung zurückkommen, nämlich zwischen den Ressorts abgestimmte sicherheitspolitische Richtlinien zu formulieren. Der Außenminister hat uns heute gesagt: Die Herausforderungen ändern sich schneller. Zur Zeit des Kalten Krieges war die Situation viele Jahre statisch. In den letzten vier Jahren sind die Krisen näher an Europa herangekommen - das merken wir bei unseren heutigen Debatten -, gerade auf dem afrikanischen Kontinent. Das ist überhaupt keine Frage. Es ist gut und richtig, wenn eine vernetzte Strategie entwickelt wird und mit den Europäern darüber geredet wird, dass es nicht effektiv sein kann, wenn jedes Land in vielen afrikanischen Ländern kleine Beiträge leistet. Nein, wir müssen uns fragen: Wer kann was und wo am besten? Da kommt den französischen Partnern in den französischsprachigen Ländern natürlich eine besondere Verantwortung zu. Es ist klug und richtig, wenn die Deutschen Schwerpunkte bilden, weil es logistisch viel einfacher ist. Die ganze Debatte zeigt allerdings auch: Wir müssen über die Bundeswehrreform noch intensiver reden, Frau Ministerin; denn diese Reform hat diese Szenarien nicht ausreichend im Blick. Sie ist eine Reform mit Fokus auf die Lehren aus Afghanistan und dem Kosovo. Wir sehen im Augenblick auf jeden Fall Folgendes: Wir stellen uns eher auf viele kleinere, parallel laufende Einsätze ein. Dazu gibt die Reform im Bereich der Logistik, der Aufklärung und der Unterstützung des Transports nicht die ausreichenden Antworten. Ich bin der Auffassung: Die Umsetzung, die Implementierung der Reform ist Sache der Exekutive; das ist ganz klar. Aber: Das deutsche Parlament entscheidet über die Einsätze. ({4}) Das setzt voraus, dass alle Abgeordneten Verständnis für die Grenzen der Möglichkeiten haben, die die Bundeswehr anbietet, für das, was die Bundeswehr leisten kann. Wir alle sollten ein Grundverständnis von der Funktionalität der Truppe haben. Jeder Abgeordnete, der über Einsätze entscheidet, hat zusammen mit der Regierung eine Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler und der Öffentlichkeit. Deshalb ist es wichtig, über die Reform in den nächsten Wochen intensiv zu diskutieren. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Movassat?

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Arnold, Sie haben vorhin gesagt, Deutschland sei nicht an völkerrechtswidrigen Einsätzen beteiligt gewesen. Ich nenne Ihnen einen ganz konkreten Fall, der im Juni 2005 vor dem Bundesverwaltungsgericht entschieden worden ist. Hierbei ging es um den Irak-Einsatz, an dem Deutschland zwar nicht direkt militärisch beteiligt war, bei dem es aber Überflugrechte gewährt hat, AWACS zur Verfügung gestellt hat. Es ging um die Gehorsamsverweigerung eines Soldaten. Er sollte an der Erarbeitung eines Computerprogramms mitwirken und hatte die Befürchtung, dass dieses Programm im Zusammenhang mit dem Irak-Einsatz verwendet wird. Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Irak-Krieg völkerrechtswidrig ist und dass durch einen solchen Einsatz des Soldaten Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Einsatz geleistet wird. Mithin hat sich Deutschland durchaus schon einmal an völkerrechtswidrigen Einsätzen beteiligt. Oder bestreiten Sie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes? ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe das Urteil noch in Erinnerung, Herr Kollege. Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht gesagt, dass dieser Einsatz völkerrechtswidrig ist. Es konnte diese Frage nicht wirklich klären. ({0}) Es hat aber das Recht des Soldaten gestärkt. Herr Kollege, für mich ist aber etwas anderes entscheidend: Ich bin stolz darauf, wie die Sozialdemokratie und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in dieser Situation zurechtgekommen sind, wie sie dem Druck von vielen Partnern standgehalten haben, sich an diesem Krieg zu beteiligen. Das war eine Sternstunde dieser Regierung und des Parlamentes, und das lassen wir uns ganz eindeutig von niemandem schlechtreden. ({1}) Ich möchte zur Reform zurückkommen. Bisher war es der Ansatz der Politik, möglichst viele Optionen anzubieten. Ich glaube, dieser Ansatz wird in Zukunft nicht tragen. Wir müssen verstärkt die Frage stellen: Welche Fähigkeiten passen am besten zum politischen Auftrag, den wir der Bundeswehr in Zukunft geben werden? Dazu müssen wir diesen Auftrag sorgfältig diskutieren und formulieren. Das heißt, wir müssen die Bundeswehrreform nicht primär am aktuellen Einsatz orientieren, sondern eher am zukünftigen Auftrag. Die Ziele bleiben die gleichen: Durchhaltefähigkeit, Flexibilität, Mobilität. Aber der Wehrbeauftragte sagt uns zu Recht: Diese Ziele werden durch die Reform zumindest in vielen Bereichen eher nicht erreicht. Er hat Anlass zur Sorge, dass -

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Arnold, es wird noch einmal um eine Zwischenfrage gebeten.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Immer gerne.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin Vogler.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin, und danke, Herr Kollege Arnold, dass Sie erneut eine Zwischenbemerkung zulassen. Herr Kollege, ich kann das, was Sie gerade gesagt haben, nicht so stehen lassen. Ich finde, was Sie hier betreiben, ist schon in einem gewissen Maße Selbstbeweihräucherung. Würden Sie mir zugestehen, dass Bundeskanzler Schröder und die Bundesregierung nicht nur dem Druck seitens der Verbündeten ausgesetzt waren, die Bundeswehr in den Irak-Krieg zu schicken, sondern andererseits auch einem erheblichen Druck aus der Bevölkerung ausgesetzt waren, dies zu unterlassen? Ich habe selber die große Demonstration hier in Berlin mit veranstaltet, an der eine halbe Million Menschen teilgenommen haben. An diesem Tag waren mindestens 13 Millionen Menschen auf der ganzen Welt unterwegs und haben in den Hauptstädten gegen den Irak-Krieg demonstriert. Da gab es eine riesige Bewegung, es war eine weltweite Stimmung. Viele waren gemeinsam unterwegs: ({0}) Grüne, Sozialdemokraten, Linke, Friedenskämpfer, Leute aus Kirchen und Gewerkschaften. ({1}) Ganz viele Menschen waren da unterwegs und haben ihr Anliegen auf die Straße getragen. Würden Sie mir zustimmen, dass das dazu beigetragen hat, dem Druck standhalten zu können, von dem Sie berichtet haben?

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Unsere Partei ist jetzt 150 Jahre alt, und wir brauchen keine Belehrungen. ({0}) Wir schauen seit 150 Jahren in den Rückspiegel, auf die Bevölkerung. Wir sind aber auch, wenn es notwendig ist, 150 Jahre lang standhaft und setzen Dinge gegen den Mainstream durch; wir diskutieren darüber, und dann wird der Wähler entscheiden. Sie sind für uns also kein Ratgeber. Wir wissen selbst, was wir tun. Ich glaube, Sie müssen eines einfach mal reflektieren: Sollen in Deutschland irgendwann in Zukunft andere politische Mehrheiten zum Tragen kommen, ({1}) muss eine Grundvoraussetzung erfüllt werden: Die Linken müssen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik ihr Godesberg machen. ({2}) Anders wird es überhaupt nicht gehen. Sie entfernen sich aber immer weiter. Kurt Schumacher hat in den 50er-Jahren gesagt: Nichts ist lehrreicher als die Wirklichkeit. - Das ist eines meiner Lieblingszitate. Aber, Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie nähern sich dieser Wirklichkeit mit den heutigen Reden nicht an, sondern entfernen sich immer weiter von der Betrachtung der realen Welt mit ihren Risiken und Gefahren und den Sorgen der Menschen. Sie müssen da mal mit sich ins Gericht gehen. Ich würde gern noch ein wenig über die Reform reden; es ist ein bisschen schwierig, wenn man immer unterbrochen wird. Der Wehrbeauftragte hat gesagt, dass der Gang der Reform nicht Anlass zu der Hoffnung gibt, dass all das, was vorgesehen ist, gelingt. Um es noch einmal klar zu sagen: Im Koalitionsvertrag steht, dass vieles an dieser Reform richtig ist und es im Grundsatz dabei bleiben soll. Aber die Ministerin selbst hat einen Punkt angesprochen: Diese Reform wurde de facto ohne Abstimmung mit unseren EU- und NATO-Partnern beschlossen. Dies muss man heilen, wenn man die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa voranbringen will. Wenn man sie voranbringen will, brauchen wir neben der Debatte in Deutschland über unsere Verantwortung auch eine strategische Klärung zwischen Deutschland und Frankreich: Wie betrachten diese beiden Länder die Welt, und was sind sie bereit zu tun? Ich meine, mit dieser Koalition, auch durch die Arbeit des Außenministers, stehen die Chancen gut, dass wir in all diesen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik wieder enger mit unseren französischen Freunden zusammenkommen. Dies ist die Grundvoraussetzung für eine vertiefte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa. Wenn Deutschland und Frankreich hier nicht im Konsens vorangehen, dann wird es in diesem Bereich nicht vorangehen. ({3}) Deshalb meine herzliche Bitte, Frau Ministerin: Lassen Sie die Bundeswehrreform im Sinne von Fehlerkultur auf den Prüfstand stellen. Haben Sie die Kraft, neue Erkenntnisse - wenn es sein muss, auch bei der Frage, welcher Standort der geeignetste ist - in Ihre Überlegungen mit einzubeziehen, um neue Berechnungen anzustellen, und korrigieren Sie die Fehler. Ich glaube, die Soldaten warten darauf, weil sie bisher eher den Eindruck hatten: Dort, wo die Reform nicht gut funktioniert, wird von ihnen erwartet, dass sie trotzdem mit den Problemen umgehen. Man kann dies so machen, aber klar ist dann auch: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht zu gewährleisten. In den Schlüsselfunktionen gibt es zu wenig Personal für die Bewältigung der zukünftigen Aufgaben. Wenn man für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen will, dann muss man im Rahmen der Reform an den entsprechenden Stellen ansetzen und den Personalkörper möglicherweise neu justieren. Ich plädiere auch für Ehrlichkeit gegenüber den Soldaten in dieser Debatte. Ja, die Reform ist in ihren Eckpunkten und im Umfang grundsätzlich richtig. Ich nenne als Beispiel die Abschaffung der Wehrpflicht. Sie ist zwar falsch und schlecht gemacht worden; im Grundsatz war die Wehrpflicht aber nicht mehr haltbar. Es geht nicht um die größte Reform aller Zeiten, wie das manchmal kommuniziert wurde. Dass diejenigen, die die Reform kritisiert haben, sie einfach nicht verstanden haben, das war keine gute Botschaft der Führung. Vielmehr geht es doch darum, das Verständnis dafür zu wecken, dass keine Reform in Stein gemeißelt sein wird. Der alte Generalinspekteur Schneiderhan war eigentlich auf dem richtigen Pfad, als er gesagt hat: Wir befinden uns in einer Transformation der Streitkräfte und nicht in einer Reform. - Die Welt ändert sich, jedes Unternehmen ändert sich im Laufe der Zeit. Dann muss man nachsteuern und neue Erkenntnisse umsetzen. Genauso wird es bei der Bundeswehr sein, sonst werden wir in drei bis vier Jahren in wichtigen Schlüsselbereichen feststellen, dass das Konzept nicht mehr funktioniert. Ich denke zum Beispiel an den Bereich der Hubschrauber, wo wir viel zu wenig Personal haben und auch zu wenig Nachwuchs ausbilden. Das gilt auch für viele andere Bereiche. Wir müssen jetzt umsteuern, sonst können wir uns schon heute ausrechnen, welche Probleme in ein paar Jahren auf uns zukommen werden; denn Fachärzte, Hubschrauberpiloten und technisches Personal werden nicht über Nacht gebacken. Deswegen muss jetzt schnell eine entsprechende Regelung her. Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Die Große Koalition ist in diesem Sinn für die Bundeswehr auch eine Chance; denn das, was im Koalitionsvertrag steht, ist gut für die Bundeswehr. Von wichtigen Vertretern der Streitkräfte ist mir heute Mittag berichtet worden, dass die Soldaten zum ersten Mal mit großem Interesse einen Koalitionsvertrag gelesen haben und dass unsere Vorhaben Zustimmung bei der Truppe finden. Damit hängt natürlich auch zusammen, was der BundeswehrVerband und auch der Wehrbeauftragte festgestellt haben: Das Problem im Augenblick ist, dass die Soldaten ein Stück weit das Vertrauen in die Führung verloren haben. Damit ist auch ein Stück weit Vertrauen in die Politik verloren gegangen. Der Soldat unterscheidet nicht so sehr zwischen Regierung und Parlament. Bei solchen Diskussionen sind wir alle angesprochen, und deshalb müssen wir uns alle kümmern, und wir mischen uns auch ein, ob Regierung, ob Opposition. Dieses Vertrauen wiederherzustellen, ist der Schlüssel für das Funktionieren der Streitkräfte. Frau Ministerin, Sie sind mit großem Vertrauensvorschuss gestartet; das ist gut. Es ist schön, wenn man mit Optimismus an die Dinge herangeht, aber damit hängt natürlich auch eine unglaubliche Verantwortung zusammen. Wir alle miteinander, Regierung und Parlament, dürfen in dieser Situation die Erwartungen der Soldaten in den nächsten zwei Jahren nicht enttäuschen, sondern wir müssen und werden den Koalitionsvertrag erfolgreich umsetzen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat die Kollegin Agnieszka Brugger das Wort.