Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Vorweg: Die Fraktionen haben sich, abweichend von
unserem sonst üblichen Verfahren, auf eine besondere
Gestaltung der später stattfindenden Fragestunde verständigt: Zunächst stehen etwa 30 Minuten für dringliche Fragen zu Libyen zur Verfügung, danach etwa
30 Minuten für dringliche Fragen zur Dissertation des
Bundesministers der Verteidigung. Anschließend behandeln wir die übrigen mündlichen Fragen wie üblich.
Die beiden erstgenannten Themen sind ebenfalls Gegenstand von Aktuellen Stunden. Die Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen haben für heute
im Anschluss an die Fragestunde eine Aktuelle Stunde
zur Dissertation des Bundesministers der Verteidigung
verlangt. Gegenstand der morgigen Aktuellen Stunde auf
Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP ist die
Eskalation der Gewalt in Libyen.
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und
Steuerhinterziehung ({0})
- Drucksache 17/4802 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Wir
kommen daher gleich zur Überweisung.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/4802 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur weiteren
Erleichterung der Sanierung von Unternehmen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin der Justiz, Frau LeutheusserSchnarrenberger. Bitte schön, Frau Ministerin.
Recht herzlichen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung
hat es sich angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise
zur Aufgabe gemacht, das Insolvenzrecht an die aus den
Ereignissen der vergangenen Jahre resultierenden Herausforderungen anzupassen. Am 1. Januar dieses Jahres
ist das Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz in Kraft getreten, mit dem kriselnde systemrelevante Kreditinstitute
im Vorfeld einer Insolvenz ohne staatliche Übernahme
entweder finanzmarktschonend abgewickelt oder nachhaltig stabilisiert werden können.
Jetzt ist die Realwirtschaft an der Reihe. Mit dem
heute vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf zur
weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen
legt die Bundesregierung die erste Stufe der Insolvenzrechtsreform vor. Wir erleichtern die Restrukturierung
und Fortführung von sanierungsfähigen Unternehmen,
ohne die Marktbereinigungsfunktion des Insolvenzrechts
zu beeinträchtigen.
Wie erreichen wir das? Der Einfluss der Gläubiger
auf die Auswahl des Insolvenzverwalters wird gestärkt,
das Verfahren für alle Beteiligten planbarer. Wir bauen
das Insolvenzplanverfahren aus, beseitigen Hindernisse
und setzen Anreize für eine frühe Sanierung. Die fachliche Kompetenz bei den Gerichten soll gesteigert werden. Die Eigenverwaltung wird vereinfacht. Damit wird
Unternehmern die Furcht vor einem Kontrollverlust
Redetext
nach dem Insolvenzantrag genommen. Der Ansatz „Sanierung vor Liquidierung“ wird aber nur gelingen, wenn
Unternehmen früher Anträge auf Insolvenz stellen. Der
Gesetzentwurf unterstützt sie darin, diesen zugegebenermaßen schwierigen Schritt zu wagen, bevor die letzte
Masse verbraucht und die letzte Chance auf eine Sanierung vertan ist.
Die Aussichten, dass Deutschland gestärkt aus der
Finanz- und Wirtschaftskrise hervorgeht, stehen gut. Die
Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ist
wegen des erfreulich kräftigen Aufschwungs stark gesunken. Anders als noch 2009 gab es 2010 praktisch
keine spektakulären Großinsolvenzen. Die Anzahl der
Insolvenzen von Unternehmen mit einem Umsatz von
mehr als 100 Millionen Euro hat sich um zwei Drittel reduziert. Die Verfahren waren insgesamt deutlich weniger
umfänglich als zuvor. Dies zeigt sich auch in dem erheblichen Rückgang der insolvenzbedingten Arbeitsplatzverluste. Der heute beschlossene Regierungsentwurf unterstützt diese erfreuliche Entwicklung und wird die
Sanierungschancen von Unternehmen weiter verbessern.
Damit stärken wir die Insolvenzordnung und den Standort Deutschland insgesamt.
Auf der zweiten Stufe der Reform werden wir noch in
diesem Jahr eine Änderung des Verbraucherinsolvenzrechts auf den Weg bringen. Gescheiterte Gründer, aber
auch überschuldete Verbraucher sollen schneller eine
Chance für einen Neustart erhalten. Im Interesse der Forschung werden wir Lizenzen, also Rechte des geistigen
Eigentums, in der Insolvenz sicherer ausgestalten. Wir
prüfen den Bedarf für die Sanierungsverfahren schon im
Vorfeld der Insolvenz.
Das Insolvenzrecht ist und bleibt ein zentrales Reformvorhaben der Bundesregierung im Wirtschaftsrecht.
Ich freue mich auf die Beratungen im Plenum des Bundestags und in den Ausschüssen.
Vielen Dank.
Ich bitte darum, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, der soeben behandelt wurde. - Das Wort
hat zunächst Kollegin Voßhoff.
Frau Ministerin, vielen Dank für Ihre Ausführungen.
In der Tat ist dieser Reformentwurf von grundsätzlicher
wirtschaftlicher Bedeutung. Die christlich-liberale Koalition zeigt damit einmal mehr, dass sie die wirtschaftliche Entwicklung positiv flankiert. Das zeigen auch die
Erfahrungen mit der Insolvenzordnung der vergangenen
Jahre.
Sie erwähnten die einzelnen Stichworte. Dazu habe
ich eine Nachfrage. Bestandteil des Reformvorhabens ist
auch der Ausbau und die Straffung des Insolvenzplanverfahrens, eine sehr wichtige Einzelposition im Reformvorhaben. Wie soll das erfolgen? Welche Wirkung
verspricht sich die Bundesregierung davon?
Liebe Frau Voßhoff, die Bundesregierung möchte
durch die Schaffung des Insolvenzplanverfahrens erreichen, dass man sich schon sehr frühzeitig damit auseinandersetzt, wie mit den Anliegen der Gläubiger
umgegangen wird. Wir versuchen auch, Gläubiger und
Anteilseigner durch eine Reduzierung von Rechtsmitteln
im Frühstadium an einen Tisch zu bekommen. Wir versuchen, die Anreize zu verbessern, sodass auch diese Instrumente vonseiten des Schuldners genutzt werden.
Es sind viele einzelne Erleichterungen vorgesehen.
Wir beziehen Anteilseigner insgesamt in das Verfahren
ein. Sie werden in ihrer Stellung nicht nur dem Gesellschaftsrecht unterworfen, was bisher häufig zu Verzögerungen und Schwierigkeiten geführt hat, sondern sie
werden in die Insolvenzordnung einbezogen. Dort werden ihre Rechte angemessen in Abwägung mit anderen
Anliegen berücksichtigt.
Die nächste Fragestellerin ist Kollegin Elisabeth
Winkelmeier-Becker.
Herzlichen Dank. - Ich habe eine Frage zu den Neuregelungen des § 56 Insolvenzordnung, in dem es um die
Verwalterauswahl geht. Welche Erwartungen verbinden
Sie damit, dass das Vorbefassungsverbot gelockert werden soll? Wie sieht die Rolle des Gerichts aus? Wird sie
eher gestärkt oder eingeschränkt?
Ich habe eine weitere Frage: Die Verwalterauswahl ist
ein wichtiges Stadium, in dem wir mehr Gläubigereinfluss haben wollen. Dazu wird es den vorläufigen Gläubigerausschuss geben. Es hat eine Änderung gegenüber
dem Diskussionsentwurf gegeben, was die Zusammensetzung des Gläubigerausschusses betrifft. Was waren
die tragenden Gründe? Glauben Sie, dass wir jetzt zu einer repräsentativen Beteiligung der Gläubiger kommen?
Bitte.
Frau Abgeordnete, gerade die Änderung des § 56 der
Insolvenzordnung ist von großer Bedeutung, und zwar
sowohl was die Stellung des vorläufigen Gläubigerausschusses als auch seine Zusammensetzung angeht. Wir
wollen, dass nicht nur die - in Anführungsstrichen Großgläubiger eine Rolle darin spielen, sondern auch
verschiedene andere Gruppen. So sollen etwa die Anteilseigner eine Gruppe im vorläufigen Gläubigerausschuss
bilden, aber auch die Arbeitnehmer sollen zu einer
Gruppe zusammengefasst werden können.
Wir wollen so den vorläufigen Gläubigerausschuss
stärken, dass er die Möglichkeit bekommen soll, Vorschläge für die Bestellung des Insolvenzverwalters zu
machen. Wir hatten bisher manchmal die Situation, dass
ein Gläubiger eine geeignete Persönlichkeit als InsolvenzBundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
verwalter beim Insolvenzgericht vorgeschlagen hat,
diese Person dann aber schon deshalb, weil der Vorschlag von einem Gläubiger kam, als befangen und damit als nicht geeignet angesehen wurde. Deshalb wollen
wir den vorläufigen Gläubigerausschuss stärker einbeziehen, wenn es zu einer einstimmigen Einigung auf den
Vorschlag einer Person kommt. Natürlich muss das Insolvenzgericht aber noch einen eigenen Entscheidungsspielraum im Hinblick auf Eignung und Qualifikation
haben.
Wir erhoffen uns, dass dies ein besseres Verfahren
sein wird, um das Insolvenzverfahren - auch das Insolvenzplanverfahren - mit qualifizierten Persönlichkeiten
zu gestalten.
Danke schön. - Die nächste Wortmeldung ist von
Kollegen Christian Ahrendt.
Frau Ministerin, Sie haben eben schon in der Antwort
auf die Frage von Kollegin Voßhoff ausgeführt, dass das
Insolvenzplanverfahren im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens überarbeitet und verbessert wird. Ein wesentlicher Punkt in der Vergangenheit ist immer gewesen,
dass das Insolvenzplanverfahren gar nicht erst erreicht
wird, weil die Hürden dafür sehr hoch sind und die
Schuldner, die eine Sanierung ihres Unternehmens anstreben, oftmals vor den damit verbundenen Schwierigkeiten zurückschrecken. Frage eins: Welche gesetzlichen
Verbesserungen sehen Sie vor, damit Schuldner, die ihr
Unternehmen ernsthaft sanieren wollen, das Insolvenzplanverfahren besser erreichen können?
Frage zwei: Sie haben eben den Gläubigerausschuss
angesprochen. Welche Mitglieder sind im Gläubigerausschuss vertreten? Ein wichtiger Punkt ist immer die
Sicherung von Arbeitsplätzen. Finden Arbeitnehmer in
den Gläubigerausschüssen künftig bessere Berücksichtigung?
Herr Kollege Ahrendt, zu Ihrer zweiten Frage: Jawohl,
Arbeitnehmer finden sich, weil sie als Gruppe zusammengefasst werden können, im vorläufigen Gläubigerausschuss wieder, und darin liegt auch eine verbesserte Möglichkeit für sie, ihre berechtigten Anliegen einzubringen.
Das ist ausdrücklich so vorgesehen.
Ihre erste Frage bezieht sich letztlich darauf, wie man
Blockadepotenzial verhindern kann, das dazu führt, dass
das unter anderem in § 217 - der wird durch unseren Gesetzentwurf geändert - geregelte Insolvenzplanverfahren
gar nicht erst angewandt wird. Wir wollen die Kooperation der Anteilseigner im Insolvenzplanverfahren stärken. Wir wollen, dass auch einzelne Gesellschafter ihren
Beitrag zur Sanierung leisten müssen. Sie werden im Insolvenzplanverfahren künftig nicht mehr dem Gesellschaftsrecht unterstellt, sondern den Vorschriften über
den gestaltenden Teil des Insolvenzplanverfahrens unterworfen. Das insolvenzrechtliche Obstruktionsverbot gilt
auch für sie. Außerdem haben wir die Möglichkeiten,
Rechtsmittel einzulegen, eingeschränkt, sodass wir Blockademöglichkeiten reduzieren und den Schritt in das
Insolvenzplanverfahren deutlich erleichtern können.
Die nächste Frage kommt von Ansgar Heveling.
Frau Ministerin, ich will an die Frage des Kollegen
Ahrendt zum Themenfeld des Insolvenzplanverfahrens
anknüpfen. Meine Frage ist, ob und inwiefern der Gesetzentwurf auf die bisher umstrittene Frage eingeht, ob
ein Insolvenzplanverfahren auch dann zulässig ist, wenn
der Insolvenzverwalter die Unzulänglichkeit der Masse
bereits angezeigt hat. Wie verhält sich der Gesetzentwurf
zu diesem Komplex?
Die Frage der Zulässigkeit eines Insolvenzplans bei
Masseunzulänglichkeit wird in § 210 a, der durch diesen
Gesetzentwurf eingefügt wird, geregelt. Die Alternative
zu einem Insolvenzplan und der damit verbundenen Rettung des Unternehmens bei Masseunzulänglichkeit wäre
die Zerschlagung und Liquidierung des Unternehmens.
Diese Vorschrift eröffnet eine Sanierungschance, die gegenwärtig nicht besteht. Damit kann zum Erhalt von Arbeitsplätzen beigetragen werden. Auch das ist eine wichtige Änderung, die in diesem Gesetzentwurf enthalten
ist.
Die nächste Frage stellt Mechthild Dyckmans.
Frau Ministerin, im Koalitionsvertrag ist vereinbart
worden, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für
außergerichtliche Sanierungsverfahren für Unternehmen im Vorfeld einer drohenden Insolvenz verbessert
werden sollen. Enthält der vorliegende Gesetzentwurf
auch hierzu Regelungen?
Liebe Frau Kollegin Dyckmans, wir haben ein komplett ausgestaltetes vorinsolvenzrechtliches Sanierungsverfahren in diesem Gesetzentwurf nicht vorgesehen.
Der Gesetzentwurf enthält aber eine Vorschrift, die sich
mit dem sogenannten Schutzschirmverfahren befasst,
durch das frühzeitig Sanierungsmaßnahmen eingeleitet
werden können. Das betrifft die Fälle, in denen der
Schuldner noch nicht zahlungsunfähig ist, in denen aber
ein sonstiger Insolvenzgrund, zum Beispiel Überschuldung, vorliegt. In diesen Fällen soll frühzeitig die
Chance eröffnet werden, im Schutz dieses besonderen
Verfahrens in Eigenverwaltung einen Sanierungsplan zu
erstellen. Das ist eine erweiterte Möglichkeit. Das ist
aber nicht ein reines, isoliertes vorinsolvenzrechtliches
Sanierungsverfahren. Da es in diesem Zusammenhang
viele Pro- und Kontraargumente gibt, muss man das in
Ruhe erörtern. Ich finde, man muss auch die Bedenken
berücksichtigen, die dagegen vorgebracht werden. Deshalb ist das so nicht in diesem Gesetzentwurf enthalten.
