Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/16/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben. ({0}) Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle stehen unter dem Eindruck der schrecklichen Ereignisse in Japan, nach denen es kein einfaches Eintreten in die Tagesordnung geben kann. Die Nachrichten über die Lage im Katastrophengebiet halten die Welt in Atem, auch die Menschen in unserem Land. Die geradezu apokalyptischen Bilder aus der betroffenen Region hätte sich fast niemand von uns auch nur vorstellen können, und wir wissen nicht einmal, ob das Schlimmste nun überstanden ist. Mit Bestürzung und Anteilnahme verfolgen wir alle die Folgen der gewaltigen Naturkatastrophe, die Japan und den gesamten pazifischen Raum ereilt hat. Das Ausmaß der immer deutlicher werdenden Verheerungen erschüttert uns alle. Die Auswirkungen auf die Menschen, auf die Umwelt, aber auch auf die Weltwirtschaft sind noch unabsehbar. Im Namen des Deutschen Bundestages habe ich bereits am vergangenen Freitag meinem japanischen Amtskollegen unser tiefes Mitgefühl übermittelt. Auch wenn uns derzeit vor allem die atomare Bedrohungslage umtreibt, gedenken wir in diesem Augenblick insbesondere der Opfer, die das heftige Erdbeben und die reißenden Fluten des Tsunami gekostet haben, der Tausenden Toten und ihrer Hinterbliebenen, der unzähligen Verletzten und der Hunderttausenden, die ihr Hab und Gut - nicht wenige vielleicht auch in schierer Verzweiflung den Lebensmut - verloren haben und die nicht wissen, wie es jetzt weitergehen soll. Ihrer wollen wir morgen auch in der täglichen ökumenischen Besinnung im Andachtsraum des Bundestages in besonderer Weise gedenken. Auf der Ehrentribüne hat der japanische Botschafter in Deutschland, Herr Dr. Takahiro Shinyo, Platz genommen, den ich herzlich begrüße. Sehr geehrter Herr Botschafter, unsere Gedanken sind beim japanischen Volk, das sich in diesen Tagen mit bewundernswerter Ruhe und beispielloser Disziplin den Auswirkungen der Katastrophe entgegenstemmt. Wir denken in dieser Stunde auch an unsere japanischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland, die fern der Heimat vielfach noch im Ungewissen über das Schicksal ihrer Verwandten und Freunde im Katastrophengebiet sind. Sie alle können mit unserer Solidarität und unserer Unterstützung bei der Bewältigung der Katastrophe rechnen, bei den Sofortmaßnahmen wie beim längerfristigen Wiederaufbau, schon gar in einem Jahr, in dem wir gemeinsam an 150 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern erinnern. Ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland helfen wollen, und bin mir sicher, dass der Spendenaufruf des Bundespräsidenten auf offene Ohren stößt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Japan einmal mehr die unbändige Kraft von Naturgewalten erlebt. Sie haben eine unfassbare Spur der Verwüstung hinterlassen. Wir erfahren aber auch die Risiken unserer Zivilisation, einer hochindustrialisierten und -technisierten Welt. Die Angst vor der atomaren Katastrophe hinterlässt Spuren in der internationalen Staatengemeinschaft, auch in Deutschland. Zivilisationsrisiken sind in anderer Weise als Naturereignisse kalkulierbar. Wir müssen aber immer wieder neu fragen, ob und unter welchen Bedingungen wir sie eingehen wollen. Die Sorgen vieler Menschen um ihre Sicherheit nehmen wir sehr ernst. Dies erfordert, scheinbare Gewissheiten neu zu hinterfragen. Alle Aspekte, die sich aus der Nutzung unterschiedlicher Energieressourcen ergeben, müssen erneut geprüft und neu bewertet werden. Ich wünsche mir und bin überzeugt, dass wir im Deutschen Bundestag die Kraft aufbringen, mit dem nötigen Ernst und der angemessenen Sachlichkeit über die sich neu stellenden Fragen der Energie- wie der Umweltpolitik zu sprechen. Dazu wird morgen früh Gelegenheit sein. Sie haben sich im Andenken und zur Würdigung der Opfer von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Eidesleistung des Bundesministers des Innern Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom 3. März 2011 mitgeteilt, dass er am selben Tage gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland auf Vorschlag der Frau Bundeskanzlerin den Bundesminister der Verteidigung, Herrn KarlTheodor Freiherr zu Guttenberg, und den Bundesminister des Innern, Herrn Dr. Thomas de Maizière, aus ihren Ämtern als Bundesminister entlassen und Herrn Dr. Thomas de Maizière zum Bundesminister der Verteidigung und Herrn Dr. Hans-Peter Friedrich zum Bundesminister des Innern ernannt hat. Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 vorgesehenen Eid. Herr Dr. Friedrich, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten. ({1}) Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich möchte Sie bitten, den im Grundgesetz vorgesehenen Eid zu leisten.

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Bundesminister, Sie haben den in der Verfassung vorgesehenen Eid geleistet. Ich darf Ihnen für die übernommene Aufgabe alles Gute, Erfolg und Gottes Segen wünschen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Minister:in)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Präsident. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auch dem neuen Bundesminister der Verteidigung, Herrn Dr. Thomas de Maizière, im Namen des ganzen Hauses für seine Aufgabe alles Gute und viel Erfolg wünschen. ({0}) Zugleich danke ich dem ausgeschiedenen Bundesminister Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg für seine Tätigkeit in diesem Amt. ({1}) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen Umbruch in der Arabischen Welt Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Dr. Guido Westerwelle. ({2})

