Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/17/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie zu unserer Plenarsitzung. Die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen hat am 1. März ihren 75. Geburtstag gefeiert und die Kollegin Edelgard Bulmahn einige Tage später ihren 60. Geburtstag. Im Namen des gesamten Hauses möchte ich dazu auch auf diesem Wege noch einmal herzlich gratulieren und alle guten Wünsche übermitteln. ({0}) Der Kollege Holger Haibach hat mit Wirkung vom 1. März auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als seinen Nachfolger begrüße ich den Kollegen Helmut Heiderich. ({1}) Ebenso herzlich willkommen heiße ich den Kollegen Ingo Egloff, der als Nachfolger des Kollegen Olaf Scholz die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat. ({2}) Die CDU/CSU-Fraktion hat mitgeteilt, dass die Kollegin Sibylle Pfeiffer ihr Amt als Schriftführerin niedergelegt hat. ({3}) Als neuer Schriftführer wird der Kollege Peter Wichtel vorgeschlagen. ({4}) - Alle entsprechenden Tests sind durchgeführt. Sie dürfen da ganz beruhigt sein. - Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege Wichtel hiermit gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Erste Beratung des von den Abgeordneten Jürgen Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes und zur Wiederherstellung des Atomkonsenses - Drucksache 17/5035 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 32 Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Dr. Konstantin von Notz, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zugang zu verwaisten Werken erleichtern - Drucksache 17/4695 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({6}) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Alle Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern stoppen - Drucksache 17/5039 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7}) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rüstungsexportberichte zeitnah zum Jahresabrüstungsbericht vorlegen - Drucksachen 17/1167, 17/1627 Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Marieluise Beck ({10}), Volker Beck ({11}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsamen Standpunkt der EU für Waffenausfuhren auch bei Rüstungsexporten an EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder konsequent umsetzen - Drucksachen 17/2438, 17/3291 Berichterstattung: Abgeordnete Kerstin Andreae Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 27 d und 30 werden abgesetzt. Außerdem mache ich auf einige geänderte Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 27. Januar 2011 überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({12}) zur Mitberatung überwiesen werden; die Mitberatung des Ausschusses für Gesundheit ({13}) soll entfallen: Antrag der Abgeordneten Priska Hinz ({14}), Katja Dörner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bildungsberichte nutzen - Bildungssystem gerechter und besser machen - Drucksache 17/4436 überwiesen: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({15}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die am 25. Februar 2011 überwiesene nachfolgende Unterrichtung soll nunmehr nicht mehr dem Ausschuss für Kultur und Medien ({16}) zur Mitberatung überwiesen werden: Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsberichte 2008 und 2009 der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen für den Bereich Eisenbahnen gemäß § 14 b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und Stellungnahme der Bundesregierung - Drucksache 17/4630 überwiesen: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({17}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Der am 24. Februar 2011 überwiesene nachfolgende Antrag soll nunmehr nicht mehr dem Haushaltsausschuss ({18}) gemäß § 96 GO überwiesen werden; die Mitberatung des Haushaltsausschusses soll jedoch bestehen bleiben: Antrag der Abgeordneten Harald Koch, Heidrun Dittrich, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Jugendfreiwilligendienste weiter ausbauen statt Bundesfreiwilligendienst einführen - Drucksache 17/4845 überwiesen: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({19}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss mitberatend Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall. Dann haben wir das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 sowie den Zusatzpunkt 1 auf: 5 Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Japan ZP 1 Erste Beratung des von den Abgeordneten Jürgen Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes und zur Wiederherstellung des Atomkonsenses - Drucksache 17/5035 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({20}) Innenausschuss Rechtsausschuss Präsident Dr. Norbert Lammert Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Zu der Regierungserklärung liegen je ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der SPD und der Fraktion Die Linke sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Alle Fraktionen haben namentliche Abstimmung über ihre Entschließungsanträge verlangt. Insgesamt werden wir zu den Entschließungsanträgen sieben namentliche Abstimmungen durchführen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. - Auch dies ist offenkundig einvernehmlich und damit so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. ({21})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Freitag der letzten Woche, 14.45 Uhr Ortszeit, bebte in Japan die Erde. Seismologen maßen eine Stärke von 8,9, später korrigiert auf 9,0. Es war das schwerste Erdbeben in der Geschichte Japans. Sein Epizentrum lag circa 130 Kilometer östlich der Stadt Sendai und circa 400 Kilometer nordöstlich der japanischen Hauptstadt Tokio. Um 16 Uhr Ortszeit desselben Tages traf eine bis zu 10 Meter hohe Flutwelle auf die Ostküste der japanischen Hauptinsel Honshu. Sie richtete schwerste Verwüstungen an. Noch am Abend dieses Tages gab es Meldungen, wonach in einem Reaktor des Kernkraftwerks Fukushima I die Kühlung ausgefallen und im Atomkraftwerk Onagawa ein Feuer ausgebrochen war. Die japanische Regierung rief den atomaren Notstand aus. In den folgenden Tagen und Nächten erschütterten zahlreiche, zum Teil schwere Nachbeben das Land - und das bis heute. Erdbeben und Tsunami haben weite Landstriche von Japans Nordosten verwüstet. Ganze Ortschaften wurden ausgelöscht. Die Zahl der Opfer schnellt seit Tagen in die Höhe. Wie viele es tatsächlich sind - wir wissen es nicht. Zu viele Menschen werden vermisst. Unzählige Häuser und Straßen sind zerstört. Unendlich viele Menschen haben ihr Obdach verloren. Strom wird rationiert oder ist ganz weg. Treibstoff, Trinkwasser, Nahrungsmittel sind knapp. Rund um das Kernkraftwerk Fukushima wurde die Evakuierungszone seit Freitag immer wieder erweitert. Arbeiter dort führen einen ebenso - man kann es nicht anders sagen - heldenhaften wie verzweifelten Kampf gegen den atomaren Super-GAU. Sie setzen dabei nicht nur ihre Gesundheit aufs Spiel, sondern auch ihr Leben ein. Immer dramatischer entwickeln sich die Ereignisse dort: ausgefallene Kühlanlagen, Berichte über freiliegende Brennstäbe, die sich immer stärker erhitzen, Explosionen in verschiedenen Reaktoren, in einem Fall wohl auch mit der Folge der Beschädigung eines Sicherheitsbehälters, Radioaktivität tritt aus. Es ist davon auszugehen, dass es in drei der Anlagen zu schweren Schäden an den Reaktorkernen gekommen ist. Was uns angesichts all dieser Berichte und Bilder, die wir seit letztem Freitag sehen und zu verstehen versuchen, erfüllt, das sind Entsetzen, Fassungslosigkeit, Mitgefühl und Trauer. Die Katastrophe in Japan hat ein geradezu apokalyptisches Ausmaß, und es fehlen die Worte. Unsere tiefste Anteilnahme, unsere Gedanken und unsere Gebete sind bei den Menschen in Japan. ({0}) In dieser Stunde schwerster Prüfung steht Deutschland an der Seite Japans. Was immer wir tun können, um den Menschen in Japan bei der Bewältigung dieser schier unfassbaren Katastrophe zu helfen, das werden wir weiter tun. Das habe ich Premierminister Kan übermittelt, und das hat auch der Bundesaußenminister seinem japanischen Kollegen gesagt. Experten des Technischen Hilfswerks haben in den vergangenen Tagen vor Ort bei der Suche nach Überlebenden geholfen. Ich danke ihnen, und ich danke den Helfern anderer Organisationen für ihren Einsatz für die Menschen in Japan. ({1}) Ich danke allen Helfern des Krisenstabes im Auswärtigen Amt und der Botschaft vor Ort. Sie koordinieren unsere Hilfe. Sie unterstützen auch alle deutschen Staatsangehörigen im Krisengebiet bei einer Ausreise, wenn sie das wünschen. Auch die Vereinten Nationen haben ein Team nach Japan entsandt. Es soll die japanische Regierung dabei unterstützen, die Aufbaumaßnahmen zu koordinieren. Ebenfalls ihre Hilfe angeboten hat die Europäische Union. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Folgen dieser Katastrophe sind überhaupt noch nicht absehbar. Die Betroffenen vor Ort hatten noch fast gar keine Chance, festzustellen, in welchen Bereichen sie tatsächlich weitere Hilfe genau benötigen. Denn der Albtraum immer neuer Beben und nuklearer Horrorszenarien hat noch kein Ende gefunden. In dieser Lage ist es unverzichtbar, dass wir den Menschen in Japan zeigen: Sie sind nicht allein. Dabei zählt die Geste jedes Einzelnen. Namhafte deutsche Hilfsorganisationen haben Spendenkonten eingerichtet. Der Bundespräsident hat am Montag dazu aufgerufen, mithilfe von Spenden über diese Organisationen Soforthilfe für Japan zu leisten. Ich möchte diesen Aufruf ausdrücklich unterstützen. Die Spendenaktionen sollen vor allem den Menschen in Japan zugutekommen, die durch Beben, Flutwelle und die nuklearen Folgen ihr Zuhause verloren haben. Wir sollten ihnen mit unserer unmittelbaren Unterstützung ein Zeichen der Solidarität senden. ({2}) Das ist Hilfe unter Freunden. Japan war und ist ein enger Freund Deutschlands, und das sage ich gerade im 150. Jahr des Bestehens unserer diplomatischen Beziehungen. In dieser Stunde geht es für Unzählige nur um das nackte Überleben. Beinahe verbietet es sich angesichts ihrer Tragödie, bereits jetzt an die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Katastrophe zu denken. Ich will es deshalb hier auch nur kurz tun, obwohl es für die Zukunft Japans von größter Bedeutung ist, wenn die sich überschlagenden Schreckensmeldungen hoffentlich bald ein Ende gefunden haben werden. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der dreifachen Katastrophe sind - kurz gesagt - noch nicht abschätzbar. Nach vergangenen Naturkatastrophen kam Japans Volkswirtschaft durch staatliche Wiederaufbauprogramme schnell wieder auf die Beine. Selbst nach dem schweren Erdbeben um die Stadt Kobe 1995 konnte eine Rezession verhindert werden. Dennoch - so denke ich muss die Welt dieses Mal darauf vorbereitet sein, dass die Katastrophe die japanische Wirtschaft vor noch größere Herausforderungen stellt, als dies frühere Katastrophen getan haben. Japan - auch das dürfen wir nicht vergessen - ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Ich befürchte derzeit nicht, dass die Weltwirtschaft signifikant beeinträchtigt wird. Trotzdem - das ergänze ich ausdrücklich werden wir zusammen mit unseren internationalen Partnern daran arbeiten, wie mögliche Folgen der Katastrophe für die globale Konjunktur bestmöglich minimiert werden können. Meine Damen und Herren, die Ereignisse in Japan bedeuten nicht allein für Japan eine unfassbare Katastrophe. Sie sind ein Einschnitt für die ganze Welt, für Europa, auch für Deutschland. Ich habe es in den vergangenen fünf Tagen wieder und wieder gesagt, und ich wiederhole es heute: Wir können und wir dürfen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir gehen auch nicht zur Tagesordnung über, weder die Menschen in Deutschland - das zeigt das außergewöhnlich große Interesse an allen Sondersendungen im Fernsehen noch die Politik. Auch die Bundesregierung kann das nicht, und sie ist nicht zur Tagesordnung übergegangen. Ja, es bleibt wahr: Derart gewaltige Erdbeben und Flutwellen, wie sie Japan getroffen haben, treffen uns nach allen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erwartungen nicht. Auch mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die nukleare Katastrophe in Japan ist für uns in Deutschland nach menschlichem Ermessen nicht zu rechnen. Wir sind zu weit von dem Ort der Katastrophe entfernt. Ja, es bleibt wahr: Wir wissen, wie sicher unsere Kernkraftwerke sind. Sie gehören zu den weltweit sichersten, ({3}) und ich lehne es auch weiterhin ab, zwar die Kernkraftwerke in Deutschland abzuschalten, aber dann Strom aus Kernkraftwerken anderer Länder zu beziehen. Das ist mit mir nicht zu machen. ({4}) Ja, es bleibt wahr: Ein Industrieland wie Deutschland, die größte Wirtschaftsnation Europas, kann nicht von jetzt auf gleich vollständig auf Kernenergie als Brückentechnologie verzichten, wenn wir unseren Energieverbrauch weiter eigenständig zuverlässig decken wollen. Ich möchte an dieser Stelle, weil es heute ja sicherlich auch noch eine Reihe von Auseinandersetzungen geben wird, noch einmal eines festhalten: In Deutschland gibt es einen Konsens aller Parteien, dass wir keine neuen Kernkraftwerke bauen und dass die Kernkraft eine Brückentechnologie ist, dass die Kernkraft ausläuft. ({5}) - Die Linke hat wie immer eine Sonderrolle. Entschuldigung, dass ich Sie mit einbezogen habe. Das werde ich natürlich nicht mehr tun. ({6}) Was wir brauchen, ist ein Ausstieg mit Augenmaß. Ein Land wie Deutschland hat im Übrigen auch den Verpflichtungen zum Schutz unseres Klimas weiter gerecht zu werden; denn der Klimawandel ist und bleibt eine der großen Herausforderungen der Menschheit. ({7}) Es geht nicht an, dass wir an einem Tag den Klimawandel als eines der größten Probleme der Menschheit klassifizieren und an einem anderen Tag so tun, als ob das alles nicht gilt. Wir müssen schon mit einer Zunge sprechen. ({8}) Ja, es bleibt auch wahr: Energie in Deutschland muss für die Menschen bezahlbar sein, und wir haben kein Problem gelöst, wenn Arbeitsplätze in andere Länder abwandern, wo die Sicherheit der Kernkraftwerke nicht besser, vielleicht sogar noch geringer ist. ({9}) Und dennoch: Die Bundesregierung konnte und kann trotz all dieser unbestrittenen Fakten nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, und zwar aus einem alles überragenden Grund: ({10}) Die unfassbaren Ereignisse in Japan lehren uns, dass etwas, was nach allen wissenschaftlichen Maßstäben für unmöglich gehalten wurde, doch möglich werden konnte. ({11}) Sie lehren uns, dass Risiken, die für absolut unwahrscheinlich gehalten wurden, doch nicht vollends unwahrscheinlich waren, sondern Realität wurden. Wenn das so ist, wenn also in einem so hoch entwickelten Land wie Japan das scheinbar Unmögliche mögBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel lich, das absolut Unwahrscheinliche Realität wurde, dann verändert das die Lage. ({12}) Dann haben wir eine neue Lage, dann muss gehandelt werden. Und wir haben gehandelt. Denn die Menschen in Deutschland können sich darauf verlassen: Ihre Sicherheit und ihr Schutz waren und sind für die Bundesregierung oberstes Gebot. ({13}) Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Sicherheit. ({14}) Deshalb haben wir im Lichte der Ereignisse in Japan veranlasst, dass alle deutschen Kernkraftwerke noch einmal einer umfassenden Sicherheitsprüfung unterzogen werden - im Lichte der neuen Lage! Dazu setzen wir die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke aus, ({15}) indem wir für den Zeitraum eines dreimonatigen Moratoriums alle Kernkraftwerke, die 1980 und früher in Betrieb gegangen sind, vom Netz nehmen. Besser gesagt: Wir tun mehr, als ein Moratorium bedeuten würde; denn ein Moratorium der Verlängerung der Laufzeiten führte uns zurück auf die Rechtsgrundlage der rot-grünen Regierung. Die wiederum würde jetzt nur zur Folge haben, dass Neckarwestheim 1 abgeschaltet werden müsste. ({16}) Alle anderen Kernkraftwerke würden heute, zum jetzigen Zeitpunkt, weiterlaufen. ({17}) Was tun wir? ({18}) - Jetzt hören Sie genau zu! Darf ich Sie einfach bitten, Herr Kelber, dass Sie mal zuhören? ({19}) Was tun wir? Bund und Länder sind sich einig, dass diese Abschaltung durch rechtliche Verfügung der Aufsichtsbehörden der Länder angeordnet wird. Das Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren, kurz „Atomgesetz“ genannt, sieht genau das vor, also eine Anlage vorübergehend stillzulegen, bis sich die Behörden Klarheit über eine neue Lage verschafft haben. Ich danke an dieser Stelle dem Kollegen Oppermann ausdrücklich für das Angebot seiner Fraktion an die Koalition, in der nächsten Woche ein gemeinsames, wie Sie es formulieren, Abschaltgesetz zu verabschieden. Wir sind dennoch der Auffassung, dass wir dieses Angebot nicht anzunehmen brauchen, weil wir im beschriebenen Sinne handeln können - und das umgehend, meine Damen und Herren. Ich will es noch einmal präzisieren, weil das wirklich wichtig ist: Die bisher unbestrittene Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke beruht auf der Einhaltung des Atomgesetzes, der auf dem Atomgesetz beruhenden Rechtsverordnungen und der erteilten Genehmigungen. Die Vorkommnisse in Japan haben jedoch gezeigt, dass Ereignisse auch jenseits der bisher berücksichtigten Szenarien eintreten können. ({20}) - Entschuldigung, die Genehmigungen sind auch zu Ihren Zeiten vergeben worden. - Hieraus resultiert die Notwendigkeit, die Lage unter Berücksichtigung der aktuellen Ereignisse vorbehaltlos zu analysieren und hieraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. ({21}) Für die dreimonatige Betriebseinstellung der sieben ältesten Anlagen als vorläufige aufsichtliche Maßnahmen sieht das Atomgesetz in § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 eine einschlägige Rechtsgrundlage vor. Auf dieser Rechtsgrundlage kann bei Vorliegen eines Gefahrenverdachts die einstweilige Betriebseinstellung angeordnet werden. Jetzt hören Sie wieder gut zu: Ein derartiger Verdacht ist nach dem Atomrecht - das ist so genau - dann gegeben, wenn sich wegen begründeter Unsicherheiten im Rahmen der Risikovorsorge Schadensmöglichkeiten nicht völlig ausschließen lassen. ({22}) - Hören Sie doch bitte mal zu! Entschuldigung, darf ich noch einmal wiederholen? ({23}) Es ist eine neue Lage. ({24}) - Im Augenblick rede ich. - Es ist eine neue Lage. ({25}) Hochverehrter Herr Steinmeier, die Kernkraftwerke - mit Ausnahme von Neckarwestheim - würden nach der von Rot-Grün geschaffenen Rechtslage heute am Netz sein. Das ist die Wahrheit. ({26}) Nehmen Sie es doch einfach einmal hin und sagen ebenfalls: Wir haben eine neue Lage. - Das kann man doch erwarten! Da sich gerade bei älteren Anlagen die Frage nach den in der Auslegung berücksichtigten Szenarien in be10886 sonderer Weise stellen kann, haben sich die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Kernkraftwerken ({27}) dazu entschlossen, diese Anlagen für den Zeitraum der Überprüfung vom Netz zu nehmen. Dies ist Ausdruck äußerster Vorsorge, der sich die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten zum Schutz der Bevölkerung verpflichtet sehen. Ich möchte an dieser Stelle festhalten: Dies ist eine aufsichtsrechtliche Maßnahme. Dies ist kein Deal, dies ist keine Absprache, dies ist gar nichts von dem, sondern dies ist die Anwendung des Atomgesetzes in einer neuen Lage, ({28}) nicht mehr und nicht weniger. Das ist Verantwortung, meine Damen und Herren. ({29}) Ich bin mir dazu sowohl in der Sache als auch im Verfahren mit den Ministerpräsidenten der Standortländer vollkommen einig. ({30}) Bund und Länder sind hier gemeinsam in der Verantwortung. Deshalb sage ich auch, dass ich nicht verhehle, dass ich die Debatte des gestrigen Tages über die rechtlichen Grundlagen des Handelns von Bund und Ländern - die wird sicherlich gleich fortgesetzt - nur schwer nachvollziehen kann. ({31}) Wir müssen sicher in unserem politischem Handeln alle juristischen Anforderungen stets ernst nehmen. Darüber kann und darf es nicht den geringsten Zweifel geben. Das sage ich, damit da überhaupt kein Missverständnis entsteht. Aber wir sollten uns in einer Situation äußerster Gefahrenvorsorge - um diese geht es Bund und Ländern im Licht der Ereignisse von Japan - nicht juristische Tricks unterstellen, wo keine juristischen Tricks unterstellt werden können, meine Damen und Herren. ({32}) Dazu gehört im Übrigen auch, dass während des Moratoriums meine Gespräche natürlich nicht, wie das zunächst mit Blick auf die Anwendung des Atomgesetzes sinnvoll ist, auf den Kreis der Ministerpräsidenten beschränkt bleiben, die vorgestern mit mir beraten haben. Das gilt für alle Gespräche, die die Bundesregierung in nächster Zeit führen wird. Wenn es um die Akzeptanz und Fortentwicklung der Energiepolitik insgesamt geht, werden natürlich auch gesellschaftliche Gruppen einbezogen: Wirtschaft, Gewerkschaften, Umweltverbände, Kirchen. Natürlich werden alle Ministerpräsidenten aller Bundesländer einbezogen, zum Beispiel wenn es um neue Leitungen und Trassen gehen wird. Das wird sehr zeitnah geschehen, noch vor Ostern. ({33}) Auch hier sollten wir uns nicht immer als Erstes verdächtigen. Meine Damen und Herren, Sicherheit der Kernenergie hat nicht nur eine nationale, sondern mindestens ebenso eine internationale Dimension. ({34}) Wir werden daher in Europa, international und auch im Rahmen der G 20 dafür eintreten, dass die notwendigen Schlussfolgerungen aus den Ereignissen in Japan gezogen werden. Ich habe das Thema „Nukleare Sicherheit“ für den nächsten Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs in der nächsten Woche am 24. und 25. März angemeldet. Der Ratspräsident hat der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunkts bereits zugestimmt. Auf EU-Ebene hat Energiekommissar Oettinger schnell gehandelt. Ich begrüße, dass er schon begonnen hat, Gespräche mit den wichtigsten Akteuren zu führen, und ich unterstütze die Initiative für einen EU-weiten Stresstest für alle Kernkraftwerke. Wir brauchen in der gesamten Europäischen Union hohe Sicherheitsstandards, denn bei Sicherheitsrisiken ist nicht nur der Staat, in dem das Kernkraftwerk steht, betroffen. ({35}) Ich habe mit Nicolas Sarkozy verabredet, dass Frankreich gemeinsam mit Deutschland eine Initiative der G 20 zur weltweiten Sicherheit von Kernkraftwerken einbringt. Der G-20-Präsident, der französische Präsident, hat bereits die Energieminister der G-20-Länder nach Paris zu einem Sondertreffen eingeladen. Nach dem dreimonatigen Moratorium werden wir über die endgültigen Konsequenzen für den Betrieb der Kernkraftwerke entscheiden. ({36}) Dabei wiederhole ich auch an diesem Ort das, was ich seit Montag sage: Die Lage nach dem Moratorium wird eine andere sein als die Lage vor dem Moratorium, denn alles kommt auf den Prüfstand. Sie wird darüber hinaus - das sage ich, damit auch da kein Missverständnis entsteht - auch eine andere Lage sein als die Lage zur Zeit des rot-grünen Gesetzes. ({37}) Weder konnten wir nach den Ereignissen in Japan einfach so zur Tagesordnung übergehen, noch ist das rotgrüne Konzept tragfähig für ein Land wie Deutschland, für die größte Wirtschaftsnation Europas mit dem Anspruch höchster Sicherheitsstandards im Lichte aller Erkenntnisse. ({38}) Wir werden deshalb die bewusst ehrgeizig kurz bemessene Zeit des Moratoriums nutzen, um die Energiewende voranzutreiben und, wo immer möglich, zu beschleunigen. Denn wir wollen so schnell wie möglich das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen - das ist unser Ziel -, ({39}) und das mit einem Ausstieg mit Augenmaß. Klar ist dabei: Wenn jetzt die Sicherheit der Kernenergie neu bewertet wird ({40}) und möglicherweise - ich kann den Ergebnissen des Moratoriums nicht vorgreifen - Anlagen schneller vom Netz zu nehmen sind, dann müssen wir - das ist die Schlussfolgerung - auch schneller zu einem System der Energieversorgung auf der Grundlage erneuerbarer Energien kommen. ({41}) Das heißt: Wir werden die sehr ambitionierten Maßnahmen des Energiekonzepts nicht nur konsequent umsetzen, sondern sie, wo es geht, auch beschleunigen. Wir wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien und der notwendigen Netzinfrastruktur noch schneller voranbringen. Wir werden für die Umsetzung eine klare Zeitplanung vorlegen; denn eines ist klar: Wir brauchen eine Brückentechnologie wie die Kernenergie so lange, bis wir einen Anschluss gefunden haben. Alles andere hieße, die Probleme unter den Tisch zu kehren. Das tun wir nicht. Das widerspräche dem Anspruch der christlich-liberalen Koalition. ({42}) - Sie sind doch bloß neidisch, dass Sie Heiner Geißler nicht haben. Meine Güte, also wirklich! ({43}) - Darf ich ausreden? Wir reden hier über sehr ernsthafte Dinge, meine Damen und Herren. ({44}) Ich erinnere noch einmal: Unser Energiekonzept sieht für das Jahr 2050 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 80 Prozent vor. Das ist extrem anspruchsvoll. Wenn wir das diskutieren, müssen wir ehrlich über die Voraussetzungen sprechen; dann müssen wir allerdings auch ganz konkret werden. ({45}) Das betrifft etwa den Ausbau der Windenergie an Land und auf See. Wir werden zeigen, wie konkret neue Windparks errichtet werden können und die Windenergie langfristig zu einer tragenden Säule unserer Stromversorgung ausgebaut werden kann. Schon bald wird ein großes KfW-Programm starten, mit dem wir den Startschuss für neue Investitionen in Offshorewindparks geben. Eine wichtige - ich sage: eine unabdingbare - Voraussetzung ist auch der Ausbau der Stromnetze. Wer erneuerbare Energien will, darf sich dem Bau der dafür erforderlichen großen Stromtrassen, die neu errichtet werden müssen, nicht verweigern. ({46}) Wir müssen in der Perspektive auch über ein System debattieren, das Strom aus erneuerbaren Energien flexibel zum Verbraucher bringt, ihn bedarfsgerecht speichert und jederzeit verfügbar verteilt. Nicht zuletzt ist die Steigerung der Energieeffizienz unverzichtbar, und zwar durch moderne Technologien in allen Bereichen, vom Verbraucher bis zur Industrie. Zu diesem zentralen Handlungsfeld hat der EU-Energiekommissar Oettinger gerade einen neuen Aktionsplan für Energieeffizienz vorgelegt. Für all das brauchen wir - das ist mir besonders wichtig - breite Unterstützung und Akzeptanz in der Gesellschaft. Wir wollen kein Dagegen, sondern ein Dafür. ({47}) Die erneuerbaren Energien können wir nur ausbauen, wenn die notwendigen Stromnetze errichtet werden. Hierfür müssen alle, die den Ausbau der erneuerbaren Energien wollen, um mehr Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort werben. Das ist schlicht und ergreifend heute nicht der Fall. ({48}) Die einen werben, die anderen sind dagegen, wo immer das geht, oder spielen auf Zeit und sagen, man müsse lange darüber diskutieren. ({49})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache ist wie vereinbart im Anschluss an die Regierungserklärung vorgesehen. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wann es reicht, Frau Künast, bestimmt die Fraktion, indem sie entscheidet, wie viel Redezeit sie mir gibt. Sie haben das nicht zu entscheiden. Das ist auch gut so. ({0}) Schauen Sie sich einmal Ihre Parteitagsbeschlüsse zum Ausbau der Stromtrassen an. Stromeinsparung können wir nur dann erreichen, wenn die Verbraucher aktiv mitmachen. Neue Anlagen, seien es Windkraftwerke, Pumpspeicherwerke - auch da bitte ich, zu schauen, wer wo protestiert ({1}) oder hocheffiziente konventionelle Kraftwerke - schauen Sie sich an, wer alles gegen Kohlekraftwerke ist -, ({2}) können wir nur errichten, wenn alle hier in diesem Hause dafür eintreten, dass sie gebaut werden. Meine Damen und Herren, schließlich müssen wir auch bei einem weiteren Streitthema endlich vorankommen: bei der Entsorgung von radioaktiven Abfällen. Es kann nicht sein, dass wir diese Aufgabe weiter in die Zukunft und damit auf zukünftige Generationen schieben. Wir packen daher auch dieses Thema, das Rot-Grün in unverantwortlicher Weise hat liegen lassen, entschlossen an. ({3}) Sie haben damals bei dem vermeintlich tragfähigen Ausstieg in zwei Bereichen nicht die Zukunft im Blick gehabt und den Kopf in den Sand gesteckt: bei der Entsorgung - da haben Sie ein Moratorium für Gorleben vereinbart - und, das kann ich Ihnen nicht ersparen, bei der Sicherheit. Herr Trittin, Sie wissen genau: Damals, im sogenannten Atomkonsens aus dem Jahre 2000, unterzeichnet 2001, ist vereinbart worden: Während der Restlaufzeiten - ich sage noch einmal, heute wäre nur Neckarwestheim 1 abgeschaltet; alle anderen wären am Netz wird der von Recht und Gesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter gewährleistet; die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard und die diesem zugrundeliegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. ({4}) … die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen … - so war das. ({5}) - Ja, natürlich: Bei Einhaltung - ({6}) - Hören Sie doch einmal zu! Ich bin nicht so wie Sie, dass ich Ausschnitte lese. Ich lese weiter: Bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen gewährleistet die Bundesregierung den ungestörten Betrieb der Anlagen. ({7}) Aber: keine neuen Sicherheitsstandards. ({8}) Meine Damen und Herren, heute wird von Ihnen ein Antrag zur sofortigen Inkraftsetzung des kerntechnischen Regelwerks zur Abstimmung gestellt. Lassen Sie mich dazu ein Wort sagen. Unter Rot-Grün wurde erst einmal gar nichts unternommen, außer dass man etwas ausgearbeitet hat; aber angewandt hat man es nicht. ({9}) Dann ging es in der Großen Koalition um die Frage, „Was machen wir damit?“, weil sich Herr Gabriel der Frage „Stillstand in der Sicherheit“ dankenswerterweise nicht mehr ganz so verpflichtet gefühlt hat. ({10}) - Ich sage das doch ausdrücklich lobend. ({11}) Dann hat Herr Gabriel dieses kerntechnische Regelwerk zur Erprobung parallel zu den gängigen und geltenden Sicherheitsvorschriften laufen lassen. Herr Gabriel ist dafür kritisiert worden, pikanterweise vom ehemaligen Staatssekretär Herrn Baake von den Grünen. Herr Gabriel hat im Juni 2009 diese Vorwürfe - ich sage: gerechterweise - ausführlich zurückgewiesen; ich empfehle, die Pressemitteilung des BMU vom 16. Juni 2009 zu lesen, in der steht, dass diese Vorwürfe „haltlos“ sind. Er hat im Juni 2009 ebenso gesagt, dass dieses Verfahren 15 Monate lang erprobt wird, also nach meinen Berechnungen bis zum September 2010. Dann haben wir, die neue Regierung, über die Verlängerung der Laufzeiten debattiert und in diesem Zusammenhang das Atomgesetz bezüglich der Sicherheitsanforderungen verändert ({12}) und dafür gesorgt, dass in § 7 d des Atomgesetzes eine neue Verpflichtung eingeführt wird - ({13}) - Ich finde wirklich, wir sollten uns in diesem Hause - dazu sind wir verpflichtet - um die Wahrheit bemühen. ({14}) Das gilt auch für die Opposition. Wir haben mit der Einführung des neuen § 7 d des Atomgesetzes neu die Verpflichtung der Betreiber der Kernkraftwerke zur weiteren Risikovorsorge eingeführt, sich immer wieder am neuesten Stand von Forschung und Technik zu orientieren ({15}) - diese Kategorie hat es in diesem Maß noch nicht gegeben - und immer wieder dynamisch auf neue Anforderungen zu reagieren. Das ist die Realität, und das äußert sich in der Spezifizierung der Sicherheitsanforderungen für jede einzelne Anlage. ({16}) Wer hier behauptet, wir hätten die Sicherheit nicht im Blick gehabt, der sagt schlicht und ergreifend die Unwahrheit. Die höchsten Sicherheitsanforderungen gab es unter der christlich-liberalen Koalition. Das ist die Wahrheit, und die müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen. ({17}) Meine Damen und Herren, es ist gut und nötig und auch sinnvoll, dass wir uns in energiepolitischen Fragen um die besten Antworten bemühen. Es ist auch gut und richtig, dass wir darüber immer wieder streiten. Das macht Opposition und Regierung aus, und das macht unsere Demokratie lebendig. Auch ich war einmal Vorsitzende einer Oppositionsfraktion und weiß, wie das ist. Aber eines muss beachtet werden: Sie werfen der Regierung und auch mir persönlich vor, jetzt oder vor sechs Monaten oder bei der Verabschiedung der Laufzeitenverlängerung oder wahrscheinlich durchgehend die Unwahrheit zu sagen. Sie werfen uns Täuschung, Trickserei, mehr oder weniger Rechtsbruch und natürlich Wahlkampftaktik und Ähnliches vor. ({18}) - Ja, meine Damen und Herren, schauen Sie sich das genau an. - Ich halte das hinsichtlich der Aufgabe für absolut nicht angemessen. Es geht hier um ein wesentliches Thema. Es geht hier um eine Situation, in der wir über Fragen debattieren, die die Welt vor eine neue Lage gestellt haben. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich finde, dass Ihre Art und Weise der Argumentation absolut respektlos ist. ({19}) Ihr Verhalten, das ich in den letzten Tagen gesehen habe, ist an Niveaulosigkeit nicht zu überbieten. ({20}) Ich rate Ihnen nur eines: Schließen Sie bei dem, was Sie sagen, nicht dauernd von sich auf andere. ({21}) Höchste Sicherheit für die noch laufenden Kernkraftwerke, höchstes Engagement für erneuerbare Energien und eine sichere und wettbewerbsfähige Energieversorgung - dies ist meine, dies ist die Formel der christlichliberalen Koalition für einen neuen energiepolitischen Konsens. Gestatten Sie mir zum Schluss noch ein persönliches Wort. So wichtig und unverzichtbar alle Bewertungen, Lehren und Maßnahmen hier in Deutschland sind, so wichtig und unerlässlich ist es, dass wir in dieser Stunde zugleich nie den Blick für die Leidenden in Japan verlieren, die so schwer geprüft werden. ({22}) Ihnen gilt unser Mitgefühl. Sie können heute und in der Zukunft auf die Unterstützung Deutschlands zählen. Herzlichen Dank. ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion. ({0})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, für den ersten und den letzten Teil Ihrer Rede haben Sie die volle Zustimmung nicht nur der SPD, sondern, wie ich glaube, des ganzen Hauses. ({0}) In der Tat berührt jeden Menschen in Deutschland das Schicksal der Menschen in Japan ungeheuer. Selten hat ein Land in Friedenszeiten eine solche Kette von Katastrophen durchleiden müssen wie in diesen Tagen Japan. Ich sage offen: Ich glaube, wir alle haben in diesen Tagen viel über den Mut und auch die Tapferkeit dieses Volkes gelernt. Neben Mitgefühl, Trauer und Entsetzen haben wir auch tiefen Respekt gegenüber der Haltung und dem Kampf dieser Menschen entwickelt. Wir hoffen, dass es am Ende, obwohl die Hoffnung täglich schwindet, doch noch gelingt, den Super-GAU, also das unkontrollierte Austreten ungeheurer Mengen von Radioaktivität, zu verhindern. Deswegen haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, jede Unterstützung des deutschen Parlaments verdient, wenn Sie der japanischen Regierung Hilfe und Unterstützung anbieten. Wir denken, dass das die Verpflichtung Deutschlands und auch der internationalen Völkergemeinschaft ist. Wir danken Ihnen ausdrücklich dafür, dass Sie sehr frühzeitig damit begonnen haben, dafür die Voraussetzungen zu schaffen. ({1}) Ich bin nicht sicher, ob es angemessen ist, wenn wir uns gegenseitig unterstellen, wir seien respektlos und würden uns unanständig benehmen. Sie meinten, das gehöre zu Ihrer Rede. ({2}) - Na ja, wenn man im Parlament ein scharfes Wort führt, muss man gelegentlich überlegen, ob das Ende einer Rede auch zu dem passt, was man vorher gesagt hat, Frau Bundeskanzlerin. ({3}) Wir erleben gerade das Ende des Atomzeitalters. Es war gekennzeichnet durch zwei tiefe Überzeugungen: erstens, dass die Technik nie versagt, und zweitens, dass der Mensch nie versagt, und vor allen Dingen, dass nicht beides zum gleichen Zeitpunkt passiert. Wir haben bitter lernen müssen, dass diese beiden Grundannahmen des Atomzeitalters falsch sind: Weder funktioniert die Technik immer, noch versagen Menschen nie. Tun wir nicht so, als würden uns die Risiken der Atomtechnologie erstmals in Japan vor Augen geführt. ({4}) Dutzende von Unfällen, viele Beinahekatastrophen und nicht zuletzt die Katastrophen 1979 in Harrisburg und 1986 in Tschernobyl in der früheren Sowjetunion führen uns schon seit langer Zeit vor Augen, dass der GAU und der Super-GAU eben keine rein mathematischen Unwahrscheinlichkeiten sind, sondern ganz reale Gefahren, die mit unendlichem Leid von Menschen verbunden sind. Das berühmte Restrisiko, das der Atomwirtschaft und den Gläubigen der atomaren Heilslehre in Wissenschaft, Medien und politischen Parteien so lächerlich und vernachlässigbar vorkam, ist gerade zur ganz realen Katastrophe für Millionen von Menschen in Japan geworden. Trotzdem sind schon wieder die Beschwichtiger der Atomwirtschaft unterwegs: Das alles könne in Deutschland und Europa nicht passieren; wir hätten schließlich keine Erdbeben und Tsunamis. Oder: Wir hätten doch die sichersten Atomkraftwerke der Welt. Ich erinnere mich noch gut, dass das schwedische Atomkraftwerk Forsmark im Jahre 2006 in einer gefährlichen Lage war, weil auch dort die Notstromversorgung versagte, und zwar völlig ohne Erdbeben und Tsunami. Als wir damals die deutschen Atomkraftwerksbetreiber fragten, wie das bei ihnen sei, kam sofort, ohne jede Prüfung, die Antwort: Das kann bei uns nicht passieren. Als wir dann über § 19 Atomgesetz - damals gab es nämlich die ganz konkrete reale Gefahr, dass die Wechselrichter nicht funktionieren - gefordert haben, das genau zu erfahren, haben sie nach kurzer Zeit kleinlaut zugegeben, dass auch in deutschen Atomkraftwerken dieses technische Problem existiert hat. Meine Damen und Herren, das alles war vor Japan. Auch in Deutschland gab es Wasserstoffexplosionen: in Brunsbüttel in der Nähe des Reaktordruckbehälters. Es gab auch bei uns fehlerhafte Installationen, Kühlmittelverluste, mangelhafte Rohrleitungssysteme. Das alles war vor Japan, und das alles wussten Sie, Frau Bundeskanzlerin. Trotzdem haben Sie damals in der Großen Koalition versucht, mich dazu zu zwingen, ({5}) zwei der ältesten und gefährlichsten Atommeiler in Deutschland länger laufen zu lassen: ({6}) Biblis A und Neckarwestheim 1. Sie haben mich schriftlich dazu aufgefordert, die Laufzeiten dieser beiden Atomkraftwerke zu verlängern. ({7}) Das sind die beiden, bei denen Sie jetzt so stolz darauf sind, dass Sie sie, neben einigen anderen, für drei Monate vom Netz nehmen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben einer Laufzeitverlängerung von acht Jahren für diese Reaktoren zugestimmt. Ohne Ihren Deal und - auch das gehört zur Wahrheit - ohne Ihre Kumpanei mit der Atomwirtschaft, die durch Tricks, durch geringeres Ausfahren ihrer Kapazitäten, versucht hat, die im Gesetz ursprünglich vorgesehenen Laufzeiten zu überschreiten, wären diese Reaktoren längst vom Netz. ({8}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben alle, die gegen diese abenteuerliche Laufzeitverlängerung waren, als Ideologen verleumdet. Ihr Vizekanzler, Herr Westerwelle, hat diejenigen, die gesagt haben, dass das so nicht geht und dass wir aus der Kernenergie heraus müssen, wörtlich als „Geisterfahrer“ bezeichnet. Vor dem Hintergrund Ihrer verbalen Kehrtwende frage ich Sie: Wer waren tatsächlich die eigentlichen Geisterfahrer der deutschen Energiepolitik in Deutschland? ({9}) Frau Merkel, ich weiß gar nicht, ob es Ihnen auffällt: Aber vor einem halben Jahr war der rot-grüne Beschluss zum Ausstieg aus der Atomenergie für Sie unvertretbar, weil er nach Ihrer Meinung die Atomwirtschaft zu sehr bedrängte und weil wir längere Laufzeiten für Deutschland doch brauchten. Sie haben diesen Beschluss kritisiert, weil wir zu schnell aussteigen wollten. Heute haben Sie die Chuzpe, SPD und Grüne zu kritisieren, weil wir angeblich zu langsam ausgestiegen sind. Das ist doch das Spiel, das Sie hier treiben. ({10}) Frau Dr. Merkel, damit Sie nicht glauben, jeder im Haus hätte ein schlechtes Gedächtnis: Ich hatte Ihnen als Bundesumweltminister in der Großen Koalition vorgeschlagen und angeboten, die ältesten Atomkraftwerke schneller, als es ursprünglich im Gesetz vorgesehen war, vom Netz zu nehmen. Sie haben das als Kanzlerin verweigert. Wir hätten sie heute schon nicht mehr, wenn wir das damals gemacht hätten. ({11}) Zum Thema Sicherheitspolitik. Am 28. Oktober 2010 haben Sie hier mit der Mehrheit von CDU/CSU und FDP die Laufzeitverlängerung durchgepeitscht. Frau Merkel, ich und wir alle haben Sie damals gewarnt und gesagt: Bevor Sie generelle Laufzeitverlängerungen beschließen, machen Sie bitte das, was jeder normale Mensch machen würde, nämlich jedes einzelne Atomkraftwerk darauf zu prüfen, ob deren aktuelle Sicherheitsstandards dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. ({12}) Das haben Sie abgelehnt. Die äußerste Gefahrenvorsorge müssen Sie nicht jetzt machen, die müssen Sie bei einem Atomkraftwerk immer machen. Das ist immer Ihre Aufgabe. ({13}) Aber als wir im Parlament zu entscheiden hatten, war ja längst alles beschlossene Sache. Den Bundestag haben Sie nur noch pro forma und den Bundesrat überhaupt nicht mehr beteiligt. Sie hatten schon mit den Herren der Atomwirtschaft im Hinterzimmer alles dingfest gemacht. ({14}) Damit nicht genug. Sie waren einmal Bundesumweltministerin. ({15}) Dass Sie den Mut haben, hier dem Parlament die Unwahrheit über die Anwendung des § 19 des Atomgesetzes zu sagen, ist schon ein starkes Stück. ({16}) Damals wollten Sie jede Gefahr für den Deal mit der Atomwirtschaft ausschließen. Deshalb haben Sie die Sicherheitsanforderungen, die wir 2009 in Kraft gesetzt haben - die Arbeit daran wurde übrigens unter dem Kollegen Trittin begonnen; ich habe sie dann abgeschlossen -, abgeschafft. ({17}) Wir hätten sie übrigens damals gerne ganz ohne Weitergeltung der alten Sicherheitsanforderungen in Kraft gesetzt. Es handelte sich hier um einen Kompromiss, weil die Ministerpräsidenten von CDU und CSU gesagt haben: Wir wollen überhaupt keine neuen Sicherheitsanforderungen. - Das ist doch die Wahrheit. ({18}) Damals haben wir gesagt: Damit keine Unsicherheiten in der Atomwirtschaft auftreten, machen wir beides. Wir lassen die alten weitergelten und erproben die neuen. - Im Herbst letzten Jahres hätten Sie in der Tat die alten völlig abschaffen müssen und die Bewertung der Sicherheitslage deutscher Atomkraftwerke auf dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik vornehmen müssen. ({19}) - Nein, das steht gerade nicht im Gesetz, Herr Kollege Gröhe. - Die Menschen draußen wissen das nicht; das darf man ihnen aber nicht vorwerfen. Aber wissen Sie, wie viele Seiten das kerntechnische Regelwerk mit den modernen Sicherheitsanforderungen umfasst? Über 1 000 Seiten. Da wird beschrieben, was die Kraftwerksbetreiber bei der Notstromversorgung machen müssen. Da wird beschrieben, was sie bei den Kühlsystemen machen müssen. Da wird beschrieben, wie sie Sicherheit konkret verbessern. Das haben Sie abgeschafft. Sie arbeiten mit einem über 30 Jahre alten kerntechnischen Regelwerk. ({20}) Herr Gröhe, wenn Sie mit uns über so etwas reden, müssen Sie immer davon ausgehen: Wir kennen die Rechtslage sehr genau. ({21}) Dann haben Sie in § 7 d des Atomgesetzes nur einen Satz, der in Deutschland seit 1973 geltende Rechtslage ist, hineingeschrieben, statt ein Regelwerk von 1 000 Seiten anzuwenden. Seit dem Urteil über Kalkar müssen Sie das einhalten, was Sie in den § 7 d Atomgesetz hineingeschrieben haben. Ich habe gar nichts dagegen, dass das im Atomgesetz steht, aber daran mussten sich vorher schon alle halten. Schlimm ist, dass Sie die modernen Sicherheitsanforderungen für die Prüfung von Kernkraftwerken außer Kraft gesetzt haben. ({22}) Warum haben Sie das getan? Sie haben das getan, weil die Atomkraftwerksbetreiber Ihnen gesagt haben, dass eine ganze Reihe von Atomkraftwerken diesen modernen Sicherheitsstandards nicht standhalten können, weil die Atomkraftwerksbetreiber Ihnen gesagt haben, dass die alten Meiler nicht auf den Stand von Wissenschaft und Technik hochgerüstet werden können und dass sie deshalb endgültig und bereits vor Ablauf der Restlauf10892 zeiten vom Netz hätten gehen müssen. Das hätte die Milliardengeschäfte der Atomwirtschaft geschmälert, und da haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, etwas gemacht, was unverantwortlich ist: Sie persönlich haben Sicherheit gegen Geld getauscht. ({23}) Sie sagen jetzt, es gäbe eine tabulose Prüfung. Wenn Sie mit völlig veralteten Sicherheitsanforderungen - mehr als 30 Jahre alt - jetzt eine tabulose Prüfung beginnen wollen, dann brauchen Sie damit gar nicht erst anzufangen, außer Sie setzen als Allererstes das kerntechnische Regelwerk 2009 wieder in Kraft. Das ist der erste Prüfstein für Ihre Glaubwürdigkeit. ({24}) Die Meiler, die wegen dieses kerntechnischen Regelwerks vom Netz genommen werden müssten, wollen Sie jetzt gerade einmal für drei Monate vom Netz nehmen. Die wären aber schon weg, wenn Sie nicht mitgeholfen hätten, Sicherheitsmängel in diesen Kernkraftwerken zu vertuschen. ({25}) - Keine Sorge, wir können das alles belegen. Derjenige, der Ihnen das aufgeschrieben hat, war einer der Cheflobbyisten der deutschen Atomindustrie. Mit Herrn Hennenhöfer haben Sie ausgerechnet einen Cheflobbyisten der Atomwirtschaft zum obersten Aufseher der Reaktorsicherheit in Deutschland gemacht. ({26}) Herr Hennenhöfer ist bis heute im Amt und soll jetzt die Sicherheitsüberprüfung vornehmen, die er vorher verhindern wollte. Wenn Sie, Frau Merkel, auch nur einen Funken Glaubwürdigkeit zurückerobern wollen, dann müssen Sie ihn sofort entlassen. Das verlangen wir von Ihnen! ({27}) Frau Merkel, nicht wir werfen Ihnen vor, dass Sie das Recht beugen, sondern das tut inzwischen ein früherer Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Ihr sogenanntes Moratorium wirft ja nicht nur energiepolitische, sondern auch verfassungsrechtliche Fragen auf. Ich lese Ihnen jetzt einmal vor, wie nach der öffentlichen Erklärung Ihres Umweltministers § 19 Abs. 3 des Atomgesetzes angewandt werden soll, nämlich … durch gemeinsames staatliches Handeln … nicht durch Absprachen, nicht durch Verträge, sondern unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Verantwortung. Wenn das so ist, Frau Merkel, dann will ich wissen, wie die Rechtsakte aussehen. Das will ich allerdings nicht von Ihrem Atomexperten Mappus in Baden-Württemberg wissen, der ja eine schizophrene Persönlichkeit ist, nämlich Atomlobbyist und Atomaufsicht zugleich - ich frage mich, wie das funktionieren soll -, ({28}) sondern Sie, Herr Bundesumweltminister und Frau Merkel, fordere ich auf, dem Parlament diese Rechtsakte vorzulegen, und zwar in diesen Tagen, nicht erst in ein paar Monaten. ({29}) Wenn die Atomwirtschaft das akzeptiert, dann haben Sie, Frau Merkel, einen historischen Erfolg erzielt, dann haben Sie wirklich etwas durchgesetzt. Denn dann ist die Atomwirtschaft zum ersten Mal bereit, zu akzeptieren, dass festgestellt wird, dass von sieben ihrer Meiler eine Gefahr für die Bevölkerung, für Leib, Leben und Gesundheit ausgeht. Das wäre ein historisches Ereignis. ({30}) Frau Merkel, Sie haben § 19 Atomgesetz völlig zu Recht zitiert. Die erste Handlung ist nun, dass Sie, Herr Bundesumweltminister, den Atomkraftwerksbetreibern die entsprechenden Anordnungen schicken, und zwar durch die Länder. Wenn sie das nicht machen, dann müssen Sie sie atomrechtlich weisen. Dann wollen wir einmal sehen, ob die Atomwirtschaft das akzeptiert. Wenn sie das machen: à la bonne heure! ({31}) Dann haben Sie etwas Historisches erreicht. Wir haben schon immer gesagt, dass von diesen alten Reaktoren direkte Gefahren ausgehen. Das haben Sie und die Atomkraftwerksbetreiber immer zurückgewiesen. ({32}) Wenn das allerdings nicht der Fall ist, dann haben Sie einen Deal gemacht. Dann wollen wir die Preise kennen. Meine Damen und Herren, wir wollen also zunächst wissen, wie das läuft. ({33}) Und dann stellt sich doch, was auch immer Sie jetzt der Öffentlichkeit erzählen, die Frage: Wie glaubwürdig sind Sie, wenn Sie das nur für drei Monate tun? ({34}) Wir wollen erstens, dass das sicher ist und dass wir das nach dem Atomgesetz abschalten, und zwar nicht nur im Rahmen eines Moratoriums, sondern auf Dauer. ({35}) Wir wollen zweitens zum Ausstiegsgesetz bis 2020 zurückkehren. Denn Ihre Laufzeitverlängerungen sind keine Brücke, sondern eine Dauereinrichtung mindestens bis 2035 und 2040. Das ist keine Übergangstechnologie. Deswegen wollen wir zum Gesetz zurück. Wir wollen das nicht irgendwie durch einen zweiten Deal regeln lassen. Das Parlament ist das Gremium, das das zu entscheiden hat. Im Übrigen, Frau Merkel, wenn es stimmt, dass Sie eine Energiewende wollen, warum haben Sie dann im jetzigen Haushalt gar nichts dafür getan, außer die Möglichkeiten für die Energiewende zu verschlechtern? ({36}) - Das muss man der Öffentlichkeit einmal sagen. Sie haben am Mittwoch die Eckpunkte des Haushalts beschlossen. Heute stellt sich die Kanzlerin hin und sagt, sie wolle mehr für die Energiewende tun. ({37}) Jetzt sage ich Ihnen einmal, was in den Eckpunkten steht: Gegenüber 2010 werden die Mittel zur Förderung erneuerbarer Energien um 700 Millionen Euro runtergefahren, ({38}) werden die Mittel für das 100 000-Dächer-SolarstromProgramm um ein Drittel und für das Gebäudesanierungsprogramm gegen zu hohen Energieverbrauch, durch das die Menschen richtig Geld sparen könnten, von 2,2 Milliarden Euro in 2009 auf unter 1 Milliarde Euro gekürzt. Das ist die Wahrheit über das, was Sie da machen. ({39}) Gestern, einen Tag nach Verkündigung Ihrer Energiewende, haben Sie dem Kabinett die Eckpunkte vorgelegt und zugestimmt. Sie hätten doch diesen Beschluss, Frau Merkel, eigentlich verschieben müssen. ({40}) Sie hätten doch sagen müssen: „Jetzt machen wir einmal ein ordentliches Programm“, oder: „Wir lassen wenigstens die Mittel da, wo sie bisher waren“. Nichts davon haben Sie getan. Es ist einfach so, dass man nicht einmal mehr weiß, ob Sie Ihre eigenen Widersprüche eigentlich noch erkennen. ({41}) Die Glaubwürdigkeit von Politik - ich weiß, dass das nicht Ihnen allein zugeordnet wird, sondern die Menschen leider immer über „die Politiker“ reden - leidet enorm, Frau Merkel, wenn Sie dieses Maß an Unseriosität zur Messlatte Ihrer Politik machen. Man kann sich auf nichts verlassen, was Sie sagen. Deshalb können und wollen wir uns auch nicht darauf verlassen, dass Sie in drei Monaten zu klügeren Entscheidungen gekommen sind als noch drei Monate zuvor. Wir wollen deshalb im Parlament entscheiden, weil bei Ihnen nicht sicher ist, was Sie denn morgen denken. Mal sind Sie gegen den Euro-Rettungsschirm, mal dafür. ({42}) Mal sind Sie für Steuersenkungen, mal dagegen. Mal sind Sie für Atomenergie, mal dagegen. Weil wir uns nicht auf Sie verlassen können, wollen wir hier im Parlament selber entscheiden und nicht Ihnen vertrauen. Darum geht es hier in Deutschland. ({43})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Gabriel, achten Sie freundlicherweise auf die Redezeit.

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das mache ich. „Mehrheit ist Mehrheit“, sagt Ihr Kollege. Das zeigt ja schon, worauf Sie hinauswollen. ({0}) Der Zwischenruf ist interessant. „Mehrheit ist Mehrheit“, sagt er. Das heißt, Sie wollen den Ausstieg nicht. Ich glaube, dass Sie da die Wahrheit sagen. ({1}) Ich sage Ihnen: So kann man auf Dauer keine Politik machen. Sie versuchen nur, jetzt wahltaktisch mit den Ängsten der Menschen umzugehen. ({2}) Das ist etwas, was die Bevölkerung in Deutschland merkt. Der Titel der Zeit heute ist die Überschrift für das, was Sie eigentlich machen müssten: „Keine Lügen mehr!“, Frau Bundeskanzlerin. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle stehen unter dem Eindruck der Ereignisse in Japan. Diese epochale Naturkatastrophe hat Tausende Tote gefordert, Tausende Verletzte, zigtausendfaches menschliches Leid. Unsere Gedanken sind in diesen Tagen bei unseren japanischen Freunden. Unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl gelten den Hinterbliebenen. Die Bilder, die wir sehen, zeigen das Ausmaß der Zerstörung: Ganze Städte sind durch den Tsunami wie weggespült. Diese Bilder begleiten viele von uns tagtäglich in den Gedanken, genauso das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber einer solchen Naturkatastrophe. Angesichts einer solch beispiellosen Katastrophe sollte man einmal innehalten und die Frage aufwerfen, was in einer solchen Situation tatsächlich zuerst gefordert ist, was wichtig ist. Während die Menschen in Japan versuchen, diese Situation mit einer bewundernswerten Disziplin zu bewältigen, und in anderen Ländern das Mitgefühl an erster Stelle steht, führt die Opposition hier eine Debatte, die geradezu dazu führen muss, dass die Menschen in diesem Land Angst bekommen, dass sie den Eindruck bekommen, das Problem, die Katastrophe, sei hier. Nein, die Katastrophe ist in Japan. Die Menschen in Japan brauchen jetzt in der akuten Phase und bei der Bewältigung langfristiger Folgen unsere Unterstützung. Deshalb ist es gut, dass der Krisenstab der Bundesregierung unter Leitung von Außenminister Westerwelle sofort Hilfe gegeben und diese Hilfe in den Vordergrund gestellt hat. An einem solchen Tag ist es wichtig, an dieser Stelle den Helfern ein herzliches Dankeschön zu sagen. ({0}) Wir sind uns vollkommen einig darüber, dass angesichts der dramatischen Ereignisse in den japanischen Kernkraftwerken nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden kann. Nun höre ich immer wieder, wir müssten die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Ja, die Sorgen der Menschen sind auch unsere Sorgen; sie sind die Sorgen jedes einzelnen Kollegen und jeder einzelnen Kollegin hier in diesem Haus. ({1}) Es ist richtig, dass die Regierung in einer solchen Situation schnell und besonnen handeln muss. Wir sind uns bewusst, dass wir über den Tag hinaus Verantwortung tragen. Insofern ist das Moratorium zum Zweck der Sicherheitsüberprüfung richtig. Ich bin dankbar dafür, dass die Bundesregierung sofort die Initiative ergriffen hat, um eine solche Überprüfung auch auf europäischer und internationaler Ebene anzustoßen; das ist in gleichem Maße notwendig wie hier in Deutschland. ({2}) Nach wie vor gibt es keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wie sich die Abläufe in den japanischen Kernkraftwerken tatsächlich darstellen, aber wir haben erste Erkenntnisse: Es gab Probleme trotz Mehrfachredundanzen beim Kühlsystem und bei den Notstromaggregaten. Die FDP erwartet, dass die Überprüfung, die jetzt durchgeführt wird, den neuesten Sicherheitsstandards entspricht. ({3}) Herr Gabriel, Sie haben hier davon gesprochen, dass die Bundesregierung etwas „mit den Herren der Atomwirtschaft im Hinterzimmer“ ausgehandelt habe. Deshalb will ich nochmals aus der Vereinbarung zitieren: Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und Gesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter gewährleistet; die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard und die diesem zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. Dieser Vertrag, Herr Gabriel, trägt die Unterschrift von Herrn Schröder und Herrn Trittin und ist von Herrn Steinmeier mit ausgehandelt worden. ({4}) Wenn jemand etwas „mit den Herren der Atomwirtschaft im Hinterzimmer“ ausgehandelt hat, dann sind Sie es, nicht diese Bundesregierung. ({5}) Sie haben einen Sicherheitsrabatt gewährt, und jetzt gerieren Sie sich hier als Moralinstanz. Wir haben bei der Änderung des Atomgesetzes im letzten Jahr erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Sicherheitsanforderungen dynamisiert, ({6}) indem wir den § 7 d in das Atomgesetz eingefügt haben. Sie haben hier kritisiert, dass das nur zwei Zeilen seien. Ein Paragraf hat in der Regel auch nur wenige Zeilen. Dieses Gesetz wird aber selbstverständlich ausgefüllt mit einem untergesetzlichen Regelwerk, das den neuesten, modernsten Standards entspricht. Das ist die Sicherheitsphilosophie, die wir anlegen, und diese hohen Sicherheitsstandards werden jetzt nochmals überprüft. ({7}) Mit uns wird es keinen Sicherheitsrabatt geben. Mit uns wird es aber auch kein hektisches Überbordwerfen aller Entscheidungen geben. Wir machen erst eine ergebnisoffene Prüfung, und danach werden wir die Konsequenzen ziehen. Ich glaube, dass das ein angemessenes, überlegtes und konsequentes Vorgehen ist. Diejenigen, die die sofortige Abschaltung der Kernkraftwerke fordern, nehmen für sich in Anspruch, im Besitz der Wahrheit zu sein. Das hat sich auch in der Debatte heute Morgen gezeigt. Sie sprechen anderen verantwortungsvolles Handeln ab. ({8}) - Herr Kuhn, weil Sie gerade dazwischenrufen, will ich Ihnen sagen: Ich finde ein solches Verhalten unerträglich. ({9}) Die Wahrheit ist, dass die Kernkraftwerke auf Basis einer Risikoanalyse betrieben werden. Dieses Risiko haben wir unter hohen Sicherheitsauflagen in der Vergangenheit als verantwortbar betrachtet. Das gilt nicht nur für die Koalition, sondern auch für Grüne und SPD. Dadurch, dass Sie einen Atomkonsens vorgelegt haben, haben Sie deutlich gemacht, dass die Kernkraftwerke auch aus Ihrer Sicht weiterbetrieben werden können. Sie haben gezeigt, dass auch Sie nach einer Risikoanalyse zu dem Schluss kamen, dass der Betrieb technisch verantwortbar ist. Sonst hätten Sie eine solche Entscheidung nicht treffen können. ({10}) Genauso richtig ist es, dass jetzt eine Neubewertung dieser hohen Sicherheitsstandards angezeigt ist. Es ist richtig, noch einmal darüber nachzudenken, ob noch mehr getan werden muss. Genau das tun wir. Herr Gabriel, Sie haben Ihre bemerkenswerte Rede mit einer Vielzahl von Diffamierungen gespickt. Sie haben gesagt, dass die Regierung Sicherheitsprobleme vertuscht hat, dass Tricks der Atomwirtschaft gebilligt werden, und Sie haben von Deals gesprochen. Sie sprechen denen, die zu einem anderen Ergebnis kommen, die Ehre und die Verantwortung ab. Deshalb will ich Ihnen in aller Ruhe, aber auch mit allem Nachdruck sagen: Diese Debatte wird von Ihnen in einem Duktus geführt, der Anstand und den nötigen Respekt vor der Meinung anderer vermissen lässt. ({11}) Auch die Emotionalität dieser Debatte rechtfertigt ein solches Vorgehen nicht. Das ist ein erschreckendes Beispiel für Ihr Verständnis von demokratischer Kultur und zeigt, dass Sie nicht regierungsfähig sind. ({12}) Wenn wir über das Energiekonzept sprechen, dann sprechen wir über Versorgungssicherheit, über Bezahlbarkeit und über Umweltverträglichkeit. Deshalb müssen wir auch einmal darüber reden, was passiert, wenn diese sieben Kernkraftwerke jetzt vorübergehend stillgelegt werden. Wir wollen vor allen Dingen eines nicht: Wir wollen nicht, dass Stromimporte aus Kernkraftwerken, die weniger sicher sind, in Deutschland als Ersatz dienen. ({13}) Im Augenblick führt das Stilllegen dieser Kernkraftwerke dazu, dass in der Grundlast ein Ausgleich durch eine stärkere Nutzung von Steinkohle und Erdgas, also durch fossile Energieträger, erfolgt. Wenn dieser Ausgleich je zur Hälfte durch Steinkohle und Erdgas erfolgt, dann verursacht diese dreimonatige Abschaltung zusätzlich 6,3 Millionen Tonnen CO2-Emissionen. So viel zum Thema Klima. Auch das muss in einer solchen Debatte deutlich gemacht werden. Wir brauchen einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Zielen. Dieser Ausgleich muss auch in Zukunft berücksichtigt werden. Deshalb rate ich Ihnen dringend, Ihre Position zur Energiepolitik, beispielsweise bezogen auf die Modernisierung von Kohlekraftwerken, zu überdenken. Es gibt mittlerweile eine hocheffiziente neue Generation von Kohlekraftwerken, die deutlich weniger CO2Emissionen ausstoßen. Wenn wir die alten Kraftwerke durch diese neuen ersetzen würden, dann könnten wir an dieser Stelle hinsichtlich der Grundlast weiterkommen. Sie sind es, die im Augenblick in Nordrhein-Westfalen diese hocheffiziente Technik verhindern. ({14}) Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, und auch unser Energiekonzept sieht vor, dass die Nutzung der Kernenergie ausläuft. Aber wir wollten eben nicht nur vom Zeitalter der erneuerbaren Energien träumen, sondern wir haben auch gesagt, wir müssen ein Gesamtkonzept haben, wie das tatsächlich erreicht werden kann. Dieses Gesamtkonzept haben wir im letzten Jahr vorgelegt. Wir wollen unser Ziel schneller erreichen, aber dann müssen wir in der Tat über Wasserkraftwerke sprechen, die von der Opposition bekämpft werden, ({15}) dann müssen wir über Biogasanlagen sprechen, die von den Grünen bekämpft werden, und dann müssen wir über die Nutzung von Windenergie sprechen, die wir gerade auch offshore ausbauen wollen. Das haben wir im Energiekonzept festgelegt. Nur, wenn das kommt, dann muss man auch dafür sorgen, dass diese Energie zum Verbraucher kommt, indem die Leitungen entsprechend ausgebaut werden. ({16}) Deshalb ist es notwendig, dass wir über diese Frage sprechen und hier auch ein Gesetz auf den Weg bringen, das diesen Leitungsausbau beschleunigt. ({17}) Ich finde es ganz bemerkenswert, dass jetzt in dem Energiekonzept der SPD Geld aus dem Bundeshaushalt für den Leitungsausbau gefordert wird. Das brauchen wir nicht. Dafür gibt es Netzentgelte. Ich will Ihnen deutlich sagen: Der Netzausbau, der zwingend notwendig ist, um die erneuerbaren Energien weiter voranzutreiben, ist bisher nicht am Geld gescheitert, er ist am Protest gescheitert. Zwischenzeitlich zeigt sich in Deutschland: Stuttgart 21 ist überall, die Dage10896 gen-Gesellschaft hat sich unter Führung von SPD und Grünen etabliert. ({18}) Deshalb ist die Gretchenfrage an die Opposition, ob auch Sie zum Umdenken bereit sind, um ein neues Energiekonzept auf den Weg zu bringen. Beenden Sie den Dauerprotest ({19}) gegen die Modernisierung der deutschen Energielandschaft! ({20}) Meine Damen und Herren von der Opposition, wir wollen diese Situation, diese schwierige Lage zum Anlass nehmen, neu nachzudenken. Wir haben unser Energiekonzept überdacht. Wir haben jetzt angeordnet, dass es nochmals eine Sicherheitsüberprüfung aller Kernkraftwerke gibt, und zwar unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus diesem Unglück in Japan. Ich sage ganz deutlich: Wir wollen das Zeitalter erneuerbarer Energien schneller erreichen. Sie sind gefordert, dazu beizutragen. Wie glaubwürdig Ihre Position ist, wird daran gemessen, ob auch Sie bereit sind, umzudenken. ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Japan ist eine furchtbare, unvorstellbare Katastrophe passiert. Die Menschen erlebten ein schweres Erdbeben und in dessen Folge einen Tsunami mit Tausenden Opfern, Hunderttausenden Obdachlosen und verheerenden Zerstörungen. Nun werden sie auch noch einen Super-GAU mit unvorstellbaren Folgen erleben. Millionen Menschen können durch die Radioaktivität an Krebs erkranken - mit allen Folgen. Dies geschieht den Japanerinnen und Japanern, die als Einzige schon die furchtbaren Leiden eines Atombombeneinsatzes durch die USA 1945 auf Hiroshima und Nagasaki erleben mussten. Wir trauern um die zahlreichen Opfer. Unser tiefes Mitgefühl gilt ihren Angehörigen. Es ist aber unvorstellbar und unverantwortlich, dass gerade nach den schrecklichen Erlebnissen 1945 japanische Konzerne und japanische Politik den vielfachen Bau von Atomkraftwerken vorantrieben. Japan hätte der erste Verweigerer sein müssen. ({0}) Aber nun ist die Katastrophe geschehen. Durch keine Kritik wird sie ungeschehen. Es trifft vornehmlich immer Unbeteiligte und Unschuldige. Unsere gemeinsame erste Entscheidung muss sein, den Menschen in Japan jegliche mögliche Hilfe zu leisten. ({1}) Das Ereignis in Japan ist eine Zäsur, ein Zivilisationsbruch in der Geschichte des industriell-kapitalistischen Zeitalters. In den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts gelang es deutschen Physikern im Laborversuch, die erste künstliche radioaktive Kernspaltung auszulösen. Die Büchse der Pandora war geöffnet. Die erste daraus folgende Katastrophe war die Entwicklung der Atombombe. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann zwischen der militärischen und der friedlichen Nutzung der Atomenergie unterschieden. In den 50er-Jahren setzten die Industriestaaten, das heißt sowohl die kapitalistischen als auch die staatssozialistischen Länder, auf die friedliche Nutzung der Atomenergie. Doch die Unterscheidung zwischen unfriedlicher und friedlicher Atomenergie ist aus zwei Gründen falsch und mit hohen Risiken verbunden, die weder beherrschbar noch kontrollierbar sind. ({2}) Erstens. Wer über die Technologie der friedlichen Nutzung der Atomenergie verfügt und aus AKW Strom erzeugen kann, ist potenziell in der Lage, auch Atomwaffen herzustellen. Wir wissen, dass trotz des Nichtverbreitungsvertrages inzwischen mehr Staaten als die fünf damaligen Atommächte über Atomwaffen verfügen. Außer den USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich verfügen auch Pakistan, Indien und Israel über Atomwaffen. Die Beispiele Iran und Nordkorea zeigen, dass diese Gefahren nicht beseitigt sind. Es muss endlich konsequent damit begonnen werden, alle Atomwaffen in dieser Welt zu vernichten. Erst dann hat die internationale Gemeinschaft das Recht, weltweit den Bau neuer Atomwaffen zu unterbinden. ({3}) Zweitens. Mit der Unterscheidung zwischen militärischer und friedlicher Nutzung der Atomkraft gab man sich dem Trugschluss hin, dass die militärische Nutzung viel riskanter wäre. In vielen Industriegesellschaften, insbesondere in Frankreich und Japan, erzielte die friedliche Nutzung der Atomkraft zur Stromerzeugung eine hohe Akzeptanz. Diese Akzeptanz beruhte darauf, dass man die Risiken bei der friedlichen Nutzung für beherrschbar hielt, sich einen GAU oder gar einen SuperGAU nicht vorstellen konnte. Die Unterscheidung zwischen gutem und schlechtem Uran ist falsch. Beides - der Abwurf einer Atombombe wie ein nicht vorhersehbarer Unfall in einem Atomkraftwerk - ist hinsichtlich der Folgen nicht beherrschbar. Unsere Zivilisation kann stark beschädigt, sogar vernichtet werden. ({4}) Die Frage stellt sich: Hätten wir alle - die Verantwortlichen in Japan, in Deutschland und in allen anderen Ländern - nicht klüger und sehr viel vorsichtiger sein müssen? Es gab den Atomunfall im AKW Three Mile Island bei Harrisburg in den USA im Jahre 1979. Dort trat - auch ohne Erdbeben, ohne Tsunami - bereits eine begrenzte Kernschmelze ein, weil die Kühlsysteme versagten. Dann kam die unvorstellbar große Katastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren mit einer vollständigen Kernschmelze. Noch immer glüht dieser Reaktor umgeben von einem Betonsarkophag vor sich hin. Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt. Diese deutlichen Warnungen wollten nicht verstanden werden. Harrisburg wurde nicht wirklich ernst genommen und bei Tschernobyl einfach die Unfähigkeit der Russen und der Staatssozialisten unterstellt. Im Unterschied dazu - so konnte man es lesen - bauen die Japaner, die Deutschen und andere nur höchst sichere Atomkraftwerke, bei denen nichts passieren könne. Nun sind wir in Japan auf tragische Weise vom Gegenteil überzeugt worden. Wir alle dürfen und müssen eine einzige logische Konsequenz ziehen: Der 11. März 2011 muss das Ende des nuklearen Industriezeitalters eingeleitet haben. ({5}) Das ist nicht nur eine wissenschaftlich-technische, sondern auch eine politische, eine Macht- und eine Menschheitsfrage. Die Atomindustrie besteht aus Unternehmen, die die AKW bauen, und Unternehmen, die die AKW betreiben. Diese besitzen nicht nur finanzielle und ökonomische Macht, sie haben nicht nur beträchtlichen Einfluss auf politische Entscheidungen; sie dominieren diese und damit auch die Bundesregierung und eine große Zahl von Abgeordneten. Schon die Bundesregierung aus SPD und Grünen traute sich nicht, den Atomausstieg einfach per Gesetz im Bundestag durchzusetzen. Sie ließ sich auf Verhandlungen mit der Atomlobby ein und schloss mit ihr einen Ausstiegskompromiss ab. Warum, Herr Trittin, konnten Sie und Ihre sozialdemokratischen Mitstreiter den Atomlobbyisten nicht einfach sagen, dass die Mehrheit des Bundestages entscheiden wird? Wir sind das höchste demokratisch gewählte Organ der Bundesrepublik Deutschland. Warum feilschten Sie mit den nicht gewählten Atomlobbyisten herum, bis Sie einen unzureichenden Ausstiegskompromiss erzielten? ({6}) Warum haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, diesen Kompromiss auch noch aufgekündigt und auf Drängen der Atomlobbyisten die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke beschlossen? Es ging um nichts anderes als um Extraprofite der Stromkonzerne Eon, EnBW, RWE und Vattenfall in Höhe von 120 Milliarden Euro. Diese Lobbyistenpolitik gefährdet unsere Demokratie. ({7}) Frau Bundeskanzlerin, besitzen Sie doch die Souveränität, den Mut, den Atomlobbyisten klar und deutlich zu widersprechen, sich hier hinzustellen und Ihren Irrtum hinsichtlich der Risikogefahren einzuräumen und den unverzüglichen Ausstieg aus der Gewinnung der Atomenergie zu verkünden. Nur das entspräche Ihrem Amtseid. Nur das könnte Schaden von unserer Bevölkerung abwenden. Nur dann verhielten Sie sich wie eine Bundeskanzlerin für das gesamte Volk. Ihre heutige Erklärung spricht noch nicht für Ihre Bereitschaft, diesen notwendigen Weg zu gehen. Ein dreimonatiges Moratorium, unabhängig von der rechtlichen Bewertung, täuscht und hilft nicht weiter. Wir brauchen keine vorübergehende, sondern eine endgültige Abschaltung der Atomkraftwerke. ({8}) Unabhängig davon müssen Sie unverzüglich und sofort einen Strompreisstopp durchsetzen. Die Konzerne haben genügend Profitpolster. Sie müssen die Verluste tragen, nicht die Bürgerinnen und Bürger und nicht die anderen Unternehmen. ({9}) Die Politik muss wieder für die Strompreiskontrolle zuständig werden. Meine Damen und Herren von der SPD und von den Grünen, Sie haben beim Bundesverfassungsgericht eine Normenkontrollklage eingereicht, weil Ihr früherer Atomkompromiss von der Mehrheit des Bundestages unter Ausschluss des Bundesrates aufgekündigt wurde. Diesen Ausschluss und andere Regelungen halten Sie und wir für grundgesetzwidrig. Wir haben Ihnen angeboten, diese Normenkontrollklage gemeinsam zu erarbeiten. Sie haben dies abgelehnt mit dem Hinweis, das sei Ihr Thema und nicht unseres. Sie haben tatsächlich nicht begriffen, dass dies ein Thema für die gesamte Bevölkerung, auch für den linken Teil der Bevölkerung ist. ({10}) Sie haben uns vorgestern, auch im Angesicht der gewaltigen Katastrophe, erklärt, dass wir die Klage nur dann mit unterschreiben dürften, wenn wir trotz Ihres Beteiligungsverbots ein Drittel der Kosten übernähmen. Überwinden Sie Ihre Kleinkariertheit! Überwinden Sie Ihren Egoismus! Überwinden Sie Ihren Egozentrismus! Lassen Sie alle, die es wollen, unterschreiben! ({11}) Sie können nicht bei Ihrem alten Kompromiss - mit Ausnahme der älteren und pannengeprägten AKW bleiben. Auch die neueren AKW können nicht mit langen Fristen - Herr Gabriel, auch nicht zehn Jahre - weiterlaufen. Auch Sie müssen sich einen Ruck geben und begreifen, dass das nukleare Zeitalter nicht irgendwann, sondern unverzüglich zu beenden ist. ({12}) Es geht nicht nur um die Frage des Ausstiegs, sondern zugleich auch darum, ob sich die Politik endlich gegen die Atomindustrie durchsetzt, ob diesbezüglich das Primat der Politik hergestellt, die Demokratie wieder funktionsfähig wird. Im letzten Jahr konnte während der Finanzkrise jeder erleben, dass die Spekulanten und Bankenchefs das Geschehen und die Politik dominier10898 ten. Diese sind eng mit den Atomlobbyisten verbunden. Gemeinsam scheinen sie eine kaum zu durchdringende ungeheuerliche Macht zu besitzen. Aber sie haben nur ein wirkliches Interesse: die Steigerung ihres Profits. Nur wenn die Politik den Mut und die Kraft entwickelt, die Dominanz dieser Spekulanten, Bankenchefs, Atomlobbyisten und anderer Konzernlobbyisten zu durchbrechen und den Vorrang der demokratischen Institutionen zu sichern, sind wir für unsere Bevölkerung tätig, retten wir unsere Demokratie und werden wir unserer Funktion als Volksvertreterinnen und Volksvertreter im Bundestag gerecht! ({13}) Die Linke fordert: Erstens. Wir brauchen unverzüglich ein Konzept für die mögliche Hilfe gegenüber den Japanerinnen und Japanern. Diese Hilfe ist auch zu leisten. Zweitens. Die Nutzung der Atomkraft für militärische Zwecke und zur Energieerzeugung muss grundsätzlich ausgeschlossen werden, um den Ausstieg unumkehrbar zu machen. Deshalb brauchen wir diese Verpflichtung im Grundgesetz. ({14}) Das Verbot der Nutzung von Atomenergie ist Bestandteil der Verfassung von Österreich, einem Mitgliedsland der EU. Es ist also machbar, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. Drittens. Die ältesten und pannengeschüttelten acht AKW sind sofort und auf Dauer stillzulegen. ({15}) Es handelt sich um Biblis A, Neckarwestheim 1, Biblis B, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser, Philippsburg 1 sowie Krümmel. Die verbleibenden neun AKW sind unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Verzögern, stillzulegen. Hierzu muss die Bundesregierung einen entsprechenden Atomausstiegsgesetzentwurf bis spätestens 30. April 2011 vorlegen. ({16}) Viertens. Verboten werden muss der Export von Atomtechnologie. Siemens und andere Unternehmen haben auch für die AKW in Japan Ausrüstungen geliefert. Sie müssen verpflichtet werden, diesen Produktionszyklus stillzulegen und aus der Technologie auszusteigen. ({17}) Ebenso ist folgerichtig, Frau Bundeskanzlerin, dass wir keinen Atomstrom importieren dürfen. Fünftens. Die Bundesregierung muss sich für die Auflösung des Euratom-Vertrages einsetzen, damit die damit einhergehende Förderung der Atomenergie beendet wird. Sechstens. Wir fordern einen Strompreisstopp ({18}) und die Wiedereinführung der Strompreisregulierung durch die Politik statt durch die Energiekonzerne. ({19}) Siebtens. Wir brauchen unverzüglich ein Energiekonzept der Zukunft, das mit unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Umweltverbänden und kommunalen Energieversorgern erarbeitet werden muss, also nicht mehr die Handschrift der Energiekonzerne tragen darf. Dazu gehören aus unserer Sicht ein Sofortprogramm für die erneuerbaren Energien, ein umfassendes Energieeffizienzprogramm, ein Netzumbauplan, die Entwicklung und Etablierung effizienter Speichertechnologien und eine Dezentralisierung und Rekommunalisierung der Energieerzeugung. ({20}) Achtens. Die Bundesregierung muss sich bei der Organisation der Vereinten Nationen und der Europäischen Union entschieden für einen weltweiten bzw. europäischen Ausstieg aus der Atomenergie für militärische Zwecke sowie zur Energiegewinnung einsetzen. Das Gleiche gilt für ein Moratorium für sämtliche weltweit bzw. europaweit geplanten Neubauten von Atomanlagen egal ob für militärische Zwecke oder zur Energiegewinnung. ({21}) Eine Volksinitiative der europäischen Völker zu diesen Fragen wäre sehr zu begrüßen. ({22}) Heute haben wir die Chance, zu beweisen, dass wir spät - für die Japanerinnen und Japaner zu spät - Lehren aus Ereignissen ziehen können. Heute können wir beweisen: Der Deutsche Bundestag entscheidet nicht länger im Interesse der Atomlobbyisten, sondern im Interesse der Bevölkerung unseres Landes und sendet zur Lösung einer Menschheitsfrage ein wichtiges Signal weit über Deutschland hinaus. ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Volker Kauder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn man abends die Nachrichten einschaltet oder tagsüber im Büro einen Blick auf das Fernsehgerät wirft, kann man die Bilder, die aus Japan zu uns herüberkommen, kaum aushalten. Man kann sich buchstäblich vorstellen, wie man selber in einer solchen Situation reagieren würde, welche Sorgen und Ängste man um sich, seine Familie, seine Kinder hätte. Gleichzeitig erlebt man Menschen, die in einer Ruhe, wie ich sie bei solchen Katastrophen bisher noch nicht erlebt habe, versuchen, ihr Land wieder aufzubauen und die Sache in den Griff zu kriegen. Ich kann nur sagen: Man ist betroffen und beeindruckt zugleich. Die Bilder, die aus Japan kommen, verschlagen einem die Sprache. ({0}) Vor diesem Hintergrund habe ich es als eine völlig normale Reaktion betrachtet, dass der Parteivorsitzende der SPD, Gabriel, am Sonntag gesagt hat, dass man genau dieses Unfassbare, was in Japan geschehen ist, nicht instrumentalisieren darf. Ich fand das eine bemerkenswerte Aussage, Herr Gabriel. Leider Gottes hat sie nur ein paar Stunden gehalten. Das ist das Traurige daran. ({1}) Natürlich ist doch völlig klar, dass man sich die Frage stellt: Wie geht es nach diesem Drama in Japan weiter in diesem Land, in Deutschland, in Europa und überall in der Welt? Als ob es nicht schon genug gewesen wäre, dass durch Erdbeben und Tsunami ein Teil des Landes einfach weggespült wurde, kommt jetzt auch noch dieses Drama um das Kernkraftwerk in Japan hinzu. Um es noch einmal klar zu sagen, Herr Gabriel: Ihre Aussage stimmt nicht. Wir haben in unserem Energiekonzept klar formuliert: Ausstieg aus der Kerntechnologie und Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Das war vor den Ereignissen in Japan, Herr Gabriel, nicht danach. ({2}) Ich glaube, dass die Menschen für die Schlachten der Vergangenheit überhaupt kein Verständnis haben. ({3}) Es kommt auch gerade nicht darauf an, zu sagen, ob man recht gehabt hat oder nicht. ({4}) Es kommt jetzt auf die entscheidende Frage an: Was lernen wir und was müssen wir aus dem konkreten Vorgang lernen, und wie sieht die Zukunft der Energieversorgung in unserem Land und in Europa aus? Das ist die entscheidende Frage. ({5}) Um eine solche Diskussion nach diesem Aufwühlenden, das wir aus Japan sehen, wirklich ernsthaft führen zu können, war es richtig, Frau Bundeskanzlerin, das Signal zu geben: Wir meinen es ernst mit der Überprüfung, wir machen nicht einfach so weiter, sondern wir haben deswegen ein Moratorium beschlossen, sodass wir einen Teil aussetzen und noch einmal genau überprüfen, wie die Lage nach den Ereignissen in Japan jetzt aussieht. Das ist richtig, und das tragen wir aus den Koalitionsfraktionen auch mit. ({6}) Natürlich hat es im Vorfeld dieses Energiekonzeptes Diskussionen über die Frage gegeben, wie Laufzeiten ausgestaltet werden sollen - auch in unserer Fraktion. Wir sind zu einem Ergebnis gekommen, von dem wir der Meinung sind, dass es in der konkreten Situation richtig war. Umso beeindruckter und dankbarer war ich dann darüber - das muss ich auch einmal sagen -, dass der Antrag, der heute vorgelegt wird, am letzten Dienstag in unserer Fraktionssitzung einstimmig verabschiedet wurde. Das zeigt: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht geschlossen hinter dem, was die Bundeskanzlerin heute Morgen vorgetragen hat. ({7}) Natürlich erlebe ich Diskussionen, in denen Fragen gestellt werden. Das ist völlig in Ordnung. Wir haben uns auf ein Moratorium, eine Denkpause, verständigt. Dieses Moratorium kann man nur dann ernsthaft durchführen, wenn man nicht schon beim Start weiß, was am Ende herauskommen soll. ({8}) Das wäre keine Überprüfung, sondern die Fortsetzung einer Ideologie, ({9}) die wir jetzt gerade nicht brauchen können. ({10}) Natürlich wissen wir, dass es trotz aller Sicherheitsanforderungen - und ich bin der Überzeugung, dass wir jetzt schon die sichersten Kernkraftwerke haben - in dieser Technologie ein Restrisiko geben kann und gibt. ({11}) Es wird die Frage zu klären sein: Welches Restrisiko tragen wir? Ich will Ihnen von Rot-Grün einmal etwas sagen: ({12}) Es ist unglaublich, wie Sie sich aufführen. Sie sagen, Kernenergie sei nicht verantwortbar, haben aber in Ihrem rot-grünen Kompromiss zur Kernenergiepolitik die Kernkraftwerke 20 Jahre lang weiter am Netz gehalten. ({13}) Was gilt nun eigentlich? Sie haben sich damals - Herr Trittin spricht ja gleich -, als Sie ausgestiegen sind, diesen Ausstieg mit Verzicht auf Sicherheit erkauft, meine Damen und Herren von Rot-Grün. ({14}) Wir haben immer formuliert: Wir wollen, dass an der Sicherheit keinerlei Abstriche gemacht werden. Deswegen habe ich die Differenzierung zwischen alten und neuen Kernkraftwerken nie akzeptiert. ({15}) Ein Kernkraftwerk muss die bestmögliche Sicherheit haben, ganz egal, wie jung oder wie alt es ist. ({16}) Es überzeugt nicht, wenn Sie sagen: Die alten nehmen wir vom Netz, ohne zu prüfen, ob sie sicher sind, und die neuen lassen wir einfach weiterlaufen. ({17}) Unsere Politik heißt: Sicherheit zuerst! Das ist unser Motto. ({18}) Danach verfahren wir jetzt auch in dem Moratorium. Dieses Moratorium ist nichts anderes als die Konkretisierung unserer Aussage „Sicherheit zuerst“. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist richtig, was die Bundeskanzlerin gesagt hat: Wir können nicht blauäugig nach dem Motto „Sicherheit zuerst“ nur in Deutschland verfahren. Wir sind umgeben von Kernkraftwerken, zum Beispiel von Kernkraftwerken im Oberrheingraben, auf der anderen Seite des Rheins. Dort müssen die Fragen nach der Sicherheit genauso gestellt werden. Die Frage der Sicherheit der Kernenergie ist keine nationale, sondern inzwischen eine weltweite Herausforderung. ({19}) Sämtliche kleinkarierte Diskussionen nützen da überhaupt nichts.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist ebenfalls klar, dass wir in dem Moratorium nicht nur die Frage „Sicherheit zuerst“, sondern auch die Frage nach der Sicherstellung der Energieversorgung stellen müssen und werden. Es ist völlig klar, dass wir in einem Land, das die Arbeitslosigkeit durch den Erfolg der Industrie überwunden hat, nicht so tun können, als ob Industrie und Sicherheit von Arbeitsplätzen mit der Energieversorgung nichts zu tun hätten. Das geht auf keinen Fall. ({0}) Ich höre bereits die Rufe aus der einen oder anderen Ecke: Natürlich muss das, wenn wir zum Abschalten oder früheren Vom-Netz-Nehmen von Kernkraftwerken kommen, ausgeglichen werden. Ich kann nur sagen: Wenn wir es in diesem Hause ernst meinen mit den vielen Diskussionen, die wir bezüglich des Klimawandels bereits geführt haben und die wir noch führen werden, dann kann man jetzt nicht auf einmal so tun, als ob das Thema „Sicherstellung der Energieversorgung“ frei von solchen Überlegungen wäre. ({1}) Das ist es eben nicht. Deswegen geht es nicht nach dem Motto: Dann müssen mehr Kohlekraftwerke gebaut werden. Heute Morgen las ich, was Ministerpräsident Platzeck gesagt hat. Angesichts der Tatsache, dass 13 000 Arbeitsplätze im Kohleabbau und der -verstromung bestehen, antwortet Herr Platzeck auf die Fragen, ob jetzt nicht bei der Kohle aufgerüstet werden müsse, wie es mit der Umwelt aussehe und ob man nicht CCS machen wolle: Wenn CCS keine beherrschbare Technologie ist, verwenden wir sie nicht. ({2}) Aber ich sage Ihnen: Einen weiteren Ausbau der Kohleverstromung, ohne dass wir die CO2-Problematik beachten, sehe ich noch nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({3}) Deswegen führt der Weg ganz eindeutig in den schnelleren Ausbau erneuerbarer Energie. ({4}) - Da brauchen Sie gar nicht so zu rufen. Ich will Ihnen jetzt eine Zahl vorstellen: Als Sie damals den Ausstieg beschlossen haben - man muss immer betonen, dass das ein Ausstieg war, der Kernkraftwerke noch weitere 20 Jahre am Netz hält -, haben Sie relativ wenig für den Ausbau erneuerbarer Energie getan. ({5}) Sie haben die Photovoltaik - ({6}) - Sehr gut, Frau Künast, Sie geben mir das Stichwort. ({7}) Sie haben den bemerkenswerten Satz gesagt: Die erfolgreiche Automobilindustrie muss schrumpfen, und die Solarenergie muss wachsen. ({8}) Jetzt sage ich Ihnen, was Sie mit Rot-Grün erreicht haben. Der Anteil des Stroms, der aus erneuerbaren Energien stammt, liegt heute bei 17 Prozent. ({9}) Die Solarenergie macht genau 2 Prozent aus, meine Damen und Herren. ({10}) Mit diesem Ausbau werden wir in 20 Jahren nicht bei mehr als den 50 Prozent sein, die wir brauchen. ({11}) Deswegen muss der Weg rasch zur Windenergie und in die großen Windparks führen. Frau Künast und Herr Trittin, ich freue mich schon darauf, dass Sie mit uns Seite an Seite von Kommune zu Kommune ziehen und dafür werben, dass wir die dafür notwendigen Trassen ausbauen. Das ist eine Demonstration für den Ausbau der Infrastruktur, die notwendig ist, um dieses Land voranzubringen. ({12}) Ich bin sehr gespannt, ob Sie bereit sind, aus der Dagegen-Partei zu einer Dafür-Partei zu werden. ({13}) Das, was die Bundeskanzlerin ausgeführt hat, ist richtig. Es gibt Situationen im privaten und im öffentlichen Leben, bei denen nachher nichts mehr so ist, wie es vorher war. Deshalb machen wir in diesem Moratorium Ernst mit der Aussage: Sicherheit zuerst. Wir laden alle ein, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Schlecht für die Fraktion Die Linke.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kauder, wenn man Ihre Rede anhört, kann man sicherlich Übereinstimmungen mit Ihnen bei der Bewertung der bedrückenden Situation in Japan finden. Aber ich muss feststellen: Sie haben aus Ihren Beobachtungen überhaupt nichts gelernt. ({0}) Ihre Philosophie ist nach wie vor, dass man Atomkraftwerke sichermachen könne. Japan hat Folgendes gezeigt - das war vor 25 Jahren nach Tschernobyl schon völlig klar; das ist spätestens nach der Katastrophe in Japan überdeutlich geworden -: Das einzig Sichere an der Atomkraft sind die Unsicherheit und die gigantische Gefährdung der Bevölkerung. Sie verfolgen weiterhin die Philosophie, man müsse die Atomkraft nur sicherer machen; dann könne man sie auch noch weitere 10, 20 oder 30 Jahre in diesem Lande tolerieren. Es ist unverantwortlich, was Sie hier vorgetragen haben. ({1}) Das wird auch dadurch überdeutlich, dass sich Ihr Ministerpräsident in Baden-Württemberg, der im Volksmund einmal Rambo-Mappus, ein anderes Mal AtomMappus heißt, im letzten Jahr als Vorkämpfer der Laufzeitverlängerung aufgespielt hat. Er wollte Minister Röttgen sogar aus dem Kabinett werfen, weil er nicht zackig genug funktioniert hat. Es ist absolut unglaubwürdig, was in Baden-Württemberg passiert. Ihre Bemerkungen hier belegen sehr deutlich, dass man davon ausgehen muss, dass bestenfalls die Kraftwerke ein bisschen optimiert werden. Aber auch Sicherheitsoptimierungen bieten keine Gewähr dafür, dass nicht apokalyptische Katastrophen auf die Bevölkerung zukommen. Danke schön. ({2})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege, man sollte nicht glauben, dass Sie während meiner Rede hier auf Ihrem Platz im Deutschen Bundestag gesessen sind. Ich habe nämlich das glatte Gegenteil von dem gesagt, was Sie gerade unterstellt haben. Ich habe gesagt, dass wir während des Moratoriums alles auf den Prüfstand stellen und nach dem Moratorium auf Grundlage der zusätzlichen Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, entscheiden. Ich will heute eigentlich keine Schärfe in die Diskussion bringen. ({0}) - Warten Sie einmal ab, wenn es wirklich ernst wird. Aber eines will ich Ihnen sagen: Jemand, der jeden Tag demonstriert, dass er offenkundig aus seiner eigenen Vergangenheit nichts gelernt hat, braucht mir keine Belehrungen zu geben. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich, wie viele Grüne, kämpfe seit 30 Jahren gegen die Atomenergie. Wir haben in Brokdorf demonstriert, wir haben in Grohnde im Wendland demonstriert. Wir haben in einem sehr schwierigen Kompromiss ein Ausstiegsgesetz auf den Weg gebracht, das zum ersten Mal in der Geschichte bis dahin unbegrenzte Laufzeiten endlich begrenzt. ({0}) Aufgrund dieses Gesetzes sind die Kraftwerke in Stade, Obrigheim und Mülheim-Kärlich vom Netz gegangen, in diesem Jahr wären die Kraftwerke Neckarwestheim 1, Biblis A und Isar 1 dazugekommen. Sie wären endgültig stillgelegt worden und müssten nicht nur drei Monate pausieren. ({1}) Für dieses Engagement haben wir einen Grund: Eine Technik, bei der nichts schiefgehen darf, ist nicht verantwortbar, sie ist nicht menschengerecht; denn Menschen und ihre Technik machen Fehler. Ich sage Ihnen dennoch: Ich hätte nie geglaubt, dass in einem Land wie Japan parallel in sechs Reaktorblöcken diese Anlagen außer Kontrolle geraten können. Ich hätte nicht geglaubt, dass wir in drei Reaktorblöcken heute von einer Kernschmelze ausgehen müssen. Ich hätte auch, ehrlich gesagt, nicht geglaubt, dass wir in eine Situation geraten, in der drei Brennelementelager nicht mehr zu kühlen sind und sich entzünden. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass nach Hiroshima Japan mit Fukushima eine zweite atomare Katastrophe droht. Deswegen muss unser Mitgefühl den Menschen gelten. Wir sollten jenen Tapferen, die unter Einsatz ihres Lebens - das ist wörtlich zu nehmen: unter Einsatz ihres Lebens - zu retten versuchen, was vielleicht nicht mehr zu retten ist, danken. ({2}) Dieser Unfall ist eine tiefe Zäsur; die Menschen empfinden das so. Vor zwei Tagen haben spontan über 100 000 Menschen an Mahnwachen teilgenommen. Aber auch in ganz anderen Kreisen spielt das plötzlich eine Rolle. Ich bekomme monatlich von einem Finanzberater ein Finanztelegramm in Form einer E-Mail. Was passiert im März? Da, wo sonst für langfristige Wertpapiere geworben wird, prangt ein Aufkleber, auf dem steht: „Atomkraft? Nein danke“. Und: Tun Sie was für den Ausstieg - wechseln Sie Ihren Stromanbieter. Das zeigt, es gibt in diesem Lande heute einen breiten Konsens, auszusteigen, und zwar wirklich, und es gibt einen Konsens, schneller auszusteigen. ({3}) Diesen Konsens spüren auch Sie. Herr Mappus hat gesagt, er sei in einem emotionalen Ausnahmezustand. In dieser Situation gehört alles auf den Prüfstand. Dazu gehört auch, dass wir Risiken realistisch betrachten und darstellen. Den Menschen müssen wir sagen: Ja, es ist wahr, dass in Deutschland Erdbeben dieser Größenordnung nicht wahrscheinlich sind. Aber es ist auch wahr, dass das im Rheingraben stehende AKW Biblis über Jahre nicht gegen die dort möglichen Erdstöße ausgelegt war, weil über 1 000 armdicke Dübel falsch montiert waren. Wir haben das nicht mehr durchgehen lassen. Wir haben die hessische Atomaufsicht gezwungen, diesen Missstand endlich zu beenden. ({4}) Von wegen Sicherheitsrabatt! Wir alle mussten jetzt lernen, dass man Kühlwasser korrekt mit Bor versetzen muss. Das war im Atomkraftwerk Philippsburg 1 nicht die Regel. Ich musste damals per Bundesaufsicht die baden-württembergische Aufsicht zwingen, dieses AKW so lange vom Netz zu nehmen, bis EnBW endlich für ein richtiges Sicherheitsmanagement gesorgt hat. ({5}) Es gibt Wasserstoffexplosionen, wie in Brunsbüttel 2001. Es gibt auch ein Verhalten wie das von Vattenfall, das geglaubt hat, es könne den Reaktor einfach weiter betreiben, bis es von der Aufsicht gezwungen wurde, ihn vom Netz zu nehmen. Meine Damen und Herren, verehrte Frau Bundeskanzlerin, die Kraftwerke, von denen ich hier rede, nennen Sie „die sichersten Atomkraftwerke der Welt“. ({6}) Was glauben Sie eigentlich, was die Schweizer oder die schwedische Regierung über ihre Kraftwerke sagen? Was glauben Sie, hätte der japanische Ministerpräsident noch letzte Woche über seine Kraftwerke gesagt? Sie überschätzen sich und Ihre eigenen Anlagen, wenn Sie so über die realistischen Risiken in deutschen Atomkraftwerken hinwegreden. ({7}) Sie haben diesen Altanlagen ohne Sicherheitsüberprüfung, ohne Nachrüstauflage, mit abgesenkten Sicherheitsstandards in Ihrem Herbst der Entscheidungen acht Jahre Laufzeitverlängerung gegeben. Lieber Herr Kauder, natürlich unterscheiden Sie zwischen Alt und Neu. Schauen Sie einmal in das von Ihnen verabschiedete Gesetz: Die Anlagen der einen Kategorie haben eine Laufzeitverlängerung von 14 Jahren bekommen, und die Anlagen der anderen Kategorie haben eine von 8 Jahren bekommen. Auch Herr Kauder unterscheidet zwischen Alt und Neu, aber nur bei der Auswahl der Geschenke für die Atomindustrie. ({8}) Wir wollen, dass diese Kraftwerke plus Krümmel jetzt und endgültig und nicht vorübergehend vom Netz gehen. Das ist die Voraussetzung für jedes ernsthafte Nachdenken. Es ist nicht ernsthaft, Frau Bundeskanzlerin, zu behaupten, man schaffe ein dreimonatiges Moratorium. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich jemals in die Situation komme, dem Kollegen Heinrich Sander von der FDP zuzustimmen. Er hat recht: Eine ernsthafte Sicherheitsüberprüfung von Anlagen ist in drei Monaten nicht möglich; dafür braucht man ein bis anderthalb Jahre. Auf welcher Grundlage wollen Sie vorgehen? Wollen Sie vorgehen auf der Grundlage Ihrer mit der letzten Atomgesetznovelle abgesenkten Sicherheitsstandards? Sollen dann nur die angemessenen und geeigneten Maßnahmen gelten, oder soll dabei der Stand von Wissenschaft und Technik gelten? ({9}) Wenn dieser gelten soll, lieber Herr Röttgen, dann müssen Sie das kerntechnische Regelwerk in Kraft setzen. Das ist übrigens ganz einfach: Sie müssen ein Dokument unterschreiben; ({10}) das kommt dann in den Bundesanzeiger. Sie müssen weder die Bundeskanzlerin noch Herrn Brüderle noch Herrn Fuchs fragen. Sie können es einfach machen. Es ist allein Ihre Kompetenz, aber es ist auch Ihre Verantwortung. ({11}) Deswegen sage ich zum Schluss: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben davon gesprochen: Wir brauchen einen Ausstieg mit Augenmaß. - Ihr Regierungssprecher hat das Wort „Augenmaß“ präzisiert. Herr Seibert sagt: Selbstverständlich gilt das Energiekonzept weiter, und deswegen laufen die Anlagen bis 2040. - Das ist ein Ausstieg mit Augenmaß? Das ist übrigens noch nicht einmal die ganze Wahrheit. Wenn die Betreiber der Altkraftwerke - und das steht allein in ihrem Belieben - diese Laufzeiten auf die neueren Anlagen übertragen, dann reden wir von Laufzeiten bis 2050. Das ist kein Ausstieg mit Augenmaß; das ist die Bestandsgarantie für eine gescheiterte Technik. ({12}) Ja, wir müssen raus, und zwar schneller. Das ist unbequem. Das ist unbequem für Sie, weil Sie Ihre Blockade der Windenergie in Hessen, Bayern und BadenWürttemberg endlich aufgeben müssen, wo weniger als 1 Prozent des Stroms aus Windenergie erzeugt wird. ({13}) Es ist unbequem für die FDP, für Herrn Lindner und auch für manche Sozialdemokraten, die meinen, damit könnte man wieder auf die Kohle setzen. Kohle wird den Ausbau erneuerbarer Energien jedoch ausbremsen. Deswegen geht das nicht. ({14}) Es ist unbequem für die Grünen, weil es jetzt nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie von mehr Strom aus Biogas geht. Es ist unbequem für uns alle, weil wir Leitungen bauen und Pumpspeicherkraftwerke errichten müssen. ({15}) - Ja. - Wir alle werden uns mit unseren Ortsverbänden darüber auseinandersetzen müssen. ({16}) - Auch Sie im Thüringer Wald mit Ihren FDP-Ratsfraktionen, meine Damen und Herren. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Trittin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Es wird nicht billiger. Es kostet mehr. Wir müssen andererseits aber auch klar sagen: Was ist das gegen die Kosten, vor denen heute Japan angesichts dieser Katastrophe steht? ({0}) Deswegen heißt es: Wir müssen raus aus der Atomenergie, schneller als vorgesehen. Das Restrisiko ist nach Fukushima nicht länger zu verantworten. Das ist der richtige Weg. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Sicherheitsdebatte geht es nicht darum, ob wir Kernkraftwerke im Rahmen der genehmigten Auslegung sicher betreiben können. Wenn das nicht gewährleistet wäre, dann hätten Sie, Herr Trittin, und Sie, Herr Gabriel, die Pflicht gehabt, diese Kraftwerke unverzüglich abzuschalten und keinen Übergang von 20 Jahren zu gestatten. ({0}) Die Lehre aus Japan ist eine andere. Sie besteht in der Frage, ob die Annahmen unserer Sicherheitsphilosophie korrekt sind. Reichen die Sicherheitspuffer aus? Sind die Puffer für die größtanzunehmenden äußeren Einwirkungen - ich nenne nur: Erdbeben - ausreichend? Genau das ist das Problem, das Japan ereilt hat. Die Puffer haben nicht gereicht. Deshalb genügt es nicht, nach dem bisherigen oder dem neuen kerntechnischen Regelwerk die Kernkraftwerke zu überprüfen. Nein, auch das Regelwerk selbst muss überprüft werden; denn es geht um die Annahmen, die den Sicherheitsregeln zugrunde liegen. Das ist eine neue Dimension der Diskussion um die Sicherheit unserer Kernkraftwerke. ({1}) Die Sicherheitsüberprüfung ist notwendig, weil die gleichen Risiken vor diesem Hintergrund anders zu bewerten sind. Die Kernkraftwerke müssen, wenn sie den neuen Anforderungen an die Sicherheitspuffer nicht ent10904 sprechen, nachgerüstet werden. Wenn sie nicht nachgerüstet werden können oder wenn das wirtschaftlich keinen Sinn macht, dann müssen sie abgeschaltet werden, unabhängig von möglichen Laufzeiten. ({2}) Die Koalition von Union und FDP hat bereits bei der Debatte über die Laufzeitverlängerung einen neuen Paragrafen in das Atomgesetz eingefügt, durch den die Aufsicht die Handhabe dafür hat, so zu handeln, wie wir es jetzt tun. Aufgrund des alten Atomgesetzes, wie es unter Rot-Grün existierte, war die Aufsicht nur in der Lage, die Anlage dem genehmigten Auslegungszustand entsprechend immer wieder nach Wissenschaft und Technik nachrüsten zu lassen. ({3}) Die Aufsicht hatte jedoch nicht die Handhabe, ({4}) auch die Sicherheitsannahmen grundlegend zu revidieren. Das ist erst mit § 7 d, den Schwarz-Gelb in das Atomgesetz eingefügt hat, möglich geworden. ({5}) Das heißt, wir haben schon im letzten Jahr die Voraussetzung dafür geschaffen, dass in einer Situation, wie sie jetzt eingetreten ist, entsprechend gehandelt werden kann. ({6}) Wenn wir über Kernenergie sprechen, dann müssen wir über das Energiekonzept sprechen. Denn klar ist: Wir betreiben die Kernkraftwerke in Deutschland nicht, um einigen Unternehmen einen Gefallen zu tun, ({7}) sondern wir betreiben sie, weil das Industrieland Deutschland darauf angewiesen ist, dass wir eine Energieversorgung bereitstellen, die jederzeit die Nachfrage deckt. Dabei geht es nicht ausschließlich um die Menge erzeugter Energie. Es geht um die Stabilität unserer Energieversorgung. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Wenn wir Atomkraftwerke vom Netz nehmen, geht es nicht einfach um die Erhöhung der Strommenge aus erneuerbaren Energien; vielmehr geht es darum, dass diese Strommengen in das Netz integriert werden können. Das ist die Herausforderung: Wir müssen die Stabilität unserer Energieversorgung sichern. Das kann man im Deutschen Bundestag nicht einfach mit Schnellschüssen mal eben beschließen. Es sind die Folgen mit zu bedenken. ({8}) Deswegen müssen wir, wenn wir wissen, wie viele Kraftwerke abgeschaltet werden sollen, das Energiekonzept anpassen. Aber die Grundachse des Energiekonzeptes bleibt auch bei einer vorzeitigen Abschaltung eines Teils der Kernkraftwerke erhalten: Wir wollen das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen. Wir haben schon im bisherigen Energiekonzept beschlossen, dass im Jahr 2050 kein einziges Kernkraftwerk mehr am Netz sein wird. Wir haben beschlossen, dass 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen sollen. Das wollen wir deshalb erreichen, weil wir die CO2-Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent mindern wollen. Das ist der Kern des Energiekonzeptes: der Umbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien. Das werden wir als Koalition jetzt beschleunigen. ({9}) Wir dürfen die Debatte um die Kernkraft nicht von der Debatte um den Klimaschutz loslösen. Das, was vor wenigen Wochen auch hier im Deutschen Bundestag diskutiert worden ist, ist heute nicht weniger wichtig geworden. Klimaschutz bedeutet eine Zukunftsvorsorge für kommende Generationen. Er bedeutet auch eine Zukunftsvorsorge in Bezug auf die Sicherung von Menschenleben, die ansonsten in vielen Ländern durch Überschwemmungen, Wetterereignisse und ähnliche Phänomene gefährdet wären. Deshalb geht es bei unserem Energiekonzept um die Versorgungssicherheit, aber eben auch um den Klimaschutz. Diesen können wir nicht einfach über Bord werfen. Aus diesem Grunde können wir nicht einfach die Kohlekraftwerke oder die Gaskraftwerke hochfahren. Nein, wir brauchen mehr erneuerbare Energien, und das geht nur, wenn die Netze ausgebaut werden, wenn die Proteste endlich aufhören und Genehmigungsverfahren mit einer Dauer von bis zu acht Jahren der Vergangenheit angehören. Wir müssen den Netzausbau schneller hinbekommen, sonst wird es nicht mehr erneuerbare Energien in diesem Lande geben. ({10}) Wir werden die Speicherentwicklung vorantreiben. Wir werden im Erneuerbare-Energien-Gesetz Anreize für die Integration in das Netz geben und damit dafür sorgen, dass erneuerbare Energien eingespeist werden, wenn es notwendig ist. Es gibt daneben die unbequeme Wahrheit: Wir werden auch die CO2-Abscheidung und -Einlagerung in die Erde als technologische Option brauchen. Auch hier muss der eine oder andere umdenken, seine regionalen Interessen zurückstellen und die nationale Aufgabe des Klimaschutzes und der Versorgungssicherheit sehen. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Frank-Walter Steinmeier von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht bin ich nicht der Einzige, der sich bei den Bildern dieser Tage an 9/11 erinnert fühlt. An diesem Tag gab es Tausende von Opfern, ein Symbolbauwerk des Westens stürzte in sich zusammen. Wir wussten damals von dieser Stunde an: Die Welt wird nicht dieselbe sein. Was wir in Japan mit Grauen und Entsetzen den stündlich neuen Nachrichten - so auch jetzt wieder - und Bildern entnehmen, zeigt: Das ist im Vergleich zu 9/11 eine Katastrophe in geradezu quälender Zeitlupe - Tage ohne Gewissheit über die wirklichen Dimensionen dieser schrecklichen Folgen. Doch ahnen wir in diesen Tagen der Ungewissheit: Auch dieses Mal wird die Welt danach nicht dieselbe sein. Was wir erleben, ist ganz ohne Zweifel eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes, eine Katastrophe mit unfassbarem Leid und Tod, eine Katastrophe, die Gewissheiten aus der Vergangenheit radikal infrage stellt. Angesichts der sich weiter zuspitzenden Schreckensmeldungen ist es schwer, in den Routinen unseres Alltags immer die richtige Sprache zu finden. Wenn wir an solchen Tagen des tausendfachen Leids gelegentlich um Worte ringen, dann muss das vielleicht gar nicht schlecht sein; denn ganz zuvörderst ist dies die Stunde der Anteilnahme und Solidarität. Ich möchte dem Bundestagspräsidenten ausdrücklich für die Worte danken, die er gestern in unser aller Namen gefunden hat. ({0}) Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer, bei den mittlerweile 100 000 Kindern, die nach ihren Eltern suchen und die jetzt bei den vielen Helferinnen und Helfern sind. In diesen Stunden sind unsere Gedanken ganz besonders bei denen, die in Fukushima unter Einsatz ihres Lebens - ich vermute, in Kenntnis aller Risiken - darum kämpfen, das Allerschlimmste zu verhindern. Möglicherweise gelingt ihnen nicht einmal das. In dieser Situation des Schreckens muss sich das japanische Volk auf unsere Solidarität und unsere Hilfe verlassen können. Nicht nur die Bundesregierung und die Hilfsorganisationen, sondern auch die Menschen in Deutschland - da bin ich mir ganz sicher - werden ihre Hilfsbereitschaft in den nächsten Tagen unter Beweis stellen. Die Menschen in Deutschland werden Solidarität üben. Aber sie sind zugleich besorgt. Sie zeigen zwar keine Anzeichen von Panik und Hysterie, aber sie sind verunsichert und irritiert. Japan ist weit entfernt, aber uns in vielem doch so ähnlich. Manche sagen: in dem Hang zur Perfektion; andere sagen: auch in der Arbeitsmoral; Dritte sagen: ganz sicherlich, was die wirtschaftliche Stärke angeht. Wir sind wie Japan ein rohstoffarmes und ein Hochtechnologieland. Weil das so ist, fragen sich jetzt ganz viele, ob das, was in Japan passiert, auch bei uns passieren kann. Sie fragen eben nicht die Wirtschaft und speziell die Energiewirtschaft, sondern sie fragen uns, die Politik, ob wir verantworten können, was wir tun. So sehr ich verstehe, Frau Merkel, dass Ihnen die Diskussion zur Unzeit kommt: Wir werden diese Fragen nicht einfach wegdrücken können. Das haben auch Sie in den letzten Tagen lernen müssen. Das Leid in Japan zu instrumentalisieren, um hier in Deutschland eine Debatte über die Folgen einer falschen Politik nicht führen zu müssen, das wird nicht gehen, und das wird Ihnen auch die Bevölkerung nicht durchgehen lassen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Steinmeier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Schlecht. ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Steinmeier, Sie haben eben die momentanen Sorgen der Bevölkerung beschrieben. Diese Sorgen müsste die Bevölkerung und müssten wir alle gemeinsam nicht haben, wenn der Atomausstieg in den sieben Jahren Amtszeit von Rot-Grün wirklich vollzogen worden wäre, und zwar unumkehrbar. ({0}) Weshalb haben Sie eigentlich damals in den sieben Jahren Ihrer Amtszeit nicht Ihr Versprechen aus dem Wahlkampf 1998, das auch in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben wurde - dass Sie so schnell wie möglich den Atomausstieg vollziehen wollen; „so schnell wie möglich“ kann ja wohl nicht sieben Jahre heißen -, gehalten und die AKW-Politik in Deutschland beendet? Dann hätten Sie dem deutschen Volk all die Probleme, die wir jetzt mit der Laufzeitverlängerung usw. haben, ersparen können. Was waren die Gründe, weshalb Sie das so gemacht haben? ({1})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, das nenne ich wirklich Mut! Sie kommen aus der Tradition einer Partei, die in für mich unverständlicher Weise immer wieder gesagt hat: Atomkraftwerke in Volkshand sind vertretbar und verantwortbar. Wer das sagt, der hat uns keine Belehrungen zu erteilen! ({0}) Herr Kauder, Sie haben in Ihrer gerade gehaltenen Rede dafür plädiert, keine Debatte über die Vergangenheit zu führen. Die Debatte, die nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in der deutschen Öffentlichkeit geführt wird, ist eben keine Debatte über die Vergangenheit, sondern eine Debatte über die verhängnisvoll falsche Politik Ihrer Gegenwart, Herr Kauder. Darum geht es! ({1}) Ich unterstelle Ihnen, dass Sie nicht all das, was Sie hier gesagt haben, wirklich ernst meinen. Denn Sie haben in den letzten Tagen gemerkt, dass Sie mit Ihren energiepolitischen Pirouetten, die Sie auf ganz dünnem Eis vollführen, nicht wirklich glaubwürdig sind. Niemandem ist es verwehrt, aus Katastrophen zu lernen, ganz im Gegenteil: Wer aus solchen Katastrophen nichts lernt, der hat in der Politik nichts zu suchen. Aber dieses Lernen muss ernsthaft und glaubwürdig sein. Wer heute das Gegenteil von dem verkündet, was er über Jahre hinweg vertreten hat, der muss verstehen und akzeptieren, dass es Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit gibt, ({2}) und der kann auch nicht beklagen, Frau Merkel, dass an der einen oder anderen Stelle bohrend nachgefragt wird. Frau Merkel, Ihr Glaubwürdigkeitsproblem, das heute Morgen noch einmal zutage getreten ist, können nur Sie selbst aus der Welt schaffen. Sie haben die Atomkraft in Ihrer gesamten politischen Laufbahn gegen alle Kritik verteidigt. Sie haben Tschernobyl als Betriebsunfall eines verlotterten Sozialismus abgetan. Sie haben geleugnet und nicht akzeptiert, dass erstmals mit Tschernobyl die Beherrschbarkeit einer Hochrisikotechnologie infrage gestellt war. Sie haben den Atomkonsens leichtfertig und ohne Not aufgekündigt und die Verlängerung der Laufzeiten durchgesetzt. Und da können Sie alle miteinander noch so viel darum herumreden: Das werden die Menschen nicht vergessen. Machen Sie sich darauf keine Hoffnungen! ({3}) Mein Eindruck war schon im letzten Jahr, dass es Ihnen allen an dem nötigen Verständnis nicht nur für die gesellschaftspolitische, sondern auch für die ökologische und am Ende sogar wirtschaftspolitische Dimension dieser Frage und des Atomkonsenses immer schon gefehlt hat. Ich habe schon damals, lange vor Japan, Herr Kauder, befürchtet und sogar gesagt, dass selbst die Energiewirtschaft den Tag verfluchen wird, an dem sie diese Regierung zur Laufzeitverlängerung getrieben hat. Ich habe nicht geahnt und nicht gewusst, dass dieser Tag so schnell kommen wird. Ich habe ihn mir nicht einmal herbeigewünscht. Aber heute weiß die Energiewirtschaft: Sie wird schlechter dastehen als nach den Vereinbarungen, die sie mit dieser Bundesregierung getroffen hat. ({4}) Denn was ist jetzt nach der Katastrophe in Japan eingetreten? Statt Laufzeitverlängerung haben wir eine Unsicherheit, wie wir sie in der Geschichte der deutschen Energiepolitik lange nicht gehabt haben. Zehntausende von Menschen sind wieder auf der Straße. Sie können es ja drehen und wenden, wie sie wollen: Kernkraftbefürwortern wie Herrn Mappus steht doch die blanke Panik im Gesicht. Wir haben mit dem Atomkonsens - das sei an alle diejenigen gesagt, die hier kritisch dazu berichtet haben; das ist vergessen worden - einen jahrzehntelangen Großkonflikt in dieser Gesellschaft befriedet und gleichzeitig einen verlässlichen Rahmen geschaffen, auch für die Wirtschaft - verlässliches Auslaufen der Kernenergie und gleichzeitig eine Brücke, mit der neue Formen der Energieerzeugung etabliert werden können. Ganz nebenbei, weil das hier noch niemand erwähnt hat: Nur dem Atomkonsens ist es zu verdanken, dass ein Reaktor in einem deutschen Erdbebengefahrengebiet, nämlich der von Mülheim-Kärlich, nicht ans Netz gegangen ist. Auch der war nach Ihrer Auffassung und nach Auffassung der Energiewirtschaft ein sicherer Reaktor. ({5}) Sie haben einen Konsens aufgekündigt - gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Wenn sie jetzt sagen: „Wir nehmen die Sorgen der Bevölkerung ernst“, dann ist das eben - mit Verlaub - nicht glaubwürdig. Diese Sorgen gibt es nicht erst seit Fukushima; die gibt es seit Sellafield, seit Harrisburg, seit Tschernobyl, seit Forsmark. Ich könnte die Liste der Namen fortsetzen. Es ist ja gut, dass Sie jetzt die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen wollen. Aber dann gehört eben auch - verdammt noch mal! - ein Wort der Einsicht dazu, warum Sie in der Vergangenheit so leichtfertig über diese Sorgen hinweggegangen sind. ({6}) Frau Merkel, nicht wir, diejenigen, die wir damals den Atomkonsens auf die Beine gestellt haben und den Ausstieg aus der Kernenergie vorbereitet haben, haben uns hier in diesem Hohen Haus und in der Öffentlichkeit zu entschuldigen. Zu entschuldigen haben sich diejenigen, die das Problem jahrelang, jahrzehntelang ignoriert, sich über alle Bedenken hinweggesetzt und Laufzeiten verlängert haben. ({7}) Die haben öffentlich Einsicht zu bekennen. Wenn Sie sich jetzt hinstellen und in verzweifelter Art und Weise völlig unglaubwürdig Kritik an Rot und Grün und den Versuchen, frühzeitig aus der Kernenergie heDr. Frank-Walter Steinmeier rauszukommen, äußern, ist das nur allzu durchschaubar. Ich finde es dreist und unanständig. ({8}) Frau Merkel, da gibt es nichts zu lachen, sondern ich meine das ganz ernst. ({9}) Wer sich so verhält wie Sie in dem mittleren Teil Ihrer Regierungserklärung heute Morgen, darf nicht seinerseits Respekt vom Parlament und der Opposition verlangen. Darum geht es. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Steinmeier, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Goldmann, Respekt darf auch derjenige verlangen, der dieses Parlament ernst nimmt. Da bin ich mit Ihnen einig. ({0}) Das Parlament nimmt man ernst, indem man das Parlament mit den Fragen der Zukunft der Energiepolitik in diesem Land beschäftigt und nicht nach dem Muster handelt: Was kümmert mich das Gesetz von gestern? Es ist doch peinlich, dass Verfassungsrechtler wie Herr Morlok und - das beunruhigt Sie noch mehr ({1}) der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Papier, Sie an den schlichten und einfachen Grundsatz erinnern: Wer per Gesetz Laufzeiten verlängert, muss sie auch per Gesetz zurücknehmen. Das ist ein ganz schlichter Grundsatz. ({2}) Frau Homburger, wenn ich es richtig gelesen habe: Sie haben das „Erbsenzählerei“ genannt. Ich nenne das Rechtsstaat. ({3}) Wenn man in diesem Hause an einen wichtigen Grundsatz des Rechtsstaats erinnern muss, dann beunruhigt mich das wirklich - ich hoffe, auch Sie. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kernforderung unseres Entschließungsantrags zur Katastrophe in Japan und den Konsequenzen für Deutschland ist „ein Innehalten und Nachdenken über das Geschehene.“ Es geht nicht um Hysterie und Hektik, sondern darum, die Gelegenheit zu einer besonnenen Überprüfung der eigenen Standpunkte zu schaffen. Die logische Konsequenz aus dem „Innehalten und Nachdenken“ ist auch das Moratorium bei der Laufzeitverlängerung und die einstweilige Abschaltung der genannten Kraftwerke. ({0}) Der Bundestagspräsident Norbert Lammert hat uns gestern daran erinnert, dass wir die Debatte in diesem Hause mit der „angemessenen Sachlichkeit“ führen sollen. Ich bedaure sehr, dass heute und in den letzten Tagen gerade bei der Opposition von Sachlichkeit und Besonnenheit kaum die Rede sein kann; es ist plumpe Polemik. Das Geheule und Gejohle von Teilen der Opposition ist beschämend ({1}) und dem Ernst der Lage nicht angemessen. ({2}) Herr Steinmeier, wenn Sie uns unterstellen, dass wir erst jetzt die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen und mit diesen Sorgen leichtfertig umgehen; wenn Sie der Kanzlerin unterstellen, dass sie die Sorgen nicht ernst nimmt, dann ist das eine Beleidigung und Verleumdung, die ich gerade von Ihnen in dieser Schärfe niemals erwartet hätte. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zurück zum Ernst der Debatte. Im letzten Herbst hat die Bundesregierung ein umfassendes, bis 2050 reichendes Energiekonzept vorgestellt, das wir, die Fraktionen der Union und unseres Koalitionspartners, der FDP, mitgestaltet und verabschiedet haben; ich selbst durfte daran mitar10908 beiten und bin von der Richtigkeit dieses Konzepts vollkommen überzeugt. ({4}) - Jawohl, immer noch. Denn das Konzept bringt in Einklang, was unabhängig von den Ereignissen in Japan für die Zukunft unseres Landes entscheidend ist: Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit der Energie. Der Strom aus der Steckdose muss zunächst einmal in die Steckdose. ({5}) Das Konzept enthält Klimaschutzziele und sieht einen Ausbau der erneuerbaren Energien in einem bisher nicht bekannten Maße vor. Das stellt alles in den Schatten, was von Rot-Grün jemals auf den Tisch gelegt wurde. Das, was Sie, Herr Steinmeier und Herr Trittin, als Atomkonsens propagiert haben, war nichts anderes als eine Mogelpackung. Ihr Energiekonzept war ein Sammelsurium von Ungereimtheiten, Unbezahlbarkeiten und Unwägbarkeiten. Es ist richtig - dazu stehe ich -, dass dieser Atomkonsens auch die Verlängerung der Laufzeiten unserer Kernkraftwerke beinhaltet. Dadurch wollten wir uns die für den Ausbau der Netze erforderliche Zeit und das dafür notwendige Geld verschaffen; denn die Speicherkapazität muss erhöht und neue Technologien müssen entwickelt werden. Ich habe aber immer auch gesagt - Herr Trittin, wir haben uns in den letzten 20 Jahren des Öfteren darüber austauschen können -: Grundvoraussetzungen sind der sichere Betrieb der Kernkraftwerke in Deutschland und die Klärung der Endlagerfrage. Das unterscheidet uns, Herr Trittin. Sie haben gerade selber gesagt, dass Sie seit 30 Jahren gegen die Kernkraft kämpfen. Ganz egal, welche rationalen Argumente dafür oder dagegen sprechen: Für Sie ist das Thema abgehakt. Das zeigt, dass die Bevölkerung von Ihnen keine ideologiefreie und ergebnisoffene Diskussion erwarten darf. Ich sage ganz deutlich, dass es in diesen Tagen vor allem um die Sicherheit geht. Fakt ist, dass wir zurzeit nicht davon ausgehen müssen, dass von den japanischen Kernkraftwerken eine Gefahr für uns ausgeht. Fakt ist, dass wir nicht in einem Erdbebengebiet wohnen. Fakt ist auch, dass wir in unseren Kraftwerken eine andere Sicherheitslage haben. Aber wir müssen uns trotzdem Zeit nehmen, um die Situation in Deutschland vor dem Hintergrund des Versagens der Technik in Japan - dabei geht es vielleicht auch um menschliches Versagen - zu überprüfen: Sind die Annahmen zur Erdbebensicherheit in Deutschland richtig? Hat der Klimawandel vielleicht Auswirkungen auf die Sicherheit unserer Kernkraftwerke? Können terroristische Angriffe auf Kernkraftwerke wirklich ausgeschlossen werden, bzw. sind die Kernkraftwerke hinreichend abgesichert? Das und anderes mehr müssen wir vor dem Hintergrund der Katastrophe in Japan prüfen, und zwar ergebnisoffen und ohne Tabus, aber auch ohne Hysterie und ohne Panikmache. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie entlarven sich in diesen Tagen immer wieder selbst. Sie fordern von uns, dass wir die Ergebnisse des Moratoriums schon jetzt benennen, obwohl diese doch erst nach Abschluss des Moratoriums zutage treten. Das heißt doch nichts anderes, als dass Ihnen das Ergebnis der Untersuchungen, die in den nächsten drei Monaten stattfinden, völlig wurscht ist. ({6}) Das zeigt, dass Sie sich hinter kleinkarierten Diskussionen und juristischen Spiegelgefechten verschanzen, ({7}) statt mit uns zu sagen: Die Sicherheitsüberprüfung der Kernkraftwerke in den nächsten drei Monaten ist unser gemeinsames oberstes Ziel. ({8}) Auch wenn es wehtut, Herr Trittin, möchte ich Sie noch einmal an den Vertrag von 2000 erinnern. Wer in dem Vertrag mit den Kraftwerksbetreibern ohne Not auf jegliche Sicherheitsverbesserungen in den Kernkraftwerken in der Zukunft verzichtet hat, der hat meiner Ansicht nach jedes Recht verwirkt, hier den Moralapostel zu spielen. ({9}) Noch etwas anderes verstehe ich nicht: Sie haben sieben Jahre Zeit gehabt, die Kernkraftwerke abzuschalten. Zuerst haben Sie die Chance dazu gehabt, danach Herr Gabriel. Das ist aber nicht passiert. ({10}) - Als Herr Trittin in der Regierung war, gab es keine Kanzlerin. ({11}) Dafür, dass Sie die Kernkraftwerke nicht abgeschaltet haben, gibt es einen einfachen Grund: Auch Sie wissen, dass die deutschen Kernkraftwerke nicht nur aus unserer Sicht, sondern auch aus Sicht der Internationalen Atomenergiebehörde zu den sichersten der Welt gehören. Minister Röttgen packt jetzt an, was seine Vorgänger, Herr Gabriel, und Sie, Herr Trittin, nicht anzufassen gewagt haben, auch die Endlagerfrage. Wir werden konsequent umsetzen, was jetzt zu tun ist: erstens aufgrund der Erfahrungen in Japan unsere Kraftwerke auch in Bezug auf ganz anders geartete Schadensfälle, die bei uns vielleicht noch nicht so beDr. Christian Ruck rücksichtigt worden sind, durchchecken, zweitens bei eventuellen Sicherheitslücken die erforderlichen Konsequenzen einleiten, drittens überprüfen, ob wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien oder bei der Erhöhung der Energieeffizienz nicht schneller vorangehen können, und die europäische und internationale Dimension verstärkt betrachten. Ich glaube, Kommissar Oettinger hat vollkommen recht, wenn er sagt, dass die europäischen Kernkraftwerke einen generellen Sicherheitscheck brauchen. Es ist aber reine Heuchelei, zu sagen: Wir schalten unsere Kraftwerke ab; aber die rund 150 europäischen Kraftwerke von Temelin bis Cattenom können unbegrenzt und ohne Check weiterlaufen. Das ist völlig unsinnig und auch inkonsistent. ({12}) Wir sind bereit, Konsequenzen zu ziehen, wenn die Überprüfungsergebnisse dies erfordern. Wir tun dies angesichts der Tragweite für unser Land mit der nötigen Besonnenheit und der nötigen Verantwortung. Ich füge hinzu, dass allein die Abschaltung der infrage kommenden Kraftwerke für die nächsten drei Monate einen zusätzlichen Ausstoß von 20 Millionen bis 30 Millionen Tonnen CO2 beinhaltet. Auch das gehört zu den Punkten, die wir abwägen müssen. Was die Besonnenheit anbetrifft, so rate ich uns, unsere japanischen Freunde als Vorbild zu nehmen. Ich habe tiefen Respekt vor der Tapferkeit der Japaner in dieser schlimmen Situation. Ich habe auch tiefes Mitgefühl für unsere japanischen Freunde in diesem Jubiläumsjahr, dem 150-jährigen Bestehen der deutsch-japanischen diplomatischen Beziehungen. Wir sollten ihnen jede Hilfe geben, die wir zu geben in der Lage sind, und damit zeigen, dass wir auch in dieser schweren Stunde an der Seite Japans stehen. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl von Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Japan sind wieder Uhren stehen geblieben, fünf Minuten vor drei. Im Hiroshima Peace Memorial Museum kann man ebenfalls stehen gebliebene Uhren sehen: 8.15 Uhr am 6. August 1945. Dasselbe hochmoderne Land ist von der militärischen wie auch von der zivilen Nutzung der Atomkraft gleichermaßen grauenvoll getroffen worden. Es ist an der Zeit, die Uhren des Glaubens an die Atomkraft zum Stehen zu bringen. ({0}) Frau Merkel und Sie, Herr Röttgen, bemühen sich, zu überzeugen, dass Sie die Zäsur für die Industriegesellschaften begriffen hätten. Es ist nicht entscheidend, ob die Opposition Ihnen glaubt. Das fällt schwer angesichts Ihrer Haltung: Wir sehen jetzt alles anders; aber wir hatten immer recht. Für Sie ist entscheidend, ob die Menschen außerhalb dieses Hauses Ihnen glauben, und ich frage Sie: Warum sollten sie? ({1}) Sie machen jetzt, was Sie vor dem Gesetz zur Laufzeitenverlängerung hätten tun müssen, und versuchen, dies als Lehre aus dem Ereignis von Fukushima zu verkaufen. Brauchen Sie erst einen GAU, um Laufzeitverlängerungen und Sicherheitsüberprüfungen zusammenzubringen? ({2}) Als baden-württembergische Abgeordnete möchte ich einen Blick in mein eigenes Bundesland werfen. In diesen Zeiten ist es für eine CDU-Bundeskanzlerin ganz besonders wichtig, dass die Menschen den Parteikollegen Frau Gönner und Herrn Mappus glauben, dem badenwürttembergischen Ministerpräsidenten, der eine Laufzeit von 60 Jahren und Ihren Rücktritt, Herr Röttgen, forderte, weil Sie ihm zu defensiv waren, der den überteuerten Kauf von 45 Prozent der EnBW auf Staatskosten damit begründete, er wolle nicht in Paris oder Moskau nach Energie fragen müssen. Alternativen zu entwickeln, ist Herrn Mappus beim Regierungshandeln fremd. Er hat alles getan, das Wachstum der Erneuerbaren in Baden-Württemberg zu verhindern. ({3}) Sein stolzes Verhinderungsergebnis für Baden-Württemberg lautet: 0,7 Prozent Strom aus Windenergie, 52 Prozent Atomstrom. Das ist ein Armutszeugnis. ({4}) Wer soll einer Landesatomaufsicht ihre neue Besorgnis um die Sicherheit der Atomkraftwerke abnehmen, nachdem sie im letzten Jahr den Abfluss von 270 000 Litern Reaktorwasser aus dem Philippsburger Brennelementebecken kurzerhand vertuschte, weil der Störfall in Zeiten der Verlängerungsdebatte störte, und die Mängelliste von Neckarwestheim drei Jahre lang in der Schublade ließ und keinerlei Nachrüstung vor dem Geschenk der Laufzeitverlängerung einforderte? ({5}) Nein, wem die Interessen der Konzerne immer näher waren als die Wahrnehmung der Kontrolle und Sicherheit, dem nimmt niemand die Krokodilstränen ab. ({6}) Es ist eine Feier wert, dass Neckarwestheim 1 endlich abgeschaltet wird; ({7}) aber es lässt keinen Glauben an Einsicht zu, wenn Mappus das in den Kontext eines emotionalen Ausnahmezustandes seiner Bürger stellt. Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit dem Umdenken, damit, dass Sie aus dem GAU von Japan lernen wollen, dann stimmen Sie unseren Anträgen zu. Beugen Sie nicht das Atomrecht, und ziehen Sie nicht § 19 des Atomgesetzes zu etwas heran, wozu er nicht gedacht ist. Machen Sie kein windiges Moratorium ohne juristische Grundlage. Nehmen Sie die 11. und 12. Novelle zum Atomgesetz seriös zurück. ({8}) Überprüfen Sie die Sicherheit der Atomkraftwerke nach dem neuen kerntechnischen Regelwerk, und schalten Sie die ältesten sieben Reaktoren und Krümmel dauerhaft ab. Erst auf dieser Grundlage können wir über das diskutieren, was tatsächlich die Lehre aus Fukushima sein muss: eine Neubewertung des Risikos Kernschmelze, die kein Restrisiko mehr ist und für die Schadensvorsorge betrieben werden muss. Als Konsequenz brauchen wir ein neues Energiekonzept mit einem deutlich schnelleren Atomausstieg, der übrigens durch die juristische Formulierung der Linken, die Atomkraftwerke müssten unverzüglich, „ohne schuldhaftes Verzögern“ abgeschaltet werden, nicht beschleunigt wird. Die Welt hat sich gegenüber dem Jahr 2000 verändert. Das Risiko ist näher, die Frage nach den Alternativen mit dem Wachstum der erneuerbaren Energien aber auch beantwortbarer. Wenn wir für Japan etwas tun können, dann das: als hochindustrialisiertes Land beispielhaft vorangehen und ein effizientes Energiekonzept auf der Basis erneuerbarer Energien mit Anreizen, Förder- und Ordnungspolitik umsetzen. Zeigen, dass es geht - das könnte unsere gemeinsame Würdigung der Opfer dieser Katastrophe sein. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Frau Kotting-Uhl, auf Ihren Beitrag zum badenwürttembergischen Wahlkampf will ich hier gar nicht eingehen. Ich muss aber anmerken, dass ich von Ihnen als einer mir bekannten aufrechten Gegnerin der Kernenergie ein bisschen mehr erwartet hätte, als dass Sie an dieser Stelle nur Wahlkampfpolitik machen. ({0}) Ich möchte auf den Gesetzentwurf der Grünen, den Sie am Ende Ihrer Rede immerhin noch gestreift haben, eingehen. Darin heißt es, die Bundesregierung habe angesichts der aktuellen Geschehnisse in Japan nunmehr festgestellt, dass sie im Gesetzgebungsverfahren zur Laufzeitverlängerung Sicherheitsfragen nicht hinreichend beachtet hat. Wenn Sie, die Grünen, das so formulieren, dann muss ich sagen: Wäre die Situation in Japan nicht so traurig und wäre der Umdenk- und Bewertungsprozess bei uns nicht so ernst, müsste man das als Heuchelei bezeichnen. Ich stelle fest, dass es ganz bestimmt kein Positionspapier der CDU oder der CSU zum Thema Kernenergie gibt, in dem nicht klar festgehalten ist, dass Sicherheit oberste Priorität hat und Sicherheit vor jeder ökonomischen Erwägung steht. ({1}) Was immer wir in den nächsten drei Monaten politisch entscheiden werden, es wird in der Kontinuität dieser Politik und unter der schon immer geltenden Überschrift „Sicherheit ist das erste Gebot“ stehen. Man wird genügend Schriften finden, in denen es heißt, die deutschen Kernkraftwerke seien sicher. Jetzt komme ich zu dem Grund, aus dem ich mich über den scheinheiligen Gesetzentwurf der Grünen ärgere. Der bisher gültige Maßstab für die Sicherheit war nicht allein der Maßstab dieser Bundesregierung. Er war ein gemeinsamer Sicherheitsmaßstab. In der Ausstiegsvereinbarung von 2000 hat die damalige rot-grüne Bundesregierung ausdrücklich bestätigt, dass die deutschen Kernkraftwerke auf einem international hohen Sicherheitsniveau betrieben werden. Ich will gar nicht die Vorhaltung wiederholen, dass Sie sich in einem Deal mit den Versorgern verpflichtet haben, keine Initiative zu ergreifen, um den Sicherheitsstandard und die ihm zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. Aber fest steht: Nach dem bisherigen Maßstab muss man unsere Kernkraftwerke als sicher betrachten. Das haben die früheren Minister Trittin und Gabriel offenkundig genauso gesehen, wie es jetzt Minister Röttgen beurteilt; sonst hätten wir nämlich keine Kernkraftwerke mehr. Was mich heute wirklich irritiert hat, war die Aussage von Herrn Gabriel, er habe schon immer gewusst, dass von den älteren Kernkraftwerken Gefahren für Leib und Leben der Bevölkerung ausgehen, und er habe nur nicht gehandelt, weil die Bundeskanzlerin ihn dazu angewiesen habe. Was ist denn das für eine Verantwortung? Was ist das für ein Minister? Hat er seinen Amtseid vergessen? ({2}) Diese Frage muss er sich gefallen lassen. Wenn ein Minister der Überzeugung ist, dass von etwas, das er in seinem Fachressort zu verantworten hat, Gefahren für Leib und Leben der Bevölkerung ausgehen, dann kann er sich doch nicht einfach beiläufig der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin beugen, sondern dann muss er seinen Rücktritt einreichen. ({3}) Sie glauben doch wohl nicht, dass wir Herrn Gabriel diese plumpe Ausrede an dieser Stelle tatsächlich durchgehen lassen. Ich sage Ihnen ganz offen, dass wir uns die Frage stellen müssen: Was hat sich seit dem schrecklichen Erdbeben in Japan bei uns geändert? Die Antwort, die man auf diese Frage geben muss, lautet: nichts und alles. Die Menschen erleben, dass das Unwahrscheinlichste Realität geworden ist. Die Menschen in Japan und wir alle sehen, dass das Restrisiko eingetreten ist und die Hightechnation Japan die Technik nicht so beherrscht, wie wir uns das vorstellen. Da ist es natürlich unumgänglich, über bestimmte Themen nachzudenken: über Sicherheitsreserven, über das „Was wäre wenn?“, über Naturkatastrophen in einem bislang unbekannten Ausmaß, über deren Kombination, über Anschläge, Flugzeugabstürze und Ähnliches. Mit all diesen Themen müssen wir uns ohne Panik und Hysterie befassen. An dieser Stelle muss ich das, was manche Kollegen schon gesagt haben, unterstreichen: Für ihre Duldsamkeit können wir die Japaner, denen unser Mitgefühl gilt, nur bewundern und ihnen unseren Respekt aussprechen. ({4}) Das Moratorium über drei Monate und das Abschalten der vor 1980 in Betrieb gegangenen Reaktoren können Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition, gerne als Wahlkampfmanöver verunglimpfen. Sie können gerne behaupten, das sei bloß ein Mittel, um Zeit zu gewinnen. Sie können gerne einen Juristenstreit über die rechtlichen Grundlagen entfachen. Nur dürfen Sie sich am Ende der drei Monate über eines nicht wundern: Es wird mit uns kein Weiter-so geben, wie Sie es uns aus wahltaktischen Gründen an dieser Stelle gerne anhängen wollen. Wenn ich das so formuliere, dann bitte ich, aufzumerken: Sie wissen sehr genau, dass ich mich zwar einerseits für die erneuerbaren Energien einsetze, dass ich aber andererseits kein Kernenergiegegner bin. In meinem Wahlkreis steht das Kernkraftwerk Gundremmingen, das über 1 000 Familien die Existenz sichert und bei uns in der Bürgerschaft wohl akzeptiert und weit gelitten ist. Trotzdem rechne ich persönlich mit sehr grundsätzlichen Entscheidungen. Es wäre allerdings unseriös, bereits heute die Konsequenzen der anstehenden Sicherheitsüberprüfung beschreiben zu wollen. - Ein paar Fakten im Umfeld möchte ich dennoch beschreiben. Nachdem die Kanzlerin das Moratorium angekündigt hat, ist der EEX-Großhandelspreis für Strom, welcher auf Basis der German Power Futures ermittelt wird, innerhalb der beiden letzten Handelstage um 9,5 Prozent gestiegen; ein weiterer Anstieg ist absehbar. Der EEXPreis für CO2-Emissionsrechte stieg von Montag auf Dienstag um 8,5 Prozent, Tendenz steigend. Bei zusätzlicher Kohleverstromung wird dieser Anstieg weiteres Gewicht bekommen. Damit steht doch eines fest: Die ökonomischen Folgen einer Reduktion von Kernenergiestrom, wie wir sie immer vorhergesehen haben, werden eintreten. Ich will nichts zum Anteil des Energiepreises an der allgemeinen Preisentwicklung sagen. Ich will auch nichts zum Vorschlag der Linken sagen, Herr Gysi, wieder die Planwirtschaft in Deutschland einzuführen. Das hatten wir schon, und das ist schon einmal kläglich gescheitert. ({5}) Wir müssen diesen Versuch, der immerhin über 40 Jahre in diesem Land unternommen wurde, nicht wiederholen. Ich möchte anmerken, dass nach derzeitigem Stand die anderen europäischen Staaten nicht aus der Kernenergienutzung aussteigen werden. Das heißt für Deutschland zweierlei: Erstens. Wir werden Wettbewerbsnachteile erdulden müssen. Zweitens. Einen Sicherheitsgewinn, wie wir ihn uns wünschen, wird es jedenfalls auf Basis dieser Konstellation nicht geben. Deshalb bin ich froh, dass sich die Kanzlerin international für eine entsprechende Politik einsetzt. Hinzu kommt, dass das Moratorium unsere Versorgungssicherheit tangiert, dass wir nach dem Abschalten von sieben Kraftwerken auf Kante nähen, was insbesondere in Süddeutschland - ich sage das all jenen, die behaupten, das sei kein Problem, wir würden genug exportieren - zu spüren sein wird. Noch viel entscheidender ist: Eine Säule des Energiekonzeptes dieser Bundesregierung ist bereits heute in Teilen weggebrochen, nämlich ein Teil der Finanzierung der erneuerbaren Energien aus dem Energie- und Klimafonds. Ich sage Ihnen: Wir brauchen nichts so dringend wie Energieforschung; denn das, was wir bei Anerkennung allen Engagements im Bereich der erneuerbaren Energien momentan machen, ist nicht der Weisheit letzter Schluss, wenn man von so etwas in der Energiepolitik überhaupt noch reden darf. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung darauf hingewiesen: Vor zweieinhalb Monaten haben wir hier gemeinsam mit dem Vizeaußenminister Japans die Feierlichkeiten anlässlich des 150-jährigen Bestehens der deutsch-japanischen diplomatischen Beziehungen begangen. Wir haben hier im Bundestag auch eine Debatte dazu geführt. Das zeigt, dass wir, Japan und Deutschland, in den letzten 150 Jahren trotz einer wechselvollen Geschichte gemeinsam und mit großer gegenseitiger Unterstützung erfolgreich große Krisen bewältigt haben. Das liegt auch daran, dass Japan und Deutschland in dieser Weltgemeinschaft eine seltene, tiefe und einmalige Freundschaft verbindet und beide Länder trotz der geografischen Ferne und der kulturellen Unterschiede viel Verständnis füreinander haben. Diese Freundschaft ist gerade in dieser Stunde der Not ein wertvolles Gut; denn neben unserem Mitgefühl und unserer tiefen Trauer möchte ich keinen Zweifel daran lassen, dass die deutsche Politik alles dafür tun wird, dass die japanische Nation zu alter Stärke zurückfindet. Die Herausforderungen, die sich aus dieser Naturund Umweltkatastrophe ergeben, werden von den Japanern nicht allein zu bewältigen sein. Angesichts der schrecklichen Zahlen von Opfern und Geschädigten, der möglicherweise aufkommenden Rezession in Japan und der zu erwartenden Umweltschäden stehen die Japaner nicht vor einem Gesichtsverlust, wenn sie aktiv ausländische Hilfe anfordern und auch annehmen; denn bei jeder Katastrophe in der Welt waren es die Japaner, die als Erste mit ihren Hilfstruppen und mit finanzieller Unterstützung vor Ort waren. Diese Bereitschaft zur Nothilfe wird die Welt jetzt zurückgeben. Angesichts der bedrückenden Opferzahlen und der Masse der Geschädigten in Japan ist internationale Hilfe besonders hilfreich und sinnvoll. Wir müssen uns noch einmal deutlich vor Augen führen: Bisher gibt es 3 300 Todesopfer. Unbestätigte Schätzungen gehen davon aus, dass es nach Abschluss der Aufräumarbeiten Zehntausende von Toten geben wird. 150 000 Kinder haben ihr Zuhause verloren. Internationale Wirtschaftsexperten sagen in ihren Schätzungen voraus, dass der Wiederaufbau der besonders betroffenen Region den japanischen Staat einen dreistelligen Milliardenbetrag kosten wird. Die internationalen Finanzmärkte beben. 440 Milliarden Euro wurden durch die Katastrophe bereits vernichtet. Die Bank of Japan hat 200 Milliarden Euro in die Finanzmärkte gepumpt, damit es zu keinem ernsthaften Crash kommt. Kurzfristig wird sich die internationale Außenpolitik auf die humanitäre Hilfe beschränken. Mittelund langfristig müssen die internationalen Gremien Anstrengungen unternehmen, die gemäß den Lehren, die aus der Katastrophe in Japan gezogen werden müssen, notwendig sind. Die Freundschaft zu Japan ist in der G 8 unbestritten. Es gab bereits ein Treffen der zuständigen Außenminister, um den Wiederaufbau aktiv zu unterstützen. Ich finde es gut, dass der französische Präsident als G-8-Präsident Vorschläge ausarbeitet, um die negativen Folgen für die Weltwirtschaft zu begrenzen. Die G 20 steht vor einer weitaus größeren Herausforderung. Ihr muss es gelingen, dass sich die vorübergehende Schwäche Japans nicht zu einer dauerhaften politischen Schwäche auswächst; denn Japan ist international und vor allen Dingen in der asiatischen Region ein großer und gleichberechtigter Player. Es ist im deutschen Interesse, dass Japan als Stimme der Demokratie weiter eine prägende Rolle in der Region und in der Welt einnimmt. Damit dies gelingen kann, müssen gerade die anderen asiatischen Länder gemeinsam mit Japan in der G 20 voranschreiten. Indonesien und Indien werden dies tun. Ich hoffe, dass sich auch China international für seinen asiatischen Nachbarn einsetzen wird und die Phase der Schwäche Japans nicht für sich ausnutzt. Lassen Sie mich einige kritische Bemerkungen zu der bisherigen Rolle der Internationalen Atomenergiebehörde machen, der IAEA, die ihren Sitz in Wien hat. Seit Tagen zeigt sich, dass die Organisation angesichts der Ereignisse in den Kernkraftwerken wie gelähmt ist: kein Experte, keine Expertin in den Krisengebieten, groteske Pressekonferenzen, Beschwichtigungstaktik. Die Rolle der IAEA bei der Atomkatastrophe in Japan sorgt für großen Unmut. Hinter vorgehaltener Hand hören Sie aus Diplomatenkreisen, dass es inzwischen massive Beschwerden über die Informationspolitik, über die internationale Rolle und vor allen Dingen über die Tatsache gibt, dass die Organisation ihrer Wächterrolle nicht gerecht wird. Man spricht in Diplomatenkreisen von PR-Desastern und der unmöglichen Situation, dass eine Organisation, die immerhin angeblich 2 200 Experten und 90 Auslandsbüros hat, nicht in der Lage ist, in angemessener Form Experten nach Japan zu schicken und dort zu helfen. Ich vermute, dass die Organisation dieses Gremiums nicht in Ordnung ist. Ich glaube, der Sicherheitsrat muss dieses Thema dringend auf die Tagesordnung setzen. Die Behörde ist im Ernstfall ein dramatischer Ausfall, und das darf nicht sein. ({0}) Ich möchte mich beim Auswärtigen Amt und beim Außenminister dafür bedanken, dass er besonnen und mit großem Anstand den Deutschen in Japan geholfen hat und vor allen Dingen auch bei der Koordinierung der Hilfe für Japan einen kühlen und klaren Kopf bewahrt hat. ({1}) Lassen Sie mich als Freund Japans abschließend bemerken: Ich glaube, es ist jetzt richtig, dass wir alle, vor allen Dingen auch dieses Parlament, gegenüber unseren japanischen Parlamentskollegen deutlich machen, dass wir dauerhaft, ernst, in Freundschaft und in tiefer Unterstützung an ihrer Seite stehen. Danke sehr. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Bilder, die verstummen lassen. Das, was wir in den letzten Tagen gesehen und gehört haben, ist von einer albtraumhaften Schrecklichkeit. Zunächst einmal ist es in erster Linie Zeit, den Menschen in Not Hilfe zu leisten und ihnen, soweit es in unseren Kräften steht, beizustehen. Japan braucht Hilfe durch die Weltgemeinschaft und durch uns. Ich bin froh, dass die Bundesregierung sofort Hilfe angeboten hat. Es ist für uns aber auch Zeit, in aller Sachlichkeit zu überprüfen, ob und wo wir bei der Kernenergie umsteuern sollen oder müssen. Allerdings muss ich eines sagen: Die Debatte der letzten Stunden und das Verhalten der Opposition waren absurd. Es erinnert mich an einen Schlagabtausch Konrad Adenauers im Deutschen Bundestag, als er zu Beginn einer Rede sagte: „Ich habe die Lage geprüft“, und die Opposition schrie: „Nein, nein, nein!“. Dann setzte er wieder an und sagte: „Ich habe die Lage geprüft“, und die Opposition empörte sich. Daraufhin sagte Konrad Adenauer: „Hätte ich gesagt, ich habe die Lage nicht geprüft, dann hätten Sie auch revoltiert“. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, so geht es in dieser Frage nicht. Was auch immer die Bundesregierung heute gesagt und getan hätte, Sie wären aus Prinzip dagegen gewesen. ({1}) Die CDU/CSU-Fraktion hat sich auch in Oppositionszeiten niemals so verantwortungslos verhalten, wie Sie es heute getan haben. ({2}) Sie machen Wahlkampf. Wenn ich alles zusammenaddiere, was seitens der Opposition heute selbstherrlich gesagt wurde, und wenn Sie das, was Sie heute gesagt haben, ehrlich meinen, dann hätten Rot und Grün zu ihren Regierungszeiten alle Kernkraftwerke abschalten müssen. ({3}) Atomare Gefahren werden aber bei Ihnen offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen. Als Umweltminister war Herr Trittin Schirmherr der Castortransporte. Damals sollten sie ohne Demonstrationen über die Bühne gehen. Heute demonstrieren die Grünen wieder gegen die Castortransporte. Das ist unanständig. Verantwortungsloser und unanständiger geht es nicht. ({4}) Etwas anderes schadet, glaube ich, der Demokratie insgesamt und jedem einzelnen Abgeordneten: Das Konglomerat von Herrn Gabriel mit Vokabeln wie Hinterzimmer, Lüge und Atomlobby, zusammengemischt zu einem Brei, schadet allen. Das schadet der ganzen demokratischen Klasse. ({5}) Ich unterstelle keiner Fraktion in diesem Hause, nicht nach bestem Wissen und Gewissen Entscheidungen zu treffen, zu denen sie gefunden hat. Ich unterstelle auch Ihnen von der Opposition nicht, dass Sie in Hinterzimmern mit wem auch immer kungeln und keine Entscheidung eigenständig treffen. Unterstellen Sie dies uns bitte auch nicht. Schließen Sie nicht von sich auf andere, wenn Sie so handeln sollten. ({6}) - Scheinbar haben Sie einen anderen Ansatz, denn sonst könnten Sie nicht so einen Brei zusammenrühren. ({7}) Schließen Sie vor allen Dingen nicht von den Dingen, die Sie vielleicht betreiben - ich muss das so annehmen -, auf die Handlungsweise der Bundeskanzlerin. Gestatten Sie noch einige Sätze zur juristischen Debatte. Als Nichtjuristin habe ich mehr als einmal ({8}) aus der Juristenriege den Satz gehört: zwei Juristen, drei Meinungen. Im Zweifel entscheide ich mich natürlich für die tragfähigsten Argumente und für die Sicherheit. ({9}) Der Weg der Bundeskanzlerin ist verantwortungsvoll, der Weg der Bundesregierung ist verantwortungsvoll, und der Weg der Regierungsfraktionen ist verantwortungsvoll. Danke. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Thomas Bareiß von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemanden von uns lassen die Bilder, die wir in den letzten drei bis vier Tagen gesehen haben, kalt: ein Erdbeben von diesem Ausmaß verbunden mit einer tödlichen Flutwelle, über 5 000 Tote und immer noch über 10 000 Vermisste in Japan. Am Ende dieser Debatte sage ich: Bezeichnend ist, dass von Rot-Grün heute nur die Frage nach der Sicherheit deutscher Kernreaktoren gestellt wurde. Das finde ich erbärmlich. ({0}) Trotz aller verständlichen Emotionen in dieser Debatte lassen Sie uns bitte nicht vergessen, dass Sicherheit eine objektive und keine psychologische Grundlage ist. An der objektiven Sicherheitslage deutscher Kernkraftwerke hat sich in den letzten sieben Tagen nichts, aber auch gar nichts verändert. ({1}) Ich sage ganz deutlich: Ich habe aus Überzeugung vor einem halben Jahr der Laufzeitverlängerung zugestimmt. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass diese Entscheidung richtig war. ({2}) Sie ist aus meiner Sicht deswegen richtig, weil der Aspekt der Sicherheit von Kernkraftwerken in unserem Land immer oberste Priorität hat und die Sicherheit noch vor einem halben Jahr verbessert worden ist. ({3}) Mit diesem Anspruch sind wir heute das Land mit den höchsten Sicherheitsanforderungen an die Kernenergie. Aber, liebe Freunde, sicherlich ist unbestritten, ({4}) dass trotz höchster Sicherheitsanforderungen ein Restrisiko bestehen bleibt. Auch Ihnen, Herr Gabriel, sage ich deutlich: Ich halte dieses Restrisiko bei deutschen Kernkraftwerken unter deutschen Sicherheitsstandards nach wie vor für ethisch verantwortbar. Wenn Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, zu der Einschätzung gelangen, dass dieses Risiko nicht mehr verantwortbar ist, müssen Sie, wenn Ihnen die Sicherheit der Menschen in unserem Land wichtig ist, noch heute sofort abschalten und alle Kernreaktoren vom Netz nehmen. Aber das haben auch Sie, Herr Trittin, und Sie, Herr Gabriel, in Ihren acht Regierungsjahren nicht gemacht. ({5}) Natürlich ist auch unser Anspruch, das Restrisiko so gering wie möglich zu halten und weiterhin zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund begrüße ich das Moratorium unserer Bundeskanzlerin. Während dieser Zeit muss die Lage analysiert werden, und es muss aus meiner Sicht die Frage beantwortet werden, was wir aus der Analyse lernen können und was die Konsequenz für unsere Sicherheitsstandards und unsere Kernreaktoren ist. Darüber hinaus halte ich es ebenfalls für richtig, dass die Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem Energiekommissar Oettinger für eine Neubewertung der Reaktorsicherheit auf europäischer und internationaler Ebene kämpft; denn eines muss uns klar sein: Es wird in Europa auch weiterhin Kernenergie geben. Wir werden, auch wenn wir alle Reaktoren abschalten, in Deutschland weiterhin Kernenergie haben. Ich halte es für nicht verantwortbar, wenn wir deutsche Kernkraftwerke abschalten und uns von ausländischen, unsicheren Kraftwerken abhängig machen. ({6}) Ich glaube, wir brauchen einen offenen Diskussionsprozess. Das kann in der Konsequenz auch heißen, dass Kernkraftwerke endgültig vom Netz genommen werden. Wir stehen aber - daran hat sich in den letzten drei Tagen nichts geändert - nach wie vor vor großen Herausforderungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Ein Kernbestandteil unseres Energiekonzepts war, die Brücke in das Zeitalter der regenerativen Energien zu gestalten. Auch daran wollen wir zukünftig festhalten. Ich bitte zum Schluss, dass wir die kommenden Debatten sachlich und seriös führen; denn Seriosität habe ich in den letzten drei Tagen hier im Hause vermisst. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir nun insgesamt sieben namentliche Abstimmungen und eine einfache Abstimmung durchführen werden. Bitte achten Sie darauf, dass die Stimmkarten, die Sie verwen- den, auch Ihren Namen tragen. Wir beginnen mit der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/5048. Dazu liegen uns vier persönliche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsord- nung vor, die wir zu Protokoll nehmen.1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer an Ort und Stelle? - Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die Abstimmung und bitte, die Stimm- karten einzuwerfen. Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarten eingeworfen? - Das ist anscheinend der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, auszuzählen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5049. Die Fraktion der SPD hat getrennte Abstimmungen verlangt. Über Nr. 1 des Entschließungs- antrags werden wir mittels Handzeichen abstimmen. 1) Anlage 2 2) Ergebnis Seite 10921 A Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Über die Nrn. 2, 3 und 4 des Entschließungsantrags wer- den wir namentlich abstimmen. Wir stimmen zunächst über Nr. 1 des Entschlie- ßungsantrags ab. Diejenigen, die für Nr. 1 des Ent- schließungsantrags der SPD stimmen, bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Letzteres ist offenkundig die Mehrheit gewesen. Nr. 1 dieses Entschließungsantrags ist damit abgelehnt. Wir kommen nun zur namentlichen Abstimmung über Nr. 2 des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5049.1) - Die Urnen sind weiterhin besetzt. Ich eröffne diese Abstimmung und gebe gleich- zeitig bekannt, dass dazu zwei Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen, die wir zu Proto- koll nehmen.2) Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte zur zweiten namentlichen Abstimmung eingeworfen? - Ich schließe den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir kommen damit zur dritten namentlichen Abstim- mung, nämlich über Nr. 3 des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5049. Die Urnen sind besetzt. Deswegen eröffne ich die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten einzuwerfen. Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte zur dritten namentlichen Abstimmung eingeworfen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann schließe ich den Wahl- gang und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.3) Wir kommen jetzt unverzüglich zur vierten namentli- chen Abstimmung, nämlich über Nr. 4 des Ent- schließungsantrags der Fraktion der SPD auf Drucksa- che 17/5049. Ich bitte, die Stimmkarten einzuwerfen. Die Abstimmung ist eröffnet. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimm- karte für die vierte namentliche Abstimmung abgege- ben? Bei mir melden sich nämlich immer mehr Kolle- gen, die eine Abstimmung versäumt haben. Deswegen bitte ich um Aufmerksamkeit. - Wenn alle ihre Stimm- karte abgegeben haben, schließe ich den Wahlgang und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.4) Wir kommen nun zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5050. - Die Urnen sind weiterhin be- setzt. Ich eröffne die Abstimmung - es handelt sich um die fünfte namentliche - und bitte, die Stimmkarten ein- zuwerfen. Haben jetzt alle Mitglieder ihre Stimmkarte einge- worfen? - Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe ich den Wahlgang. Ich bitte, mit der Auszählung zu be- ginnen.5) Wir kommen nun zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die 1) Ergebnis Seite 10923 B 2) Anlage 3 3) Ergebnis Seite 10926 A 4) Ergebnis Seite 10928 B 5) Ergebnis Seite 10930 B Grünen auf Drucksache 17/5051. Das ist die sechste na- mentliche Abstimmung. Ich bitte, mit der Abstimmung zu beginnen. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkar- ten zur sechsten namentlichen Abstimmung eingewor- fen? Gibt es noch Nachzügler? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.6) Wir kommen schließlich zur namentlichen Abstim- mung über den zweiten Entschließungsantrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5052.7) Das ist die siebte namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten einzuwer- fen. Haben nun alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte zur siebten namentlichen Abstimmung ein- geworfen? - Das ist der Fall. Dann schließe ich jetzt die siebte namentliche Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen.8) Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben. Ich weise darauf hin, dass wir in etwa anderthalb Stunden eine weitere namentliche Abstimmung durchführen werden. Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 1. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/5035 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({0}), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes - Drucksache 17/4694 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Aussprache nicht teilnehmen wollen, ihre Beratungen außerhalb des Plenarsaales fortzusetzen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- ner dem Kollegen Volker Beck von Bündnis 90/Die Grü- nen das Wort. 6) Ergebnis Seite 10933 A 7) Anlage 4 8) Ergebnis Seite 10935 B