Nun erteile ich das Wort Kollegin Gitta Connemann
zu einer Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, im
Bereich der Insolvenzverfahren kommt den Amtsgerichten eine Schlüsselrolle zu, da die Insolvenzgerichte dort
angesiedelt sind. Aufgrund vielerlei Erfahrungen, die ich
in meinem Wahlkreis gesammelt habe, ist mir bewusst,
dass es sehr stark darauf ankommt, dass bei den Amtsgerichten Kompetenz in diesen Fragen angesiedelt ist,
damit die Unternehmer bei ihrem Ziel einer erfolgreichen Unternehmenssanierung unterstützt werden können.
Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie um Information, inwiefern Sie diesbezüglich Pläne oder Vorstellungen in
Ihrem Gesetzentwurf verankert haben, wohl wissend,
dass die Organisationsfrage in der Zuständigkeit der
Länder liegt.
Liebe Frau Connemann, es ist wirklich ganz entscheidend, dass die Kompetenz für Insolvenzverfahren bei
den Amtsgerichten gestärkt wird. Deshalb sehen wir
zum einen in unserem Gesetzentwurf vor, dass § 2 der
Insolvenzordnung so gefasst wird, dass die Zuständigkeit auf ein Amtsgericht in einem Landgerichtsbezirk
konzentriert werden kann. Das soll die Möglichkeit eröffnen, dass dort Erfahrungen mit Insolvenzverfahren
gesammelt werden. Dabei geht es darum, dass die Qualifikation verbessert wird, dass mehr Erfahrungen im Umgang mit der Vielgestaltigkeit dieser Verfahren gesammelt werden können und es entsprechend erfahrene
Richter gibt. Derzeit ist es teilweise so, dass an einem
Gericht ein einziger Richter mit all diesen Fragen befasst
ist, er daneben aber auch noch viele andere Dinge, die in
seinen Kompetenzbereich fallen, zu erledigen hat. Ich
glaube, der Erfolg der Insolvenzverfahren, die nicht das
Ziel der Liquidierung haben, hängt entscheidend davon
ab, dass erfahrene Insolvenzrichter frühzeitig die Möglichkeiten ergreifen, die ihnen mit diesem Gesetzentwurf
geboten werden.
In diesem Gesetzentwurf sehen wir zum anderen vor
- das ist geboten; das haben wir in anderen Rechtsbereichen in dieser Form nicht -, dass der Aus- und Fortbildung ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Hier besteht ausdrücklich ein Auftrag an die Länder, die das in
ihrer Verantwortung wahrzunehmen haben. Ich glaube,
nur dann kann den berechtigten Anliegen von Unternehmen und von Arbeitnehmern zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze Rechnung getragen werden.
Nun Kollege Silberhorn, bitte.
Frau Ministerin, im Zusammenhang mit den Staateninsolvenzen, über die wir im Zuge der Stabilisierung des
Euro diskutieren müssen, stellt sich auch die Frage, wie
verhindert werden kann, dass einzelne Gläubiger die
Umstrukturierung eines hoch verschuldeten Landes verhindern können. Das ist zwar eine andere Baustelle, aber
eine ähnliche Frage stellt sich im Zusammenhang mit
Unternehmensinsolvenzen. Wie kann verhindert werden,
dass einzelne Gläubiger das Wirksamwerden eines Insolvenzplanes blockieren oder so verzögern, dass der Sanierungserfolg gefährdet wird? Könnten Sie uns dazu
vielleicht etwas ausführen?
Sehr geehrter Herr Silberhorn, mit diesem Problem,
das Sie angesprochen haben, haben wir in der Vergangenheit schon Erfahrungen gemacht. Im Gesetzentwurf
ist vorgesehen, dass es kein Beschwerderecht für gesicherte Gläubiger im Eröffnungsverfahren geben soll,
weil das Verfahren dadurch deutlich verzögert und gefährdet werden könnte. Außerdem ist damit - das wissen
wir aufgrund der bisherigen Erfahrung - große Rechtsunsicherheit für den Insolvenzverwalter verbunden.
Wir haben eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der zum Beispiel eine pauschale, formularmäßige
Anordnung von möglichen Sicherungsmaßnahmen verbietet, sodass darüber der dann noch gebotene Gläubigerschutz erreicht werden kann. Mit der Streichung des
Beschwerderechts haben wir einen Weg beschritten, um
zu verhindern, dass die Eröffnung dieses Verfahrens zu
sehr behindert wird.
Zu einer weiteren Frage bekommt Kollege Christian
Ahrendt das Wort.
Frau Ministerin, wir haben in der Vergangenheit immer öfter erlebt, dass Lohnzahlungen, die an die Arbeitnehmer in den letzten Monaten vor Beginn des Insolvenzverfahrens erfolgt sind, angefochten worden sind. Dies
geschah mit dem Hinweis, dass Arbeitnehmer durchaus
Kenntnis von den Schwierigkeiten eines Unternehmens
haben können und daher hinnehmen müssen, dass die
Lohnzahlungen, die in diesen kritischen Zeiträumen geleistet wurden, vom Insolvenzverwalter angefochten
werden. Sieht der Gesetzentwurf in dieser Frage eine
Verbesserung für die Arbeitnehmer vor?
({0})
Es ist ja noch Zeit, Herr Trittin. - Herr Ahrendt,
Lohn- und Gehaltszahlungen, die regelmäßig erfolgen
bzw. erfolgt sind, können sowieso nicht angefochten
werden, allenfalls Lohnnachzahlungen. Erfolgt die Zahlung nicht später als 30 Tage nach der Erbringung der
Arbeitsleistung, so ist eine Insolvenzanfechtung ausgeschlossen. Von daher ist hier mit der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes eine gute und sichere Stellung der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegeben.
Jetzt hat Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker
noch einmal das Wort zu einer Frage.
Frau Ministerin, im Koalitionsvertrag hat sich die
Koalition vorgenommen, die Rahmenbedingungen für
eine vorinsolvenzliche Sanierung zu verbessern. Nun haben wir in dem vorgelegten Entwurf durchaus schon
einige Aspekte einer vorinsolvenzlichen Sanierung aufgegriffen. Wie beurteilen Sie die Notwendigkeit eines eigenständigen vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens
nach der Umsetzung dieses Gesetzentwurfes?
Wir haben bewusst einige Möglichkeiten jetzt in das
Verfahren aufgenommen, weil wir so früh wie möglich
versuchen wollen, das Augenmerk auf die Einleitung
von Sanierungsmaßnahmen zu lenken. Dadurch soll verhindert werden, dass eine Insolvenz zwangsläufig zur
Bestattung eines Unternehmens führt. Wir sind deshalb
zurückhaltend hinsichtlich einer möglichen Einführung
eines umfangreichen vorinsolvenzrechtlichen Sanierungsverfahrens; dies wird aber gerade noch sehr intensiv mit den Beteiligten erörtert. Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass Handlungsbedarf besteht, werden wir
dies in einem nächsten Schritt aufgreifen. Ich darf hier
deutlich zum Ausdruck bringen, dass wir in diesem
Punkt sehr zurückhaltend sind und eine zwingende Notwendigkeit im Moment nicht besteht.
Danke schön, Frau Ministerin.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Zuerst Kollegin Enkelmann, dann Kollege Beck.
Danke, Herr Präsident. - Am letzten Freitag hat der
Bundesminister der Verteidigung parallel zur Bundespressekonferenz eine nicht ganz unwichtige politische
Erklärung abgegeben und es somit einem Großteil der
Journalistinnen und Journalisten unmöglich gemacht,
bei dieser Erklärung anwesend zu sein. Hat sich das Kabinett mit dieser Brüskierung der Bundespressekonferenz befasst und wenn ja, in welcher Art?
({0})
Herr von Klaeden, bitte.
Ich warte nur, bis das Mikrofon an ist, Herr Präsident. Die Antwort lautet: Nein, Frau Kollegin Enkelmann.
Aber wir werden dieses Thema gleich in der Fragestunde
noch weiter besprechen.
({0})
Nun Kollege Beck und anschließend Kollege
Nouripour.
Die Bundeskanzlerin legt entscheidenden Wert darauf, zwischen dem Doktoranden zu Guttenberg und
dem Politiker zu Guttenberg zu unterscheiden. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, welche Richtlinien zur
Verwendung des Briefkopfes eines Ministeriums es in
der Bundesregierung gibt.
Wie ich in der heutigen Bild-Zeitung gelesen habe,
hat der Bundesminister der Verteidigung ein Schreiben
an die Universität Bayreuth zur Niederlegung seines
Doktorgrades gesandt - ich habe es in Faksimile hier -,
das mit dem Briefkopf des Bundesverteidigungsministeriums versehen ist. Da es undatiert ist, kann ich Ihnen
nicht sagen, von welchem Tag es stammt. Ich kann mich
allerdings daran erinnern, dass zu Zeiten der Kohl/
Genscher-Regierung ein Minister der FDP zurückgetreten ist, weil er unbefugt für private Angelegenheiten
Briefpapier, das mit dem Briefkopf eines Ministeriums
versehen war, verwendet hat. Ich möchte wissen, ob in
der Bundesregierung inzwischen andere Richtlinien zur
Verwendung amtlicher Briefköpfe existieren.
Herr Kollege Beck, zunächst einmal: Ich bin nicht so
ein eifriger Leser der Bild-Zeitung wie Sie.
({0})
- Ich kann es von hier nicht erkennen.
Falls es solche Richtlinien geben sollte, bin ich gerne
bereit, sie Ihnen zukommen zu lassen. Der Fall, auf den
Sie möglicherweise anspielen, war aber völlig anders gelagert.
({1})
- Das kann ich mir vorstellen; aber es ist trotzdem eine
korrekte Antwort.
({2})
Der nächste Fragesteller ist Kollege Nouripour.
Nach Beendigung der Wehrpflicht wird die Bundeswehr etwas für ihre Attraktivität tun müssen. Wir erleben
dieser Tage, dass es das Problem gibt, Nachwuchs zu
generieren. Wir haben erfahren, dass das BMVg deshalb
demnächst eine Anzeigenkampagne schalten wird, in der
Bild-Zeitung, in der Bild am Sonntag und auf
www.bild.de.
({0})
War heute im Kabinett ein Thema, warum diese Kampagne nicht in weiteren Medien geschaltet wird und was
sie kostet?
({1})
Nein, das ist im Kabinett nicht besprochen worden.
Da der Parlamentarische Geschäftsführer Ihrer Fraktion
zu den eifrigen Lesern der Bild-Zeitung gehört, wird es
aber sicher nicht falsch sein, dort solche Anzeigen zu
schalten. Vielleicht können wir ihn ja gewinnen.
({0})
Nun Kollegin Haßelmann.
Herr von Klaeden, ich habe Ihnen gerade die Kopie
des Schreibens, das in der heutigen Bild-Zeitung zu lesen ist, gegeben. Da sie Ihnen jetzt vorliegt, können Sie
die Frage meines Kollegen Beck nun sicherlich beantworten. Von daher würde ich Sie bitten, dies zu tun und
mir die Frage zu gestatten, ob Sie sich heute im Kabinett
darüber unterhalten haben, ob der Minister zur heutigen
Fragestunde erscheinen und selbst Rede und Antwort zu
den dringlichen Fragen stehen wird oder ob er, wie gestern in Agenturmeldungen zu lesen war, zwei Staatssekretäre schicken wird.
Bezüglich Ihrer zweiten Frage schlage ich vor: Warten Sie doch ab. Dann wird die Frage beantwortet.
Was Ihre vorausgehenden Ausführungen angeht, kann
ich nur wiederholen, was ich bereits auf die Frage des
Kollegen Beck geantwortet habe: Falls es solche Richtlinien gibt, werde ich sie Ihnen gerne zusenden und dann
auch die Frage in diesem Zusammenhang beantworten.
({0})
Noch einmal Kollege Beck.
Da Sie selbst Mitglied der Bundesregierung sind, haben Sie sich sicherlich schon einmal mit der Frage beschäftigt, ob Sie für private Korrespondenz Briefpapier
verwenden, das mit dem Briefkopf des Bundeskanzleramtes versehen ist. Herr Kollege von Klaeden, da Sie Jurist sind,
({0})
frage ich Sie: Halten Sie es nach Ihrem juristischen und
dienstlichen Verständnis im Bundeskanzleramt für richtig, wenn jemand für private Korrespondenz Briefpapier,
das mit dem Briefkopf des Bundesverteidigungsministeriums versehen ist, nutzt, insbesondere dann, wenn es
um private Rechtsakte geht?
Wie gesagt, werde ich Ihnen die Frage in Bezug auf
diesen Brief beantworten, und falls es solche Richtlinien
gibt, werde ich auch darauf Bezug nehmen. Was Ihre
Einleitung der Frage angeht, muss ich Ihnen auch zu
meinem Bedauern mitteilen, dass ich leider nicht Mitglied der Bundesregierung bin.
({0})
Eine weitere Frage stellt Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr von Klaeden,
mich irritiert Ihre Antwort bzw. die Nichtbeantwortung
der Frage; denn es war doch der Presse zu entnehmen,
dass nicht nur das Kanzleramt, sondern auch die Kanzlerin selbst sehr großen Wert auf die Trennung von Verteidigungsminister und Doktortitel legt. Deshalb ist es
nicht irgendein Vorgang, wenn der Verteidigungsminister sich heute öffentlich dazu in der Bild-Zeitung äußert;
denn da findet eine Vermischung statt. Daher meine
Frage: Wie nehmen Sie es im Kanzleramt und auch innerhalb des Kabinetts wahr, wenn die Trennung, die ausgerechnet die Kanzlerin dezidiert seit Tagen vornimmt,
hier aufgehoben wird?
Ich glaube, dass es nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, die Berichterstattung der Bild-Zeitung zu kommentieren.
({0})
Sie haben gerade auf die Vermischung in der Berichterstattung hingewiesen, und ich sage: Diese Berichterstattung wird ebenso wie die Berichterstattung anderer
Medien nicht kommentiert.
Eine weitere Frage stellt die Kollegin Ulla Schmidt.
({0})
Darüber können wir gerne reden. - Aber ich habe eine
Frage an den Kollegen Klaeden. Hat die Bundesregierung die Bestimmungen vielleicht geändert? Zu der Zeit
der Großen Koalition war das ganz eindeutig geregelt:
Privates nur mit privatem Briefkopf und Dienstliches mit
dienstlichem Briefkopf.