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nordafrika und die arabische Welt erleben eine historische Zäsur. Die Freiheitsbewegung, die als JasminRevolution auf den Straßen Tunesiens begann, hat viele andere Staaten erreicht. Als Demokraten stehen wir an der Seite von Demokraten. Wir Deutschen haben das Glück, eine friedliche Revolution im eigenen Land erlebt zu haben, die zur Einheit unseres Landes und zur Vereinigung Europas geführt hat. Unser Land ist auf den Werten der Freiheit gebaut. Es sind diese freiheitlichen Werte, nach denen jetzt Millionen Menschen im nördlichen Afrika und in der arabischen Welt verlangen. Wir werden diese Völker dabei als Bundesrepublik Deutschland unterstützen. ({0}) Die Sehnsucht nach Freiheit ist nicht begrenzt auf eine Kultur, auf eine Region oder gar auf eine Religion. Es ist ein Irrglaube, es gebe Kulturen, in denen der Mensch auf Dauer unfrei sein müsse. Es gibt keine Kultur der Unfreiheit. Unfreiheit ist Ausdruck von Unkultur. Eine weitere Erkenntnis können wir aus dieser Entwicklung gewinnen: Nicht eine autokratische Regierung macht ein Land stabil, sondern eine stabile Gesellschaft ist die Voraussetzung für die Stabilität eines Landes. Wir wollen stabile Demokratien und demokratische Stabilität. ({1}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Marokko hat König Mohammed VI. vor wenigen Tagen eine Verfassungsreform eingeleitet, die viele Forderungen aus der Gesellschaft aufgreift. Das macht Mut, aber es werden die Taten zählen. Das Beispiel Marokko zeigt, wie eine Regierung den Weg zur Öffnung und zur Demokratisierung der Gesellschaft einschlagen kann. Mit großer Sorge blicken wir nach Jemen, wo ein von breiten Schichten der Gesellschaft getragener Protest immer gewaltsamer niedergeschlagen wird. Bereits vor einem Jahr, bei meinem Besuch im Jemen, habe ich Präsident Salih eindringlich darauf hingewiesen, wie notwendig der friedliche gesellschaftliche Ausgleich für die Stabilität des Jemen ist. Heute müssen wir feststellen: Die Zeit wurde nicht genutzt, und die Lage im Jemen hat sich dramatisch verschlechtert. Mit Sorge verfolgen wir auch die alarmierenden Nachrichten aus Bahrain. Wir rufen alle Beteiligten im Land selbst zum Dialog auf, und wir rufen die Länder in der Region zur Zurückhaltung auf. Die Eskalation der Gewalt muss ein Ende haben und einem ernsthaften Dialog, einem nationalen Dialog zwischen Regierung und Opposition Platz machen. Eine Lösung muss im Land selbst gefunden werden. ({2}) Im Iran geht die Führung in diesen Tagen erneut mit äußerster Härte gegen die Opposition vor. Die iranische Regierung will mit diesem Vorgehen Stärke demonstrieren, sie offenbart aber nur Schwäche. ({3}) Wir fordern die iranische Führung auf, die Unterdrückung der Opposition unverzüglich zu beenden und dem iranischen Volk die ihm zustehenden Freiheitsrechte zu gewähren. ({4}) Die Sehnsucht nach Freiheit und Teilhabe, nach Würde und Gerechtigkeit wächst auch in vielen anderen Ländern des Mittleren Ostens von Tag zu Tag und bricht sich Bahn. Die Lage in der Region ist von Land zu Land verschieden. Deshalb brauchen wir maßgeschneiderte politische Antworten. Eines aber haben alle diese Aufbrüche gemeinsam: den unbedingten Willen zu Freiheit, zu Teilhabe und zu neuen Chancen. Ich danke den Frauen und Männern der Bundeswehr, den Angehörigen des Auswärtigen Dienstes und den vielen Hilfsorganisationen für ihre Leistung bei der Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen und für ihren Beitrag, zahlreiche ägyptische Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zu ihren Familien zu bringen. Wenn alles gut gegangen ist, denkt man, dass es einfach war. Aber ich weiß, dass es alles andere als einfach war. Deswegen möchte ich vor diesem Hohen Hause - ich hoffe, in Ihrer aller Namen - diesen Dank ausdrücklich aussprechen. ({5}) In Libyen führt ein Diktator Krieg gegen das eigene Volk. Im Angesicht dieses Verbrechens ist sich die internationale Staatengemeinschaft einig: Der Diktator muss gehen. Mit seinen Taten stellt sich Oberst Gaddafi außerhalb der Völkergemeinschaft. Er hat jede Legitimation verwirkt. An dieser frühzeitig eingenommenen eindeutigen und entschiedenen Haltung der Bundesregierung ändern auch vergiftete Freundlichkeiten des Diktators nichts. Wir haben mit unserer Forderung nach raschen Sanktionen breite Unterstützung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und in der Europäischen Union erhalten. Die Auslandsvermögen der Herrscherfamilie wurden eingefroren. Reiseverbote sind in Kraft. Wir sind uns im Sicherheitsrat, in der Europäischen Union und auch unter den G-8-Staaten - das hat gestern das Treffen der Außenminister gezeigt - einig, dass der Diktator für diesen Feldzug gegen sein eigenes Volk zur Verantwortung gezogen werden muss. Das wird Aufgabe des Internationalen Strafgerichtshofs sein. Wir setzen uns in New York dafür ein, den politischen Druck weiter zu erhöhen, bis dieses Ziel erreicht ist. Wir werden im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen heute und in den kommenden Tagen das weitere Vorgehen abstimmen. Die Bundesregierung wirbt in New York nachdrücklich für noch umfassendere Wirtschafts- und Finanzsanktionen. Wir wollen die Geldflüsse in das System Gaddafi, soweit irgend möglich, stoppen. Wir wollen dem Regime die Grundlage seines Handelns und seines Krieges gegen das eigene Volk entziehen. Die Bilder und die Nachrichten von vorrückenden Truppen Gaddafis, von blutiger Gewalt und von gefallenen Städten in Ostlibyen bedrücken uns. Aber die vermeintlich einfache Lösung einer Flugverbotszone wirft mehr Fragen und Probleme auf, als sie zu lösen verspricht. Die Flugverbotszone - darüber kann auch das Wort nicht hinwegtäuschen - ist eine militärische Intervention, bei der nicht einmal klar ist, dass sie in einem Land wie Libyen wirkungsvoll sein kann. Ich darf darauf aufmerksam machen, dass Libyen ein Land ist, das etwa viermal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Am Ende darf nicht genau das Gegenteil dessen stehen, was wir politisch erreichen wollen. Am Ende darf unser Handeln nicht zu mehr Gewalt - statt zu mehr Freiheit und zu Frieden - führen. Ein solches Ergebnis würde die demokratischen Bewegungen in ganz Nordafrika schwächen und nicht stärken. Jeder Schritt muss auch vor dem Hintergrund bewertet werden, welche Folgen er für die Staaten in Nordafrika hätte, die sich seit der Jasmin-Revolution in Richtung Demokratie, in Richtung von mehr Freiheit auf den Weg gemacht haben. Die Folgen eines Militäreinsatzes würden nicht nur Libyen betreffen, sondern in die gesamte nordafrikanische Region und in die gesamte arabische Welt ausstrahlen. Wir verstehen, dass alle Möglichkeiten geprüft werden. Das Durchsetzen einer Flugverbotszone aber ist eine militärische Intervention. Niemand soll sich der Illusion hingeben, es gehe lediglich um das Aufstellen eines Verkehrsschildes. Um ein Flugverbot durchzusetzen, müsste zunächst die libysche Flugabwehr militärisch ausgeschaltet werden. Die Bundesregierung betrachtet deshalb ein militärisches Eingreifen in Form einer Flugverbotszone mit großer Skepsis. Wir wollen und dürfen nicht Kriegspartei in einem Bürgerkrieg in Nordafrika werden. Wir wollen nicht auf eine schiefe Ebene geraten, an deren Ende dann deutsche Soldaten Teil eines Krieges in Libyen sind. ({6}) - Ich wünschte, meine Damen und Herren von der Linksfraktion, Sie wären auch bei anderen Fragen so entschieden, wenn es um Demokratie und Freiheit geht. ({7}) Aber was geschieht, wenn die Angriffe am Boden weitergehen? Müssen wir Gaddafis Panzer dann aus der Luft bekämpfen? Und wenn das nicht reicht, müssen wir dann Bodentruppen schicken? Die Alternative ist nicht Tatenlosigkeit, sondern sind gezielte Sanktionen, die den Druck auf Gaddafi erhöhen. In den vergangenen Tagen haben wir zudem erste Kontakte mit dem Nationalen Übergangsrat geknüpft. Wir sehen in ihm einen wichtigen politischen Ansprechpartner. Die Entscheidung über den richtigen Weg im Angesicht menschenverachtender Gewalt ist alles andere als einfach. Als Mitglied des Sicherheitsrates trägt Deutschland in dieser schwierigen Lage besondere Verantwortung für die internationale Sicherheit. Wir respektieren und begrüßen den Beschluss der Arabischen Liga vom vergangenen Wochenende. Aber wir sehen die Verantwortung für das weitere Handeln der internationalen Staatengemeinschaft zuerst bei den Staaten der Region. Dies wird auch unsere Haltung bei den Beratungen in New York bestimmen. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, eine stabile Demokratie entsteht nicht über Nacht. Ein solcher Prozess kann Jahre, manchmal Jahrzehnte dauern. Wir wollen die Länder Nordafrikas dabei unterstützen, eine feste, tragfähige Demokratie in einer starken Zivilgesellschaft zu verankern. Wir stehen in der arabischen Welt vor einem Neubeginn voller Chancen. Aber nicht nur die Völker der Region, sondern auch wir brauchen einen langen Atem. Dieser arabische Frühling ist eine historische Chance für Frieden und Wohlstand in der gesamten Region mit positiven Folgen weltweit. Deutschland und Europa stehen als Partner bereit, damit der demokratische Aufbruch in Nordafrika und anderen Teilen der arabischen Welt tatsächlich gelingen kann. Der Umbruch in Tunesien und Ägypten ging von der Mitte der Gesellschaft aus, und er wurde von ihr getragen. Wir haben größten Respekt vor dem Mut all jener, die friedlich und ohne Waffen auf die Straße gegangen sind, um sich den Herrschenden in ihren Ländern entgegenzustellen. In den Straßen von Tunis können die jungen Frauen und Männer vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben völlig frei reden. Sie haben vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, ihre eigene Zukunft in den Händen zu halten. Sie spüren, dass sie selber entscheiden können, wie sie leben wollen. Was sich die Menschen in Tunesien wünschen, was sie sich erträumen, ist unseren Wünschen und unseren Träumen sehr nah. Die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit, in Würde und Gerechtigkeit verbindet uns über das Mittelmeer und über alle Grenzen hinweg. Gleichzeitig erreichen uns die Bilder von Flüchtlingsbooten vor Lampedusa. Klar ist: Wir können nicht alle Menschen aus Nordafrika in Europa aufnehmen. Wir wollen vielmehr dabei helfen, dass die Menschen im eigenen Land eine gute Zukunft für sich sehen. Jetzt zu handeln, jetzt vor Ort zu helfen, ist die beste Politik, um Flüchtlingsströme einzudämmen. ({8}) Der Aufbruch, dessen Zeuge wir sind, ist eine große Chance für beide Seiten. Es ist die Chance auf ein neues, produktives Miteinander der Länder nördlich und südlich des Mittelmeers. Er ist auch eine Chance für Deutschland. Wenn diese Gesellschaften in neuer Freiheit ihre ganze Kreativität und ihre Talente entfalten, können neue Mittelschichten in Nordafrika unsere kommenden Partner - auch Wirtschaftspartner - werden. Umgekehrt können wir durch Investitionen und Handelsaustausch die wirtschaftlichen Chancen für die Menschen und gerade auch für die jungen Menschen dort verbessern. Es bleibt ein unvergessliches Erlebnis, das ich auf dem Tahrir-Platz gewissermaßen stellvertretend für Sie und für viele andere Staatsbürgerinnen und Staatsbürger hatte, als auf dem Tahrir-Platz in Kairo Hunderte spontan zusammenkamen, weil sie erfuhren, dass eine deutsche Delegation dort ist, und sie riefen: Es lebe Ägypten, es lebe Deutschland! - Das war Ausdruck des hohen Ansehens, das wir uns in Ägypten erworben haben. Es zeigt, dass unsere Politik der Parteinahme für den demokratischen Aufbruch, ohne dabei die ägyptische Souveränität dieses stolzen Volkes infrage zu stellen, richtig war. Es war aber auch Ausdruck der enormen Erwartungen gerade der ägyptischen Jugend an unser Land. Wir haben Tunesien und Ägypten sehr früh eine Transformationspartnerschaft angeboten, weil wir den Aufbruch zu Demokratie von Beginn an nach besten Kräften unterstützen wollten. Das jetzt beschlossene Konzept der Europäischen Union für eine Partnerschaft für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand trägt in weiten Teilen die Handschrift der Bundesregierung. ({9}) Vier Punkte stehen dabei im Vordergrund. Erstens. Die europäische Nachbarschaftspolitik muss neu ausgerichtet werden. Ihre strategischen Ziele und Grundsätze bleiben gültig. Aber mehr als bisher werden wir die Unterstützung der Europäischen Union an klare Erwartungen knüpfen. Am vergangenen Freitag hat der Europäische Rat beschlossen, dass wir Leistungen an unsere Mittelmeerpartner an sichtbare Fortschritte bei Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, in Richtung unabhängiger Justiz und bei der Korruptionsbekämpfung knüpfen werden. Gerade die Zeichnung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen, wie sie die tunesische Regierung nach dem Sturz Ben Alis auf die TagesordBundesminister Dr. Guido Westerwelle nung der ersten Kabinettsitzung setzte, dokumentiert diesen Willen zum Neuanfang. Zweitens stärken wir den Aufbau und Ausbau der Zivilgesellschaft. Träger des Aufbruchs sind neue politische und gesellschaftliche Kräfte, die noch am Anfang stehen. Sie sind kaum organisiert, und sie brauchen unsere Unterstützung; ich denke etwa an die eindrucksvolle Begegnung mit dem Vorsitzenden der tunesischen Menschenrechtsliga. Dafür wollen wir die etablierten Kontakte unserer Botschaften nutzen, aber auch die Netzwerke von Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und Parlamentariergruppen. Eine besondere Rolle kommt den politischen Stiftungen zu, mit denen wir uns in Tunis wie in Kairo getroffen haben und von denen es in Europa kaum ihresgleichen gibt. Sie verfügen über ein enges Netzwerk an Ansprechpartnern, von denen viele aktiv an den Freiheitsbewegungen beteiligt waren. Ihre langjährige Erfahrung wollen wir verstärkt nutzen und unseren neuen Partnern anbieten. Drittens fördern wir eine umfassende Demokratisierung. Die Regierungen in Tunis und Kairo sind Übergangsregierungen, die in Zeiten des Umbruchs entstanden sind. Heute stehen teilweise schon andere Personen an ihrer Spitze als bei meinem Besuch vor wenigen Wochen. Ihnen fehlt noch die demokratische Legitimation. Für den Umbau der Gesellschaft brauchen die Regierungen aber den Rückhalt der Mehrheit im Volk. Die Zeit für die Organisation der freien politischen Willensbildung ist knapp, Erfahrungen darin noch knapper. Wir haben deshalb angeboten, bei allen Fragen der Vorbereitung und Durchführung freier und fairer Wahlen zu helfen. Viertens wird es für das Gelingen des Aufbruchs in der arabischen Welt entscheidend sein, dass die Menschen die Früchte ihres Aufbegehrens auch im täglichen Leben spüren. Arme und ausgegrenzte junge Frauen und Männer haben ebenso wie die gut Ausgebildeten aus der Mitte der Gesellschaft nicht allein für Freiheit, sondern auch für ihre Lebenschancen demonstriert. Damit der politische Aufbruch Erfolg hat, müssen politische Entwicklungen und wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt Hand in Hand gehen. Wenn uns an ihrem Erfolg liegt, dann müssen wir rasch und gezielt auch wirtschaftlich helfen. Damit meine ich vor allem Hilfe zur Selbsthilfe. Die Tourismuswirtschaft spielt eine große Rolle, aber wir müssen auch mehr Handel zulassen und unsere Märkte in Europa öffnen. Auch über Agrarexporte, die für diese Länder eine wichtige Rolle spielen, werden wir in Brüssel sprechen müssen. ({10}) Zugleich wollen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass noch mehr als die beispielsweise 270 deutschen Unternehmen allein in Tunesien, die dort investieren, in der Region tätig werden. Die Rechtssicherheit in diesen Ländern muss gestärkt werden, sonst können private Investitionen kaum in großem Umfang fließen. Unser Angebot ist ein Nord-Süd-Pakt, der umfassend und auf Dauer angelegt ist. Mittel- und langfristig entscheidet aber vor allem ein Thema über die Zukunft dieser Länder und Gesellschaften: die Bildung. Sie ist das Kapital der Zukunft bei uns - das wissen wir - genauso wie in Nordafrika. Die Bundesregierung wird den Deutschen Bundestag bitten, in den kommenden zwei Jahren insgesamt 100 Millionen Euro für Partnerschaften mit Nordafrika und dem Nahen Osten bereitzustellen. Das Kabinett hat heute Morgen einen entsprechenden Beschluss gefasst. 40 Millionen Euro davon wollen wir für ein Stipendienprogramm und für Bildungspartnerschaften mit den Schulen und Hochschulen dieser Länder nutzen. Die Vernetzung junger Menschen, der Transfer unseres Know-hows und unserer gesellschaftlichen Werte und Maßstäbe sollen unseren Gesellschaften wechselseitig zugutekommen. Gemeinsam mit den Bundesministern Annette Schavan, Dirk Niebel und Rainer Brüderle werden wir zusätzliche Angebote für die Bildung, insbesondere die berufliche Bildung, entwickeln - eine der großen Stärken unseres deutschen Bildungssystems. Wir müssen uns auch mit einer weiteren bedeutenden Frage befassen: Welche Folgen hat der Umbruch in der arabischen Welt für unseren Partner Israel? Die historischen Veränderungen in der Region dürfen nicht zu einem Weniger an Sicherheit für Israel führen. Darauf wird Deutschland besonders achten. Wir setzen uns dafür ein, dass die Zukunft Israels in einer stabileren und demokratischeren Nachbarschaft abgesichert werden kann. Auch deshalb machen die Umbrüche in der gesamten Region eine Lösung des Nahostkonfliktes durch eine gerechte Zwei-Staaten-Lösung umso dringlicher. Mut und Weitblick, nicht Zaudern und Zögern, sind jetzt gefragt, ({11}) damit der Stillstand bei den Friedensgesprächen endlich überwunden werden kann. ({12}) Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, die Unterstützung des Umbruchs in der arabischen Welt entspricht unseren Werten wie unseren Interessen gleichermaßen. Dabei dürfen wir nie vergessen, dass jedes Land selbst über sein Schicksal zu entscheiden hat. Jeder Mensch schuldet jedem Menschen Respekt, und jedes Land schuldet jedem Land Respekt. Jede Bevormundung verbietet sich. Nur wenn die Reformen von den Gesellschaften Nordafrikas selbst getragen werden, werden sie von Dauer sein. ({13}) Wir haben unsere Angebote gemacht: bei der Reform politischer Institutionen, beim Umbau der Verwaltung, bei der Verankerung und Stärkung von Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit und beim Ausbau der Bil10818 dung. Es geht uns dabei um rasche, aber nicht allein um kurzfristige Hilfe. Wir arbeiten für eine langfristig angelegte Partnerschaft, eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Niemand kann heute mit Sicherheit vorhersagen, wie es in Nordafrika und der arabischen Welt weitergehen wird. Es wäre vorschnell, anzunehmen, der Wandel wäre einfach oder die Freiheit hätte bereits gesiegt. Die Demokratiebewegung muss sich vielerorts stabilisieren, muss teils auch erst richtig beginnen, sich zu organisieren. Noch sind die alten Kräfte vielerorts fest im Sattel, noch verfügen sie über Geld und Einfluss. Die nächsten sechs Monate werden für die politische Entwicklung entscheidend sein, aber das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen. Ich bin zuversichtlich, dass der Aufbruch am Ende erfolgreich sein wird. Der Impuls der Demokratiebewegungen kommt nicht von außen. Er kommt in jedem Land aus der Mitte der Gesellschaft. Die Umbrüche sind nicht vom Westen gestartet worden. Sie werden auch nicht vom Westen gesteuert. Das ist allein die Propaganda derer, die vieles im Sinn haben, nur nicht die Freiheit ihrer Völker. ({14}) Jedes Land muss seinen eigenen Weg finden, jede Gesellschaft ihren eigenen Weg gehen. Mit Rat und Tat wollen wir helfen, aber auch mit Respekt und Anerkennung für den großen Mut der Menschen. Die Völker der arabischen Welt nehmen in diesen Monaten ihre Zukunft selbst in die Hand. Den Fahrplan zur Freiheit bestimmen sie selbst, aber wir Deutsche, wir Europäer stehen ihnen zur Seite. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, und ich danke dafür, dass trotz der schrecklichen Bilder aus Japan, die wir sehen, und trotz der vielen Fragen, die uns beschäftigen, sich so viele von Ihnen die Zeit genommen haben, an dieser Debatte im Deutschen Bundestag über die Entwicklung in Nordafrika teilzunehmen. Ich glaube, allein schon das ist ein wichtiges Zeichen der Unterstützung an die gesamte Zivilgesellschaft in der arabischen Welt und in Nordafrika. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nach dieser Regierungserklärung eröffne ich jetzt die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Dr. Rolf Mützenich von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es angesichts der schrecklichen Bilder aus Japan schwer, sich heute im Parlament auf andere Themen zu konzentrieren. Wir müssen es tun, aber ich will an dieser Stelle sagen, dass wir gestern als Deutsch-Japanische Parlamentariergruppe auf Einladung des japanischen Botschafters in der japanischen Botschaft waren, um zu kondolieren und um noch einmal über die deutsch-japanischen Beziehungen in der Zukunft zu sprechen. Dabei ging es um Hilfsangebote und um die Frage, was der Deutsche Bundestag tun kann, aber auch um das, was wir vor einigen Wochen mit einem Antrag zu 150 Jahren deutsch-japanischen Beziehungen im Deutschen Bundestag beschlossen haben. Wir haben uns auf die Aktivitäten und die Arbeit in den nächsten Wochen und Monaten gefreut. Ich wäre froh, wenn angesichts der Bilder aus Japan in der deutschen Debatte manchmal innegehalten würde, wenn wir leichtfertig den Begriff der Katastrophe für das eine oder andere bemühen, das uns in Deutschland möglicherweise belastet. ({0}) In der Tat ist das, was in der arabischen Welt, in Nordafrika und in unserer unmittelbaren Nachbarschaft passiert, ein wichtiges Thema. Ich glaube, wir müssen eines deutlich machen: Libyen ist nicht das Gesicht der Veränderung in Nordafrika oder in der arabischen Welt. Das sind vielmehr die jungen Menschen, die mutigen Frauen; es sind diejenigen, die auf dem Tahrir-Platz oder in Tunis demonstriert haben - einige haben ihr Leben gelassen oder sind verletzt worden - und Regime gestürzt haben. Das ist das Bild, und das muss auch unser Bild der arabischen Welt insgesamt bleiben, weil das nach meinem Dafürhalten auch die Chancen deutlich macht. Diese Menschen wollen in ihren Gesellschaften leben. Sie wollen nicht fliehen. Sie wollen etwas aufbauen, das es ihnen möglich macht, mit Europa in einer wichtigen Region, in der Mittelmeerwelt, zusammenzuleben, die in der Zukunft Prosperität und Kultur zeigen kann. Ich glaube, wir müssen den deutschen Bundesbürgern auch vermitteln, dass selbst angesichts der Bilder aus Libyen in dieser Entwicklung mehr Chancen als Risiken liegen. ({1}) Auch wenn an dieser Stelle nicht oft darüber gesprochen wird, sind natürlich Fehler gemacht worden, auch immer dann, wenn es um totalitäre Regime in unserer Nachbarschaft ging. Dennoch möchte ich Sie fragen, ob die scheinbar einfachen Antworten auf eine solche Frage wirklich zutreffen. Denn was wäre passiert, wenn wir in den 90er-Jahren nicht mit Gaddafi über den Verzicht auf Atomwaffen verhandelt und wenn wir nicht versucht hätten, das Gespräch über einen Verzicht zu suchen? Wir wären heute in einer Situation, die die Bearbeitung dieser internationalen Krise noch erschweren würde! Deswegen darf man nicht einfach diese Alternativen so aufbauen. Ich bekenne mich dazu, dass Fehler bei einzelnen Dingen gemacht worden sind. Aber man darf das nicht nur schwarz-weiß darstellen. Deswegen gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keine einfachen Lösungen, um mit der libyschen Krise umzugehen, was nach meinem Dafürhalten in erster Priorität zivil und friedlich geschehen sollte. Für mich zählt dazu, dass insbesondere die internationale Gemeinschaft geeint bleibt. Denn das ist eines der wichtigsten Instrumente, um überhaupt Einfluss zu nehmen. Deswegen war es gut, dass es die Sicherheitsratsresolution 1970 gegeben hat. Das ist oft schnell zur Seite geschoben worden. Plötzlich haben auch einige Länder gesagt: „Wir sind für Sanktionen und sogar für das Instrument des Internationalen Strafgerichtshofes“, die das für sich selbst nicht wollen. Sie begreifen diesen Internationalen Strafgerichtshof als Fortschritt des Völkerrechts. Deshalb wollen sie ihn als Instrument einsetzen. Das sind wichtige Dinge, die nach meinem Dafürhalten in den letzten Wochen und Monaten vorangekommen sind. Herr Westerwelle, Sie haben auf die Sanktionen und auf andere Dinge hingewiesen. Dennoch, Herr Bundesaußenminister: Die UN-Charta beinhaltet auch das Instrument der Flugverbotszone. Deswegen wäre es eine kluge Politik, wenn wir in der internationalen Gemeinschaft zusammenbleiben wollen, deutlich zu machen, dass wir alle Instrumente der UNCharta wollen. Dann sollte man nicht schon im Vorgriff sagen, dass all diese Instrumente möglicherweise nicht wirken. Ich glaube, auch die Bundesregierung sollte etwas offener vorgehen; denn das gehört genauso wie damals zum Sanktionskatalog dazu, als die Resolution 1970 beschlossen worden ist. ({2}) Aber, Herr Außenminister, da gebe ich Ihnen recht: Man muss auch abwägen. Wir haben Erfahrungen im Irak, im Kosovo und an anderer Stelle gemacht. Wir machen auch die Erfahrung, dass es offensichtlich nicht nur die libysche Luftwaffe ist, sondern im Gegenteil: Wahrscheinlich macht es das, was auf dem Boden passiert, den Aufständischen so schwer, auch militärisch dem Druck von Gaddafi zu widerstehen. Auch diese Fragen müssen gestellt werden. Aber dennoch: Innerhalb des Militärbündnisses müssen diese Optionen weiter auf dem Tisch bleiben, weiter geprüft werden, und unter Umständen, wenn es noch einen Beschluss im Sicherheitsrat geben sollte, muss auch hier erwogen werden, ob es notwendig ist, sie zu nutzen. Herr Bundesaußenminister, ich habe einen großen Teil Ihrer Versuche unterstützt, innerhalb der internationalen Gemeinschaft für Weltsicherheitsratsresolutionen und für anderes mehr zu werben. Aber was ich von Ihnen in Bezug auf die innenpolitische Diskussion gehört habe, hat, finde ich, dem Fass den Boden ausgeschlagen. Sie haben in einem Interview im Morgenmagazin am 11. März 2011 gesagt: Meine Aufgabe als Außenminister ist, dafür zu sorgen, dass wir als Deutsche nicht leichtfertig in einen Krieg hineingezogen werden, aus dem wir dann viele Jahre nicht hinauskommen können. ({3}) Das ist in der Tat richtig; das unterstütze ich auch. Aber unmittelbar danach sagten Sie folgenden Satz: Insoweit habe ich auch eine andere Vorstellung von Außenpolitik, als das vielleicht frühere Regierungen gehabt haben. Diesen Vorwurf finde ich schändlich. ({4}) Es sind wir von Rot-Grün gewesen, die verhindert haben, dass wir als Deutsche im Irakkrieg mit interveniert haben. Neben Ihnen sitzt eine Bundeskanzlerin, die nach Washington geflogen ist und den damaligen Präsidenten ermutigt hat, dort zu intervenieren. ({5}) Als Vertreter der SPD-Fraktion lasse ich es mir nicht bieten, dass Sie diese Verknüpfung herstellen. Das ist schäbig. Ich finde, das gehört zu einem Versuch, eine gemeinsame außenpolitische Position des Deutschen Bundestages zu halten, nicht dazu. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deswegen versuchen, diese innenpolitischen Debatten sein zu lassen. Ich habe das in den vergangenen Tagen versucht. Aber wichtig ist, Sie daran zu erinnern, dass auch Sie als Mitglied der Bundesregierung hierbei in der Pflicht sind. ({6}) Oft ist hier über die Arabische Liga gesprochen worden und darüber, dass sie uns auffordert, einer Flugverbotszone zuzustimmen. Heute Morgen haben wir darüber auch im Auswärtigen Ausschuss gesprochen. Es bietet sich ein sehr spannendes Bild. Auf der einen Seite fordert die Arabische Liga eine Flugverbotszone, auf der anderen Seite sagt sie, die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder sei nicht erlaubt. 24 Stunden später schickt ein wichtiges Land dieser Arabischen Liga, nämlich Saudi-Arabien, Truppen nach Bahrain und schafft damit möglicherweise eine zusätzliche Krisensituation. Dann erfahren wir, dass elf Außenminister bei der Sitzung der Arabischen Liga anwesend waren und zwei oder drei gegen diese Flugverbotszone gestimmt haben. Ich finde, zur Redlichkeit gegenüber diesem Instrument gehört - auch in der Berichterstattung -, über diese Entscheidungen hier zu informieren. Herr Bundesaußenminister, Sie haben zum Schluss insbesondere über die Rolle der Europäischen Union gesprochen. Das haben auch wir in den vergangenen Wochen hier im Deutschen Bundestag getan. Ich unterstütze Ihre Aufforderung, zum Beispiel an Deutschland und andere europäische Staaten, im Bereich der Bildung etc. mehr zu tun. Das gilt aber genauso für die Agrarpolitik. Bei dieser Aussage ist eben hier geklatscht worden. Darüber wird es nicht nur zum Schwur innerhalb der Europäischen Union kommen; es kommt auch zum Schwur innerhalb des Kabinetts. Mich würde interessieren, wie Sie möglicherweise die anderen Kabinettsmitglieder von der Freizügigkeit überzeugen, die Sie an dieser Stelle eingefordert haben. ({7}) Ich glaube, es kommt darauf an, dass wir auch in dieser schwierigen Situation eine Außenpolitik betreiben, bei der die Parteien des Deutschen Bundestages zusammenbleiben. Ich biete Ihnen, Herr Bundesaußenminister, und dem gesamten Kabinett das an. Ich bitte Sie deshalb, von dem einen oder anderen Reflex, den Sie möglicherweise noch aus alten Zeiten übernommen haben, in Ihrer Regierungstätigkeit abzusehen. ({8}) Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gaddafi führt Krieg gegen das libysche Volk. Ich sage bewusst nicht „gegen das eigene Volk“ oder „gegen sein Volk“; denn die Menschen in Libyen kämpfen für ihre Freiheit gegen einen Diktator, der schlimme Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht. Die libysche Führung muss abtreten und für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden. Die Staatengemeinschaft hat entschlossen gehandelt, Gaddafi ist isoliert, die EU hat ebenso wie die USA schnell Sanktionen gegen das libysche Regime verhängt. Über weitere wird diskutiert. Der VN-Sicherheitsrat hat im Februar mit der Zustimmung Russlands und Chinas Strafmaßnahmen gegen die libysche Führung verhängt und den Internationalen Strafgerichtshof mit Ermittlungen beauftragt. Deutschland hat zu dieser Entscheidung im Sicherheitsrat maßgeblich ermutigt. Die CDU/CSUFraktion dankt der Bundesregierung für ihr Engagement und ihre klare Haltung. ({0}) Aber ich sage auch: Das reicht nicht. Gestern hat Gaddafi in einem Gespräch mit RTL gesagt, Deutschland habe im Unterschied zu vielen anderen westlichen Ländern eine sehr gute Position eingenommen, weshalb er sich vorstellen könne, dass Deutschland weiterhin Ölaufträge bekomme. Das zeigt nur, wie paranoid dieser Mann ist und wie sicher er sich im Sattel fühlt. Es zeigt vor allem, wie wichtig es ist, dass wir im Sicherheitsrat weiter darauf drängen, alle verantwortbaren Maßnahmen zu prüfen, damit der Gewalt in Libyen so schnell wie möglich ein Ende gesetzt wird. Das sage ich nicht nur angesichts der Bilder von reihenweise abgeschlachteten Freiheitskämpfern. Der UNO-Sicherheitsrat muss weiter beraten, wie die libysche Bevölkerung vor den Verbrechen des Gaddafi-Regimes geschützt werden kann. Dabei dürfen auch Waffenlieferungen an die Freiheitskämpfer nicht ausgeschlossen werden. Wir brauchen eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Gaddafi und seinen Clan. Ich sage mit aller Klarheit für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Es muss alles getan werden, damit Gaddafi und auch seine Söhne, die jetzt das Abschlachten der Freiheitskämpfer organisieren, so schnell wie möglich vor den Internationalen Strafgerichtshof kommen. Herr Mützenich hat es gerade schon angesprochen: Die Arabische Liga hat die Vereinten Nationen am Wochenende aufgefordert, eine Flugverbotszone zu verhängen. Zugleich lehnte sie aber jede Form einer ausländischen Intervention in Libyen ab und betonte die territoriale Integrität und Souveränität Libyens. Das ist - der Herr Außenminister hat darauf hingewiesen - ein Widerspruch in sich. Wenn man eine Flugverbotszone zum Schutz der libyschen Bevölkerung wirklich durchsetzen will, muss man zunächst auf dem Boden die libysche Flugabwehr und andere Bodenstationen und Einrichtungen im Land ausschalten. Damit interveniert man militärisch in Libyen. Wenn die Arabische Liga eine Flugverbotszone also wirklich will, dann muss sie dies auch ohne Einschränkung sagen; vor allem aber muss sie selbst zur Durchsetzung einer solchen Flugverbotszone bereit sein. ({1}) Das von der Arabischen Liga geforderte Mandat der Vereinten Nationen ist sicherlich zwingend die erste Voraussetzung; entscheidend ist jedoch, dass auch beim Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen die arabische Eigenverantwortung im Vordergrund steht. Jeder muss sich im Klaren darüber sein, dass allein durch die Einrichtung einer Flugverbotszone das Morden des Gaddafi-Regimes nicht beendet wird. Wer stoppt die Panzer, die Artillerie, die gut ausgebildeten Söldnertruppen Gaddafis? Spätestens dann stellt sich die Frage nach einem Einsatz am Boden. Saudi-Arabien entsendet Soldaten nach Bahrain, um das bedrängte Königshaus zu verteidigen. Zum Schutz einer Befreiungsbewegung in Libyen unternimmt Riad bislang nichts. Wenn dies aber ausschließlich von der NATO und der EU als Konsequenz aus der Erklärung der Arabischen Liga erwartet wird, muss ich sagen: Eine solche Arbeitsteilung ist mit uns nicht zu machen. ({2}) Die Arabische Liga muss, wenn sie eine Flugverbotszone fordert, nicht nur politisch, sondern auch militärisch Verantwortung bei der Durchsetzung und den möglichen weiteren Konsequenzen übernehmen. Insbesondere Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sind hier gefordert; denn sie verfügen über die notwendigen militärischen Fähigkeiten, einschließlich einer modernen Luftwaffe. Die Arabische Liga spricht sich in ihrem Gründungsakt für die Einheit der arabischen Nation aus. Warum sind die arabischen Staaten, die das koloniale Erbe überwunden haben, bisher nicht bereit, dem bedrohten libyschen Brudervolk zu Hilfe zu kommen? Das wäre eine arabische und nicht erneut eine von außen geführte Intervention. Wir lassen die Freiheitsbewegung nicht im Stich. Aber wie sollen, solange die Staaten der Arabischen Liga nicht bereit sind, militärisch zu handeln, die NATO oder die EU militärisch unterstützend tätig werden können? Es geht um politische und militärische Unterstützung; aber der Transformationsprozess - Herr Außenminister, darauf haben Sie zu Recht hingewiesen - muss von der libyschen Freiheitsbewegung gestaltet werden. In Ägypten und Tunesien geht es jetzt darum, in kurzer Zeit die institutionellen und verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, um freie und faire Wahlen durchführen zu können. Der Zeitpunkt dieser Wahlen sollte so gewählt werden, dass wirkliche Chancengleichheit gewährleistet ist. Bei dem notwendigen Aufbau von Parteistrukturen und Jugendorganisationen können die deutschen politischen Stiftungen eine maßgebliche Rolle spielen. Extreme Islamisten spielen bei den Umbrüchen in Nordafrika bisher keine Rolle. Viele Träger des Wandels in Ägypten und Tunesien sind neue politische und gesellschaftliche Kräfte. In Ägypten haben die Muslimbrüder ihr Oppositionsmonopol verloren. Frauen haben bei den Protesten - auch das wurde schon gesagt - eine maßgebliche Rolle gespielt. Mit diesen Kräften muss der Dialog verstärkt werden mit dem Ziel, eine gleichberechtigte Bürgergesellschaft aufzubauen. Dieser Prozess muss inklusiv sein und auch die moderaten islamischen Kräfte einbeziehen. Gerade die Muslimbrüder müssen in die politische Mitverantwortung für den demokratischen Wandel genommen werden. Von zentraler Bedeutung ist für unsere Fraktion, dass der politische und gesellschaftliche Wandel nicht zulasten religiöser Minderheiten geht. Das gilt gerade für die christliche Glaubensgemeinschaft der Kopten in Ägypten. Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich die führende Rolle, die die Bundesregierung in den vergangenen Wochen bei der Unterstützung dieses historischen Wandels in der arabischen Welt gespielt hat. Die von Deutschland mit Erfolg angestoßene Transformationspartnerschaft mit Tunesien und Ägypten sollte als Vorbild für die Zusammenarbeit mit weiteren Staaten dienen, auch mit denen, die noch nicht in erheblichem Ausmaß von der Protestwelle und dem demokratischen Transformationsprozess erfasst worden sind. Es ist konsequent, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik auf den Prüfstand gestellt wird. Auch hier hat die Bundesregierung eine führende Rolle übernommen. Unsere Unterstützungsmaßnahmen müssen viel deutlicher als bisher an gute Regierungsführung sowie an politische und rechtsstaatliche Reformen gebunden werden. Zuallererst müssen wir jetzt kurzfristige Angebote machen, die in der kritischen Phase des Übergangs spürbare Wirkung für die Menschen zeigen und die deren wirtschaftliche Lage unmittelbar verbessern. Dazu gehört aber auch - das wurde hier ebenfalls bereits gesagt -, dass wir unsere Märkte für Produkte aus der Region öffnen - darin besteht Einigkeit, Herr Mützenich - und berufliche Bildung und Ausbildung in Deutschland ermöglichen. Gerade die Bildungszusammenarbeit, die Öffnung für die Bildungszusammenarbeit ist eine ganz entscheidende Voraussetzung für Zukunftschancen und für Lebenschancen der jungen Bevölkerung in Nordafrika. Wir brauchen mutige Entscheidungen; denn wir haben die historische Chance, unser Verhältnis zur arabischen Welt neu zu gestalten und auf eine gemeinsame Wertegrundlage zu stellen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine SPD-Kollegen haben mir zugerufen, ich solle den Außenminister nicht allzu sehr loben. Ich glaube, das hofft er auch. Ich werde mir Mühe geben, ihn nicht allzu sehr zu loben. Es steht genügend zwischen uns. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir sollten uns einen Moment darauf besinnen, die Bilder, die wir alle erleben, vielleicht auch im Inneren ein Stück weit zu verarbeiten und darüber nachzudenken, unsere Gefühle und möglichst auch unseren Verstand zu sortieren. Für mich ist das ein furchtbares Wechselbad von Gefühlen: die Riesenbegeisterung, die ich gehabt habe angesichts der Bilder vom Tahrir-Platz - ich war kurz vorher in Ägypten -, von dem Freiheitswillen, dem Ruf nach Freiheit, der von dort ausgegangen ist, dem Engagement für Freiheit, und dann die entsetzlichen Bilder aus Libyen, die ich wahrnehme, wo man versucht, den Freiheitswillen mit Militär zusammenzuschießen. Es ist außerdem ein Wechselbad der Gefühle, wenn ich die Bilder aus Japan auch nur ein Stück weit wirklich an mich herankommen lasse. Ich glaube, wir müssen uns zugestehen, dass wir in einer Zeitenwende, in einer wirklichen Zeitenwende leben. Wir erleben einen tiefen Bruch von Zivilisation und müssen neue Antworten darauf geben. Die alten Reden, die Phrasen der Vergangenheit tragen nicht mehr in die Zukunft. Ich finde, das ist ein Signal, das vom Bundestag ausgehen müsste. ({0}) Ich teile die Auffassung, dass der Umbruch in Ägypten nicht ein Werk des Westens war. Die Leute haben ge10822 sagt: Vom Westen wollen wir überhaupt nichts wissen. Da habe ich eine ganz andere Wahrnehmung. Ich glaube auch nicht, dass Deutschland in erheblichem Maße an diesem Umbruch im positiven Sinne beteiligt war, sondern eigentlich eher im negativen Sinne. Wir haben all die Regime mit zu verantworten gehabt. Wir haben sie gestützt, gestärkt, ihnen die Hand gehalten, und wir haben mit ihnen paktiert. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. Deswegen sollte die erste Botschaft des Bundestages sein, dass wir uns mit großem Respekt an die Menschen wenden, die ihr Leben und ihre Gesundheit eingesetzt haben, um Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu erreichen: in Ägypten, in Tunesien und auch in Libyen. Diesen Respekt sollten wir in diesem Hause aussprechen und sagen: Es war nicht unser Umbruch. Es war nicht unsere Revolution. Es war euer Umbruch. Es war eure Revolution. Dafür sind wir euch dankbar. Davon erwarten wir uns auch etwas für uns und für die Gestaltung hier in unserem Lande. ({1}) Meine zweite Bitte ist, dass wir viel dafür tun, dass der Freiheitsimpuls aus den nordafrikanischen und arabischen Ländern durch die Unterdrückung der Freiheit durch Gaddafi oder Bahrain nicht verloren geht. Er muss im Vordergrund bleiben. Da manche noch mit dem Bild herumrennen, Gaddafi habe angeblich einmal etwas mit einer antiimperialistischen Bewegung zu tun gehabt, möchte ich Folgendes sagen: Gaddafi ist nicht links, Gaddafi ist nicht Freiheit, sondern Gaddafi ist das Gegenteil von links und von Freiheit. Eine solche Politik darf man - und das gilt auch für eine ganze Reihe anderer Länder - nicht unterstützen, egal wo in der Welt man Verantwortung trägt. ({2}) - Ach komm, hör auf! Ich möchte aber gerade in diesem Zusammenhang die Frage stellen: Wie kann man überhaupt helfen? Welche Möglichkeiten haben wir außer Krieg und dem Einsatz von Militär, wenn man diese nicht als Hilfsmittel ansieht, sondern eher als das Gegenteil davon? Ich denke, dass man, auch in Libyen, nach wie vor auf die Vermittlung zwischen den Bürgerkriegsparteien setzen muss. Das klingt nicht leicht; aber es wäre eine Aufgabe für Deutschland, das auch im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen durchzusetzen. Vermitteln ist in einer solchen Situation besser, als die Menschen weiter aufeinander schießen zu lassen. Wer die Menschen wirklich retten will, muss sich für eine Vermittlung einsetzen. ({3}) Ich bin strikt dafür, dass handelspolitische Maßnahmen ergriffen werden. Wenn wir für Öl kein Geld mehr bezahlen und die Öllieferungen ausgesetzt werden, wird uns das zwar in Probleme bringen. Es wäre aber ein wirksames Mittel in der Auseinandersetzung mit dem Gaddafi-Regime. Es ist interessant, dass über diese Frage kaum nachgedacht wird. Ich bin ganz entschieden dafür, dass das Verbot von Waffenexporten nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft für die gesamte Region, also den Nahen Osten und Nordafrika, durchgesetzt wird. Es darf keine Waffenlieferungen mehr geben. Denn - diese Frage ist doch berechtigt - was passiert später mit den Waffen? Ich sage ehrlich: Ich möchte, dass Deutschland als Nation und als Mitglied der Europäischen Union vorangeht, was die Aufnahme von Flüchtlingen angeht. ({4}) Wir können den Menschen doch nicht auf die Schulter klopfen und sagen: Ihr habt gut für Demokratie gekämpft, aber bleibt, wo ihr seid. - Wenn wir den Menschen, die für Demokratie gekämpft haben und kämpfen, Respekt entgegenbringen, muss unser Land sich für die Flüchtlinge öffnen und in dieser Hinsicht ein Vorbild sein. Dazu gehört, dass man FRONTEX aufkündigt. Dazu hat der Außenminister hier nichts gesagt - wohl aus guten Gründen. ({5}) Wenn man das tut, ist das schon eine ganze Menge. Ich füge hinzu, dass ich militärische Maßnahmen für völlig ungeeignet halte. Ich habe die Bilder vom Irakkrieg noch gut in Erinnerung, ebenso die Rede von Condoleezza Rice, die nach dem Irakkrieg glaubte, im Irak einen neuen Nahen Osten erkennen zu können. Das Ergebnis des Irakkrieges kennen wir alle. Deswegen warne ich davor, allzu leicht über Krieg und Militär zu reden und möglicherweise irgendwo hineinzurutschen, wo man vielleicht nicht wieder herauskommt. Ich sage kategorisch: Kein Krieg für Öl! Keine militärische Unterstützung, weder der einen noch der anderen Seite! Ich gestehe der Bundesregierung zu, Herr Außenminister, dass sie sich in dieser Frage mit Bedacht bewegt hat. Das heißt nicht, dass jeder Schritt in Ordnung war. Wie wollen Sie denn mit dem französischen Präsidenten umgehen, der mit seiner Luftwaffe Ziele in Libyen bombardieren will? Frankreich ist doch, zusammen mit Großbritannien, einer unserer engsten Partner in der Europäischen Union. Was heißt es, sich in der NATO an Planungen zu beteiligen bis hin zu einem operativen Plan, wie heute noch einmal bestätigt worden ist? Wer plant, befindet sich schon mit einem halben Fuß in der Ausführung. Es darf weder Planung noch Teilhabe an den Planungen geben! Bitte lassen Sie uns unserer Bevölkerung sehr deutlich sagen: Wer Flugverbotszonen einrichtet, Kollege Mützenich, oder sich diesbezüglich offen zeigt, muss bereit sein, sie auch durchzusetzen, das heißt, Flugzeuge abzuschießen und die Luftabwehr auszuschalten. Dann befindet man sich im Krieg und kommt so leicht nicht wieder heraus. Auch das ist eine Erfahrung aus internationalen Auseinandersetzungen. Das wollen wir nicht. Für uns ist völlig klar: Kein Krieg für Öl! Keine militäriWolfgang Gehrcke sche Unterstützung, weder für Gaddafi noch gegen ihn! Das ist kein Mittel. ({6}) Ich schlage vor, dass wir auch über ein paar andere Dinge nachdenken, bei denen wir uns unserer eigenen Rolle vielleicht nicht ganz sicher sind. Ich fand den Einwand, dass man auch mit Schurken in Staatsämtern verhandeln muss, richtig; das war immer auch meine Position. ({7}) Aber Verhandeln ist etwas anderes als Paktieren. Unser Land hat mit solchen Schurken in Staatsämtern paktiert, zum Beispiel mit Mubarak, den wir finanziert und im Amt gehalten haben. Unser Land hat mit Gaddafi paktiert, und zwar einzig und allein aus dem Grunde, dass er die Flüchtlinge in Libyen hält und diese nicht nach Europa lässt. Das Paktieren mit Schurken gilt auch in Bezug auf Ben Ali. Das darf sich nicht wiederholen. Das ist aber doch das Bild, das sich ergibt. Die Schlussfolgerung müsste sein: Verhandeln ja, aber nicht paktieren. Ich möchte gern, dass hier klar wird: Wir stellen die Waffenexporte ein. Deutschland hat an Saudi-Arabien, an Libyen, an die Vereinigten Arabischen Emirate Waffen in großem Umfang geliefert und dafür Geld kassiert. Auch das muss hier einmal ausgesprochen werden: Ein Teil der Waffen, mit denen jetzt in Bahrain gegen die Demonstranten vorgegangen wird, stammt aus Deutschland bzw. ist von Deutschland geliefert worden. Wollen wir das etwa fortsetzen? Ich finde, darauf gibt es nur eine einzige Antwort: Sofort beenden! ({8}) Es kann doch nicht dabei bleiben, dass wir mit unserer Politik dazu beitragen, dass sich die Preise von Nahrungsmitteln so erhöhen, dass sich Menschen in vielen Teilen der Welt sie nicht mehr leisten können. Die Politik muss sich nicht nur im Nahen Osten, in den arabischen Ländern ändern. Auch wir müssen die Grundlagen unserer Politik ändern. Damit zeigen wir, dass wir etwas von dem begriffen haben, was uns die Menschen auf dem Tahrir-Platz vorgemacht haben. Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Rainer Stinner das Wort. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tunesien, Ägypten, Libyen, Bahrain, Jemen: Es zeigt sich, dass das, was in Tunesien anfing - vor einigen Wochen haben wir uns ja noch gefragt, ob das weitergeht -, mittlerweile Realität geworden ist. Allerdings bitte ich Sie alle sehr, zu beachten, dass die Situation in jedem Land völlig anders ist. Es mag Sie angesichts der dramatischen Ereignisse in Libyen verwundern, dass ich mir die größten Sorgen um die Ereignisse in Bahrain mache; denn die Weiterungen, die sich aus der neuen Situation in Bahrain ergeben, sind völlig unübersehbar und können sehr viel dramatischer sein als das, was in Libyen noch herauskommen kann. In Bahrain erleben wir erstens, dass erstmals Staaten des Golf Cooperation Council in einen befreundeten Nachbarstaat einmarschieren. Es handelt sich um Truppen und Polizeikräfte aus Saudi-Arabien und Katar. Wir erleben zweitens, dass es um den Nukleus eines Konfliktes zwischen Sunniten und Schiiten geht, der zwar latent immer vorhanden war, aber nun aufzubrechen droht. Wir erleben drittens, dass Saudi-Arabien auch innenpolitisch einbezogen wird, weil eine schiitische Enklave in SaudiArabien nicht weit von der Grenze zu Bahrain entfernt ist. Wir erleben viertens - das wäre eine ganz große Gefahr -, dass sich der Iran in irgendeiner Weise als Vertreter der schiitischen Interessen einmischt. Daher mache ich mir größte Sorgen darüber, wie sich die Situation weiterentwickelt. Das müssen wir genau beobachten. ({0}) Wir erleben also wirklich einen Umbruch in der arabischen Welt von dramatischem Ausmaß. Was Ägypten und Tunesien angeht, so kann ich das wiederholen, was ich vorletzte Woche gesagt habe: Wir sehen einen Weg, wir sehen Perspektiven. In Ägypten sind mittlerweile 23 Parteien zugelassen und in Tunesien, so glaube ich, sogar 37 Parteien. Der beschrittene Weg gibt Anlass zur Hoffnung. Mehr will ich dazu nicht sagen. Kommen wir nun zu Libyen. Es ist ohne jeden Zweifel richtig, dass der Herrscher Gaddafi sein brutales militärisches Regime nutzt, um seine Bevölkerung in einem veritablen Bürgerkrieg zu massakrieren. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Es ist wohlfeil, zu sagen: Da könnt ihr doch nicht zuschauen. - Diese Reaktion ist zwar ein erster menschlicher Impuls und daher völlig verständlich. Aber ich unterstütze voll und ganz Außenminister Westerwelle, wenn er davor warnt, dass Wort „Flugverbotszone“ als verharmlosendes Instrument in den Mund zu nehmen. Das Durchsetzen einer Flugverbotszone bedeutet militärische Operationen und den ersten Schritt in Richtung eines wohl auszuweitenden militärischen Engagements. In diesem Fall kann die Verwicklung in einen Bürgerkrieg in Libyen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Folge sein. Ich kann nur sagen: Ich bin froh darüber, dass sich die Bundesregierung hier sehr zurückhaltend verhält. ({1}) Jetzt ist natürlich völlig klar: Wenn es dazu kommen sollte, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Einrichtung einer Flugverbotszone beschließt, dann muss sich Deutschland Gedanken darüber machen, wer denn dort eventuell eingreifen könnte. Ich stehe da unter dem Eindruck des Besuchs einer Konferenz in Oman am letzten Wochenende, wo wir öfter folgenden Dreiklang gehört haben: Erstens. Der Westen versteht uns nicht, hat keine Ahnung und hat in der ganzen Großregion - in Afghanistan, aber auch im Nahen Osten - vieles falsch gemacht. Zweitens. Jetzt muss dringend etwas gemacht werden in Libyen. Drittens. Das können nicht wir; das müsst ihr machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kommt bei mir nicht gut an. Deshalb sage ich unseren Freunden in der Arabischen Liga sehr deutlich: Jetzt ist die arabische Welt zunächst einmal selbst gefordert. ({2}) Ich weiß nicht, wie die Entscheidung der internationalen Gemeinschaft ausfallen wird. Wenn aber die UN Entsprechendes beschließen, müssen auch wir neu nachdenken. Es wird allerdings unter keinen Umständen die Zustimmung von mir und meiner Fraktion finden, dass der Westen wieder einmal allein als Problemlöser auftritt und sich andere einen schlanken Fuß machen, um uns später dafür zu verdammen, dass wir etwas falsch gemacht haben. Das geht nicht mehr. ({3}) Lassen Sie mich zum Abschluss noch ganz kurz auf den Vorwurf der Opposition eingehen, die Regierung hätte den rettenden Einsatz in Libyen rechtlich nicht richtig gehandhabt. Wir von der FDP-Fraktion haben diesbezüglich die weißeste Weste, die es auf Erden geben kann. ({4}) Erstens hat unsere Fraktion das AWACS-Urteil erstritten. Zweitens haben wir zu Zeiten der rot-grünen Koalition ein Bundestagsbeteiligungsgesetz vorgelegt, das Sie leider abgelehnt haben. Hätten wir heute das Gesetz, das wir damals vorgeschlagen haben, wäre das Beteiligungsrecht des Parlaments deutlicher definiert und wir wären besser dran. Es war Ihr Fehler, unter dem Sie heute leiden. ({5}) Wir haben uns die Entscheidung nicht einfach gemacht. Wir haben sorgfältig geprüft, und nach Abwägung aller Aspekte kommen wir zu dem eindeutigen Schluss - mich beeindruckt insbesondere eine Seite des AWACS-Urteils -, dass das Vorgehen der Bundesregierung in diesem Fall völlig richtig war und eine Mandatierung nicht notwendig ist. Dennoch, lieber Herr Mützenich, ist es natürlich im Interesse der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien, die Opposition möglichst umfassend in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Das ist im Vorhinein durch die Information der Fraktionsvorsitzenden und im Nachhinein durch die Information der Obleute geschehen. Herr Mützenich, die Bundesregierung hat ein großes Interesse daran, bei kritischen Einsätzen, die dem deutschen Interesse dienen - in diesem Fall wurde der Einsatz zum Glück gut ausgeführt -, weiter kooperativ zusammenzuarbeiten. Es ist in unserem Interesse,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- dass wir mit den Oppositionsparteien eng zusammenarbeiten, auch wenn die rechtliche Situation uns nicht dazu zwingt. ({0}) Das dient unserem Interesse, und das dient vor allem dem Interesse der betroffenen Menschen. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, ich wollte Sie gar nicht stoppen, sondern Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen. Das ist aber jetzt nicht mehr möglich, denn die Redezeit ist leider überschritten. Ich gebe dem Kollegen Frithjof Schmidt für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind Zeugen eines historischen Umbruchs. Millionen Menschen in der arabischen Welt stehen auf gegen Unterdrückung und stehen auf gegen ihre korrupten Herrscher. Diese Menschen kämpfen unter Einsatz ihres Lebens für Freiheit und Demokratie. Ihnen gehört unsere Hochachtung und Solidarität. ({0}) Diese demokratische Revolution kam, glaube ich, für uns alle überraschend. Deutschland und die Europäische Union haben in dieser Region Politik nach den Prinzipien „Für Stabilität sorgen“ und „Kampf gegen den islamistischen Terrorismus“ gemacht. Deshalb hat der Westen einseitig auf enge Bündnisse mit autoritären Regimen gesetzt. Demokratische Bewegungen wurden nicht ausreichend unterstützt. Ehrlicherweise müssen wir deshalb Selbstkritik üben. Das betrifft alle Regierungen der letzten zehn Jahre. ({1}) Herr Außenminister, diese Selbstkritik hätte ich heute auch von Ihnen erwartet. ({2}) Ich finde es schade, dass Sie nicht die Kraft aufgebracht haben, sich das für Ihr Regierungshandeln einzugestehen. Auch ein selbstkritisches Wort von der Frau Bundeskanzlerin wäre durchaus angebracht. Die Fehlkonstruktion der Union für das Mittelmeer geht maßgeblich auf das Konto von Präsident Sarkozy und das von Frau Merkel. Sie haben sich damals dafür feiern lassen. Das hat alle bisherigen Fehler der europäischen Politik in Nordafrika verschärft. Das fand damals bereits Kritik; diese aber haben Sie ignoriert. ({3}) Auch die Reaktionen der Europäischen Union, aber auch der Bundesregierung auf den Umbruch waren zu Beginn von Zaudern und Zögern geprägt. Herr Außenminister, auch Sie haben lange gebraucht, um sich eindeutig auf die Seite der Demokratiebewegung in Tunesien und Ägypten zu stellen. Ich meine, zu lange. ({4}) In diesen Ländern ist es gelungen, Machthaber zum Rücktritt zu zwingen, die bis vor kurzem noch als unantastbar galten. Dieser Erfolg hat in diesen Ländern zwar auch vielen Menschen das Leben gekostet, aber Armee und Teile der Sicherheitskräfte haben sich dort auf die Seite der Demonstranten gestellt und so ein schlimmeres Blutbad verhindert. In anderen Ländern sieht das gerade leider nicht so aus. In Libyen, wo Gaddafi mit großer Brutalität gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, spitzt sich die Lage zu, aber auch in Bahrain. Mit dem Einmarsch von etwa 1 000 saudi-arabischen Soldaten hat der Golfkooperationsrat dort eine neue, sehr gefährliche Stufe der Eskalation eingeleitet. ({5}) Auch im Jemen sucht die Regierung die Konfrontation. Das schreckliche Beispiel von Oberst Gaddafi strahlt bereits aus. Wenn wir die Bilder aus Libyen sehen, fühlen wir wohl alle Wut und Entsetzen. Ja, es ist klar: Gaddafi muss weg. Und es ist gut, dass sich die internationale Gemeinschaft darin einig ist. Es war ein wichtiger Schritt, den Internationalen Strafgerichtshof einzuschalten. Ebenso wichtig war es, Sanktionen zu verabschieden. All diese Schritte waren gut, aber nicht ausreichend. Mir ist es völlig unverständlich, dass es noch immer nicht gelungen ist, Gaddafi den Geldhahn zuzudrehen. ({6}) Noch immer gibt es keinen Bann gegen Ölfirmen, die libysches Öl kaufen oder verkaufen. Es gibt nicht einmal eine Liste. ({7}) Noch immer fließt Ölgeld nach Libyen und füllt Gaddafis Kriegskasse. Das ist skandalös, und damit muss Schluss sein. Auch bei der Stärkung der libyschen Opposition ist nicht genug getan worden. Sie, Herr Außenminister, haben Vertreter der Opposition hier in Berlin noch nicht einmal empfangen. Das verstehe ich nicht. Oder haben Sie sonst etwas getan, um die Opposition in Libyen zu stärken? Ich sehe da nichts. Es zerreißt einen innerlich, wenn man Gaddafis Vormarsch sieht. Er hat gut ausgebildete Truppen mit neuen Waffen, die in den letzten Jahren geliefert wurden: aus Frankreich, aus Italien, aus Großbritannien. Auch Deutschland hat seit der Aufhebung des Waffenembargos 2004 Rüstungsgüter im Wert von über 112 Millionen Euro an Libyen geliefert, darunter auch Hubschrauber. Das war unverantwortlich. ({8}) Wir alle haben schlimme Befürchtungen, was in Libyen passiert, sollte Gaddafi weitere Städte der Opposition einnehmen. Über Sanktionen hinaus wird ja auch die Einrichtung einer Flugverbotszone diskutiert, um Gaddafi zu stoppen. Ich halte eine solche Prüfung für richtig, wenn die Arabische Liga dies fordert. Es ist richtig, alle Optionen der UN-Charta zu prüfen, die helfen könnten, die Menschen im Osten Libyens vor Gaddafis möglicher Rache zu schützen. ({9}) Der Einsatz von Militär ist aber die Ultima Ratio und setzt für uns zwingend ein UN-Mandat voraus. Darüber hinaus teile ich in diesem Punkt die Skepsis der Bundesregierung hinsichtlich der militärischen Durchsetzbarkeit und der Wirkung eines Flugverbotes am Boden. Wir dürfen aus dem verständlichen Wunsch nach schneller Hilfe nicht Dinge tun, die militärisch nicht funktionieren und kontraproduktiv sind. Auch das muss gesagt werden. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die demokratischen Kräfte in der Region stärken. Selbst in Tunesien und Ägypten ist die weitere Entwicklung noch offen. Es gibt immer noch starke Kräfte, die weitreichende Veränderungen verhindern wollen. Die Uhren dürfen hier nicht zurückgedreht werden. Diese Völker brauchen Unterstützung, und sie wollen Unterstützung. Dass aus diesen Ländern erfolgreiche Demokratien werden, liegt nicht zuletzt auch im strategischen Interesse der Europäischen Union. Da geht es um Hilfe beim Aufbau von Parteien und Gewerkschaften und um Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteure; zentral ist die Stärkung der Rolle der Frauen in der Gesellschaft; da geht es um eine Ausweitung der Entwicklungszusammenarbeit, erweiterten Handelszugang, Hochschulkooperationen und vieles mehr. Es ist schon gesagt worden: Es geht um nicht weniger als eine Neugestaltung der europäischen Nachbarschaftspolitik. Europa muss aber auch grundsätzliche Lehren aus der arabischen Revolution ziehen: Nie wieder und nirgendwo dürfen Demokratie und Stabilität so gegeneinander ausgespielt werden, wie wir es in Nordafrika gemacht haben. ({11}) Die Absage an autoritäre Herrschaft und der Glaube an die Kraft der demokratischen Bewegung müssen zum Leitmotiv europäischer Außenpolitik werden, und zwar nicht nur im arabischen Raum. Danke für die Aufmerksamkeit. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Philipp Mißfelder hat das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 17. Dezember vergangenen Jahres hat sich der tunesische Gemüsehändler Bouazizi vor lauter Verzweiflung selbst verbrannt, nachdem er seinen Gemüsestand verloren hat und von den Gerichten gedemütigt worden ist. Der Funke des Protestes, der sich daran anschloss und darin kulminierte, dass das Regime von Ben Ali gestürzt wurde, sprang nach Ägypten und auf die ganze Region über. Erst seitdem beschäftigen wir uns - das gehört zur Ehrlichkeit in dieser Debatte dazu - im notwendigen Maße und in angemessener Weise mit diesem Thema. Ich begrüße zunächst einmal, dass unser Außenminister in den vergangenen Monaten nachhaltige Akzente gesetzt und deutlich gemacht hat, dass sich die Bundesregierung dieses Themas mehr annimmt, als es vorher der Fall war, und vor allem eine neue Aufgabenteilung in der Europäischen Union gefordert hat. Man muss selbstkritisch sagen: Themen, die die arabische Welt und den Mittelmeerraum insgesamt angingen, sind in der Europäischen Union viel zu lang früheren Kolonialmächten überlassen worden, die zum Teil aus nicht nachvollziehbaren Gründen politische Forderungen erheben, welche nach unseren Maßstäben nicht umsetzbar sind und deren Umsetzung aus unserer Sicht auch nicht erstrebenswert ist. Vor diesem Hintergrund ist es dringend notwendig, dass sich die nördlicheren Länder in der Europäischen Union mehr einbringen; das hat der Außenminister gemacht. Ich möchte deshalb, Herr Minister, Ihre beiden erfolgreichen Reisen ansprechen: zum einen die Reise nach Tunis am 12. Februar und zum anderen die Reise nach Kairo am 23./24. Februar, von der Sie selbst berichtet haben. Beide Reisen waren ein Beitrag dazu, den Demonstranten und den neu aufkommenden politischen Kräften eine politische Perspektive zu bieten. Diesen Weg sollten wir weitergehen. Deshalb haben Sie, Herr Minister, unsere volle Unterstützung auf dem Weg des Dialogs. ({0}) Vielfach habe ich allerdings den Eindruck, dass es zu Begriffsverschiebungen gekommen ist. Wenn für Freiheit demonstriert wird, dann müssen wir immer auch kritisch fragen: Für welche Freiheit wird dort demonstriert? Wer steckt dahinter? Welche Interessen verbinden sich unter Umständen damit? Ich habe gerade gehört - Rainer Stinner hat es gesagt -, dass in Ägypten 23 Parteien politisch aktiv werden wollen. Sicherlich sind einige darunter, die unter Freiheit nicht universelle Freiheit verstehen und auch nicht für universelle Menschenrechte eintreten, sondern zum Beispiel die Rolle der Frau einschränken wollen. Wir lesen in den Berichten von „Freiheit“ und der „Befreiung des Volkes“. Dazu sage ich deutlich: Einer der wichtigsten Punkte unserer wertegebundenen Politik im Hinblick auf diese Region ist die universelle Durchsetzung aller Menschenrechte und auch aller Freiheitsrechte; dazu gehört auch die Freiheit der Frau. Wir müssen Radikalismus entgegentreten. Deshalb müssen wir die politische Dimension des Wandels viel stärker auf unsere Tagesordnung heben, als es in der Vergangenheit der Fall war, und in der Europäischen Union viel geschlossener agieren, als dies in den vergangenen zwei Wochen geschah. ({1}) Ich glaube nicht, dass Gaddafi und seine Schergen von dem Vorgehen der Europäischen Union in den letzten Wochen beeindruckt sind. Ich glaube auch nicht, dass wir uns auf Dauer eine öffentliche Diskussion über das Für und Wider von Optionen leisten können. Ich glaube vielmehr, dass wir eigene Akzente setzen müssen. Ich denke, dass wir auf die Forderung der Arabischen Liga nach Einrichtung einer Flugverbotszone - Andreas Schockenhoff hat das zu Recht gesagt; ich stimme dem zu - reagieren müssen. Wir müssen dafür werben, dass sich die Mitglieder der Arabischen Liga in die Pflicht nehmen lassen. ({2}) Dann wird sich auch Deutschland seiner Verantwortung nicht entziehen können und auch nicht entziehen wollen. In der Debatte ist schon mehrfach zu Recht gesagt worden, dass ein solches Flugverbot von der Afrikanischen Union, von der UNO und der Arabischen Liga mitgetragen und letztendlich auch gemeinsam durchgesetzt werden muss. All dies sind allerdings im weitesten Sinne Nachhutgefechte; denn leider ist es so - das ist unser Kenntnisstand am heutigen Tag -, dass sich die Situation der Freiheitskämpfer in Libyen verschlechtert hat. Über Maßnahmen, über die wir noch vor einer Woche diskutiert haben, müssen wir heute eventuell gar nicht mehr streiten, weil sie unter Umständen wirkungslos geworden sind. Ich bedauere es sehr, dass eine Chance verpasst worden ist, durch ein entschlosseneres, einheitlicheres Auftreten der Europäischen Union mehr zu erreichen. Angesichts dessen, was sich zurzeit in Libyen vollzieht, müssen wir uns sehr große Sorgen machen. Die Mittelmeerregion gehört zu unserer Nachbarschaft. Wir müssen dafür werben, dass es dort jetzt nicht zu einer Abrechnung mit der Opposition kommt, dass jetzt kein weiteres Blutvergießen stattfindet. Im Einvernehmen mit den Vereinten Nationen sollten wir alle politischen und weiteren Möglichkeiten dahin gehend prüfen, wie weiteres Blutvergießen verhindert werden kann. ({3}) Diese ganze Region ist für uns wichtig. Deutschland und Europa haben nicht nur, aber auch wirtschaftliche Interessen. Wir müssen das auch selbstkritisch sagen; dieses Thema ist vorhin schon angesprochen worden. Firmen, die sich in der Vergangenheit in dieser Region betätigt haben, fordere ich ausdrücklich auf, bei einem zukünftigen Engagement darauf zu achten, dass dadurch nicht nur die Herrscherfamilie an wirtschaftlichem Wohlstand gewinnt, sondern auch in die Ausbildung der jungen Menschen investiert wird, sodass diese eine Zukunftsperspektive erhalten. ({4}) In den vergangenen Wochen haben wir von eindrücklichen Beispielen gehört. Man kann zwar sagen, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Ägypten gut sind und die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Tunesien ausgebaut wurden, man kann sogar sagen, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Libyen im vergangenen Jahrzehnt massiv ausgebaut wurden, aber das gilt nur auf dem Papier. Ich habe nämlich zunehmend den Eindruck, dass den normalen Bürgern in diesen Ländern, auch weil wir Fehler gemacht haben, dadurch kaum eine Perspektive eröffnet und auch keine Teilhabe am Wohlstand ermöglicht wurde. Ich fordere die deutsche Wirtschaft deshalb dazu auf, bei ihrem weiteren Engagement darauf zu achten, dass sie mehr ausbildet und damit auch den jungen Menschen - das ist gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in diesen Ländern wichtig eine bessere Perspektive bietet und damit auch Zuversicht für die Zukunft mit auf den Weg gibt. Die Situation in Bahrain, Saudi-Arabien und im Jemen ist je unterschiedlich. Jeder Fall birgt aber große Risiken für uns und tangiert unsere Interessen, auch unsere vitalen wirtschaftlichen Interessen, und darf uns deshalb politisch nicht ruhen lassen. Es hat sich herausgestellt, dass im Jemen in der Vergangenheit viele Aktivitäten geplant worden sind, die im Zusammenhang mit dem internationalen Terrorismus zu sehen sind. Sollte es dort zu einer weiteren Verschlechterung der politischen Situation kommen, wird das nicht spurlos an uns vorbeigehen. Wir stehen vor einem wirklichen Neubeginn, vor einer Neuausrichtung unserer Nordafrikapolitik, aber auch unserer Politik bezüglich des gesamten arabischen Raums. Wir bewegen uns dabei in dem klassischen Spannungsfeld von wertegebundener Außenpolitik und interessengeleiteter Außenpolitik. Selbstkritisch müssen wir sagen, dass wir in der Vergangenheit bei den Kooperationen, die wir mit einzelnen Regimeführern eingegangen sind, vielleicht ein Stück weit zu viel Realpolitik betrieben haben und den Bedürfnissen der Menschen in den einzelnen Ländern vielleicht nicht immer gerecht geworden sind. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Günter Gloser hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem arabischen Frühling beweisen die Völker des Nahen Ostens eindrucksvoll ihr Streben nach Freiheit, Gerechtigkeit, aber auch nach sozialem Fortschritt. Ja, was vielleicht ungewöhnlich ist, was wir nie so recht geglaubt haben, sie kämpfen auch für die universellen Menschenrechte. Nicht überall haben Revolutionen stattgefunden. Ich möchte die Diskussion wieder ein wenig darauf fokussieren, wie es in Tunesien und Ägypten weitergeht. Was geschieht in Libyen? Aber daneben gibt es noch andere Länder des Nahen und Mittleren Ostens. Saudi Arabien, Bahrain und Jemen wurden hier bereits angesprochen. Ich möchte auch den Maghreb nicht vergessen. In den letzten Tagen hat sich gezeigt, dass möglicherweise auch durch andere Art und Weise ein Umbruch geschehen kann. So hat der marokkanische König Mohammed VI. massive Reformen angekündigt. Einen Umbruch stellen wir uns eigentlich nicht so vor, dass der König diese Reformen einleitet. Aber wenn es dazu kommt, dass er in der Tat - das wäre auch eine Revolution - endlich mehr Macht an die Regierung, aber auch an das Parlament abgibt, dass man in Marokko darüber diskutiert, Politik zu regionalisieren, also eine Balance zwischen der zentralen Ebene und der föderalen Ebene ähnlich wie bei uns herzustellen, dann finde ich das einen guten Weg. Aber die erst vor kurzem zu Ende gegangene Reise der deutsch-maghrebinischen Parlamentariergruppe nach Algerien, Marokko und Mauretanien zeigte ja, dass es in anderen Ländern eben nicht so funktioniert. Die Verknüpfung zwischen Politik und Militär ist so eng, dass das politische Denken oft durch militärische Kategorien bestimmt wird, wie es zum Beispiel in Algerien, aber auch in Mauretanien der Fall ist. Nachdem all diese Entwicklungen von uns gemeinsam so festgestellt worden sind, kommt es jetzt auf die Entschlossenheit der Europäischen Union an und darauf, ob es gelingt, diese Chancen des Aufbruchs zu nutzen, oder ob es am Schluss wieder enttäuschte Hoffnungen vieler Menschen gibt, die ja - beginnend mit dem 17. Dezember in Tunesien und noch weit darüber hinaus - doch sehr mutig waren. Der Kollege Mißfelder hat es bereits gesagt. Ich finde, zu dieser Enttäuschung sollte es nicht kommen. Wir haben vorhin völlig zu Recht die Rolle der Arabischen Liga angeführt - damit komme ich jetzt auf das Thema Libyen und die Europäische Union zu sprechen und darauf hingewiesen, dass die Position der Arabischen Liga teilweise unklar und unbestimmt geblieben ist, dass sie sehr lange gebraucht hat, um zu einer Entscheidung zu kommen, und es natürlich auch widersprüchliche Aussagen gegeben hat. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sah es denn mit der Europäischen Union aus? An dieser Stelle korrigiere ich mich immer und sage: Ich meine nicht die Europäische Union, sondern ausdrücklich die Mitgliedstaaten. - Hier gab es Fehleinschätzungen, Zögerlichkeiten, Spaltung, Handlungsunfähigkeit! Herr Außenminister, die Sozialdemokratie hat an dieser Stelle schon bei den ersten Debatten vor einigen Wochen gesagt: Was passiert da eigentlich vor unserer Haustür, eine, zwei, drei Flugstunden von uns entfernt? Und die Europäische Union macht Business as usual. Wir haben damals schon gefordert, dass sich der Europäische Rat in einer Sondersitzung damit befassen muss. Dies ist erst jetzt am 11. März geschehen. Ich sage ganz bewusst - ich kenne ja das Verhältnis von Exekutive zu Legislative -: Es gab kein nationales Parlament, es gab kein Europaparlament, es gab keinen Parlamentsvorbehalt, es gab auch kein Gerichtsurteil, das die Mitgliedstaaten der Europäischen Union daran gehindert hätte, schleunigst zu handeln. Ich weiß von den Diskussionen auf der letzten Sitzung des Außenministerrats - Kollege Staatsminister Hoyer hatte damals auch über die Initiativen der deutschen Bundesregierung berichtet; das haben wir damals auch ausdrücklich gewürdigt und unterstützt - und frage: Welches Bild geben diese Mitgliedstaaten ab? Die Leute können nicht mehr verstehen, dass man sich mit der Krümmung der Gurken und anderen Dingen relativ schnell und zeitnah beschäftigt, die Mitgliedstaaten aber hinsichtlich dieser vor unserer Haustür stattfindenden Revolution uneinig sind. Ich sage an dieser Stelle Folgendes ganz klar, obwohl ich jemand bin, der sowohl aufgrund früherer Funktionen als auch jetzt weiterhin zu den deutsch-französischen Beziehungen steht: Es ist ein Armutszeugnis. Ich sage dies nicht, um jemanden aus der Regierung gegen andere Partner auszuspielen. Es kann doch einfach nicht angehen, dass die französische Seite, ohne sich abzustimmen, Dinge fordert, von denen man weiß, dass sie nicht realisiert werden können, beispielsweise was Libyen angeht. Ich hätte mehr erwartet als immer nur die feierlichen Gipfel zwischen diesen beiden Ländern. Wir müssen diese Chance nutzen. Ich sage an dieser Stelle ganz offen - auch an meine französischen Freunde -: Die Franzosen haben in den letzten Wochen in dieser Region sehr viel Renommee verloren, obwohl sie eigentlich immer mehr oder weniger ein - in Anführungszeichen - Hausrecht hatten. Das ist vorbei. Das wäre doch jetzt für uns eine Chance. Wir könnten zeigen, wie wir das jetzt wieder zusammenbringen. Wir müssen Deutschland und Frankreich als einen Motor sehen. Diese beiden Länder verfolgen gemeinsame Projekte; schließlich heißt es immer, man solle gemeinsam vorgehen und nicht außerhalb der Europäischen Union. Ich befürchte aber, dass Frankreich durch sein Vorpreschen in den letzten Wochen zu viel Kredit verspielt hat. Das tut auch der Europäischen Union nicht gut, weil die Europäische Union - das zeigen auch die Besuche und Gespräche dort - letztendlich ein sehr eigenartiges Bild abgibt. Andererseits muss ich sagen, dass dies eine Chance für uns ist, die Sie, Herr Außenminister, mit Ihrem Brief an Lady Ashton deutlich gemacht haben. Deutschland kann in der Tat in dieser Region eine wichtige Aufgabe übernehmen. Aber - vielleicht werden wir hier in der nächsten Woche wieder über Libyen diskutieren - das Fenster ist nur noch einen Spalt breit geöffnet. Herr Außenminister, ich verstehe - wir alle haben das heute in der Diskussion freimütig geäußert -, wie schwer das Einrichten einer Flugverbotszone ist. Sie werden aber in den Zeitungen zitiert, man wisse nicht, mit wem man es in diesem libyschen Nationalen Übergangsrat zu tun habe. Dann stellt sich die Frage: Warum spricht man nicht miteinander? Das müssen ja nicht Sie machen, das können ja auch andere aus dem Auswärtigen Amt machen. ({0}) Aber es muss doch nicht erst gewartet werden, bis ein Beauftragter der Vereinten Nationen oder andere Kolleginnen und Kollegen mit ihnen sprechen. Sie sagen: Wenn man die Bilder sieht, ist man schockiert, dann muss man handeln. - Trotzdem muss man klug handeln, wobei sich die Frage stellt, was kluges Handeln in dieser Situation ist. Ich denke, es wäre notwendig gewesen, mehr Antworten auf die von Ihnen selbst gestellten Fragen zu geben. Letztendlich kommen wir in der Europäischen Union nicht umhin, über unseren Schatten zu springen. Es geht nicht mehr an - das sagte der marokkanische Außenminister -, dass wir in der Europäischen Union schon Gefahren sehen, wenn mehr Produkte in die Europäische Union eingeführt werden, zum Beispiel schon bei weniger als 1 Prozent Tomaten aus Marokko, Frühkartoffeln aus Ägypten oder mehr Bekleidung. Wir können doch nicht ständig Sonntagsreden halten und sagen, dass wir mehr kooperieren müssen, und dann am Anfang der kommenden Woche, wenn wir zu entscheiden haben, uns dagegen wehren. Bei dieser Frage müssen wir über unseren Schatten springen genauso wie bei der Frage der Migration. Ich stimme Ihnen zu, Herr Außenminister - das haben Sie mehrfach gesagt -, dass Hilfe zur Selbsthilfe notwendig ist, aber lesen Sie beispielsweise einmal die neuen Ausführungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Die haben wunderbare Statistiken veröffentlicht, die zeigen, welches Wachstum in den Ländern notwendig ist, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wir alle wissen, wie schwer das ist. Zwischen der Zahl der Abgänger aus Schulen und Universitäten und der Zahl der Arbeitsplätze klaffen Lücken; dazu muss man auch das Wachstum betrachten. Hier geht es um zwei, drei verschiedene Punkte. Ich glaube, dass auch hier ein entsprechendes Handeln der Europäischen Union notwendig ist. Einige Mitgliedstaaten, auch unser französischer Partner, müssen bei der Agrarpolitik endlich über ihren Schatten springen. Noch ein Punkt. Jemen wurde bereits angesprochen. „Friends of Yemen“ tagt seit einigen Monaten, auch mit Saudi-Arabien. Es war für mich schon immer etwas schwierig, nachzuvollziehen, dass man den Jeminiten Vorschläge macht, wie sie sich organisieren sollen, und dass man ihnen sagt, dass sie Wahlrechtsreformen durchführen müssen, während der saudi-arabische Partner dabeisitzt. Dazu kommen jetzt die Vorgänge in Bahrain. Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung demnächst mit einer solchen Situation umgeht. Ich glaube, Saudi-Arabien hat da viel verspielt. Mein letzter Punkt; dies muss auch deutlich in Richtung unserer Freundinnen und Freunde in Nordafrika gesagt werden. Der marokkanische Außenminister sagt: Dem Land gehen 2 Prozent Wachstum allein aufgrund des ungeklärten Konflikts und der fehlenden Zusammenarbeit zwischen Algerien und Marokko und des ungelösten Problems der Westsahara verloren. Wir erwarten aufgrund all der Anstrengungen, die wir unternehmen, dass endlich auch in dieser Region eine Süd-Süd-Kooperation eingegangen wird. Wenn wir über unseren Schatten springen, können wir dasselbe auch von den Ländern im Süden erwarten. Sonst sind unsere Anstrengungen für unsere Bürgerinnen und Bürger nicht verständlich. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Marina Schuster hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle stehen unter dem Eindruck der Fernsehbilder, die uns aus Nordafrika, aus der arabischen Welt erreicht haben und erreichen. Ich bin froh, dass unsere Bundesregierung von Anfang an klargemacht hat, auf wessen Seite sie steht. Wir stehen auf der Seite der Demokraten, und wir haben dies in unseren Positionierungen auch klar und deutlich so gesagt. Ich erinnere daran, dass Alliot-Marie noch kurz vor dem Sturz von Ben Ali Truppen angeboten hat. Deutschland war das Land, das Motor war, das versucht hat, eine einhellige Meinung herbeizuführen, das früh Sanktionen ins Spiel gebracht hat, gerade im Fall von Libyen. ({0}) Wir haben das Heft des Handelns in die Hand genommen und uns nicht von Mitgliedstaaten, die ihre eigene Politik verfolgen, beeinflussen lassen. ({1}) Natürlich können wir mit dem Erscheinungsbild der EU nicht zufrieden sein. Umso wichtiger war es, dass wir einen klaren Kurs fahren. Dass die EU einheitlich und geschlossen auftreten muss, haben wir in vielen Plenardebatten, auch zu anderen Themen, immer wieder gefordert. Umso schlimmer ist natürlich, wenn wir gerade im Fall von Tunesien und Ägypten, aber auch im Fall von Libyen erleben, dass die Positionen der Mitgliedstaaten auseinandergehen. Es ist mehrmals angesprochen worden, dass wir gerade in Libyen Kontakte zur Opposition pflegen sollten. Auf Arbeitsebene geschieht dies auch. Nur, eines müssen wir zur Kenntnis nehmen: Die Lage ist sehr unübersichtlich. Wir kennen die Figuren, die dem nationalen Interimsrat angehören. Ich glaube, es ist ein Gebot der Stunde, dass wir unsere Gesprächspartner und das Vorgehen auch hier mit Bedacht wählen. ({2}) Die Mitglieder des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages haben in Genf an der Sitzung, in der über den Ausschluss Libyens aus dem Menschenrechtsrat diskutiert worden ist, teilgenommen. Die Entscheidung, die getroffen wurde, begrüße ich sehr. Ich bin froh, dass sich auch die Generalversammlung ganz klar positioniert hat. Angesichts der Schwere der Menschenrechtsverletzungen kann es hier keine andere Antwort geben. Libyen hätte nie einen Sitz im Menschenrechtsrat erhalten sollen. Meine Damen und Herren, ich möchte kurz auf die Situation der Flüchtlinge eingehen. Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, hat Flüchtlingslager an der tunesisch-libyschen Grenze besucht. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass sich allein dort 250 000 Flüchtlinge befinden. Die Bundesregierung hat Hilfe in Höhe von insgesamt 5 Millionen Euro zugesagt. Dabei werden Mittel für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz bereitgestellt. Jetzt geht es auch darum, gerade in Libyen die medizinische Notversorgung sicherzustellen und die Entwicklung in den Flüchtlingslagern genau zu beobachten. Ich begrüße sehr, dass wir hier humanitäre Hilfe leisten, um die Situation der Flüchtlinge zu verbessern. ({3}) Ich möchte nun ganz kurz auf die politische Situation eingehen. Wir dürfen nicht vergessen: Die Länder Ägypten und Tunesien befinden sich in einer sehr wichtigen, aber auch fragilen Transformationsphase. Unseren politischen Stiftungen bietet sich jetzt die Möglichkeit, die Kontakte, die sie in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, zu nutzen. In der Vergangenheit war die Situation allerdings eine andere. Die Angehörigen von Oppositionsparteien, zu denen wir Kontakte hatten, wurden inhaftiert, und die Parteien waren nicht zu Wahlen zugelassen. Jetzt ist die Möglichkeit da, sich auf die Wahlen vorzubereiten. Deswegen begrüße ich sehr, dass uns mit unseren politischen Stiftungen vor Ort Organisationen zur Verfügung stehen, die mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten und die demokratischen Strukturen stärken können. Eines dürfen wir nicht vergessen - das ist von meinen Vorrednern bereits angesprochen worden -: Jetzt geht es natürlich auch darum, eine ökonomische Perspektive zu schaffen. Die Forderung, unsere eigenen Handelshemmnisse für Agrarprodukte zu senken, betrifft natürlich auch den Textilsektor. Dazu gehört auch, dass wir den Tourismussektor wieder beleben, sofern die Sicherheitslage in den entsprechenden Gebieten dies zulässt. Eines ist allerdings auch klar: Wenn die sozialen Missstände nicht behoben werden, wenn die ökonomische Verbesserung nicht eintritt, kann dies dazu führen, dass der gesamte Transformationsprozess ins Schlingern gerät. Deswegen ist es wichtig, eine ökonomische Perspektive zu bieten. ({4}) Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen. Wir haben uns in den Debatten, die wir im Menschenrechtsausschuss geführt haben, auch um das Thema Religionsfreiheit gekümmert. Ich möchte am Beispiel Ägypten klarmachen, was es für ein Land, in dem die Staatsreligion der Islam ist, in dem die Bevölkerung tief religiös ist, heißt, jetzt eine politische Ordnung zu schaffen, die Religionsfreiheit, Toleranz und Pluralismus beinhaltet. Ich denke, dass auch solche Fragen diskutiert werden müssen und dass man sich auch damit befassen muss, wie der Schutz der Religionsfreiheit zugunsten der Menschen besser ausgestaltet werden kann.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- Ich komme zum Schluss. Unser Weg ist klar: Wir bieten Hilfe und Unterstützung an, allerdings nicht mit dem erhobenen Zeigefinger oder durch Bevormundung, sondern mit ehrlichen und brauchbaren Angeboten. Das ist unser Weg, und den werden wir auch weiterhin gehen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Götzer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit Wochen sind wir Zeugen des dramatischen Umbruchs, der gewaltigen Umwälzungen in der arabischen Welt. Dabei hat vor allem die verbrecherische Gewalt, mit der Gaddafi in Libyen seine Macht sichern will, weltweit für Empörung gesorgt. Aber auch in anderen Ländern bleibt die Lage nach gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften angespannt. In Algerien, Bahrain, Jordanien, Irak, Iran, Marokko und dem Jemen beispielsweise ist es in den vergangenen Wochen immer wieder zu Protesten gekommen. Dabei gab es zahlreiche Verletzte und auch Tote. Am 11. März dieses Jahres ist daher der Europäische Rat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengekommen, und allein dies ist ein starkes Signal dafür, wie wichtig der Europäischen Union eine gemeinsame Reaktion auf die Geschehnisse ist. So etwas hat es in den vergangenen zehn Jahren nur dreimal gegeben: beim Georgienkrieg, beim Irakkrieg und nach den Terroranschlägen vom 11. September. In vielen arabischen Ländern fürchten die Herrscher den Verlust ihrer Macht. In Tunesien und Ägypten ist der Sturz der Despoten bereits erfolgt. Bahrain ruft saudische Truppen ins Land. In Libyen droht die Revolte in einen langen und blutigen Bürgerkrieg zu münden, wofür die libysche Führung die alleinige Verantwortung trägt. Die internationale Gemeinschaft sieht dem mörderischen Wüten Gaddafis nicht tatenlos zu. Zahlreiche Sanktionen und andere Konsequenzen wurden inzwischen von den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und den USA beschlossen. Damit wurden klare Signale gesetzt, dass das menschenverachtende Vorgehen gegen das eigene Volk von der Weltgemeinschaft nicht hingenommen wird. Was allerdings die Forderung nach der Errichtung einer Flugverbotszone angeht, so müssen wir uns - und das ist heute schon mehrmals angesprochen worden darüber im Klaren sein, dass dies eine militärische Intervention bedeutet. Deshalb ist es auch ein klarer Widerspruch, wenn uns die Arabische Liga einerseits zur Errichtung einer solchen Zone auffordert, uns andererseits aber gleichzeitig vor jeglicher Form einer militärischen Intervention warnt. Ein Flugverbot lässt viele Fragen offen und birgt viele Risiken. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Arabische Liga - derzeit hat es diesen Anschein - daran nicht beteiligen will. Ich nenne zum Beispiel das Risiko vieler ziviler Todesopfer. Zivile Todesopfer in einem arabischen Land durch eine westliche militärische Intervention könnten schnell zu einer Verschärfung der im arabischen Raum ohnehin weit verbreiteten antiwestlichen Stimmung führen. Damit der Wandel hin zur Demokratie Erfolg und Bestand hat, muss - davon bin ich überzeugt - die Befreiung von den alten Machthabern durch die einheimische Bevölkerung selbst erfolgen. So etwas kann nicht in Brüssel oder in Berlin geschehen. Was wir aber tun können und müssen, ist Folgendes: Wir müssen in enger Abstimmung mit den internationalen Partnern weiterhin darauf hinwirken, dass die Gewalt in Libyen sofort beendet wird. ({0}) Nach wie vor hat es auch höchste Priorität, alle humanitären Anstrengungen zu unternehmen, um die aus Libyen in die Nachbarländer geflohenen Menschen zu unterstützen. Gemeinsam mit den Partnern der EU sollte den Ländern Nordafrikas sowie des Nahen und des Mittleren Ostens ein breites Angebot für eine zielorientierte, bedarfsgerechte und partnerschaftliche Unterstützung des Wandels unterbreitet werden. Hierfür sollten auch im EU-Haushalt Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Bei diesem Angebot müssen die Gründe der Proteste zum Ausgangspunkt genommen werden, und es muss an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sein. Gerade in der Zeit des Übergangs sind schnelle, spürbare Verbesserungen der Lebensumstände und Erfolge vonnöten, damit der politische Wandel von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen und akzeptiert wird. Von besonderer Bedeutung ist, dass die Reformen institutionell und verfassungsrechtlich abgesichert werden. Deshalb müssen wir unbedingt unsere Hilfe beim Aufbau eines Mehrparteiensystems, bei der Vorbereitung und Durchführung freier Wahlen, bei der Stärkung der Zivilgesellschaft, bei der Bekämpfung der Korruption und beim Aufbau einer unabhängigen Justiz anbieten. Die politischen Stiftungen spielen hier eine wichtige Rolle - auch das ist schon erwähnt worden; ich möchte das noch einmal unterstreichen - und können eine wertvolle Hilfe leisten. ({1}) Klar muss auch sein: Finanzielle Unterstützungsleistungen der EU müssen zukünftig viel stärker als bislang von politischen und rechtsstaatlichen Reformen abhängig gemacht werden. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bislang gab es keinen islamischen Staat mit einer funktionierenden Demokratie nach unseren Maßstäben. Der stattfindende Umbruch in der arabischen Welt ist eine Chance, dass sich daran etwas ändert. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Umbruch in der arabischen Welt: Was hat sich im Vergleich zum vorigen Jahr eigentlich geändert? Ich glaube, der entscheidende Punkt ist: Die Menschen haben keine Angst mehr. Deshalb ist es so wichtig, dass wir ihnen moralische, materielle und politische Unterstützung geben, und ich finde, die Bundesregierung hat dies mit ihrer Antwort auf diese Umbrüche in der arabischen Welt auch entschlossen und klug getan. Wir als Bundesrepublik Deutschland haben Hilfe in Form einer Transformationspartnerschaft in der ganzen Breite der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung angeboten. Wir haben sie in den Blick genommen. Gleichzeitig haben wir aber deutlich gemacht: Es ist Sache der Araber, der Menschen in diesen Ländern selbst, darüber zu entscheiden, welchen Weg sie einschlagen wollen und wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Die Region hat eine globale Bedeutung. Das haben wir in dieser Debatte vielleicht noch etwas wenig beleuchtet. In dem Gebiet von Marokko bis zum Persischen Golf liegen die Energiereserven an Öl und Gas für die ganze Welt, und die Bedeutung dieser Region wird durch die atomare Katastrophe in Japan eher zu- als abnehmen. Auch für Deutschland und die Europäische Union hat der Nahe und Mittlere Osten eine strategische Bedeutung, und wir haben dort eigene Interessen; das müssen wir in dieser Debatte auch sagen. Was sind unsere Interessen? Wir haben erstens ein Interesse an wirtschaftlicher Zusammenarbeit im Bereich der Energie: beim Öl, beim Gas und in Zukunft aber auch bei der Solarenergie. Wir haben ein Interesse an den Märkten, die sich in dieser Region auch für unsere Wirtschaft ergeben. Wir haben zweitens ein strategisches Interesse an der Sicherheit Israels. Wir haben drittens das Interesse, dass wir Migrationsund Flüchtlingsströme aus dieser Region oder durch diese Region nach Europa vermeiden, vor allen Dingen dadurch, dass wir die Ursachen für diese Flüchtlingsströme in diesen Ländern und gemeinsam mit diesen Ländern dann auch weiter südlich bekämpfen. Deshalb haben wir viertens ein Interesse an Modernisierung, Reformen und guter Regierungsführung. Last, but not least möchte ich fünftens das Interesse daran nennen, den Terrorismus, der in dieser Region seine Wurzeln hat, wie sich immer wieder zeigt, gemeinsam mit den Ländern dieser Region zu bekämpfen. Was in Tunesien, Ägypten, Libyen und Bahrain geschieht, ist zuallererst Sache der Tunesier, Ägypter, Libyer und Bahrainer. Aber wir müssen ihnen dabei helfen, das selbst zu gestalten. In Tunesien und Ägypten geht es um Partizipation, Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte. Die Hilfen sind in der Debatte beschrieben worden. Es geht aber auch um Ökonomie, um die Marktöffnung auch im Bereich der Agrarpolitik, um Marktwirtschaft und Korruptionsbekämpfung. Ich will an dieser Stelle ein Stichwort aufgreifen, das immer wieder genannt wird, wenn es heißt, die Region brauche jetzt einen Marshallplan. Das ist richtig. Sie braucht auch ein Konzept zur interregionalen Zusammenarbeit. Das ist sehr wichtig. Denn es gibt in der Region genug Geld. Es geht aber auch darum, dass wir dazu beitragen, dass das Milliardenvermögen der Ben Alis und Mubaraks, das eigentlich das Geld der Bevölkerung dieser Länder ist, wieder seinen Weg dorthin zurückfindet. Wir sollten dazu beitragen, dass die hohen zweistelligen Milliardenbeträge - es wird einem schwindlig vor Augen, wenn man hört, welche Summen diese Herrscher zur Seite geschafft haben - zugunsten des Aufbaus der Länder, um die es geht und denen das Geld eigentlich gehört, zurückgeführt werden. ({0}) Ich will an das anknüpfen, was der Kollege Stinner im Hinblick auf Bahrain gesagt hat. Denn ich glaube, dass wegen der Diskussion um Libyen die Brisanz der Entwicklung in Bahrain etwas aus dem Blick gerät. Es gibt drei Besonderheiten, die den Konflikt und die Situation in Bahrain von allen anderen Ländern unterscheiden. Das sind erstens die interreligiöse Dimension des Konflikts mit Blick auf die Sunniten und Schiiten und zweitens die grenzüberschreitende Dimension wegen einer Involvierung Saudi-Arabiens einerseits und möglicherweise des Iran andererseits, die es in anderen Ländern nicht gibt. Drittens gibt es eine internationale Dimension. Denn in Bahrain hat die fünfte amerikanische Flotte ihre Basis. Das alles macht die Lage dort so brisant. Leider hat die Regierung, das Königshaus in Bahrain, auf die ursprünglichen Forderungen nach Partizipation und Reformen nicht konstruktiv reagiert. Sie hat den Zeitpunkt verpasst. Aber ich bin mit Ihnen, Herr Stinner, einer Meinung. Die Intervention durch den Golfkooperationsrat mit etwa 500 Polizisten und Saudi-Arabien mit etwa 1 000 Soldaten eskaliert. Auf diese Weise lassen sich die Unruhen nicht dauerhaft befrieden. Das ist nur durch Reformen und Partizipation möglich. Man darf das nicht durch die enge religiöse Brille sehen, aber es besteht die Gefahr, dass gerade durch die Intervention Saudi-Arabiens diese Perspektive deutlich verstärkt wird. Wenn wir in Zukunft an einer möglichst widerspruchsfreien Politik für den Nahen Osten arbeiten wollen, dann dürfen wir nicht zulassen, dass das Reformtempo in Bahrain durch Saudi-Arabien bestimmt wird. Denn dann dauert es mit Sicherheit zu lange. ({1}) Noch eine letzte Bemerkung zu Libyen: Es ist viel zu den Problemen im Zusammenhang mit der Flugverbotszone gesagt worden. Ich habe mich dazu schon öffentlich geäußert. Ich bin bei meinem Besuch in Oman und Katar von meinen arabischen Gesprächspartnern darauf aufmerksam gemacht worden, warum Gaddafi gefallene Gegner exhumieren lässt. Das sind bestätigte Nachrichten. Er macht es deshalb, um sie zu identifizieren und sich an ihren Familien zu rächen. Das zeigt, was dort möglicherweise auch noch auf die Bevölkerung zukommt. Deshalb kann man, Herr Außenminister, wenn man erstens richtigerweise fordert „Gaddafi muss weg!“ und zweitens richtigerweise sagt, dass ihn der Internationale Strafgerichtshof erwartet, nicht nur abwarten, dass mittelfristig Sanktionen dazu führen, dass er irgendwann dort landen wird. Ich glaube, wir stehen noch vor der Aufgabe, zunächst die Frage einer Resolution und der Beteiligung der Arabischen Liga zu beantworten. Dann geht es um die Umsetzung der Forderung „Gaddafi muss weg! Er muss vor Gericht gestellt werden“. Ich glaube, vor dieser Aufgabe stehen wir noch. Das wird uns auch im Sicherheitsrat noch einiges abverlangen. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5040. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion abgelehnt. Die übrigen Fraktionen haben dagegen gestimmt. Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 3 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze. Für den einleitenden Bericht erteile ich dem Bundesminister für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler, das Wort.