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Deutschlands Zukunft gestalten“ - diesen Titel und diesen Anspruch haben Union und SPD ihrem Koalitionsvertrag gegeben. Im außen- und sicherheitspolitischen Teil reihen sie dabei häufig Allgemeinplätze aneinander, aber eine klare Richtung ist nicht wirklich erkennbar. Die Diskussion darüber hat Kollege Arnold gerade eingefordert, und das begrüßen wir als Grüne sehr. ({0}) Aus Oppositionssicht muss man Ihnen wirklich zugestehen, dass nicht alles schlecht ist, worauf Sie sich einigen konnten. Sie haben zum Beispiel endlich erkannt, dass es bei der Bundeswehrreform Nachbesserungen geben muss. Zwar sind Herr Außenminister Steinmeier und Sie, Frau Ministerin von der Leyen, noch nicht sehr lange in Ihren Ämtern, dafür waren Sie medial aber umso präsenter. Leider erfahren wir dadurch noch nicht wirklich etwas über die neuen Linien und Ziele der schwarz-roten Außen- und Sicherheitspolitik. Im Gegenteil: Sie verheddern sich in Widersprüchen. Wo es im Ganzen hingehen soll, bleibt weiterhin völlig offen. Besonders deutlich wird dies in der aktuellen Debatte über eine mögliche deutsche Unterstützung der geplanten europäischen Mission in der Zentralafrikanischen Republik und bei der Ausweitung des Bundeswehreinsatzes in Mali. Die Ministerin von der Leyen prescht plötzlich vor und kündigt an, es sei vorbei mit der Kultur der militärischen Zurückhaltung in Deutschland. ({1}) Daraufhin rudert der Außenminister zurück, und es hagelt Kritik aus der SPD-Bundestagsfraktion. Ich finde, eine besonnene und abgestimmte Außen- und Sicherheitspolitik sieht anders aus. ({2}) An dieser Stelle rächt sich auch der größte Geburtsfehler der Bundeswehrreform, nämlich das Versäumnis, zu Beginn mit der Öffentlichkeit und im Parlament eine fundierte Debatte über zukünftige Sicherheitsbedrohungen und die Frage, welche Aufgaben man daraus für die Bundeswehr ableitet, zu führen. Frau Ministerin von der Leyen, in einem Interview im aktuellen Spiegel geben Sie zu verstehen, Deutschland müsse sich jetzt ganz schnell stärker militärisch in Afrika engagieren. Manchmal hat man den Eindruck, dass Sie über diesen riesigen Kontinent reden, als würde es sich dabei um ein einziges Land handeln. Ich war verwundert, dass Sie die Gewalteskalation im Südsudan, wo mittlerweile schätzungsweise 10 000 Menschen gestorben sind, in diesem Interview nicht erwähnt haben, und das, obwohl die deutsche Bundeswehr an einer Mission der Vereinten Nationen im Südsudan beteiligt ist. Meine Damen und Herren, jeder der 54 afrikanischen Staaten hat eine lange Geschichte, komplexe gesellschaftliche Strukturen und eine ganz eigene politische Dynamik. Nicht überall herrschen Krieg und Elend. Die Konflikte sind vielschichtig, in ihren Ursachen genauso wie hinsichtlich ihrer Akteure. Natürlich dürfen wir in Europa nicht nur zuschauen, wenn in Afrika Gewalt auszubrechen droht, wenn Krisen sich verschärfen oder die Zivilbevölkerung leidet. Hier sind aber in erster Linie der frühzeitige Einsatz ziviler, entwicklungspolitischer und diplomatischer Mittel gefragt und auch gut durchdachte Strategien, die sich spezifisch mit den einzelnen Konflikten und ihren Ursachen auseinandersetzen. Frau Ministerin, Sie verweisen zur Rechtfertigung des geplanten Afrika-Engagements auch noch auf die schrecklichen Bilder von Lampedusa. Ich finde, die Antwort auf diese Flüchtlingskatastrophe ist nicht, mehr Militär nach Afrika zu entsenden. Diesbezüglich und nicht hinsichtlich der militärischen Zurückhaltung wäre ein Kurswechsel dringend angesagt; ({3}) denn statt Abschottung brauchen wir endlich eine solidarische und europäische Flüchtlingspolitik. Der Einsatz der Bundeswehr erfordert in jedem Einzelfall eine Einbettung in eine politische Gesamtstrategie, die die Konfliktursachen berücksichtigt, eine sorgfältige Prüfung der Risiken und Gefahren und eine klare Definition der Ziele. Sagen Sie uns doch endlich einmal konkret, welche Antworten und Beiträge Sie sich für die Missionen in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik vorstellen. ({4}) Dann werden wir Grüne - wie immer - die vorgelegten Mandate genau und kritisch prüfen. Doch einer Politik, die planlos die Ausweitung von Militäreinsätzen fordert, werden wir entschieden entgegentreten. ({5}) Meine Damen und Herren, zu einer verantwortungsvollen Außen- und Sicherheitspolitik gehört ganz besonders, dass man Konflikte nicht dadurch verschärft, dass man deutsche Waffen in alle Welt exportiert. Gerade die Verbreitung von Kleinwaffen sorgt in Afrikas Konflikten für noch blutigere Gewalt und noch mehr Gräueltaten. Es muss endlich Schluss sein mit Rüstungsexporten in Staaten, die in Krisenregionen liegen oder wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden. ({6}) In der Vergangenheit hat die SPD den Merkel-Kurs bei Rüstungsexporten und auch das zynische Motto dahinter - Ertüchtigung statt Einmischung - massiv kritisiert. Heute erst beklagte sich Sigmar Gabriel, dass man sich in den Koalitionsverhandlungen nicht habe durchsetzen können. Wenn nun alles so weiterlaufen soll wie bisher, dann ist das, wie ich finde, nicht nur unverantwortlich, sondern eine brandgefährliche Strategie. Auch hier wäre ein Kurswechsel geboten, und zwar ein radikaler. ({7}) Frau Ministerin, vielleicht wäre es nicht schlecht, in den nächsten Wochen ein paar Interviewüberschriften weniger zu produzieren und noch einmal über die Ideen, die Ziele, die konkreten Konzepte und eine stimmige Strategie nachzudenken und zu diskutieren, um dem selbst gesetzten Anspruch, „Zukunft zu gestalten“, gerecht werden zu können und um für eine Politik für mehr Frieden und mehr Sicherheit einzutreten. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Henning Otte das Wort. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Regierungserklärung unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einmal mehr deutlich gemacht: Deutschland steht gut da. Wir beschließen die Dinge, die notwendig sind, damit unser Land auch weiterhin eine so gute Perspektive hat. Wir sind als Land bereit, auch zukünftig Verantwortung für eine friedliche Weltgemeinschaft zu übernehmen, und wenn es sein muss, auch noch stärker. Eingebunden in die Vereinten Nationen, eingebunden in das Bündnis der NATO, eingebunden in einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa steht Deutschland als verlässlicher Partner zu seinen Verpflichtungen, zu seiner Verantwortung und zu seinen Interessen und Werten. Dabei darf von uns erwartet werden, dass wir diese Verlässlichkeit und Verantwortung mit einer klaren sicherheitsstrategischen Ausrichtung untermauern und lenken. Diesen Anspruch haben wir für die Regierung und die Arbeit der sie tragenden Koalitionsfraktionen in unserem Koalitionsvertrag mit dem Titel - Frau Brugger hat es richtig zitiert - „Deutschlands Zukunft gestalten“ auch für den Bereich der Außen-, der Sicherheits-, der Verteidigungs- und der Entwicklungspolitik geltend gemacht. Das heißt, Deutschland stellt sich seiner internationalen Verantwortung. Wir wollen die globale Ordnung aktiv mitgestalten. Dabei lassen wir uns von den Interessen und Werten unseres Landes leiten. Deutschland setzt sich weltweit für Frieden, für Freiheit, für Sicherheit, für eine gerechte Weltordnung, für die Durchsetzung der Menschenrechte und die Geltung des Völkerrechts sowie für nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung ein. Wir stehen bereit, wenn von unserem Land Beiträge zur Lösung von Krisen und Konflikten erwartet werden. Dabei stehen für uns die Mittel der Diplomatie, der friedlichen Konfliktregulierung und der Entwicklungszusammenarbeit im Vordergrund. Das ist die Richtschnur unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Es ist an der Zeit, damit zu beginnen, dies umzusetzen. ({0}) Ich danke unserer Bundesministerin für Verteidigung, Frau Dr. Ursula von der Leyen, für ihre klaren Aussagen zur sicherheitspolitischen Ausrichtung unserer Streitkräfte und für ihre klaren Aussagen zu unserer Verantwortungskultur in einer friedlichen Weltgemeinschaft. Frau Ministerin, Sie haben umfassend und vertieft dargestellt, dass unser Land Verantwortung annimmt und dass dies zu Recht auch selbstbewusst geschieht, indem wir uns in den Dienst der Gemeinschaft für Sicherheit, für Frieden und für Freiheit stellen. Für diesen klaren Kurs danke ich Ihnen. ({1}) Es ist eben kein Signal der Verlässlichkeit und Verantwortung, wenn man beispielsweise Frankreich das Gefühl gibt, man stehe auch militärisch an der Seite dieses Partners, und man in Deutschland in der Bevölkerung den Glauben entstehen lässt, man könne sich bei militärischen Fragen auch vornehm zurückhalten. Durch die Rede unserer Verteidigungsministerin ist deutlich herausgestellt worden, dass es legitim und auch im Interesse unseres Landes ist, zu einer Befriedung in Afrika einen Beitrag zu leisten; denn dies dient auch dem Schutz unseres eigenen Landes. Eine der Lehren aus dem langjährigen Einsatz in Afghanistan sollte sein, dass wir als Politik den Bürgern zum frühestmöglichen Zeitpunkt klar verdeutlichen, warum wir Streitkräfte einsetzen und welchen Zweck sie erreichen sollen. Zusammengefasst gesagt: Es muss Erklärungen zum Way in und zum Way out geben. Zur Wahrheit gehört auch, dass Militär allein natürlich keinen Konflikt lösen kann. Meines Erachtens muss noch stärker herausgestellt werden, dass Diplomatie und Entwicklungshilfe selbstverständlich zuerst gefragt sind und erst dann, wenn diese Mittel befristet nicht zur Wirkung gelangen, Streitkräfte eingesetzt werden, um Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung zu schaffen. Wenn dann die Bundeswehr gerufen wird, muss sie sich auf eine breite gesellschaftliche und parlamentarische Unterstützung verlassen können. ({2}) Auch dies ist eine Lehre aus dem Einsatz in Afghanistan: Unsere Staatsbürger, auch die in Uniform, haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, welche Beweggründe uns Politiker leiten und wie die Lage dort ist, wohin unsere Soldaten geschickt werden sollen. Meine Damen und Herren, gerade in Bezug auf Afrika, welches geografisch wie kulturell noch näher an Europa liegt als vielleicht Afghanistan, haben wir als Europa und Deutschland Interessen. Wir können nicht einerseits bedauern, dass die Menschen nach Europa flüchten, und andererseits nichts an den Ursachen ändern wollen. Wer das eine verhindern will, muss bereit sein, das andere zu machen: den Menschen dort zu helfen, wo sie ursprünglich angesiedelt sind. Ist dort ein auskömmliches Leben möglich, wird es zu keinen Massenfluchten kommen; denn der Mensch hängt grundsätzlich am Land seiner Mütter und Väter. Hier wird deutlich: Durch ein militärisches Vorgehen allein kann man nicht dauerhaft wirksam Sicherheit und Ordnung sowie Perspektivhaftigkeit eines Landes herstellen. Vielmehr muss der vernetzte sicherheitspolitische Ansatz als Ganzes herangezogen werden - so wie es im letzten Weißbuch dargestellt wurde, so wie es auch in den Verteidigungspolitischen Richtlinien herausgestellt wurde und so wie es auch unsere Verteidigungsministerin heute gesagt hat. Klar ist: Deutschland kann das nicht allein leisten und will das auch nicht. Die globalen Herausforderungen sind nur in internationaler Zusammenarbeit und durch einen koordinierten Einsatz aller Instrumente der Außen-, der Sicherheits-, der Verteidigungs- und der Entwicklungspolitik zu bewältigen. Die Koordinierung dieser Instrumente muss auf europäischer Ebene noch stärker vorangetrieben werden. Die gemeinsame Linie des Europäischen Rates zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik war ein guter Anfang hierzu. Dieser vernetzte sicherheitspolitische Ansatz muss weiter unterfüttert werden. Für mich als Verteidigungspolitiker der Union steht fest, dass die Bundeswehr in jeder sicherheitspolitischen Frage die Befähigung für eine Antwort haben muss. Sie muss in der Lage sein, der Politik die notwendigen Handlungsoptionen in der gesamten Bandbreite bereitzustellen. Das kann Air MedEvac sein, das können Lufttransporte sein, das muss aber auch Kampftruppe sein können. Damit die Bundeswehr dies alles leisten kann, fußt die Neuausrichtung der Streitkräfte auf dem Konzept „Breite vor Tiefe“ und kann mit der Ausrichtung Deutschlands als Rahmennation weiterentwickelt werden. Die Idee einer gemeinsamen europäischen Armee ist dabei gut und das Ziel alle Mühe wert; bis dahin ist es jedoch noch ein langer Weg. Neben organisatorischen Hindernissen gibt es ordnungspolitische und verfassungsrechtliche Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen. Hierzu müssten wir beispielsweise die Parlamentsbeteiligung anpassen, ohne aber den Parlamentsvorbehalt anzutasten. ({3}) Denn es ist eine Errungenschaft unserer Demokratie in Deutschland, dass für eine Entsendung der Bundeswehr in Einsätze ein Parlamentsvorbehalt gilt. Die Bundeswehr ist damit eine Parlamentsarmee. Dies ist eine Stärke unseres Landes, um die uns andere Länder beneiden. ({4}) Niemand von uns entsendet Soldaten leichtfertig oder gar leichtherzig in den Einsatz. Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere: Soldaten müssen unter Einsatz von Leib und Leben kämpfen können. Die Soldaten unserer Bundeswehr leisten eine hervorragende Arbeit im In- und Ausland. Sie sind hervorragend ausgebildet. Sie genießen den Respekt und die Anerkennung unserer Bündnispartner, an deren Seite sie ihren Dienst leisten. Sie verdienen die Anerkennung dieses ganzen Hauses. ({5}) Ich fasse zusammen: Verantwortung zu übernehmen heißt, Verantwortung zu übernehmen. Deutschland hat einen sicherheitspolitischen Gestaltungsanspruch - in einem vernetzten Ansatz. Wir haben zur Umsetzung dieser Ziele eine Bundeswehr als Streitkraft, die im Rahmen der Neuausrichtung zu einer Einsatzarmee weiterentwickelt wird. Deutschland ist eingebunden in Europa und bereit, als berechenbarer und verlässlicher Partner einer friedlichen Weltgemeinschaft mehr Verantwortung zu übernehmen - für Sicherheit, für Stabilität, für Frieden und für Freiheit. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat der Kollege Tobias Lindner das Wort.