({0})
- Die Dinge sind alle geklärt. - Hat es dort eine Änderung gegeben?
Frau Kollegin Schmidt, ich beantworte die Frage so,
wie ich sie eben auch schon beantwortet habe: Ich werde
mich erkundigen, ob es solche Richtlinien gibt, und
werde Ihnen dann davon Kenntnis geben.
({0})
Eine weitere Frage stellt der Kollege Beck.
Ich möchte die Frage der Kollegin Haßelmann in
Erinnerung bringen. Es ging nicht um die Berichterstattung der Bild-Zeitung, sondern es ging um den Brief des
Bundesverteidigungsministers an die Universität Bayreuth. In diesem Brief dementiert der Bundesverteidigungsminister die von der Bundeskanzlerin vorgenommene Trennung zwischen dem Doktoranden, dem
Bundesverteidigungsminister und dem Abgeordneten,
indem er alles in eins setzt und es aufs Amt zieht, ähnlich wie er es am Freitag mit der Pressekonferenz zu dem
privaten Vergnügen einer Dissertation vor handverlesenen Journalisten gemacht hat,
({0})
organisiert von der Pressestelle des Bundesverteidigungsministeriums, durchgeführt im Bundesverteidigungsministerium. Ich will aus der Geschichte jetzt gar
keinen Rücktrittsgrund konstruieren, sondern lege Wert
auf die Feststellung, dass die Entmischung, die künstliche Trennung in der Debatte offensichtlich von demjenigen, um den es geht und der entmischt werden soll, selber nicht ernst genommen und auch nicht durchgehalten
wird, weshalb dieser Ansatz der Verteidigung vielleicht
in die Irre geht.
Herr Kollege Beck, das, was Sie gerade hier als Inhalt
des Schreibens paraphrasiert haben, ergibt sich aus dem
Schreiben, das mir die Kollegin Haßelmann gerade vorgelegt hat, nicht. Deswegen muss ich davon ausgehen,
dass Sie von einem anderen Schreiben sprechen.
({0})
Den Bezug, den Sie hier gerade unterstellen, hat der Unterzeichnende jedenfalls in dem Schreiben, das mir in
Kopie vorgelegt worden ist, nicht hergestellt.
Eine weitere Frage stellt Kollegin Haßelmann.
({0})
Herr Präsident, vielen Dank. - Vielen Dank auch für
die Geduld der Kollegen, die sich anscheinend strapaziert fühlen.
({0})
Herr von Klaeden, noch eine Frage: Wie stehen Sie
denn als Bundesregierung zu der von der Bundeskanzlerin vorgenommenen Trennung der akademischen Laufbahn vom Amt des Verteidigungsministers - daran gibt
es ja wohl keinen Zweifel, weil das durch mehrere Zitate
belegt ist - und der Nennung des Verteidigungsministers
bei der Verzichtserklärung in der heutigen Ausgabe der
Bild-Zeitung?
Zum zweiten Teil der Frage kann ich nur erneut sagen, dass ich die Berichterstattung der Bild-Zeitung oder
anderer Medien hier nicht kommentiere.
Zum ersten Teil der Frage: Es ist selbstverständlich,
dass die Bundeskanzlerin die volle Unterstützung der
Bundesregierung in Bezug auf ihre Äußerungen hat.
({0})
Ich sehe, Sie haben keine weiteren Fragen mehr. Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/4638, 17/4812, 17/4834 Wir kommen zunächst zu den dringlichen Fragen. Ich
will noch einmal daran erinnern, dass wir uns darauf
verständigt haben, eine halbe Stunde für den Themenkomplex „Libyen“ und eine halbe Stunde für den Themenkomplex „Bundesminister zu Guttenberg“ zu verwenden.
Zur Beantwortung der dringlichen Fragen 1 und 2
steht die Staatsministerin Cornelia Pieper zur Verfügung.
Ich rufe die erste dringliche Frage des Kollegen
Schockenhoff auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das gewaltsame Vorgehen des libyschen Regimes am vergangenen
Wochenende gegen friedliche Demonstranten sowie die Zahl
der Todesopfer, und wie bewertet die Bundesregierung die Situation in Libyen?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Herr Präsident, wenn Sie erlauben, würde ich die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten.
Ich erlaube es und rufe auch die dringliche Frage 2
des Kollegen Schockenhoff auf:
Für wie belastbar hält die Bundesregierung Aussagen von
Vertretern des libyschen Regimes am Montag, dem 21. Februar 2011, hinsichtlich Reformen wie die Erarbeitung einer
Verfassung sowie Änderungen im Strafgesetz und bei der Reglementierung der Medien?
Danke schön. - Ich bedanke mich ausdrücklich beim
Abgeordneten Schockenhoff für diese hochaktuellen und
sehr brisanten Fragen, auch deshalb, weil sich das
Kabinett heute sehr intensiv mit diesem Thema befasst
hat - auch im Zusammenhang mit der Situation in Nordafrika bzw. im Nahen Osten -, und beantworte sie wie
folgt: Die Bundesregierung ist über die aktuelle Lage in
Libyen und Berichte über gewaltsames und brutales Vorgehen von Kräften des Regimes höchst besorgt. Sie hat
das Vorgehen wiederholt mit deutlichen Worten verurteilt und die libysche Regierung aufgefordert, die Gewalt
gegenüber den Bürgern ihres eigenen Landes sofort zu
stoppen.
Auch die Außenminister der Europäischen Union haben die Gewalt mit klaren Worten verurteilt. Ebenso hat
sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der vergangenen Nacht in einer auch von uns geforderten offiziellen Sitzung auf ein eindeutiges Statement geeinigt.
Er verurteilt die Gewalt und die Unterdrückung, appelliert an die Einhaltung der Menschenrechte und des internationalen Rechts und fordert den Schutz ausländischer Staatsangehöriger.
Am Freitag wird es eine Sondersitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur Lage in Libyen geben. In der Europäischen Union haben die Beratungen über Sanktionen jetzt begonnen. Über die genaue
Anzahl der Todesopfer, Herr Abgeordneter, liegen keinen verlässlichen Informationen vor. Eine weitere Eskalation der Situation ist allerdings nicht auszuschließen.
Unsere Sorge gilt derzeit natürlich in erster Linie den im
Land verbliebenen Deutschen und anderen europäischen
Bürgern.
Sie hatten zu Recht auch noch gefragt, für wie belastbar die Bundesregierung die Aussagen von Vertretern
des libyschen Regimes hinsichtlich Reformen hält. Dazu
kann ich Ihnen sagen: Außer dem Versuch, die Protestbewegung auch mit brutalen Mitteln zu unterdrücken, ist
derzeit keine klare Linie des Regimes erkennbar. Äußerungen hinsichtlich möglicher Reformen sind daher aktuell wenig belastbar.
Kollege Schockenhoff, Sie haben Gelegenheit zur
Nachfrage.
Frau Staatsministerin, wie steht die Bundesregierung
zu Forderungen des luxemburgischen Außenministers
hinsichtlich eines UN-Mandats zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung? Sieht die Bundesregierung bereits eine Responsibility to Protect?
Damit hat sich die Bundesregierung im Kabinett noch
nicht befasst; aber wir haben natürlich ein großes Interesse daran, dass die Bürger vor Gewalt geschützt werden. Sie wissen, dass Gaddafi - das ist auch in seiner
Rede erkennbar - die Demonstrationen mit aller Gewalt
unterdrücken will. Ein völliges Auseinanderbrechen des
politischen Systems ist insgesamt nicht ausgeschlossen.
Man kann aber nach meiner Auffassung zum heutigen
Zeitpunkt noch nicht über weitere Schritte urteilen.
Sie wissen, dass der Bundesaußenminister sich heute
gemeinsam mit dem Bundesentwicklungsminister und
Staatssekretär Burgbacher aus dem Wirtschaftsministerium in Nordafrika aufhalten wird. Er wird nach Kairo
fliegen, um Ägypten eine Transformationspartnerschaft
anzubieten. Er hat sie bereits in einem Brief an die Hohe
Vertreterin der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, Frau Ashton, zur Sprache gebracht und
konkrete Schritte vorgeschlagen.
Ich glaube, das sind die richtigen Maßnahmen, die
man treffen muss, um den Menschen vor Ort zu helfen.
Eine weitere Nachfrage, bitte schön.
Frau Staatsministerin, welche Sanktionen werden von
der Bundesregierung neben einem Einreiseverbot gegenDr. Andreas Schockenhoff
über der Gaddafi-Familie und dem Einfrieren von Auslandskonten derzeit gegen die Führung Libyens erwogen? Um welche Auslandskonten würde es sich
handeln? Wie möchte die Bundesregierung nach dem
italienischen Veto gegen Sanktionen weiter vorgehen?
Wie Sie wissen, hat der Bundesaußenminister gestern
bewusst das Thema Sanktionen ins Gespräch gebracht.
Wir setzen uns in der Europäischen Union für eine rasche Prüfung aller Sanktionsmöglichkeiten ein. Dazu gehören auch die von Ihnen genannten. Das Thema steht
im Übrigen auf der Tagesordnung des Politischen und
Sicherheitspolitischen Komitees in Brüssel.
Was die Konten anbelangt, kann ich jetzt keine konkreten Angaben machen. Ich werde aber versuchen, sie
nachzuliefern.
Noch eine Nachfrage? - Bitte schön.
Wie steht die Bundesregierung zur Forderung nach einer Suspendierung der Mitgliedschaft Libyens im UNMenschenrechtsrat?
Ich glaube, die Tatsache, dass in Libyen gravierende
Menschenrechtsverletzungen vorgenommen worden
sind und dass ein Diktator wie Gaddafi sein eigenes Volk
bei friedlichen Demonstrationen niedermetzeln lässt,
gibt jede Begründung für die Forderung, die Sie gerade
angesprochen haben, Herr Abgeordneter.
Vielen Dank.
Das Wort zu einer Nachfrage hat nun Kollege Rolf
Mützenich.
Vielen Dank. - Ich wollte mich auch beim Kollegen
Schockenhoff bedanken, ihm aber auch, wenn ich das
nach den parlamentarischen Regeln darf, zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren.
({0})
Ich hoffe, Sie sind nicht böse mit mir, wenn das nicht
den Richtlinien entspricht.
Frau Staatsministerin, ich habe eine Nachfrage, weil
Deutschlands Rolle zurzeit mit seinem nichtständigen
Sitz im UN-Sicherheitsrat verknüpft ist: Ist die Bundesregierung bereit, möglicherweise international strafrechtliche Maßnahmen und Konsequenzen gegenüber
dem libyschen Regime und auch konkret gegenüber dem
jetzigen Machthaber, der offensichtlich noch im Amt ist,
zu erwägen? Welche weiteren Maßnahmen, die schon
von Herrn Schockenhoff angesprochen wurden, werden
erwogen? Ich glaube, dass der Sicherheitsrat über Möglichkeiten verfügt, zu einem weiteren friedlichen Umgang mit diesem verheerenden Konflikt beizutragen.
Herr Abgeordneter, ich hatte schon erwähnt, dass sich
der Sicherheitsrat in einer von uns geforderten offiziellen Sitzung auf ein eindeutiges Statement geeinigt hat
und dass er am kommenden Freitag zu einer weiteren
Sitzung zusammentreffen wird. Das war auch eine Forderung der Bundesregierung bzw. des Bundesaußenministers, der sich insbesondere in der Region sehr engagiert und alles, was mit Menschenrechtsverletzungen zu
tun hat, im UN-Sicherheitsrat zur Sprache bringen und
entsprechende Sanktionen von deutscher Seite einfordern wird.
Danke. - Nun hat Patrick Kurth Gelegenheit zu einer
Frage.
Frau Staatsministerin, es war zu lesen, dass zwei
Transall-Maschinen in Libyen waren, die der Bundeswehr gehören. Die Bundeswehr wird dann im Ausland
aktiv, wenn das Parlament dies beschließt. Hier lag meines Wissens kein Parlamentsbeschluss vor. Wie rechtfertigen Sie den Einsatz? Auf welcher Rechtsgrundlage waren die Maschinen dort?
In der Tat ist es so, dass Bundeswehreinsätze vom
Parlament genehmigt werden müssen. Sie haben das Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im
Ausland ja alle mit beschlossen. Bei der Evakuierung
von Deutschen aus Libyen geht es aber in erster Linie
um schnelle Hilfe. Zu Einsätzen bei Gefahr im Verzug
ist in § 5 des genannten Gesetzes ganz klar geregelt - ich
darf zitieren, Herr Präsident -:
Einsätze bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden, bedürfen keiner vorherigen Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für Einsätze
zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen …
In Abs. 3 können Sie nachlesen, dass notfalls der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachzuholen ist.
Zur Situation in Libyen will ich noch Folgendes erwähnen: Sie wissen, dass gestern zwei Flüge nach Libyen gegangen sind und dass zum Glück sehr viele
Deutsche zurückgebracht werden konnten. Da für Transall-Maschinen nur mit Schwierigkeiten Landegenehmigungen erteilt werden, also die Diplo-Clearance
teilweise nicht vorliegt, hat das Auswärtige Amt die
Lufthansa gebeten, auch deren Maschinen einsetzen zu
können. Das werden wir auch weiterhin tun, weil es dadurch einfacher ist, die Evakuierungsaktion durchzuführen.
Hinzu kommt, dass die libysche Verwaltung zum Teil
vollständig weggebrochen ist, sodass es gar nicht so einfach ist, Genehmigungen für Transall-Flüge zu bekommen. Deswegen möchte ich der Lufthansa an dieser
Stelle noch einmal ausdrücklich dafür danken, dass sie
so schnell und unkompliziert reagiert und die Deutschen
aus Libyen herausgeholt hat. Ich glaube, das war ganz
wichtig. Sie wissen, es geht da zurzeit drunter und
drüber, wenn man das überhaupt so salopp formulieren
kann. Es ist eine gefährliche Situation in Libyen. Deswegen ist es ganz wichtig, dass die Deutschen sehr
schnell aus Libyen herauskommen. Im Moment befinden sich noch ungefähr 130 bis 140 - so sind unsere
Schätzungen - Deutsche in Libyen, aber eben nicht nur
in den Städten, sondern verstreut im Land, sodass man
nicht sagen kann, dass bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in dieser Woche alle Deutschen das Land verlassen haben werden. Wir setzen in dieser wirklich prekären und gefährlichen Situation jedenfalls alles daran,
dass als Erstes das Leben von Deutschen und anderen
EU-Bürgern geschützt wird.