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! José Ortega y Gasset sagte einmal: Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und Rang sie immer seien, hängt von einer geringfügigen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Alles andere ist sekundär. Das Wahlrecht ist das Kernstück der Demokratie. Es ist greifbares und begreifbares Mittel der Teilnahme der Bürger am politischen Prozess. Das Wahlsystem als Ganzes ist Transformator des Volkswillens. In ihm manifestiert sich - in der Stimmabgabe, in der mandatsgemäßen Machtverteilung der politischen Parteien im Parlament - der Wille des Volkes. Fragen des Wahlrechtes gehören daher zu den Grundfragen der Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht hat uns am 3. Juli 2008 in seinem Urteil zur fehlenden Verfassungsmäßigkeit des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag aufgegeben, bis zum 30. Juni 2011 die Effekte des negativen Stimmgewichtes - das ist etwas Kompliziertes, das der Bürger nicht so einfach versteht - zu beseitigen. Das negative Stimmgewicht bedeutet: Ich wähle eine Partei, aber eine andere Partei profitiert davon, und bei meiner Partei fällt ein Mandat weg. - Das verkehrt den Sinn des Wahlrechts ins Gegenteil. Deswegen müssen wir uns mit dieser Thematik befassen. ({0}) Wir als Fraktion haben bereits im Februar 2009 erstmals hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt, um dieses negative Stimmgewicht zu beseitigen und die Chance zu eröffnen, dass dieser Deutsche Bundestag mit einem verfassungsgemäßen Wahlrecht gewählt wird. Das ist damals gescheitert. Die Kolleginnen und Kollegen der heutigen Koalition meinten damals, das gehe zu schnell; der Debattenbedarf sei groß, und man müsse das gründlich erörtern. Nun ist ein Jahr ins Land gegangen. Die Grenze 30. Juni 2011 steht vor uns. Im März dieses Jahres gibt es wieder keinen Vorschlag der regierenden Mehrheit, obwohl sich die Geschäftsführer unzählige Male im Dezember und im Januar getroffen haben. Die Koalition ist sich - genauso wie bei Hartz IV - beim Wahlrecht nicht einig. Es gibt keinen entsprechenden Vorschlag, den der Deutsche Bundestag in den Ausschüssen mit Sorgfalt prüfen kann. Deshalb haben wir heute unseren Vorschlag erneut vorgelegt, allerdings im Lichte der Anhörung im Innenausschuss entsprechend verbessert. ({1}) Wir schlagen vor, dass in Zukunft zwei Prinzipien im Wahlrecht gelten. Zunächst wird nach dem Verhältniswahlrecht festgestellt, wie viele Mandate einer Partei zustehen. Hat sie mehr Direktmandate gewonnen, als ihr nach dem Verhältniswahlrecht zustehen, dann werden diese Direktmandate nach der Reihenfolge der Wahlerfolge quasi von hinten weggenommen. Das sieht übrigens auch das bayerische Landeswahlrecht so vor. Der bayerische Gerichtshof hat dazu gesagt, es sei nicht zu beanstanden, wenn eine Regelung dazu führt, dass bei Überhängen die Stimmkreisbewerber in der Reihenfolge der niedrigsten Stimmzahlen ausscheiden. ({2}) Das ist der erste Prinzip. Das zweite Prinzip ist: Hat eine Partei in einem Wahlgebiet in einem Bundesland mehr Direktmandate erzielt, als ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis zustehen, dann werden diese Direktmandate mit den Listenerfolgen anderer Bundesländer verrechnet, sodass es zu keiner Vergrößerung der betreffenden Fraktion kommt. ({3}) Warum ist es so wichtig, dass wir diese Überhangmandate abschaffen? ({4}) Ich habe beim Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Ich zitiere daraus mit Erlaubnis des Präsidiums ({5}) und mache mir diese Erkenntnisse zu eigen. Danach ist, legt man die jetzigen Wahlumfragen zugrunde, zu befürchten, dass bei der nächsten Wahl zum Deutschen Bundestag 30 bis 60 Überhangmandate entstehen. Das heißt, die Zahl der Überhangmandate ist durchaus beachtlich und hat hier im Deutschen Bundestag mindestens Fraktionsstärke. Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass der Wählerwille durch den Effekt der Überhangmandate in sein Gegenteil verkehrt wird, indem ein Teil des Hauses die Mehrheit der Zweitstimmen erringt, aber ein anderer Teil des Hauses die Mehrheit der Mandate hat. Wenn es dazu kommt, dann wird der Hund in der Pfanne verrückt. Dann sagen unsere Wählerinnen und Wähler: Das ist keine Demokratie. Wir wollen, dass der Deutsche Bundestag den Wählerwillen des deutschen Volkes abbildet. ({6}) Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Effekte des negativen Stimmgewichts kritisiert. Zum einen kann der Wille des einzelnen Wählers in einem Wahlkreis ins Gegenteil verkehrt werden. Zum anderen - das betrifft einen anderen Prüfmaßstab, der bei der Frage der Überhangmandate von Bedeutung ist - könnten die Mehrheitsverhältnisse verändert werden. Wir müssen deshalb eine Lösung wählen, bei der Überhangmandate vermieden werden. Unsere Fraktion klebt nicht an dem vorgelegten Vorschlag, auch wenn ihn das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ausdrücklich als einen der möglichen Lösungswege bezeichnet hat. Meine Damen und Herren von der Koalition, wir von der Opposition lassen es Ihnen aber auf keinen Fall durchgehen, dass Sie uns hier ein Wahlgesetz vorlegen und mit Ihrer knappen Mehrheit beschließen, das dazu führen kann, dass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen nicht zu einer Mehrheit Volker Beck ({7}) der Mandate im Deutschen Bundestag führt. Einen solchen Versuch eines Putsches im Wahlrecht werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({8}) Ich fordere Sie auf: Kommen Sie auf der Grundlage unseres Gesetzentwurfs zurück zum Verhandlungstisch! Verhandeln Sie mit SPD, Grünen und Linken gemeinsam über die Wahlrechtsreform! Wir haben einen Vorschlag gemacht, Ihrer liegt nicht auf dem Tisch. Lassen Sie uns diese Frage gemeinsam regeln! Sie haben die ganze Zeit gepennt. Damit haben Sie uns in eine Situation gebracht, in der echte Sorgfalt nicht mehr möglich ist. Die Berücksichtigung weiterer Fragen, die man an das Wahlrecht stellen könnte - unabhängig davon, ob das verfassungsrechtlich zwingend ist -, ist nicht mehr möglich; das kann nicht mehr seriös geprüft und diskutiert werden. Wir müssen jetzt zu Potte kommen. Sie können Ihre internen Differenzen nicht dazu nutzen, um hier quasi am letzten Tag, in der letzten Nacht vor der Sommerpause ein Wahlrecht durchzudrücken, das am Ende einer Überprüfung in Karlsruhe nicht standhalten wird. Ich sage Ihnen: Wenn Sie ein Wahlrecht beschließen, das den Volkswillen nicht eindeutig abbildet und dessen Umsetzung nicht garantiert, dann sehen wir uns in Karlsruhe wieder, und zwar - wenn Sie bis zum Ende der Wahlperiode durchhalten sollten - vor der Bundestagswahl. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Günter Krings von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es fällt mir - ich denke, auch den anderen Rednern in der Debatte - nicht leicht, sich nach der Debatte über die Ereignisse in Japan und die Konsequenzen in Deutschland wieder einem rein innenpolitischen Thema - man könnte sagen: einem Luxusproblem der deutschen Politik - zuzuwenden: dem negativen Stimmgewicht. Ich darf eine einleitende Bemerkung in eigener Sache machen. Der Zeitplan ist heute bei uns allen deutlich durcheinandergeraten. Das führt unter anderem dazu, dass fast parallel zu dieser Debatte die jährliche Richterwahl im Deutschen Bundestag stattfindet. Ich bitte, es ausnahmsweise zu entschuldigen, wenn ich etwas früher, vor Ende der Debatte, verschwinden muss. Das gehört sich normalerweise nicht; aber ich hoffe, Sie sehen es mir nach. Die Grünen sind in Sachen Wahlrecht eine umtriebige Partei; ({0}) vielleicht hat das etwas mit ihrer eigenen Geschichte zu tun. Sie haben einen ähnlichen Antrag wie heute schon einmal am Ende der 16. Wahlperiode und in der 13. Wahlperiode vorgelegt. ({1}) Dabei kommt die Frage auf: Wo bleiben denn die Anträge in der 14. und 15. Wahlperiode? Da haben Sie regiert; da hätten Sie die Mehrheit gehabt, um das „Übel“ - aus Ihrer Sicht - zu beseitigen. ({2}) Sie haben die Möglichkeit nicht genutzt. Man muss also ganz sachlich und neutral festhalten: Das Thema war Ihnen jedenfalls zu jener Zeit nicht ganz so wichtig. ({3}) Ich habe grundsätzlich Verständnis dafür, dass Sie dieses Anliegen heute im Deutschen Bundestag vortragen. In der Tat: Die Frist drängt; sie läuft Mitte des Jahres aus. ({4}) Wir können uns jetzt natürlich gegenseitig mangelnden Fleiß oder mangelnden Willen bei der Lösung des Problems vorwerfen. Aber ich glaube, wir müssen bei einer ehrlichen Betrachtung der Sache zugeben, dass das nicht den Kern der Sache trifft. Das Problem ist hochkomplex, und wer das nicht einsieht, zeigt, dass er sich mit der Sache nicht hinreichend befasst hat. ({5}) 2008 hat die große Mehrheit des Deutschen Bundestages, einschließlich der Kollegen der SPD, das geltende Wahlrecht inklusive des negativen Stimmgewichts in Karlsruhe verteidigt. Wir wussten genau, dass dieses negative Stimmgewicht kein Betriebsunfall, kein Schönheitsfehler des Wahlrechts ist, sondern die unmittelbare, fast logische Konsequenz der besonderen Verknüpfung von Direktwahl und Listenwahl in unserem Wahlrecht. Man kann ein anderes Wahlrecht wollen. Man kann ein Mehrheitswahlrecht oder ein reines Verhältniswahlrecht wollen. Dann würde dieses Problem nicht auftauchen. Ich glaube aber, dass diese Verknüpfung richtig ist - ich denke, darüber sind wir uns im Grundsatz einig -, auch wenn sie systembedingt in Einzelfällen zu einem negativen Stimmgewicht führt. Am Beginn dieser Wahlperiode haben wir uns mit einigen Kollegen - die Kollegen Ruppert, Uhl und andere waren dabei - intensiv Gedanken darüber gemacht, welche Lösungen es gibt. Die Sache ist komplex und kompliziert. ({6}) Wir haben festgestellt, dass die meisten Lösungen, die angeboten werden, entweder noch schlimmere Folgen haben - das gilt auch für Ihren Vorschlag; darauf komme ich gleich noch zu sprechen - oder das negative Stimmgewicht gar nicht oder nur zu einem geringen Teil beseitigen. Hätte es eines Beweises bedurft, dass die Sache schwierig und nicht einfach zu lösen ist, so haben Sie diesen Beweis, Herr Kollege Beck, mit diesem wirklich sehr dürftigen Gesetzentwurf erbracht. ({7}) Ihr Gesetzentwurf lässt - das ist mein erster Kritikpunkt jegliche Auseinandersetzung mit alternativen Lösungsansätzen vermissen. Wenn der Gesetzgeber, gerade wenn es um die eigene Sache geht, zwischen gänzlich verschiedenen Lösungen auswählen muss, dann ist es auch im Licht der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe geboten, dass er dabei ein Mindestmaß an Rationalität und Transparenz erkennen lässt. Genau das fehlt aber bei Ihrem Gesetzentwurf. Sie haben auf etwa einer halben Seite eine dünne Analyse - das ist eher eine Nacherzählung - des Urteils des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vorgenommen. Es gibt keine Auseinandersetzung mit Alternativen. Insbesondere fehlt eine Auseinandersetzung mit einer Alternative, die sich geradezu aufdrängt, wenn man danach fragt, welches die Ursache für das negative Stimmgewicht ist. Die Ursache haben Sie gar nicht angesprochen. Die Ursache ist die Verknüpfung der Landeslisten, die Reststimmenverwertung. Es ist doch naheliegend, sich damit auseinanderzusetzen. Wenn das Problem die Verbindung der Landeslisten ist, könnte die Trennung der Landeslisten doch die Lösung sein. Es ist immer gut, wenn die Lösung etwas mit dem Problem zu tun hat. Das gilt nicht nur, aber insbesondere in diesem Fall. ({8}) Dieses Modell ist immerhin in den ersten beiden Bundestagswahlen erfolgreich angewendet worden. Insofern hätte man sich damit zumindest auseinandersetzen müssen. Mehr verlange ich von Ihnen gar nicht. Ich glaube, das ist nicht zu viel verlangt. Ihr Gesetzentwurf - diesen Vorwurf kann ich Ihnen leider nicht ersparen - ist auch handwerklich miserabel. ({9}) Ich will aus der Begründung zitieren: „Alternativ wäre die Fraktion“, also Sie, „gesprächsbereit“, auch eine andere „Lösung zu unterstützen“. Das können Sie in einem Brief oder einer E-Mail an mich schreiben. Das können Sie auch in einem Telefonat mit mir sagen. Das steht aber in einem Dokument, ({10}) das aus Ihrer Sicht die amtliche Begründung eines Gesetzes der Bundesrepublik Deutschland werden soll. Wir machen uns doch lächerlich, wenn wir so etwas in diesem Hause zur Gesetzesbegründung erheben. ({11}) Da Sie zu diesem Thema schon öfter etwas vorgelegt haben, wäre es gut, wenn Sie die Sache das nächste Mal einem Juristen überlassen oder einen Juristen zumindest einmal drübergucken lassen - Sie haben in Ihrer Fraktion ja kompetente Kollegen -, bevor wir uns hier damit befassen. ({12}) Ich komme zum dritten, vielleicht entscheidenden Kritikpunkt. Das, was Sie in diesem Gesetzentwurf vorschlagen, ist unter regionalen und föderalen Gesichtspunkten in hohem Maße ungerecht und unfair. Ihr Vorschlag basiert im Kern darauf, dass Überhangmandate, die in einem Bundesland entstehen, in einem anderen Bundesland kompensiert werden. Für Überhangmandate sollen in einem anderen Bundesland Listenmandate weggenommen werden. Abgeordneten, die nach dem Wahlergebnis eines Bundeslandes bereits gewählt sind, soll das Mandat also entzogen werden, um Überhangmandate zu kompensieren. Schon heute sind - das ist richtig - die Länder, in denen es relativ viele Überhangmandate gibt, in föderaler Hinsicht im Vorteil; denn sie haben aufgrund der Überhangmandate auf Bundesebene ein größeres politisches Gewicht. Was wäre die Folge Ihres Vorschlages? Dieses Problem würde verschärft. Die Länder, in denen üblicherweise keine Überhangmandate anfallen, hätten dadurch einen Nachteil. Ich komme aus einem solchen Bundesland. Nordrhein-Westfalen hatte noch nie ein Überhangmandat. Wir haben ein ausgewogenes Verhältnis von Erst- und Zweitstimmen. Hier gibt es Hochburgen beider großen Parteien. Wir sind bereits tendenziell im Nachteil, weil wir nie Überhangmandate bekommen können. Das kann man als Teil dieses Wahlsystems akzeptieren. Aber wir wären dann doppelt im Nachteil, weil wir zusätzlich quasi als Steinbruch für andere Bundesländer mit Überhangmandaten herhalten müssten. Diese föderale Ungerechtigkeit taucht in Ihrer Begründung nicht einmal auf. Sie ist meines Erachtens der Hauptkritikpunkt und das Hauptproblem bei Ihrem Vorschlag. Ich frage mich auch, ob es wirklich demokratisch und föderal fair wäre, wenn beispielsweise ein sächsisches Überhangmandat dazu führte, dass ein bereits in Nordrhein-Westfalen oder im kleinen Saarland gewählter Abgeordneter sein Mandat verlieren müsste. Wenn man das ganz nüchtern auf die letzte Bundestagswahl anwendet, sieht man: Das führt zu grotesken Ergebnissen. In Brandenburg hat knapp ein Viertel der Wähler bei der letzten Bundestagswahl der CDU das Vertrauen ausgesprochen. Nach Ihrer Lösung würde nur ein einziger Abgeordneter für Brandenburg im Deutschen Bundestag sitzen. Das hätte bedeutet, dass etwa 330 000 CDU-Wähler in Brandenburg ({13}) von einem einzigen Abgeordneten im Deutschen Bundestag vertreten würden. Im Durchschnitt vertritt in der Republik ein Abgeordneter etwa 65 000 Wähler. Dieses eklatante Missverhältnis ist wirklich nicht mehr begründbar und nicht mehr darstellbar. ({14}) Man kann das weiter durchspielen. Bei realistischen Szenarien sind durchaus Extremfälle denkbar, zum Beispiel dass ein Land knapp die Hälfte der ihm zustehenden Mandate verliert, dass es statt der üblichen 20 Mandate nur noch 11, 12 oder 13 Mandate hat. Das ist eine eklatante Benachteiligung von bestimmten Bundesländern. Es ist nicht zu akzeptieren, dass ein Drittel oder ein Viertel der Menschen in einem Bundesland eine Partei wählt, diese Partei dann aber ohne ein Mandat ausgeht. In Brandenburg hätte nur ein Wahlkreis verloren werden müssen, und dann wären die 330 000 CDU-Wähler ohne jegliche Vertretung im Deutschen Bundestag gewesen. Das ist das Gegenteil von Demokratie, und das ist nicht akzeptabel. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Krings, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe ausreichend Redezeit; die brauche ich nicht zu verlängern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Redezeit wird angehalten.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist ein ganz reizendes Angebot. Aber das ist nicht notwendig. Vielen Dank. ({0}) Meine Damen und Herren von den Grünen, Ihr Vorschlag ist - das wird vielleicht noch deutlicher, wenn Sie es im Zusammenhang hören - ein besonderes Beispiel für Willkür. Wenn hier Preise für Willkür und für mangelnde demokratische Reife eines Vorschlags ({1}) zu verteilen gewesen wären, hätten Sie beide Preise spielend abgeräumt. Interessant ist auch, dass Ihnen die wissenschaftlichen Unterstützer Ihres Vorschlags so langsam, aber sicher ausgehen. Es gab in der letzten Wahlperiode bei Ihnen eine Anhörung mit dem Mathematiker Pukelsheim, der versucht hat, Ihnen da ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Er hat sich inzwischen offenbar von Ihrem Gesetzentwurf distanziert. Sie zitieren ihn auch gar nicht mehr. Er hat offenbar andere Präferenzen und hat erkannt, dass es eine föderale Unwucht in ihrem Vorschlag gibt. ({2}) Ich freue mich daher, dass die Einwände gegen diese föderale Ungerechtigkeit, die in der letzten Wahlperiode nur ich hier im Deutschen Bundestag kritisiert habe, zumindest in der Wissenschaft auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Die Lernkurve bei den Grünen ist wieder einmal etwas ungünstiger. ({3}) Meine Damen und Herren, vollends lächerlich - jetzt wird es ganz bitter für Sie - und absurd ist § 7 Abs. 6 Ihres Gesetzentwurfs. Wenn ich darf, zitiere ich: Erzielt eine Partei bei der Zuteilung mehr Direktmandate, als ihr Sitze nach Absatz 5 zustehen, so werden die überzähligen Wahlkreissitze der Kandidaten dieser Partei mit dem geringsten prozentualen Stimmenanteil nicht besetzt; … Ich will der Mehrheit Ihrer Fraktion zugutehalten, dass sie diese Vorschrift vielleicht nicht gelesen hat, dass sie der eine oder andere vielleicht auch nicht verstanden hat. Das mag sein - es ist eine komplizierte Materie -, aber ich möchte gern Ihre Fraktionskollegen bösgläubig machen. Das ist der erste Vorschlag in der Geschichte des Wahlrechts der Bundesrepublik Deutschland - man könnte auch bis zu den Reichstagswahlen zurückgehen -, nach dem einem in einem Wahlkreis direkt gewählten Abgeordneten sein Mandat verweigert wird. Was daran demokratisch sein soll, möchte ich einmal wissen. Jedenfalls ist es Gift für die demokratische Akzeptanz und für das Vertrauen der Menschen in die Integrität des Wahlvorgangs. Diese hanebüchene Regelung kann durchaus - ich habe zuerst gar nicht glauben wollen, dass man so etwas ernsthaft vorschlägt; ich habe es dreimal lesen müssen - dazu beizutragen, dass das Vertrauen der Menschen in den Wahlvorgang abnimmt. Ich glaube kaum, dass jemand, der als Wähler Opfer Ihrer Regelung geworden ist, dann noch freudig zur nächsten Bundestagswahl geht. Ihr Vorschlag ist nichts anderes als ein großes Programm zur Reduzierung der Wahlbeteiligung in unserem Land. Das ist natürlich auch für einen Kandidaten misslich. Er hat einen spannenden Wahlkampf geführt - es kommt ja gerade in den Wahlkreisen zum Tragen, wo es zwischen zwei oder drei großen Parteien knapp wird -, er hat, vielleicht knapp, gesiegt, und dann zieht er nicht in den Bundestag ein. Diese Perspektive des Kandidaten halte ich aber für gar nicht so wichtig. Ich betrachte das mehr aus der Perspektive des Wählers - Sie würden sagen: der Wählerinnen und Wähler - in einem Wahlkreis. ({4}) Es könnte zu folgendem Fall kommen: In einem Wahlkreis hat sich die Mehrheit für einen bestimmten Kandidaten entschieden, und dann müssen die Wähler am nächsten Tag in der Zeitung lesen, dass der Kandidat, der ihre Interessen in Berlin vertreten soll, nicht in den Bundestag einrücken kann, weil irgendwo 500 Kilometer weiter weg so viele Überhangmandate angefallen sind, dass sein Mandat sozusagen als Kompensationsmasse, als Steinbruch benutzt wird. Das hätte zwei mögliche Folgen. Folge eins: Der Kandidat, der gewählt worden ist, kommt nicht in den Bundestag, aber ein anderer Kandidat, der auf einer Liste abgesichert ist, kommt in den Bundestag und kann die Wahlkreisinteressen vertreten. Der Gewinner bleibt dann draußen, und der Verlierer kommt rein. Das wäre geradezu die Verkehrung des Wahlergebnisses in einem Wahlkreis in sein Gegenteil. Auch das Gegenteil von demokratischer Akzeptanz wäre die Folge. ({5}) Folge zwei träte ein, wenn keiner der Kandidaten auf der Landesliste abgesichert ist. Es ist ja möglich, dass im Wahlkreis keiner der Kandidaten auf einer Liste abgesichert ist. Dann wäre dieser Wahlkreis ohne jegliche Vertretung im Deutschen Bundestag. Ich frage auch hier, ob das demokratisch ist. Gestatten Sie mir diese Bemerkung: Es mag ja sein, dass eine Fraktion, Herr Beck, die als einzigen direkt gewählten Kandidaten den Kollegen Ströbele hat, ({6}) es vielleicht nicht ganz so wichtig findet, dass viele über Direktmandate in den Bundestag kommen - das müssen sie unter sich ausmachen; vielleicht haben Sie auch ein Problem mit direkt gewählten Kandidaten -, ({7}) aber das, was Sie vorschlagen, wäre nicht gut für die Demokratie, nicht gut für die Akzeptanz des Wahlvorganges. Was ich hier angesprochen habe, ist keine blanke Theorie. Bei der letzten Bundestagswahl wären drei CSU-Abgeordnete nicht in den Deutschen Bundestag gekommen, obwohl sie in ihren Wahlkreisen gewählt wurden. Das wäre nicht in Ordnung. ({8}) Das hätte die Wähler vor Ort nicht motiviert, zur Wahl zu gehen. Das hätte die Wahlbeteiligung bei der nächsten Bundestagswahl bestimmt nicht gesteigert. Hätte die CDU deutschlandweit in einem der 16 Bundesländer nur einen Wahlkreis mehr gewonnen, wäre auch bei ihr ein Direktmandat abgezogen worden. Dann wäre der gleiche Effekt auch bei der CDU eingetreten. Insofern betrifft das Phänomen des Abzuges nicht nur die CSU, wie Sie es in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs fälschlicherweise schreiben, sondern es betrifft alle Volksparteien. ({9}) Alle Volksparteien, deren Kandidaten Direktmandate in ihren Wahlkreisen gewinnen können, sind von diesem Problem betroffen. Wir haben den Gesetzentwurf der Grünen gewogen und für zu leicht befunden. Er beweist, wie kompliziert die Aufgabe ist. Dies erklärt auch, warum wir von den Koalitionsfraktionen leider - das sage ich bewusst heute noch keinen Gesetzentwurf vorlegen können. Mir ist es aber lieber, dass wir die Frist des Verfassungsgerichts notfalls bis zur Neige ausschöpfen, als dass wir dem Deutschen Bundestag ein dürftiges Machwerk vorlegen, wie Sie es heute getan haben. ({10}) Das Wahlrecht - das haben, glaube ich, auch Sie betont, Herr Beck - ist die Grundlage der Demokratie. Das erfordert, dass die Menschen Vertrauen in die Integrität des Wahlvorganges haben. Ein Wahlsystem muss daher für den Bürger nachvollziehbar und durchschaubar sein. Es darf nicht willkürlich erscheinen. Ich glaube, ich habe eben hinreichend deutlich gemacht, wie willkürlich das von Ihnen vorgeschlagene Wahlsystem dem Bürger vor Ort erscheinen würde. Ein Wahlsystem muss die Sitzverteilung zwischen den Parteien, aber auch zwischen den Landeslisten dem Wählerwillen gemäß abbilden. Auch das wird mit Ihrem Gesetzentwurf in föderaler Hinsicht nicht erreicht. Sie haben die beiden zentralen Probleme der Wahlrechtsreform nicht gelöst. Ich stimme Ihnen zu: Wir müssen mit Hochdruck weiterarbeiten und miteinander reden, um die Sache zu regeln. Aber tun Sie sich bitte selber einen Gefallen: Ersparen Sie sich die Peinlichkeit und ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf zurück, ehe ihn noch mehr Leute lesen! Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich komme zurück zu den namentlichen Abstimmungen. Ich gebe die von den Schriftführerinnen und Vizepräsidentin Petra Pau Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt. Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Japan, Drucksache 17/5048: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben 308 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 272 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Es gab 6 Enthaltungen. Der Entschließungsantrag ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 586; davon ja: 308 nein: 272 enthalten: 6 Ja CDU/CSU Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Manfred Behrens ({1}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser ({4}) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Joachim Hörster Anette Hübinger Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({5}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Bernhard Kaster Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({6}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({7}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({8}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({9}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({10}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({11}) Anita Schäfer ({12}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({13}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({14}) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({15}) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({16}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({17}) Peter Weiß ({18}) Sabine Weiss ({19}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Vizepräsidentin Petra Pau Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({20}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({21}) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({22}) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Michael Link ({23}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({24}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({25}) Dirk Niebel Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({26}) Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({27}) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({28}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({29}) Kerstin Griese Michael Groschek Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({30}) Hubertus Heil ({31}) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({32}) Frank Hofmann ({33}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({34}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({35}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({36}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Manfred Nink Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({37}) Michael Roth ({38}) Marlene Rupprecht ({39}) Axel Schäfer ({40}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({41}) Werner Schieder ({42}) Ulla Schmidt ({43}) Carsten Schneider ({44}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({45}) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({46}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Vizepräsidentin Petra Pau Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({47}) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({48}) Volker Beck ({49}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({50}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({51}) Monika Lazar Agnes Malczak Kerstin Müller ({52}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({53}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Enthalten CDU/CSU Josef Göppel Siegfried Kauder ({54}) FDP Holger Krestel Dr. Martin Lindner ({55}) Hans-Joachim Otto ({56}) Dr. Rainer Stinner Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung, Nr. 2 des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD, Drucksache 17/5049: abgegebene Stimmen 588. Mit Ja haben gestimmt 277, mit Nein haben gestimmt 311 Kolleginnen und Kollegen, es gab keine Enthaltungen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 588; davon ja: 277 nein: 311 Ja CDU/CSU Josef Göppel Rüdiger Kruse SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({57}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({58}) Kerstin Griese Michael Groschek Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({59}) Hubertus Heil ({60}) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({61}) Frank Hofmann ({62}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({63}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({64}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({65}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Vizepräsidentin Petra Pau Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Manfred Nink Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({66}) Michael Roth ({67}) Marlene Rupprecht ({68}) Axel Schäfer ({69}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({70}) Werner Schieder ({71}) Ulla Schmidt ({72}) Silvia Schmidt ({73}) Carsten Schneider ({74}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({75}) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({76}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({77}) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({78}) Volker Beck ({79}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({80}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({81}) Monika Lazar Agnes Malczak Kerstin Müller ({82}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({83}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({84}) Manfred Behrens ({85}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({86}) Dirk Fischer ({87}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser ({88}) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Vizepräsidentin Petra Pau Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Joachim Hörster Anette Hübinger Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({89}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({90}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({91}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({92}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({93}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({94}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({95}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({96}) Anita Schäfer ({97}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({98}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({99}) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({100}) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({101}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({102}) Peter Weiß ({103}) Sabine Weiss ({104}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({105}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({106}) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({107}) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({108}) Michael Link ({109}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({110}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({111}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({112}) Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({113}) Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({114}) Vizepräsidentin Petra Pau Wir kommen zu Nr. 3 des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD, Drucksache 17/5049: abgegebene Stimmen 584. Mit Ja haben 205 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 309, und es gab 70 Enthaltungen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 585; davon ja: 205 nein: 310 enthalten: 70 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({115}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({116}) Kerstin Griese Michael Groschek Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({117}) Hubertus Heil ({118}) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({119}) Frank Hofmann ({120}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({121}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({122}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({123}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Manfred Nink Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({124}) Michael Roth ({125}) Marlene Rupprecht ({126}) Axel Schäfer ({127}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({128}) Werner Schieder ({129}) Ulla Schmidt ({130}) Silvia Schmidt ({131}) Carsten Schneider ({132}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({133}) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({134}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({135}) Volker Beck ({136}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({137}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({138}) Monika Lazar Agnes Malczak Kerstin Müller ({139}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({140}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({141}) Manfred Behrens ({142}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Vizepräsidentin Petra Pau Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({143}) Dirk Fischer ({144}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser ({145}) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Joachim Hörster Anette Hübinger Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({146}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({147}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({148}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({149}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({150}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({151}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({152}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({153}) Anita Schäfer ({154}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({155}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({156}) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({157}) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({158}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({159}) Peter Weiß ({160}) Sabine Weiss ({161}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({162}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({163}) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({164}) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({165}) Michael Link ({166}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Vizepräsidentin Petra Pau Jan Mücke Petra Müller ({167}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({168}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({169}) Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({170}) Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({171}) Enthalten CDU/CSU Josef Göppel Rüdiger Kruse DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({172}) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Jörn Wunderlich Nr. 4 des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD, Drucksache 17/5049: abgegebene Stimmen 593. Mit Ja haben gestimmt 275, mit Nein 318 Kolleginnen und Kollegen, es gab keine Enthaltungen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 588; davon ja: 273 nein: 315 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({173}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({174}) Kerstin Griese Michael Groschek Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({175}) Hubertus Heil ({176}) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({177}) Frank Hofmann ({178}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({179}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({180}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({181}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Manfred Nink Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Vizepräsidentin Petra Pau Karin Roth ({182}) Michael Roth ({183}) Marlene Rupprecht ({184}) Axel Schäfer ({185}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({186}) Werner Schieder ({187}) Ulla Schmidt ({188}) Silvia Schmidt ({189}) Carsten Schneider ({190}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({191}) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({192}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({193}) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({194}) Volker Beck ({195}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({196}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({197}) Monika Lazar Agnes Malczak Kerstin Müller ({198}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({199}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({200}) Manfred Behrens ({201}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({202}) Dirk Fischer ({203}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser ({204}) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Joachim Hörster Anette Hübinger Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({205}) Dr. Egon Jüttner Vizepräsidentin Petra Pau Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({206}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({207}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({208}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({209}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({210}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({211}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({212}) Anita Schäfer ({213}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({214}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({215}) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({216}) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({217}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({218}) Peter Weiß ({219}) Sabine Weiss ({220}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({221}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({222}) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({223}) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({224}) Michael Link ({225}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({226}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({227}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({228}) Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({229}) Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({230}) Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 17/5050: abgegebene Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt 69, mit Nein 316, und 204 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Vizepräsidentin Petra Pau Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 588; davon ja: 69 nein: 315 enthalten: 204 Ja SPD Karin Evers-Meyer DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({231}) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Jörn Wunderlich Nein CDU/CSU Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({232}) Manfred Behrens ({233}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({234}) Dirk Fischer ({235}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser ({236}) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Joachim Hörster Anette Hübinger Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({237}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({238}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({239}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({240}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({241}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({242}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({243}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({244}) Anita Schäfer ({245}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({246}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({247}) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Vizepräsidentin Petra Pau Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({248}) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({249}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({250}) Peter Weiß ({251}) Sabine Weiss ({252}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({253}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({254}) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({255}) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({256}) Michael Link ({257}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({258}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({259}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({260}) Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({261}) Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({262}) Enthalten SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({263}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Elke Ferner Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({264}) Kerstin Griese Michael Groschek Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({265}) Hubertus Heil ({266}) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({267}) Frank Hofmann ({268}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({269}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({270}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({271}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Manfred Nink Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({272}) Michael Roth ({273}) Marlene Rupprecht ({274}) Axel Schäfer ({275}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({276}) Werner Schieder ({277}) Ulla Schmidt ({278}) Silvia Schmidt ({279}) Carsten Schneider ({280}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({281}) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Vizepräsidentin Petra Pau Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({282}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({283}) Volker Beck ({284}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({285}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({286}) Monika Lazar Agnes Malczak Kerstin Müller ({287}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({288}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 17/5051: abgegebene Stimmen 588. Mit Ja haben gestimmt 278, mit Nein 310 Kolleginnen und Kollegen, Enthaltungen gab es keine. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 587; davon ja: 278 nein: 309 Ja CDU/CSU Josef Göppel Rüdiger Kruse Dr. Peter Tauber SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({289}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({290}) Kerstin Griese Michael Groschek Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({291}) Hubertus Heil ({292}) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({293}) Frank Hofmann ({294}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({295}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({296}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({297}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Manfred Nink Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({298}) Michael Roth ({299}) Marlene Rupprecht ({300}) Axel Schäfer ({301}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({302}) Werner Schieder ({303}) Ulla Schmidt ({304}) Silvia Schmidt ({305}) Carsten Schneider ({306}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({307}) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Vizepräsidentin Petra Pau Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({308}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({309}) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({310}) Volker Beck ({311}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({312}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({313}) Monika Lazar Agnes Malczak Kerstin Müller ({314}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({315}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({316}) Manfred Behrens ({317}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({318}) Dirk Fischer ({319}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser ({320}) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Joachim Hörster Anette Hübinger Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({321}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({322}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Bettina Kudla Vizepräsidentin Petra Pau Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({323}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({324}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({325}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({326}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({327}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({328}) Anita Schäfer ({329}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({330}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({331}) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({332}) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({333}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Arnold Vaatz Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({334}) Peter Weiß ({335}) Sabine Weiss ({336}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({337}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({338}) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({339}) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({340}) Michael Link ({341}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({342}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({343}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({344}) Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({345}) Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({346}) Ergebnis der siebten namentlichen Abstimmung, in diesem Fall über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5052: abgegebene Stimmen 584. Mit Ja haben gestimmt 273, mit Nein 311 Kolleginnen und Kollegen, es gab keine Enthaltungen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Vizepräsidentin Petra Pau Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 584; davon ja: 273 nein: 311 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({347}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({348}) Kerstin Griese Michael Groschek Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({349}) Hubertus Heil ({350}) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({351}) Frank Hofmann ({352}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({353}) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({354}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({355}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Manfred Nink Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({356}) Michael Roth ({357}) Marlene Rupprecht ({358}) Axel Schäfer ({359}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({360}) Werner Schieder ({361}) Ulla Schmidt ({362}) Silvia Schmidt ({363}) Carsten Schneider ({364}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({365}) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({366}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({367}) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({368}) Volker Beck ({369}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({370}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({371}) Monika Lazar Agnes Malczak Kerstin Müller ({372}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Vizepräsidentin Petra Pau Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({373}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens ({374}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({375}) Dirk Fischer ({376}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser ({377}) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Joachim Hörster Anette Hübinger Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({378}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({379}) Dr. Stefan Kaufmann Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({380}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({381}) Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({382}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({383}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({384}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({385}) Anita Schäfer ({386}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({387}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({388}) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({389}) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({390}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({391}) Peter Weiß ({392}) Sabine Weiss ({393}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({394}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Vizepräsidentin Petra Pau Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({395}) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({396}) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({397}) Michael Link ({398}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({399}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({400}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({401}) Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({402}) Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({403}) Wir fahren nun in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion. ({404})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Krings, vielen Dank für Ihre Offenheit. Nach der wortreichen Kritik am Gesetzentwurf der Grünen haben Sie kurz vor Schluss Ihrer Rede in zwei einfachen Sätzen doch noch die Hosen heruntergelassen ({0}) und etwas eingeräumt. Sie haben keine Lösung, ({1}) Sie können nichts vorlegen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht vor fast drei Jahren entschieden hat, dass unser Wahlrecht in Teilen nicht der Verfassung entspricht und repariert werden muss, haben Sie jetzt, drei Monate vor Ablauf der gesetzten Frist, keine Lösung. Ich muss sagen: Das ist armselig. ({2}) Wir haben Ihnen schon direkt nach der letzten Bundestagswahl Gespräche angeboten. Wir haben auch Gespräche mit Ihnen geführt. Wir haben als Opposition Vorschläge gemacht. ({3}) Aber Sie haben dieses Thema vertagt. Seit drei Monaten führen Sie keine Gespräche mehr, weil Sie, Union und FDP, sich untereinander nicht einigen können. ({4}) Sie rechnen ununterbrochen hin und her und versuchen, für die eigene Fraktion in den Verhandlungen den größtmöglichen Vorteil herauszuholen. Sie können sich aber nicht einigen. Das, Herr Krings, ist kein angemessener Umgang mit dem Wahlrecht. ({5}) Das Wahlrecht ist nicht irgendein Recht. Nach unserer Verfassung geht die Staatsgewalt vom Volke aus, ({6}) und sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt. ({7}) Also: Wahlen sind Verfassungsrecht. Wahlen sind Demokratierecht. Das Wahlrecht muss so gestaltet werden, dass das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie nicht beeinträchtigt wird. ({8}) Wenn sich die Bürgerinnen und Bürger das Wahlgesetz anschauen, dann stellen sie fest: Dort steht, dass die gesetzliche Zahl der Mitglieder des Deutschen Bundestages 598 beträgt. 299 Abgeordnete werden in Wahlkreisen direkt gewählt, und 299 werden mit der Zweitstimme über die Landeslisten gewählt. Würde man bei voll besetztem Plenum nachzählen, würde man feststellen: Es sind nicht 598 Abgeordnete, sondern 621. Vor 14 Tagen waren es noch 622. Dann ist allerdings der Freiherr von und zu Guttenberg zurückgetreten und hat sein Bundestagsmandat niedergelegt. ({9}) Normalerweise kommt dann ein Nachrücker von der Landesliste und ersetzt den Abgeordneten, der sein Mandat niedergelegt hat. Bei Herrn zu Guttenberg ist das nicht passiert. Das liegt jetzt nicht an der Einzigartigkeit oder Unersetzlichkeit von Herrn zu Guttenberg, sondern daran, dass Herr zu Guttenberg aus einem Landesverband kommt, nämlich aus Bayern, ({10}) wo die CSU drei Überhangmandate erzielt hat. Solange es Überhangmandate gibt, werden verlorene Mandate infolge von Mandatsniederlegungen nicht ersetzt. Das heißt, der Deutsche Bundestag ist eine variable Größe. ({11}) Wir werden schon in 14 Tagen das zweite Schauspiel erleben: Dann wird Frau Julia Klöckner, ({12}) wenn sie als Oppositionsführerin in den rheinland-pfälzischen Landtag wechselt, ({13}) ihr Mandat niederlegen, und - das werden Sie feststellen auch für sie rückt niemand nach. ({14}) Denn auch in Rheinland-Pfalz hatte die CDU Überhangmandate. Insgesamt hat die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag 24 Überhangmandate. ({15}) So viele gab es im Deutschen Bundestag noch nie. ({16}) Um 24 Überhangmandate durch Zweitstimmen zu erzielen, müsste man 1,6 Millionen Zweitstimmen erhalten. Sie haben 24 Extra-Mandate, für die Sie keinerlei Wähler aktivieren mussten. ({17}) Das ist eine grobe Verzerrung des politischen Wählerwillens in Deutschland. ({18}) Davon hat in der Vergangenheit auch die SPD profitiert. ({19}) Das macht die Sache aber nicht gut, Herr Kollege, und deshalb plädieren wir auch mit Blick darauf, dass die SPD nach den augenblicklichen Umfragen schon wieder in den Genuss von Überhangmandaten kommen würde, dafür, neben dem negativen Stimmgewicht gleichzeitig die grob ergebnisverzerrende Wirkung von Überhangmandaten zu beseitigen. ({20}) Wir machen dies also auch zu unserem eigenen Nachteil für den Fall, dass wir wieder in den Genuss von Überhangmandaten kommen sollten. ({21}) Das kann also kein Maßstab sein. ({22}) Wir dürfen das nicht allein durch die parteipolitische Brille betrachten, sondern wir sollten mit Sorge sehen, dass im Fünfparteiensystem, das wir bedauerlicherweise haben ({23}) - ja, mit der CSU ist es sogar ein Sechsparteiensystem -, der Trend zum Stimmensplitting stärker ausgeprägt sein wird. ({24}) Die Konsequenz wird sein, dass wir noch mehr Überhangmandate bekommen, und der Kollege Beck hat schon darauf hingewiesen: Es besteht die konkrete Gefahr, dass Regierungsmehrheiten nach Zweitstimmen durch Überhangmandate umgedreht werden können und wir dann eine in ihrer Legitimität angezweifelte Mehrheit haben. Darauf eine Regierung zu stützen, würde Deutschland ganz sicher direkt in die Verfassungskrise führen. Deshalb sagen wir: Die Überhangmandate müssen wir jetzt gleich mit angehen. 24 Überhangmandate, die Sie jetzt haben, das bewegt sich schon sehr stark auf die Fünfprozentgrenze zu. Mit anderen Worten: Die Inhaber von Überhangmandaten sind so etwas wie die sechste oder, wie Sie wollen, siebte Fraktion hier im Deutschen Bundestag. Sie sind ein Fremdkörper in unserem Wahlrecht. Es geht jetzt darum, die Gelegenheit der verfassungsrechtlichen Reparatur des Wahlrechts zu nutzen, um diesen Fremdkörper aus unserem Wahlrecht zu entfernen. ({25}) Wir schlagen deshalb vor, dass Überhangmandate durch Ausgleichmandate kompensiert werden sollen. ({26}) Allerdings ist auch das kein Vorschlag, der überhaupt keine Probleme mit sich bringt. Es gibt übrigens keine Lösung ohne Probleme; das muss man fairerweise einmal sagen. ({27}) Auch das, was Sie überlegen, hat positive, aber auch negative Ansätze. Wir wollen Ausgleichsmandate schaffen, sodass die Proportionalität der abgegebenen Zweitstimmen wiederhergestellt wird, damit sich der Deutsche Bundestag so zusammensetzt, wie es die Wählerinnen und Wähler mit ihren Zweitstimmen entschieden haben. Das ist unser Ziel. Wir wollen Ausgleichsmandate für die Überhangmandate schaffen. Wir wissen: Bei 24 Überhangmandaten kommt man auf ungefähr 45 Ausgleichsmandate. ({28}) Das würde zu einer erheblichen Vergrößerung des Deutschen Bundestages führen. ({29}) Das streben wir jedoch nicht an. Deshalb sagen wir: In der übernächsten Wahlperiode müssen wir uns an die Arbeit machen und die Zahl der Wahlkreise verringern. ({30}) - Nein, nicht alle Wahlkreise, aber es ist ein erhebliches Stück Arbeit. ({31}) - Wenn Sie ein demokratisches Wahlergebnis auch im Deutschen Bundestag abgebildet haben wollen, dann müssen Sie sich schon Mühe geben. Im Augenblick ist das jedenfalls nicht so. - Das ist also unser Vorschlag. Was die Grünen vorschlagen, ist eine mögliche Lösung, aber nicht die beste. Die Konsequenz, dass ein direkt gewählter Abgeordneter sein Mandat hier nicht übernehmen kann, ist jedenfalls nicht basisdemokratisch. ({32}) Ich darf hier an eine der vier Wurzeln der Grünen erinnern. Immerhin ist das aber ein Vorschlag. Sie haben dagegen noch gar keinen Vorschlag. ({33}) Herr Krings, ich darf jetzt einmal an das anknüpfen, was Sie bisher zur Diskussion gestellt haben, dass Sie als Koalition nämlich darüber nachdenken, das deutsche Wahlvolk auf 16 autonome Teilgebiete zu verteilen, die rechtlich voneinander abgegrenzt sind. ({34}) Das würde zu ganz erheblichen Konsequenzen führen. ({35}) Es ist so, dass wir ein Bundesstaat sind und ein Bundesvolk haben. Ihr Vorschlag bedeutete also eine Föderalisierung unseres Wahlrechtes, und die Konsequenz wäre auch, dass die Fünfprozentklausel dann natürlich nicht mehr bundesweit, ({36}) sondern landesweit gelten würde. ({37}) Das heißt, eine verfassungsfeindliche und verfassungswidrige Partei wie die NPD - noch ist das leider nicht festgestellt worden - würde dann in den Ländern, in denen sie Chancen hat, in den Deutschen Bundestag einzuziehen, Schwerpunktwahlkämpfe durchführen. ({38}) Bewahren Sie uns vor einem solchen Wahlrecht mit solchen Konsequenzen. Bitte nicht! ({39}) Ich meine, wir sollten alles dafür tun, dass wir am Ende zu einer einvernehmlichen Lösung kommen. Wir streben das nach wie vor an. Wir sind davon überzeugt, dass wir uns mit unserem Vorschlag nicht zu 100 Prozent durchsetzen können, aber ich glaube, es wäre für die Demokratie gut, wenn wir uns über die grundsätzlichen Spielregeln, wie politischer Einfluss in Deutschland demokratisch verteilt werden soll, vernünftig verständigen könnten. Wir sind dazu bereit. Sie müssen sich jetzt aber ein bisschen bewegen; in drei Monaten läuft die Frist ab. ({40}) Nachdem schon bei den Neuregelungen zu Hartz IV die Frist um Monate versäumt wurde, sollten wir nicht erneut eine vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist verstreichen lassen und dadurch das Bundesverfassungsgericht missachten. Bewegen Sie sich also! Wir sind zu Verhandlungen bereit. Vielen Dank. ({41})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Ruppert das Wort. Vizepräsidentin Petra Pau ({0})

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wahlrecht - das haben alle Vorredner zu Recht betont - ist einerseits ein hochpolitisches Recht, das andererseits aber möglichst im breiten Konsens aller Demokraten zu regeln ist. Es ist so etwas wie die Grammatik des demokratischen Diskurses. Der Bürger muss diese Regeln kennen und verinnerlichen. Er muss wissen, wie sich sein Wahlverhalten in ein konkretes Wahlergebnis umsetzt und was seine Erst- und seine Zweitstimme inhaltlich bewirken. Wenn man das ernst nimmt, dann muss man wissen, dass jedwede Änderung am Wahlrecht auch Auswirkungen auf eine eingeübte Praxis des Wählers hat: Der Wähler muss sich bei der Beantwortung der Frage, wie er nun in Zukunft wählen muss, umstellen. Ich glaube, hier ist es wie mit der Grammatik der Sprache oder der Rechtschreibung: Abrupte Änderungen und ein Systemwechsel - bei einem an sich bewährten Wahlrecht - bieten sich hier nicht an, weil wir damit auch an der Legitimation des Verfahrens rütteln würden. ({0}) Deswegen sollten wir aus meiner Sicht keinen Systemwechsel vornehmen, obwohl uns das Bundesverfassungsgericht klar gesagt hat, dass die Bandbreite möglicher Wahlsysteme in der Bundesrepublik, die verfassungsgemäß wären, durchaus groß ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich dieses Wahlrecht bewährt hat und dass wir deswegen den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass nehmen müssen, sozusagen minimalinvasiv an der Stelle gegen das Problem vorzugehen, an der es entsteht. Ich zitiere aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil - das hätte Herr Beck vielleicht auch noch einmal lesen sollen -: Der Effekt des negativen Stimmgewichts lässt sich daher nicht isoliert beheben, sondern erfordert grundlegende Vorarbeiten, die die verschiedenen Vor- und Nachteile in den Blick nehmen. Leider sind die Grünen diesem Rat nicht gefolgt; sie haben isoliert einen einzelnen Vorschlag vorgelegt. ({1}) Was mich daran auch in kollegialer Hinsicht ausgesprochen ärgert, ist, dass das Zugehen auf Herrn Beck am Rande des Plenarsaals, das Telefonieren mit seinem Büro und die Gesprächsangebote bei allen gleichen Interessen, die wir beide als Vertreter kleiner Parteien durchaus haben - auch wenn Sie sich derzeit stärker fühlen mögen, als Sie sind -, immer huldvoll mit der Aussage beantwortet wurde, die Zahlen bzw. Berechnungen könne man liefern, aber Gesprächsbedarf sei derzeit nicht vorhanden. ({2}) Mehrere Initiativen gerade von mir und meiner Fraktion, auf die Grünen zuzugehen, und alle Gesprächsangebote haben Sie abgelehnt. Gleiches ist mir mit dem Kollegen Wieland als zuständigem Berichterstatter passiert, der auch zweimal Gesprächsangebote abgelehnt hat. Deshalb sollten Sie nicht so tun, als ob Sie keine Gesprächsangebote bekommen hätten. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ruppert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich, nachdem wiederholt die angesetzten Gespräche abgesagt und die bereits für den Dezember versprochenen Formulierungen der Koalition weder im Dezember noch im Januar oder Februar übermittelt wurden, den Parlamentarischen Geschäftsführern mitgeteilt habe, dass wir unseren Vorschlag zur Debatte stellen werden, damit das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet wird? Wir haben ausdrücklich betont, dass wir jederzeit zu Gesprächen bereit sind. Aber da die Gesprächstermine abgesagt und die zugesagten Formulierungen nicht übermittelt wurden - das ist aber notwendig, damit die Diskussion über die Vorschläge der Koalition stattfinden kann -, haben wir gesagt: Jetzt müssen wir das Gesetzgebungsverfahren einleiten, damit das Hohe Haus die wahlrechtlichen Fragen in angemessener Form prüft. Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Weg, den unser Gesetzentwurf vorsieht, am Schluss des Urteils ausdrücklich als eine der zwei Hauptideen des Verfassungsgerichtes hierzu erwähnt wird? An anderer Stelle werden noch weitere Ideen wie das Grabenwahlsystem erwähnt, denen wir beide als Vertreter kleinerer Parteien wahrscheinlich nicht nähertreten wollen. Wir sind auch zu Gesprächen mit Ihnen jederzeit bereit. Das ist aber nur dann sinnvoll, wenn wir den Vorschlag der Koalition kennen und wissen, ob es auf der Grundlage dieses Vorschlags Gesprächsmöglichkeiten und Veränderungsmöglichkeiten gibt. Bislang steht die Koalition beim Wahlrecht nackt da.

Dr. Stefan Ruppert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Beck, zunächst einmal muss man festhalten: Alle angebotenen Gespräche wurden Ihrerseits abgesagt. Ich habe mehrere Fachgespräche mit Verfassungsrechtlern und Mathematikern geführt und versucht, mich tief in das Thema hineinzudenken. Ich habe daran Interesse als Demokrat, der zwar nicht persönlich, aber aus historischer Sicht die Situation einer Großen Koalition kennt, bei der es in den 60er-Jahren seitens der Volksparteien Initiativen zur Änderung des Wahlrechts gegeben hat. Ich war bereit, mit Ihnen darüber ins Gespräch zu kommen. Wie Sie und auch Herr Oppermann richtig gesagt haben, gibt es nicht die eine Lösung, die alle Probleme behebt. Aber wir müssen miteinander darüber reden, welche Vor- und Nachteile bestehen. Das geht aber nicht, wenn Sie jeden Gesprächstermin absagen. ({0}) - Zwei Termine haben Sie abgesagt, einen hat Herr Wieland abgesagt. ({1}) Jetzt kommen wir zu Ihrem Vorschlag. Zunächst einmal muss man noch einen Aspekt isoliert betrachten. Die OSZE hat uns kritisiert, weil wir die Wahlzulassung und Wahlprüfung in Deutschland nicht regeln. In einem Bericht zur Bundestagswahl 2009 hat die OSZE festgestellt, dass weder die Wahlzulassung noch die Wahlprüfung in Deutschland ausreichend geregelt sind. Unser Verfassungsgericht ist zwar mit den bestehenden Regelungen einverstanden, wie wir wissen, aber es ist kein Ruhmesblatt, sage ich, wenn etwa im Falle der Pauli-Partei keine Möglichkeit besteht, gegen eine Entscheidung des Bundeswahlausschusses vorzugehen. Das wurde uns auch mehrfach ins Stammbuch geschrieben. Aber leider verlieren Sie im grünen Gesetzentwurf kein einziges Wort zu diesem dringenden und wichtigen rechtsstaatlichen Problem. ({2}) Ich kann Ihnen sagen - auch das hätte ich in den Gesprächen mit Ihnen gern erörtert -: ({3}) In der Tat gibt es auch dort große fachliche Schwierigkeiten. In ein knappes zeitliches Verfahren mit 72 Tagen vor der Wahl müssen Sie die Zulassung eines Rechtsschutzes etwa zum Bundesverwaltungsgericht integrieren. ({4}) Sie müssen das auch in Einklang mit Art. 41 GG bringen, der die Wahlprüfung dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundestag und nicht etwa dem Bundesverwaltungsgericht zuweist. Also liegen viele Probleme im Detail. Sie wären es wert, fachlich, in aller Ruhe und möglichst konsensorientiert debattiert zu werden. Nur, dazu sind wir - vielleicht bin ich zu sehr von der Perspektive des kleinen Berichterstatters geprägt - meiner Meinung nach nicht gekommen. Das lag nicht an den Berichterstattern. Ich habe zum Beispiel mit Frau Fograscher sehr interessante Gespräche geführt, in denen wir uns über diese Probleme ausgetauscht haben. Frau Fograscher sagt die Termine also nicht ab. Insofern glaube ich, dass es noch nicht zu spät, aber an der Zeit ist, jetzt zu einer Lösung zu kommen, die nicht nur punktuell ein Problem in den Blick nimmt, wie Sie es getan haben, sondern die mehrere Dinge beachtet: Berliner Zweitstimme - das haben Sie aus meiner Sicht völlig zu Recht und richtig mit gelöst -, Wahlprüfung, Wahlzulassung sowie die Frage des negativen Stimmgewichts. Bei Ihrem Vorschlag haben Sie leider einen Fehler gemacht. Sie haben sich zwei Berater geholt - so lese ich es zumindest -, nämlich Herrn Meyer und Herrn Pukelsheim. Herr Pukelsheim wird im Vorschlag zur 16. Legislaturperiode erwähnt, Herr Meyer im zweiten Teil, mit dem Sie die CSU-Überhangmandate adressieren. Sie haben nur leider den Fehler gemacht, dass Sie die beiden problematischsten Teile von deren Vorschlägen kombiniert haben. Das hat Ihnen Herr Krings sachlich richtig und nachvollziehbar vorgeführt. ({5}) Sie haben die beiden verfassungsrechtlich prekärsten Dinge kombiniert und kommen so zu einer Lösung, die in dieser Form sicherlich nicht verfassungsgemäß wäre. ({6}) 342 000 Wähler in Brandenburg sollen genauso viel Gewicht haben wie 62 000 Wähler in Baden-Württemberg. Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass Sie das Problem des negativen Stimmgewichts auf der einen Seite beheben, um dann einen derart ungleichen Erfolgswert an anderer Stelle wieder einzuführen? Wenn Sie das nachrechnen würden, würden Sie selbst feststellen, dass ein solcher Vorschlag untragbar und grotesk ist. ({7}) Auch beim Problem der Überhangmandate kurieren Sie ein Phänomen, ({8}) über das man durchaus reden kann. Aber mit der föderalen Unwucht, die dadurch entsteht, führen Sie einen neuen Fehler ein. ({9}) - Genau, darauf komme ich noch zu sprechen. Sie entsteht bei Ausgleichsmandaten nicht. ({10}) Insofern ist die Lösung mit Blick auf die Ausgleichsmandate eindeutig zu bevorzugen. Allerdings - jetzt komme ich auf die Ausgleichsmandate zu sprechen - kurieren die Ausgleichsmandate, Herr Oppermann, im strengen Wortsinn der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts das negative Stimmgewicht nicht. ({11}) Sie kurieren das Ergebnis und das Verhältnis untereinander, also sozusagen die Folgen. Wenn man nur den einzelnen Abgeordneten betrachtet, bleibt das folgende Phänomen: Es kann sich schädlich auswirken, dass ein CDU-Wähler die CDU gewählt hat, weil er seiner Partei in der Summe aller Mandate ein Mandat weniger beschert hat. ({12}) - Doch. ({13}) - In der Summe wird es ein Mandat weniger. Sie kurieren dann die Folgen, indem Sie das wieder in ein richtiges Verhältnis zueinander setzen. Aber wenn Sie den Wortlaut der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lesen, müssen Sie zumindest darüber diskutieren, ob das wirklich das Problem beseitigt. Sonst wäre Ihr Vorschlag meiner Ansicht nach einer der wichtigen, die zu debattieren sind. Allerdings setzten Sie sich einem Vorwurf aus; das hat der Kollege Krings auch schon in einem Zwischenruf gesagt. Wenn Sie ausgleichen, gibt es in einem Bundestag, der viele Überhangmandate umfasst, einen sehr großen Hebel für den Ausgleich. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das man der CSU nicht wünschen will; das wird nie passieren, keine Angst. Sie sinkt bei den Zweitstimmen auf 30 Prozent ab. ({14}) Das ist wirklich ein rein hypothetisches Modell. Nehmen wir also an, sie sinkt auf 30 Prozent ab, gewinnt aber nach wie vor alle Wahlkreise. Dann werden nach dem Modell der Grünen reihenweise die Mandate ihrer direkt gewählten Abgeordneten aberkannt, was sicherlich - das hat Herr Krings schon gesagt - zu untragbaren Ergebnissen führt. ({15}) Aber nicht nur das: Sie erzielt auch 15 oder 16 Überhangmandate, die dann im Verhältnis zu einer Partei wie der SPD, die vielleicht 45 Prozent erreicht hat, ausgeglichen werden müssen. Das bedeutete, dass Sie alleine für die SPD einen Ausgleich von 60 oder 70 Mandaten schaffen müssten. ({16}) Das heißt in dem einen Fall, dass Überhangmandate auftreten, erzeugen Sie einen enormen Hebel zur Vergrößerung des Parlaments. In dem anderen Fall, dass keine Überhangmandate auftreten, gibt es diesen Hebel nicht. Deswegen kuriert Ihr Vorschlag, den Bundestag auf 450 oder 500 Mitglieder zu verkleinern, das Problem in der Sache nicht ernsthaft. Verkleinern Sie den Bundestag auf 500 Mitglieder, dann bleiben Sie in dem einen Fall bei 500, in dem anderen Fall aber erreichen Sie 680 Mitglieder. Diese Bandbreite zu erklären, ist meiner Meinung nach nur schwer möglich. ({17}) Ich will einige Takte zu dem sagen, was meiner Meinung nach jetzt folgen muss. Es gibt einen relativ schmalen Korridor von denkbaren Lösungsansätzen. Sie haben das Trennungsmodell angeführt. Bei einem unitarischen Wahlvorgang ist es uns aus meiner Sicht möglich, die 5-Prozent-Hürde auf die Bundesebene zu verlagern. Das ist kein verfassungsrechtliches Problem. Es gibt aber bei sehr kleinen Wahlgebieten verfassungsrechtliche Probleme, weil die 5-Prozent-Hürde dort faktisch angehoben wird. Sie können ein Ausgleichsmodell erarbeiten, das nur einen geringeren Ausgleich vorsieht, oder bei Ihrem Ausgleichsmodell Modifikationen vornehmen. All diese Systeme führen verfassungsrechtlich aber zu Kollateralschäden, die es gegeneinander abzuwägen gilt. Das hätten wir lieber im Gespräch miteinander und nicht im Streit untereinander gemacht. ({18}) Insofern fand ich das Vorpreschen gerade für eine Partei wie die Grünen, die an einem demokratischen Konsens interessiert ist, äußerst unangebracht. Wir sollten den Diskussionsprozess insofern jetzt beschleunigen und intensivieren. ({19}) Vielen Dank. ({20})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Wawzyniak das Wort. ({0})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Linken wollen ein einfaches, demokratisches und transparentes Wahlrecht. Die Vorschläge der Linken hierzu kommen ungefähr ab Minute sieben meiner Rede. Die Bürgerinnen und Bürger können derzeit maximal alle vier Jahre direkt auf Politik Einfluss nehmen, indem sie uns für vier Jahre ein Mandat geben. Fakt ist: Das Wahlrecht ist unübersichtlich und kompliziert. Doch reden wir bedauerlicherweise nicht deshalb hier darüber, sondern - das ist zu Recht gesagt worden - weil uns das Bundesverfassungsgericht einen Auftrag gegeben hat, nämlich den Auftrag, das Problem zu lösen, dass unter Umständen ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an Sitzen der Landesliste oder ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landesliste führt. Das nennt man negatives Stimmgewicht der Zweitstimmen, also der Stimmen, die man für die Landesliste einer Partei abgibt. Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgegeben, bis zum 30. Juni eine Lösung zu finden. Die Grünen haben dankenswerterweise wenigstens einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, auch wenn dieser nicht wirklich überzeugend ist. Was wollen die Grünen? Die Grünen wollen, dass die Direktmandate auf das Zweitstimmenergebnis auf Bundesebene angerechnet werden, und einige von diesen, wenn man mehr Direktmandate als Zweitstimmen bundesweit hat, wegfallen. Aus diesen bundesweit so errechneten Sitzen der Parteien werden dann wieder per Verhältnisrechnung die Sitze auf Landesebene bestimmt. Ob der Vorschlag verfassungsgemäß ist - darauf ist hier schon hingewiesen worden -, muss bezweifelt werden. Das Verfahren, das die Grünen vorschlagen, klingt kompliziert, ({0}) und es ist kompliziert. Genau das ist das Problem. ({1}) Die Bürgerinnen und Bürger, die Wählerinnen und Wähler können überhaupt nicht nachvollziehen, was gemäß Ihrem Gesetz passieren soll. Nehmen wir ein zunächst theoretisches Beispiel: Die Linke gewinnt bei einer Bundestagswahl 76 Listenplätze und 80 Direktmandate. ({2}) In diesem Fall würden die vier Direktmandate mit dem schlechtesten prozentualen Ergebnis, die die Linke gewonnen hat, herausfallen. Jetzt könnten wir sagen: Das ist uns egal. Ich gebe Ihnen nun ein einfacheres Beispiel: Bei der Bundestagswahl 2009 hätte es nach dem Modell der Grünen beispielsweise den Abgeordneten Singhammer von der CSU getroffen. ({3}) Jetzt erzählen Sie mir einmal, wie Sie das den Wählerinnen und Wählern des Wahlkreises München-Nord erklären wollen. ({4}) Soll man sich vor diese Wählerinnen und Wähler stellen und sagen: „Entschuldigung, Sie haben Herrn Singhammer zwar direkt ins Parlament gewählt, aber leider hat die CSU zu viele Listenmandate, und deswegen sitzt Herr Singhammer jetzt nicht im Parlament“? Ganz ehrlich, wer soll denn nach so einer Entscheidung noch einmal wählen gehen? ({5}) Ich finde, ein CSU-Bashing ist an der einen oder anderen Stelle angebracht, aber bitte bei Inhalten und nicht bei so einem wichtigen Punkt wie dem Wahlrecht. ({6}) Jetzt lassen wir das Verfassungsrecht einmal kurz beiseite und betrachten ein politisches Argument gegen das Argument der Grünen. Die Nichtanerkennung gewonnener Direktmandate stärkt das Parteimonopol. Querköpfe in den eigenen Reihen finden häufig keinen Platz auf den Landeslisten, sondern gewinnen Mandate meist direkt. Die Stimmen für diese Kandidaten würden bei Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs unter Umständen überhaupt nicht mehr zur Geltung kommen. Ich finde, an dieser Stelle werfen Sie, die Grünen, das Problem der Listenverbindung CDU/CSU völlig zu Recht auf; aber die Lösung geht allein zulasten Bayerns und hat wenig mit Gerechtigkeit zu tun. Wir Linken lassen keine Lösung zulasten Bayerns zu. ({7}) Es ist ja nicht so, dass in der Wissenschaft nicht auch andere Lösungen debattiert werden. Es gibt den Vorschlag, ein reines Mehrheitswahlrecht einzuführen. Das lehnt die Linke ab. Es gibt den Vorschlag, ein reines Verhältniswahlrecht einzuführen. Ich persönlich kann dem sehr viel abgewinnen. Wir, die Linke, debattieren darüber aber noch. Es gibt den Vorschlag, ein Grabenwahlsystem einzuführen. Dieses System finden wir nicht überzeugend. Es gibt den Vorschlag, eine Bundesliste einzuführen. Diesen Vorschlag lehnt die Linke ab. Außerdem gibt es den Vorschlag, Listenverbindungen abzuschaffen. Auch das lehnen wir ab. Worüber wir ebenfalls diskutieren, ist die Schaffung von Ausgleichsmandaten. ({8}) Die spannende Frage ist, wann die Koalition einen Antrag vorlegt. Die Grünen haben wenigstens, wie ich schon gesagt habe, etwas vorgelegt. Ich befürchte, dass wir Folgendes erleben werden - in diesem Parlament ein normales Schauspiel -: Kurz vor knapp kommt ein Antrag. Er wird an die Ausschüsse überwiesen. Dann findet eine Anhörung statt. Diese Anhörung wird nicht ausgewertet, und dann wird hier ruck, zuck ohne seriöse Debatte entschieden. - Dieses Verfahren lässt Bürgerinnen und Bürger außen vor, im Übrigen auch Parteien; denn dann entscheiden allein die Fraktionen. Wir als Linke debattieren seit mehr als einem halben Jahr über das Wahlrecht. Wir debattieren darüber, dass Änderungen am Wahlrecht an mehr Stellen als allein in Bezug auf das negative Stimmgewicht nötig sind. Wir finden, dass die Gestaltung unseres Wahlrechts eine Frage der Demokratiegestaltung ist. Es muss beim Wahlrecht darum gehen, wie wir Bürgerinnen und Bürgern mehr Einfluss auf Politik geben. ({9}) Bürgerinnen und Bürger engagieren sich: Tausende waren bei Antiatomprotesten. 20 000 haben das Bündnis „Dresden Nazifrei!“ bei der Blockade unterstützt. Circa 20 000 haben an der Demonstration „Freiheit statt Angst“ teilgenommen. Die Wahlbeteiligung hingegen sinkt. Dass die Wahlbeteiligung sinkt, hat sicherlich etwas mit Schröders Basta-Politik zu tun, und auch „Muttis Moratoriumspolitik“ wird daran nichts ändern. ({10}) - Ich habe noch ein bisschen Redezeit. Warten Sie ab. Wir haben jedoch zur Kenntnis zu nehmen, dass sich Bürgerinnen und Bürger zwar engagieren, aber entweder weniger oder gar nicht in Parteien. Das ist ein Problem. Wir müssen uns fragen, ob nicht das Wahlrecht eine Möglichkeit bietet, die Demokratie zu demokratisieren. Reden wir doch einmal über das Verfahren der Zulassung von Parteien. Man trifft sich im Bundeswahlausschuss, in dem die im Bundestag vertretenen Parteien über die Zulassung ihrer Konkurrenz entscheiden, ({11}) und das nach den Kriterien des § 2 Parteiengesetz, in dem es um so wichtige Fragen wie die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung geht. Ehrlich gesagt, finde ich es schon absurd, dass die Parteien über die eigene Konkurrenz entscheiden. Dass diese Entscheidung anhand dieser interpretierbaren Kriterien getroffen wird, ist viel absurder. Der Gipfel der Unverschämtheit ist aber, dass Parteien, die vom Bundeswahlausschuss nicht zugelassen werden, nicht einmal die Chance haben, sich einzuklagen. Mindestens das hätten die Grünen in ihrem Gesetzentwurf aufgreifen müssen. ({12}) Wir, die Linke, debattieren seit einem halben Jahr über die Demokratisierung des Wahlrechts. Ich verspreche Ihnen: Wir legen Ihnen mehr auf den Tisch als nur Antworten auf die bereits gestellten Fragen. Wir debattieren darüber, wie der Einfluss der Bürgerinnen und Bürger auf die Parteilisten erhöht werden kann, und wir debattieren darüber, ob es dazu sinnvoll ist, drei Stimmen innerhalb einer Landesliste verteilen zu können. Wir debattieren darüber, ob es das Wahlrecht vereinfachen würde, wenn die Erststimme entfallen würde. Wir debattieren darüber, wie konkret der Rechtsschutz einer Partei bei Nichtzulassung zur Wahl aussehen kann und ob wir die Wahlausschüsse wirklich benötigen. Wir debattieren darüber, ob die 5-Prozent-Hürde in Deutschland tatsächlich erforderlich ist, um die Demokratie zu bewahren. Wir debattieren, ob neben dem aktiven Wahlalter auch das passive Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden soll. ({13}) Wir debattieren, ob das Wahlrecht für Menschen, die legal länger hier in Deutschland leben, aber keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, eingeführt werden soll. Seien Sie sicher, in Kürze erhalten Sie einen umfassenden Vorschlag von uns! Es geht aber um mehr als das Wahlrecht. Für uns ist das Wahlrecht nur ein Bestandteil der Erneuerung der Demokratie. Wir finden, dass ein umfassendes Demokratisierungskonzept nötig ist. Dazu gehören für uns beispielsweise die Ausweitung des Petitionsrechts, mehr Möglichkeiten zu direkter Demokratie, das Verbot von Leihbeamten in Ministerien und das Verbot von Spenden von Unternehmen an Parteien. Wir wollen auch einen Demokratisierungs-TÜV bei allen Gesetzen, die beschlossen werden, und eine Bundesregierung, die ihr Handeln an Recht und Gesetz orientiert. ({14}) Mit einem Demokratisierungs-TÜV beispielsweise wäre Hartz IV gescheitert, und nicht nur, weil Hartz IV Armut per Gesetz ist. Hartz IV ist nämlich auch ein Demokratiebeteiligungsausschlussgesetz. Gerade im ländlichen Raum ist es mit dem Regelsatz fast unmöglich, sich an politischen Entscheidungsprozessen und Aktionen zu beteiligen. Schauen Sie sich einmal an, wie viel im Regelsatz für Fahrtkosten vorgesehen ist. Außerdem - wir reden ja über Wahlen - stellt die Anrechnung von Aufwandsentschädigungen für die Wahrnehmung kommunaler Mandate, zumindest teilweise, eine Unverschämtheit dar, weil sie eine Schlechterbehandlung ist. ({15}) Die Grünen springen zu kurz mit ihrem Gesetzentwurf. Er ist inhaltlich nicht überzeugend. Es ist mehr nötig als eine Änderung des Wahlgesetzes anhand der von Ihnen aufgeworfenen Fragen. Die Regierungskoalition sollte schnell etwas auf den Tisch packen. Wir alle sind aufgefordert, das Wahlrecht umfassend zu reformieren. Ich bitte Sie: Denken Sie über die Einführung eines Demokratie-TÜV nach! ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl hat für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darauf komme ich noch zu sprechen. Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein in der Tat kompliziertes Rechtsproblem zu lösen. Als Jurist sagt man gewöhnlich: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Ein Blick ins Grundgesetz erleichtert vielleicht die Klärung dieser komplizierten Rechtsfrage. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 lautet: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Es geht also darum, wie wir unser Wahlrecht organisieren, um diese Grundsätze unserer Demokratie zu erfüllen. Nun haben die Grünen einen Vorschlag gemacht, der nicht ganz taufrisch ist. Er kommt uns bekannt vor; denn er ist ziemlich wortgleich vor zwei Jahren, wie ich glaube, schon einmal eingebracht worden. ({0}) - Ein Plagiat in eigener Sache. Es ist also nicht so, dass Sie, Kollege Beck, sich ganz neue Gedanken gemacht haben, über die wir uns jetzt unbedingt austauschen müssen. Dennoch müssen wir uns damit beschäftigen, und ich setze mich gern mit Ihrem Antrag auseinander. ({1}) Sie sagen, dass im Falle von Überhangmandaten vom Volk gewählte Abgeordnete, die einen Wahlkreis direkt gewonnen haben, nicht in dieses Hohe Haus einziehen dürfen sollen. ({2}) Man muss sich die Absurdität dieses Vorschlags einmal zu Gemüte führen. In Ihrem Vorschlag heißt es: Erzielt eine Partei bei der Zuteilung mehr Direktmandate, als ihr Sitze nach Absatz 5 zustehen, so werden die überzähligen Wahlkreissitze der Kandidaten dieser Partei mit dem geringsten prozentualen Stimmenanteil nicht besetzt; … Man muss sich das einmal vorstellen. Von einer Partei wurden 20 oder 30 Personen gewählt, und man sucht sich die heraus, die den geringsten prozentualen Anteil haben. Diese sind zwar vom Volke gewählt, können aber nicht ins Parlament einziehen. Das ist allen Ernstes Ihr Vorschlag, meine Damen und Herren! Was ist das für ein Signal, das Sie nach außen senden? Was haben Sie für eine Beziehung zum Wählervolk? Was für eine Beziehung haben Sie zum Wahlkreis? Wie ernst nehmen Sie die Mehrheitsentscheidung von Wählern bei einer demokratischen Wahl im jeweiligen Wahlkreis? Die Wähler entscheiden sich doch aus guten Gründen für diesen oder jenen Kandidaten. Dann werden die Stimmen zusammengezählt, und man kommt zu einem Ergebnis. Der Wähler hat sich entschieden, und sei es nur mit einer Stimme - diese Mehrheitswahl ist ein ehernes Prinzip der Demokratie -: Der Kandidat A oder die Kandidatin B soll uns im deutschen Parlament vertreten. Jetzt sagen Sie, wenn es zu viele Überhangmandate gebe, müssten diese ausgeglichen werden. Das würde dazu führen, dass die Wähler in dem einen oder anderen Wahlkreis Pech gehabt haben, es für sie dumm gelaufen ist. ({3}) - Eben, Wahlkreis zweiter Klasse. - Das heißt, die Erststimmen der Minderheit verfallen ebenso wie die Erststimmen der Mehrheit. Damit werden alle Erststimmen eines gesamten Wahlkreises in den Papierkorb geworfen. Das kann man doch nicht allen Ernstes vorschlagen. Herr Ströbele, reden Sie mit Ihrem Kollegen Beck! ({4}) Stellen Sie sich einmal vor, man würde mit Ihnen, dem glorreichen grünen Abgeordneten Ströbele, dem einzigen direkt gewählten Abgeordneten der Grünen, so verfahren, ({5}) indem in Ihrem Wahlkreis sowohl die Erststimmen für die anderen als auch die Erststimmen für den großen Ströbele unter den Tisch fallen gelassen würden, weil Sie dort so knapp abgeschnitten haben. Ich kann mir schon vorstellen, dass die Partei der Grünen ein gestörtes Verhältnis zum direkt gewählten Abgeordneten hat. ({6}) - Weil Sie nur einmal eine Erfahrung mit einem direkt gewählten Abgeordneten gemacht haben, nämlich mit Herrn Ströbele. Man schaue sich einmal an, wie er von seiner Fraktion behandelt wird, wie oft er für die Grünen im Parlament sprechen darf. Er ist ein unsicherer Kantonist, weil er vom Volk direkt gewählt ist, und deswegen ist er keine schützenswerte Persönlichkeit. Ihr Vorschlag ist wirklich wirr. Ich bitte Sie: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück! Sie können damit nur Schaden anrichten. ({7}) Der Antrag ist auch deswegen verwunderlich, weil die Grünen doch eigentlich die Partei sind, die sich auf die Fahnen geschrieben hat: mehr direkte Demokratie, mehr unmittelbarer Bezug zwischen Volk und RegierenDr. Hans-Peter Uhl den, mehr direkte Einflussnahme der Menschen draußen im Lande auf das, was wir hier tun. Aber nun wollen Sie beschließen, dass das Mandat einer Person, für die sich die Menschen in einem Wahlakt klar entschieden haben, zusammen mit den anderen, die zu viel sind, da sie aus arithmetischen Gründen nicht ins Schema passen, gestrichen wird. Damit treffen Sie die von der Mehrheit des Volkes direkt Gewählten. Das ist doch kein grüner Gedanke; das ist ein völlig abwegiger Gedanke. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie auf eine solche Idee kommen können. Dann sagen Sie, die Wähler in dem Wahlkreis, die das Pech gehabt haben, dass keiner ihrer Kandidaten ins Parlament gekommen ist, können ja 50 Kilometer weiter fahren, in den Nachbarwahlkreis, wo die Wähler vielleicht mehr Glück gehabt haben, weil sie ihren Kandidaten in den Bundestag bringen konnten. Ist das Ihr Vorschlag als Notlösung für diese Fälle? ({8}) Nach der Evidenztheorie ist dieser Idee, wie man als Jurist sagt, die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben. Sie ist völlig abwegig. ({9}) Herr Wieland, Sie sind doch auch ein guter Jurist. Warum haben Sie nicht gegen diesen wirren Vorschlag Protest eingelegt? ({10}) Frustrieren Sie die Wähler nicht durch solche Vorschläge; denn Sie würden ihnen die Wirkungslosigkeit ihrer Stimme vor Augen führen, wenn Sie so etwas zum Gesetz machen würden. ({11}) Ich rede hier nicht pro domo. Ich bin in einem großstädtischen Wahlbezirk, in München, viermal direkt gewählt worden. Ich habe mit Ihrem Vorschlag keine Probleme; nicht dass Sie denken, ich hätte Angst davor. Wir haben in Bayern - es wurde schon von der Kollegin der Linken angesprochen - alle 44 Wahlkreise direkt gewonnen, ohne Ausnahme. Dadurch haben wir viele Überhangmandate. Wir haben das einmal durchgerechnet. Wenn Ihr Vorschlag Gesetz würde, würde es auf die CSU, auf Bayern, auf uns angewandt werden. Schauen wir einmal, wer diejenigen sind, die jetzt im Parlament sitzen und das geringste Wahlergebnis haben. Da sind in der Tat der Kollege aus München-Nord, der Kollege Singhammer, und der Kollege aus München-Ost, der Kollege Frankenhauser, zu nennen. Wenn es drei wären, wäre noch die Kollegin Dagmar Wöhrl aus Nürnberg betroffen. Sie alle wären dann nicht mehr im Parlament. Meine Damen und Herren von den Grünen, ich könnte damit leben, zusammen mit dem Kollegen Gauweiler München im Deutschen Bundestag allein zu vertreten. ({12}) Aber ist das wirklich Ihr Hauptinteresse? Wollen Sie das wirklich? ({13}) Ich könnte, wie gesagt, gut mit der Schlagzeile leben: Gauweiler und Uhl vertreten München im Parlament. ({14}) - Bei uns beiden wird es Ihnen nicht gelingen; das ist das Problem, das Sie haben. ({15}) Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir sollten uns dem Auftrag, den das Bundesverfassungsgericht uns gegeben hat, mit allem Ernst widmen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt, dass Überhangmandate verfassungswidrig sind, und es hat nicht gefordert, Überhangmandate abzuschaffen. Es hat nur die abwegige, bizarre Situation bei der Nachwahl in Dresden zum Anlass genommen, festzustellen: Ein Wahlsystem, bei dem eine Partei davor warnt, ihr die Zweitstimme zu geben, weil sie durch mehr Zweitstimmen einen Nachteil hat, kann nicht richtig sein. Das ist in der Tat eine bizarre Situation. Die Ursache dafür muss beseitigt werden. Daran sollten alle Parteien arbeiten. Ich halte es für ganz schädlich, bei der Reform des Wahlrechts eine knappe Mehrheitsentscheidung herbeizuführen. Wahlrecht ist materielles Verfassungsrecht. Jede Mehrheit im Parlament sollte bemüht sein, so viele Stimmen der Opposition wie möglich für ein verändertes Wahlsystem zu gewinnen. Unser Wahlsystem hat uns 60 Jahre lang gute Dienste erwiesen. Die Kombination aus Mehrheitswahlrecht und Verhältniswahlrecht ist zugegebenermaßen etwas kompliziert, aber dem Grunde nach gar nicht so schlecht. Wir sollten uns zusammensetzen und den Effekt des negativen Stimmgewichts - vielleicht nicht vollständig, aber zu großen Teilen ausgleichen. Wenn wir uns zusammensetzen - die Grünen haben sich zwei-, dreimal einer Teilnahme an Besprechungen mit uns verweigert; das sollte hier auch einmal erwähnt werden -, ({16}) sollte es möglich sein, mit möglichst vielen Fraktionen dieses Hohen Hauses ein neues Wahlrecht zu kreieren. Wir sind daran interessiert. Wir wollen keinen Alleingang der Koalition. Wir wollen mit allen Kräften in die10948 sem Parlament dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden ({17}) und das negative Stimmgewicht - aber nur dieses - beseitigen. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Fograscher für die SPDFraktion. ({0})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in diesen Tagen sicherlich andere Themen, die die Menschen bewegen, als das Wahlrecht. Aber das Wahlrecht ist nun einmal Grundlage unserer Demokratie. Es ist Voraussetzung für die demokratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger. Das Wahlrecht muss garantieren, dass der Wählerwille in diesem Hause abgebildet wird. Es regelt die Legitimation von uns allen hier im Hause. Herr Krings, es handelt sich eben nicht um ein Luxusproblem. Wahlrechtsfragen sind natürlich immer auch Machtfragen. Das Wahlrecht entscheidet über die Mehrheitsverhältnisse im Haus. Deshalb betrifft dieses Thema alle Fraktionen. Daher haben wir in der Vergangenheit Änderungen im Wahlrecht stets gemeinsam vorgenommen. Herr Uhl, das Gesprächsangebot, das Sie heute gemacht haben, nehmen wir von der SPD natürlich gerne an. Aber es hat sehr lange gedauert, bis Sie uns dieses unterbreitet haben. ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hat im Juli 2008 das sogenannte negative Stimmgewicht für verfassungswidrig erklärt. Ich will noch einmal den Grund nennen: Bei bestimmten Konstellationen kann ein Zuwachs bei den Zweitstimmen einer Partei dazu führen, dass sie ein Mandat verliert. Auf der anderen Seite kann die Nichtabgabe einer Stimme für die Partei, die der Wähler eigentlich unterstützen will, von Vorteil sein. Dieser Effekt wurde bei der Nachwahl 2005 in Dresden offensichtlich. Dadurch werden die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl verletzt. Deshalb hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 30. Juni 2011 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu finden. Leider müssen wir aber heute, gut drei Monate vor Ablauf dieser Frist, feststellen: Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen tun nichts. Es gibt keinen Gesetzentwurf, nicht einmal Eckpunkte. Auch in der heutigen Debatte habe ich keinen entsprechenden Vorschlag gehört. Es gab Gespräche zwischen den Fraktionen. Sie sind nicht weitergeführt worden. Ich weiß nicht, mit wem Herr Ruppert Gespräche geführt hat, aber man muss das einmal auf eine vernünftige Basis stellen. Es gab Gespräche zwischen den Parlamentarischen Geschäftsführern, und wir können natürlich untereinander jederzeit Gespräche führen. Aber wir werden nicht zu einer Lösung kommen, wenn es dafür keinen offiziellen Rückhalt von oben gibt. Was können wir tun? Es gibt natürlich - das ist schon angesprochen worden - rechnerische, theoretische Möglichkeiten, das Wahlrecht zu ändern, um ein negatives Stimmgewicht zu vermeiden. Wir wollen aber das System, das sich auch nach unserer Ansicht bewährt hat, nicht gänzlich aushebeln, indem wir ein reines Mehrheitswahlrecht oder ein reines Verhältniswahlrecht einführen. Wir wollen im System bleiben, aber zugleich auch die Problematik der Überhangmandate regeln. Überhangmandate können einer Fraktion an die Regierung verhelfen, auch wenn sie nicht die Mehrheit der Wählerstimmen hat. Überhangmandate können zu wechselnden Mehrheiten im Bundestag führen. Scheidet ein Abgeordneter, in dessen Bundesland es Überhangmandate gibt, aus dem Bundestag aus, so gibt es keinen Nachrücker über die Landesliste. Es ist schon angesprochen worden, dass es zum Beispiel für Herrn zu Guttenberg keine Nachbesetzung gibt. Bei knappen Regierungsmehrheiten könnte das dazu führen, dass sich während einer Legislaturperiode die Mehrheiten verändern. Was schlagen die Grünen jetzt vor? Sie wollen die Überhangmandate einer Partei mit den Listenmandaten dieser Partei in einem anderen Bundesland verrechnen. Das hätte zur Konsequenz, dass eine Partei, die in einem Bundesland ein Überhangmandat erzielt, in einem anderen Bundesland ein Listenmandat weniger erhält. Das ist zwar rechtlich machbar, weil das Bundesvolk und nicht die Ländervölker wählen. Aber die Akzeptanz in den Landesverbänden, die vermutlich keine Überhangmandate haben werden und auf Listenmandate verzichten müssten, geht gegen null. Sie regeln in dem vorgelegten Entwurf die Schwachstelle Ihres letzten Entwurfs neu, nämlich die Frage, wie Überhangmandate verrechnet werden sollen, wenn eine Partei nur in einem Bundesland antritt. Das betrifft ja insbesondere die CSU. Sie schlagen vor, dass, wenn Überhangmandate entstehen, nur so viele direkte Bewerber ein Mandat erhalten, wie ihre Partei Mandate über Zweitstimmen bekommt. Ich spreche jetzt nicht so sehr für die CSU, aber dieser Fall kann natürlich auch in Bezug auf alle anderen Parteien eintreten, auch hinsichtlich der SPD in Bayern. Deshalb wollen wir das nicht. Es ist den Bürgerinnen und Bürgern nämlich nicht vermittelbar, dass ein Direktkandidat, den sie mit Mehrheit im Wahlkreis gewählt haben, diesen Wahlkreis im Bundestag dann nicht vertritt. Wir schlagen Ihnen ein zweistufiges Verfahren vor; Kollege Oppermann hat das mehrfach auch schon schriftlich getan. Für die Wahl des nächsten Bundestages wollen wir die Überhangmandate zunächst durch Ausgleichsmandate ausgleichen. Diese zusätzlichen Ausgleichsmandate würden den Bundestag vergrößern; das ist richtig. Deshalb bieten wir an, in einem zweiten Schritt die Anzahl der Wahlkreise zu reduzieren, um den Bundestag auf die Größe von knapp 600 Abgeordneten zurückzuführen. Wir haben heute viel darüber diskutiert, wo die Schwierigkeiten und Nachteile der einzelnen Modelle liegen. Wir haben allerdings keinen wirklichen Vorschlag vonseiten der Koalitionsfraktionen gehört. Ich schlage Ihnen deshalb vor, noch einmal in ernsthafte Gespräche einzutreten und uns noch einmal Sachverstand von außen zu holen. Lassen Sie uns deshalb noch einmal eine Anhörung terminieren und uns wirklich darum bemühen, dieses spezielle Problem, dessen Lösung uns das Bundesverfassungsgericht aufgetragen hat, noch vor der nächsten Bundestagswahl zu lösen. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 17/4694 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 a bis d sowie Zusatzpunkt 2 auf: 32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({0}) Nr. 4/2009 und zur Neuordnung bestehender Aus- und Durchführungsbestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts - Drucksache 17/4887 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Durchführung unmittelbar geltender Vorschriften der Europäischen Union über die Zulassung oder Genehmigung des Inverkehrbringens von Pflanzenschutzmitteln - Drucksache 17/4985 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Lange, Dirk Fischer ({3}), Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Patrick Döring, Werner Simmling, Oliver Luksic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sicherheit im Eisenbahnverkehr verbessern Streckennetz mit Sicherungssystemen ausstatten - Drucksache 17/5046 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Gerster, Sönke Rix, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Rechtsextremistische Einstellungen im Sport konsequent bekämpfen - Toleranz und Demokratie nachhaltig fördern - Drucksache 17/5045 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({5}) Innenausschuss ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 32 Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Dr. Konstantin von Notz, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zugang zu verwaisten Werken erleichtern - Drucksache 17/4695 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({6}) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 33 a bis o auf. Es handelt um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich weise darauf hin, dass wir über Tagesordnungspunkt 33 e namentlich abstimmen werden. Bitte begeben Sie sich erst zu den Urnen, wenn ich die namentliche Abstimmung aufrufe. Tagesordnungspunkt 33 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des BVL-Gesetzes - Drucksache 17/4381 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({7}) - Drucksache 17/5034 Berichterstattung: Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp Elvira Drobinski-Weiß Dr. Kirsten Tackmann Friedrich Ostendorff Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5034, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf 17/4381 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 33 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({8}) zu der Verordnung der Bundesregierung Einhundertsechzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksachen 17/4403, 17/4499 Nr. 2, 17/4774 Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4774, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 17/4403 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das ganze Haus hat zugestimmt. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Tagesordnungspunkt 33 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Ralph Lenkert, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verbraucherfreundliche Rücknahmepflicht des Einzelhandels für Energiesparlampen durchsetzen - Drucksachen 17/2121, 17/3684 Berichterstattung: Abgeordnete Josef Rief Waltraud Wolff ({10}) Dr. Erik Schweickert Nicole Maisch Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3684, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2121 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothea Steiner, Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Bürgerfreundliches Rücknahmesystem für gebrauchte Energiesparlampen im Handel einrichten - Drucksachen 17/1583, 17/3278 Berichterstattung: Abgeordnete Michael Brand Gerd Bollmann Judith Skudelny Ralph Lenkert Dorothea Steiner Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3278, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1583 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen bei uneinheitlicher Stimmabgabe der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 33 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE Gegen Armut und soziale Ausgrenzung - So- ziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertrags- werk aufnehmen - Drucksachen 17/902, 17/4773 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Johann Wadephul Dr. Eva Högl Alexander Ulrich Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/4773, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/902 abzulehnen. Wir stimmen nun auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich über die Beschlussempfehlung ab. Zu dieser Abstimmung liegen mir Erklärungen nach § 31 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse unserer Geschäftsordnung vor.1) Ich bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze ein- zunehmen. - Kann ich die Abstimmung eröffnen? Sind alle notwendigen Schriftführer an den vorgesehenen Plätzen versammelt? - Das ist der Fall. Dann ist die Ab- stimmung eröffnet. Darf ich fragen, ob alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben haben? - Ich höre keinen Protest. Dann ist das also der Fall. Ich schließe die Ab- stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir kommen zu Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkt 33 f bis o. Tagesordnungspunkt 33 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 224 zu Petitionen - Drucksache 17/4864 Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 224 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 33 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 225 zu Petitionen - Drucksache 17/4865 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 225 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 33 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 226 zu Petitionen - Drucksache 17/4866 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 226 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 227 zu Petitionen - Drucksache 17/4867 - 1) Anlagen 5 bis 8 2) Ergebnis Seite 10954 D Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 227 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 33 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 228 zu Petitionen - Drucksache 17/4868 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 228 ist bei Enthaltung der Linken mit den Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 229 zu Petitionen - Drucksache 17/4869 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 229 ist gegen die Stimmen der SPD-Fraktion mit den Stimmen der anderen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 230 zu Petitionen - Drucksache 17/4870 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 230 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen von Linken und Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 231 zu Petitionen - Drucksache 17/4871 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 231 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen der SPD und der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 33 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 232 zu Petitionen - Drucksache 17/4872 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 232 ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Tagesordnungspunkt 33 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 233 zu Petitionen - Drucksache 17/4873 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Die Sammelübersicht 233 ist mit den Stim- men der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 a und b auf: a) -Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung ({23}) - Drucksache 17/4182 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung ({24}) - Drucksache 17/4802 - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung ({25}) - Drucksache 17/1411 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({26}) - Drucksache 17/5067 ({27}) - Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Dr. Daniel Volk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({28}) - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Steuerhinterziehung wirksam und zielgenau bekämpfen - zu dem Antrag der Fraktion der SPD Instrumente zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung nutzen und ausbauen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Den Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht dem Zufall überlassen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen - Drucksachen 17/1755, 17/4670, 17/1149, 17/1765, 17/5067 ({29}) Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Dr. Daniel Volk Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP liegt ein Entschließungsantrag der SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Manfred Kolbe für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({30})