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau von der Leyen, Sie sind ja die Ministerin - ich glaube, das kann man mit Fug und Recht sagen -, die in den wenigen Tagen, seitdem es diese Große Koalition gibt, mit den meisten Schlagzeilen - Herr Arnold sprach von Impulsen und großen Linien - in der Öffentlichkeit wahrgenommen worden ist. Sie sprachen davon, dass von verstärkten Auslandseinsätzen der Bundeswehr auszugehen ist. Sie sprachen davon, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr das beste Material verdient haben. Sie sprachen davon, dass man die Vereinbarkeit von Familie und Dienst verbessern und die Bundeswehr sogar zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland, wenn ich das richtig im Kopf habe, machen muss. ({0}) Sie werden sich in Ihrer Amtszeit natürlich schon bald, nämlich dann, wenn Ihre ersten 100 Tage im Amt abgelaufen sind, daran messen lassen müssen, welche konkreten Maßnahmen daraus folgen. Ich will das nur an einem Beispiel, und zwar an der Vereinbarkeit von Familie und Dienst, deutlich machen. Im Handbuch zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst in den Streitkräften sind 82 Maßnahmen beschrieben. Sie werden sagen müssen, Frau Ministerin, was Sie denn mehr tun wollen, als diese 82 Maßnahmen zu ergreifen, und an welchen Stellen, an denen diese Maßnahmen noch nicht gegriffen haben, Sie wie nachsteuern wollen, damit sich die Vereinbarkeit von Familie und Dienst tatsächlich erhöht. Liebe Frau von der Leyen, Sie werden natürlich auch sagen müssen, wie das alles finanziert werden soll; denn wir glauben Ihnen nicht, dass das ohne zusätzliche Kosten geht. Zumindest wird man im Einzelplan des Bundesministeriums der Verteidigung aufzeigen müssen, wo das Geld hierfür herkommen soll. ({1}) Liebe Frau Ministerin, ich würde mir schon wünschen, dass Sie auch dazu ein paar Worte verlieren. Karl-Theodor zu Guttenberg hat Thomas de Maizière das Haus mitten in einer Bundeswehrreform übergeben, die - ich zitiere Herrn zu Guttenberg - in vier Jahren ein Konsolidierungspotenzial von 8,3 Milliarden Euro erwirtschaften sollte. Wir reden über den zweitgrößten Etat im Bundeshaushalt. Wir geben momentan mehr Geld für Verteidigung als für Zinszahlungen für die Schulden des Bundes aus. Thomas de Maizière hat Ihnen ein Haus übergeben, das nicht nur Lehren aus dem Drohnendesaster des letzten Sommers ziehen sollte, sondern das auch noch ganz andere Baustellen hat, wie zum Beispiel den fragwürdigen Deal über einen Marinehubschrauber, bei dem man schon fragen muss, ob die Marine dieses Modell überhaupt will - von Verzögerungen und Kostensteigerungen beim A400M ganz zu schweigen. Liebe Frau von der Leyen, hier werden Sie gefordert sein, nicht nur, um die Fehler an den konkreten Projekten zu beheben, sondern auch, um an das große Thema Beschaffungsprozess heranzugehen, wo wirklich Stellschrauben verändert werden müssen. Aber auch der Informationsfluss in Richtung des Parlaments und der Fachausschüsse - ich will hier nur an den Koalitionsvertrag erinnern - muss dringend verbessert werden; denn wir können es uns in Zeiten knapper werdender Gelder - das haben Sie ja selbst gesagt - gar nicht erlauben, dass noch mehr Steuergelder in fragwürdige Projekte bei der Bundeswehr investiert werden, wenn wir wirklich die beste Ausstattung für unsere Soldatinnen und Soldaten wollen. Ich danke Ihnen. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächster gebe ich Frau Kollegin Gabi Weber von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Gabi Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004438, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich sende zunächst dem Luftwaffengeschwader 33 in Rheinland-Pfalz, meinem Heimatland, herzliche Grüße und spreche sowohl den Kameraden, die bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurden, als auch den beiden verunglückten Tornadopiloten meine Genesungswünsche aus. Ich gehe davon aus, das tue ich auch in Ihrem Namen. ({0}) Meine Damen und Herren, ich ergänze die heute hier schon gesetzten Impulse um einige wenige, für uns jedoch wesentliche Schwerpunkte: Durch die Bundeswehrreform haben wir Strukturen in den Dienststellen geschaffen, die dazu führen, dass wir - mit wenigen Ausnahmen - keine rein militärischen und keine rein zivilen Dienststellen mehr haben. Die Leitung dieser Stellen wechselt mittlerweile häufig zwischen Soldaten und Zivilangestellten. Dennoch gelten für die beiden Gruppen unterschiedliche Beteiligungsrechte beim sogenannten Grundbetrieb in Deutschland. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, diese Ungleichheit zu beenden und für den Grundbetrieb die Regelungen anzupassen. Es muss für beide Gruppen - militärische und zivile Beschäftigte der Bundeswehr - die gleichen Beteiligungsrechte geben. ({1}) Für diskussionswürdig halten wir die Auslagerung des Travel Managements. Dieses Vorhaben resultiert aus der Planung, die Zahl der Zivilbeschäftigten auf 55 000 zu reduzieren. Wir sind uns sicher, dass diese Zahl von 55 000 einer Überprüfung mit Blick auf die Dienstposten, die für den Erhalt der Arbeitsfähigkeit der Bundeswehr notwendig sind, nicht standhält. Außerdem müssen wir schon jetzt erkennen, dass die Auslagerung der Personalabrechnung, die bedauerlicherweise bereits umgesetzt ist, große Probleme schafft. Insbesondere die Übertragung der Beihilfeabrechnung an das Bundesministerium der Finanzen hat dazu geführt, dass sich Beihilfebearbeitungszeiten um ein Vielfaches verlängern und manche Beschäftigte bis zu zwölf Monate auf ihr Geld warten müssen. Ich kann mir gut vorstellen, in welch missliche Lage unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dadurch gebracht wurden. Soldaten mussten die Krankheitskosten ihrer Angehörigen, die zum Beispiel durch OPs schnell in die Zehntausende gehen können, vorstrecken. Zahlungsziel jedoch - da sind Ärzte und Kliniken knallhart - ist vier Wochen. Mittlerweile ist man dazu übergegangen, Abschlagszahlungen vorzunehmen, die diesen Missstand jedoch lediglich kaschieren. Das darf so einfach nicht sein. ({2}) Solche Umstände, Frau Ministerin, schaden dem Ansehen der Bundeswehr als attraktiver Arbeitgeber massiv. In der freien Wirtschaft wäre das so nicht möglich. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns beim Travel Management aus den Problemen bei der Verlagerung der Beihilfeabrechnung lernen. Wir müssen uns damit im Ausschuss noch einmal ernsthaft beschäftigen. Wir halten es schlicht für nicht machbar, die Reiseplanung weiter bei der Bundeswehr zu belassen, aber wie bei dem anderen Fall die Abrechnung beim Bundesfinanzministerium anzusiedeln. In der Praxis würde das bedeuten, dass Planungen vier bis sechs Wochen vor Reisebeginn abgeschlossen und der Abrechnungsstelle zur Genehmigung vorgelegt werden müssen. Das entbehrt jeder Lebenserfahrung. Außerdem fehlt nicht nur mir jede Fantasie, wie dann kurzfristig Aktion und Reaktion auf nicht beeinflussbare Geschehnisse möglich sein sollen. Für mich gehört dieser Aspekt auch zu der von der Ministerin zu Recht angesprochenen Fürsorge und Betreuung unserer Beschäftigten. Wir sollten die Bundesregierung dabei unterstützen, wenn sie die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, GSVP, in dieser Wahlperiode zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit macht. Die Wirtschaftskrise hat die Bemühungen zur GSVP in den EU-Staaten ins Stocken gebracht. Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir einen immer engeren Bund der europäischen Streitkräfte anstreben, und haben das sehr ambitionierte Ziel einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee formuliert. Liebe Frau Ministerin, wir freuen uns, dass Sie diese Absicht nochmals ausdrücklich bestätigt haben. - Ich bin etwas aufgeregt, das ist meine erste Rede. ({3}) Europa ist eine wertegebundene und von gemeinsamer Verantwortung getragene Friedensmacht. Europa schafft Stabilität, die über seine Grenzen hinaus ausstrahlt. Umgekehrt wirken sich jedoch Konflikte in unserer unmittelbaren Nachbarschaft auch auf die Sicherheit und Stabilität Europas aus. Das beste und auch schlimmste Beispiel erleben wir gerade in Osteuropa. Die Ukraine mit ihren derzeit völlig chaotischen Zuständen ist gerade einmal so weit von der deutschen Grenze entfernt wie Hamburg von München. Daher müssen wir wirksame Antworten auf diese Herausforderungen geben. Eine europäische Verständigung bei der strategischen Ausrichtung der EU halten wir daher für dringend erforderlich. Aber es ist kein Geheimnis, dass sich die EU derzeit sehr schwertut, bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemeinsam vorzugehen. Der europäischen Sicherheitsstrategie von 2003 fehlt die institutionelle Umsetzung, aber auch die Bereitschaft einiger Mitgliedstaaten, entsprechende Fähigkeiten vorzuhalten. Mittlerweile erleben wir bilaterale Vereinbarungen Frankreichs und Großbritanniens, aber auch die Überlegungen der skandinavischen Staaten zur Bildung einer nordischen Allianz. Dies sind in unseren Augen die Folgen dieser ins Stocken geratenen gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik. Wir sollten daher mit unseren Freunden aus Frankreich und Polen die Initiative ergreifen und auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle einnehmen und gemeinsam das Projekt einer europäischen Integration von Sicherheit und Verteidigung voranbringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns dabei keine Denkverbote auferlegen. Die Wirtschaftskrise in vielen Staaten Europas können wir auch als Chance verstehen, um neue Impulse zu setzen, und, wie Frau Ministerin es bereits angesprochen hat, durch Pooling, Sharing und die Spezialisierung auf bestimmte militärische Fähigkeiten deutliche Synergieeffekte zu erzielen. Daher ist die Neufassung der von mir angesprochenen Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003 als verbindliche staatliche Ausrichtung voranzutreiben. Das funktioniert aber nur - auch das ist schon angesprochen worden -, wenn vorher vernünftige Analysen vorliegen, in denen die vorhandenen Schwachstellen beschrieben werden. Für mich selbstverständlich ist bei all diesen von mir aufgezählten Punkten, dass die Einhaltung der parlamentarischen Beteiligungsrechte auch bei Teilnahme europäischer Kontingente an von den Vereinten Nationen mandatierten Einsätzen gewährleistet sein muss. Eigentlich wollte ich noch einige diskussionswürdige Aspekte zur Evaluierung der Bundeswehrreform anfügen. In Anbetracht meiner schon abgelaufenen Redezeit muss ich das allerdings auf eine spätere Rede verschieben. In diesem Sinne: Es gibt für uns viel zu tun. Wir haben arbeitsreiche Jahre vor uns. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen in diesem Haus und danke für die Aufmerksamkeit zu dieser späten Stunde. Sie haben es mir leichtgemacht, meine erste Rede zu halten, vor der ich zugegebenermaßen riesigen Respekt hatte. Herzlichen Dank. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Liebe Frau Kollegin Weber, das Präsidium gratuliert Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede. Sie war engagiert, und Sie haben die Zeit leicht überzogen. Das haben wir aber als Gabe an Ihre erste Rede akzeptiert. Was die späte Stunde angeht, werden Sie im Laufe der Zeit erleben: Es gibt auch noch spätere Stunden in diesem Hause. ({0}) Wir haben auch schon erlebt, dass wir Mitternacht hinter uns gelassen haben. Jetzt ist es 19.10 Uhr. Ich finde, das geht gerade noch. Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich das Wort Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Charakter unserer Armee, der Bundeswehr, hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv verändert. Während wir früher noch darüber gesprochen haben, dass wir kämpfen können müssen, um nicht kämpfen zu müssen, sprechen wir heute von einer Armee im Einsatz. Die Aufgaben und Anforderungen haben sich entsprechend geändert. Gleichzeitig hat sich die Verfügbarkeit von Ressourcen mit Blick auf die Demografie und die begrenzten Haushaltsmittel deutlich verringert. Wir sind diesen Veränderungen nachgekommen. Wir haben gerade auch für die Truppen im Einsatz in den letzten Jahren bei den Themen Ausbildung und Ausrüstung massiv zugelegt und Verbesserungen erzielt, und wir haben eine Bundeswehrreform auf den Weg gebracht, um dieser Neuausrichtung auch organisatorisch gerecht zu werden. Ich finde es gut - das ist ein guter Start für diese Koalition -, dass wir in unserem Koalitionsvertrag vereinbart haben, dass wir die Neuausrichtung konsequent fortsetzen und zum Erfolg führen wollen. Das heißt, die Reform wird vollständig umgesetzt. Es heißt auch, dass es keine Reform der Reform gibt. Das ist wichtig; denn unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen genauso Planungssicherheit wie auch das zivile Personal. Nichtsdestotrotz, auch wenn wir bei der Grundausrichtung bleiben, wird es natürlich auch Gelegenheit geben, zu optimieren. Das müssen wir auch. Wo es beispielsweise Handlungsbedarf gibt, zeigt der Bericht des Wehrbeauftragten. Er hat einige Themen angeführt, die auch unsere Ministerin schon aufgegriffen hat, beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier gibt es einiges zu tun, auch wenn der Beruf des Soldaten kein Beruf wie jeder andere und nicht mit zivilen Berufen vergleichbar ist. Kolleginnen und Kollegen, die Welt ändert sich. Die globalen Machtverhältnisse ändern sich massiv. Das hat Auswirkungen auf Deutschland und Europa. Ich glaube, es ist kein Geheimnis - viele Kolleginnen und Kollegen und auch Sie, Frau Ministerin, haben es heute gesagt -: Wir müssen in Europa - und Deutschland mit vorneweg mehr Verantwortung übernehmen. Auch wenn unsere subjektive Wahrnehmung, umringt von Freunden, manchmal eine andere ist, so ist es doch so, dass Deutschland weiterhin bedroht ist und dass vor allem auch unsere Hilfe gefordert wird.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege.

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Lassen Sie sie zu?

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Frau Kollegin.

Doris Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004436, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Hahn, vielen Dank, dass Sie mir die Gelegenheit geben, eine Frage zu einem Punkt zu stellen, der noch gar nicht zur Sprache gekommen ist. Sie haben gerade von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Attraktivität der Bundeswehr gesprochen. Ein Punkt ist heute Abend noch gar nicht zur Sprache gekommen, nämlich die Studie „Truppenbild mit Dame“, die wir kürzlich zur Kenntnis nehmen konnten und die mich, ehrlich gesagt, einigermaßen überrascht hat. Zehn Jahre nach Öffnung der Bundeswehr für Frauen ist die Situation im Laufe der Jahre nicht etwa besser geworden. Vielmehr ist in dieser Studie zu lesen, dass die Akzeptanz von Frauen deutlich abgenommen hat. Außerdem hat diese Studie aufgezeigt, dass sexuelle Belästigung durchaus ein gravierendes Problem darstellt und dass es fraglich ist, ob die Strukturen geeignet sind, diesem Problem effektiv zu begegnen. Ich möchte Sie Folgendes fragen, Herr Kollege: Welche konkreten Maßnahmen könnte man ergreifen, um die Akzeptanz von Frauen in der Bundeswehr zu erhöhen, und wie könnte man sexueller Belästigung begegnen? Vielen Dank.