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Bundesregierung hat heute den Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze beschlossen. Sie alle wissen, dass wir in Deutschland eine hervorragende medizinische Versorgung für die Menschen haBundesminister Dr. Philipp Rösler ben. Allerdings gibt es durchaus auch Probleme; denn einige Infektionen können im Rahmen einer medizinischen Behandlung erworben werden. Nach Schätzungen gibt es pro Jahr circa 400 000 bis 600 000 solcher Fälle in Deutschland. Daraus resultierend kommt es zu 7 500 bis 15 000 Todesfällen aufgrund solcher im Rahmen einer medizinischen Behandlung erworbenen Infektionen. Erschwerend kommt hinzu, dass es im Rahmen dieser Infektionen besonders häufig Resistenzen gibt, die die Behandlungen erschweren, die Behandlungszeit verlängern und nachteilig für die Patientinnen und Patienten, aber natürlich auch für das Gesundheitssystem insgesamt sind. Die jetzige Bundesregierung, aber auch schon die Vorgängerregierungen haben eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um mit solchen sogenannten nosokomialen Infektionen umgehen zu können und sie zu reduzieren. Mit dem Gesetz, dessen Entwurf heute beschlossen wurde, sollen diese Maßnahmen weiter gestärkt und unterstützt werden. Gerade Resistenzen kann man durch eine sinnvolle und richtige Antibiotikagabe vermeiden. Hierzu soll künftig eine Kommission beim Robert-Koch-Institut eingerichtet werden. Sie wird Leitlinien für Ärztinnen, Ärzte und medizinisches Personal ausgeben, wie man richtig Antibiotika verordnet und entsprechend anwendet, um möglichst von vornherein Resistenzen zu verhindern. Diese soll „Kommission Antieffektiva, Resistenz und Therapie“ heißen, kurz: ART. Eine der Maßnahmen, die schon andere Bundesregierungen auf den Weg gebracht haben, ist die sogenannte Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, die ebenfalls am Robert-Koch-Institut angesiedelt ist. Diese Kommission gibt wissenschaftliche Empfehlungen heraus, wie die Abläufe in den Krankenhäusern im Rahmen von Hygienemaßnahmen verbessert werden können, um auf diesem Wege entsprechende Infektionen zu vermeiden. Diese Empfehlungen sind durchaus wissenschaftlich anerkannt - sie sind auch unstreitig -, haben aber den Nachteil, dass es sich dabei bisher nur um Empfehlungen handelt. Das heißt, dass sich nicht alle Krankenhäuser an die vorgegebenen Leitlinien zur Vermeidung von Infektionen im Krankenhaus halten. Das soll durch das Gesetz künftig geändert werden. Die Leitlinien dieser Kommissionen sollen verbindlicher als bisher ausgestaltet werden. Insbesondere soll das mithilfe der Bundesländer geschehen. Wir wollen den Bundesländern die Möglichkeit geben und sie gleichzeitig auch verpflichten, eigene Hygieneverordnungen auf den Weg zu bringen, um sich orientierend an den Leitlinien dieser Kommissionen auch auf Landesebene dafür einzusetzen, dass sich flächendeckend alle, insbesondere stationäre Einrichtungen, tatsächlich an den wissenschaftlich anerkannten Stand zur Infektionshygiene halten. Bisher haben nur 7 von 16 Bundesländern überhaupt eine solche eigene Hygieneverordnung. Bislang war es notwendig, dass die Länder in ihren Landeskrankenhausgesetzen dafür eigene gesetzliche Grundlagen schaffen mussten. Künftig kann man allein aufgrund des Infektionsschutzgesetzes auf Bundesebene eine solche Verordnung auf den Weg bringen. Also können die verbliebenen neun Bundesländer sehr schnell eine Hygieneverordnung mit höherer Verbindlichkeit gerade für Leitungen von stationären Einrichtungen und vergleichbaren Institutionen beschließen. Sollten sich die Kolleginnen und Kollegen vor Ort nicht daran halten, können diese vonseiten des Landes mit Bußgeldern in Höhe von bis zu 25 000 Euro belegt werden. Wir wollen die Meldesysteme weiter verbessern. Seit 2009 ist es notwendig, dass solche MRSA-Infektionen an die Gesundheitsämter gemeldet werden. Wir möchten die Gesundheitsämter verpflichten, diese Infektionen an das Robert-Koch-Institut zu übermitteln, damit man einen Überblick über Infektionen in der gesamten Bundesrepublik hat, um vor Ort gezielt beraten zu können. Ebenso fordern wir mit diesem Gesetz den Gemeinsamen Bundesausschuss auf, Richtlinien zu entwickeln, wie man Hygienestandards formulieren kann, um als Ergebnis die Qualität der Hygiene in Einrichtungen veröffentlichen zu können; denn wir möchten, dass in die Qualitätsberichte, die bisher alle zwei Jahre von den Krankenhäusern veröffentlicht werden müssen, ein Kapitel über Hygiene aufgenommen wird. Ab 2013 sollen diese Berichte nicht nur alle zwei Jahre, sondern jährlich veröffentlicht werden, damit man als Versicherter und potenzieller Patient die Möglichkeit hat, sich nicht nur einen Überblick über die Qualität des Krankenhauses, sondern auch über die Qualität der Hygiene in diesem Krankenhaus zu verschaffen. Ebenso ist es das Ziel, Infektionen gerade mit multiresistenten Erregern von vornherein zu vermeiden. Deswegen entwickeln wir ein neues System des Screenings, bevor Patientinnen und Patienten überhaupt in den stationären Bereich kommen. So soll es im ambulanten Bereich künftig die Möglichkeit für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte geben, Hochrisikopatienten selber zu untersuchen und für den Fall, dass man resistente Erreger feststellt, die Patienten vorab zu sanieren, also von den resistenten Erregern zu befreien, bevor sie überhaupt in die Krankenhäuser und stationären Einrichtungen kommen. Denn dort gibt es viele Patienten, die immungeschwächt sind. Dort ist die Verbreitung der Erreger viel einfacher; deshalb sollte man versuchen, von vornherein eine Aufnahme von Patienten mit hochresistenten Erregern im Krankenhaus zu verhindern. Neben dem Infektionsschutz gibt es noch eine Reihe von weiteren Änderungen. Ich will eine wesentliche Änderung herausgreifen: Das ist die Änderung zur Transparenzvereinbarung in der Pflege. Sie alle haben die streitigen Diskussionen in der Pflege verfolgt. Es gibt die Möglichkeit, Pflegeeinrichtungen und auch ambulante Pflegedienste mit Noten zu bewerten. Es gibt ein Verfahren, wie eine Bewertung vorzunehmen ist. Allerdings konnten sich die Selbstverwaltungspartner über die Dinge, die zu bewerten sind, nicht einig werden. Aus unserer Sicht sinnvolle Dinge wie zum Beispiel der Flüssigkeitsstatus oder auch der Wundzustand von Patientin10834 nen und Patienten in Einrichtungen sind bisher nicht Bestandteil eines solchen Pflegebenotungssystems gewesen. Bei dem Versuch, diese einzuführen, konnten sich die Partner nicht einig werden. Deswegen ist in diesem Gesetzentwurf die Vorgabe einer Schiedsstelle enthalten, die in solchen Streitfällen zu einer Entscheidung kommt, sodass diese Frage nicht so lange offenbleibt wie bisher, sondern schnell zum Nutzen von Patientinnen und Patienten entschieden werden kann. So weit, Frau Präsidentin, zur Einführung in das Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze. Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Mir wurden jetzt zwei Nachfragen zu diesem Themenbereich und darüber hinaus weitere Fragen avisiert. Ich rufe die Fragen zu dem Bericht des Gesundheitsministers zuerst auf. Herr Riebsamen hat sich gemeldet.