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beweisen die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP erneut, dass unionsgeführte Bundesregierungen seit 2005 die Steuerhinterziehung energisch bekämpfen. ({0}) Ich nenne einige Beispiele: Wir haben die Strafverfolgung bandenmäßiger Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern auf eine rechtlich tragfähige Grundlage - § 370 Abs. 3 der Abgabenordnung - gestellt. Wir haben erstmals die Möglichkeit der Anordnung der Telekommunikationsüberwachung bei schweren Steuerhinterziehungstatbeständen eingeführt. Wir haben die Verjährungsfrist für besonders schwere Steuerhinterziehung auf zehn Jahre verlängert. In diesem Jahr haben wir es erreicht, dass der Informationsaustausch mit zahlreichen Finanzzentren nach OECD-Standard erfolgt. Suaviter in modo, fortiter in re, wie schon die alten Römer sagten, also verbindlich im Umgang, aber hart in der Sache, das ist dabei unser Motto. Wir beleidigen weder die Indianer noch die Republik Burkina Faso mit ihrer Hauptstadt Ouagadougou; dafür bekämpfen wir die Steuerhinterziehung wirkungsvoll. Zentrales Thema dieses Gesetzentwurfs war die Frage, ob wir die strafbefreiende Selbstanzeige gemäß § 371 Abgabenordnung beibehalten wollen oder nicht. Grundsätzlich halten wir, die Koalitionsfraktionen, an der Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige fest, da wir den an der Steuerhinterziehung Beteiligten einen Berichtigungsweg offenhalten wollen. Außerdem liegt die strafbefreiende Selbstanzeige im staatlichen, fiskalischen Interesse, da viele Sachverhalte ansonsten nicht aufgedeckt würden, auch nicht bei einem wesentlich größeren Ermittlungseinsatz. Deshalb führt dieser Weg letztendlich zu einem höheren Steueraufkommen. Gerade in letzter Zeit erfolgten als Folge des Ankaufs der CDs Zehntausende von Selbstanzeigen, die zu Mehreinnahmen von mehreren Milliarden Euro führten. Wir halten daher grundsätzlich an der strafbefreienden Selbstanzeige fest. Diese ist entgegen einer weit verbreiteten Meinung auch kein Fremdkörper im Strafrecht. Wir haben im Strafrecht zahlreiche Regelungen, wo auch nach Vollendung der Tat noch durch tätige Reue ein gesetzlicher Anspruch auf Strafbefreiung entsteht, ({1}) etwa, Herr Poß, bei der freiwilligen Aufgabe der Geldfälschung, auch wenn das gefälschte Geld bereits in Umlauf gebracht worden ist. Wenn der Täter dann das Tatwerkzeug vernichtet, hat er immer noch einen Anspruch auf Strafbefreiung. Ein anderes Beispiel ist die Selbstanzeige bei Geldwäsche oder bei der Verhinderung von Subventionsbetrug. ({2}) Also, die strafbefreiende Selbstanzeige entspricht einem allgemeinen Grundsatz des Strafrechts, dass es in bestimmten Fällen im staatlichen Interesse liegt, die tätige Reue auch mit einem Strafbefreiungsanspruch zu honorieren. Auch die die Steuern verwaltenden Länder befürworten das letztlich. Herr Poß, ich zitiere da Ihren Finanzminister von Rheinland-Pfalz, den Herrn Kühl, ({3}) wortwörtlich: Ich bin dafür, dass wir die Möglichkeit der Strafbefreiung durch Selbstanzeige beibehalten. Letztlich profitiert der Staat davon, denn wer sich selbst anzeigt, muss alles offenlegen. Das ist viel effektiver als der Einsatz von Ermittlern. So Herr Kühl, SPD. ({4}) Dementsprechend hat auch der Bundesrat am 11. Februar 2011 mit überragender Mehrheit einen entsprechenden Gesetzentwurf gebilligt. Der heute hier zu beratende Gesetzentwurf geht auf eine Initiative meiner Fraktion vom März des vergangenen Jahres zurück, bei der wir gesagt haben, wir wollen die strafbefreiende Selbstanzeige grundsätzlich beibehalten, aber wir wollen sie dahin gehend einschränken, dass sie nicht mehr als Teil einer Hinterziehungsstrategie missbraucht werden kann. Deshalb haben wir damals drei Maßnahmen vorgeschlagen. Wir wollen erstens den Ausschluss der Teilselbstanzeige. Wir wollen eine Straffreiheit nur bei umfassender Selbstanzeige. Wir wollen zweitens den früheren Ausschluss der Selbstanzeige, nicht erst beim Erscheinen des Prüfers, sondern bereits bei der Bekanntmachung der Prüfungsanordnung. Wir wollen drittens einen Zuschlag zu den Hinterziehungszinsen, um den Steuerhinterzieher wirtschaftlich stärker zu belasten. Lassen Sie mich mit dem Ausschluss der Teilselbstanzeige beginnen. In der gestrigen Sitzung des Finanzausschusses wurde der Ausschluss der Teilselbstanzeige noch einmal präzisiert. Bis Anfang letzten Jahres hatte die Rechtsprechung des BGH Teilselbstanzeigen als wirksam angesehen. Es reichte also aus, dass ein Konto angegeben wurde, dann war man insoweit straffrei. Das galt auch während der Amtszeit Ihres - das sage ich in Richtung der linken Seite des Hauses - Bundesfinanzministers Lafontaine. Der sah damals offenbar keinen Anlass, an dieser doch relativ großzügigen Regelung irgendetwas zu ändern. Mit Grundsatzbeschluss vom 20. Mai 2010 hat der BGH das eingeengt. Er hat eine ausreichende Teilselbstanzeige nur noch dann angenommen, wenn der Steuerpflichtige seine unvollständige Einkommensteuererklärung dahin gehend berichtigt, dass er bislang gänzlich verschwiegene Zinseinkünfte nicht nur eines Kontos angibt, sondern aller Konten. Der BGH verlangt also zumindest seit Mai des letzten Jahres eine vollständige Selbstanzeige der gesamten Tat, also etwa die komplette Einkommensteuererklärung für einen Veranlagungszeitraum. Unser Gesetzentwurf wird hier noch deutlicher. Für eine wirksame Selbstanzeige ist es künftig erforderlich, dass alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart vollständig offenbart werden. Anknüpfungspunkt ist die einzelne hinterzogene Steuer, sodass mit der Neuregelung nunmehr alle unverjährten Steuerverkürzungen einer Steuerart, also zum Beispiel alle verkürzten Einkommensteueransprüche der noch nicht verjährten Veranlagungszeiträume, offenbart werden müssen. Nur noch dann tritt die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige ein. Dabei - das sei hinzugefügt - bedeutet „in vollem Umfang“ natürlich nicht, dass auf Euro und Cent alles angegeben werden muss. Bagatellabweichungen sind nach wie vor möglich. Aber es muss für alle noch offenen Veranlagungszeiträume die Selbstanzeige erklärt werden. Es wird also keine Salamitaktik bei der Selbstanzeige mehr geduldet, bei der scheibchenweise vorgegangen wird. Herr Schick, als Folge dieser deutlichen Ausweitung ist eine Übergangsregelung erforderlich, ({5}) weil eine Strafbarkeit nach Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz im Voraus bestimmt sein muss. Nulla poena sine lege. Diese Übergangsregelung musste also auch aus verfassungsrechtlichen Gründen eingeführt werden. Lassen Sie mich zum zweiten strittigen Punkt kommen: zur zusätzlichen Zahlung in Höhe von 5 Prozent der hinterzogenen Steuern. Darüber wurde am intensivsten diskutiert. Politischer Wille der Koalitionsfraktionen war, den Steuerhinterzieher wirtschaftlich stärker zu belasten als den bloß säumigen Steuerzahler. Wir haben deshalb gestern im Finanzausschuss vorgeschlagen, dass bei Steuerhinterziehungen über 50 000 Euro pro Tat, das heißt pro Steuerart und pro Veranlagungszeitraum, eine zusätzliche Zahlung in Höhe von 5 Prozent auf den Hinterziehungsbetrag erstmalig eingeführt wird. Die Betragshöhe von 50 000 Euro knüpft an die Rechtsprechung des BGH zu dem Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Nr. 1 Abgabenordnung an, wo das Merkmal des „großen Ausmaßes“ bei 50 000 Euro hinterzogener Steuer als erfüllt angesehen wird. Rechtstechnisch wird diese Zusatzzahlung wie folgt ausgestaltet. Für eine Steuerverkürzung mit einem Hinterziehungsvolumen von über 50 000 Euro je Steuerart und Veranlagungszeitraum wird künftig nach einer Selbstanzeige allein nicht mehr die Rechtsfolge Straffreiheit eintreten. Vielmehr wird nach dem neuen § 398 a Abgabenordnung, der § 153 a Strafprozessordnung nachempfunden ist, nur noch dann von der Strafverfolgung abgesehen, wenn neben der Entrichtung von Steuern und Hinterziehungszinsen eine Zahlung in Höhe von 5 Prozent der jeweiligen verkürzten Steuern zugunsten der Staatskasse erfolgt. Wir fassen also die schweren Steuerhinterzieher deutlich härter an als bisher. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich bin punktgenau zum Schluss gekommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das ist übertrieben, Sie haben eine Minute überzogen. ({0})

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Punktgenau ist auch dieser Gesetzentwurf. Wir wählen punktgenau den richtigen Weg zwischen der Beibehaltung der strafbefreienden Selbstanzeige und ihrer Einschränkung, um künftig den Missbrauch als Teil einer Hinterziehungsstrategie zu verhindern. Danke. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wenn das punktgenau ist: Sie haben Ihre Rede um 22 Prozent überzogen, wie ich sofort im Kopf ausgerechnet habe. Zwischendurch gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Gegen Armut und soziale Ausgrenzung - Soziale Fortschrittsklausel in das EU-Vertragswerk aufnehmen“, Drucksachen 17/902 und 17/4773, bekannt: abgegebene Stimmen 561. Mit Ja haben gestimmt 434, mit Nein haben gestimmt 64, Enthaltungen 63. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 561; davon ja: 434 nein: 64 enthalten: 63 Ja CDU/CSU Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Manfred Behrens ({1}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Herbert Frankenhauser Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Joachim Hörster Anette Hübinger Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({4}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({5}) Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({6}) Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({7}) Maria Michalk Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({8}) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({9}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen hierse Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({10}) Anita Schäfer ({11}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({12}) Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön ({13}) Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({14}) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Stephan Stracke Karin Strenz Thomas Strobl ({15}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Arnold Vaatz Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({16}) Peter Weiß ({17}) Sabine Weiss ({18}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Lothar Binding ({19}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({20}) Kerstin Griese Michael Groschek Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({21}) Hubertus Heil ({22}) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({23}) Frank Hofmann ({24}) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({25}) Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange ({26}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({27}) Ullrich Meßmer Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Manfred Nink Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({28}) Marlene Rupprecht ({29}) Axel Schäfer ({30}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({31}) Werner Schieder ({32}) Ulla Schmidt ({33}) Silvia Schmidt ({34}) Carsten Schneider ({35}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({36}) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({37}) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({38}) Florian Bernschneider Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang T Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({39}) Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({40}) Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner ({41}) Michael Link ({42}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Petra Müller ({43}) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann ({44}) Dirk Niebel hierse Hans-Joachim Otto ({45}) Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Joachim Spatz Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({46}) Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({47}) Nein DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jutta Krellmann Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({48}) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Jörn Wunderlich Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({49}) Volker Beck ({50}) Cornelia Behm Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({51}) Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Agnes Malczak Kerstin Müller ({52}) Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({53}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Nun erteile ich als nächstem Redner in dieser Debatte dem Kollegen Martin Gerster für die SPD-Fraktion das Wort. ({54})

Martin Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003758, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzter Herr Kolbe, wenn man Ihnen hier zuhört, kann man sich eigentlich nur wundern. Sie sagen, wie toll und wie schön diese Koalition sei, wie toll dieses Schwarzgeldbekämpfungsgesetz sei. Der Beifall aus den Reihen der Koalition war ja auch phänomenal; er war richtig tosend. ({0}) Wenn man sich die Entwicklung dieses Gesetzentwurfes und das Ergebnis genauer anschaut, könnte man leicht auf die Idee kommen, bei dem Titel Ihres Gesetzentwurfes handele es sich um einen Tippfehler. Man könnte denken, dass Sie statt Schwarzgeldbekämpfungsgesetz eigentlich ein Schwarz-Gelb-Bekämpfungsgesetz meinten. ({1}) Um es mit den Worten des französischen Politikers Edgar Faure zu sagen: Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn beide bekommen, was sie eigentlich gar nicht haben wollten. - Selten passte dieses Zitat so gut wie bei diesem schwarz-gelben Schwarzgeldbekämpfungsgesetz. ({2}) Auf die Abstimmung mussten wir - mit „wir“ meine ich die ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler lange genug warten. Wir erinnern uns: Ein Jahr ist vergangen seit der Ankündigung einer Initiative durch die Unionsfraktion. Damals, Anfang 2010 - wir wissen es genau -, kamen die sogenannten Steuer-CDs auf den Markt, die reuigen Sünder waren unterwegs und erstatteten Selbstanzeige. Es gab vollmundige Ankündigungen. CSU-Kollege Michelbach - er ist heute leider nicht da; er wird wissen, warum - forderte damals in der ARD die komplette Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige. ({3}) Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller sagte, Steuerflüchtlinge dürften nicht mehr straffrei davonkommen. Wörtlich sagte er den Satz - er ist fast maßgeschneidert im Hinblick auf Ihren jetzigen Gesetzentwurf, Ihren Änderungsantrag und die heutige Debatte -: Der Staat darf sich seinen Anspruch, Unrecht zu bestrafen, nicht abkaufen lassen. - Wo Herr Müller recht hat, hat er recht. Das muss man ganz klar sagen. ({4}) Wir, die SPD-Fraktion, haben einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige vorgelegt. Dieser Vorstoß wird von den Praktikern der Steuer-Gewerkschaft und vielen anderen zweifelsfrei unterstützt. Es hat allerdings unglaublich lange gedauert, bis Schwarz-Gelb überhaupt etwas zu Papier gebracht hat. Ich will anmerken: Womöglich auch vom Urteil des BGH getrieben - sonst wäre von Ihnen vielleicht gar nichts gekommen -, haben Sie ein Papier vorgelegt. Unfertig, unsicher und unabgesprochen war Ihr Gesetzentwurf in der ersten Lesung. Von einer Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, wie ursprünglich angekündigt, war bei Ihnen letztendlich kein Wort mehr zu lesen. Drei Anhörungen zu diesem Thema im Finanzausschuss haben wir hinter uns. Sachverständige haben uns eindringlich und wiederholt darauf hingewiesen, welch fachliche Unzulänglichkeiten Ihr Gesetzentwurf beinhaltet und welche heute schon absehbaren Probleme es bei der Umsetzung Ihres Gesetzentwurfes in der Praxis geben wird. Doch von all dem wollten Sie nichts wissen. Ihnen ging es in den Anhörungen - das war der Eindruck von vielen - um etwas anderes. Beide Fraktionen, die Union auf der einen Seite, die FDP auf der anderen Seite, haben ihre eigenen Sachverständigen in den Stellungskrieg geschickt, als es um die Frage „Strafzuschlag: ja oder nein?“ ging. Das war in den Anhörungen des Finanzausschusses das eigentliche Thema. So war die Gefechtslage. ({5}) Eines war deutlich spürbar: Kopf und Hinterteil der Koalition marschierten los. Das Problem war nur: Sie marschierten in unterschiedliche Richtungen. Dann bewegt sich bekanntermaßen gar nichts. ({6}) Im Übrigen: Wer Kopf und wer Hinterteil ist, das überlasse ich an dieser Stelle Ihnen. ({7}) Es ist kein Wunder, Herr Kollege Wissing, dass wir dieses Thema in der letzten Sitzungswoche leider nicht abschließend beraten konnten, weil Sie sich noch nicht einig waren. Aber ich billige Ihnen gerne zu - Sie haben es gesagt -: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. ({8}) Das ist richtig, solange das Ergebnis stimmt. ({9}) Gleich vorweg: Es stimmt nicht. ({10}) Ihr Ziel haben Sie nämlich gründlich verfehlt. Dies gilt auch im Hinblick auf die Ankündigungen und die gewaltigen Erwartungen, die Sie in dieser Frage selbst geweckt haben. Hier haben Sie kläglich versagt. ({11}) Die größte öffentliche Beachtung fand der Eiertanz um den Strafzuschlag. Ich gebe Ihnen einen kurzen Rückblick auf die formulierten Ansprüche und die Wirklichkeit der Kompromissfindung innerhalb der Koalition. In der Zeitschrift Das Parlament hat der FDP-Kollege Daniel Volk noch am 28. Februar dieses Jahres, also vor weniger als drei Wochen, einen Aufschlag abgelehnt. Wörtlich wurde er wie folgt zitiert: Der Verwaltungszuschlag ist ein verkappter Strafzuschlag. ({12}) Das passt nicht zu der strafbefreienden Erklärung. Klaus-Peter Flosbach und Manfred Kolbe von der CDU sagten dazu wörtlich in derselben Ausgabe der Zeitschrift Das Parlament: Es ist ein Gebot der Steuergerechtigkeit, dass die Nachzahlung eines Steuerhinterziehers nicht ebenso behandelt wird wie die Nachzahlung eines ehrlichen Steuerzahlers. ({13}) Nur, die Wahrheit ist: Das Problem, dass Steuersäumige finanziell schlechter gestellt sind als der zur Selbstanzeige bereite Steuerkriminelle, beheben Sie mit dem jetzt auf dem Tisch liegenden Gesetzentwurf überhaupt nicht. ({14}) Sie treten letztendlich Ihr selbst formuliertes Gebot der Steuergerechtigkeit mit Füßen. Aus meiner Sicht noch schlimmer: Demjenigen, der mehr Geld als den neuen Grenzbetrag von 50 000 Euro auf dem Hinterzieherkerbholz hat, wird die relativ bequeme Möglichkeit eröffnet, sich gegen Zahlung eines 5-Prozent-Zuschlags von der Strafverfolgung freizukaufen. Ich frage mich: Welche Botschaft soll denn davon ausgehen? Wie sagte es doch der CDU-Ministerpräsident Peter Müller vor einem Jahr? Ich wiederhole es gerne noch einmal. Er mahnte, der Staat dürfe sich seinen Anspruch, Unrecht zu bestrafen, nicht abkaufen lassen. Oder anders: Wer strategisch und in großem Maßstab Steuern hinterzieht, sollte vielleicht besser gleich die 5 Prozent mit einplanen. Nur wer sich den Zuschlag nicht leisten kann, wird bestraft. Ihr Koalitionskompromiss - ich denke, das wird deutlich - hat nur ein einziges Motiv: Angst vor Gesichtsverlust. Generalprävention, werte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, sieht anders aus - effektive Bekämpfung von Steuerhinterziehung auch. ({15}) Geradezu gebetsmühlenartig haben Sie in der Vergangenheit immer wieder beschworen, Steuerhinterziehung sei kein Kavaliersdelikt. Damit haben Sie natürlich recht. Denn Steuerhinterziehung ist eine Straftat, die unserem Gemeinwesen das dringend benötigte Geld für wichtige Aufgaben und Vorhaben entzieht. Sie ziehen daraus aber leider nicht die notwendigen Konsequenzen. Ihre Versuche, den Gesetzentwurf zu verteidigen, sind untauglich. Herr Kolbe, Sie haben wieder das Prinzip der tätigen Reue beschworen. Ich sage Ihnen ganz klar: Diese Reue ist reine Fiktion, genauso wie die Behauptung, der Steuerhinterzieher sei künftig gezwungen, vollständig reinen Tisch zu machen. Ich zitiere nochmals die Kollegen Flosbach und Kolbe vom 7. März in der Zeitschrift Das Parlament: Strafbefreiung soll nur derjenige erwarten dürfen, der noch alle verfolgbaren Steuerhinterziehungen der Vergangenheit vollständig offenbart. In der Praxis ist dieser Anspruch nicht umsetzbar. ({16}) Sie wissen das spätestens seit der Anhörung, aber Sie haben öffentlichkeitswirksam die Kulisse einer allumfassenden Beichte reumütiger Steuersünder aufgebaut - eine Kulisse, die sich in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht wiederfindet. Ich sage Ihnen voraus: Die Steuerverwaltungen werden sich bei Ihnen noch ganz herzlich bedanken, wenn die ersten Widersprüche eingegangen und die ersten Streitfälle anhängig sind. Die Sachverständigen haben in der Anhörung dazu alles Notwendige gesagt, aber Sie tragen es auf dem Rücken der Beamtinnen und Beamten aus. Angesichts dieser mageren Bilanz des Gesetzentwurfs wäre es besser gewesen, Sie hätten den Mut aufgebracht, einen klaren Schnitt zu machen und die strafbefreiende Selbstanzeige abzuschaffen, wie wir es in unserem Gesetzentwurf fordern. Danke schön. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Volker Wissing für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über dieses Thema wurde hier schon viel gesprochen; das ist ganz klar. Wir haben intensive Beratungen im Finanzausschuss geführt. Nur, lieber Kollege Gerster, Sie erwecken hier den Eindruck, als hätte die SPD bei diesem Thema jemals gehandelt. Sie reden nur darüber. Die Koalition hingegen handelt und legt einen konkreten Gesetzentwurf vor. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen, die es mit der Bekämpfung von Steuerhinterziehung nicht ernst meinen, und uns, die Fakten schaffen. ({0}) Meine Damen und Herren, wir verfolgen mit dem Gesetzentwurf genau das, was wir den ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern schuldig sind: Wir sorgen daDr. Volker Wissing für, dass kein ehrlicher Bürger unter Verdacht gerät, nur weil er vergessen hat, etwas beim Finanzamt einzureichen. Deshalb bleibt es bis 50 000 Euro bei der strafbefreienden Selbstanzeige für ehrliche Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, meine Damen und Herren. ({1}) Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass der Ehrliche in Deutschland nicht länger der Dumme ist, und erhöhen die Sanktionen. Schwere Fälle der Steuerhinterziehung werden trotz strafbefreiender Selbstanzeige in Zukunft schärfer sanktioniert. Es darf nämlich nicht so wie unter SPD-Finanzministern bleiben. Damals konnte man die strafbefreiende Selbstanzeige als Geschäftsmodell nutzen. Wer künftig 50 000 Euro an Steuern hinterzieht, bleibt nicht mehr straffrei, nur weil er sich selbst anzeigt. In diesen Fällen gilt künftig, dass die Steuerhinterziehung auch bei Selbstanzeige strafbar bleibt. Nur wer sich selbst offenbart und zusätzlich zu den fälligen Zinsen eine Geldbuße zahlt, kommt künftig um eine Verurteilung herum. Es kommt also zur strafverfahrensrechtlichen Einstellung gegen Geldauflage. Das ist die Konstruktion, die wir gewählt haben. Das haben Sie noch nicht verstanden. Deswegen haben Sie hier wenig Sinnvolles gesagt. ({2}) Die unwürdige Situation, dass erst ein Beamter zu Hause klingeln muss, damit man als entdeckt gilt, wird von uns abgeschafft. Künftig kann man eine strafrechtliche Prüfungsanordnung zustellen, und dann ist die Falle zu. Das erhöht das Entdeckungsrisiko, und jeder, der etwas zu offenbaren hat, sollte die Chance nutzen und sich jetzt ehrlich machen. Unter Schwarz-Gelb wird es ernst mit der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Das ist das Signal, das auch von dieser Debatte ausgehen muss. ({3}) Wir haben uns viel Mühe mit der Beratung dieses Gesetzentwurfs gemacht, und das nicht, weil wir unterschiedliche Auffassungen gehabt hätten, sondern weil es eine komplizierte Sache war. Wir mussten eine verfassungskonforme Lösung finden, wir mussten eine praxistaugliche Lösung finden, und wir mussten - das war der FDP besonders wichtig - für die ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler einen fairen Weg der Verschärfung finden. Nicht die Kriminalisierung, die Verdächtigung der Ehrlichen, sondern die Sanktion der Unehrlichen war unser Ziel. Genau das haben wir erreicht. ({4}) Ein Zuschlagen im Falle einer bloßen Korrektur der Steuererklärung hätte dazu geführt, dass jeder Arbeitnehmer, der eine Kleinigkeit korrigiert hätte, unter dem Verdacht gestanden hätte, dass er die Korrektur nach einer vorsätzlichen Täuschung vorgenommen hat. ({5}) Wir wollten nicht die Verdächtigung der ehrlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern die schärfere Sanktionierung derjenigen, die systematisch Steuern hinterziehen. Sie verhalten sich unehrlich. ({6}) Mit der jetzt gefundenen Lösung wird schärfer sanktioniert. Das Geschäftsmodell der Steuerhinterziehung gibt es in Deutschland nicht mehr. Die Teilehrlichkeit wird nicht mehr belohnt. Das alles ist uns gelungen. Wir haben damit eine Lösung erreicht, durch die der Anständige nicht zum Verlierer gemacht wird. Das ist gute Gesetzgebung. ({7}) Wenn einige Sachverständige, die bei der Anhörung im Finanzausschuss anwesend waren, diese Debatte verfolgen, dann kann ich ihnen sagen: Herzlichen Dank für all den Sachverstand, den Sie uns zur Verfügung gestellt haben. Ihre wertvollen Hinweise sind hier ganz konkret in die Gesetzgebung mit eingeflossen. ({8}) Deswegen haben wir den Entwurf nach der Anhörung auch noch einmal korrigiert und uns mit der Beratung Zeit genommen. Wir haben im Ziel keine Unterschiede gehabt, aber wir wollten die Interessen der ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eben auch berücksichtigt finden, und wir wollten eine verfassungskonforme Lösung. Sie von der SPD tun hier so, als wären Sie diejenigen, die die Bekämpfung der Steuerhinterziehung immer verfolgt hätten. ({9}) Seit Jahren reden Sie darüber, passiert ist in der Regierungsverantwortung unter SPD-Finanzministern nichts. ({10}) - Frau Kressl, die SPD hat es mit den Grünen nicht geschafft, die strafbefreiende Selbstanzeige zu verschärfen, und Sie haben es auch nicht in der Großen Koalition geschafft, dieses Problem zu lösen. Jetzt kann man sich natürlich fragen, warum das so ist. Wenn man sich Ihren Alternativvorschlag näher anschaut, dann wird das klar. Sie wollen nämlich keine wirkliche Lösung und schlagen etwas vor, was nicht geht. Beantworten Sie doch einmal glaubwürdig folgende Fragen: Sie wollen die strafbefreiende Selbstanzeige abschaffen. Warum machen Sie einen solchen Vorschlag, durch den die Verfassung verletzt wird, nach der sich kein Bürger selbst belasten muss und nach der er gleichzeitig an der vollständigen Erhebung seiner Steuerdaten mitwirken muss? Warum lehnen denn amtierende Finanzminister Ihren Vorschlag ab? Warum haben Sie in elf Jahren eigener Verantwortung das, was jetzt angeblich ein so guter Vorschlag ist, nicht umgesetzt? An der CDU/CSU kann das in der letzten Legislaturperiode jedenfalls nicht gelegen haben; sie war schnell mit uns einig. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Richard Pitterle für die Fraktion Die Linke. ({0})

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Wissing, ich befürchte, Schwarz-Gelb hat ein neues Geschäftsmodell eingeführt. Das wird sich künftig vielleicht „5 plus“ nennen, aber dazu komme ich noch. Die Möglichkeit, durch eine Selbstanzeige der Bestrafung zu entgehen, ist ein Privileg. Von diesem Privileg profitieren überwiegend Menschen mit viel Geld. Weil sie das Geld mehr lieben als ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen, werden sie zu Steuerhinterziehern, oder sie entziehen sich der Steuerpflicht, indem sie aus steuerlichen Gründen ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen, wie manches Supermodel oder mancher Supertrainer. Die Hartz-IV-Empfänger, die sich etwas dazuverdienen, ohne es der Agentur für Arbeit mitzuteilen, haben dieses Privileg nicht. Sie werden knallhart wegen der Erschleichung von Sozialleistungen angeklagt und müssen sich vor Gericht verantworten. Finden Sie das gerecht? Wir nicht. Deshalb gehört nach Meinung der Linken die strafbefreiende Selbstanzeige abgeschafft. Diese wird von zu vielen als taktisches Instrument benutzt, wenn es darum geht, dem Staat die Steuern, die ihm zustehen, vorzuenthalten. Steuerhinterziehung ist kriminell. Sie ist kein Kavaliersdelikt. Bei keiner anderen Straftat weiß der Täter von vornherein, dass die Straftat schon dann, wenn er nur eine Bedingung erfüllt, ohne Folgen bleibt. Das bedeutet, dass die strafbefreiende Selbstanzeige dazu beiträgt, Steuerhinterziehung attraktiv zu machen. Sie macht die Hinterziehung ein Stück weit kalkulierbar und nimmt dem Risiko der Entdeckung den Schrecken. Durch Berichte über CDs in den Medien wissen die Steuerhinterzieher, ob ein Entdeckungsrisiko besteht und dass sie dem Staat eventuell doch ihre verheimlichten, ins Ausland transferierten Einkünfte anzeigen sollten. Würde die strafbefreiende Selbstanzeige ganz abgeschafft, hätte dies zwei Folgen: Die Steuerhinterziehung würde gefährlicher, sodass sich weniger Menschen trauen, Steuern zu hinterziehen. Dadurch erhöhten sich die Steuereinnahmen für den Staat. Deshalb hat die Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige eine generalpräventive und eine fiskalische Wirkung. Damit komme ich zum springenden Punkt: Nur das Risiko der Entdeckung bringt dem Staat die gewünschten Steuereinnahmen. Das letzte Jahr war das beste Beispiel: Nach den Berichten in den Medien über SteuerCDs ging eine Flut von 30 000 Selbstanzeigen ein. Der größte Teil der hinterzogenen Gelder kam aus den bekanntgewordenen Herkunftsländern und Geldinstituten. Statt nur ein bisschen an der Selbstanzeige herumzudoktern, muss die Wahrscheinlichkeit, dass Steuerhinterziehung aufgedeckt wird, erhöht werden. Deshalb verlangen wir, dass die Finanzämter mehr Personal bekommen, um effektiv Steuerhinterzieher verfolgen und aufdecken zu können. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich auf einem internationalen automatischen Informationsaustausch in Steuersachen zu bestehen. Der vorgelegte Gesetzentwurf führt nicht dazu, dass sich die Steuerhinterzieher in Deutschland bei ihren kriminellen Machenschaften weniger sicher fühlen. Die Regierungskoalition behauptet zwar, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verhindern zu wollen, dass die strafbefreiende Selbstanzeige als Instrument der Steuergestaltung missbraucht wird. Aber selbst nach Ihren jüngsten Nachbesserungen im Finanzausschuss besteht ein Widerspruch zwischen Text und Begründung des Gesetzentwurfs. In der Begründung heißt es wörtlich - ich zitiere -: Nur wer sich für eine vollständige Rückkehr in die Steuerehrlichkeit entscheidet, kann sich der Straffreiheit sicher sein. Nach dem Text des Gesetzentwurfs wird man jedoch schon straflos gestellt, wenn man die falschen Angaben zu einer Steuerart vollständig berichtigt. Es geht gar nicht um das in der Diskussion angesprochene Argument der Nichtzahlung der Hundesteuer. Aber erklären Sie mir doch bitte, warum jemand, der seine Angaben zur Einkommensteuer korrigiert, aber nicht seine Hinterziehung bei der Umsatzsteuer offenbart, straflos gestellt wird. Das ist nach Ihrem Gesetzentwurf der Fall. So ist aus der von Ihnen behaupteten bissigen Verschärfung ein Papiertiger geworden. Sie gaukeln den Bürgerinnen und Bürgern vor, etwas zu unternehmen. Ich frage Sie: Warum haben Sie nicht einmal vorgesehen, dass die Korrektur der falsch erklärten Steuerangaben mit einer Versicherung an Eides statt ergänzt wird? Das würde das Risiko der Strafbarkeit derjenigen erhöhen, die sich nicht vollständig offenbaren. Sie haben die Dreistigkeit, zu behaupten, mit Ihrem Gesetzentwurf wäre dem Taktieren mit der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung ein Riegel vorgeschoben. Damit das Taktieren wirklich beendet wird, muss die strafbefreiende Selbstanzeige abgeschafft werden. ({0}) Die Regierung verweist darauf, dass der Staat vom Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige profitiere, weil Quellen aufgedeckt würden, die der Staat nicht erschlossen hätte. Aber auch hier täuschen Sie die ÖffentRichard Pitterle lichkeit. In anderen Staaten gibt es dieses Instrument nicht, aber es gibt dort eine Bestimmung, dass das Gericht bei einer Selbstanzeige von der Bestrafung absehen kann. Ich sage Ihnen, worin der Unterschied liegt: Das Ganze findet nicht zwischen der Finanzverwaltung und dem Steuerhinterzieher statt, sondern ist ein öffentliches gerichtliches Verfahren. Dadurch wird auch klar, dass es sich nicht um ein Kavaliersdelikt handelt. In Kanada ist übrigens die Möglichkeit, durch eine Selbstanzeige der Strafbarkeit zu entgehen, auf ein einziges Mal beschränkt. Warum nehmen Sie sich das nicht zum Vorbild? Wie viele Brücken wollen Sie den Unehrlichen noch bauen? Die Bundesregierung schafft es sogar, den kriminellen Steuerhinterzieher weiterhin besser zu behandeln als einen säumigen Steuerehrlichen. Bei steuerehrlichen Bürgerinnen und Bürger, die ihre Einkünfte dem Staat offenlegen, wird die Steuer festgesetzt. Wenn sie mit der Zahlung der festgesetzten Steuer in Verzug kommen, müssen sie darauf 12 Prozent pro Jahr an Säumniszuschlag zahlen. Der kriminelle Hinterzieher jedoch, der sich selbst anzeigt, zahlt mit 6 Prozent Hinterziehungszinsen pro Jahr nur die Hälfte. Im Gesetzentwurf schlagen Sie vor, bei hinterzogenen Steuern von über 50 000 Euro einen Zuschlag von 5 Prozent einzuführen, um straffrei zu bleiben. Dann zahlt er also 11 Prozent insgesamt. In jedem Fall muss er weniger bezahlen als der steuerehrliche Bürger, der gerade nicht flüssig ist. Wir fordern, dass der Zuschlag schon für den ersten Euro hinterzogener Steuern gelten muss. 5 Prozent sind zu wenig; 12 Prozent sind angemessen. Ihre Ablehnung eines höheren Zuschlags zeugt nur davon, wie egal Ihnen Steuerehrlichkeit und Steuergerechtigkeit sind. ({1}) Unsere Zustimmung für diese Politik bekommen Sie nicht. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde als Erstes einen Satz zum Thema Geldwäsche sagen, das mir sehr am Herzen liegt. Ich glaube, dass wir in Deutschland einen massiven Fehler machen, indem wir in Bund und Ländern dieses Thema nebenbei in dem einen oder anderen Gesetz behandeln. Denn in der Summe ebnen Bund und Länder organisierter Kriminalität den Weg nach Deutschland und unterstützen damit im Ausland genau die Strukturen, die wir angeblich so falsch und problematisch finden. Deswegen müssen wir uns das Thema Geldwäsche noch einmal gründlicher vornehmen. In diesem Gesetzentwurf ist nur ein kleiner Schritt enthalten. Wir fordern die umfassende Behandlung des Themas aber für die nächsten Beratungen im Ausschuss ein. Der Kern dieses Gesetzentwurfs ist die strafbefreiende Selbstanzeige. Was Sie da machen ({0}) in der Öffentlichkeitsarbeit und in Ihren heutigen Reden, ist ein großer Bluff. ({1}) Sie stellen wenige Punkte der Verschärfung in den Vordergrund, die teilweise bereits der Bundesgerichtshof festgelegt hat, und Sie machen den Leuten damit vor, dass es wirklich darum ginge, systematisch durchzugreifen. Aber an vielen Passagen in diesem Gesetzentwurf stellen wir fest, dass das Gegenteil der Fall ist. ({2}) - Genau. Deswegen komme ich auf die einzelnen Punkte zu sprechen. Aber die rechtlichen Verhältnisse werden sich durch dieses Gesetz an manchen Stellen verschlechtern. Herr Wissing, ich finde es sehr interessant, wie Sie argumentieren, Stichwort: die ehrlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Welcher Arbeitnehmer und welche Arbeitnehmerin hat denn die Möglichkeit, pro Jahr 50 000 Euro Steuern zu hinterziehen? ({3}) Werfen Sie doch einmal einen Blick in die Statistik. Die meisten Menschen wären froh, wenn Sie so viel im Jahr verdienen würden. ({4}) Aber Sie appellieren hier an die ehrlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das Gros der Menschen hat von dieser Regelung überhaupt nichts; seien Sie doch ehrlich. ({5}) Wenn Sie wenigstens Ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden würden; das aber tun Sie nicht. Ich zitiere aus dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP. Unterzeichnet haben ihn Volker Kauder, Hans-Peter Friedrich und Birgit Homburger. Darin heißt es: … dem Steuerhinterzieher darf durch seine Hinterziehungsstrategie gegenüber einem bloß säumigen Steuerpflichtigen, der eine ordnungsgemäße Erklärung abgegeben hat, kein wirtschaftlicher Vorteil entstehen. ({6}) Das setzen Sie mit diesem Gesetzentwurf nicht um. ({7}) - Sie setzen es unterhalb der Grenze von 50 000 Euro pro Jahr nicht um, weil es da bei der bisherigen Regelung bleibt, nämlich Hinterziehungszinsen in Höhe von 6 Prozent und Säumniszuschlag in Höhe von 12 Prozent. ({8}) Sie setzen es aber noch nicht einmal bei den Fällen über 50 000 Euro um; denn dann gelten 11 Prozent, das heißt, der Säumniszuschlag in Höhe von 12 Prozent ist immer noch höher. Sie sind also an Ihren eigenen Ansprüchen gescheitert. Das gilt auch für den zweiten Anspruch, den Sie damals formuliert haben - ich zitiere wieder -: Strafbefreiung soll nur noch derjenige erwarten dürfen, der alle noch verfolgbaren Steuerhinterziehungen der Vergangenheit vollständig offenbart. Das schränken Sie jetzt auf eine einzige Steuerart ein. Das heißt eben nicht: alle Hinterziehungen. Damit verschlechtern Sie die Lage gegenüber der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einmal mehr, der sagt: Die Benennung aller denkbaren Handlungsvarianten zur Korrektur von unrichtigen und unvollständigen Angaben … macht deutlich, dass das Gesetz die vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit will. Nur unter dieser Voraussetzung wird der Täter straffrei. Die vollständige Ehrlichkeit, die auch in der Begründung zu dem Gesetzentwurf steht, ist nicht mehr erforderlich, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt. ({9}) Notwendig wäre es, einzuschränken, dass man das mehrmals im Leben tun kann. Reue heißt doch nicht, dass ich am nächsten Tag gleich wieder damit anfange. Warum ist es nicht möglich, einen klaren Schnitt zu machen, damit man die Tat nicht mehrfach wiederholen kann? Ich komme auf den Kernpunkt, den wir mit einem Änderungsantrag in den Vordergrund gestellt haben, weil wir ein Verhalten besonders unanständig finden: Durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann sich jemand, der nur sein Konto bei der Credit Suisse aufgedeckt hat, aber nicht das Konto bei der UBS, nicht mehr auf seine unehrliche Teilselbstanzeige berufen. Es bedarf einer Übergangsfrist; da haben Sie, Herr Kolbe, vollkommen recht. Aber so, wie Sie die Übergangsfrist ausgestalten, wird diese Trickserei bei der Selbstanzeige für die Zukunft unter Bestandsschutz gestellt. Damit verstoßen Sie wieder gegen einen Grundsatz, den Sie in der Öffentlichkeit hochhalten, nämlich dass sich Trickserei nicht mehr lohnen soll. Doch genau das schreiben Sie in dem Gesetzentwurf fest. Sie sagen, etwas anderes sei verfassungsrechtlich nicht möglich.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Zwischenfrage von Herrn Kolbe. Bitte schön.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schick, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf eine Tat bezieht, also einen Veranlagungszeitraum bzw. eine Einkommensteuererklärung - und nur auf diese eine Tat -, während in unserem Gesetzentwurf verlangt wird, dass alle Veranlagungszeiträume einer Steuerart angegeben werden müssen, damit es zu einer wirksamen Selbstanzeige kommt? Es gibt also eine deutliche Ausweitung gegenüber der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auch gegenüber dem Beschluss vom 20. Mai.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war noch von mehreren Steuerarten die Rede. An dieser Stelle schränken Sie es ein. Damit kommt es nicht zur vollständigen Steuerehrlichkeit. Das ist genau der Punkt, den wir einfordern. ({0}) Ich will auf den Punkt, den ich angesprochen habe, zurückkommen. Sie sagen, es bedürfe eines Vertrauensschutzes für die Leute, und Sie beziehen sich auf den alten Rechtsgrundsatz: nulla poena sine lege. Aber die unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich möglich. Es bedarf einer Abwägung. Durch die Übergangsfristen kann man dieses Problem, wie wir es vorgeschlagen haben, lösen. Wir schlagen vor, dass die Menschen, die eine unehrliche Teilselbstanzeige abgegeben haben, sich innerhalb von zwölf Monaten vollständig ehrlich machen müssen. Das lehnen Sie ab, weil Sie einen Bestandsschutz für Tricksereien festschreiben wollen. Damit wird deutlich, um was es hier insgesamt geht. ({1}) - Die Rechtsauffassung - das ist in der Anhörung deutlich geworden - ist genau von zwei, juristisch durchaus kundigen Sachverständigen geäußert worden, nämlich dass die Übergangsregelung, die Sie schaffen, in der Praxis Probleme schafft und einen falschen Anreiz setzt. Es wurde deutlich, dass man rechtlich beide Wege gehen kann, aber Sie entscheiden sich für den problematischen Weg. Das ist der Punkt. ({2}) Ich finde, wir müssen diesen Gesetzentwurf auch vor dem Hintergrund des Zustands des Steuervollzugs in Deutschland, an dem sich dringend etwas verändern muss, bewerten. Der Bundesgerichtshof hat 2007 festgestellt: Der Steuervollzug in Deutschland ist gesetzwidrig, weil ein gleichmäßiger Vollzug nicht möglich ist. Dr. Gerhard Schick Vor diesem Hintergrund ist es natürlich wichtig, dass wir hier Gesetze machen, die an den Kern des Problems herangehen und die Entdeckungswahrscheinlichkeit erhöhen, anstatt falsche Anreize zu setzen, sodass die Ehrlichen die Dummen sind. Das muss verhindert werden. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Peter Aumer für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, das wir heute beschließen, geht auf eine Initiative der Union zurück. Es zeigt konsequentes Handeln und ist eine Antwort auf die Flut von Selbstanzeigen nach dem Auftauchen der Steuerhinterziehungs-CDs. ({0}) - Das ist eine Frage der Einschätzung. Sie schätzen das so ein und wir so. Ich glaube, wir sind auf der richtigen Seite. Wir haben frühzeitig eine Verschärfung der Voraussetzungen für die strafbefreiende Selbstanzeige gefordert, und wir setzen das, was wir gefordert haben, auch in konkrete Taten um. Das, was die christlich-liberale Koalition verspricht, das hält sie auch. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren ihren Teil dazu beigetragen, Steuerlücken zu schließen. Die Doppelbesteuerungsabkommen mit unseren europäischen Nachbarn sind nahezu abgeschlossen. Aber das alles allein reicht nicht aus. In den sieben Jahren von RotGrün schaffte es die damalige Bundesregierung nicht, Steuerunehrlichkeit erfolgreich zu bekämpfen. Nun, in der Opposition, kann es Ihnen nicht weit genug gehen, und Sie verlangen, dass die strafbefreiende Selbstanzeige gänzlich abgeschafft wird. Die SPD-Finanzminister der Länder sehen dies jedoch anders. Wieder einmal typisch SPD: Die Rechte weiß nicht, was die Linke tut. ({1}) Oder besser: die Pragmatiker gegen die Utopisten. Herr Gerster, Sie sprachen vorhin von Anspruch und Wirklichkeit in Ihrer Regierungszeit. Der Anspruch, den Sie an sich stellen sollten, wurde nicht in die Wirklichkeit umgesetzt. Wir reden nicht nur, wir handeln. ({2}) Das zeigt ganz klar, dass bei uns Anspruch und Wirklichkeit sehr nahe beieinanderliegen. ({3}) Die christlich-liberale Koalition hat sich Steuergerechtigkeit zum Ziel gesetzt; Herr Poß, ich hoffe, auch die Opposition agiert in diesem Sinne. Das bedeutet, dass an eine strafbefreiende Selbstanzeige hohe Anforderungen zu stellen sind. Der eingebrachte Gesetzentwurf basiert auf drei Grundlagen: Erstens. Wir korrigieren Defizite im deutschen Rechtssystem bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Die Erweiterung des Geldwäschestraftatbestandes im vorliegenden Gesetzentwurf wird ein wichtiger Beitrag, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in Deutschland noch wirksamer zu bekämpfen. Zweitens. Die christlich-liberale Koalition konkretisiert das Steuerstrafrecht zielgenau. Das erfolgt aufgrund eines Urteils des Bundesgerichtshofs im Mai 2010; Kollege Kolbe hat dies vorher schon angesprochen. Darin entschied das Gericht, dass sich Steuersünder mit einer Selbstanzeige vor einer Bestrafung nicht mehr einfach so retten können. Die Selbstanzeige muss alle den Behörden verheimlichten Konten betreffen, und sie muss vor der Entdeckung der Straftat erfolgen. Eine Selbstanzeige während einer polizeilichen Durchsuchung genügt nicht. Zukünftig ist ein Steuersünder nur noch dann straffrei, wenn er die komplette Steuerart im nicht verjährten Steuerzeitraum zurückzahlt. Damit werden nur diejenigen zu Steuerhinterziehern, die versuchen, ihr zu versteuerndes Geld in verschiedenen Staaten am Fiskus vorbeizuschleusen. Dieser Hinterziehungstaktik muss ein Riegel vorgeschoben werden. Wir, meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposition, setzen das um, was der Bundesgerichtshof entschieden hat. Die vom BGH festgestellte Steuerhinterziehung großen Ausmaßes - das sind Hinterziehungen von über 50 000 Euro - werden durch die christlichliberale Koalition mit einem Strafzuschlag in Höhe von 5 Prozent der hinterzogenen Steuer belegt. Herr Dr. Schick, Sie haben in Ihren Ausführungen etwas durcheinandergebracht: Bei denen, die Steuerhinterziehung von unter 50 000 Euro begehen, gibt es diesen Strafzuschlag nicht. Außerdem haben wir Rechtssicherheit geschaffen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtsauffassung der Bundesregierung bestätigt. Die vom Bund gekauften Steuer-CDs dürfen zur Aufklärung von Steuerhinterziehung benutzt werden. Anstatt auf Amnestie zu setzen, wie Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von Rot-Grün, erhöhen wir den Druck auf die Steuerhinterziehungstaktiker. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Auch Hinterziehungstaktiker müssen erkennen, dass der Staat ernst macht im Kampf gegen die Steuerhinterziehung. Somit haben wir unser Ziel erreicht, dass ein Steuerhinterzieher nach einer Selbstanzeige nicht besser dasteht als der steuerehrliche Bürger. Die christlich-liberale Koalition macht ernst im Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Wir wollen den Wirtschaftsstandort Deutschland, aber auch das Funktionieren unseres Gemeinwesens durch ausge10964 glichene Haushalte und Steuerehrlichkeit sichern. Unser Gesetzentwurf enthält hierzu wirksame und zielgenaue Schritte. Wir reden nicht nur, sondern handeln auch. Deswegen bitten wir Sie, für unseren Gesetzentwurf zu stimmen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wissing hat mich ein bisschen provoziert, etwas anders vorzugehen, als ich es ursprünglich dachte. ({0}) Ich will ihn nämlich an das Gesetz erinnern, das CDU/ CSU und SPD im Jahr 2008 gemacht haben. Die Überschrift lautet: Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz. Damit sollte die Steuerverkürzung bekämpft werden. ({1}) Jetzt werden Sie sagen: 2008 ist wahnsinnig spät, das war lange Zeit nach Rot-Grün. - Denn ich habe dieses Gesetz auch genannt, damit die FDP keine Mühe haben soll, sich später daran zu erinnern. Ich will aber auch auf die 16-jährige CDU/CSU-FDP-Geschichte verweisen. Sie müssen auch immer gucken, woher man kommt. Was fanden wir denn 1998 vor? Was wir vorgefunden haben, haben wir sofort 2001 und 2003 korrigiert. Ich erinnere Sie an das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 2003 und an das Steueränderungsgesetz aus dem Jahr 2003. Ich erinnere Sie an so etwas Sensibles wie an die Datenbank ZAUBER, bei der es um Risikoprofile geht, mit denen man abschätzen kann: Wer tut etwas in der Welt, das illegal ist? Ich erinnere Sie insbesondere an die Unternehmensteuerreformen. Es gibt doch nichts Schöneres, als einen Gewinn vermeintlich legal ins Ausland zu verschieben. Das heißt, man nutzt zwar die Infrastruktur in Deutschland, um den Gewinn zu erzielen, aber man will die Steuern, die darauf zu zahlen sind, nicht entrichten. Die FDP war immer aggressiv dagegen, dass wir diese Steuergestaltungsmodelle verhindern. ({2}) Erinnern Sie sich daran, was wir den Betriebsprüfern an die Hand gegeben haben, wie wir die Abgabenordnung geändert haben. Noch etwas Sensibles möchte ich nennen: die LUNA zur länderübergreifenden Namensabfrage. Das alles sind Dinge, die in den 16 Jahren unter Schwarz-Gelb überhaupt keine Rolle gespielt haben. Die ganze taktische Vorausschau von Steuerkriminalität hatte man gar nicht im Blick. Roland Koch hat das ja noch genutzt bei seiner Verschiebung von Spenden in die Schweiz. ({3}) Man muss aufpassen, was da wirklich passiert ist. Wir haben ein Kontenabrufverfahren. Wir haben eine EURichtlinie zur Zinsbesteuerung auf eine Weise entwickelt, dass Sie heute überhaupt erst die Möglichkeit haben, über so etwas nachzudenken, wie Sie es tun. Es gab Abkommen mit der Schweiz, Liechtenstein, San Marino, Monaco und Andorra. Das waren Oasen, von denen Sie früher behauptet haben, diese spielten für Deutschland gar keine Rolle. Ich will Ihnen noch etwas ganz Grundsätzliches sagen, etwas, für das wir Peer Steinbrück heute noch dankbar sein müssen: Das war die Idee, bei der OECD so etwas zu initiieren wie die schwarzen Listen. Das hat doch überhaupt erst dazu geführt, dass wir heute viele Doppelbesteuerungsabkommen korrigieren können, dass es mehr Transparenz zwischen den Ländern gibt, dass wir über einen automatischen Informationsaustausch nachdenken können. Das gab es früher gar nicht. Sie hatten lange Zeit, aber nichts getan. Ich habe Ihnen gerade belegt, was wir alles getan haben. Es ist schön, dass Sie das alles jetzt als Basis für Ihre Gesetzgebung nutzen können. So muss es auch sein, wenn sich die Fraktionen, die die Regierung wählen, in den Legislaturperioden abwechseln. ({4}) Es gibt noch eine weitere Sache. Sie haben nämlich vorhin von Arbeitnehmern gesprochen, die wir besonders belastet hätten. ({5}) - Ja, genau. Im Gesetzentwurf der SPD steht aber etwas ganz anderes. Hätten Sie ihn gelesen, dann wüssten Sie, dass wir die leichtfertige Steuerverkürzung als Ordnungswidrigkeit auffassen. Da gibt es überhaupt gar keine Strafe in dieser Art und Weise. Sie wissen, dass auch die Steuerkorrektur als Ordnungswidrigkeit aufgefasst wird. Deshalb bitte ich Sie, das formell zurückzunehmen. In unserer Familie würde man sagen: Das war eine glatte Lüge. ({6}) Weil das ein brisantes Thema ist und weil das international von einer viel größeren Bedeutung ist als das, was ich zur Korrektur dessen, was Herr Wissing gesagt hat, einbringen konnte, will ich noch einen anderen Aspekt ansprechen. Ich war letzten Dienstag in Brüssel. Dabei ist mir etwas aufgefallen, was im Zusammenhang mit DBA, internationaler Steuergestaltung bzw. -hinterziehung eine ganz große Rolle spielt: der Blick auf Lothar Binding ({7}) Deutschland. Ich habe noch niemals in Brüssel erlebt, dass über Deutschland so viele Witze gemacht wurden wie jetzt, dass so viele hämische Bemerkungen über die Kanzlerin gemacht wurden von prominenten Teilnehmern an dieser Konferenz, dass so viele ablehnende Vorschläge gemacht wurden. ({8}) Im Übrigen - da können Sie Ihren Kollegen fragen - haben Vertreter von Opposition und Regierungskoalition diese Angriffe in Brüssel sehr gut abgewehrt. Aber dass es sie gibt, ist das Drama. Sie werden nicht erleben, dass ich in Brüssel als Oppositionspolitiker auftrete; nein, ich vertrete unser Land. Hier müssen wir aber kritisch darüber reden. Da ist etwas beim Umgang mit dem Ausland passiert, sodass es dort kein Vertrauen mehr gibt. Ich glaube, daran müssen wir wieder arbeiten. Das liegt nicht daran, dass unsere Exekutive schlecht verhandelt. Auch die Berater von Herrn Koschyk im Finanzministerium sind im Regelfall exzellent. Vielmehr liegt es daran, wie wir uns international aufstellen. Darüber müssen wir reden. Denn Schwarzgeld, Steuerhinterziehung, Steuerbetrug, Steuergestaltung und Verlagerung von Gewinn und Einkommen werden gelegentlich so abgetan, als wären das abstruse Vorstellungen oder als schummele jemand da nur ein bisschen. Die Menschen vergessen, dass, wenn das in Schutz genommen wird, sie diejenigen sind, die dann zur Kasse gebeten werden. Denn immer wenn einer etwas hinterzieht, muss das von einem anderen bezahlt werden. Wer sich daran erinnert, geht mit diesen Themen sensibler um.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Binding, Sie erinnern sich bitte an die Zeit.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für die Erinnerung. ({0}) Für jeden, der sich daran erinnert, lohnt es sich, den Entschließungsantrag der SPD noch einmal zu lesen, denn darin ist sehr viel Weiterführendes zu finden. Schönen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Daniel Volk hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Daniel Volk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Binding, zu dem Thema „Tonfall gegenüber dem Ausland“ möchte ich nur kurz daran erinnern, dass Ihr SPD-Finanzminister Steinbrück ({0}) von der „Kavallerie“ gesprochen hat, was, glaube ich, zu weitaus mehr diplomatischen Verstimmungen geführt hat als vieles andere. Insofern sollte man bei der Betrachtung dieses Themas etwas ehrlicher sein. ({1}) Ich glaube, das war kein guter Hinweis von Ihnen. ({2}) Wenn ich mir die Redebeiträge von der Opposition anhöre, habe ich das Gefühl, dass Sie im Wesentlichen die Praxisnotwendigkeiten nicht vor Augen haben. Mit dem Bild, das Sie hier zeichnen, unterstellen Sie, dass es bei der strafbefreienden Selbstanzeige nur um die kriminellen Steuerhinterzieher gehe, die ihr Vermögen ins Ausland schaffen, um es dort unversteuert zu lagern. Ich möchte nur kurz an Folgendes erinnern: Tatsächlich geht es um die kleinen Arbeitnehmer, die kleinen Handwerker, die kleinen Selbstständigen, ({3}) die mit einem Steuersystem konfrontiert werden, das wohl nach einhelliger Auffassung einige Kompliziertheiten aufweist. In einem solchen Steuersystem ist die Gefahr, dass man unbeabsichtigt einen Fehler macht, erheblich. Deswegen wollen wir für die Veranlagungspraxis das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige beibehalten, und zwar genau bis zu einem Steuerhinterziehungsbetrag von 50 000 Euro. Herr Kollege Schick, davon profitieren gerade die kleinen Arbeitnehmer. ({4}) Es sind die kleinen Arbeitnehmer, die geschützt werden, wenn es um einen Steuerhinterziehungsbetrag von 5 bis 50 000 Euro geht. ({5}) Wir wollen, dass diejenigen, deren Steuerhinterziehungsbeträge bei über 50 000 Euro im Jahr liegen - da sind wir uns einig, dass das eben nicht die kleinen Arbeitnehmer und Unternehmer sind -, härter angepackt werden. Das ist für uns der entscheidende Punkt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Dr. Daniel Volk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Volk, nachdem Sie gerade diejenigen als die kleinen Arbeitnehmer bezeichnet haben, die über 50 000 Euro Steuern hinterziehen, Dr. Daniel Volk ({0}): Nein, unter 50 000 Euro!

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- frage ich Sie: Könnte es sein, dass Sie in Ihrer Rede Bruttoeinkommen und Steuerhinterziehungsbeträge verwechselt haben? ({0})

Dr. Daniel Volk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Entschuldigung, Frau Kollegin Kressl, ich habe doch davon gesprochen, dass das Instrument für diejenigen mit einem Steuerhinterziehungsbetrag von unter 50 000 Euro gelten soll. Sie müssen mir einfach zuhören. Das Entscheidende an der Sache ist - ich bin noch bei der Beantwortung Ihrer Frage, Frau Kollegin -, dass gerade diese unteren Einkommensschichten im Zweifel keine Steuerberatung in Anspruch nehmen, sondern ihre Steuererklärung selber machen. Das heißt, diese stehen besonders in der Gefahr, eine fehlerhafte Steuererklärung abzugeben. ({0}) Frau Kollegin Kressl, die Grenze von 50 000 Euro - das wissen Sie genauso gut wie ich - stammt aus der Rechtsprechung. Das ist nämlich die Grenze zu einem schweren Fall von Steuerhinterziehung. ({1}) Die von uns vorgesehene Grenze orientiert sich also an der Rechtsprechung in Deutschland. Sie müssen daran denken, dass auch der kleine Kassenwart eines Vereins eine Steuererklärung abgeben muss. Er muss möglicherweise innerhalb einer bestimmten Frist eine Umsatzsteuervoranmeldung abgeben. Dabei können sehr schnell Fehler unterlaufen. Für diese Steuerpflichtigen wurde die entsprechende Regelung geschaffen. Wir behalten die strafbefreiende Selbstanzeige praxistauglich in dem unteren Einkommensbereich bei. Aber die schwerkriminellen Steuerhinterzieher fassen wir, weil es keine Straffreiheit, sondern allenfalls eine Befreiung von der Strafverfolgung gibt, wenn eine entsprechende Geldauflage gezahlt wird. Etwas Entsprechendes gibt es auch in anderen Deliktsbereichen, etwa die Einstellung nach § 153 a Strafprozessordnung. ({2}) Herr Kollege Pitterle, Ihren Vorschlag, dass derjenige, der eine strafbefreiende Selbstanzeige stellt, an Eides statt versichern soll, dass er ansonsten keine Steuerstraftaten begangen hat, halte ich für besonders „fruchtbar“. Ich würde vorschlagen, dass wir das auf alle Bürger ausweiten. Alle Bürger sollten regelmäßig eine eidesstattliche Versicherung abgeben, dass sie keine Straftat begangen haben. Das wäre doch eine hervorragende Idee. Da es dabei darum geht, die Sicherheit des Staates zu gewährleisten, müssen wir dafür eine eigenständige Behörde einrichten. Weil es um die Staatssicherheit geht, empfehle ich, diese Behörde als Behörde für Staatssicherheit zu bezeichnen. Das wäre genau der richtige Begriff. Ich will damit sagen: Ihr Verständnis von Rechtsstaatlichkeit ist konträr zu unserem Verständnis. Rechtsstaatlichkeit heißt für uns: Wir unterstellen jedem Bürger zunächst einmal nicht Strafbarkeit, sondern wir unterstellen ihm erst einmal Ehrlichkeit. Wir wollen jedem Bürger die Möglichkeit geben, dass er sich selber in die Steuerehrlichkeit zurückbegibt. Das machen wir mit diesem Gesetz. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Klaus-Peter Flosbach hat nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz Haushaltskrise, trotz Wirtschaftskrisen und Finanzkrisen arbeiten wir in der christlich-liberalen Koalition an einer Vereinfachung des Steuerrechts. Wir werden auch weiterhin daran arbeiten - das ist für alle wichtig -, dass diejenigen, die diesen Staat mit Sozialabgaben und Einkommensteuer stützen, insbesondere die Bezieher mittlerer Einkommen, in den nächsten Jahren entlastet werden. ({0}) Das setzt aber voraus, dass wir auf der anderen Seite dafür sorgen müssen, dass diejenigen, die Steuern zahlen müssen, es auch tun und dass das Steuersubstrat für den Staat erhalten bleibt. ({1}) Diejenigen, die Steuern hinterziehen, müssen zur Kasse gebeten werden. Das ist einer der wichtigsten Punkte für uns, wenn wir eine Entlastung erreichen wollen. ({2}) Genau dies, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, setzen wir jetzt mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz konsequent um. ({3}) Es geht um Schwarzgeldbekämpfung, und es geht um Steuerhinterziehung. Kollege Binding, in diesem Gesetz - das ist der zentrale Punkt - geht es um Steuerhinterzieher, die nicht entdeckt sind, das heißt, die keine Steuern zahlen. Wie hat Herr Steinbrück gesagt? Lieber 25 Prozent von x als 100 Prozent von nix. Es geht für uns um die zentrale Frage: Soll jemand, der Steuern hinterzogen hat, die Möglichkeit haben, durch eine Selbstanzeige straffrei auszugehen? ({4}) Wir hatten eine Anhörung mit vielen Experten. Diese haben deutlich gemacht: Genau das ist der richtige Weg. Gebt den Menschen eine Chance, durch eine Selbstanzeige wieder zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren! Dieser Meinung waren Wissenschaftler, Praktiker sowie vor allen Dingen die Damen und Herren von der Finanzverwaltung, von der OFD. Allerdings haben Sie recht: Die Steuer-Gewerkschaft war nicht dieser Meinung. Die Experten wollten eine Brücke zur Steuerehrlichkeit haben. Lothar Binding, Herr Poß, Herr Scheelen, mehrfach ist hier in der Geschichte herumgekramt worden. Ich brauche allerdings gar nicht weit in die Geschichte zurückzugehen, sondern muss nur auf das Jahr 2003 verweisen. Damals gab es eine Steueramnestie von Rot-Grün. ({5}) - „Das war ein guter Versuch“, sagt Lothar Binding. ({6}) Deswegen lese ich einmal vor, was Rot-Grün damals vorgeschlagen hat - ich zitiere aus der Drucksache 15/1521, Seite 1 -: Der Gesetzentwurf - zur Steueramnestie soll dazu beitragen, durch eine attraktive Regelung für die Vergangenheit einen Anreiz zu bieten, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren und damit einen Beitrag zum Rechtsfrieden zu leisten. So steht es im Gesetzentwurf von Rot-Grün. Das zweite Zitat - ich habe noch eine ganze Reihe dabei - lautet folgendermaßen: Dieses in die Zukunft gerichtete Angebot zur Rückkehr in die Steuerehrlichkeit sei gegenüber denjenigen, die in der Vergangenheit Steuern hinterzogen hätten, äußerst fair. Gleichzeitig könne der ehrliche Steuerzahler mit dieser Regelung leben, weil die fiskalische Belastung zukünftig auf eine höhere Anzahl Steuerpflichtiger verteilt werde. Darum geht es. Wir wollen diejenigen, die Steuern hinterzogen haben, dazu bewegen, sich selbst anzuzeigen, damit sie in die Steuerehrlichkeit zurückfinden und anschließend wieder Steuern in diesem Staat zahlen. Das ist der Inhalt des Gesetzes, und das haben Sie damals auch so gesehen. Deswegen bin ich überrascht, dass Sie, Herr Gerster, nicht nur unsere Verfahrensweise angreifen und inhaltlich wenig sagen, sondern auch eine neue Position vortragen, die bisher nicht Ihre Position gewesen ist und die dem, was Praktiker, Wissenschaftler und die Finanzverwaltung sagen, völlig entgegensteht. ({7}) Das ist einfach eine populistische Wende. Normalerweise müssten Sie rote Ohren bekommen; denn Ihre Amnestie ging weit über das hinaus, was heute durch die strafbefreiende Selbstanzeige geschehen soll. Bei einer strafbefreienden Selbstanzeige haben wir folgende Situation: Die Betroffenen zahlen die Steuern für bis zu zehn Jahre zuzüglich 6 Prozent Zinsen für jedes Jahr nach, demnächst außerdem noch einen Zuschlag von 5 Prozent. Allein die Steuer-CDs - es hieß ja nur, die CD ist gekauft worden - haben im vergangenen Jahr 26 400 Steuerzahler dazu bewogen, sich selbst anzuzeigen. Im Durchschnitt mussten sie 80 000 Euro Steuern und Zinsen nachzahlen. Es waren insgesamt 2 Milliarden Euro, die in die Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden gekommen sind. Deswegen waren auch die Länder an einer solchen Lösung interessiert: Sie haben in diesem Fall allein 850 Millionen Euro bekommen, die Kommunen 300 Millionen Euro. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick zulassen?

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu Ihrem Antrag von damals? - Bitte. ({0})

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Flosbach, meinen Sie, dass ein schlechtes Gesetz der Vergangenheit es rechtfertigt, heute ein schlechtes Gesetz vorzulegen? Ich habe das damalige Gesetz nicht für richtig gehalten, aber Ihr heutiges Gesetz ist schlecht, und darum geht es.

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Das ist ein ausgesprochen gutes Gesetz. Sie müssen nur auf die Praktiker aus der Anhörung hören, die deutlich gesagt haben: Das ist genau der richtige Weg. Machen Sie nicht, wie von Herrn Gerster vorgeschlagen, den Fehler, die Selbstanzeige abzuschaffen. Das gibt ein Chaos im Steuerrecht. Behalten Sie die Selbstanzeige bei. Sie ist die einzige Möglichkeit, wieder zur Steuerehrlichkeit zurückzufinden. Sonst müssen Sie möglicherweise, wie von Herrn Pitterle vorgeschlagen - Sie hätten wahrscheinlich am liebsten alle hinter Mauern -, Tausende und Abertausende von Fahndern einsetzen. Wir wollen die Leute in die Steuerehrlichkeit zurückführen, und das ist der zentrale Punkt dieses Gesetzes. ({0}) Liebe Kollegen von der SPD, wir haben 2007, 2008 und 2009 viele gute Dinge gemacht, von der Telefonüberwachung über die Verlängerung der Verjährungsfrist bei Steuerhinterziehung auf zehn Jahre bis hin zu den Auskunftsabkommen mit Luxemburg und Liechtenstein; jetzt kommt noch eines mit der Schweiz hinzu. Wir sind auf dem richtigen Weg, das Risiko zu erhöhen. Das wollen wir doch auch. Wir wollen das Risiko der Entdeckung erhöhen. Deswegen sollten wir aber trotzdem nicht die strafbefreiende Selbstanzeige abschaffen. Wir haben im Rahmen der Diskussion erfahren, dass es immer noch Lücken im Gesetz gibt. Deswegen haben wir drei zentrale Änderungen - auch nach dem BGH-Urteil - vorgenommen. Wir haben gesagt: Wenn der Prüfer vor der Tür steht, ist es zu spät. Dann gibt es keine Selbstanzeige mehr. Bisher war es so: Wenn eine Prüfungsanordnung erfolgte, hatte der Steuerpflichtige immer noch die Chance, sich selbst anzuzeigen. Das schaffen wir ab. Wenn die Prüfungsanordnung erfolgt ist, ist die Chance zur Selbstanzeige nicht mehr gegeben. Das heißt, wir verschärfen hier drastisch. Das Zweite ist die Teilselbstanzeige. Wenn einer in die Schweiz Geld verschoben hat und dazu eine Selbstanzeige macht, gleichzeitig beispielsweise nach Luxemburg Geld verschoben, sich dafür aber nicht selbst angezeigt hat, gilt für diesen Tatbestand die Selbstanzeige nicht. Er ist nach wie vor strafrechtlich zu verfolgen. Drittens gibt es den neuen Strafzuschlag ab einem Betrag von 50 000 Euro - so hat der BGH die besonders schweren Fälle bezeichnet -, mit dem wir weitere 5 Prozent kassieren. Wir haben in der Koalition festgehalten: Es soll teuer werden. Es soll teurer werden im Vergleich zu allen, die bisher pünktlich ihre Steuern gezahlt haben. Wer die Anhörung aufmerksam verfolgt hat, wird auch mitbekommen haben, dass der Vertreter der Oberfinanzdirektion deutlich gesagt hat: Es geht hier um Einkünfte aus Kapitalvermögen. Es geht nicht um die KfzSteuer, Hundesteuer oder andere. - Das ist der Punkt. Hier geht es darum, die größeren Beträge für diesen Staat zu erhalten. Gerade die Praktiker aus Steuerverwaltung und Finanzverwaltung haben gesagt: Versucht nicht, fahrlässige Steuerverkürzungen oder Fehler zu kriminalisieren! Es geht darum, denjenigen, die Fehler machen, auch die Möglichkeit zu geben, durch eine Berichtigung ihrer Steuererklärung in der Veranlagung wieder zur Steuerehrlichkeit zurückzufinden oder ihren Fehler einzugestehen. Sie müssen nicht strafrechtlich verfolgt werden. ({1}) - Das freut mich, dass auch Sie das wollen. Dann wäre es gut, wenn Sie unserem Gesetz zustimmten. ({2}) Es ist wichtig, dass auch die Länder dem zustimmen wollen. Es geht hier auch darum, wie wir unseren Staat finanzieren. Es ist eine wichtige Maßnahme dieses Gesetzes, dass wir Steuersündern die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit ermöglichen wollen. Wir brauchen die damit zu erzielenden Steuereinnahmen, etwa für die Familien. Wir haben Anfang letzten Jahres die Familien um 4,6 Milliarden Euro entlastet. 1,6 Milliarden Euro wurden im Rahmen von Hartz IV für die Bildungsangebote bereitgestellt. All dies müssen wir finanzieren. Dazu brauchen wir eben auch diejenigen, die beispielsweise bisher Steuern hinterzogen haben, aber in Zukunft ihre Steuern wieder zahlen wollen und damit einen Beitrag für diesen Staat leisten. Wer in diesem Wirtschaftssystem die Chance nutzt, Geld zu verdienen, wer in diesem Sozialsystem lebt, wer Rechte in diesem Staat für sich in Anspruch nimmt,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ist verpflichtet, seinen Beitrag für diesen Staat zu leisten. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5067 ({0}), den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/4182 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenstimmen! - Enthaltungen? Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wenn Sie zustimmen wollen, mögen Sie bitte aufstehen. - Die Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5085. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag gegen die Stimmen von SPD, Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5067 ({1}), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/4802 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sie ist einstimmig angenommen. Dann komme ich zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung der Abgabenordnung ({2}). Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5067 ({3}), den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/1411 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist abgelehnt. Zugestimmt haben die SPD und die Fraktion Die Linke; die übrigen Fraktionen des Hauses haben abgelehnt. Damit entfällt die dritte Beratung. Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Finanzausschusses fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1755 mit dem Titel „Steuerhinterziehung wirksam und zielgenau bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und FDP, abgelehnt SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Unter Buchstabe e empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4670 mit dem Titel „Instrumente zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung nutzen und ausbauen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und FDP, dagegen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe f seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1149 mit dem Titel „Den Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht dem Zufall überlassen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung wurde angenommen. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt, die übrigen Fraktionen dafür. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1765 mit dem Titel „Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Was war jetzt bei der SPD: War nur eine dafür oder alle? - Seid ihr zu faul? Ich frage also noch einmal: Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? ({4}) Wollt ihr eine Auszeit? - Also: Die Beschlussempfehlung wurde angenommen. Die Koalitionsfraktionen sowie die SPD haben der Beschlussempfehlung im Wesentlichen zugestimmt. ({5}) Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 a bis c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Stillstand in der Verkehrspolitik überwinden Zukunftskommission zur Reform der Infrastrukturfinanzierung einrichten - Drucksache 17/5022 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({6}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sichern - Deutschland braucht eine moderne Zukunftsstrategie zur Infrastrukturfinanzie- rung - Drucksachen 17/782, 17/1479 - Berichterstattung: Abgeordneter Reinhold Sendker c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin Burkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mobilität nachhaltig gestalten - Erfolgreichen Ansatz der integrierten Verkehrspolitik fortentwickeln - Drucksachen 17/1060, 17/2226 Berichterstattung: Abgeordneter Steffen Bilger Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die Aussprache hierzu eine Dreiviertelstunde vorgesehen. 10970 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe als Erstem dem Kollegen Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion das Wort.

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten haben unseren Antrag mit dem Satz überschrieben: „Stillstand in der Verkehrspolitik überwinden - Zukunftskommission zur Reform der Infrastrukturfinanzierung einrichten“. Das ist unser Ziel. Wir stellen im Hinblick auf den Erhalt und Ausbau einen steigenden Investitionsbedarf fest. Wir erleben, dass Schwarz-Gelb den Stillstand organisiert. Dabei brauchen wir eine gesellschaftliche Reformdebatte; sie ist dringend notwendig. Wir müssen die Basis der wirtschaftlichen Prosperität in Deutschland mit einer guten Infrastruktur sichern. Wir wollen Mobilität sozial gerecht und ökologisch sinnvoll organisieren. Wir wollen die umweltfreundlichen Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße weiter stärken, und wir wollen Bundesstraßen mit nachgeordneter Bedeutung abstufen, was eine alte Forderung der Reformkommission ist. Wir wollen deutlich mehr Geld für Lärmschutzmaßnahmen an Straßen und Schienenwegen ausgeben. Wir brauchen die Akzeptanz der Menschen in unserem Land für Investitionen in die Infrastruktur. Jeder von uns, der mit den Menschen draußen im Land redet, weiß, dass diese Menschen fragen: Was macht ihr, um uns vor Lärm zu schützen? Habt ihr spezielle Programme? Weitet ihr die Programme aus? Wann sind Lärmschutzmaßnahmen bei uns dran? - Wir wollen die Menschen früher am Planungsprozess beteiligen - diese Lehre haben wir aus den Erfahrungen im letzten Jahr gezogen -, aber wir wissen auch, dass wir die Planungszeiten verkürzen müssen. Außerdem wollen wir, dass die Bundesregierung dem Bundestag turnusmäßig einen verkehrsträgerübergreifenden Netzzustandsbericht vorlegt. Der letzte Punkt ist: Wir brauchen eine bedarfsgerechte Finanzierung der Investitionen in die Infrastruktur. Eine Finanzierung nach Kassenlage ist gerade für die Verkehrsinfrastruktur fatal. Herr Minister, ich freue mich, dass Sie an dieser Debatte teilnehmen. Wir erwarten, dass Sie noch in dieser Legislaturperiode ein Konzept zur Sicherung der Infrastrukturfinanzierung vorlegen. Wir müssen - das ist die Voraussetzung - gemeinsam mit der Gesellschaft ein Leitbild für die Mobilität im 21. Jahrhundert erarbeiten. Wir erwarten, dass Sie, der verantwortliche Minister, eine Zukunftskommission zur Weiterentwicklung der Infrastrukturfinanzierung in Deutschland einsetzen. Herr Bundesminister Ramsauer, was ist Ihr Ziel? Vor einigen Tagen charakterisierte jemand Ihre Politik folgendermaßen - ich will das gerne zitieren -: Ohne Ziel stimmt jede Richtung. ({0}) Das ist die Situation. Dabei wissen wir doch alle, dass nur eine gute Verkehrsinfrastruktur wirtschaftliches Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand in Deutschland voranbringt. Wir haben einen steigenden Investitionsbedarf. Wer will das eigentlich leugnen? Der von Ihnen verantwortete Haushalt zeigt, dass der Bereich der Verkehrsinfrastruktur unterfinanziert ist, auch wenn Sie über die Presse bekunden, dass das Haushaltsvolumen nun bei über 10 Milliarden Euro liegt. Das ist gegenüber 9,75 Milliarden Euro eine Steigerung. Wir wissen aber, dass dieser Zuwachs durch Preissteigerungen fast komplett aufgefressen wird. Das bedeutet, dass wir etwas tun müssen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie bald etwas tun. Diese Legislaturperiode dauert schon anderthalb Jahre. Dafür ist zu wenig geschehen. Wenn wir uns anschauen, was Sie von Schwarz-Gelb in Ihren Koalitionsvertrag geschrieben haben, und überlegen, welche Projekte umgesetzt wurden - wir haben der Bundesregierung entsprechende Fragen gestellt -, stellen wir fest, dass dabei nichts herausgekommen ist. Wir haben das Ergebnis der Bemühungen der Koalitionsfraktionen wie folgt abgefragt: Erstens. Wie sieht es mit der Kreditfähigkeit der VIFG aus? - Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen, ist die Antwort. Zweitens. Wie sieht es mit den Direktzuweisungen der Lkw-Mauteinnahmen an die VIFG im Haushalt 2010 aus? - Sie sind nicht vorgesehen. Drittens. Wie sieht es mit dem Finanzierungskreislauf aus? - Er verfehlt bei sinkenden Mauteinnahmen und zusätzlichen Steuermitteln, die auch weiter benötigt werden, seine Wirkung. Viertens. Gibt es Prioritäten bei der Umsetzung von Verkehrsprojekten? - Es werden keine Prioritäten gesetzt. Fünftens. Ist eine Ausweitung der ÖPP vorgesehen? Fehlanzeige, keine Initiative. Die Bundesregierung, so heißt es, erarbeitet derzeit keine diesbezügliche Gesetzesinitiative. Sechstens. Wie sieht es mit der zweiten Staffel der ÖPP-Projekte aus? - Man tritt auf der Stelle. Ausschreibungen sind noch nicht erfolgt. Siebtens. Was ist mit der Abstufung bei den Bundesfernstraßen, die in dem Beschluss von Bundestag und Bundesrat vorgesehen ist? - Sie ist zurzeit nicht vorgesehen. Die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen, heißt es. Achtens. Gibt es eine Kappung der Gewinnabführungsverträge zwischen DB Holding und DB Netz? Das ist nicht unsere Position, aber Ihre. Bundesminister Ramsauer verkündet per Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters, diese Pläne seien vom Tisch. In der offiziellen Antwort der Bundesregierung heißt es: Ergebnisse liegen noch nicht vor. Neuntens. Was ist mit der LuFV Straße? - Diese ist derzeit nicht geplant. Meine sehr geehrten Damen und Herren, was planen Sie denn? Es herrscht Schweigen. Es kommt nichts. Wir haben zurzeit kein Konzept der schwarz-gelben Regierung zur Finanzierung der Infrastruktur, zur Steigerung der Finanzierungsmöglichkeiten in diesem Land vorliegen, und das ist ein Problem, weil uns das zurückwirft. Sie haben unseren Antrag im Ausschuss mit Ihrer schwarz-gelben Mehrheit abgelehnt. Das kann ich noch nachvollziehen. Dass aber die eigene Bundesregierung dem Auftrag der schwarz-gelben Mehrheit - und den Antrag haben Sie selber beschlossen - nicht nachkommt, ihn gar ignoriert, ist erstaunlich und ein bemerkenswerter Vorgang. Herr Minister, Sie sind ein Getriebener der Not und, wie ich manchmal den Eindruck habe, ein wenig zu mutlos. Ich hoffe, dass das nicht auch in Ideenlosigkeit mündet. Ich habe den Wunsch und die Bitte, dass Sie alles tun, damit hier in Deutschland ein gesamtgesellschaftlicher Konsens gefunden werden kann.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Schluss, sehr geehrte Frau Präsidentin. Man erzählt sich, dass Sie ein Klavierspieler sind und das Klavierspiel beherrschen. Wenn man Ihre Politik anschaut und sie mit dem Musizieren vergleicht, sage ich nur: Mit den kleinen Musikstücken - französisch: Bagatellen - sind Sie nun wirklich am Ende. Ich glaube, Sie müssen jetzt langsam zum Konzert kommen;

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- denn das ist gerade in der Verkehrspolitik absolut notwendig. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Patrick Schnieder hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Patrick Schnieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns, verehrter Herr Kollege Beckmeyer - so dachte ich jedenfalls nach Lektüre des Antrags und zu Beginn Ihrer Rede -, auf der gleichen Linie, nämlich dass die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland eine herausragende Bedeutung hat, dass sie, wie Sie beschrieben haben, die Lebensader für Gesellschaft und Wirtschaft ist, Voraussetzung für Wohlstand und Chancen in unserem Land, und dass wir kräftig investieren müssen. Allerdings muss ich feststellen, dass Sie diesem Anspruch, den Sie mit dem, was Sie hier vorgetragen haben, formulieren, in keinster Weise gerecht werden. ({0}) Dem wird auch der Antrag, den Sie vorgelegt haben, in keinster Weise gerecht. Es werden Wahrheiten formuliert, die wir alle kennen, Wahrheiten, die wir benannt haben, die wir auch freimütig einräumen, nämlich dass wir gern noch mehr Geld hätten, um es in die Verkehrsinfrastruktur zu stecken. Aber Sie suggerieren, wir würden die Investitionen zurückfahren. Auf der ersten Seite Ihres Antrags heißt es: Das Investitionsvolumen ist ausgehend von rund 12 Milliarden Euro im Jahr 2009 auf 9,75 Milliarden Euro im Jahr 2011 gesunken. Damit wollen Sie uns weismachen, dass wir die Leistungen zurückfahren. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Investitionen sind so hoch wie in den vergangenen Jahren nicht mehr, und das perspektivisch bis 2014. Ich darf daran erinnern, dass in den Jahren 2001 bis 2008 die Investitionslinien deutlich darunter lagen, und da waren sozialdemokratische Verkehrsminister für den Etat verantwortlich. ({1}) Sie blenden bei dieser Diskussion vollkommen aus, wie es um unsere finanzielle Situation bestellt ist. Sie ignorieren die Schuldenbremse. Ich erinnere mich noch gut an die Haushaltsdebatte, die wir hier geführt haben. Wir haben als Koalition dafür gekämpft - und sind auch erfolgreich gewesen; der Minister hat hervorragend verhandelt -, dass wir das Investitionsvolumen auf diesem Stand beibehalten können. Wir haben dennoch Mut gezeigt - hier werden wir unserer Verantwortung gerecht und nehmen die notwendigen Einsparungen im Etat vor, um die Voraussetzungen der Schuldenbremse einzuhalten. Dafür haben wir in anderen Bereichen Prügel kassiert. Man kann aber nicht so tun, als hätten wir im Verkehrsbereich nichts geplant und nur Einsparungen vorgenommen. ({2}) - Ja, Herr Beckmeyer, wir sehen das genauso wie Sie. Der Bundesverkehrswegeplan ist überzeichnet. Das ist ein Erbe der rot-grünen Regierung aus dem Jahre 2003. Sie werfen uns das jetzt vor die Füße und sagen: Löst heute das Problem. - So kann es nicht gehen. Sie sagen, es gebe einen Stillstand in der Verkehrspolitik. Das erlebe ich in meinem Wahlkreis, in meiner Region, dort, wo sozialdemokratische Ministerpräsidenten regieren. ({3}) Ich nehme das Beispiel A 1 zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz; wir warten seit Jahren, seit Jahrzehnten auf den Lückenschluss. Warum? Weil in Düsseldorf blockiert wird, und zwar seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte im Mai 2010 auf ein Neues. ({4}) Wir erleben das beim Hochmoselübergang. Dort sind die Grünen dagegen. ({5}) Wir erleben das in der Region Trier. Überall dort, wo Rot und Grün das Sagen haben wollen, rudern sie zurück. ({6}) Der Antrag ist voller Widersprüchlichkeiten. Sie fordern mehr Transparenz, mehr Akzeptanz - dem kann man durchaus zustimmen -, aber gleichzeitig kritisieren Sie die Einführung eines Finanzierungskreislaufs Straße. ({7}) - Herr Beckmeyer, gerade dadurch, dass wir die Einnahmen aus der Maut in den Straßenbau stecken, vergrößern wir die Transparenz und Akzeptanz. Sie wollen die Verkehrsträger gegeneinander ausspielen. Das machen wir nicht mit. Das wird es mit uns nicht geben. ({8}) Herr Beckmeyer, Sie fordern eine Berücksichtigung ökologischer Belange. Sie fordern eine verstärkte Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Aber ich lese kein einziges Wort - ich habe auch in Ihrer Rede nichts dazu gehört zur Elektromobilität. Ich wundere mich über Ihr Verhältnis zum Lang-Lkw, durch den wir gerade im Lastgeschäft Verkehre vermeiden können. ({9}) Statt drei Fahrten muss man nur zwei unternehmen. ({10}) - Herr Herzog, das ist eine Frage der Begrifflichkeit. Das zeigt, wie man dazu steht. Wer von Umweltschutz, von CO2-Vermeidung redet, kann sich diesen Themen nicht verweigern. ({11}) Deshalb sage ich: Die Koalition ist auf einem guten Weg. Wir stehen für Fortschritt in der Verkehrspolitik. Stillstand produzieren Sie. Wir unternehmen jede Kraftanstrengung, um die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland leistungsfähig zu halten. Wir tun dies unter realistischen und ehrlichen Rahmenbedingungen. Vielen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Sabine Leidig hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass die SPD-Fraktion erneut Gelegenheit gibt, über die grundlegende Ausrichtung der Verkehrspolitik zu reden; denn ich glaube, dass dies absolut notwendig ist. Ich glaube allerdings nicht, dass es um mehr Geld für die Infrastruktur geht, sondern um eine Frage ganz grundsätzlicher Natur: Wohin treibt unsere Verkehrs- und Mobilitätspolitik? Ich will jetzt gar nicht auf einzelne Maßnahmen eingehen - wir haben das im Rahmen verschiedener Anträge gemacht -, sondern auf zwei Beiträge aufmerksam machen, die mich in dieser Woche in der Enquete-Kommission, die sich mit den Problemen von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität beschäftigt, haben aufhorchen lassen. Der erste Beitrag stammt von Professor Schneidewind, dem Präsidenten des Wuppertal-Instituts. Er hat deutlich gemacht, dass die Klima- und Umweltbelastungen gerade im Verkehrsbereich nicht verringert werden, und zwar deshalb, weil Belastungen verschoben werden - wir führen diese Diskussionen gerade im Zusammenhang mit E 10 und dem Biosprit - und weil die Energieeinsparungen durch mehr Fahrerei aufgefressen werden. Der zweite Hinweis kam vom Sachverständigen Herrn Michael Müller, der darauf aufmerksam gemacht hat, dass die größte Herausforderung völlig unterschätzt wird, nämlich die Tatsache, dass die Erdölförderung seit 2004 nicht mehr zunimmt und die Endlichkeit dieses Rohstoffes gerade für den Mobilitätssektor sehr harte Konsequenzen hat. Diese Konsequenzen beginnen nicht erst, wenn der letzte Tropfen Öl verbraucht ist, sondern schon dann, wenn die Preise drastisch ansteigen. Es geht also nicht nur darum, den Verkehr von der Straße auf die Schiene oder von der Luft auf das Wasser zu verlagern. Es geht nicht nur um einen besseren ÖPNV - darum geht es natürlich auch -, es geht nicht nur um Lärmschutz - darum geht es auch -, und es geht nicht nur um mehr Transparenz, damit die Leute neue Verkehrsprojekte akzeptieren. Vielmehr geht es eigentlich darum, Konzepte zu entwickeln, um Verkehr zu reduzieren bzw. zu vermeiden. ({0}) Das ist in der Verkehrspolitik allerdings ein völliges Tabu. Stattdessen wird irrwitzigen Verkehrswachstumsprognosen hinterherbetoniert. Ich will nur darauf hinweisen: Sie gehen von 3 Prozent mehr privaten Pkw, 80 Prozent mehr Güterverkehr und einer Verdopplung des Flugverkehrs in den nächsten 10 bis 15 Jahren aus. Das ist doch völliger Wahnsinn. Der naheliegendste Vorschlag, um den Verkehr zu reduzieren, wäre, endlich Kostenwahrheit zu praktizieren. Auch dazu hat sich die SPD geäußert. Ich zitiere an dieser Stelle den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der beim Internationalen Verkehrsforum im Mai letzten Jahres Folgendes gesagt hat: Wer Menschen oder Waren befördert, der zahlt heute Treibstoff, Personal, Verkehrsträger, Gebühren. Er zahlt aber wenig bis gar nicht für Luftverschmutzung, Lärmbelästigung, Gesundheitskosten, Umwelt- und Klimaschäden. Nur deswegen kann es … billiger sein, Krabben aus der Nordsee nicht an der Nordsee, sondern in Marokko pulen zu lassen und anschließend doch in Deutschland zu verkaufen. Ein wertvolles Hin und Her? Ich finde nein … Horst Köhler sagte weiter: Im Gegensatz zur Stromsteuer, die die Bahn bezahlen muss, ist Kerosin weiterhin von der Energiesteuer befreit - ebenso übrigens wie Schiffstreibstoff. Wäre es im Sinne der Gleichbehandlung der Verkehrsträger nicht gerecht, die Aussetzung der Energiesteuer für Kerosin und Schiffstreibstoff zu beenden? Am besten so international wie möglich. Ich weiß, das bedeutet schwierige Verhandlungen. Aber wir sollten es anpacken … So Horst Köhler. ({1}) Er ist übrigens kurz danach zurückgetreten, ({2}) nachdem Herr Joachim Hunold, der Chef von Air Berlin, in der Öffentlichkeit massiv Kritik geübt hat. Ich muss Ihnen sagen: Ich schließe nicht aus, dass die Automobilund Flugzeugkonzerne in der Bundesrepublik genauso viel Druck aufbauen wie die Atom- und Energiekonzerne im Energiesektor ({3}) und damit die Demokratie und der notwendige Umbau genauso massiv behindert werden. Ein weiteres wichtiges Mittel zur Reduzierung von Verkehr wäre, dass wir unsere Städte umgestalten. Hier müssen die Verkehrsinfrastrukturen verändert werden. Wir brauchen viel bessere Bedingungen, beste Bedingungen für Leute, die nicht motorisiert unterwegs sind, für Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer, für Fußgängerinnen und Fußgänger. Wenn nur jede zweite innerstädtische Autofahrt, die weniger als 5 Kilometer lang ist - ich bitte Sie, jetzt zuzuhören -, stattdessen mit dem Fahrrad unternommen würde, würde in den Städten bereits ein Viertel weniger Autos fahren. Dieser Anteil entspricht einer gigantischen Zahl. Das wäre ein sehr großer Beitrag zum Klimaschutz und zur Verbesserung der Lebensqualität. Aber dazu braucht man Investitionsprogramme. Dazu müssten die Städte umgestaltet werden. ({4}) Dazu brauchen wir Fahrradringe. Dazu brauchen wir den Vorrang von Fahrrad und Fußgängern. Das können die Kommunen aber nicht alleine stemmen. Hier müsste der Bund beispringen und Geld investieren. ({5}) Zum Thema Elektroautos hat sich der Deutsche Städtetag in der letzten Woche beachtlicherweise ausgesprochen kritisch geäußert. In einer Stellungnahme heißt es: Auch ein elektrisch angetriebenes Auto bleibt ein Gefährt mit vier Rädern. Als solches verbraucht es Flächen sowohl im ruhenden als auch im fließenden Verkehr und erhöht den ohnehin schon viel zu großen Kfz-Bestand in den Städten weiter. Insofern setzen Sie auf ein völlig falsches Pferd, und das sagen Ihnen Ihre Kommunalpolitiker auch ganz deutlich. ({6}) Zum Schluss möchte ich noch das Thema Geschwindigkeit ansprechen; denn auch hier wird dem Wahn gefolgt, dass „immer schneller“ immer besser sei. Gigantische Mengen an Investitionsmitteln werden in die Hochgeschwindigkeit gesteckt, und zwar sowohl auf der Straße als auch auf der Schiene. Das ist ausgesprochen fragwürdig. Auch hier ist ein völliges Umdenken nötig; denn Geschwindigkeit hat mit der Verbesserung der Lebensqualität gar nichts zu tun. Man weiß inzwischen, dass es trotz der Tatsache, dass die Verkehre schneller fließen, zu keiner Zeitersparnis kommt. Vielmehr ist es so, dass die Menschen die gleiche Zeit für Mobilität aufwenden, dass sie dabei aber viel weitere Wege zurücklegen. Wir haben aber kein besseres Leben durch schnelleres Rasen. Ich muss sagen: Mir wäre es lieber, Herr Beckmeyer, es würde einen Stillstand, ein Innehalten in der Verkehrspolitik geben. Das gibt es aber nicht. Die Regierungskoalition hat den Finanzierungskreislauf Straße beschlossen und setzt weiter auf den Auto- und LkwVerkehr.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wenn es wirklich um die Zukunftsfähigkeit des Landes geht, dann brauchen wir ein Moratorium, das keinen einzigen Kilometer Aus- und Neubau von Autobahnen vorsieht, bevor nicht ein Verkehrswendekonzept auf dem Tisch liegt, das für die Zukunft taugt. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Werner Simmling hat nun das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Werner Simmling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Ihre Aussage zum Stillstand der Verkehrspolitik ist wohl nicht so ganz ernst gemeint. ({0}) - Ich kann das nicht nachvollziehen, zumal die hohe Bedeutung der Verkehrsinfrastruktur - ich glaube, da sind wir uns hier alle einig, meine Damen und Herren - ganz unbestritten ist. Wir alle wissen von der Unterfinanzierung, unter der wir leiden. Dazu bedurfte es nicht der Anträge, die uns hier vorliegen. Im Kabinett hat der Bundesverkehrsminister - er ist jetzt leider nicht da ({1}) für eine Erhöhung der Investitionslinie gekämpft und sie für 2012 durchgesetzt. Aber - wir wissen es alle - das reicht bei weitem nicht. Wir alle hätten gerne mehr Geld. ({2}) Der Staat hat dafür Sorge zu tragen - ich denke, das ist hier allgemeine Auffassung -, dass die notwendige Verkehrsinfrastruktur geschaffen und erhalten wird. Der unzureichende Ausbau muss aber nicht nur eine Frage der fehlenden Mittel sein, wenn man innovative Lösungen zulässt. ({3}) Ihren Aufruf zu einer beschleunigten Umsetzung der politischen Prozesse hin zu einer Strategie für eine zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur unterschreiben wir alle; der politische Wille dazu ist, so glaube ich, auch interfraktionell vorhanden. Sie selbst erwähnen in Ihren Anträgen den Bundestagsbeschluss der Regierungsfraktionen. Die Aufträge sind zur Genüge klar formuliert. ({4}) Es geht hier um die Herstellung des Finanzierungskreislaufs Straße, die Beseitigung der Haushaltsabhängigkeit bedarfsgerechter Verkehrsinvestitionen, ({5}) mehrjährige Planungssicherheit für Investitionsprojekte, Planungsbeschleunigung sowie die Weiterentwicklung der Priorisierung von Investitionsprojekten im Rahmen des nächsten Bundesverkehrswegeplanes, um nur einige zu nennen. Wir befinden uns doch mitten in der Debatte und auch in der Umsetzung all dieser Punkte. Sie fordern an dieser Stelle plakativ ein Leitbild „Mobilität des 21. Jahrhunderts“, obwohl Sie doch genau wissen, dass die Bundesregierung nichts verabschieden wird und kann, wofür das angekündigte Weißbuch Verkehr der Europäischen Kommission entscheidende Bedeutung hat. ({6}) Eine Festlegung auf bestimmte ordnungs- und steuerpolitische Maßnahmen im Verkehrsbereich findet eben auf EU-Ebene statt und muss abgewartet bzw. dort erst einmal verhandelt werden. Ich frage mich sowieso, weshalb die Fraktion der SPD diesen Forderungskatalog erst jetzt aufstellt - das wurde vorher schon gesagt -, obwohl sie bis zum Herbst 2009, also über elf Jahre, den Verkehrsminister stellte. ({7}) Was wollen Sie denn tatsächlich? Sie artikulieren beispielsweise folgenden Vorwurf: Die Einführung eines Finanzierungskreislaufs Straße durch die Bundesregierung, der die Einnahmen aus der Lkw-Maut lediglich für Investitionen in die Straße vorsieht, schwächt das Gesamtverkehrsnetz und macht die Schiene damit komplett von den Steuereinnahmen der öffentlichen Hand abhängig. Was das an der Stelle soll, verstehe ich nicht. ({8}) Der Bereich Schiene hat gezeigt, dass es positiv sein kann, wenn Mautmittel, also Trassenentgelte, für Investitionen zur Verfügung stehen, weil sie von den Begehrlichkeiten bei der jährlichen Haushaltsplanung entkoppelt werden und somit ein verlässlicher Finanzierungskreislauf entsteht. Warum soll das nicht auch für Straßen gelten? ({9}) Der Verkehrsträger Straße ist erheblich konjunkturanfälliger als der Verkehrsträger Schiene. Eine verlässliche Finanzierungsgrundlage für die Unterhaltung und den Ausbau der Bundesfernstraßen ist daher entsprechend dringlich. Zudem werden die fehlenden Mautmittel in den Bereichen Schiene und Wasserstraßen durch zusätzliche Haushaltsmittel ergänzt. Sie argumentieren hier also mit einer krassen Fehldarstellung. ({10}) Darüber hinaus denken wir, die CDU/CSU und die FDP, darüber nach, wie man die Mittel beim Verkehrsträger Schiene erhöhen kann, zum Beispiel durch die Kappung der Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge. Das würde nämlich dafür sorgen, dass die MitWerner Simmling tel im Netz bleiben. Sie stellen es wieder so dar, als würde der Staat bei Unabhängigkeit der DB Netz gar keine Mittel mehr als Subventionen bereitstellen. Das stimmt nicht. Der Verkehrsträger Schiene wird immer subventioniert bleiben; beispielsweise werden die Regionalisierungsmittel für den ÖPNV weiter fließen. Zum Schluss noch ein weiteres bemerkenswertes Zitat aus Ihrem Antrag: Dabei entlasten die Investitionen aus der Lkw-Maut in die Schieneninfrastruktur den Verkehrsträger Straße und führen in der Gesamtbilanz auch für die Logistikunternehmen auf der Straße zu Kostenersparnissen. Weniger Verkehr auf der Straße führt zu weniger Staus und zu einem besseren Zustand der Straße. Daraus folgen Kostenersparnisse durch Zeitgewinn und weniger Verschleiß am rollenden Material. Sie sagen also - ich übersetze das einmal ins Verständliche -: Durch die Mittel aus der Lkw-Maut, die in die Schieneninfrastruktur geflossen sind, wird der Verkehrsträger Straße entlastet, weil sich dort dann weniger Verkehr abspielt. Gleichzeitig haben die Logistikunternehmen einen Vorteil, weil sie weniger auf der Straße befördern. - Das müssen Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ich glaube, da schießen Sie sich schräg von hinten durch die Brust ins Auge. ({11}) Ich meine, auf eine solche Verkehrsinfrastrukturpolitik können wir in einem solch hochindustrialisierten Land gerne verzichten. Vielen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Anton Hofreiter für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es mutet schon etwas seltsam an, dass ausgerechnet die Vertreter der Partei, die immer ganz laut Steuersenkungen fordert, die Steuerdisziplin verwässert und gleichzeitig fordert, dass der Haushalt saniert werden muss, wortreich beklagen, dass nicht genug Geld für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung steht. ({0}) Was jetzt bitte? Mehr Geld oder Steuersenkungen oder weniger Schulden? Alles passt auf jeden Fall nicht zusammen. Noch seltsamer mutet es an, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Vertreter der Regierungsparteien wortreich beklagen, dass die Opposition nicht für alles eine Lösung hat. Es mag ja sein, dass wir in unseren Anträgen nicht für alles eine Lösung haben; aber es stellt sich die Frage: Wer regiert denn dieses Land? Wer trägt denn die Regierung? Die Regierung und die Vertreter der Regierungsfraktionen sind es, die dieses Land regieren müssen. Sie dürfen nicht darauf hoffen, dass wir Ihnen die gesamte Arbeit abnehmen. ({1}) Wenn man sich dann anschaut, was jetzt eigentlich dringend notwendig wäre, dann wird es ganz düster bei diesen beiden Parteien. Wir wissen, dass die Verkehrsinfrastruktur für lange Zeiträume geplant und gebaut wird. Eine Eisenbahntrasse oder Ähnliches wird für die nächsten 50 bis 100 Jahre errichtet. Eine Autobahn soll mindestens 40 bis 50 Jahre halten. Wenn man sieht, wie die vielen Milliarden investiert werden, wird es ganz duster. Wissen wir, welche Entwicklungen in 30 oder 40 Jahren auf uns zukommen? ({2}) Es geht um Entwicklungen, zu denen auch die Bundesregierung oder die Bundeskanzlerin, als sie sich noch Klimakanzlerin nannte, eingestanden haben, dass sie real sind. Wir wissen, dass wir bis zum Jahr 2050 - das ist auf der einen Seite mit 40 Jahren noch sehr lange hin, auf der anderen Seite ziemlich nah, was die Verkehrsinfrastruktur und die Planungszeiträume angeht - den CO2-Ausstoß um 95 Prozent senken müssen, nicht etwa, um den Klimawandel zu verhindern, sondern um ihn in einem für unser Überleben und das unserer Kinder erträglichen Maß zu halten. Das wissen wir. Wenn Sie mir nicht glauben: Es ist, wie gesagt, der Beschluss der Bundesregierung. Angesichts dessen muss man sich fragen, wie wir die für unseren Wohlstand entscheidende Mobilität sinnvollerweise aufrechterhalten können. Weil die jetzige Mobilität zu über 90 Prozent vom Erdöl abhängt und in dem sehr kurzen Zeitraum von 40 Jahren der CO2-Ausstoß um 95 Prozent gesenkt werden muss, müssen wir uns etwas anderes überlegen. ({3}) Was haben Sie uns vorgelegt? Sie haben vorgeschlagen, dass die Mautmittel zu 100 Prozent in den Bereich Straße fließen sollen. Das ist alles, was wir an etwas grundlegenderen Reformen in der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung von dieser Regierung gehört haben. Das heißt, Sie stecken mehr Geld in die Straße, die extrem erdölabhängig ist. ({4}) Was machen Sie sonst? Die Bahn muss eine Zwangsdividende von 500 Millionen Euro abgeben. Wird sie dadurch gestärkt? Was ist mit den positiven Maßnahmen, die Sie sogar in Ihrem Koalitionsvertrag festgehalten haben, wie die Aufhebung der Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge? Nichts passiert. Das ist die Tragik. Sie setzen nicht einmal das wenige Positive um, das Sie beschlossen haben. ({5}) Es ist sogar noch mehr Positives in Ihrem Koalitionsvertrag enthalten. Ich will das durchaus sagen: Manches darin ist positiv. Die nichtbundeseigenen Eisenbahnen sollen eine eigene Finanzierung bekommen. Das ist sehr sinnvoll. Aber was passiert? Nichts. Wie man aus dem Verkehrsministerium hört, ist nicht ein einziger Referent damit beschäftigt. Was soll das? Wenn Sie schon einmal etwas Positives beschließen, warum setzen Sie nichts davon um? ({6}) Deshalb muss man leider den Schluss ziehen: Der Stillstand in der Verkehrspolitik ist in dem Bereich, wo Maßnahmen nötig sind, umfassend. Da, wo Sie etwas tun, tun Sie das Falsche. Das Richtige, das Sie beschlossen haben, setzen Sie nicht um. Deshalb fordere ich Sie auf: Kehren Sie um! Machen Sie eine vernünftige Verkehrspolitik! Wir werden Ihnen aus der Opposition heraus weiter mit konstruktiven Anträgen helfen. ({7}) Wenn Sie selber keine Ideen haben, setzen Sie unsere Anträge um! Danke. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Reinhold Sendker das Wort. ({0})