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich darf Sie da ein bisschen korrigieren. Gerade unsere Ministerin, Frau von der Leyen, hat in ihren Ausführungen zu diesem Thema gesprochen und darauf hingewiesen, dass hier noch viel getan werden muss. Da gibt es nichts zu diskutieren. Es ist nicht erfreulich. Sexuelle Belästigung ist, egal ob im militärischen oder zivilen Bereich, nicht hinnehmbar. Hier müssen Maßnahmen ergriffen werden. Offen gesagt, bin ich kein Fachmann für diesen Bereich. Daher kann ich Ihnen nicht die nächsten Handlungsmaßnahmen nennen. Aber eines ist ganz klar - das macht auch die Tatsache deutlich, dass diese Studie jetzt veröffentlicht wurde -: Wir alle und insbesondere Frau von der Leyen nehmen dieses Thema sehr ernst. Wir müssen darauf entsprechend reagieren. Ich habe vorhin von den Bedrohungen gesprochen, denen Deutschland gegenübersteht. Es gibt nicht nur Bedrohungen aus dem terroristischen Bereich, sondern auch Bedrohungen durch technologischen Fortschritt. So hat sich beispielsweise die Reichweite von Trägersystemen deutlich erhöht. Zudem macht sich Instabilität in Konfliktregionen breit. Das alles betrifft uns direkt, und darauf müssen wir auch reagieren können. Deshalb brauchen wir zunehmend Absprachen mit den europäischen Partnern; das wurde schon von einigen Kolleginnen und Kollegen gesagt. Es ist daher richtig, dass wir im Koalitionsvertrag eine Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU festgeschrieben haben. Aber so etwas lässt sich nicht von heute auf morgen erzwingen. Wir brauchen aus meiner Sicht konkrete Projekte, damit so etwas in Europa natürlich wachsen kann. Ich nenne ein paar Stichworte: Wir müssen die europäischen Transportkapazitäten weiter ausbauen. Wir brauchen eine gemeinsame Luftraumüberwachung. Als weiteres Stichwort nenne ich die europäische Raketenabwehr. Wir müssen uns zudem darüber einig sein, welche technologischen Fähigkeiten wir in Europa unabhängig von Dritten haben wollen. Natürlich brauchen solche Projekte Zeit. Gleichzeitig werden wir mit aktuellen Ereignissen konfrontiert, die eventuell unser gemeinsames Handeln erfordern, wie die aktuelle Situation in Afrika. Natürlich wollen wir unserem Bündnispartner zur Seite stehen. Natürlich wollen wir den betroffenen Menschen, die in Not sind, helfen. Aber wir dürfen auch nichts überstürzen. Für zukünftige Mandate - das lehrt uns die Erfahrung aus den aktuellen bzw. den vergangenen Einsätzen - brauchen wir nicht nur militärische Konzepte, sondern auch Konzepte, die die zivile Hilfe und die Einbeziehung regionaler Akteure beinhalten. Ich bin froh, dass Sie, liebe Frau Ministerin, das heute noch einmal betont haben. Zu einem Konzept gehören aber auch Antworten auf folgende Fragen: Wie ist die Lage vor Ort? Welche Ziele wollen wir warum und mit welchen Mitteln verfolgen? Wie stellt sich der zeitliche Umfang eines möglichen Engagements dar? Wie sieht eine Exitstrategie aus? Und welchen Gefahren setzen wir unsere Streitkräfte aus? Auf die Beratungen dieser Fragen in den nächsten Sitzungswochen freue ich mich. Ich möchte mein Augenmerk noch auf das Ansehen unserer Soldatinnen und Soldaten richten. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in den Einsätzen und daheim hervorragende Arbeit. Sie genießen hohes Ansehen in den Einsatzgebieten und bei unseren Verbündeten. Ich wünsche mir aber manchmal im Inland, in Deutschland, noch mehr Wertschätzung und Respekt für die Arbeit der Bundeswehrangehörigen. ({0}) Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die Reden der Fraktion Die Linke zu sprechen kommen. Herr Neu, ich muss ganz ehrlich sagen: Sie haben heute einmal mehr deutlich gemacht, dass Sie mit Ihren Dogmen im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht regierungsfähig sind. Das macht mich jetzt nicht unbedingt traurig. Auch das sage ich Ihnen ganz ehrlich. Wir brauchen die Bundeswehr für unsere Sicherheit und zum Schutz unserer Interessen. Wir werden daher die Arbeit der Bundeswehr auch in der kommenden Legislatur unterstützen. Herzlichen Dank. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Weitere Wortmeldungen zum Thema Verteidigung liegen nicht vor. Ich rufe damit den Bereich Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Das Wort hat Bundesminister Dr. Gerd Müller. ({0})

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Welt steht vor gewaltigen Herausforderungen. Über 4 Millionen Jahre hat es gedauert, bis die Menschheit im 19. Jahrhundert die Schwelle der ersten Milliarde durchbrach. Heute wächst die Weltbevölkerung täglich um 230 000 Menschen - das sind 80 Millionen Menschen im Jahr, einmal die Einwohnerzahl von Deutschland - auf 9 Milliarden Menschen im Jahr 2050. Die Bevölkerung in Afrika wird sich in diesem Zeitraum verdoppeln. Ein Staat wie Nigeria, der noch überhaupt nicht in unserem Blickfeld ist, wird dann 500 Millionen Einwohner haben. Seit meiner Geburt 1955 hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt. Wir haben in diesem Zeitraum aber auch eine Verdreifachung des Wasserverbrauchs, eine Vervierfachung des CO2-Ausstoßes und eine Versiebenfachung der Produktion der Weltwirtschaft zu verzeichnen. Würden alle Menschen heute auf der Erde auf dem Konsumniveau von uns Deutschen und Europäern leben, dann brauchten wir drei Planeten; denn die Menschen hinterlassen einen gewaltigen ökologischen Fußabdruck. So stellt sich für uns natürlich auch die Frage nach den Grenzen dieses Wachstums. Unter diesem Gesichtspunkt globaler Herausforderungen ist die Entwicklungspolitik, der Sie, meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sich seit vielen Jahren - die allermeisten in diesem Raum mit so viel Idealismus - widmen, nicht Nischenpolitik, weil der Tagesordnungspunkt heute um halb acht aufgerufen wird, sondern sie steht im Zentrum der Politik; sie ist Zukunftspolitik, Friedenspolitik, sie ist Innenpolitik. ({0}) Auch wenn es noch nicht alle gemerkt haben, haben diese Entwicklungen gewaltige Rückwirkungen auch auf uns in Deutschland. Wir stehen für eine werteorientierte Entwicklungspolitik, und das aus ethisch-moralischer Verpflichtung, aus globaler Verantwortung heraus, aber auch aus nationalem Interesse. Uns allen ist klar: Die Menschheit überlebt nur dann in Würde, wenn wir die Schöpfung erhalten und uns an global geltenden Grundwerten orientieren, eine humane und gerechte Weltordnung schaffen, die Lebensperspektive für alle schafft. An dieser Stelle sind wir uns einig, dass wir nicht business as usual, einfach so weitermachen können; wir brauchen vielmehr einen Paradigmenwechsel, im Denken und im Handeln, national, europäisch und international. Es ist ganz klar: Niemand in der Welt - schon aus humanitären Gründen - darf zurückgelassen werden. Ein Ende der Armut und des Hungers, von Krankheit und Seuchen ist möglich. Dennoch lassen wir es zu, dass nahezu 1 Milliarde Menschen unterernährt ist, hungert und täglich 20 000 bis 30 000 Kinder sterben, während wir, 1 Milliarde Menschen auf der Sonnenseite des Lebens, mit Übergewicht und Fettleibigkeit kämpfen. Das ist nicht hinnehmbar. Hier müssen wir handeln. ({1}) Dazu brauchen wir ein neues Denken, ein neues Handeln von Staat und Gesellschaft, aber auch von jedem Einzelnen. Nachhaltigkeit muss das Prinzip allen Tuns und aller Entwicklung sein. Deshalb müssen wir die Globalisierung so gestalten, dass sie den Menschen dient und nicht ausschließlich den Märkten und der Wirtschaft. ({2}) Nicht der freie Markt ohne jegliche Kontrolle ist unser Leitbild, sondern eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Der Markt braucht Grenzen. Wir haben eine Vorlage für ein wirtschaftlich verträgliches System. Im ökologischen Sinne müssen wir unser Konsumverhalten verändern, den Wachstumsbegriff qualitativ neu definieren. Die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Bundestages hat dazu vor einem Jahr eine hervorragende Vorlage geliefert, die wir nur aufzugreifen haben. Wir müssen die Ressourcen effizienter nutzen, etwa mit dem Faktor fünf oder mit dem Faktor zehn. Wir müssen also mit weniger Einsatz mehr produzieren. Das ist möglich, und das zeigt auch auf, dass die Probleme lösbar sind. Ökologische und soziale Standards müssen Eingang in die Finanz- und in die Wirtschaftswelt finden, in internationale Handelsabkommen und in globale Handelsströme. Ich denke an Doha. Hier müssen wir Deutsche, hier müssen wir Europäer ein Stück weit Maßstäbe setzen und Vorreiter sein. ({3}) Wenn man es will, kann man mit anderen zusammen auch etwas bewegen. Wir können einiges bewegen. Wir haben in meiner Zeit als Parlamentarischer Staatssekretär im Agrarministerium beispielsweise das Thema „Begrenzung und Verbot der Lebensmittelspekulationen“ in den G-20-Gipfel eingebracht. Ein Anfang ist gemacht. Wir müssen auch bei anderen Themen vorangehen. Ich habe mich heute mit der niederländischen Ministerin für Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit über die Situation der Textilwirtschaft, beispielsweise in Bangladesch, unterhalten. Es ist absolut nicht hinnehmbar, dass dort Näherinnen für 5 Cent in der Stunde 90 Stunden die Woche Jeans nähen, damit wir für 9,90 Euro eine Jeans kaufen können. ({4}) An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass jeder von uns aufgefordert ist, zu handeln. Auch der Konsument, der Verbraucher, kann durch nachhaltiges Handeln Zeichen setzen. Wir müssen als reiche Industrienationen dabei wesentlich stärker unserer Verantwortung gerecht werden. Europa, die USA und Japan, 20 Prozent der Weltbevölkerung, beanspruchen 80 Prozent des Reichtums und hinterlassen zwei Drittel der Umwelt- und Klimaschäden. Hier sind ein Umdenken und ein Umsteuern angesagt. ({5}) Ich werde zusammen mit Ihnen, den engagierten Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die auch in der Vergangenheit immer wieder auf diese Themen aufmerksam gemacht haben, jetzt unter Beteiligung aller in der deutschen Gesellschaft und Öffentlichkeit Interessierten einen Diskussionsprozess einleiten. Wir wollen in diesem Jahr eine nationale Zukunftscharta nach dem Motto „Eine Welt - unsere Verantwortung“ entwickeln, die am Ende des Jahres in einen großen Eine-Welt-Kongress münden soll. ({6}) Wir bereiten damit ein neues globales Zielsystem für nachhaltige Entwicklung nach 2015, den Post-2015-Prozess - die Neudefinition der Millenniumsziele -, vor. Deutschland kann und muss hier eine starke inhaltliche Vorgabe machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses, die Sie kämpfen, die Sie die letzten Jahre auch um politische Reputation gekämpft haben, es zeigt, dass wir weit vorangekommen sind. Unser Ministerium bekommt morgen Besuch von Ban Ki-moon. Mit ihm starten wir diesen Prozess und leiten wir die Diskussion dieses globalen Zielsystems ein. Das BMZ ist auch und gerade das Ministerium für globale Entwicklungen. ({7}) Die Koalition verstärkt die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. ({8}) Natürlich hätten wir uns gewünscht, Herr Raabe, dass es mehr als 2 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre wären. Aber: Die Notwendigkeit dieser Mittel ist bei den Spitzen der Fraktionen angekommen. Ich bedanke mich bei der Kanzlerin, beim Vizekanzler, bei Herrn Gabriel. Wir haben einen großen Konsens. Es ist eine große Chance, dass wir diese Themen, diese Herausforderungen nicht im kleinen innerparteilichen Streit diskutieren müssen, sondern dass wir uns im Großen und Ganzen einig sind, dass wir etwas bewegen und nach vorne kommen wollen. Dafür bedanke ich mich bei Ihnen. ({9}) Als neuer Bundesminister mache ich mich mit großer Freude an die Arbeit. Ich fühle und finde viel Idealismus und Unterstützung bei Ihnen. Das gibt mir auch die Kraft, neue konkrete Akzente und Ansatzpunkte zu finden. Neue Schwerpunkte werden wir in den nächsten Monaten im Ausschuss miteinander entwickeln. Mit meinen beiden Staatssekretären Joachim Fuchtel und Christian Schmidt haben wir eine Verstärkung bekommen. Sie sind gewichtige politische Akteure an meiner Seite, profilierte Außenpolitiker und Entwicklungspolitiker. ({10}) Thema Nummer eins, meine Damen und Herren, ist die Entwicklungszusammenarbeit. Sie ist kein Nischenthema, wie ich gesagt habe, und deshalb müssen wir Wirtschaft, Gesellschaft, Kirchen, Medien und Politik mitnehmen. Die größte Ungerechtigkeit sind die absolute Armut und der Hunger. Deshalb werden wir unsere Anstrengungen hier weiter verstärken und besonders in Afrika investieren - die Frau Verteidigungsministerin ist weg -; wir werden unsere Anstrengungen mit einer Sonderinitiative für eine Welt ohne Hunger verstärken und in Mali, in Zentralafrika einen Schwerpunkt setzen. Ich beabsichtige, mit jährlich 1 Milliarde Euro gezielt die ländliche Entwicklung voranzubringen. Wir streben den Aufbau von zehn grünen Wertschöpfungszentren in Afrika an. Unser Leitbild sind nicht Agrofabriken, sondern leistungsfähige bäuerliche Betriebe, die die lokale Ernährung sichern und die Wertschöpfung im Lande belassen. Wir sind davon überzeugt: Afrika kann sich selbst ernähren. ({11}) Wir haben das Wissen, das Können. Wir müssen in Partnerschaft diesen Transfer leisten; dann ist Afrika selber imstande, sich zu ernähren. Viele Länder Afrikas können mit diesem Know-how, mit unserer Hilfe die Produktivität verdoppeln, verdreifachen. Wir haben solche Erfahrungen in Äthiopien und in vielen anderen Staaten bereits gemacht. Also machen wir uns auf, diesen Schwerpunkt zu setzen. Dazu gehört Bildung. Bildung ist für uns der Schlüssel für eine bessere Zukunft. Bildung ist die Grundlage jeglicher Veränderung. Deshalb werden wir hier einen weiteren Schwerpunkt setzen und gezielt Haushaltsmittel zur Stärkung der Grundbildung und zum Aufbau beruflicher Ausbildungszentren, aber auch für die tertiäre Bildung einsetzen. Wir werden diese Haushaltsmittel auf mindestens 400 Millionen Euro jährlich erhöhen und dazu auch eine Afrika-Initiative starten. Ich habe mich gestern mit der Präsidentin des DAAD getroffen. Wir haben vereinbart, den jetzt schon erfolgreichen Austausch von Studenten und Professoren zwischen Deutschland und Afrika zu verdoppeln. 