Lothar Riebsamen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004135, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Rösler, Sie haben ausgeführt, dass pro Jahr 400 000 bis 600 000 Fälle von Krankenhausinfektionen mit entsprechend vielen Sterbefällen zu beklagen sind. Mich würde interessieren, wie ehrgeizig man sein kann, um von dieser Zahl herunterzukommen. Wie realistisch ist es, diese Zahl zu halbieren oder um zumindest 30 oder 40 Prozent zu reduzieren? Wie sieht die Lage im internationalen und besonders im europäischen Vergleich aus?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Minister, bitte.

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Abgeordneter, die Zahlen sind in der Tat beeindruckend. Im europäischen Vergleich zählen nicht allein die absoluten Zahlen, sondern es zählt vor allem der Anteil an Resistenzen. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Ungefähr 20 Prozent dieser Fälle sind mit resistenten Erregern infiziert. Nehmen wir die Niederlande als Beispiel: Dort gibt es - es handelt sich um einen kleineren Staat - ungefähr 100 000 Infektionen. Das ist, was die Anzahl der Operationen und der stationären Aufnahmen anbelangt, ungefähr vergleichbar. Von diesen Patienten ist ungefähr 1 Prozent selber mit resistenten Erregern infiziert. Das heißt, es gibt ein deutliches Übergewicht an resistenten Erregern in Deutschland, übrigens auch in anderen Staaten, zum Beispiel in Südosteuropa, aber auch in Großbritannien. Angesichts dessen muss man die Zahl der Infektionen senken. Insbesondere muss man sich des Themas Resistenzen annehmen. Was die ehrgeizigen Ziele angeht: Wissenschaftler gehen davon aus, dass man durch die sinnvolle Anwendung der vorhandenen Regeln und durch ihre Verbesserung, wie wir sie jetzt vorschlagen, die Anzahl solcher Infektionen um 20 bis 30 Prozent senken kann. Wie gesagt, geht es dabei nicht um die Erstellung der Regeln, sondern um deren sinnvolle Anwendung. Auch darüber wird man sich Gedanken machen müssen. Das angestrebte Ziel ist, wissenschaftlich gesehen, durchaus realistisch.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Henke das Wort zu einer Frage.

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Rösler, es ist sicher sehr verdienstvoll und vernünftig, immer wieder die Motivation zu stärken, Hygieneregeln einzuhalten. Was die Antibiotikatherapie angeht, interessiert mich: Wird in diesem Verfahren sichergestellt, dass die Expertise, in der der kritische Umgang mit Antibiotika durch die im Robert-Koch-Institut einzurichtende Kommission formuliert wird, aus der klinischen Erfahrung gespeist ist? Bei der Formulierung solcher Regeln darf man nicht allein Krankenhaushygieniker mit einem ausschließlich hygienischen Zugang einbeziehen, sondern man braucht dazu Kliniker - Internisten, Chirurgen, Gynäkologen, Urologen -, die aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung wissen, welche klinischen Herausforderungen zu bewältigen sind. Ich halte das im Hinblick darauf für sehr bedeutsam, dass wir eine praxisnahe Motivation bei denjenigen erreichen wollen, die diese Regeln anwenden sollen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Minister, bitte schön.

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Abgeordneter Henke, das, wonach Sie gefragt haben, ist in der Tat genau das Ziel. Diese Gesetzesänderungen sollen sich in eine Reihe von Maßnahmen eingliedern, die vonseiten der Bundesregierung schon jetzt durchgeführt werden. Unter anderem gibt es eine Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie, kurz: DART. Bei dieser Grundlagenforschung geht es darum, unter Hinzuziehung von Fachleuten aus der Praxis Verfahrensvorschläge zu entwickeln, die im Hinblick auf den Klinikalltag praxistauglich sind. Dass man auch Praktiker zu Wort kommen lässt, soll im Rahmen einer neuen Kommission, ART, umgesetzt werden. Es nützt ja nichts, dass man auf wissenschaftlicher Seite weiß, wie Resistenzen entstehen, wenn man nicht die Übertragung auf die klinische Alltagspraxis gewährleisten kann. Dafür zu sorgen, das ist ausdrücklich das Ziel. Wie schwierig das Ganze ist, sehen wir am Beispiel der Händedesinfektionen. Wie Sie wissen - Sie sind Fachmann auf diesem Gebiet -, ist der Bundesgesundheitsminister Schirmherr der Aktion „Saubere Hände“. Leider kennen die wenigsten diese Aktion. Das zeigt schon, wo das Hauptproblem liegt. Man könnte einen Großteil der 400 000 bis 600 000 Infektionen schlichtweg durch regelmäßige Händedesinfektionen vermeiden. Im klinischen Alltag findet diese Erkenntnis allerdings keinen Niederschlag. Genau deswegen verfolgen wir das beschriebene Ziel. Es geht nicht nur darum, Wissen zu erwerben, sondern auch darum, dafür zu sorgen, dass dieses Wissen in den praktischen Alltag übertragen werden kann.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Spahn, bitte.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich habe noch zwei Fragen zum Gesetzentwurf. Zuerst eine Vorbemerkung. Nachdem über dieses Thema in den letzten Jahren viel geredet worden ist, ist es schön, dass diese Bundesregierung hier im Rahmen dessen Regelungen vorschlägt, was wir bundesgesetzlich regeln können, um die Möglichkeiten vollumfänglich auszuschöpfen. Insofern erst einmal ein Dankeschön dafür, dass die Bundesregierung hier die Initiative ergreift und versucht, dieses lang diskutierte Thema abzuschließen. Jetzt möchte ich auf die auch von Ihnen angesprochenen Landeshygieneverordnungen zu sprechen kommen. Wie ist es zu bewerten, dass von den 16 Ländern bis jetzt nur 7 eine entsprechende Hygieneverordnung für die Krankenhäuser haben? Wird durch das, was jetzt geregelt werden soll, tatsächlich ein hinreichender Druck aufgebaut? Gleichzeitig soll mit diesem Gesetz eine beim sogenannten Pflege-TÜV vorhandene Blockadehaltung überwunden werden. Darf man das als Bekenntnis der Bundesregierung dazu werten, dass die Idee des Pflege-TÜV und die Transparenz von Pflegeeinrichtungen aufrechterhalten werden sollen?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Minister Rösler, bitte.

Philipp Rösler (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Abgeordneter Spahn, was die Bewertung anbelangt, halte ich mich zurück. Tatsache ist, dass bisher nur 7 von 16 Ländern eigene Hygieneverordnungen erlassen haben. Das Verfahren ist vergleichsweise aufwendig, weil die Länder in ihren jeweiligen Krankenhausgesetzen eigene gesetzliche Grundlagen schaffen müssen. Sollte der Deutsche Bundestag dieses Gesetz verabschieden, könnte man auf der Grundlage eines Infektionsschutzgesetzes künftig selbst eine solche Verordnung auf den Weg bringen, dies also deutlich schneller machen. Unser Ziel ist es, zu quasi standardisierten Hygieneverordnungen zu kommen, und zwar bundesweit. Weiter wird empfohlen, sich an die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention zu halten. Vorgegeben ist, immer den Stand der Wissenschaft bei solchen Hygieneverordnungen zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber würde dann davon ausgehen, dass genau das geschehen ist, wenn man sich an die Richtlinien der KRINKO tatsächlich halten würde. Das gibt dem Bund ein bisschen die Sicherheit, dass erstens die Länder solche Hygieneverordnungen flächendeckend auf den Weg bringen müssen und zweitens es durchaus vergleichbare Hygieneverordnungen sind, es den gleichen Standard gibt. Nun zur Frage der Transparenzvereinbarung. Es ist richtig, dass wir weiter das Ziel verfolgen, dass die Ergebnisse von Pflege transparent gemacht werden müssen für die Patientinnen und Patienten, aber auch für die Angehörigen und die Prüfungseinrichtungen. Trotzdem ist die bisherige Transparenzvereinbarung nicht unumstritten. Es gab dazu auch eine wissenschaftliche Untersuchung, die Vorschläge enthalten und kurz-, mittel- und langfristige Veränderungsnotwendigkeiten aufgezeigt hat. Die kurzfristige Veränderungsnotwendigkeit bestand darin, schnellstmöglich zumindest die jetzige Transparenzvereinbarung so zum Laufen zu bringen, dass wenigstens die Grundbedürfnisse wie beispielsweise Flüssigkeitsstatus und Wundliegen berücksichtigt werden können. Eine der kurzfristigen Maßnahmen besteht darin, eine Schiedsstelle einzurichten, damit die Selbstverwaltungspartner sehr schnell zu einer verbesserten Transparenzvereinbarung kommen, um neben den möglichen gesetzlichen Veränderungen zu weiteren Veränderungen im Rahmen der Transparenz von Pflegeeinrichtungen zu kommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Mir liegt eine ganze Reihe Fragen zu anderen Themen der Kabinettssitzung vor. Das nehme ich zumindest an; denn sie sind so angekündigt worden. Es könnten aber auch sonstige Fragen an die Bundesregierung sein. Ich gebe zunächst dem Kollegen Beck das Wort zu einer Frage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Die Bundesregierung hat in der heutigen Kabinettssitzung sicher auch über das Atommoratorium gesprochen. Über die Presse haben wir erfahren, dass aufgrund § 19 Abs. 3 des Atomgesetzes die vorübergehende Stilllegung von sieben Atomkraftwerken vorgesehen ist. § 19 Abs. 3 dieses Gesetzes lässt dies zu, wenn die Vorgaben des Satzes 1 des Abs. 3 erfüllt sind. Dort heißt es: Die Aufsichtsbehörde kann anordnen, daß ein Zustand beseitigt wird, der den Vorschriften dieses Gesetzes oder der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen, den Bestimmungen des Bescheids über die Genehmigung oder allgemeine Zulassung oder einer nachträglich angeordneten Auflage widerspricht oder aus dem sich durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können. Vor dem Hintergrund, dass es eine rechtswirksame Stilllegung sein muss, weil ansonsten Entschädigungsforderungen auf die Bundesregierung zukommen könnten, möchte ich Sie bitten, uns zu erklären, welcher der in § 19 Abs. 3 Satz 1 aufgeführten Tatbestände von der Bundesregierung bei den sieben Atomkraftwerken als erfüllt angenommen wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wer antwortet für die Bundesregierung? - Bitte schön, Herr von Klaeden.

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Herr Kollege Beck, ich beantworte Ihre Frage, weil sie sich auf die heutige Kabinettssitzung bezieht. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass § 19 des Atomgesetzes eine Rechtsgrundlage für ein entsprechendes Verhalten der Landesaufsichtsbehörden für die Kernkraftwerke bietet. Deswegen ist eine Stellungnahme oder eine Festlegung der Bundesregierung nicht erforderlich. Für die Aufsicht über die Kernkraftwerke und die entsprechenden rechtlichen Maßnahmen, insbesondere die Verwaltungsakte, sind die Landesregierungen zuständig. An diese sind dann auch die entsprechenden Fragen zu richten. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dorothee Menzner, bitte.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Ich frage die Bundesregierung, ob in der heutigen Kabinettssitzung im Zusammenhang mit dem dreimonatigen Moratorium, wie immer es dann rechtlich gestrickt ist, auch darüber nachgedacht wurde, international tätig zu werden: zum einen auf der Ebene der Vereinten Nationen in Form eines Gespräches über die Frage der zivilen und militärischen Nutzung von Atomenergie und zum anderen im Hinblick auf zumindest eine zeitweise Aussetzung und ein Überdenken der deutschen Importe von atomarer Technik und atomaren Anlagen, was perspektivisch vielleicht zu der Erkenntnis führt, dass der Import dieser Technik nicht sinnvoll und deshalb dauerhaft einzustellen ist.

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Frau Kollegin, die Bundesregierung wird dieses Moratorium nutzen - dazu ist es auch gedacht -, die Sicherheit unserer Kernkraftwerke vor dem Hintergrund der Ereignisse in Japan nochmals einer grundlegenden Prüfung zu unterziehen. Die Ergebnisse dieser Prüfung sind abzuwarten; sie können nicht vorweggenommen werden. Zu Ihrer Frage zum internationalen Vorgehen will ich nur darauf verweisen, dass auch auf europäischer Ebene eine Überprüfung der Sicherheit der Kernkraftwerke stattfindet. Darüber wurde in der Presse unter dem Stichwort „Stresstest“ berichtet.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ulrich Kelber.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Nach Aussage von Bundesminister Röttgen und der Frau Parlamentarischen Staatssekretärin Reiche ist heute im Kabinett auch über die verschiedenen Möglichkeiten zur Erhöhung der Sicherheit in deutschen Atomkraftwerken gesprochen worden. Ist in dem Zusammenhang auch darüber gesprochen worden, das seit dem Jahr 2004 entwickelte und in den Jahren 2009 und 2010 erprobte neue Kerntechnische Regelwerk anzuwenden? Das Kerntechnische Regelwerk legt fest, in welcher Form erhöhte Sicherheitsanforderungen an Atomkraftwerke gegenüber dem alten Regelwerk aus den 70er-Jahren gestellt werden. Das ist nicht nur sicherheitstechnisch, sondern auch finanziell relevant. RWE hat angekündigt, die Regelungen bei Biblis A rechtlich zu überprüfen. Wenn die Sicherheitsanforderungen höher und die Gewinnmöglichkeiten also geringer sind, sind auch mögliche Schadenersatzzahlungen geringer. Wir haben nachgefragt, ob dieses Regelwerk sofort in Kraft gesetzt werden kann. Antwort war, es gebe keine Vereinbarung mit den Ländern. Nun meine Frage. Auf dem Webserver des Umweltministeriums findet sich - zumindest war das bis heute 12 Uhr der Fall - eine vom 4. Juni 2009 stammende Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern mit Unterschrift der zuständigen Landesminister, in der steht: Die Erprobungsphase beginnt am 1. Juli 2009 und wird am 31. Oktober 2010 abgeschlossen. … Erst am Ende des Verfahrens erfolgt die Veröffentlichung durch das Bundesumweltministerium im Bundesanzeiger … Dieses Dokument war dem Minister und der Staatssekretärin nicht bekannt. Ist es dem Rest der Bundesregierung bekannt?

Not found (Gast)

Zunächst einmal, Herr Kollege Kelber, bin ich beeindruckt, in welcher Weise Sie in der Lage sind, verschiedene Sachverhalte in einer Frage zusammenzufassen. Prinzipiell ist der Bundesregierung alles bekannt, was auf ihren Webservern steht. Ich kann Ihnen jetzt allerdings nicht bestätigen, was Sie gerade dargelegt haben, weil ich nicht in der Lage bin, mir einen ständigen Überblick über das zu verschaffen, was die Bundesregierung an Informationen im Internet anbietet. Deshalb gestatten Sie, dass ich die Frage schriftlich beantworte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte die Bundesregierung noch einmal zu § 19 Atomgesetz befragen, auf den der Kollege Beck sich schon bezogen hat. Wenn ich das juristische Deutsch einmal allgemeinverständlich übersetze, dann steht in Abs. 3, auf den sich die Bundesregierung bei der Abschaltung der sieben alten Reaktoren bezieht, dass es zwei Gründe gibt, weswegen ein Atomkraftwerk abgeschaltet werden kann. Der eine ist, dass ein Atomkraftwerk nicht dem gesetzlichen Sicherheitsstandard entspricht; der andere ist, dass Gefahr für Leben und Gesundheit befürchtet wird. Herr Minister Röttgen hat heute im Umweltausschuss gesagt, dass es nicht um akute Gefahrenabwehr gehe. Dann bleibt nach § 19 Abs. 3 nur die Begründung, dass ein Atomkraftwerk nicht dem gesetzlichen Sicherheitsstandard entspricht. Meine Frage an die Bundesregierung lautet: Welche konkreten Sicherheitsmängel oder Gefahren bestehen in diesen sieben alten Atomkraftwerken heute, die vor wenigen Wochen oder Tagen noch nicht bestanden haben?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich muss auf meine Antwort auf die Frage des Kollegen Beck verweisen. Die verbindliche Anwendung von § 19 Atomgesetz obliegt den Ländern, die die Atomaufsicht führen. Ich werde hier jetzt keine verbindliche Interpretation dieser Vorschrift vornehmen können. Richtig ist, dass den Ländern, die entsprechende Maßnahmen im Zusammenhang mit diesem Moratorium getroffen haben oder noch treffen werden, die Möglichkeit gegeben wird, die Sicherheit unserer Kernkraftwerke und die Einhaltung des entsprechenden Regelwerkes vor dem Hintergrund der Ereignisse in Japan grundlegend zu überprüfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt ist die Kollegin Heidrun Dittrich an der Reihe.

Heidrun Dittrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004028, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Hat sich die Bundesregierung in ihrer heutigen Kabinettssitzung damit befasst, welche Position sie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einnehmen möchte, um weltweit Hilfe für die japanische Bevölkerung zu organisieren, die es beispielsweise ermöglicht, Familien mit Kindern, die der Strahlung ausgesetzt waren, auszufliegen?

Not found (Gast)

Mir ist eine solche Initiative im Sicherheitsrat nicht bekannt. Klar ist, dass die Bundesregierung der japanischen Regierung umfassende Hilfe angeboten hat. Die ersten Hilfsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Entsendung von Experten des Technischen Hilfswerks, sind angelaufen. Deutschland ist das erste Land gewesen, das Japan in dieser Weise geholfen hat. Das ist in Japan entsprechend gewürdigt worden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Matthias Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch ich habe eine Frage zu dem sogenannten Moratorium die Atomkraft betreffend. Sie haben ja nicht nur das Atomgesetz als Grundlage, sondern nach wie vor den Vertrag, den die Bundesregierung mit den vier großen Energiekonzernen geschlossen hat. Können Sie uns darüber Auskünfte geben, ob es derzeit Gespräche der Bundesregierung mit diesen vier Energiekonzernen über das weitere Prozedere, über die Anwendung und über die Modifizierung bzw. Kündigung dieses Vertrages gibt?

Not found (Gast)

Dazu kann ich Ihnen keine konkrete Auskunft geben. Ich gehe aber davon aus, dass die Bundesregierung und auch die Landesregierungen im ständigen Kontakt mit den Energiekonzernen stehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Hönlinger.

Ingrid Hönlinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004058, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Frage bezieht sich ebenfalls auf das Moratorium. Ich möchte gerne wissen, um welche Sicherheitsmerkmale es sich handelt, die zur Einstellung des Betriebs der ältesten AKWs geführt haben. Inwieweit unterschieden sich diese Sicherheitsmerkmale von denen der weiterlaufenden AKWs?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, das ist wiederum eine Frage, die sich an die für die Kernkraftwerke zuständigen Aufsichtsbehörden richten müsste, also an die jeweiligen Landesregierungen. ({0}) Die Bundesregierung ist dafür nicht zuständig. Ich verweise auf die Verteilung der Zuständigkeiten nach unserem Grundgesetz und bitte um Verständnis, dass ich Ihre Frage deswegen nicht beantworten kann. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt der Kollege Weinberg.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Bei dem betroffenen Reaktorblock 3 in Japan werden sogenannte MischoxidBrennelemente eingesetzt mit einem hohen Anteil an hochgiftigem Plutonium. Auch im Kernkraftwerk Grohnde sollen MOX-Brennelemente eingesetzt werden. Fällt der Einsatz dieser Elemente unter das dreimonatige Moratorium? Würde das nicht Sinn machen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich kann Ihnen diese technische Frage jetzt nicht beantworten und kann deswegen die Wertung, die Sie in Ihrer Frage vorgenommen haben, nicht bestäti10838 gen. Klar ist aber, dass im Rahmen dieses dreimonatigen Moratoriums vor dem Hintergrund der Ereignisse in Japan eine grundlegende Überprüfung auch der Sicherheitsbestimmungen bei uns stattfinden wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es wundert mich schon, dass die Kanzlerin die Idee eines Moratoriums verkünden konnte, ohne mit den Ländern gesprochen zu haben; denn nach dem, was Sie eben gesagt haben, sind eigentlich die Länder zuständig. Aber das will ich einmal dahingestellt sein lassen. Angesichts eines solchen Moratoriums und angesichts der Tatsache, dass die ältesten Atomkraftwerke drei Monate vom Netz genommen werden - einige wie beispielsweise Neckarwestheim und Isar 1 will man sogar für immer stilllegen; das steht zumindest in der Zeitung -, frage ich Sie: Werden die Laufzeiten dieser Atomkraftwerke auf neuere übertragen? Was haben Sie dazu im Kabinett entschieden?

Not found (Gast)

Dazu ist im Kabinett nichts entschieden worden. Auch das wäre ja eine Vorwegnahme der Ergebnisse der Untersuchung, die stattfinden soll. Ich muss aber Ihren Einleitungssatz korrigieren: Selbstverständlich hat die Bundeskanzlerin, hat die Bundesregierung mit den betroffenen Ländern gesprochen. ({0}) - Nein, es hat ein Gespräch der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der betroffenen Länder gegeben. Dann sind diese Entscheidungen verkündet worden. ({1}) Darüber hinaus hat es natürlich Stellungnahmen gegeben. Es ist schnell und nachvollziehbar auf die Ereignisse in Japan reagiert worden. Ich möchte mich gar nicht auf die Überlegung einlassen, wie Ihre Kritik aussehen würde, wenn es entsprechende Äußerungen und Entscheidungen der Kanzlerin und der Bundesregierung nicht gegeben hätte. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Kelber.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Bundeskanzlerin hat gestern gesagt, dass es im Rahmen des Moratoriums keine Genehmigung für die Übertragung von Restlaufzeiten von älteren Atomkraftwerken aus den 70er-Jahren auf neuere aus den 80erJahren geben werde. Auf Nachfrage hat der Bundesumweltminister in der Sondersitzung des Umweltausschusses heute erklärt, das Moratorium selbst sei natürlich nur ein politisches Instrument, damit sei die Laufzeitverlängerung als ein Rechtsinstrument nicht ausgesetzt, was durch die Exekutive ja auch gar nicht möglich ist. Damit haben die Atomkraftwerksbetreiber allerdings die Möglichkeit, ohne Genehmigung - einfach durch Anmeldung - Restlaufzeiten von den derzeit stillgelegten sieben Atomkraftwerken dauerhaft auf die neueren zu übertragen. Sie hätten bis in die 40er-Jahre einen Rechtsanspruch mit entsprechenden Entschädigungen, falls sich aus der Sicherheitsüberprüfung eine Stilllegung ergibt. Ist heute im Kabinett darüber gesprochen worden, wie man mit diesem sehr großen, mehrere Milliarden Euro umfassenden Problem umgehen möchte?

Not found (Gast)

Nein, Herr Kollege Kelber, das ist im Kabinett nicht besprochen worden. Aber es ist durchaus denkbar, dass eine Folge der von mir schon mehrfach erwähnten grundlegenden Überprüfung auch gesetzgeberischer Handlungsbedarf ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, Sie haben schon dargestellt, dass erst das Gespräch bei der Kanzlerin stattgefunden hat und dann die Erklärung der Kanzlerin abgegeben worden ist. Ist meine Information richtig, dass der Bundesumweltminister die entsprechenden Fachminister aus den betroffenen Ländern gestern ebenfalls informiert und mit ihnen ein Gespräch geführt hat? Ist es weiterhin richtig, dass auf der morgigen Tagesordnung eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu diesem Thema steht? Man muss sich wundern, dass die Befragung der Bundesregierung dazu vorhin abgebrochen und ein völlig neues Thema aufgerufen wurde. ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Koppelin, die Tagesordnung des Bundestages ist mir in der Form, wie Sie sie gerade zitiert haben, bekannt. Auch Ihre Schilderung des Ablaufs ist zutreffend. Zusätzlich will ich erwähnen, dass die Kanzlerin am Wochenende zunächst mit dem Vizekanzler besprochen hat, wie auf diese Situation zu reagieren ist, und dass beide eng das weitere Vorgehen abgestimmt haben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ott.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Angesichts der wunderbaren Geschmeidigkeit des Vertreters der Bundesregierung in der Regierungsbefragung ({0}) und seiner Fähigkeit, allen klaren und konkreten Antworten aus dem Wege zu gehen, verzichte ich auf weitere Fragen zu § 19 Atomgesetz und möchte eine Frage von allgemeinem Interesse stellen. Allen in diesem Hause geht es wahrscheinlich ähnlich, dass sie sich darüber beklagen, wie wenige Informationen über Strahlungswerte eigentlich bekannt sind. Die Betreiberfirma Tepco ist diesbezüglich sehr zurückhaltend. Es gibt allerdings eine internationale Einrichtung, die konstant Daten im gesamten pazifischen Raum misst und diese an die Regierungen weitergibt. Es handelt sich um das Sekretariat des Nuclear Test Ban Treaty. Ich bin mir nicht sicher, ob das Sekretariat beim BMU oder beim Auswärtigen Amt angebunden ist. Ist Ihnen das bekannt? Können vielleicht die Vertreter und Vertreterinnen der jeweiligen Ministerien dazu Stellung nehmen und prüfen, ob diese Informationen weitergegeben werden können? Das Sekretariat hat erklärt, ihm seien leider die Hände gebunden, es könne diese Informationen selbst nicht weitergeben.

Not found (Gast)

Zunächst einmal gehen wir dieser Anregung gerne nach. Vielleicht können die Kolleginnen und Kollegen beantworten, ob das bereits der Fall ist. Auf eines möchte ich hinweisen: Für uns alle gilt, dass die Ereignisse in Japan unvorhersehbar waren und eine Zäsur darstellen; auch in der Frage, welche Schwerpunktsetzungen und welche Abwägungen für die Energieversorgung unseres Landes zu treffen sind. Daher bitte ich um Verständnis, dass wir, wenn wir eine solche grundlegende Überprüfung seriös durchführen wollen, nicht wenige Stunden oder Tage nach den Ereignissen - womöglich parallel dazu - bereits Ergebnisse präsentieren können, die eine solche Untersuchung im Grunde vorwegnehmen. Der Kollege Hoyer möchte zu der Frage nach dem Sekretariat des Nuclear Test Ban Treaty etwas sagen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Hoyer, bitte schön.

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich würde diese Frage gerne befriedigend beantworten, kann es aber nicht. Der Sache gehe ich aber gerne nach. Ich kann Ihnen nur versichern, dass wir, seitdem wir seit dem Wochenende im Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes teilweise rund um die Uhr damit beschäftigt sind, die Kommunikationsaufgabe im Zusammenhang mit dieser Krise in den Griff zu bekommen, uns um nichts mehr bemühen als darum, möglichst objektive Daten zu sammeln. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, um Vertrauen bei der Bevölkerung und bei den Menschen zu generieren, die wir mit der Bewältigung der Situation vor Ort betrauen. Denn das ist der entscheidende Punkt: dass wir deutlich machen, dass wir gegenüber unserer eigenen Bevölkerung mit einem Höchstmaß an Offenheit und Transparenz handeln. Deswegen nehme ich Ihre Anregung sehr gerne auf. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Heinen-Esser wollte der Beantwortung noch etwas hinzufügen. - Bitte schön.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Alle Informationen, die wir erhalten - auch zu möglichen Strahlenbelastungen und zu Radioaktivitätswerten -, werden veröffentlicht, und zwar auf den Internetseiten des BMU, der Gesellschaft für Reaktorsicherheit und unserer nachgeordneten Behörde, dem Bundesamt für Strahlenschutz. Der Präsident, Wolfram König, nimmt dazu regelmäßig Stellung, sodass alle Informationen, die wir erhalten, sehr schnell der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt die Frage der Kollegin Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Vorsitzende. - Ich habe gehört, dass heute im Finanzausschuss darüber diskutiert wurde, dass die Einnahmen aus der Brennelementesteuer sinken würden, wenn es ein dreimonatiges Moratorium gibt. Es gab die Aussage der Bundesregierung, das sei kein Problem. Das passt aber nicht zusammen: Bei einem Moratorium von drei Monaten, bei einer Stilllegung von drei Monaten braucht man natürlich weniger Brennelemente. Wie ist diese Antwort zu interpretieren? Oder ist es nicht doch so, dass die Laufzeiten auf die neueren AKWs umgelegt werden?

Not found (Gast)

Ich schlage vor, dass der Parlamentarische Staatssekretär aus dem Finanzministerium, der Kollege Koschyk, diese Frage beantwortet, Frau Präsidentin.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Koschyk, bitte schön.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich diese Frage heute im Finanzausschuss schon beantwortet habe, möchte ich noch einmal feststellen: Wir haben im Finanzausschuss mitgeteilt, dass sich aufgrund des Moratoriums Einnahmeminderungen im Bereich der Kernbrennstoffsteuer ergeben können. Wir können darüber hinaus nichts zu den insgesamt hieraus resultierenden Einnahmeminderungen sagen, weil noch nicht endgültig absehbar ist, welche weiteren generellen Schlussfolgerungen sich aus den vom Kollegen von Klaeden angekündigten Überprüfungen für den Betrieb von Kernkraftwerken in Deutschland ergeben. Die sich allein aus dem Moratorium ergebenden möglichen Mindereinnahmen im Bereich der Kernbrennstoffsteuer sind in einer Größenordnung von circa 200 Millionen Euro zu beziffern. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich nehme noch zwei Fragen zu diesem Themenbereich an; dann kommen wir zur Fragestunde. - Kollegin Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Herr Kollege von Klaeden, ich will nur sagen: Rasches Handeln der Bundesregierung umfasst natürlich auch gesetzgeberisches Handeln. Insofern fragen wir zu Recht nach den konkreten Handlungsoptionen der Bundesregierung. Ich finde, Sie müssen unsere Frage zu dem beantworten, was die Kanzlerin verkündet hat. Es geht um folgende Frage: An genau welchen Punkten unterscheiden sich die Sicherheitsmerkmale der ältesten AKW, die zur Einstellung des Betriebes führen, von den Sicherheitsmerkmalen der weiterlaufenden AKW?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wer antwortet?