Nun Kollege Wolfgang Götzer.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Frau Staatsministerin, welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den derzeitigen Aufenthaltsort Gaddafis?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, nach dem, was wir
alle und wahrscheinlich auch Sie in den allgemein bekannten Nachrichtensendungen wahrnehmen - in den
Medien waren groteske Bilder zu sehen -, gehen wir davon aus, dass Gaddafi im Land, in Tripolis, ist.
Eine Nachfrage?
Ja, ich habe eine weitere Frage.
Die erste Frage war ja hinreichend kurz. - Bitte.
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über
die Landesteile, die nicht mehr unter der Kontrolle des
Regimes sind?
Ich sagte ja schon, dass die Situation ziemlich zugespitzt ist, dass auch die Kontrolle über bestimmte Landesteile total verloren gegangen ist und dass man zu bestimmten Regionen überhaupt keinen Zugang mehr hat.
Das besorgt uns sehr. Wir setzen alles daran, um auch
über unsere Botschaft, die vor Ort - im Übrigen zurzeit
auch auf dem Flughafen - ständig präsent ist, möglichst
Informationen einzuholen. Aber im Moment ist die Lage
sehr unübersichtlich.
Das Wort zur nächsten Frage bekommt Kollege Omid
Nouripour.
Frau Staatsministerin, es gibt ja erste Beobachter, die
von einem Völkermord sprechen. Inwieweit denkt die
Bundesregierung in der Situation darüber nach oder diskutiert sie darüber, die militärische Ausbildungshilfe
oder die Hilfe, die aufgrund der gemeinsamen Politik zur
Abwehr von Flüchtlingen geleistet wird, auszusetzen,
damit gewährleistet ist, dass diese Hilfe nicht denjenigen
zugutekommt, die diesen potenziellen Völkermord ausüben?
Völkermord ist ein völkerrechtlicher Begriff. Da ich
genauso bestürzt bin wie wahrscheinlich jeder von Ihnen, ist man - rein emotional - in der Tat versucht, von
einem Völkermord zu sprechen. Wenn ein Herrscher so
mit seinem Volk umgeht und von Militärflugzeugen aus
auf friedliche Demonstranten schießen und sie ermorden
lässt, dann ist das für mich ein ganz schrecklicher Akt
der Barbarei. Das muss geächtet werden. Auch deshalb
denkt der Bundesaußenminister darüber nach, alle möglichen Sanktionen gegen das Gaddafi-Regime in Betracht zu ziehen. Das ist auch im Hinblick auf die Flüchtlinge wichtig, die aus der Region in andere Länder, unter
anderem nach Europa, drängen.
Ich gebe zu bedenken, dass es sicherlich richtig ist, zu
versuchen, den Menschen vor Ort eine Zukunft zu geben. Dass man sich jetzt einen Überblick verschaffen
will, was in Libyen schwierig ist, sagte ich bereits. Jetzt
geht es zuerst einmal um die Rettung der Deutschen und
der anderen EU-Bürger. Wir haben aber auch ein großes
Interesse daran, dass sich die Lage in der Region stabilisiert. Dass die Freiheitsbewegung in vielen nordafrikanischen Ländern stattgefunden hat, freut uns Westeuropäer
sehr. Das, was in Ägypten und bei der Jasmin-Revolution in Tunesien passiert, erinnert mich sehr stark an die
Vorgänge während der friedlichen Revolution 1989 hier
in Deutschland, auch wenn man es nicht ganz vergleichen kann. Aber damals wie heute sucht sich die Freiheit
ihren Weg.
Wir müssen versuchen, die politischen Verhältnisse in
der Region zu stabilisieren und Hilfe zur Selbsthilfe zu
geben. Ich halte es für richtig, dass der Bundesaußenminister heute gemeinsam mit dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem
Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsministerium, Ernst Burgbacher, nach Ägypten
reist, um den dort lebenden Menschen eine wirtschaftliStaatsministerin Cornelia Pieper
che und soziale Perspektive aufzuzeigen. Ich halte es für
dringend geboten, dass man versucht, gerade den jungen
Menschen in diesem Land und in der Region insgesamt
- die Bevölkerung ist sehr jung; der Altersdurchschnitt
ist sehr niedrig - eine Perspektive zu eröffnen. Wie Sie
wissen, wird das in Ägypten und Tunesien weitaus einfacher sein als in Libyen. In Ägypten und Tunesien können
wir es besser einschätzen. Dort ist die Basis für eine Zivilgesellschaft gegeben. Diese kann man stärker unterstützen, genauso wie die Opposition; das werden wir
auch tun. Das alles ist angesichts des Staatssystems in
Libyen nicht möglich; das macht es so schwierig.
Eine Nachfrage? - Bitte.
Frau Staatsministerin, Sie sprachen davon, dass der
Herr Außenminister bereit ist, über alle denkbaren Sanktionen gegenüber Libyen zu beraten. Meine Frage lautet:
Welche konkreten Sanktionen hat er bei dem Treffen der
EU-Außenminister anzustoßen versucht?
Ich sprach davon, Herr Abgeordneter, dass sich der
Bundesaußenminister mit einem Maßnahmenpaket an
die Hohe Vertreterin der Außen- und Sicherheitspolitik
der Europäischen Union, Frau Ashton, gewendet hat. Er
hat konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, die man jetzt
in Nordafrika ergreifen sollte, und deutlich gemacht, wie
man in der Europäischen Union mit einer Transformationspartnerschaft umgehen sollte. Er sprach auch von
einer Neujustierung der europäischen Nachbarschaftspolitik. Er hat bewusst den Anspruch auf Förderung
demokratischer Werte erhoben, die in Zukunft glaubwürdiger und effizienter erfüllt werden müssen. Er hat außerdem den Anspruch erhoben, dass die EU die Stärkung der Zivilgesellschaften mehr fokussieren muss und
dass diese in den Austausch mit der Europäischen Union
einbezogen werden müssen. Wie gesagt, setzt der Bundesaußenminister sehr stark auf den gesellschaftlichen
Aufbruch und den demokratischen Wandel. Dazu gehört
natürlich als Erstes, dass man soziale Stabilität in diesen
Regionen schafft. Das ist die eine Seite der Medaille.
Die andere Seite der Medaille sind die Sanktionen.
Darüber wird auch in der Europäischen Union beraten
werden. Dazu sage ich - ich will nichts vorwegnehmen -:
Über jede Form der Sanktion muss nachgedacht werden.
Das Wort hat nun Joachim Hörster.
Frau Staatsministerin, hat die Bundesregierung
Kenntnisse über die Zustände in der libyschen Armee?
Es gibt Berichte, dass die libysche Armee zerfalle und
dass Teile des Militärs zu den Demonstranten, den Aufständischen übergelaufen seien. Wissen Sie etwas darüber?
Es gibt nicht nur in der libyschen Armee, sondern insgesamt immer mehr Absetzbewegungen weg vom Regime Gaddafi. Es gab bisher eine sehr große Loyalität
ihm gegenüber. Sie weicht nach unseren Erkenntnissen
zunehmend der eigentlichen Stammesloyalität. Der
Gaddafi-Clan dürfte daher Unterstützung nur noch im eigenen Stamm haben. Ich glaube, es ist zu erkennen, dass
er in der Armee zwar noch seine Getreuen hat, dass sich
aber andere auf die Seite von Stämmen geschlagen haben. Unsere Auslandsvertretung dort beobachtet die
Situation. Wir wollen den Einsatz von diplomatischen
Vertretern dort verstärken, was sehr schwierig ist. Es gehört dazu, dass man versucht, das alles unter Kontrolle
zu halten, auch wenn es schier unmöglich ist.
Bitte, eine Nachfrage.
Es gibt Gerüchte, dass in Anbetracht der Situation,
die auch Sie, Frau Staatsministerin, geschildert haben,
der Gaddafi-Clan dazu übergegangen sei, Söldner einzukaufen und sie militärisch einzusetzen.
So ist es. Auch das ist bekannt.
Das nächste Wort geht an Kollegen Volker Beck.
Frau Staatsministerin, es geht mir um zwei Aspekte.
Ich möchte wissen, wie die Bundesregierung damit
umgeht, dass Italien bislang eine energische Haltung der
Europäischen Union gegenüber Libyen verhindert hat;
denn das wirft ein schlechtes Licht auf die europäische
Außen- und Menschenrechtspolitik.
Im Zusammenhang mit der europäischen und deutschen Menschenrechtspolitik möchte ich Sie zum anderen fragen, wie es mit den Verhandlungen mit Libyen
bezüglich eines Abkommens zur Rückübernahme von
Flüchtlingen weitergeht. Ich finde, die Vorgänge zeigen,
dass Libyen für dieses Thema definitiv der falsche Verhandlungspartner war. Ich würde gerne von Ihnen hören,
dass diese Verhandlungen eingestellt und bis zu einem
Regimewechsel in Richtung Demokratie von der Bundesrepublik Deutschland auch nicht mehr befördert werden.
Zu Ihrer letzten Frage - dieses Thema wird auch im
Bundesinnenministerium beraten - kann ich Ihnen sagen, dass das Abkommen zur Rückübernahme von
Flüchtlingen gerade deswegen nicht unterzeichnet
wurde, weil die Europäische Menschenrechtskonvention
nicht ratifiziert worden ist.
Zu dem, was Sie als Erstes angesprochen haben, hat
der Bundesaußenminister aus meiner Sicht ganz klare
Worte gegenüber der italienischen Regierung gefunden.
Er hat sich klar distanziert und auch kritisiert, welche
falschen Reaktionen seitens des italienischen Außenministeriums gegenüber Libyen zu erkennen waren.
Ich will noch einmal sagen: Es ist ganz wichtig, dass
der Bundesaußenminister auch auf europäischer Ebene
versucht, sich für diese Region einzubringen und sich für
Sanktionen starkzumachen. Darüber wird er natürlich
auch mit Italien sprechen. Es ist ganz wichtig, dass
Deutschland in Fragen, die Menschenrechtsverletzungen
anbelangen, eine Vorreiterposition einnimmt. Wir werden großen Wert auf den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen legen. Er muss auch in der zukünftigen
Partnerschaftspolitik mit Nordafrika bzw. mit Ländern
im Nahen Osten ein ganz wichtiges Kriterium der EUPolitik sein.
Die nächste Frage stellt Kollege Hans-Christian
Ströbele.
Frau Staatsministerin, ich habe mit Interesse zur
Kenntnis genommen, dass jetzt auch Sie den libyschen
Diktator als Diktator bezeichnen; das haben Sie heute
mehrfach getan. Ich hoffe, dass dieser Sprachgebrauch
nun auch in der Europäischen Union und insbesondere
bei Herrn Berlusconi Einzug findet. Aber darauf zielt
meine Frage nicht.
Seit dem Jahr 2009 sind aus der EU, insbesondere aus
Italien, mehr als 2 000 Flüchtlinge, die sich aus Eritrea
und Somalia aus einer sehr schlimmen Situation bis Italien und in die übrige EU durchgeschlagen haben, zum
Teil unter Zuhilfenahme erheblicher Zwangsmaßnahmen
wieder nach Libyen zurückgebracht worden. Sie vegetieren dort in Lagern. Nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen werden sie dort misshandelt, und
die Frauen werden vergewaltigt. Was tut die Bundesregierung - außer dass sie sich um deutsche Staatsangehörige und EU-Angehörige kümmert, was sicherlich
richtig, gut und wichtig ist - zum Schutz dieser Menschen, die jetzt in dieser Situation besonderen Gefahren
ausgesetzt sind?
Herr Abgeordneter, Sie kennen die besondere Situation in Libyen. Sie wissen, wie schwierig derzeit jegliche
Einflussnahme auf das Geschehen dort ist. Deswegen
- dies möchte ich ausdrücklich betonen - war das erste
Ziel des Bundesaußenministeriums, unsere Landsleute
aus dieser gefährlichen Region herauszuholen, was natürlich nicht ausschließt, dass wir die Situation der
Flüchtlinge auch weiterhin im Auge haben werden. Darüber werden wir uns sicherlich auch noch im zuständigen Auswärtigen Ausschuss unterhalten.
Wie gesagt: Die derzeitige Situation lässt uns wenig
Einflussmöglichkeiten auf die Region; das wissen Sie.
Man kann nur hoffen, dass Gaddafi von seinen Gewalttaten gegenüber der Bevölkerung Abstand nimmt; denn
das ist das Erschütterndste, was uns im Moment bewegt.
Die nächste Frage stellt der Kollege Hartwig Fischer. Entschuldigung! Kollege Ströbele möchte noch nachfragen.
Frau Staatsministerin, vor ungefähr einer halben
Stunde habe ich dieselbe Frage - nicht wortgleich, aber
ähnlich - im Auswärtigen Ausschuss gestellt. Leider war
dort keine Zeit mehr, die Frage zu beantworten. Deswegen habe ich sie Ihnen hier gestellt. Ich möchte die Frage
noch intensivieren: Sehen Sie nicht eine besondere Verantwortung der EU, der auch Deutschland angehört, für
gerade diese Flüchtlinge, weil sie vor allen Dingen aus
Italien, also aus der EU, nach Libyen gebracht worden
sind? Sie haben gerade nur etwas Allgemeines gesagt.
Welche Initiativen - etwa über humanitäre oder andere
Organisationen - gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um diesen Menschen zu helfen?
In der Tat, Herr Abgeordneter, haben wir die Situation
der Flüchtlinge vor Augen. Uns liegt sehr daran, dass
diese Situation verbessert wird. Über die humanitäre
Hilfe gibt es Möglichkeiten - Sie wissen, dass das
schwierig ist -, NGOs zu unterstützen. Das werden wir
in der nächsten Zeit sicherlich verstärkt tun. Darauf wird
ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Dies sollen
Sie vorab schon einmal mitnehmen. Sie sollten die Gelegenheit nutzen, diese Frage in der nächsten Sitzung des
Auswärtigen Ausschusses, zu der ich gerne hinzukomme, noch einmal gezielt aufzuwerfen.
Jetzt kommt der Kollege Hartwig Fischer.
Frau Staatsministerin, nach unseren Informationen
sind inzwischen einige libysche Botschafter übergewechselt und haben schwere Vorwürfe gegen Gaddafi
erhoben, so der stellvertretende libysche UN-Botschafter
sowie die Botschafter Libyens in Indien und den USA.