Reinhold Sendker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004153, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer Feststellung beginnen: Dass Sie als SPD den angeblichen Stillstand in der Verkehrspolitik der christlich-liberalen Regierung proklamieren, den man in langen Regierungsjahren selbst zu verantworten hat, ist für mich alles andere als glaubwürdig. Selbst Frau Kollegin Leidig ist Ihren Vorwürfen, Herr Beckmeyer, und Ihrem Plädoyer für den Stillstand nicht gefolgt. ({0}) Im Übrigen kann auch von mangelnder Initiative und fehlender Zukunftsstrategie keine Rede sein. Ich will das gerne mit einigen Argumenten begründen. Erstens. Es kann nicht geleugnet werden, dass die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur der letzten Jahre einen sehr positiven Beitrag zur Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise in Deutschland geleistet haben und es der Koalition danach gelungen ist, die Investitionslinie auf hohem Niveau zu erhalten und in 2012 wieder auf 10 Milliarden Euro erhöhen zu können. Sie wenden ein, das seien aber keine 12 Milliarden Euro wie vor einigen Jahren, meine sehr verehrten Damen und Herren der SPD-Fraktion, wissen aber genau, dass das mit dem Fortfall der Konjunkturfördermittel erklärbar ist. Darüber hinaus sollten Sie auch nicht vergessen, dass in diesem Jahr, 2011, mehr investive Mittel für die Verkehrsinfrastruktur als in den Jahren vor der Krise zur Verfügung stehen. Dies ist ein großer Erfolg, den wir uns in der heutigen Debatte nicht zerreden lassen. ({1}) Natürlich - das hat Kollege Schnieder schon deutlich gemacht - hätten wir gern noch mehr Geld zur Verfügung. Insofern ist es für uns von ganz hoher Bedeutung, mit den vorhandenen Investitionsmitteln vor allem die Qualität der Bestandsnetze von Schiene, Straße und der Wasserwege zu sichern sowie Engpässe zu beseitigen. Ich stimme Ihnen in Ihrer Antragsformulierung ausdrücklich zu, dass „der gestiegene Bedarf nach einem nachhaltigen Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner an Verkehrswegen … angemessen mit zu berücksichtigen“ ist, nicht zuletzt durch den Bau von Umgehungsstraßen. Ich frage aber: Was sind diese plakativen Forderungen wert, wenn Sie dort, wo Sie regieren, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen - das ist für die nächste Woche angekündigt -, bedeutende Umgehungsstraßenprojekte auf Eis legen? Da kann ich nur feststellen: Tut nach unseren Worten, aber nicht nach unseren Werken. Das ist alles andere als glaubwürdig. ({2}) Mit Blick auf die Substanzerhaltung unserer Verkehrswege stehen wir natürlich auch neueren Ansätzen der Optimierung von Bestand und Ausbau, die jetzt diskutiert werden, mit großem Interesse gegenüber, vor allem wenn sie ein Einsparpotenzial und darüber hinaus mehr Transparenz bieten. Ein weiterer Punkt ist von Bedeutung, nämlich die öffentlich-private Partnerschaft, kurz: ÖPP. Sie sprechen sich in Ihrer Antragsformulierung für eine Beteiligung von privatem Kapital im Rahmen von ÖPP aus, soweit die Lösung effizienter und kostengünstiger ist. Das sehen wir genauso. Sie wissen, dass nach den ersten vier erfolgreichen Projekten nun die zweite Staffel am Start ist, die auch wirtschaftliche Anreize bietet, weil allein schon die Bündelung der baubedingten Staus auf einen kürzeren Zeitraum volkswirtschaftlichen Nutzen stiftet. Das ist für uns wichtig. Weniger erfreulich ist es aber dann, wenn wir wieder einmal von der Zurückhaltung in Nordrhein-Westfalen erfahren. Verkehrsstaatssekretär Horst Becker wurde jüngst zitiert: Wir sind keine Freunde dieses Modells. ({3}) Bei allem, was auch immer darauf folgt, dürfen wir im Ergebnis feststellen: Von Stillstand kann in der von uns verantworteten Verkehrspolitik mit Blick auf die ÖPP gar keine Rede sein. ({4}) Ich komme nun auf meinen dritten Punkt zu sprechen. Die Koalition hat den Finanzierungskreislauf Straße - Sie haben es eben gesagt - und damit mehr Transparenz hergestellt, und das ist gut so. Sie fordern in Ihrem Antrag auch mehr Transparenz. Im gleichen Antrag kritisieren Sie den jetzt realisierten Finanzierungskreislauf Straße, der aber gerade mehr Transparenz stiftet. Ich finde, das passt nun wirklich nicht zusammen. Wer Transparenz will, muss auch dafür eintreten, dass die Lkw-Maut, die für die Straßennutzung gezahlt wird, der Straße zufließt. Alles andere ist den Bürgern nicht zu vermitteln und bleibt im Ergebnis intransparent. ({5}) Erlauben Sie mir, abschließend in der Kürze der Zeit bei der modernen Verkehrspolitik noch einen vierten Punkt anzusprechen, Stichwort: Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft VIFG. Die Koalitionsvereinbarung der christlich-liberalen Regierung sieht einen Prüfauftrag zur Herstellung eines Finanzierungskreislaufs Straße ({6}) unter direkter Zuweisung der Lkw-Maut an die VIFG vor. ({7}) Den ersten Teil haben wir bereits erledigt. Dabei geht es ganz besonders um die Frage, inwieweit durch die Weiterentwicklung dieser Gesellschaft mehrjährige Planungs- und Finanzierungssicherheit - das ist von hoher Bedeutung - beim Straßenbau erreicht werden können. ({8}) Daher lautet mein Fazit: Genau das sind zukunftsweisende Ansätze. Das ist moderne Verkehrsinfrastrukturpolitik. Das ist alles andere, meine sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, als Stillstand. ({9}) So werden wir auch zukünftig für eine hohe Investitionslinie kämpfen und neue zielführende Ansätze der Verkehrsinfrastrukturpolitik verfolgen. Dafür steht unser Minister. Wir unterstützen ihn gerne dabei. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Michael Groß hat das Wort für die SPDFraktion. ({0})

Michael Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004045, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Simmling, Sie fordern innovative Konzepte und Lösungen. Wo sind die Konzepte? ({0}) Sie haben in der Koalitionsvereinbarung darauf hingewiesen, dass wir Prioritäten setzen müssen. Wo ist Ihre Prioritätensetzung? Sie haben darauf hingewiesen, dass wir transparente Kriterien brauchen. Wo sind die transparenten Kriterien? Sie, Herr Schnieder, und Sie, Herr Sendker, weisen immer auf die lange Regierungszeit von Rot-Grün hin. In NRW haben Sie fünf Jahre lang die Verantwortung getragen. ({1}) Ihre Minister sind durch NRW gereist und haben vieles versprochen, unter anderem alle Ortsumgehungen, die zur Diskussion standen. Mich wundert, was Herr Ramsauer gestern in dapd angekündigt hat. Ich zitiere: Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ({2}) will die schweren Frostschäden auf den Bundesfernstraßen notfalls mit Mitteln für den Neubau von Ortsumgehungen ausbessern. Ist das Ihre Antwort? Ist das die Logik, der Sie folgen? ({3}) - Nein, ich sage nur, was Ihr Minister dazu sagt. - Ihr Minister ist als Infrastrukturminister angetreten. Es fehlen aber nach Aussagen der Experten und Fachverbände mindestens 3 Milliarden Euro im Jahr. Sie haben gerade eine Haushaltsverbesserung von circa 300 Millionen Euro pro Jahr angekündigt. Sie können rechnerisch nachvollziehen, dass das bei weitem nicht ausreichen wird. Die Staudatenbank des ADAC zeigt den Handlungsbedarf: Von 1 000 als Engpässe definierten Autobahnkilometern sind nur 430 Kilometer im Vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans. Auf Anfragen antworten Sie, dass Bauprojekte des Vordringlichen Bedarfs mit abgeschlossener Planung nicht durchgeführt werden könnten, weil kein Geld vorhanden sei. In NRW wird sich die Umsetzung des RRX verzögern, weil Sie zugesagte 15 Millionen Euro dem Land NRW vorenthalten. Damit verhindern Sie, dass circa 31 000 Personenfahrten täglich auf die Schiene verlagert werden können. Sie setzen auf die Finanzierungskreisläufe. Nach dem Finanzierungskreislauf Straße soll auch die Schiene einen bekommen. Ein Teil der 500 Millionen Euro der von der Deutschen Bahn abzuführenden Dividende soll dem Ministerium verbleiben. Die Dividende soll ab 2015 auf 750 Millionen Euro erhöht werden. Ein großer Teil bleibt im allgemeinen Haushalt und fließt nicht in die wichtigen Schienenprojekte. Eine Frage zu Ihrer Problemlösung stellen Sie sich nicht: Was passiert eigentlich mit den Wasserstraßen? 29 aktuell überprüfte und bedarfsgerechte Bahnprojekte, die umgesetzt werden sollen, haben ein Investitionsvolumen von 26 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch Kosten für die im Bau befindlichen Projekte. Die Bahn kündigt zusätzlich ein „Wachstumsprogramm Schiene“ an und will Alternativrouten zu den überlasteten Hauptverkehrsachsen für den Güterverkehr durch Deutschland ausbauen. Die zusätzlichen Kosten betragen 2,2 Milliarden Euro. Wie wollen Sie außerdem die Rheintalbahn und die Hafenhinterlandanbindung finanzieren? Die Finanzierungskreisläufe werden den notwendigen Ausbau der Schiene nicht stärken und beschleunigen, sondern schwächen. Sie verhindern einen integrierten Netzansatz. Ebenso ist für uns nicht erkennbar, wie Sie eigentlich die Vorgaben der Europäischen Union umsetzen wollen. Das neue Weißbuch liegt im Entwurf vor. Dort ist formuliert, dass der großstädtische Verkehr bis 2050 im Wesentlichen CO2-frei ausgestaltet sein soll. Ein europäisches Kernnetz soll bis 2030 funktionstüchtig umgesetzt sein. 30 Prozent des Straßengüterverkehrs bei Strecken über 300 Kilometern sollen bis 2030 auf Schiff oder Bahn verlagert sein und bis 2050 sogar über die Hälfte. Wie wollen Sie das tun? ({4}) Mobilität ist eine zentrale Frage der Zukunft. Sie muss den wachsenden Anforderungen gerecht werden. Sie muss bezahlbar, umweltverträglich, sicher und zuverlässig sein. Lärmschutz ist dabei eine wichtige Voraussetzung. Wir brauchen schnellstens Schwachstellenanalysen und Engpassreduzierungen, und wir brauchen die geforderte Reformdebatte zur Mobilität. Das könnte eine Zukunftskommission zur Infrastrukturfinanzierung tun, um einen breiten Konsens in der Diskussion herzustellen. Die Lösung kann nicht sein, dass der Masterplan Güterverkehr und Logistik durch den Minister lediglich in einen Aktionsplan Güterverkehr und Logistik umbenannt wird, der uns inhaltlich auch noch zurückwirft. Klapp-rechner statt Laptops, Aktionsplan statt Masterplan, das kann nicht die Antwort sein. Danke. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Ulrich Lange für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was uns als Bundesbürger, als Verkehrsteilnehmer - mit Ausnahme der Kollegin Leidig, wie ich eben gelernt habe -, eint, ist Ärger über Stau auf Straßen wegen Baustellen ({0}) - nein, Sie treten in die Pedale -, über unpünktliche und volle Züge, über Verspätungen im Flugverkehr. ({1}) All das beklagen wir im Einzelfall. Dieses Phänomen ist auch nicht neu. Genauso wenig neu ist das Sammelsurium, das Sie, lieber Kollege Beckmeyer, uns heute vorgelegt haben. Keine Ihrer Forderungen ist neu. Allein die Antwort auf die Frage, wie Sie das alles finanzieren wollen, bleiben Sie wieder einmal schuldig. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Elf Jahre Ihrer eigenen Regierungskunst haben uns etwas hinterlassen: eine offene Baustelle; aufgrund des Bundesverkehrswegeplanes von Rot-Grün stehen wir jetzt im Stau. Diesen Stau wird unser Verkehrsminister zusammen mit dieser Koalition auflösen, lieber Kollege Beckmeyer. ({2}) - Ja. Der Verkehrswegeplan stammt trotzdem aus Ihrer Regierungszeit, lieber Kollege Hermann, nicht aus unserer. Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause darin einig - diejenigen, die ganz links sitzen, lasse ich einmal außen vor -, dass wir eine nachhaltige Finanzierung einer besseren Verkehrsinfrastruktur brauchen. Dafür zu sorgen, ist eine politische Daueraufgabe, die nicht auf einmal zu lösen sein wird. Auch über die Bedeutung der Verkehrsnetze dürfte hier kein Streit bestehen. ({3}) Aber im Gegensatz zu Ihnen, lieber Kollege Beckmeyer, wissen wir nicht nur um diese Bedeutung ({4}) - der Kollege Schnieder hat schon vorhin die Linien ganz deutlich gezeichnet -, sondern wir handeln auch: Wir verstetigen nämlich auf hohem Niveau. ({5}) - Ja, wir verstetigen auf hohem Niveau. Lieber Kollege Hermann, bei Ihnen waren die Ansätze niedrigschwelliger: 2001 bis 2008 9,4 Milliarden Euro, jetzt 9,7 Milliarden Euro. ({6}) Lieber Kollege Beckmeyer, das Jahr 2009 mit den 12 Milliarden Euro ist nicht der Maßstab. Sie selber wissen ganz genau, dass in diesem Betrag Mittel des Konjunkturpakets II enthalten waren. ({7}) Genauso wenig redlich ist es, zu sagen: 8 Milliarden Euro sind im Schienenverkehr gebunden. Wodurch sind sie denn gebunden? Wer hat sie denn gebunden? Wer trägt denn die Verantwortung? Schauen Sie in den Spiegel! Dann wissen Sie, wer dafür verantwortlich ist, dass diese Mittel bereits gebunden sind. Wendet man sich der Gretchenfrage in Ihrem Antrag, des Pudels Kern, zu, nämlich der Finanzierung, dann stellt man fest: Da kommt nichts. Sie haben lediglich eine vage Vorstellung von der Einrichtung einer Kommission. ({8}) Herr Kollege Beckmeyer, ich mache Ihnen und dem Kollegen Groß folgenden Vorschlag: Wir gehen am Mittwochvormittag vom Raum 600 im Paul-Löbe-Haus quer hinüber in den Raum 200. Dort tagt der Ausschuss für Arbeit und Soziales, dem auch ich angehöre. Dort werden rund 45 Prozent unseres Haushaltsvolumens beraten. Reden Sie dort mit Ihren Kolleginnen und Kollegen darüber, dass wir Geld für die Infrastruktur brauchen; denn auch bei Ihnen gibt es keine wunderbare Geldvermehrung. ({9}) Sie schreiben in Ihrem Antrag: Mit jeder in die Verkehrswege investierten Milliarde Euro werden rund 20 000 Arbeitsplätze … gesichert. Herr Kollege Beckmeyer, machen Sie mit! Das ist ein Regelsatz, der Arbeit schafft für die Infrastruktur. Dann sind wir sofort dabei. Gehen wir nächsten Mittwoch gemeinsam rüber in den anderen Raum und reden darüber. ({10}) Auch hier brauchen wir nicht noch einmal anzusetzen; denn ist es alles mehrfach vorgetragen worden. Natürlich gibt es im Bereich ÖPP noch Potenzial. Wir werden es heben. Da bin ich mir sicher. Wir sind alle für die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene und auf die Wasserstraße, weil wir wissen, dass wir den Zuwachs der Verkehre auf der Straße alleine nicht bewältigen können. Ich kann Sie nur auffordern, vor Ort mitzugehen und für den Schienenausbau zu werben und nicht dieses Katz-und-Maus-Spiel zu betreiben nach dem Motto: Wir sind zwar für den Ausbau, aber nicht hier. Kollege Hofreiter hat gerade von der Macht der Bürgerinitiativen gesprochen. Ich kann das auch anders nennen. Das ist die Macht, all das zu verhindern, was Sie hier plakativ darstellen. Herr Kollege Hofreiter, ehrlich gesagt finde ich das nicht seriös. ({11}) - Sie haben vorhin den Einwurf gebracht: die Macht der Bürgerinitiativen. Zeigen Sie gemeinsam mit uns den Mut! Gehen Sie gemeinsam mit uns den schwierigen Weg der Finanzierung! Wir alle hätten gerne mehr Geld. Gehen Sie nächsten Mittwoch gemeinsam mit mir zur größten Haushaltsposition. Wir alle wissen um die Notwendigkeit der Verkehrsinfrastruktur. Wir alle wissen um die Notwendigkeit der Verkehrsnetze. Wir gehen es mutig an. Wir werden uns innerhalb des Finanzierungsrahmens bewegen, den wir gemeinsam mit Ihnen im Zusammenhang mit der Schuldenbremse festgelegt haben. Wir wissen, dass wir dazu den richtigen und mutigen Minister haben. Herzlichen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/5022 an die in der Tagesordnung aufge- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein- verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sichern - Deutschland braucht eine moderne Zukunftsstrategie zur Infrastruk- turfinanzierung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 17/1479, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/782 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom- men bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Linke. Dagegen hat die SPD-Fraktion gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8 c, zur Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Mobilität nachhaltig gestalten - Er- folgreichen Ansatz der integrierten Verkehrspolitik fort- entwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 17/2226, den Antrag auf Drucksache 17/1060 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls an- genommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt hat die SPD-Fraktion. Enthalten ha- ben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften - Drucksache 17/4401 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Daniela Kolbe ({0}), Gabriele Fograscher, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für ein erweitertes Rückkehrrecht im Aufenthaltsgesetz - Drucksache 17/4197 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, Olaf Scholz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({1}) - Drucksache 17/207 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ({2}) - Drucksache 17/1557 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3}) - Drucksache 17/5093 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({4}) Memet Kilic b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({5}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Menschenrecht auf Freizügigkeit ungeteilt verwirklichen - zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für ein wirksames Rückkehrrecht und eine Stärkung der Rechte der Opfer von Zwangsverheiratungen - zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Memet Kilic, Volker Beck ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN Für eine wirksame und stichtagsunabhängige gesetzliche Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz - zu dem Antrag der Abgeordneten Memet Kilic, Volker Beck ({7}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Opfer von Zwangsverheiratungen wirksam schützen durch bundesgesetzliche Reformen und eine Bund-Länder-Initiative - zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({8}), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Residenzpflicht abschaffen - Für weitestgehende Freizügigkeit von Asylbewerbern und Geduldeten - Drucksachen 17/2325, 17/4681, 17/1571, 17/2491, 17/3065, 17/5093 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Hartfrid Wolff ({9}) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Memet Kilic Hierzu ist verabredet worden, eine Dreiviertelstunde lang zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort hat der Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Jahrzehnten haben Menschen aus aller Welt in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Sie haben durch ihre Arbeit und ihr gesellschaftliches Engagement, sei es in Vereinen, Kultureinrichtungen oder Sozialinitiativen, einen Beitrag zum Wohle unseres Landes geleistet und sich an der Gestaltung unserer Gesellschaft, ihrer neuen Heimat, beteiligt. ({0}) Menschen unterschiedlicher Religionen und unterschiedlicher Kulturen leben in unserem Lande friedlich zusammen. ({1}) Der Respekt vor unterschiedlichen religiösen Überzeugungen und kulturellen Traditionen ist ein Grundpfeiler unserer toleranten und weltoffenen Gesellschaft. Die Religionsfreiheit ist ein elementar wichtiger Pfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. ({2}) Das Pflegen von mitgebrachten Traditionen ist ein Recht, das in diesem freien Land ein jeder hat. Aber wir sind uns wohl auch einig, dass alle Menschen, die in unserem Lande leben, sich nach unseren freiheitlich-demokratischen Werten richten müssen. ({3}) Die Mehrheit der in unserem Land lebenden Migranten hat sich bereits erfolgreich in die Gesellschaft integriert. Gleichwohl kennen wir auch Defizite. Sie anzusprechen und zu beseitigen, ist unser Auftrag. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Jungen und Mädchen aus Migrantenfamilien eine echte Chance bekommen, hier in unserem Land erfolgreich ihren Weg zu gehen. Wir wollen ein wirkliches Miteinander, kein Nebeneinander und schon gar nicht ein Gegeneinander. Deswegen muss es darum gehen, gemeinsam pragmatische Lösungen zu finden, um Integrationspolitik in unserem Land noch erfolgreicher zu machen. Die Änderungen, über die wir heute sprechen, sind in einem sorgfältigen Reifeprozess geplant und vorbereitet worden. ({4}) Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der nach meiner festen Überzeugung geeignet ist, die Integration der Menschen in unserem Land zu fördern und voranzubringen. ({5}) Fördern und Fordern, das sind ehrliche und gute Koordinaten für eine erfolgreiche Integrationspolitik, ({6}) übrigens nicht nur in Bezug auf die Integration von Migranten, sondern auch in Bezug auf alle Menschen, die in der Mitte der Gesellschaft aufgenommen werden sollen. ({7}) Wir fördern die Integration der bei uns lebenden Migranten, indem wir sie nicht alleinlassen. Wir schaffen Rahmenbedingungen, die den Menschen eine erfolgreiche Eingliederung in unsere Gesellschaft ermöglichen. Zugleich fordern wir die Bereitschaft, sich selbst aktiv um Integration zu bemühen. Jeder Migrant trägt selbst die Verantwortung für seine erfolgreiche Integration in unsere Gesellschaft. Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, umfasst verschiedene Regelungsbereiche: Erstens. Wir gewähren Ausländerinnen, die in Deutschland integriert waren und in ihr Herkunftsland verschleppt und zwangsverheiratet wurden, ein eigenständiges Rückkehrrecht. Gleichzeitig führen wir einen eigenen Straftatbestand „Zwangsheirat“ ein. ({8}) Das klare Signal, das wir damit geben, lautet: Wer junge Frauen zwangsverheiratet oder solches Handeln unterstützt, kann sich nicht auf andersartige kulturelle oder religiöse Traditionen berufen, sondern er begeht strafbares Unrecht, das unsere Gesellschaft nicht zu tolerieren bereit ist. ({9}) Zweitens. Wir verlängern die Mindestbestandsdauer einer Ehe, die erforderlich ist, um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu erhalten, auf drei Jahre. Damit verringern wir den Anreiz zur Eingehung einer Scheinehe und erhöhen die Möglichkeit der Aufdeckung. ({10}) Wir fordern von denjenigen, die sich um Zuzug nach Deutschland bemühen, dass sie dies unter Beachtung der geltenden Zuwanderungsregeln tun. Wer eine Ehe allein zu dem Zweck eingeht, ein Aufenthaltsrecht zu begründen, unterläuft diese Regel. Deswegen machen wir mit unserem Gesetzentwurf deutlich, dass wir diesen Missbrauch mit aller Entschiedenheit bekämpfen. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Minister, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kilic zulassen?

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Nein danke. Drittens. Wir gewähren bislang nur geduldeten Jugendlichen, die sich schon lange in Deutschland aufhalten, erfolgreich die Schule besuchen, einen Schul- oder Berufsabschluss haben und gut integriert sind, ein eigenes Aufenthaltsrecht. Wenn sie bisher geduldet waren und sich gut integriert haben, erhalten sie also jetzt ein eigenes Aufenthaltsrecht. Denn es gehört zu unserer Politik des Förderns und Forderns, dass erbrachte Integrationsleistungen entsprechend belohnt werden. ({0}) Viertens. Zu unserer Politik des Forderns gehört es, dass wir Verstöße gegen Integrationsverpflichtungen künftig stärker sanktionieren. Wir verlangen von den hier lebenden Ausländern, dass sie sich mit den Grundwerten unserer Gesellschaft vertraut machen und Deutsch lernen. Denn wer auf Dauer hier leben will, muss Deutsch sprechen können. Der Besuch der Integrationskurse ist deshalb für noch nicht integrierte Ausländer verpflichtend. Klar ist: Integration ist ein langer Prozess, und Integration braucht vielfältige Begegnungen: im privaten Bereich, in der Nachbarschaft, in der Schule, im Verein und im Beruf. Gerade deswegen ist das Erlernen der deutschen Sprache der wichtigste Schlüssel zur Integration. ({1}) Aus diesem Grunde machen wir deutlich, dass es auf eine erfolgreiche Teilnahme an diesen Integrationskursen ankommt. Vor allem verlangen wir, dass ausreichende Deutschkenntnisse erworben werden. Von denjenigen, denen das nicht gelingt, werden wir künftig regelmäßig weitere Integrationsbemühungen einfordern. Ihre Aufenthaltserlaubnis wird deshalb jeweils nur um maximal ein Jahr verlängert, bis sie den Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen haben oder nachweisen können, dass ihre Integration anderweitig erfolgt ist. Wir schaffen damit einen Anreiz, sich zügig in die Lebensverhältnisse in Deutschland zu integrieren. Keiner wird wohl leugnen, dass sich nur derjenige in unsere Gesellschaft einbringen und sie aktiv mitgestalten kann, der auch Deutsch spricht. Wer die aktive Bereitschaft zum Erwerb der deutschen Sprache nicht klar und unmissverständlich einfordert, der schädigt letztlich die Migranten selbst. Er beraubt sie der Möglichkeit, sich sozial und wirtschaftlich zu integrieren. Er lässt zu, dass diese Menschen Gefahr laufen, dauerhaft von Sozialleistungen abhängig zu sein. Das will keiner von uns. Der vorliegende Gesetzentwurf bietet pragmatische Lösungsansätze für eine solide und wahrhaftige Integrationspolitik. Ich möchte Sie herzlich bitten, diesen Gesetzentwurf zu unterstützen. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Rüdiger Veit hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, das war Ihre erste Rede als Bundesinnenminister in diesem Haus. Deswegen habe ich alle Veranlassung, Ihnen namens der SPD-Fraktion bei aller Gegensätzlichkeit in der Sache, über die noch zu reden sein wird, gutes Gelingen zu wünschen. ({0}) Soweit es in meiner Macht steht, setze ich mich dafür ein, mit Ihnen konstruktiv zusammenzuarbeiten, wenn dieses Bemühen entsprechend erwidert wird. Es gibt durchaus Unterschiede in der Sache. Das wird auch heute deutlich. Wenn ich Ihnen das im Hinblick darauf, dass Sie den Gesetzentwurf hier begründet haben, sage, dann ist das nicht als ein persönlicher Angriff zu verstehen; denn der Beitrag der übrigen hier Versammelten zu diesem Gesetz, von dem Sie gesprochen haben, war wesentlich größer. Sie haben die Vorschriften in diesem Gesetz jetzt für sich selbst nachvollzogen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beinhaltet eine Reihe von durchaus lobenswerten Ansätzen. Aber dabei bleibt es meistens. Unter plakative Überschriften stellen Sie eine Reihe von Regelungen zur Bekämpfung von Zwangsheirat, zur Schaffung einer gesonderten Altfallregelung und zur Lockerung der Residenzpflicht. In der konkreten Ausgestaltung all dieser Instrumente nehmen Sie aber wieder die Hälfte zurück von dem, was Sie eigentlich regeln wollen. Man hat den Eindruck: Sie wollen ein paar Stichworte aus der Koalitionsvereinbarung abarbeiten und diese Themen - Beerdigung in der Holzklasse - möglichst noch vor dem 27. März irgendwie erledigt sehen. Das wird allein daran deutlich, dass die wirklich gute Anhörung, die wir zu allen Gesetzentwürfen durchgeführt haben, von uns allen nur unzureichend ausgewertet werden konnte, weil der Zeitablauf - die Anhörung war am Montag - gar nichts anderes zulässt. ({1}) Trotzdem gab es einige Versuche. Es gibt aber bis zum heutigen Tag keine Erklärung, warum das so furchtbar eilig ist. Wir hätten das genauso gut in der nächsten Sitzungswoche machen können. Ich will begründen, warum ich von plakativen Überschriften gesprochen haben. Die Regelung zur Bekämpfung der Zwangsheirat ist gut und schön; dafür sind wir alle. Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf dazu eingebracht und vertreten diesen in erster Linie. Herr Minister, Sie haben eben gesagt, dass die Opfer von Zwangsheirat vornehmlich in Deutschland gut integrierte junge Frauen sind. Warum muss man dann aber noch einmal eine positive Integrationsprognose über sie abgeben, damit sie zurückkehren können? Das leuchtet mir überhaupt nicht ein. Wenn wir das Rückkehrrecht gerade deshalb einräumen, weil die betroffenen Frauen unter Androhung von Gewalt oder durch List aus Deutschland verbracht wurden und dann zwangsverheiratet worden sind, dann frage ich mich, warum wir ihnen bei dem Versuch der Rückkehr, die technisch schwierig genug ist, noch eine positive Integrationsprognose abverlangen. Das kann ich nicht nachvollziehen. ({2}) Zur Verlängerung der Ehebestandszeiten wird meine Kollegin Aydan Özoğuz noch etwas sagen. Mir sei nur der Hinweis erlaubt, dass selbst die Kirchen in ihrem Schreiben vom 11. März 2011 - bei aller Achtung vor dem Institut der Ehe - sagen, dass man, wenn ausländische Frauen von ihren Männern mit Gewalt hier in Deutschland festgehalten werden, nicht noch einen Tatbeitrag dazu leisten darf, dass sie noch ein Jahr länger in dieser verzweifelten Situation ausharren müssen. Das wird meine Kollegin gleich näher ausführen. ({3}) Lassen Sie mich zu der Altfallregelung kommen, die Sie uns anbieten. Kollege Grindel hat die humanitäre Seite der Koalition entdeckt und sieht darin einen besonderen Vorstoß. Ich gebe zu, dass Sie dem, was wir von Ihnen schon lange erwarten, endlich näherkommen. Sie wollen keine stichtagsbezogene Altfallregelung, sondern eine, die alle - auch in der Zukunft - erfasst. Das ist zunächst im Grundsatz zu begrüßen. ({4}) Aber warum beschränken Sie das dann auf Antragsteller zwischen 15 und 21 Jahren? Warum sagen Sie nicht genauso wie wir, dass derjenige, der hier in Deutschland mindestens einen Hauptschulabschluss erworben hat, bleiben kann? Warum sagen Sie nicht genauso wie wir, dass ein minderjähriger geduldeter Ausländer nach vier Jahren bei einer positiven Integrationsprognose ebenfalls hier in Deutschland bleiben kann? Warum nicht diese wesentlich umfassendere Regelung? ({5}) Ich will auf weitere Einzelheiten unseres Gesetzentwurfs eingehen. Nach vielen Änderungen im Ausländerund Aufenthaltsrecht brauchen wir endlich einen Schnitt und müssen mit dem Institut der Kettenduldung in Deutschland ein für alle Mal Schluss machen. Dieser Situation müssen wir uns stellen. ({6}) Das ist Ihnen nicht gelungen. Es gibt einen nicht ganz produktiven Kompromiss aus den Vorstellungen von CDU/CSU und FDP. Wenn ich das einmal sagen darf: Die FDP, die wir in der letzten Legislaturperiode gelegentlich als Mitstreiter an unserer Seite hatten, kann ich heute leider nicht mehr wiedererkennen. ({7}) Wir durften in der Vergangenheit erleben, dass die FDP gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und uns versucht hat, gerade die Kolleginnen und Kollegen von der Union von vernünftigen Regelungen im Ausländerrecht zu überzeugen. Das spiegelt sich in dem, was hier und heute vorliegt, aber nicht unbedingt wider. So geht das bei allen Themen, die in dem Gesetzentwurf angesprochen sind, weiter. Ich nenne nur das Stichwort „Residenzpflicht“. Da gehen Sie heran. ({8}) Da gibt es leichte Lockerungen bei den Regelungen für Arbeitsaufnahme und Ausbildung. ({9}) Aber wir müssten viel weiter gehen. Dieses Institut ist längst überholt. Schon heute sind viele Landkreise und Länder - das geschieht sogar länderübergreifend - im Begriff, diese Regelung zu ändern, weil sie keinen Sinn mehr macht. Wir gehen nicht so weit und sagen, dass das alles abgeschafft werden muss und dass wir überhaupt keine Beschränkungen des Aufenthalts mehr brauchen. Schon aus Gründen der Steuerung der damit verbundenen finanziellen Lasten wollen auch wir eine Wohnortzuweisung für Asylbewerber und Geduldete, damit sie sich nicht beispielsweise in Großstädten vermehrt ansiedeln. Aber eine Residenzpflicht in dem Sinne, dass Asylbewerber und Geduldete den Kreis oder die Stadt ohne Ausnahmegenehmigung und ohne große Verwaltungsverfahren nicht verlassen dürfen, lehnen wir ab. Wir werden mit entsprechenden Gesetzentwürfen auf Sie zukommen. Kurzum - damit ich meiner Kollegin die Redezeit nicht wegnehme; das habe ich ihr versprochen -: Richtige kleine Trippelschritte unter ganz großen Überschriften, das ist im Grunde genommen der Duktus des Werkes, das Sie hier vorgelegt haben. Wir halten an unseren Vorlagen fest, insbesondere an der Regelung betreffend die Wiederkehr von Opfern nach Zwangsheirat, aber auch an der sehr viel ausdifferenzierteren Regelung für Altfälle, für Geduldete. Wir bitten um Zustimmung zu unseren Vorlagen. Ihrem Gesetzentwurf können wir aus den genannten Gründen leider nicht zustimmen. Danke sehr. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Hartfrid Wolff hat das Wort für die FDPFraktion. ({0})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, auch seitens der FDP-Fraktion gratulieren wir Ihnen herzlichst zu Ihrem neuen Amt. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg. Auf gute, spannende Zusammenarbeit! ({0}) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalition aus Union und FDP hat eine neue Integrationspolitik auf den Weg gebracht. Insofern hätten Sie zu Beginn keine bessere Rede halten können. ({1}) Wir werden die Chancen der Zuwanderung für unser Land besser nutzen und den Zusammenhalt unserer durch Zuwanderer bereicherten Gesellschaft stärken; Fördern und Fordern gehören zusammen. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzespaket. Wir schaffen hiermit den Einstieg in eine dauerhafte bundesgesetzliche Bleiberechtsregelung. Erstmals wird für minderjährige und heranwachsende geduldete Ausländer ein vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundesgesetz geschaffen. Die rot-grüne Koalition hat das nicht zustande gebracht. Die christlich-liberale Koalition dagegen eröffnet Perspektiven für Menschen, die in unser Land gekommen sind. ({2}) Wir helfen Frauen in Not. Die Gleichberechtigung der Frau ist einer der wesentlichen Bestandteile unserer Rechts- und Werteordnung, deren Vermittlung auch eine der entscheidenden Integrationsaufgaben ist. Zwangsheirat wird explizit als Straftat benannt. ({3}) Besonders wichtig ist uns die Verbesserung des Opferschutzes. Wir werden eben nicht nur die Täter bestrafen, sondern auch den Opfern eine Perspektive geben. Es wird erstmalig ein eigenständiges Wiederkehr- und Rückkehrrecht für ausländische Opfer von Zwangsverheiratungen geben. Die bisherige Regelung, wonach der Aufenthaltstitel für verschleppte junge Frauen nach sechs Monaten automatisch erlischt, ermöglichte es leider bis heute, diese Zwangslage noch stärker auszunutzen und Frauen jede Fluchtperspektive zu nehmen. Nachdem über das Rückkehrrecht schon sehr lange diskutiert wird, ist es der christlich-liberalen Koalition nun zu verdanken, dieses wichtige Opferschutzrecht für die Betroffenen geschaffen zu haben. ({4}) Jetzt erhalten Opfer von Zwangsheirat und Verschleppung wieder eine Chance, sich zu befreien. Dem dient übrigens auch die Verlängerung der Antragsfrist für die Aufhebung der Ehe. Wir lockern die Residenzpflicht für Geduldete und Asylbewerber, um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu erleichtern. Damit steigern wir die Chancen von jungen Migranten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und sich in unserer Gesellschaft weiterzuentwickeln. Wir haben uns auf die Verlängerung der Ehemindestbestandszeit auf drei Jahre zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltstitels geeinigt. Das hilft, Scheinehen besser zu bekämpfen. ({5}) Opfern häuslicher Gewalt, die es leider in viel zu großer Zahl gibt und die als Argument gegen die Anhebung der Ehemindestbestandszeit angeführt werden, kann durch die Härtefallregelung geholfen werden. Und die Sachverständigenanhörung hat gezeigt: Die jetzt getroffene, per Änderungsantrag aufgenommene gesetzliche Klarstellung wird zu einem stärkeren Schutz der Frauen beitragen. Wir mahnen die Ausländerbehörden an dieser Stelle zu einer großzügigen Handhabung. ({6}) Zentrales integrationspolitisches Anliegen der FDP ist das Beherrschen der deutschen Sprache. Eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erhält nur noch derjenige, der sich hinreichend auf Deutsch verständigen kann oder sich hier einbringt. Natürlich muss niemand aus Deutschland ausreisen, weil er nicht perfekt Deutsch spricht. Aber diejenigen, die sich nicht integrieren wollen, erhalten in Zukunft nur eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis. ({7}) Der Gesetzentwurf ist ein Signal für eine Abkehr von ideologischer Zuwanderungs- und Integrationspolitik. Mulitkultiromantik oder Desintegration durch Wegschauen helfen uns nicht weiter. Hartfrid Wolff ({8}) ({9}) - Lieber Herr Wieland, Sie bestätigen das gerade. Die Koalition aus FDP und CDU/CSU geht bestehende Defizite der Integrationspolitik ohne Scheuklappen an. Es gilt, die Chancen der Zuwanderung für unser Land besser zu nutzen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Frage des Kollegen Veit zulassen?

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das muss jetzt nicht sein. ({0}) Mit dem Gesetz, das als Entwurf vorliegt, werden in ausgewogener Weise Maßnahmen zur Förderung der Integration ergriffen. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP will die Chancen der Integration für ausländische Menschen in Deutschland verbessern. Der Schlüssel für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist die erfolgreiche Integration. Hierfür stellen wir die Weichen. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Ulla Jelpke hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Veit hat hier eben dargelegt, dass wir heute über einen Gesetzentwurf beraten, der im Schweinsgalopp durch den Bundestag getrieben wurde. Am Montag hatten wir eine Anhörung, bei der fünf von sieben Sachverständigen grundlegende Kritik an diesem Gesetzentwurf geäußert haben. Ein Protokoll der Anhörung liegt bis heute nicht vor. Das heißt, wir können die Anhörung überhaupt nicht vernünftig auswerten. ({0}) Herr Wolff, Sie haben in Ihrer Rede sehr deutlich gemacht, warum Sie dieses Gesetzesvorhaben hier schnell durchziehen wollen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es Ihnen vor allem um die Wahlen in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg geht, dass Sie auf Stimmungsmache gegen vermeintliche Integrationsverweigerer setzen, die Sie - auch in der Anhörung nicht einmal beziffern konnten. Seit Monaten fahren Sie gemeinsam mit dem Kollegen Grindel diese Kampagne. Damit betreiben Sie meiner Meinung nach rechtspopulistischen Stimmenfang. ({1}) Im Unterschied zum Kollegen Veit sieht die Linke in diesem Gesetzentwurf ein Dokument der Absage an eine offene und humane Integrationspolitik. Ich komme damit zu den Verschärfungen, die Sie jetzt einführen wollen, insbesondere bei der Aufenthaltserlaubnis, die so lange nur um ein Jahr verlängert werden soll, bis die Bestätigung eines erfolgreichen Sprachtests vorgelegt worden ist. Man muss sich einfach einmal vorstellen, was es bedeutet, wenn Menschen immer wieder zur Ausländerbehörde laufen müssen. Ausgerechnet die Fraktionen der Union und der FDP haben noch vor wenigen Monaten, als wir hier über den Haushalt beraten haben, nicht zugestimmt, als es darum ging, ausreichende finanzielle Mittel für Integrationskurse zur Verfügung zu stellen. ({2}) - Ich bin jetzt dran. - Sie haben die Mittel zur Deckung von Fahrtkosten und Kinderbetreuungskosten gekürzt. ({3}) Eine ausreichende finanzielle Ausstattung ist notwendig. Wenn man sich die Wartelisten anschaut und sieht, wie viele Menschen an Integrationskursen teilnehmen wollen, dann kann man nicht permanent von Integrationsverweigerern in unserer Gesellschaft reden und diese an den Pranger stellen. Dazu sage ich nur: Sarrazin lässt grüßen! - Wir von der Linken lehnen das ab. ({4}) Zum angeblichen Schutz für Zwangsverheiratete, den Sie einführen wollen. Ich meine, es handelt sich hier um reine Symbolpolitik. Sie selber sagen im Übrigen in Ihrem Gesetz, dass wir bereits einen Straftatbestand haben, der Zwangsheirat unter Strafe stellt. ({5}) Die Frage ist, ob ein neuer Straftatbestand die Frauen vor Zwangsverheiratung schützt. In Wahrheit geht es hier meiner Meinung nach in erster Linie nicht um die Opfer von Zwangsehen. Dasselbe gilt im Übrigen für die hier schon angesprochene Verlängerung der Ehebestandszeit. Bislang mussten ausländische Ehepartner, die einen deutschen Partner haben, zwei Jahre hier sein, um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu bekommen. Jetzt haben Sie die notwendige Ehebestandszeit auf drei Jahre erhöht und damit für eine Verschärfung gesorgt. Alle - Menschenrechtsorganisationen, die Kirchen, aber auch die Sachverständigen bei der Anhörung am Montag - haben gesagt: Das verlängert das Leid der Frauen; denn diejenigen, die in Zwangsehen leben und Gewalt erfahren, müssen dadurch garantiert noch länger in ehelicher Abhängigkeit verbleiben und haben nicht die Möglichkeit, sich von ihren Ehemännern zu trennen. Es ist die reinste Heuchelei, wenn Sie hier so tun, als würden Sie sich für diese Frauen einsetzen. Im Gegenteil: Mit Ihrem Gesetz verschärfen Sie ihre Situation. Sie machen es den Frauen schwerer. Ich will ganz deutlich sagen: Es gibt keine empirischen Untersuchungen, die Ihre These von den vielen sogenannten Scheinehen belegen. Das ist uns auch in der Anhörung am Montag bestätigt worden. Dort wurde gesagt, dass häufig zu schnell von Verdachtsfällen die Rede ist und sich im Nachhinein herausstellt, dass der Verdacht falsch war. Ein Wort zum Bleiberecht für Jugendliche, das hier schon angesprochen wurde. Es ist wirklich eine Meisterleistung, Jugendlichen, die gute Schulleistungen erbringen, die Verantwortung für ihre Geschwister und ihre Eltern aufzubürden. Sie sollen das Bleiberecht für Geschwister und Eltern erwirken. Ich frage mich, welch ein Verständnis von Pädagogik Sie haben. Wissen Sie eigentlich, was es bedeutet, wenn Kinder und Jugendliche unter einem derartigen Druck schulische Leistungen erbringen müssen? Ich halte es für unerträglich, dass Sie Politik auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen betreiben. Das lehnt die Linke ab. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Jelpke, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Zum Schluss möchte ich sagen, dass uns dieser Gesetzentwurf in allen Punkten nicht weit genug geht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Jelpke!

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Er zielt in die falsche Richtung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Jelpke!

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir sind der Meinung, dass man ihn unbedingt ablehnen muss.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Jelpke!

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist schon angekündigt worden, dass es weitere Anträge gibt. Das wird auch die Linke so halten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. - Frau Präsidentin, ein bisschen mehr Toleranz! ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das war der Wunsch nach mehr Toleranz bei der Redezeit. ({0}) - Ich habe Ihnen das Ende Ihrer Redezeit mit einem Signal angekündigt. Sie haben viele Sätze zu Ende sprechen können, bevor ich versucht habe, Sie akustisch darauf hinzuweisen, dass Ihre Redezeit weit überschritten war. Das Wort hat der Kollege Josef Winkler für Bündnis 90/Die Grünen. ({1})

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, auch namens meiner Fraktion biete ich konstruktive Zusammenarbeit an. In der nächsten Sitzungswoche - oder wann auch immer Sie vorhaben, den Innenausschuss zu besuchen können wir über Ihre Perspektiven für die Innenpolitik Deutschlands diskutieren. Das, was heute auf der Tagesordnung steht, haben Sie aufgrund des Zeitablaufs nicht maßgeblich mitgestalten können. Dennoch will ich mich darauf konzentrieren. Sehr geehrte Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie wollen Regelungen zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsverheiratungen und eine Bleiberechtsregelung für gut integrierte Jugendliche einführen. Die Absicht ist lobenswert. Wir haben aber feststellen müssen, dass Sie die Regelungen, die eigentlich möglichst vielen helfen sollten, so eng gefasst und handwerklich so schlecht gemacht haben, dass jeweils nur ein sehr kleiner Teil der Betroffenen davon profitieren wird. Darüber muss man hier einmal sprechen. ({0}) Das gilt zum Beispiel für das Rückkehrrecht der Opfer einer Zwangsheirat. Es widerspricht der Zielsetzung eines effektiven Schutzes der Frauen, die zum Zweck der Heirat verschleppt wurden, dass das Rückkehrrecht von einer positiven Integrationsprognose abhängig gemacht werden soll und nicht ohne Einschränkung als Rechtsanspruch ausgestaltet ist. Schließlich geht es vor allem darum, dass es sich hierbei um Opfer handelt, und nicht darum, ob die Integrationsprognose positiv ist. Das ist schlecht gemacht. ({1}) Es fehlt auch eine Beweislastregelung zugunsten der Opfer von Zwangsheirat, die sich nicht ausschließlich auf Fälle körperlicher, häuslicher Gewalt bezieht. In vielen Fallkonstellationen werden die Frauen durch psychischen Druck in eine ausweglose Situation gebracht. Ihr Vorschlag bzw. die Ergänzung in der Begründung, die Sie, Herr Kollege Wolff, vorgenommen haben, hilft den Frauen nicht. ({2}) Wie soll das attestiert werden? Das ist wirklich schwierig. Das wird in der Regel nicht helfen. Es fehlt auch eine aufenthaltsrechtliche Regelung für die aus einer Zwangsehe hervorgegangenen Kinder. Das heißt, die Frau, die im Ausland lebt, dort Kinder bekommen hat und aus der Zwangsehe ausbrechen will, kann eben nicht ohne Weiteres nach Deutschland zurückkommen. Sie müsste erst den Sorgerechtsstreit gewinnen, das Visumverfahren für sich und ihre Kinder betreiben und dann natürlich noch die von Ihnen so geschätzte positive Integrationsprognose vorweisen. Das ist wirklich Stuss und wird diesen Frauen nicht helfen. In dem Punkt bin ich mir mit dem Kollegen Veit von der SPD-Fraktion völlig einig. ({3}) Die SPD-Fraktion wird, glaube ich, unserem Antrag hierzu auch zustimmen. ({4}) Ein anderer Punkt, der bereits angesprochen wurde. Ich finde es schäbig, dass Sie mit der Verlängerung der Mindestehebestandszeit die Abhängigkeit der Opfer von Zwangsverheiratung von ihrem Ehepartner um ein Jahr verlängern. Die Meinung der Kirchen hierzu wurde eben vorgetragen. Von wegen christlich-liberal! ({5}) Nur weil Sie vermuten - übrigens gegen die Daten aller Ermittlungsbehörden in der gesamten Bundesrepublik -, dass es heute mehr Scheinehen als früher gibt, müssen sich nun die zwangsverheirateten Frauen ein Jahr länger prügeln lassen. Das ist schlicht und ergreifend schäbig gegenüber diesen Frauen. ({6}) Ihre Härtefallregelung greift nicht, Herr Wolff. Sie greift nicht! ({7}) Wir werden das in einem Jahr überprüfen. Dann werden Sie sehen: Ihre Härtefallregelung ist Stuss, ({8}) und die Änderungen, die von der Opposition vorgelegt wurden und die auch die Sachverständigen in der Anhörung im Innenausschuss vorgetragen haben, hätten helfen können. Betreiben Sie keine Symbolpolitik! Tun Sie nicht so, als hätten Sie geholfen! ({9}) Die betroffenen Frauen müssen Anzeige bei der Polizei erstatten und ärztliche Atteste vorlegen. Es muss ein besonders schwerer Fall sein, und es dürfen keine Zweifel bestehen. Erst dann greift die Härtefallregelung. Dass sie bisher selbst bei schweren Fällen körperlicher Gewalt nicht gegriffen hat, haben Sie versucht zu korrigieren. Aber die Hürden sind viel zu frauenfeindlich gestaltet. Die Frauen müssen sich nicht mehr zwei Jahre verprügeln lassen, sondern drei Jahre, bis sie einen eigenständigen Aufenthaltstitel erwerben. Das ist nicht christlich, und das ist nicht liberal. ({10}) Sie konnten das auch nicht begründen. Sie sagen nur, es lägen Anhaltspunkte aus der ausländerbehördlichen Praxis vor und es gebe so viele Scheinehen, dass man das innerhalb von zwei Jahren nicht aufklären könne; deswegen müsse man das auf drei Jahre ausweiten. ({11}) - Das kann sowieso widerrufen werden. Das ist richtig, Herr Kollege Veit. Ich will noch einen Punkt ansprechen. Den Vorschlag des Bundesrats, der eine Bleiberechtsregelung für gut integrierte Jugendliche vorsieht, haben Sie aufgegriffen. Allerdings haben Sie ihn verschlechtert. Der Bundesrat hat vorgeschlagen, dass die „überwiegende Lebensunterhaltssicherung“ vonseiten der Eltern ausreichen soll. Das ist eine realistische Regelung, weil die Menschen über Jahre vom Arbeitsmarkt ferngehalten wurden. Sie schlagen vor, dass die Menschen ihren Lebensunterhalt vollständig sichern sollen. Das führt dazu, dass für die Eltern das Bleiberecht nicht erreichbar ist und dass sie spätestens mit der Volljährigkeit ihrer Kinder mit der Abschiebung rechnen müssen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Oder sie werden nur geduldet. Das ist ein unsicherer Aufenthalt und keine Zukunftsperspektive. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Ich finde, heute ist ein schlechter Tag für die Integrationspolitik in Deutschland. Sie sollten wirklich nicht so weitermachen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Reinhard Grindel hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Hans-Peter Friedrich, natürlich auch von der CDU/CSU-Fraktion herzlichen Glückwunsch zum neuen Amt als Bundesinnenminister. Spannend muss unsere Zusammenarbeit nicht unbedingt sein, sondern sie muss gut, vertrauensvoll und harmonisch sein. Ich bin ganz sicher, dass das gelingen wird. Wir werden eine wunderbare Zusammenarbeit ({0}) zwischen Franken und allen anderen in unserer Arbeitsgruppe haben. Glück auf für Ihre wichtige Aufgabe! ({1}) Wenn ich das richtig verstanden habe, Frau Kollegin Özoğuz, ist Ihr Ehemann heute zum Innensenator in Hamburg berufen worden. Grüßen Sie ihn herzlich von uns! Gratulieren Sie ihm dazu! Ich bin ganz sicher: Wenn er in Zukunft abends nach Hause kommt und von seinen Problemen als Innensenator berichtet, wird er sagen: Die Handlungsmöglichkeiten, die die mir in Berlin eröffnet haben, sind eigentlich ganz gut. ({2}) Ich glaube, dass wir heute eine Vielzahl von Vorschlägen vorlegen, auf die Sie in Ihrer Regierungszeit sehr stolz gewesen wären. Herr Kollege Veit, Herr Kollege Winkler, wenn Sie ehrlich sind, geben Sie das zu. Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche, ({3}) eine Rückkehrmöglichkeit für Zwangsverheiratete und Zwangsverschleppte ({4}) und Verbesserungen bei der Residenzpflicht für Asylbewerber - Sie hätten sich in einer rot-grünen Sänfte durch Kreuzberg tragen lassen, wenn Sie das zu Ihrer Regierungszeit hinbekommen hätten. Das möchte ich klar sagen. ({5}) Das Bleiberecht für gut integrierte ausländische Jugendliche ist eine fundamentale humanitäre Verbesserung und bedeutet ein großes Stück Zukunftssicherung für viele junge Menschen mit Migrationshintergrund. Erstmals schaffen wir eine gesetzliche Regelung für die Zukunft und nicht nur eine Altfallregelung mit einem Stichtag, die sich häufig als zu starr erwiesen hat. ({6}) Wir verbinden auch nicht mehr den Aufenthaltstitel gut integrierter Jugendlicher mit dem Schicksal der Eltern; denn es hat oft zu Leid geführt, wenn der Jugendliche keine Perspektive in Deutschland hatte, weil sich seine Eltern hier nicht ordnungsgemäß verhalten hatten. Es wird in Zukunft genau umgekehrt sein. Erstmals ist die Integrationsleistung des Jugendlichen entscheidend. Er wird belohnt, wenn er erfolgreich die Schule besucht und die Gewähr dafür bietet, sich in die Lebensverhältnisse bei uns in Deutschland einzufügen. ({7}) In Zeiten des demografischen Wandels brauchen wir jeden Jugendlichen. Wir machen Ernst damit. Jeder bekommt die Chance, sein Glück in Deutschland zu machen. Das haben wir als christliche Demokraten und als freie Demokraten hinbekommen. Sie haben das nie hinbekommen, um das ganz deutlich zu sagen. ({8}) Es ist wahr: Die Integrationsanforderungen an die Jugendlichen sind hoch. Sie müssen erhebliche Integrationsleistungen nachweisen. Diese Anforderungen sorgen dafür, dass wir Pull-Effekte vermeiden. Wir wollen einen Anreiz für Integration schaffen. Wir wollen Zuwanderung in die Sozialsysteme verhindern. Aber wir wollen mit dieser Bleiberechtsregelung diejenigen fördern, die sich anstrengen und die es verdienen, dafür belohnt zu werden. Das Gleiche gilt für die Eltern der gut integrierten Jugendlichen; was Sie hier dazu gesagt haben, ist falsch. Sie werden in Zukunft in Deutschland bleiben dürfen, weil das Bleiberecht ihrer Kinder ansonsten ins Leere laufen würde. ({9}) Aber wir sagen den Eltern: Wenn ihr euren Lebensunterhalt selbst bestreiten könnt, wenn ihr keine Straftaten begangen habt, wenn ihr die Behörden nicht täuscht, dann könnt ihr über den Status des Geduldeten hinaus ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erwerben. Das ist der entscheidende Punkt. Die Eltern dürfen in jedem Fall bleiben, weil die Bleiberechtsregelung für ihre Kinder sonst ins Leere laufen würde. Aber ein eigenständiges Aufenthaltsrecht setzt auch eigenständige Integrationsleistungen voraus. Wir setzen einen Anreiz, sich zu integrieren. ({10}) Insofern machen wir an dieser Stelle auch bei den Eltern, wie bei den Kindern, ernst mit dem Grundsatz „Fördern und Fordern“. Das halte ich für eine richtige und zukunftsweisende Integrationspolitik. ({11}) Mit dem neuen Aufenthaltsrecht stärken wir die Integrationskurse. Wir sorgen dafür, dass die Ausländerbehörden endlich konsequent überprüfen, ob ein Neuzuwanderer seiner Pflicht, einen Integrationskurs zu besuchen, nachkommt. Wir schreiben vor, dass Neuzuwanderer nur noch für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und deren Verlängerung davon abhängt, dass sie den Integrationskurs ordnungsgemäß besucht haben. ({12}) Es ist nicht so, wie von einigen Organisationen fälschlich verbreitet, dass der Aufenthalt vom erfolgreichen Bestehen der Abschlussprüfung abhängt. Das spielt bei der Niederlassungserlaubnis eine Rolle. Das war schon immer so; das ist geltende Rechtslage. ({13}) Künftig wird aber schneller auffallen, wenn sich jemand beharrlich weigert, seiner Pflicht zum Besuch des Integrationskurses nachzukommen. Wir werden also erstmals das bekommen, was Sie immer anmahnen: belastbare Zahlen über Integrationsverweigerer. Wir geben den Ausländerbehörden ein Instrument, um dagegen vorzugehen und dafür zu sorgen, dass die Integrationsangebote, die wir vorhalten und in die wir viele Hundert Millionen Euro investieren, angenommen werden. Ich halte das für genau den richtigen Weg. ({14}) Mit dem neuen Aufenthaltsrecht stärken wir die Rechte von Zwangsverheirateten, und wir bekämpfen konsequent Scheinehen. Wir wissen von den Visastellen unserer Botschaften, gerade aus den Hauptherkunftsländern der nachziehenden Ehegatten, dass die Zahl der Scheinehen nach wie vor hoch ist und der Nachweis schwerfällt. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Grindel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Veit?

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Veit.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Grindel, habe ich das eben aus Ihrem Munde richtig verstanden, dass Sie bis zum heutigen Tage überhaupt keine Zahlen oder Schätzungen dazu haben, wie viele Integrationsverweigerer in dem von Ihnen beschriebenen Sinne es überhaupt gibt? Das würde sich mit den Auskünften Ihrer Sachverständigen vom Montag decken. ({0})

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe gesagt, dass solche Untersuchungen zum ersten Mal von allen Ausländerbehörden in Deutschland durchgeführt werden. Bisher gab es das punktuell. Auf diesem Wege haben wir valide Zahlen bekommen. ({0}) Wir wissen: Ja, es gibt Integrationsverweigerung. ({1}) Alle Ausländerbehörden müssen nun nach einem Jahr genau überprüfen: Sind die Neuzuwanderer, die nicht ausreichend Deutsch sprechen, ihrer Pflicht, einen Integrationskurs zu besuchen, tatsächlich nachgekommen? ({2}) Nach einem Jahr werden wir also wissen, wer von denen, die verpflichtet waren, einen Integrationskurs zu besuchen, sich beharrlich geweigert hat. ({3}) Wir werden zum ersten Mal flächendeckend für ganz Deutschland sehr genau wissen, wie viele Personen dieser Pflicht nicht nachgekommen sind. Natürlich gibt es bestimmte Gründe, die es unmöglich machen können, einen Integrationskurs zu besuchen, zum Beispiel eine Schwangerschaft oder gesundheitliche Probleme. Uns geht es aber darum, festzustellen, wer sich beharrlich weigert. Die Ausländerbehörden werden mit diesen Personen intensive Gespräche führen, um sie davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, Deutsch zu lernen. Wer dies kritisiert, der will nicht nur nicht wissen, wie viel Integrationsverweigerung es gibt, sondern der hilft auch nicht dabei, alle Zuwanderer dafür zu gewinnen, die deutsche Sprache zu lernen, etwas über unsere Gesetze und die verfassungsrechtlichen Grundlagen zu erfahren. Das ist das Ziel. Wir wollen die Menschen nicht nach Hause schicken. Wir wollen gern Zahlen zur Integrationsver10990 weigerung. Wir wollen, dass alle Zuwanderer die vorhandenen Integrationsangebote tatsächlich annehmen und die Ausländerbehörden dies überprüfen. Das ist das Ziel unserer Gesetzesänderung. ({4}) Ich komme zum Thema Scheinehen zurück. Wir wissen von den Visastellen, die die Entwicklung sehr genau beurteilen und beobachten können, dass die Zahl der Scheinehen nach wie vor hoch ist. Eine der wenigen neuen Erkenntnisse, die wir in der Anhörung gewonnen haben, ist, dass die Ausländerbehörden in der Tat sagen: Wir brauchen mehr Zeit, um Scheinehen aufdecken zu können. - Diese zusätzliche Zeit werden wir ihnen mit unserer Gesetzesänderung einräumen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Grindel, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal des Kollegen Kilic vom Bündnis 90/ Die Grünen?

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Grindel, in Ihrem Gesetzentwurf führen Sie aus, dass die Zahl der Fälle, in denen der Verdacht einer Scheinehe besteht, zugenommen hat. In diesem Zusammenhang hat die Linke die Bundesregierung gefragt, weshalb sie vor diesem Hintergrund die Mindestehebestandszeit von zwei auf drei Jahre verlängern will. Auf diese Frage hat die Bundesregierung geantwortet, im Jahre 2010 habe es circa 5 000 und im Jahre 2000 circa 1 000 solcher Fälle gegeben. Als wir, die Grünen, eine ähnliche Frage gestellt haben, hat das Innenministerium eine andere Zahl erwähnt. Uns wurde für das Jahr 2009 die Zahl 529 genannt. ({0}) - Ermittlungsverfahren, ja. - Daraufhin haben wir noch einmal gefragt, weil uns keine schlüssige Zahl genannt werden konnte. Herr Ole Schröder hat unsere Frage heute wie folgt beantwortet: Es gibt dazu überhaupt keine Statistik; wir können das nicht schlüssig darlegen. ({1}) In Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie aber, die Zahl dieser Fälle habe zugenommen. Müssen wir das so verstehen, dass Sie Ihre letzte Patrone ins Blaue schießen? Ist es anständig, wenn der Gesetzgeber eine solche Begründung anführt?

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kilic, ich habe schon mehrfach, bei der Einbringung des Gesetzentwurfes und auch eben, gesagt - eigentlich müssten auch Sie diese Informationen haben; Sie sind ja des Öfteren in der Türkei -, dass Sie die Mitarbeiterinnen unserer Visastellen in Istanbul, Ankara und Izmir, die für Visa zum Zwecke der Familienzusammenführung bzw. des Ehegattennachzuges zuständig sind - es sind fast nur Frauen, die dort tätig sind -, einmal fragen sollten, wie ich es getan habe: Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Scheinehen? ({0}) Schließlich haben sie in ihrer jahrelangen Tätigkeit umfangreiche Erkenntnisse gewonnen. ({1}) Die Mitarbeiterinnen werden Ihnen sagen: Diese Zahl dürfte in den letzten Jahren stabil geblieben sein. Wenn Sie dann sagen, es habe im Jahr 2000 5 000 Verdachtsfälle gegeben - damals galt eine vierjährige Mindestehebestandszeit; die Ausländerbehörden hatten also vier Jahre Zeit, um solche Scheinehen aufzudecken und wir hätten jetzt, bei nur zwei Jahren Mindestehebestandszeit, nur 1 000 Verdachtsfälle, dann ist das doch ein Argument zu meinen Gunsten. Denn das ist klar: Wenn man mehr Zeit hat, um Verdachtsfällen nachzugehen, dann deckt man auch mehr auf. Genau diese Möglichkeit wollen wir den Ausländerbehörden eröffnen. ({2}) Um auch das zu sagen, lieber Kollege Winkler: Die Härtefallregelung in § 31 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz präzisieren wir, indem wir die häusliche Gewalt als Regelbeispiel in das Gesetz hineinschreiben. Der Tatbestand der häuslichen Gewalt gab den Frauen übrigens schon vorher die Möglichkeit, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu erhalten. Deswegen sind diese Frauen hinreichend geschützt. ({3}) In der Anhörung haben die Auskunftspersonen keinen einzigen Fall benennen können, in dem die Härtefallregelung nicht hinreichend berücksichtigt worden und ins Leere gelaufen wäre. Insofern ist es unfair und nicht in Ordnung, wenn Sie unsere Gesetzesänderung hier als schäbig bezeichnen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Frauen, die in der Ehe unter Gewalt und anderen schweren Nachteilen leiden, sind hinreichend geschützt. Daran ändert sich mit unserer neuen gesetzlichen Regelung überhaupt nichts. Das war uns wichtig. ({4}) Insofern möchte ich abschließend sagen: Wir haben mit diesem Gesetzentwurf eine Vielzahl von Anregungen aus dem Bereich der Nichtregierungsorganisationen aufgenommen. Wir haben Anregungen aus dem Bereich der Innenministerien aufgenommen. Daher bin ich mir ganz sicher: Mit der Bleiberechtsregelung, mit den Verbesserungen für Opfer von Zwangsheirat und Zwangsverschleppung und bei der Residenzpflicht ({5}) wird es zu einer positiven Entwicklung im Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern kommen. Der Grundsatz, den der Minister hier eingefordert hat, nämlich „Fördern und Fordern“, findet sich in unserem Gesetzentwurf exakt wieder, und deshalb bitte ich um Zustimmung. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Aydan Özoğuz von der SPD-Fraktion. ({0})

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, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Friedrich, ich schließe mich natürlich den guten Wünschen meiner Fraktion an. Ich denke, wir werden hier durchaus noch einiges auszudiskutieren haben; über gewisse Dinge, die Sie gleich am Anfang Ihrer Amtszeit gesagt haben, möchte ich noch sprechen, aber an anderer Stelle. Lieber Herr Grindel, ich sage es vorweg: Ich werde Sie auch in Zukunft nie darüber befragen, was Ihre Frau abends zu den Dingen sagt, die Sie hier am Tag von sich geben. ({0}) Ich sage das nur mal; ich kenne Sie schließlich ein bisschen. Wir sollten es dabei belassen. ({1}) - Ich habe es ja freundlich gesagt. Es steht am Ende fest, dass hier ein Gesetz unnötig durchgepeitscht wird; das haben alle Sachverständigen am Montag gesagt. Ich habe mich gewundert, wie geduldig diese Sachverständigen eigentlich waren, zumal die CDU/CSUFraktion in der letzten Stunde nur noch mit einer Person in dieser Anhörung vertreten war. ({2}) Sie haben den Sachverstand überhaupt nicht gewürdigt. Sie haben in der letzten Woche viele Punkte nachgereicht, und diese Punkte sollten die Sachverständigen mit behandeln. Sie haben selber gesagt, dass das gar nicht möglich war. Daher hätte etwas mehr Respekt vor dem, was uns Sachverständige liefern, gezeigt, dass Sie es mit diesem Gesetz ernst meinen. Dass Sie es nicht ernst meinen, zeigt, dass Sie es heute in aller Eile durchpeitschen müssen. Auch heute gibt es auf die Frage, warum darüber nicht vernünftig gesprochen wird, nicht eine inhaltliche Antwort. ({3}) Kurz gesagt: Dass es gut ist, dass das Rückkehrrecht eingeführt wird, wurde erwähnt. Es sollte aber unabhängig davon gestaltet werden, wie alt die Betroffenen sind. An dieser Stelle noch der kurze Hinweis: Es ist auch egal, ob sie volljährig sind, wenn sie nach Deutschland eingereist sind. Das wurde hier noch nicht explizit gesagt, und daher möchte ich es hier erwähnen. Es ist doch vollkommen unabhängig davon. Denn selbst wenn sie nach Ihren Kriterien integriert wären, wäre das kein Hindernis. Insofern könnten Sie sich hinsichtlich dieses Punktes wirklich ein wenig bewegen. Dass der eigene Straftatbestand „Zwangsheirat“ Symbolpolitik ist, wurde hier schon mehrfach gesagt, und zwar zu Recht. Sie tun immer so - auch Herr Friedrich hat das heute getan -, als wäre das vorher überhaupt kein Thema gewesen. Sie wissen: Es war schon ein Straftatbestand. ({4}) Jetzt haben Sie symbolisch einen eigenen Straftatbestand eingeführt und meinen, damit etwas verhindern zu können. Kein Sachverständiger - auch keiner von Ihren hat diese Prognose bestätigt. Es bleibt also erst einmal abzuwarten. ({5}) - Nein, das haben sie nicht bestätigt. Da waren wir wohl in verschiedenen Anhörungen. ({6}) Sie haben eben gesagt, dass Sie mit sehr vielen NGOs gesprochen haben. Ich frage mich wirklich, mit welchen. Gerade weil Sie das Christliche hier immer wieder wiederholen: Die Prälaten der EKD und des Kommissariats der deutschen Bischöfe haben am 11. März 2011 an uns alle geschrieben. Sie haben gesagt, dass die Annahme Aydan Özoðuz vollkommen haltlos ist, dass man mit der Erhöhung der Mindestehebestandszeit von zwei auf drei Jahre etwas verhindern kann. Es bringe die Frauen in eine schlechte Lage, hieß es, und man solle das auf gar keinen Fall machen. Es haben uns sehr viele Organisationen geschrieben. Wir haben mit ihnen darüber gesprochen. Man fragt sich: Mit wem haben Sie gesprochen? Vielleicht haben Sie ja mit welchen gesprochen, aber das, was sie gesagt haben, haben Sie in dieses Gesetz dann aber nicht eingearbeitet. Das kann man festhalten. ({7}) Bei der Anhörung wurde auch gesagt, dass man doch auch einmal mit der Gruppe der potenziell Betroffenen oder mit denjenigen sprechen sollte, die mit diesen direkt zusammenarbeiten. Es gibt beispielsweise ein Aktionsbündnis muslimischer Frauen, das sich gegründet hat und sogar vom Bundesministerium gefördert wird. Sie haben nie mit ihnen gesprochen, wie ich erfahren habe. Auch die haben noch einmal gesagt: Diese Frauen haben Angst, sich zu melden; sie haben Angst vor Abschiebung. Es wird eher so sein, dass sie noch ein drittes Jahr in diesem Gefängnis der Ehe bleiben, als dass ihnen mit dieser Regelung wirklich geholfen wird. - Was Sie da machen, geht also einfach nicht. ({8}) Die Zahlenspielerei und Ihren Hinweis auf Visastellen finde ich schon besonders bemerkenswert. ({9}) Die Bundesregierung sagt ja selber, belastbare Zahlen könne man nicht nennen. ({10}) Was macht dann der Abgeordnete Grindel? Er fährt in die Visastelle und fragt: Was habt ihr denn für Zahlen? Die antworten: Wir verdächtigen soundso viele. - Das sind dann für Sie all die Scheinehen. Das kann doch nun nicht wirklich irgendeine belastbare Größe für unser Arbeiten hier im Bundestag sein. Das halte ich für absurd. ({11}) Letzter Punkt. Die Integrationskurse. ({12}) Sie haben eben noch einmal von Anreizen gesprochen. Das Wort „Anreiz“ ist ja gefallen. Wenn man den Leuten dann, wenn sie den Deutschtest bestehen, die Aufenthaltserlaubnis gibt - übrigens nur für bis zu einem Jahr; Sie sagen ja: „bis zu einem Jahr“; es ist einmal festzuhalten, dass Sie nicht „ein Jahr“ sagen -, dann schafft das Ihrer Meinung nach einen Anreiz. Was Sie damit in Wirklichkeit erreichen, ist doch Folgendes: Diejenigen, die mit guter Bildung hierherkommen und eine gute Voraussetzung haben, eine fremde und zudem schwere Sprache wie Deutsch schnell zu lernen, sollen schnell raus aus dieser Sache sein, eine solche Aufenthaltserlaubnis längerfristig haben und hier gut bleiben und arbeiten können. Die anderen werden an einem Gängelband gehalten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Özoğuz.

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, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort beim letzten Satz. - Damit schaffen Sie so etwas wie eine zweite Kettenduldung. ({0}) Es wird also immer scheibchenweise etwas dazugegeben. Sie verhindern, dass diejenigen arbeiten können; denn niemand gibt ihnen Arbeit, wenn sie keine ordentliche Aufenthaltsperspektive haben. Sie verhindern, dass sie wirklich Anreize haben, sich hier viel besser zu integrieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.

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, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das wird für die gesamte deutsche Gesellschaft in meinen Augen kein Vorteil sein. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Serkan Tören von der FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Serkan Tören (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004177, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Aydan, ich war am Montag auch in der Anhörung. Dort haben uns die Sachverständigen ganz eindeutig gesagt, dass ein eigener Straftatbestand „Zwangsehe“ eine Signalwirkung hat und ganz klar zeigt, dass unsere Gesellschaft mit so etwas nicht klarkommt und dass wir das auch strikt unterbinden wollen. ({0}) Dass wir ein Problem mit Scheinehen haben, zeigt ja auch der Beispielsfall eines ehemaligen SPD-Abgeordneten aus Hamburg. Ich glaube, dass das durchaus vorhanden ist; darüber brauchen wir uns hier auch nicht zu streiten. ({1}) Sprachkenntnisse sind und bleiben die Voraussetzung für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Dieses Kriterium gilt übrigens für alle Einwanderungsländer. Ob Neuseeland oder Kanada: Für eine Permanent Residence, also eine Niederlassungserlaubnis, werden mindestens grundlegende Sprach- und Landeskenntnisse gefordert. Ich halte diese Voraussetzung für sachlich völlig richtig. Es ist unerträglich, wie insbesondere die Kollegen der Linken immer wieder versuchen, dieses Kriterium als Schikane gegenüber Zuwanderern darzustellen. ({2}): Das ist es doch auch!) Deutsche Sprachkenntnisse sind die Voraussetzung für Teilhabe am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft. Diejenigen, die das leugnen, handeln verantwortungslos. ({3}) Wenn wir Zuwanderer verpflichten, Deutsch zu lernen, und kostenintensive Angebote schaffen, dann müssen wir auch klare Erwartungen und Ziele definieren und vor allem auch deren Einhaltung überprüfen, mit allen Konsequenzen, und zwar zeitnah. Es soll künftig nach einem Jahr erfolgen. Ich halte das nicht nur für die Motivation der Zuwanderer für wichtig, sondern auch - das sage ich in aller Deutlichkeit - für die Arbeit der Ausländerbehörden vor Ort. Die meisten Zuwanderer nehmen die Kurse ernst und wollen unsere Sprache zügig lernen. ({4}) Für alle anderen gibt es nun klare Anreize. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Bleiberecht für Minderjährige war längst überfällig. Jetzt werfen uns aber einige Propheten und Hobbystatistiker vor, das vorliegende Gesetz sei kein echter Fortschritt; ({5}) denn letztlich würden nur sehr wenige Jugendliche davon profitieren, weil wir den erfolgreichen Schulbesuch voraussetzen, das aber nicht bis auf die letzte Schul- und Kopfnote definieren. Die Welt ist jenseits von Zeugnissen und Urkunden komplizierter, als es Ihre Fantasie vielleicht zulässt. Das gilt insbesondere für junge Menschen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus. Genau deshalb legen wir das Kriterium „erfolgreich“ auch nicht bis ins letzte Detail fest. Die Behörden vor Ort brauchen den Spielraum, um den Realitäten dieser Schüler Rechnung zu tragen. Da mag es Krankheit, Traumata oder eine unzureichende Förderung geben. Vielleicht musste der Jugendliche in seiner Schulkarriere eine Klasse wiederholen. Das alles kann und sollte vor Ort und im Einzelfall berücksichtigt werden. Uns zu unterstellen, wir wollten den Kreis der begünstigten jungen Menschen absichtlich besonders klein halten, ist nicht nur falsch, ({6}) es ist auch den vielen Tausend Jugendlichen und ihrer berechtigten Hoffnung gegenüber unwürdig. Mit diesen Regelungen sagen wir nicht: Seht zu, wo ihr bleibt und wie ihr zurechtkommt! - Nein, insbesondere wir Liberale sagen: Bemüht euch, so gut ihr könnt, und nehmt eure Chancen wahr! Dann habt ihr eine sichere und gute Zukunft in Deutschland. ({7}) Das ist keine Sanktion. Es ist ein Anreiz, eine Einladung und ein großartiges Versprechen. In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bekämp- fung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Op- fer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften. Zuvor will ich noch mitteilen, dass eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt, die wir zu Pro- tokoll nehmen.1) Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5093, den Ge- setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/4401 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- stimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD für ein erweitertes Rückkehrrecht im Aufent- haltsgesetz. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 17/5093, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4197 abzulehnen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- 1) Anlage 10 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms tionen bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5093, den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 17/207 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wiederum entfällt die weitere Beratung. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5093, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1557 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Auch hier entfällt die weitere Beratung. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2325 mit dem Titel „Menschenrecht auf Freizügigkeit ungeteilt verwirklichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe f empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4681 mit dem Titel „Für ein wirksames Rückkehrrecht und eine Stärkung der Rechte der Opfer von Zwangsverheiratungen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Weiterhin empfiehlt der Innenausschuss unter Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1571 mit dem Titel „Für eine wirksame und stichtagsunabhängige gesetzliche Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Unter Buchstabe h empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2491 mit dem Titel „Opfer von Zwangsverheiratungen wirksam schützen durch bundesgesetzliche Reformen und eine Bund-Länder-Initiative“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe i seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3065 mit dem Titel „Residenzpflicht abschaffen Für weitestgehende Freizügigkeit von Asylbewerbern und Geduldeten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für eine gerechte Angleichung der Renten in Ostdeutschland - Drucksache 17/4192 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Roland Claus von der Fraktion Die Linke. ({1})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Linke fordert in der Tat gleiche Renten für gleiche Lebensleistungen in Ost und West. Ich stelle erst einmal erstaunt fest, dass der neue Bundesinnenminister, der bis eben hier auf der Regierungsbank saß, die sein neuer Arbeitsplatz ist, inzwischen den Plenarsaal verlassen hat. Ich weiß, dass der Bundesinnenminister für den Osten zuständig ist. Vielleicht muss ihm jemand erklären, dass es sinnvoller wäre, hier zu bleiben. ({0}) Ich weiß, dass derjenige, der die Begriffe Ost und West in den Mund nimmt, zuweilen als Ewiggestriger Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms angesehen wird. Aber zweigeteiltes Rentenrecht ist noch immer Realität in dieser Republik und nicht irgendein Phantomschmerz der Linken. Ich will Ihnen von der jungen Frau Tina H. aus Naumburg an der Saale erzählen. Tina H. wurde am 16. November 1989 geboren, eine Woche nach dem Mauerfall. Im September 2006 begann sie ihre Berufsausbildung, und ab diesem Datum erwarb sie Rentenansprüche. Das war der Tag, an dem ihr gesagt wurde: Mit deinem Eintritt in das Berufsleben musst du Rentenabschläge Ost in Kauf nehmen. Du bist uns 11 Prozent weniger wert. Du kriegst weniger. ({1}) - Natürlich ist das verkürzt, aber Fakt ist doch auch: Das ist 21 Jahre nach der deutschen Einheit so etwas von absurd, dass Sie von der Koalition nicht dazwischenrufen, sondern sich einfach nur schämen sollten. Das muss Ihnen einmal so gesagt werden. ({2}) Wenn Sie selbst den Nachwendegeborenen gleiches Recht verweigern, dann ist das ein Anachronismus, den wir überwinden wollen. ({3}) Ich darf Sie erinnern: In Ihrem eigenen Koalitionsvertrag steht auf Seite 84 der Satz: Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West ein. ({4}) Nichts ist bisher geschehen. Aber auf die Frau Bundeskanzlerin - das weiß ich wohl - haben im Osten viele Menschen vertraut. Sie hatten die Erwartungshaltung: Sie weiß doch, was bei uns los ist. Sie muss sich doch für uns einsetzen. - Alles bisher Fehlanzeige. Sie ist damit verantwortlich für sehr viel Enttäuschung und Frust in den neuen Bundesländern. ({5}) Ich will Sie auch daran erinnern, dass es Bundeskanzlerin Merkel war, die am 9. Deutschen Seniorentag teilnahm, der im Juni 2009, drei Monate vor der Bundestagswahl, stattfand. Dort hat sie eine Lösung für die Angleichung der Ostrenten noch in der ersten Hälfte der Legislaturperiode versprochen. ({6}) Nichts ist bisher geschehen. Deshalb erwarte ich, dass von der Kanzlerinnenpartei, der CDU, in dieser Debatte hier jetzt Klarheit geschaffen wird. ({7}) Die Linke hat diese Problematik bekanntlich von Anfang an benannt ({8}) mir ist es seit Volkskammerzeiten 1990 bekannt - und bringt nun einen Vorschlag ein, der von mehreren Gewerkschaften und Sozialverbänden ausgearbeitet wurde, in dem gewissermaßen schon ein Kompromiss steckt. Zugleich wird damit aber auch klar, dass in diesem Bündnis ein Weg gefunden wurde, der gangbar ist. Wir wissen, er ist nicht einfach, aber wir wollen diesen Weg gehen und das Problem im Zeitraum 2012 bis 2016 gelöst wissen. Der Lösungsweg wird in unserem Antrag beschrieben: Es muss eine deutliche Verbesserung der Lage der Ostrentner von heute geben, die Hochwertung der Ostlöhne soll weiter bleiben, und es soll eine steuerfinanzierte, stufenweise Zuschlagsregelung für die Jahre 2012 bis 2016 geben. Dagegen erheben sich zuweilen Einwände; die Argumente sind aber hinlänglich ausgetauscht. ({9}) Wir dürfen hierbei nicht außer Acht lassen, dass im Osten im Moment sehr viele auf ein Leben in Altersarmut hinarbeiten. Vergessen wir nicht: Nur 50 Prozent der Beschäftigten haben überhaupt einen Arbeitsvertrag mit Tarifbindung. Wir haben einen Lohn- und Einkommensabstand zwischen Ost und West von inzwischen etwa 800 Euro monatlich. Wir haben im Osten im Vergleich zur gesamten Bundesrepublik einen doppelt so hohen Teilzeit- und Leiharbeitsanteil. Das alles führt dazu, dass Rentenansprüche künftig so gering sind, dass Altersarmut entsteht. Das ist ein Zustand in dieser Republik, den wir einfach nicht hinnehmen und nicht dulden wollen. ({10}) Ich habe schon im Vorfeld gehört, unsere Forderungen seien billiger Wahlkampf. Dazu sage ich Ihnen nur eines: Billig ist das wirklich nicht, was wir hier vorschlagen. ({11}) Wenn Wahlkampf heißt, den Leuten vor der Wahl die Wahrheit zu sagen und die Lügen der Regierung Lügen zu nennen, dann können Sie das auch Wahlkampf nennen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel ist klar - wir sind uns an dieser Stelle auch einig -: eine gerechte Angleichung der Renten in Ostdeutschland. ({0}) Sie haben die entsprechende Passage aus unserer Koalitionsvereinbarung zitiert. Wir sind auf dem Weg dahin, dieses Ziel zu erreichen. Es geht uns darum, dass eine Gleichbehandlung von Ost und West stattfindet, das heißt, dass es zu einem einheitlichen Rentenwert in Ost und West kommt. Gleichwohl sage ich aus ostdeutscher Perspektive, die ich repräsentiere: Angleichung heißt nicht automatisch, dass ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner mehr Geld bekämen. Der Sachverständigenrat kam zu verschiedenen Ergebnissen und stellte unter anderem fest, dass die jetzigen Rentner aus den neuen Bundesländern nicht automatisch mehr Rente bekämen, da ein höherer Rentenwert durch weniger Entgeltpunkte - ich weiß, da sind wir anderer Meinung als Sie - ausgeglichen werden müsste. Es ist nur recht und billig, dass Sie das den Bürgerinnen und Bürgern ebenfalls sagen. ({1}) Die unterschiedliche Bewertung der Löhne in Ost und West weiterhin festzuschreiben, wie Sie es fordern, würde meiner Meinung nach gerade nicht zu einer Gleichbehandlung führen, um die es uns - Stichwort: Gerechtigkeit - doch eigentlich gehen sollte. Die Angleichung - so sehen wir das; ich weiß nicht, was Sie sich vorstellen - führte dazu, dass diejenigen, die jetzt in Frankfurt an der Oder Anwartschaften erarbeiten, eben nicht oder nur nach einem längeren Arbeitszeitraum Renten in der gleichen Höhe bekommen wie diejenigen, die in Frankfurt am Main Anwartschaften erarbeiten. Das ist ebenfalls ungerecht. ({2}) Wenn Sie, liebe Kollegen von der Linken, den Eindruck erwecken, dass es möglich sei, nur die Entgeltpunkte bzw. Rentenpunkte anzugleichen, ohne dabei die Höherwertung der Einkommen anzutasten, schüren Sie eine Illusion - unter anderem eine finanzielle -, sowohl bezogen auf den Einzelbürger als auch auf die Kassen. ({3}) Letztlich belügen Sie ein Stück weit Ihre Wähler, weil das so nicht machbar ist. Das Ganze ist illusorisch, nicht nur im Hinblick auf das Finanzvolumen. Wenn man an einem Mobile auf der einen Seite etwas kappt, ({4}) dann kann man nicht davon ausgehen, dass es auf der anderen Seite keinen Ausschlag gibt; schließlich wird die Balance nicht gewahrt. Wir haben es nicht mehr nur mit den Unterschieden zwischen Ost und West zu tun; inzwischen gibt es in Deutschland auch andere Unterschiede. Sich nur darauf zu berufen, dass die Spaltung zwischen Ost und West noch da ist - sie ist tatsächlich noch da -, ist nicht legitim; das ist nämlich nicht das Einzige, was man in die Waagschale werfen muss. Sie wollen Ungerechtigkeit verhindern. Darin sind wir mit Ihnen einig. Folgte man Ihren Vorschlägen, bliebe aber die Ungerechtigkeit aufseiten der alten Bundesländer bestehen. Das Problem ist: Die differenzierte Entgeltberechnung im Osten geschah in der Hoffnung, dass es zu einer Lohnsteigerung kommt, die bis heute aufgrund einiger Behinderungen in der gewünschten Schnelligkeit nicht eingetreten ist. Aufgrund bestimmter Faktoren ist es also nicht schnell genug geschafft worden, das Ziel der Rentenangleichung zu erreichen. Im Ziel als solchem sind wir mit Ihnen aber einig. Was die Problembeschreibung angeht, liegen wir nah beieinander. Sie werfen uns vor, seit 20 Jahren nichts getan zu haben. Dabei stellen Sie eine Verbindung zum Thema Altersarmut her; das haben Sie hier ebenfalls eingebracht. Wir haben aber darüber geredet. Die Kommission für die Entwicklung von Konzepten gegen Altersarmut macht sich an die Arbeit. Auch wenn dieses Thema erst in einer Weile auf uns zukommt, gehen wir es also jetzt schon an. Zu sagen, nichts sei geschehen, ist einfach ein bisschen lapidar. ({5}) Wir haben uns mit unserem Koalitionspartner unterhalten. Ich habe mit Kollegen aus der SPD-Fraktion gesprochen. Wir haben mit Verdi Gespräche über das von Ihnen als Maßstab bezeichnete Verdi-Modell geführt. ({6}) Wir haben mit Bürgern verschiedenster Zugehörigkeit Gespräche geführt, mit Bürgern aus dem Osten wie aus dem Westen, mit Bestandsrentnern sowie mit zukünftigen Rentnern. Wir haben festgestellt: Viele in den neuen Bundesländern sind ungehalten. Das liegt aber auch daran, dass Sie diese Haltung ein Stück weit schüren. Wenn wir uns aber einzig und allein darum kümmern, führt das dazu, dass Bürger aus dem Westen genauso ungehalten reagieren. Ich möchte aus einer Bürgerzuschrift zitieren: Das Baumaterial für die Brücke der Rentenüberleitung nach 1990 war Geld, viel Geld. Dieses Geld kam ausschließlich aus dem Westen. Der Osten war pleite, wie ein Staat nur pleite sein kann. - Da wird auf das gleiche Pferd gesetzt und nicht verstanden, warum wir noch einmal nur die eine Seite betonen wollen. Auch aus dieser Perspektive müssen wir als Bundespolitiker denken. Im Ziel sind wir uns relativ einig. Bei der Bewertung sind wir uns nicht ganz einig. Über den Lösungsweg sind wir uns überhaupt nicht einig. Wir wollen gerne sorgfältig arbeiten und dann einen Vorschlag präsentieren. ({7}) Heute Morgen gab es eine Pressemitteilung der Volkssolidarität, in der Professor Dr. Gunnar Winkler mit den Worten wiedergegeben wird: Bis heute liegt dem Bundestag lediglich ein Antrag der Fraktion DIE LINKE vor, während sich alle anderen bislang zurückhalten. Das ist nicht wahr. Wir arbeiten. Wir wollen aber erst dann etwas vorlegen, wenn es wirklich eine gute Diskussionsgrundlage darstellt. ({8}) Jemand sagte mir gestern: Gutes Rechnen und Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. ({9}) - Nein, wir wollen nicht verzögern. Wir wollen aber, wie es immer wieder angekündigt wird, zur Mitte der Legislatur dieses Ding sauber vorstellen. ({10}) In der heutigen Pressemitteilung der Volkssolidarität heißt es außerdem: Wir wissen um die Schwierigkeiten einer gerechten Lösung, … Von Vertrösten oder davon, die Umsetzung durch Untätigkeit zu übergehen, kann keine Rede sein. Die Schwierigkeit besteht darin, eine wirkliche Gleichbehandlung umzusetzen. Unser Ziel ist weiterhin - wie in der Koalitionsvereinbarung geschrieben - eine weitgehende Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West bis zum Jahr 2019. Wir suchen nach Möglichkeiten, die auf der einen Seite einen Weg bieten, die Bestandsrenten nicht zu mindern, und die auf der anderen Seite die Anwartschaften, die jetzt erarbeitet werden, nicht von vornherein verschlechtern. ({11}) Das wirkt für viele wie die Quadratur des Kreises. Das ist aber unsere Aufgabe, die wir uns vorgenommen haben und der wir uns stellen. Im Ziel sind wir uns einig, aber nicht im Weg. Die Übertragung des Rentensystems - das habe ich auch aus Ihren Mündern gehört - war eine große Leistung, auch wenn noch etwas Arbeit dabei bleibt. Die Löhne sind nach 1990 enorm gestiegen. Daran konnten auch Rentnerinnen und Rentner teilhaben. Das war nicht selbstverständlich. Auch da ist noch etwas nachzulegen. ({12}) Genau an dieser Stelle gilt es, anzusetzen. Das haben Sie auch in Ihrem Antrag angesprochen. Dies geht zum einen durch Angleichung und zum anderen durch Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt. Sie wissen aus unseren Stellungnahmen im Sozialausschuss, dass es uns besonders wichtig ist, das Sozialsystem über Arbeit stabiler zu machen und damit auch die Renten für die Menschen in Ostdeutschland zu stützen. Diesen Weg gilt es weiterzugehen. Über die Richtung sind wir uns einig, über den Weg leider noch nicht. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Silvia Schmidt von der SPD-Fraktion. ({0})

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Tag, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 20 Jahre nach der Wiedervereinigung kann man es den Rentnerinnen und Rentnern in den neuen Bundesländern wirklich nicht mehr zumuten, dass immer noch unterschiedliche Rentenberechnungssysteme existieren. Das ist so. ({0}) Lieber Roland Claus, auf der einen Seite reden wir von Ungerechtigkeiten. Auf der anderen Seite sagen Sie aber: Die Höherwertung im Osten soll bleiben. Dann würden neue Ungerechtigkeiten entstehen, zusätzlich zu denen, die zurzeit schon stattfinden. Die Leute in den neuen Bundesländern, die 100 Prozent Tarif bekommen, erhalten natürlich später deutlich mehr Rente als jemand, der in Frankfurt am Main arbeitet. ({1}) Das ist so, und das können wir auch nicht wegdenken. Lassen wir es einmal dabei. Ich glaube auch nicht, dass sich die Deutschen schämen müssen. Gerade die Rentenleistung - das haben die Väter der Einheit durchaus so gewollt - war ein großer Solidaritätsakt. Diesen muss man einfach anerkennen. Wer das nicht macht, verkennt die Lage. ({2}) Silvia Schmidt ({3}) Wir brauchen - ich habe es schon in meiner letzten Rede deutlich gemacht - endlich ein einheitliches Rentenrecht, um Ost und West in unserer Gesellschaft zusammenzuführen. Sehr verehrter Herr Heinrich, Sie haben das Modell des Sachverständigenrates angesprochen. Dieses beinhaltet im Grunde genommen eine rein technische Lösung. Im Klartext verlangt es von den Rentnern und Rentnerinnen in den neuen Bundesländern, dass sie auf die höhere Bewertung ihrer Verdienste um die fehlenden ungefähr 11 Prozent verzichten. Das halte ich für ungerecht. Hier müssen wir zügig nach neuen Lösungsmöglichkeiten suchen. Dabei werden auch Sie sicher mitmachen. ({4}) Wir können allerdings sehr schnell dafür sorgen - das habe ich bereits beim letzten Mal angesprochen; das findet sich auch im Positionspapier der SPD-Landesgruppe Ost -, dass zum Beispiel die Kindererziehungszeiten und die Wehrpflichtszeiten in Ost und West einen einheitlichen Rentenwert erhalten. Auf beiden Seiten haben Mütter Kinder erzogen - ich glaube, da gibt es wirklich keine Unterschiede -, und ebenso gab es auf beiden Seiten die Wehrpflicht; diese anderthalb Jahre müssen in gleicher Weise angerechnet werden. Hier können wir schnell handeln. Es gibt keinen sachlichen Grund, da eine Trennung vorzunehmen. ({5}) Wir können an diesen Beispielen sehr deutlich machen, dass die Lebensphasen in Ost und West gleich viel wert sind. Die Angleichung der Kindererziehungszeiten würde im Schnitt pro Person 240 Euro im Jahr mehr kosten. Ich denke, das kann sich eine Solidargemeinschaft durchaus leisten. Die Rentensystemangleichung, das heißt die Angleichung der Rentenwerte auf der Basis von Entgeltpunkten, sowie die Höherwertung niedriger ostdeutscher Einkommen stellen eine sehr schwierige Aufgabe dar. Darüber müssen wir - da sind wir alle uns im Deutschen Bundestag wohl einig - noch heftig diskutieren, um eine gerechte Lösung zu finden. Den Vorschlag von Verdi finde ich persönlich sehr gut. Er ist auf zehn Jahre angelegt. In Ihrem Vorschlag hingegen, lieber Roland Claus, wird von fünf Jahren ausgegangen. Das ist etwas zu kurz gesprungen. ({6}) Wenn wir die Lebensarbeitszeit der Rentner und Rentnerinnen im Bestand ansehen und in diesem Zusammenhang von Redlichkeit sprechen, dann müssen wir uns auch die Frage stellen, ob es redlich ist, davon auszugehen, dass diese Aufgabe innerhalb von fünf Jahren gestemmt werden kann. Das schafft keiner; da sollten wir ganz ehrlich sein. Der Haushalt gibt das im Moment nicht her. Das sollten wir unbedingt zur Kenntnis nehmen. ({7}) Wir haben neue Vorschläge vorgelegt, auf die ich ganz kurz eingehen möchte. Ich hatte bereits in meiner letzten Rede angesprochen, dass wir vorschlagen, für bestimmte Personengruppen - bei einigen stimmen wir natürlich nicht überein -, zum Beispiel mithelfende Familienmitglieder, Balletttänzerinnen und -tänzer oder Krankenschwestern, einen Solidarfonds aufzulegen. ({8}) Denn es kann doch Frauen und Männern, die 35 oder 40 Jahre gearbeitet haben, nicht zugemutet werden, später zum Amt gehen und Grundsicherung beantragen zu müssen. Wir erwarten, dass man hier noch einmal tief in die Tasche greift und 500 Millionen Euro in diesen Fonds steckt, um diesen Frauen und Männern entgegenzukommen. Ich will noch einen anderen wichtigen Bereich ansprechen. Im Grunde genommen brauchen wir entweder eine Mindestrente, wie sie bis 1991 bestanden hat und auch noch fortgeführt wird - allerdings nicht mehr in dem Maße -, oder eine Sockelrente, damit Altersarmut in Zukunft gar nicht mehr entstehen kann. ({9}) Das wird ein Problem für die Kommunen sein. Das müssen wir erneut angehen. ({10}) Die SPD hat im Willy-Brandt-Haus beschlossen, gemeinsam mit der Kommission für Konzepte gegen Altersarmut einen Lösungsweg zu suchen. Diesen werden wir dann sicherlich mit Ihnen gemeinsam gehen können. ({11}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den letzten Wochen und Monaten oft genug über das Thema Rentenangleichung in Ost und West diskutiert und wissen, dass es für uns alle kein leichtes Thema ist. Wir wollen Gerechtigkeit walten lassen, und zwar, wenn es geht, für alle. Ich bin deshalb froh, dass die Koalition aus CDU/CSU und FDP zum Beispiel Verbesserungen im Bereich des Opferentschädigungsgesetzes vorgenommen hat. Egal ob jemand in Frankfurt am Main oder in Frankfurt an der Oder Opfer einer Gewalttat geworden ist: Er bekommt von der Unfallversicherung die gleiche Entschädigung. Dieser Weg, den Sie da eingeschlagen haben, ist ein richtiger Weg. Wir sollten diesen Weg gemeinsam weitergehen. Die Rentnerinnen und Rentner müssen sich auf die Politik verlassen können. Für sie ist es nicht nachvollziehbar, wenn Schwarz-Gelb so entscheidet und dann Rot-Grün vielleicht anders entscheidet. RentnerinSilvia Schmidt ({12}) nen und Rentner brauchen Sicherheit. Das sind wir ihnen schuldig. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Claus, weil Ihre Aussagen seltsam anmuten, will ich zunächst an Ihre Adresse Folgendes sagen: Die Unterschiede zwischen Ost und West in der Rente hatten und haben wir nur, weil 1961 „angeblich“ niemand die Absicht hatte, eine Mauer zu bauen. ({0}) Auf der einen Seite dieser Mauer wurde in den folgenden vier Jahrzehnten eine Volkswirtschaft vor die Wand gefahren. Sie können auch sagen: an die Mauer gefahren. Auf der anderen Seite der Mauer ist ein Staat mit stabilen sozialen Sicherungssystemen entstanden, ({1}) der selbst die große Herausforderung der Überführung der Altersanwartschaften aus der ehemaligen DDR in das System des SGB VI gemeistert und geschultert hat. Das ist eine riesige Leistung. ({2}) Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass sich heute die politischen Erben derjenigen, die damals die Mauer gebaut haben, hier hinstellen und sagen: Ihr erhöht die Renten nicht schnell genug. ({3}) Herr Claus, so kann man es nicht machen. Das ist politisch nicht glaubwürdig. Sie fischen hier im Trüben. Aber niemand, der das System ernsthaft beleuchtet, wird Ihnen das abnehmen. ({4}) Wir wollen unverändert eine zügige und zeitnahe Angleichung des Rentenrechts in Ost und West. Das ist der Punkt, auf den wir uns im Koalitionsvertrag mit den Kollegen der Union verständigt haben. Herr Claus, eine Legislaturperiode umfasst vier Jahre. ({5}) Wir haben erst eineinviertel Jahre dieser Legislaturperiode hinter uns; wir wollen auch noch in den kommenden zweidreiviertel Jahren weiter an dem arbeiten, was wir uns im Koalitionsvertrag vom Oktober 2009 vorgenommen haben. Wir wollen und werden ein einheitliches Rentenrecht einführen. Die FDP-Fraktion hat mit einem Antrag im Juni 2008 als erste Fraktion im Deutschen Bundestag deutlich gemacht, wie sie sich das vorstellt. Wir glauben nämlich, dass es 20 Jahre nach der deutschen Einheit Zeit ist, ein einheitliches Rentenrecht mit einheitlichen Rentenwerten, mit einheitlichen Entgeltpunkten und mit einer einheitlichen Beitragsbemessungsgrenze einzuführen. Bei Wahrung aller Ansprüche, also bei Wahrung aller Anwartschaften, die Rentner in den neuen Bundesländern, aber auch Erwerbstätige mit Rentenanwartschaften erworben haben - mit einem Wort: bei Besitzstandswahrung -, soll ab einem Stichtag im ganzen Bundesgebiet ein gleicher Beitrag einen gleichen Rentenanspruch erbringen. Ich denke, das ist eine klare und faire Lösung. Das kann die Richtschnur für das sein, was wir tun wollen. ({6}) Dem hat sich übrigens der Sachverständigenrat der Bundesregierung in seinem Jahresgutachten 2008/09 angeschlossen. Ich zitiere von Seite 365 dieses Gutachtens: Da sich der in den ersten Jahren nach der Vereinigung einsetzende Prozess einer Angleichung der in Ostdeutschland gezahlten Löhne in den letzten Jahren zunehmend verlangsamt hat, seit dem Jahr 2005 zum Stillstand gekommen zu sein scheint und einer zunehmenden Heterogenität der regionalen Entlohnungsstrukturen in beiden Gebietsständen gewichen ist, führt das in den neuen Ländern geltende Rentenrecht zu verteilungspolitisch kaum zu vermittelnden Effekten. Auf Seite 376 des gleichen Gutachtens des Sachverständigenrats heißt es: Eine … Option besteht darin, eine besitzstandswahrende Umbasierung der rentenrechtlichen Größen sowohl in den alten wie in den neuen Ländern zu einem bestimmten Stichtag … auf bundesweit einheitliche Größen durchzuführen. Das ist genau das, was die FDP zuvor schon vorgeschlagen hatte. Einen Punkt, der für uns ganz wichtig war und den wir auf Vorschlag der Kollegen aus den neuen Ländern in unserer Fraktion aufgenommen haben, hat der Sachverständigenrat weggelassen: eine Abfindungsregelung für Entgeltpunkte Ost, die zum Umstellungsstichtag noch eine Anpassungserwartung haben. Wir wollen hier ein Wahlrecht schaffen, was ich nach wie vor für eine faire Lösung halte. Man soll sich für diese Anpassungserwartung entweder mit einer Einmalzahlung abfinden lassen oder die weitere Entwicklung des Entgeltpunktes Ost abwarten können. Mit dieser Lösung werden die Anwartschaften der Versicherten in den neuen Bundesländern fair berücksichtigt. Den Weg, den Sie, Herr Claus, vorschlagen, halte ich allerdings für nicht gangbar. Sie haben gesagt, dass das auch etwas kostet. Ja, es kostet etwas. ({7}) Sie haben die Zahlen nicht genannt. Das sind in der Endausbaustufe, also nach fünf Jahren, erwartungsgemäß etwa 6 Milliarden Euro pro Jahr, und zwar steuerfinanziert. ({8}) Wenigstens ist das Ganze nicht auch noch beitragsfinanziert, denn dann wäre das Äquivalenzprinzip ganz offensichtlich verletzt. Im Ergebnis hätte man nun unterschiedliche Rentenzahlungen für gleiche Beiträge, und das ist etwas, was man nur schwer vermitteln kann. Ich sage das auch vor dem Hintergrund - das ist meine letzte Bemerkung in dieser Debatte - des Gutachtens des Bundesrechnungshofes, das den Kollegen im Haushaltsausschuss im April 2010 zugeleitet wurde. Darin ist sehr deutlich gesagt worden - ich zitiere aus dem Bericht des Rechnungshofes an den Haushaltsausschuss -: Es besteht die Gefahr, dass die Gruppe der Beschäftigten, die auf Westniveau bezahlt werden, so groß ist, dass die Regelungen über die Entgeltpunkte Ost und über die Beitragsbemessungsgrenze Ost nicht mehr mit dem ursprünglichen Zweck vereinbar sind, dem Durchschnittsverdiener Ost einen gleich hohen Rentenertrag wie einem Durchschnittsverdiener im alten Bundesgebiet zu verschaffen. ({9}) Herr Claus, dieses Problem, das der Bundesrechnungshof schon im letzten Jahr beschrieben hat, würden Sie mit Ihrer stufenweise steuerfinanzierten Lösung noch weiter verschärfen. Am Ende wäre das gar nicht mehr darstellbar. Deswegen können wir Ihrem Vorschlag nicht zustimmen. Nehmen Sie Vernunft an. Sehen Sie sich das, was wir vorgeschlagen haben, einmal in Ruhe an. Ich glaube, das ist ein fairer und gerechter Weg, auf den man sich verständigen könnte. Aber Ihre Vorschläge können unsere Zustimmung nicht finden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang StrengmannKuhn von Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Obwohl ich nur vier Minuten Zeit habe, muss man den Zuschauerinnen und Zuschauern erst einmal ganz kurz erklären, worüber wir hier überhaupt reden. ({0}) Entgeltpunkte, allgemeiner Rentenwert, Stufenmodell etc.: Das ist alles unglaublich kompliziert. ({1}) Vor 20 Jahren gab es eine Debatte darüber, wie man die Ost-Mark in D-Mark umrechnet. Viele Ökonomen haben davor gewarnt, das eins zu eins zu machen. Politisch war das aber nicht anders möglich. In der Rente ist das aber nicht eins zu eins geschehen, sondern man hat gesagt, dass man die Rente während einer Übergangszeit für Ost und West unterschiedlich berechnet. ({2}) Dementsprechend wurde für die Rente eine D-Mark im Osten anders angesetzt als im Westen. ({3}) Diese Übergangsfrist gilt immer noch. Deswegen finden wir es sehr richtig, dass, wie im Koalitionsvertrag steht, jetzt endlich ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West hergestellt werden soll. Der Unterschied im Rentenrecht ist Folgender: Im Laufe seines Lebens sammelt man Entgeltpunkte, und diese Entgeltpunkte werden am Ende mit dem aktuellen Rentenwert multipliziert. Bei den Entgeltpunkten zählt ein im Osten verdienter Euro mehr für die Rente - im letzten Jahr noch 19 Prozent mehr - als ein im Westen verdienter. Auf der anderen Seite ist der aktuelle Rentenwert im Osten um zehn Prozent geringer. Im letzten Jahr betrug er 24,13 Euro im Osten und 27,20 Euro im Westen. Das führt also dazu, dass bei der Rente die Menschen im Osten insgesamt quasi bevorzugt werden, denn 1 Euro im Osten führt zu einer höheren Rente als 1 Euro im Westen. Wir halten das für ungerecht und möchten sowohl diese Aufwertung als auch die unterschiedliche Behandlung bei der Rente mit unterschiedlichen Rentenwerten abschaffen. ({4}) Man muss allerdings an beides herangehen. Das Problem ist: Der Satz im Koalitionsvertrag ist toll, es gibt aber immer noch kein Konzept der Bundesregierung. ({5}) - Stellen Sie eine Frage, Herr Kolb. - Richtige Vorschläge gibt es noch nicht. Es gibt ein paar Andeutungen. Das, was Herr Heinrich gesagt hat, klang relativ sympathisch. Das nähert sich sehr dem Konzept der GrüDr. Wolfgang Strengmann-Kuhn nen an. Das Konzept der FDP liegt davon allerdings noch weit weg. Von der Regierung haben wir bisher noch gar nichts dazu gehört. Es gab Antworten auf Anfragen, die lauteten: Es ist alles kompliziert und muss gerecht sein. - Das ist richtig. Es ist kompliziert, und es muss auch gerecht sein. Aber wir erwarten von der Regierung endlich einmal Vorschläge. ({6}) Umgekehrt macht die Linke jetzt einen Vorschlag. Den halten wir allerdings auch nicht für überzeugend. Denn erstens wollen wir ein einheitliches Rentenrecht so schnell wie möglich. Die Rentenversicherung braucht ein bisschen Zeit, jedoch wäre eine Änderung zum Beispiel zum 1. Juli nächsten Jahres möglich. Wir brauchen nicht, wie die Linke das jetzt vorschlägt, ein Stufenmodell bis 2016, das die Grenze zwischen Ost und West noch weiter zementiert. Nach Ihrem Vorschlag gäbe es auch nach 2016 noch immer kein einheitliches Rentenrecht. Sie wollen einfach nur den aktuellen Rentenwert vereinheitlichen. ({7}) Das ist immer noch keine Einheit. Sie wollen die Grenze beibehalten. Die Kollegin Schmidt sagte vorhin, das sei alles viel zu schnell, was die Linke fordere. Sie wolle lieber noch länger warten. Auch das ist nicht unsere Position. Wir wollen möglichst bald, so schnell wie möglich ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West. ({8}) Der zweite Punkt, den wir für unbefriedigend halten, ist schon angesprochen worden. Nach dem Konzept der Linken wird wieder einmal Geld ausgeschüttet, ohne zu sagen, wo es denn herkommt. Herr Claus sagte selber, es sei nicht ganz billig. Aber wo das Geld denn herkommen soll, sagt er nicht. Man sieht also: Die Regierung hat kein Konzept. Die Linke hat ein Konzept, das falsch ist. Bei der SPD weiß man nicht so genau, wie das Konzept aussieht. Es ist also gut, dass es die Grünen gibt, die Konzeptpartei. ({9}) Wir werden nächste Woche einen Antrag vorlegen, mit dem wir unser Konzept zur Diskussion stellen. ({10}) Dann können wir im Ausschuss noch einmal darüber reden. Wie gesagt, der Herr Heinrich war ja schon so weit, dass er sich unserem Konzept sehr genähert hat. Vielleicht können wir ihm ein paar Ideen vermitteln. Ich freue mich auf die weitere Debatte dazu. Vielen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Max Straubinger hat das Wort. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin gespannt auf die Vorschläge von Herrn Strengmann-Kuhn. In der Regel sind Sie immer dagegen. ({0}) Das wissen wir ja in diesem Haus. Von daher werden wir die Beratungen abwarten. Die Linken fordern heute wieder populistisch eine Rentenangleichung, die eine gravierende Besserstellung der Menschen im Osten im Rentensystem bedeuten würde, nämlich die Angleichung des Rentenwertes auf Westniveau bei gleichzeitiger Beibehaltung der Höherbewertung der Ostzahlungen. ({1}) Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist sicherlich nicht im Sinne eines von den Bürgerinnen und Bürgern getragenen und auch verstandenen Rentensystems. Mit Ihrem Antrag würde eine gewaltige Spaltung in Deutschland vollzogen werden. Das lehnen wir natürlich ab. ({2}) - Das ist das Interesse der Linken in unserem Lande. ({3}) Man muss auch darlegen, dass gerade die jetzigen Rentnerinnen und Rentner und die zukünftigen Rentnerinnen und Rentner, die in Ostdeutschland leben, erst durch die Wiedervereinigung eine wichtige und gute Altersversorgung bekommen haben. Denn im bankrotten System der DDR waren sie in der Vergangenheit auf die Almosen angewiesen, die der Fünfjahresplan den Rentnerinnen und Rentnern zugestanden hat. ({4}) Das ist die Realität, Herr Kollege Claus. Wenn wir über die Rentenüberleitung und die Angleichung der Renten in Ost und West reden, dann sollten wir auch anfügen, dass die durchschnittlichen Renten der Menschen im Osten höher sind als im Westen. Das ist eine große solidarische Leistung auch der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler im Westen. Dazu stehen wir. ({5}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie sollten in unserem Land keine Spaltung betreiben. Der Kollege Strengmann-Kuhn hat bereits verdeutlicht, dass das unterschiedliche Lohnniveau in Ost und West im jetzigen Rentenrecht gut berücksichtigt wird. Ich möchte es den Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Tribüne anhand von Zahlen verdeutlichen: Der Durchschnittslohn im Westen liegt heute bei 31 000 Euro. Damit erwirtschaftet man im Westen einen Entgeltpunkt in der Rentenversicherung. Der Durchschnittsverdienst im Osten liegt bei 26 000 Euro. Damit erwirtschaftet man im Osten ebenfalls einen Entgeltpunkt. ({6}) Das bedeutet: Es werden gleiche Verhältnisse geschaffen, obwohl ungleiche Beitragszahlungen erfolgt sind. Dazu stehen wir. Herr Kollege Claus, die gesellschaftliche Spaltung, die die Fraktion der Linken mit ihrem Antrag herbeireden will, gibt es also nicht. Damit sollen nur dumpfe Gefühle geweckt werden, mit denen Sie im Wahlkampf bei den Bürgerinnen und Bürgern punkten wollen. ({7}) Das wird aber nicht verfangen - davon bin ich überzeugt -, denn die Bürgerinnen und Bürger in der ehemaligen DDR, in Ostdeutschland, wissen, dass sie sich auf das deutsche Rentenversicherungssystem verlassen können und sie darüber hinaus eine gerechte Leistung für das bekommen, was sie in ihrem Leben erwirtschaftet haben. Verehrte Damen und Herren, es ist schon unverschämt, sich hier hinzustellen und zu sagen: „Wir haben da noch ein kleines Finanzierungsproblem.“ Kollege Kolb hat dargelegt, dass die Umsetzung Ihres Antrags zu Mehrausgaben der Steuerzahler in unserem Land in Höhe von 6 Milliarden Euro führen würde. ({8}) - Pro Jahr, wohlgemerkt. - Das wird von Ihnen verbrämt. ({9}) Wir zahlen bereits Steuermittel in Höhe von 80 Milliarden Euro in unser Rentensystem, um damit für Solidarität in unserer Gesellschaft zu sorgen. Es ist aber notwendig, darauf hinzuweisen, dass die Finanzierung unseres Rentenversicherungssystems vor allem über Beitragszahlungen und weniger über Steuermittel gewährleistet werden muss. ({10}) Mit der Beitragsbezogenheit wird letztendlich die Grundlage für eine vernünftige Rente geschaffen. Davon wird aber mit Ihrem Antrag verstärkt Abstand genommen. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag auch unter diesem Gesichtspunkt ab. Ich möchte auf einen weiteren wichtigen Punkt eingehen. Damit wir den Bürgerinnen und Bürgern auch zukünftig gute Rentenleistungen bieten können, ist es entscheidend, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes zu erhalten. Ich erinnere mich noch an die Debatte, die wir heute frühmorgens geführt haben: Der Kollege Gysi hat hier seine eigene wirtschaftspolitische Philosophie dargelegt. Demnach soll der Siemens-Konzern auf Exporte von Maschinen und Anlagen für Kraftwerke verzichten. Damit würden wichtige, ertragreiche Arbeitsplätze in unserem Land vernichtet, die dazu angetan sind, unser Rentenversicherungssystem zu stützen und den Menschen soziale Sicherheit zu geben. ({11}) Daran zeigt sich sehr deutlich: Sie wollen wieder zurück zum alten sozialistischen System und damit die Menschen sozusagen in Armut gleichmachen. ({12}) Das werden wir verhindern. Wir lehnen deshalb Ihre Anträge ab. Die Menschen können sich auf unser bewährtes Rentenversicherungssystem verlassen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/4192 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0}) - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Artikel 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ({1}) hinsichtlich der Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus ({2}) hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Entwurf eines Beschlusses des Europäischen Rates zur Änderung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Präsident Dr. Norbert Lammert Euro ist - Ratsdok. 17620/10 ({3}), Anlage 1 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes ({4}) i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Herstellung des Einvernehmens bezüglich der Ergänzung von Artikel 136 AEUV zur Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus ({5}) verantwortlich gestalten - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zum Entwurf eines Beschlusses des Europäischen Rates zur Änderung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist - Ratsdok. 17620/10 ({6}), Anlage 1 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes - zu dem Antrag der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Alexander Bonde, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herstellung des Einvernehmens zwischen Bundestag und Bundesregierung zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 GG i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksachen 17/4880, 17/4881, 17/4882, 17/4883, 17/5094 Berichterstattung: Abgeordnete Michael Stübgen Michael Roth ({7}) Michael Link ({8}) Dr. Diether Dehm Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu ihrem eigenen Antrag vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache 45 Minuten dauern. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Michael Link für die FDP-Fraktion. ({9})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die FDP setzt als Europapartei fest und konsequent auf die europäische Integration. Ein ganz zentraler Teil der europäischen Integration ist die gemeinsame Währung. Diese gemeinsame Währung ist in schweres Fahrwasser geraten. Ich lege aber großen Wert darauf, zu sagen: Wir haben es nicht mit einer Euro-Krise zu tun. ({0}) Das ist eine Verschuldungskrise, teilweise auch eine Banken- und Wirtschaftskrise. Die Ursache für diese Verschuldungskrise liegt weit vor dem Jahr 2008, in dem die Finanzkrise begonnen hat. ({1}) Ursachen waren extrem laxe und nachlässige Ausgabenprogramme, eine überbordende Staatsverschuldung und ein fortgesetztes Verstoßen gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt. In den letzten Jahren hat die Europäische Kommission zwar 26 Defizitverfahren eingeleitet, die Euro-Gruppe hat darauf aber exakt null Mal mit Sanktionen reagiert. Aus meiner Sicht ist es wichtig, immer wieder zu sagen: Wir haben keine Euro-Krise, aber wir haben eine Krise, was die Art und Weise angeht, wie wir mit unseren Regeln umgehen. In zahlreichen Mitgliedstaaten haben wir eine Verschuldungskrise. Das gilt übrigens auch für die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere seit der Regierungszeit von Rot-Grün, und wir müssen heute hart arbeiten, um das aufzuarbeiten. ({2}) FDP- und CDU/CSU-Fraktion wollen, dass mit einem Europäischen Stabilisierungsmechanismus die Lehre aus dieser Verschuldungs- und Bankenkrise gezogen wird. Der ESM und der Pakt für den Euro müssen ganz entscheidend dazu beitragen, dass die Stabilität im EuroWährungsgebiet wiederhergestellt wird und künftige Verschuldungskrisen vermieden werden. Dadurch kann die europäische Integration gefestigt werden. Die EU benötigt daher dringend bessere Regeln, die Gläubiger wie Schuldner zu mehr Vorsicht bei der Kreditvergabe anhalten. Keinesfalls - ich unterstreiche das darf eine Erleichterung bei der Kreditvergabe ermöglicht werden. ({3}) Michael Link ({4}) Der ESM darf kein Superkreditinstrument werden. Zur Disziplinierung der Regierungen mit Blick auf übergroßes Schuldenmachen bedarf es wirksamer, sanktionsbewehrter Schuldenschranken im Stabilitätspakt und im jeweiligen nationalen Recht. Die FDP-Fraktion unterstreicht deshalb ausdrücklich - das wird auch in dem Koalitionsantrag deutlich -, dass wir im Bereich der automatisierten Sanktionen vorankommen müssen. Das sehen wir übrigens ebenso wie unsere Kollegen im Europäischen Parlament. Die sehr guten Vorschläge von Kommissar Rehn zur sogenannten Reverse Majority - Rückholbarkeit von Sanktionen nur innerhalb von zehn Tagen mit umgekehrter Mehrheit - zielen aus unserer Sicht in die richtige Richtung. Dadurch geraten wir erst gar nicht in die Verschuldungskrise. Viel wichtiger als der ESM und die darin enthaltenen Reparaturinstrumente ist die Vorsorge. In den nächsten Wochen und Monaten müssen wir diesbezüglich - das sage ich an die Adresse der Bundesregierung - noch intensiv arbeiten, damit wir zu automatisierten Sanktionen kommen können. ({5}) Die Erfahrung hat gezeigt, dass Regeln wie die des Stabilitätspakts bei entsprechendem Willen politisch so interpretiert werden können, dass sie ihre Wirksamkeit faktisch verlieren. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir die Kontrollfunktion der Märkte wirken lassen. Die Anleger müssen mit ihren Anlagen im Risiko stehen. Nur dann lassen sie bei der Kreditvergabe Vorsicht walten. Nur dann werden Zinsen verlangt, die dem Risiko des jeweiligen Schuldners entsprechen, um sich gegen den Verlust der Forderungen abzusichern. Nur durch risikogerechte Zinsen wird das Schuldenmachen auf ein für das jeweilige Land erträgliches Maß begrenzt. Dieser Mechanismus funktioniert automatisch und besser, als jeder Pakt es jemals könnte. Eine zentrale Forderung der Koalition war deshalb immer, dass eine absehbare und kalkulierbare obligatorische Begleitbeteiligung der Gläubiger erfolgt. Das ist in dem ESM-Verfahren enthalten. Wir hätten uns das durchaus noch stärker vorstellen können - das sage ich auch ganz deutlich -, aber wir wissen, dass man bei europäischen Lösungen natürlich auch immer gewisse Kompromisse eingehen muss. Umso klarer muss sein - dies sage ich insbesondere mit Blick auf das Bundesfinanzministerium und die letzten Verhandlungsschritte bei der Euro-Gruppe am 21. März -, dass wir an diesem Punkt keinerlei Aufweichungen mehr zulassen dürfen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Link, lassen Sie Zwischenfragen zu?