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Ich antworte, Frau Präsidentin.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr von Klaeden, bitte schön.

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Ich beginne mit dem Hinweis auf meine vorherige Antwort; denn Sie haben nahezu wörtlich die vorherige Frage eines anderen Kollegen bzw. einer anderen Kollegin wiederholt. Insofern bleibt es bei meiner Antwort, dass die Einschätzung der jeweils aufsichtsführenden Behörde obliegt. Die Zuständigkeit für diese Behörden liegt nach unserer Rechtsordnung bei den Ländern. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Nachfrage im Hinblick auf das Moratorium und den geschlossenen Vertrag. Da können Sie nicht auf die Länder verweisen, denn Sie von der Bundesregierung haben den Vertrag geschlossen, den Sie jetzt offenkundig - zumindest augenblicklich, in den nächsten drei Monaten - nicht erfüllen. Sie haben eben gesagt, Sie gingen davon aus, dass die Bundesregierung im ständigen Kontakt zu den vier Vertragspartnern steht. Der Bundesumweltminister hat uns heute im Umweltausschuss erklärt, er stehe in keinem Kontakt. ({0}) Können Sie uns sagen, welche Ressorts augenblicklich über den Vertrag mit den vier großen Energiekonzernen verhandeln? Die Frage richtet sich auch an die anwesenden Regierungsmitglieder; vielleicht können sie uns erklären, welche Ressorts darüber verhandeln. ({1}) Ich stelle die Frage, weil Sie auf die weitere Nachfrage an anderer Stelle nicht genau geantwortet haben.

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Herr Kollege, es ist ein Unterschied, ob man mit Energieversorgungsunternehmen in Kontakt steht oder mit ihnen Verhandlungen über Verträge führt. ({0}) Soweit mir bekannt ist, werden zurzeit keine Verhandlungen über Verträge geführt. Das ist auch ein Gebot der Logik, denn zunächst einmal ist der Sinn des Moratoriums, die von mir schon mehrfach erwähnte grundlegende Überprüfung durchführen zu können. Aus dieser Überprüfung wird man Konsequenzen ziehen. Das kann, wie ich dem Kollegen Kelber schon erläutert habe, gesetzgeberischer Handlungsbedarf sein; es kann aber auch eine Anpassung der Verträge sein. Ich würde aber - auch vor dem Hintergrund meiner früheren anwaltlichen Tätigkeit - niemandem raten, in Vertragsverhandlungen einzutreten, bevor man sich nicht Klarheit darüber verschafft hat, welches Ergebnis man in diesen Verhandlungen erreichen möchte. Das wiederum soll in der grundlegenden Überprüfung festgestellt werden, von der ich jetzt schon öfter gesprochen habe.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: Fragestunde - Drucksache 17/5015 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich rufe die Fragen auf Drucksache 17/5015 in der üblichen Reihenfolge auf, zunächst aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze bereit, der sich als besonders technikbegabt erwiesen hat. Ich komme zur Frage 1 des Kollegen Koppelin: Ist die Bundesregierung bereit, dem Land Schleswig-Holstein die Möglichkeit einzuräumen, im gesamten Bundesland die Lagerung bzw. Verpressung von Kohlendioxid abzulehnen? Bitte sehr.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Koppelin, der in der gemeinsamen Federführung von BMU und BMWi erarbeitete Referentenentwurf sieht die Begrenzung auf einige wenige Demonstrationsprojekte vor. Im Rahmen der laufenden Ressortabstimmung wird derzeit geprüft, wie den berechtigten Interessen der Länder bei der Steuerung der Nutzung des Untergrunds noch weiter entgegengekommen werden kann. Hierzu sind abschließende Aussagen noch nicht möglich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Koppelin, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, das Land Schleswig-Holstein hat sich - das ist der Stand vom 11. März 2011 - mit dem Bundesumweltministerium auf einen Gesetzestext und eine Gesetzesbegründung geeinigt. Sehen Sie vom Bundeswirtschaftsministerium sich in der Lage, dem beizutreten, was dort vereinbart worden ist?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Bundesregierung bildet ihre Auffassung immer gemeinsam. Dieser Meinungsbildungsprozess in der Bundesregierung ist noch nicht abgeschlossen. Deshalb kann ich heute auch noch keiner von Ihnen hier vorgetragenen Position beitreten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, das ist ein Problem für das Land Schleswig-Holstein, weil es über das größte Gebiet verfügt, auf dem diese Ablagerung stattfinden könnte. Daher frage ich: Gibt es Gespräche der Bundesregierung mit der rot-grünen Landesregierung von NordrheinWestfalen? Schließlich würde das meiste CO2, das abgelagert werden müsste, aus Nordrhein-Westfalen stammen. Eigentlich müsste doch die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen Wert darauf legen, dass - ich sage das einmal mit meinen Worten - dieser Dreck nicht in andere Bundesländer kommt. Gibt es Gespräche oder sogar schon Übereinkünfte? Hat die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vielleicht schon erklärt, dass sie solche Ablagerungen gar nicht will?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Das ist eine interessante Anregung. Mir ist die Position der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zu dieser Frage nicht bekannt. Mir ist lediglich bekannt, dass die Landesregierung von Brandenburg Interesse bekundet hat - darüber wurde diskutiert, aber das ist noch nicht gefestigt -, eine solche Demonstrationsanlage in Brandenburg zu errichten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Koppelin auf: Welche Risiken sind der Bundesregierung bei einer unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid bekannt? Herr Hintze.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Präsidentin! Herr Kollege Koppelin, bei der unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid sind die Risiken von CO2-Leckagen und mögliche negative Auswirkungen von verdrängten Formationswässern zu beachten. Nach der Richtlinie 2009/31/EG über die geologische Speicherung von Kohlendioxid, der CCSRichtlinie, und dem von mir in der ersten Antwort erwähnten Referentenentwurf eines CCS-Gesetzes ist die Voraussetzung für die Zulassung eines Demonstrationsspeichers unter anderem, dass Gefahren für Mensch und Umwelt nicht hervorgerufen werden können und Vorsorge gegen Beeinträchtigungen von Mensch und Umwelt nach dem Stand von Wissenschaft und Technik getroffen werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, nach dem eben Vorgetragenen frage ich: Teilen Sie meine Auffassung, dass dieses Gesetz auf jeden Fall im Bundesrat zustimmungspflichtig ist?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Die Frage der Zustimmungspflichtigkeit kann erst dann abschließend beantwortet werden, wenn der Gesetzentwurf von der Bundesregierung beschlossen wurde. Also kann ich dazu heute noch keine Aussage machen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte sehr.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aus aktuellem Anlass - das haben wir ja gerade eben erlebt - gibt es Forderungen vor allem von Grünenpoliti10842 kern hinsichtlich weiterer Kohlekraftwerke. Daher meine Frage: Was würden weitere Kohlekraftwerke für die CO2-Ablagerung bedeuten?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Weitere Kohlekraftwerke würden die Klimabilanz in Deutschland verschlechtern; es sei denn, es gelänge, die CCS-Technologie in großem Stil einzusetzen und damit Kohlekraftwerke klimaneutral oder nur mit geringen Auswirkungen auf die Klimagasentwicklung zu betreiben. Aus Sicht der Bundesregierung sind das CCS-Gesetz und die Errichtung einer solchen Demonstrationsanlage wichtig, um diese Technologie, die dem Klimaschutz dienen soll, hier im großen Stil zu entwickeln und zu erproben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ott hat eine Nachfrage dazu.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich bin dem Kollegen Koppelin sehr dankbar dafür, dass er diese Fragen hier stellt. Ich möchte im Anschluss daran fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, dass nach Untersuchungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe - das ist eine bundeseigene Behörde - die Speicherkapazität von Kohlendioxid in deutschem Boden nicht mehr als 25 bis 30 Jahre beträgt. Halten Sie es für sinnvoll, eine solche Großtechnologie in Deutschland zu entwickeln, die neue Anlagen erfordert, die mindestens ebenso groß sind wie die Kraftwerke, von denen sie das Kohlendioxid abscheiden sollen? Es müssten riesige Rohrleitungen durch Deutschland gezogen werden, damit das Kohlendioxid irgendwo in Schleswig-Holstein verpresst werden kann, obwohl das nur für 25 oder 30 Jahre möglich ist. Was hält die Bundesregierung davon?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Hier verschränken sich verschiedene Fragekomplexe ineinander. Ich möchte zuerst darauf hinweisen, dass wir gezwungen sind, die CCS-Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen. Es handelt sich dabei um eine europäische Richtlinie; das ist europäisches Recht. Dann muss die Umsetzung auch in Deutschland erfolgen. Dazu sind wir verpflichtet. Das ist Punkt eins. Punkt zwei. Ob es dann auf der Grundlage des Gesetzes - ich habe ja gesagt, dass wir einen Referentenentwurf formuliert haben und dass wir vor der Erstellung des Regierungsentwurfs stehen - Anträge auf die Errichtung einer solchen Demonstrationsanlage geben wird oder nicht, werden wir sehen. Nach dem jetzigen Stand wird es einen solchen Antrag geben. Der wird dann geprüft, und wie ich in der Antwort auf die zweite Frage des Kollegen Koppelin dargelegt habe, ist die Beachtung der Sicherheitsaspekte - wozu auch die dauerhafte Speicherfähigkeit gehört - Voraussetzung für die Genehmigung einer solchen Anlage. Das wird im Genehmigungsverfahren zu prüfen sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommen wir zur Frage 3 des Kollegen Ostendorff: Wie bewertet der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie aus wirtschaftspolitischer Sicht die Begründung der Direktzahlungen der ersten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik als Einkommenshilfe für Landwirte, wie sie von der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zur Mitteilung der Europäischen Kommission „Die GAP bis 2020“ vorgenommen wird? Herr Staatssekretär.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Präsidentin! Herr Kollege Ostendorff, die Direktzahlungen der ersten Säule entsprechen den Zielen des Lissabon-Vertrages - ich verweise auf Art. 39 AEUV -, dass unter anderem der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten ist. In Deutschland werden die landwirtschaftlichen Direktzahlungen spätestens nach 2013 vollständig unabhängig von der Produktion gewährt, und somit wird der Weg zu einer wettbewerbsfähigen und marktorientierten Landwirtschaft weiter verfolgt. Damit werden neben einem Beitrag zur Einkommenssicherung auch höhere, gesellschaftlich erwünschte Standards - öffentliche und nicht über den Markt honorierte Leistungen der Landwirtschaft - abgegolten. Zu diesen zählen die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, der Beitrag zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen oder die Aufrechterhaltung des Schutzes und der Erholungsfunktion der Landschaft. In Deutschland tragen die Direktzahlungen zurzeit noch wesentlich zu den landwirtschaftlichen Einkommen bei. In Zukunft werden sie sich auch wegen der Anforderungen der neuen EU-Mitgliedstaaten weiter verringern. Zurzeit federn sie auch Marktschwankungen mit ab und erleichtern den Landwirten den weiteren Übergangsprozess zur Marktorientierung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage? - Bitte schön.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schönen Dank, Herr Staatssekretär Hintze. - Wenn Sie das als tragfähige Politik darstellen, direkte Einkommenshilfen für Landwirte zu gewähren, führt mich das zu der Frage, ob das Bundeswirtschaftsministerium glaubt, dass das nach 2013, in der nächsten Finanzierungsperiode, als Begründung für diese Einkommenshilfen ausreichen wird.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ja, das glaube ich. Aus wirtschaftspolitischer Sicht sind solche Direktzahlungen für die eben von mir genannten Zwecke - Einkommenssicherung; dazu kommen noch Zwecke, die nicht über den Marktpreis zu erreichen sind - besser als Eingriffe in den Markt-Preis-Mechanismus. DesweParl. Staatssekretär Peter Hintze gen ist diese gemeinsame Position der Bundesregierung auch aus wirtschaftspolitischer Sicht vernünftig und wird von meinem Haus mitgetragen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben noch eine weitere Nachfrage. - Bitte schön.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir als Grüne sind ja gemeinhin unverdächtig, marktradikal aufzutreten.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Stimmt.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber wir müssen feststellen, dass auf den Agrarmärkten die Preise und damit die Erlöse sehr deutlich angezogen haben. Auch alle Langfristprognosen gehen davon aus, dass Agrarrohstoffe sehr gute Preise am Markt erzielen werden und damit auch sehr gute Einkommen ermöglichen. Deshalb noch einmal die Frage, mit welchem Argument das Bundeswirtschaftsministerium angesichts steigender Rohstoffpreise die direkte Einkommenshilfe begründen will.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich glaube, es würde den Rahmen der Fragestunde sprengen, wenn wir hier jetzt alle Zusammenhänge der Gemeinsamen Agarpolitik behandelten. Wir haben ja auch ein Ressort, das dafür zuständig ist. Ich habe mich darauf konzentriert, Ihre wirtschaftspolitische Frage zu beantworten, und sage: Wenn man zu einer Unterstützungsmaßnahme greifen will, dann ist die wirtschaftspolitisch neutralste die, nicht in den MarktPreis-Mechanismus einzugreifen - Sie haben ja eben selber geschildert, dass er in zunehmendem Maße funktioniert -, sondern dies über Direktzahlungen zu leisten. Das ist eine gemeinsame Position der Bundesregierung, die das Bundeswirtschaftsministerium mitträgt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nun folgen eine Reihe von Fragen, die schriftlich beantwortet werden: die Frage 4 der Kollegin Lazar, die Fragen 5 und 6 der Kollegin Högl, die Frage 7 der Kollegin Wicklein, die Frage 8 des Kollegen Duin, die Frage 9 der Kollegin Keul, die Frage 10 des Kollegen Nink und die Frage 11 des Kollegen Krischer. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Mast werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 14 und 15 der Kollegin Hiller-Ohm werden ebenso wie die Fragen 16 und 17 der Kollegin Silvia Schmidt schriftlich beantwortet. Ich rufe Frage 19 der Kollegin Crone auf: Wie hat sich die Lage von Ausländern bzw. Personen mit Migrationshintergrund im Leistungsbezug gemessen an der Betroffenheit durch Arbeitslosigkeit und Hilfebedürftigkeit in der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Vermittlung in Ausbildung, Arbeit oder eine Selbstständigkeit seit der erstmaligen Durchführung eines Integrationsgipfels im Jahr 2006 entwickelt, und wie bewertet die Bundesregierung die Situation? Hier steht der Parlamentarische Staatssekretär Brauksiepe zur Verfügung. Ich bitte um Beantwortung.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Crone, grundsätzlich gilt, dass zuverlässige statistische Aussagen zur Lage von Personen mit Migrationshintergrund im deutschen Arbeitsmarkt noch nicht getroffen werden können, da das Merkmal Migrationshintergrund in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit derzeit noch nicht erfasst wird. Deshalb beziehen sich alle folgenden Aussagen auf Ausländer. Seit dem Jahr 2006, in dem der erste Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin stattfand, hat sich die Arbeitsmarktlage von Ausländern insgesamt positiv entwickelt. So sank die Zahl der arbeitslosen Ausländer zwischen 2006 und 2010 von circa 645 000 auf rund 502 000. Die Arbeitslosenquote der Ausländer bezogen auf abhängige zivile Erwerbspersonen sank in diesem Zeitraum von 23,7 Prozent auf 18,2 Prozent. Gleichzeitig stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer um rund 200 000 von rund 1,78 Millionen auf etwa 1,93 Millionen an. Die Anzahl der ausländischen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen sank zwischen Juni 2006 und Juni 2010 ebenfalls spürbar, von 1,01 Millionen auf 984 000. Die Zahl der jährlichen Abgänge von Ausländern aus Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit stieg von rund 354 000 im Jahr 2007 auf circa 379 000 im Jahr 2010. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der jährlichen Abgänge von Ausländern in Ausbildung und in sonstige Maßnahmen von 182 000 auf rund 329 000. Die positive Entwicklung der Arbeitsmarktsituation von ausländischen Erwerbspersonen in Deutschland ist erfreulich und zeigt deutlich, dass auch die Ausländerinnen und Ausländer von der stabilen wirtschaftlichen Erholung und dem kräftigen Aufschwung am deutschen Arbeitsmarkt profitieren. Dennoch liegt die Arbeitslosenquote von Ausländern noch immer signifikant höher als die der Deutschen. Sie betrug im Januar 2011 15,9 Prozent gegenüber 7,3 Prozent. Auch im Bereich der Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund gibt es weiterhin Handlungsbedarf. Im Jahr 2009 lag die Ausbildungsbeteiligungsquote junger Ausländer mit 31,4 Prozent deutlich unter der der deutschen jungen Menschen mit 64,3 Prozent. Die Bundesregierung wird deshalb trotz teilweise positiver Trends in ihren vielfältigen Anstrengungen für eine verbesserte Ausbildungs- und Arbeits10844 marktintegration von Migrantinnen und Migranten nicht nachlassen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gibt es eine Nachfrage?

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Herr Staatssekretär, welche Bedeutung misst die Bundesregierung angesichts der Situation von Personen mit Migrationshintergrund Diversity-Management-Modellen in Betrieben zu?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, es kann, glaube ich, nicht darum gehen, bestimmte Maßnahmen oder Programme in ein Ranking einzuordnen. Die weitere Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat trotz der unbestreitbar erzielten großen Erfolge auf dem Arbeitsmarkt für die Bundesregierung nach wie vor oberste Priorität. Das gilt für arbeitslose Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen. Uns stehen in diesem Bereich verschiedene Maßnahmen zur Verfügung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort die unterschiedliche Ausbildungsbeteiligung angesprochen. Ich würde Sie gerne fragen, welche Gründe die Bundesregierung dafür sieht, dass die Beteiligung und die Chancen von Personen mit Migrationshintergrund so viel geringer sind. Vor allem bitte ich Sie, etwas konkreter als in Ihrer vorigen Antwort deutlich zu machen, welche Maßnahmen Sie ergreifen, um hier gegenzusteuern.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege, dieses Problem wird vermutlich nicht monokausal zu erklären sein. Für die Bundesregierung steht im Vordergrund, Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen in Ausbildung und Arbeit zu bringen. Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es im Hinblick auf die Beschäftigung von Menschen, bei dem Versuch, Menschen in Ausbildung und Arbeit zu bringen, nicht darum gehen darf, in Schubladen zu denken nach dem Motto: hier die Menschen mit Migrationshintergrund, dort die Menschen ohne Migrationshintergrund. Vielmehr richten sich die umfangreichen Anstrengungen, die die Bundesregierung, die Bundesagentur für Arbeit und die anderen Akteure wie Wirtschaft und Gewerkschaften unternehmen, um Menschen in Ausbildung zu bringen, an alle ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Menschen. Ich denke, dies muss im Mittelpunkt stehen. Wir haben ein umfangreiches Instrumentarium. Es geht darum, die individuell ganz unterschiedlichen Hemmnisse zu beseitigen, unabhängig davon, welches Hemmnis in diesem oder jenem Einzelfall besteht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. ({0}) - So wie ich es sehe, ist Ihr Fragerecht aufgebraucht. ({1}) Jetzt rufe ich die Frage 18 des Kollegen Dr. Ilja Seifert auf: Inwieweit teilt die Bundesregierung die Forderungen des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, nach einer schnellen Überprüfung der Regelsätze für erwerbsgeminderte behinderte Menschen über 25 Jahre und einer Zahlung des vollen Regelsatzes an diesen Personenkreis in Höhe von 364 Euro statt 291 Euro, da es nach seiner Auffassung weder nachvollziehbar noch gerecht ist, dass behinderte Menschen schlechtergestellt werden als über 25-jährige Hartz-IV-Bezieher, die noch bei den Eltern wohnen ({2})?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Seifert, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Nach der im Rahmen des Vermittlungsverfahrens abgegebenen Protokollerklärung ist zu prüfen, ob für behinderte Menschen, die keinen eigenen Haushalt führen, weil sie im Haushalt ihrer Eltern leben, anstelle der Regelbedarfsstufe 3 die Regelbedarfsstufe 1 gelten kann. Der zugrunde liegende Sachverhalt ist vielschichtig und bedarf einer eingehenden Prüfung. Insbesondere sind mögliche Folgewirkungen in die Prüfung einzubeziehen. Die Bundesregierung kann dem Ergebnis der erforderlichen Prüfung deshalb nicht vorgreifen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke schön. - Ihre erste Nachfrage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, ich kann Ihre Antwort nicht so recht verstehen. Sie haben die Regelbedarfsstufe 3 gerade erst eingeführt. Gleichzeitig sagen Sie, Sie wollten sie überprüfen mit der Zielstellung der Abschaffung. Sie hätten sie doch gar nicht erst einführen müssen; dann wäre die ganze Prüferei nicht notwendig. Insofern lautet meine Frage, wie Sie die Anregung Ihres eigenen Behindertenbeauftragten, dies möglichst schnell zu tun, aufgreifen. Oder hat er überhaupt nichts zu sagen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Seifert, Ihre Frage beruht auf einer falschen Voraussetzung, nämlich darauf, dass wir die Regelbedarfsstufe 3 erst jetzt eingeführt hätten. Davon kann keine Rede sein. ({0}) Es ist seit langem so - dies wurde vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als berechtigt und angemessen anerkannt -, dass bei erwachsenen Leistungsberechtigten eine Unterscheidung getroffen wird, je nachdem, ob allein ein eigener Haushalt geführt wird, ob gemeinsam mit einem Partner ein eigener Haushalt geführt wird oder ob kein eigener Haushalt geführt wird. Diese Unterscheidung ist nicht neu und hat mit den von Bundestag und Bundesrat jüngst beschlossenen Maßnahmen nichts zu tun. ({1}) Danach richten sich die Regelbedarfsstufen schon seit Jahren. Erwachsene Leistungsberechtigte, die alleine einen Haushalt führen, bekommen 100 Prozent des Regelsatzes, solche, die gemeinsam mit einem Partner einen Haushalt führen, 90 Prozent, und solche, die keinen eigenen Haushalt führen, erhalten 80 Prozent des Regelsatzes. Die Rechtslage ist seit Jahren so, dass Personen über 25 Jahren im Rechtskreis des SGB II 100 Prozent des Regelsatzes gewährt werden; im Rechtskreis des SGB XII ist dies nicht der Fall. Es hat Gerichtsentscheidungen gegeben, die notwendigerweise Einzelfallentscheidungen waren, in denen Menschen ein Regelsatz von 100 Prozent zugesprochen worden ist, weil das Gericht moniert hat, dass die Gründe, weswegen der Gesetzgeber im SGB II anders verfährt als im SGB XII, nicht hinreichend deutlich geworden sind. Im Rahmen des jetzt abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahrens hat der Gesetzgeber diese Gründe deutlich gemacht, indem er insbesondere darauf hingewiesen hat, dass von Menschen im Rechtskreis des SBG II, die erwerbsfähig sind, im Rahmen des Förderns und Forderns auch Anstrengungen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erwartet werden, die mit Kosten verbunden sein können. Vor diesem Hintergrund muss ich noch einmal die in Ihrer Frage angelegte Behauptung zurückweisen, dass eine solche Regelbedarfsstufe neu eingeführt worden sei. Es hat sie schon vorher gegeben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe das hier verkürzt dargestellt; das gebe ich gerne zu. Allerdings haben Sie die Menschen mit Behinderung, die nicht erwerbsfähig sind, neu in die Regelbedarfsstufe 3 hineingenommen. Das wird wohl nicht zu bestreiten sein; denn vorher sind bei diesen Personen die 20 Prozent nicht abgezogen worden. Ich will auf Folgendes hinweisen: Hier im Plenum gab es, als ich diese Frage bereits während des Gesetzgebungsverfahrens stellte - und das wurde beispielsweise von Kollegin Ulla Schmidt von der SPD unterstützt -, relativ großes Verständnis dafür, dass man es so eigentlich nicht machen sollte. Darüber ist in dem Moment natürlich nicht abgestimmt worden; aber das war ziemlich deutlich. Dann haben Sie diese merkwürdige Protokollnotiz gemacht, in der im Grunde steht: Wir sehen, dass diesbezüglich ein Problem besteht, und werden das überprüfen und lösen mit dem Ziel - das steht in der Protokollnotiz sinngemäß -, wieder auf 100 Prozent zu kommen. Unter diesen Umständen frage ich Sie, wie Sie oder Ihre Beamten - wer auch immer sich das ausgedacht hat - dazu kommen, dass Menschen, die nicht erwerbstätig sein können und zum Beispiel im Haushalt ihrer Eltern wohnen und schon 25 Jahre alt sind, weniger Geld brauchen als andere. Diese Menschen brauchen eher mehr Geld; denn sie müssen Assistenz und sonstige Hilfe bezahlen. Das ist die Frage, die dahintersteckt. Ihr Behindertenbeauftragter - darauf bezog sich meine ursprüngliche Frage - steht auf dem gleichen Standpunkt. Auch er fragt sich, warum Sie diese Menschen schlechterstellen als andere, die die gleichen Bedürfnisse haben.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Seifert, ich korrigiere Sie zwar nur ungern, muss aber gleichwohl noch einmal darauf hinweisen, dass das Lebensalter von 25 Jahren schon vor den jüngsten Beschlüssen des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat eine relevante Größe im SGB II gewesen ist - aber auch nur im SGB II, nicht im SGB XII. Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, auf die Menschen mit Behinderung vom vollendeten 18. Lebensjahr an dem Grunde nach Anspruch haben, kennt die Altersgrenze von 25 Jahren nicht. Das will ich noch einmal betonen. Deswegen ist Ihre Darstellung, sofern sie diesen Sachverhalt ausschließt, unzutreffend. Ich möchte Sie im Zusammenhang mit dieser Frage darauf hinweisen, dass die Bundesregierung den Arbeitsauftrag aus dem Vermittlungsausschuss, wie er sich in der Protokollerklärung dokumentiert, selbstverständlich mitnimmt, dass sie aber nicht in der Lage ist, sozusagen aus der Lamäng heraus den Gleichheitsgrundsatz zu ignorieren. Denn dieser bedeutet nicht nur, dass Gleiches gleich behandelt werden muss, sondern auch, dass Ungleiches ungleich behandelt werden muss. Deswegen sind in diesem Zusammenhang viele Aspekte zu beachten, Herr Kollege Seifert. Es gibt, wie Sie selbst sehr wohl wissen, im Rechtskreis des SGB XII nicht nur Menschen, die behindert sind, sondern darüber hinaus auch solche, die aufgrund anderer Umstände nicht erwerbsfähig sind. Wenn eine Regelung ausschließlich für Menschen über 25 Jahre eingeführt werden soll, stellt sich unter dem Aspekt der Gleichbehandlung die Frage, warum diese Regelung nur für über 25-Jährige, nicht aber auch für über 18-Jährige gelten soll. Im SGB XII gibt es diese Unterscheidung zwischen über 18-Jährigen und über 25-Jährigen bisher nicht; im SGB II gibt es sie. Es stellt sich also die Frage, ob der Rechtskreis SGB II oder der Rechtskreis SGB XII maßgebend ist. Es stellt sich die Frage, ob das auch schon für Menschen über 18 oder erst für Menschen über 25 Jahre gelten soll. Bezüglich derjenigen im Rechtskreis SGB XII stellt sich die Frage, ob sie aufgrund einer Behinderung oder aus anderen Gründen nicht erwerbsfähig sind. In all diesen Fällen muss man prüfen, ob gleiche Sachverhalte vorliegen, die gleich zu behandeln sind, oder ob es sich um ungleiche Sachverhalte handelt, die ungleich zu behandeln sind. Von daher ist die Frage, wie man hier zu einer gerechten Lösung kommt, nicht einfach mit dem Hinweis darauf zu beantworten, dass wir speziell für Menschen mit Behinderungen ab einem Alter von 25 Jahren die Regelbedarfsstufe 3 durch die Regelbedarfsstufe 1 ersetzen. Das ist eine denkbare Lösung am Ende eines Prüfprozesses, der andauert und dessen Lösung ich hier nicht vorgreifen kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. - Die Fragen 20 und 21 des Kollegen Michael Groß, die Fragen 22 und 23 der Kollegin Ute Kumpf sowie die Fragen 24 und 25 der Kollegin Aydan Özoğuz sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen damit zur Frage 26 des Kollegen Rüdiger Veit: Aus welchem Grund hat die Bundesregierung der Tatsache nicht systematisch entgegengewirkt, dass in den Grundsicherungsstellen nur vereinzelt Strategien und Konzepte zum Umgang mit migrationsspezifischen Problemen existieren, obwohl rund 30 Prozent der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen einen Migrationshintergrund aufweisen, und wie werden Optionskommunen eingebunden, wenn es darum geht, Strategien und Konzepte zum Umgang mit migrationsspezifischen Problemen zu entwerfen und in die Praxis umzusetzen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank. - Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Kollege Veit, mit Ihrem Einverständnis möchte ich die Fragen 26 und 27, die in einem engen Zusammenhang stehen, gerne gemeinsam beantworten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich zusätzlich die Frage 27 des Kollegen Veit auf: In wie vielen Jobcentern bzw. Optionskommunen existieren derzeit Integrationsbeauftragte, und welche Tätigkeiten verrichten diese?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege, ich antworte Ihnen auf Ihre Fragen wie folgt: In der Grundsicherung für Arbeitsuchende gilt der Grundsatz der dezentralen Aufgabenwahrnehmung und Verantwortung. Dies betrifft grundsätzlich auch den Umgang mit spezifischen Problemlagen, wie sie bei der Arbeitsmarktintegration von erwerbsfähigen hilfebedürftigen Menschen mit einem Migrationshintergrund auftreten können. Strategien und Konzepte zum Umgang mit migrationsspezifischen Problemen werden grundsätzlich lokal entwickelt und praktisch umgesetzt. Dies gilt sowohl für gemeinsame Einrichtungen als auch für Optionskommunen. Die Bundesregierung unterstützt die lokalen Handlungsansätze entsprechend den Festlegungen im nationalen Integrationsplan. Auch über die Frage, ob und inwieweit die Arbeit vor Ort dadurch unterstützt werden soll, dass besondere Beauftragte benannt werden, wird von den vor Ort Verantwortlichen entschieden. Sie befinden auch darüber, mit welchen konkreten Aufgaben die Beauftragten betraut werden. Die Bundesregierung führt insoweit keine Übersichten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben jetzt insgesamt vier Nachfragemöglichkeiten. Bitte schön.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zwei werden möglicherweise reichen. Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie jenseits dieser dezentralen, lokalen Aufgabenwahrnehmung aus der Sicht der Bundesregierung die spezifische Beratung gerade von Menschen mit Migrationshintergrund in den Jobcentern und bei den Argen unterstützt wird?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Veit, ich habe bei der Beantwortung einer anderen Frage schon darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung nicht versucht, Schubladen für bestimmte Personengruppen zu bilden, sondern dass wir mit dem umfangreichen arbeitsmarktpolitischen Instrumentarium, das wir haben, versuchen, jedem einzelnen Arbeitslosen in seiner spezifischen Problemlage gerecht zu werden. Der Migrationshintergrund mag in dem einen Fall mehr und in dem anderen Fall weniger problematisch sein. Er kann auch in unterschiedlichem Maße mit Sprachproblemen einhergehen. Ich habe auch schon darauf hingewiesen, dass wir eine Vielzahl von Maßnahmen haben, die nicht speziell auf Menschen mit Migrationshintergrund ausgerichtet sind, ihnen aber in besonderer Weise zugutekommen. Denken Sie nur an den Rechtsanspruch auf das Nachholen eines Hauptschulabschlusses, den wir in der letzten Legislaturperiode gemeinsam eingeführt haben und der sehr hilfreich ist, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wenn Sie sehen, wie groß der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund an Hauptschülern ist, dann erkennen Sie, dass von dieser Maßnahme, die nicht speziell auf Menschen mit Migrationshintergrund ausgerichtet ist, diese Personengruppe in der Praxis überproportional profitiert. So ist das auch in anderen Bereichen. Wir haben vorgeschaltete Maßnahmen, beispielsweise Sprachkurse, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge administriert werden, um bei Menschen mit Migrationshintergrund häufig auftretende Sprachbarrieren zu beseitigen. Wenn mit der Beseitigung dieser Sprachbarrieren die Integration in den Arbeitsmarkt noch nicht gelingt, können die für alle Arbeitslosen zugänglichen Instrumente der Arbeitsmarktpolitik genutzt werden. Auf diese Weise versuchen wir, mit dem umfangreichen Instrumentarium, das wir haben, jeweils passgerechte Lösungen zu finden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Haben Sie Erkenntnisse darüber, inwieweit die Möglichkeit, durch die erwähnten Kurse beim BAMF Spracherwerb nachzuholen, von den Betroffenen ausgeschlagen bzw. nicht genutzt wird?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Mir ist bekannt, dass diese Instrumente von zahlreichen Personen genutzt werden. Eine prozentuale Aufstellung, inwieweit solche Angebote ausgeschlagen werden, um Ihre Formulierung aufzugreifen, ist mir nicht bekannt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke sehr.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann danke ich dem Staatssekretär. Die Frage 28 des Kollegen Oliver Kaczmarek, die Frage 29 der Kollegin Bärbel Bas, die Fragen 30 und 31 des Kollegen Michael Gerdes, die Frage 32 der Kollegin Doris Barnett sowie die Fragen 33 und 34 der Kollegin Sabine Zimmermann sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf. Die Fragen 35 und 36 der Kollegin Kerstin Tack, die Fragen 37 und 38 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann sowie die Fragen 39 und 40 der Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung. Wir kommen zu Frage 41 der Kollegin Inge Höger: Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Verstrickung der Bundeswehr in Vorfälle im afghanischen Distrikt Chahar Darreh am Mittwoch, dem 9. März 2011, die nach Medienangaben zum Tod einer Frau sowie der Verletzung einer zweiten führten? Bitte, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme noch einmal auf die Sachverhaltsdarstellung zurück. Am 9. März 2011 ereigneten sich im Distrikt Chahar Darreh in der Provinz Kunduz folgende drei Vorfälle: Erstens. Gegen 10.18 Uhr Ortszeit bzw. 6.48 Uhr mitteleuropäischer Zeit wurden deutsche Kräfte der Schutzkompanie des regionalen Wiederaufbauteams etwa 7 Kilometer südwestlich der Stadt Kunduz im Distrikt Chahar Darreh mit Handwaffen und Panzerabwehrhandwaffen angegriffen. Zweitens befand sich zeitgleich zu diesem Vorfall eine weitere Patrouille in der 1 300 Meter südwestlich vom Anschlagsort gelegenen Ortschaft Durham, um dort die Fortschritte der Arbeiten an einem Projekt aufzunehmen und zu überprüfen. Auf ihrem Rückweg beobachtete diese Patrouille, wie eine offenbar schwerverletzte Frau aus einem Anwesen herausgetragen und bei einer Brücke abgelegt wurde. Durch die bei der Patrouille eingesetzte Ärztin erfolgte eine erste Versorgung. Eine weitere leichtverletzte Frau wurde dem PRT Kunduz gemeldet. Die schwerverletzte Frau erlag noch am selben Tag ihren Verletzungen. Die leichtverletzte Frau wurde am 10. März 2011 ebenfalls im Rettungszentrum des PRT Kunduz behandelt. Ein operativer Eingriff war nicht erforderlich. Drittens wurden bei Durham etwa zeitgleich zum Heraustragen der schwerverletzten Frau mehrere Warnschüsse in die Luft abgegeben. Grund war ein für die eigenen Kräfte bedrohlich erscheinender Motorradfahrer, der sich in schneller Fahrt aus Richtung des Gefechts bei Chahar Darreh der Ortschaft Durham näherte. Nach derzeitigem Ermittlungsstand ist auszuschließen, dass die Verletzungen der bei Durham schwerverletzt aufgefundenen Frau aus einer deutschen Waffenwirkung im Zusammenhang mit dem Angriff auf die deutsche Patrouille bei Chahar Darreh resultieren. Auch von einer aufgrund eines anderen Zusammenhangs bestehenden deutschen Waffenwirkung kann nicht ausgegangen werden. Bei der am Knie verletzten Frau ist nicht auszuschließen, dass die Knieverletzung durch sekundäre Splitterwirkung infolge des Feuerkampfes erfolgte. Eine direkte Waffenwirkung ist aber aufgrund des Verletzungsmusters unwahrscheinlich.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich habe eine Nachfrage zu der Frau, die später verstorben ist. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, ob das mit deutschen Waffen im Zusammenhang stand, sondern auch, ob es überhaupt im Zusammenhang mit militärischen Zwischenfällen stand.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, davon ist nicht auszugehen. Das ist allerdings sehr schwierig zu ermitteln, weil die schwerverletzte Person, die von der Ärztin beim PRT erstversorgt worden ist, durch zivile Kräfte zum PRT Kunduz transportiert wurde. Sie traf um 11.25 Uhr im PRT ein, wurde sofort im Rettungszentrum behandelt, wo sie bereits kurz darauf, um 11.54 Uhr, an den Folgen einer schweren Kopfverletzung gestorben ist. Sie wurde um 13.25 Uhr den Angehörigen übergeben. Nach dem schriftlichen Bericht kann derzeit nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden, dass die Verletzungen der verstorbenen Frau aus deutscher Waffenwirkung resultieren. Wieso ist das der Fall? Neben der Tatsache, dass die Verletzte circa 1 300 Meter, also einen guten Kilometer, vom Anschlagsort entfernt aufgefunden wurde, schließt die Art der Verletzung, die bei der Untersuchung der beim PRT Kunduz an einer schweren Kopfverletzung verstorbenen Frau festgestellt wurde, eine Schussverletzung oder einen Querschläger nahezu aus. In der Wunde wurden keine Projektile oder Splitter aufgefunden. Auch die Wundränder wiesen keine Anhaltspunkte für eine Schussverletzung auf. Eine Obduktion konnte nicht vorgenommen werden. Wir wissen, dass das Begräbnis der Verstorbenen den kulturellen und den muslimischen Gebräuchen in Afghanistan entsprechend zeitnah erfolgt ist. Das wurde nicht von der Bundeswehr oder anderen Stellen, sondern von den Angehörigen organisiert. Eine definitive Klärung der Verletzungsursache ist also nur noch sehr schwer möglich. Dazu bedarf es unter anderem entsprechender Gespräche mit der betroffenen Familie, die frühestens nach Abschluss der landesüblichen Trauerzeit von drei Tagen nach Durchführung des Begräbnisses beginnen können. Dies wollen wir natürlich respektieren. Zur Stunde und in diesen Tagen werden diese Gespräche geführt werden. Bei der am Knie verletzten Frau ist nicht auszuschließen, dass die Knieverletzung möglicherweise durch Splitterwirkung erfolgt ist. Die beiden Damen waren aber nicht unmittelbar räumlich nebeneinander; es sind vielmehr zwei getrennt zu betrachtende Situationen und Schicksale.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Frage? - Sie verzichten. Dann danke ich dem Herrn Staatssekretär. Die Frage 42 des Kollegen Hans-Christian Ströbele sowie die Fragen 43 und 44 der Kollegin Nicole Gohlke zu diesem Geschäftsbereich sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Die Frage 45 der Kollegin Monika Lazar sowie die Fragen 46 und 47 der Kollegin Hilde Mattheis werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Ich rufe damit den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Daniel Bahr zur Verfügung. Wir kommen zu Frage 48 des Kollegen Dr. Ilja Seifert: Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass pflegebedürftige Menschen, insbesondere Menschen mit anerkannter Pflegestufe nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch, zu dem Personenkreis gehören, die von der UN-Behindertenrechtskonvention betroffen sind, und welche Konsequenzen hat dies für die anstehende Pflegereform sowie die Entwicklung der Behindertenpolitik?