Haben Sie eine Erkenntnis über die Stellungnahme und
Stellung des Botschafters El-Baraq in Deutschland, und
sind Sie darüber informiert, dass die Botschaft hier in
Berlin das Auswärtige Amt in der letzten halben Stunde
um Unterstützung gebeten hat, weil versucht worden ist,
die Botschaft zu stürmen, und weil sie keine Informationen an die Außenwelt geben können?
Ich bin gern bereit, mich über die aktuellen Vorkommnisse zu informieren. Weil ich die letzte halbe
Stunde hier im Plenum gesessen habe, weiß ich nicht,
was gerade vor sich gegangen ist. Aber das werden wir
gern sehr schnell klären.
Ich habe noch gefragt nach einer Stellungnahme dazu,
wie der derzeitige libysche Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland sich verhält. Die Financial Times
Deutschland meldet nämlich, dass er sich von dem
Regime nicht klar distanziert. Gibt es also Informationen
des Auswärtigen Amtes darüber, ob er sich wie andere
Kollegen, etwa in den USA oder in Indien, klar positioniert hat?
Mir liegen solche Informationen derzeit nicht vor.
Sollte es welche geben, werden auch diese nachgereicht.
({0})
Als letztem Fragesteller hierzu erteile ich Günter
Gloser das Wort.
Frau Staatsministerin, ich möchte Sie fragen: Liegen
der Bundesregierung Hinweise dazu vor, inwieweit das
EU-Mitgliedsland Italien die aufgrund der früheren Kolonialbeziehung zu Libyen vor einiger Zeit zugesagten
Zahlungen einstellen wird?
Dazu liegen mir aktuell keine konkreten Hinweise
vor.
Eine Nachfrage, bitte schön.
Nachdem gestern, vorgestern die Arabische Liga
einen ersten Schritt gegenüber ihrem Mitgliedsland
Libyen getan hat, nämlich den Ausschluss von verschiedenen Sitzungen, lautet meine Frage: Liegen der Bundesregierung Hinweise dazu vor, inwieweit die Afrikanische Union gegenüber ihrem Mitgliedsland Libyen
Maßnahmen ergreifen wird?
Wir haben außerordentlich begrüßt, dass die afrikanische Region so reagiert hat. Der Bundesaußenminister
hat das in seinem Statement gestern entsprechend formuliert. Wir gehen auch davon aus, dass die Afrikanische
Union weitere Schritte gegen Libyen unternehmen wird
und sich auch an Sanktionen beteiligen wird.
Danke schön, Frau Staatsministerin. - Die vereinbarten 30 Minuten zur Beantwortung der dringlichen Fragen zu diesem Themenkomplex sind nun abgelaufen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
der Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg zur
Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 3 des Kollegen Kai
Gehring auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Schritt des Bundesministers der Verteidigung, Karl-Theodor zu Guttenberg, den
er am Freitag, dem 18. Februar 2011, in einer Erklärung bekannt gegeben hat, „vorübergehend“ auf seinen Doktortitel zu
verzichten?
({0})
Herr Minister, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Gehring,
die Frage stellt sich bekanntlich nicht mehr, nachdem ich
die Universität Bayreuth gebeten habe, die Doktorwürde
zurückzunehmen.
Nachfrage, Kollege Gehring? - Bitte.
Herr Dr. zu Guttenberg,
({0})
bekanntlich ist es ja so, dass man seinen Doktortitel
nicht selber abgeben kann;
({1})
ein solcher Titel wird nur nach den üblichen Regularien
aberkannt.
Ich möchte das Thema ansprechen, dass Studierende,
Promovierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit sehr scharfen und harten Sanktionen durch ihre
Hochschule zu rechnen haben, wenn sie, wie Sie, geistiges Eigentum abkupfern, wenn sie das Urheberrecht verletzen, wenn sie bei Prüfungen schummeln, wenn sie
sogar, wie Sie es gemacht haben, eine ehrenwörtliche
Erklärung falsch abgeben und damit auch gegen Wissenschaftsethik verstoßen. Gerade vor dem Hintergrund
dessen, dass die Bundesregierung diese Täuschung offensichtlich als Kavaliersdelikt bagatellisiert, möchte ich
Sie jetzt auch ganz persönlich fragen, welches Signal Sie
als oberster Dienstherr von Bundesuniversitäten an die
Schüler, an die Studierenden, an die Promovierenden
und an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in
unserem Land eigentlich aussenden
({2})
- welches Signal Sie aussenden, ist die Frage -, welches
Signal Sie aber auch als oberster Dienstherr von Tausenden von Untergebenen aussenden. Wir stellen uns auch
ganz klar die Frage, ob Sie gemessen an Ihren eigenen
Maßstäben von Aufrichtigkeit hier weiterhin Vorbildfunktion, Glaubwürdigkeit und Autorität haben,
({3})
Ihr Amt als Bundesverteidigungsminister weiter auszuüben. Wenn Sie die Frage im Zusammenhang beantworten könnten, wären wir Ihnen dankbar.
Herr Minister, bitte.
Vielen Dank. - Herr Kollege Gehring, zunächst einmal, was die Signale anbelangt, die der Bundesverteidigungsminister auszusenden hat: Das sind Signale, die
sich an dem Aufgabengebiet des Bundesverteidigungsministers auszurichten haben, und das sind Signale, die
ich weiterhin mit dem Verantwortungsbewusstsein aussenden will, mit dem ich das bisher getan habe.
({0})
Auf die Frage, was man für ein Signal in die Wissenschaftsgesellschaft sendet, wenn man eine offensichtlich
sehr fehlerhafte Doktorarbeit geschrieben hat,
({1})
kann ich nur sagen, dass das ein schlechtes Signal ist,
das ich hier gesendet habe, und ein Signal, das als solches auch nicht aufrechterhalten werden konnte und
sollte, weshalb ich die Universität Bayreuth ja darum gebeten habe, den Doktortitel zurückgeben zu können bzw.
ihn zurückzunehmen. Ich habe mich aufrichtig und auch
von Herzen dafür entschuldigt und wiederhole das auch
noch einmal gerne hier in diesem Hohen Hause. Ich
glaube, das ist das Signal, das man geben kann, wenn
man Fehler gemacht hat.
({2})
Kollege Trittin zur Nachfrage.
({0})
Bitte.
Ich habe bereits dem Kollegen Trittin das Wort gegeben.
Herr Dr. zu Guttenberg, was haben Sie eigentlich am
vergangenen Donnerstag der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Dr. Merkel, angekündigt?
Haben Sie Frau Merkel
({0})
- Frau Dr. Merkel - angekündigt, dass Sie, wie am
Freitag geschehen, auf Ihren Doktortitel vorübergehend
- ich glaube, ich zitiere da richtig; Sie sagten ja: „ich betone: vorübergehend“ - verzichten wollten, oder haben
Sie ihr angekündigt, dass Sie, wie Sie es dann am
Montag im Hessischen taten, endgültig darauf verzichten wollten? Ich frage das, weil es ja schon von Interesse
ist, auf welcher Grundlage und Information die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland ihre Haltung
begründet hat. Wie sagte sie doch: Sie habe keine wissenschaftliche Hilfskraft, sondern einen Bundesverteidigungsminister eingestellt.
Vielen Dank, Herr Kollege Trittin. Auch ich hoffe,
dass ich damals nicht als wissenschaftliche Hilfskraft
zum Bundesminister berufen wurde,
({0})
sondern um dieses Amt wahrzunehmen und wahrnehmen zu dürfen. Ich bitte um Verständnis, dass der Inhalt
eines Gespräches, das man unter vier Augen führt, natürlich auch vertraulich bleiben soll.
Aber nachdem Ihre Frage darauf abzielt, was sich von
Donnerstagabend über den Freitag bis zum Montag hin
zu meiner Entscheidung, dann endgültig auf den Titel zu
verzichten, getan hat, kann ich sagen: Ich bin Mittwochmorgen bzw. Dienstagnachmittag, aber dann Mittwochmorgen durch die Zeitungsmeldung der Süddeutschen
Zeitung erstmalig mit den Vorwürfen konfrontiert worden.
({1})
Es ist bekannt, dass ich am Mittwochnachmittag nach
Afghanistan geflogen bin, Mittwoch auf Donnerstag in
Afghanistan war. Vor dem Hintergrund, dass wir am
Freitag Vorfälle hatten, die ich hier nicht schildern muss,
was alles andere als erfreuliche Vorfälle waren, konnte
ich mich am Wochenende erstmalig mit dieser Arbeit so
befassen
({2})
- Moment! - und habe mich befasst mit Blick auf die
Vorwürfe, die erhoben wurden. Ich habe bereits am
Freitag gesagt, dass die Arbeit Fehler enthält.
({3})
Und ich habe über das Wochenende feststellen dürfen,
dass die Fehler so gravierend sind, dass ich deswegen
die Universität Bayreuth am Montagabend um den benannten Schritt gebeten habe.
Nachfrage? - Bitte.
Herr Dr. zu Guttenberg, können Sie dem Hohen Haus
erklären, wie es kommen konnte, dass Sie noch vor Ihrer
Abreise nach Afghanistan die Vorhaltungen in der Süddeutschen, dargelegt von einem Professor, als „abstrus“
bezeichnen konnten, am Freitag der Auffassung waren,
dass da wohl doch Fehler drin sein könnten, um dann,
wie Sie eben gesagt haben, nach erstmaliger Beschäftigung mit dieser Arbeit zu erklären, Sie wollten nun doch
endgültig auf Ihren Doktortitel verzichten? War die Bewertung angesichts dieser Tatsachen am Mittwoch nicht
eine sehr, sehr voreilige?
Nein, sehr verehrter Herr Kollege Trittin. Ich will Ihnen auch gern erklären, warum: weil dieser Teil der Erklärung
({0})
auch weiterhin - bis heute - gilt. Und ich sage Ihnen
auch, warum. Ich habe gesagt, der Vorwurf, dass die Arbeit ein Plagiat ist, sei abstrus.
({1})
Ein Plagiat setzt - wie Sie und wie viele wissen - voraus, dass man bewusst und vorsätzlich getäuscht haben
sollte. Und ich habe in all meinen Stellungnahmen deutlich gemacht, dass ich weder bewusst noch vorsätzlich
getäuscht habe, aber gravierende Fehler gemacht habe.
({2})
Diese Unterscheidung ist eine, die man auch anlegen
sollte, wenn man sich Urteile über andere bildet, weil es
ein Urteil ist, das natürlich eine strafrechtliche Relevanz
in sich tragen könnte. Da muss man aufpassen, dass man
nicht in den Bereich kommt, dass man in die üble Nachrede oder Ähnliches abdriftet. Und das wollen Sie ja sicher auch nicht.
({3})
Das Wort zu einer Nachfrage hat Kollege Hans-Peter
Bartels.
Herr Minister, haben Sie bei Vorlage Ihrer Dissertation eine ehrenwörtliche Erklärung abgegeben, dass Sie
die Dissertation selbstständig verfasst und keine anderen
als die von Ihnen angegebenen Quellen und Hilfsmittel
benutzt haben?
Ja, Herr Kollege Bartels.
Sie haben dieses Ehrenwort abgegeben?
Das ist eine Erklärung, die man abgibt, und kein Ehrenwort.
Die nächste Frage stellt Kollege Volker Beck.
Herr Minister Dr. Freiherr zu Guttenberg, eine Frage
zum Sachverhalt. Ich würde gerne wissen: Welche
Dienstleistungen und Dienste des Deutschen Bundestages haben Sie für Ihre Doktorarbeit in Anspruch genommen? Und welche Aufträge haben Sie als Abgeordneter
im Zusammenhang mit dem Thema bzw. der Themenstellung Ihrer Doktorarbeit an Dienste des Deutschen
Bundestags erteilt?
Herr Kollege Beck, ich nehme dazu gerne und auch
ausführlich Stellung, weil es auch wichtig ist, das im Zusammenhang darzustellen. Das ist im Übrigen ein Fragenkomplex, der, Herr Präsident, auch von einigen anderen in den dringlichen Fragen aufgeworfen wurde.
Das sind die dringlichen Fragen 4, 5 und 6.
Kann ich die - insbesondere die Frage von Frau Kollegin Sager - bitte aufnehmen?
Damit rufe ich die dringliche Frage 4 der Kollegin
Krista Sager sowie die dringlichen Fragen 5 und 6 des
Kollegen Rainer Arnold auf:
Wie will die Bundesregierung auf die im Spiegel veröffentlichten Vorwürfe ({0})
reagieren, dass in der Dissertation des Bundesministers der
Verteidigung, Freiherr zu Guttenberg, der Auftrag des Abgeordneten Freiherr zu Guttenberg an Ministerialrat
Dr. Dr. Ulrich Tammler, Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, „Die Frage nach einem Gottesbezug in
der US-Verfassung und die Rechtsprechung des Supreme
Court zur Trennung von Staat und Religion“ in der Länge von
zehn Seiten mit geringsten sprachlichen Abwandlungen vollinhaltlich ohne Nennung des Verfassers Eingang gefunden
hat, und wird die Bundesregierung darauf dringen, dass der
Bundesminister der Verteidigung zu den im Spiegel erhobenen Vorwürfen Stellung bezieht, bevor er am Donnerstag zum
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 2011 sprechen wird?
Welche Fehler hat der Bundesminister der Verteidigung
- wie von ihm bei seiner Presseerklärung am 18. Februar
2011 eingestanden - bei der Erstellung seiner Dissertation gemacht?
Wie und in welchem Umfang hat der Bundesminister der
Verteidigung Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des
Deutschen Bundestages in seiner Dissertation verwendet?
Ich habe - bezüglich der Frage von Frau Kollegin
Sager - die entsprechende Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags vom
13. Mai 2004 auf den Seiten 373 und 391 ausdrücklich
als Quelle benannt. Im Übrigen habe ich, Herr Kollege
Beck, vier Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen
Dienste, die nach meiner Erinnerung als Primärquelle in
die Arbeit eingeflossen sind, in gleicher Weise ausdrücklich und transparent auch als Quellen genannt.
Die Benennungen machen kenntlich, dass es sich um
von mir beauftragte, unter einem bestimmten Datum verfasste Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste
handelt, die im Übrigen meiner Abgeordnetentätigkeit
dienten. Ich werde darauf auch noch eingehen. Hätte ich
die Inanspruchnahme der Wissenschaftlichen Dienste
verschleiern wollen - so wie das in den letzten Tagen
auch zu lesen oder zu hören war -, dann hätte ich diese
präzisen Angaben sicherlich nicht gemacht, weil wenn
sie in der Arbeit angegeben sind, kann man letztlich
auch nachvollziehen, wo diese Quelle liegt, welche
Quelle das ist. Und man kann diese Quelle auch entsprechend daneben legen.