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben zur Gläubigerbeteiligung gesprochen. Ich würde mich dafür interessieren, wie die Position Ihrer Fraktion dazu ist, dass die irische Regierung der Auffassung ist, dass es bei den irischen Banken eine Gläubigerbeteiligung geben kann, die anderen europäischen Regierungen das aber bisher in der Sache ablehnen, also gerade die Gläubigerbeteiligung, die Sie einfordern, konkret verhindert wird. Wie steht Ihre Fraktion dazu?

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Dinge, die jetzt zur Gläubigerbeteiligung in dem Beschluss stehen - darin stehen sehr lange Passagen zur Gläubigerbeteiligung -, sind in der Theorie sehr gut. Bleiben sie allerdings Rhetorik, dann droht dieser gesamte ESM so, wie wir ihn jetzt machen, zu scheitern. Die Gläubigerbeteiligung muss effizient sein und darf - deshalb habe ich das gerade vorhin gesagt - politisch nicht manipuliert werden. Die Weiche zwischen temporär zahlungsunfähig und dauerhaft insolvent darf nicht immer wieder von der Euro-Gruppe in die Richtung gestellt werden, dass es keine Gläubigerbeteiligung gibt und dass man sich anders durchwurschteln kann. Das wollen wir dezidiert nicht. Wir wollen aber auch nicht - das ist ja auch Teil Ihrer Frage, Herr Kollege Schick - die Art von Gläubigerbeteiligung, wie sie beispielsweise in dem Teil Sekundärmarktaufkauf, Buy-back-Aktionen angelegt war. Diese Art von Gläubigerbeteiligung ist für uns keine wirkliche, sie ist keine harte Gläubigerbeteiligung. Sie ist letztlich etwas, was aus unserer Sicht auch gegen das No-bailout-Gebot verstoßen würde. Ich würde jetzt gern mit meiner Rede fortfahren. ({0}) Es ist für uns extrem wichtig - ich habe das Bail-outVerbot erwähnt -, dass wir das No-bail-out-Gebot in den Verhandlungen sichern konnten. Das No-bail-out-Gebot gilt, und der neue Art. 136 AEUV wird nicht eine Art Spezialgesetz, eine Lex specialis, zum Art. 125. Es wird keine Relativierung des Bail-out-Verbots, jedenfalls nicht mit unserem Koalitionsantrag, den wir heute vorlegen, geben. Deshalb erwarten wir auch, dass dort, wo noch Fragen sind - zum Beispiel bei den Primärmarktanleihen -, bei der Umsetzungsgesetzgebung entsprechende Präzisierungen erfolgen. Es muss deutlich werden, dass es auch bei diesen Primärmarktanleihen nicht um organisierte große Programme geht, sondern um Ausnahmefälle unter Konditionen und dadurch auch ein klarer Abstand sowohl zum Bail-out-Verbot gewahrt ist als auch umgekehrt das Ultima-Ratio-Prinzip gewährleistet ist. Denn es war für uns auch ein absolut zentraler Punkt, dass alle Hilfsmaßnahmen, gerade wenn es um Darlehen des ESM geht, nur als Ultima Ratio erfolgen. Michael Link ({1}) ({2}) Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Koalitionsantrag sehr deutlich gemacht - wir werden auch auf dem weiteren Weg der Umsetzung darauf achten -, dass es notwendig ist, dass der Bundestag vor jeder Aktivierung des ESM im Wege seiner Zustimmungspflicht konstitutiv beteiligt wird, das heißt, ein Parlamentsvorbehalt gesetzt wird. Betroffen ist hierbei nicht mehr und nicht weniger als das Königsrecht des Parlaments, die Haushaltssouveränität. Betroffen ist auch - das Verfassungsgericht hat immer wieder darauf hingewiesen - Art. 20 des Grundgesetzes, das Demokratiegebot. Wir werden deshalb großen Wert darauf legen, dass die Ratifizierung der Vertragsänderung, zu der wir heute das Einvernehmen erteilen wollen, und die Umsetzungsgesetzgebung in einem Schritt erfolgen, um dadurch immer ein ganz konkretes Kontroll- und Mitwirkungsrecht des Bundestages zu gewährleisten. Im Übrigen wünschen wir, dass wir den Pakt - das möchte ich nur einflechten - so gestalten, dass wir den Staaten, die heute noch nicht Teil der Euro-Zone sind, den Beitritt erleichtern können. Ich erinnere immer wieder daran: Europäische Integration lebt auch davon, dass wir alle 27 mitnehmen. Ich weiß, es gibt diesbezüglich große Bedenken bei den Partnern. Wir müssen deshalb unbedingt immer darauf achten, dass wir es auch denjenigen, die heute noch nicht am Pakt und an der EuroZone teilnehmen, ermöglichen, noch aufzuspringen. Wir müssen das leicht und erreichbar machen. Mit der Verabschiedung des Antrags der Koalition und unter den in ihm formulierten Rahmenbedingungen stellen wir das gesetzlich gebotene Einvernehmen mit der Bundesregierung für die Änderung des Art. 136 AEUV her und werden unserer Integrationsverantwortung gerecht. Wir danken insbesondere der Frau Bundeskanzlerin, dem Bundesaußenminister und dem Bundesminister der Finanzen für den in den Verhandlungen bisher zurückgelegten weiten Weg und für die erreichten Ergebnisse. Wir wissen, dass diese Verhandlungen schwer sind und herausfordernd bleiben. Wir werden als FDP-Fraktion die Verhandlungen deshalb weiterhin aktiv unterstützen und begleiten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Michael Roth ist der nächste Redner für die SPDFraktion. ({0})

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europäischer Stabilitätsmechanismus - was für ein technokratisches Wort. Worum geht es? Es geht um Solidarität im wohlverstandenen Sinne, nicht nur im wohlverstandenen europäischen Sinne, sondern auch im wohlverstandenen nationalen Sinne. Es geht um Solidarität, weil wir als Exportnation ein Interesse an stabilen Märkten haben müssen, weil wir an Wohlstand und sozialer Stabilität in allen europäischen Mitgliedstaaten ein Interesse haben müssen, weil wir an einem starken Euro und an einer Europäischen Union, die sich nicht ständig mit sich selbst beschäftigt, sondern auch in der Lage ist, ihrer internationalen Verantwortung gerecht zu werden, ein Interesse haben müssen. ({0}) Insofern hat mich die Diskussion der vergangenen Monate, die maßgeblich auf das Konto von CDU/CSU und FDP geht, befremdet. Wenn wir von Solidaritätsunion sprechen, sprechen Sie von Transferunion. Sie flirten mit dem Boulevard nach dem Motto: Gutes deutsches Geld hat in Griechenland, in Spanien und in Irland nichts zu suchen. Die sollen sich gefälligst selbst um ihre Probleme kümmern und sie selbst lösen. Es ist uns nicht leichtgefallen, Ihren Weg, den Sie eben als lang beschrieben haben, zu verfolgen. Das war eher ein Zickzackkurs. ({1}) Die berühmte Springprozession ist nichts dagegen. Sie haben einmal erklärt, dass es überhaupt keinen Rettungsschirm geben soll. Dann haben Sie sich nach langem Ach und Weh für einen Rettungsschirm ausgesprochen. Dann hat die Bundeskanzlerin erklärt: Ja, Rettungsschirm schon, aber er ist zeitlich befristet bis 2013. ({2}) Jetzt wurde ein Stabilitätsmechanismus, also ein Rettungsschirm, implementiert, der über 2013 hinaus dauerhaft gilt. Sie haben lang und breit erklärt - das findet sich auch in Ihren Anträgen -, der ESM, der Rettungsschirm, dürfe um keinen einzigen Euro aufgestockt werden. Jetzt wird der ESM aufgestockt; aus Sicht der SPD geschieht dies aus guten Gründen. Bei Ihnen weiß man nie, was Sie eigentlich wollen. Sie müssen einmal klären: Werden Sie Ihrer eigenen Tradition als europafreundliche Partei gerecht, die in Europa nicht einen Teil des Problems, sondern einen Teil der Lösung sieht, ({3}) oder wollen Sie weiterhin mit dem Boulevard, mit der Bild-Zeitung flirten, weil Sie meinen, Sie könnten dadurch Ihr populistisches Mütchen kühlen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CSU, FDP und leider auch Teilen der CDU? ({4}) Man muss deutlich sagen: Es gibt nur noch wenige Europaparteien hier in diesem Parlament. Das sind die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ({5}) Michael Roth ({6}) und sicherlich auch die Partei Bündnis 90/Die Grünen. Sie hingegen haben sich von Ihrer eigenen Verantwortung verabschiedet. ({7}) Sie müssen nur in ein einziges Nachbarland fahren, um das zu sehen. Das deutsch-französische Tandem funktioniert nicht mehr. Sprechen Sie einmal mit Ihrem Parteifreund Jean-Claude Juncker. Er wird Ihnen ins Stammbuch schreiben, wie das früher lief und wie es heute unter Bundeskanzlerin Merkel läuft. Ich appelliere an Sie: Werden Sie Ihrer eigenen Tradition gerecht. Dann kann etwas Gutes daraus werden. Aber, Kollege Link, erklären Sie uns nicht in acht Minuten nur, was Sie nicht wollen. Sagen Sie uns doch einfach einmal, was Sie wollen und wo Sie Europa konstruktiv mitgestalten wollen. ({8}) Dazu habe ich in Ihrem Redebeitrag leider - das sage ich trotz aller persönlichen Wertschätzung - relativ wenig gehört.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt den Wunsch zu Zwischenfragen, Herr Kollege Roth.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Okay.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Dr. Daniel Volk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Roth, ist Ihre Partei bzw. Ihre Fraktion ihrer europäischen Verantwortung dadurch gerecht geworden, dass sie sich bei den Beschlussfassungen im Zusammenhang mit den Rettungsaktionen im Falle Griechenlands hier im Hause verantwortungslos enthalten hat, oder wie wurde sie ihrer Verantwortung gerecht? ({0})

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege, da fragen Sie den Falschen. Ich habe der Griechenland-Hilfe nämlich zugestimmt. ({0}) Ich habe aber großes Verständnis für meine Fraktion, die es sich in dieser Frage nicht leicht gemacht hat. ({1}) - Mir ist eine aufrechte Position als frei gewählter Abgeordneter lieber, ({2}) als in Ihrem Windschatten bei der Harakiripolitik, die von der Bundeskanzlerin betrieben wurde, mit unterzugehen. ({3}) - Ich persönlich habe zugestimmt, auch wenn es mir, lieber Herr Kollege, weniger darum ging, der Bundeskanzlerin den Weg zu ebnen. Mir war wichtiger, dass die Europäische Union eine Solidaritätsunion ist und dass Partner, die in eine Krise geraten sind, Hilfe bekommen, allerdings nicht einfach so, sondern mit einer entsprechenden Konditionierung, mit Bedingungen. Die Bundesregierung hat meine und unsere Zustimmung auch bei einer anderen mehr als berechtigten Forderung, nämlich im Hinblick auf Zinsvergünstigungen für Irland. Irland kann nur dann Solidarität von der Europäischen Union erwarten, wenn man endlich bereit ist, die FDP-Politik in Irland zu beenden und die Körperschaftsteuer von 12,5 Prozent im Interesse des Landes und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger angemessen zu erhöhen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind bereit, diesen Europäischen Stabilitätsmechanismus vom Grundsatz her mitzutragen. Deswegen werden wir dem Antrag der Bundesregierung auf Einvernehmensherstellung heute zustimmen. Aber wir knüpfen unsere Zustimmung an die Erfüllung bestimmter Erwartungen. Wir erwarten, dass die Bundesregierung ihrer Verpflichtung gegenüber dem Deutschen Bundestag endlich gerecht wird und den Bundestag in EU-Angelegenheiten frühestmöglich und umfassend unterrichtet. An dieser Stelle will ich ein Dankeschön an den Bundestagspräsidenten aussprechen, ({5}) der im Interesse aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien deutlich gemacht hat, dass das Armutszeugnis, das sich die Bundesregierung beim sogenannten Pakt für Wettbewerbsfähigkeit selbst ausgestellt hat, nicht der Maßstab im Hinblick auf ihre Pflichten zur Unterrichtung des Bundestages sein kann und darf. ({6}) In allen Hauptstädten und allen EU-Institutionen wird über einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit diskutiert, und die Medien berichten breit darüber. Aber die Bundesregierung stellt sich hin und sagt: Wir können Ihnen keine Informationen zukommen lassen, weil es diesen Pakt gar nicht gibt. - Inzwischen gibt es auch einen Pakt für den Euro. Wir sind am 11. März dieses Jahres erstmals darüber unterrichtet worden. Ich weiß, dass es Kolleginnen und Kollegen in der FDP-Fraktion, aber auch bei CDU und CSU gibt, die mit uns einer Meinung sind. Insofern Michael Roth ({7}) habe ich Ihren Beifall gerade vermisst, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Darüber hinaus sind wir der Auffassung: Der Stabilitätsmechanismus ist notwendig. Auch die Aufstockung ist notwendig. Aber dies allein reicht nicht: Erstens. Wir brauchen eine angemessene Parlamentsbeteiligung. Wir müssen auch die Lehren aus der verheerenden Unterrichtungspolitik der Bundesregierung in den vergangenen Wochen und Monaten ziehen. Ich appelliere an CDU/CSU und FDP, hier eine interfraktionelle Verständigung herbeizuführen. Wir sind zu Gesprächen bereit. Wir sollten auch die richtigen Konsequenzen aus dem Status quo ziehen. Hier haben Sie uns auf Ihrer Seite. Zweitens. Wir brauchen nicht nur einen Pakt für den Euro, sondern auch einen Pakt für Wachstum und soziale Stabilität. ({9}) Eine Konsolidierung kann nur mit nachhaltigem Wachstum erfolgreich sein. Ich bin beeindruckt, was die griechische Regierung den Bürgerinnen und Bürgern zuzumuten und welch hohen Preis sie dafür zu zahlen bereit ist. Aber wir erkennen doch schon jetzt, dass all die Anstrengungen, die wir in Bundesrat und Bundestag wahrscheinlich niemals durchbekämen, nicht ausreichen, um dieses Land aus der Krise zu führen. Insofern darf eine notwendige Konsolidierung nicht zu einer Austeritätspolitik führen, die jegliches Wachstum hemmt, die die Länder in einen Teufelskreislauf führt und die diese Länder weiterhin zum sozialen Schlusslicht der Europäischen Union werden lässt. Hier brauchen wir eine andere Politik, die den sozialen Bereich in den Blickpunkt nimmt, die Wachstum in den Blickpunkt nimmt und die auch die soziale Stabilität in den Blickpunkt nimmt. ({10}) Des Weiteren fordern wir eine Beteiligung der Krisenverursacher. Deshalb nehmen wir Sie, liebe Bundesregierung, beim Wort. In den Schlussforderungen zum Gipfel steht zu lesen, dass die europäische Finanztransaktionsteuer sondiert wird. Wir erwarten einen entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission. Darüber hinaus erwarten wir, dass sich die Bundesregierung vorbehaltlos hinter das Ziel einer europäischen Finanztransaktionsteuer stellt und dass diejenigen, die diese Krise maßgeblich verursacht haben, stärker in die Pflicht genommen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Gleichermaßen brauchen wir eine entsprechende Gläubigerbeteiligung. Ich gebe es offen zu: Diesbezüglich sind wir mit unseren Diskussionen in allen Fraktionen noch nicht am Ende angelangt. Hier wäre sicherlich ein bisschen mehr Fürsorge und ein bisschen mehr Sensibilität auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern durchaus angebracht. Denn diese sagen zu Recht: Es kann ja nicht angehen, dass nur die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sowie die Staaten für das aufzukommen haben, was andere verursacht haben, die Gläubiger und Banken aber weitgehend ungeschoren davonkommen. - Das ist mit unseren Vorstellungen von Solidarität in der Europäischen Union auch in Bezug auf den europäischen Stabilitätsmechanismus unvereinbar. ({12}) Ein Letztes - und das ist für uns als ein wirtschaftlich sehr starkes Land sicherlich nicht ganz einfach -: Auch die Länder mit einem Leistungsbilanzüberschuss stehen in der Verantwortung. ({13}) Es kann nicht angehen, dass die Lohnentwicklung mit der Produktivitätsentwicklung nicht mehr in ein Verhältnis zu setzen ist. Es kann für die gesamte Europäische Union nicht gut sein, dass die Bundesrepublik Deutschland in den letzten zehn Jahren eine Nettolohnentwicklung von minus 4 Prozent hatte, der EU-Durchschnitt aber bei rund 20 Prozent Plus liegt. Daher muss deutlich werden: Wohlstand und nachhaltiges Wachstum können nur erreicht werden, wenn auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die sozial Schwächeren von diesem Wachstumsmodell profitieren. Insofern erwarten wir von der Bundesregierung eine bessere Beteiligung des Parlaments. Wir erwarten, dass Sie nicht nur Nein sagen, dass Sie nicht nur zögern und zaudern, sondern dass Sie in den EU-Institutionen wieder das Maß an Überzeugungsfähigkeit erreichen können, das Ihre Vorgängerregierungen vorbildlich erreicht haben. Hier arbeiten Sie weit unter den Möglichkeiten Deutschlands

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- und weit unter den Möglichkeiten, die einer deutschen Bundesregierung zustünden. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich wollte Ihnen noch die Gelegenheit einer informellen Verlängerung der Redezeit durch Zulassung einer Zusatzfrage zuschustern. ({0}) Nun hat das Wort der Kollege Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollen heute unser Einverständnis ({0}) zur Änderung der europäischen Verträge zur Errichtung des europäischen Stabilitätspaktes erteilen. Ich will zunächst einmal feststellen: Wir als Unionsfraktion sind der Meinung, dass wir einen dauerhaft stabilen Euro haben wollen. Dies bedeutet: Wir bekennen uns zum Euro. Wir bekennen uns zum stabilen Euro, und wir bekennen uns zur Dauerhaftigkeit dieser Währung. ({1}) Ich glaube, es ist richtig, dass wir an dieser Stelle Solidarität nicht missverstehen, Kollege Roth, indem wir sagen: Falsche Strukturen werden wir mit viel Geld dauerhaft aufrechterhalten. ({2}) Vielmehr verstehen wir Solidarität so, dass wir motivieren und Anreize setzen, damit sich falsche Strukturen zu richtigen Strukturen verändern. Denn dann ist Solidarität nicht mehr erforderlich. Das heißt, wir müssen die Länder und Staaten ermutigen, das Richtige zu tun. In diesem Sinne sind wir bereit, Solidarität zu üben, aber nicht, indem wir zu einer Transferunion werden und dauerhaft falsche Strukturen mitfinanzieren. ({3}) Ich will hier ausdrücklich sagen, dass an der No-bailout-Klausel festgehalten wird und dass sie durch diese Vertragsänderung nicht tangiert wird. Das ist für uns extrem wichtig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Meister, darf der Kollege Sarrazin Ihnen schon zu diesem frühen Zeitpunkt Ihrer Rede eine Zwischenfrage stellen?

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es verwundert mich, dass er so wissbegierig ist, aber ich will ihn nicht hindern. Bitte sehr. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielleicht will er ja gar nichts wissen, sondern Ihnen etwas mitteilen. ({0})

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich muss das hier als Frage formulieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, nicht einmal das.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben ja eindrucksvoll davon geredet, dass man falsche Strukturen nach der Erkenntnis, dass sie falsch sind, nicht weiter aufrechterhalten soll. Wir wissen jetzt ja, dass die EZB inzwischen über 70 Milliarden Euro an Staatsanleihen in ihrem Portfolio hat, das inzwischen ein so hohes Risiko trägt, dass das EZB-Stammkapital im Dezember verdoppelt werden musste. Damit die EZB wieder eine größere politische Unabhängigkeit erhält, gab es den Vorschlag, dass sie durch einen Aufkauf, der durch die EFSF finanziert wird, von diesen Titeln zum Teil entlastet werden könnte. Das haben Sie unglaublicherweise abgelehnt. Sehen Sie es nicht auch so, dass Sie dadurch die falsche Struktur, dass die EZB ein politischer Player am Markt wird, aufrechterhalten, anstatt die politische Unabhängigkeit der EZB zu wahren?

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Sarrazin, ich bin nicht Mitglied des EZB-Rates, sondern ich bin Abgeordneter des Deutschen Bundestages, und ich bin fest davon überzeugt, dass die Grundsäule unserer europäischen Währung und die Stabilität, von der ich vorhin sprach, dadurch gewährleistet werden, dass wir als Politik die Unabhängigkeit der Zentralbank wahren. ({0}) Deshalb habe ich niemals die Empfehlung an den Zentralbankrat gegeben, sich in die von Ihnen skizzierte Lage zu bringen. Es ist auch nicht meine Aufgabe als politisch Verantwortlicher, Handlungsoptionen der Europäischen Zentralbank in welcher Weise auch immer zu fordern oder zu bewerten. Das ist mein Verständnis von Unabhängigkeit, und wir als Politiker sollten alles dafür tun, dass wir die Europäische Zentralbank nicht in eine Lage führen, in der sie selbst glaubt, etwas tun zu müssen, um den Geldwert zu stabilisieren. ({1}) Das ist unsere Verantwortung, und dazu tragen wir zum Beispiel bei - ich sehe den Kollegen Barthle an -, indem wir eine ordentliche Fiskalpolitik in Deutschland betreiben. ({2}) Meine Damen und Herren, wir beschließen heute die Ultima Ratio, und zwar deshalb, weil wir glauben, dass wesentliche Stufen der Prävention vorgeschaltet werden müssen. Die erste Prävention ist der Pakt für den Euro. Ich glaube, dass der Pakt für den Euro richtig ist, weil wir hier über die Best Practice reden. Wir wollen uns also hin zum Besten und nicht zum Durchschnitt bewegen, und wir sagen: Er ist offen für jeden, der mitwirken will, und nicht nur für die Euro-Länder. Ich glaube, dass das ein guter Ansatz ist, um dafür zu sorgen, dass die einzelnen Volkswirtschaften im Euro-Raum leistungsfähiger werden, wodurch Fehlentwicklungen, wie wir sie jetzt haben, von vornherein präventiv vermieden werden. Herr Kollege Roth, deshalb ist es richtig, dass wir uns über die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaften Gedanken machen. Sie bezieht sich doch nicht nur auf den Euro-Raum, wie Sie das skizziert haben. Wir brauchen ein gemeinsames Niveau und müssen vielleicht ein paar Leistungsbilanzüberschüsse abbauen. Unsere Wettbewerber sitzen aber außerhalb Europas. Es stellt sich doch die Frage, inwieweit der Euro-Raum gegenüber China, den USA und anderen Ländern überhaupt wettbewerbsfähig ist. Ich glaube, deshalb ist es richtig, dass wir uns zum Besten hin bewegen und an der Wettbewerbsfähigkeit arbeiten. Wir haben ein riesiges Problem hinsichtlich der Demografie und arbeiten in Deutschland daran. Das ist sehr schwierig und tut uns sehr weh, weil die Sozialsysteme tangiert werden. Ich glaube aber, dass wir die Frage beantworten müssen, wie wir im Sinne einer vernünftigen Solidarität dauerhaft leistungsfähige, nachhaltige Sozialsysteme in Europa haben können. Das ist doch eine vernünftige Aufgabe, die wir im Sinne einer besseren Situation für unsere Volkswirtschaften gemeinsam angehen sollten. Deshalb ist der Pakt für den Euro ein richtiger Schritt der Prävention. ({3}) Zweitens. Wir leisten Prävention, indem wir den Maastricht-Vertrag endlich wieder stärken. 2003/2004 wurde er bedauerlicherweise massiv geschwächt, und zwar indem Deutschland plötzlich zu Konsequenzen gedrängt wurde, die sich aus dem Maastricht-Vertrag ergaben. An dieser Stelle ist es wichtig, dass wir den Vertrag wieder stärken, indem zum Beispiel das Kriterium Gesamtschulden stärker in den Fokus rückt. Wir müssen von politischen Einflüssen wegkommen hin zu einem quasi automatischen Entscheidungsverfahren, bei dem Politik eine weniger große Rolle spielt. Wir müssen aber auch unsere Vorbildrolle ausbauen. Statt von anderen ein besseres Verhalten zu fordern, müssen wir von uns selbst ein besseres Verhalten im Sinne der Fiskalpolitik einfordern. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Dazu bekennen wir uns auch. ({4}) Ich glaube, es ist auch notwendig, dass wir für die einzelnen Länder mehr Transparenz schaffen, damit früher erkennbar wird, ob ihre Entwicklung gut oder weniger gut ist, damit die Kapitalmärkte viel früher über die Zinsfestlegung der Risikolage des Landes entsprechend positives oder weniger positives Verhalten adäquat bewerten. Denn dann werden die jeweiligen Regierungen viel früher ihren Kurs ändern müssen, statt auf eine Notlage zuzusteuern, wie wir sie in Griechenland oder Irland erlebt haben. Wenn ich von Irland spreche, will ich einen weiteren Punkt nennen, der in dieser Debatte bisher nicht vorgekommen ist, der aber zwingend dazugehört. Sie haben es kurz angesprochen. Ich glaube, es reicht nicht, den Blick allein auf die Fiskalpolitik und den Maastricht-Vertrag zu richten. In Irland war das alles in Ordnung. Auch die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit war gegeben. Aber der Bankensektor ist aus dem Ruder gelaufen, und plötzlich musste das nationale Bankensystem gestützt werden. Deshalb müssen wir, was die Aufsicht über den Finanzsektor angeht, eine bessere Regulierung für den Finanzsektor erarbeiten. Sonst wird all das, was wir zugunsten der Euro-Stabilisierung tun, nicht wirksam sein. ({5}) - Ja, das machen wir auch. Wir haben die europäische Aufsicht installiert. Sie ist mittlerweile in Arbeit. Wir sind auch dabei, entsprechende Aufsichtsregeln und Regeln für das Finanzsystem zu entwickeln. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, und es ist vernünftig, das gemeinsam zu tun. Denn niemand von uns hat das, was jetzt eingetreten ist, vorhergesehen. Wir kommen nun zu dem eigentlichen Punkt, dem ESM. Ich stelle ihn deshalb ans Ende, weil er kein Regelwerk sein soll, das wir regelmäßig zur Stabilisierung des Euro einsetzen, sondern die Ultima Ratio. Ja, wir wollen einen dauerhaften, festen Mechanismus schaffen, aber wir wollen nicht, dass er dauerhaft in Anspruch genommen wird. Vielmehr wollen wir erstens vermeiden, dass er in Anspruch genommen wird, und zweitens soll er, wenn er in Anspruch genommen wird, das Land nach kurzer Zeit wieder in die Lage versetzen, ohne ihn auszukommen. Deshalb wollen wir Voraussetzungen schaffen, die dem Problem des Landes gerecht werden und eine Gefährdung der gesamten Euro-Zone vermeiden. Wir fordern aber auch harte Auflagen für das jeweilige Land, sich einem Anpassungsprogramm zu unterziehen. Ich glaube, dass das der richtige Ansatz ist, um dieser Zielsetzung genügen zu können. Eine letzte Bemerkung: Wir haben dafür Sorge getragen, dass sich kein Automatismus entwickeln kann. Der Stabilitätsmechanismus kann nur mit unserer Zustimmung aktiviert werden. Auch das halte ich für wichtig und richtig. ({6}) Ich freue mich - erlauben Sie mir, abschließend darauf hinzuweisen, dass ich das toll finde, Herr Roth -, dass Sie angekündigt haben, dem ESM zustimmen zu wollen. Ich halte es für gut, wenn wir in Deutschland eine möglichst breite parlamentarische Basis dafür haben. Wir sprechen heute über das Außenverhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur Europäischen Union. Dazu geben wir heute eine Stellungnahme ab. Wir haben zu klären, wie wir die Diskussionen in Deutschland selbst führen. Dabei stellt sich die Frage, wie stark wir den Deutschen Bundestag an den Entscheidungen, die zu treffen sind, beteiligen. Diese Diskussion müssen wir aber nach innen führen. Ich bin der Meinung, dass wir bei solch grundlegenden Entscheidungen unser Parlament mit einbeziehen. Dafür werden wir Sorge tragen. Ich freue mich auf die Debatte, die wir gemeinsam führen werden. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nur zur Erläuterung: Ich bitte um Nachsicht, dass ich nach Überschreiten der vorgesehenen Redezeit nicht auch noch Zwischenfragen aufrufe. Ich glaube, das versteht sich unter dem Gesichtspunkt des beschlossenen Zeitmanagements im Ergebnis von selbst. Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme es vorweg: Die Linke wird dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen, ({0}) weil wir damit zum wiederholten Male nicht die Ursachen der Krise angehen, sondern wieder nur ein einziges Symptom falsch behandeln. Es ist schon fast absurd, Herr Meister, wenn Sie sagen: Wir wollen keine Transferunion. - Irgendwann müssen doch auch Sie einsehen: Wenn Deutschland dauerhaft immense Außenhandelsüberschüsse erwirtschaftet, dann ist in der Europäischen Union eine Transferunion unumgänglich. Das zu verschweigen und immer wieder so zu tun, als wäre es nicht so, ist tatsächlich ein Märchen. Aber daran glaubt fast niemand mehr. ({1}) Es geht auch nicht darum, dass wir tatsächlich die Ursachen bekämpfen. Es geht einmal mehr darum, dass wir die Märkte beruhigen sollen. Ich kann mich gut daran erinnern, dass der Herr Finanzminister im Europaausschuss gesprochen hat. Dabei war folgende Aussage wesentlich: Wir müssen das tun, um die Märkte zu beruhigen. Das zeigt im Prinzip, dass wir aus der Krise nichts gelernt haben. Die Märkte können weiterhin Staaten vor sich hertreiben. Sie können weiterhin ihre Spielchen an den Börsen treiben. Und wir wollen mit so einem Instrument etwas verändern? Nein, im Gegenteil: Sie werden sich auch in Zukunft Wege suchen, um die einzelnen Länder gegeneinander auszuspielen und den Euro zu schwächen, um ihre Börsengeschäfte zu machen. Jeder seriöse Banker, mit dem man sich unterhält, sagt auch, dass das alles nur Sonntagsreden gewesen seien, die auch Sie im Bundestag immer wieder verbreitet haben, als sich die Finanzkrise zu einer Wirtschaftskrise entwickelt hat, dass es genau so weitergehe wie vorher. Im Gegenteil: Das ist falsch. Es geht nicht genau so wie vorher weiter. Vorher wusste die Finanzwelt nicht, ob sie das am Schluss bezahlt bekommt. Mittlerweile weiß sie, dass sie genau so wie vorher weitermachen kann. Der Steuerzahler zahlt es, und Sie heben heute wieder für so ein Geschäft die Hand. Wie oft haben wir - Michael Roth hat angesprochen, dass wir auch das Soziale mitdenken müssen - als Linke im Bundestag gesagt, dass uns der Lissabon-Vertrag keine Antwort auf solche Fragen gibt? Wie oft haben wir gesagt: Wenn wir das Soziale mitdenken müssen, brauchen wir zum Beispiel auch die soziale Fortschrittsklausel? Immer hieß es, wir könnten die Verträge nicht verändern. Jetzt werden die Verträge verändert, ohne das Soziale mitzudenken. ({2}) Heute Nachmittag haben wir die Chance gehabt, die soziale Fortschrittsklausel zu beschließen. Die Allparteienkoalition des Lissabon-Vertrags hat heute Mittag mit Nein gestimmt. Michael Roth, die SPD sollte sich schämen, dass man vor der Europawahl den Gewerkschaften die Hand für eine soziale Fortschrittsklausel gereicht hat und heute dagegen stimmt. ({3}) Das ist diese unglaubwürdige Politik. Es war wieder einmal Wählerbetrug von der SPD und von den Grünen beim Thema der sozialen Fortschrittsklausel. ({4}) Nun geht es wieder um eine Vertragsänderung, die nicht dazu dient, die EU sozialer zu machen, sondern dazu, einen dauerhaften Bankenrettungsplan einzuführen. An den Beispielen Irland und Griechenland kann man jetzt schon sehen, wer für diese Bankenrettung immer wieder aufs Neue bezahlt: ({5}) die Steuerzahler, die Beschäftigten, die Arbeitslosen, die Rentnerinnen und Rentner, Studierende und Kinder. Die Profiteure der Krise müssen weiterhin nichts zahlen. Da haben manche Vorredner das Richtige gesagt, aber es werden keine Maßnahmen ergriffen, mit denen man das ändern kann. An die Bundesregierung gerichtet sage ich: Es ist geradezu absurd, dass die gute Idee einer europäischen Wirtschaftsregierung von der Bundeskanzlerin derart pervertiert wird, wie es im Zusammenspiel mit Frankreich geplant ist - oder auch nicht. ({6}) Wie kommt man auf die Idee zu glauben, die deutschen Rezepte seien europaweit erfolgreich einzusetzen? Glaubt denn jemand wirklich, dass sich der Euro stabilisieren wird, wenn man Menschen in ganz Europa jetzt empfiehlt, bis 70 zu arbeiten? Glaubt denn wirklich jemand, dass man in ganz Europa empfiehlt, mit SteuAlexander Ulrich erdumpingprozessen den Euro zu stabilisieren? Glaubt denn jemand wirklich, dass mit Sozialabbau die Wachstumskräfte entfaltet werden können? Glaubt denn jemand wirklich, dass man mit einem Import von ungesicherten Arbeitsverhältnissen, Leiharbeit und Niedriglohnbereichen Wachstumskräfte entfalten kann? Wer diese Rezepte in eine europäische Wirtschaftsregierung einbringen kann, wird die Krise auf eine Art und Weise verschärfen, die wir bisher nicht kennen. Die Krise wird nicht beendet werden, sondern die Reichen werden reicher, und die Armen werden ärmer. Griechenland, Portugal, Irland und andere Länder werden nie ihre Probleme beseitigen können. ({7}) Ich komme zum Schluss: Die Linke lehnt die vorgelegte Vertragsänderung ab. Wir erwarten, dass wir europaweit an die Ursachen der Krise gehen. Dazu gehört auch, dass wir endlich das Thema umsetzen, über das Herr Schäuble immer sagt, er würde dafür kämpfen: die Finanztransaktionsteuer. Das ist auch nur Placebopolitik. Die Bundesregierung kämpft nicht dafür. Das wäre jedoch eine wesentliche Maßnahme, um die Märkte tatsächlich zu beruhigen. Denn Zocker müssen endlich ruhiggestellt werden, aber diese Bundesregierung reicht ihnen weiterhin die Hand. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Grüne stimmen dem vorgelegten Antrag über die Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV zu. Wir befürworten die Einführung einer Rechtsgrundlage für einen permanenten Notfallschirm für den Euro. Dass mit dieser Änderung nicht die Union, sondern die Staaten ermächtigt werden, halten wir nicht für die beste Lösung. Wir Grüne hätten uns eine europäische Lösung gewünscht, vor allem weil wir damit die maßgebliche Kontrolle des Europäischen Parlaments über diese Institution ermöglicht hätten. ({0}) Aber weil sich die Regierungen - leider auch diese Bundesregierung - von Anfang an geweigert haben, der EU mehr Kompetenzen zu geben, ist die vorliegende Änderung der Weg, den wir gehen müssen. Auch wir gehen ihn mit. Es ist nicht der beste Weg, aber in dieser Situation der bestmögliche. Damit Ihnen das ganz klar ist: Wir billigen damit nicht Ihren Weg einer Renationalisierung europäischer Entscheidungen, wir billigen damit nicht Ihre neue Liebe für die Unionsmethode, und wir werden diese Methode in Zukunft sogar verstärkt bekämpfen, weil sie nicht der Weg ist, der Europa voranbringt. ({1}) Wir sind für die Einführung eines europäischen Stabilitätsmechanismus. Warum? Schauen Sie sich einmal das vergangene Jahr an. Niemandem von Ihnen ist vorzuwerfen, wenn er dazulernt. Aber wenn man das Gerede der Koalition der letzten Monate mit dem vergleicht, was Sie heute hier beschließen, dann muss ich sagen, dass ich es schon dreist finde, dass Sie nicht einmal den Mut haben, hier zu bekennen: Wir haben dazugelernt, weil wir dazulernen mussten. ({2}) Ich erinnere an das nationale Geschrei gegen Griechenland, das Ausschließen eines permanenten Schirms und vieles mehr. Herzliche Glückwünsche, Kollegen, Sie sind zurück in der Realität. Aber auch: Willkommen zurück in Europa. ({3}) - Ich gebe zu: Ich habe viel im letzten Jahr dazugelernt. Ich möchte einmal von Ihnen hören, dass das, was Sie heute beschließen, zum Glück nichts mehr mit dem zu tun hat, was vor einem Jahr von den Kollegen der FDPFraktion und von Herrn Schlarmann erzählt wurde. Geben Sie das doch einfach zu. ({4}) Aber seien wir ganz ehrlich: Könnten wir uns eigentlich vorstellen, dass ein Scheitern des Euro sinnvoll sein könnte? Könnten wir, Grüne und SPD, uns vorstellen, dass der Bundestag die Rolle der Bundesregierung aus dem Frühjahr 2010 wiederholt? Nein. Ihr ewiges Zögern war teuer genug für Deutschland und Europa. Deswegen werden wir diese Rolle von Ihnen hier nicht wiederholen. ({5}) Ihre Politik hat genug Porzellan zerschlagen. Oftmals reden Sie von deutschen Interessen, aber Sie wahren dabei nicht einmal deutsche Interessen. Nehmen wir das Beispiel, das gerade genannt wurde, nämlich dass die EZB inzwischen ein massives Interesse daran hat, Staaten aufrechtzuerhalten, damit sie nicht zusammenbricht, weil sie einen hohen Anteil von Anleihen aufgekauft hat. Nehmen wir die Frage der Gläubigerbeteiligung, die Herr Schick gerade dargestellt hat. Auch in diesen Punkten vertreten Sie weiterhin ideologische Positionen, die Lösungen verhindern. Das kann man Ihnen immer noch vorwerfen. ({6}) Wir haben darüber hinaus in den letzten Monaten bemerkt, wie Sie den Deutschen Bundestag behandelt haben. Der Bundestag - das ist dokumentiert - wurde wiederholt gesetzeswidrig seiner Informationsrechte beraubt. Die Bundesregierung muss aufhören, sich nicht an das EUZBBG zu halten und es sogar noch offenkundig durch die Konstruktion einer Lex specialis - § 5 Abs. 4 EUZBBG - falsch zu interpretieren. Wir sagen: Verbessern Sie das, ansonsten werden wir Probleme haben, künftig noch die wichtigen europäischen Entscheidungen so verfassungsfest durch dieses Haus zu bringen, dass auch Karlsruhe sie akzeptieren kann. ({7}) - Was wollten Sie? Stellen Sie doch eine Zwischenfrage. ({8}) - Jetzt kommt sie, wunderbar. - Können Sie, Herr Präsident, die Zwischenfrage bitte während der nächsten 25 Sekunden aufrufen?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Bestellen von Zwischenfragen sieht die Geschäftsordnung eigentlich nicht vor. Aber bei meiner sprichwörtlichen Liberalität wollen wir das einmal ausprobieren. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich habe der Geschäftsordnung entnommen, dass man auch Zwischenbemerkungen machen darf. Darauf haben Sie ja hingewiesen. Herr Kollege Sarrazin, wie kommen Sie eigentlich dazu, uns so schulmeisterlich zu belehren? Schließlich haben Sie noch nicht einmal dem bisherigen Rettungsschirm zugestimmt. Wie kommen Sie angesichts Ihrer bisherigen Verweigerung dazu, uns in Aussicht zu stellen, an praktischer Europapolitik mitzuwirken? Geben Sie dafür doch einmal eine Erklärung ab. ({0})

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Wadephul, unsere Fraktion hat dem Euro-Rettungsschirm damals nicht zustimmen können, ({0}) weil eine Mehrheit kritisierte, dass kein Rahmenvertrag vorliege und damit die Handlungsgrundlage nicht klar sei. Aus meiner persönlichen Sicht war das damals nicht ganz richtig. Als uns aber der Rahmenvertrag vorgelegt wurde, hatte sich die historische Situation insofern weiterentwickelt, als, um das Triple-A-Rating zu erhalten, dem Direktorium der EFSF weitgehende Kompetenzen zugebilligt werden mussten - aus meiner Sicht zu Recht -, wofür aus meiner Sicht eine Ratifizierung gemäß Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz durch den Deutschen Bundestag notwendig gewesen wäre. Um unsere grundsätzliche Zustimmung zur EFSF und um auch unsere grundsätzliche Zustimmung zu diesen weitgehenden Kompetenzen zu dokumentieren sowie um auf das Versagen der Bundesregierung, die Ratifikation durch den Bundestag einzuholen, hinzuweisen, haben wir kurz vor der Sommerpause im letzten Jahr den EFSF-Rahmenvertrag als Entwurf eines Zustimmungsgesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht. Das heißt, wir haben den Deutschen Bundestag gebeten, den Vertrag zur Schaffung des Fonds „Europäische FinanzStabilitäts-Fazilität“ mit Sitz in Luxemburg zu ratifizieren, und Sie haben das abgelehnt. Werfen Sie uns nicht vor, wir hätten uns nicht getraut, uns hinzustellen und zu sagen: Wir stehen zum Rettungsschirm. - Aufgrund Ihrer Schluderei hatten wir zunächst formale Gründe für unsere Ablehnung. Wir haben noch versucht, Ihnen eine goldene Brücke zu bauen, und Sie haben die Möglichkeit ausgeschlagen, darüberzugehen. ({1}) Ich komme zum Schluss. Ein Bundeskanzler sagte einmal: Die Einheit Europas war ein Traum weniger. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für alle. Das sagte Konrad Adenauer 1963. Wenn Sie, verehrte Damen und Herren von der Koalition, im Jahre 2011 wieder einen europapolitischen Kurs beschreiten wollen, der Deutschland gerecht wird, dann folgen Sie den Anträgen von SPD und Grünen. Danke sehr. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegen Michael Roth und Manuel Sarrazin haben uns gerade mit starken Worten erklärt, was notwendig wäre, um Deutschland auf den richtigen europapolitischen Kurs zu bringen, ({0}) und dass sie sich selbst für gute Europäer halten; aber leider haben sie sich jeweils in ihrer eigenen Fraktion nicht durchsetzen können. ({1}) So kann man Europapolitik nicht betreiben. Wir beraten heute einen Antrag, der, soweit ich das überblicken kann, erstmals ein Verhandlungsmandat für die Bundesregierung formuliert, bevor die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat, also zum Treffen der EUStaats- und Regierungschefs, reist. Ich finde, das ist stilbildend. Das steht dem Bundestag gut zu Gesicht. Das macht deutlich, dass wir als Parlamentarier selbstbewusst unserer Verantwortung nachkommen. ({2}) Wir warten nicht einfach ab, was der Regierung, die wir natürlich schätzen und die wir unterstützen, am Verhandlungstisch einfällt, um es hinterher abzunicken, sondern wir formulieren im Vorhinein unsere Erwartungen. Wir legen Maßgaben fest; so heißt es in diesem Antrag. Wir unterstützen damit ausdrücklich die Verhandlungslinie der Bundesregierung. Wir setzen ihr zugleich höflich, aber bestimmt Grenzen. Ich denke, das ist ein guter Kurs. Das sollten wir auch künftig beibehalten, wenn es um die Verhandlung europäischer Verträge geht. Die geplante Vertragsänderung und die Errichtung des Europäischen Stabilisierungsmechanismus sind ein Konstrukt, das wir nochmals sehr genau überdenken müssen, spätestens dann, wenn es um die Beantwortung der Frage geht, wie das mit dem vertraglichen Verbot der Schuldenübernahme zu vereinbaren ist; das Verbot der Schuldenübernahme soll ja ausdrücklich nicht angetastet werden. Deshalb bin ich persönlich gegen den Ankauf von Staatsanleihen, weil nach meiner Bewertung ein Ankauf von Staatsanleihen bedeutet, dass man neue Schulden übernimmt und dass aus nationalen Schulden vergemeinschaftete europäische Schulden werden. Deswegen stelle ich zumindest die Frage, weshalb der Ankauf von Staatsanleihen nach Auffassung der Bundesregierung keine Schuldenübernahme sein soll. Ich stelle die weitere Frage, wann nach Auffassung der Bundesregierung denn dann überhaupt eine Übernahme von Schulden vorliegen soll. Wenn man das Verbot der Schuldenübernahme so interpretiert, dass nur dann, wenn Schulden realisiert werden, sie auch übernommen werden, dann wäre diese Regelung doch ziemlich ausgehöhlt. Deswegen müssen wir noch einmal gut überlegen, ob das der richtige Schritt ist. ({3}) Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn wir über diesen Stabilisierungsmechanismus Finanzhilfen gewähren, dann kann das natürlich nur dann Sinn machen, wenn die berechtigte Erwartung besteht, dass ein Staat, dem geholfen wird, auch wieder auf die Füße kommt, dass er selbst wieder am Finanzmarkt Kapital erhalten kann, dass er wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zurückgewinnt. Wenn das alles nicht mehr gelingt, wenn absehbar ist, dass ein Staat seine Schulden dauerhaft nicht tragen kann, dann muss auch eine Umschuldung möglich sein. ({4}) Deswegen plädiere ich nach wie vor dafür, dass wir Regelungen für eine Umstrukturierung von Staaten und eine Umschuldung von Banken schaffen, wenn es denn nicht anders geht. Eine solche Umschuldung würde auch bedeuten, dass man eine Gläubigerbeteiligung ermöglicht. Denn es ist schon schwer vermittelbar, dass wir mit Steuermitteln das Risiko von denen übernehmen, die mit Staatsanleihen hohe Zinserträge erwirtschaftet haben, während diese Gläubiger selbst keinen angemessenen Beitrag zur Lösung des Problems leisten. ({5}) Ich sage: Wer hohe Risiken eingeht, um damit hohe Zinserträge zu erwirtschaften, der muss dann, wenn sich diese Risiken realisieren, auch mithaften. Das müssen wir umsetzen. ({6}) Schließlich geht es darum, dass der Deutsche Bundestag seine Beteiligungsmöglichkeiten wahrt und sich ausreichende Beteiligungsrechte sichert, wenn dieser Europäische Stabilisierungsmechanismus errichtet werden soll bzw. er im konkreten Einzelfall aktiviert werden soll. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass in jedem Fall einer Finanzhilfe der Deutsche Bundestag angemessen beteiligt werden muss. ({7}) Über die Einzelheiten werden wir uns unterhalten. Aber das muss Kern der Diskussion der nächsten Tage sein, die wir fraktionsübergreifend führen sollten. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Silberhorn, erlauben Sie zum Schluss noch eine Zwischenfrage des Kollegen Schick?

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Schick.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ich habe vorhin schon einmal versucht, beim Kollegen von der FDP-Fraktion herauszufinden, wie denn angesichts der Haltung zur Gläubigerbeteiligung, die Sie gerade beschrieben haben und die ich auch teile, Sie die Position der europäischen Regierungen und meines Wissens auch der Bundesregierung einschätzen und bewerten, dass die Gläubiger irischer Banken gerade nicht beteiligt werden, sondern dass das Petitum der irischen Regierung bisher nicht positiv beantwortet worden ist, die Gläubiger irischer Banken beteiligen zu können. Zum Hintergrund. Wenn wir die Gläubiger dieser Banken beteiligen, sinkt die Last für den irischen Staat. Damit sinkt das Risiko, dass der deutsche Steuerzahler im Falle Irlands zur Kasse gebeten wird. Dass das nicht getan worden ist, leuchtet mir nicht ein angesichts der Grundposition, die Sie jetzt noch einmal vorgetragen haben.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich stehe hier, um meine Position darzulegen. Deswegen erkläre ich nochmals mit Nachdruck, dass ich es für richtig und für notwendig halte, dass dann, wenn mit Steuermitteln ausgeholfen wird, damit ein Teilverzicht von Gläubigern auf ihre Forderungen einhergehen muss. Das ist am Ende nur auf europäischer Ebene verhandelbar und entscheidbar. ({0}) Ich muss als Parlamentarier aber doch dieses Interesse formulieren dürfen. Schön, dass wir da einer Meinung sind. Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur Beteiligung des Bundestages sagen. Es geht nicht nur um die Errichtung und die Aktivierung dieses Europäischen Stabilisierungsmechanismus. Wir müssen im Zusammenhang damit nochmals unsere Beteiligung an der bereits etablierten Europäischen Finanz-Stabilisierungs-Fazilität überdenken. Wir müssen auch im Blick behalten, dass die Vertragsänderung eine recht unbestimmte Formulierung beinhaltet, die erst dann bestimmbar wird, wenn es konkret um Finanzierungshilfen geht. Deswegen ist hier eine Beteiligung des Bundestages notwendig. Lassen Sie uns auch beim Pakt für den Euro für eine angemessene Beteiligung des Bundestages sorgen. Denn wenn die Bundesregierung sich in Brüssel mit den anderen Partnern in Bereichen koordinieren will, die in die nationale Zuständigkeit fallen, dann ist das einerseits eine Selbstverpflichtung der Bundesregierung, andererseits wird sie damit aber auch die Erwartung verbinden, dass der Deutsche Bundestag nachvollzieht und umsetzt, was als Ergebnis dieser Koordination auf europäischer Ebene herausgekommen ist. Das erfordert, dass der Deutsche Bundestag im Vorhinein ausreichend informiert und angemessen beteiligt wird. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Bettina Kudla von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Bettina Kudla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004084, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der vorliegenden Vertragsänderung soll erreicht werden, dass ein permanenter Stabilitätsmechanismus für die 17 Euro-Länder geschaffen wird. Zwar hat die Wirtschafts- und Finanzkrise die Einrichtung dieses Mechanismus beschleunigt; gleichwohl - jetzt bitte zuhören, Herr Roth! - geht es um weit mehr als einen bloßen Mechanismus. Es geht darum, die EU zukunftsfähig zu machen und für dauerhafte Stabilität zu sorgen. Wir haben für die 27 EU-Staaten bereits einen einheitlichen Binnenmarkt und werden ab Mai dieses Jahres auch einen einheitlichen Arbeitsmarkt haben. 17 Staaten haben eine einheitliche Währung. Diese Währung - das kann man nicht oft genug betonen - gilt es stabil zu halten. ({0}) Von einer instabilen Währung wären alle Bürger betroffen, sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern. Die Kaufkraft der Währung muss erhalten bleiben, damit die Bürger für ihr verdientes Geld bei stabilen Preisen einen adäquaten Gegenwert bekommen. Vieles wurde schon gesagt; das werde ich in meiner Rede nicht mehr ansprechen. Ein Grundproblem ist, dass nahezu alle europäischen Staaten seit Jahren mehr ausgegeben haben, als sie eingenommen haben, wodurch sie drastische Schuldenberge angehäuft haben. ({1}) Eine Verkleinerung der Schuldenberge öffnet die Sicht auf eine zukunftsorientierte Politik. Eine solche Politik brauchen wir. ({2}) Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass mit den Beschlüssen des Europäischen Rates folgendes Ziel formuliert wurde: Alle müssen einen weiteren Beitrag zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen leisten. Damit werden die Staaten gezwungen, sich den Kernproblemen der öffentlichen Haushalte zu widmen. Die größten Ausgabeposten und damit die größten Probleme der öffentlichen Haushalte sind: Rente, Arbeitsmarkt, Krankenversicherung und teilweise auch der Finanzmarkt. Die anderen europäischen Länder, insbesondere diejenigen mit schrumpfender Bevölkerung, haben fast alle mit diesen Problemen zu kämpfen. Wenn wir uns zukünftig an einem Stabilitätsmechanismus beteiligen, ist es nur folgerichtig, dass in anderen Ländern keine Bedingungen herrschen dürfen, die dann im Grunde auf unsere Kosten gehen. Nun zum Stabilitätsmechanismus selbst. Die detaillierte Ausgestaltung des künftigen ESM wird in Kürze im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens durch den Bundestag zu beschließen sein. Die inhaltlichen Eckpunkte zum ESM sind in dem Antrag der Regierungsfraktionen festgelegt. Zwei Punkte wurden jetzt mehrfach angesprochen. Den Ankauf von Staatsanleihen auf dem Primärmarkt halte ich durchaus für vertretbar; denn das ist im Grunde eine Überbrückungsmaßnahme für einen Staat, der sich am Kapitalmarkt finanzieren will, um sich über eine kurzfristig schwierige Zeit zu retten. Ein Ankauf auf dem Sekundärmarkt wäre keinesfalls vertretbar. ({3}) Zur Gläubigerbeteiligung - auch dieses Thema wurde schon angesprochen -: Wenn man Gläubiger zu einem zu frühen Zeitpunkt beteiligen würde, dann würde es unter Umständen eine Kettenreaktion im Bankensektor geben, die zu entsprechenden Verwerfungen führt. Deswegen ist es richtig, dass ab Mitte 2013 entsprechende Klauseln in Anleihen aufgenommen werden, damit sich die Gläubiger und andere Marktteilnehmer auf eine eventuelle Beteiligung einstellen können. Dann wird die Lage auf dem Kapitalmarkt stabil bleiben. Was unseren eigenen Beitrag zum ESM betrifft: Wir werden wie auch andere Staaten Bürgschaften in enormer Höhe ausstellen und gegebenenfalls auch Einzahlungen in die künftige Stabilitätsgesellschaft vornehmen. Ein Ausreichen von Geldern aus dieser Gesellschaft wird aber nur als Ultima Ratio unter strengsten Bedingungen und unter der Maßgabe erfolgen - ich glaube, das ist der deutliche Unterschied zu den Vorschlägen in den Anträgen der Opposition -, dass in erster Linie das betreffende Land seine Probleme selber lösen muss. ({4}) Im Hinblick auf die geäußerte Kritik, dass automatische Sanktionen fehlen, sei angemerkt: Der Pakt ist so ausgestaltet, dass ein Land, welches sich unter den Rettungsschirm begibt, weitgehende Eingriffe in seine Souveränität hinnehmen muss. Mit Verlaub: Vorschläge in den Anträgen der Opposition wie Euro-Bonds oder die soziale Fortschrittsklausel hemmen eher das Wirtschaftswachstum und schützen die Interessen unserer Bürger nicht. ({5}) Die von der Bundesregierung durchgesetzte gesetzliche Verankerung einer Schuldenbremse auch in anderen europäischen Ländern wird maßgeblich zur Trendumkehr bei der Verschuldung der Staaten beitragen. Diese Trendumkehr muss schnellstmöglich erreicht werden, damit sich die Staaten selbst am Kapitalmarkt finanzieren können. Wir erwarten diese Trendumkehr in zwei bis drei Jahren. Allerdings ist der ESM dauerhaft angelegt. Daher ist es umso wichtiger, dass der Deutsche Bundestag in jedem einzelnen Fall entscheiden muss, ob ein Land Hilfe aus der Stabilitätsgesellschaft bekommt. Auch das haben wir in unserem Antrag vorgesehen. Schönen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union auf Drucksache 17/5094. Ich informiere darüber, dass dazu zwei persönliche Erklä- rungen nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegen, die wir zu Protokoll nehmen.1) Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, die Annahme des Antrages der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/4880 mit dem Titel „Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Artikel 136 des Vertrages über die Arbeitsweise des Europäischen Union ({0}) hinsichtlich der Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus ({1}) - hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Abs. 3 GG …“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4881 mit dem Titel „Herstellung des Einvernehmens bezüglich der Ergänzung von Art. 136 AEUV zur Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus ({2}) verantwortlich gestal- ten“. Zu dem Antrag liegt ein Änderungsantrag der Frak- tion der SPD vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/5095? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsan- trag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tionen und der Fraktion Die Linke bei Zustimmung der SPD-Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen. Damit kommen wir zur Abstimmung über Nr. 2 der Beschlussempfehlung: Ablehnung des Antrags der Frak- tion der SPD auf Drucksache 17/4881. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak- tion Die Linke bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4882 zum Ent- wurf eines Beschlusses des Europäischen Rates zur Än- derung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi- schen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen ge- gen die Fraktion Die Linke. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An- trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- che 17/4883 mit dem Titel „Herstellung des Einverneh- mens zwischen Bundestag und Bundesregierung zur Än- derung des Artikels 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren 1) Anlage 11 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Währung der Euro ist“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und von Bündnis 90/ Die Grünen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hilde Mattheis, Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Qualität und Transparenz in der Pflege konsequent weiterentwickeln - Pflege-Transparenzkriterien optimieren - Drucksachen 17/1427, 17/4925 Berichterstattung: Abgeordneter Willi Zylajew Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Heinz Lanfermann von der FDP-Fraktion das Wort. ({4})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer gut, zu späterer Stunde noch einmal über die Pflege zu sprechen, insbesondere nachdem Gesundheitsminister Philipp Rösler das Jahr 2011 zum Jahr der Pflege erklärt hat und die Dinge durch die in guter Atmosphäre geführten Gesprächsrunden, die allseits gelobt werden, auf einen guten Weg gebracht hat. Wir werden in diesem Jahr noch öfter über die Pflege sprechen. Wir werden auch darüber sprechen, wie wir den finanziellen und demografischen Herausforderungen begegnen wollen; auch dies wird ein spannendes Thema werden. ({0}) Selbstverständlich werden wir auch über Qualitätsverbesserungen sprechen. Wir werden außerdem darüber sprechen, wie wir den Pflegebedürftigkeitsbegriff ausfüllen werden. ({1}) Darüber könnte man jetzt noch vieles sagen. Aber der Anlass dieser Debatte ist ja - das will ich nicht verschweigen - ein Antrag, der kaum noch geeignet ist, eine ganze Debatte zu füllen. ({2}) Es handelt sich um einen Antrag der SPD, der aus dem April des letzten Jahres stammt. Bevor er jetzt sozusagen aus Zeitgründen verfällt, hat die SPD-Fraktion ihn noch einmal ins Plenum zurückgeholt. Er ist allerdings in allen wesentlichen Punkten überholt. Vieles stimmte schon nicht, als Sie ihn geschrieben haben. Eigentlich hätten Sie ihn im Ausschuss für erledigt erklären müssen, aber Sie konnten sich nicht von ihm trennen. ({3}) Deshalb hören Sie heute noch einmal die Kritik. Im Ausschuss wurde selbst von den anderen Oppositionsfraktionen, von den Grünen und von den Linken, erhebliche Kritik an der Qualität dieses Antrags geübt. Vielleicht hören wir das alles gleich noch einmal. Kommen wir aber zur Sache selbst. Wir sind uns doch ohnehin alle darüber einig, dass die Transparenz im Pflegebereich noch weiter erhöht werden soll, dass die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen natürlich ein Recht haben, zu erfahren, wo sie gute Pflege erwarten können und wie die einzelnen Einrichtungen einzuschätzen sind, und zwar insbesondere dann, wenn der Pflegefall eintritt. Denn wir wissen, dass das häufig besonders kurzfristig sein kann, dass man von dieser Situation oft überrascht wird, zum Beispiel nach Schlaganfällen. Insofern kann Transparenz gar nicht groß genug geschrieben werden. ({4}) Im Übrigen gilt das auch für die Anbieter selbst, denen wir immer wieder empfohlen haben, von sich aus voranzugehen, auf Transparenz zu setzen, auch weil es natürlich Wettbewerb gibt. Das ist auch gut so. Die Pflegebedürftigen oder ihre Angehörigen, die sich ja meist darum kümmern, sollen wählen können und sollen insofern als Kunden verstanden werden und nicht als Objekte, die irgendwie zu versorgen sind. Das Internet bietet zum Beispiel neue Möglichkeiten, die genutzt werden. Man kann sich erkundigen, welche Angebote denn in der Umgebung - das ist meist wichtig - vorhanden sind. Natürlich war das auch das Ziel, als man die Pflege-Transparenzvereinbarung oder - wie man so schön sagt - den PflegeTÜV eingeführt hat. Meine Damen und Herren, gerade auch meine Kollegin von der SPD, natürlich steht der Pflege-TÜV seit seiner Einführung, insbesondere die Bewertungssystematik zur Berechnung der Noten, in der Kritik. Das kann bei einem neuen System auch nicht verwundern, das bundesweit unter zum Teil unterschiedlichen Bedingungen angewandt wird. Selbstverständlich ist für mich, dass zum Beispiel daran festgehalten werden muss, dass die Prüfungen unangemeldet erfolgen, oder dass niemand schlechte pflegerische Leistungen durch gutes Essen - so erfreulich das sein mag - oder eine schöne Aussicht ausgleichen kann. Es ist unstrittig, dass es beim Bewertungssystem einen gewissen Nachbesserungsbedarf gibt. Den zu konkretisieren und ein entsprechendes Verfahren zu finden, war und ist Aufgabe der Selbstverwaltung, die aber leider aufgrund einer gewissen Selbstblockade in ihren Reihen diese Aufgabe nicht bewältigt hat. Dabei ist der Vorwurf der SPD, das Ministerium sei untätig gewesen, objektiv falsch. Wer auch immer sich bemüht hat - Frau Widmann-Mauz, Herr Kapferer oder wer auch immer -, für Einigkeit zu sorgen, zu moderieren, zu helfen - es hat nicht funktioniert. Deswegen haben wir jetzt gehandelt. In dem Infektionsschutzgesetz, das gestern im Kabinett beschlossen wurde, gibt es einen Artikel, mit dem dieses Problem jetzt gelöst wird. Sie wissen: Bisher mussten Veränderungen einstimmig beschlossen werden. Das hat sich nicht bewährt. Der funktionierende Konfliktlösungsmechanismus heißt jetzt Schiedsstelle. Wir wollten keine Verordnung; wir wollten nichts von oben herab machen. Wir wollten nicht, dass die Regierung etwas macht. Wir wollten, dass die Selbstverwaltung zum Zuge kommt, und wir wollten Gruppen oder Verbände natürlich auch nicht ausschließen. Aber sie müssen einsehen: Irgendwann ist Schluss. Es muss zügig gehandelt werden. Deswegen haben wir gewisse Zeitvorstellungen, bis wann man sich einigen muss oder wann man eine Schiedsstelle anrufen kann. Man sollte durchaus noch einmal darüber diskutieren, was richtig ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Wir werden uns im Ausschuss bei den Beratungen sicherlich noch damit auseinandersetzen. Sie sind alle herzlich eingeladen, an diesem - in dem Falle - kleinen Reformvorhaben der Regierung mitzuarbeiten. Ich glaube, wir werden gemeinsam sehen, dass dieser Konfliktlösungsmechanismus die Selbstverwaltung stärkt. Auch das ist gut für die Pflege, für die Betroffenen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Hilde Mattheis von der SPD-Fraktion. ({0})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lanfermann hat gerade betont, dass die Koalitionsfraktionen das Jahr der Pflege ausgerufen haben. Ich muss feststellen: Unser Antrag ist genau richtig. Denn gestern hat das Kabinett nach vielen Monaten des Wartens endlich eine Lösung für das Problem vorgelegt, das wir im Bereich der Qualität und Transparenz in der Pflege beobachten mussten: Es kann zu einer Blockadehaltung kommen. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten darüber zu diskutieren haben, ob die Schiedsstellenlösung unseren Ansprüchen wirklich gerecht wird. Unser Antrag vom April letzten Jahres hat vorweggenommen, was im Herbst für alle offensichtlich wurde: Die Vereinbarungen zu Qualität und Transparenz sind in zwei ganz wichtigen Punkten wirklich mangelhaft; sie führen deshalb nicht zu dem Ergebnis, das wir uns gewünscht haben. Das gewünschte Ergebnis wäre nämlich gewesen, die Transparenz von Einrichtungen und ambulanten Pflegediensten zu erhöhen, damit ihre Qualität richtig eingeschätzt werden kann. Das sollte dazu führen, dass Angehörige und Pflegebedürftige zum Beispiel über das Internet erfahren können, welche Einrichtung für sie die richtige ist. Ich darf es an dieser Stelle sagen: Es war für uns alle - für alle Fraktionen - immer ein wichtiges und richtiges Anliegen, für mehr Transparenz und Qualität zu sorgen; dies hat uns geeint. Daher sollten wir uns jetzt auf den Weg machen und in der Tat die richtige Lösung finden. Dafür streiten wir; denn es ist richtig: Die Bewertungskriterien, die vereinbart worden sind, lassen oftmals nicht den Blick in die Einrichtung zu. Ich möchte das am Beispiel einer Einrichtung hier aus Berlin festmachen. Da werden im Qualitätsbereich 1 - Pflege und medizinische Versorgung - zum Beispiel folgende Noten vergeben: Ist der Umgang mit Medikamenten sachgerecht? Note: 4,1. Werden erforderliche Dekubitusprophylaxen durchgeführt? Note: 3,4. Werden erforderliche Prophylaxen gegen Stürze durchgeführt? Note: 3,6. Wird die Pflege im Regelfall von denselben Pflegekräften durchgeführt? Note: 4,8. Im Gegensatz dazu werden in den weicheren Bereichen, zum Beispiel bei der Angehörigenarbeit, Noten wie 1,0 vergeben. Gesamtnote: 1,3. Das sind genau die Kriterien, an denen es zu arbeiten gilt. Wir sagen: Es kann nicht sein, dass bestimmte Wohlfühlkriterien dazu führen, dass Mängel im pflegerischen Bereich überdeckt werden; deswegen ist dieser Punkt so wichtig. Wir haben die Bewertung der Qualität von Pflegeeinrichtungen gemeinsam mit Schwarz im Pflege-Weiterentwicklungsgesetz auf den Weg gebracht, welches dem Pflege-Qualitätssicherungsgesetz nachfolgte. Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass die Bausteine für mehr Qualität und Transparenz in der Pflege stimmig sind; sie dürfen nicht dazu führen, dass Angehörige keinen richtigen Blick in die Einrichtung erhalten, denn dann könnten wir es gleich lassen. ({0}) Ich wollte mit meinem Beispiel deutlich machen: Die gravierenden pflegerischen Mängel dürfen nicht von weichen Kriterien überdeckt werden; das darf nicht sein. Deshalb kam es schon nach Veröffentlichung der ersten Pflegenoten im Jahr 2010 unter Fachleuten zu intensiven Diskussionen. Die Fachwelt hat gesagt: Das muss überarbeitet werden. Schlecht ist, dass sich die Bundesregierung so viel Zeit für die Überarbeitung genommen hat und jetzt die Reform an ein Gesetz anhängen muss. Es wäre wichtig gewesen, schon im Herbst darauf hinzuwirken, dass wir in diesem Bereich eine Nachbesserung erhalten. ({1}) Die Frage ist in der Tat, ob die Schiedsstellen die richtige Lösung sind. Schiedsstellen sind zur Moderation zwischen Blöcken angelegt. ({2}) Schiedsstellen sind dazu aufgerufen, einen Kompromissvorschlag zu erarbeiten. Neue Lösungen sind nicht gefragt. Schiedsstellen brauchen Zeit. Ob dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Aussagekraft der Ergebnisse steigt, wage ich zu bezweifeln. Wegen der Zweifel an der Schiedsstellenlösung fordern wir, auch andere Lösungen in Betracht zu ziehen und zum Beispiel den Vorschlag der A-Länder nach einer bundesrechtlichen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung aufzugreifen oder das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege zu beauftragen. Eines ist klar: Wir müssen alles tun, um der Verpflichtung, der wir uns im Pflege-Weiterentwicklungsgesetz gemeinsam verschrieben haben, gerecht zu werden. ({3}) Für meine Partei und meine Fraktion ist klar: Über Qualität in der Pflege kann und darf nicht verhandelt werden. Sie steht für einen Kompromiss nicht zur Verfügung. Wenn wir Qualität einfordern, dann meinen wir auch Qualität. Davon rücken wir nicht ab. Die Bevölkerung hat auch in diesem Bereich ein Recht auf Information und Transparenz. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Willi Zylajew von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Willi Zylajew (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gerade einen Beitrag der Kollegin Mattheis gehört, der, verehrte Frau Mattheis, überhaupt nichts mit dem Antrag zu tun hatte, den wir heute beraten. ({0}) - Doch. Ich habe ihn sogar dabei. Ich kann Ihnen den Antrag gerne zur Verfügung stellen. ({1}) In dem Antrag steht etwas über Qualität und Transparenz in der Pflege, zur konsequenten Weiterentwicklung und zur Optimierung. In dem Antrag steht - wenn Sie wollen, lesen Sie das nach -: „Der Deutsche Bundestag stellt fest: …“ ({2}) Das ist aber auch schon alles. Er enthält keine Forderungen. Dann steht hier: „Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung … Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf …“. Etwas Substanzielles ist in Ihrem Antrag nicht enthalten. Dort steht nichts von dem, was Sie eben gesagt haben. ({3}) Frau Mattheis, SPD und CDU/CSU haben in der Großen Koalition den Pflege-TÜV gemeinsam eingerichtet. Wir wollten die Leistungen stationärer und ambulanter Einrichtungen erfassen und vergleichbar machen - das war unser gemeinsames Ziel -, und zwar durch unangemeldete Prüfungen. Der Pflege-TÜV ist eine wichtige Hilfe für Angehörige; das wissen wir alle. Wir wollen ihn weiterentwickeln. Die Heime profitieren davon. Qualitätsunterschiede werden abgebildet. Schwächen, aber auch positive Dinge werden deutlich. Jeder gute Träger müsste interessiert daran sein, bewertet und benotet zu werden. Die SPD erkennt das auch an. In Ihrem Antrag steht unter II., dass die Transparenzvereinbarungen geeignet sind, um Qualität und Qualitätsunterschiede abzubilden. Ihr Antrag enthält aber überhaupt keinen Vorschlag, wie wir die Dinge verbessern können. Sie haben eben nur das Verfahren erläutert, das zwischenzeitlich angewendet wurde. Wir wollten nicht - das wollten Sie übrigens auch nicht -, dass Ministerialbeamte die Begriffe Qualität und Transparenz für den Bereich der Pflege definieren. Wir haben das der Selbstverwaltung überlassen, also den Fachleuten bei den Krankenkassen und den Fachleuten bei den Leistungserbringern, von denen einige heute hier sind. Jetzt hat sich gezeigt, dass die Transparenzkriterien optimiert werden müssen. Damit waren fast alle Träger einverstanden. Nur zwei kleine Trägerverbände, der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe und der Arbeitgeber- und Berufsverband Privater Pflege, waren anderer Auffassung. Das Ministerium hat dann sehr beherzt eingegriffen ({4}) - ja, nicht in der Basta-Manier des Herrn Schröder - und die Fachleute gebeten, sich darauf zu verständigen, die Kriterien weiterzuentwickeln. Dies ist passiert. Wir richten eine Schiedsstelle ein. Gestern hat das Kabinett Entsprechendes auf den Weg gebracht. Wir sind gespannt, welche Optimierungsvorschläge Sie für die Schiedsstelle haben. Das werden wir uns dann in Ruhe anschauen. Uns ist die Frist von drei Monaten wichtig. Um es noch einmal zu sagen: Die Träger und Leistungserbringer haben, wenn sie Änderungswünsche haben, drei Monate Zeit, sich zu verständigen. Danach wird es eine Schiedsstellenentscheidung geben. Das ist der vernünftigste, durch Fachleute geprägte Weg. ({5}) Aber auch dazu steht nichts in Ihrem Antrag. Im Antrag heißt es nur - ich wiederhole mich -: „Der Deutsche Bundestag stellt fest: … Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, dass …“ Das war es. Dass Sie heute ein bisschen klüger sind, akzeptiere ich gern. Ich will an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich sagen, dass die Leistungserbringer mit dem, was wir tun, zum größten Teil ausgesprochen zufrieden sind. Es gibt eine neue Befragung der Basis, nicht der Funktionäre. Danach sind in Westfalen-Lippe 98 Prozent der Einrichtungen der Meinung, die Prüfung sei fachkompetent. Sie haben den praktischen Nutzen, den Wert der Prüfung herausgestrichen. 53,2 Prozent meinen, der Wert der Prüfung sei hoch, 37,9 Prozent meinen, er sei eher hoch, 7,5 Prozent meinen, er sei eher gering, und nur 1,4 Prozent meinen, der Wert sei gering. Insofern hat die Basis dieses Verfahren längst angenommen. Wir schaffen Transparenz, wir optimieren. Wir orientieren uns nicht an dem, was Sie im Antrag geschrieben haben, sind nicht zufrieden mit banalen Feststellungen, die nicht weiterhelfen, sondern machen die Transparenzvereinbarungen in der Weiterentwicklung zu einem hervorragenden Instrument für Pflegebedürftige und deren Angehörige. Sie haben ja die Quittung für Ihren Antrag bekommen. Nicht einmal die Kolleginnen und Kollegen der anderen Oppositionsfraktionen haben Ihrem Antrag im Ausschuss auch nur eine Stimme gegeben. Dieses Ergebnis spricht doch für sich. Die Qualität dieses Antrags ist schon vor einem Jahr dürftig gewesen; heute ist der Antrag überholt. Danke schön. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Kathrin Senger-Schäfer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Senger-Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004154, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Menschen, die gepflegt werden, müssen das bekommen, was sie brauchen. Die Grundvoraussetzung dafür ist, dass gute Pflege erkennbar wird. Genau daran müssen sich die Pflegeeinrichtungen messen lassen. Woran sonst sollten sich Angehörige halten, wenn sie den bestmöglichen Pflegeplatz für Mutter oder Vater suchen? Wie wir alle wissen, wird die soziale Dienstleistung Pflege in Deutschland knallhart über den Wettbewerb organisiert. Wir sagen: Das geht nicht. ({0}) Pflege ist eine öffentliche Daseinsfürsorge, und sie darf nichts mit Profitmacherei zu tun haben. Herr Lanfermann, auch wenn Sie sagen, dass Pflegebedürftige in erster Linie Kunden sind: Für uns sind Pflegebedürftige in erster Linie Menschen. ({1}) - Das müssen Sie gerade sagen. ({2}) Für mich ist dann ganz logisch, dass durch das Sichtbarmachen von guter und schlechter Qualität in Pflegeeinrichtungen es eben nicht der Markt sein kann, der dafür sorgt, dass schlechte Pflege verschwindet. Mit der gesetzlichen Pflegeversicherung, die sich sozial nennt, aber nicht den tatsächlichen Pflegebedarf eines Menschen abdeckt, werden die Pflegebedürftigen gegen die Pflegekräfte ausgespielt, und umgekehrt. Solange das so ist, brauchen wir im Interesse der Pflegebedürftigen und des Pflegepersonals eine Weiterentwicklung der Pflegenoten. ({3}) So wie die Pflegenoten heute erhoben werden, ergeben sie ein unklares Abbild der Pflege. Es ist noch immer möglich, schlechte Pflege beispielsweise in der Wundversorgung mit einem gut sichtbaren Speiseplan zu kaschieren. Bei der Weiterentwicklung der Pflegenoten hakt es, und zwar gewaltig. Ich verstehe nicht, warum über die Weiterentwicklung der Pflegenoten überhaupt noch gestritten wird. Noch viel weniger verstehe ich, wie zwei kleine Arbeitgeberverbände - sie wurden genannt -, die nicht einmal 5 Prozent der Pflegeeinrichtungen vertreten, die Weiterentwicklung der Pflegenoten blockieren können. ({4}) Das Ganze führt doch im Ergebnis zu einem Vertrauensverlust und zu Skepsis gegenüber den Pflegeeinrichtungen. ({5}) Was gut gemeint ist, kann so schlicht keine Wirkung zeigen. ({6}) Allen ist klar: Gute, qualitativ hochwertige Pflege hängt entscheidend von qualifiziertem und motiviertem Personal ab. Dafür steht die Linke seit jeher. ({7}) - Ja, das ist so. - Die äußerst schwere und aufopferungsvolle Arbeit des Pflegepersonals kann, gerade im Interesse der Pflegebedürftigen, nicht hoch genug wertgeschätzt werden. Bringen wir es doch einmal auf den Punkt: Wir befinden uns mitten im Pflegenotstand. Die Hauptursachen dafür sind schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung und die daraus resultierende fehlende Attraktivität des Pflegeberufs. Wir meinen, dass es deshalb zwingend notwendig ist, die Arbeitsbedingungen bei den Pflegenoten zu berücksichtigen. ({8}) Eine Pflegerin, die im Minutentakt arbeiten muss, die für An- und Auskleiden und Körperpflege nur wenige Minuten zur Verfügung hat, wird auf Dauer so im Stress sein, dass ihr kaum Raum bleibt für ausführliche Gespräche und Fürsorge, die zu Pflegende so dringend brauchen. Das macht die Qualität der Pflege aus meiner Sicht entscheidend aus; denn die Arbeitsbedingungen in der Pflege haben Einfluss auf die Pflegequalität. Dieser wichtige Aspekt wird im Antrag der SPD zwar erwähnt, findet sich dann aber in den Forderungen leider nicht wieder. ({9}) Die Linke kann sich daher nur enthalten. ({10}) Darüber, was die Bundesregierung nun zur Zukunft der Pflegenoten vorschlägt, wird an anderer Stelle zu diskutieren sein. Sie alle können sich ganz sicher sein, dass wir jeden Ihrer Vorschläge im Interesse der zu Pflegenden und der Pflegekräfte äußerst kritisch begleiten werden. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Scharfenberg von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Pflege-Transparenzvereinbarung, besser bekannt als Pflege-TÜV - er wurde schon mehrmals genannt -, sollte Transparenz erzeugen. Mit dieser Verheißung war man angetreten. Anhand einer einzigen Pflegenote sollte die Qualität einer Pflegeeinrichtung oder eines Pflegedienstes zu erkennen sein. Diese eine Note setzt sich aus einer Fülle von Einzelnoten für unterschiedliche Leistungsbereiche zusammen. Keine Rücksicht wurde darauf genommen, was miteinander verglichen und gegeneinander aufgewogen wurde, ob nun Äpfel mit Birnen oder Speisepläne mit Demenzkonzepten. Anstatt in der Pflege für Transparenz zu sorgen, vernebelt der Pflege-TÜV die wahre Situation im Pflegealltag. Transparenz wird auf eine transparente Dokumentation reduziert. Die Frage ist, was für den Nutzer und die Nutzerin am Ende dabei herauskommt. Diese Frage ist unbeantwortet geblieben. ({0}) Der Fehler beim Pflege-TÜV ist unserer Ansicht nach schon bei seiner Geburt zu finden. Es sollte in allererster Linie um die Verbraucherinnen und Verbraucher gehen; ihnen sollte er dienen. Doch bei der Erarbeitung der Kriterien wurden wichtige Geburtshelfer außen vor gelassen, zum Beispiel die für uns wichtigste Gruppe, die Verbraucherverbände und die Selbsthilfeorganisationen. Diese wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie hatten gerade einmal ein Stellungnahmerecht. Größere Zugeständnisse räumte man ihnen nicht ein, und das ganz nach dem Motto: zwar für euch, aber bitte ohne euch. Wir haben von Anfang an kritisiert, dass die Kostenträger und die Leistungserbringer die Bewertungskriterien unter sich ausmachen. Dieser Mangel wird leider auch durch den Antrag der SPD-Fraktion nicht geheilt. ({1}) Dies steht auch im Hinblick auf die weitere Überarbeitung der Transparenzkriterien leider nicht auf der Agenda. Ich frage: Wann beziehen wir endlich die Adressaten und Adressatinnen des Pflege-TÜV mit ein? Grüne Politik ist für uns immer auch Politik für Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir begrüßen Regelungen, die wirklich darauf abzielen, Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher herzustellen. Deshalb ist es wichtig, diese Zielgruppe nicht länger in die Irre zu führen. Genau das tut derzeit die Gesamtnote des PflegeTÜV. Wir Grüne plädieren dafür, die Gesamtnote als Erstes abzuschaffen. ({2}) Die Gesamtnote hat ihr Ziel, mehr Transparenz zu schaffen, verfehlt. Sie verleitet dazu, sich nicht detailliert mit den Einzelbereichen zu beschäftigen. Der Heimalltag ist nun einmal komplex; er lässt sich nicht schnell in eine Note packen. Es wäre vermessen, zu meinen, dass man aufgrund dieser Note ein Urteil darüber fällen könnte, wie gut in einem Heim gearbeitet wird oder wo genau die Defizite eines Pflegedienstes sind. Aber diese Gesamtnote gaukelt uns den Durchblick vor. Uns geht es darum, auch Lebensqualität zu beurteilen. Pflege, die es schafft, Lebensqualität zu bieten und zu erhöhen, ist eine gute Pflege. ({3}) Lebensqualität und Wohlbefinden sind aber in hohem Maße subjektiv. Genau darin liegt die Schwierigkeit. Lebensqualität bedeutet nicht für jede und jeden das Gleiche. Prüfungen und Benotungen sind im Sinne des Verbraucherschutzes zwar wichtig. Sie dürfen aber nicht dazu führen, dass die Lebenswelt dadurch standardisiert oder normiert wird. Dann wird der Pflege-TÜV zum Selbstzweck, und dann dient er überhaupt nicht zur Hilfe für die Betroffenen. Wenn der Pflege-TÜV wirklich zum Wegweiser werden soll, dann ist noch sehr viel zu tun, und das zusammen mit den Nutzerinnen und Nutzern. Im Übrigen: Herr Lanfermann, Sie sprachen vom Jahr der Pflege. ({4}) Es wird sich zeigen, wie dieses Jahr der Pflege mit Inhalten gefüllt wird, ({5}) und zwar im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer, der Pflegebedürftigen, der Angehörigen und der Pflegenden. An diesen Inhalten wird man Sie letztendlich messen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Stephan Stracke von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gute Pflege braucht Qualität. Gute Pflege braucht Instrumente, um Qualität zu sichern und weiterzuentwickeln. Deswegen haben wir interne Qualitätsmanagementverfahren, Expertenstandards und Qualitätsprüfungen. Aber für den Verbraucher, gerade für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige, ist es wichtig, dass Leistungen im ambulanten wie im stationären Bereich und ihre Qualität verständlich, übersichtlich und vergleichbar beurteilt werden können. Der Verbraucher möchte bei der nicht immer einfachen Suche nach der passenden Pflege eine Entscheidungshilfe bekommen. Deswegen haben wir Pflegequalität sichtbar gemacht und für Transparenz der Pflegeleistungen gesorgt. Deswegen hat der Medizinische Dienst der Krankenversicherung rund 18 000 Pflegeeinrichtungen auf Transparenz überprüft und 14 000 Transparenzberichte im Internet veröffentlicht. Das ist ein echter Beitrag zu mehr Transparenz in der Pflege. ({0}) Die Transparenzvereinbarungen und ihre Weiterentwicklung haben wir bewusst in die Hände der Selbstverwaltung gelegt. Dort wollen wir sie auch belassen. Denn die Selbstverwaltung verfügt wie kaum jemand anders über die Möglichkeit, Sachverstand mit praxistauglichen und flexiblen Lösungen zu verbinden. Das ist ihre Aufgabe und Verantwortung zugleich. Aus dieser Verantwortung werden wir sie nicht entlassen. Zu verantwortlichem Handeln der Selbstverwaltung gehört auch, zu begreifen, dass die Qualität der Pflege und nicht zuletzt auch die Transparenz für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen stets weiterentwickelt werden müssen. Wie in der Pflege selbst muss auch bei den Transparenzvereinbarungen das Ergebnis stimmen, und hieran mangelt es. Hieran mangelt es beispielsweise bei dem System der Zufallsstichprobe, wie sie bislang in den Vereinbarungen verankert ist. So werden wichtige Kriterien wie Flüssigkeitsversorgung, Ernährungszustand und Wundliegen gerade im ambulanten Bereich nur unzureichend erfasst. Die Gefahr des Übersehens von gravierenden Pflegemängeln ist deshalb groß. Zudem ist die Vergleichbarkeit der Prüfergebnisse nicht gewährleistet. Schlechte Bewertungen können aufgrund der Mittelwertbildung einfach ausgeglichen werden, und durch die Durchschnittsbildung werden Einrichtungen mit einem größeren Anteil an Pflegefällen mit großem Risiko benachteiligt. All das gefährdet die Glaubwürdigkeit des Transparenzinstruments als solches. Die Träger, die hieran nichts ändern wollen, leisten gerade den Pflegeeinrichtungen, die gute Arbeit leisten, einen Bärendienst. ({1}) Denn diese Einrichtungen haben zu Recht einen Anspruch darauf, dass sich gute, qualitätsvolle Leistung auch lohnt. Deshalb muss eine klare Unterscheidbarkeit zu schlechteren Einrichtungen gegeben sein. Auch darin liegt die Verantwortung der Selbstverwaltung. ({2}) Es war gut, dass das Bundesministerium für Gesundheit von Beginn an den Umsetzungsprozess eng begleitet und immer wieder auf die Wahrnehmung von Verantwortung der Leistungspartner gedrängt hat. Umso enttäuschender ist es, dass sich die Selbstverwaltung letztlich selbst blockiert. Das liegt zum einen daran, dass aufgrund der Vereinbarungen das Einstimmigkeitsprinzip angewendet werden muss, und zum anderen daran, dass auch das Kündigungsrecht keine wirkliche Wirkung entfalten kann, da das alte Recht bis zur Geltung einer neuen Vereinbarung weiterhin gilt. Es ist allerdings nicht akzeptabel, dass diese Selbstblockade besteht. Wir wollen diese Eigenblockade mit einer Schiedsstellenlösung überwinden. Diese Schiedsstellenlösung entspricht dem Wunsch relevanter Teile der Selbstverwaltung und ist ein Konfliktlösungsmechanismus, der der Systematik des SGB XI Rechnung trägt. Durch die Möglichkeit der Fristverkürzung bei der Anrufung der Schiedsstelle besteht die Chance auf eine rasche Auflösung der derzeitigen Blockade. Wenn Sie nun, liebe Frau Kollegin Mattheis, kritisieren, dass Schiedsstellenlösungen unter Umständen zu Kompromissen verleiten, dann stellen Sie indirekt die gesamte Konzeption infrage. Selbstverständlich ist die Transparenzvereinbarung, so wie sie angelegt ist, auf eine Vereinbarung der Selbstverwaltung bezogen. Daher verabschieden Sie sich wieder von einem Stück dessen, was wir in der Großen Koalition vereinbart haben. Das finde ich etwas schade. ({3}) Ich erwarte nun, dass sich die Selbstverwaltung ihrer Verantwortung bewusst ist und dementsprechend handelt. Ich erwarte von der Selbstverwaltung, dass das derzeit unzureichende System der Zufallsstichprobe durch ein geeigneteres System ersetzt wird und dass Verrechnungsmöglichkeiten und Überstrahlungseffekte in Zukunft nicht mehr gegeben sind. Ich bin mir sicher, dass das Bundesministerium für Gesundheit diesen anstehenden Weiterentwicklungsprozess weiterhin eng begleiten wird, und ich bin mir gewiss, dass die Hausspitze auf diese Weise der Selbstverwaltung den notwendigen Rahmen aufzeigt, in dem Veränderungen notwendig und sinnvoll sind. Diesen Prozess werden nicht zuletzt wir vonseiten der christlich-liberalen Koalition entsprechend begleiten. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Qualität und Transparenz in der Pflege konsequent weiterentwickeln - Pflege-Transparenzkriterien optimieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 17/4925, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1427 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenom- men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Lin- ken und der Grünen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 17/4981 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Innenausschuss Rechtsausschuss b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 17/2766 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer das Wort. ({1})

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die freiwilligen Feuerwehren, aber auch die Rettungsdienste und das Technische Hilfswerk leisten mit ihren Einsätzen einen unschätzbaren Dienst für unsere Gesellschaft. Nicht selten setzen sie bei ihrem Einsatz Leib und Leben aufs Spiel: für andere, für den Nächsten. Ich möchte auch unseren Einsatzkräften, die im Katastrophenschutz tätig sind, vor allem den Mitgliedern des THW, für ihren Einsatz und für ihre Bereitschaft, auch in Japan zu helfen, danken. Herzlichen Dank dafür. ({0}) Leider gibt es immer weniger junge Ehrenamtliche, die über eine zum Führen der Einsatzfahrzeuge notwendige Fahrerlaubnis verfügen. Lediglich ältere Fahrerlaubnisinhaber, die ihre Fahrerlaubnis vor dem 1. Januar 1999 erworben haben, können aufgrund des Bestandsschutzes auch schwerere Fahrzeuge mit dem Führerschein der alten Klasse 3 fahren. Da diese Fahrer den freiwilligen Feuerwehren nunmehr aus Altersgründen langsam nicht mehr zur Verfügung stehen, müssen jüngere Fahrer nachrücken, die aber nicht mehr über die benötigte Fahrerlaubnis für die zwischenzeitlich aus technischen Gründen auch schwerer gewordenen Einsatz-fahrzeuge verfügen. Nicht nur in meinem Heimatland Bayern, in dem rund 300 000 Ehrenamtliche in den freiwilligen Feuerwehren aktiv sind, führt dies zu dramatischen Engpässen bei den Einsatzfahrten. Das ist eine aus meiner Sicht nicht akzeptable Situation, für die es jetzt endlich eine vernünftige Lösung gibt. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung setzt die Vorschläge der Ehrenamtlichen um. ({1}) Ursache für diese Entwicklung ist die sogenannte 2. EU-Führerschein-Richtlinie von 1991, nach der das Fahrerlaubnisrecht und insbesondere die deutschen Fahrerlaubnisklassen zum 1. Januar 1999 an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben anzupassen waren. Seither dürfen mit einer Fahrerlaubnis der Klasse B für Pkw nur noch Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von bis zu 3,5 Tonnen gefahren werden. Für Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse zwischen 3,5 Tonnen und 7,5 Tonnen ist hingegen eine Fahrerlaubnis der Klasse C 1 und für Kraftfahrzeuge über 7,5 Tonnen eine Fahrerlaubnis der Klasse C erforderlich. Diese Rechtsänderung wurde von der Europäischen Union eingeführt. Aus europarechtlichen Gründen ist es leider ausgeschlossen, der Forderung nachzukommen, eine Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, dass Angehörige der freiwilligen Feuerwehren, der nach Landesrecht anerkannten Rettungsdienste und des Katastrophenschutzes mit einer Fahrerlaubnis der Klasse B Einsatzfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von bis zu 4,25 Tonnen fahren dürfen. Die in der vergangenen Legislaturperiode beschlossene Rechtsgrundlage für eine Sonderfahrberechtigung zum Führen von Einsatzfahrzeugen der freiwilligen Feuerwehren bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von bis zu 4,75 Tonnen bzw. 7,5 Tonnen reicht nach meiner Einschätzung und auch aus Sicht der betroffenen Organisationen nicht aus, um die Einsatzfähigkeit der betroffenen Organisationen tatsächlich zu verbessern. Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf werden die Vereinbarungen der Koalitionsfraktionen im Koalitionsvertrag umgesetzt. Es werden weitere Erleichterungen für Ehrenamtliche geschaffen, die kostengünstig und unbürokratisch zu handhaben sind. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die betroffenen Organisationen eine organisationsinterne Einweisung und - das ist das Entscheidende - auch eine organisationsinterne Prüfung auf Einsatzfahrzeugen mit einer zulässigen Gesamtmasse von bis zu 7,5 Tonnen durchführen können. So wird ein einfaches und kostengünstiges Verfahren geschaffen, mit dem den jeweiligen Bedürfnissen vor Ort entsprechend mit den vorhandenen Einsatzfahrzeugen ausgebildet und geprüft werden kann. Dabei wird zwischen einer Sonderfahrberechtigung bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 4,75 Tonnen einerseits und bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 7,5 Tonnen andererseits differenziert, da die Anforderungen an die Fahrerinnen und Fahrer mit der Höhe des Fahrzeuggewichts zunehmen. Im Gegensatz zu vorherigen Regelungen aufgrund des tatsächlich geltend gemachten Bedarfs werden jetzt auch Anhänger in die Fahrberechtigungen aufgenommen. ({2}) Zudem wird die Möglichkeit eröffnet, in Anlehnung an das in Deutschland bewährte System der professionellen Ausbildung die Ausbildung auch durch Fahrlehrer vornehmen zu lassen. Die Ermächtigung zur Ausstellung der Fahrberechtigungen wird dabei unmittelbar auf die Landesregierungen übertragen. So wird sichergestellt, dass den jeweiligen regionalen Gegebenheiten Rechnung getragen wird und möglichst passgenaue Regelungen getroffen werden können. Wir appellieren an die Landesregierungen, diese Basisvereinbarung, die wir jetzt treffen, zum Wohl der Ehrenamtlichen zügig umzusetzen. ({3}) Ich werbe daher um Ihre Zustimmung zu dem unbürokratischen Gesetzentwurf, der sicherstellt, dass das ehrenamtliche Engagement wieder für mehr junge Freiwillige beim Technischen Hilfswerk, bei den nach Landesrecht anerkannten Rettungsdiensten, den freiwilligen Feuerwehren sowie den Organisationen des Katastrophenschutzes interessant wird. Wer sich engagiert gewinnt, vor allem mit den Gesetzentwürfen der christlich-liberalen Koalition und ihrer Bundesregierung. ({4}) In diesem Sinne freuen wir uns, dass wir für die Ehrenamtlichen einen weitreichenden Vorschlag beschließen, der schon lange diskutiert wird und den wir jetzt endlich umsetzen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann von der SPD-Fraktion. ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Anwesende! Als ich eben von einer Besuchergruppe, die uns jetzt auf der Tribüne zuhört, gefragt wurde, worum es in der Debatte geht, habe ich flapsig gesagt: um den Feuerwehrführerschein. Aber wir sollten einmal klarstellen, worum es sich handelt. Es handelt sich nicht um eine neue Art der Fahrerlaubnis, sondern um eine Ausnahmeregelung zum bestehenden Führerscheinrecht. Ich möchte kurz - der Staatssekretär hat damit begonnen - weiter auf die Historie eingehen. Vor etlichen Jahren wurde in Brüssel unter Beteiligung der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung ein neues Führerscheinrecht verhandelt. Der Grund waren Sicherheitsbedenken, dass mit steigendem Kraftfahrzeugverkehr die jetzigen Fahrerlaubnisklassen nicht mehr die Realität abbildeten. Das Resultat wurde eben erläutert. Unter anderem kann man mit dem PKW-Führerschein Klasse B nur noch Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen zulässige Gesamtmasse führen. Die Zustimmung zur Neuregelung auch durch die damalige Bundesregierung war gut und richtig. Die Folgen hat auch der Herr Staatssekretär eben dargelegt. Nach immerhin elf Jahren des neuen Rechtes gibt es inzwischen immer weniger Ehrenamtliche mit den alten Führerscheinklassen, die noch die Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen zulässige Gesamtmasse führen können. Das ist problematisch, weil wir in der Bundesrepublik Deutschland unseren Rettungsdienst zum Beispiel in der Feuerwehr, im Technischen Hilfswerk, im DRK, in der DLRG und in vielen anderen Organisationen hauptsächlich ehrenamtlich regeln. Die Leistungsfähigkeit war somit gefährdet. Dazu kommt, dass die Feuerwehrfahrzeuge immer schwerer und die regulären Fahrerlaubnisse immer teurer werden. Die Rettungsdienste waren also in einer sehr schwierigen Situation. Es war die Große Koalition, die darauf reagiert hat, und zwar mit der fünften Änderung des StVG. Dadurch wurden die Länder ermächtigt, Sonderfahrerlaubnisse zu erteilen, um den Ehrenamtlichen im Rettungsdienst zu erlauben, die Fahrzeuge zu führen. Das Ergebnis war ein Kompromiss in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten: mit den Verbänden der Verkehrssicherheit, mit den betroffenen Rettungsorganisationen und der Politik. Der Inhalt lautete, dass bis 4,75 Tonnen eine organisationsinterne Einweisung ausreichte. Damit durften nur Einsatzfahrzeuge gefahren werden. Laut Auskunft des BMVBS haben lediglich Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und BadenWürttemberg von dieser Regelung Gebrauch gemacht. Das sind lediglich vier von 16 Bundesländern, die diese Möglichkeit hatten. ({0}) Die zweite Regelung bis 7,5 Tonnen sah eine vereinfachte Fahrausbildung und eine vereinfachte Prüfung vor. Hierbei konnte aber eine Umschreibung zur privaten Nutzung erst nach einer gewissen Zeit möglich gemacht werden. Diese zweite Regelung wurde aber niemals umgesetzt, weil das BMVBS die Ermächtigungsverordnung für die Länder nie erlassen hatte. Wir wissen also gar nicht, ob diese Regelung der Großen Koalition ausrei11024 chend gewesen wäre, um das Problem der Rettungsdienste zu beheben. Trotzdem haben wir jetzt eine neue Regelung vor uns liegen. ({1}) Die jetzige Regelung hat einen erheblichen Vorteil: Sie ist nahezu kostenfrei. Die alte Regelung sah Kosten für eine reduzierte Schulungs- und Prüfungsgebühr vor. Bei der neuen Regelung führt, wenn es möglich ist, der Kollege bzw. die Kollegin die Schulung mit einem ganz normalen Einsatzfahrzeug durch, also ohne Möglichkeit für den Schulenden, die Fahrt zu beeinflussen oder selbst die Prüfung abzunehmen. Organisationsintern entstehen nahezu keine Kosten. Aber die Feuerwehrfahrzeuge werden immer schwerer, insbesondere die wasserführenden Fahrzeuge. Diese Regelung schafft nur für gut die Hälfte aller Fahrzeuge, nämlich etwa 13 000, Abhilfe. Auf bundesdeutschen Straßen sind jedoch auch Feuerwehrfahrzeuge über 7,5 Tonnen in einer Größenordnung von 11 000 Fahrzeugen unterwegs. Auch über diese sollten wir reden. Wir sollten in den Ausschussberatungen genau prüfen, ob die vorgelegten Regelungen zumutbar sind. Was meine ich damit? Geprüft werden muss, ob sie zum einen für die Begünstigten zumutbar sind. Der Begünstigte ist der Ehrenamtliche, der seine Freizeit opfert und nicht selten auch seine Gesundheit aufs Spiel setzt. Wir möchten ihn nicht in schwierige Situationen bringen. Was meine ich damit? Ein junger Mensch mit zwei Jahren Fahrerlaubniserfahrung und einer kurzen Einweisung durch einen Kollegen fährt einen Lkw mit 7,5 Tonnen in der Einsatzfahrt mit Sirene und Blaulicht unter starkem nervlichem Druck, denn er stellt sich die Frage: Was erwartet mich am Einsatzort? Was das bedeutet, weiß ich sehr genau, zumindest was den Pkw angeht, weil ich in meiner Tätigkeit als Polizeibeamtin sehr viele Einsatzfahrten gemacht habe. Obwohl ich daran gewöhnt war, weil ich es vier- bis fünfmal in der Woche tun musste, war das schon sehr belastend. Wie erst wird es für die jungen Leute sein, die es mit wesentlich weniger Schulung machen müssen? ({2}) Aus der Studie der BASt ergibt sich, dass bei Fahrten mit Sonderrechten ein achtmal höheres Risiko besteht, einen Unfall mit Schwerverletzten zu verursachen. Man muss sich die Frage stellen: Kann es Probleme geben, wenn einer der Unfallbeteiligten lediglich eine Sonderfahrerlaubnis hat und Zweifel an seiner Eignung zum Führen dieses Fahrzeugs geltend gemacht werden? Aber wir sollten auch prüfen, ob diese Regelungen zumutbar für die Schulenden sind. Denn sie befinden sich in einer Zwickmühle. Es sind Kollegen, es sind Ausbilder, und es sind Prüfer. Als Kollegen wollen sie niemanden verprellen oder in die Pfanne hauen. Als Ausbildende wollen sie sichere Feuerwehrwagenführende ausbilden. Und als Prüfende stehen sie erheblich unter Druck, weil sie wissen, dass ihre Wehr dringend neue Fahrzeugführende benötigt. Insofern möchte ich mit Ihnen die Frage diskutieren: Ist die Regelung ausreichend, oder brauchen wir nicht vielmehr bundesweit einheitliche Richtlinien über die Ausgestaltung dieser Einweisungsfahrten? Und brauchen wir nicht unabhängige Prüfer und Prüferinnen, die anschließend das Ergebnis dieser Einweisung begutachten müssen? Ich bitte Sie, noch intensiver als der Staatssekretär auf die Frage einzugehen, ob diese Regelung konform zum EU-Recht ist. Ich erinnere Sie daran: Im August hat der Bundesrat einen Entwurf im Bundestag eingebracht, der wie der jetzige aussah. Das Ministerium hat ihn zurückgezogen, weil es europarechtliche Bedenken hatte, die jetzt laut Auskunft des BMVBS ausgeräumt sind. Aber das Ministerium hat mir auch mitgeteilt, dass sich andere Häuser, zum Beispiel das BMJ, noch nicht geäußert haben. Weiterhin stellt sich die Frage: Warum kam es zur Änderung der Rechtsauffassung? Haben wir eventuell die Kommission gefragt, ({3}) oder verabschieden wir wieder eine Regelung, die gut gemeint ist, die aber dann wieder von der Kommission als europarechtswidrig gestoppt wird? Meine Herren und Damen, Sie sehen: Es gibt eine Menge Diskussionsstoff. Ich freue mich auf die Beratungen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Oliver Luksic von der FDPFraktion. ({0})

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über die Entwürfe der Bundesregierung und des Bundesrates zur Schaffung des sogenannten Feuerwehrführerscheins. Beide Entwürfe stimmen in ihren grundlegenden Zielen überein. Wir wollen die Möglichkeit schaffen, dass in Zukunft bei der freiwilligen Feuerwehr, bei Rettungsdiensten, beim THW und bei sonstigen Katastrophenschutzeinheiten engagierte Ehrenamtliche für ihre dortige Arbeit einen Führerschein für Fahrzeuge bis 4,75 Tonnen bzw. 7,5 Tonnen machen können. Die Koalition setzt damit einen weiteren Punkt aus der Koalitionsvereinbarung im Verkehrsbereich um. ({0}) Wir tun dies, um die Einsatzfähigkeit der freiwilligen Feuerwehren und anderer Dienste dauerhaft aufrechterhalten zu können; denn seit 1999 dürfen mit den neu erOliver Luksic worbenen Pkw-Führerscheinen nur Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen gefahren werden. Allerdings übertreffen in der Praxis selbst die kleineren Einsatzfahrzeuge leicht diese Grenze. Das liegt neben der verstärkten Ausstattung mit Fahrerassistenzsystemen auch an der Ausrüstung, die zu Einsätzen mitgenommen werden muss. Nach Angaben des Deutschen Feuerwehrverbandes benötigen aber bundesweit über 16 000 Fahrzeuge fünf oder mehr mögliche Fahrer, um ständig einsatzfähig zu sein, also um rund um die Uhr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger gewährleisten zu können. Es musste also eine Lösung gefunden werden, wie wir den Freiwilligendienst in den verschiedenen Rettungsund Katastrophenschutzorganisationen zukunftsfest machen. Das tun wir mit diesem Gesetz. Spätestens wenn die jetzt noch aktiven Jahrgänge, die im Besitz einer Fahrerlaubnis für die Einsatzfahrzeuge über 3,5 Tonnen sind, aus dem Dienst ausscheiden, brauchen wir weiterhin gut ausgebildete Nachwuchskräfte, die die Einsatzfahrzeuge führen können. Daher sehen sowohl der Entwurf der Bundesregierung als auch der des Bundesrates eine Lösung vor, nach der sowohl organisationsintern eingewiesen als auch geprüft wird. Das spart Kosten, das baut Bürokratie ab, und das ist genau das, was wir als christlich-liberale Koalition wollen. ({1}) Wir haben immer wieder gehört, dass durch diese Vorgehensweise die Verkehrssicherheit gefährdet werde, doch ich meine, es sind verantwortungsvolle Bürgerinnen und Bürger, die den Dienst in den Feuerwehren versehen. Außerdem stehen in beiden Gesetzentwürfen klare Anforderungen an diejenigen, die einweisen und prüfen dürfen. Es ist also nicht so, dass in Zukunft schlecht ausgebildete Einsatzfahrer auf den Fahrzeugen sitzen. Vor allem ist uns wichtig, dass dieses Vorgehen den klammen Kommunen Geld spart, die sonst in der Praxis häufig Nachschulungen oder Fortbildungen zum Erwerb von Führerscheinen gerade bei der freiwilligen Feuerwehr bezuschussen oder ganz übernehmen. Ich kenne das aus meiner Tätigkeit im Rat meiner Heimatgemeinde. Wir gewährleisten mit dem sogenannten Feuerwehrführerschein dauerhaft die Sicherheit der Bevölkerung bei Bränden und Unfällen, und wir entlasten die Kommunen. Das ist gerade für unsere Koalition ein wichtiger Ansatz. ({2}) Ich möchte den Blick noch auf einen weiteren Aspekt, der eben genannt wurde und uns allen sehr wichtig ist, lenken, nämlich die Stärkung des Ehrenamtes. Es muss uns gelingen, dass in Zukunft weiterhin junge Leute sagen: Ja, ich möchte mich für die Gesellschaft engagieren und ein Ehrenamt übernehmen. Das muss das Ziel aller Parteien hier im Hause sein. Hierfür müssen wir Anreize schaffen. Ich glaube, der Feuerwehrführerschein ist ein solcher Anreiz. Gerade in kleineren Gemeinden spielen Organisationen wie die Feuerwehr oder das THW für das Leben im Dorf und den Zusammenhalt in der Gemeinde, auch zwischen den Generationen, eine wichtige Rolle. Wir müssen gerade in diesem Zusammenhang an die Aussetzung der Wehrpflicht denken. Es ist gut, dass wir sie ausgesetzt haben. Das ist ein Erfolg der Regierung. Aber durch deren Aussetzung fällt eine Rekrutierungsquelle zum Beispiel für das THW weg, nämlich die Verpflichtung zu einem langjährigen Ersatzdienst. Ich glaube, auch unter diesem Aspekt sollten wir die Einführung des Feuerwehrführerscheins vorantreiben, damit das Ehrenamt gestärkt wird. ({3}) Lassen Sie mich zum Abschluss kurz auf die Diskussion eingehen, die auch im Bundesrat geführt wurde. Der federführende Verkehrsausschuss hat eine bundeseinheitliche Lösung gefordert, auch wenn im Gesetzentwurf des Bundesrates weiterhin die Länderlösung vorgesehen ist. Zwar kann man über eine bundeseinheitliche Lösung diskutieren, aber es ist sinnvoll, eine Länderlösung anzustreben. Eine solche Lösung stärkt die Länderhoheit und ermöglicht passgenaue Lösungen für jedes Bundesland. Allerdings werden die Länder nicht davon abgehalten, sich eng abzusprechen, damit es zu keiner völligen Zersplitterung der Rechtslage kommt. Ich hoffe, bei diesem Thema finden wir einen breiten Konsens zwischen den Fraktionen. Es geht um die Sicherung der Einsatzfähigkeit unserer Rettungsorganisationen und um die Stärkung des Ehrenamtes. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Thomas Lutze von der Fraktion Die Linke. ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der großen Einigkeit über dieses Thema gestatten Sie mir, dass ich mich kurzfasse. Es macht nämlich wenig Sinn, hier sämtliche Details meiner Vorrednerinnen und Vorredner zu wiederholen. ({0}) - Es ist etwas ungewohnt, als Oppositionspolitiker aus dieser Richtung Applaus zu bekommen. - Das meiste, was gesagt wurde, war sachgemäß und richtig. Im Gegensatz zu meiner Kollegin von der SPD sehe ich keinen sonderlich großen Diskussionsbedarf. Es gibt einzelne Punkte wie die EU-Konformität und die einheitlichen Prüfrichtlinien, über die in der Tat diskutiert werden muss; aber das sind Details. Ich denke, die damit verbundenen Probleme wird man im Verkehrsausschuss in absehbarer Zeit einvernehmlich lösen können. Es ist zu Recht gesagt worden: Die freiwilligen Feuerwehren hatten bei der Vereinheitlichung der Umsetzung des europäischen Rechts das Nachsehen. Ehrenamtlich engagierte junge Menschen mit der alten Führerscheinklasse 3 gibt es immer weniger. Ich selber - man merkt an meinem Dialekt, dass ich in der DDR aufge11026 wachsen bin - hatte einen Führerschein für Fahrzeuge bis 2,8 Tonnen. Mit dem Tag der Deutschen Einheit war ich berechtigt, Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen zu steuern, ohne jemals auf einem solchen Lkw gesessen zu haben. Es gab auch keine Fahrprüfung. Das war halt so. Das war für mich eine sehr positive Erfahrung. Diese Regelung ist, wie gesagt, korrigiert worden. Das Problem für die Betroffenen ist allerdings gleichzeitig banal und fatal: Wer als junger Mensch nicht gerade eine Betätigung als Kraftfahrerin oder Kraftfahrer in der Transportbranche anstrebt, der wird die Kosten und die Mühen einer zusätzlichen offiziellen Führerscheinausbildung sicherlich nicht in Kauf nehmen. Eine Lösung, die den Angehörigen der freiwilligen Feuerwehren und weiterer Dienste das Führen von Fahrzeugen bis 4,75 Tonnen ermöglicht, erweist sich offensichtlich als nicht ausreichend - darauf haben auch die Vorredner hingewiesen -, weil viele Einsatzfahrzeuge einfach aufgrund der Entwicklung die Gewichtsgrenzen überschreiten. Die Fahrzeuge, die angeschafft werden, werden in der Tendenz immer schwerer. Als Lösung bietet sich einzig und allein die Anhebung der Gewichtsgrenze im Rahmen des sogenannten Feuerwehrführerscheins auf 7,5 Tonnen an. Dazu gibt es gar keine Alternative. Kritisiert wurde die Möglichkeit der organisationsinternen Ausbildung und Prüfung. Natürlich wäre der optimale Weg eine ordentliche Ausbildung durch professionelle Fahrlehrer. Wir reden allerdings hier im Parlament über eine Notlösung. Eine professionelle Ausbildung, wie sie sicherlich wünschenswert wäre, ist für die meisten Organisationen und auch für die betroffenen ehrenamtlichen Helfer im Prinzip schlichtweg nicht finanzierbar. Zur Wahrheit gehört auch: Den Inhabern des alten Führerscheins Klasse 3 wurde die Lkw-Fahrberechtigung erteilt, ohne dass die Auszubildenden jemals eine Ausbildung für einen 7,5-Tonner hatten. ({1}) Eine organisationsinterne Ausbildung und Prüfung ist im Prinzip eine Verbesserung des Standards, der bis 1999 gegolten hat. Gestatten Sie mir eine letzte Anmerkung, weil das vielleicht an diesem Punkt ein bisschen zur Gretchenfrage wird. Im Gegensatz zum Kollegen Luksic würde ich empfehlen, eine bundesweit einheitliche Regelung anzustreben und dies nicht in die Länderhoheit zu geben. Ich kann nicht erkennen, wie sich eine freiwillige Feuerwehr in einem Ort in Thüringen unterscheidet von einer freiwilligen Feuerwehr in einem Ort im Saarland. Das funktioniert alles nach demselben Prinzip. Deshalb sehe ich keinen Grund, ländereinheitliche Regelungen zu machen. Lassen Sie uns das bundesweit einheitlich regeln. Die freiwilligen Feuerwehren, das Technische Hilfswerk und die ganzen Organisationen arbeiten alle nach demselben Prinzip. Die Notwendigkeit für eine länderspezifische Hoheit kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dr. Valerie Wilms vom Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist keine Frage: Feuerwehren, Technisches Hilfswerk, DLRG und Katastrophenschützer bilden eine wichtige Grundlage für die Sicherheit in unserem Land. Sie kommen dorthin, wo andere weglaufen. Das sollte uns auch einen Applaus des Hauses wert sein. ({0}) Diese Helfer sind auch immer wieder Botschafter unseres Landes. Sie helfen, wenn andere Länder in Not geraten sind. Diese Tage werden völlig überschattet von der Katastrophe in Japan. Auch hier sind unsere Helfer vor Ort. Diese Helfer können in kürzester Zeit Menschen retten, versorgen und erste Schritte zur Normalität gehen. Mit einer guten Infrastruktur in der Not- und Katastrophenhilfe tragen wir ganz entscheidend zur Erhaltung und Sicherung unseres Wohlstandes bei. ({1}) Voraussetzung für einen guten Katastrophenschutz sind viele freiwillige Helfer, die gut ausgestattet und gut ausgebildet sind. Gleichzeitig wissen wir, dass besonders die freiwilligen Feuerwehren auch eine wichtige soziale Aufgabe wahrnehmen. Viele junge Menschen haben hier eine Möglichkeit, sich zu engagieren und sich zu bilden. Nicht wenige finden als Helferinnen und Helfer ihren Sinn des Lebens. Das müssen wir unterstützen. ({2}) Deswegen müssen wir eine Lösung finden, wie wieder mehr Menschen die Einsatzfahrzeuge fahren dürfen. Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben relativ deutlich aufgezeigt, worin die Schwierigkeiten liegen. Auf diese möchte ich deshalb nicht eingehen. Pragmatische Lösungen begrüßen wir an dieser Stelle, wenn sie nicht zulasten der Sicherheit gehen. Für mich gibt es beim vorliegenden Entwurf durchaus Fragen, die wir nicht so einfach vom Tisch fegen können. So ist zum Beispiel das Unfallrisiko bei Einsatzfahrten unter Blaulicht achtmal so hoch wie bei normalen Fahrten. Dazu werden Katastrophenschützer oft Extremsituationen ausgesetzt, auf die sie gut vorbereitet werden müssen. Auch die oft hohen Fahrgeschwindigkeiten und die Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit benötigen eigentlich eher eine bessere Ausbildung, als dass darauf verzichtet werden kann. Im Ernstfall sind manche sonst überfordert und verschlimmern die Probleme, statt schnell und gezielt zu helfen. Als Helfer braucht man deswegen eine gründliDr. Valerie Wilms che theoretische und praktische Ausbildung und sollte psychologisch geschult werden. Ich habe hierbei Vertrauen in die Fähigkeiten der Feuerwehren, diese Ausbildung selbst zu übernehmen. Wir sollten aber darauf achten, dass wir nicht nur handeln, weil es eine kostengünstige Lösung ist. Wir wollen kein Dumping zulasten der Sicherheit. Als Grüne sehen wir daher Diskussionsbedarf und wollen hierzu gern im zuständigen Fachausschuss beraten. Wir erkennen klar den Bedarf für eine Lösung. Da müssen wir ran. Wir müssen dies aber in aller Ruhe tun und die Ansätze abwägen. Ich hoffe dabei auf die Bereitschaft der Koalitionsfraktionen. Ich gehe davon aus, dass wir daraus gelernt haben und durchgepeitschte Gesetze nicht mehr der Stand der Dinge sind. Der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt einen Ansatz, den wir in den Ausschüssen beraten werden. Wir Grüne arbeiten hieran gern konstruktiv mit. Dabei sollten wir ernsthaft die Frage diskutieren, ob wir eine bundeseinheitliche Richtlinie brauchen oder ob wir das den Ländern überlassen sollten. Lassen Sie uns gemeinsam an einer guten Lösung für unsere Ehrenamtler vor Ort arbeiten. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Gero Storjohann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vieles ist hier gesagt worden. Die älteren Kollegen erinnern sich noch an die Anfangsdebatten zum Feuerwehrführerschein. ({0}) Wir sind jetzt dabei, ein gutes Gesetz auf den Weg zu bringen. Ein schlanker und unbürokratischer Feuerwehrführerschein wäre längst möglich gewesen, scheiterte aber an der ehemals sozialdemokratischen Hausführung im Bundesverkehrsministerium. ({1}) Die christlich-liberale Koalition unterstützt - das kann nicht oft genug gesagt werden - mit dem neuen Feuerwehrführerschein die vielen Tausend Bürgerinnen und Bürger, die sich bei den technischen Hilfswerken, beim Katastrophenschutz oder bei unseren Feuerwehren ehrenamtlich für unsere Gesellschaft engagieren. Sie tragen mit ihrer Arbeit zu unser aller Sicherheit bei. Gerade im ländlichen Raum sind die Feuerwehren und die Rettungsdienste ein wichtiger und fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. ({2}) Unsere Aufgabe - so sehe ich es - ist, diese Arbeit zu unterstützen. ({3}) Ein besonderer Dank ist in diesem Zusammenhang dem Bundestagskollegen und jetzigen Staatssekretär Andreas Scheuer auszusprechen, der in unseren Arbeitsgruppen immer wieder deutlich gemacht hat, dass wir hier eine bessere Lösung benötigen, als bisher vereinbart. ({4}) Laut einer Schätzung wären 16 000 Einsatzfahrzeuge in der Gewichtsklasse 3,5 bis 7,5 Tonnen von der Neuregelung betroffen. Das bedeutet, dass rund 100 000 ehrenamtliche Einsatzkräfte davon profitieren würden. Für jedes Fahrzeug müssen in der Regel fünf Personen mit Fahrerlaubnis zur Verfügung stehen, damit es im Falle des Falles einsatzfähig ist. Nichts wäre schlimmer, als wenn ein Einsatz anstünde und niemand das Fahrzeug bewegen könnte. Selbstverständlich kann man sich auf die Straße stellen, einen Lkw anhalten und den Fahrer innerhalb kürzester Zeit dienstverpflichten. Aber darauf möchte man sich nicht unbedingt verlassen. Ich halte es für sachgerecht, die Kompetenz, den Feuerwehrführerschein durch Rechtsverordnungen spezifisch auszugestalten, bei den Ländern zu belassen. Das wurde hier schon kritisch diskutiert. Der Feuerwehrführerschein sollte in diesem Fall aber in allen Bundesländern anerkennungsfähig sein. Denn Feuerwehrleute müssen ja durchaus beruflich flexibel sein und möchten, wenn sie sich zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern bewegen, nicht jedes Mal mit einer anderen Rechtsverordnung konfrontiert werden. ({5}) Wir halten es sehr wohl für sinnvoll, dass die Bundesländer hier eigenverantwortlich tätig sind. Denn die Fahrzeuge in Bayern zeichnen sich durch eine andere Funktionsfähigkeit aus als die in Schleswig-Holstein. Die einen haben Flüsse zu sichern, die anderen Deiche. Die SPD ist die einzige Fraktion, die Zweifel bezüglich der Verkehrssicherheit bei Einsatzfahrten angebracht hat. Ich glaube nicht, dass es spezielle Untersuchungen in Bezug auf Feuerwehreinsatzfahrten gibt; die Untersuchungen beziehen sich allgemein auf Blaulichtfahrten. Hier geht es in erster Linie um Personen, die in diesem Bereich hauptberuflich tätig sind. Schon heute gibt es Unfallgeschehen bei Einsatzfahrzeugen im Bereich Polizei und Feuerwehr; das ist nicht zu bestreiten. Deswegen brauchen wir eine Topausbildung. ({6}) Diese erfolgt bei den Feuerwehren auch. Der Führerschein allein sichert nicht die Befähigung, das Fahrzeug im Einsatz unter Stress sicher zu lenken. ({7}) Aber wir sprechen hier in erster Linie von Fahrzeugen im ländlichen Bereich. Die Verkehrssituation dort ist nicht vergleichbar mit der in Hamburg, München oder Köln. Im ländlichen Bereich kann man solche Einsätze üben. Wenn die jungen Leute Fahrzeugführer werden wollen, können sie dort entsprechend vorbereitet werden. ({8}) Die feuerwehrtechnische Ausbildung halten wir sehr wohl für sinnvoll. Wir haben auch keinen Zweifel daran, dass die Feuerwehr die bestmögliche Ausbildung garantieren wird. So habe ich jedenfalls meine Feuerwehr kennengelernt. Sie ist korrekt und achtet darauf, dass alles gut abgewickelt wird. ({9}) Meine Damen und Herren, auch ich weiß, dass dieser Feuerwehrführerschein von den Kommunalpolitikern, hauptsächlich Bürgermeistern, aber auch von den Feuerwehrkameraden förmlich herbeigesehnt wird. Deswegen ist hiermit eine gründliche Beratung, aber auch eine schnelle Umsetzung versprochen. Trotzdem wird das Gesetz nicht durchgepaukt; denn wir haben schon eine lang andauernde Diskussion geführt und sollten jetzt zu einer Entscheidung kommen. ({10}) Die Kommunen werden es uns danken. Da ich schon jetzt Wahlkreisabgeordnete der SPD erlebe, die die Segnungen des neuen Feuerwehrführerscheins als eigene Idee verkaufen, möchte ich die Prognose wagen, dass wir hier im Parlament zu einer breiten Mehrheit kommen. Es hilft auch den Teams der Feuerwehrkameraden, wenn sie wissen: Sie bekommen unsere breite Unterstützung. Die Punkte, die angesprochen wurden, werden wir noch würdigen müssen. Glück auf in den Ausschussberatungen! ({11}) Wir sollten es kurzfristig schaffen, ein gutes Gesetz auf den Weg zu bringen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/4981 und 17/2766 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Klaus Barthel, Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Fairen Rohstoffhandel sichern - Handel mit Seltenen Erden offenhalten - Drucksachen 17/4553, 17/4910 Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Breil Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Klaus Breil von der FDP-Fraktion das Wort. ({1})