Daniel Bahr (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003495

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Dr. Seifert, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Jeder pflegebedürftige Mensch im Sinne des Sozialgesetzbuches XI dürfte auch als Mensch mit Behinderung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention gelten. Es sind noch keinerlei Festlegungen über die Inhalte einer Pflegereform getroffen worden, sodass auch über Maßnahmen im Einzelnen noch keine Auskunft gegeben werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wenn Sie die Auffassung teilen, dass pflegebedürftige Menschen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention zu den Menschen mit Behinderungen gehören, und wenn Sie jetzt sagen, dass noch keinerlei Festlegungen getroffen worden seien, wundere ich mich, dass Sie nicht zumindest darauf verweisen, dass eine Regierungskommission einen neuen Pflegebegriff erarbeitet hat, der im Januar 2009 vorgestellt wurde. Im Zuge dessen wurde die Pflegedefinition ausdrücklich auf Teilhabeermöglichung umgestellt. Volle Teilhabe zu ermöglichen, ist einer der zentralen Begriffe der UN-Behindertenrechtskonvention. Kann nicht zumindest als gesetzt gelten, dass das bei der Pflegereform eine entscheidende Rolle spielen muss?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Daniel Bahr (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003495

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Auch die Entscheidung über einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ist noch nicht erfolgt. Sie haben von Gutachten und Diskussionen, wie ein Pflegebedürftigkeitsbegriff ausgestaltet werden kann, gesprochen. Aber die Entscheidungen sind noch nicht erfolgt. Im Rahmen der anstehenden gesetzlichen Vorhaben wird zu berücksichtigen sein, dass der Pflegebedürftigkeitsbegriff neu gefasst wird. Aber da die Entscheidungen noch nicht getroffen sind, können auch keine Aussagen darüber getroffen werden, welche Auswirkungen ein neuer Pflegebegriff auf die Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches haben bzw. welcher Pflegebegriff künftig dem SGB XII zugrunde gelegt werden wird. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, es war nicht irgendein Gutachten von irgendeiner Kommission, sondern es war das Gutachten der Kommission, die Gohde-Kommission geDr. Ilja Seifert nannt werden kann, die von der Bundesregierung eingesetzt wurde, die sehr lange und sehr intensiv gearbeitet und ein Ergebnis hervorgebracht hat, das innerhalb der Kommission weitgehend unumstritten war. Es war also nicht irgendein Gutachten oder irgendein Ergebnis. Ob Sie das als eine von Dutzenden Möglichkeiten sehen oder ob Sie als die favorisierte Variante des Gesundheitsministeriums betrachten, dass wir Teilhabe ermöglichen wollen und mit Pflege nicht nur satt, still und sauber meinen, müsste doch zumindest aussagbar sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Daniel Bahr (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003495

Lieber Kollege Seifert, Sie fragen sehr geschickt und wollen, obwohl es noch keine Entscheidung der Bundesregierung gibt, diese doch irgendwie herauskitzeln. ({0}) - Selbstverständlich. - Aber da es bisher keine Entscheidung gibt, kann ich nicht darüber spekulieren, welche Entscheidung zu erwarten ist. Ich habe damit auch nicht das angesprochene Gutachten abwerten wollen, sondern ich habe nur gesagt, dass das Gutachten noch keine Entscheidung bedeutet. Es hilft vielmehr bei der Entscheidungsfindung und fließt in diese ein. Wir begrüßen die Vorschläge, die in dem Gutachten gemacht werden; aber die Entscheidung über die verschiedenen Wege, die vorgeschlagen worden sind, muss jetzt die Bundesregierung treffen. Das tun wir in diesem Jahr, im Jahr der Pflege. Der Bundesgesundheitsminister hat dieses Jahr zum Jahr der Pflege ausgerufen. Wir sind in mehreren Fragen, die die Pflegeversicherung und das Pflegewesen in Deutschland beschäftigen, bei der Vorbereitung eines Gesetzgebungsverfahrens. Auch die Frage des Pflegebedürftigkeitsbegriffs spielt dort eine zentrale Rolle. Wie gesagt: Eine konkrete Entscheidung, wie der Pflegebedürftigkeitsbegriff zukünftig gefasst ist, ist noch nicht getroffen. Einfließen werden die Erkenntnisse aus dem Gutachten. Das Gutachten selbst aber stellt keine Entscheidung dar.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 49 der Kollegin Cornelia Behm auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Arbeit des Dialogforums Airport Berlin Brandenburg, und aus welchen Gründen arbeitet die Bundesregierung als Gesellschafter der Flughafen Berlin Schönefeld GmbH im Gegensatz zu den Landesregierungen Berlin und Brandenburg in diesem Gremium nicht aktiv mit? Bitte, Herr Staatssekretär.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Behm, ich beantworte die Frage wie folgt: Die Bundesregierung nimmt keine Bewertung der Arbeit des Dialogforums Airport Berlin Brandenburg vor, da sie in dem Gremium nicht tätig ist. Von einer Teilnahme am Dialogforum Airport Berlin Brandenburg wird abgesehen, da das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die Fach- und Rechtsaufsicht über das Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung des Landes Brandenburg, der Genehmigungsbehörde des Landes für das Ausbauvorhaben, ausübt. Des Weiteren werden in den regionalen Dialoggremien in der Regel lokale Probleme erörtert, die sich einer Beurteilung des Bundes entziehen. Deswegen die Weitergabe an das Land Brandenburg.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Beantwortung der Frage. Ich sage dies, obwohl ich die Antwort ausgesprochen unbefriedigend finde; denn die lokalen Probleme, die im Dialogforum Airport Berlin Brandenburg erörtert werden, sind natürlich verursacht durch eine Investition, an der der Bund zu einem Drittel beteiligt ist. Sie sind verursacht durch den Bau eines sehr stadtnahen neuen Berliner Flughafens in Berlin-Schönefeld. Eines der zentralen Themen, die in diesem Dialogforum erörtert werden, ist der Schutz der betroffenen Bevölkerung vor Lärm am Boden und in der Luft. Sie wissen vielleicht, dass eine besonders große Unruhe aufgekommen ist, als man bekannt gemacht hat, dass die Flugrouten anders verlaufen, als ursprünglich beantragt. ({0}) Die Veränderung der Flugrouten hat dazu geführt, dass wahrscheinlich weitaus mehr Menschen von Fluglärm betroffen sein werden, als bisher angenommen. Das Umweltbundesamt ist als eine Behörde des Bundes in den Prozess der Festlegung der Flugrouten involviert worden, wenn auch sehr spät. Beim UBA sind wirklich Kompetenzen angesiedelt. Meine Frage ist: Halten Sie es nicht für sinnvoller, dass der Bund über die Beteiligung am Dialogforum in die Gestaltung des ganzen Prozesses des Lärmschutzes früher, bevor alle Messen gesungen sind, eingebunden wird und seine Kompetenz auf diese Weise einsetzen kann?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Ich möchte noch einmal hervorheben: Die Genehmigungsbehörde ist eine Behörde des Landes Brandenburg. Natürlich sind wir in Gesprächen mit Bürgerinitiativen und anderen; viele Gespräche werden in unserem Haus geführt. Allerdings greifen wir nicht in die Arbeit des Dialogforums ein, weil dies der Aufgabenverteilung klar widersprechen würde. Daher gibt es an dieser Stelle keinen Handlungsbedarf. Wir nehmen den Dialog zur Kenntnis und lassen uns Berichte geben; aber eingreifen in die Behandlung der sehr spezifischen lokalen Themen kann nur die Genehmigungsbehörde. Wenn das Land Berlin und das Land Brandenburg das Dialogforum verantwortungsvoll gestalten, dann gehen wir davon aus, dass ordnungsgemäß gehandelt wird. Noch einmal: Verantwortlich an dieser Stelle ist das Land Brandenburg. Eine kurze politische Bemerkung. Wenn sich Einzelne im Hinblick auf das Dialogforum, das vom Land Brandenburg und vom Land Berlin begleitet wird, nicht wohlfühlen, dann muss ich auf Folgendes hinweisen: Die Vereinbarung war, dass das für uns das Land Brandenburg macht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Die Vereinbarung war, dass das das Land Brandenburg macht.“ Ich denke, dass der Bund als ein Investor in dieses Großvorhaben durchaus die Verantwortung gegenüber den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern hat. Wäre der Bund in das Dialogforum eingebunden, dann wüsste er auch um die Sorgen der Bürger bezüglich der gesundheitlichen Auswirkungen. Es gab einen Antrag auf ein Gesundheitsmonitoring. Dieser Antrag wurde von Berlin abgelehnt. Das Land Brandenburg hat gesagt, es habe ebenfalls gerade kein Geld, um ein Gesundheitsmonitoring durchzuführen. Mittlerweile ist der Antrag gestellt worden, dass der Flughafen in Schönefeld in eine Lärmwirkstudie am Flughafen Frankfurt/Main als Vergleichsflughafen einbezogen wird; es wurde nämlich noch ein Vergleichsflughafen gesucht. Obwohl drei von vier Wissenschaftlern, die als Mitglieder der Arbeitsgruppe für die Qualitätssicherung der Studie berufen worden sind, das Design der Studie als völlig unzureichend kritisieren -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Behm, versuchen Sie, dem Staatssekretär deutlich zu machen, was Ihre Frage ist, bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hier wäre die Kompetenz der Bundesbehörden ganz sicher hilfreich. Wie kann es sein, dass der Bund zwar einer der Investoren in den neuen Flughafen ist, jedoch, was die Verantwortung für den Schutz der betroffenen Bevölkerung angeht, sich zurückhält und sehenden Auges zulässt, dass die gesundheitlichen Interessen der Menschen in der Region den wirtschaftlichen Interessen der Bundesländer Berlin und Brandenburg untergeordnet werden?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Frau Kollegin Behm, die letzten paar Sätze nehme ich zur Kenntnis, werde sie von dieser Bank aus aber nicht kommentieren, da Sie in Ihren letzten Sätzen äußerst parteipolitische Aussagen zum Ausdruck gebracht haben. Ich nehme ein anderes Beispiel, Frau Kollegin Behm. Nehmen wir ein Großprojekt einer anderen Verkehrsart, der Straße, beispielsweise eine große Autobahn. Die Auftragsverwaltung des Bundes plant dieses Großprojekt. In das Planfeststellungsverfahren oder in den Erörterungstermin sind wir auch nicht eingebunden, sondern wir haben die Regelung, dass wir in den Ländern Ansprechpartner haben, die die lokalen Themen vor Ort unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips bearbeiten können. Dies handhaben wir auch so bei diesem Flughafen. Ich denke, dass das Land Berlin und das Land Brandenburg genauso wie der Bund ein großes Interesse daran haben, die gesetzlichen Lärmschutzmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger auszuloten und vor allem auch Maßnahmen zu ergreifen. Wir erwarten, dass das Land Berlin und das Land Brandenburg dies mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie mit den Bürgerinitiativen zur Zufriedenheit und im Konsens oder auf dem Kompromisswege lösen. Wir sind natürlich in die Informationslinie eingebunden. Wie gesagt, wir haben zur Herstellung der Transparenz und auch der Kommunikationsfreude im Haus mehrere Gespräche mit den Bürgerinitiativen geführt. Aber in das Dialogverfahren, das Sie als Einzelprojekt nennen, sind wir nicht eingebunden. Wir gehen davon aus, dass das Land Berlin und das Land Brandenburg ihren Aufgaben nachkommen und das Ganze zur Zufriedenheit der Beteiligten und der lokalen Mandatsträger, der Entscheider und der lokalen Initiativen durchführen. Der Bund ist natürlich in die Informationskette eingebunden. Nehmen Sie einmal das Beispiel des Verkehrsträgers Straße, das man ähnlich beziehen könnte, weil auch hier große Projekte durch die Auftragsverwaltungen im Verfahren geplant werden und auch die Dialoge mit den Bürgerinnen und Bürgern geführt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Koppelin das Wort.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, die dramatische Schilderung der Kollegin Behm, die Bürger würden bei dieser Planung nicht beteiligt, verlangt, dass ich mich doch noch zu einer Zusatzfrage melde. Ich stelle fest, das sowohl in Berlin als auch in Brandenburg Sozialdemokraten und Linke regieren. Bei beiden Parteien ging ich immer davon aus, sie seien sehr bürgernah. ({0}) Kann ich jetzt aus dieser Fragestunde mitnehmen, dass die betroffenen Bürger, die von der Kollegin Behm geschildert wurden, von diesen beiden Regierungsparteien überhaupt nicht beteiligt werden? Ist das nicht etwas, was die Bundesregierung aufgreifen sollte? Sollte sie nicht den Sozialdemokraten und den Linken mitteilen, dass sie bürgernäher sein sollten? ({1})

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Kollege Koppelin, Ihre wertvollen Hinweise nehmen die Bundesregierung und auch das BMVBS gerne zur Kenntnis. Ich denke auch, dass der Regierende Bürgermeister und der Ministerpräsident von Brandenburg genügend Betätigungsfelder als Genehmigungsbehörden und als Vertreter im Aufsichtsrat haben, um die Bürger einzubinden. Man könnte schon einmal einen transparenten Prozess mit den Initiativen machen. Ich bin gespannt, wie Spitzenkandidaten von einzelnen Parteien - die Kollegin Behm repräsentiert eine wichtige Partei in der Bundesrepublik Deutschland - im Wahlkampf diese sehr wichtige Drehscheibe im Luftverkehr in Berlin unterstützen oder dieses Großprojekt auch torpedieren werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 50 der Kollegin Sabine Stüber: Was unternimmt die Bundesregierung gegen die Streichung grenzüberschreitender Angebote der Deutschen Bahn AG im Regional- und Fernverkehr? Bitte, Herr Staatssekretär.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Frau Kollegin Stüber, die Deutsche Bahn AG gestaltet das Angebot von Verkehrsleistungen in eigener unternehmerischer Verantwortung. Das schließt ein, dass entsprechend der Nachfrage Fernverkehrsangebote neu eingeführt werden oder Angebote, die aufgrund einer geringen Fernverkehrsnachfrage unwirtschaftlich geworden sind, eingestellt werden. Dies gilt genauso für grenzüberschreitende Angebote. Für den öffentlichen Personennahverkehr müssen die betroffenen Bundesländer mit der Deutschen Bahn AG den Fahrplan abstimmen. Die Abstimmung zwischen der Deutschen Bahn AG und den Ländern zur Gestaltung des Angebots im Personennahverkehr hat der Bund gegenüber allen Beteiligten stets als ein grundlegendes Erfordernis hervorgehoben. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie die Bundesregierung insgesamt sind bei den Abstimmungsgesprächen und den Entscheidungen nicht einbezogen. Im Übrigen verweise ich auf die Entscheidungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Abgrenzung der Zuständigkeiten Bund/Deutsche Bahn AG/Länder infolge der Bahnreform - Anlage 1 zur Drucksache 13/6149 vom 18. November 1996 - sowie zur Stärkung des parlamentarischen Fragerechts, Drucksache 16/8467 vom 10. März 2008.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Sabine Stüber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004171, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe nur eine ganz kleine Nachfrage: Habe ich Sie richtig verstanden, dass die Deutsche Bahn AG da keine Mitwirkungsmöglichkeiten hat, sondern das an die Länder delegiert?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Nein. Sie stellen ja die Frage: Was unternimmt die Bundesregierung gegen die Streichung grenzüberschreitender Angebote der DB AG im Regional- und Fernverkehr? - Ich habe versucht, Ihnen aufzuschlüsseln, dass der Bund weder bei den Fernverkehrsverbindungen noch bei den Nahverkehrsangeboten eingebunden ist. Für den Fernverkehr einschließlich der grenzüberschreitenden Verkehre ist die DB AG eigenwirtschaftlich und eigenverantwortlich zuständig. Die Nahverkehre werden vom Bund bezuschusst, aber Besteller ist das Bundesland. Deshalb bitte ich Sie, sich mit Fragen zu den Nahverkehren an die Kollegen der Bundesländer zu wenden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine zweite Nachfrage?

Sabine Stüber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004171, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Die Bundesregierung ist ja im Aufsichtsrat der DB AG vertreten. Wird auf diesem Wege kein Einfluss auf diese Entscheidung genommen?

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Ich habe Ihnen im letzten Absatz meiner Antwort die Aufschlüsselung nach unserer Geschäftsordnung und die Abgrenzung der Zuständigkeiten versucht darzustellen. Darunter fallen diese Verkehre. Natürlich nimmt der Bund im Aufsichtsrat durch die die Ministerien repräsentierenden Mitglieder seine Aufgaben wahr; aber die Aufteilung ist nach unserer Geschäftsordnung ganz klar geregelt. Fernverkehrsverbindungen einschließlich der grenzüberschreitenden Verkehre sind demnach eigenwirtschaftlich bei der Deutschen Bahn AG, und Besteller der Schienenpersonennahverkehre sind die Bundesländer. Wenn Sie Fragen zu einer konkreten Strecke haben, bitte ich, mit den Kollegen der Bundesländer Kontakt aufzunehmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 51 der Kollegin Stüber: Vizepräsidentin Petra Pau Wie ist der Stand der Verhandlungen zwischen der Deutschen Bahn AG und der polnischen Bahn zur Einigung über den Zeitfahrkartentarif für die Strecke Berlin-Szczecin ({0})? Bitte, Herr Staatssekretär.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Diese Antwort kann ich sehr kurz machen: Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine unternehmerische Entscheidung der beteiligten Bahnen. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ist an den Verhandlungen nicht beteiligt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage?