Alle Ausarbeitungen des Deutschen Bundestages - wozu auch Übersetzungsleistungen zählen - lagen mir bereits für meine Abgeordnetentätigkeit zwischen den Jahren 2003 bis 2005 vor. Im Rahmen der Ausübung meines
Mandats hatte ich diese wiederholt und intensiv genutzt.
Das ist ja auch die Grundlage dafür, dass man sie sich
machen lässt - sei es für Vorträge, sei es für Auslandsreisen, sei es für Gespräche beispielsweise mit ausländischen Politikern und Diplomaten bis hin zu Wirtschaftsvertretern. Die Themen, die diese Ausarbeitungen der
Wissenschaftlichen Dienste betreffen, legen dies auch
nahe.
Nehmen Sie das Beispiel der Ausarbeitung über den
Gottesbezug in Verfassungen. Hierüber wurde in den
entsprechenden Jahren eine intensive politische Debatte
gerade hier in unserem Lande geführt. Ich glaube, wir
können uns alle daran erinnern, wie wir uns darüber teilweise auch gestritten haben - nicht allein in Deutschland, auch in ganz Europa und im Übrigen auch in den
USA. Ich habe mich an entsprechenden Antragsarbeiten
beteiligt und bei zahlreichen mandatsbezogenen Reisen
in die USA die Fragestellung auch vergleichend thematisiert.
Gleiches gilt für die Ausarbeitung über die Rolle der
USA im europäischen Einigungsprozess und für Artikel
über den Entstehungsprozess der Verfassungen auf beiden Seiten des Atlantiks, die bei Nutzung übrigens auch
als Quelle dann entsprechend mit angegeben wurden. Im
Rahmen - das ist Ihnen bekannt - meiner langjährigen
Mitgliedschaft im Auswärtigen Ausschuss und durch
meinen allgemein bekannten Schwerpunkt gerade auf
die transatlantischen Beziehungen - ich glaube, das ist
auch kein Geheimnis - habe ich diese Ausarbeitungen
bei vielen Reisen und Anlässen genutzt.
Die vierte Ausarbeitung in diesem Zusammenhang
über die Entwicklung und Abänderbarkeit europäischen
Primärrechts - ich glaube, so viel darf man sagen - sollte
eigentlich jeden Abgeordneten in diesen Jahren in seiner
Mandatstätigkeit beschäftigt haben. Auch das war etwas,
womit wir uns intensiv über Anträge und über alles andere hinaus befasst haben.
({0})
Der Mandatsbezug war also ganz klar gegeben bei diesen Ausarbeitungen, die ich angefordert habe. Das Nutzen für die Erstellung der Dissertation erfolgte dann erst
später.
Allerdings sind mir - und das ist wichtig - in der Fußnotenarbeit
({1})
- Sie sagen: Sieben Jahre hat es gedauert. Das erklärt
auch viele Fehler. Bundesminister Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
({2})
an zwei Stellen Fehler unterlaufen, die ich auch gar nicht
als solche unter den Tisch fallen lassen will. So steht in
der Fußnote 1 auf Seite 373:
Die folgenden Ausführungen basieren auf einem
Vortrag des Verfassers in Wilton Park im Mai 2004,
für den die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wichtige Grundlagenarbeit geleistet haben.
Dann sind die jeweiligen Dokumente genannt. Richtig
ist, dass die Ausarbeitungen in zahlreiche meiner Vorträge eingeflossen sind, ich im Mai 2004 in Wilton Park
aber keinen Vortrag gehalten habe. Tatsächlich habe ich
im April 2004 und im Januar 2005 in Wilton Park gesprochen. Allerdings zu anderen transatlantischen Themen,
({3})
wo auch Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste
eingeflossen sind. Das mag eine Erklärung für den Fehler sein. Ich bitte allerdings um Nachsicht: Zweifelsfrei
kann ich das aus heutiger Sicht nicht mehr aufklären.
Nach fünf Jahren ist das in meinen Augen kaum mehr
möglich.
Zum zweiten Fehler, der geschehen ist. Da ist es mir
gelungen, das Zustandekommen des Fehlers aufgrund
alter Aufzeichnungen aufzuklären, die wir dieser Tage
natürlich entsprechend durchforsten. So beziehe ich
mich in Fußnote 564 auf Seite 199 auf Ausarbeitungen
der Wissenschaftlichen Dienste, die in einem von mir am
17. November 2005 in Washington gehaltenen Vortrag
eingeflossen sein sollen. Richtig ist, dass ich diesen Vortrag nicht am 17. November, sondern am 7. bzw. am
8. Dezember 2005 in Washington gehalten habe. Die bedauerliche Verwechslung - das wurde bei den Nachforschungen deutlich - basiert auf einer heute noch sehr
schwer leserlichen Bleistiftnotiz. Auch dafür kann ich
nur um Nachsicht bitten.
Ich will allerdings hier noch eines deutlich machen,
nämlich wie diese Fehler zustande gekommen sind.
Auch das sind Fragen, die gestellt wurden - vom Kollegen Arnold beispielsweise -: Wie konnte es zu diesen
Fehlern kommen? Damit befasst man sich in diesen Tagen auch mit besonderer Kraft und Vehemenz. Lassen
Sie mich da ganz offen sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich war sicher so hochmütig, zu glauben, dass mir
die Quadratur des Kreises gelingt, und zwar politische
Leidenschaft und Arbeit sowie wissenschaftliche und intellektuelle Herausforderungen als junger Familienvater
miteinander in Einklang zu bringen.
({4})
Für mich stellte das offenbar eine Überlastung dar.
({5})
Ich muss sagen und heute mit Bedauern feststellen
- das ist kein Grund, dass man hämisch übereinander
herfällt, meine Damen und Herren -, dass mir das nicht
gelungen ist. Dazu stehe ich auch. Genau deswegen habe
ich die Konsequenzen gezogen und verzichte auf den
Doktortitel.
({6})
Das darf an dieser Stelle noch einmal gesagt werden. Ich
glaube, es ist kein Grund zur Häme. Man kann auch versuchen, das zu verstehen.
({7})
Ich habe mich für diesen Umstand vor der deutschen
Öffentlichkeit entschuldigt.
({8})
Das habe ich getan, auch für diesen Umstand, dass man
in einer so langen Zeit der Bearbeitung offensichtlich
auch an einigen Stellen den Überblick verloren hat.
({9})
Das mag Begründung für die Fehler sein, die geschehen
sind und die als solche auch darzustellen sind.
Was weiterhin die Fragen der Inanspruchnahme des
Wissenschaftlichen Dienstes anbelangt: Da ich die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste in den wissenschaftlichen Kontext meiner Arbeit eingestellt und reflektiert habe, sah ich meine Arbeit als vom Zitatrecht
des Urheberrechts umfasst an. Herr Kollege Gehring,
weil Sie vorhin die Frage nach dem Urheberrecht gestellt
haben: Wenn man mir heute vorwirft, dass einiges nicht
dem wissenschaftlichen Kodex entspricht - dazu habe
ich vorhin auch schon Stellung genommen -, dann akzeptiere ich das und habe eben auch hier die schmerzhafte Konsequenz gezogen.
Auch das war eine Frage, die kam: Auf eine Nennung
der jeweiligen Verfasser der Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste habe ich im Übrigen deshalb verzichtet - also nicht auf die Nennung der Wissenschaftlichen Dienste, nicht auf das Datum und nicht desjenigen,
der sie in Auftrag gegeben hat -, weil diese als Angestellte der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen
Bundestages nach meiner Auffassung nicht zusätzlich
genannt werden mussten. Das ändert nichts daran, dass
ich überprüfbar das Datum und den Auftraggeber genannt habe.
Schließlich die Frage, die auch noch im Raum steht,
ob man die notwendige Genehmigung der Nutzung dieser Ausarbeitung jeweils erbeten hat und ob diese erteilt
wurde - das ist eine Genehmigung, die seitens des Direktors des Deutschen Bundestages zu erteilen ist -: Das
lässt sich aus heutiger Sicht leider nicht mehr rekonstruieren. Ich habe mich aber aus diesem Grund gleichwohl
beim Präsidenten des Deutschen Bundestages für den
Fall, dass eine solche Genehmigung nicht erteilt wurde,
bereits entschuldigt. Ich habe allerdings auch hören dürfen, dass es kein Einzelfall ist, dass eine solche Genehmigung nicht eingeholt wurde. Das mag mit Sicherheit
ein Formfehler sein, wenn es denn so war; das ist allerdings nicht mehr genau zu rekonstruieren. Vielleicht
kann man insgesamt sagen: Das ist etwas, woraus wir
alle möglicherweise lernen können. Denn es ist in dem
Text zwar eindeutig beschrieben, aber durch die Öffentlichkeit dieses Falls wird deutlich, dass man hier auf jeden Fall präziser sein muss und sollte.
({10})
Nachdem es wohl viele Fälle gibt, sag ich: Wir alle können präziser werden. - Vielen Dank.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da jetzt die
Fragen 4, 5 und 6 mit beantwortet wurden, will ich den
Kollegen, die diese Fragen gestellt haben, die Gelegenheit zur Nachfrage geben, schon aus Fairnessgründen:
Kollege Arnold, dann auch Kollegin Sager. Bitte sehr.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, was mit den Studierenden der Bundeswehruniversitäten passiert, die bei
Magisterarbeiten in weiten Teilen die Kopie eines fremden Autors verwenden? Wird mit Blick auf die Konsequenzen ein Unterschied gemacht, ob dieses Plagiat wissentlich oder unwissentlich gemacht wurde?
Herr Kollege Arnold, ich nehme an, Sie nehmen Bezug auf eine Aussage von Professor Elkar über dienstrechtliche Konsequenzen bei nachgewiesenen Täuschungsversuchen, die in diesen Tagen im Handelsblatt
zu lesen war. Diese Aussage von Professor Elkar ist im
Grundsatz richtig: Es ist richtig, dass speziell an den
Bundeswehruniversitäten nachgewiesene Täuschungsversuche von studierenden Soldatinnen und Soldaten
durchaus dienstrechtliche Konsequenzen haben können;
ich darf allerdings auch hier auf die Täuschung und entsprechend auf die Täuschungsabsicht verweisen. Das
liegt an einer Besonderheit beim Status dieser Studierenden: Sie erhalten nicht nur Gehalt, sondern leisten
Dienst. Es gelten für sie in diesem Dienst grundsätzlich
die Pflichten des Soldatengesetzes. Werden diese Pflichten schuldhaft verletzt - auch darauf muss man Betonung legen -, stellt dies wie bei anderen Soldaten ein
Dienstvergehen dar, das der disziplinaren Ahndung unterliegt.
Eine Nachfrage noch, Kollege Arnold.
Ich nahm nicht Bezug auf den Herrn Professor, sondern konkret auf entlassene Studenten. - Herr Minister,
ich möchte meine zweite Frage stellen. Sie haben in vielen Reden darauf hingewiesen, dass Führung im Grunde
genommen „Führen durch Verantwortung und durch
Vorbild“ bedeutet. Sind Sie der Auffassung, dass Sie als
oberster Kommandierender in Friedenszeiten nach diesen Ereignissen dem eigenen Anspruch - „Führen durch
Vorbild“ - noch gerecht werden können?
Man hat sich seine Vorbildwirkung jeden Tag aufs
Neue zu erarbeiten.
({0})
Ich glaube, das gilt für uns alle. Diesen Anspruch stelle
ich an mich selbst. Ich habe mehrfach darauf verwiesen,
dass ich ein Mensch mit Fehlern und Schwächen bin und
ich mir trotzdem weiterhin den Anspruch setze, weiterhin als Vorbild - auch was das Eingestehen von und das
Bekennen zu Fehlern anbelangt - wirken zu können.
({1})
Kollegin Sager.
Herr Minister, ich frage Sie vor dem Hintergrund,
dass inzwischen zahlreiche Belege dafür vorliegen, dass
Sie sich aus Texten bedient haben - aus Seminararbeiten, Diplomarbeiten, Hausarbeiten von Studierenden,
Essays aus Zeitungen, Texten aus Broschüren und anderen wissenschaftlichen Arbeiten ({0})
und diese Texte so benutzt haben, als wenn es Ihre eigene wissenschaftliche Leistung wäre; dafür gibt es genügend Belege, das ist mehrfach von verschiedenen
Leuten nachgeprüft worden. Da können Sie sicher den
Überblick verlieren, aber Sie können uns hier nicht mehr
erzählen, dass Sie nicht gewusst haben, was Sie tun,
wenn Sie in der Einleitung Ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeit einen fremden Text einbauen und so tun, als
wenn es Ihr eigener wäre.
({1})
- Ich komme zur Frage. Wenn Sie schon glauben, dass
Sie die Menschen in diesem Lande, die Sie die ganzen
Wochen und Monate so sehr bewundert haben,
({2})
für dumm verkaufen können: Glauben Sie, dass Sie auch
die Menschen, die sich im wissenschaftlichen Bereich
auskennen und selber wissenschaftlich arbeiten oder gearbeitet haben, für dumm verkaufen können?
({3})
Gerade nicht, Frau Kollegin Sager. Ich würde sie im
Zweifel - so wie Sie es drastisch ausgedrückt haben für dumm verkaufen, hätte ich nicht die Konsequenz von
vorgestern gezogen.
({0})
Ich würde im Zweifel diese Wirkung auslösen, wenn
man sich nicht zu dem, was man falsch gemacht hat und
wo man Fehler gemacht hat, entsprechend bekennen
würde.
Die Einschätzung, die Sie bei mir abfragen, ob man
etwas gewusst oder nicht gewusst hat, kann ich nur so
beantworten, wie ich sie bisher beantwortet habe, nämlich dass ich diese Fehler unbewusst und ohne Täuschungsabsicht gemacht habe. Diese Beurteilung müssen Sie subjektiv dem Menschen überlassen, der über
Jahre hinweg an dieser Arbeit gearbeitet hat, auch wenn
er fehlerhaft daran gearbeitet hat.
({1})
Eine Nachfrage haben Sie noch?