Klaus Breil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004020, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir - damit meine ich die christlich-liberale Koalition und unsere Bundesregierung - wissen: Die stark gestiegene Nachfrage nach Seltenen Erden hat in den vergangenen Monaten zu einem raschen Preisanstieg geführt. Wir wissen auch, dass das protektionistische Verhalten der Volksrepublik China der deutschen Industrie Sorgen bereitet. China ist derzeit der einzige Exporteur Seltener Erden. Deshalb fürchtet die Industrie um ihre Versorgung mit diesen wichtigen Rohstoffen. Es ist offensichtlich, dass hier die Politik zusammen mit der Wirtschaft reagieren muss. ({0}) Aber mit Verlaub: Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hat im Oktober letzten Jahres seine Rohstoffstrategie veröffentlicht und entsprechende Rohstoffdialoge initiiert. Der Antrag der SPD läuft diesen Initiativen hinterher. ({1}) Rohstoffversorgung ist die Zukunftsaufgabe. Das ergibt sich schon alleine aus folgendem Zusammenhang: Wachsende Weltbevölkerung bedeutet wachsender Energie- und Rohstoffbedarf. Dabei sind noch unter keiner Bundesregierung, schon gar nicht unter Rot-Grün, so viele Initiativen zur Rohstoffversorgung gestartet worden wie unter Rainer Brüderle. Zusätzlich zu den Aktivitäten der auch im weltweiten Vergleich hochkompetenten Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover hat der Bundeswirtschaftsminister vieles auf den Weg gebracht: Rohstoffdialoge, Rohstoffstrategie, Rohstoffagentur, eine eigene Unterabteilung „Rohstoffpolitik“ im Ministerium und bilaterale RohstoffpartKlaus Breil nerschaften. Das sind unsere Antworten auf die drängenden Fragen der Rohstoffversorgung. Bei den Rohstoffpartnerschaften möchte ich zudem auf die hervorragende Arbeit eines weiteren liberalen Bundesministers hinweisen: Dirk Niebel hat in seinem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf die Fehler der Vergangenheit reagiert. ({2}) Höhere Investitionen in Entwicklungsländer sollen zuallererst privatwirtschaftlich angestoßen werden. Nur dadurch werden die Strukturen vor Ort stabilisiert. Voraussetzung dafür ist aber Transparenz. Sie verhindert illegale Aktivitäten. Wirtschaftswachstum aus der eigenen Mitte ist der Schlüssel, um Armut sukzessive abzubauen. Investitionen vor Ort, besonders in den vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten, schaffen Arbeitsplätze. Sie führen zu Folgeinvestitionen und damit zu Weiterentwicklungen. Rohstoffpartnerschaften werden so zu Win-win-Situationen. Wir fordern von den Partnerregierungen aber die Einhaltung von Menschenrechten, gutes und transparentes Regierungshandeln und die Bekämpfung von Korruption. Wir müssen vor allem ganz besonders darauf achten, dass Umwelt- und Sozialstandards angemessen hohen Maßstäben genügen; sonst darf es keine Unterstützung geben. Die Bundesregierung hat jedenfalls ihre Hausaufgaben gemacht. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dürfen das natürlich gerne durch nachlaufende Anträge bestätigen. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie kurz auf den aktuellsten Stand bringen. Die Bundesregierung ist derzeit in Gesprächen über bilaterale Rohstoffpartnerschaften. Ein Beispiel dafür ist Mongolia. Dort liegt neben der weltweit wichtigsten neu entwickelten Kupfermine Oyu Tolgoi die Bayan-Obo-Mine mit einem der attraktivsten Vorkommen Seltener Erden. Dies alles zeigt: Die Bundesregierung bedarf ihrer Fingerzeige nicht, auch dann nicht, wenn es um die Erleichterung des Handels mit Seltenen Erden geht. Noch in diesem Jahr beginnen zwei weitere Minen außerhalb Chinas mit der Förderung Seltener Erden. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies auf Verfügbarkeit und Preise auswirken wird. So birgt die gegenwärtige Situation sicher auch Chancen für andere Länder, ihre Vorkommen umweltverträglicher zu explorieren. Gleichwohl: Die Situation der letzten Monate ist für uns und ganz besonders für die deutsche Wirtschaft ein deutlicher Weckruf. Es war ein Fehler der Industrieunternehmen, das erste Glied in der Wertschöpfungskette der Rohstoffwirtschaft ohne Not aufzugeben. Für eine Rückwärtsintegration ist es heute zu spät. Die Kosten dafür wären schlicht zu hoch. Also werden wir uns dafür einsetzen, einseitige Abhängigkeiten und Handelsbarrieren abzubauen. Im Übrigen müssen wir dafür sorgen, dass Sanktionen vonseiten der WTO auch greifen. Dafür stehen wir Liberale, dafür stehen unsere Bundesminister Rainer Brüderle und Dirk Niebel, und dafür steht die ganze Bundesregierung. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Klaus Barthel von der SPDFraktion. ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende unserer Beratungen über unseren Antrag zu fairem Rohstoffhandel in Plenum und Ausschüssen ist zweierlei deutlich: Erstens, Herr Breil, müsste die Koalition eigentlich froh sein, dass wir die Debatte über die künftige Rohstoffversorgung in Deutschland und über die weltweite Rohstoffpolitik einmal von den Homepages des Wirtschaftsministeriums und der Institute in den Deutschen Bundestag geholt haben und unabhängig von den schubweisen Panikattacken auf den Börsenparketten behandeln. Zweitens müsste die Koalition, wenn sie ihre Redner und ihre Reden ernst nimmt, unserem Antrag eigentlich zustimmen. Argumente dagegen haben wir bis heute nicht gehört. Wir haben bemerkt, dass viele in der Koalition insgeheim froh sind, dass wir dem Bundeswirtschaftsminister endlich einmal Dampf machen, damit er es nicht länger bei flotten Sprüchen und der Verkündung irgendwelcher Strategien belässt. In der Kürze folgende Anmerkungen: Die Engpässe und die Preisexplosion bei den Seltenen Erden sind nur die Spitze des Eisbergs. Mit Recht stellt eine aktuelle Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik fest - ich zitiere -: Die Allokation von Ressourcen gilt als eines der größten Sicherheitsrisiken des 21. Jahrhunderts. Wenn erst einmal die Produktion wichtiger Güter, wie zum Beispiel elektronischer Geräte, wegen Rohstoffengpässen eingeschränkt werden müsste, dann stiege der Druck allenthalben sehr schnell. Wenn es erst einmal eng geworden ist, dann kann sich der Druck auch in Richtung Panikreaktionen und falscher Risikobereitschaft auswachsen. Auf nationaler Ebene können wir das Rohstoffproblem nicht lösen, aber wir können einen Beitrag zur Lösung leisten. Der Ruf nach der Wirtschaft und den freien Weltmärkten reicht nicht, weil das Drama der rohstoffreichen Länder unter dem Regime freier Märkte gerade darin besteht, dass die Menschen dort - mit wenigen Ausnahmen - nichts von dem Rohstoffreichtum haben und dass es gerade die Rohstofflieferländer sind, die weit überdurchschnittlich am Mangel an Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit und Wohlstand leiden. Der Verdacht liegt nahe, dass der Rohstoffreichtum und diese Mängel etwas miteinander zu tun ha11030 ben und dass die Gefahr groß ist, dass genau dies zu Instabilität und zu Verwerfungen führt, wie wir das gerade in Nordafrika erleben. Hat nicht gerade jener freie Markt zu den Fehlentwicklungen geführt, die wir heute beklagen, nämlich dass wir die Erkenntnisse über die Knappheiten übersehen haben, dass es Monopole und Oligopole bei der Gewinnung und dem Handel mit Rohstoffen gibt, dass es Spekulationen gibt? Wenn wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen heute vom ungehinderten Zugang zu sicherer Rohstoffversorgung für die Industrie sprechen, dann meinen wir damit bestimmte Bedingungen: weltweit geltende faire Regeln, möglichst weitgehende Ausschaltung von Spekulation und die Vermeidung von einseitigen politischen Eingriffen, von welcher Seite auch immer. ({0}) Drittens. Eine dieser Regeln ist die Transparenz über Vorkommen, Handelsströme und Verbrauch, über Finanzströme und Verteilung der Erträge. Dies finge bei uns damit an, dass die Erkenntnisse unserer steuerfinanzierten Deutschen Rohstoffagentur und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, allgemein zugänglich sind und nicht nur ausgewählten bzw. unmittelbar interessierten Kreisen. Die Forderung nach offenen Märkten und Transparenz verträgt sich nicht mit der Geheimnistuerei, der wir dort teilweise begegnen. Zur internationalen Transparenzinitiative, EITI, wird Kollege Raabe noch einiges sagen. Nur so viel: Verbal unterstützt die Koalition diese Transparenz. Aber wer genau zuhört, erkennt, dass Schwarz-Gelb mit Transparenz immer nur die anderen meint. Wie sonst wäre es erklärbar, dass es ausgerechnet die Bundesregierung ist, die auf europäischer Ebene bisher auf der Bremse steht, wenn es um die volle Unterstützung von EITI durch die EU geht, ({1}) wenn es um die Schaffung wirksamer Regeln zur Korruptionsbekämpfung in der EU geht? Selbst in den USA gibt es mit dem Dodd-Frank-Act solche Regeln schon seit über einem Jahr. Heute, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Koalition, wäre die Chance für ein klares Wort in dieser Frage, zur Haltung der Bundesregierung zu diesen Initiativen und zu Wahrheit und Klarheit bei der Haltung in der Europäische Union. Viertens wären noch Energieeffizienz und Recycling zu erwähnen. Ein Blick auf die Reden in der ersten Beratung über diesen Antrag ergibt: Da sind spannende Sachen über erneuerbare Energien und über Erneuerbarkeit insgesamt gesagt worden, nämlich dass das alles wahnsinnig teuer sei. Dann wurde wieder auf die billige Atomenergie angespielt. Lesen Sie es noch einmal nach und korrigieren Sie es bitte! Das wäre sehr hilfreich. ({2}) Zum Schluss darf ich noch einmal die SWP zitieren. Ihrer Meinung nach bedarf es „eines integrierten Ansatzes für eine Rohstoffstrategie, die Wirtschafts- und Entwicklungspolitik, Außen- und Sicherheitspolitik, Umwelt- und Technologiepolitik miteinander verbindet, also ressortübergreifend wirkt“. Ich finde, wir sollten endlich anfangen, daran zu arbeiten. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Andreas Lämmel von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man täglich die Zeitungen aufschlägt und in die Wirtschaftsteile blickt, stellt man fest: Rohstoffe sind das Megathema an allen Fronten. ({0}) Dabei geht es nicht nur um Seltene Erden, sondern um Rohstoffe insgesamt. Wenn man sich die Rangfolge der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt genau anschaut, stellt man fest, dass in diesem Jahr von den Top 10 immerhin fünf Unternehmen mit der Förderung, der Verarbeitung und dem Verkauf von Bodenschätzen befasst sind. 2006 war es nur ein Unternehmen in den Top 10. Daran kann man also sehen: Rohstoffe sind zum einen ein wichtiges Thema und zum anderen ein guter Stoff, Geschäfte zu machen. Herr Barthel, damit wir uns nicht falsch verstehen: Der von Ihrer Fraktion gestellte Antrag, den Sie verteidigt haben, ist im Grunde nicht falsch, sondern veraltet. Die Dinge, die Sie fordern - ich komme gleich darauf -, sind nämlich zum großen Teil schon in Arbeit bzw. sind schon erledigt. Es ist interessant, dass die rot-grüne Regierung damals nicht in der Lage war, eine Rohstoffstrategie zu entwickeln. Erst die christlich-liberale Koalition hat das Thema angepackt. Sie hat im Dialog mit Politik, Wirtschaft und allen beteiligten Partnern eine Rohstoffstrategie auf den Weg gebracht, über die wir heute diskutieren können. ({1}) Meine Damen und Herren, die Rohstoffstrategie der Bundesregierung ist ein ganzheitlicher Ansatz für die Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft. Sie geht beispielsweise in die aktuelle Technologieoffensive oder in die aktuelle Mittelstandsoffensive des Bundeswirtschaftsministeriums ein. Ebenso sind organisatorische Maßnahmen im Bundeswirtschaftsministerium getroffen worden. Es wurde eine Unterabteilung „Rohstoffpolitik“ eingerichtet. Herr Barthel, so etwas hat es unter RotGrün nie gegeben. Sie haben korrekt angemerkt, dass die Sicherung der Rohstoffbasis „zuallererst Aufgabe der Unternehmen“ ist; darin stimmen wir überein. Dazu muss man sagen: Die Politik kann nur flankierend wirken, also nur unterstützende Maßnahmen ergreifen. Ich komme zu drei Punkten aus Ihrem Antrag. Erstens. Sie fordern Rohstoffpartnerschaften und Rohstoffabkommen sowie einen „offenen und fairen Zugang im Rohstoffhandel“. Es wird schon seit einiger Zeit über Rohstoffpartnerschaften verhandelt. Dafür brauchen wir nicht Ihren Anstoß. Bevor man wirklich über Rohstoffpartnerschaften verhandeln kann, muss die Wirtschaft ihre Bedarfe formulieren; sie muss sich darüber klar sein, über welche Rohstoffe, über welche Mengen verhandelt werden soll. Herr Barthel, die erste Rohstoffpartnerschaft steht kurz vor ihrem Abschluss bzw. ist schon sehr weit ausverhandelt. Dann werden wir doch einmal sehen, ob Sie diese Partnerschaft wirklich unterstützen. Sie machen einen bemerkenswerten Schwenk. Sie verknüpfen in Ihrem Antrag erstmalig die Außenpolitik und die Entwicklungszusammenarbeit mit der Rohstoffpolitik. Eine solche Verknüpfung haben Sie bisher immer geleugnet. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie die SPD-Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit hier im Plenum stand und jeglichen Zusammenhang geleugnet hat. Wir danken Ihnen für diesen Schwenk; denn er macht die Arbeit in Zukunft möglicherweise leichter. Sie wissen, dass hinsichtlich des freien Zugangs zu Rohstoffmärkten ein Verfahren der WTO gegen China läuft. Auch hier ist die Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung aktiv geworden. Zweitens. Sie fordern die Nutzung heimischer Lagerstätten; das ist ein ganz spannendes Thema. Ich halte das für einen guten Vorschlag. Er wird übrigens umgesetzt. Vielen Dank, dass Sie mit Ihrem Antrag den Abbau von Rohstoffen in Sachsen unterstützen. Wir werden uns das gut merken. Jeder Abbau von Rohstoffen ist ein Eingriff in die Natur. Wir sind sehr gespannt, zu sehen, ob Sie die Abbauaktivitäten vor Ort unterstützen oder ob die SPD, die Grünen oder die Linken vielleicht in vorderster Front stehen, wenn es darum geht, den Abbau von Rohstoffen sowie neue Aufschlüsse zu verhindern. Dann zeigt sich möglicherweise ein Gegensatz zwischen der Politik, die Sie draußen machen, und dem, was Sie hier am Pult erzählen. ({2}) Wir haben in Deutschland ein großes Problem. Große Teile des Landes sind in Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiete eingeteilt. Wir werden darüber diskutieren müssen, ob Sie uns unterstützen, wenn es darum geht, möglicherweise auch in Natura-2000-Gebieten Rohstoffabbau zu betreiben und dort Rohstoffvorkommen zu erschließen. ({3}) Drittens. Sie thematisieren das Recycling. Recycling ist wichtig und richtig. Herr Barthel, hier hoffen wir auf Ihre Unterstützung, wenn es im Deutschen Bundestag zur Lesung der Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes kommt. Dann werden wir sehen, wie viel Ihre Unterstützung wert ist. Ich komme zu einer Maßnahme, die Sie nicht gefordert haben - die Bundesregierung hat sie unabhängig von Ihnen ergriffen -, der Einrichtung der Deutschen Rohstoffagentur. Die Deutsche Rohstoffagentur wird der deutschen Wirtschaft die Daten liefern, die notwendig sind, um zu sehen, welche Rohstoffe in welcher Menge auf der Welt vorhanden sind, wo abgebaut werden kann, wo man sich an welchen Neuaufschlüssen beteiligen kann. Gerade bei den Seltenen Erden - das wissen Sie ganz genau - gibt es weltweit Lagerstätten, also nicht nur in China. Um den Engpass abzubauen, der auch durch China verursacht wird, muss es jetzt darum gehen, neue Lagerstätten zu erschließen. Wir werden sehen, wie Ihre Unterstützung an dieser Stelle letztendlich aussieht. Herr Barthel, in Ihrem Antrag fordern Sie, dass die Bundesregierung Instrumente bereitstellt, die dazu dienen, die Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Rohstoffen zu gewährleisten. Ich kann Ihnen sagen, welche Instrumente es gibt - die Bereitstellung dieser Instrumente hätten Sie in Ihrem Antrag gar nicht fordern müssen -: Es gibt Hermesbürgschaften, es gibt die ungebundenen Finanzkredite, und es wird eine Explorationsunterstützung geben. Das sind die Instrumente, die im Moment erforderlich sind, damit sich die deutschen Unternehmen auf dem Rohstoffmarkt stärker einbringen können. ({4}) Fazit: Das Thema Rohstoffsicherung ist längst ein bedeutender Teil der politischen Agenda der christlich-liberalen Koalition. Anträge Ihrer Fraktion dazu brauchen wir nicht. Es ist notwendig, dass wir das Rohstoffthema insgesamt betrachten und die Diskussion nicht auf die Seltenen Erden verengen. Die christlich-liberale Koalition beachtet diesen Grundsatz. Herr Barthel, weil Ihr Antrag veraltet ist, können wir ihm leider nicht zustimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Ulla Lötzer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Stellen wir die Debatte einmal wieder vom Kopf auf die Füße, Herr Lämmel. ({0}) Richtig ist: China fördert derzeit 90 Prozent der Seltenen Erden. Richtig ist aber auch: China verfügt nur über knapp 30 Prozent der Reserven an Seltenen Erden. Die deutsche Industrie freute sich wie andere auch über die billigen Rohstoffe. Niemand scherte sich auch nur einen Deut um die katastrophalen Arbeits- und Umweltbedingungen, unter denen sie in China gefördert werden. Den Rest der Seltenen Erden hat man in der Erde gelassen, weil die Lieferung aus China viel billiger war. Diese Ab11032 hängigkeit hat nicht China produziert, diese Abhängigkeit ist selbst gewählt. Statt jetzt darüber zu klagen oder China die Schuld zuzuschieben, hätten Sie besser vorher eine andere Rohstoffpolitik gemacht. ({1}) Kollege Barthel, die von Ihnen geforderte weitergehende Handelsliberalisierung als Lösung verbessert den Zustand aber nicht. Wer einen fairen Handel will, muss erst einmal anerkennen, dass die Rohstoffe den Rohstoffländern gehören. Da wir dies anerkennen, haben diese Länder aus unserer Sicht auch die Legitimation, Exportbeschränkungen zu verfügen und regulierende Maßnahmen zu erlassen. Sie, Kollege Lämmel, führen die Diskussion, als ginge es um den freien Zugriff unserer Wirtschaft auf unsere Rohstoffe, die scheinbar nur aufgrund eines Missverständnisses der Natur im Boden anderer Länder liegen. ({2}) Statt einer verschärften Konkurrenz um den Zugang zu begrenzten Rohstoffen, brauchen wir auf internationaler Ebene partnerschaftliche Regeln und die Einführung sozialer und ökologischer Mindeststandards in Handelsverträgen. Statt Freihandel brauchen wir eine faire Beteiligung der Entwicklungs- und Schwellenländer an den Gewinnen und eine Verhinderung von Rohstoffspekulationen. ({3}) Hauptziel einer Rohstoffpolitik sollte nicht Beschaffungskonkurrenz, sondern die drastische Reduzierung des Ressourcenverbrauchs sein. ({4}) Derzeit verbrauchen einige wenige Industrieländer innerhalb weniger Jahrzehnte hemmungslos die begrenzten Ressourcen der Welt. Trotz des Bekenntnisses zur Rohstoffeffizienz ist der absolute Verbrauch an Rohstoffen in der EU der 27 in den letzten Jahren um mehr als 10 Prozent gestiegen. Einen weiteren wichtigen Beitrag muss der Ausbau eines umfassenden Recyclingsystems für die wichtigen Metalle leisten. Kollege Breil, ich weiß zwar, dass Ihnen das ein Gräuel ist, aber an dieser Stelle muss der Staat steuernd eingreifen. Er muss Anreize schaffen und darf nicht, wie in Ihrer Rohstoffstrategie - die eine Luftnummer ist - leere Versprechungen machen. ({5}) Wir brauchen konkrete politische Maßnahmen. Wir müssen Rohstoffeffizienz bei der öffentlichen Beschaffung zwingend vorschreiben. Wir brauchen eine Förderung des ökologischen Umbaus der Industrie durch eine regulierende Industriepolitik, eine Besteuerung des Rohstoffverbrauchs, was die EU-Kommission vorgeschlagen hat, und viele andere Maßnahmen. Wir haben jetzt Gelegenheit, in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ eine Konzeption zu entwickeln, mit der dann - hoffentlich gemeinsam - bessere Ergebnisse vorgelegt werden können, als sie mit diesem Antrag, aber vor allem auch im Rahmen der Rohstoffstrategie der Bundesregierung vorgelegt worden sind. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Nestle von Bündnis 90/Die Grünen.

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Staatssekretär Pfaffenbach hat in der letzten Sitzung des Wirtschaftsausschusses gesagt, Deutschland sei ein rohstoffarmes Land. ({0}) Das ist typisch für den Tunnelblick von Schwarz-Gelb. ({1}) Diese Perspektive ist nicht nur einseitig. Sie geht an der Realität vorbei; ({2}) denn wir verfügen über Rohstoffe hier vor Ort. Eine Tonne Handyschrott enthält 60-mal mehr Gold als eine Tonne Golderz, außerdem weitere knappe Rohstoffe wie Tantal. Recycling als Rohstoffgewinnungsstrategie hat enormes Potenzial - in Deutschland und darüber hinaus. ({3}) Allein in Europa werden nur 40 Prozent des Elektronikschrotts korrekt recycelt. Nach Schätzungen der UN landen weltweit jedes Jahr 40 Millionen Tonnen Elektrogeräte im Müll. Die ausgedienten Telefone, Computer oder Fernseher enthalten viele wertvolle und teils sehr seltene Metalle, die in großen Mengen zurückgewonnen werden und so der Wirtschaft zur Verfügung stehen könnten. ({4}) Auch für die Umwelt ist es besser, die Rohstoffe, die wir schon haben, mit innovativen Verfahren aus dem Müll wieder herauszulösen, als sie unter steigenden Belastungen für die Umwelt auszugraben. Damit wir dieses Potenzial nutzen können, brauchen wir aber eine andere Rohstoffstrategie, als die Bundesregierung sie vorgelegt hat. Die Kernbotschaft einer modernen Ressourcenstrategie ist: Ressourceneffizienz, Recycling, Substitution. Die Industrie muss ressourcensparender arbeiten und schon beim Design der Produkte über die Wiederverwertbarkeit nachdenken. Hierfür und nicht für das Graben nach den Ressourcen sollte die Wirtschaftspolitik in erster Linie Anreize setzen, ({5}) zum Beispiel mit Ordnungspolitik und finanziellen Anreizen wie einer besseren Förderung von ForschungsIngrid Nestle und Entwicklungsausgaben. Das ist auf Dauer aussichtsreicher als die Beschaffungsstrategie. Die Bundesregierung setzt mit dem Fokus auf die Beschaffung von Rohstoffen die falsche Priorität. Aber leider springt auch die SPD auf diesen Zug auf. Auch sie unterschätzt die Potenziale von Ressourceneffizienz, Recycling, Substitution. ({6}) Natürlich muss auch die von uns Grünen vorgeschlagene Innovationsstrategie durch eine Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen flankiert werden. Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen brauchen wir funktionierende offene Rohstoffmärkte. Aber Rohstoffpartnerschaften, wie jetzt mit Kasachstan angedacht, dürfen nicht exklusiv sein und damit die offenen Märkte gefährden. Sie müssen Win-win-Situationen für alle Beteiligten schaffen. Das heißt, auch die Menschen in den Abbauländern müssen davon profitieren, durch transparente Zahlungsströme, durch ökologisch und sozial verantwortbare Abbaubedingungen. Solche Partnerschaften dürfen den berechtigten Anspruch der Menschen auf Demokratie und Mitbestimmung in ihren Ländern nicht behindern. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in Ihrem Antrag steht sehr viel Richtiges, aber wir würden die Schwerpunkte anders setzen. Die Antwort auf Ressourcenverknappung muss heißen: weniger verwenden, wiederverwenden und durch günstigere Rohstoffe ersetzen. ({7}) Sie vernachlässigen darüber hinaus die europäische Perspektive, und Sie setzen auf die überholte Philosophie „mehr für uns“. ({8}) - Nein, wir haben den Antrag durchaus gelesen. - Wir richten den Fokus eher auf die Ressourceneffizienz, das „Wenigerverwenden“, das Wiederverwenden und das Ersetzen durch günstigere Rohstoffe; denn wir können in den Industrieländern nicht länger erwarten, dass aufgrund eines überproportionalen Verbrauchs ein überproportionales Recht auf Zugang zu Rohstoffen besteht. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es mag paradox klingen, dass ausgerechnet in vielen der ärmsten Länder dieser Erde die meisten Rohstoffe liegen. Ich glaube, dass wir alle uns fragen müssen: Warum sind viele Länder arm, warum sind die Menschen in diesen Ländern arm, obwohl dort Rohstoffe wie Öl, Gold und Diamanten oder eben auch Seltene Erden vorhanden sind? Für viele Entwicklungsländer sind Rohstoffe leider mehr Fluch als Segen. Natürlich kann man es sich leicht machen und sagen, dass die dortigen Regierungen dafür sorgen müssen, dass mehr entsprechende Steuern erhoben und die Umweltstandards eingehalten werden. Aber ein Teil der Wahrheit ist auch, dass es deutsche, dass es unsere Konzerne sind, die in diesen Länder Rohstoffe abbauen, und dass Unternehmen hier von diesen Rohstoffen profitieren ({0}) und sich zu wenig Gedanken darüber machen, was vor Ort in diesen Ländern passiert. Deswegen können wir das nicht, wie es in der Rohstoffstrategie der Bundesregierung steht, allein der Privatwirtschaft überlassen. Vielmehr brauchen wir verbindliche Regeln, damit Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden und die Rohstoffe endlich den Menschen zugutekommen, die sie fördern, und den Ländern, aus denen sie stammen. ({1}) Ich möchte kurz aus einem Artikel zitieren, in dem die Situation im Zusammenhang mit dem Abbau in China beschrieben wird. Hier steht: Aber auch dort, wo der chinesische Staat die Förderung der Seltenen Erden direkt kontrolliert, geschieht dies unter völliger Missachtung von Umweltschutz und Gefährdung der Anwohner. … unweit der Stadt Baotou. Auch hier werden die Seltenen Erden nicht mit umweltschonenden Methoden isoliert, sondern durch Auswaschen mit Schwefelsäure, Nitratsalzen und anderen Chemikalien. Anschließend wird die Brühe einfach in einen künstlichen See gepumpt, für den ein Staudamm errichtet wurde. Der Giftsee ist inzwischen zwölf Kilometer lang - auch dies ein Weltrekord. Er ist nicht nur voller Chemie, sondern enthält auch Tonnen radioaktiven Thoriums, das so gut wie immer in den Seltene-Erden-Erzen enthalten ist. Wenige Kilometer von der Kloake entfernt lagen bis vor kurzem mehrere Dörfer, die sich den unrühmlichen Namen „Krebsdörfer“ erwarben. Denn dort sind viele Menschen elendig an Krebs gestorben. Ich sage deshalb: Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Zustände in China und in anderen Entwicklungsländern vorherrschen, dass wir mit unseren Handys und unserer Produktion entsprechender Güter dazu beitragen. Herr Lämmel, Sie haben zitiert, dass auch wir der deutschen Wirtschaft zum Beispiel Hermesgarantien geben möchten. In unserem Antrag steht aber, dass staatli11034 che Garantien nur dann gegeben werden dürfen, wenn sich die Unternehmen strikt dazu verpflichten, die OECD-Leitlinien, den Global Compact der Vereinten Nationen, die EITI-Vereinbarungen für Transparenz und Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten. Nur dann dürfen diese Bürgschaften gegeben werden. ({2}) Ich sage an dieser Stelle: Diese Bundesregierung geht mit Hermesbürgschaften ganz anders um, als wir es damals zusammen mit den Grünen in unseren Richtlinien 2001 vorgesehen haben. Wir haben Hermesbürgschaften nur gegeben, wenn die ökologischen und sozialen Kriterien gestimmt haben. Sie geben Hermesbürgschaften mittlerweile nur nach den Kriterien, dass dadurch die Außenwirtschaft gefördert wird und möglichst viele Profite gemacht werden. Sie schrecken nicht einmal davor zurück, Hermesbürgschaften für den Bau von Atomkraftwerken in Brasilien und auch anderswo in der Welt zu geben. Das ist ein Skandal. Wir dürfen nicht mit deutschen Steuergeldern die Umwelt belasten, Menschen ausbeuten und Atomkraftwerke in Entwicklungs- und Schwellenländern bauen. ({3}) Wir haben in unserem Antrag natürlich keine umfassende Antwort auf die Rohstoffstrategie der Bundesregierung gegeben; da haben wir einen noch viel breiteren Ansatz. Es ist wichtig, dass wir nicht immer nur mit guten Worten Appelle an die deutsche Industrie und Wirtschaft richten, sondern dass wir fordern und sagen, dass das eine mit dem anderen verbunden ist. Wir verstehen unter Rohstoffpartnerschaften - das möchte ich zum Schluss noch sagen - Partnerschaften, die über die Einhaltung der Transparenzregelungen nicht nur der Entwicklung des Landes dienen, sondern über die Verteilung der Gewinne - das steht in unserem Antrag - auch der Bevölkerung zugutekommen. Auch darüber müssen wir mit den Regierungen reden. Ich hoffe, dass wir bald auch hier im Deutschen Bundestag ein Gesetz verabschieden - der Kollege Barthel hat es angesprochen -, mit dem alle Unternehmen, die an der Börse notiert sind, verpflichtet werden, ihre Geldzahlungen offenzulegen. Wenn selbst die USA ein solches Gesetz verabschieden,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- werden auch wir in Deutschland das tun können. Das sind wir den Menschen in Deutschland, vor allem aber in den Entwicklungsländern schuldig. Dafür sollten wir gemeinsam kämpfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank, Frau Präsidentin. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Fairen Rohstoffhandel sichern - Handel mit Seltenen Erden offenhalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4910, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4553 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die CDU/CSU, die FDP, Bündnis 90/ Die Grünen und Die Linke angenommen. Die SPD hat dagegen gestimmt. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung mautrechtlicher Vorschriften für Bundesfernstraßen - Drucksache 17/4979 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Dr. Andreas Scheuer. ({1})

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz zur Neuregelung mautrechtlicher Vorschriften für Bundesfernstraßen soll die Autobahnmaut für schwere Lkw auch auf Teile der Bundesstraßen ausgedehnt werden. Es handelt sich um eine Erweiterung des mautpflichtigen Straßennetzes. Alle anderen Merkmale wie die Mautsätze und die Bemautung nur von Lkw ab 12 Tonnen bleiben unverändert. Es sollen auch nur Abschnitte von Bundesstraßen bemautet werden, die ausbaumäßig einer Autobahn nahekommen. Diesem Projekt, der Maut auf Bundesstraßen, liegt die Überlegung zugrunde, dass insbesondere zu Autobahnen Bundesstraßen führen, die den Fahrkomfort einer Autobahn bieten. Das hat auch der BundesrechParl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer nungshof schon lange aufgezeigt. Er hat die Möglichkeit der Aufstufung zu Bundesautobahnen thematisiert, durch die der Bund weitere Mauteinnahmen erzielen könnte. Jedoch erfüllen viele dieser gut ausgebauten Bundesstraßen nicht sämtliche rechtlichen und technischen Voraussetzungen, die eine Autobahn zu erfüllen hat. Zu nennen wären zum Beispiel Anbauverbotszonen, höhenfreie Knotenpunkte und sonstige Ausbaustandards, zum Beispiel Mindestkurvenradien. Wir haben also gut ausgebaute Bundesstraßen, die aber im Gegensatz zur Autobahn nicht bemautet werden können, weil wir diese Straßen nicht zu Autobahnen aufstufen können, da das geltende Recht bis auf geregelte Ausnahmen in der Mautstreckenausdehnungsverordnung eine Bemautung nicht vorsieht. Diese Situation ist auch vor dem Hintergrund des erheblichen Finanzbedarfes für Erhalt und Ausbau der betroffenen Verkehrsinfrastruktur mehr als unbefriedigend. Der hier vorliegende Gesetzentwurf regelt die Ausdehnung der Lkw-Maut auf mindestens vierstreifige Bundesstraßen, die sich in der Baulast des Bundes befinden, mit Anbindung an eine Bundesautobahn, damit wir räumlich einen Bezug zum mautpflichtigen Autobahnnetz herstellen können. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf weitere Kriterien für einen zu bemautenden Bundesstraßenabschnitt vorgeschlagen: eine Mindestlänge von 5 Kilometern, eine bauliche Richtungstrennung und Verzicht auf eine Bemautung im innerstädtischen Bereich. Die Bundesregierung hat die Anliegen geprüft und wird dem Deutschen Bundestag Änderungen am mautpflichtigen Streckennetz durch die Regelung zusätzlicher Kriterien, wie jetzt folgt, empfehlen: Mindestlänge von 4 Kilometern, durchgehende bauliche Richtungstrennung, also ein durchgehender Mittelstreifen, und keine Bemautung von Strecken innerorts. Zudem soll empfohlen werden, die im Gesetzentwurf vorgesehene Bemautung von mittelbar an das Autobahnnetz angebundenen Strecken nicht mehr vorzusehen. Mit diesen vorgesehenen und empfohlenen Änderungen werden im Gesetz die zu bemautenden Strecken ausschließlich abstrakt-generell geregelt. Eine Auflistung wie bei den ursprünglich mittelbaren Strecken soll es nicht geben, auch nicht im Wege einer Rechtsverordnung. Es ist aber vorgesehen, die einzelnen mautpflichtigen Bundesstraßenabschnitte, die schon in den sogenannten Mauttabellen veröffentlicht sind, zusätzlich rechtssicher im elektronischen Bundesanzeiger bekannt zu machen. Mit der Regelung des zusätzlichen Kriteriums eines durchgehenden Mittelstreifens kommt der zu bemautende Bundesstraßenabschnitt einem autobahnähnlichen Zustand noch näher. Durch die zusätzlichen Abgrenzungsmerkmale wie Mindestlänge, Herausnahme von Ortsdurchfahrten und Herausnahme der mittelbaren Strecken wird auch den Befürchtungen der Länder hinsichtlich Mautausweichverkehren Rechnung getragen. Beim Stichwort Mautausweichverkehre möchte ich auf Folgendes hinweisen: Mautausweichverkehre stellen seit Einführung der Lkw-Maut auf Bundesautobahnen kein Flächenproblem dar; laut den konstatierten Untersuchungen liegt der verlagerungsbedingte Anstieg des Lkw-Verkehrs bei weniger als 4 Prozent. Auch zukünftig wird kein besonderer Anreiz zur Verlagerung erwartet. Wir werden dies allerdings prüfen und die Untersuchung zur Verlagerungswirkung vorlegen. ({0}) Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Kriterien sollen rund 1 000 Kilometer Bundesstraße zukünftig bemautet werden. ({1}) Das sind rund 1 000 Kilometer weniger als ursprünglich geschätzt. Mit dieser Reduzierung tragen wir gleichzeitig der Speicherkapazität der Fahrzeuggeräte Rechnung. Inzwischen liegen erste Einschätzungen der Gutachter zu den erwarteten Fahrleistungen vor. Danach erwarten wir trotz alledem jährlich rund 100 Millionen Euro Mehreinnahmen, die in der mittelfristigen Finanzplanung ausgewiesen sind. Abschließend noch ein paar Worte zum Thema „Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur“. Der Bedarf an Mitteln für den beabsichtigten Aus- und Neubau der Verkehrsinfrastruktur erfordert neue und ergänzende Finanzierungsinstrumente zur Sicherung und Stärkung der Verkehrsinfrastruktur. Wie hier alle wissen, wurde die Lkw-Maut vor mehr als sechs Jahren unter anderem zur Sicherung der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur eingeführt. In diesem Sinne muss es in der Konzeption des vorgelegten Entwurfes weiterentwickelt werden. Zur Reduzierung der Haushaltsabhängigkeit der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung und zur Schaffung mehrjähriger Planungssicherheit wollen wir Nutzerfinanzierungskreisläufe stärken. Mit dem Bundeshaushalt 2011 haben wir einen ersten Schritt zur Herstellung eines Finanzierungskreislaufs Straße eingeleitet. Die Mauteinnahmen, die bisher für Investitionen in Schiene und Wasserstraße verteilt wurden, fließen nunmehr zu 100 Prozent in die Straße. ({2}) Dies führt zu mehr Transparenz bei der Verwendung der Mauteinnahmen, und ich halte es für gerecht, dass die Brummifahrer wissen, dass 100 Prozent ihrer Mautabgabe in die Straßen, in die Erhaltung, in den Neubau und in die Baustellen, fließen. So ist die Transparenz gewährleistet. Die christlich-liberale Koalition und die Bundesregierung setzen das um, was die Verkehrspolitiker schon längst fordern. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang noch einmal persönlich bei Gero Storjohann bedanken, der meine Ausführungen zum Feuerwehrführerschein bei Tagesordnungspunkt 13 sehr gelobt hat. ({3}) Ich denke, wir werden auch im Ausschuss bei den Themen „Maut“ und „Bemautung der vierspurigen Bundesstraßen“ eine gute Diskussionsebene finden. Glück auf! Wir werden damit die Finanzbasis für die Infrastruktur weiter stärken. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Uwe Beckmeyer hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Scheuer - - Herr Dr. Scheuer - Entschuldigung -, ({0}) 1 000 Kilometer sind es geworden. 3 000 Kilometer waren einmal geplant. Grundsätzlich ist ja nichts dagegen zu sagen, dass Sie sich nach neuen Einnahmequellen umschauen. Ich habe vorhin schließlich gesagt, dass ich Sie geradezu dazu auffordere, sinnvolle Sachen zu machen. Die Frage ist nur, wie es passiert? - Ich habe dazu ein paar Fragen. Vielleicht kann im Rahmen der heutigen Debatte der eine oder andere Koalitionsvertreter - Sie können dazu schließlich nicht mehr reden - noch etwas dazu sagen. Erstens. Auf der Sparklausur der Bundesregierung 2010 wurde diese vierspurige Bundesstraßenmaut schon für den 1. Januar 2011 angekündigt; daraus ist bekanntlich nichts geworden. Nun planen Sie die Einführung zum 1. Juli 2011. Weil das Problem ja häufig im Detail liegt, interessiert uns Sozialdemokraten, ob die vielen ungeklärten rechtlichen und technischen Fragen inzwischen eigentlich so geklärt wurden, dass man davon ausgehen kann, dass diese Maut tatsächlich zum 1. Juli 2011 eingeführt werden kann. Dass dieser Termin verschoben worden ist, deutet ja zumindest darauf hin, dass da noch einiges nicht klar ist. Im Haushalt 2011 haben Sie hier Einnahmen in Höhe von 50 Millionen Euro eingeplant. Wir hoffen, dass Sie das auch realisieren können. Zweitens. Mit dem Beschluss des Gesetzentwurfes durch das Kabinett ist nicht klar, auf welchen Bundesstraßen die Lkw-Maut eingeführt werden soll. Zu Recht fordern Ihr eigenes Bundesland Bayern und andere Bundesländer, dass sie wenigstens an der Zusammenstellung der Liste beteiligt werden. Die Frage an Sie ist: Sind diese Länder beteiligt worden? ({1}) Sie sind die vor Ort Betroffenen, die mit den Konsequenzen auf dem nachgeordneten Straßennetz leben müssen. Das muss man einfach berücksichtigen. Diese vierspurigen Bundesstraßen gibt es ja nicht überall, sondern nur an ganz bestimmten neuralgischen Punkten. Sie haben vorhin von Strecken über vier Kilometern gesprochen - nicht in den Städten. Also denke ich einmal, dass wir es mit Versatzstücken zu tun haben, die irgendwo angeschlossen sind und Verkehr auf nachgeordneten Straßen der Länder hervorrufen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum das Gesetz im Bundesrat nicht zustimmungsbedürftig ist. Aus dem, was im Gesetzentwurf steht, habe ich geschlossen, dass die Ausdehnung auf Bundesstraßen im Bundesrat zustimmungsbedürftig ist. Ich denke, das ist auch eine Frage, die geklärt gehört. Drittens. Bisher sind in keinem Fall Untersuchungen darüber durchgeführt worden, welche Auswirkungen die Einführung der Lkw-Maut auf vierspurigen Bundesstraßen für das nachgeordnete Netz wie Kreis- und Landesstraßen usw. hat. Sollen auch vierspurige Bundesstraßen innerhalb von größeren Städten - das haben Sie jetzt ausgeschlossen - oder Ortsumgehungen - das ist meines Erachtens noch unklar - bemautet werden? Auch das ist meines Erachtens noch unklar. Viertens. Wie groß werden die technischen Aufwendungen sein, die für eine Erhebung der Lkw-Maut auf vierspurigen Bundesstraßen notwendig sind? Dazu habe ich hier heute auch nichts gehört. ({2}) Wird es Mautbrücken geben müssen? Wird es lediglich Kontrollen durch das BAG geben, und wird damit das Risiko der Kontrollen zu 100 Prozent auf den Staat übertragen? Das sind ebenfalls Fragen, die ich aus dem Kreise des Bundeskabinetts bisher nicht beantwortet bekommen habe. Fünftens. Bis heute ist nicht klar, in welcher Höhe bei der Erhebung der Lkw-Maut auf vierspurigen Bundesstraßen Systemkosten anfallen. Bisher heißt es im Gesetzentwurf lediglich, dass 8,5 Millionen Euro an Vollzugskosten beim BAG entstehen. Bei Einnahmen von rund 100 Millionen Euro sind das 8,5 Prozent. Darin sind noch nicht die Kosten enthalten, die ein Unternehmen, das im Auftrag des Bundes die Lkw-Maut erhebt, in Rechnung stellen wird. Auch das ist nicht geklärt. Sechstens. Bis heute verweigert die Bundesregierung jegliche konkrete Aussage dazu, wie die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Vergabe der Erhebung der Lkw-Maut auf vierspurigen Bundesstraßen aussehen. Wird es eine Direktvergabe geben? Muss europaweit ausgeschrieben werden? Das ist dem Parlament gegenüber bisher überhaupt noch nicht eindeutig geklärt. Auch hierzu erwarte ich von der Bundesregierung eine Auskunft. ({3}) - Vielleicht weiß sie es nicht. Siebtens. Bisher ist nicht bekannt, welche Belastungen auf die Unternehmen des Transport- und LogistikgeUwe Beckmeyer werbes zukommen werden. Laut dem Wegekostengutachten der Bundesregierung ist die Mauthöhe auf Bundesstraßen allerdings generell doppelt so hoch wie auf Bundesautobahnen, weil dort weniger Schwerlastverkehr stattfindet. Die Frage an die Bundesregierung ist: Wann werden Sie einen Entwurf für eine neue Mauthöheverordnung auf den Weg bringen, dem Deutschen Bundestag, dessen Zustimmung nach der Gesetzeslage zumindest aus unserer Sicht erforderlich ist, vorlegen und die Länder entsprechend informieren? Ich habe den Eindruck, dass es noch sehr viele Fragen gibt, die Sie immer noch nicht geklärt haben und dass bei Ihnen im Hause anscheinend eine große Unsicherheit unter den Fachleuten existiert. Die Fragen, die ich stelle, stellen ebenfalls die Kolleginnen und Kollegen aus den Verbänden. Auch sie fragen sich, ob Sie möglicherweise dabei sind, das Gewerbe in diesem Zusammenhang hinter die Fichte zu führen. Insofern bitte ich um Aufklärung zu diesem Gesetzentwurf. ({4}) Ich möchte nicht, dass Sie den Eindruck gewinnen, dass Sie im Deutschen Bundestag eine unseriöse Verkehrspolitik betreiben können, ohne dass es jemand merkt. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Patrick Döring für die FDPFraktion. ({0}) Ob er seinem Namen an diesem Tag gerecht wird und eine missionarische Rede hält, werden wir sehen.

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich will mich bemühen, die Debatte, die um diese Uhrzeit überwiegend im geschlossenen Kreis der Ausschussfreunde stattfindet - über die vielen interessierten Gäste freut man sich selbstverständlich, die Bürgerinnen und Bürger ohnehin -, zu nutzen, um ein paar Fragen, die aufgeworfen worden sind, zu beantworten. Zunächst bedanke ich mich bei der Bundesregierung dafür, dass bereits erkannt worden ist, dass der Gesetzentwurf vor der zweiten und dritten Beratung noch an einigen Stellen verbessert werden kann, wozu wir als FDP-Fraktion in jedem Fall bereit sind. Aus den Änderungen, die der Herr Staatssekretär vorgetragen hat, lassen sich schon einige Fragen, die der geschätzte Kollege Beckmeyer gestellt hat, beantworten. Eingangs muss man festhalten - das ist erkennbar -, dass die Umsetzung dieser in der Sparklausur beschlossenen Änderung tatsächlich deutlich komplizierter ist, als dies seinerzeit erwartet wurde. Das hängt damit zusammen, dass zum Beispiel umfangreich gutachterlich geklärt werden musste, ob im Rahmen des bestehenden Konsortialvertrages mit Toll Collect die Erhebung an Toll Collect übertragen werden kann. Das ist nach meiner Kenntnis inzwischen durch ein ausführliches Rechtsgutachten geklärt. Wir können im Rahmen dessen, was mit Toll Collect vereinbart worden ist, auch diese Ausweitung des Mautnetzes vornehmen, ohne Änderungen am Vertrag durchzuführen, was in der Tat gegebenenfalls Ausschreibungskonsequenzen gehabt hätte. Es war außerdem zu klären, welche der ungefähr 3 000 Kilometer vierstreifigen Bundesstraßen wir tatsächlich bemauten wollen. Deshalb begrüße ich für die FDP-Fraktion ausdrücklich, dass die Bundesregierung den Gesetzentwurf, dem eine Liste und eine weitere Anlage beigefügt sind - einige von Ihnen wissen, dass ich das ohnehin nicht gerne habe -, zu einem Gesetzentwurf weiterentwickelt hat, der klar definiert, welche Straßen bemautet werden sollen. Die entscheidende Regelung lautet: Mittelbar an Bundesautobahnen anschließende vierstreifige Bundesstraßen, die jeweils zwei baulich getrennte Fahrstreifen aufweisen, sind zu bemauten. ({0}) Wenn das so ist, lieber Kollege Beckmeyer, dann ergibt sich jedenfalls nach meiner Überzeugung keine negative Auswirkung auf Landes- und Kreisstraßen, weil die in der Regel nicht für Substitutionsverkehre geeignet sind, da sie gerade nicht unmittelbar an Bundesautobahnen anschließen. Die Frage wäre berechtigt gewesen, wenn man eine lange Liste erstellt hätte. Aber wenn man sich darauf bezieht, dass ausschließlich die vierstreifigen Bundesstraßen in Verlängerung oder als Zubringer zu Autobahnen bemautet werden, dann ergibt sich die Substitution an anderer Stelle aus meiner Sicht nicht. Das ist nach unserer festen Überzeugung auch der entscheidende Punkt bei der Beteiligung der Länder. Mit dieser Definition und durch die reine Änderung des Mautgesetzes ist das nicht mehr nötig. Bei einer Liste wäre das - darin stimme ich mit Ihnen überein - aller Voraussicht nach nötig gewesen. Wir wären auch gar nicht darum herumgekommen. Denn wir alle haben Briefe von Landräten und Landesverkehrsministern bekommen, in denen die Herausnahme einzelner Streckenabschnitte gefordert wurde. Ich habe keinen einzigen Brief bekommen, in dem jemand vorschlägt, einen Streckenabschnitt zu bemauten. Das hätte am Ende ein heftiges Gerangel gegeben. Insofern streben wir eine klare gesetzliche Definition an. Wir werden im Ausschuss sicherlich die notwendigen Änderungen vorschlagen und hoffen auf Ihre Unterstützung. ({1}) Nun zur Frage der Mauthöheverordnung. Es ist in der Tat richtig, dass der Hinweis auf die Bundesstraßen in der Mauthöheverordnung aufgeführt ist. Ich bin aber auch der festen Überzeugung, dass das, was für die Bundesstraßen im Allgemeinen gelten mag, für die vierstreifigen, durch baulich getrennte Fahrstreifen ausgezeichneten Bundesstraßen nicht gilt, sondern dass hier ganz sicher analog die ermittelten Mauthöhesätze übernommen werden können. Übrigens ist das keine Benachteiligung der Nutzerinnen und Nutzer. Wenn wir jetzt willkürlich einen höheren Satz festlegen würden, wäre das sicherlich klageanfällig. Wenn wir aber unter den Empfehlungen des Mauthöhegutachtens für Bundesstraßen bleiben und nur die Mauthöhe für Bundesautobahnen nehmen, ist das aus meiner Sicht keine Benachteiligung des Gewerbes, sondern ein positiver Aspekt, der dazu führt, dass die echten Wegekosten dieser Strecke wahrscheinlich nicht abgebildet werden; dazu müsste der Mautsatz wohl höher sein. Aber aus unserer Sicht ist es nicht sinnvoll, für diese 1 000 Kilometer jetzt neue Mauthöheermittlungsverfahren einzuleiten. Wir nehmen den Satz, der bei der baulichen Analogie, nämlich einer vierstreifigen Autobahn, gilt. Das ist gut für das Gewerbe und aus unserer Sicht rechtssicher, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Es zeigt sich, wie sinnvoll der Finanzierungskreislauf Straße ist, denn mit dieser Maßnahme organisieren wir gemeinsam mit dem Gewerbe zusätzliche Mittel für den Ausbau der Straßeninfrastruktur. Das hilft den Lkw-Fahrerinnen und -Fahrern. Das hilft den betroffenen Kommunen. Das will diese Koalition, nämlich zusätzliche Mittel für Straße, Schiene und Wasserstraße organisieren: im Bundeshaushalt oder von den Nutzerinnen und Nutzern. Ich möchte abschließend einen Gedanken äußern. Wir erleben immer wieder, dass planungsrechtlich die Ausweitung einer vorhandenen zweistreifigen Bundesstraße auf die Dreistreifigkeit deutlich leichter als die Erweiterung zur Vierstreifigkeit ist. Wir sollten uns alle gemeinsam - nicht nur, aber auch wegen der Mauteinnahmen darüber Gedanken machen, ob es klug und vernünftig ist, dass man die Erweiterung einer vorhandenen zweistreifigen Autobahn auf eine dreistreifige über die Unterhaltungsmittel in der Regel ohne Planfeststellungsverfahren machen kann, man aber in dem Moment, in dem man eine zweistreifige Bundesstraße zu einer vierstreifigen Bundesstraße machen will, ein Planfeststellungsverfahren anschieben muss. Im Rahmen dessen, was wir heute Morgen zum Thema Planungsbeschleunigung in ganz anderem Kontext - das will ich zugeben - besprochen haben, wäre es vielleicht des Schweißes der Edlen wert, darüber nachzudenken, die Hürden etwas niedriger zu legen, um mehr vierstreifige Bundesstraßen zur Entlastung der betroffenen Kommunen einerseits, aber auch zur Erhöhung der Einnahmen für den Verkehrshaushalt andererseits zu ermöglichen. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herbert Behrens hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung legt uns heute einen Gesetzentwurf vor - ein halbes Jahr zu spät und dann auch noch Murks. ({0}) Ihre Bundesstraßenmaut bringt weder ausreichende Einnahmen noch verhindert sie, dass die schweren Lkw weiter durch Dörfer und Städte donnern. Sie haben Veränderungsbedarf angekündigt. Hier einige Vorschläge: Erstens. Der Bundesverkehrsminister begnügt sich zunächst mit 2 000 Kilometern Bundesstraßen. Das sind gerade einmal 5 Prozent aller Bundesstraßen. Statt konsequent Mautflucht zu verhindern und Lkw-Verkehr zur Finanzierung der Verkehrskosten heranzuziehen, betreiben Sie Flickschusterei. ({1}) - Genau das wollen wir. ({2}) In diesem Gesetz kommt überhaupt nicht vor, welche Belastungen die Menschen zu ertragen haben, die mit schweren Lkw vor der Haustür leben müssen, weil die Spediteure ihre Fahrer über Land schicken. Um der Maut auszuweichen, nutzen sie einspurige Bundesstraßen. Ich nenne als Beispiel die Bundesstraße 5. Das ist die klassische Strecke für Mautpreller zwischen Hamburg und Berlin. Die B 5 fehlt - bis auf einen einzigen kurzen Abschnitt - in der Liste der Mautstrecken. Erklären Sie, Herr Minister oder Herr Staatssekretär, das einmal den Bewohnerinnen und Bewohnern in Lauenburg und in Ludwigslust! Mautflüchtlinge benutzen aber auch Landesstraßen. In meiner Heimatstadt Osterholz-Scharmbeck kämpfen Anwohnerinnen und Anwohner der L 135 gegen 800 schwere Lkw, die täglich auf der Strecke zwischen Bremen und Bremerhaven pendeln, obwohl sie auf der parallel gelegenen A 27 hätten fahren sollen. In einem Bericht des Ministeriums über Verlagerungen durch Mautausweichverkehr gibt es dazu eine genaue Auflistung. Würden wir nur die am stärksten betroffenen Strecken, also die mit mehr als 500 schweren Lkw pro Tag, nehmen, dann müssten zum Beispiel in Niedersachsen doppelt so viele Strecken zusätzlich bemautet werden, wie jetzt von Ihnen vorgeschlagen. Unsere Forderung zur Gesetzesvorlage: Die Liste der Streckenabschnitte, also die Liste der 80, muss überarbeitet werden. ({3}) Auch die Auswirkungen auf Ballungsgebiete müssen untersucht und die Einbeziehung von Ortsdurchfahrten in kommunaler Baulast muss überprüft werden. Das hat ja auch der Bundesrat im vergangenen Monat gefordert. Zweitens. Die Maut ist nicht hoch genug. Das sagt selbst eine Studie aus dem Bundesverkehrsministerium. Bei der dort vorgenommenen Wegekostenberechnung kommen 30 Cent pro Kilometer heraus. 30 Cent pro Kilometer müssten Spediteure also eigentlich zahlen; heute sind es im Schnitt gerade einmal 18 Cent auf Autobahnen. Wir fordern, die Mauthöhe auf Bundesstraßen auf Grundlage der realen Wegekosten zu berechnen. In der Schweiz gibt es übrigens eine flächendeckende Maut, die drei- bis viermal höher ist als die aktuelle auf bundesdeutschen Autobahnen. Die Einnahmen daraus fließen auch in das gesamte Verkehrssystem und nicht nur in die Straße. Drittens. Wir halten die Lkw-Maut für ein absolut sinnvolles Instrument, aber es muss konsequent zu einer ökologischen Verkehrslenkung genutzt werden. ({4}) Die Spreizung der Maut nach Schadstoffklassen war ein erster Schritt. Wir fordern: Die Maut muss zu einem Steuerungsinstrument im Transportwesen weiterentwickelt werden. Mauteinnahmen sind nicht ausschließlich für den Straßenbau da; sie gehören in das Verkehrssystem insgesamt: in die Schiene, in die Straße und in die Wasserwege. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz zeigt, dass die Bundesregierung im Klein-Klein verharrt. Das ist auch auf europäischer Ebene der Fall. So schlägt beispielsweise die EU eine Eurovignette für alle Transporter ab 3,5 Tonnen vor. Wie kommt das bei Herrn Ramsauer an? Wir hören von ihm nur: Blockade. ({5}) Die EU versucht, Staukosten und die Kosten für Lärm und Umweltschäden in die Eurovignette einzubeziehen. Was kommt aus Deutschland? Wieder Blockade. ({6}) Der Bundesverkehrsminister hätte heute die Chance gehabt, dazuzulernen. Es ist jetzt an ihm, ob er weiter herummurkst oder ein Gesetz auf den Weg bringt, das den Verkehr beruhigt und vielen Menschen das Leben einfacher macht. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Anton Hofreiter hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für den Applaus. Nachdem der Herr Staatssekretär heute schon ausführlich gelobt worden ist, ({0}) auch ein Lob von unserer Seite; denn wir halten die Ausweitung der Maut auf Bundesstraßen durchaus für ein richtiges Instrument. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir loben euch sogar, wenn ihr einmal etwas richtig macht. ({1}) Das Problem ist nur, dass man auf der halben Strecke stehen bleibt. Wir haben weitaus mehr Bundesstraßen. Letztendlich müsste man konsequent sein und die Maut auf die gesamten Bundesstraßen ausweiten. ({2}) Das wäre von entscheidender Bedeutung für die Steuerung des Verkehrs. Die Situation auf der B 5 ist bereits erwähnt worden. Auch ich war einmal in Lauenburg und habe mir das angeschaut. Man findet wenig Bundesstraßen, auf denen in solcher dichten Folge Lkw fahren. Es gibt also durchaus Bundesstraßen, die nicht vierstreifig sind, auf denen erheblicher Lkw-Verkehr stattfindet und auf denen nach allen Aussagen und allen Zahlen auch Lkw-Ausweichverkehr vorhanden ist. Den Anwohnern dieser Straßen wird wieder nicht geholfen. Deshalb wäre zu fordern, dass neben den vierstreifigen Bundesstraßen zumindest auch die Bundesstraßen, auf denen ein massiver LkwAusweichverkehr vorhanden ist, in die Bemautung aufgenommen werden. Das wäre jederzeit möglich. ({3}) Wenn man sich die Stellenentwicklung beim Bundesamt für Güterverkehr anschaut, ist des Weiteren zu fragen, ob insgesamt das Modell, wie es gewählt worden ist, wirklich effizient ist. Wenn wir uns anschauen, wie viele Stellen da ausgeschrieben sind und wie viele Leute zusätzlich eingestellt werden müssen, dann stellt sich durchaus die Frage, ob das Modell, das mit Toll Collect gewählt worden ist, wirklich geeignet ist, um die LkwMaut zu einem wirtschaftlich vertretbaren Maß auf die Bundesstraßen auszuweiten. In Kürze werden die Ausschreibungen stattfinden; zumindest wird der momentan gültige Mautvertrag verlängert. Vielleicht muss man sich überlegen, ob das Modell weiterzuentwickeln ist. Es ist dringend an der Zeit, dass man sich im Verkehrsministerium Gedanken darüber macht. Es gibt große Fragezeichen. Man schaue sich einmal an, welch hoher Prozentsatz der Mauteinnahmen an den Betreiber fließt. Zu klären ist, ob das alles effizient genug ist und ob damit eine effiziente Ausweitung, wie wir sie uns vorstellen, wirklich möglich ist. Was sind unsere Vorstellungen? Unsere Vorstellungen sind einfach: Die Lkw-Maut ist auf alle Bundesstraßen auszuweiten. Die Lkw-Maut ist auf Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen auszuweiten. Wir stellen fest, dass im Moment eine starke Umschichtung hin zu Fahrzeugen knapp unter 12 Tonnen stattfindet; 11,5-Tonnen-Fahrzeuge sind plötzlich sehr beliebt. Dieser Entwicklung wäre damit ein Riegel vorgeschoben. Diese Ausweitung der Maut wäre rechtlich und technisch möglich. Mit einem etwas geschickteren Mauterhebungssystem wäre sie auch ökonomisch sinnvoll. Des Weiteren erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie die ökonomisch kontraproduktive Nichterhöhung der Maut für die Euro-3-Fahrzeuge zurücknimmt. Man hat gedacht, man tue insbesondere dem Gewerbe etwas Gutes. Man stellt nun aber fest, dass man dem einheimischen Gewerbe damit - es hat weitgehend umgestellt, und Euro-5- und Euro-6-Fahrzeuge sind schon in der Überlegung - eigentlich nichts Gutes getan hat; ({4}) man hat ihm mit der sinnlosen Rücknahme der Erhöhung der Maut für Euro-3-Fahrzeuge einen Bärendienst erwiesen. ({5}) - Wir sprechen mit den Mittelständlern. Die Mittelständler sind viel weiter als Sie; sie haben weitgehend moderne Fahrzeuge. Was hat man mit dieser Nichterhöhung erreicht? Man hat insbesondere die Konkurrenz gestärkt, die mit alten, mit schlechten, mit abgeschriebenen Fahrzeugen unterwegs ist. Man hat diejenigen Unternehmen, die moderne Fahrzeuge einsetzen, also Unternehmen, die investiert haben, geschwächt. Man hat noch etwas Weiteres bewirkt: Dem Bundeshaushalt wurde sinnlos Geld entzogen, Geld, das wir dringend für den Unterhalt des Straßennetzes benötigen. ({6}) Erweitern Sie Ihr Konzept: Bemautung aller Bundesstraßen, Ausweitung der Maut auf 3,5-Tonner und stärkere Spreizung der Mauthöhen. Das hätte nämlich eine stärkere ökologische Lenkungswirkung. Danke. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Thomas Jarzombek hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte mit Blick auf die Kollegen der Grünen eigentlich einige schöne Zitate vorbereitet, war aber auf so viel Lob von Ihrer Stelle gar nicht gefasst. Das nehmen wir doch erfreut zur Kenntnis. Herr Kollege Hofreiter, ich gehe gerne auf Ihr Argument ein, was die Rücknahme der Mauterhöhung für die Euro-3-Lkws betrifft. Genau das war ja Wunsch der Transportwirtschaft. Wir reden hier ja nicht über die Fahrzeuge, die ganz große Strecken fahren, sondern über das Drittel der Fahrzeuge der deutschen Transporteure, die nach der Euro-3-Norm ausgerichtet sind, deren Fahrleistung aber nur 16 Prozent der Streckenkilometer ausmacht. Sie müssen also auch an den kleinen Betrieb mit wenigen Fahrzeugen, die eher im innerstädtischen Bereich auf kurzen Strecken fahren, denken. ({0}) Sie erfahren an dieser Stelle eine deutliche Entlastung. ({1}) Ich glaube, dass das, was wir hier tun, richtig ist. Ich freue mich darauf, dass Sie beide, Kollege Hofreiter, Kollege Behrens - eine Koalition habe ich hier heute ausgemacht -, demnächst einen Gesetzentwurf einbringen, in dem geregelt wird, dass erstens alle Bundesstraßen und zweitens alle Lastwagen bis 3,5 Tonnen bemautet werden. Darauf sind wir gespannt. Wenn das geschieht, können wir hier eine ehrliche Diskussion darüber führen, wer was will. Insofern lade ich Sie dazu ein, diesen Gesetzentwurf einzubringen. Dann haben wir eine tolle Basis, hier miteinander zu diskutieren. Warum wir das Ganze überhaupt machen, ist relativ klar. Ein Unterschied ergibt sich allerdings zwischen dem, was wir tun, und der damaligen Konstruktion noch unter Bodewig. Bodewig hat es in der Bundestagsdebatte im Jahre 2001 - die Autobahnmaut für Lkw war ja Ihre Erfindung, meine Damen und Herren von RotGrün ({2}) gesagt: Das hat eine positive Wirkung; denn diese Bewertung führt dazu, dass wir mehr investieren können, und zwar richtig. Es geht um zusätzliche Einnahmen, … ({3}) Diese zusätzlichen Einnahmen, die Sie mit der LkwMaut generieren wollten, sind bei den Finanzpolitikern im Laufe der Zeit immer mehr verschwunden. ({4}) Deshalb ist es so wichtig, dass wir für den Einstieg in einen geschlossenen Finanzierungskreislauf bei den Verkehrsträgern gesorgt haben, damit die zusätzlichen Mittel, die jetzt durch die Einbeziehung der Bundesstraßen erhoben werden, tatsächlich auch beim Straßenbau ankommen und nicht bei den Sozialpolitikern oder irgendwo anders versickern. ({5}) Das macht den allergrößten Unterschied zwischen Ihnen und uns aus. Herr Kollege Beckmeyer, Sie haben das Verfahren der Ausschreibung kritisiert. Ich sage einmal, wie das damals unter Ihnen abgelaufen ist. Das Autobahnmautgesetz ist im Jahre 2002 vom Deutschen Bundestag beschlossen worden. Funktionsfähig war das System Toll Collect tatsächlich erst zum 1. Januar 2005. Dazwischen lagen fast drei Jahre. Sie wollen uns doch wohl nicht ernsthaft den Ratschlag geben, wir sollten das jetzt wiederholen und ein neues System europaweit ausschreiben und das auch noch für 1 000 Kilometer! ({6}) Das ist doch total unsinnig. Das wird niemand machen. Dafür wird niemand eine neue Struktur aufbauen. Deshalb ist unser Vorgehen richtig. ({7}) Es ist auch realistisch, dass nach einer konservativen Schätzung in den Haushalt 50 Millionen Euro für dieses Jahr und 100 Millionen Euro für die Folgejahre eingestellt wurden. Ich glaube, dass sich die Bundesregierung an dieser Stelle realistische Ziele gestellt hat. ({8}) - Das ist schön. Ich hätte mich auch gefreut, wenn Sie eine Zwischenfrage gestellt hätten, anstatt pausenlos wie auch immer geartete Kommentare abzugeben. Das wäre mit Sicherheit ein eleganterer Weg gewesen, die Diskussion zu führen. ({9}) Ich möchte natürlich die Zeit nutzen, die ich noch habe. ({10}) - Ich habe noch zwei Minuten. Vorsicht. ({11}) Ich möchte insbesondere der Bundesregierung und Herrn Staatssekretär Dr. Scheuer für die wirklich exzellente Arbeit danken, ({12}) und zwar, Herr Kollege Beckmeyer, weil genau diese Änderungen noch kommen. Wir sind nicht beratungsresistent und haben im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens - ({13}) - Jetzt hören Sie doch einmal auf, ständig dazwischenzurufen. Sie sind ja schlimmer als Waldorf und Statler. ({14}) - Da hat der Kollege Döring absolut recht. Die späte Stunde sollte uns zur Ernsthaftigkeit zurückbringen. ({15}) - Das war an Herrn Beckmeyer gerichtet. Es ist ein Zeichen für ein vernünftiges Vorgehen, dass die Kriterien für die Straßen - Herr Kollege Döring hat es dargestellt - jetzt noch einmal deutlich verändert wurden, dass wir jetzt ein praktikableres Verfahren haben und dass auch die Streckenlängen verändert wurden. Das zeigt, dass wir als Fraktion mit der Bundesregierung ein gutes Einvernehmen haben und nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen. Wo hat man das sonst schon? Das Letzte, was noch anzusprechen ist, ist die stetige Kritik an Toll Collect, die ich auch im Ausschuss gehört habe. Toll Collect ist ein System, das von der rot-grünen Koalition eingeführt wurde. Ich glaube, dass das System ein gutes System ist und dass wir uns das nicht immer schlechtreden lassen sollten. ({16}) Ich glaube, dass es eine Menge Potenziale für die Zukunft hat. Ich hoffe, dass wir über das Schiedsverfahren bald zu einem Einvernehmen kommen. ({17}) Ich wünsche mir, dass wir diese Technologie etwas mehr schätzen und nicht leichtfertig glauben, dass man Systeme aus anderen Ländern, die zwar gut funktionieren, aber auf ganz anderen Netzen, einfach übertragen könne. Ich freue mich auf den Gesetzentwurf, mit dem Sie alle Bundesstraßen bemauten. Bis dahin sind wir auf dem richtigen Weg. Meine Damen und Herren, einen schönen Abend noch. Vielen Dank. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/4979 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Heidrun Dittrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Aufgaben und Zusammensetzung der Altersarmutskommission - Altersarmut umfassend und mit den richtigen Mitteln bekämpfen - Drucksachen 17/4422, 17/4926 Berichterstattung: Abgeordneter Anton Schaaf Die Reden werden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Peter Weiß, Ulrich Lange, Anton Schaaf, Heinrich Kolb, Matthias Birkwald und Wolfgang Strengmann-Kuhn.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zum 1. Juli 2011 werden die Renten in Deutschland um rund 1 Prozent ansteigen, und auch in Zukunft ist nach den Modellrechnungen im Rentenversicherungsbericht 2010 von einem Rentenanstieg um 29 Prozent bis 2024 oder entsprechend einer durchschnittlichen Steigerungsrate von knapp 1,9 Prozent pro Jahr auszugehen. Das sind erfreuliche Nachrichten angesichts der Tatsache, dass im Rentenversicherungsbericht vor zwei Jahren noch Nullrunden für die Rentnerinnen und Rentner prognostiziert wurden. Gleichzeitig steigt die Rücklage in der Rentenversicherung weiter an. Aus heutiger Sicht kann davon ausgegangen werden, dass schon im Laufe des Jahres 2012 die Rücklage den Stand von 1,5 Monatsausgaben übersteigt. Damit könnte zum 1. Januar 2013 der Rentenversicherungsbeitrag abgesenkt werden. Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen die gesetzliche Rentenversicherung nahezu unbeschadet die Finanz- und Wirtschaftskrise überstanden hat. Auch der Sozialbeirat hat in seinem Bericht zum Rentenversicherungsbericht 2010 festgestellt, dass „hervorzuheben ({0}), dass die Rentenversicherung die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise unbeschadet überstanden hat. Dies hat nicht nur in den Medien Anerkennung gefunden, die zum Teil der Rentenversicherung lange Zeit kritisch gegenüberstanden. Die Rentenversicherung wurde als ,Fels in der Brandung’ beschrieben. Auch die Bevölkerung weiß wieder den Wert der Rentenversicherung mehr zu schätzen. Nach der jüngsten Postbank-Studie ,Altersvorsorge in Deutschland 2010/2011’ bewerten drei Viertel der Bevölkerung die Rentenversicherung als eine ideale Form der Alterssicherung. Damit liegt die Rentenversicherung weit vor allen anderen Systemen der Alterssicherung.“ Angesichts dieser Feststellungen ist es umso verwunderlicher, dass die Linken in ihrem Antrag einen grundlegenden Kurswechsel in der Rentenpolitik und einen Umbau der Deutschen Rentenversicherung fordern. Wir wollen, dass die Rentensysteme und die Altersvorsorge insgesamt armutsfest bleiben und Armut im Alter vermieden werden kann. Altersarmut ist ein wichtiges und komplexes Thema, und deshalb ist es richtig, dass CDU/ CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag die Einsetzung einer Regierungskommission zur Vermeidung von Altersarmut beschlossen haben. Was aber nicht passieren darf, ist, dass man - wie es die Linken tun - Altersarmut als Begründung dafür nimmt, die deutsche Rentenversicherung zu einer Auszahlungsstelle für Pauschalrenten zu machen. Die gesetzliche Rente in Deutschland ist lohn- und beitragsbezogen. Darauf vertrauen auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in die Rente einzahlen. Ebenso kurzsichtig ist es, eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung zu fordern und die Stärkung der privaten und der betrieblichen Altersvorsorge abzulehnen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP auch festgeschrieben: „Wir verschließen die Augen nicht davor, dass durch die veränderten wirtschaftlichen und demografischen Strukturen in Zukunft die Gefahr einer ansteigenden Altersarmut besteht. Deshalb wollen wir, dass sich die private und betriebliche Altersvorsorge auch für Geringverdiener lohnt und auch diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhalten, das bedarfsabhängig und steuerfinanziert ist.“ Unser Rentensystem basiert auf drei Säulen. Eine alleinige Sicherung des eigenen Lebensstandards im Alter durch die gesetzliche Rente kann allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung und des Generationenvertrages nicht funktionieren. Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, Dr. Herbert Rische, schreibt dazu: „Die Lebensstandardsicherung bei Eintritt der Altersrente wie der Erwerbsminderung kann vor dem Hintergrund der Entwicklung des Rentenniveaus künftig im Regelfall nicht mehr allein durch die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gewährleistet werden, auch wenn die gesetzliche Rentenversicherung die stärkste Säule der Sicherung bei Alter und Erwerbsminderung bleiben wird.“ Peter Weiß ({1}) Nach einer Prognose der Deutschen Rentenversicherung Bund wird sich die Bedeutung der einzelnen Teilsegmente im Drei-Säulen-System - gesetzliche Rentenversicherung, betriebliche Altersvorsorge und private Altersvorsorge - in Zukunft immer mehr verlagern. Lag der Anteil der gesetzlichen Rentenversicherung am gesamten Alterssicherungssystem 2005 noch bei 85 Prozent so wird er 2035 nur noch bei 65 Prozent, im Jahre 2050 sogar nur noch bei 56 Prozent liegen. Dementsprechend werden sich die Anteile der betrieblichen Altersvorsorge von im Jahre 2005 von 10 Prozent auf 24 Prozent für 2035 und sogar auf 31 Prozent für 2050 erhöhen. Bei der privaten Altersvorsorge liegen die Zahlen bei 5 Prozent in 2005, 11 Prozent in 2035 und 13 Prozent in 2050. Diese Entwicklungen zeigen, dass alle Säulen der Alterssicherung zur Lebensstandardsicherung und zur Vermeidung von Altersarmut beitragen müssen. Deshalb ist es auch richtig, dass die Bundesregierung private und betriebliche Zusatzversorgung mit erheblichen Förderungen stützt, wie beispielsweise die Förderung mit finanziellen Zuschüssen - Riester-Zulagen -, die Förderung mit Extra-Steuerersparnissen - zusätzlicher Sonderausgabenabzug - oder die Basis-Rürup-Rente. Richtig ist auch, dass die gesetzliche Rente die wesentliche Säule der Alterssicherung ist und bleibt. Deshalb gilt es, auch die gesetzliche Rentenversicherung zu stärken. Ein besserer Schutz vor Altersarmut ist das zentrale rentenpolitische Vorhaben dieser Koalition. Dazu brauchen wir aber keine Panikmache und keine unrealistischen Forderungen, sondern ein echtes Gesamtkonzept. Ein solches zu erstellen und die Grundlage für weiteres Handeln zu erarbeiten, ist Ziel der Regierungskommission zur Vermeidung von Altersarmut, die in den kommenden Wochen durch die Bundesregierung eingesetzt wird. Derzeit sind nur 2,3 Prozent der Rentnerinnen und Rentner wegen zu geringer Alterseinkünfte auf zusätzliche staatliche Unterstützung angewiesen. 1957, vor der Einführung der dynamischen Rente, waren über 70 Prozent der Seniorinnen und Senioren in Deutschland auf zusätzliche staatliche Hilfen angewiesen. Auch dies zeigt noch einmal, wie erfolgreich die gesetzliche Rentenversicherung zur Vermeidung von Altersarmut beigetragen hat. Wir wollen, dass das auch in Zukunft so bleibt. Wir wollen, dass die gesamte Problematik von Altersarmut, Erwerbsminderung und Langzeitarbeitslosigkeit fachkundig, umfassend und mit Blick auf eine zukunftsfähige und bedarfsgerechte Lösung angegangen wird. Denn nur so kann dieses ernsthafte und komplexe Thema bewältigt werden. CDU/CSU und FDP unterstützen das Vorhaben, eine Regierungskommission einzusetzen. Nach Vorlage des Berichts der Kommission werden wir als Parlament deren Vorschläge diskutieren und bewerten. Es liegt dann an uns als Parlamentariern, welche Vorschläge wir aufgreifen und was wir als Gesetz beschließen. An dieser klaren Aufgabenteilung zwischen einer Fachkommission und der Verantwortung von uns Abgeordneten wollen wir nichts ändern. Eine Verwischung oder Vermengung von Verantwortlichkeiten, wie das die Linke beantragt, lehnen wir ab. Was die Zusammensetzung der neuen Regierungskommission anbelangt, hat die Bundesregierung bereits mehrfach geäußert, dass die derzeitigen Planungen auch vorsehen, im Rahmen der Beratungen auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anzuhören und/ oder gegebenenfalls schriftliche Gutachten einzuholen sowie betroffene Institutionen - zum Beispiel die Rentenversicherungsträger - und die Sozialpartner, Sozialverbände und Kirchen zu beteiligen. Es wäre auch nicht sachgerecht, externen Sachverstand aus dem Bereich der zusätzlichen Altersvorsorge von vornherein auszuschließen. Dies würde auch die Bedeutung der zusätzlichen betrieblichen und privaten Altersvorsorge für die Alterssicherung insgesamt verkennen. Mögliche Probleme und Risiken müssen nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung genau analysiert werden - nur so können tragfähige und passgenaue Lösungsansätze zur Vermeidung von Altersarmut insgesamt entwickelt werden. Wir, die Koalitionsfraktionen, sind davon überzeugt, dass die Regierungskommission wegweisende Empfehlungen zur Vermeidung von Altersarmut in der Zukunft erarbeiten wird. Wir sind fest entschlossen, dazu im Parlament noch in dieser Legislaturperiode konkrete Gesetzesbeschlüsse zu fassen.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Heute debattieren wir zum wiederholten Male zur Altersarmut in Deutschland, weil die Linken mal wieder einen Antrag eingereicht haben. Diese Fraktion wird einfach nicht müde, ihre kommunistischen Forderungen wieder und wieder vorzutragen. Aber dadurch werden sie nicht besser. Und da Sie auch keine stichhaltigen Argumente anführen, werden Sie auch niemanden von Ihren leeren Worthülsen überzeugen. Aber kommen wir zu Ihrem Antrag. Gut daran ist, dass wir uns mit der Altersarmut beschäftigen. Dieses Problem ist in unserer Gesellschaft vorhanden, und wir müssen ihr heute begegnen, damit die Altersarmut in den kommenden Jahren nicht ansteigen, sondern reduziert wird. Aus diesem Grund wird die Bundesregierung eine Regierungskommission bilden und nicht eine Parlamentskommission. Hierzu werden dann Fachleute herangezogen, die diese Kommission beraten. Das Ziel der Regierungskommission wird es sein, alle Rentensysteme in der Bundesrepublik Deutschland in die Betrachtung einzubeziehen. Dies betrifft auch die Riester-, Betriebsund Erwerbsminderungsrenten. Es wird einen Think Tank geben - eine Diskussion ohne Tabus mit dem Ziel, wirksame Maßnahmen gegen die Altersarmut zu finden. Ich möchte an dieser Stelle sehr deutlich darauf hinweisen, dass die beste Absicherung gegen die Altersarmut auch schon die Berufstätigkeit ist. Wir haben die Arbeitslosigkeit auf ein Niveau gesenkt, wie es keiner erwartet hatte, und dies trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise. Wir werden auch weiter dahin wirken, dass die Arbeitsplätze in Deutschland gesichert und dass Zu Protokoll gegebene Reden neue Stellen geschaffen werden. Die von Ihnen so oft in die Waagschale geworfene Forderung nach einem Mindestlohn wirkt sich da nur negativ aus, würde Arbeitsplätze vernichten und zu vermehrter Altersarmut führen. Deshalb sprechen wir uns dagegen aus. Ja, wir fordern von unseren Bürgerinnen und Bürgern, auch für die Alterssicherung einen privaten Beitrag zu leisten. Dies ist notwendig. Dafür vermeiden wir aber eine drastische Erhöhung der Rentenbeiträge, die sonst notwendig wäre. Mit der Einführung der RiesterRente ist ein Instrument geschaffen worden, mit dessen Hilfe der Altersarmut begegnet werden kann. Dieses Instrument zu verunglimpfen ist nicht gerechtfertigt. Die Zahlungen aus der Riester-Rente ergänzen die Zahlungen der gesetzlichen Rentenversicherung sehr sinnvoll und verringern im Wesentlichen die Gefahr der Altersarmut. Um dies zu gewährleisten, haben wir das Schonvermögen von 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr angehoben. Diese Verdreifachung führt dazu, dass ein 60-Jähriger bis zu 45 000 Euro für das Alter ansparen darf. Das ist eine sinnvolle und effektive Vorsorge gegen Altersarmut. Es muss nicht alles staatlich reguliert werden, wie das die Linken fordern. Die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind durchaus selbst in der Lage, privat die zu erwartende Rente zu ergänzen. Ob dies über Lebensversicherungen oder die eigene Immobilie ist, sollen unsere Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden. Denjenigen, denen es nicht gelingt, ordentlich selbst vorzusorgen, müssen wir die helfende Hand reichen. Aber die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sorgt lieber auf dem Sektor für die Altersvorsorge vor, der ihm selbst am sichersten und profitabelsten erscheint. Lassen wir ihnen dieses Recht auf Selbstbestimmung. Was Sie, meine Damen und Herren von der Linken, betreiben, ist doch ein Etikettenschwindel. Sie kennen doch die demografische Entwicklung und wissen genau, dass langfristig die Anzahl derer, die die Rente finanzieren, zurückgehen wird und die Anzahl der Rentner ansteigen wird. Wenn wir bei Ihren Forderungen bleiben, würde der Rentenbeitrag ins Unermessliche steigen. Deshalb haben wir den Nachhaltigkeits- sowie den Riester-Faktor in den letzten Jahren bei der Berechnung der Einkommen im Alter einbezogen. Wir wollen eine solide Sicherung der Einkommen im Alter und setzen auf ein Splittung in gesetzliche Rentenversicherung und private Vorsorge. Ob und wo es noch sinnvolle und bezahlbare Möglichkeiten zur Vermeidung der Altersarmut bei uns in Deutschland gibt, wird jetzt von der Regierungskommission erarbeitet. Lassen wir ihr für diese wichtige Tätigkeit die Zeit, um gründlich zu recherchieren und sich mit den Fachleuten aus allen Bereichen ausführlich zu beraten. Versuchen Sie, Ihr Strickmuster zu durchbrechen, und vermeiden Sie eine polemische Debatte. Diskutieren Sie mit uns die kommenden Vorschläge zum Nutzen unserer Bürgerinnen und Bürger und zur Vermeidung der Altersarmut.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit dem vorliegenden Antrag erkundigt sich die Fraktion Die Linke nach Aufgabe und Zusammensetzung der von der Bundesregierung angekündigten Altersarmutskommission.Die Linke kritisiert auch die fehlende Beteiligung des Parlaments an der geplanten Einsetzung der regierungsinternen Kommission. Unseres Erachtens aber ist weniger die Zusammensetzung der Kommission ein Problem als deren Aufgabenstellung. Angesichts der politischen Vorgaben im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP für deren Arbeit ist für uns eine Beteiligung ohnehin nicht sinnvoll. Daher können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Weil wir aber die zugrunde liegende Analyse für richtig halten, enthalten wir uns der Stimme. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP wurde vereinbart, gegen Altersarmut vorzugehen; das ist erfreulich. Aber außer dieser Absichtserklärung wurde bisher noch nichts geliefert. Die Bundesregierung hat es offenbar nicht eilig. Im April dieses Jahres soll die Kommission ihre Arbeit aufnehmen, der Abschlussbericht wird erst im September 2012 vorliegen. Die Regierungskoalition stellt sich ihrer Verantwortung viel zu spät. Eine Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode ist daher kaum zu erwarten. Deutschland ist stabiler als andere Länder durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen. Allerdings kommt die aktuell gute wirtschaftliche Lage den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in zu geringem Maß zugute. Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte haben nach wie vor große Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt. In atypischen Beschäftigungsverhältnissen liegen die Stundenverdienste um ein Drittel niedriger. Über 20 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten sind im Niedriglohnsektor beschäftigt. Langzeitarbeitslosigkeit und Niedriglohnbeschäftigung hinterlassen deutliche Spuren in den Erwerbsbiografien der Beschäftigten. Kräftige finanzielle Einbußen bei der Altersversorgung sind die Folge. Altersarmut wird in Zukunft vor allem im Osten zum Problem. Berechnungen des DIW haben ergeben, dass in der Alterskohorte der Jahrgänge 1952 bis 1971 jeder dritte Mann - 31,4 Prozent - und fast jede zweite Frau - 46,6 Prozent - einen Rentenzahlbetrag aus der gesetzlichen Rentenversicherung von unter 600 Euro erhalten, also mit seinem Renteneinkommen unterhalb der Grundsicherung bleiben wird. Von herausragender Bedeutung für die Vermeidung von Altersarmut sind: Erstens eine Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, die dem Leitbild der „guten Arbeit“ verpflichtet ist. Dazu gehören die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Dann können die Versicherten auch wieder mit höheren Renten rechnen. Zweitens - auch wenn der eigentliche Schlüssel zur Bekämpfung von Altersarmut auf dem Arbeitsmarkt liegt - muss sozialpolitisch flankierend eingegriffen werden. Zu Protokoll gegebene Reden Daher müssen wir bereits entstandene Absicherungslücken in der Rente schließen. Wir schlagen vor, die Rente nach Mindestentgeltpunkten bis zum 1. Januar 2011 fortzuführen sowie Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit innerhalb der Gesamtleistungsbewertung besser zu bewerten. Darüber hinaus stellt auch die Erwerbsminderung ein Risiko für Altersarmut dar. Dem müssen wir mit besseren Erwerbsminderungsrenten begegnen. Die Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag sind kaum dazu geeignet, Altersarmut zu bekämpfen. Die Leitmotive Ihrer Vereinbarungen zur Alterssicherung - privat vor solidarisch und Almosen statt Leistungsgerechtigkeit - degradieren die gesetzliche Rente zum Nebenschauplatz der Alterssicherung. Dies lässt kaum positive Erwartungen aufkommen. Die im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP getroffenen Vorfestlegungen bestätigen, dass Sie - auf Kosten der Versicherten - Konflikten innerhalb der Bundesregierung aus dem Weg gehen. Daher fehlt ein klares Bekenntnis zur gesetzlichen Rente als erster und wichtigster Säule der Alterssicherung. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet: Die private und betriebliche Altersvorsorge soll sich auch für Geringverdiener lohnen. Entsprechende Freibeträge müssten dann aber auch für Einkünfte aus der gesetzlichen Rente gelten. Sie wollen die kapitalgedeckte Altersvorsorge stärken. Inwiefern sogenannte Soloselbstständige aber die finanziellen Mittel für die zusätzliche Altersvorsorge aufbringen können, ist fraglich. Tatsächlich ist die staatlich geförderte Altersvorsorge nur sinnvoll, wenn sie zusätzlich betrieben wird. Geprüft wird, ob und wie die Absicherung gegen das Erwerbsminderungsrisiko in der staatlich geförderten Vorsorge kostenneutral verbessert werden kann. Das bedeutet wohl in der Konsequenz Leistungskürzungen. Sie wollen diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt haben, mit einer neuen Fürsorgeleistung vor Altersarmut bewahren. Ein neben der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zusätzliches steuerfinanziertes System soll dafür sorgen, dass ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erreicht wird. Damit schaffen Sie eine Grundsicherung erster und zweiter Klasse. Aus all diesen Vorgaben wird deutlich, in welch eng gestecktem Rahmen Sie nach Lösungen suchen. Sie scheuen davor zurück, den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, was Sie mit Ihren Vorgaben bezwecken - vermutlich haben Sie Angst vor der öffentlichen Diskussion. Sie übertragen Ihre Arbeitsmarktpolitik konsequent auf die Alterssicherung. Wer einen gesetzlichen Mindestlohn verweigert und einen immer weiter wachsenden Niedriglohnsektor akzeptiert, dem fällt auch bei der Alterssicherung nur die Fürsorge ein: hier prekäre Beschäftigung und Langzeitarbeitslosigkeit, dort Alterseinkommen als Almosen. Bisher waren individuelle Lebensleistung und verantwortungsvolle Alterssicherungspolitik verantwortlich dafür, dass ältere Menschen in Deutschland heute in der Mehrzahl finanziell gut abgesichert sind. Wir wollen, dass dies so bleibt. Und wie wir seit dem 23. CDU-Parteitag wissen: Die Parteibasis der CDU sorgt sich ebenfalls um die Zukunft der Alterssicherung. Eine Fülle von konkreten Maßnahmen wurde hier vorgeschlagen, die die Regierungskommission in ihre Überlegungen mit aufnehmen soll, um zukünftige Altersarmut wirksam zu bekämpfen. Greifen Sie diese Vorschläge auf und gestalten den Auftrag der Kommission offener. Im Übrigen: Wenn Sie hinter den Vorschlägen des CDU-Parteitags stünden, hätten Sie unserem Antrag zur Bekämpfung der Altersarmut im vergangenen Herbst getrost zustimmen können. Jede Alterssicherungspolitik muss an Legitimationsgrenzen stoßen, wenn selbst jahrzehntelange Beitragszahlung nicht mehr zu einer Altersversorgung oberhalb der Armutsgrenze führt. Unser Anliegen ist es, Menschen zu ermöglichen, von ihrer Arbeit auch zu leben und zugleich für das Alter vorzusorgen. Die Schließung von Lücken in der Erwerbsbiografie und eine faire Entlohnung sind Voraussetzungen für eine angemessene finanzielle Absicherung im Alter. Zusätzlich müssen wir dem Wandel der Arbeitswelt Rechnung tragen und die gesetzliche Rentenversicherung zur Erwerbstätigenversicherung ausbauen; denn Altersarmut findet sich vor allem dort, wo keine Anwartschaften aus der gesetzlichen Rente vorhanden sind.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Vermeidung von Armut ist eine zentrale Aufgabe der Politik. Wir wissen, dass es für ältere Menschen spezielle und in Zukunft steigende Risiken gibt. Deshalb wird die Bundesregierung in den nächsten Wochen eine Regierungskommission einsetzen, die sich mit dieser wichtigen Materie fundiert auseinandersetzen wird. Eine Ausweitung des Auftrages und der Zusammensetzung dieser Kommission im Sinne der Fraktion der Linken lehnen wir ab. Der Ansatz der Linken ist kurativ nachsorgend. Unser Ansatz ist präventiv. Und genau das halte ich nicht nur für den liberalen Ansatz, sondern auch für die einzige realistische Lösung dieses wachsenden Problems: Jedem Bürger die Chance zu geben, seine eigene Altersversorgung auf eine ausreichende und ihm als geeignet erscheinende Basis zu stellen. Einen wichtigen Schritt haben wir schon zu Beginn dieser Wahlperiode gemacht, nämlich den Freibetrag beim Schonvermögen im SGB II, der verbindlich der Altersvorsorge dient, auf 750 Euro pro Lebensjahr verdreifacht. Eigenständige Altersvorsorge darf nicht bestraft werden - schon gar nicht, wenn jemand auf das Arbeitslosengeld II angewiesen ist. Die aktuelle Situation ist undramatisch. Nur etwa 2,5 Prozent der über 64-Jährigen sind auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen. Die Statistiken besagen auch, dass geringe Renten durchaus häufig mit anderen Einkommen oder Vermögen zusammentreffen. DaZu Protokoll gegebene Reden von lassen wir uns nicht täuschen. Die geringe Zahl Betroffener mildert für den Einzelnen nicht die Tragik seiner Situation. Diejenigen, deren politisches Geschäft in der Dramatisierung und Beschwörung sozialer Missstände besteht, dürfen sich und die Öffentlichkeit aber eben auch nicht täuschen. Kleine Renten bedeuten keineswegs automatisch Armut. Die nötigen Korrekturen auf das staatliche Rentensystem zu beschränken geht an der Lebenswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland vorbei. Ich behaupte nicht, dass eine geringe Rente unproblematisch wäre, aber der reduzierte Blick auf Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung greift zu kurz. In einer Anhörung ist uns gesagt worden, dass die Bezieher geringer gesetzlicher Renten statistisch ein deutlich höheres Haushaltseinkommen haben als die Bezieher mittlerer Renten. Zur Feststellung von Altersarmut müssen neben dem regelmäßigen Einkommen auch das Vermögen und andere Einkommensarten berücksichtigt werden. Das bestätigen ausdrücklich die Gutachter. Auch der Alterssicherungsbericht 2008 wies aus, dass Rentner mit weniger als 250 Euro gesetzlicher Rente im Schnitt ein Gesamteinkommen von fast 1 400 Euro im Monat hatten. Die Altersarmutskommission wird unter anderen zwei Fragen zu beantworten haben: Wie können wir befördern, dass sich private und betriebliche Altersvorsorge auch für Geringverdiener lohnt? Und wie sichern wir allen, die langjährig Vollzeit gearbeitet haben, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung, ohne an anderen Stellen Ungerechtigkeiten zu schaffen? Ich habe mir noch einmal die vorliegenden Initiativen der Oppositionsparteien angeschaut. Das ist alles nicht kreativ. Nach einleitenden Sätzen mit den üblichen sozial klingenden Floskeln folgt der altbekannte Apparat linker Forderungen. Unter anderem behaupten sie auch, die Einführung von Mindestlöhnen helfe bei der Vermeidung von Altersarmut. Das ist nicht durchdacht und führt zum Gegenteil von Armutsbekämpfung, wenn in der Folge Arbeitsplätze verschwinden. Ein Diskussionspunkt, den die Opposition taktisch sehr hoch aufhängt, ist die Zahlung der RV-Beiträge für erwerbsfähige ALG-II-Bezieher. Ich verstehe den prinzipiellen Ansatz, dass der Träger einer den Lebensunterhalt sichernden Sozialleistung in der Regel auch die Beiträge zu anderen Sozialversicherungen abdecken soll. Wäre das ein heiliger Grundsatz, hätte die Große Koalition den ersten Sündenfall begangen. Ich teile aber nicht die Theorie, dass ein RV-Beitrag von 2,09 Euro pro Jahr der Arbeitslosigkeit Altersarmut vermeiden kann. Der heute zu behandelnde Antrag hat zum Inhalt, der Bundesregierung Vorgaben sowohl dazu zu machen, wie sich die Regierungskommission zusammenzusetzen hat, als auch dazu, welche Inhalte dort beraten werden sollen. In Wirklichkeit geben Sie der Kommission die von Ihnen gewünschten Ergebnisse vor. Expertenmeinungen, die nicht in das linke Weltbild passen, werden als böse Klientelinteressen bezeichnet. Allen Bundesregierungen der letzten Jahre wird nachgesagt, nur auf die Interessen der Banken- und Versicherungswirtschaft zu hören. Ich weise das zurück. Ihre Antragsbegründung ist unsachlich und böswillig. Auch die Strapazierung des Begriffes „Solidarität“ muss kommentiert werden. Ihre „Solidarität“ bedeutet neben massiven Steuererhöhungen für Facharbeiter, mittlere Beamte und kleine Selbstständige auch Beitragserhöhungen, in diesem Fall der Rentenversicherung. Das erwähnen Sie im Antrag nicht. Aber es ist klar und anderswo auch nachlesbar. Die Realisierung Ihrer Ideen erzwingt höhere Beiträge. Allein für die Rentenversicherung hat Ihr Vorsitzender Klaus Ernst im November mal eben 0,5 Prozent höhere Beiträge für akzeptabel erklärt. Dieser Tage bezeichnete Herr Kollege Birkwald ein Prozent höhere Beiträge als unproblematisch. SPD und Linke fordern in unterschiedlicher Ausprägung unbefristete Aufwertungen der Rentenanwartschaften von Geringverdienern. Damit durchbrechen Sie das Prinzip der Äquivalenz. Das heißt, Sie schaffen echte Ungerechtigkeiten, ohne wesentliche Beiträge zur Armutsvermeidung bewirken zu können. Ich komme zum Ausgangsgedanken zurück. Was gegen Altersarmut hilft, sind stabile Erwerbsbiografien und sichere Einkommen. Eine gute wirtschaftliche Entwicklung, die sich entsprechend auf dem Arbeitsmarkt niederschlägt, bewirkt mehr als noch so gut gemeinte nachträgliche Korrekturen.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Altersarmut ist bereits heute ein Problem. Seit die „Grundsicherung im Alter“ in Kraft getreten ist, ist die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die auf sie angewiesen sind, um über 55 Prozent gestiegen. Im Jahr 2003 gab es knapp 260 000 Betroffene, Ende 2009 waren es schon fast 400 000. Bereits heute sind 15 Prozent der Menschen über 65 Jahre in Deutschland armutsgefährdet - beinahe genauso viele wie im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Armut im Alter ist aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters und begrenzter Möglichkeiten, an dieser Situation noch etwas zu ändern, in der Regel verfestigte Armut. Das Problem ist seit langem bekannt. Ebenso bekannt ist, dass in Zukunft mit einer rasant steigenden Altersarmut - insbesondere in Ostdeutschland zu rechnen ist. Deswegen ist der Plan der Bundesregierung, eine Altersarmutskommission einzusetzen, die Vorschläge zur Bekämpfung der Altersarmut entwickeln soll, nicht falsch. Doch ihre Zielsetzung bleibt diffus, und die geplante Beteiligung von Lobbyisten aus der Versicherungswirtschaft verheißt nichts Gutes. Zudem wird die Kommission zu spät eingesetzt, und die Verzögerung des Abschlussberichts bis September 2012 lässt befürchten, dass tatsächlich wirksame Maßnahmen letztlich doch wieder unter den Kabinettstisch fallen werden. Altersarmut ist politisch gemacht. Langzeiterwerbslosigkeit, die Ausbreitung von Niedriglohnbeschäftigung und die von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene und von späteren Regierungskoalitionen fortgesetzte langfristige Absenkung des Rentenniveaus führen dazu, dass viele Beschäftigte keine armutsfesten Renten Zu Protokoll gegebene Reden aus der gesetzlichen Rentenversicherung mehr erhalten und auf die unzureichende „Grundsicherung im Alter“ angewiesen sind. Die Versicherten im Osten stehen in einer besonderen Gefahr, künftig im Alter in Armut zu leben. Frauen sind, waren und werden auch in Zukunft weiter stark von Altersarmut betroffen sein. Erwerbsgeminderte werden ebenfalls sehr häufig Renten unterhalb des Existenzminimums beziehen. Die bisher bekannte Zielsetzung geht in die falsche Richtung. Denn statt zu prüfen, wie die gesetzliche Rentenversicherung so reformiert werden kann, dass sie den Lebensstandard im Alter wieder sichert und langjährigen Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern ein Rentenniveau bietet, das deutlich über dem Niveau der „Grundsicherung im Alter“ liegt, will sie die private und betriebliche Altersvorsorge weiter stärken. Wer hier nicht mitziehen kann, wer keine Mittel für eine private Vorsorge aufzubringen vermag, wird mit einer stigmatisierenden Fürsorgeleistung abgespeist. Stattdessen will die Linke ein Leben in Würde für alle statt nur für einige. Die Linke stellt deshalb klare Anforderungen an eine sinnvolle Kommissionsarbeit. Wir wollen das Verfahren beschleunigen und das Thema Altersarmut aus den ministeriellen Hinterzimmern herausholen. Deshalb muss die Kommission demokratisch zusammengesetzt sein: Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Sozialverbände, Seniorenorganisationen und Wissenschaft sowie alle Parteien des Deutschen Bundestages müssen beteiligt werden. Lobbyisten der Versicherungswirtschaft darf keine weitere Einflussmöglichkeit gegeben werden. Wir wollen Klarheit in der Analyse: Die politischen Ursachen von Altersarmut müssen benannt werden - insbesondere die verfehlte Rentenpolitik durch den Paradigmenwechsel seit 2001, mit dem das Ziel der Lebensstandardsicherung mit der gesetzlichen Rente aufgegeben worden ist und die Privatisierung der Alterssicherung ebenso eingeführt wurde wie eine nach wie vor stigmatisierende und unzureichende „Grundsicherung im Alter“. Ein besonderes Augenmerk muss auf die Situation von Frauen und auf die Menschen in Ostdeutschland gelegt werden. Wir formulieren ein klares Ziel: Wir wollen Lebensstandardsicherung und Altersarmutsvermeidung durch Reformen der gesetzlichen Rente und des Arbeitsmarktes erreichen. Die Kommissionsarbeit muss dem Dreiklang „gute Löhne, gute Arbeit, gute Rente“ folgen. Dazu gehören unweigerlich die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns sowie ein energischer Ausbau der Konzepte zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Kommission muss darüber hinaus das Konzept einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung ebenso prüfen wie innerhalb dieses Konzepts anzulegende Elemente der Mindestsicherung. Gerade für Ostdeutschland muss endlich ein Konzept entwickelt werden, mit dem die Renten in Ostdeutschland möglichst schnell auf das Westniveau angehoben werden können.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich begrüße, dass die Bundesregierung mit der Einberufung der Altersarmutskommission das Problem der Altersarmut anerkennt. Das ist ein notwendiger Schritt, um endlich auch zu einer Diskussion über Maßnahmen gegen Altersarmut zu kommen. Ich begrüße, dass die Bundesregierung mit der Kommission das Problem der Altersarmut endlich anerkennt, auch wenn einige aus den Regierungsfraktionen das Problem offenbar immer noch kleinreden. Ich begrüße, dass die Bundesregierung eine Altersarmutskommission einsetzt, auch wenn ich Zweifel habe, wie ernst die Bundesregierung ihr Engagement auf diesem Gebiet meint. Ich darf nur daran erinnern, dass dieselbe Bundesregierung gerade im letzten Jahr beschlossen hat, die Rentenbeiträge für Arbeitslosengeld-IIBeziehende zu streichen. Das wird unweigerlich zu mehr Altersarmut führen. Und ich muss auch daran erinnern, wie die Bundesregierung derzeit agiert bezüglich der EU-2020-Strategie zur Reduzierung der Armut. Die Bundesregierung ist offenbar nicht bereit, ihren fairen Anteil an dem anvisierten Ziel einer Reduzierung der Armut in Europa um 20 Millionen zu leisten. Dies alles lässt mich zweifeln, wie ernst der Bundesregierung ihr Engagement gegen Altersarmut ist. Ich bekomme allerdings auch Zweifel, wenn ich den Antrag der Fraktion Die Linke lese, den wir heute verhandeln. Was mich stutzen lässt, ist, dass die in dem Antrag zuerst genannte Forderung die nach einem Vorschlag der Kommission für die Lebensstandardsicherung ist. Ich finde das bemerkenswert, wo es bei der Kommission doch explizit um die Bekämpfung der Altersarmut gehen soll. Eine Rentenpolitik, die sich dem Ziel der Lebensstandardsicherung verschreibt, kann für einen Teil der Rentner eine Antwort auf die drohende Altersarmut sein. Klar ist aber auch, dass bei einer solchen Strategie viele herausfallen und im Alter arm sein werden. Ich möchte das nicht zu hoch bewerten - und die Linkspartei nennt in ihrem Antrag auch anderes -, aber stutzen lässt mich diese Rangfolge doch. Altersarmut ist ein Problem, und wir müssen endlich auch handeln. Derzeit sind 2 Millionen ältere Menschen in Deutschland arm. Es ist zwar richtig, dass die Armut bei Kindern höher ist. Und es ist sicher auch richtig, dass die empörende Kinderarmut uns als Gesellschaft vor eine noch dringlichere Aufgabe stellt. Aber ich warne davor, das Problem der Altersarmut kleinzureden oder die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen. Armut im Alter ist anders als in anderen Lebensphasen. Altersarmut ist verfestigte Armut. Ältere, die arm sind, haben in der Regel keine Chance mehr, die Armut zu überwinden. Das unterscheidet sie grundlegend von allen anderen Altersgruppen. Altersarmut ist dauerhafte, unbefristete, ja für die Betroffenen lebenslängliche Armut. Ich bin überzeugt davon, dass die älteren Menschen, die arm sind, in ihrem Leben auf die eine oder andere Weise einen Beitrag zu unserer Gesellschaft geleistet haben. Manche haben Kinder erzogen, andere haben Angehörige gepflegt, wieder andere haben sich politisch oder sozial engagiert. Manche haben lange Jahre für wenig Geld gearbeitet. Manche haben jahrelang erfolglos versucht, wieder eine Arbeit zu finden. Zu Protokoll gegebene Reden Dadurch entstehen Lücken in den Rentenbiografien, und ich finde es empörend, dass die Leistungen dieser Menschen nicht anerkannt werden und hingenommen wird, dass sie im Alter in Armut leben müssen. Bezüglich der nächsten Jahre erwartet uns nach allen Prognosen ein deutlicher, ein überproportionaler Anstieg der Altersarmut. Gerade heute ist die neue Studie der OECD „Renten auf einen Blick“ erschienen. Darin ist nachzulesen, dass Deutschland bei der Absicherung der zukünftigen Rentner mit niedrigem Einkommen im internationalen Vergleich äußerst schlecht dasteht. In der EU bildet Deutschland das Schlusslicht. Unter den OECD-Ländern sichert nur Japan die derzeitigen Niedrigverdiener schlechter ab. Damit schneidet Deutschland zum Beispiel auch schlechter ab als Mexiko und Polen. Altersarmut in Deutschland ist vorprogrammiert. Und dabei ist bei der Projektion der OECD noch nicht einmal berücksichtigt, dass die Versicherungsbiografien in den letzten Dekaden immer lückenhafter geworden sind: immer mehr unterbrochene Erwerbsbiografien, immer mehr Langzeitarbeitslosigkeit, immer mehr Teilzeiterwerbstätige, immer mehr Soloselbstständige, immer mehr in der Leiharbeit Beschäftigte, immer mehr im Niedriglohnsektor Beschäftigte. Diese Erwerbsbiografien lassen sich nicht mehr retten. Diese Erwerbsbiografien lassen sich auch nicht mehr retten durch eine wie auch immer geartete Wirtschafts- oder Arbeitsmarktpolitik. Die Rentenbiografien der letzten Dekaden sind nämlich schon geschrieben. Und die Massenarbeitslosigkeit der letzten Jahrzehnte hat sich in die Rentenbiografien eingeschrieben. Das ist nicht mehr zu ändern. Zu ändern ist aber, ob dies zu Altersarmut führt. Und wenn die Kommission der Bundesregierung dafür Konzepte vorlegt, begrüße ich das ausdrücklich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4926, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4422 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen; dagegen hat die Linke gestimmt, und enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die SPD-Fraktion. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Europäische-Betriebsräte-Gesetzes - Umsetzung der Richtlinie 2009/38/EG über Europäische Betriebsräte ({0}) - Drucksache 17/4808 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Rechtsausschuss Interfraktionell wird auch hier vorgeschlagen, die Re- den zu Protokoll zu nehmen. Johann Wadephul, Josip Juratovic, Heinrich Kolb, Jutta Krellmann, Beate Müller-Gemmeke und Parlamentarischer Staatssekretär Brauksiepe sind die Rednerinnen und Redner.1) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/4808 vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck ({3}), Josef Philip Winkler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland aufnehmen - Drucksachen 17/2439, 17/4087 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Daniela Kolbe ({4}) Hartfrid Wolff ({5}) Josef Philip Winkler Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. Es handelt sich um die Reden von Helmut Brandt, Daniela Kolbe, Hartfrid Wolff, Ulla Jelpke und Tom Koenigs.2) Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4087, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2439 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen; die Oppositionsfraktionen haben dagegen gestimmt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze - Drucksache 17/4978 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({6}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO 1) Anlage 12 2) Anlage 13 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wie in der Tagesordnung steht, sollen die Reden zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Wadephul, Lehrieder, Schaaf, Molitor, Birkwald und Müller-Gemmeke.