1 000 neue Austauschplätze für afrikanische Studenten in Deutschland sind das Ziel. Afrika bleibt unser regionaler Schwerpunkt. Ich sage: Trotz aller Probleme ist Afrika der Chancenkontinent. Deshalb arbeiten wir an einem neuen entwicklungspolitischen Afrika-Konzept. Ich lade insbesondere die deutsche Wirtschaft ein, in Partnerschaft mit uns die Chancen zu nutzen. Ein schwieriges, aber drängendes Thema ist das Flüchtlingsthema. Wir brauchen ein europäisch abgestimmtes Flüchtlingskonzept. Meine Damen und Herren, Lampedusa wird es hundertmal geben, wird es tausendmal geben. Es genügt nicht, dass wir im Mittelmeerraum die Zäune und die Polizeipräsenz verstärken; wir müssen Lebensperspektiven für die Menschen vor Ort schaffen. ({12}) Wir müssen eine Antwort geben. Frau Roth war gerade unterwegs in Jordanien und im Libanon, wo 3 bis 4 Millionen syrische Flüchtlinge in Flüchtlingslagern, in Notunterkünften leben und humanitäre Hilfe, das tägliche Essen erhalten. Aber wir brauchen eine Antwort auf die Frage der Reintegration, wo es darum geht, diese Menschen wieder in ihre Heimat zurückzuführen. Ich sage auch mit Blick auf die Diskussion in Deutschland: Die syrischen Flüchtlinge, aber auch die Flüchtlinge an anderen Orten in der Welt wollen nicht hierherkommen; sie wollen Heimat und Zukunft, Frieden und Stabilität zu Hause, und dazu müssen und werden wir beitragen. ({13}) Dies gilt auch für Afghanistan. Ich kann das Thema heute nicht weiter vertiefen. Es geht auch dort um die Frage einer echten Entwicklungsperspektive. Der Abzug der ISAF-Soldaten, Herr Staatssekretär, ist nur die eine Seite. Wenn wir nach zwölf Jahren herausgehen, brauchen wir zur Stabilisierung Investitionen und eine Stärkung der zivilen Infrastruktur, wenn wir nicht innerhalb von fünf Jahren erleben wollen, dass der militärische Einsatz der ISAF-Truppen erfolglos war, weil das Land im Chaos versinkt. Das wollen wir nicht, deshalb müssen wir die zivilen Strukturen stärken. Der Klimaschutz bleibt Eckpfeiler der Entwicklungspolitik; das ist ganz natürlich. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist, ein rechtsverbindliches Klimarahmenabkommen im Jahr 2015 abzuschließen. Dieser eine Satz beinhaltet eine große Ankündigung. Es ist nämlich eine riesige Aufgabe, zu einem rechtsverbindlichen Klimarahmenabkommen im Jahr 2015 zu kommen. Meine Damen und Herren, unser Einsatz gilt der Förderung von Demokratie, Menschenrechten, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung. Wirksame Entwicklungszusammenarbeit hat dies natürlich auch zum Ziel und zur Grundlage. Deswegen werden wir uns verstärkt auf Aufbauleistungen insbesondere im Mittelmeerraum konzentrieren und dabei die so wertvolle Arbeit unserer politischen Stiftungen fördern. ({14}) Vieles ist zu tun, und viele sind unterwegs. Zum Schluss möchte ich unseren vielen Tausend Entwicklungshelfern und -experten in der Welt - Soldaten leisten ihren wertvollen, herausragenden Dienst, aber auch Tausende von Entwicklungshelfer - für ihren unermüdlichen und auch gefährlichen Dienst danken. Sie verdienen, dass ihnen unsere ganz besondere Wertschätzung gilt. ({15}) Unsere Entwicklungshelfer sind Botschafter Deutschlands im besten Sinne: Botschafter für den Frieden in der Welt. Sie stehen für unsere Kultur, für Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie und Zukunft. Wir im Deutschen Bundestag stehen fraktionsübergreifend hinter ihnen. Wir alle kämpfen für eine gerechte Welt, für eine bessere Zukunft und den Erhalt unserer Schöpfung. Mit ihnen zusammen gehen wir an die Arbeit. Herzlichen Dank. ({16})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächste Rednerin hat das Wort Kollegin Heike Hänsel, Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Müller, Sie schlagen neue Töne in der Entwicklungspolitik an, auch im Gegensatz zu Ihrem Vorgänger. Ich muss sagen: Dies begrüßen wir ausdrücklich hier in der entwicklungspolitischen Debatte. ({0}) Es gibt - das haben wir auch schon heute Morgen im Ausschuss gesagt - zahlreiche Ideen von Ihnen, von denen auch wir einige unterstützen. Die Frage der Wertschöpfung in den Ländern des Südens ist eine der entscheidenden Fragen für Entwicklung. Ebenso stimmt es, dass es um Veränderungen hier im Norden gehen muss. All das sind Ansätze, die wir unterstützen. Da werden wir Ihre Vorstellungen sicherlich kritisch-konstruktiv begleiten. ({1}) Ich bin aber nicht erst jetzt zu dieser Debatte gekommen, sondern sitze hier seit heute Morgen und habe eine Regierungserklärung nach der anderen gehört. Da gab es auch andere Töne. Wenn ich mir Kanzlerin Merkel in Erinnerung rufe, ({2}) so war für mich ihre Hauptbotschaft: Wir sind besser aus der Krise herausgekommen als andere, wir wollen im harten Wettbewerb bestehen, wir wollen an die Spitze, wir wollen als starkes Europa unseren Platz an der Spitze der globalen Entwicklung halten, usw. ({3}) Hier ging es nur um Konkurrenz. Hier ging es nur um ein System von wirtschaftlicher Konkurrenz, um knallharten Wettbewerb der Volkswirtschaften weltweit, im Grunde um den Kampf um Ressourcen, den Schutz von Handelswegen, um billige Arbeitskräfte und neue Absatzmärkte. Hier ging es nicht um Kooperation, sondern hier ging es um knallharten Wettbewerb. Und das lehnen wir ab. ({4}) Diese Form des weltweiten Wirtschaftens, diese neoliberale Globalisierung - genau so soll es demnach ja jetzt weitergehen -, steht gegen die Vorstellungen und Ziele und Ideen, die Minister Müller gerade formuliert hat. ({5}) Wir brauchen uns nur die aktuellen Zahlen anzuschauen. Oxfam hat letzte Woche neu ausgerechnet, dass die 85 reichsten Menschen auf der Erde über genauso viel Vermögen verfügen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Das ist eine enorme Konzentration von Reichtum. Diese Form des Reichtums dürfen wir nicht akzeptieren. ({6}) Es ist eine wirtschaftliche Machtkonzentration, die die demokratischen Fundamente weltweit massiv bedroht. Genau deswegen wollen wir weg von dieser Profitmaximierung hin zu einem solidarischen Wirtschaftssystem. Dann wäre auch eine Wertschöpfung in den Ländern des Südens möglich. ({7}) Ich habe in der vorherigen Debatte ganz andere Töne von der Verteidigungsministerin von der Leyen - wenn man sie denn so nennen kann - gehört. Ich finde es ganz interessant, dass sie eine Afrika-Strategie entwickeln will, bei der Afrika in den Fokus für immer neue Militäreinsätze kommen soll. Im Grunde wäre es viel besser, die wirtschaftliche Entwicklung zu befördern, anstatt noch mehr Militäreinsätze durchzuführen. 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs sollten wir die Mahnung verstanden haben. Es war deutsche Großmachtpolitik, die Millionen von Menschen ins Elend und ins Verderben gestürzt hat. Genau deswegen brauchen wir andere Schlussfolgerungen als die, die ich vorhin in der verteidigungspolitischen Debatte gehört habe. ({8}) Ich kann heute nicht alle Punkte thematisieren. Wir werden darüber noch diskutieren. Herr Müller, für uns gibt es noch weitere Bereiche, in denen wir hoffen, dass Sie auch dort neue Akzente setzen. Zum einen geht es - Sie sind Mitglied des Bundessicherheitsrates - um die Frage der Rüstungsexporte. Wir fordern Sie auf: Stimmen Sie gegen Rüstungsexporte in die Länder des Südens! Aus Krisen werden Kriege. Wir erleben es in Syrien. Kriege verhindern Armutsbekämpfung und tragen zum Entstehen neuer Armut bei. ({9}) Zum anderen geht es darum, dass die Entwicklungszusammenarbeit ständig im Zusammenhang mit Militärstrategien erwähnt wird. Entwicklungspolitik soll Militäreinsätze flankieren, so sagte Frau von der Leyen. Dies ist eine katastrophale Entwicklung. Wir und auch Entwicklungsorganisationen warnen seit Jahren davor. Die zivilmilitärische Zusammenarbeit und eine vernetzte Sicherheit tragen nicht zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Armutsbekämpfung bei. Die Entwicklungszusammenarbeit wird dadurch militarisiert und nur an sicherheitspolitischen Interessen ausgerichtet. Diese Instrumentalisierung dürfen wir alle nicht zulassen. Wir brauchen die Stärkung des Zivilen. Das muss unser Anspruch sein. Danke. ({10})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächster erteile ich der Kollegin Frau Dr. Bärbel Kofler, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede, Herr Minister, möchte ich Danke dafür sagen, dass Sie den Versuch unternommen haben - ich glaube, da haben Sie die Unterstützung aller Entwicklungspolitiker im Hause -, Entwicklungszusammenarbeit ins Zentrum der Politik zu stellen. Das ist der folgerichtige und vernünftige Handlungsansatz, der sich aus den vielen Katastrophen und Krisen dieser Welt ergibt. ({0}) Wir als Entwicklungspolitiker sind momentan gefordert. Wir befinden uns in einem Umdenkungsprozess. Wie geht es weiter? Wie können wir Armut weltweit nachhaltig und dauerhaft bekämpfen? Die Millenniumsziele werden weiterentwickelt. Wir sind gut beraten, in dieser Debatte genau hinzuschauen: Wo haben wir in den letzten Jahren Erfolge erzielt? Wo sind Handlungsfelder, in denen wir als Entwicklungspolitiker noch tätig werden müssen? Wir müssen auf alle Fälle auf uns selbst schauen, also auf unsere Gesetzgebung und auf unser Wirtschaften, das sehr oft entwicklungspolitischen Bestrebungen entgegenläuft. Herr Minister, Sie haben Arbeitsbedingungen und Produktionsbedingungen angesprochen. Ich möchte Folgendes deutlich herausstellen. Die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation in Genf, spricht von 900 Millionen Menschen weltweit, die zwar erwerbstätig sind, aber weniger als 2 Dollar am Tag zur Verfügung haben, um sich und ihre Familie zu ernähren. Weniger als 2 Dollar trotz Erwerbstätigkeit! Wenn wir es zulassen, dass sich Menschen, die hart arbeiten und die zum Teil - leider - zwölf Stunden arbeiten müssen, mit ihrer Arbeit nicht aus extremster Armut befreien können, dann ist das ein bodenloser Skandal, der eigentlich nicht hingenommen werden kann. ({1}) Wir werden Armut auch nicht nachhaltig bekämpfen, wenn wir nicht menschenwürdiges Arbeiten ins Zentrum der Entwicklung setzen. 60 Prozent der Menschen in den ärmsten Entwicklungsländern sind unter 25 Jahre alt. Diese jungen Menschen brauchen Perspektiven, brauchen Arbeitsplätze mit menschenwürdigen Rahmenbedingungen, von denen sie sich vernünftig ernähren können. Das Beispiel Bangladesch ist angesprochen worden. Ich war selbst in Bangladesch und habe mit Näherinnen gesprochen. Damals arbeiteten sie für einen Mindestlohn von 20 Euro im Monat. Dass man sich so nie aus der Armut befreien kann, ist völlig klar. Die Streiks in Kambodscha beweisen zu Recht, dass die Menschen auch in diesen Ländern beginnen, etwas an ihren Verhältnissen ändern zu wollen. Auch dies ist ein Prozess, den wir unterstützen und begleiten müssen. Deshalb freut es mich, und ich halte es für ganz wichtig, dass die Friedrich-Ebert-Stiftung in Bangladesch ein Büro eröffnet hat. Der Schwerpunkt der Arbeit dieses Büros liegt darauf, zivilgesellschaftliche Akteure, Gewerkschaften, Wissenschaftler und Medien zusammenzubringen, um den Menschen zu helfen, ihre Arbeitnehmerrechte durchsetzen zu können. Ich halte dies für einen zentralen Punkt der Entwicklungszusammenarbeit. Wenn wir auch bei uns Veränderungen vornehmen wollen und müssen, dann müssen wir zu verbindlichen Regeln kommen, wenn es um die Verpflichtung geht, Sozialstandards und ökologische Standards einzuhalten; auch für unsere Unternehmen, die weltweit tätig sind. Das sind Regelungen, von denen ich glaube, dass wir sie bei uns treffen können und müssen. Das hat etwas mit Wertschöpfungsketten und Lieferketten, mit verbindlichen und transparenten Regeln zu tun. Nur so kann ein Verbraucher nachvollziehen, wie das Produkt entstanden ist. Ansonsten ist die viel zitierte Macht des Verbrauchers nur auf dem Papier vorhanden. Ich glaube, dafür müssen wir gemeinsam kämpfen. ({2}) Ebenso wichtig ist der gesamte Bereich der sozialen Sicherung. Vor einem Jahr hatten wir eine Anhörung zum Thema Weiterentwicklung der Millenniumsziele, also der SDGs, wie es immer so schön heißt. Es wurde eines ganz klar: Krankheiten zum Beispiel kann man weltweit nur wirksam bekämpfen, wenn der Ansatz in ein ordentliches Gesundheitssystem eingebettet ist, sonst sind es punktuelle Hilfen, die den Menschen momentan helfen. Aber sie haben keine dauerhaften Wirkungen für die Menschen und weisen keinen Ausweg aus der Armut. Eines ist auch klar: Es muss um solidarische Versicherungssysteme gehen; denn es ist niemandem geholfen, wenn die ärmsten der Armen wieder keinen Zugang zu sozialer Sicherung, zur Krankenversicherung oder zur Absicherung finden, weil auf irgendeine Art und Weise, privatwirtschaftlich organisiert, doch das Geld entscheidet. Wir brauchen ein System, an dem alle partizipieren. Wir müssen soziale Sicherung auch deshalb machen - das haben auch Beispiele der letzten Wochen, Monate und Jahre bewiesen -, weil es eine gute Versicherung ist, damit Menschen nicht in extreme Armut zurückfallen. Mexiko und Brasilien sind Beispiele dafür, wo es gelungen ist, Menschen trotz Finanzkrise nicht in extreme Armut zurückfallen zu lassen, weil es einen Aufbau von sozialen Sicherungssystemen gibt. Ich glaube, diese Wege müssen wir weiter ausbauen. ({3}) Zum Thema Klimaschutz ist viel Richtiges gesagt worden. Ich unterstreiche noch einmal: Wir haben eine Verantwortung als Industrieländer. Auch Schwellenländer haben eine wachsende Verantwortung. Aber wir haben eine historische Verantwortung dafür, dass der von uns verursachte Klimawandel katastrophale Folgen für die ärmsten der Armen und für die Entwicklungsländer hat. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen, müssen wir uns auch finanziell stellen. Der Aufwuchspfad für die Langfristfinanzierung im Klimabereich beschäftigt uns. Auch in diesem Bereich brauchen wir nicht nur Rahmenbedingungen, sondern auch finanzielle Mittel. Wir werden uns damit auseinandersetzen müssen, dass mittlerweile immer noch eineinhalb Milliarden Menschen auf dieser Erde keinen Zugang zu elektrischer Energie haben. Das ist ein unglaubliches Entwicklungshemmnis, aber auch eine riesige Herausforderung; denn die Fehler, die wir bei der Industrialisierung und dem Aufbau von Energiesystemen gemacht haben, können wir aufgrund der begrenzten Ressourcen des Planeten so nicht wiederholen. Wir müssen weg von einer Energiepolitik, die sich an fossilen Energien oder in manchen Bereichen an der Atomenergie ausrichtet. Wir müssen den Entwicklungsländern ein nachholendes Entwickeln ermöglichen, ohne dass sie hinsichtlich der Umweltverschmutzung dieselben Fehler machen, die wir schon gemacht haben. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, es wäre nett, wenn Sie ein bisschen auf Ihre Zeit achteten, die Sie schon liebevoll überzogen haben. ({0}) Die Gedanken sind sehr interessant, aber es gibt weitere Kollegen, die sprechen wollen. Deswegen wäre es schön, wenn Sie zum Schluss kämen.