Ich habe noch eine Nachfrage, die die Auswirkung
auf den Wissenschaftsbereich angeht. Was glauben Sie:
Wie wird Ihr Verhalten bei den vielen Menschen in unserem Land, die im Moment an ihrer Promotion arbeiten
- es sind ungefähr 50 000 bis 60 000 Menschen -, ankommen? Jährlich werden 23 000 Promotionen zu Ende
gebracht. Etwa zwei Drittel werden nicht zu Ende
gebracht, weil diese Menschen unter schwierigen finanziellen, familiären und beruflichen Bedingungen arbeiten. Wie kommt es bei diesen Menschen an, wenn Sie so
tun, als hätten Sie praktisch aus persönlicher Not heraus
Ihre Täuschungsmanöver durchgezogen?
({0})
Ich verstehe Ihren Rückschluss nicht ganz.
({0})
- Ich verstehe ihn tatsächlich nicht ganz, Frau Kollegin
Sager. Ich glaube, dass man an diejenigen das richtige
Signal sendet, die sich mit voller Kraft der wissenschaftlichen Arbeit widmen, mit dem Anspruch, keine Fehler
in ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu machen, was die
allermeisten wohl tun werden, dass man gerade an jene
das richtige Signal sendet, dass man dann, wenn man
selbst Fehler erkannt hat, die benannte Konsequenz
zieht. Das ist doch der Umkehrschluss, der daraus erwachsen sollte und der daraus erwachsen kann, dass man
gerade hier ein Zeichen setzt.
Ein zweites Zeichen, das für mich ein außerordentlich
unangenehmes ist - das ist vollkommen klar -, ist, dass
man natürlich sieht, zu welcher Sorgfalt man bei wissenschaftlichen Arbeiten gezwungen ist und wahrscheinlich
auch zukünftig gezwungen sein wird.
({1})
Ich sage das vor dem Hintergrund, dass eine Arbeit im
Netz tausendfach korrigiert wurde. Man muss feststellen: Das ist ein Novum. Wenn man zu einem späteren
Zeitpunkt nicht mehr im politischen Geschäft sein sollte,
dann wird das einem sicherlich die Zeit geben, das alles
aufzuarbeiten und seine Fehler zu korrigieren, unabhängig davon, ob die Arbeit letztendlich steht. Ich sage
auch: Es gibt Bereiche in dieser Arbeit, von deren wissenschaftlichem Wert und Gehalt ich fest überzeugt bin.
({2})
Ich habe mir sechs, sieben Jahre lang über den wissenschaftlichen Gehalt dieser Arbeit Gedanken gemacht.
({3})
Die nächste Frage geht an Kollegen Thomas
Oppermann.
Herr Minister, ich habe eine Frage, die man mit Ja
oder Nein beantworten kann. Können Sie ausschließen,
dass andere Personen als Sie selbst an der Erstellung der
Doktorarbeit mitgewirkt haben?
Ich habe mehrfach gesagt, dass ich diese Doktorarbeit
persönlich geschrieben habe.
Ich habe noch eine Zusatzfrage. Sie haben sich nach
Fernsehberichten bei der Veranstaltung im Hessischen,
auf die Herr Kollege Trittin schon Bezug genommen
hatte, ausgerechnet in Anwesenheit von Herrn Koch auf
die Bühne gestellt und ausgerufen: „Vor Ihnen steht das
Original und nicht das Plagiat.“ Ich möchte Sie fragen,
ob Sie in dieser Art von Humor nicht eine schwere Verhöhnung der Universität Bayreuth,
({0})
Ihrer juristischen Fakultät und Ihres Doktorvaters, Professor Häberle, sehen?
({1})
Dieser Einschätzung könnte man sicher nahetreten,
Herr Kollege Oppermann, wenn es bei diesem Satz geblieben wäre. Dann würde ich Ihnen wahrscheinlich sogar recht geben. Die Rede ging aber weiter. Ich habe später in der Rede sehr wohl Bezug auf das genommen, was
falsch gelaufen ist, wo ich Fehler gemacht habe. Ich
habe darauf hingewiesen, dass dieser Schritt wegen der
Fehler erfolgt, aber auch um bereits eingetretenen Schaden von der Universität Bayreuth und meinem überaus
geschätzten und honorigen Doktorvater, Professor
Häberle, abzuwenden. Auch das war einer der Gründe,
und das habe ich auch öffentlich kundgetan. Und von daher ist, glaube ich, der Bezugspunkt, den Sie gerade gesetzt haben, genau nicht eingetreten.
({0})
Es ist mit größter Ernsthaftigkeit darauf hingewiesen
worden. Ich kann nur offen sagen: Das ist das Letzte,
was einer will, dass man einen wirklich so geschätzten
Doktorvater, der einen über Jahre hinweg bei einer solchen Arbeit begleitet hat, letztlich auch noch in dieser
Form beleidigen würde.
({1})
Die nächste Frage geht an Kollegin Enkelmann.
Herr Minister, können Sie sich vorstellen, dass Ihr
Umgang mit den Vorwürfen vor allem der Glaubwürdigkeit von Politik, Politikerinnen und Politikern einen Bärendienst erwiesen hat?
({0})
Meinen Sie nicht, dass es vor allen Dingen deswegen
notwendig ist, die Konsequenz zu ziehen, nämlich zurückzutreten?
Sehr verehrte Frau Enkelmann - ({0})
- Bitte?
({1})
- Davon gehe ich fest aus und gratuliere Ihnen auch sehr
herzlich dazu, und zwar ohne jede Ironie, sondern gern.
Sie sehen, dass ich hier stehe, und Sie sehen, dass ich
in den letzten Tagen sehr wohl den Folgen auch entsprechend Rechnung getragen habe, indem ich auf das Führen des Doktortitels dauerhaft verzichte. Ich kann Ihnen
nur sagen: Das ist ein durchaus schmerzhafter Schritt.
({2})
- Es gibt gar nichts zu jammern. Man muss doch gar
nicht larmoyant sein. Aber ich habe die Konsequenzen
daraus gezogen. Vor dem Hintergrund, dass Sie sagen, es
schade der Glaubwürdigkeit: Ich glaube, es hätte der
Glaubwürdigkeit tatsächlich geschadet, wenn man sich
nicht zu seinen Fehlern bekannt hätte.
({3})
Die nächste Frage geht an Kollegin Barbara
Hendricks.
Es geht ja, Herr Bundesminister, heute und wahrscheinlich auch in der nächsten Zeit um die Frage, ob Sie
über das Maß an Glaubwürdigkeit verfügen, das notwendig ist, um auch zukünftig das Amt des Bundesministers
der Verteidigung ausüben zu können. Mit Erlaubnis des
Präsidenten möchte ich zur Einleitung meiner Frage eine
kurze Textstelle vortragen. Ich zitiere aus „Hinweise zu
den ethischen Grundsätzen wissenschaftlichen Arbeitens“ von Professor Dr. Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr zu München. Darin heißt es:
Die Abgabe einer schriftlichen Ausarbeitung ({0}), die anstelle einer völlig
selbständig erstellten Arbeit mehr oder weniger
große nicht explizit ausgewiesene Anteile anderer
Arbeiten enthält, ist kein „Kavaliersdelikt“, sondern
ein schwerwiegender Verstoß gegen wissenschaftliche Grundregeln, der den Tatbestand der Täuschung erfüllt.
Mit der beigefügten „Erklärung“ leisten Sie
- das richtet sich ja an die Studierenden an der Universität der Bundeswehr einen wichtigen Beitrag dazu, die für die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft überlebenswichtigen
ethischen Grundsätze aufrechtzuerhalten. Die
Pflege dieser Grundsätze schließt ein, dass alle aufgedeckten Plagiatsfälle dem Prüfungsamt und den
militärischen Vorgesetzten mitgeteilt werden.
Können Sie, Herr Bundesminister, ausschließen, dass
in jüngerer Zeit Offiziersanwärterinnen oder Offiziersanwärter wegen einer wissenschaftlichen Arbeit, die
nicht diesen ethischen Grundsätzen entspricht, mit Konsequenzen in ihrem militärischen Dienstverhältnis bis
hin zur Entlassung aus dem Dienst konfrontiert waren?
Und welche Maßnahmen beabsichtigen Sie zu ergreifen,
sofern Sie Bundesminister der Verteidigung bleiben, damit die genannten ethischen Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens an den Bundeswehrhochschulen zukünftig durchgesetzt werden können?
({1})
- Nein, das habe ich selber ausgearbeitet.
Herr Minister.
Vielen Dank. - Frau Kollegin Hendricks, Ihre Frage,
ob ich es ausschließen kann oder nicht, kann ich nur so
beantworten, dass ich die einzelnen Fälle jetzt nicht
kenne, aber dass man sich sicherlich der einzelnen Fälle,
wenn sie einem zur Kenntnis gebracht werden, annehmen wird,
({0})
und dass man gleichzeitig natürlich auch Wert darauf
legt, dass die für die jeweiligen Universitäten formulierten Grundsätze tatsächlich eingehalten werden. Ja, das
ist richtig. Man würde ein besonders schlechtes Beispiel
setzen, wenn man selbst bei fehlerhaften Arbeiten sich
auf etwas versteifen oder an etwas festklammern würde,
woran man sich als solches nicht mehr festklammern
sollte.
({1})
Deswegen wird den Fällen nachgegangen. Den Fällen
wird man im Einzelnen nachzugehen haben. Man wird
auch da eine Bewertung vornehmen müssen. Insbesondere wird man fragen müssen - auch Sie haben von einem Plagiat gesprochen -: Was ist ein Plagiat? Was setzt
das an bewusstem Täuschungsvorsatz und Ähnlichem
voraus? Das sind die Dinge, die einer Überprüfung unterliegen müssen.
Eine kurze Nachfrage.
Entschuldigung, Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich habe gefragt, wie Sie zukünftig, sofern Sie
Bundesminister der Verteidigung bleiben, die Durchsetzung dieser ethischen Grundsätze wissenschaftlichen
Arbeitens an den Universitäten der Bundeswehr vor dem
Hintergrund dessen, was Sie offenbart und selbst als
Fehler eingeräumt haben, verantworten wollen. Selbst
wenn ich den Plagiatsvorwurf nicht erheben würde, sind
die eingestandenen Fehler doch so groß, dass die ethischen Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens an den
Universitäten der Bundeswehr nur schwerlich werden
einzuhalten sein, sofern Sie der oberste Dienstherr dieser
Bundeswehrhochschulen sind.
({0})
Zunächst einmal, Frau Kollegin Hendricks, obliegt
die Prüfung der Einhaltung der wissenschaftlichen
Grundsätze der Universitäten den Universitäten. Das ist,
glaube ich, auch richtig und gut so. Ich gehe davon aus
- vielleicht können wir in dieser Hinsicht einmal den
Umkehrschluss ziehen -, dass das Beispiel des eigenen
Umgangs mit seiner akademischen Arbeit vielleicht
auch beispielgebend sein kann für andere, die sich vielleicht in einer ähnlichen Situation befinden.
({0})
Die letzte Frage kommt von Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Dr. zu
Guttenberg, meine Frage an Sie lautet zum einen, ob nur
die vier Gutachten, die Sie gerade zitiert haben, Grundlage Ihrer Doktorarbeit waren oder ob wir mit weiteren
Gutachten zu rechnen haben.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie ergänzend
fragen: Sie stellen das Ganze so dar, als wären Ihnen da
ein paar Fehler unterlaufen. Man hat fast das Gefühl,
dass wir über Flüchtigkeitsfehler reden. In der Presse
und auf Internetseiten - Überprüfungen werden auf der
Internetseite GuttenPlag Wiki und durch andere vorgenommen - wird von Übernahmen im Umfang von bis zu
73 Prozent und von zehn Seiten, die kopiert wurden, gesprochen.
({0})
- Ich habe von Behauptungen gesprochen. Ich frage ja
Herrn Dr. zu Guttenberg, ob es hier nur um Flüchtigkeiten und ein Verlieren des Überblicks geht.
Wenn die Behauptung zutreffen sollte, dass bis zu
73 Prozent übernommen bzw. zehn Seiten kopiert worden sind, wie bringen Sie das persönlich in Einklang mit
der Tatsache, dass Sie im Zusammenhang mit Ihrer Doktorarbeit eine Ehrenerklärung unterschrieben haben? Ich
gehe davon aus, dass Sie ehrenwörtlich versichert haben,
dass Sie alle Zitate angegeben haben und dass Sie diese
Arbeit selbst angefertigt haben. Was ist in dieser Situation von Ihrem Ehrenwort zu halten?
Vielen Dank. - Ich glaube, zunächst einmal wird es
wichtig sein - das kann man nicht an einem Wochenende
machen; das bedarf einer intensiven Nacharbeit -, auch
einmal all das, was auf dieser bemerkenswerten Seite
eingestellt wurde, daraufhin zu überprüfen, wie relevant
es tatsächlich angesichts der Vorwürfe, die daraus gestrickt werden, ist. Ich habe einige Überprüfungen vorgenommen. Einige der Vorwürfe sind hochrelevant.
Sonst hätte ich letztlich nicht zu dieser Entscheidung
kommen können oder kommen müssen. Aber es gibt auf
dieser Seite auch eine nicht unerhebliche Anzahl von
Vorwürfen, die ich als außerordentlich fragwürdig bezeichne. Diese Stellen kann man sehr wohl mit dem
wissenschaftlichen Kodex in Einklang bringen. Es ist
manchmal natürlich ein bisschen einfacher, auf solchen
Seiten zu arbeiten. Einige outen sich mit ihrem Namen,
andere schreiben ohne ihren Namen und ähnliche Dinge.
Das muss aber wirklich sehr sauber überprüft werden.
Das ist eine intensive Quellenarbeit.
({0})
- Mit Blick auf den Vorwurf, dass man letztlich eine solche Anzahl übernommen habe, ist es, glaube ich, nur
fair, dass man demjenigen, dem der Vorwurf gemacht
wird, die Möglichkeit gibt, das noch einmal selbst zu
überprüfen. Wenn es der Prüfung einer Universität, der
Universität Bayreuth, unterfallen wäre, dann wäre man
ja auch zu einem Ergebnis gekommen, und zwar einem,
dem ich vertrauen würde und vertraut hätte. Dieser Ansatz ist wichtig.