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Europäische Union hat im Rahmen ihrer Zuständigkeiten bereits einen ganzen Sockel verbindlicher Mindeststandards im Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie im Arbeitsrecht verabschiedet. Diese Standards gelten für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der EU gleichermaßen. Die Mitgliedstaaten können natürlich darüber hinausgehen. Aber 20 Tage Jahresurlaub, Grundlagen für den Kündigungsschutz und gewisse Arbeitszeitregelungen sind immer schon Teil der Verträge. Die Europäische Union hat auch Regeln für die Beteiligung der Arbeitnehmer und die Mitwirkung der Sozialpartner geschaffen. Der Europäische Betriebsrat gehört ebenso dazu wie der „soziale Dialog“. Bereits mit der Lissabon-Strategie - also mit der Strategie, in der es darum geht, Europa zu einem wirtschaftskräftigen und dynamischen Kontinent zu machen, wobei der Anspruch sogar lautet, ihn zum dynamischsten Kontinent weltweit zu machen - haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Beschäftigungs- und Sozialpolitiken besser zu koordinieren. Um mehr und bessere Arbeitsplätze in Europa zu schaffen, arbeiten die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft seit langem an einer koordinierten Beschäftigungsstrategie und stimmen ihre Beschäftigungspolitik aufeinander ab. Diese Koordinierung hat über die Lissabon-Strategie ein ganz starkes Momentum bekommen. Kernstück dieses Prozesses sind die beschäftigungspolitischen Leitlinien als wesentlicher Bestandteil der EU-2020-Strategie, die die Lissabon-Strategie abgelöst hat. Wir können also festhalten: Es gibt durchaus einen Sockel sozialer Standards, Regeln für die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Regeln für die Koordinierung der sozialen Sicherheit, finanzielle Hilfen zur Unterstützung der sozialen Kohäsion und europäische Ziele im Bereich der Koordinierung der Beschäftigungs- und Sozialpolitiken. Wie weit aber soll ein soziales Europa auch aus sozialen Regelungen auf der europäischen Ebene bestehen? Sozialer Zusammenhalt im Rahmen der Globalisierung und soziale Sicherheit in Europa sind elementare Herausforderungen, auf die wir nach der globalen Finanzund Wirtschaftskrise in Europa kurz- und mittelfristig Antworten finden müssen, um Europa für die nächsten zehn Jahre zukunftsfähig aufzustellen. Wie erhalten und entwickeln wir unser europäisches Sozialstaatsmodell unter den Bedingungen der Globalisierung? Wie weit soll ein soziales Europa auch aus sozialen Regelungen auf der europäischen Ebene bestehen? Nach meiner Überzeugung geht es bei der Ausgestaltung der sozialen Dimension nicht in allen Fragen um eine Verlagerung der Kompetenz von der nationalen auf die europäische Ebene, also auf die Ebene der Kommission. Viele soziale Regelungen auf der nationalen Ebene sollten bestehen bleiben, auch wegen der in ihrem Aufbau und in ihrem Gewachsensein sehr unterschiedlichen Strukturen der Sozialsysteme. Wir brauchen aber angesichts gewachsener Mobilität immer wieder neue Mindeststandards. Dies zeigt sich beispielsweise bei dem Problem der Portabilität betrieblicher Renten und Pensionen. Dies ist ein wichtiger Punkt, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestimmte Grundrechte überhaupt zu ermöglichen. Der Koordinierung der sozialen Sicherung in den Mitgliedstaaten kommt dabei eine erhebliche Bedeutung zu. Die soziale Sicherung in der Europäischen Union ist in den Verordnungen ({0}) Nr. 883/2004 und Nr. 987/ 2009 zur Koordinierung der sozialen Sicherheit geregelt. Ziel dieser Verordnungen ist es, die sozialen Sicherungssysteme der Mitgliedstaaten zu koordinieren, damit niemand, der von seinem Recht auf Freizügigkeit in der Europäischen Union Gebrauch macht, hierdurch unangemessene sozialrechtliche Nachteile hat. Diese Verordnungen sind ein wichtiges Beispiel für ein Handlungsfeld der europäischen Sozialpolitik. Denn nur durch verbindliche Regelungen auf europäischer Ebene kann sichergestellt werden, dass das Recht auf Freizügigkeit - eine der großen europäischen Grundfreiheiten im Hinblick auf die soziale Absicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Selbst-ständigen bei ihren erworbenen Anwartschaften angemessen flankiert wird. Zahlreiche Zuständigkeitsfragen wurden nicht mehr in den Anhängen der Durchführungsverordnung geregelt, sondern sollen in eine öffentlich zugängliche Datenbank eingetragen werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit sollen entsprechende Aufgabenzuweisungen durch innerstaatliche Regelungen vorgenommen werden. Auch bedingt die Ablösung der bisherigen Verordnungen entsprechende Änderungen im Sozialgesetzbuch und anderen Gesetzen sowie der darin enthaltenen Verweisungen. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa regelt diese verwaltungsmäßige Durchführung der neuen Verordnungen ({1}) Nr. 883/ 2004 und Nr. 987/2009 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa. Insbesondere werden damit künftig pflichtversicherte Rentner auch mit ihrer ausländischen Rente zur Beitragszahlung herangezogen. Im Fall von Entsendungen werden dabei die Beschäftigungsländer durch den Spitzenverband Bund und Krankenkassen oder die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung benachrichtigt. Mit diesen Maßnahmen wird dem Grundsatz der Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten und Ereignissen im Bereich der Krankenversicherung von Rentnern entsprochen. Wesentlicher Zweck des Gesetzentwurfes ist die Feststellung der zuständigen Behörden, Träger sowie Verbindungs- und Zugangsstellen bei der Anwendung und Durchführung der EU-Verordnungen. Verbindungsstelle für den europaweiten Datenaustausch berufsständischer Versorgungseinrichtungen soll die Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen werden. Sie soll die Verwaltungshilfe und den Datenaustausch bei grenzüberschreitenZu Protokoll gegebene Reden den Sachverhalten koordinieren. Des Weiteren sind eine Verbindungsstelle für Familienleistungen sowie eine Koordinierungsstelle für die Systeme der Beamtenversorgung vorgesehen. Insgesamt sollen fünf Zugangsstellen als Kontaktstellen für grenzüberschreitenden Datenaustausch geschaffen werden, die alle in der EUVerordnung Nr. 883/2004 geregelten Bereiche abdecken. Im Gesetz sind auch Anpassungen des Dritten, Sechsten, Siebten und Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie des Gesetzes über die Altersversicherung der Landwirte vermerkt, die sich aus der Umsetzung der EU-Verordnungen ergeben. Finanziell wird es nach Aussagen der Regierung zu geringfügigen Mehreinnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung kommen. Durch den elektronischen Datenaustausch und die Betreuung der Zugangsstellen rechnet die Bundesregierung mit erhöhten Kosten der entsprechenden Leistungsträger und Verbindungsstellen. Diese belaufen sich für die Jahre 2011 und 2012 auf 2 bis 3 Millionen Euro, in den Folgejahren auf ungefähr 1 Million Euro. Erfreulich ist, dass für die Wirtschaft, besonders für kleinere und mittlere Unternehmen, durch die neu eingeführten Informationspflichten keine zusätzlichen Kosten erwartet werden. Für die Bürgerinnen und Bürger werden durch das Gesetz keine Informationspflichten neu eingeführt, geändert oder aufgehoben. So wie sich Europa also nach außen neu ausrichtet, so muss es das auch nach innen schaffen. Denn die Sicherung unseres Wohlstandes, Wachstum, Beschäftigung und soziale Sicherheit - kurz: die Erhaltung und Entwicklung unseres europäischen Sozialstaatsmodells, und zwar unter den Bedingungen der Globalisierung -, ist das, was die Bürger von Europa und von ihren Regierungen erwarten. Mit der EU-2020-Strategie wollen wir die Europäische Union zu einem Wirtschaftsraum machen, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Europäische Union garantiert ihren Mitgliedern seit vielen Jahrzehnten Stabilität und Wohlstand. Sie ist kein Gut, auf dem wir uns ausruhen sollten. Das hat die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise mehr als deutlichgemacht. Die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen Europas sind einem ständigen Prozess der Veränderung, Verwerfung und Neuorientierung unterworfen. Daher sind wir gehalten, die Europäische Union ständig fortzuentwickeln. Die EU ist ein organisches Ganzes. Unsere Nationalstaaten sind nicht allein auf sich zurückgeworfen. Die Entwicklungen in einem Staat können beeinflussen, was im Nachbarland geschieht. So werden wir noch in diesem Jahr erleben, dass sich die Bürgerinnen und Bürger der neuen EUMitglieder uneingeschränkt auf unserem Arbeitsmarkt bewerben können. Auch unsere Sozialsysteme stehen vor besonderen Herausforderungen. In diesem Zusammenhang ist die EU-Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zu sehen, die die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf umsetzen will. Demnach sollen pflichtversicherte Rentner künftig auch mit ihrer ausländischen Rente zur Beitragsfinanzierung ihrer Kranken- und Pflegeversicherung herangezogen werden. Nach Art. 30 der EG-Verordnung Nr. 987/2009 darf der Betrag an Beiträgen im Ergebnis keinesfalls den Betrag übersteigen, der bei einer Person erhoben wird, die denselben Betrag an Renten im zuständigen Mitgliedstaat erhält. Ausländische Rentenversicherungsträger können darüber hinaus nicht verpflichtet werden, wie die deutschen Rentenversicherungsträger die Hälfte der nach der Rente zu bemessenden Beiträge nach dem um 0,9 Beitragspunkte verminderten allgemeinen Beitragssatz zu tragen. Deshalb wird die Beitragsregelung so ausgestaltet, dass Bezieher einer ausländischen Rente im Ergebnis nicht stärker belastet werden als Bezieher einer gleich hohen inländischen Rente. Nach bisherigem Recht unterlagen pflichtversicherte Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung allein mit ihren ausländischen Versorgungsbezügen im Sinne von § 229 SGB V der Beitragspflicht zur Krankenversicherung der Rentner, nicht aber mit ausländischen Renten, die den Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne von § 228 SGB V vergleichbar sind, weil dort eine § 229 Abs. 1 Satz 2 SGB V entsprechende Regelung fehlt. Bei pflichtversicherten Rentenbeziehern, die sowohl eine deutsche als auch eine ausländische Rente beziehen, wird deshalb lediglich die deutsche Rente zur Berechnung der Beiträge zu ihrer Krankenversicherung herangezogen. Nach der neuen Regelung werden Beschäftigungsländer entweder durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen oder die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung im Fall von Entsendungen benachrichtigt. Unter anderem Deutschland hat den Antrag gestellt, in jedem Einzelfall über Entsendungen in unser Land informiert zu werden. Sobald der Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten auf elektronischem Weg erfolgt, sollen die entsprechenden Mitteilungen über den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland, geleitet werden. Soweit Entsendungen in einen anderen Mitgliedstaat stattfinden, sollen die Daten von dem GKV-Spitzenverband, DVKA, zentral gespeichert werden, um sie gegebenenfalls den Trägern des Beschäftigungslandes auf Nachfrage unverzüglich zur Verfügung stellen zu können. Mit diesen Maßnahmen wird dem Grundsatz der Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten und Ereignissen im Bereich der Krankenversicherung von Rentnern entsprochen. Eine weitere wichtige Änderung betrifft § 4 des SGB VI, auch weiterhin allen Staatsangehörigen derjenigen Staaten, in denen die Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit anwendbar sind, bei Beschäftigung für eine begrenzte Zeit im AusZu Protokoll gegebene Reden land die Versicherungspflicht auf Antrag zu ermöglichen. Die neue Regelung gilt für Mitglieder einer amtlichen Vertretung des Bundes und der Länder sowie für die bei ihnen Beschäftigten, soweit sie nicht bereits aufgrund einer Entsendung nach § 4 SGB IV oder aufgrund zwischen- oder überstaatlichen Rechts der deutschen Sozialversicherung unterliegen. Sie ist deshalb insbesondere für Ortskräfte in den Fällen von Bedeutung, in denen die Vorschriften über die soziale Sicherheit im Beschäftigungsstaat keine ausreichende Absicherung gewährleisten oder in denen eine Rückkehr nach Deutschland von Beginn an beabsichtigt ist. Andererseits soll durch das flexible Instrument der Antragspflichtversicherung auch vermieden werden können, dass es zu unnötigen Doppelversicherungen kommt. Zahlreiche Zuständigkeitsfragen werden zudem nicht mehr in den Anhängen der Durchführungsverordnung, sondern dadurch geregelt, dass sie in eine öffentlich zugängliche Datenbank eingetragen werden. Deshalb sind Konkretisierungen im nationalen Recht erforderlich. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verfolgt daher im Wesentlichen den Zweck, zuständige Behörden, Träger sowie Verbindungs- und Zugangsstellen bei der Anwendung und Durchführung der EU-Verordnungen festzustellen. Verbindungsstelle für den europaweiten Datenaustausch berufsständischer Versorgungseinrichtungen soll die Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen werden. Sie soll die Verwaltungshilfe und den Datenaustausch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten koordinieren. Außerdem sind eine Verbindungsstelle für Familienleistungen sowie eine Koordinierungsstelle für die Systeme der Beamtenversorgung vorgesehen. Insgesamt sollen fünf Zugangsstellen als Kontaktstellen für grenzüberschreitenden Datenaustausch geschaffen werden, die alle in der EU-Verordnung Nr. 883/2004 geregelten Bereiche abdecken. Zwar wird davon ausgegangen, dass sich die Mehrkosten insgesamt in den Jahren 2011 und 2012, also den Jahren der Entwicklung und Einführung der neuen technischen Verfahren, auf rund 2 bis 3 Millionen Euro und in den Folgejahren auf circa 1 Million Euro belaufen werden. Durch die neuen Verfahren werden auf der anderen Seite aber auch Effizienzzuwächse erzielt, die sich aus der in der EG-Verordnung Nr. 987/2009 vorgesehenen engeren Zusammenarbeit zwischen den inländischen und ausländischen Trägern und Verbindungsstellen bei der Koordinierung der jeweiligen Systeme der sozialen Sicherheit ergeben. Außerdem wird sich durch das im Aufbau befindliche europäische Datenaustauschverfahren im Bereich der sozialen Sicherheit der Verwaltungsaufwand für die Führung der Datei in den kommenden Jahren sukzessiv in erheblichem Umfang vermindern. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt hin zur Angleichung der Sozialsysteme der Europäischen Union. Er verdient daher eine breite Mehrheit.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit dem Gesetz zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und der damit verbundenen Änderung anderer Gesetze soll eine innerstaatliche gesicherte Rechtsgrundlage hergestellt werden, die den zuständigen Behörden Trägern und Verbindungsstellen zu mehr sozialer Sicherheit verhilft. Das dient dem bereits verankerten Grundsatz der Gleichstellung von Leistungen, in diesem Fall den Beziehern einer ausländischen Rente. Diese soll künftig zur Beitragsfinanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung herangezogen werden. Ferner soll die Benachrichtigung der Träger des Beschäftigungslandes im Fall von Entsendungen geregelt werden. Ab dem 1. Juli 2011 sollen in Deutschland damit auch für Renten aus dem Ausland Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gezahlt werden. Das sehen zwei neue EU-Verordnungen, 883/2004/EG und 987/2009/ EG, über die soziale Sicherheit vor, die in allen EU-Staaten gelten. Nach bisherigem Recht unterlagen pflichtversicherte Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung allein mit ihren ausländischen Versorgungsbezügen im Sinne von § 229 SGB V der Beitragspflicht zur Krankenversicherung der Rentner, nicht aber mit ihren ausländischen Renten im Sinne von § 228 SGB V. Bei pflichtversicherten Rentenbeziehern, die sowohl eine deutsche als auch eine ausländische Rente beziehen, wurde deshalb bislang lediglich die deutsche Rente zur Berechnung der Beiträge zu ihrer Kranken- und Pflegeversicherung herangezogen. Dieses eher technische Gesetz soll es erleichtern, die Verfahren der Leistungen in grenzübergreifenden Sachverhalten besser zu koordinieren. Bisher kennen wir hauptsächlich den Fall von Erleichterungen bei der Erstattung von Leistungen aus der bisherigen Praxis. In der heutigen Thematik geht es um die Anpassung deutscher Gesetze: des SGB III, SGB IV, SGB V, SGB VI, SGB VII, SGB XI sowie des Gesetzes über die Altersund Krankenversicherung der Landwirte, des Altersteilzeitgesetzes und der Umsetzung der EU-Verordnungen. Kostenlos ist dies nicht umzusetzen. Den geringen Mehreinnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung stehen für den elektronischen Datenaustausch und die Betreuung der Zugangsstellen erhöhte Kosten in den Jahren 2011 und 2012 von 2 bis 3 Millionen Euro in den Folgejahren ungefähr 1 Million Euro gegenüber. Die sich hieraus ergebenen Mehrbelastungen für den Bundeshaushalt müssen in den jeweiligen Einzelplänen im Rahmen der bestehenden Ansätze aufgefangen werden; ich bin gespannt, wie die Bundesregierung dies im Ringen des Sparwettbewerbes umsetzen wird. Faktisch bedeutet diese Regelung für Grenzgänger eine Kürzung ihrer Rente. Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus Deutschland, die lange gearbeitet haben und demnach meist nur einen kleinen Teil ihrer Rente aus Deutschland bekommen, sind hiervon besonders betroffen. Zu Protokoll gegebene Reden Was ich an der Regelung kritisiere, ist, dass Grenzgänger und Entsandte durch die neue Regelung in die deutsche Sozialversicherung automatisch „überführt“ werden und sie keine Wahlmöglichkeit haben. Sie haben keine Entscheidungsmöglichkeit darüber, in dem System, in dem sie oft jahrzehntelang Beiträge gezahlt haben, zu bleiben, weil das Wohnortprinzip über das Arbeitsprinzip gestellt wird. Daher muss der Grundsatz gelten, dass Bezieher einer ausländischen Rente im Ergebnis nicht stärker belastet werden als Bezieher einer gleich hohen inländischen Rente. Natürlich ist der Gleichstellung der europäischen Bürger und Bürgerinnen in Form der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa Rechnung zu tragen, wenn es um Neuregelungen geht, aber nicht mit dem Ziel insgesamt in Europa eine schrittweise Durchsetzung eines niedrigen Niveaus der sozialen Sicherheit zu etablieren, was an vielen Stellen der europäischen Handlungen leider allzu deutlich wird. Wir wissen, dass die europäische Gesellschaft vor einem beispiellosen demografischen Wandel steht, der sich massiv auf die wirtschaftliche und soziale Situation der gesamten Europäischen Union auswirken wird. Dies ist für alle EU-Mitgliedstaaten relevant. In allen Mitgliedstaaten wächst der Anteil der älteren Menschen, während die Zahl der Kinder deutlich abnimmt. Ab 2025 wird die Bevölkerung der EU nach heutigem Erkenntnisstand schrumpfen. In einem Drittel der EU-Regionen nimmt die Bevölkerung bereits seit Ende der 90er-Jahre ab. Die SPD-Fraktion begrüßt, dass die EU-Kommission eine Gleichstellung der Europäer in den Blick nimmt. Da es in allen Mitgliedstaaten immer mehr ältere Menschen gibt, stehen die aktuellen Systeme für die Alterssicherung unter massivem Druck. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat diesen Druck noch weiter verstärkt. Unabhängig von der Koordination der sozialen Sicherheit in Europa ist es für die SPD grundsätzlich, dass die Finanzierung und Bereitstellung von Renten in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bleiben muss. Wir werden es nicht zulassen, dass europaeinheitliche Standards zu einer Verschlechterung guter Systeme einiger Mitgliedstaaten führen. Der Schwerpunkt bei der Sicherung der Renten und Pensionen muss es sein, für den sozialen Fortschritt in Europa einzutreten. Wir wollen soziale Ziele und Grundrechte im europäischen Binnenmarkt stärken. Es muss sichergestellt sein, dass die wirtschaftlichen Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes keinen Vorrang vor sozialen Grundrechten und Zielen haben. Die sozialen Grundrechte müssen im Konfliktfall vorgehen. Wir lehnen es ab, die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung ausschließlich auf die Bewältigung des demografischen Wandels zu verengen. Wir werden jede Möglichkeit nutzen, die Diskussion um die Zukunft der Altersvorsorge wieder um die Dimension der Arbeitsmarktpolitik zu erweitern. Auch den einsamen europäischen Ruf nach der Erhöhung des Renteneintrittsalters teilen wir nicht. Wir glauben, dass es eine Reihe von Alternativen zur Privatisierung und zur Erhöhung des Renteneintrittsalters gibt. Neben der Erhöhung der Verantwortung der Arbeitgeber, Renten für ihre Mitarbeiter zu schaffen, bedarf es einer Förderung der Flexibilität des Renteneintritts, einer Erhöhung der Sicherheit von Pensionsfonds und einer Garantie für eine Mindestrente. Es bedarf gemeinsamer Mindeststandards für die Renten. Um Altersarmut erfolgreicher zu bekämpfen, bedarf es der offenen Methode der Koordinierung im Bereich Renten und Armutsbekämpfung. Wir sind für ein Europa mit sozialem Antlitz, wir wehren uns gegen Sozialabbau. Wir brauchen ein Europa mit hohen Standards der sozialen Sicherheit und guten, sicheren Renten für alle Bürgerinnen und Bürger.

Gabriele Molitor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004112, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In der Europäischen Union gilt das Recht auf Freizügigkeit. Jeder EU-Bürger kann frei entscheiden, in welchem anderen EU-Land er leben und arbeiten möchte. Die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten soll die Freizügigkeit der Bürger innerhalb der Europäischen Union erleichtern. Es gilt das Prinzip der Gleichbehandlung. Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaats und Bürger, die in diesem Mitgliedstaat wohnen, aber nicht dessen Staatsangehörigkeit besitzen, haben die gleichen Rechte und Pflichten. Seit Mai 2010 gelten für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa zwei neue Verordnungen. Dieser Schritt wurde notwendig, da die bereits seit 1971 geltende Verordnung des Rates vielfach geändert wurde und die gemeinschaftlichen Regeln der Koordinierung zu unüberschaubar wurden. Der hier vorliegende Gesetzentwurf ist aus zwei Gründen nötig: Um für Rechtssicherheit und -klarheit zu sorgen, muss die Aufgabenzuständigkeit festgelegt werden, da diese nicht mehr in der Durchführungsverordnung geregelt wird. Des Weiteren sind Änderungen von Regelungen im Sozialgesetzbuch und anderen Gesetzen nötig. Auch die anderen Länder in der Europäischen Union werden so verfahren. Geregelt werden unter anderem die Zuständigkeiten für Aufgaben wie beispielsweise den europaweiten Datenaustausch, Familienleistungen und Beamtenversorgung. Neu eingeführt wird eine Beitragspflicht für Auslandsrenten. Angepasst wird auch das Gesetz über die Altersversicherung von Landwirten. Sozialpolitik liegt in der nationalen Zuständigkeit. Jeder Staat betreibt seine Sozialpolitik eigenständig. Die Rolle der Europäischen Union in der Sozialpolitik beschränkt sich auf koordinierende Aufgaben und die Unterstützung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Aufgabe der Europäischen Union ist es aber auch, darauf zu dringen, dass die Mitgliedstaaten ihre Sozialsysteme reformieren und damit den aktuellen Entwicklungen, wie zum Beispiel in der Eurostabilisierung, Rechnung tragen. Laut des „Gemeinsamen Berichts über Sozialschutz und soziale Eingliederung von 2010“ der Europäischen Union haben die europäischen Sozialsysteme, aber auch Zu Protokoll gegebene Reden kurzfristige Sozialmaßnahmen entscheidend dazu beigetragen, die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen der Wirtschaftskrise abzufedern. Die Krise hat aber auch deutlich gezeigt, wo die Schwächen in einzelnen Sozialsystemen zu finden sind. Deutschland hat ein gut funktionierendes Sozialsystem. In den vergangenen Jahren waren immer wieder zahlreiche Reformen der verschiedenen Zweige nötig. Diese Anpassungen sind sowohl gesellschaftlichen Veränderungen wie beispielsweise dem demografischen Wandel geschuldet, aber auch aktuellen wirtschaftlichen Einflüssen oder Entwicklungen. Deutschland steht momentan vor der großen und dringenden Aufgabe, das deutsche Sozialversicherungssystem zukunftsfest zu machen. Etwa ein Drittel seines jährlichen Bruttoinlandsproduktes gibt Deutschland für Sozialleistungen aus. Das beweist: Es ist viel Geld im sozialen Netz. Liberale Sozialpolitik verfolgt einen umfassenden Ansatz. Das heißt, allgemeine Lebensrisiken wie Krankheit, Pflege, Alter und Arbeitslosigkeit sind abgesichert. Eine gute Bildungspolitik und gute Rahmenbedingungen für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen sind die beste Sozialpolitik. Sie ermöglichen Aufstiegschancen von jungen Menschen. Investitionen in Bildung bedeutet, in Zukunft weniger Geld für Sozialleistungen ausgeben zu müssen. Die Verzahnung von beschäftigungs- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen mit Maßnahmen des sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalts ist ein wesentliches Element der Strategie „Europa 2020“. Damit die soziale Dimension dieser Strategie, also die Förderung der sozialen Eingliederung umgesetzt werden kann, muss die Umsetzung von langfristigen Strategien in den Mitgliedstaaten auch tatsächlich erfolgen. Letzten Endes garantiert wirtschaftliche Prosperität soziale Sicherheit. Deshalb ist es so wichtig, dass die Europäische Union sich den Herausforderungen stellt, um auf den Weltmärkten bestehen zu können.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Linke begrüßt grundsätzlich und nachdrücklich die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa. Im vorliegenden Gesetzentwurf legt die Bundesregierung dazu Detailregelungen zur Umsetzung der entsprechenden EU-Verordnungen fest. In den dort getroffenen Regelungen zur Konkretisierung im nationalen Recht kann auch die Linke kein Problem erkennen. Wir sehen aber generell ein großes Problem darin, dass soziale Sicherheit in Deutschland im europäischen Kontext völlig unzureichend ausgestaltet ist. Deutschland hat bislang wenig zur Entwicklung eines Europäischen Sozialmodells beigetragen, welches soziale Rechte garantiert, vor allem aber die Bürgerinnen und Bürger Europas vor Sozialdumping schützt. Der Gedanke und die Umsetzung einer europäischen Sozialpolitik darf sich nicht darin erschöpfen, nur Regelungen zur Anwendbarkeit und gegenseitigen Anerkennung von Prinzipien der Sozialversicherungssysteme zu erlassen. Das ist entschieden zu wenig. Die Bürgerinnen und Bürger können zu Recht erwarten, dass hier Inhalte gesetzt werden und auch die Bundesregierung bestrebt ist, ihren Arbeitsmarkt so zu gestalten, dass er soziale Sicherheit bietet, sowohl für Bürgerinnen und Bürger Deutschlands als auch aus anderen europäischen Ländern. Doch hier ist die Bundesregierung in erschreckendem Ausmaß seit vielen Jahren untätig. Zum 1. Mai 2011 werden die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit hergestellt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den im Jahre 2004 der Europäischen Union beigetretenen Staaten Osteuropas können dann ohne Beschränkungen eine Beschäftigung in Deutschland aufnehmen. Eine Arbeitsgenehmigung durch deutsche Behörden ist nicht mehr nötig. Die Öffnung der Grenzen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist zu begrüßen. Sie sollten frei über ihren Aufenthalts- und Arbeitsort entscheiden dürfen. Leider hat es Deutschland aber bislang völlig versäumt, für Schutzmechanismen zu sorgen, um einen Lohndumpingwettbewerb auf dem Rücken der osteuropäischen Kolleginnen und Kollegen zu verhindern, der zudem das in vielen Regionen und Branchen Deutschlands sinkende Reallohnniveau weiter unter Druck setzen wird. Nur ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn könnte dies verhindern. Fast alle anderen Staaten der EU sind darauf vorbereitet. Sie haben Regelungen zu flächendeckenden Mindestlöhnen. Ein weiteres großes Problem ist, dass es nur wenige Beratungseinrichtungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus anderen Ländern gibt. Viele Beschäftigte haben nur sehr unzureichende Kenntnisse über ihre Rechte und Ansprüche in Deutschland, was von immer mehr Arbeitgebern schamlos ausgenutzt wird. Die Bundesregierung muss nun schnell handeln, um die Versäumnisse der Vergangenheit nachzuholen. Sie muss sich auch in die Sozialpolitik der Europäischen Union stärker einbringen und Akzente setzen. In das Vertragswerk der Europäischen Union muss eine soziale Fortschrittsklausel aufgenommen werden, die sozialen Grundrechten den Vorrang vor dem Kapital garantiert. Wir Linken fordern, die Entsenderichtlinie so zu ändern, dass sie lediglich Mindestanforderungen formuliert, aber nicht als Maximalrichtlinie zu verstehen ist. Das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsort“ muss angewandt werden. Schnellstmöglich muss Deutschland endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einführen. Gleichzeitig ist das Arbeitnehmerentsendegesetz auf alle Branchen auszuweiten und die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen zu erleichtern. Für die Leiharbeit ist das Gleichstellungsgebot umzusetzen. Der Tarifvorbehalt muss aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gestrichen werden. Wo dies hingeführt hat, haben wir bei den christlichen Pseudogewerkschaften gesehen, die Gefälligkeitstarifverträge zulasten der Leiharbeitskräfte abgeschlossen haben und diese in vielen Fällen ohne deren Wissen von den Leiharbeitsunternehmen zwangsweise zu Mitgliedern der christlichen Leiharbeitsorganisation gemacht wurden. Ganz bewusst vermeide ich den Begriff „Gewerkschaft“, da ja der CGZP die Tariffähigkeit abgesprochen wurde und dies bekanntermaßen ein zentrales Kriterium einer Gewerkschaft ist. Zu Protokoll gegebene Reden Für mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer muss unverzüglich ein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen aufgebaut werden. Bei Entsendung von Beschäftigten über einen längeren Zeitraum ist unbedingt zu prüfen, inwiefern durch eine Pflicht zur Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge in die sozialen Sicherungssysteme am Arbeitsort verhindert werden kann, dass Arbeitgeber Entsendungen durchführen, um Sozialversicherungsabgaben zu sparen, da die Höhe der zu entrichtenden Beiträge variiert. Im Bereich der sozialen Sicherheit in Europa gibt es noch viel zu tun. Gehen Sie es endlich an. Stärken sie die sozialen Rechte der Bürgerinnen und Bürger in Europa.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch wenn die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit für Menschen aus den neuen Mitgliedsländern ab dem 1. Mai 2011 noch einigen Handlungsbedarf aufzeigt - im Grundsatz ist die Mobilität der Menschen innerhalb der Europäischen Union eine Erfolgsgeschichte. Es ist vor allem die Personenfreizügigkeit, die den Reiz der Europäischen Union ausmacht. Die Freiheit der Menschen, sich in anderen europäischen Ländern als Arbeitnehmende oder als Selbstständige niederzulassen, die Freiheit, Familienangehörige mit sich zu nehmen, die Freiheit, Chancen zu ergreifen, auch wenn sie jenseits der Grenzen des Nationalstaats liegen diese Freiheit ist nach wie vor der größte Reiz einer auf Sicherheit und Recht fußenden Europäischen Union. Was bedeutet es, wenn sich Menschen in Europa frei bewegen können? Wenn Menschen wandern, dann sind auch viele zutiefst menschliche Belange berührt. Denn Menschen sind nie nur Arbeitnehmende oder ausschließlich selbstständig. Sie führen ihr Leben nicht nur in beruflicher Tätigkeit und in Unternehmen. Menschen sind auch mal krank, verlieren ihren Arbeitsplätz, verändern ihre Familiensituation oder scheiden wegen hohen Alters aus dem Erwerbsleben aus. In all diesen Lebenssituationen brauchen sie den Schutz der Systeme der sozialen Sicherheit. Insbesondere wenn durch eigene materielle oder nichtmaterielle Leistungen Ansprüche an soziale Sicherungssysteme erworben wurden, müssen diese Ansprüche auch im Ausland gewährleistet sein. Dies muss funktionieren, wenn von einem „sozialen Europa“ die Rede sein soll. In der Praxis bedeutet die Umsetzung dieses sozialund europapolitischen Ideals ernüchternderweise vor allem technische und regulative Detailarbeit. Sie erfordert ein Benennen von Zuständigkeiten, einen Austausch von Sozialdaten und ein Festschreiben von Pflichten und Ansprüchen. Und sie erfordert regelmäßige Anpassung und Weiterentwicklung. Die Verordnung über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und die entsprechende Durchführungsverordnung wurden zum 1. Mai 2010 durch neue Verordnungen abgelöst. Um den Festlegungen der zuständigen Behörde, der zuständigen Träger, der Verbindungsstellen sowie der Zugangsstellen eine innerstaatlich gesicherte Rechtsgrundlage zu schaffen, wurde der vorliegende Gesetzentwurf eingebracht. Zunächst ist festzuhalten: Als überzeugte Europäerinnen und Europäer begrüßen wir Grünen dies. Denn die damit getroffenen Regelungen sind wichtig, um das Zusammenleben und die Mobilität in der EU zu erleichtern, mehr noch: die Mobilität in ganz Europa. Denn die bisherigen Verordnungen im Verhältnis zu den Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums - also Liechtenstein, Norwegen und Island - sowie der Schweiz bleiben weiterhin anwendbar. Auch das ist wichtig. Der Gesetzentwurf löst die an ihn gestellte Aufgabe insgesamt ordentlich. Er behebt einzelne bisher bestehende Ungleichheiten. So sind Rentnerinnen und Rentner bereits bisher in der Krankenversicherung für Rentner pflichtversichert und müssen aus ihren Rentenbezügen die Kranken- und Pflegeversicherung mitfinanzieren. Der festgeschriebene Grundsatz der Gleichstellung von Leistungen und Einkünften erfordert, dass dies in Zukunft auch für Beziehende einer ausländischen Rente gilt. Dagegen ist im Grundsatz nichts einzuwenden. Zu begrüßen ist der Schritt, die Benachrichtigung der Träger des Beschäftigungslandes im Falle von Entsendungen zu regeln. Wenn das Instrument der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung zur Anwendung kommt, ist es dringend erforderlich, dass alles unternommen wird, um illegale Beschäftigung zu verhindern und die ordnungsgemäße Anwendung der jeweils geltenden Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates und des Entsendestaates sicherzustellen. An dieser Stelle würden wir uns von der Bundesregierung über den vorliegenden Gesetzentwurf hinaus weitere Regelungen wünschen, die für Transparenz und bessere Koordinierung der sozialen Absicherung auch von entsandten Arbeitnehmenden sorgen und die Missbrauchsrisiken eindämmen. Wir wollen die Mobilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa auch weiterhin erleichtern und dabei die sozial- und arbeitsrechtlichen Schutzstandards halten und auch grenzübergreifend sicherstellen. Mobilität ohne soziale Sicherheit, einen europaweiten Arbeitsmarkt ohne europaweite Koordination der Schutzrechte und Absicherungen kann und darf es in Europa nicht geben. Vor diesem Hintergrund sollte sich die Bundesregierung nicht weiter dagegen sperren, dass auch Ansprüche aus Betriebsrenten in ein anderes europäisches Land mitgenommen werden können. Auch für diese gilt, dass sie portabel ausgestaltet werden müssen, um die Anspruchsberechtigten nicht in ihrer Freizügigkeit zu behindern. Denn - ich habe das eingangs erwähnt - der Freiheitsgedanke in Europa wird nur dann eine menschengerechte Freiheit sein, wenn er mit sozialer Sicherheit verknüpft ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/4978 an die in der Tagesordnung aufgeführten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ausschüsse vorgeschlagen. - Anderweitige Vorschläge sehe ich nicht. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren - Drucksache 17/1224 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Innenausschuss Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben Patrick Sensburg, Christine Lambrecht, Jens Petermann, Jerzy Montag und der Parl. Staatssekretär Max Stadler.

Prof. Dr. Patrick Sensburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Fortschritt besteht wesentlich darin, fortschreiten zu wollen. Als Mitglieder dieses Hohen Hauses obliegt uns nicht nur die Aufgabe, durch Gesetze Rahmen für zukünftige Entwicklungen zu schaffen, sondern auch, längst vollzogene Entwicklungen und technologische Entwicklungen klug in Gesetze zu gießen. Der technische Fortschritt ist rasant und verändert unsere Lebensrealität jeden Tag auf ein Neues. Wenn wir uns einmal in unseren Abgeordnetenbüros umschauen, stellen wir fest, wie sehr der technologische Fortschritt auch unsere Arbeit verändert und vor allem erleichtert hat. Als Abgeordnete sind wir in der Pflicht, die Chancen von technologischen Veränderungen zu nutzen. Der vorliegende Gesetzentwurf zum vermehrten Einsatz von Videokonferenztechnik ist so ein Fall. Der Ausgangspunkt der Diskussion über den Einsatz von Videokonferenztechnik findet sich im Zeugenschutz der Strafprozessordnung. 1998 trat mit dem Zeugenschutzgesetz § 247 a der StPO in Kraft, der in den folgenden Jahren um wichtige Gedanken zur Vermeidung des Beweismittelverlustes ausgedehnt wurde. Aber auch bei Vernehmungshindernissen in der gerichtlichen Hauptverhandlung oder bei großen nicht zumutbaren Entfernungen zum Gerichtsort wird die Videokonferenztechnik bereits angewandt. So stößt beispielhaft der verstärkte Einsatz von Videokonferenztechnik in verschiedenen Bundesländern - es sei hier nur auf Nordrhein-Westfalen und Hessen hingewiesen - auf positive Resonanz. Bislang zählt diese Verfahrenstechnik aber noch nicht zu den Standards, da bei den Gerichten, Justizbehörden und Anwaltskanzleien noch nicht die erforderlichen Ausstattungen verfügbar sind und das Einverständnis der Beteiligten zum Einsatz der Videoverfahrenstechnik nach der derzeit geltenden Rechtslage vorliegen muss. Wir wissen, dass unsere Justiz nicht über mangelnde Arbeit klagen kann. Wir wissen um das Problem, dass Verfahren manchmal sehr lange Zeiträume einnehmen und sich Aktenstapel an Aktenstapel in den Gerichten reihen. Die Videokonferenztechnik kann einen guten Beitrag zur Entlastung unserer Gerichte leisten. Es handelt sich um eine Win-win-Situation; denn alle Beteiligten können deutlich Zeit einsparen, und die Gerichte können ihre Termine somit besser koordinieren. Die Verfahren können deutlich beschleunigt werden. Auch gerade für die Anwaltschaft stellt die Videokonferenztechnik eine große Entlastung dar. Der aktive Einsatz der Videokonferenztechnik kann einerseits als Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen in voller Höhe als Auslage geltend gemacht werden. Somit wäre auch keine weitere Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes notwendig. Andererseits entfallen Fahrtkosten und Terminierungsprobleme. Der verstärkte Einsatz der Technik stellt insoweit ein verbessertes Serviceangebot im Sinne einer kundenorientierten Justiz dar. Die konkreten Bereitstellungskosten betreffen die Einrichtung von Leitungen und Anschlüssen in den jeweiligen Sitzungssälen bzw. Vorführräumen der Vollzugsanstalten, wo diese noch nicht vorhanden sind. Der Einsatz von Web-Technik könnte diese Kosten erheblich senken und sollte im Laufe dieses Gesetzgebungsverfahrens noch stärker überdacht werden. Ich möchte aber hier deutlich darauf hinweisen, dass die Kosten für die Länder kalkulierbar sein müssen. Letztlich bleibt die jeweilige Umsetzung eine Entscheidung der Länder. Kommen wir nun zu einzelnen Aspekten des Gesetzes: Durch eine Änderung des Gerichtsverfahrensgesetzes wird nach dem Gesetzentwurf ein Einsatz der Dolmetscher auch auf die anderen Übertragungsorte durch das Gericht ermöglicht. Kritisch muss hier jedoch gesehen werden, dass gerade die Leistung der Dolmetscher eine hochanstrengende Tätigkeit ist. Es muss genauer geprüft werden, ob es beispielsweise einem Dolmetscher alleine möglich ist, über einen längeren Zeitraum im Rahmen einer Videokonferenz zu dolmetschen. Ich habe hier meine Bedenken. Die Verfahrensbeschleunigung soll im Zivilprozess vor allem dadurch erreicht werden, dass der Einsatz von Videokonferenztechnik nicht mehr vom Einverständnis aller Parteien abhängig sein soll. Künftig soll das Gericht diese Entscheidung bei einem Antrag einer der Parteien treffen können. Die Möglichkeit der Aufzeichnung beim Einsatz der Videokonferenztechnik bedarf zudem noch der Klärung, da es dem Betroffenen nicht zugemutet werden kann, durch den Einsatz anders behandelt zu werden als im herkömmlichen Verfahren, bei dem lediglich protokolliert wird. Ich bin der Meinung, dass es grundsätzlich zu keiner Aufzeichnung kommen darf. Die Zielsetzung der vorgeschlagenen Änderungen besteht in der Verbesserung der Rechtsklarheit und Anwenderfreundlichkeit. Doch muss natürlich bei einem anderen Aufenthaltsort des zu Vernehmenden außerhalb des Sitzungszimmers sichergestellt sein, dass am Ort des Vernehmens keine Fremdeinflüsse auftreten können. Für den Bereich des Strafrechts ist beispielsweise denkbar, eine entsprechende Regelung in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, RiStBV, einzufügen, die sicherstellt, dass der Ort der Vernehmung im Strafprozess ein Gerichtssaal sein muss. Die Gesetzesänderung belässt es vollkommen zu Recht dabei, bei Personen, bei denen es auf einen persönlichen Eindruck des Gutachters ankommt, bei der klassischen Vorladung zu verbleiben, dies aus dem Grund, da eine Videoübertragung den Eindruck durch nonverbale und allgemein persönliche Eindrücke nicht zureichend vermittelt. Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Vernehmung von Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung durch die Videokonferenztechnik verbessert und beschleunigt den Verfahrensablauf, da auch der Versand von Verfahrensakten und Vernehmungsversuchen an ferne Gerichte und Polizeidienststellen entbehrlich wird. Dies führt zu einer erheblichen Verkürzung des Verfahrens und äußert sich auch durch eine qualitative Verbesserung, da der eingearbeitete Staatsanwalt oder Polizeibeamte die Anhörung übernehmen kann. Auch hier zeigt sich wieder eine nutzerfreundliche Ausgestaltung des Rechtssystems, da Zeitersparungen unter Beibehaltung eines hohen Qualitätsstandards eine ideale Lösung für die betroffenen Bürger darstellen. Das Verfahren wird darüber hinaus auch in den Fällen der Reststrafenaussetzung zur Bewährung für die Strafvollstreckungskammer vereinfacht. Zudem kommt es zu einer wichtigen sicherheits- und aufwandsrelevanten Vereinfachung für die Vollzugsanstalten. Eine Vereinfachung der Anhörung darf aber keineswegs zulasten des Anzuhörenden gehen, da hier der unmittelbare Kontakt mit dem Verurteilten übersehen wird. Durch dieses Gesetz muss sichergestellt werden, dass es durch den Einsatz der Videokonferenztechnik nicht zu qualitativen Mängeln bei Aussagen oder Befragungen kommt. Wird dies sichergestellt, haben wir ein kundenorientiertes Instrument für die Justiz. Wir dürfen die Augen vor dem technologischen Fortschritt nicht verschließen. Die Vorteile der Videokonferenztechnik liegen auf der Hand. Lassen Sie uns in der Frage der Videokonferenztechnik zusammen fortschreiten, um gemeinsam Fortschritt zu ermöglichen.

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Gesetz zum verstärkten Einsatz von Videokonferenzen in deutschen Gerichten ist sinnvoll und notwendig. Die Videokonferenztechnik ist ein zukunftsweisender Fortschritt für Verhandlungen, der gerade dem Bürger zugutekommt. Daher begrüße ich das Bestreben des Bundesrates, durch das Gesetz Kosten einzusparen, genauso wie die forcierte Zeitersparnis durch den Wegfall der Anreise der Beteiligten und die daraus resultierende Flexibilität. Wenn durch moderne Technik erreicht werden kann, dass ein Verfahren beschleunigt wird, sprechen wir hier von einer guten Serviceleistung seitens der deutschen Gerichte, die dieser Zeit absolut angemessen ist. Dennoch gibt es bei dem Gesetzentwurf einen Casus knaxus. Man sollte den verstärkten Einsatz von Videokonferenzen unbedingt nach Verfahrensarten abstufen. Das größte Problem sehe ich hier bei der Regelung in der Strafprozessordnung und im Strafvollzugsgesetz. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung muss als fundamentales Recht um jeden Preis erhalten bleiben. Es reicht nicht, wenn das Gericht allein die Anordnung trifft. Die Videokonferenz in der Vernehmung sollte nur mit dem Einverständnis des Beschuldigten und in Rücksprache mit seinem Verteidiger erfolgen. Dies ist in Bezug auf die Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Beweisaufnahme unabdingbar. Man sollte nicht unterschätzen, wie wichtig es für die Prognose des Richters ist, dass der Beschuldigte sich persönlich und unmittelbar äußern kann. „Face to face“ werden Aspekte wie das Verhalten, Erscheinungsbild und die Körpersprache des Angehörten anders wahrgenommen, als wenn dieser in einer unnatürlichen Umgebung sitzt, vielleicht noch sehr nervös vor der Kamera. Warum also die Urteilsfindung des Richters erschweren, wenn es zudem noch in die Rechte des Beschuldigten eingreift? So sehr ich auch ein Befürworter der modernen Technik bin, so sehr müssen wir doch darauf achten, dass wir mit ihrem Einsatz keine rechtsstaatlichen Prinzipien torpedieren. Sehr gut ist es hingegen, den Einsatz der Technik ins freie Ermessen der Gerichte zu stellen. So ist von einem verstärkten Einsatz der Technik auszugehen, ohne dass sich Gerichte gezwungen sehen, nicht auf herkömmliche Art verfahren zu können, vor allem in den Fällen, in denen eine Videokonferenz nicht angemessen ist. Was die Aufzeichnung der Videokonferenzen betrifft, so sehe ich jedoch nichts, was grundsätzlich dagegen spricht. Die obligatorische Aufzeichnung bedeutet nur einen geringen Arbeits- und zusätzlichen Kostenaufwand. Es wäre ein unglaublicher Fortschritt in gerichtlichen Anhörungen, wenn man sich auf das unverfälschte Zeugnis einer dokumentierten Aussage berufen könnte. Es wäre ein Fundament für Kontrolle und Selbstkontrolle, da nicht wie bisher durch langwierige Recherche versucht werden müsste, Missverständnisse, Suggestionen und Verzerrungen aufzudecken und zu beseitigen. Es wäre schnell, einfach und unmissverständlich. Es wäre ohne Fehler im Protokoll und großen Interpretationsspielraum nachzuvollziehen, wie eine Aussage zustande gekommen ist. Es wäre ein neues Kapitel der Glaubhaftigkeitsprüfung, welches ich sehr befürworten würde. Ich sehe darin einen wesentlichen Gewinn für die Richtigkeit des Urteils. Die Aufzeichnung würde sich auch bei staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Anhörungen anbieten. Gegebenenfalls kann man sie danach wieder löschen oder nur beschränkt zugänglich machen, zum Beispiel, um eine Unterscheidung von öffentlichen und nicht öffentlichen Anhörungen vorzunehmen. Aber im Allgemeinen denke ich, wenn die Aufzeichnung, und sei es nur die Tonaufzeichnung der Anhörung, Bestandteil von Verhandlungsakten wäre, so würde dem Prinzip der Wahrheitsfindung ein großer Gefallen getan. Es wäre ein bedeutender Vorteil für die gerichtliche Praxis, den wir unbedingt unterstützen sollten. Der Einsatz moderner Kommunikationsmittel in deutschen GeZu Protokoll gegebene Reden richten ist ein technischer Fortschritt, den es zu fördern gilt. Die Anschaffungskosten sind gering im Vergleich zu der Ersparnis, die durch den Wegfall der Reisetätigkeit der Beteiligten zu erwarten ist. Es ist eine Investition in die Zukunft, die sich lohnt. Zeit und Geld zu sparen bei sämtlichen Gerichtsverfahren, das freut auch den Steuerzahler. Ich halte die Nutzung von Videokonferenztechnik auch im Strafverfahren für sinnvoll, wenn es einem Opfer erspart, seinem Peiniger gegenübertreten zu müssen oder im Einzelfall der Sicherheitsaufwand für einen Gefangenentransport eingespart werden kann. Da handeln wir absolut im Interesse der Bürger. Diese Ersparnis, und so sollte es auch aus dem Gesetz hervorgehen, darf nur nicht zum Leidwesen eines essenziellen Rechtsgrundsatzes geschehen.

Jens Petermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004128, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Gesetzentwurf des Bundesrates zum intensiven Einsatz von Videokonferenztechnik ist leider unausgegoren und nicht bis zum Ende durchdacht. Der Einsatz von Videokonferenztechnik ist bereits seit 1998 bzw. 2004 für bestimmte Verfahren vorgesehen, soll aber nun aufgrund der sehr seltenen Nutzung gesetzlich ausgebaut und gefördert werden. Neu ist die Ausweitung des Einsatzes von Videotechnik auf Verfahren nach der Strafprozessordnung. Dieser Ausbau darf auf keinen Fall zulasten der Unmittelbarkeit der Verfahren gehen oder zur Beschneidung von Beschuldigtenrechten führen. Im vorliegenden Entwurf ist das aber der Fall, da vorgesehen ist, die fakultative videogestützte Anhörung auch ohne Einverständnis des Betroffenen anzuordnen. Die Verfasser des Entwurfs preisen natürlich die Vorteile des vermehrten Einsatzes von Videokonferenztechnik an. Dazu zählen eine Verringerung der Reisetätigkeit und damit die Einsparung von Reisekosten, aber auch eine angebliche Verfahrensbeschleunigung. Damit prophezeit der Bundesrat, dass beim Einsatz von Videotechnik ein Prozess kostengünstiger gestaltet wird. Diese Schlussfolgerung bezweifle ich sehr. Wie sieht denn die Kehrseite der Medaille aus? Je Videokonferenzanlage werden die Kosten auf 5 000 bis 12 000 Euro geschätzt, hinzu kommen noch die Kosten für die Bereitstellung von Leitungen und Anschlüssen. Die Einrichtung soll aus dem Etat der Justizverwaltungen gezahlt werden, ohne dass diesen dafür zusätzliche Mittel im Haushaltsplan zur Verfügung gestellt werden. Diese Vorgehensweise halte ich vor dem Hintergrund der leider immer noch nicht befriedigenden Sach- und Personalausstattung vieler Gerichte für verfehlt. Meine Thüringer Richterkolleginnen und Richterkollegen berichten mir nach wie vor über Personalmangel, erneuerungsbedürftige technische Ausstattung und Platzmangel in Justizgebäuden. Von daher ist es nicht nachvollziehbar, dass nun der Einsatz von teurer Videotechnik forciert werden soll -, dies zulasten der eben genannten Problemfelder. Bevor moderne Übertragungstechnik in baufällige Gerichtssäle eingebaut wird, sollten die vorhandenen Gelder in die Sanierung, die Sach- und Personalausstattung gesteckt werden. Die Verfasser sehen für dieses Serviceangebot der kundenorientierten Justiz eine Gebühr von pauschal 15 Euro je Verfahren und je angefangene halbe Stunde des Einsatzes vor. Damit sollen lediglich die anfallenden Betriebs-, Verbindungs- und zusätzlichen Personalkosten abgedeckt werden. Die Linke sagt: Dieser Service darf nicht zulasten der ohnehin schon zusammengesparten Justiz und der Geldbörse der rechtsschutzsuchenden Bürgerinnen und Bürger gehen. Wenn man eine solche moderne Kommunikationsart in Gerichtsverfahren einführen will, müssen die dafür benötigten Mittel zusätzlich durch den Bund oder die Länder bereitgestellt werden, und zwar ohne den sowieso schon knappen Justizetat zu belasten. Abgesehen von der Finanzierung begegnen dem Gesetzentwurf auch inhaltliche Bedenken: Die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach Dolmetscherleistungen per Video in den Sitzungssaal übertragen werden sollen, halte ich für wenig zielführend. So übersetzt der Dolmetscher regelmäßig nicht nur für das Gericht selbst, sondern auch die vertraulichen Gespräche der Prozessparteien mit deren Anwälten. Das Problem mit Dolmetschern liegt meist nicht darin, sie in den Verhandlungssaal zu laden, sondern überhaupt einen Dolmetscher zu finden. Daran ändert auch der Einsatz von Videotechnik nichts. Die Änderung der Strafprozessordnung eröffnet der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten die Möglichkeit, einen Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung durch Videoübertragung zu vernehmen. Bei der Vernehmung eines Zeugen kommt aber besonders der persönlich-wahrhaftige Eindruck für die Ermittlung der Glaubwürdigkeit und des Beweiswertes zum Tragen. Dies ist Ausdruck der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Beweisaufnahme im Strafrecht. Eine Bild-Ton-Übertragung steht einer persönlichen Vernehmung eines Zeugen an Erkenntnisgewinn also nach und durchbricht den Unmittelbarkeitsgrundsatz. Sogar die Bundesregierung bemängelt, dass in manchen Fällen ein höchstpersönlicher Eindruck von Zeugen oder Angeklagten erforderlich ist, dieser jedoch durch Videoübertragung nicht ersetzt werden kann. Wenn man die Videovernehmung gleichberechtigt neben der persönlichen Vernehmung ansiedelt, wird die Ausnahme zur Regel und bedeutet das Ende der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung. Mit der Linken ist ein verstärkter Einsatz von Videokonferenztechnik nur zu machen, wenn die Rechte der Prozessbeteiligten nicht abgewertet werden und die Finanzierung nicht auf Kosten des ohnehin schon zu niedrigen Justizetats realisiert wird. Der Entwurf muss dahin gehend dringend nachgebessert werden.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Als die großen Prozessordnungen in Deutschland entwickelt wurden, gab es keine Möglichkeiten, mithilfe von Ton- und Bildtechnik Prozesse sozusagen zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten stattfinden zu lassen oder Zu Protokoll gegebene Reden Prozessteile zeitlich gestaffelt aufzunehmen und später in die Prozesse einzuspielen. Seit Jahren schon halten die neuen Ton- und Bildtechniken Einzug in die deutschen Gerichtssäle. Da, wo sie wirklich nur der Ressourcenersparnis und Bequemlichkeit dienen, ist ihr Einsatz sinnvoll und zu begrüßen. Dies trifft ferner auch da zu, wo schon bisher die Anwesenheit von Verfahrensbeteiligten nicht vorgeschrieben war und jetzt ihre Mitwirkung zumindest über eine Zuschaltung in Ton und Bild ermöglicht wird. Aber es ist offensichtlich, dass der Einsatz solcher Techniken Gefahren in sich birgt und die Voraussetzungen und die Strukturen der Prozesse verändern kann. Zu einer rechtsstaatlichen Justiz gehören ein fairer Prozess und eine objektive Wahrheitsfindung. Prozessordnungen tarieren immer die gegensätzlichen Interessen von Grundrechtsträgern aus, dies macht im Kern einen fairen Prozess aus, dessen Grundpfeiler verfassungsrechtlich geschützt sind. Für gerichtliche Verhandlungen gelten die rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze der Mündlichkeit, der Öffentlichkeit, der Unmittelbarkeit und nicht zuletzt des rechtlichen Gehörs. Alle diese Grundsätze können tendenziell mit dem Einsatz von Ton- und Bildtechniken kollidieren, wenn sich nicht alle Verfahrensbeteiligten zur gleichen Zeit am gleichen Ort - nämlich im Gerichtssaal - befinden. Deshalb sind Bild- und Tontechniken bisher immer nur als Ausnahme dann zum Einsatz gekommen, wenn sie im Einzelfall vorrangige Rechte von Verfahrensbeteiligten schützen können. Hier sind vor allem Opferschutzrechte zu nennen. Deshalb bedarf der Einsatz solcher Techniken, hier der Videokonferenztechnik, einer sorgfältigen Prüfung auf mögliche Auswirkungen auf das Recht des rechtlichen Gehörs und die verfassungsfesten Maximen eines fairen Verfahrens. Besonders ist darauf zu achten, dass im Strafprozess die Rechte des Beschuldigten und der Verteidigung nicht auf der Strecke bleiben. Bisher sind Ton- und Bildzuschaltungen schon in mindestens zwei Gesetzen eingeführt worden. Mit dem Zeugenschutzgesetz vom 30. April 1998 wurde die Möglichkeit eröffnet, in der Hauptverhandlung die Vernehmung eines Zeugen aus einem anderen Raum in den Gerichtssaal mithilfe von Videotechnik zu übertragen. Damals hat der „im Interesse einer wirksamen Bekämpfung moderner Kriminalitätsformen erforderliche Zeugenschutz“ Vorrang vor der Anwesenheit des in der Hauptverhandlung zu hörenden Zeugen erhalten. Seit 2002 sieht die Zivilprozessordnung, allerdings nur mit Zustimmung aller Beteiligten, die Möglichkeit vor, Videokonferenzen im Zivilprozess einzusetzen. Damit ist ein notwendiger Beitrag zur Modernisierung der Justiz geleistet worden, ohne in Rechte der Beteiligten einzugreifen. Der vorliegende Gesetzentwurf - übrigens eine Neuauflage einer ursprünglich hessischen Initiative aus dem Jahr 2007, die seinerzeit dem Bundestag zwar zugeleitet, aber nicht zu Ende beraten wurde - sieht unter Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes eine Abwesenheit von Beteiligten bei gleichzeitiger Zuschaltung über Ton- und Bildtechniken in zahlreichen Fällen vor: Dolmetscher sollen bei Verhandlungen, Anhörungen oder Vernehmungen zugeschaltet werden können ({0}); Parteien, ihre Bevollmächtigten und Beistände sollen sich an einem anderen Ort aufhalten und dort Verfahrenshandlungen vornehmen dürfen ({1}); Zeugen sollen in Abwesenheit vernommen werden können ({2}); auch bei Abwesenheit des Beschuldigten soll mündlich verhandelt ({3}) und dieser sogar vernommen werden können ({4}); auch bei Abwesenheit des Angeklagten soll dieser über die Anklage vernommen ({5}) und bei Abwesenheit des Sachverständigen ({6}) soll dieser vernommen werden können; in Abwesenheit des Verurteilten kann über eine Bewährungsentlassung oder weitere Inhaftierung entschieden werden ({7}). Ich will aus Zeitgründen heute nur zu den Vorschlägen in der ZPO und in der StPO Stellung nehmen. Schon heute ist im Einverständnis der Beteiligten im Zivilprozess der Einsatz von Videotechnik möglich. Eine Ausweitung erscheint möglich, wenn Parteien dies für sich beantragen und damit auf ihre Anwesenheit bei Gericht verzichten. Bei der Zeugenvernehmung sollten aber wie bisher alle Verfahrensbeteiligten ihr Einverständnis erklären müssen. Im Strafverfahren mitsamt der Strafvollstreckung ist der Grundsatz der Unmittelbarkeit tragend. Das Gericht kann sich bei physischer Anwesenheit von Beschuldigten und Zeugen ein Bild von den Personen und ihrer Glaubwürdigkeit machen. Der Beschuldigte kann als physisch Anwesender eindeutig besser seine Argumente zu Gehör bringen. Das Recht auf rechtliches Gehör ist ein Grund- und Menschenrecht. Von diesen Grundüberlegungen ausgehend können wir alle Änderungen im Ermittlungs- wie im Vollstreckungsverfahren begrüßen, die das Recht auf rechtliches Gehör ausweiten. Allerdings wird sorgfältig zu prüfen sein, inwieweit der Einsatz der Videotechnik von einer Ausnahme zu einer Regel mutieren könnte. Der beste Schutz davor ist die erforderliche Zustimmung des Beschuldigten zu einem solchen Verfahren. Dies gilt besonders für die Bewährungsentscheidungen im Strafvollzug. Die Anhörung durch das Gericht wird für eine richtige Entscheidung meist eine zwingende Voraussetzung sein. Wo das Gericht eine mündliche Anhörung für notwendig hält, kann der Einsatz einer Ton- und Bildübertragung nur mit Zustimmung des Verurteilten erfolgen. Abzulehnen ist der Einsatz der Videotechnik beim Einsatz von Dolmetschern und der Anhörung von Sachverständigen und Zeugen. Die Nachteile einer solchen Regelung überwiegen bei Weitem die möglichen Vorteile. Der hessische Justizminister Banzer von der CDU, auf dessen Initiative der Entwurf 2007 ja zurückging, sah die Vorteile der Videokonferenztechnik vor allem „in der Zeitersparnis“ für die Beteiligten und das Gericht. Die Terminierung werde erleichtert, Verfahren könnten beschleunigt werden. Durch die eingesparten Reisekosten und den reduzierten Zeitaufwand würden gerichtliche Verfahren insgesamt „kostengünstiger“. Das ist die eigentliche Absicht des vorliegenden Gesetzentwurfs und das kommt auch in seiner Begründung zum AusZu Protokoll gegebene Reden druck. Ich will nicht missverstanden werden: Gegen eine Verfahrensbeschleunigung als solche haben wir gar nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ja bereits vielfach einen effektiven Rechtsschutz gegen überlange Verfahren von Deutschland eingefordert. Aber Verfahrensbeschleunigung ist nun mal kein Selbstzweck und darf keinesfalls dazu führen, dass rechtsstaatliche Garantien geopfert werden. Der Gesetzentwurf enthält schließlich, rechtstechnisch völlig verunglückt, eine Ermächtigung für die Bundesländer, Zeitpunkt und Ausmaß des Einsatzes der Ton- und Bildübermittlung in allen Prozessordnungen einzusetzen. Die Bundesregierung benennt diesen Vorschlag klar, deutlich und richtig als ein Verbot des Einsatzes dieser Techniken mit einem Erlaubnisvorbehalt. Ich füge hinzu: Dies ist ein Erlaubnisvorbehalt nach Kassenlage und eine Verschlechterung der bisherigen Rechtslage, die von den Bundesländern die Einführung dieser Technik in bestimmten Fällen zwingend verlangt. Verdeutlichen wir uns, dass der Einsatz der Ton- und Bildübermittlung mit dem Gedanken des Opferschutzes begründet ist, dann wird deutlich, dass der Gesetzesvorschlag des Bundesrates auch gegen den bisher schon erreichten Opferschutz gerichtet ist. Ich darf zusammenfassen: Die rechtsstaatlichen Grundsätze der deutschen Prozessordnungen dürfen durch den Einsatz der Ton- und Bildübertragung nicht ausgehebelt werden. Es ist zu begrüßen, wenn der Einsatz dieser Technik in Einzelfällen das Recht auf rechtliches Gehör stärkt und zu einem Erkenntniszugewinn beim Gericht führt. Es ist nicht angebracht, Sachverständige und Zeugen über Ton- und Bildtechniken zu befragen und Dolmetscher über diese Technik zuzuschalten. Wir dürfen rechtsstaatliche Standards unserer Prozessordnungen nicht unter einen Finanzierungsvorbehalt stellen und den erreichten Stand des Einsatzes der Videotechnik zum Schutz von Opfern nicht aus finanziellen Gründen zurückfahren. Und schließlich: Wir sollten ernsthaft darüber nachdenken, die modernen Techniken in unseren Prozessordnungen umfassend zu Dokumentationszwecken einzusetzen.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform des Zivilprozesses wurde die Videokonferenz in den Zivilprozess eingeführt. Sie baute die Möglichkeiten des Einsatzes moderner Kommunikationsmittel weiter aus, indem bei Einvernehmen aller Beteiligten Verfahrensbeteiligte an der mündlichen Verhandlung im Wege einer Videokonferenz teilnehmen können. Im Strafverfahrensrecht wurden die rechtlichen Möglichkeiten zum Einsatz der Videokonferenztechnik in den letzten Jahren fortlaufend ausgebaut. Die Videokonferenztechnik ist heute - fast zehn Jahre später - in vielen Gerichten und Anwaltskanzleien technisch verfügbar, führt aber oft nur ein Schattendasein. Sie sollte nach Auffassung der Bundesregierung häufiger eingesetzt werden. Dadurch könnten den Beteiligten aufwendige und zeitintensive Anreisen erspart werden. Dies kommt nicht nur den Bürgern entgegen, sondern hilft auch, das Verfahren schneller und kostengünstiger zu machen. Die Bundesregierung begrüßt deshalb den Gesetzentwurf des Bundesrates im Grundsatz. Der Entwurf baut einige rechtliche Hürden für den Einsatz der Videokonferenztechnik ab: Künftig soll im Zivilprozess der Einsatz der Videokonferenztechnik in der mündlichen Verhandlung und bei der Beweisaufnahme im Ermessen des Gerichts stehen und nicht mehr vom Einverständnis der Parteien abhängen. Im Falle der Gefahr eines zukünftigen Beweisverlustes soll das Gericht die Aufzeichnung anordnen können. Im Bereich des Strafverfahrensrechts soll nach dem Entwurf das Ziel der Verfahrensbeschleunigung und der Steigerung der Verfahrensökonomie insbesondere dadurch erreicht werden, dass unter bestimmten Voraussetzungen Vernehmungen oder Anhörungen von Verfahrensbeteiligten und Zeugen unter Verzicht auf deren persönliche Anwesenheit erfolgen können. Es soll unter anderem ein entsprechender Einsatz der Videokonferenztechnik für die Vernehmung eines Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung nach § 58 b StPO-E zum Beispiel zur Verhinderung des zeitaufwendigen Versandes von Verfahrensakten mit Vernehmungsersuchen an ferne Polizeidienststellen möglich sein. Auch im Zusammenhang mit der mündlichen Haftprüfung soll der Einsatz von Videokonferenztechnik nach § 118 a Abs. 2 Satz 2 StPO-E ermöglichen, dass der Beschuldigte in den Fällen, in denen das Gericht wegen Krankheit oder anderer nicht zu beseitigender Hindernisse nach bisheriger Rechtslage auf dessen Vorführung verzichtet hat, nunmehr an der Haftprüfung per Videokonferenz teilnehmen kann. Im Bereich der Strafvollstreckung soll durch den vermehrten Einsatz von Videokonferenztechnik den Strafvollstreckungskammern eine erhebliche Verfahrenserleichterung dadurch zuteilwerden, dass die persönliche Anwesenheit des Verurteilten zum Beispiel bei der Anhörung im Rahmen der Entscheidung einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nicht mehr stets erforderlich ist. Die Bundesregierung kann aber den Vorschlägen des Bundesrates nicht uneingeschränkt zustimmen. Die Videokonferenztechnik wird bereits jetzt im Bereich des Strafverfahrensrechts eingesetzt. So dürfen die Staatsanwaltschaft und die Polizei Vernehmungen von Beschuldigten und Zeugen schon nach der bestehenden Gesetzeslage per Videokonferenztechnik vornehmen, ohne dass es hierzu einer ausdrücklichen Regelung bedürfte. Denn der die gerichtlichen Verhandlungen beherrschende Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt hier nicht. Die gesetzliche Verankerung des Einsatzes der Videokonferenztechnik für gerichtliche Vernehmungen und Anhörungen, unter anderem in § 58 b StPO-E, ist daher grundsätzlich zu begrüßen. Für den Bereich der polizeilichen Zeugenvernehmung bedeutet die beabsichtigte Regelung des § 58 b StPO-E hingegen eine Einschränkung der bislang möglichen Anwendung der Videokonferenztechnik. Denn die Vorschrift würde für die polizeiliche Zeugenvernehmung mangels Verweisung in der für sie ausschlaggebenden Regelung des § 163 Abs. 3 StPO Zu Protokoll gegebene Reden nicht gelten und damit den Umkehrschluss nahelegen, dass die Videokonferenztechnik bei der polizeilichen Zeugenvernehmung nicht zulässig ist. Das ist kontraproduktiv. Die bereits bestehenden Möglichkeiten, die Videokonferenztechnik im Bereich der staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Vernehmungen einzusetzen, sollten nicht beschränkt werden. Dies muss aus Sicht der Bundesregierung durch sprachliche Änderungen im Gesetzentwurf noch sichergestellt werden. Aus strafprozessualer Sicht muss darüber hinaus weiterhin gewährleistet sein, dass das Gericht beim Einsatz der Videokonferenztechnik die tragenden und bewährten Grundsätze des Strafverfahrens, insbesondere den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, sowie die berechtigten Interessen aller Verfahrensbeteiligten miteinander abwägen und zu einem Ausgleich bringen kann, ohne dass von vornherein ein Abwägungsvorrang festgelegt würde. Es muss vermieden werden, dass durch den Gesetzentwurf Widersprüche zu den bereits vorhandenen Regelungen über den Einsatz von Videokonferenztechnik, der vor allem zum Schutz des Opfers bereits geltendes Recht ist, entstehen. Schließlich muss insbesondere vermieden werden, dass durch eine Einschränkung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme dem erkennenden Gericht die Möglichkeit genommen wird, sich einen ganz persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder dem Angeklagten zu machen. Gerade und in besonderem Maße bei der Anhörung des Verurteilten im Strafvollstreckungsrecht spielt der persönliche Eindruck eine wesentliche Rolle. Wenn das Gericht den Verurteilten vor seiner Entscheidung, ob die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, anhört, gewährt es ihm damit nicht nur rechtliches Gehör. Es verschafft sich, was mindestens ebenso wichtig ist, durch den unmittelbaren Kontakt mit dem Verurteilten einen höchstpersönlichen Eindruck von ihm. Es ist daher von wesentlicher Bedeutung, dass dieser Zweck bei den Vorschlägen zur Einführung der Videokonferenztechnik in den Fällen der §§ 453, 454 StPO-E nicht aus dem Blick gerät. Zum Schluss möchte ich auf einen weiteren problematischen Punkt im Entwurf hinweisen. Die Nutzung der Videokonferenztechnik sollte nicht davon abhängen, dass die Länder sie durch eine Rechtsverordnung - womöglich für jedes einzelne Gericht gesondert - zulassen. Das in Art. 9 des Entwurfes stehende grundsätzliche „Verbot mit Zulassungsvorbehalt“ wäre ein Rückschritt gegenüber der heutigen Rechtslage, die den Einsatz von Videotechnik generell zulässt. Die Regelung steht dem Ziel des Entwurfes, den Einsatz der Videotechnik zu fördern, entgegen. Die Regelung ist auch nicht zum Schutz der Landesjustizhaushalte vor unkalkulierbaren Kosten notwendig. Im Zivilprozess ist schon jetzt klar, dass die Beteiligten den Einsatz von Videotechnik nicht beanspruchen können. Im Strafprozess hat dagegen der Bundesgerichtshof schon entschieden, dass die Justizverwaltungen verpflichtet sind, es zu ermöglichen, dass ein Zeuge per Videokonferenz vernommen wird, wenn es anders nicht geht. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, in den noch offenen Fragen des Entwurfs in den jetzt anstehenden Beratungen des Deutschen Bundestages zufriedenstellende Lösungen zu finden, damit die Videokonferenz in der gerichtlichen Praxis künftig eine größere Bedeutung erlangt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Auch hier wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/1224 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind nicht dagegen. Deswegen ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Holger Ortel, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik zum Erfolg führen - zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Dr. Valerie Wilms, Undine Kurth ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Chancen der EU-Fischereireform 2013 nut- zen und Gemeinsame Fischereipolitik grundlegend reformieren - Drucksachen 17/3179, 17/3209, 17/3957 - Berichterstattung: Abgeordnete Gitta Connemann Holger Ortel Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Behm Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle- ginnen und Kollegen Connemann, Ortel, Happach- Kasan, Tackmann und Behm.1) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses auf Drucksache 17/3957. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksa- che 17/3179. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung wurde angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen; SPD und Linke haben dagegen gestimmt. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 17/3209. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom- men. Dafür haben die Koalitionsfraktionen und die SPD 1) Anlage 14 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt gestimmt, Bündnis 90/Die Grünen hat dagegen gestimmt, die Linke hat sich enthalten. Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften - Drucksache 17/4984 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) Ausschuss für Gesundheit Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolleginnen und Kollegen Holzenkamp, Tack, HappachKasan, Binder und Höfken.

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im vergangenen Jahr, genauer am 21. Dezember, drangen erste Meldungen über erhöhte Dioxinbelastungen von Futtermitteln an die Öffentlichkeit. Am 14. Januar - nur 24 Tage später - stellte Bundesagrarministerin Ilse Aigner ihren Aktionsplan zur Sicherheit in der Futtermittelkette vor. Wiederum nur 19 Tage später, am 2. Februar, billigte das Kabinett mit den Änderungen zum Lebens- und Futtermittelgesetzbuch erste gesetzliche Umsetzungen einzelner Punkte des Aktionsplans. Das sind nicht einmal anderthalb Monate nach den ersten Dioxinmeldungen. Ich wiederhole: anderthalb Monate. Wer den zähen, langen Fluss der Gesetzgebung kennt, der weiß was dieser Zeitraum bedeutet. Und was kam in dieser Zeit von der Opposition? Wieder einmal nur die übliche Phrasendrescherei, Hysterie und Angstmacherei. Sie haben Ministerin Aigner Untätigkeit und Überforderung vorgeworfen. Welch ein Quatsch! Denn die Fakten sprechen eine völlig andere Sprache: CDU/CSU und FDP haben besonnen reagiert. CDU/CSU und FDP haben schnell reagiert. Nun mag der eine oder andere sagen, er höre hier mal wieder das übliche Selbstlob der Regierung. Dem sei die Aussage der EU-Kommission entgegengehalten. Diese sagte Mitte Februar sinngemäß, Deutschland habe in der Dioxinkrise höchst effizient gehandelt. Also, ein dickeres Lob für das Krisenmanagement der Bundesregierung kann ich mir kaum vorstellen. Bevor ich zu der heute in erster Lesung beratenen Novelle des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches komme, lassen Sie mich noch ein paar Worte zu den Dioxinvorfällen sagen. Ich denke, das ist - auch wenn wir darüber schon debattiert haben - bitter nötig. Die Rolle, die die Opposition und ein Teil der Medien hier gespielt haben, war höchst verantwortungslos. Anstatt zur sachlichfachlichen Aufklärung beizutragen, überschlug man sich in immer hysterischeren Überschriften. Und während der Agrarausschuss des Deutschen Bundestages die Vorfälle um das dioxinverschmutzte Futtermittel diskutierte, hatte die Opposition nichts Besseres zu tun, als den Sitzungssaal zu verlassen und der Presse angebliche neue Skandale in die Feder zu diktieren. Wir hätten uns eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Opposition gewünscht. Doch von dieser kam, wie so häufig in der Vergangenheit, nur ein destruktives Skandalisieren, und das alles zulasten der Verbraucher. Der Opposition scheint nichts am aufgeklärten, mündigen Verbraucher zu liegen. Nein, der Verbraucher muss Angst haben. Dann kann man eigene politische Ziele am besten umsetzen. Dabei wurde dann natürlich geflissentlich übergangen, dass wir in den letzten Jahren auch verschiedene Dioxinskandale bei Bioprodukten hatten. Dabei wurde dann auch geflissentlich übergangen, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung die wenigen geringen Höchstmengenüberschreitungen von Dioxin in Lebensmitteln als für den Verbraucher völlig ungefährlich eingestuft hat. Und dabei wurde ebenso übergangen, dass die Dioxinbelastung der Menschen in Deutschland - gut zu messen zum Beispiel am Dioxingehalt in der Muttermilch - seit 1990 kontinuierlich zurückgegangen und heute auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzenten liegt. Die Opposition betreibt politischen Missbrauch auf dem Rücken der Verbraucher mit dem Ziel, ihre sogenannte ökologische Agrarwende zu erreichen. Die Wirklichkeit sieht aber gänzlich anders aus: Diese von Ihnen angestrebte Ökologisierung der Landwirtschaft verteuert Lebensmittel erheblich. Eben in dieser Diskussion offenbaren Sie, wie unsozial Grüne, SPD und Linke eigentlich sind. De facto ist es doch so: Die moderne arbeitsteilige und intensive Landwirtschaft ist dafür verantwortlich, dass die Menschen heute nur 11 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen. Die moderne Landwirtschaft ist unter anderem dafür verantwortlich, dass die Lebensmittel heute qualitativ so hochwertig sind wie nie zuvor. Die moderne Landwirtschaft produziert für die Verbraucher Lebensmittel gut und preiswert. Das nenne ich wirklich nachhaltig. Verschonen Sie uns also bitte mit Ihrem Gerede von der Agrarwende. Niemand will die Situation schönreden. Es hat die Verunreinigung des Futtermittels mit Dioxin gegeben. Aber warum war das so? Wir haben es hier mit kriminellen Machenschaften Einzelner zu tun. Es geht um individuelles Versagen, mit erheblichen finanziellen Auswirkungen auf viele Tausend ehrlich wirtschaftende bäuerliche Familien. Die negative Entwicklung der bäuerlichen Einkommen als Folge der Dioxinpanscherei lässt sich schon an den Schlachtpreisnotierungen für Schweine in den vergangenen Wochen ablesen. Gesperrte Höfe, gesperrte deutsche Exporte in Drittländer für Schweine- und Geflügelfleisch sprechen eine deutliche Sprache. Hier zeigt sich, was von der von der Opposition propagierten ökologischen Systemwende und den darin verborgenen Anschuldigungen gegenüber dem modern wirtschaftenden Bauernstand zu halten ist. Nichts! Die Landwirte und ihre Familien sind Opfer von Kriminellen, nicht Täter. Nein, wir brauchen keine Agrarrolle rückwärts. Die Grundlage der Lebensmittelproduktion ist und bleibt die intensiv und ertragreich wirtschaftende Landwirtschaft. Wir müssen vorwärts schauen und vorwärts handeln. Was wir, was die Bundesregierung und - das darf nicht vergessen werden - was auch die EU plant, sind Maßnahmen, Schwachpunkte in der Futtermittelproduktion so weit zu minimieren, dass in Zukunft die Schlupflöcher für Betrüger noch kleiner werden. Der erste Umsetzungsblock der Maßnahmen des Aktionsplans der Bundesregierung und der Länder sind Änderungen im Lebens- und Futtermittelgesetzbuch. Diese betreffen insbesondere die Punkte der Meldepflicht von privaten Laboren, wenn sie erhöhte Werte bei ihren Untersuchungen von Futtermittelproben feststellen, sowie eine Meldepflicht von internen Untersuchungen, bei denen erhöhte Werte festgestellt worden sind. Wir wollen bei der Umsetzung der Maßnahmen des Aktionsplanes eng mit allen beteiligten Fachkreisen zusammenarbeiten, um die Effizienz der Maßnahmen so weit wie möglich zu steigern, gleichzeitig aber ineffiziente Reibungsverluste zu vermeiden. Deswegen haben die Fraktionen von CDU/CSU und FDP beschlossen, zu dem vorgelegten Gesetzentwurf eine öffentliche Anhörung im Agrarausschuss durchzuführen. Danach werden die Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP entscheiden, ob und, wenn ja, welche Änderungen am LFGBVorschlag der Bundesregierung vorgenommen werden.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Neben den Anpassungen im Rahmen von bereits geltenden EU-Verordnungen enthält der Entwurf aus aktuellem Anlass des Dioxinskandals auch Regelungen, die im gemeinsamen Aktionsplan des Bundes und der Länder „Unbedenkliche Futtermittel, sichere Lebensmittel, Transparenz für den Verbraucher“ festgelegt wurden. Dies ist zunächst grundsätzlich zu begrüßen. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte umgehend Forderungen für Konsequenzen aus dem Dioxinskandal erhoben und darin unter anderem die jetzt vorgeschriebene Meldepflicht für private Untersuchungslabore gefordert. Diese sollen jetzt laut Gesetzentwurf bedenkliche Mengen von gesundheitlich nicht erwünschten Stoffen, die sie in untersuchten Lebens- und Futtermitteln festgestellt haben, an die zuständigen Behörden melden. Wir fordern, dass Untersuchungslabore und das Laborpersonal alle Ergebnisse von Lebensmittel- und Futtermitteluntersuchungen unmittelbar an die zuständigen Überwachungsbehörden melden, das heißt, die Regelung im Gesetzentwurf der Bundesregierung greift hier zu kurz. Die Verpflichtung von Lebens- und Futtermittelunternehmen, Ergebnisse über Eigenkontrollen hinsichtlich Dioxinen und Furanen sowie dioxinähnlichen und nichtdioxinähnlichen polychlorierten Biphenylen an die zuständigen Behörden zu melden, ist ebenfalls ein Fortschritt. Allerdings muss hier noch eine strengere Kontrolle von Futterfetten vorgeschrieben werden, und die Hersteller müssen verpflichtet werden, jede Charge beproben zu lassen. Die Futtermittelfette sind als Haupteintragsquelle der fettlöslichen Dioxine besonders sensibel und deshalb schärfer zu überwachen Auch muss eine offene und vollständige Deklaration aller Futtermittelinhaltsstoffe umgesetzt werden. Damit wird dafür gesorgt, dass nur sichere Bestandteile in die Futtermittelkette gelangen. Wir erwarten, dass die vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz angekündigte Rechtsverordnung für die nicht erwünschten Stoffe umgehend vorgelegt wird, und werden deren Inhalt kritisch überprüfen. Die zuständigen Behörden der Länder sollen nach einer Rechtsverordnung die ihnen vorliegenden Untersuchungsergebnisse über Gehalte an gesundheitlich nicht erwünschten Stoffen an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit melden. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erstellt aus dem gemeinsamen Datenpool vierteljährlich einen Bericht, sodass der Ausbau eines Frühwarnsystems zu begrüßen ist. Allerdings muss auch das Verbraucherinformationsgesetz, VIG, unverzüglich novelliert und an die neuen Anforderungen angepasst werden. Wir wollen, dass sämtliche Untersuchungsergebnisse der betrieblichen Eigenkontrollen sowie die staatlichen Untersuchungsergebnisse in einer Datenbank veröffentlicht werden. Dies hat unabhängig davon zu geschehen, ob Grenzwerte eingehalten oder unterschritten wurden. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen in die Lage versetzt werden, dioxin- oder anderweitig belastete Lebensmittel auch unterhalb der erfassten und zulässigen Grenzwerte zu meiden. Nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse gelten mit Dioxin belastete Lebensmittel unterhalb bestimmter Grenzwerte als ungefährlich. Die Gifte reichern sich jedoch in der Nahrungskette an und lagern sich im Fettgewebe ein. Dioxine können vom Körper kaum abgebaut oder ausgeschieden werden. Ziel muss es sein, die Belastung mit Dioxin so weit wie möglich zu vermindern. Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht auf diese Informationen, die Novellierung des VIG muss also schnellstens vorgelegt werden. Die jetzt vorgesehenen Änderungen des Lebensmittelund Futtermittelgesetzbuches, LFGB, sind deswegen nur ein Anfang der erforderlichen Konsequenzen aus dem Dioxinskandal. Auch wenn die Bundesregierung nicht für die Umsetzung aller Punkte des Aktionsplans zuständig ist, muss Frau Aigner für eine zügigere Abarbeitung sorgen und Maßnahmen bei den Ländern oder auf der EU-Ebene einfordern. Die Bundesländer dürfen sich nicht aus ihrer Verantwortung stehlen oder die im Aktionsplan vereinbarten Maßnahmen verzögern. Die Einrichtung der zentralen Informationsplattform www.lebensmittelwarnung.de ist längst überfällig, Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich ausführlich informieren können. Eine bundesweite und zeitnahe Aufstellung über Rückrufaktionen, Warnungen, beanstandete Produkte sowie deren Kennnummern und darüber, welche Behörde verantwortlich ist, muss öffentlich gemacht werden. Andere dringende und angekündigte Regelungen fehlen ebenfalls noch oder sind gar nicht vorgesehen. Die Zu Protokoll gegebene Reden Durchsetzung einer Positivliste für Futtermittelinhaltsstoffe in Europa muss intensiviert werden; sollte es dort Widerstände geben, muss es eine nationale Liste geben. Einheitliche Kontrollstandards auf europäischer Ebene müssen eingefordert werden. Eine Senkung der Grenzwerte für Futtermittelausgangsstoffe muss ebenfalls eingefordert werden. Ein funktionierendes Rückverfolgungssystem, ein bundesweit einheitliches Niveau der Lebensmittelüberwachung oder neue Haftungsregeln und Strafverschärfungen sind bisher nur angekündigt. Ein Informantenschutz für Mitarbeiter und Beschäftigte, die die zuständigen Behörden über Missstände bei ihren Arbeitgebern informieren, ist von der Bundesregierung gar nicht vorgesehen; deshalb wird die SPD-Bundestagsfraktion dazu zeitnah ein eigenes Gesetz einbringen.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Belastung von Lebens- und Futtermitteln durch Dioxine, wie sie durch das augenscheinlich kriminelle Handeln eines Fettmischbetriebes verursacht worden sind, haben zu Beginn dieses Jahres für große Verunsicherung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern gesorgt. Viele landwirtschaftliche Betriebe sind existenziell in Bedrängnis geraten. Sie sind die eigentlichen Opfer. Zu keiner Zeit sind Menschen gefährdet worden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die bestehenden Grenzwerte keine toxikologische Bedeutung haben. Sie verfolgen das Ziel, den Gehalt unserer Lebens- und Futtermittel an Dioxinen, die in unserer Umwelt nahezu überall vorhanden sind, möglichst zu minimieren. Dies ist in den letzten beiden Jahrzehnten gut gelungen, denn die Dioxinbelastung konnte durch technische Maßnahmen auf ein Drittel abgesenkt werden. Um solche Vorkommnisse wie zu Beginn dieses Jahres zukünftig zu vermeiden, wurde am 18. Januar die Gemeinsame Erklärung des Bundes und der Länder „Unbedenkliche Futtermittel, sichere Lebensmittel, Transparenz für den Verbraucher“ mit einem 14-PunkteMaßnahmenkatalog verabschiedet. Um die ersten Maßnahmen umzusetzen, hat das Ministerium jetzt in kurzer Zeit einen Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, LFGB, erarbeitet. Enthalten sind hier Vorschläge, wie die Eigenkontrollen bei Futtermittel- und Lebensmittelunternehmen transparenter ausgestaltet werden können. Für die FDP-Fraktion steht die Lebensmittelsicherheit an erster Stelle. Wir unterstützen die Ziele des Aktionsplans, die Kontrollen von Futter- und Lebensmitteln noch effizienter und wirksamer zu gestalten. Wir haben in Deutschland heute so sichere Lebensmittel wie nie zuvor. Dennoch gilt es, auch hier zu prüfen, ob die Qualität und Dichte der Kontrollen im Hinblick auf die Risikopotenziale ausreichend sind. Die Produzenten haben die Verantwortung für ihre Produkte. Die große Mehrheit der Produzenten nimmt diese Verantwortung sehr ernst. Wir dürfen die Hersteller nicht durch staatlichen Aktionismus aus der Eigenverantwortlichkeit für ihre Produkte entlassen. Staatliche Kontrollen können Eigenverantwortung nicht ersetzen. Die Qualitätssicherungssysteme der Lebens- und Futtermittelhersteller müssen gestärkt und transparenter ausgestaltet werden, um frühzeitig mögliche Belastungen mit unerwünschten Stoffen erkennen zu können. Nur so können potenzielle Gefahren für den Verbraucher und die wirtschaftlichen Folgen für Landwirte und Unternehmen so gering wie möglich gehalten werden. Der LFGB-Entwurf des Ministeriums sieht in § 44 eine Meldepflicht für private Laboratorien vor. Bei verdächtigen Untersuchungsergebnissen von Lebens- oder Futtermitteln sind die zuständigen Behörden unverzüglich zu informieren. Weiterhin sollen Unternehmen aus der Lebens- und Futtermittelbranche mittels des neuen § 44 a dazu verpflichtet werden, Ergebnisse aus internen Eigenkontrollen über eine ganze Reihe von unerwünschten Stoffen an die zuständigen Behörden zu melden. Nach Ansicht der betroffenen Wirtschaftsverbände und der mit den Untersuchungen betrauten Laboratorien stellt der Entwurf eine vollkommene Neuordnung der bisherigen Rechtspraxis dar. Es werden teilweise problematische Auswirkungen auf die Praxis erwartet. Verbände äußerten die Besorgnis, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Laboratorien und Herstellern durch die Auskunftspflicht nachhaltig gestört wird. Wir nehmen diese Einwände sehr ernst. Wir sind allerdings der Auffassung, dass zumeist zwischen Produzenten und Laboratorien seit vielen Jahren enge geschäftliche Verbindungen bestehen, die sich auch unter neuem Recht vertrauensvoll weiterführen lassen. Gleichzeitig handelt es sich bei den hier vorgeschlagenen Gesetzesänderungen jedoch um eine nationale Sonderregelung im Bereich des Lebens- und Futtermittelrechtes. Die Gefahr einer Benachteiligung nationaler Unternehmen und ein Ausweichen auf Laboratorien in anderen EU-Staaten kann daher nicht ausgeschlossen werden. Die grundlegende Idee des neuen § 44 a, über die Mitteilungspflicht von Untersuchungsergebnissen zu gesundheitlich nicht erwünschten Stoffen eine bessere Datengrundlage zu erhalten und mögliche Belastungsquellen besser abschätzen zu können, ist sinnvoll. Allerdings werden hier ungefiltert riesige Datenmengen, die kein statistisch abgesichertes Bild der Situation liefern können, von nichtöffentlichen Stellen erhoben und beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL, gesammelt. Diese Daten stammen aus sehr verschiedenen Quellen, haben unterschiedliche Qualitäten und führen nach Ansicht der Verbände zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand bei den Unternehmen. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass ein Bearbeiten der Daten, was Voraussetzung für deren sinnvolle Nutzung ist, nur unter einem erheblichen personellen Mehraufwand durch die Behörden zu bewerkstelligen ist. Angesichts der Haushaltssituation und der gegebenen hohen Lebensmittelsicherheit muss hinterfragt werden, ob dies zielführend ist. Ein gut durchdachtes Vorbild stellt das Deutsche Lebensmittel-Monitoring dar, das 1995 eingeführt wurde. In einem festgelegten Kontrollplan werden Daten zur Belastung von Lebensmitteln, Kosmetika und Bedarfsgegenständen erhoben. Grundlage ist ein repräsentativer Zu Protokoll gegebene Reden Warenkorb, der aufgrund einer Risikoabschätzung auf unterschiedliche unerwünschte Stoffe wie Mykotoxine, Schwermetalle, Rückstände von Pflanzenschutzmitteln und andere getestet wird. In der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Monitoring wird nach einem statistisch validen Verfahren jeweils für fünf Jahre festgelegt, welche Stichproben zu welchem Zeitpunkt gezogen werden müssen und auf welche Stoffe dabei untersucht werden soll. Jährlich werden 9 000 Untersuchungen bei Lebensmitteln auf die festgelegten Stoffe durchgeführt. Das Beispiel des Lebensmittel-Monitorings zeigt: Nur wenn solche Daten mit Sinn und Verstand erhoben werden, können aus unserer Sicht nachvollziehbare, belastbare Schlüsse gezogen werden. Die Dioxinfunde am Anfang des Jahres, welche die Verbraucherinnen und Verbraucher verunsichert haben, erforderten schnelles und entschlossenes Handeln. Die Koalition wird dafür Sorge tragen, dass die Maßnahmen des 14-Punkte-Plans rasch umgesetzt werden können. Dennoch darf die Gründlichkeit nicht der Schnelligkeit geopfert werden. Deshalb werden wir einzelne Detailfragen in einer Anhörung mit Fachleuten erörtern. Gemeinsam gilt es zu prüfen, wie eine Datenerhebung aus Eigenkontrollen und unter Berücksichtigung der Grundsätze des Datenschutzes effizient und zielgerichtet vorgenommen werden kann.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Lobbyistenverband der Ernährungsindustrie, der BLL, rühmt sich öffentlich damit, die Erstellung des hier vorliegenden Gesetzentwurfes stark beeinflusst zu haben. Bei näherem Hinsehen wird auch klar, warum. Nur 2 der 14 Punkte, die im Laufe des Dioxinskandals zwischen der Bundesregierung und den Ländern vereinbart wurden, sollen jetzt gesetzlich geregelt werden, und das auch nur zu Teilen. Wesentliche Teile des „Aktionsplans Verbraucherschutz“ sollen nämlich am Parlament vorbei per Verordnung durch das Ministerium allein geregelt werden. Lobbyisten, die im Hause Aigner ein und aus gehen, haben damit mehr mitzureden als der Deutsche Bundestag. Das ist nicht hinnehmbar. Gut an dem wenigen, das nun geregelt wird, ist: Private Labore, die im Auftrag von Unternehmen Schadstoffuntersuchungen durchführen, müssen bedenkliche Mengen künftig direkt an die Behörden melden. Die Linke findet es richtig, dass private Labore der Lebensmittelanalyse stärker in die Verantwortung genommen werden. Im Dioxinskandal waren einem solchen Labor die hohen Dioxinwerte der Verursacherfirma Harles und Jentzsch bereits im März 2010 bekannt. Hätten die Behörden davon gewusst, wäre der Dioxinskandal ein Dreivierteljahr später vermeidbar gewesen. Die Meldung der Daten ist also eine wichtige Information für die Ämter, darf jedoch nicht die einzige sein. Deshalb ist auch gut: Die Unternehmen werden verpflichtet, alle durchgeführten Schadstoffmessungen - auch mit unbedenklichem Ergebnis - an die Behörden zu übermitteln. Doch schon dieser Punkt geht der Lebensmittellobby zu weit. Bei der anstehenden Anhörung zum Änderungsgesetz soll erreicht werden, dass die Ämter keine Informationen über die tatsächliche Belastung unserer Lebensmittel erhalten. Ich sage: Lebensmittel sind kein Betriebsgeheimnis. Wer hier etwas verheimlicht, will den Verbraucherinnen und Verbrauchern etwas vormachen. Die Linke wird sich deshalb nicht über den Tisch ziehen lassen. Wir wollen echte Verbraucherinformationen. An diesem Gesetzentwurf wird deutlich, dass Frau Aigner wieder nur Ankündigungsministerin ist. In ihrem Hause bestimmen offenbar andere die Richtung. Die Linke fordert, dass aus dem Dioxinskandal endlich die richtigen Konsequenzen gezogen werden. Erstens. Die Lebensmittel- und Futtermittelkontrolle muss systematisch zusammen mit den Bundesländern weiterentwickelt werden. Dazu sind die Eigenkontrollen der Futter- und Lebensmittelbetriebe zu verbessern. Betriebliche Zertifizierungssysteme sind entlang der gesamten Erzeugungskette nach strengen gesetzlichen Vorgaben zu regeln und zu überwachen. Sie müssen Erzeugungsformen und betriebswirtschaftliche Risiken erfassen und eine durchgängige Dokumentationspflicht beinhalten. Dazu muss für jede Futtermittelcharge vor der Verarbeitung ein Test die Unbedenklichkeit belegen. Wichtig ist auch: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Behörden auf Missstände in Betrieben hinweisen, sollen nach dem Vorbild von Großbritannien und den USA als Hinweisgeber gesetzlichen Schutz erhalten. Auch die staatlichen Kontrollen sind zu stärken: Die behördliche Lebensmittelüberwachung muss die Wirksamkeit betrieblicher Zertifizierungssysteme überwachen sowie Risiken und Lücken in der Branche frühzeitig erkennen und schließen können. Dazu sind sie personell und finanziell abzusichern. Der Bund soll die Zusammenarbeit der Länder besser fördern. Der jeweils beste Standard im Bereich der Lebensmittel- und Futtermittelüberwachung in einem einzelnen Bundesland ist deutschlandweit zum Maßstab zu machen. Die Koordination auf Bundesebene ersetzt dabei nicht die Verantwortung in den Ländern. Die Behörden müssen im Verdachtsfall ungehinderten Zugang zu allen Betriebsdaten erhalten, die die Erzeugungskette betreffen. Zweitens. Mängel in der Lebensmittel- und Futtermittelerzeugung müssen systematisch behoben werden. Dazu ist eine verpflichtende Positivliste bei Futtermitteln für Roh- und Zuschlagsstoffe auf EU-Ebene einzufordern. Betriebe sollen durchgängig nach Lebensmittelerzeugung und technischer Produktion getrennt sein. Alle tierischen Fette zur industriellen Verarbeitung sind am Herstellungsort durch Einfärbung kenntlich zu machen. Regionale Erzeugerkreisläufe und betriebseigene Erzeugung von Futtermitteln sollen durch ein Förderprogramm des Bundes gezielt gefördert werden. Das verkürzt die Lebensmittelkette, mindert die Eintragsrisiken und erleichtert die Nachvollziehbarkeit der Erzeugungskette. Drittens. Die Verbraucherinformation muss erheblich verbessert werden. Die Herkunft der Zutaten in den Lebensmitteln sowie die Verarbeitungsbetriebe müssen auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehbar sein. Daten der Behörden und Betriebe sind Zu Protokoll gegebene Reden kein Betriebsgeheimnis, sondern eine wichtige Verbraucherinformation. Dazu muss das Verbraucherinformationsgesetz verbessert werden: Die zuständigen Behörden sollen von sich aus über Produkte bzw. Erzeugnisse und Hersteller informieren, wenn Anhaltspunkte für eine Gesundheitsgefährdung vorliegen. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen auch gegenüber Unternehmen ein direktes Auskunftsrecht, beispielsweise zur gesamten Herstellungs- und Lieferkette sowie über die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards, erhalten. Viertens. Die Bundesregierung muss die Voraussetzungen für eine systemübergreifende Forschung schaffen, in der die vielfältigen Fachkenntnisse zusammenfließen, und ein Forschungsprogramm aufsetzen. Fünftens. Die Verfolgung und Ahndung von Lebensmittelkriminalität ist zu verbessern, indem ein Förderprogramm für Fachleute zur Erkennung von Straftaten in der Lebensmittelbranche aufgelegt wird und die Strafnormen im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch handhabbarer gestaltet werden. Außerdem sollte der Strafrahmen bei Verstößen gegen das Lebensmittel- und Futtermittelrecht angemessen erhöht werden. Sechstens. Für die vom Dioxinskandal betroffenen Landwirtschaftsbetriebe, die keine Möglichkeit hatten, sich der Krise zu entziehen, sollen unverzüglich Entschädigungsleistungen zum Beispiel über die landwirtschaftliche Rentenbank ermöglicht werden. Per Gesetz sollte für zukünftige Schadensfälle ein Ausgleichsfonds geschaffen werden, der von der Futtermittelindustrie über Abgaben aus dem Handel mit Futtermittelchargen finanziert wird. So sieht ein Aktionsplan für den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher aus.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Aufnahme der Meldepflicht für Labore und die vorgesehene Erweiterung des Dioxinmonitorings über das LFGB ist eine richtige Konsequenz aus den Skandalen um Lebens- und Futtermittel und speziell dem jüngsten Dioxinskandal. Die Ministerin setzt damit einen Teil des von Bund und Ländern beschlossenen Aktionsplans zur Bewältigung der Dioxinkrise um. Allerdings haben sich Bundesministerin Ilse Aigner und ihre bis vor kurzem für den Verbraucherschutz zuständige Staatssekretärin Julia Klöckner mit der LFGBÄnderung nur die kleinsten und unwichtigsten Punkte aus dem von Nordrhein-Westfalens Minister Johannes Remmel entwickelten Aktionsplan ausgesucht. Die wesentlich relevantere Rechtsverordnung zur Zulassungspflicht für Futtermittelhersteller, Trennung der Futtermittelproduktion von der Produktion für die technische Industrie oder zu verschärften Vorgaben für die Eigenkontrollsysteme teilt weiterhin das Schicksal der meisten Aigner-Initiativen: Sie bleibt eine Ankündigung. Zurück zum Gesetzentwurf. Angesichts der bekannten Sympathien von Ministerin Aigner für die Eigenkontrollsysteme der Wirtschaft ist zu befürchten, dass die Meldepflicht für private Labore einer erneuten Verlagerung der Lebens- und Futtermittelüberwachung aus dem staatlichen in den privatwirtschaftlichen Bereich Vorschub leisten soll. Meldepflichten für private Labore können und dürfen aber die notwendigen Verbesserungen des Lebens- und Futtermittelkontrollsystems nicht ersetzen. Wir haben zum Beispiel in Rheinland-Pfalz nach wie vor viel zu wenige Kontrolleure. Im Schnitt gerade einmal 2,27 Kontrolleure sollen dort 1 000 Unternehmen pro Jahr überwachen, was auch der Landesrechnungshof bereits monierte. Der Anteil der Verdachtsproben an allen erhobenen Proben liegt mit nur 10,9 Prozent weit unter den vorgesehenen 20 Prozent. Die von Frau Aigner vorgeschlagene Verbesserung der Kontrollqualität durch länderübergreifende Evaluierungen wird dieses Problem nicht lösen, hier muss der Bund weiter auf die Länder einwirken und gleichzeitig durch intelligente Ressourcennutzung Unterstützung leisten, zum Beispiel durch länderübergreifende Referenzlabore oder eine Bundesunterstützung bei der Ausund Weiterbildung von Kontrolleuren. Trotz Verbesserungen bei Melde- und Überwachungssystemen sperrt sich die Bundesregierung weiter gegen das wirksamste Kontrollinstrument überhaupt: gut informierte Verbraucher, die durch ihre Kaufentscheidung direkt die Marktentwicklung beeinflussen. Wir haben dazu im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, aber auch in verschiedenen Anträgen mehrfach die Erweiterung des Verbraucherinformationsgesetzes um den direkten Informationsanspruch der Verbraucher gegenüber Unternehmen gefordert. Damit wären die Konsumenten nicht länger vom oft wenig umfassenden oder aktuellen Informationsstand der Behörden abhängig, und die Unternehmen hätten mehr direkte Kundenresonanz - ein wichtiger Erfolgsfaktor für eine auch ökonomisch nachhaltige Entwicklung. Auch die laut einer Umfrage von 93 Prozent der Bevölkerung gewünschte Veröffentlichung von Kontrollergebnissen in Form eines „Smiley“ nach dänischem Vorbild wird von der Bundesregierung nicht aktiv unterstützt. Die Verbraucherschutzminister der Länder mussten Aigner mit ihrem Beschluss auf der VSMK im September 2010 erst zu einer bundesweiten Umsetzung des Smiley-Konzeptes zwingen. Die entscheidende Schwäche von Aigners und Klöckners Reaktion auf die Dioxinkrise liegt jedoch in der Weigerung der Bundesregierung, die fundamentalen Fehlentwicklungen in der Lebensmittelproduktion überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn, sie zu beenden. Es handelt sich um die industrielle Futtermittelproduktion und die Massentierhaltung ohne Flächenbindung, den Import von gentechnisch veränderten Futtermitteln mit verheerenden Auswirkungen für Mensch und Umwelt in den Anbauländern verbunden mit der fallenden einheimischen Erzeugung von Eiweißfuttermitteln, den dramatischen Verlust an Biodiversität durch viel zu enge Fruchtfolgen, den weltweiten Einsatz von Pestiziden in Acker- und Gartenbau und die Verwendung von 300 Lebensmittelzusatzstoffen in der industriellen Lebensmittelproduktion als billigen Ersatz für hochwertige, natürliche Zutaten. Wir fordern die Bundesregierung auf, jetzt endlich die richtigen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige, Zu Protokoll gegebene Reden ökologische und bäuerliche Landwirtschaft zu setzen, die uns auch langfristig mit gesunden und sicheren Lebensmitteln versorgen kann. Frau Aigner darf nicht länger nur an den Symptomen herumdoktern und auf die Intensivierung der Produktion setzen, zum Beispiel bei der Förderung der Konzentration in der Milchwirtschaft oder der Produktion von Schweine- und Geflügelfleisch für den Export. Sonst werden wir auch in Zukunft immer wieder mit Skandalen konfrontiert werden, deren Folgen in der Regel nicht die Verursacher, sondern die Landwirte und Verbraucher tragen müssen. Die Überarbeitung des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches werden wir weiter kritisch begleiten und fordern zu diesem Thema eine öffentliche Anhörung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/4984 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Tagesordnungspunkt 23: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Birgitt Bender, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsetzung der EU-Health-Claims-Verordnung voranbringen - Drucksachen 17/4015, 17/4892 Berichterstattung: Abgeordnete Carola Stauche Dr. Christel Happach-Kasan Ulrike Höfken Ihre Reden zu Protokoll geben die Kolleginnen und Kollegen Stauche, Tack, Geisen, Binder und Höfken.

Carola Stauche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004162, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir beraten heute einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der die Bundesregierung auffordert, sich für eine zügige Umsetzung der Health-Claims-Verordnung einzusetzen. Die Unionsfraktion lehnt diesen Antrag ab. Die Gründe haben wir schon während der Ausschusssitzung erörtert ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, sie an dieser Stelle zu wiederholen. Um die Health-Claims-Verordnung umzusetzen, bedarf es eines Verordnungsentwurfes der EU-Kommission, der dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorgelegt werden muss. Einen solchen gibt es allerdings noch nicht. Das bedeutet, dass die derzeitigen Einflussmöglichkeiten der Bundesregierung stark eingegrenzt sind. Wir müssen also warten, bis ein konkreter Vorschlag vorliegt. Diesen können oder, anders, diesen werden wir dann gemeinsam beraten und, wenn nötig, an der einen oder anderen Stelle ändern. Denn sowohl der Bundesregierung als auch der Koalition ist an einer vernünftigen und wissenschaftsbasierten Kennzeichnung gelegen. Dass es in diesem Punkt, was tatsächlich vernünftig ist, weit auseinandergehende Ansichten gibt, ist ja hinlänglich bekannt. Wobei ich anmerken möchte, dass ich bei den Farbenspielen der Opposition in Sachen Lebensmittelkennzeichnung weniger an Vernunft denn an Verwirrung denke, aber das nur am Rande. Sie fordern in Ihrem Antrag, die EFSA im Hinblick auf Unabhängigkeit und Transparenz zu reformieren. Ich weiß gar nicht, warum das notwendig sein soll. Die Unabhängigkeit der EFSA ist durch eine Reihe von Kontrollmechanismen gesichert. Ich denke da an den wissenschaftlichen Ausschuss und die wissenschaftlichen Gremien, die sich aus unabhängigen Experten zusammensetzen. Diese Experten müssen Interessen- und Unabhängigkeitserklärungen abgeben, die veröffentlicht werden. Dadurch ist Transparenz geboten. Oder wollen Sie mir erzählen, dass ein Wissenschaftler oder Experte bei einem Verstoß gegen diese Erklärungen nicht sofort am digitalen Pranger stehen würde? Auch die Unionsfraktion ist der Meinung, dass nicht nur bei Lebensmittelzusatzstoffen zu technologischen Zwecken, sondern auch bei Stoffen, die zu anderen Zwecken Lebensmitteln zugesetzt werden, der Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern vor gesundheitlichen Schäden und vor Irreführung sichergestellt werden muss. Solche Stoffe bedürfen nach lebensmittelrechtlichen Vorschriften - bis auf einige wenige Ausnahmen einer grundsätzlichen Zulassung. Eine solche Zulassung wird nur dann erteilt, wenn sich bei der gesundheitlichen Bewertung des Stoffes - beispielsweise durch das Bundesinstitut für Risikobewertung - keine Bedenken hinsichtlich der Sicherheit ergeben. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass bei der Verwendung von arzneilichen Wirkstoffen zu überprüfen ist, ob das Erzeugnis nicht als Arzneimittel einzustufen ist und damit dem Arzneimittelrecht unterliegt. Ich möchte hier noch einmal darauf hinweisen, dass Lebensmittelrecht und Arzneimittelrecht strikt getrennt sind. Das ergibt sich aus den arzneimittelrechtlichen und den lebensmittelrechtlichen Bestimmungen und hat zur Folge, dass ein als Arzneimittel eingestuftes Erzeugnis kein Lebensmittel sein kann und umgekehrt. Zum Thema Health Claims fällt mir noch ein Spruch ein, den mir ein sehr geschätzter Kollege einmal aufsagte: Gesundheit erwirbst du nicht im Handel, sondern nur durch Lebenswandel! Wir lehnen den Antrag der Opposition ab. Wir setzen uns aber, wie erwähnt, für eine übersichtliche, wissenschaftsbasierte Lebensmittelkennzeichnung ein, ohne den Verbraucher zu bevormunden. Das hat sehr viel mit unserem Leitbild vom mündigen Bürger zu tun. In diesem Fall wäre es der mündige Konsument oder Verbraucher, der - gut informiert - selbst entscheidet, welches ordentlich gekennzeichnete Produkt er kauft oder zu sich nimmt.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gegen die Stimmen der Oppositionsparteien haben die Koalitionsfraktionen den Antrag im Ausschuss abgelehnt. Die SPD-Fraktion hat den Antrag unterstützt; denn auch wir sind der Meinung, dass sich die Bundesregierung für eine zügige Umsetzung der noch offenen Teile dieser EU-Verordnung von 2007 einsetzen soll. Mit der Verordnung soll sichergestellt werden, dass künftig Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel nur dann mit gesundheitsbezogenen Angaben versehen und beworben werden dürfen, wenn diese Angaben auch wissenschaftlich belegt sind. Die erforderliche Festlegung der Nährwertprofile für die einzelnen Lebensmittelgruppen durch die EU-Kommission steht aber noch aus. Diese Profile sollen absichern, dass Lebensmittel, die mit positiven Gesundheitseffekten beworben werden, nicht gleichzeitig Nährstoffe enthalten, deren übermäßiger Verzehr mit chronischen Krankheiten in Verbindung gebracht werden kann. Der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor irreführenden oder falschen Angaben wird damit verbessert. Auch wir meinen, dass Werbung für Lebensmittel mit gesundheitsbezogenen Aussagen wie zum Beispiel „gut für den Knochenbau“ oder „stärkt die Abwehrkräfte“ nur dann zulässig sein darf, wenn das beworbene Lebensmittel kein ungünstiges Nährwertprofil hat und die Werbeaussagen wissenschaftlich belegbar sind. Verbraucherinnen und Verbrauchern soll nicht vorgegaukelt werden können, Süßigkeiten oder „Dickmacher“ seien gesund, nur weil sie viel Kalzium oder Vitamine enthalten. Handlungsbedarf besteht auch im Grenzbereich zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln. Wir meinen, dass arzneilich wirkende Stoffe in Lebensmitteln nichts zu suchen haben. Beimischung von Arzneimitteln in Lebensmittel, die einen positiven Nutzen versprechen, darf nicht genehmigt werden. Denn durch eine Aufweichung der Grenze zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln besteht die Gefahr einer Überversorgung mit bestimmten Inhaltsstoffen, die schädlich sein kann. In Deutschland verschreibungspflichtige Stoffe dürfen nicht über die EU-Ebene in Lebensmitteln genehmigt werden. Eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Arzneimittelverordnungen der Mitgliedstaaten muss also auch erfolgen, und es müssen klarere Vorgaben von der Kommission gemacht werden. Wir begrüßen im Grundsatz das Ziel der HealthClaims-Verordnung, und eine zügige Festlegung der Nährwertprofile ist auch aus unserer Sicht erforderlich. Auch die vom Ausschuss durchgeführte Expertenanhörung am 6. Oktober 2010 hat dies gezeigt. In der Anhörung wurde deutlich, dass strenge Nährwertprofile notwendig sind. Die Überlegungen der EU-Kommission sind dafür aus unserer Sicht noch nicht ausreichend. Denn danach könnten zum Beispiel nach Berechnungen aus Großbritannien zwei Drittel der verzehrten Lebensmittel als gesund beworben werden, wenn sie nur einen besonderen Vitaminzusatz enthalten. Wir fordern die EU-Kommission auf, dem Druck der Lebensmittelindustrie nicht nachzugeben, andernfalls können die ursprünglichen Ziele der Health-Claims-Verordnung nicht erreicht werden. Dafür muss sich auch die Bundesregierung einsetzen. Die Prüfung der sogenannten Health Claims durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, läuft noch immer, dabei werden aber auch nur die Eigenangaben der Antragsteller kontrolliert und auf positive Wirkung geprüft. Da aber durchaus die Möglichkeit besteht, dass bestimmte Nährstoffe je nach Verbraucher sowohl positive als auch negative Wirkungen haben können, wäre aus unserer Sicht auch eine Bewertung eines Nutzen-Risiko-Profils sinnvoll. Als Beispiel dafür möchte ich Kalzium anführen: Es kann die Knochengesundheit fördern, bei Risikogruppen aber durchaus auch das Herzinfarktrisiko erhöhen. Von den mehr als 44 000 bei der EFSA eingereichten Anträgen konnten bei circa 80 Prozent keine überzeugenden Belege für gesundheitsfördernde Auswirkungen gefunden werden; einige Hersteller haben Anträge aus Angst vor Imageverlust auch selbst zurückgezogen. Die zu bewertenden restlichen 4 600 Claims sind in der Prüfung. Nach jetzigem Stand will die EFSA bis Ende Juni 2011 die Bewertung aller gesundheitsbezogenen Angaben über allgemeine Funktionen - mit Ausnahme der Angaben über pflanzliche Stoffe - abschließen. Die EUKommission wird dann eine Liste mit ihren Empfehlungen vorlegen. Die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament müssen danach entscheiden. Wir fordern zusätzlich die Einrichtung eines Registers, in dem alle Studien über gesundheitsbezogene Angaben transparent und für jedermann zugänglich aufgelistet werden. Auch muss sichergestellt sein, dass eine laufende Überprüfung der bereits genehmigten Claims erfolgt. Durch ständige Forschung ist es durchaus möglich, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse für bestimmte Nährstoffe gewonnen werden. Nachträgliche Veränderungen der Bewertung durch die EFSA müssen also möglich sein. Ein kontinuierliches Studienmonitoring sollte deshalb vorgeschrieben werden. Ich hoffe sehr, dass die jetzt angekündigten Zeitangaben der EFSA zu halten sind; denn Irreführung oder Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher durch nicht erwiesene gesundheitsbezogene Werbeaussagen muss bald beendet werden. Auch die Bundesregierung sollte im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher auf eine schnelle Lösung dringen und sich für eine zügige Umsetzung der Nährwertprofile einsetzen. Da wir bereits im Ausschuss dem Antrag der Grünen zugestimmt haben, können wir die Beschlussempfehlung des Ausschusses nicht mittragen und lehnen sie somit ab.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die im Jahr 2006 erlassene Health-Claims-Verordnung der EU, die gesundheitsbezogene Werbeaussagen auf Lebensmittel reguliert, hat schon jetzt zu überbordender Bürokratie geführt. Die jetzt diskutierte Definition von Nährwertprofilen für unterschiedliche Lebensmittelgruppen ist hochumstritten. Es ist nahezu unmöglich, wissenschaftlich festzulegen, wann ein ProZu Protokoll gegebene Reden dukt beispielsweise wegen seines Fett- oder Zuckergehalts als ungesund gilt, weil Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren sehr unterschiedliche Anforderungen an den Nährwertgehalt von Lebensmitteln haben. Dazu kommen auch noch die individuellen Bedarfe und Grenzwerte. Zwar ist unbestritten, dass ein hoher Salzkonsum am Auftreten bestimmter Krankheiten beteiligt ist. In Deutschland ist zum Beispiel der durchschnittliche Salzkonsum pro Person mehr als doppelt so hoch, wie es aus gesundheitlicher Sicht von der Weltgesundheitsorganisation, WHO, empfohlen wird. Dies hat bei salzempfindlichen Personen erhebliche negative Auswirkungen für die Gesundheit. Dass aber Maßnahmen auf Grundlage der Health-Claims-Verordnung zu einer Minderung des Salzkonsums führen, ist nach Einschätzung von Experten nicht zu erwarten. Hier fühlen wir uns als FDPFraktion bestätigt. Nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion ist nach der gegenwärtigen Rechtslage in Deutschland sichergestellt, dass Werbeaussagen nicht irreführend sein dürfen. Deshalb geht ein generelles Verbot gesundheitsbezogener Werbung im Rahmen der Health-Claims-Verordnung, wie es Bündnis 90/Die Grünen im vorliegenden Antrag zum Beispiel für die Kategorie der Süßwaren fordern, zu weit. Wir setzen uns stattdessen für eine wissenschaftsbasierte Kennzeichnung ein. In diesem Zusammenhang ist auch die Behauptung von Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen, bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, gebe es ein Defizit an Transparenz und Wissenschaftlichkeit. Im Gegenteil: Gerade weil sich diese Behörde nicht den ideologisierten Forderungen anschließt, arbeitet sie wissenschaftlich und nicht ideologisch beeinflussbar. Ich halte es im Übrigen auch für heikel, über die Umsetzung der EU-Health-Claims-Verordnung zu diskutieren, wenn überhaupt noch kein Verordnungsentwurf seitens der EU vorliegt. Für meine Fraktion ist von daher die intensive Befassung mit dieser Verordnung verfrüht. Wir können ihn erst dann beraten, wenn er tatsächlich vorliegt. Alles andere ist zunächst einmal Spekulation. Absehbar ist aber schon jetzt, dass mit dieser Verordnung ein Bürokratiemonster droht. Denn mit der Definition von Nährwertprofilen besteht die Gefahr, dass kleine und mittlere Unternehmen durch kostspielige, bürokratische Zulassungsverfahren von der Nutzung gesundheitsbezogener Aussagen ausgeschlossen werden. Das wollen wir, das müssen wir verhindern. Die Priorität muss auf einer gesunden Ernährung liegen und nicht auf der Mehrung der Bürokratie. Nicht zuletzt liegt eine klare Kennzeichnung im Interesse der Unternehmen, die sonst Gefahr laufen, das Vertrauen ihrer Kunden zu verspielen. Deswegen wird die FDP gemeinsam mit Unternehmen nach den besten Lösungen für dieses Thema suchen. In einem Punkt allerdings erhält der Antrag unsere volle Zustimmung, und zwar bei der Forderung nach einer klaren Trennung von Lebens- und Arzneimitteln. Hier gilt es wirklich zu prüfen, inwiefern die bisherigen Regelungen zum Zusatz von arzneilichen Wirkstoffen zu Lebensmitteln ausreichen, um die Verbraucherinnen und Verbraucher vor Täuschung zu schützen. Es dürfen keine Anreize zur Entwicklung einer Pharma-LebensmittelSparte gegeben werden. Insgesamt jedoch lehnen wir den vorliegenden Antrag aus den oben von mir dargelegten Gründen ab.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Werbeschwindel im Supermarkt ist besonders bei Lebensmitteln groß. So verspricht etwa ein Schokoriegel eine „Extra-Portion-Milch“ mit viel gutem Kalzium. Die Wahrheit: Erst 13 Riegel würden den Tagesbedarf eines Kindes an Kalzium decken. Das bedeutet aber gleichzeitig: 48 Würfelzucker und ein halbes Paket Butter. Ein Fruchtgetränk wurde als „gesunder Durstlöscher“ für Kinder beworben. Tatsächlich enthielt das Gemisch aus Wasser und Saftkonzentrat nicht nur umstrittene Süßstoffe, sondern auch jede Menge zahnschädliche Citronensäure. Gerade Produkte für Kinder werden oft als gesund beworben, obwohl sie nicht auf die Ernährungsbedürfnisse von Kindern abgestimmt sind. So werden Mini-Würstchen als „täglicher Beitrag für die gesunde Ernährung“ angepriesen. Angesichts eines völlig überhöhten Salzgehaltes kann davon aber keine Rede sein. Lebensmittel wie Joghurt, Margarine oder Müsli unterstellen mittels Werbung Gesundheit, ohne dies zu belegen. Sie können angeblich Knochen und Abwehrkräfte stärken, das Wohlbefinden beleben oder die Darmflora ins Gleichgewicht bringen. Glaubt man den Herstellern, dann können wir mithilfe solcher Produkte unsere Gesundheit regeln. Häufig sind sie im Vergleich zu normalem Essen aber doppelt so teuer. Der einzige Zusatznutzen liegt meist darin, dass sie die Kassen der Lebensmittelhersteller füllen. Gesund sind hingegen vorwiegend frisch zubereitete Lebensmittel und eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung. Currywurst und Schokolade gehören gelegentlich genauso dazu wie der frische Apfel. Produkte mit Gesundheitsversprechen hingegen fördern einseitiges Essen und Fehlernährung. Den haltlosen Gesundheitsversprechen der Hersteller soll mit der sogenannten Health-Claim-Verordnung durch die EU Einhalt geboten werden. In Zukunft darf nur noch auf den Verpackungen stehen, was wissenschaftlich bewiesen ist. So sollen der Wildwuchs an Werbeaussagen eingedämmt und die Verbraucherinnen und Verbraucher vor irreführender Werbung geschützt werden. Die Linke bewertet die gesundheitsbezogene Werbung von Lebensmitteln grundsätzlich kritisch. Lebensmittel sind keine Arzneimittel. Der angebliche Zusatznutzen dient vor allem der Absatzförderung in einem übersättigten Lebensmittelmarkt. Die Lebensmittelkonzerne locken mit Nahrung fürs schlechte Gewissen - und das, obwohl viele Verbraucherinnen und Verbraucher weder einen hohen Cholesterinspiegel haben noch zusätzliche Vitamine benötigen. Laut Schätzungen der Zu Protokoll gegebene Reden Branche erwartet man von den „funktionellen Lebensmitteln“ einen Marktzuwachs auf 90 Milliarden Dollar bis 2013. Diese Zahl steht für einen dreisten Versuch der organisierten Verbrauchertäuschung. Dennoch kann die Health-Claims-Verordnung in der jetzigen Fassung die Wildwüchse gesundheitsbezogener Werbung in vernünftige Bahnen lenken. Denn die bisherige Bilanz der Bewertung der von den Lebensmittelherstellern beantragten Claims ist verherrend. Bei rund 80 Prozent der Werbebotschaften suchte die internationale Expertengruppe der EFSA - das ist die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit - vergebens nach Belegen für die heilsame Wirkung mancher Vitamine und Mineralien. In Zukunft sollen sich die Verbraucherinnen und Verbraucher darauf verlassen können, was auf der Packung steht. Das ist der Wille der EFSA. Die Linke unterstützt deshalb die Verordnung ausdrücklich. Wichtig bei der Beurteilung von Lebensmitteln ist aber nicht nur der wissenschaftliche Nachweis, ob ein behaupteter Zusatznutzen tatsächlich gesundheitsfördernd oder krankheitshemmend ist. Die Voraussetzung für Lebensmittelwerbung muss auch an die Frage geknüpft werden, ob das Produkt insgesamt gesund ist. Daher werden sogenannte Nährwertprofile erstellt. Sie beschreiben die gesamte Nährstoffzusammensetzung eines Lebensmittels. So können die Grenzen festgelegt werden, ab denen nährwert- oder gesundheitbezogene Angaben nicht verwendet werden dürfen. Nährwertprofile verhindern also, dass unausgewogenes Essen mit gesundheitsbezogenen Aussagen beworben wird. Das stößt den Lebensmittelkonzernen sauer auf, weshalb sie die Profile zum Schaden der Verbraucherinnen und Verbraucher aufweichen wollen. Einige Kompromisse haben einen allzu merkwürdigen Beigeschmack: Zukünftig sollen Produkte, die viel Salz, Zucker oder Fett enthalten, nur eingeschränkt mit positiven Gesundheitsversprechen beworben werden können. Beispiel: Ein Fruchtgummi, der mit „fettarm“ beworben werden soll, aber viel Zucker enthält, muss nunmehr ausdrücklich auf den hohen Zuckergehalt hinweisen. Diese Regelung trägt deutlich die Handschrift der Lebensmittellobby. Die Linke fordert, dass Süßwaren grundsätzlich nicht als gesund beworben werden dürfen. Sie dienen nicht der gesunden Ernährung - ob mit oder ohne Vitamin-C-Anreicherung. Der Zusatznutzen von Süßwaren sollte das Naschen bleiben. Die Linke fordert eine schnelle Veröffentlichung der Nährwertprofile, wie sie die EU-Kommission vorsieht. Eigentlich hätte diese bis Anfang 2009 erfolgen müssen. Die EU-Kommission und die EFSA scheinen aber unter dem massiven Druck der Lebensmittellobby zu zögern. Der Grund: Allein in Deutschland machen die Lebensmittelunternehmen jährlich einen Umsatz von 5 Milliarden Euro mit „funktionellen Lebensmitteln“. Die Lebensmittellobby hat es bereits geschafft, die Verordnung auszuhöhlen. Ausnahmen bei den Nährwertprofilen werden zugelassen und Grenzwerte erhöht. Der Süßwarenverband hofft auf eine vollständige Verhinderung. Um es noch einmal deutlich zu machen: Für die Linke sind nicht Nahrungsergänzungsmittel die Grundvoraussetzung für eine gute Gesundheit, sondern eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung. Unnötige und gesundheitsbedenkliche Anteile sollten grundsätzlich in allen Lebensmitteln gesenkt werden. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich bei ihrer Lebensmittelauswahl auf klare, zutreffende und verlässliche Informationen stützen können. Die Linke erwartet von der Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass die Ausnahmen bei den Nährwertprofilen auf unverarbeitete Lebensmittel begrenzt werden und Süßwaren grundsätzlich nicht als gesund beworben werden dürfen, dass die Grenzwerte ungesunder Nährstoffanteile grundsätzlich gesenkt werden, Ballaststoffe Mindestgrenzwerte enthalten und Transfettsäuren in die Nährwertprofile aufgenommen und dass Verbraucherverbände in die Nährwertprofilbestimmung einbezogen werden. Lassen wir uns nicht von der Lebensmittelindustrie in die Suppe spucken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Debatte um die Health-Claims-Verordnung ist ein Beispiel für die Diskrepanz zwischen den großen Verbraucherschutzankündigungen von Ministerin Aigner - und ihrer bisherigen Staatssekretärin Julia Klöckner und dem tatsächlichen Engagement für die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Fast vier Jahre sind seit dem Inkrafttreten der Health-Claims-Verordnung am 1. Juli 2007 vergangen. Drei Jahre lang ist Frau Aigner für dieses Thema zuständig, aber getan hat sich seitdem nichts. Der letzte Eintrag auf der Homepage des Bundesministeriums zum Thema Health Claims stammt vom August 2007. Wir warten auch immer noch auf die Nährwertprofile, die von der EU-Kommission als Grundlage für die Bewertung von „gesunden“ Lebensmitteln festgelegt werden sollten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, das Aigners Ministerium untersteht, hat sich nachdrücklich für eine konsequente Umsetzung der Nährwertprofile mit strengen Kriterien für Fett, Salz und Zucker ausgesprochen - bislang leider ohne nennenswerte Resonanz im Ministerium. Dabei zeigt das Beispiel Dänemark mit strengen Vorgaben zum Beispiel für Transfettsäuren, dass hohe Qualitätskriterien keineswegs nachteilige Folgen für die Ernährungswirtschaft haben müssen, sondern sogar zum entscheidenden Innovationsmotor für eine ganze Branche werden können. Solange Frau Aigner und ihre Staatssekretäre - ob sie nun Julia Klöckner oder Peter Bleser heißen - jede Initiative bei den Health Claims vermissen lassen, jubelt die Ernährungsindustrie weiter mit gesundheitsbezogenen Aussagen den Verbrauchern für teures Geld zucker-, salz- oder fettreiche Produkte unter. Außerdem bereiten die Konzerne in aller Ruhe bereits Ausweichstrategien für mögliche zukünftige Verschärfungen vor. Mit Soft Claims, also indirekten Bezügen zu Gesundheitsaspekten, wird eine gesundheitsfördernde Wirkung der Produkte suggeriert, ohne dass der Regelungsbereich der Health-Claims-Verordnung betroffen ist: „So wichtig wie das tägliche Glas Milch“ - Werbung für „Ehrmann Zu Protokoll gegebene Reden Monsterbacke“ mit umgerechnet 4 Stück Würfelzucker pro Packung. Damit werden gerade die Bevölkerungsgruppen zu einem ungesunden Ernährungsverhalten motiviert, die eine gesunde Ernährung dringend benötigen, wie zum Beispiel Kinder oder ältere Menschen. Dabei steigt die Zahl der Menschen mit Fehlernährung dramatisch, wie die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Bekämpfung von Übergewicht, Bundestagsdrucksache 17/3808, bestätigt. Diese Entwicklung hat katastrophale Folgen für die Gesundheit der Betroffenen, aber auch für die Kosten unseres Gesundheitssystems: Die Folgekosten ernährungsbedingter Krankheiten werden auf bis zu 90 Milliarden Euro geschätzt - jährlich. Sicher hängt die erfolgreiche Umsetzung der HealthClaims-Verordnung nicht nur von den Aktivitäten der deutschen Bundesregierung ab. Leider ist diese Thematik aber nicht das einzige Beispiel dafür, wie wenig sich Frau Aigner für die deutschen Verbraucher und wie stark sie sich für die Ernährungsindustrie einsetzt. In den Verhandlungen über die Lebensmittel-Info-Verordnung hätte sich Aigner dem klaren Votum von Verbraucherschützern, Ärzteverbänden und Krankenkassen anschließen können und für eine europaweite Einführung der Ampelkennzeichnung kämpfen oder sich wenigstens für eine verpflichtende Umsetzung dieser verbraucherfreundlichen Auslobung in Deutschland stark machen können. Stattdessen stellt sie sich schützend vor die Industrie und deren für die Praxis völlig untaugliches GDA-Modell: empfohlene Tagesmengen von Zucker, Salz, Fett, gesättigte Fettsäuren und Kalorien pro 100 Gramm des jeweiligen Produkts und in Prozent der empfohlenen Tagesmenge. Aigner geht sogar so weit und verdreht die Aussagen einer Studie ihres eigenen Ministeriums, die klar besagen, dass eine farbliche Kennzeichnung für die Verbraucher wesentlich sinnvoller ist als das GDA-Konzept. Diese Grundhaltung der Ministerin lässt auch für die neue Internetplattform „Klarheit & Wahrheit“ nicht viel Gutes erwarten, obwohl der Ansatz und die Umsetzung durch den Verbraucherzentralen-Bundesverband sicherlich richtig sind. Doch die widersprüchlichen Aussagen von Ilse Aigner und die vor allem von den Koalitionsfraktionen vorgebrachten massiven Angriffe gegen das Projekt der eigenen Ministerin bei der Diskussion im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 27. Oktober 2010 lassen befürchten, dass auch bei diesem Thema nach großen Ankündigungen nur ein windelweich gespültes Konzept übrig bleibt, das der Industrie nicht weh tut und die Verbraucherinnen und Verbraucher mit ihrem Wunsch nach transparenter, ehrlicher Information allein lässt. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, sich für eine zügige Umsetzung strenger, wissenschaftlich begründeter Nährwertprofile einzusetzen. Außerdem muss die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde, EFSA, dringend reformiert werden. Immer wieder wurden enge Verflechtungen von EFSA-Mitarbeitern mit der Lebensmittel- und Gentechnikindustrie aufgedeckt, die eine seriöse Prüfung von Health Claims unmöglich machen. Wenn Union und FDP ihre Ankündigungen zum Verbraucherschutz wirklich ernst meinen, müssen sie heute unserem Antrag zustimmen und ihre einseitige Klientelpolitik für die Interessen der Lebensmittelindustrie endlich aufgeben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4892, den Antrag auf Drucksache 17/4015 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Koalitionsfraktionen waren dafür und die Oppositionsfraktionen dagegen. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Tagesordnungspunkt 24: Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfahren - Konsequenzen aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen - Drucksache 17/4886 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ihre Reden zu Protokoll geben die Kolleginnen und Kollegen Brandt, Veit, Wolff ({2}), Jelpke und Winkler.