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte selbstverständlich meinen Kollegen nicht die Zeit nehmen, ihre Gedanken, die ich auch für sehr wichtig erachte, darlegen zu können. Ich möchte nur einige Sätze zum Schluss sagen. Wir brauchen auf der einen Seite Rahmenbedingungen; wir müssen gesetzgeberisch handeln. Wir brauchen auf der anderen Seite aber auch einen Aufwuchs bei den finanziellen Mitteln. Herr Minister, Sie haben einige Projekte genannt, ich habe einige Projekte genannt. Sie können sicher sein: In Ihrem Kampf um mehr Mittel für Entwicklungszusammenarbeit werden Sie alle hier versammelten Politiker auf Ihrer Seite haben. Danke. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich erteile nun dem Kollegen Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich fange mit einem Zitat an: Hier sitzt Müller, nicht Niebel. Ich habe den Unterschied deutlich gemacht. Gut so! Die Kappen sind entsorgt. Noch viel besser sind natürlich einige der Aussagen, die Sie auch heute getroffen haben: Ihre Aussagen zum Thema Wachstum, zur globalen Wohlstandsverteilung, zum ökologischen Fußabdruck. Sie sprechen von einem Paradigmenwechsel und sogar davon, dass Sie Regeln für Konzerne international festschreiben wollen. Ja, wenn das nicht schon der Weg ins entwicklungspolitische Paradies ist, dann weiß ich es nicht! Allerdings muss Ihnen klar sein, Herr Müller, dass wir Sie nicht an Ihren Worten, sondern an Ihren Taten messen werden. ({0}) Leider nähren Sie auch ein paar Zweifel. Erst am 6. Dezember haben Sie den Wachstumskurs bei den deutschen Agrarexporten gefeiert. Sie schrieben auch: „Eine dynamisch wachsende Weltbevölkerung“ eröffnet „für deutsche Qualitätsprodukte der Agrar- und Ernährungswirtschaft eine Vielzahl von neuen Exportmöglichkeiten“. Herr Müller, Sie sind heute Entwicklungsminister und nicht mehr Vertreter des Bauernverbandes. Sie müssen sich von Ihrem Dasein als Exportförderer tatsächlich verabschieden. Denn links und rechts gleichzeitig abbiegen - das kann nur Seehofer. ({1}) Auf die Frage, wie denn die Regierung die Auswirkungen europäischer Agrarsubventionen einschätze, antwortete Ihr Ministerium - ich sage nicht „Sie“ -: Die gewährten Agrarsubventionen haben keinen marktverzerrenden Einfluss. - Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Es geht nicht um Exportsubventionen, sondern um Agrarsubventionen. Ich habe den Eindruck, dass die Beamten Ihres Ministeriums die Fragen noch in einer Weise beantworten, wie sie es in den letzten vier, fünf, sechs, sieben Jahren gewohnt waren. ({2}) Da müssen Sie also noch hart arbeiten, bis tatsächlich vernünftige Antworten herauskommen. ({3}) Sie sprechen davon, dass die Wertschöpfung in den Ländern bleiben soll. Das ist brillant. Gleichzeitig wollen Sie aber die German Food Partnership fortsetzen, mit Großkonzernen wie Bayer, BASF, Syngenta und Metro sowie weiteren Unternehmen. All das sind Organisationen, die die Wertschöpfung nicht in Afrika belassen wollen. Die Kapitalbedingungen geben ihnen dazu überhaupt keine Möglichkeit. Sie wollen die Wertschöpfung hierherholen. Es ist auch bedenklich, dass Ihr Staatssekretär Schmidt, den ich persönlich sehr schätze, in der Verteidigungs- und Entwicklungspolitik fast das Gleiche sieht. Daran müssen wir noch arbeiten. Das sind zwei grundsätzlich verschiedene Bereiche. ({4}) Sie wollen dem 0,7-Prozent-Ziel treu bleiben, Herr Minister. Auch die Kanzlerin hat das, wohl um den Niebel regelmäßig zu ärgern, vier Jahre lang immer wieder betont. Die Politik war dann eine andere. Heute müssen wir feststellen: Herausgekommen sind jährlich 200 Millionen Euro mehr für den Entwicklungsetat. Damit kann man den Berliner Flughafen ungefähr zwei Monate lang am Leben erhalten; ({5}) danach müsste man ihn schließen. Kollege Sascha Raabe hat deshalb auch die Konsequenzen gezogen. Herr Raabe, Respekt! Herr Minister, wenn Sie es ernst meinen mit Ihren Aussagen, dann müssen Sie sich mit Sigmar Gabriel zusammensetzen; denn es muss Schluss sein mit Handelsverträgen, die die Gewerkschaftsrechte unterminieren und eine wirkliche Klimapolitik in den Partnerländern unmöglich machen, die die Ernährungssouveränität der Länder untergraben, die den Investitionsschutz über Menschenrechte, über soziale und ökologische Gerechtigkeit stellen. Die ärmsten Länder brauchen gute, günstige Medikamente und keine Ausdehnung des Patentschutzes. Die Länder brauchen in der Regel keine deutsche Milch und vor allen Dingen auch keine deutschen Hähnchenteile, sondern Ernährungssouveränität. - Aber Sie haben ja gesagt, Sie wollen den Ansatz vorantreiben. Herr Minister, in einem Interview haben Sie in der vergangenen Woche gesagt, Ihre Vision sei eine weltweite ökologisch-soziale Marktwirtschaft, in der die Nachhaltigkeit dem Wachstum übergeordnet ist. Wir sind hier zu 100 Prozent an Ihrer Seite. Wir werden Sie aber an Ihren Taten messen. Helmut Kohl hat immer gesagt: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt“. Ich befürchte nur - aber da werden wir uns dann schützend vor Sie stellen -, dass Sie sehr viele Steine in den Weg gelegt bekommen, und zwar nicht von der Opposition, ich denke hier mehr an Ihre eigene Fraktion. Ich danke Ihnen. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich erteile als Nächster das Wort Frau Kollegin Sibylle Pfeiffer von der CDU/CSU-Fraktion.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.“ Dieser Satz stammt von Kurt Schumacher - er ist einer der Lieblingssätze meines Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder -, und ich gebe ihm recht. Die Realität hat sich, auch in der Entwicklungspolitik, in den letzten Jahren massiv gewandelt. Neue Akteure und andere Aufgaben haben dazu geführt, dass wir nicht mehr so stark in den Kategorien „Geberländer - Nehmerländer“ denken. Wir wissen, dass viele Probleme nicht ausschließlich auf nationaler Ebene zu lösen sind, und auch, dass sie nicht an Landesgrenzen Halt machen. Dazu zählt zweifelsohne die Klimapolitik. Deshalb wollen wir von der CDU/ CSU-Fraktion dieses Thema zu unserem Hauptthema machen; denn hier wird deutlich, dass wir Veränderungen zum Positiven nur gemeinsam erreichen können. Bisher waren die zentralen Fragen: Wie können wir CO2-basiertes Wirtschaftswachstum reduzieren? Wie können wir dabei gleichzeitig andere Länder wie China, USA, Indien usw. verbindlich in die klimapolitischen Ziele einbinden? Wie können wir dazu noch einen zu großen Anstieg der Erderwärmung verhindern? Ist das die Quadratur des Kreises? Ich weiß es nicht. Für diese Fragen bietet sich zum Beispiel der G-8Gipfel 2015 auf Schloss Elmau als geeignete Diskussionsplattform an. Dort könnte man sich auf gemeinsame Positionen in der Klimapolitik einigen. Wichtige Vorarbeit wurde übrigens bereits geleistet, nämlich 2009 auf der Klimakonferenz in Kopenhagen. Die dort eingegangenen finanziellen Zusagen an die Entwicklungsländer, ab 2020 100 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung zu stellen, und zwar von öffentlichen und privaten Gebern, sind definitiv keine Peanuts. Daher hoffe ich auf eine gewisse Dynamik in der Klimadebatte, auch was die Finanzierung betrifft; denn wir wollen hier weiterkommen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zwei Punkte ansprechen. Erstens. Welche Auswirkungen hat der Klimawandel zum Beispiel auf Entwicklungsländer, direkt wie indirekt? Versandung, extreme Wetterphänomene, der Anstieg des Meeresspiegels, Ernteausfall, Hunger, Abholzung von Wäldern, Verstädterung - es gibt noch einiges mehr. Die Kosten für die Anpassung an veränderte Lebensumstände können viele Entwicklungsländer alleine nicht schultern. Daher müssen wir uns schon heute Gedanken machen, wie wir diese Länder dabei langfristig und nachhaltig unterstützen können. Versäumen wir das heute, wären die Folgen teuer, sowohl für die betroffenen Länder als auch für uns. Zweitens. Wie binden wir die Entwicklungsländer in eine aktive Klimapolitik ein? Die zunehmende wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern bedingt auch die Steigerung des Bedarfes an Energie, an Lebensmitteln oder anderen Gütern mit der Folge des vermehrten CO2-Ausstoßes. Was bringt es denn, wenn wir in Deutschland auf erneuerbare Energien setzen und gleichzeitig in den Entwicklungsländern aus Kostengründen unzählige neue, effizienzschwache Kohlekraftwerke gebaut werden? In weiten Teilen Afrikas würde sich doch zum Beispiel die Solarenergie als sinnvolle Alternative anbieten. Doch die Investitionskosten und das notwendige Know-how für die Installation und die Wartung dieser Anlagen sind gewaltig. Deshalb ist die Zusage von Kopenhagen übrigens auch so wichtig; denn durch diesen Hebel können wir unsere Partner unterstützen - zum beiderseitigen Nutzen. Das ist sozusagen eine Win-win-Situation mit unglaublichem Potenzial. Gestatten Sie mir einige Gedanken zu ODA. Lassen Sie uns auch einmal überlegen, ob wir unser Verständnis vom Einsatz der öffentlichen Entwicklungsgelder in Teilen hinterfragen müssen. Viele Entwicklungsländer haben seit dem Ende des Kalten Krieges eine langanhaltende wirtschaftliche Entwicklung eingeschlagen. Sie generieren signifikante eigene Einnahmen, sei es aus Rohstoffhandel, aus eigenen Steuern, aus Steuern auf ausländische Direktinvestitionen oder sei es durch Rücküberweisungen von Migranten. Im Jahr 2010 beispielsweise erreichte die ODA weltweit eine Höhe von 127 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Die Gesamtsumme von Rücküberweisungen von Migranten in die Entwicklungsländer, also in ihre Heimatländer, betrug allein 326 Milliarden Dollar. Das ist ein Vielfaches der Entwicklungsgelder. Die wichtigste Erkenntnis aus dieser Tatsache ist meines Erachtens, dass diese Einnahmen mittlerweile eine weitaus größere Rolle für die Finanzierung der Entwicklung spielen als öffentliche Entwicklungsgelder. Das festzustellen, gehört für mich zum Betrachten der Realitäten. Das ist im Übrigen ein großer Erfolg der Entwicklungsländer selbst. Was bedeutet das für unser Verständnis von Entwicklungspolitik? Es gibt zwar immer noch Länder, in denen es um die Sicherung der Grundbedürfnisse geht - wir werden natürlich weiterhin unseren Beitrag leisten, wahrscheinlich sogar noch stärker als bisher -, aber viele Entwicklungsländer sind mittlerweile selbst zu vielem in der Lage: zum Aufbau eines Basisgesundheitssystems, zur Sicherung des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Bildung oder einfach zum Aufbau stabiler staatlicher Strukturen. Das ist ein Erfolg, und das ist teilweise ein gemeinsamer Erfolg. Dabei hat sich gezeigt, dass der Entwicklungsprozess immer dann erfolgreich ist, wenn er aus den Ländern selbst kommt und zumindest zu einem gewissen Teil von ihnen selbst finanziert ist. Daher können und müssen wir in diesen Ländern anders arbeiten und eine andere Zusammenarbeit mit diesen Ländern betreiben. Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. Wenn Sie mir noch einen Gedanken gestatten würden. Die Frage in diesem Zusammenhang lautet schlicht: Wie machen wir das? Diskutieren wir doch einmal über Ergebnisorientierung bei der Finanzierung. Und was bedeutet es, dass der Entwicklungsprozess in erster Linie in der Verantwortung der Partnerländer liegt? Denn unsere Partnerländer ernst zu nehmen, heißt, sich nicht nur auf gemeinsame Ziele zu einigen. Es bedeutet vielmehr, dass sie darüber entscheiden, wie sie die Ziele erreichen wollen, und sie sich sukzessive selbst mehr in die Pflicht nehmen, beispielsweise über eine steigende finanzielle Eigenbeteiligung. So könnten am Ende des Prozesses sich selbst tragende und funktionierende Programme entstehen. Ich glaube, das wäre ein großer Erfolg, ein gemeinsamer Erfolg. Vielen Dank. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächster hat das Wort der Kollege Niema Movassat, Die Linke. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es gut, Herr Müller, dass Sie sich letzte Woche im Interview mit der Zeit von Ihrem Vorgänger, Herrn Niebel, distanziert haben. Nicht nur durch das Interview, sondern auch durch das, was Sie hier heute in politischer Hinsicht gesagt haben, haben Sie sich von ihm distanziert. Das lässt hoffen, dass Sie vielleicht andere Wege in der Entwicklungspolitik einschlagen werden. Die letzten vier Jahre waren schlechte Jahre, weil vor allem deutsche Interessen im Vordergrund standen, die Interessen der deutschen Unternehmen, aber nicht die Menschen in armen Ländern. Wir brauchen endlich einen Kurswechsel. ({0}) Sie haben heute auf die Perversion hingewiesen, dass 1 Milliarde Menschen hungern, während 1 Milliarde Menschen gegen Übergewicht kämpfen. Sie haben zudem richtigerweise die Frage aufgeworfen, ob es gerecht ist, dass 20 Prozent der Menschheit 80 Prozent des globalen Reichtums für sich beanspruchen. Um die Frage zu beantworten: Ja, es ist ungerecht, es ist unhaltbar, und es muss sich etwas ändern. ({1}) Die Wahrheit ist doch: Die Industrieländer leben auf Kosten der Länder des Südens. Das ist das entscheidende Problem. Wenn Sie dieser Argumentation tatsächlich folgen, Herr Müller, könnten Sie wirklich ein Entwicklungsminister werden, der den Namen wieder verdient. ({2}) Laut Oxfam besitzen 85 Menschen auf dieser Welt so viel Vermögen wie die Hälfte der Menschheit. 85 Individuen haben so viel wie 3,5 Milliarden Menschen. Das ist doch nur noch obszön. Wir brauchen endlich globale Umverteilung von oben nach unten. Wir müssen den globalen Wohlstand gerecht verteilen. ({3}) Sie von der CDU/CSU als christsoziale Parteien sollten in dieser Frage ruhig verstärkt auf den Papst hören. ({4}) Er hat kürzlich geschrieben: Solange die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte nicht in Angriff genommen werden, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen lassen. - Ich weiß ja, dass Sie der Linken nicht glauben, aber glauben Sie doch wenigstens dem Papst. ({5}) Herr Müller, Sie haben gesagt, dass Sie den Kampf gegen den Hunger als drängendste politische Aufgabe sehen. Wir als Linke sehen das auch so. Allerdings hatten Sie als Staatssekretär im Agrarministerium den Ruf eines Agrarexportbeauftragten der deutschen Lebensmittelindustrie. Das darf so nicht bleiben. Ich sage Ihnen: Solange die europäische Agrarpolitik auf massive Überschussproduktion setzt, solange deutsche Kühe mit Futtermitteln aus armen Ländern gefüttert werden und solange Freihandelsabkommen Entwicklungsländer schutzlos gegenüber dem Import hochsubventionierter europäischer Nahrungsmittel machen, so lange tragen Deutschland und die EU eine Mitschuld am Hunger auf der Welt. ({6}) Ich weiß ja, dass Sie stets betonen, dass Exportsubventionen nicht mehr existieren. Aber Quersubventionierungen gibt es dennoch. So wurden 2012 insgesamt 42 Millionen Tonnen Geflügelreste auf die afrikanischen Märkte geschafft. Das ist im Vergleich zu 2011 eine Verdoppelung gewesen. Dadurch werden die lokalen Märkte zerstört. Wir brauchen endlich eine Kehrtwende in der globalen Agrarpolitik. ({7}) Letzte Woche haben Sie etwas gesagt, das mich ein bisschen an Herrn Niebel erinnert hat. Sie haben gesagt, dass, wenn wir zum Beispiel in die äthiopische Landwirtschaft investieren, ein Vielfaches zu uns zurückfließt. Ein für alle Mal: Es soll kein Vielfaches zu uns zurückfließen. Wenn etwas zurückfließt, nutzt das vielleicht der deutschen Privatwirtschaft, aber nicht den Menschen vor Ort. Der Mehrwert muss in den Partnerländern bleiben. ({8}) Zum Abschluss etwas zum Koalitionsvertrag. Sie haben faktisch das Ziel aufgegeben, in nächster Zeit 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Dabei hatte die SPD dies ihren Wählerinnen und Wählern versprochen. Aber am Schluss der Koalitionsverhandlungen hat Ihre Führungsriege dieses Versprechen beerdigt. Ihr entwicklungspolitischer Sprecher Sascha Raabe hat deswegen sogar nach acht Jahren hingeworfen. Was Sie als SPD abgeliefert haben, ist leider eine entwicklungspolitische Bankrotterklärung. Für Sie, Herr Minister, wird es dadurch nicht einfacher. Wir als Linke werden in der neuen Wahlperiode an deutsche Versprechen erinnern und für eine solidarische Entwicklungspolitik streiten. Danke für die Aufmerksamkeit. ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich das Wort Kollegen Stefan Rebmann, SPD-Fraktion. ({0})