Sabine Stüber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004171, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da das Bundesministerium nicht beteiligt ist, kann ich auch keine Frage stellen.

Andreas Scheuer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003625

Danke schön!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut, dann verzichten Sie auf die Nachfragemöglichkeit. - Ich danke dem Herrn Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fragen 52 und 53 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, die Frage 54 des Abgeordneten Friedrich Ostendorff, die Frage 55 des Abgeordneten Garrelt Duin und die Fragen 56 und 57 der Abgeordneten Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung. Die Fragen 58 und 59 des Abgeordneten René Röspel, die Fragen 60 und 61 des Abgeordneten Klaus Barthel, die Fragen 62 und 63 der Abgeordneten Marianne Schieder ({0}), die Fragen 64 und 65 des Abgeordneten Klaus Hagemann und die Frage 66 der Abgeordneten Bärbel Bas sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 67 der Kollegin Agnes Alpers auf: Inwiefern werden Hochschulabschlüsse und generell Rechtsansprüche auf Anpassungs- und Ergänzungsqualifikationen bzw. auf Finanzierung dieser Maßnahmen im geplanten Entwurf eines Gesetzes zur Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen mit einbezogen bzw. verankert, bitte begründen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin Alpers, Hochschulabschlüsse, die nicht zu reglementierten Berufen führen, werden von dem geplanten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen nicht erfasst. Diese Abschlüsse bescheinigen keine berufsspezifischen Handlungskompetenzen, sondern den Erwerb von fachbezogenen Kenntnissen. Ein eindeutiger Referenzberuf und damit ein berufsbezogener Bewertungsmaßstab ist insofern für diese Abschlüsse regelmäßig insofern nicht gegeben. Für diese Abschlüsse kommt weiterhin das geltende, bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen der KMK angesiedelte Verfahren nach dem Lissabonner Anerkennungsübereinkommen zur Anwendung. Ein im Zusammenhang mit dem Anerkennungsgesetz begründeter Rechtsanspruch auf Ausgleichmaßnahmen ist entsprechend den Vorgaben der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG im Bereich der reglementierten Berufe vorgesehen. Im Bereich der nicht reglementierten Berufe sind festgestellte wesentliche Unterschiede zwischen Auslands- und Inlandsqualifikation möglichst so zu dokumentieren, dass entsprechende Ausgleichsmaßnahmen wahrgenommen werden können, um bei erfolgreicher Teilnahme gegebenenfalls die volle Gleichwertigkeit zu erreichen. Die Umsetzung dieses Gesetzes kann, wenn die gesetzlichen Fördervoraussetzungen vorliegen, durch arbeitsmarktpolitische Instrumente flankiert werden. So können beschäftigte und arbeitslose Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen der Förderung der beruflichen Weiterbildung bei festgestellten Kenntnisdefiziten zum Referenzberuf zur Teilnahme an entsprechenden Anpassungsqualifizierungen Förderleistungen durch die Agentur für Arbeit oder die Jobcenter erhalten, wenn hierdurch eine volle Gleichwertigkeit erreicht werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Rachel. - Meine erste Nachfrage, bezogen auf Hochschulabschlüsse: Warum sieht das Gesetz nicht vor, auch anerkannte Asylbewerber einzubeziehen?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Wie Sie wissen, arbeiten wir noch daran, das Gesetz in seine endgültige Form zu bringen. Gegenstand des Gesetzes werden bundesgesetzlich geregelte Berufe sein. Dazu zählen zum Beispiel Heilberufe, Ausbildungsberufe - Stichwort Handwerk - sowie juristische Berufe. Auf diese Berufe wird sich das Gesetz beziehen. Allen Personen soll hier künftig - unabhängig vom Aufenthaltsstatus - ein Bewertungsverfahren offenstehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben erklärt, dass Anpassungs- und Ergänzungsfinanzierungen unter bestimmten Voraussetzungen gewährleistet werden. Warum ist es aber so, dass in dem Gesetzentwurf grundsätzlich Menschen ausgeschlossen werden, die länger als zehn Jahre in der Bundesrepublik Deutschland verweilen? Ich nenne zum Beispiel den Fall einer hochqualifizierten Akademikerin, die nach Deutschland gekommen ist und Sprachkurse besucht hat, die sich aber wegen der Erziehung der Kinder nicht integrieren konnte und bisher keinen Anspruch hat. Wir wissen, wie schnell zehn Jahre im Leben einer Frau mit Familie vergehen können. Warum werden diese Menschen in dem Gesetzentwurf ausgeschlossen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin Alpers, ich möchte mich an dieser Stelle nicht zu etwaigen Einzelfällen äußern. Das würde zu weit gehen, zumal wir noch nicht einmal das eigentliche Gesetzgebungsverfahren begonnen haben. Ich glaube, dass dieses Gesetz einen großen qualitativen Sprung bedeutet. Was in der Bundesrepublik Deutschland über 60 Jahre nicht geschaffen worden ist, ist nun auf dem Weg. Menschen, die seit längerer Zeit hier leben, geben wir einen Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren. Soweit es sich um bundesgesetzlich geregelte Berufe handelt, haben sie die Möglichkeit, in diesem Verfahren überprüfen zu lassen, ob die Abschlüsse, die sie in ihrem Heimatland erworben haben, den entsprechenden Voraussetzungen in Deutschland genügen. Darüber hinaus wird dieses Gesetz die Chance schaffen, dass auch Menschen, die sich zurzeit im Ausland befinden und die einen im Gesetz beschriebenen Beruf ausüben, ein solches Überprüfungsverfahren nutzen können. Auch das ist ein enormer qualitativer Sprung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Kilic.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, können Sie bitte Klarheit darüber schaffen, ob die Grenze von zehn Jahren Aufenthaltsdauer Inhalt Ihres Gesetzentwurfs ist?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Kollege, dazu möchte ich mich im Moment nicht abschließend äußern. Im jetzigen Entwurf ist ein solcher Ausschluss nicht vorgesehen. Darüber werden wir dann beraten können, wenn der Gesetzentwurf im Wortlaut vorliegt und zwischen den Ministerien abgestimmt ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zu Frage 68 der Kollegin Alpers: Welche Inhalte der am 9. Dezember 2009 vom Bundeskabinett verabschiedeten „Eckpunkte zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen und Berufsabschlüssen“ werden im Rahmen des geplanten Entwurf eines Gesetzes zur Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen nicht umgesetzt und warum? Bitte, Herr Staatssekretär.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Die Eckpunkte der Bundesregierung vom 9. Dezember 2009 zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung von im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen und Berufsabschlüssen werden mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen umgesetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Rachel, die Anerkennung von Qualifikationen und Berufsabschlüssen bezieht sich nur auf die Berufe, die bundeseinheitlich geregelt werden. Was ist mit all den anderen Berufen?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Wir haben drei unterschiedliche Gruppen zu unterscheiden. Das Gesetz wird sich auf die Berufe beziehen, für die der Bund eine eigene Regelungskompetenz hat. Das ist auch ganz logisch; denn jede staatliche Ebene kann nur das regeln, wofür sie zuständig ist. Das heißt positiv formuliert, das Gesetz umfasst die bundesgesetzlich geregelten Berufe, zum Beispiel die Ausbildungsberufe - das sind immerhin 350 Berufe im Handwerk und aus dem gewerblich-technischen Bereich -, die juristischen Berufe und die Heilberufe. Darüber hinaus gibt es die Gruppe der Hochschulabschlüsse, die nicht für einen spezifisch gesetzlich geregelten Beruf qualifizieren, beispielsweise DiplomPhysiker oder Diplom-Informatiker. Diese Abschlüsse werden in dem Gesetz nicht geregelt. Für diese Abschlüsse wird weiterhin die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen der KMK zuständig sein. Schließlich haben wir Berufe, die in der Regelungskompetenz der 16 Bundesländer liegen, beispielsweise der Beruf Lehrer oder Lehrerin, Erzieher oder Erzieherin sowie die Ingenieure. Diesbezüglich sind die Bundesländer aufgefordert, entsprechend dem Gesetz, das wir auf Bundesebene vorbereiten, landesgesetzliche Regelungen zu schaffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Agnes Alpers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004002, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir haben über 126 Anerkennungsstellen in den 16 Ländern und im Bund. Bezüglich der Berufe, die nicht bundeseinheitlich geregelt werden, haben wir das Problem, dass der Zuständigkeitsdschungel nicht beseitigt werden wird. Welche Kooperationsformen mit den Ländern sind da angedacht? Welche Gewährleistung wird es, wenn wir diesen Zuständigkeitsdschungel überwinden wollen, geben, dass es nicht zu der Situation kommt, dass ein Bundesland bestimmte Qualifikationen und Berufsabschlüsse anerkennt, ein anderes aber nicht?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatssekretär.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Sehr geehrte Frau Kollegin Alpers, diese Frage ist von der Sache her interessant, richtet sich allerdings an die 16 Bundesländer und müsste insofern den Zuständigen der jeweiligen Länder gestellt werden, weil es in deren Kompetenz steht, sowohl für den landeshoheitlichen Bereich Regelungen zu treffen als auch zu Abstimmungen zwischen den 16 Bundesländern zu kommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt jetzt der Kollege Kilic.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, verstehe ich Ihre Ausführungen richtig, dass die Anerkennung der bundesweit reglementierten Berufe sich an der EU-Anerkennungsrichtlinie orientieren wird?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Mir steht es nicht zu, die Einschätzung eines Abgeordneten zu kommentieren. Deswegen will ich nur noch einmal feststellen, dass das Bundesgesetz, das wir vorbereiten, die bundesgesetzlich reglementierten Berufe eigenständig regeln und in Bezug auf sie einen Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren - also nicht auf eine Anerkennung als solche - garantieren wird. Der Gesetzentwurf orientiert sich dabei an der Berufsanerkennungsrichtlinie der EU.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Die Frage 69 des Abgeordneten Tom Koenigs zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 70 der Abgeordneten Inge Höger zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder zur Verfügung. Die Frage 71 des Abgeordneten Tom Koenigs, die Fragen 72 und 73 des Abgeordneten Volker Beck ({0}), die Fragen 74 und 75 des Abgeordneten Memet Kilic, die Frage 76 des Abgeordneten Oliver Kaczmarek sowie die Frage 77 des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz werden schriftlich beantwortet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 78 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Wie ist der aktuelle Zeitplan für das Planungsvereinheitlichungsgesetz, und in welchem Quartal könnte aus Sicht der Bundesregierung die Novellierung frühestens abgeschlossen sein? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Ressortabstimmung für den Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren - Planungsvereinheitlichungsgesetz ist noch nicht abgeschlossen, sodass eine Kabinettsbefassung noch nicht möglich ist. Der Gesetzentwurf wird derzeit überarbeitet. Insbesondere im Hinblick auf die Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes bedarf es wegen der angestrebten einheitlichen Anpassung der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern noch weiterer Abstimmungen mit den Ländern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Sie müssen doch trotzdem einen ungefähren Zeitplan haben. Ihre Planung im Hinblick auf die Abstimmung wird kaum zwischen zwei Monaten und dem Ende der Legislaturperiode liegen. Deshalb meine Frage nach einem Zeitplan. Wie lange soll die Abstimmung ungefähr dauern? Wann kann man damit rechnen, dass dieses durchaus komplizierte Gesetz, in dem es viele Fragen zur Verkehrspolitik gibt, den Bundestag und seine Ausschüsse erreicht?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Auch wenn mich meine Experten im Ministerium davor gewarnt haben, einen konkreten Zeitpunkt zu nennen, weil man nie weiß, wie die Abstimmungen laufen, und schwierige Abstimmungen mit den Ländern vor uns liegen - diese müssen das Verfahrensgesetz des Bundes auf ihre Verfahrensgesetze übertragen -, hoffe ich, dass wir das bis zur Sommerpause hinbekommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erst einmal nicht. Nehmen wir die nächste Frage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut. - Dann kommen wir zur Frage 79 des Kollegen Hofreiter: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den aktuellen Diskussionen um die Verbesserung der Bürgerbeteiligung an Planungsprozessen im Hinblick auf die Inhalte des Planungsvereinheitlichungsgesetzes, und wie bewertet die Bundesregierung die vielfach vorgeschlagene Einrichtung einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung im Planfeststellungsrecht? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die Bundesregierung prüft derzeit eine Ergänzung des Gesetzentwurfs über die Einführung zusätzlicher Formen einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung im Planfeststellungverfahren. Dabei werden verschiedene Lösungsmöglichkeiten, etwa die von Baden-Württemberg als Bundesratsinitiative geplanten Ergänzungsvorschläge, berücksichtigt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre Nachfrage, bitte.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Was kann man sich unter einer „frühen Beteiligung“ vorstellen? Das aktuelle Problem ist: Manchmal ist der Plan erst nach vielen Monaten oder sogar Jahren Arbeit - wenn es sich um ein kompliziertes Infrastrukturproblem handelt - komplett fertiggestellt. Dann ist es verständlich, dass man nicht mehr groß etwas ändern will. Heißt „frühe Beteiligung“, dass die Bürger bereits bei Grundsatzentscheidungen beteiligt werden sollen, wie zum Beispiel im Straßenbau beim Linienfindungsverfahren, oder bereits im Raumordnungsverfahren? Wie kann man sich das praktisch vorstellen, und was wird diskutiert?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

All die Punkte, die Sie angesprochen haben, müssen jetzt überlegt werden. Darauf basierend werden wir den Gesetzentwurf ändern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie noch eine Nachfrage?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sind auch für die frühe Beteiligung Rechtsmittel vorgesehen? Derzeit besteht ein großes Problem darin, dass Rechtsmittel erst eingelegt werden können, wenn die Angelegenheit abgeschlossen ist. Unter Umständen wird vor Gericht dann eine fertige Planung verworfen, was natürlich auch für den Planenden unangenehm ist. Soll auch die Möglichkeit des Einlegens von Rechtsmitteln mit nach vorne gezogen werden?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

All das muss überlegt werden. Im Planungsrecht haben wir das Problem, dass sich die Planungszeiträume immer weiter verlängern. Wie wir erleben, führen diese langen Planungszeiträume gerade nicht zu einer größeren Akzeptanz bei der Bevölkerung. Deshalb befinden wir uns immer im Spannungsverhältnis: auf der einen Seite dem Bürger Rechtsmittel zu ermöglichen, auf der anderen Seite die Planungsverfahren nicht immer weiter auszudehnen, weil das geradezu kontraproduktiv für die Akzeptanz ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums des Innern. - Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk zur Verfügung. Ich rufe die Frage 80 der Kollegin Behm auf: Inwieweit liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über die Mitarbeit ehemaliger Haupt- und Inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in der Treuhandanstalt und den zur Treuhandanstalt gehörenden Unternehmen vor, und welche Erkenntnisse wurden insbesondere aus den Ergebnissen der Verfügung des damaligen Präsidenten der Treuhandanstalt, Dr. Detlev Rohwedder, vom 15. Januar 1991 gezogen, dass alle Aufsichtsratsmitglieder, Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer und Personalleiter in den Unternehmen der Treuhandanstalt eine Erklärung zu ihrer Nichtmitarbeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR unterzeichnen sollen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Präsidentin, herzlichen Dank. - Frau Kollegin Behm, ich möchte Ihre Frage wie folgt beantworten: Grundsätzlich bestand zwischen der damaligen Bundesregierung und der Treuhandanstalt Einvernehmen, dass diese keine politisch belasteten Personen beschäftigen soll, weder in der Anstalt selbst noch in leitender Stellung in den Treuhandunternehmen und deren Organen. Das Zerschlagen von sogenannten Seilschaften und die Verhinderung der Etablierung von belasteten Kadern waren für die Treuhandanstalt sowohl unter ihrem Präsidenten Dr. Detlev Karsten Rohwedder als auch unter Präsidentin Birgit Breuel von besonderer Bedeutung. Das von Ihnen in der Frage angesprochene Schreiben des Präsidenten vom 15. Januar 1991 zur politischen Vergangenheit von Personen mit Leitungsfunktionen in Beteiligungsunternehmen der Treuhandanstalt wurde unter der Präsidentschaft von Birgit Breuel mit Schreiben vom 7. August 1991 nochmals verstärkt. Im Februar 1991 waren auch alle Mitarbeiter der Zentrale und der Niederlassungen der Treuhandanstalt aufgefordert wor10856 den, sich zu einer möglichen Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit der ehemaligen DDR zu erklären. Lag eine solche Zusammenarbeit vor, so führte dies - ebenso wie die Abgabe einer falschen Erklärung - zur Entlassung des betroffenen Mitarbeiters.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In dem Schreiben von Präsident Rohwedder war eindeutig angegeben, welcher Personenkreis diese Erklärung abzugeben hat. Ich möchte gerne wissen, ob diese Erklärungen vom betreffenden Personenkreis in den einzelnen Unternehmen der Treuhandanstalt vollständig abgegeben worden sind, ob es hier möglicherweise Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen gegeben hat und wo diese Erklärungen abgelegt worden sind bzw. ob man nachprüfen kann, dass diese Erklärungen wirklich vollständig abgegeben worden sind. Ich frage deswegen, weil insbesondere in Brandenburg wiederholt Fälle auftauchen - ich spreche hier die Polizei an -, in denen keine redlichen Erklärungen abgegeben worden sind bzw. die Erklärungen fehlen.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Frau Kollegin Behm, da die Zuständigkeit für die Personalpolitik der Treuhandanstalt bei deren Vorstand lag, hat die Bundesregierung nur insoweit Erkenntnisse, wie diese Gegenstand von Berichten an den Deutschen Bundestag, seine Ausschüsse oder Mitglieder waren. In diesem Zusammenhang darf ich auf den Abschlussbericht des zweiten Untersuchungsausschusses „Treuhandanstalt“ auf Drucksache 12/8404 und die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Kollegen Werner Schulz auf Drucksache 12/782 hinweisen. Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang einige Zahlen nennen. Bis Ende Juli 1991 gingen bei den Vertrauensbevollmächtigten der Treuhandanstalt insgesamt rund 4 000 Hinweise auf mögliche politische Belastungen von Mitarbeitern ein. Bereits im Oktober 1990 waren 17 Vertrauensbevollmächtigte zur Überprüfung jedweder Hinweise auf mögliche politische Belastungen von Mitarbeitern der Treuhandanstalt oder Mitarbeitern in leitenden Stellungen von Treuhandunternehmen berufen worden. Die Vertrauensbevollmächtigten, ehemalige hochrangige westdeutsche Richter oder Beamte aus dem Bundesjustizministerium, waren in ihrer Arbeit völlig weisungsunabhängig und arbeiteten eng mit der damaligen Gauck-Behörde zusammen. Aufgrund der Eingaben bei den Vertrauensbevollmächtigten hatte sich die Treuhand bis Ende August von 400 Mitarbeitern - Geschäftsführern, Vorstandsmitgliedern und oberen Führungskräften in den Treuhandunternehmen - getrennt; hinzu kamen noch mehr als 200 weitere Kündigungen bis Ende August 1992. Genauere Zahlen lassen sich nicht mehr ermitteln. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben seit dem 1. Januar 2004 in der Abwicklung befindet und seit 2001 über kein eigenes Personal mehr verfügt.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es gibt aber Nachfolgegesellschaften. Das heißt, die Hülle besteht noch. Die Unterlagen werden nicht verschwunden sein. Wurde geprüft, ob die Erklärungen vollständig vorliegen? Wurde die Verfügung von Herrn Rohwedder, die von Frau Breuel ergänzt bzw. bekräftigt wurde, also umgesetzt, und wurden die Unterlagen irgendwo archiviert, damit sie der wissenschaftlichen Forschung zur DDR-Geschichte und zu anderen Themen zur Verfügung stehen?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Die Antwort auf diese Frage muss ich Ihnen schriftlich nachreichen, weil ich im Moment nicht weiß, an welcher Stelle und in welcher Form diese Unterlagen von einer der Nachfolgeorganisationen der Treuhandanstalt archiviert wurden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir halten fest, dass diese Antwort schriftlich nachgereicht wird. Die Fragen 81 und 82 des Kollegen Gustav Herzog werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 83 des Kollegen Hacker auf. - Der Kollege Hacker ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Das gilt auch für die Frage 84 des Kollegen Hacker. Die Frage 85 der Kollegin Andrea Wicklein, die Frage 86 des Kollegen Dr. Gehard Schick sowie die Fragen 87 und 88 der Kollegin Dr. Barbara Höll werden schriftlich beantwortet. Die Frage 89 hat der Kollege Nink gestellt. - Er ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Ich rufe die Frage 90 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Plant die Bundesregierung, von den Autoherstellerfirmen in Deutschland Rückzahlungen von direkten bzw. indirekten Subventionen und Unterstützungsleistungen einzufordern, die diesen im ersten Jahr der Finanzkrise etwa durch die milliardenteure Abwrackprämie aus Steuermitteln gewährt wurden, nachdem einige dieser Firmen jetzt außerordentliche Gewinne in dreistelliger Milliardenhöhe an ihre Aktionäre ausschütten, und, wenn nein, warum nicht, angesichts der knappen öffentlichen Kassen und der Finanznot von Ländern und Kommunen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Herr Ströbele, Sie hatten gefragt, ob „die Bundesregierung von den Autoherstellerfirmen in Deutschland Rückzahlungen von direkten bzw. indirekten Subventionen und Unterstützungsleistungen“ einfordert, „die diesen im ersten Jahr der Finanzkrise etwa durch die … AbParl. Staatssekretär Hartmut Koschyk wrackprämie aus Steuermitteln gewährt wurden“, nachdem diese Unternehmen, wie Sie in Ihrer Frage ausführen, „jetzt außerordentliche Gewinne in dreistelliger Milliardenhöhe an ihre Aktionäre ausschütten“. ({0}) - Ich habe nur aus der Frage des Kollegen Ströbele zitiert, damit die Kollegen, aber auch die Besucherinnen und Besucher wissen, was der Herr Kollege gefragt hat. Ich mache mir diese Einschätzung natürlich nicht zu eigen. Sehr geehrter Herr Kollege Ströble, grundsätzlich gilt: Rückzahlungen würden das Vertrauen der Unternehmen, aber auch der Bürger in derartige Maßnahmen erheblich beschädigen und die Wirksamkeit beeinträchtigen. Die Umweltprämie ist ein Bestandteil des durch die Bundesregierung aufgestellten konjunkturpolitischen Programms gewesen. Eine rechtliche Grundlage für eine nachträgliche Beteiligung besteht nicht. Im Einzelnen halten wir eine Rückzahlung aus folgenden Gründen für problematisch: Die Umweltprämie wurde den Automobilkäufern, den Bürgern, ausgezahlt und kam der Automobilwirtschaft somit nur mittelbar zugute. Daher kann sie nicht im Nachhinein von der Wirtschaft zurückgefordert werden. Auch haben die deutschen Hersteller in sehr unterschiedlichem Maße mittelbar von dieser Prämie profitiert. Im Wesentlichen haben die Volumenhersteller zusammen mit ihren Lieferanten und ihren Händlern von der durch die Umweltprämie induzierten Nachfrage profitiert, während insbesondere die Hersteller der deutschen Premiumfahrzeuge kaum Absatzzuwächse durch sie verzeichnen konnten. Das sind aber genau diejenigen Unternehmen, die jetzt mit guten Geschäftszahlen und guten Ergebnissen glänzen. Lieber Herr Ströbele, dem Gedanken, der Ihrer Frage zugrunde liegt, entsprechend, müssten wir uns nicht nur an die Automobilhersteller wenden, sondern an den gesamten Kfz-Handel. Wir müssten uns auch an ausländische Hersteller wenden. Allein das zeigt, dass der von Ihnen vorgeschlagene Weg für die Bundesregierung aus rechtlichen, aber auch aus politischen Gründen nicht infrage kommt. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bedanke mich für die Beantwortung der Frage, obwohl Millionen und Milliarden darin ein bisschen durcheinandergeworfen wurden. Das kann man angesichts der Summen, die europaweit als Hilfen vergeben werden, vielleicht verstehen und nachvollziehen, wenn es dadurch auch nicht richtig wird. ({0}) Meine Frage zielte darauf, ob Sie direkte oder indirekte Subventionen, die gewährt worden sind, ausgleichen. Ich habe das „Rückzahlungen“ genannt. Man kann damit aber auch auf andere Weise umgehen. Meine Nachfrage: Das Besondere unseres kapitalistischen Systems ist, dass die Unternehmer ein Risiko tragen. Wenn dann das Risiko zu groß wird, kann das bedeuten, dass die betreffende Firma Geld verliert oder sogar nicht mehr existiert. Dieses Risiko hat man den Aktionären abgenommen, indem man sie mit Steuermitteln massiv unterstützt hat. Man kann sich darüber streiten, ob das richtig oder falsch war, aber jedenfalls ist es geschehen. Halten Sie es für richtig, dass die Unternehmen nun riesige Gewinne machen und an die Aktionäre ausschütten, obwohl man ihnen einen großen Teil des Risikos abgenommen hat? Möglicherweise würde sonst die eine oder andere Firma nicht mehr in der Form existieren wie zuvor. Gibt es keine rechtlichen Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass der Steuerzahler zum Beispiel in Form von Sonderabgaben - das muss man nicht Rückzahlung nennen - etwas von dem, was er diesen Unternehmen gegeben bzw. - so möchte ich das bezeichnen - geliehen hat, zurückbekommt?

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Herr Kollege Ströbele, der Steuerzahler bekommt dadurch etwas zurück, dass diese Unternehmen, wenn sie jetzt gute Erträge haben, entsprechend Steuern zahlen. Der Steuerzahler hat auch etwas davon, dass wir den Unternehmen durch diese Maßnahmen über die Krise hinweggeholfen und es ihnen ermöglicht haben, das Beschäftigungsniveau zu halten. Das heißt, es ist nicht zu zusätzlicher Arbeitslosigkeit gekommen. Zusätzliche Arbeitslosigkeit in erheblicher Höhe hätte nicht allein aus den Beitragsmitteln der Bundesagentur für Arbeit, sondern auch aus Steuermitteln finanziert werden müssen. Würde man Ihren Gedanken, die Logik Ihres Vorschlags fortführen, Herr Kollege Ströbele, dann müssten wir uns zum Beispiel fragen: Was machen wir eigentlich, wenn wir Unternehmen fördern, die im Bereich der Windkraft sehr gute Erträge erzielen? ({0}) Sollten wir dann, wenn Windkraftunternehmen und Windkraftanlagenhersteller sehr gute Erträge erzielen, die Förderbeträge von diesen Unternehmen zurückfordern? ({1}) Sie bemerken sicherlich, dass der logische Ansatz Ihrer Überlegung zu Weiterungen führen würde, denen die Bundesregierung nicht nachkommen möchte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Gegensatz zu Ihnen fallen mir in diesem Zusammenhang nicht in erster Linie die erneuerbaren Energien als Beispiel ein, ({0}) sondern die Kernenergie, in die ungeheuer viel investiert worden ist. Da hier die Unternehmen praktisch als Gelddruckmaschinen funktionieren, frage ich, ob man dem Steuerzahler nicht etwas zurückgeben könnte. Aber das will ich jetzt nicht vertiefen. Meine Frage lautet: Wird denn daran gedacht, in Zukunft Rückzahlungsvereinbarungen mit staatlich unterstützten privaten Industrieunternehmen zu schließen, die Profite machen und Dividenden ausschütten? Das scheint mir als normal denkender Mensch, als Steuerzahler und Abgeordneter eigentlich gerecht zu sein.

Hartmut Koschyk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001186

Herr Ströbele, man wird sicherlich generell überlegen müssen, welche Konsequenzen man aus den Maßnahmen, die die Bundesregierung zur Abfederung der volkswirtschaftlichen Folgen der Finanzmarktkrise getroffen hat, zieht. Ich will einen Bereich nennen. Um in Zukunft bei Schieflagen von Banken nicht gleich wieder den Steuerzahler in Haftung zu nehmen, haben wir entschieden, eine Bankenabgabe zu erheben, mit der ein Restrukturierungsfonds zur Lösung künftiger Schieflagen von Banken finanziert werden soll. Sie sehen an den verschiedenen Stabilisierungsmaßnahmen, dass die Bundesregierung durchaus Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise zieht. Die Bankenabgabe ist eine solche Konsequenz. Sicherlich wird man darüber nachdenken müssen, ob man in zukünftigen Krisen ähnlich stabilisierende Maßnahmen wie in der Vergangenheit ergreifen wird.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auf die Banken kommen wir noch zurück.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 17. März 2011, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.