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In ihrem Antrag fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung auf, den in § 18 Abs. 2, §§ 27 a, 34 a Abs. 2 und § 75 AsylVfG vorgesehenen Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Überstellungen nach Griechenland im Rahmen der DublinII-Verordnung aufzuheben. Außerdem wird die Bundesregierung aufgefordert, sich im Rat im Rahmen der Verhandlungen über die Neufassung der Dublin-II-Verordnung dafür einzusetzen, dass Asylantragstellern der Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf in Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie den gemeinschafts- und völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten garantiert wird. Hintergrund des vorliegenden Antrags ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 21. Januar 2011. In dem Verfahren M. S. S. gegen Belgien und Griechenland hat die Große Strafkammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte festgestellt, dass Belgien mit der Überstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland aufgrund der dortigen Haft- und Lebensbedingungen gegen Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen habe. Begründet wird der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit den durch den Gerichtshof festgestellten menschenrechtswidrigen Bedingungen in Griechenland, die die Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung mit aufschiebender Wirkung in Deutschland unerlässlich machten. Ihren Antrag lehnen wir ab, da Ihre Forderungen durch eine Entscheidung des Bundesinnenministers vom 19. Januar dieses Jahres obsolet geworden sind. Am 19. Januar 2011 hat das Bundesinnenministerium entschieden, dass mit sofortiger Wirkung für die Dauer eines Jahres keine Überstellungen von Drittstaatsangehörigen nach der sogenannten Dublin-Verordnung nach Griechenland durchgeführt werden sollen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurde gebeten, entsprechend zu verfahren. Deutschland wird in diesen Fällen von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 3 der Dublin-II-Verordnung Gebrauch machen und die Asylverfahren in Deutschland durchführen. Hintergrund dieser Entscheidung ist eine Empfehlung des Bundesverfassungsgerichts. Denn die Problematik von Überstellungen von Deutschland nach Griechenland nach dem sogenannten Dublin-Verfahren war, wie Sie ja selbst wissen, auch Gegenstand von Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht am 28. Oktober 2010 mündlich über die Verfassungsbeschwerde eines irakischen Asylbewerbers verhandelt, 2 BvR 2015/09, mit der dieser die Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses von vorläufigem Rechtsschutz hinsichtlich seiner Überstellung von Deutschland nach Griechenland geltend machte. Kurz nach der mündlichen Verhandlung gab es eine Sondierung des Gerichts bei den Verfahrensbeteiligten zu der Frage, ob sie sich angesichts des Verlaufs der mündlichen Verhandlung vorstellen könnten, dass das Bundesinnenministerium von der Möglichkeit des Selbsteintrittsrechts Gebrauch macht. Dieses und vor allem die tatsächliche Entwicklung in Griechenland haben das Bundesinnenministerium veranlasst, für ein Jahr von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß der Dublin-II-Verordnung Gebrauch zu machen. Zusätzlich soll damit auch zum Prozess der Konsolidierung des griechischen Asylsystems beigetragen werden. Ich möchte jedoch an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es entgegen der in Ihrem Antrag vom 19. Januar 2010 enthaltenen Forderung einer Aussetzung von Rücküberstellungen richtig war, zunächst die endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Zum einen werden durch Eilentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eben gerade keine abschließenden Bewertungen getroffen. Wie Sie wissen, basieren die Beschlüsse ausschließlich auf einer Abwägung des Gerichtes zwischen den Folgen, die ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung eintreten, wenn die Hauptsache für den Antragsteller erfolgreich wäre, und den Folgen für den umgekehrten Fall. Das heißt, die einstweiligen Anordnungen, auf die Sie in Ihren Anträgen abgestellt haben, enthielten keine abschließenden Aussagen zur Zulässigkeit der Überstellungen nach Griechenland. Sie enthielten vor allem auch keine Beurteilung der Situation in Griechenland durch das Gericht. Zum anderen hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der schwierigen Situation in Griechenland bereits 2009 und 2010 Rechnung getragen, indem es bei besonders schutzbedürftigen Personen, zum Beispiel für Minderjährige, für Flüchtlinge hohen Alters, oder bei denen Schwangerschaft, ernsthafte Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit oder eine besondere Hilfebedürftigkeit vorlag, von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung sehr großzügig Gebrauch gemacht und von einer Überstellung nach Griechenland abgesehen hat. So machte das Bundesamt 2009 in circa 700 Fällen von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch. Dem standen nur circa 200 Überstellungen gegenüber. Im Jahr 2008 war das Größenverhältnis noch umgekehrt. 222 Überstellungen standen 130 Selbsteintritten gegenüber. Das Bundesamt hat also auch in den beiden vergangenen Jahren einen sehr verantwortungsvollen Umgang mit der tatsächlichen Situation bewiesen. Außerdem haben Sie selbst in Ihrer Begründung festgestellt, dass sich die Mehrheit der Verwaltungsgerichte in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Abschiebungsanordnungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über die Gesetzeslage rechtsfortbildend hinweggesetzt haben. Mit der Entscheidung des Bundesinnenministeriums, für die Dauer eines Jahres keine Überstellungen von Drittstaatsangehörigen nach der sogenannten DublinII-Verordnung nach Griechenland durchzuführen und stattdessen von der Möglichkeit des Selbsteintrittsrechts Gebrauch zu machen, haben sich Ihre Forderungen nach einer grundsätzlichen Aufhebung des in § 18 Abs. 2, §§ 27 a, 34 a Abs. 2 und § 75 AsylVfG vorgesehenen Ausschlusses des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Überstellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-II-Verordnung erübrigt. Eine grundsätzliche Einführung einer aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Rücküberstellungen brauchen wir nicht. Denn das in Art. 3 Abs. 3 der Dublin-II-Verordnung vorgesehene Instrument des Selbsteintrittsrechts trägt der jetzigen Situation hinreichend Rechnung. Und wir wollen sie auch nicht. Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass auch Griechenland ein sicherer Drittstaat für Asylbewerber ist. Mit der auf ein Jahr befristeten Entscheidung wird ein weiterer Beitrag zum Prozess der Konsolidierung und Entlastung des griechischen Asylsystems geleistet. Damit schließt sich Deutschland der Praxis anderer Dublin-Staaten wie Großbritannien, Schweden, Island und Norwegen an. Wir stellen mit dieser Entscheidung deshalb nicht das Dublin-System als solches infrage. Denn die auf dem Verantwortungsgrundsatz basierenden ZuständigkeitsZu Protokoll gegebene Reden regelungen der Dublin-Verordnung und ihres Vorgängerabkommens haben sich in den über zehn Jahren ihrer Anwendung bewährt. Das Dublin-System bietet die Garantie dafür, dass jeder auf dem Gebiet der teilnehmenden Staaten gestellte Asylantrag auch tatsächlich geprüft wird. Hierzu muss das System weiterhin zügige Entscheidungen und Überstellungen in den zuständigen Staat ermöglichen. Wie die jetzige und vergleichbare Entscheidungen anderer Staaten zeigen, bietet die Dublin-Verordnung bereits in ihrer geltenden Fassung hinreichende Möglichkeiten, um auf außergewöhnliche Situationen zu reagieren. Die griechische Regierung hat zwischenzeitlich der Kommission einen anspruchsvollen nationalen Aktionsplan vorgelegt, der eine bessere Bewältigung des Zustroms von Flüchtlingen und Migranten nach Griechenland sicherstellt und Defizite in der Behandlung von Flüchtlingen und Migranten beseitigen soll. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union - darunter auch Deutschland -, die Kommission und der UNHCR haben Griechenland substanzielle Unterstützung bei der Umsetzung der geplanten Maßnahmen zugesagt und werden - wie bisher - in koordinierter und vielfältiger Weise helfen. Die Entscheidung ist auf ein Jahr befristet, weil davon auszugehen ist, dass in dieser Zeit substanzielle Verbesserungen in Griechenland erreicht werden können. Dies werden wir ebenso wie das Bundesinnenministerium genauestens beobachten und gegebenenfalls eine Anschlussregelung prüfen.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist zuzustimmen. Das Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Januar 2011 verlangt auch aus unserer Sicht eine Änderung der Dublin-II-Verordnung sowie des Asylverfahrensgesetzes. Insbesondere die Regelung im Asylrecht, nach der die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels gegen eine Dublin-II-Rückführung ausgeschlossen ist, verstößt gegen europäisches Menschenrecht. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in mehreren Eilentscheidungen, in denen es eine aufschiebende Wirkung eingelegter Rechtsmittel gegen Rückführungen nach Griechenland aufgrund einer „grundrechtskonformen Auslegung“ des § 34 a Abs. 2 AsylVerfG bejaht hat, so gesehen. Ebenso urteilten verschiedene Verwaltungsgerichte quer durch die gesamte Republik. Die Forderung der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist mithin nicht nur eine logische Konsequenz aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, sondern auch aus der deutschen Rechtsprechung.

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das Bundesministerium des Inneren hat im Januar für ein Jahr alle Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung nach Griechenland für ein Jahr ausgesetzt. Hier hat der Bundesinnenminister die volle Unterstützung der FDP-Bundestagsfraktion. Damit wird die schwierige Situation berücksichtigt, die in Griechenland für Asylbewerber besteht. Bereits im Jahr 2010 war nur ein kleiner Anteil von Personen überhaupt nach Griechenland überstellt worden; in den restlichen Fällen hatte die Bundesrepublik Deutschland bereits von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat als Reaktion auf die Aussetzung die Verfahren, die dort zur Geltendmachung einstweiligen Rechtsschutzes anhängig waren, eingestellt. Es ist über die Notwendigkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes also nicht entschieden worden. Die Bundesregierung geht sehr verantwortungsvoll mit dem Mechanismus um: Für ein Jahr sind nun Rückführungen ausgesetzt; bereits im vergangenen Jahr wurden nur 50 Personen nach Griechenland zurückgeschoben, beim Rest wurde vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht. Gleichzeitig können Staaten wie Griechenland nicht bevorzugt werden, wenn sie die Standards nicht einhalten: Der Druck muss aufrecht erhalten bleiben. Dennoch hat die Bundesregierung konkrete Hilfe für die griechischen Behörden angeboten - hinsichtlich der menschenwürdigen und schnelleren Gestaltung der Asylverfahren und der Rahmenbedingungen hierzu ist dieses ebenso wie zur stärkeren Grenzsicherheit vonnöten. Nicht zuletzt aufgrund der Verhältnisse in Griechenland, des Urteils des EGMR und der Verfassungsgerichtsbeschlüsse zu Dublin II muss man über das System nachdenken und das auch bei den anstehenden Verhandlungen zum Ausdruck bringen. Eine Nachjustierung erscheint erforderlich. In diesem Zusammenhang wie die Antragsteller, plakativ von „menschen- und europarechtswidrigen Bestimmungen des deutschen Rechts“ zu sprechen, ist aber überzogen. Die FDP wird in der Koalition mit der CDU/CSU die Asylpolitik weiterhin verantwortungsbewusst und sensibel entwickeln und die EU-Planungen konstruktiv begleiten.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am 21. Januar dieses Jahres eine aufsehenerregende Entscheidung getroffen. Er sprach einem irakischen Asylsuchenden Schadensersatz zu. Erstens, weil dieser in Griechenland eine menschenunwürdige Behandlung zu erleiden hatte. Zweitens, weil er von Belgien im Rahmen der Zuständigkeitsregelungen der EU für Asylverfahren nach Griechenland zurückgeschoben worden war, ohne dass er gegen diese Entscheidung wirksame Rechtsmittel einlegen konnte. Er konnte also nicht erfolgreich gerichtlich dagegen angehen, in einen Staat überstellt zu werden, in dem ihm schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Diese Zuständigkeitsregelungen in der EU sind in der sogenannten Dublin-II-Verordnung niedergelegt. Demnach ist immer der Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, über den ein Asylbewerber in die EU eingereist ist. In den letzten Jahren waren das vor allem Italien und Griechenland. Zu Protokoll gegebene Reden Über die Zustände im griechischen Asylsystem ist hier schon breit debattiert worden. Mittlerweile hat auch die Bundesregierung eingestanden, dass die Zustände dort für Asylbewerber unzumutbar sind und kein faires Asylverfahren gewährleistet ist. Die Überstellung von Asylsuchenden wurde nun zumindest erst einmal für ein Jahr ausgesetzt. Aber die Bundesregierung hat verpasst, eine andere wichtige Konsequenz aus dem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu ziehen. Auch in Deutschland haben Asylsuchende, die über einen anderen Mitgliedstaat des Dublin-Systems eingereist sind, keinen wirksamen Rechtsschutz. Sie erfahren überhaupt erst am Tag ihrer Abschiebung, dass ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Somit bleibt ihnen keine Möglichkeit mehr, dagegen zu klagen. Der Antrag der Grünen fordert deshalb von der Bundesregierung Änderungen an den entsprechenden Regelungen im Asylverfahrensgesetz vorzuschlagen und sich bei der Neuverhandlung der Dublin-II-Verordnung für entsprechende Verfahrensgarantien einzusetzen. Das geht uns alles nicht weit genug. Nach Ansicht der Fraktion Die Linke ist durch diese Entscheidung die gesamte Drittstaatenregelung als Teil des Asylkompromisses von 1993 infrage gestellt. Denn dort wurde schon festgelegt, dass nur noch eingeschränkten Rechtsschutz erhält, wer über einen vermeintlich sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist und hier einen Asylantrag stellt. Sichere Drittstaaten sind per definitionem alle EU-Mitglieder. Doch nicht nur das Beispiel Griechenland zeigt, dass die Mitgliedschaft in der EU nicht gleich zum sicheren Drittstaat qualifiziert. In den vergangenen Tagen hat die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl einen schockierenden Bericht über die Lage im italienischen Asylsystem vorgelegt. Demnach ist die Lebenssituation dort nicht nur für Asylbewerber, sondern auch für anerkannte Flüchtlinge verheerend. Dieser Ansicht sind bereits mehrere Verwaltungsgerichte und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gefolgt und haben Dublin-Überstellungen nach Griechenland verhindert. Die Zahl der Asylbewerber überstieg in Italien die Zahl der Plätze in staatlich finanzierten Unterkünften zum Teil um das Zehnfache. Wer einen Platz in einer solchen Unterkunft erhält, muss sie nach sechs Monaten wieder verlassen, egal wie der Stand des Asylverfahrens ist. Die Asylsuchenden werden systematisch in die Obdachlosigkeit getrieben. Sie erhalten auch sonst keine staatliche Unterstützung, die ihnen ein Existenzminimum garantieren würde. Viele leben in besetzten Häusern oder auf Brachflächen und müssen sich ohne jede staatliche Unterstützung durchschlagen. Wer aber über keinen festen Wohnsitz verfügt, erhält auch keine Krankenversicherungskarte. Davon sind nach Angaben der Behörden in Italien 88 Prozent der nach dem Dublin-Verfahren überstellten Asylsuchenden betroffen. Besonders betroffen von dieser ganze Situation sind, wie immer, besonders schutzbedürftige Menschen: unbegleitete Minderjährige, alleinreisende Frauen und jene, die durch die erlittenen Menschenrechtsverletzungen in ihrem Herkunftsland traumatisiert sind. Situationen wie in Griechenland, in denen eine Regierung nicht in der Lage oder nicht willens ist, die Anforderungen an ein faires Asylverfahren oder eine menschenwürdige Aufnahme von Schutzsuchenden zu erfüllen, können jederzeit auch in jedem anderen Land der EU auftreten. Das starre Verteilungssystem der Dublin-II-Verordnung muss deshalb durch ein System ersetzt werden, das sowohl die Bedürfnisse der Betroffenen als auch die ökonomische Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten berücksichtigt. Sollten sich in den nächsten Wochen tatsächlich Zehntausende Flüchtlinge aus Libyen in Richtung Italien auf den Weg machen, ist dort eine humanitäre Katastrophe riesigen Ausmaßes vorprogrammiert. Diese kann nur mit einer sofortigen und umfassenden Reform des Dublin-Systems verhindert werden.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Am 21. Januar 2011 hatte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, EGMR, Griechenland und Belgien wegen der Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK, verurteilt ({0}). Entschieden wurde der Fall eines afghanischen Asylsuchenden, der 2009 über den Iran, die Türkei und Griechenland nach Belgien geflohen war, wo er Asyl beantragte. Er wurde aber wegen der Zuständigkeitsregeln aus der Dublin-II-Verordnung von Belgien nach Griechenland zurücküberstellt. Der EGMR hat festgestellt, dass Griechenland aufgrund der dortigen Haft- und Lebensbedingungen, denen der schutzsuchende Beschwerdeführer dort ausgesetzt war, Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe, verletzt hat. Wegen der zahlreichen Defizite in seinem Asylverfahren hat Griechenland zudem Art. 13 der Konvention, Anspruch auf rechtliches Gehör, in Verbindung mit Art. 3 verletzt. Der Gerichtshof hat weiterhin festgestellt, auch Belgien habe die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt, als es den Beschwerdeführer im Rahmen der Dublin-II-Verordnung nach Griechenland überstellte: Zum einen habe Belgien gegen Art. 3 EMRK verstoßen, indem es den Beschwerdeführer den Gefahren ausgesetzt habe, die sich aus den Mängeln im Asylverfahren und aus den Haft- und Lebensbedingungen in Griechenland ergaben. Zum anderen sei Art. 13 EMRK, in Verbindung mit Art. 3 EMRK, dadurch verletzt worden, dass es keine Möglichkeit für den Beschwerdeführer gegeben hatte, in Belgien gegen die Entscheidung, ihn nach Griechenland zu überstellen, wirksame Rechtsmittel einzulegen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in dieser Grundsatzentscheidung unmissverständlich klargestellt, dass die Haft- und Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Griechenland gegen die Menschenrechte verstoßen. Andere europäische Staaten dürfen Asylsuchende daher nicht nach Griechenland überstellen. Das Gericht hat auch festgestellt, dass ein Schutzsuchender in jedem Fall vor einer Rückführung in einen anderen EU-Mitgliedstaat die Möglichkeit einer effektiven rechtlichen Überprüfung mit aufschiebender Wirkung haben Zu Protokoll gegebene Reden muss. Eine solche Möglichkeit gibt es aber nach geltendem deutschem Recht nicht. Diese Entscheidung des EGMR hat unmittelbare und weitreichende Folgen für den Rechtsschutz im Asylverfahren in Deutschland. Denn die deutsche Regelung, wonach die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen eine Dublin-Überstellung ausgeschlossen ist, ist mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar. Seit den mit dem 1. EU-Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 eingeführten Änderungen wurde über § 34 a Abs. 2 AsylVfG der einstweilige Rechtsschutz in Deutschland gegen Entscheidungen im Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung generell ausgeschlossen. Vom Ausland aus kann ein effektiver Rechtsschutz vor deutschen Verwaltungsgerichten nicht greifen. Ein Rechtsbehelf ist nur dann wirksam, wenn irreparable Folgen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme vor deren gerichtlicher Überprüfung eintreten können, soweit als möglich ausgeschlossen werden können. Aus dem EGMR-Urteil müssen daher grundlegende Änderungen für das deutsche Asylverfahrensrecht folgen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion ({1}) vom 21. Februar 2011 mitgeteilt, dass sie derzeit prüft, wie sich Passagen der EGMR-Entscheidung zur Regelung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG verhalten. Im vorliegenden Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem der in § 18 Abs. 2, § 27 a, § 34 a Abs. 2 und § 75 AsylVfG vorgesehene Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Überstellungen im Rahmen der Dublin-II-Verordnung aufgehoben wird und gegen derartige Überstellungen im deutschen Recht ein effektiver Rechtsschutz gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention und europarechtlichen Vorgaben festgeschrieben wird. Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 21. Januar 2011 das belgische Rechtsschutzsystem für unvereinbar mit Art. 13 EMRK erklärt, obwohl es im Gegensatz zum deutschen Recht sogar noch einen - wenn auch äußerst eingeschränkten - Eilrechtsschutz vorsah. Für das deutsche Recht bedeutet dies, dass der völlige Ausschluss durch § 34 a Abs. 2 AsylVfG erst recht gegen die EMRK verstößt. Es bietet sich an, diese gesetzgeberischen Maßnahmen im Rahmen des geplanten 2. EU-Richtlinienumsetzungsgesetzes zum Beispiel in das Richtlinienumsetzungsgesetz zu integrieren. Dieses will unter anderem die Rückführungsrichtlinie, Richtlinie 2008/115/EG, in nationales Recht umsetzen, die in ihrem Art. 13 ebenfalls die Gewährung effektiven Rechtsschutzes fordert. Weiterhin fordern wir die Bundesregierung im vorliegenden Antrag auf, sich in den Verhandlungen über die Neufassung der Dublin-II-Verordnung sowie der Asylverfahrens-Richtlinie ({2}) im Europäischen Rat nachdrücklich dafür einzusetzen, dass Asylantragstellern der Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf in Einklang mit der EGMR-Rechtsprechung und mit den gemeinschafts- und völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten garantiert wird. Sowohl die Dublin-II-Verordnung als auch die Asylverfahrensrichtlinie befinden sich derzeit auf EU-Ebene in der Neuverhandlung. Die klare neue Rechtsprechung des EGMR ist bei der Neuformulierung des EU-Rechts so umzusetzen, dass alle Mitgliedstaaten klare und verbindliche Vorgaben für EMRK- und europarechtskonformen effektiven Rechtsschutz erhalten. Nachdem die Bundesregierung diese Vorschläge bisher abgelehnt hat, muss sie nun ihre Verhandlungsposition anpassen und ihre bisherige Blockadehaltung aufgeben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/4886 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen. Tagesordnungspunkt 25: Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenter Stresstest für die Leistungsfähigkeit des Bahnprojektes Stuttgart 21 - Drucksache 17/5041 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Haushaltsausschuss Ihre Reden zu Protokoll geben die Kollegen Ulrich Lange, Steffen Bilger, Ute Kumpf, Werner Simmling, Sabine Leidig und Winfried Hermann.

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Grünen haben durch die von ihr selbst initiierten Demonstrationen gegen Stuttgart 21 in Baden-Württemberg viel Zustimmung erhalten. Sie waren in einen Höhenrausch der Umfragen geraten. Aber dann kam das von ihnen geforderte Schlichtergespräch mit Heiner Geißler. Das Ergebnis hat den Grünen nicht gefallen, die Grünen haben es nie akzeptiert. Und deshalb diskutieren wir heute im Bundestag erneut das Thema. Es waren die Grünen, die einen gemeinsamen Tisch unter einem Schlichter Heiner Geißler gefordert haben. Die baden-württembergische Landesregierung hat dem zugestimmt. Es wurde sehr hart und kontrovers, aber meist sachlich gestritten. Heiner Geißler hat seinem Namen als unabhängiger Schlichter alle Ehre gemacht. Für diese Leistung möchte ich ihm meinen Dank erneut aussprechen. Das war ein Glanzstück an Diplomatie in einer ausweglos erscheinenden Situation. Dieses Stuttgarter Modell hat sich in dieser schwierigen Situation nicht nur bewährt, sondern gezeigt, wie in Zukunft zu Beginn eines Großprojektes verfahren werden muss. Wir müssen die Menschen bei allen Großprojekten frühzeitig informieren und aufzeigen, wo der Sinn, der Nutzen, die Notwendigkeit liegt. Dies war am Anfang bei Stuttgart 21 nicht erfolgt. Unter der erfolgreichen Schlichtung von Heiner Geißler wurde dies Zu Protokoll gegebene Reden nachgeholt. Was Sie, meine lieben Grünen, aber lernen müssen, ist, das Ergebnis einer solchen Schlichtung dann auch zu akzeptieren, wenn es anders ausfällt, als Sie es wünschen oder erwartet haben. Kommen Sie zu der Sachlichkeit zurück, die die Schlichtungsgespräche geprägt hat. Wir sind von der Leistungsfähigkeit des unterirdischen Bahnhofs überzeugt. Der von Ihnen angesprochene Stresstest wird dies belegen. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Bahnknoten Stuttgart 21 einen Leistungszuwachs von 30 Prozent nicht nur über den gesamten Tag verteilt erreichen wird, sondern sogar zu den Spitzenzeiten. Die Bahn ist dabei, den Schlichterspruch zu erfüllen und den Stresstest entsprechend der Vereinbarung des Schlichterspruches durchzuführen. Die Bahn wird den Stresstest nicht „hinter verschlossenen Türen“ durchführen, wie von den Grünen polemisch unterstellt wird, sondern sich gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg an das in der Schlichtung vereinbarte Verfahren halten. Die Firma SMA wird die Durchführung des Stresstestes begleiten und begutachten. Die seitens der Grünen erhobenen Forderungen nach Einrichtungen eines Steuerungskreises, Beistellung eines Co-Gutachters vonseiten des Aktionsbündnisses und Federführung durch einen unabhängigen externen Gutachter wurden im Schlichterspruch in keiner Weise aufgeführt. Sie sind Ausdruck der Grünen, wieder Unruhe und Streit in dieses Verfahren zu bringen; die Grünen wollen Sand in das Getriebe der Schlichtung streuen. Die Vorgehensweise der Bahn entspricht den Vereinbarungen: Zum einen ist das Verfahren, welches die DB AG dem Stresstest zugrunde legt, das allgemeingültige Verfahren für Betriebssimulationen in Deutschland. Sogar das Eisenbahnbundesamt akzeptiert dies. Außerdem wird die DB AG die Firma SMA, die, wie ich betonen möchte, von allen Schlichtungsteilnehmern als Begutachter des Stresstestes gewünscht wurde, zu Beginn in alle Aktivitäten des Stresstestes involvieren. Sobald die DB AG die ersten Schritte - Eingabe der Infrastrukturdaten in das System, Konstruktion eines Fahrplans für die Spitzenstunde - abgeschlossen hat, werden die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt und die weitere Arbeit im Dialogforum zur Diskussion stellen. Das Ergebnis des Stresstestes wird zeigen, welche Leistungsfähigkeit Stuttgart 21 haben wird, und es wird ein weiteres Stück Vertrauen zurückgewinnen, das im Vorfeld verloren gegangen war. Wir wollen uns diesem Stresstest unterziehen, weil es richtig ist, öffentlich darzulegen, welche Leistungsfähigkeit das Projekt wirklich hat. Ich fordere Sie auf: Seien Sie doch zumindest jetzt so viel Demokrat, dass Sie die Ergebnisse des Testes abwarten und sich erst dann ein Urteil bilden. Vorabverurteilungen nutzen niemandem: Baden-Württemberg nicht, Stuttgart nicht und langfristig auch Ihrer Partei nicht, weil Sie sich damit unglaubwürdig machen. Steigen Sie in konstruktive Gespräche ein und suchen Sie gemeinsam mit uns nach Lösungen, die frei von Parteiideologie und der Stuttgarter Bevölkerung nützlich sind.

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bei dem Antrag der Grünen geht es um eine Verpflichtung der Deutschen Bahn AG. Diese hat sich in der Schlichtung unter Heiner Geißler bereit erklärt, einen Stresstest für die Leistungsfähigkeit des unterirdischen Durchgangsbahnhofs Stuttgart 21 durchzuführen. Damit soll der Beweis angetreten werden, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzenstunde - zwischen 7 und 8 Uhr am Morgen, also dann, wenn der Bahnhof am stärksten gefordert wird - mit guter Betriebsqualität möglich ist. Dabei sind - gemäß Schlichterspruch - anerkannte Standards des Bahnverkehrs für Zugfolgen, Haltezeiten und Fahrzeiten zur Anwendung zu kommen. Den Spezialisten für Fahrpläne der DB Netz AG stehen für diese Modellrechnungen aufwendige Computerprogramme zur Verfügung. Als Basis für die notwendigen Simulationen und Tests werden alle für Stuttgart 21 geplanten Bahnanlagen - wie Gleise, Weichen, Signale und Bahnsteige inklusive der Eisenbahnstrecken - rund um Stuttgart übertragen. Die Ergebnisse aus 100 simulierten Betriebstagen bilden dann die Grundlage, um die Leistungskapazität beurteilen zu können. Das alles wird Zeit in Anspruch nehmen. Mit einem Ergebnis ist deshalb erst im Sommer 2011 zu rechnen. Oft wurde verwundert gefragt, warum die Leistungsfähigkeit nicht schon lange feststeht. Dabei wird vergessen, dass es absolut unüblich ist, bereits zum jetzigen Zeitpunkt einen Fahrplan vorliegen zu haben. Als Stuttgart 21 geplant wurde, lag die Inbetriebnahme bis zu 20 Jahre in der Zukunft. So weit im Voraus kann kein Fahrplan realistisch aufgestellt werden. Bevor ich auf den Antrag eingehe, möchte ich auch an dieser Stelle noch einmal Heiner Geißler, einem meiner Vorgänger als Landesvorsitzender der Jungen Union Baden-Württemberg, danken. Heiner Geißler hat nicht nur dafür gesorgt, wie er immer zu sagen pflegt, dass die Beteiligten an, sondern auch die Fakten auf den Tisch kommen. Das ist ihm vorbildlich gelungen. Das Verfahren hat sehr zur Versachlichung der Debatte beigetragen und ist definitiv ein Erfolg. Solche Runden wird es sicherlich in Zukunft auch bei anderen Projekten geben. Lassen Sie mich noch etwas zum Umgang der Grünen mit der Schlichtung sagen: Sie haben sie gefordert, jetzt sind sie gegen die Ergebnisse. Sie haben Heiner Geißler vorgeschlagen, jetzt kritisieren sie ihn. Sie haben wie alle anderen Beteiligten den Schlichterspruch akzeptiert, jetzt wollen sie Änderungen. Sie wollen aus wahltaktischen Gründen Termine diktieren - etwa bei der Forderung, den Stresstest vor der Wahl durchzuführen, das ist faktisch nicht möglich - und so weiter. So geht es nicht. Wir Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP lehnen den Antrag der Grünen unter anderem aus folgenden Gründen ab: Erstens. Die Deutsche Bahn AG wird den Stresstest nicht, wie behauptet, mit selbst definierten Parametern durchführen. Der Test wird allgemein gültigen StanZu Protokoll gegebene Reden dards folgen, die vom Eisenbahn-Bundesamt anerkannt sind. Außerdem wird die renommierte Schweizer Firma SMA die Durchführung begleiten und abschließend begutachten. Zweitens. Der geforderten Transparenz wird bereits Rechnung getragen: Das Ergebnis des Stresstests wird öffentlich gemacht. Außerdem werden alle Grundlagen der Öffentlichkeit präsentiert. Dann können sie diskutiert werden. Schon am 11. März 2011 wurden durch die DB AG Verfahren, Umfang, Annahmen und Beurteilungskriterien sowie die Form der Qualitätssicherung durch SMA beim ersten Sondierungstreffen für das Begleitforum Stuttgart 21 vorgestellt. Die weiteren Schritte sollen auch in Zukunft regelmäßig in Begleitforen präsentiert und diskutiert werden. Mehr Transparenz ist kaum möglich. Drittens. Ja, die Grünen haben recht darin, dass der Stresstest eine Folge der Schlichtung ist. Und genau daran hält sich die Bahn: Sie folgt den während der Schlichtung getroffen Vereinbarungen. Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 hat übrigens genau diesem Vorgehen der DB AG bereits zugestimmt. Planungssicherheit bei von allen akzeptierten Abmachungen geht auch hier vor nachträglichen „Ich-wünsch-mir-was“Aktionen. Viertens. Im Sinne von Effizienz und ohne unnötige Kostensteigerungen sollten wir die Bahn den Stresstest durchführen lassen. Wir brauchen hier Handwerker, keine Mundwerker! Die Grünen sind doch immer die Ersten, die vor zusätzlichen finanziellen Mehraufwand warnen und fragen, wer das bezahlen soll. Fünftens. Die Grünen haben zwar Schlichter und Schlichtung gewollt und akzeptiert, wehren sich aber jetzt gegen den Grundtenor des Schlichterspruchs. Das ist durchaus legitim. Sie verweisen darauf, dass ein solcher gar nicht im Schlichtungsverfahren angelegt gewesen sei. Umso schwerer verständlich ist für mich, dass sie sich dann einen Punkt herausgreifen und neue Rechte für sich daraus ableiten. Die Kollegen von den Grünen picken sich die Rosinen raus. Das ist für uns nicht hinnehmbar. Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer also aus Teilen des Schlichterspruchs bestimmtes Verhalten abliest, muss auch die ganze Schlichtung annehmen. In letzter Konsequenz bedeutet das: Stuttgart 21 akzeptieren und nicht mehr bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit unsachlich dagegen stänkern. Die zentrale Forderung des Antrags nach Transparenz wird erfüllt, alle anderen Forderungen sind unnötig. Die akzeptierten Vereinbarungen werden dazu eingehalten bzw. noch übertroffen. Somit ist der Antrag überflüssig und in Teilen sogar kontraproduktiv. Seine Ablehnung ist deshalb die richtige Konsequenz.

Ute Kumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003166, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Schlichtung zu Stuttgart 21 und zur Neubaustrecke Wendlingen-Ulm war in zweifacher Hinsicht ein Erfolg. Nach dem indiskutablen und überzogenen Einsatz der Polizei am „Schwarzen Donnerstag“ im September 2010 - mit Rückendeckung der Landesregierung - hat sie zur Versachlichung beigetragen. Durch den intensiven Meinungsaustausch von Befürwortern, Bürgerinitiativen, Vertretern der Deutschen Bahn AG und Gegnern wurden Ergebnisse geschaffen, die jetzt ausgewertet und umgesetzt werden müssen. In der Schlichtung konnte deutlich gemacht werden, dass Stuttgart 21 und die Neubaustrecke WendlingenUlm von herausragender verkehrspolitischer Bedeutung für ganz Baden-Württemberg sind. Die Projekte sind verkehrs- wie standortpolitisch ohne ernstzunehmende Alternative. Mit einem Durchgangsbahnhof in der Landeshauptstadt Stuttgart, der Anbindung des Landesflughafens und der neuen Landesmesse sowie der Realisierung der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm wird die erforderliche Verkehrsinfrastruktur geschaffen, um Baden-Württemberg in das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz einzubinden. Das Projekt trägt nachhaltig dazu bei, den Standort Baden-Württemberg auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu gestalten. Gleichzeitig wird durch die neue Infrastruktur eine deutliche Verbesserung des Regionalverkehrs innerhalb Baden-Württembergs erreicht; das Projekt nutzt der städtebaulichen Entwicklung und erweitert die Kapazität für den Güterverkehr. Auch die Gegner des Projekts konnten mit ihren kritischen Einwürfen auf problematische Punkte in dem Großprojekt Stuttgart 21 hinweisen, die verbesserungswürdig sind und optimiert werden müssen. Heiner Geissler hat in seinem Schlichterspruch vom 30. November 2010 für eine Berücksichtigung einer Reihe von Kritikpunkten der Gegner bei der weiteren Planung und Durchführung des Projekts Stuttgart 21 plädiert. Schwachstellen wurden identifiziert, die beseitigt werden sollen. Das Projekt Stuttgart 21 soll baulich attraktiver, umweltfreundlicher, behindertenfreundlicher und sicherer gemacht werden. Im Klartext heißt das, aus Stuttgart 21 wird „Stuttgart 21 plus“. Dazu gehört der Stresstest als zentrales Ergebnis der Stuttgart-21-Schlichtung. Die SPD unterstützt den Stresstest. Mit dieser Computersimulation muss die Deutsche Bahn die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs nachweisen. Sie muss zeigen, dass der im Bau befindliche Tiefbahnhof von Stuttgart 21 in der Spitzenstunde am Morgen bis zu 49 Züge abfertigen kann. Andernfalls muss die Infrastruktur nachgebessert oder erweitert werden. Sollte der Stresstest die Notwendigkeit weiterer Investitionen aufzeigen, muss die Deutsche Bahn diese realisieren. Die Bahn muss dabei vor allem jedoch die Durchführung, die Auswertung und die Interpretation der einzelnen Zwischen- und Endergebnisse des Stresstests öffentlich und transparent gestalten. Ist er nicht in vollem Umfang transparent, ist das Ergebnis nicht viel wert. Die Bahn darf beim Leistungstest nicht den Eindruck erwecken, hinter verschlossenen Türen zu agieren. Der Stresstest wird sonst nicht akzeptiert. Die Schlichtung darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Die SPD hat nach der Schlichtung gefordert, dass der Stresstest noch vor den Landtagswahlen am 27. März vorliegt. Leider wurde dies von der Deutschen Bahn AG als nicht machbar dargestellt. Umso notwendiger ist es, dass die Deutsche Bahn AG den Stresstest so transpaZu Protokoll gegebene Reden rent wie möglich gestaltet und den Dialog mit den Kritikern aufnimmt. Gelingt dies nicht, wird erneut Vertrauen in die Bahn und die Zustimmung zu Stuttgart aufs Spiel gesetzt. Es muss alles getan werden, um die Akzeptanz von Stuttgart 21 durch Transparenz, Kommunikation und Diskussion weiter zu stärken. Dies muss bereits mit der Überprüfung der Vorschläge aus dem Schlichterspruch auf ihre Umsetzbarkeit hin beginnen. Die Vorschläge aus dem Schlichterspruch müssen zügig, transparent und unter Beteiligung der Bürger auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüft werden. Die Forderung der SPD nach einem Verzicht auf einen Weiterbau von Stuttgart 21 bis zu einer Volksabstimmung war und ist richtig. Große Infrastrukturprojekte brauchen die Unterstützung der Bevölkerung. Nach dem 27. März wird sich zeigen, wie der Volksentscheid auf den Weg gebracht werden kann.

Werner Simmling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004158, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dr. Heiner Geißler wurde von der Fraktion Bündnis90/die Grünen im baden-württembergischen Landtag für das Bahnprojekt Stuttgart 21 als Schlichter vorgeschlagen. Alle Fraktionen haben sich diesem Vorschlag angeschlossen. Wir haben dann mit der Fachschlichtung ein in Deutschland einmaliges Konzept praktiziert. Es saßen nicht nur alle an einem Tisch - Gegner und Befürworter -, sondern es kamen auch alle Fakten auf den Tisch. Transparent und offen wurden das Projekt Stuttgart 21, aber auch K 21 diskutiert. Das Ergebnis war ein Schlichterspruch, der betont, dass Stuttgart 21 ein wichtiges verkehrspolitisches Projekt und für die Region von herausragender Bedeutung ist. Alle Teilnehmer der Schlichtung haben dieses Ergebnis anerkannt und begrüßt. Auch bei der Mehrheit der Bevölkerung hat der Schlichterspruch eine große Akzeptanz gefunden. Schaue ich mir nun aber Ihren Antrag an, dann habe ich das Gefühl, dass Sie mit der Schlichtung nicht einverstanden sind. Lassen Sie mich noch kurz die Genese der Entwicklungen bis hin zum Schlichtungsspruch wiedergeben: Auf parlamentarischer Ebene gab es Einwände, die aber nie zu einer Mehrheit gegen Stuttgart 21 geführt haben. Es wurden alle Rechtswege beschritten; auch hier kam es immer zu dem gleichen Urteil: Stuttgart 21 ist rechtsmäßig. Schlussendlich wurden die demokratischen Beschlüsse der parlamentarischen Gremien und die Rechtmäßigkeit der Urteile infrage gestellt. Der Ruf nach Mediation und Schlichtung wurde immer lauter. Die Landesregierung und auch die politischen Parteien haben diese Schlichtung gemeinsam beschlossen. Der Erfolg und das Ergebnis dieses Schlichtungsverfahrens sind unbestritten. Sie wollen aber partout dieses Ergebnis nicht anerkennen und fordern nun über den Schlichterspruch hinaus eine Schlichtung Teil zwei. Liebe Kollegen von Bündnis90/Die Grünen, es ist schon bemerkenswert, wie Sie mit parlamentarischen Entscheidungen umgehen; nun aber wollen Sie das Ergebnis der von Ihnen geforderten Schlichtung nicht akzeptieren. Sie fordern eine „nachgelagerte Fortführung des Schlichtungsverfahrens“. Wenn Ihnen dann auch dessen Ergebnis nicht passt, dann kommt noch eine Runde - immer so weiter. Mein Eindruck ist, Sie wollen gar nicht ernsthaft ein Ergebnis, Sie wollten es nie. Sie wollen blockieren und verhindern, aber konstruktiv mitarbeiten an der Sache, dass wollen Sie nicht. Ich möchte aber gern auf Ihren Antrag und Ihre Forderungen zurückkommen. Sie stellen es in ihrem Antrag so dar, als würde die Deutsche Bahn AG jenseits der Vereinbarungen im Schlichterspruch den Stresstest durchführen, intransparent, still und heimlich, ohne offenen Dialog mit der Bevölkerung. Diese Behauptungen sind schlichtweg falsch. Unter Ziffer 11 und 12 des Schlichterspruches steht ganz klar, dass die Deutsche Bahn AG den Stresstest durchführt und welche Grundlagen sie dafür annehmen muss. Daher ein Zitat aus dem Schlichterspruch vom 30. November 2010. Darin steht unter Ziffer 11 und 12 - das ist auf den Seiten 12 bis14 -: „11. Für die Fortführung des Baues von S 21 halte ich aus den genannten Gründen folgende Verbesserungen für unabdingbar: 1. Die durch den Gleisabbau frei werdenden Grundstücke werden der Grundstücksspekulation entzogen und daher in eine Stiftung überführt, in deren Stiftungszweck folgende Ziele festgeschrieben werden müssen: Erhaltung einer Frischluftschneise für die Stuttgarter Innenstadt. - Die übrigen Flächen müssen ökologisch, familien- und kinderfreundlich, mehrgenerationengerecht, barrierefrei und zu erschwinglichen Preisen bebaut werden. - Für notwendig halte ich eine offene Parkanlage mit großen Schotterflächen. 2. Die Bäume im Schlossgarten bleiben erhalten. Es dürfen nur diejenigen Bäume gefällt werden, die ohnehin wegen Krankheiten, Altersschwäche in der nächsten Zeit absterben würden. Wenn Bäume durch den Neubau existentiell gefährdet sind, werden sie in eine geeignete Zone verpflanzt. Die Stadt sollte für diese Entscheidungen ein Mediationsverfahren mit Bürgerbeteiligung vorsehen. 3. Die Gäubahn bleibt aus landschaftlichen, ökologischen und verkehrlichen Gesichtspunkten erhalten und wird leistungsfähig, zum Beispiel über den Bahnhof Feuerbach, an den Tiefbahnhof angebunden. 4. Im Bahnhof selber wird die Verkehrssicherheit entscheidend verbessert. Im Interesse von Behinderten, Familien mit Kindern, älteren und kranken Menschen müssen die Durchgänge gemessen an der bisherigen Planfeststellung verbreitert werden, die Fluchtwege sind barrierefrei zu machen. 5. Die bisher vorgesehenen Maßnahmen im Bahnhof und in den Tunnels zum Brandschutz und zur Entrauchung müssen verbessert werden. Die Vorschläge der Stuttgarter Feuerwehr werden berücksichtigt. 6. Für das Streckennetz sind folgende Verbesserungen vorzusehen: Erweiterung des Tiefbahnhofs um ein 9. und 10. Gleis; Zweigleisige westliche Anbindung des Flughafen-Fernbahnhofs an die Neubaustrecke; Zweigleisige und kreuzungsfrei angebundene Wendlinger Kurve; Anbindung der bestehenden Ferngleise von Zuffenhausen an den neuen Tunnel von Bad Canstatt zum Zu Protokoll gegebene Reden Hauptbahnhof; Ausrüstung aller Strecken von S 21 bis Wendlingen zusätzlich mit konventioneller Leit- und Sicherungstechnik. 12. Die Deutsche Bahn AG verpflichtet sich, einen Stresstest für den geplanten Bahnknoten Stuttgart 21 anhand einer Simulation durchzuführen. Sie muss dabei den Nachweis führen, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität möglich ist. Dabei müssen anerkannte Standards des Bahnverkehrs für Zugfolgen, Haltezeiten und Fahrzeiten zur Anwendung kommen. Auch für den Fall einer Sperrung des S-Bahn-Tunnels oder des Fildertunnels muß ein funktionierendes Notfallkonzept vorgelegt werden. Die Projektträger verpflichten sich, alle Ergänzungen der Infrastruktur, die sich aus den Ergebnissen der Simulation als notwendig erweisen, bis zur Inbetriebnahme von S 21 herzustellen. Welche der von mir vorgeschlagenen Baumaßnahmen zur Verbesserung der Strecken bis zur Inbetriebnahme von S 21 realisiert werden, hängt von den Ergebnissen der Simulation ab. Diese von mir vorgetragenen Vorschläge in den Ziffern 11 und 12 werden von beiden Seiten für notwendig gehalten.“ Auch in der Pressekonferenz nach der Schlichtung wurde von der Deutschen Bahn AG betont, dass die Firma SMA den Stresstest begleiten und begutachten wird. Mitglieder des Aktionsbündnisses haben dies begrüßt. Auch in einer Debatte im baden-württembergischen Landtag haben Sie als grüne Fraktion einem Antrag von CDU, FDP/DVP und SPD zugestimmt, der den Schlichterspruch und auch den Stresstest unter Durchführung der Deutschen Bahn AG begrüßt. Nun fällt ihnen aber ein, dass Sie noch einen Steuerungskreis einrichten oder weitere externe Gutachter bestellen möchten. Dies alles ist nicht in dem Schlichterspruch enthalten. Ich habe langsam den Eindruck, dass Sie nach der Pippi-Langstrumpf-Methode verfahren: „Ich mach mir die Welt, wie Sie mir gefällt“. Das kann man machen, aber wir leben in einem Rechtsstaat und nicht in Taka-Tuka-Land. Zusagen und Beschlüsse müssen verbindlich sein, Sie halten sich nicht daran. Für mich sind Bündnis 90/Die Grünen in der politischen und parlamentarischen Arbeit unglaubwürdig und kein zuverlässiger Partner. Wir lehnen daher den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Mehrheit der Bevölkerung in Stuttgart lehnt das Großprojekt Stuttgart 21 ab. Die Menschen vor Ort tun dies unter der Losung „Oben bleiben“. Mit dieser Kurzformel bringen sie zum Ausdruck, dass das Denkmal Bonatzbau in Gänze erhalten, das Gleisfeld als oberirdisches bestehen bleiben und Stuttgart seinen traditionellen Kopfbahnhof behalten soll. Sie erwarteten von Heiner Geißler, dass dieser als Ergebnis des FaktenChecks entweder sich von den Sachargumenten überzeugen lassen und sich für das „Oben bleiben“ entscheiden würde oder dass er sich für eine demokratische Entscheidung der Stuttgarter Bevölkerung aussprechen würde. Geißler hat diese Chance zu einer Abwägung der Sachargumente und zu einem beispielhaften demokratischen Prozess nicht ergriffen. Er entschied sich im Sinne der Bahn und der CDU, für ein „Weiterbauen plus“; für Stuttgart 21 mit einigen Nachbesserungen. Die Bevölkerung fühlt sich mit dem sogenannten Schlichterspruch ein weiteres Mal von der Politik getäuscht. Ein Element bei den Nachbesserungen ist der sogenannte Stresstest. Wie immer dieser Test gemeint gewesen sein soll und was immer einige S21-Gegnerinnen und -Gegner sich dabei gedacht oder damit erhofft haben, zunächst muss man sich auf den Text als solchen beziehen. Im Schlichterspruch heißt es dazu nur: „Die Bahn muss dabei den Nachweis führen, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität möglich ist.“ Das Bundesverkehrministerium wies bereits im November in einer ersten Stellungnahme darauf hin, dass in dieser Festlegung sogar der mathematische Bezugspunkt fehlt: 30 Prozent mehr als was? Inzwischen scheint man sich darauf geeinigt zu haben, dass die Leistung 30 Prozent größer als die des gegenwärtigen Kopfbahnhofs sein müsse. Das scheint mir bereits eine erste Falle zu sein. Wie in der Schlichtung durch den langjährigen Stuttgarter Bahnhofschef Egon Hopfenzitz nachgewiesen wurde, hatte der Stuttgarter Kopfbahnhof im Jahr 1969 - und weitgehend ähnlich von 1970 bis 1974 - eine tägliche Leistung von 809 Zugbewegungen. Heute sind es 650. Damit lag diese Leistung bereits einmal um knapp 30 Prozent über der gegenwärtigen. Das trifft auch zu auf die Spitzenstunde, wo besonders viele Vorortzüge abgefertigt werden mussten. Diese Tagesleistung konnte deutlich herabgefahren werden, weil 1975 der S-BahnTunnel eröffnet wurde. Damit entfielen so gut wie alle sogenannten Vorortbahnen, die heute als S-Bahnen im „Bauch“ des Kopfbahnhofs verkehren. Die Polemik gegen den Kopfbahnhof und die vielen flammenden Plädoyers für einen Durchgangsbahnhof gehen im Grunde ins Leere. In Stuttgart gibt es seit 36 Jahren einen Durchgangsbahnhof - mit der S-Bahn und damit dort, wo dies sinnvoll ist: bei den durchzubindenden Nah- und teilweise auch regionalen Verkehren. Und es gibt in der Landeshauptstadt seit mehr als 85 Jahren den bekannten Kopfbahnhof, ebenfalls dort, wo das Sinn macht: für den weitergeführten Regionalund für den Schienenpersonenfernverkehr. Rechnet man den damals erforderlichen Lokwechsel hinzu, dann lag die reale Leistung 1969 bis 1975 bei rund 40 Prozent über der heutigen. Es gab also längst einen Stresstest mit dem Ergebnis einer zusätzlichen Leistung von weit mehr als 30 Prozent. Und diese Leistung wurde nicht in einem Computerprogramm simuliert - sie fand in diesem Bahnhof Werktag für Werktag statt. Demnach hat der jetzige Kopfbahnhof Leistungsreserven von mindestens 40 Prozent. Das ist in dem geplanten Kellerbahnhof nie und nimmer darstellbar. Zu Protokoll gegebene Reden Es gibt noch einen weiteren Denkfehler bei der Forderung nach einem solchen Stresstest für die Leistung „in der Spitzenstunde“. Es ist nicht von besonderem Interesse, wie viel Züge insgesamt pro Stunde oder gar an einem Tag in einem Bahnhof abgefertigt werden können. Bei der „Philosophie“ eines „Integralen Taktfahrplans“, der in der Schweiz seit mehr als zwei Jahrzehnten mit großem Erfolg praktiziert wird und der ja auch vom Aktionsbündnis gegen S21 gefordert wird, geht es um etwas ganz anderes. Der Fahrplanspezialist Professor Wolfgang Hesse, der auch als Sachverständiger an der Schlichtung teilnahm, schrieb dazu jüngst in der renommierten „Eisenbahn-Revue International“, 3/2011: „Die Grundidee des Integralen Taktfahrplans, ITF, besteht darin, zu einem bestimmten Zeitpunkt, vorzugsweise zu den leicht merkbaren Minuten 00 und 30, Fernund Regionalzüge aus möglichst vielen Richtungen zusammenlaufen zu lassen, um ein wechselseitiges Umsteigen in möglichst viele Richtungen zu ermöglichen. Dazu bedarf es möglichst vieler ({0}) Bahnsteigkanten, die für den Rest der Stunde nicht oder nur wenig genutzt werden.“ Es ist einleuchtend, dass ein Kopfbahnhof mit seinen 17 Gleisen dieser Anforderung weit besser gerecht werden kann als ein Tiefbahnhof mit acht Gleisen. Das Argument der Bahn, man könne im Kellerbahnhof „durchbinden“, beantwortet Professor Hesse wie folgt: „Aus der Not der fehlenden Bahnsteigkanten soll mit dem Angebot der durchgebundenen Regionalzüge eine Tugend gemacht werden. Diese bieten zwar dem Fahrgast, der zufällig in die angebotene Fahrrichtung weiterfahren will, einen Zeitvorteil, für den Wechsel zu anderen Fahrtzielen ergeben sich aber in der Regel weitaus höhere Umsteige- und Wartezeiten.“ Auch ein optimal verlaufender Stresstest für einen Tiefbahnhof, wenn er denn als sinnvoll erachtet wird, sagt also rein gar nichts über dieses entscheidende Erfordernis für einen ITF aus. Nun gibt es im Antrag der Grünen eine Reihe von gut gemeinten Forderungen, wonach der Stresstest mit „Transparenz und als Dialog auf Augenhöhe“ zu führen sei, wonach es ein „Steuergremium für den Stresstest“ geben solle und die „Federführung bei“ einem „unabhängigen externen Gutachter“ liegen solle. Tatsache ist: Von all dem ist im Geißler-Spruch nichts zu lesen. Ein Vierteljahr nach Verkündung der anmaßenden Geißler´schen Entscheidung können solche Forderungen leicht vom Tisch gefegt und als „Nachkarten“ denunziert werden. Selbst wenn die DB AG auf solche Forderungen eingehen würde - es dürfte extrem schwer sein, einen solchen „unabhängigen externen Gutachter“, auf den sich beide Seiten einigen, zu finden. Die mehrfach ins Spiel gebracht Züricher Firma SMA ist bereits von der Auftragslage her erheblich von der DB AG abhängig. Es gibt sogar Gerüchte, dass die DB AG bei SMA bereits eingestiegen sei. Es geht jedoch auch um Grundsätzliches. Wenn man sich einmal auf die Ebene der Nachbesserungen eingelassen hat, hat man sich auf eine schiefe Ebene eingelassen. In der Öffentlichkeit entsteht dann der Eindruck, dass die grundsätzliche Position des „Obenbleibens“ aufgegeben oder zumindest aufgeweicht wird. Das wirkt entwaffnend und irritierend und es ist kontraproduktiv. Was würde es denn besagen, wenn der Stresstest „auf Augenhöhe“ und mit einem „Steuerungsgremium“, mit Präsenz der S21-Gegner in diesem stattfände und zum Ergebnis kommen würde: S21 ist möglich als „S21 plus“ mit diesen und jenen Verbesserungen? Es würde sich rein gar nichts daran ändern, dass mit S21 der Kopfbahnhof weitgehend zerstört, in Stuttgart ein Jahrzehnt lang eine Großbaustelle im Zentrum existiert, die Tunnelbauten mit immensen Gefahren für die Mineralwasserquellen und die Standfestigkeit der Gebäude verbunden sein würde und daran, dass das Projekt als solches ein Schienenverkehr-Vermeidungs-Projekt ist. Oben bleiben heißt oben bleiben. Wenn es um Verbesserungen und Nachbesserungen geht, dann auch oben. „Stresstest - könnt ihr haben. Widerstand 2.0“ - so stand es auf einem schönen Plakat, das im November, nach Geißlers Spruch, im Schlossgarten hing.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie erinnern sich sicher alle noch gut an die heftigen Auseinandersetzungen im Herbst letzten Jahres um das Großprojekt Stuttgart 21 und die dazu öffentlich durchgeführte Faktenschlichtung in Stuttgart. Stuttgart 21 ist nach Auffassung der Bundesregierung ein Projekt der Deutschen Bahn AG. Daher verlässt sie sich bis heute blindlings auf die Zahlenwerke der Bahn sowie auf die von ihr behauptete Wirtschaftlichkeit und den verkehrlichen Nutzen des Projekts, trotz hoher finanzieller Beteiligung und Risiken für den Bund. Wir sehen dies ebenso wie der Bundesrechnungshof kritisch. Der Bund beteiligt sich mit 1,2 Milliarden Euro am Ausbau des Eisenbahnknotens Stuttgart und ist Eigentümer der Deutschen Bahn AG. Er muss also ein ureigenes Interesse daran haben, dass die Kosten des Projekts Stuttgart 21 nicht explodieren - unabhängig davon, ob sich dies nun negativ im Bundeshaushalt niederschlägt oder in der Bilanz der bundeseigenen DB AG. Zudem muss der Bund ein ureigenstes Interesse daran haben, dass der Ausbau des bundeseigenen Schienennetzes den verkehrlichen und volkswirtschaftlichen Nutzen hebt und die DB AG keine Projekte errichtet, die gigantisch viel kosten, ohne Nutzen für den Schienenverkehr zu schaffen. Insofern ist es schon sehr aufschlussreich, dass keine Vertreter des Bundesverkehrsministeriums am Schlichtungsverfahren teilnahmen und die Bundesregierung damit ausdrücklich ihr Desinteresse an den wirklichen Fakten signalisierte. Das deckt sich mit unseren jahrelangen Erfahrungen. Es bedurfte erst der Schlichtung, eines nichtparlamentarischen Gremiums auf der Basis des guten Willens aller Beteiligten, damit mehr Informationen über dieses Projekt vorgelegt wurden - mehr Informationen übrigens, als den Mitgliedern des Deutschen Bundestages im gesamten Planungsprozess für Stuttgart 21 zugestanden wurde, selbst wenn sie nur in den Geheimschutzstellen Einblick in die Unterlagen nehmen wollten, was zur Verschwiegenheit verpflichtet. Damit sind wir beim Kern unseres Antrags. Die Bahn begründet den milliardenschweren Umbau des StuttgarZu Protokoll gegebene Reden ter Hauptbahnhofs von einem gut funktionierenden Kopfbahnhof in einen unterirdischen Tunnelbahnhof insbesondere damit, dass dieser hohe Kapazitätszuwächse bewältigen könne. Es war jedoch eine der wichtigsten Erkenntnisse der Faktenschlichtung, dass die eisenbahntechnische Leistungsfähigkeit des von der DB AG geplanten neuen Bahnknotens Stuttgart 21 ernsthaft infrage gestellt werden muss. Daher verpflichtete sich die DB AG zu einem sogenannten Stresstest, einer Belastungssimulation, bei der nachgewiesen werden soll, dass Stuttgart 21 in Spitzenbelastungszeiten 30 Prozent mehr Züge bewältigen kann als der bestehende Kopfbahnhof. Ansonsten sind Nachbesserungen nötig, und diese machen das Projekt erheblich teurer, als es ohnehin schon nach dem jetzigen Stand ist. Mehr als pikant ist allerdings, dass die Deutsche Bahn nach den heftigen Auseinandersetzungen, die in das Schlichtungsverfahren mündeten, eine Beteiligung unabhängiger Experten und die Einbeziehung von Vertretern des Aktionsbündnisses von Anfang an ablehnt und den Stresstest selbst durchführen will. Erst die Ergebnisse der bahninternen Prüfung sollen zur Kontrolle an das Schweizer Verkehrsberatungsunternehmen SMA übergeben werden, dass zu 75 Prozent von Aufträgen der DB AG lebt. Von einem transparenten Verfahren ist keine Rede mehr. Dies kritisierte auch Schlichter Heiner Geißler, der laut Äußerungen in den Medien das Anliegen des Aktionsbündnisses, von Anfang an an der Leistungsüberprüfung beteiligt zu sein, voll unterstützt. Aber was passiert, wenn die DB AG sich quasi selbst kontrolliert und die Nachkontrolle einem Unternehmen überlässt, das regelmäßig Aufträge von der DB AG erhält? Es liegt auf der Hand: Man kommt zu dem gleichen Ergebnis wie bereits vor der Schlichtung - Stuttgart 21 ist wunderbar, funktioniert und benötigt keinerlei Nachbesserungen, und selbstverständlich bleibt auch alles im vertraglichen Kostenrahmen. Für diese Erkenntnis hätte es allerdings weder das Schlichtungsverfahren noch den aufwendigen Stresstest benötigt. Das wird auch die Bürgerinnen und Bürgern nicht überzeugen, die monatelang in Baden-Württemberg und ganz Deutschland zu Zigtausenden energisch gegen das Projekt protestiert haben. Der Stresstest ist ein Zwischenergebnis der Schlichtung und die zeitlich nachgelagerte Fortführung des Schlichtungsverfahrens, da zentrale Problempunkte im Rahmen der Schlichtung nicht abschließend geklärt werden konnten. Er muss daher den gleichen Kriterien wie das Schlichtungsverfahren, nämlich Transparenz und Dialog auf Augenhöhe, folgen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung mit unserem Antrag auf, in ihrer Verantwortung als Eigentümerin der DB AG dafür Sorge zu tragen, dass der Stresstest von Anfang an, also bereits bei Eingabe der Daten und der Datenverarbeitung, öffentlich und transparent erfolgt. Das heißt, er muss unter Beteiligung des Aktionsbündnisses und unabhängiger Experten durchgeführt werden. Nur dann kann eine breite Akzeptanz für das Ergebnis erreicht werden. Die Federführung des Stresstests darf nicht beim Projektträger der DB AG liegen, denn dessen Planungen sollen ja schließlich überprüft werden. Nach den zahlreichen Fehl- und Halbinformationen bezogen auf Kosten, Risiken und Nutzen von Stuttgart 21 über Jahre hinweg ist das Vertrauen in die Deutsche Bahn erheblich gestört. Der Stresstest und die daraus abgeleiteten Konsequenzen sind nur dann tragfähig, wenn es ein gemeinsames, transparentes Verfahren gibt, an dem die Projektkritiker des Aktionsbündnisses und damit die Öffentlichkeit von Anfang an beteiligt sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sind Sie damit einverstanden, den Antrag auf Drucksache 17/5041 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen. Tagesordnungspunkt 26: Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia Roth ({0}), Dr. Frithjof Schmidt, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wiederbeleben - Drucksache 17/5042 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben bereits die Kolleginnen und Kollegen Bareiß, Karl, Nietan, Vogel ({2}), Hunko und Roth ({3}).

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gegenstand der heutigen Debatte ist die Wiederbelebung der Verhandlungen mit der Türkei zum Beitritt in die Europäische Union. Im Oktober 2005 wurden unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Die CDU/CSU hat sich von Anfang an skeptisch gegenüber einer Vollmitgliedschaft der Türkei geäußert und mit der privilegierten Partnerschaft ein Gegenkonzept vorgestellt, das der großen Bedeutung einer engen Beziehung angemessen ist und für beide Seiten große Vorteile bietet. Wir haben uns aber auch dazu bekannt, dass beschlossene Verträge gelten und die Beitrittsverhandlungen weitergehen. Ich sage ganz klar: Ob die Beitrittsverhandlungen wiederbelebt werden, liegt ganz allein in der Hand der Türkei, die entscheiden muss, ob sie Reformen will oder nicht. Ich glaube, sie will sie nicht. Auch nach dem Beginn der Beitrittsverhandlungen sind die Grundsätze des Konzepts der privilegierten Partnerschaft angesichts des offen gestalteten Verhandlungsprozesses, der ausdrücklich keine EU-Mitgliedschaft am Ende garantiert, aktuell. Ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass die Türkei ein enorm wichtiger Partner für die Europäische Union ist und unser Land ein besonderes Interesse an einer Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen zur Türkei hat. Lassen Sie mich dazu zunächst einige AusfühZu Protokoll gegebene Reden rungen machen, ehe ich anschließend auf die innertürkischen Probleme eingehe. Zunächst einmal ist die Türkei ein wichtiger Handelspartner und Investitionsstandort, gehört sie doch mit einem Bruttoinlandsprodukt von 729 Milliarden US-Dollar im Jahr 2010 zu den 20 größten Volkswirtschaften der Welt. Die Türkei ist mit ihren 71 Millionen Einwohnern ein wichtiger Handelspartner für Europa und vor allem auch für Deutschland. So war die Bundesrepublik mit einem Anteil von rund 10 Prozent an den gesamten türkischen Wareneinfuhren im Jahr 2009 zweitgrößter Lieferant der Türkei. Eine enge wirtschaftliche Kooperation bietet für beide Seiten große Vorteile. Die Türkei mit ihrer sehr jungen Bevölkerung besitzt somit ein hohes wirtschaftliches Potenzial. Darüber hinaus ist die Türkei durch ihre geografische Lage gleichsam eine Energiedrehscheibe - ein wichtiges Bindeglied zwischen den Märkten Europas und den Erdöl und Erdgas exportierenden Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie der Region um das Kaspische Meer. Für die Energieversorgung Europas spielt die Türkei damit eine immer wichtigere Rolle. Ein Beispiel ist die Nabucco-Gasleitung, die Westeuropa unabhängiger von Russland machen soll. Vor allem aber - und das betrifft die Außen- und Sicherheitspolitik - ist die Türkei ein wichtiges Nato-Mitglied, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sie die zweitgrößte Armee des Bündnisses besitzt. Durch die Nähe zum arabischen Raum stellt sich die Türkei als ein wichtiger Partner in geostrategischer Hinsicht dar: Die Türkei grenzt an Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Iran, Irak und Syrien. Damit ist die Türkei für uns ein wichtiger vermittelnder Brückenstaat zu diesen Ländern, gerade was die dortigen Krisenherde betrifft und gerade angesichts der aktuellen politischen Umwälzungen in Nordafrika und im Nahen Osten. Die Türkei mit ihrer Staatsform und ihrer außenpolitischen Ausrichtung ist als starke Mittelmacht in der Region somit eine wichtige Brücke zum Nahen Osten und zur islamischen Welt. Auf dem Europäischen Rat im Juni 1993 in Kopenhagen wurden die Bedingungen für einen Beitritt beschlossen, nämlich Kriterien, die potenzielle Beitrittsländer zur Europäischen Union erfüllen müssen. Der Acquis umfasst die wirtschaftlichen Voraussetzungen, die politischen Beitrittsvoraussetzungen, institutionelle Stabilität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten. Nun zum Stand der Reformen. Bei allen oben genannten Kriterien ist die Türkei in den letzten Jahren nicht viel vorangekommen. Sie hat sich vielmehr, gemessen an den oben genannten Werten, bei einigen Punkten von Europa entfernt. Leider hat der Fortschrittsbericht der EU-Kommission vom Oktober 2010 gezeigt, dass die Türkei in den letzten Jahren bedauerlicherweise sehr wenig Reformfortschritte gemacht hat. In der Türkei herrschen nach wie vor enorme Defizite bei zentralen Demokratie-Beitrittskriterien. Dazu gehören unter anderem der Schutz von Minderheiten, Frauenrechte, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Die stagnierenden Reformentwicklungen machen mir große Sorge. Jüngste Verhaftungen von Journalisten wegen angeblicher Mitgliedschaft in terroristischen Netzwerken, eine Welle von Klagen und Ermittlungen gegen Karikaturisten, Reporter und Kolumnisten wegen Verleumdung und antistaatlicher Propaganda, exorbitante Steuerstrafen gegen regierungskritische Medienunternehmen sowie medienkritische Äußerungen von Politikern geben Anlass dazu. Bis die Türkei diese Grundwerte westlicher Demokratien nicht nur auf dem Papier verabschiedet hat, sondern die Gerichte und die Menschen diese Prinzipien auch verinnerlicht haben, wird wohl noch eine lange Zeit vergehen. Dass zurzeit keine weiteren Kapitel in den Beitrittsverhandlungen eröffnet werden, liegt an der unnachgiebigen Haltung der türkischen Regierung in der ZypernFrage. Die Türkei verstößt in der Zypern-Frage gegen Völkerrecht, indem es den Norden besetzt hält und sich einer Einigung Zyperns nach wie vor entgegenstellt. Die Türkei ist gemäß Ankara-Protokoll verpflichtet, die Zollunion mit der EU auf alle Mitgliedstaaten anzuwenden, und das heißt, türkische Häfen und Flughäfen für zypriotische Waren zu öffnen. Unsere Bundeskanzlerin hat in vielen Gespräche mit der Türkei und mit Zypern dieses Problem klar angesprochen und betont, dass sich beide Seiten bewegen müssen und dass die Bundesregierung bereit ist, bei der Überwindung der Probleme Hilfestellung zu geben. Daher verstehe ich den Vorwurf der Untätigkeit der Grünen gegenüber der Bundesregierung nicht. Ebenfalls hat die Bundesregierung immer betont, dass die Verhandlungen ergebnisoffen geführt werden. Wenn Ministerpräsident Erdogan die Türkei als Schutzmacht für die in Deutschland und Libyen lebenden Türken bezeichnet, dann ist das schlichtweg ein nicht hinnehmbarer Vergleich. Solche Vergleiche und solche Reden von Ministerpräsident Erdogan sind sicher nicht förderlich, um zu zeigen, dass sich die Türkei der Europäischen Union annähert. Und seine Aussage in Düsseldorf, dass die in Deutschland lebenden Kinder mit türkischen Eltern zuerst türkisch lernen sollen, zeigt, dass die Türkei noch weit weg vom gemeinsamen europäischen Verständnis ist. Zu begrüßen sind die Fortschritte, die durch das Verfassungsreferendum in der Türkei im September letzten Jahres erreicht werden konnten. Die Reform des Justizwesens ist ein Schritt in die richtige Richtung. Zu begrüßen ist auch, dass sich die Türkei mit Armenien darauf geeinigt hat, diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Dies war sicher kein einfacher Schritt nach fast hundert Jahren Lügen und Leugnen des Massenmordes an den Armeniern. Nun zur Lage der Christen in der Türkei. Nicht hinnehmbar ist für mich, dass in der Türkei das Recht auf freie Religionsausübung als einer der Grundpfeiler unserer Werteordnung nicht gewährleistet ist. Das christliche Leben wird dort weiterhin stark eingeschränkt. Es ist den christlichen Minderheiten in der Türkei nicht gestattet, ihren Nachwuchs an Geistlichen auszubilden oder Unterricht in den Sprachen der Minderheiten zu erteilen; sie dürfen keine Kirchen errichten und ihren Zu Protokoll gegebene Reden Glauben nicht frei praktizieren. Ein weiterer großer Rückschlag ist auch das Urteil in Bezug auf das Kloster Mor Gabriel. Mor Gabriel ist eines der ältesten Klöster der Christenheit und soll nun nach Meinung des obersten Gerichtshofes in Ankara zugunsten des Schatzamtes Midyat enteignet werden. Die Kläger wurden von der regierenden AKP-Partei massiv unterstützt. Es muss ein deutliches Signal aus Deutschland, aber auch aus Europa, in die Türkei gesandt werden, dass das Menschenrecht der Religionsfreiheit auch in der Türkei uneingeschränkte Geltung bekommen muss. Ich bin unserem Bundespräsidenten Christian Wulff sehr dankbar, dass er in seiner vielbeachteten Rede vor dem türkischen Parlament besonders unterstrichen hat, dass die Religionsfreiheit für unsere europäische und deutsche Wertegemeinschaft unabdingbar ist. Zu Recht wies er mit seiner Mahnung, Religionsfreiheit auch für Christen möglich zu machen, auf die herrschenden Missstände in Bezug auf die Religionsfreiheit hin. So wie die Muslime in Deutschland ihre Religion ohne jegliche Einschränkungen praktizieren und leben können, muss Gleiches auch für die in der Türkei lebenden Christen gelten. Wie Volker Kauder bin ich der Auffassung, die Einhaltung der Religionsfreiheit zur Voraussetzung für die Öffnung neuer Kapitel zu machen. Am 12. Juni 2011 finden in der Türkei die Wahlen zum türkischen Parlament statt. Die neue türkische Regierung wird vor einer Reihe wichtiger Aufgaben und Herausforderungen stehen. Ein vorrangiges Ziel auf der politischen Agenda wird die Erarbeitung und Verabschiedung einer neuen Verfassung sein. Im weiteren Entwicklungsprozess hat die Türkei die Möglichkeit, ihre rechtsstaatlichen Probleme und Demokratiedefizite zu lösen sowie die Rolle der Religion in Politik und Gesellschaft neu zu definieren. Wir unterstützen aus Überzeugung den Reformprozess, bei dem sich die Türkei an europäischen Werte-, Wirtschafts- und Rechtsstandards orientiert. Die Türkei ist ein wichtiger Partner Deutschlands und der Europäischen Union in der Region. Die CDU/CSU setzt auf eine starke Türkei an der Seite Europas. Aber als vollwertiges EU-Mitglied sehen wir die Türkei nicht und setzen weiterhin auf das Konzept der privilegierten Partnerschaft.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn wir uns heute mit dem Antrag der Grünen befassen, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wiederzubeleben, so mutet dies wie eine Pflichtübung an. In periodischen Abständen wird aus dem Lager der Opposition der Vorschlag geradezu gebetsmühlenartig wiederholt, das Tempo der Türkei in Richtung Europa zu forcieren. Bedauerlicherweise geht das Petitum bei diesem Antrag - wie bei manch anderen gleichgerichteten Überlegungen - immer in die Richtung der Europäischen Union, der europäischen Einrichtungen. Immer wird subtil unterstellt, dass „Europa“, dass die „europäischen Einrichtungen und Institutionen“ eine gewisse Bringschuld an Aktivitäten nunmehr zu leisten hätten, dass es an der Zeit wäre, dass die Europäische Union nun endlich „ihre Hausaufgaben macht“, nun endlich ihre Verpflichtungen gegenüber der Türkei einhält, um der Türkei den Weg in die Europäische Union zu ebnen. Bei Licht betrachtet sehen die Dinge jedoch ganz anders aus. Nicht die Europäische Union hat eine Bringschuld gegenüber der Türkei, vielmehr ist es gerade umgekehrt. Um in eine bestehende Gemeinschaft aufgenommen zu werden, sind die Grundsätze der Gemeinschaft zu akzeptieren, sind deren Grundlagen zu akzeptieren. Es wäre ja geradezu schizophren, wenn jemand, der sich einer Gemeinschaft anschließen möchte, darauf pochen und bauen könnte, dass die festgefügte Organisation sich deshalb verändert, weil das neue Mitglied, das um Aufnahme ersucht, in wesentlichen Teilen zu der bestehenden Gemeinschaft nicht passt. Das wäre ja genau so, als wenn jemand in einen Verein aufgenommen werden möchte, aber als Nicht-Mitglied vom Verein verlangt, dass dieser schon einmal - quasi vorab - seinen Vereinszweck ändert, um den Verein passend für ihn zu machen. Wer solch einem Gedankengang nachhängt, liegt doch völlig verkehrt, gerade andersherum wird ein Schuh aus der Sache. Derjenige, der einer Gemeinschaft beitreten will, muss von sich aus zu der Gemeinschaft passen; hierbei sehe ich gerade nicht zu überwindende Schwierigkeiten. Die Aufnahmewünsche der Türkei in die EU sollten aus verschiedener Sichtweise, auch aus historischer Sicht, beleuchtet werden. Wir müssen mindestens bis in das Jahr 1957 zurückblicken, als die Staatsmänner Europas in Rom die Verträge, die „Römischen Verträge“, geschlossen haben, um eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu begründen. Schon Jahre vorher, durch eine gemeinsam ausgerichtete Politik bei Kohle und Stahl, zusammengekommen, wurde 1957 in Rom manifestiert und fortgeschrieben, dass man sich künftig in Europa auf eine gemeinschaftliche Wirtschaftspolitik einigen wollte. Aus früheren Feinden wurden über wirtschaftliche Interessen politische Freunde. Die nunmehr von Zäunen und Schlagbäumen befreiten westeuropäischen Länder, die sechs Kernländer Europas, konnten sich ohne außenwirtschaftliche Schranken hervorragend entwickeln und haben eine noch nie dagewesene wirtschaftliche Prosperität in den letzten fünf Jahrzehnten gesehen. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat sich zur Europäischen Gemeinschaft und dann zur Europäischen Union entwickelt. 27 Länder Europas sind es mittlerweile, die weit über die wirtschaftlichen Interessen hinaus eine gemeinschaftliche europäische Politik auf vielen Feldern wollen. Nach den Erweiterungen der EU ist das „politische Europa“ groß geworden, es hat frühere trennende regionale Grenzen aufgehoben. Durch die deutliche Erweiterung Europas nach Süden, nach Norden und nach Osten ist Europa allerdings auch auf regionale Grenzen gestoßen. Heute gilt es, das groß gewordene Europa zu konsolidieren. Grenzen sind aber nicht nur regional zu definieren. Die Gemeinschaft darf nicht an der Oberfläche dümpeln. Europa muss gerade an Tiefgang gewinnen, um die über Jahrzehnte hin gewachsenen Grundlagen des poliZu Protokoll gegebene Reden tischen Europas überall zu implementieren und nicht zu verwässern. Neben den regionalen Grenzen gibt es auch noch ganz andere Grenzen, geistige Grenzen zum Beispiel, die die Identität Europas bedeuten. Es gibt die kulturelle Identität, es gibt die weltanschauliche Identität und es gibt die historische Identität Europas. Durch die jetzigen 27 Mitgliedstaaten Europas können im Wesentlichen diese kulturellen, weltanschaulichen und historischen Identitäten subsumiert werden auch wenn der Beitritt Rumäniens und Bulgariens mit gewissen Schwierigkeiten versehen war. Es bleibt jedoch festzustellen, dass sich die frühere Wirtschaftsgemeinschaft hervorragend entwickelt hat zu einer Gemeinschaft, die nach außen hin mit einer gleichmäßig ausgerichteten Außen- und Sicherheitspolitik aufwartet und die ihre gemeinschaftliche Zukunft in einer gleichgerichteten Wirtschafts- und Währungspolitik sucht. Die Einführung des Euro war ein außerordentlich wichtiger und markanter Punkt in der gemeinschaftlichen Politik in Europa. Das gemeinsame Geld hat die gemeinsamen Wurzeln Europas, hergeleitet aus ihrer Tradition und aus ihrer Kultur, ganz deutlich manifestiert. An diesen Entwicklungen in Europa bis zurück ins Mittelalter hat die Türkei keinen Anteil gehabt. Die kulturellen, die geistigen und die historischen Wurzeln Europas sind nicht die gleichen wie die der Türkei. Wenn die Türkei also Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft sucht, dann kann man sich nicht auf eine aus gemeinschaftlichen Wurzeln herrührende Tradition berufen. Die Interessen der Türkei liegen heute auf wirtschaftlichem Gebiet. Die gewünschten Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind Verhandlungen, um der Türkei wirtschaftliche Vorteile zu bringen. Dies ist nichts Schlechtes, und Verhandlungen werden seit Jahrzehnten betrieben. Von den wirtschaftlichen Interessen zu unterscheiden sind aber eben die tiefer gehenden Überlegungen; die Frage lässt sich darauf reduzieren: Ist die Türkei ein europäisches Land, das in die EU aufgenommen werden kann, oder nicht? Die augenblicklichen Diskussionen sind daher manchmal etwas peripher. Gewiss hat die Türkei augenblicklich nicht die Reife, die man sich von einem rechtsstaatlichen, demokratisch verfassten Land vorstellt. Verstöße gegen die Meinungsfreiheit sind evident. Erst vor wenigen Wochen wurden Journalisten in der Türkei festgenommen wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer Organisation Ergenekon, die sich gegen Ministerpräsident Erdoğan wendet. Die Religionsfreiheit ist in der Türkei in großen Teilen nicht gegeben. Noch immer können Kirchen und christliche Glaubensgemeinschaften kein Eigentum erwerben, noch immer ist die Ausbildung für Priester und Ordensleute in der Türkei nicht möglich. Die Enteignungen beim 1 600 Jahre alten Kloster Mor Gabriel sind ein unglaubliches Zeugnis dafür, dass die Religionsfreiheit, insbesondere die Religionsfreiheit der Christen, in der Türkei geradezu mit Füßen getreten wird. Auf dem Christenverfolgungsindex 2011 rangiert die Türkei auf Platz 30, noch vor Weißrussland und dem Sudan. Die Türkei kommt auch bei der Zypern-Politik, was die Fortschrittsberichte der EU anbelangt, außerordentlich schlecht weg. Auch dadurch gibt die Türkei zu erkennen, dass sie sich an internationales Recht und an international übliche Vorgehensweisen nicht halten möchte. Diese Dinge mögen überwindbar sein. Anstelle der geknebelten Presse könnte nach einem langen Prozess durchaus auch Pressefreiheit treten, Christen und andere Religionsgemeinschaften könnten längst mit ähnlichen Rechten ausgestattet sein wie die vorherrschende Religion im Lande, der Islam. All dies erwarten wir seit langem schon gerade auch deswegen, weil uns die Türkei als Nachbar nahesteht. All dies würde aber nicht das Grundsätzliche entkräften, nämlich, dass die Türkei kein europäisches Land ist. Ein Land, das zu mehr als 90 Prozent in Asien liegt, kann durch keinerlei rhetorische Volte zu einem europäischen gemacht werden. Um einen ehrlichen Umgang mit der Türkei zu pflegen, ist es an der Zeit, der Türkei zu sagen, dass das türkische Interesse an einer besser koordinierten Wirtschaftspolitik durchaus respektiert und protegiert werden kann, dass wir aber nicht in eine europäische Wirtschaftsgemeinschaft zurückfallen wollen. Die Lösung, die die Bundeskanzlerin Angela Merkel auch in der Türkei sehr offen vertreten hat, ist daher richtig. Die Türkei kann mit einer privilegierten Partnerschaft all die wirtschaftlichen Überlegungen treffen, die sie sich in Bezug auf die EU vorstellt. Eine privilegierte Partnerschaft ist nichts Ehrenrühriges, ein Beitritt in die EU ist das allerdings auch nicht. Die Ehrlichkeit gebietet es auch, den Türken zu sagen, was möglich ist und was nicht - und ein Beitritt ist nicht möglich. Wenn ein Beitritt also nicht möglich ist, sind auch Beitrittsverhandlungen nur Hinhaltetaktiken. Dies ist nicht seriös. Beitrittsverhandlungen, wie von den Grünen jetzt gefordert, wiederzubeleben, bedeutet nichts anderes, als diese Hinhaltetaktiken fortzusetzen. Damit ist der Türkei jedoch nicht gedient; dafür stehen wir auch nicht zur Verfügung.

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vor zwei Tagen fand ich eine Postkarte der rechtspopulistischen Partei „Pro Deutschland“ im Briefkasten meiner Berliner Wohnung. „Wir wollen die Türkei nicht in der EU!“ lautet die Überschrift dieser Hetzschrift, in der die Bürger gebeten werden, sich an einer Petition an den Bundestag zu beteiligen, in der wir Abgeordnete aufgefordert werden, „in allen zuständigen Gremien gegen den geplanten Beitritt der Türkei zur EU zu stimmen.“ Es scheint, als sei die Frage eines möglichen Beitritts der Türkei zur EU wie keine andere geeignet, die Ängste der Menschen in unserem Land zu mobilisieren. Doch geht es hier nicht etwa um die Ängste vor einem Kollaps der EU durch Überdehnung. Es dreht sich immer wieder um die eine große Angst: die Angst vor dem Islam. Auch ich als Befürworter eines Beitritts der Türkei zur EU muss einräumen, dass es nicht nur gute ArguZu Protokoll gegebene Reden mente für einen Beitritt, sondern auch ernstzunehmende Argumente gegen einen Beitritt gibt. Dass die Türkei ein muslimisch geprägtes Land ist, ist allerdings in keiner Weise ein ernsthaftes Argument gegen einen EU-Beitritt. Die Europäische Union versteht sich ausdrücklich als eine Gemeinschaft, die sich den säkularen Werten von Demokratie, Menschenrechten, Pluralität und sozialer Marktwirtschaft verpflichtet fühlt. Wir sind kein christlicher Klub. Und ich als gläubiger Christ sage ausdrücklich: Das ist auch gut so. Wer sich allerdings anschaut, mit welcher Inbrunst manche Vertreter von CDU und CSU sich gegen eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Türkei wenden, der muss feststellen, dass diese Kräfte ebenfalls mehr von einer dumpfen Islamophobie getrieben sind als von einer sachlichen Abwägung der Vor- und Nachteile eines möglichen Beitritts der Türkei zur EU. Das mag vielleicht allzu menschlich sein, aber es zeugt nicht von politischer Reife. Es ist wirklich erschreckend, dass die massive Ablehnung der Türkei von weiten Teilen der Konservativen in unserem Land auf einer zutiefst vorurteilsbeladenen und oft ganz und gar falschen Sicht auf die Türkei fußt, die mit den heutigen Realitäten oft nichts mehr zu tun hat. Wer sich auf eine rationale, nicht von Ängsten gesteuerte Abwägung der Argumente für einen Beitritt der Türkei einlässt, wird ihm durchaus einiges abgewinnen können. Zuerst einmal sollte man sich in Erinnerung rufen, dass die Türkei ja erst der EU beitreten kann, wenn sie den gesamten Rechtsrahmen der EU in ihrer Gesellschaft umgesetzt hat. Die Türkei müsste in den Fragen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechten, Religionsfreiheit, Achtung von Eigentumsrechten, Minderheitenschutz, Justiz, Wirtschaftsverfassung und vielem mehr so sein wie die anderen EU-Mitgliedstaaten, und dies nicht nur auf dem Papier, sondern in der gesamtgesellschaftlichen Realität. Dass die Türkei heute diese Standards noch nicht erfüllt, wird selbst von den enthusiastischsten Beitrittsbefürwortern nicht bestritten. Und natürlich ist es in keiner Weise hinnehmbar, dass unter dem Vorwand der sogenannten Ergenekon-Ermittlungen in den letzten Jahren immer mehr Journalisten in der Türkei ohne Beweise inhaftiert worden sind. Die jüngsten Verhaftungen der beiden verdienten Journalisten Ahmet Sik und Nedim Sener lassen vermuten, dass der Fall Ergenekon von den jetzt in der Türkei Regierenden dazu genutzt wird, kritische Journalisten mundtot zu machen. Dieser Angriff auf die Pressefreiheit stellt ganz eindeutig einen Rückschritt auf dem Weg der Türkei in die EU dar. Doch jeder, der zu Recht die Verletzung von Minderheitenrechten, Pressefreiheit und anderen Bürgerrechten in der Türkei kritisiert, müsste doch eigentlich ein großes Interesse an Fortschritten der Türkei im EU-Beitrittsprozess haben. Und in der Tat kann man feststellen, dass seit 1999, als der Europäische Rat von Helsinki der Türkei den Status eines Beitrittskandidaten gab, die Türkei im Zuge des Beitrittsprozesses auf den Gebieten von Rechtsstaatlichkeit bis Demokratisierung größere Fortschritte gemacht hat als in all den Jahrzehnten davor. Die Türkei gilt als eine der dynamischsten Volkswirtschaften mit hervorragenden Entwicklungsprognosen. Sie ist eine junge Gesellschaft mit vielen gut ausgebildeten Menschen. Aus wirtschaftlichen Gründen wandern mittlerweile mehr Menschen von Deutschland in die Türkei ein als umgekehrt. Das sollte uns zu denken geben. Aus all dem wird schnell klar: Die Türkei wäre eher eine große Chance als eine Belastung für den EU-Binnenmarkt. Dies käme unserem Land als „Exportweltmeister“ sicherlich besonders zugute. Schon jetzt liegen wir bei Importen und Exporten auf Platz eins als der wichtigste Handelspartner der Türkei. Und trotzdem gleicht der Versuch, ein Visum für Deutschland zu erhalten, für türkische Geschäftsleute eher einem Himmelfahrtskommando. Für die politischen und wirtschaftlichen Eliten der Türkei war seit der Staatsgründung der modernen, „postosmanischen“ Türkei Europa immer das große Ziel. Die neue Türkei sollte eine moderne Republik sein, den Werten der Aufklärung und Moderne verpflichtet und den Blick auf Europa gerichtet. Vor fast einem halben Jahrhundert haben wir Europäer der Türkei mit dem 1963 geschlossenen Assoziierungsabkommen bereits ein klares Signal gegeben, welches lautete: Wenn ihr Türken es ernst meint mit dem Weg nach Europa und euer Land entsprechend reformiert, dann steht euch die Tür nach Europa weit offen. Allerdings muss die Türkei sich auch darauf verlassen können, dass man es mit diesem Versprechen auch heute noch ernst meint. Doch aus innenpolitischen Gründen sind es insbesondere Präsident Sarkozy und Bundeskanzlerin Merkel, die alle Beschlüsse und Versprechen der EU hinsichtlich einer fairen Chance auf einen Beitritt gegenüber der Türkei unterlaufen. Während der französische Präsident aus seiner Ablehnung des Beitritts keinen Hehl macht, laviert - wie so oft - die Bundeskanzlerin in dieser Frage herum. Angesichts der derzeitigen Schwierigkeiten im Beitrittsprozess reicht die demonstrative Passivität von Frau Merkel schon aus, um klar zu machen, dass die derzeitige Bundesregierung nicht mehr an der Seite der Türkei steht. Die Folgen sind verheerend: Gerade die Menschen, die in der Türkei mutig für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintreten, fühlen sich von der jetzigen Bundesregierung im Stich gelassen. Für diese Menschen war die Beitrittsperspektive immer die entscheidende Unterstützung in ihrem Kampf für die Menschenrechte. Doch auch immer mehr Teile der politischen und wirtschaftlichen Eliten der Türkei wenden sich frustriert von Europa ab. Jetzt, wo endlich die Reformen in Gang kommen, die die Europäer als Bedingung für den Eintritt gefordert haben, schlägt man ihnen die Türe vor der Nase zu. Wer aber den politischen Eliten in der Türkei die europäische Perspektive verweigert, zwingt diese geradezu dazu, sich neue Perspektiven zu suchen. Hier Zu Protokoll gegebene Reden bieten sich dann leider insbesondere der Nationalismus und der Islamismus an. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Besonders scheinheilig ist es dann auch noch, wenn sich die Konservativen in Europa, die der Türkei seit Jahren die kalte Schulter zeigen, jetzt lauthals darüber beschweren, dass die Türkei sich vom Westen abwende. Die Türkei spielt eine herausragende Rolle in der Region. Ihre geostrategische Lage ist von größter Bedeutung. Nahost-Konflikt, Schwarzmeer-Kooperation, Erschließung der Energiereserven im Kaspischen Raum, Irak, Iran, Versöhnung des Orient mit dem Okzident oder auch die Energiesicherheit - es gibt an der europäischen Peripherie kaum eine Frage von Belang, bei der die Türkei nicht eine entscheidende Rolle spielt. Wie sehr würde es gerade uns Deutschen, aber auch der EU insgesamt zum Vorteil gereichen, wenn wir in all diesen Fragen die Türkei als Freund und Partner an unserer Seite hätten. Vielleicht muss man es einmal so deutlich sagen: Es scheint so, als haben all die konservativen Kräfte in Europa in ihrer teilweise schon obsessiven Anti-Türkei-Agitation völlig aus den Augen verloren, dass wir die Türkei am Ende möglicherweise mehr brauchen als diese uns. Niemand will der Türkei einen Rabatt im Beitrittsprozess einräumen. Niemand geht von einem Beitrittsautomatismus aus. Niemand bestreitet die immer noch vorhandenen Defizite in puncto Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und Minderheitenrechte in der Türkei. Niemand behauptet, dass die Türkei schon morgen Mitglied der EU werden könnte. Niemand glaubt, dass ein Beitritt der Türkei in die EU ein Kinderspiel sei. Niemand bestreitet, dass die EU selbst dringend weiterer Reformen bedarf, um ihre eigene Aufnahmefähigkeit zu stärken. Doch gerade angesichts der dramatischen Ereignisse in unserer unmittelbaren Nachbarschaft rund um das Mittelmeer brauchen wir jetzt eine EU, die sich nicht abkapselt und sich in Ängsten ergeht, sondern mit Mut und Zuversicht ihrer Rolle als ein gutes Beispiel für politische Weitsicht und beherztes Eintreten für die Werte von Demokratie und Menschenrechten gerecht wird. Dem Beitrittsprozess mit der Türkei jetzt neue Impulse zu geben und somit zu dem Versprechen zu stehen, das wir der Türkei 1963 gegeben haben, das wäre eine wirklich weitsichtige Politik. Aber noch wichtiger wäre dabei das Signal, welches wir den Menschen innerhalb und außerhalb der EU geben würden: dass wir selbst nämlich immer noch an die Kraft unserer eigenen europäischen Ideen glauben.

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Heute überraschen uns die Grünen ausnahmsweise einmal mit Regierungskritik im Gewand der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Dazu möchte ich Ihnen noch einmal die Koalitionsvereinbarung zwischen Union und FDP in Erinnerung rufen. Dort heißt es: „Deutschland hat ein besonderes Interesse an einer Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen zur Türkei und an einer Anbindung des Landes an die Europäische Union. Die 2005 mit dem Ziel des Beitritts aufgenommenen Verhandlungen sind ein Prozess mit offenem Ende, der keinen Automatismus begründet und dessen Ausgang sich nicht im Vorhinein garantieren lässt.“ Die Kollegen und Kolleginnen von Bündnis 90/Die Grünen sehen also, die Koalition hat das Thema auf der Agenda. Und es ist eine Selbstverständlichkeit, bestehende Verträge und Vereinbarungen einzuhalten. Da machen wir im Fall der Türkei keine Ausnahmen. Warum sollten wir auch? Die FDP-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, dass der EU-Beitritt der Türkei grundsätzlich absolut unterstützenswert ist. Wenn die Türkei beitrittsfähig und die Europäische Union aufnahmefähig ist, dann wäre eine Vollmitgliedschaft die beste Form unserer Zusammenarbeit. Die Verhandlungen sind ergebnisoffen, und es gibt keine Garantien; aber man muss auch klar sagen, was man will. Ich tue das und wir tun das: Wir wollen, dass diese früher oder später erfolgreich abgeschlossen werden. Eine demokratische und rechtsstaatliche Türkei als Mitglied der Europäischen Union brächte eine Reihe von wichtigen Vorteilen: So wies die Türkei in den letzten Jahren ein wirklich beeindruckendes Wirtschaftswachstum auf. Das muss man sich nur einmal im G-20Verleich anschauen. Sie ist weiterhin mit einem Durchschnittsalter von 27,7 Jahren ein sehr junges Land. Für eine alternde Europäische Union - denken Sie nur an unsere mit durchschnittlich 44 Jahren fast doppelt so alte Republik - wäre das ein Gewinn. Und die Türkei kann eine Brücke in die islamische Welt sein, die zur friedlichen Völkerverständigung beiträgt. Zudem wäre ein Beitritt der Türkei eine echte Feuertaufe für die Europäische Union als Wertegemeinschaft. Der Islam ist seit dem Mittelalter ein Teil Europas, wie etwa der Blick auf Südspanien, den Balkan oder die islamischen Einflüsse am apulischen Hof des in der deutschen Nationalgeschichte ja nun nicht gerade unbedeutenden Kaisers Friedrich II. zeigt. Dies lässt sich nicht wegdiskutieren. Vielmehr sollten wir diese Tatsache anerkennen und die Chance darin erkennen, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Geschehnisse in Nordafrika und insbesondere Libyen. Diese zeigen doch: Europa braucht eine demokratische Türkei. Die Türkei kann eine Schlüsselrolle und Vorbildfunktion für andere islamische Staaten einnehmen. Die türkische Verfassungsreform des letzten Jahres bietet dafür die besten Voraussetzungen und zeigt Schritte in die richtige Richtung, die wir selbstverständlich weiterhin unterstützen werden. Die Türkei kann sich darauf verlassen, dass wir sie auf ihrem Weg zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit begleiten. Ich hoffe, es freut die Kollegen und Kolleginnen von Bündnis 90/Die Grünen, dass wir das auch ohne ihren Antrag tun. Immerhin behaupten Sie in Ihrem Antrag, die Bundesregierung habe die Blockade der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei mit zu verantworten. Später in Ihrem Antrag schreiben Sie dann bereits, wir selbst hätten eine Blockadehaltung. Ganz so sicher sind Sie sich dabei offenZu Protokoll gegebene Reden Johannes Vogel ({0}) sichtlich nicht. Aber ich kann ihre Verwirrung auflösen, weil es nämlich so oder so schlicht nicht stimmt. Sie wollen hier etwas herbeireden, was nicht da ist. Und das wissen Sie im Grunde genommen auch selbst. Mit Blick auf den EU-Beitritt der Türkei muss man jedoch feststellen, dass zurzeit weder die Türkei beitrittsfähig noch die Europäische Union aufnahmefähig ist. Dabei hilft es der Türkei und auch uns überhaupt nicht, ihren Reformbedarf, so wie Sie es tun, herunterzuspielen. Die Türkei hat zuletzt nicht die „atemberaubende Entwicklung“ durchgemacht, wie Sie sie beschreiben. Der Fortschrittsbericht der Europäischen Union spricht diesbezüglich eine deutliche Sprache: Es gibt noch viel zu tun, vor allem bei den Grund- und Minderheitenrechten, insbesondere von ethnischen und religiösen Minderheiten wie beispielsweise den Griechen, den Armeniern, den Aramäern und den Aleviten, und dem Aufbruch der Blockade in der Zypern-Frage. Auch die aktuellen Geschehnisse im Zuge des ErgenekonVerfahrens sorgen zu Recht für erhebliches Aufsehen. Hier sind kritische Fragen berechtigt, und wir alle müssen diese stellen - gerade als Freunde und Partner. Gleichzeitig bietet genau dieser Prozess für die Türkei aber auch die Chance, die Unabhängigkeit der Justiz und die rechtsstaatlichen Standards der Türkei unter Beweis zu stellen. Wir müssen hier kritisch hinschauen und dann werden wir sehen. Die Türkei wäre eine große Bereicherung für die Europäische Union. Dazu muss sie weitere Fortschritte machen. Eine solche Entwicklung braucht seine Zeit. Drängeln hilft da nicht weiter. Sie müssen sich aber jedenfalls keine Sorgen machen: Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind bei der Koalition in guten Händen. Aus den dargelegten Gründen werden wir den Antrag der Grünen ablehnen. Denn da wo Ihr Antrag richtig ist, brauchen wir ihn nicht. Und dort, wo er falsch ist, brauchen wir ihn erst recht nicht.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir diskutieren heute den Antrag der Grünen „EUBeitrittsverhandlungen mit der Türkei wiederbeleben“. In der Tat ist es so, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nach dem hoffnungsvollen Beginn 2004 erlahmt sind und gegenwärtig stagnieren. Diese Erlahmung hat im Wesentlichen zwei Gründe, auf die der Antrag der Grünen nicht oder nur unzureichend eingeht. Erstens wachsen innerhalb der EU rassistische und rechtspopulistische Stimmungen, die die Türkei als fremden Kulturraum betrachten, der mit Europa nichts zu tun habe. So hat die österreichische FPÖ angekündigt, eine europäische Bürgerinitiative gegen die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu starten. Die Grundlage solcher Stimmungen sind nicht konkrete Demokratiedefizite oder Menschenrechtsverletzungen, die es im Zuge der Beitrittsverhandlungen zu überwinden gilt, sondern Ablehnungen gegenüber den Menschen aus der Türkei an sich. Dagegen gilt es deutlich und entschieden Flagge zu zeigen. Leider greifen auch konservative Parteien wie CDU und CSU diese Stimmungen auf. Ein Ausdruck davon ist, dass im Koalitionsvertrag der Bundesregierung die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nur noch als „ergebnisoffen“ bezeichnet wurden - ein Zugeständnis an den rechten Flügel der CDU und insbesondere der CSU. Und es mehren sich die Stimmen in der Bundesregierung, die die Beitrittsverhandlungen insgesamt ablehnen und nur noch von einer „privilegierten Partnerschaft“ sprechen. So etwas wird in der Türkei sehr genau wahrgenommen und wirkt sich dort negativ auf die demokratischen Reformprozesse aus. Dies konnte ich bei der Delegationsreise des EU-Ausschusses in die Türkei sehr deutlich feststellen. Mit solchen Signalen wird nicht nur dem Beitrittsprozess zur EU ein Bärendienst erwiesen, sondern auch denjenigen in der Türkei, die an einer demokratischen Weiterentwicklung interessiert sind. Zweitens gibt es parallel zu dieser Entwicklung in der EU auch besorgniserregende Entwicklungen in der Türkei selbst. Es ist überhaupt nicht hilfreich, die Lage der Menschenrechte und der Demokratie in der Türkei schönzureden und auf die „atemberaubende“ ökonomische Entwicklung zu verweisen, wie das der grüne Antrag leider tut. Ich möchte hier einige Beispiele aufführen, die ich höchst besorgniserregend finde. Der grüne Antrag begrüßt eine angeblich offene Debatte in der Kurdenfrage. Leider bleibt es bei dieser Debatte. Die Verweigerung elementarer Rechte und die politische Repression gegenüber dem kurdischen Bevölkerungsteil bleiben bestehen. So sitzen zahllose Funktionäre und gewählte Vertreter der legalen kurdischen Partei für Frieden und Gerechtigkeit, BDP, darunter auch viele Bürgermeister, seit nunmehr zwei Jahren in Untersuchungshaft. Ihnen wird eine Verteidigung in ihrer Muttersprache verweigert. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, spricht hier von einer „Verletzung fundamentaler Rechte“. Darüber hinaus gibt es leider immer wieder Übergriffe der türkischen Sicherheitskräfte in den kurdischen Gebieten, wie es auch im EU-Fortschrittsbericht zur Türkei konstatiert wird. Das alles sollte sehr deutlich benannt und kritisiert werden. Im Falle der Meinungsfreiheit gibt es leider eine zunehmende Zahl an Inhaftierungen von Journalistinnen und Journalisten sowie Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Die Fälle Dogan Akhanli und Pinar Selek sind ja in den deutschen Medien breit kommuniziert worden. In einem anderen Fall, Nevim Berktas, hat der EuGHM die Türkei vor kurzem verurteilt. Aber es gibt sehr viel mehr Journalistinnen und Journalisten sowie Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die inhaftiert sind. Die türkische Journalistengewerkschaft sprach zuletzt von 55. Der Präsident der Europäischen Journalisten-Föderation sprach im Januar vor der Parlamentarischen Versammlung von 120 weiteren, deren Verhaftung er befürchtet. All das ist sehr besorgniserregend und muss benannt werden. Nach wie vor wird die größte religiöse Minderheit, die alevitische Gemeinde, unterdrückt. Auch hier konZu Protokoll gegebene Reden statiert der EU-Fortschrittsbericht zur Türkei keine Fortschritte. Die Gewerkschaftsrechte in der Türkei entsprechen ebenfalls nicht demokratischen Standards. Laut EUFortschrittsbericht erfüllen sie nicht die Standards der ILO und der EU. Zentraler Streitpunkt und gegenwärtiger Hauptgrund für die Blockade der Beitrittsverhandlungen ist aber die Zypern-Frage. Hier weigert sich die Türkei, das Ankara-Protokoll zu ratifizieren. Dieses Protokoll, das den Warenverkehr mit der Republik Zypern regelt, war ursprünglich eine Voraussetzung für die Beitrittsverhandlungen. Deswegen blockiert Zypern auch zu Recht die Eröffnung weiterer Kapitel. Dies hat auch der Deutsche Bundestag immer wieder deutlichgemacht, so etwa am 9. Mai 2007 im gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, in dem von der Türkei erwartet wird, dass das Ankara-Protokoll „vollständig implementiert wird“. Nun fordern die Grünen in ihrem Antrag die Bundesregierung auf, gleichzeitig die Forderungen aus dem alten Antrag umzusetzen und sich gegenüber den anderen Mitgliedstaaten und der Türkei dafür einzusetzen „die Blockaden aufgrund mangelnder Umsetzung des Ankara-Protokolls zu lösen“. Das widerspricht sich nicht nur, sondern stellt eine Kehrtwende um 180 Grad dar. Konkret bedeutet das, jetzt Zypern unter Druck zu setzen, obwohl der Spielball hier eindeutig bei der Türkei liegt. Ich finde das völlig kontraproduktiv. Zusammenfassend möchte ich festhalten: Die Linke ist für die Fortsetzung und Wiederbelebung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Diese müssen entlang klarer demokratischer und menschenrechtlicher Kriterien geführt werden, wie sie auch in den Kopenhagener Kriterien festgelegt sind. Sowohl in der EU als auch in der Türkei gibt es Kräfte, die die Beitrittsverhandlungen beenden wollen. Es ist notwendig, diejenigen in der EU und in der Türkei zu stärken, die sich für die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen einsetzen, auch um demokratische und rechtsstaatliche Reformen zu befördern. Die wünschenswerte Wiederbelebung des Beitrittsprozesses darf aber nicht auf dem Rücken der Republik Zypern erfolgen.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Antrag haben wir ausführlich und eindringlich dargelegt, warum wir angesichts der eingetretenen Stagnation in den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei und auch angesichts der dramatischen Entwicklungen in den Nachbarregionen der Europäischen Union neue außen- und europapolitische Initiativen brauchen. Manche Entwicklungen in der türkischen Innenpolitik und den verlangsamten Reformprozess in der Türkei nehmen wir mit Sorge zur Kenntnis. Vor allem die aktuellen Festnahmen von renommierten Journalisten oder Schikanen und juristische Verfolgung von Medienvertretern machen deutlich, wie dringend notwendig eine neue Dynamik und die Intensivierung der vor zehn Jahren begonnenen Reformen in der Türkei sind. Die türkische Justiz braucht eine Generalsanierung in Sachen Rechtsstaatlichkeit, um endlich Schluss zu machen, dass jeder Verdächtige unmittelbar und quasi prophylaktisch in Haft genommen werden kann und manchmal sogar Jahre im Gefängnis verbringen muss, bevor seine Schuld rechtlich bewiesen ist. Bei solchen Fragen sind wir parteiisch parteiisch für Menschen- und Bürgerrechte und für umfassende und vorbehaltlose Pressefreiheit. Die EU muss die Beitrittsverhandlungen ebenfalls im Namen dieser fundamentalen Rechte der Menschen in der Türkei führen. Neben Fortschritten und der Entwicklung auf vielen wirtschaftlichen, politischen und zivilgesellschaftlichen Feldern muss sie auch dazu beitragen, mit einer glaubwürdigen Beitrittsperspektive die türkische Innen- und Rechtspolitik demokratisch und rechtsstaatlich zu gestalten und zu stabilisieren. Einige Regierungen der EU-Staaten, die aus innenpolitischen Gründen gegen den EU-Beitritt der Türkei waren und sind, haben es nun erreicht, dass die Beitrittsverhandlungen stagnieren. Vom bisherigen Rhythmus einer Kapiteleröffnung pro Präsidentschaft wurde bereits abgewichen. Faktisch besteht die Gefahr, dass die Verhandlungen ganz zum Stillstand kommen. Das wäre ein Pyrrhussieg für Sarkozy und die Bundesregierung von Frau Merkel. Bei Sarkozy weiß man ja, dass seine Politik kaum europapolitische Ambitionen hegt. Sein Tun und Lassen steht nur im Dienste einer auf seine Wiederwahl zugeschnittenen Innenpolitik. Sich kritiklos einer solchen Politik anzuschließen, ist ein Armutszeugnis. Mit der aktuellen Türkei-Politik bricht die schwarzgelbe Regierungskoalition mit der Politik der Bundesregierungen in den letzten Jahrzehnten bis 2009. Die Koalition setzt zentrale strategische wirtschafts-, außen- und sicherheitspolitische Interessen Deutschlands und der EU für innenpolitische Taktik aufs Spiel. Die Wahrheit aber ist: Zentrale Pfeiler der bestehenden wirtschaftlichen Integration gründen auf der Beitrittsperspektive und drohen bei deren Verlust zu zerfallen. Eine „privilegierte Partnerschaft“, die vor allem von Unionspolitikern immer wieder gerne - ausweichend oder ablehnend - in den Mund genommen wird, wäre ein Rückschritt gegenüber dem Status quo. Selbstverständlich muss die Türkei die politischen und wirtschaftlichen Kopenhagen-Kriterien erfüllen und die daraus abzuleitenden Konsequenzen in Reformschritten umsetzen. Diese sind nicht verhandelbar. Von einem Beitrittsautomatismus kann daher keine Rede sein. Die türkische Regierung macht ja selbst deutlich, dass vor einem Beitritt weitere grundlegende Staats- und Rechtsreformen durchgeführt werden müssen. Die Demokratiebewegungen in den arabischen Ländern führen uns vor Augen, welchen Stellenwert eine demokratische Türkei für die Menschen in der Region hat und welche stabilisierende Wirkung in der angrenzenden krisengeschüttelten, im Umbruch befindlichen Region von ihr ausgehen kann. Die weitere Vertiefung der demokratischen und rechtsstaatlichen Reformen in der Türkei kann ein Beispiel dafür sein, wie unsere VorstelZu Protokoll gegebene Reden Claudia Roth ({0}) lungen von Rechtsstaat und Menschenrechten mit islamisch geprägten Gesellschaften kompatibel sind. Die humanitäre Katastrophe in Japan und die verheerenden Folgen von Erdbeben und Tsunami haben uns alle erschüttert. Die anschließende atomare Katastrophe sollte auch für uns in der EU und in der Türkei eine Lehre sein, angesichts der energiepolitischen Pläne der türkischen Regierung, mehrere AKW zu bauen, und angesichts der Tatsache, dass das gesamte Territorium des Landes hochgradig erdbebengefährdet ist. Einem atompolitischen Irrweg der Türkei kann am besten durch eine strategische und energiepolitische Einbindung der Türkei durch die EU begegnet werden - einer Türkei, die sich wie übrigens fast alle EU-Länder hinter einem nationalen energiepolitischen Konzept versteckt. Unbestritten würde eine Türkei in der EU enorm positive Wirkungen bei den Integrationsbemühungen von Türkeistämmigen in der EU entfalten. Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung des Antrags, um die aktuellen Blockaden bei den Beitrittsverhandlungen aufzuheben, die Glaubwürdigkeit der EU zu bewahren, den Reformkräften in der Türkei den Rücken zu stärken und so für mehr Wohlstand, Stabilität und eine konsequente Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Auch hier wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/5042 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen. Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 18. März 2011, 9 Uhr, ein. Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten. Die Sitzung ist geschlossen.