Stefan Rebmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebes neues Schriftführerteam! ({0}) - Ja, der Gewerkschafter spricht. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich finde, dass Sie heute Morgen im Ausschuss und auch jetzt hier im Plenarsaal eine sehr gute Vorstellung gegeben haben. Ich teile die Meinung des Kollegen Kekeritz: Sie werden nicht nur an Ihren Worten gemessen, sondern auch an Ihren Taten. Auch wir in der Großen Koalition werden an dem gemessen, was wir tatsächlich umsetzen. Ich muss Ihnen auch sagen: Ich stimme Ihnen bei dem zu, was Sie heute Morgen im Ausschuss zum Image der Entwicklungspolitik gesagt haben, dass die Entwicklungspolitiker in der Welt umherreisen und das Geld verteilen. Ich finde, Entwicklungspolitik ist mehr, als Almosen zu verteilen, Kleidung und Nahrung an Bedürftige in der Welt zu verteilen. Entwicklungspolitik ist mehr, als hier und da eine Schule zu bauen. Und Entwicklungspolitik ist vor allem mehr, als zum Beispiel mit der berühmten Gießkanne durch Afrika zu gehen und Geld, Nahrung und Wasser zu verteilen - und hinterher vielleicht sogar noch zu erklären: Wir haben unseren Beitrag geleistet; nun schaut mal, wie ihr damit klarkommt und was ihr daraus macht! - Nein, Entwicklungspolitik ist viel mehr als das. Wir verstehen Entwicklungspolitik auch als globale Strukturpolitik, als eine Politik, mit der wir die Globalisierung nachhaltig und gerecht für alle Menschen gestalten wollen. ({2}) Damit hat Entwicklungspolitik für uns auch einen vorausschauenden und präventiven Charakter. Denn eine gute, abgestimmte und vor allen Dingen wirksame Entwicklungspolitik ist genau betrachtet - davon war heute schon mehrfach die Rede - auch Friedenspolitik. ({3}) Willy Brandt hat einmal sinngemäß gesagt: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. - Wenn wir uns die Frage stellen: „Was ist denn notwendig für ein friedliches Miteinander in der Welt? Was sind denn die Grundbedingungen für Frieden, für menschliche Sicherheit, für soziale Sicherheit, für Gesundheit, für gute Lebens- und Arbeitsbedingungen?“, dann sind wir nicht nur mitten in der Entwicklungspolitik, sondern eine Antwort darauf lautet tatsächlich: umgesetzte Entwicklungspolitik. Zu den Voraussetzungen für Frieden gehören auch faire Lebensbedingungen für die Menschen überall in der Welt. Das bedeutet: Zugang zu Nahrung und zu Wasser und zu Energie, Zugang zu Gesundheits- und sozialen Sicherungssystemen, das Recht auf Bildung für alle und damit die Chance auf einen Arbeitsplatz, auf eine eigene Zukunftsgestaltung. Das bedeutet auch: fairere Arbeitsbedingungen und bessere Entlohnung. Das bedeutet: Beteiligungsrechte, demokratische Strukturen, nicht korrupte Justizsysteme und vieles mehr. Frieden braucht menschliche Sicherheit. Jeder Einzelne braucht die Chance, sich eine eigenständige Zukunft aufzubauen. All das ist Friedenspolitik und Entwicklungspolitik zugleich. Dazu können, wollen und müssen wir unseren Beitrag leisten, Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Wir leisten unseren Beitrag dazu mit einer Politik, die sich ressortübergreifend dem Ziel einer besseren, friedlicheren, sozial gerechteren und chancenreicheren Welt für alle Menschen verpflichtet fühlt. Um das zu erreichen, brauchen wir nicht nur die Unterstützung anderer Staaten und eine abgestimmte europäische Entwicklungspolitik, sondern sind besonders auf die engagierte und wertvolle Arbeit der vielen zivilen Akteure angewiesen: der Gewerkschaften, der Kirchen, der politischen und privaten Stiftungen und der zahlreichen anderen Nichtregierungsorganisationen, die eine hervorragende Arbeit leisten. Das Gleiche gilt in besonderem Maße für die Förderung der Friedens- und Konfliktforschung, die wir stärker unterstützen und ausbauen wollen: Wir wollen die deutschen Institutionen für Friedensförderung und Friedensforschung - wie das Berliner Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, zif, das Forum Ziviler Friedensdienst, forumZFD, die Bundesakademie für Sicherheitspolitik und die Deutsche Stiftung Friedensforschung - künftig noch stärker in die Politikberatung einbeziehen, weil sie einen wichtigen - wie ich meine und wie es uns zahlreiche Wissenschaftler bestätigen: unverzichtbaren - Beitrag leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Friedensförderung, der Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen und sozialen Sicherungssystemen sowie die Schaffung von zivilen, gewaltfreien Konfliktlösungsmechanismen bitter nötig sind, steht außer Zweifel. Wenn wir uns die Ursachen für Wanderungsbewegungen, für Flucht und Vertreibung anschauen - die wir ja auch gegenwärtig erleben und die zum Teil recht unseriös und unschön diskutiert werden -, dann erkennen wir: Wir dürfen nicht nur die Symptome behandeln, sondern müssen vor allem die Ursachen bekämpfen. Ich bin der festen Überzeugung: Jeder Euro, den wir zielgerichtet und effektiv in unsere Entwicklungspolitik investieren, um so zu versuchen - nicht nur, aber auch -, die Ursachen für Flucht und Vertreibung nicht erst am Verhandlungstisch zu verändern und zu beseitigen, lohnt sich. Jeden Euro, den wir - noch einmal - zielgerichtet in die Entwicklungspolitik investieren, um die Grundlagen für eine menschliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche, soziale und friedliche Entwicklung zu schaffen, um also den Menschen eine faire Chance auf eine eigenständige Zukunft zu ermöglichen und ihren Kindern und Fa656 milien eine Perspektive zu geben, werden wir doppelt und dreifach zurückbekommen. Entwicklungspolitik ist also nicht das Verteilen von Almosen, sondern Entwicklungspolitik ist ethisch, moralisch und ökonomisch vernünftig und notwendig. Deshalb muss die Entwicklungspolitik künftig viel mehr im Zentrum unseres politischen Handelns und auch in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Herzlichen Dank. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächste hat unsere Kollegin Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! C’est le ton qui fait la musique. Das stimmt! Die Musik und der Sound von Gerd Müller waren heute tatsächlich anders als das, was wir in den letzten vier Jahren gehört haben, und das ist wirklich gut. Ich komme ja von der Musik und kenne mich dort ein bisschen aus. Sie müssen diesem Sound jetzt natürlich auch gerecht werden und entsprechend liefern; denn die Entwicklungspolitik braucht tatsächlich einen neuen, einen einbindenden Politikstil anders als in den letzten vier Jahren. Wir stehen in der Tat vor riesig großen Herausforderungen: Hunger, Kriege, Klimawandel, Naturkatastrophen, Armut und Ungerechtigkeiten, gegen die wir angehen müssen. Aber eine ganz zentrale Herausforderung liegt bei uns selbst. Wir müssen uns selbst, unsere Lebensweise, unsere Politik und unser Wirtschaften hinterfragen: ob sie dem Ganzen dienen oder doch nur egoistischen Partikularinteressen und ob sie mehr sind als der schöne Sonntagssprech. ({0}) Die Aufgabe der Entwicklungspolitik ist ganzheitlich, mit dem Ziel, den Weg zu globaler Gerechtigkeit einzuschlagen. Humanitäre Hilfe und Entwicklungskooperation - mein Vorredner hat es auch gesagt - sind menschliche Pflicht. Sie sind aber immer auch Ausdruck politischer Rationalität; denn es hilft dem Frieden und der Entwicklung in der ganzen Welt, wenn wir Krisen und menschliche Not vor Ort bekämpfen und nicht zu Flächenbränden werden lassen. Es droht ein gigantischer Flächenbrand; Gerd Müller hat es gesagt. Ich war acht Tage im Libanon, in Jordanien, im Irak und in Kurdistan-Irak und habe einen Eindruck von der humanitären Katastrophe dort bekommen, die droht, eine politische Katastrophe für die gesamte Region zu werden und die ganze Region in einen Kollaps zu führen. Deswegen nehme ich Sie, Gerd Müller, und Herrn Fuchtel beim Wort, dass in Deutschland, aber eben auch auf europäischer Ebene wirklich alle Anstrengungen unternommen werden, um diesen Flächenbrand zu verhindern; denn es gibt noch viel zu tun. Wir erleben derzeit eine unerträgliche Ungleichheit durch Ungleichzeitigkeit: Auf der einen Seite gibt es Wohlstand in Europa und in den USA, der immer neue Höhepunkte erreicht, und auf der anderen Seite erleben wir Hungerkatastrophen und humanitäre Katastrophen in der Sahelzone, auf den Philippinen und im Kongo. Auch dort eskaliert die Situation. Ungleichheit durch Ungleichzeitigkeit erleben wir auch dadurch, dass die Demokratie in vielen Staaten Westafrikas, zum Beispiel in Liberia oder in der Elfenbeinküste, außerordentliche Fortschritte macht, während die Bürgerrechte in manchen Staaten Osteuropas brutal abgebaut und systematisch mit Füßen getreten werden; oder dass sich bei uns endlich ein Fußballnationalspieler outet und offen zu seiner sexuellen Identität bekennt, während auf der anderen Seite ein katastrophaler homophober Rollback in Staaten wie Uganda, Nigeria und auch Russland Realität ist. Neben den großen Krisen hat ganz sicher auch der Klimawandel eine ganz besondere Bedeutung; er ist eine große Bedrohung. Ich danke Gerd Müller dafür, dass er ihn benannt und auch heute Morgen im Ausschuss in das Zentrum gestellt hat, aber Klimaschutz fängt natürlich zu Hause und mit der Energiewende bei uns an, und ich glaube, hier gibt es auch für Sie als Minister ganz schön viel zu tun. ({1}) Es braucht eine deutsche Entwicklungspolitik, die sich nicht selbst marginalisiert, sondern die die Herausforderungen annimmt und eben nicht nur aus einem nationalen Interesse heraus agiert; auch das hat ein Vorredner gesagt. Es kann ja nicht darum gehen, dass man deutsche Entwicklungshelfer quasi als Makler für eine Marktöffnung oder als Rohstofflieferanten einsetzt. Das Entwicklungsministerium ist heute ein Kooperationsministerium, das gemeinsam mit den Partnern auf Augenhöhe die sozial-ökologische Transformation nach vorne bringt, in der Welt organisiert und das auch in Deutschland und vor allem im eigenen Kabinett für Kohärenz sorgt. Da wünsche ich Ihnen viel Durchsetzungskraft gegenüber Ihren Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Wir sind aufgefordert, im Ausschuss mit unserer Vorsitzenden Daggi Wöhrl gut zusammenzuarbeiten, uns aber auch über diese Ausschussgrenze hinweg in die anderen Bereiche einzumischen: in die Landwirtschaftspolitik, in die Rüstungspolitik, in die Handelspolitik, in die Menschenrechtspolitik. So verstehe ich zukunftsfähige Entwicklungspolitik. Natürlich sind wir alle zusammen auch aufgefordert, Cheflobbyistinnen und -lobbyisten zu sein, um mit der Zivilgesellschaft dafür zu sorgen, Claudia Roth ({3}) dass das Bewusstsein für globale Verantwortung wächst und gestärkt wird. Die letzten Jahre haben, glaube ich, sehr viele Gräben in der Entwicklungspolitik aufgerissen. Wir sind dabei - darauf können Sie sich verlassen -, wenn der richtige Weg eingeschlagen wird. Wir helfen dabei, dass Brücken gebaut werden, Brücken zur Veränderung der globalen Strukturen, die zu Ungleichheit und Ungerechtigkeit führen. Wir nehmen Ihre Einladung sehr ernst, uns bei den Vorbereitungen zum G-8-Gipfel einzubringen, nicht nur, weil er in Bayern stattfindet, sondern weil es um die Millenniumsziele geht, weil es um den Klimaschutz geht und weil er in Bayern stattfindet. Vielen herzlichen Dank. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächste hat die Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Claudia, ich freue mich auf die zukünftige Zusammenarbeit im Ausschuss. Ich heiße dich als Neuling bei uns im Ausschuss herzlich willkommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor 100 Jahren hat Deutschland Russland den Krieg erklärt. Eine Generation später hat Deutschland Polen überfallen; es ist der Zweite Weltkrieg entfacht worden. Auf diesen Ruinen unseres politisch-moralischen Versagens haben wir Europa gebaut. Ich glaube, Europa kann als Entwicklungsmodell für eine globale Strukturpolitik dienen, ({0}) und zwar im Hinblick auf Wertekonsens, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, sozial-ökologische Marktwirtschaft. Es ist mehr als protokollarische Höflichkeit, wenn hohe Vertreter von internationalen Organisationen, die uns immer wieder im Ausschuss besuchen, an uns öfter die Bitte herantragen, dass Deutschland international bei ordnungspolitischen Debatten eine Leadership-Funktion übernehmen solle, zum Beispiel bei Global Governance. Jetzt will ich nicht, dass wir uns anmaßen, eine Leadership-Funktion zu übernehmen, aber vielleicht könnte es eine „small Leadership“-Funktion sein: nicht oberlehrerhaft, nicht selbstgefällig, nicht populistisch, sondern ergebnisorientiert und nachhaltig. Unser Frieden und unser Wohlstand sind nicht nur modellhaft, sondern sie verpflichten uns auch. Sie verpflichten uns zu mehr internationaler Verantwortung. Und sie verpflichten uns, international ein verlässlicher Partner zu sein. Eine der besonders tragenden Säulen dafür ist die Entwicklungspolitik; denn bei aller Notwendigkeit militärischer Interventionen: Nur eine nachhaltige Entwicklungspolitik kann der Garant für Wohlstand und Frieden in dieser Welt sein. Hier brauchen wir einen einheitlichen Ansatz. Wir brauchen internationale Zusammenarbeit aus einem Guss. Hier haben wir eine moralische Bringschuld - das ist angesprochen worden - zur Wahrung der Menschenrechte, zur Lösung von Konflikten und zur Gestaltung einer gerechten und globalen Werteordnung. Ich spreche es hier an: Mich hat es befremdet, wie abschätzig in der Presse im Zuge der Ressortverteilung über Entwicklungspolitik gesprochen worden ist, so nach dem Motto: Wer will denn das überhaupt werden? Wer ist denn auf diesem Gebiet überhaupt tätig? Es sind aber dieselben, die von uns internationale Verantwortung einfordern. Das ist nicht in Ordnung, auch mit Blick auf die Außenwirkung nicht. Es ist nicht in Ordnung mit Blick auf die vielen Tausend Menschen, die sich in diesem Bereich ehrenamtlich engagieren, den vielen Jugendlichen, die freiwillig Entwicklungsdienste leisten, und den vielen Entwicklungshelfern, die weltweit aktiv sind, um den Ärmsten der Armen in schwierigsten Situationen zu helfen. Das verdient mehr Respekt und Anerkennung. Das erwarte ich auch von den Medien. ({1}) In den Koalitionsverhandlungen haben wir bewusst Sicherheitspolitik, Außenpolitik und Entwicklungspolitik als Ganzes verhandelt. Das ist auch gut so. Denn wir können Frieden, Sicherheit, Wohlstand und Teilhabe nur dann erreichen, wenn wir einen abgestimmten Politikansatz haben. Es geht nicht, dass jeder für sich alleine agiert; wir brauchen die Politikkohärenz und ein abgestimmtes Verhalten. Wir wollen auch in der Außen- und Sicherheitspolitik eine mehr proaktive Rolle im internationalen Konfliktmanagement übernehmen. Auch Europa - das ist bereits zu Recht angesprochen worden - muss bei der Krisenreaktion und Krisenprävention vorangehen. Europa muss darin gestärkt werden, zukünftig als eine Einheit zu handeln. Wir müssen uns bemühen, die Kräfte vor Ort, ob die Afrikanische Union oder die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten, in ihrer Eigenverantwortung zu unterstützen, damit sie langfristig ihre Regionen selbst stabilisieren können. Wir brauchen einen fairen und verlässlichen Welthandel. Wir müssen darauf achten, dass die Entwicklungsländer auf dem Entwicklungspfad voranschreiten können, damit sie die Möglichkeit bekommen, auch internationale soziale Standards einzuhalten, und zum Wohle ihrer Bevölkerung Welthandel treiben können. Wir wünschen uns Handelspartner auf Augenhöhe. Ich sehe die Entwicklungspolitik auch als vorausschauende Friedenspolitik, nicht zuletzt auch im eigenen Interesse. Wir wollen nicht, dass zukünftig alle diese Themen und Probleme Teil unserer Innenpolitik sind. Deshalb wollen wir, dass die Friedenspolitik vorausschauend ist und dass wir hier präventiv tätig werden. Es ist unsere Zukunftspolitik, und es ist unsere Aufgabe, in die anderen Politikgremien bzw. in die anderen Ministerien hineinzutragen, dass auch wir in der globalen Welt die Zukunft für die Generation unserer Kinder und für viele Menschen auf dieser Welt mit zu gestalten haben. Eines muss klar sein - ich glaube, es ist uns auch allen klar, dass es leider so ist -: Die meisten unserer Einsätze sind eher Feuerwehreinsätze. Es sind Feuerwehreinsätze, für die leider gilt, dass zeitlich befristete Krisenprogramme und mandatierte Militärinterventionen nur eine Unterbrechung oder im günstigsten Fall die Beilegung einer Krise oder eines Konflikts erzwingen. Das gilt für die Not- und Übergangshilfe. Sie ist ohne Frage überlebensnotwendig. Aber meistens schaffen wir es nur, die Menschen durchzubringen, bis die nächste Krise kommt. Leider schaffen es die ärmsten Länder nicht, sich von selbst zu regenerieren. Sie sorgen nicht vor. Jeder zweite Bürgerkrieg in Afrika ist ein Rückfall. Das muss uns zu denken geben, auch dahin gehend, dass wir es so, wie wir bisher gehandelt haben, nicht schaffen, Krisen in der Zukunft zu verhindern. Das heißt, wir müssen versuchen, die Menschen vor Ort zu befähigen, wie eine Art Stehaufmännchen mit Krisen und Konflikten fertig zu werden. Fachleute sprechen dabei von Resilienz. Ich bin dankbar, dass die Welthungerhilfe das Konzept der Resilienz in der Entwicklungszusammenarbeit im jüngsten Welthungerindex zum Schwerpunkt gemacht hat. Die Europäische Union hat dies erstmals mit SHARE in Äthiopien gemacht. Ich bin dankbar, dass der Minister angekündigt hat, zukünftig zehn grüne Zentren aufzubauen. Es geht darum, dass die betroffenen Menschen selbst vorsorgen können. Selbsthilfekräfte müssen geweckt und gestärkt werden. Nur so kann die Entwicklungsspirale aufwärts verlaufen. Eines wissen wir mit Sicherheit: Wirtschaftswachstum und Wohlstandsteilhabe reduzieren nachweislich das Risiko, erneut in eine Konfliktfalle zu geraten. Dabei helfen viele mit. Es gibt in den Entwicklungsländern starke Frauen, die in der Prävention und auch in der Mediation zur Lösung von Konflikten sehr aktiv sind. Viele haben wir auf unseren Delegationsreisen und bei der zivilen Friedensarbeit kennengelernt. Ich wünsche der neuen Präsidentin Catherine Samba-Panza Mut und Kraft, in der Zentralafrikanischen Republik einen friedlichen Übergang zu Neuwahlen zu schaffen. Das alles ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wir haben uns im Koalitionsvertrag zum 0,7-Prozent-Ziel bekannt. Die Bundeskanzlerin hat 2 Milliarden Euro zusätzlich in die Waagschale geworfen. Wir sind der drittgrößte Geber der Welt. Wir reden also nicht nur von internationaler Verantwortung, sondern nehmen sie auch wahr. Aber ich warne davor, auf diese magische Zahl wie das Kaninchen auf die Schlange zu schauen. Wir müssen auch alternative Problemlösungen im Blick haben. Dazu gehören die Kooperation mit der Wirtschaft und zukünftig die Kooperation mit Schwellenländern, die in diesem Bereich erst in ihre Rolle hineinwachsen müssen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Wir haben eine gute Roadmap für die nächsten vier Jahre. Wir stehen vor großen Herausforderungen und haben viel Verantwortung. Wir wollen dieser Verantwortung gerecht werden. Eigentlich liegt es nur an uns. Ich sage daher einfach: Let’s do it. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich möchte Sie kurz darauf hinweisen, dass nach dem letzten Debattenbeitrag die Wahlergebnisse von heute Nachmittag bekannt gegeben werden. Unser letzter Debattenbeitrag ist zugleich der erste Debattenbeitrag der Kollegin Gabriela Heinrich von der SPD-Fraktion. Bitte, Sie haben das Wort, Frau Heinrich. ({0})

Gabriela Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004296, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute schon darüber gesprochen, wie wichtig es ist, die ländliche Entwicklung zu fördern. Der Herr Minister hat mehrfach auf diesen Schwerpunkt bei der Bekämpfung von Hunger und Armut hingewiesen. Ich denke, wir dürfen aber auch die Stadtentwicklung nicht aus den Augen verlieren. Hunger und Armut auf dem Land, die Landflucht und deren Auswirkungen auf die Entwicklung der Städte - das alles gehört zusammen. Heute lebt weltweit bereits jeder zweite Mensch in der Stadt. Im Jahr 2050 werden es zwei Drittel sein. Stadt bedeutet in vielen Entwicklungsländern jedoch keineswegs eine vernünftige Infrastruktur oder gar bessere Lebensbedingungen, sondern schlichtweg Slums. Gerade in Afrika südlich der Sahara kann man Urbanisierung häufig nur synonym für Slumbildung verwenden. Deshalb müssen die wachsenden Städte weiterhin ein wichtiger Bereich unserer Entwicklungspolitik sein. ({0}) Ich als neues Mitglied des Bundestages will Sie nicht belehren - Sie sind sehr viel besser mit dem Thema vertraut als ich -, aber ich glaube, es ist wichtig, sich noch einmal kurz vor Augen zu führen, was es bedeutet, in einem Slum zu leben. Die Zahlen aus Slums wie Kibera als Teil Nairobis oder Dharavi in Mumbai schwanken und sind stets mit Vorsicht zu genießen. Man geht von Hunderttausenden Menschen auf wenigen Quadratkilometern aus. In einer Hütte leben häufig bis zu zehn Menschen auf 10 Quadratmetern, ohne Fenster und ohne Toilette. Gerade für Frauen ist dieser Mangel an Toiletten verheerend. Das ist eine schwere Beeinträchtigung ihrer Würde, Gesundheit, Sicherheit und Privatsphäre. ({1}) Weit weniger als die Hälfte dieser Hütten hat Elektrizität, und die Stromleitungen werden oft unter abenteuerlichen Bedingungen angezapft. Sauberes Trinkwasser ist rar, was dazu führt, dass Mütter damit leben müssen, dass mindestens eines ihrer Kinder an Durchfallerkrankungen stirbt. Sauberes Wasser und Sanitärversorgung sind Menschenrechte, und dafür müssen wir uns einsetzen. Ich bin froh, dass ich mit Ihnen im AwZ zusammenarbeiten darf, um hier Abhilfe zu schaffen. ({2}) Das Problem wächst. Allein in Afrika werden im Jahr 2050 rund 900 Millionen Menschen mehr in Städten wohnen als heute. Die Metropolen in Entwicklungsländern wachsen nicht nur durch Landflucht, sondern zunehmend durch natürliches Bevölkerungswachstum. Im Jahr 2020 wird es weltweit 27 Megastädte mit mehr als 10 Millionen Einwohnern geben. Von denen werden 23 in Entwicklungsländern liegen. Es ist unsere Aufgabe, die Städte in Entwicklungsländern beim Wachstum zu begleiten und eine sinnvolle Planung zu unterstützen, nicht nur für die Mega-, sondern auch für die Mittelstädte. Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung weist völlig zu Recht darauf hin: Gezielte Investitionen in Infrastruktur, Gesundheitseinrichtungen und Schulen werden gebraucht. Es geht angesichts des Energiebedarfs von wachsenden Metropolen - darauf wurde bereits hingewiesen - nicht zuletzt um eine nachhaltige Energieversorgung. Die Stadtentwicklung bietet eine große Chance zur Senkung der Kindersterblichkeit, zur Verbesserung der Müttergesundheit, zu Aufklärung und Familienplanung und zur besseren Bekämpfung von HIV. Wir werden dafür werben, dass in den nächsten vier Jahren noch mehr deutsche Kommunen mit Städten in Entwicklungs- und Schwellenländern Partnerschaften eingehen, um zum Beispiel beim Aufbau von Infrastruktur zu beraten. Idealerweise profitieren beide Städte bei einer kommunalen Partnerschaft vom gegenseitigen Austausch. Nicht nur bei der Stadtentwicklung, sondern für unsere Entwicklungspolitik insgesamt gilt: Wir müssen die Rechte von Frauen im Blick haben und Menschen mit Behinderung einbeziehen. Das haben wir so auch im Koalitionsvertrag festschreiben können. Beides muss aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion selbstverständlicher Bestandteil eines Zielkatalogs für die künftigen globalen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele werden. ({3}) Gestatten Sie mir abschließend noch ein paar Worte zu den Akteuren der Entwicklungspolitik. In den nächsten vier Jahren möchten wir die NGOs, Gewerkschaften, Kirchen und Stiftungen wieder stärker in die politische Entscheidungsfindung einbinden und Partizipation ermöglichen. Wir werden einen Dialog auf Augenhöhe mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren führen und uns mit diesen abstimmen; auch der Herr Minister hat darauf bereits hingewiesen. Denn Entwicklungspolitik kann nur ihre volle Stärke entfalten, wenn alle an einem Strang ziehen und ihre Kräfte bündeln. Dafür werden wir uns einsetzen, und wir laden alle ein, mitzumachen. Ich bin sehr gerne dabei. Vielen Dank. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Glückwunsch, Frau Kollegin Heinrich, zu Ihrer ersten Rede hier und heute in dieser wichtigen Debatte. ({0}) Ich komme nun zur Verlesung der Ergebnisse der Wahlen, die wir heute Nachmittag vorgenommen ha- ben.1) Bei der ersten Wahl ging es um die Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung. Die Mitgliederzahl des Deutschen Bundestages beträgt 631. Abgegebene Stimmkarten 600, ungültige Stimmkarten keine. Zur Wahl sind mindestens 316 Stimmen erforderlich. Gewählt wurden die Kollegen Norbert Barthle, Dr. Reinhard Brandl, Bartholomäus Kalb, Rüdiger Kruse, Bettina Hagedorn, Johannes Kahrs, Carsten Schneider, Dr. Dietmar Bartsch und Anja Hajduk. Damit sind diese 9 Abgeordneten - das waren auch die 9 Kandidaten für das Amt - mit der mindestens erforderlichen Mehrheit gewählt. Die Einzelheiten entnehmen Sie bitte dem gedruckten Protokoll der 11. Sitzung. Wahl der Mitglieder des Wahlausschusses für die vom Deutschen Bundestag zu berufenden Richter des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht: abgegebene Stimmen 598, gültige Stimmen 590, ungültige Stimmen 8. Von den gültigen Stimmen entfielen auf die Wahlvorschläge der Fraktion der CDU/CSU 294 Stimmen, auf die Wahlvorschläge der Fraktion der SPD 179 Stimmen, auf die Wahlvorschläge der Fraktion Die Linke 59 Stimmen, auf die Wahlvorschläge der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen 58 Stimmen. Nach dem Höchstzahlverfahren nach d’Hondt entfallen deshalb auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU 6 Mitglieder, der Fraktion der SPD 4 Mitglieder, der Fraktion Die Linke 1 Mitglied und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auch 1 Mitglied. Die Namen der gewählten Mitglieder entnehmen Sie bitte den Drucksachen 18/362 bis 18/365 ({1}). Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes: abgegebene Stimmen 595, Enthaltungen 2, ungültige Stimmen 3. Von den gültigen Stimmen entfielen auf die Wahlvorschläge der Fraktion der CDU/CSU 292 Stimmen, der Fraktion der SPD 1) siehe Anlagen 11. Sitzung Vizepräsident Peter Hintze 181 Stimmen, der Fraktion Die Linke 58 Stimmen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 59 Stimmen. Nach dem Höchstzahlverfahren nach d’Hondt entfallen auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU 9 Mitglieder, der Fraktion der SPD 5 Mitglieder, der Fraktion Die Linke 1 Mitglied, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 1 Mitglied. Die Namen der gewählten Mitglieder und Stellvertreter entnehmen Sie bitte den Drucksachen 18/366 bis 18/369. Gerade kommt das Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes, also des Bundesfinanzierungsgremiums. Auch hier waren zur Wahl mindestens 316 Stimmen erforderlich. Abgegebene Stimmkarten 597, ungültige Stimmkarten keine. Alle Kandidaten haben die erforderliche Mehrheit erreicht. Gewählt wurden die Abgeordneten Norbert Brackmann, Cajus Caesar, Klaus-Dieter Gröhler, Christian Hirte, Bartholomäus Kalb, Ulrike Gottschalck, Thomas Jurk, Johannes Kahrs, Dr. Gesine Lötzsch und SvenChristian Kindler. Die Einzelheiten können Sie auch hier dem Protokoll der 11. Sitzung entnehmen. Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 30. Januar 2014, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.