({1})
- Ja, gerne. - Ich habe vorhin gesagt, dass ich die vier
Gutachten, die ich auch als Primärquelle genutzt habe,
zu denen ich Ihnen auch sagen kann, welche das sind;
Moment - -:
({2})
Es waren zwei zum Gottesbezug und eines - Moment,
ich muss einmal schauen - zum amerikanischen Einfluss
auf die europäische Rechtsentwicklung, und es war ein
weiteres Gutachten, das ich allerdings nicht als Primärquelle als solche genutzt habe. Dieses Gutachten hat sich
wiederum selbst anderer Quellen bedient. Ich habe es
insbesondere im Fußnotenapparat bezüglich der europäischen Verfassungsentwicklung extensiv ausgearbeitet,
aber auch für die Abgeordnetentätigkeit in dieser Zeit, in
diesen Jahren mit genutzt.
({3})
Das ist das, was mir vorliegt. Eine Sache, die auch
noch vorliegt und auf die ich vorhin schon hingewiesen
habe, ist eine Übersetzungsleistung des Deutschen Bundestages.
({4})
Das ist eine Übersetzung, die im Jahr 2004 vorgenommen wurde - das weiß ich noch -, im Herbst 2004. Es
handelt sich um eine Übersetzung eines Artikels von
Jack Rakove, die für eine Auslandsreise, eine USAReise, die ich vom 5. bis 8. Dezember 2004 unternommen habe, angefertigt wurde. Diesen Artikel hatte ich
- das weiß ich - über Jahre hinweg mit mir auf Auslandsreisen und immer wieder auch bei Textvorlagen dabei, weil er gerade den europäischen und amerikanischen Verfassungsprozess mit geschildert hat. Das sage
ich nur, weil diese Frage am Anfang war.
({5})
- Nein. - Zwischen den Wissenschaftlichen Diensten
und dem Übersetzungsdienst gibt es, glaube ich, einen
Unterschied. Die Nutzung des Übersetzungsdienstes
hatte einen mandatsbezogenen Grund, und die Nutzung
der Wissenschaftlichen Dienste hatte mandatsbezogene
Gründe. Nach dem, was ich bisher aus der Arbeit heraus
recherchieren konnte und wozu ich in meinen Unterlagen nachgeschaut habe, liegen mir derzeit vier Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste vor,
({6})
wo ich die Quellen auch entsprechend bezeichnet habe.
({7})
Danke schön. - Die vereinbarten 30 Minuten zur Beantwortung der dringlichen Fragen zu diesem Themenkomplex sind nun abgelaufen. Antworten zu weiteren
dringlichen Fragen siehe Anlagen 2 bis 5.
Bevor ich die weiteren Fragen aufrufe, möchte ich
ganz herzlich den Parlamentspräsidenten Kroatiens, den
Präsidenten des Sabor, Herrn Luka Bebić, mit seiner Delegation begrüßen. Seien Sie uns herzlich willkommen.
({0})
Ich rufe nun gemäß Nr. 11 der Richtlinien für die Fragestunde die Fragen 59 bis 61 auf Drucksache 17/4638
auf, die in der letzten Fragestunde aufgrund der Abwesenheit des Parlamentarischen Staatssekretärs nicht
mündlich beantwortet werden konnten. Es handelt sich
dabei um Fragen des Kollegen Bollmann und der Kollegin Ute Vogt. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Otto zur
Verfügung.
Ich rufe die Fragen 59 und 60 des Kollegen Bollmann
auf:
Wie sieht der Zeitrahmen für den aktuellen CarbonCapture-and-Storage-Technologie-({1})-Gesetzgebungsprozess aus, und bis wann muss dieser Prozess abgeschlossen
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
sein, um die EU-Fördermittel für Pilotprojekte abrufen zu
können?
Wie werden in Zukunft die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Bundesministerien im CCS-Bereich geregelt sein?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr
Kollege Bollmann, Ihre Fragen möchte ich wie folgt beantworten: Die Ressortabstimmungen zum CCS-Gesetzentwurf sind weit fortgeschritten. Eine zeitnahe Kabinettsbefassung des gemeinsamen Entwurfes - ich darf
darauf hinweisen, dass es ein gemeinsamer Entwurf des
Bundesumweltministeriums und des Bundeswirtschaftsministeriums ist - zur Umsetzung der Richtlinie 2009/
31/EG wird angestrebt. Wir werden auf jeden Fall die
Umsetzungsfrist, die uns aufgrund der Richtlinie bis
zum 25. Juni 2011 obliegt, einhalten.
Herr Bollmann, eine Nachfrage? - Nein.
Ich rufe die Frage 61 der Kollegin Vogt auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorgänge um das
offenbar leckgeschlagene CCS-Speicherfeld in der kanadischen Provinz Saskatchewan im Hinblick auf die generelle
Zuverlässigkeit und Zukunftsfähigkeit der CCS-Technologie?
Kollege Otto.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich beantworte die
Frage für die Bundesregierung wie folgt: Die Bundesregierung hat die in den internationalen Medien sowie auf
den einschlägigen Internetseiten veröffentlichten Informationen über einen möglichen CO2-Austritt im Zusammenhang mit der Nutzung von CO2 für Entölungsmaßnahmen im Ölfeld Weyburn aufmerksam verfolgt.
Das vorliegende Gutachten von Petro-Find Geochem
reicht für die Bewertung einer CO2-Leckage nicht aus.
Wissenschaftler von Universitäten und Forschungseinrichtungen, die sich mit Weyburn, aber auch generell mit
Bodengasanalysen befassen, haben in einer gemeinsamen mir vorliegenden Stellungnahme festgestellt, dass
es keinerlei Hinweise auf Leckagen gibt. Sie legen unter
anderem dar, dass hohe CO2-Konzentrationen im Boden
auch andere Ursachen als Leckagen haben können.
In Deutschland werden sich alle Demonstrationsprojekte im Hinblick auf die CO2-Speicherung nach der
CCS-Richtlinie und dem dann folgenden eigenen CCSGesetz richten. Dieser Rechtsrahmen ist darauf ausgerichtet, speziell für die dauerhafte und sichere CO2-Speicherung geeignete Gesteinsschichten auszuwählen, zu
untersuchen und auf ihre Eignung für eine langzeitsichere CO2-Speicherung hin zu bewerten. Das Ziel des
Vorhabens in Weyburn ist demgegenüber allein die Erhöhung der Ölproduktion im kommerziellen Maßstab.
Das ist der Unterschied zur Situation in Deutschland.
Eine Nachfrage? - Bitte schön, Kollegin Vogt.
Können Sie dann im Umkehrschluss ausschließen,
dass man bei tatsächlich vorhandenen Leckagen nicht
auf die Idee kommt, dass es sich möglicherweise nur um
natürliche Vorkommen handelt? Halten Sie es also für
realistisch, dass diese Unterscheidung tatsächlich getroffen werden kann? Der Stoff an sich ist ja gleich.
Nein, Frau Kollegin, es wäre sicherlich nicht seriös,
wenn ich das ausschließen würde; denn ich bin kein
Wissenschaftler. Das, was in Saskatchewan passiert ist,
ist von mehreren unterschiedlichen Wissenschaftlern untersucht worden. Sie haben gesagt, dass keine Erkenntnisse vorliegen, die auf eine Leckage schließen lassen.
Ob man zwischen schon vorhandenen CO2-Konzentrationen und Leckagen sauber unterscheiden kann, kann
ich nicht beurteilen. Ich bin, wie gesagt, kein Wissenschaftler.
({0})
Ich vertraue darauf, dass die Wissenschaft diese Unterscheidung treffen kann.
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Rolf
Hempelmann.
Herr Staatssekretär, Sie erwähnten gerade das CCSGesetz. Da es noch nicht vorliegt, frage ich Sie: Können
Sie sagen, wann der Bundestag damit rechnen kann, dass
ihm ein Gesetzentwurf zur CO2-Speicherung in Deutschland vorgelegt wird? Wird es ein Gesetz für ganz
Deutschland sein, oder wird es ein Gesetz für Teile von
Deutschland bzw. für einzelne Bundesländer sein?
Herr Kollege Hempelmann, den ersten Teil Ihrer
Frage habe ich schon gegenüber dem Kollegen
Bollmann beantwortet. Die Ressortabstimmung befindet sich in den letzten Zügen. Wir gehen von einer zeitnahen Befassung des Kabinetts aus. Es liegt dann auch
im Ermessen des Parlaments, wie schnell dieses Thema
behandelt wird. Wir müssen beachten: Die Richtlinie
setzt uns eine Umsetzungsfrist bis zum 25. Juni dieses
Jahres. Ich hoffe, mit der Unterstützung der Kolleginnen
und Kollegen dieses Hauses werden wir diesen Gesetzentwurf zeitnah verabschieden können.
Ich möchte darauf hinweisen - das wissen Sie genauso gut wie ich -: Dieses Gesetz ist kein Gesetz für
die flächendeckende kommerzielle Nutzung von CCS,
sondern es ermöglicht Modellprojekte. Es bezieht sich
natürlich auf Gesamtdeutschland. Wir wissen aber, dass
im Moment nur das Land Brandenburg konkret an einem
Modellprojekt, das die dortige Landesregierung ermöglichen will, interessiert ist, während einige andere Landesregierungen - ich formuliere es einmal so - zurückhaltend sind. Das Gesetz gilt aber für ganz Deutschland.
Danke. - Bitte schön, Kollege Hempelmann.
Ich habe noch eine kurze Nachfrage: Ist Ihnen bekannt, dass allein die Spekulation über mögliche Optout-Modelle, also über die Möglichkeit, dass sich Bundesländer komplett aus dem Thema CCS herausoptieren,
schon Auswirkungen hat, auch auf Brandenburg, und
dass die dortige Regierung, obwohl sie Speicherprojekte
befürwortet, unter Druck gerät, ausgelöst durch die
Möglichkeit des Herausoptierens, die Sie in Ihren bisherigen Entwürfen offenbar vorsehen?
Ja, Herr Kollege Hempelmann, wir verfolgen natürlich auch aufmerksam die Presse und die öffentliche Diskussion. Es ist uns bekannt, dass eine Opt-out-Lösung
für die Landesregierung in Brandenburg möglicherweise
eine schwierigere Lage herbeiführen würde als ein Optin-Modell. Das ist einer der Gründe für die sehr sorgfältigen Ressortabstimmungen. Wir wollen die regional unterschiedlichen Interessen austarieren - Brandenburg auf
der einen Seite, Schleswig-Holstein und Niedersachsen
auf der anderen Seite. Es ist wie mit der Bettdecke.
Wenn Sie sie in die eine Richtung ziehen, sind die Füße
frei, und wenn Sie sie in die andere Richtung ziehen, ist
der Bauch frei. Sie können sich vorstellen, dass die Abwägung recht schwierig ist.
({0})
Zu einer weiteren Nachfrage jetzt der Kollege
Miersch.
Herr Staatssekretär, im Umweltausschuss haben die
Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein heute
noch einmal betont, dass sie sogenannte Ausschlussklauseln in diesem Gesetz fordern. Unterstützt das Bundeswirtschaftsministerium die Absicht, dass einzelne Bundesländer die CCS-Technologie in ihren Gebieten
gänzlich ausschließen können?
Lieber Herr Kollege Miersch, Sie haben hoffentlich
Verständnis dafür, dass wir in einem laufenden Ressortabstimmungsverfahren hier keine öffentlichen Erklärungen über mögliche Inhalte dieses Gesetzentwurfs abgeben. Ich habe Ihnen gesagt, dass wir zeitnah eine
Befassung im Kabinett herbeiführen wollen - es sind uns
ja auch Fristen gesetzt -, und aus dem Gesetzentwurf,
den Sie sicherlich im Laufe der nächsten Wochen - das
hoffe ich jedenfalls - zu Gesicht bekommen werden,
wird dann hervorgehen, für welche Lösung sich die Bundesregierung entschieden hat.
Die nächste Frage stellt der Kollege Börnsen.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin den schönen
bildhaften Vergleich mit der Bettdecke gebracht, die
nach allen Seiten hin geschlossen bleiben und zumindest
lang genug sein sollte. Ihr Kollege Koppelin in Schleswig-Holstein erwartet ebenso wie mein Kollege Ingbert
Liebing und viele andere in Schleswig-Holstein und in
Niedersachsen, dass die Bundesregierung in der Vorbereitung des Gesetzes eine bestimmte Tendenz erkennen
lässt. Sie wissen um die Besonderheiten nicht nur dieser
beiden, sondern auch anderer Bundesländer.
Gehen Sie davon aus, dass am Ende des Findungsverfahrens es doch zu einer deutlichen Rechtssicherheit für
die Länder kommen wird, die eine CCS-Verpressung ablehnen?
Die Bundesregierung hat die Aufgabe, Gesetzentwürfe vorzulegen, und das Parlament hat dann die Aufgabe, solche Gesetze zu verabschieden, die in jeder Hinsicht zur Rechtssicherheit führen. Andernfalls würden
wir unsere Aufgabe nicht sorgfältig erfüllen. Aber ich
darf daran erinnern, lieber Herr Kollege Börnsen, dass es
bei diesem Gesetz zunächst nur um Modellprojekte geht.
Die Entscheidung darüber, ob sich das Land SchleswigHolstein und möglicherweise auch das Land Niedersachsen an diesen Modellprojekten beteiligen oder nicht,
liegt in der Souveränität dieser Länder. Aber ganz klar
ist, dass das Gesetz Rechtssicherheit herbeiführen will,
und auf der Grundlage des Gesetzes können die Länder
dann entscheiden, ob sie Modellprojekte in ihren Bundesländern zulassen wollen oder nicht. Niemand wird
gezwungen, ein Modellprojekt durchzuführen, schon gar
nicht durch die Bundesregierung.
Eine Nachfrage?
Eine Nachfrage, Herr Staatssekretär: Sind Modellprojekte im Vorwege schon als eine Vorentscheidung
anzusehen, und wird durch die Ablehnung eines Modellprojektes durch ein Land aufgrund bestimmter Bürgerinteressen die Grundsatzentscheidung beeinflusst?
Nein, so sehe ich das nicht, Herr Kollege Börnsen.
Modellprojekte dienen der Sammlung von Erkenntnissen, die dann auch evaluiert werden müssen. Wenn wir
von vornherein festlegen würden, dass ein Land, das ein
Modellprojekt ablehnt, später auch keine Anlage bekommt, ginge es nicht um Modellprojekte, sondern um
vorläufige Projekte.
Für uns ist das eine wichtige Technologie. Ich darf daran erinnern, dass wir ohne CCS-Verpressung in
Deutschland unsere Umwelt- und Klimaschutzziele
wahrscheinlich nicht einhalten können.
({0})
- Ja, diese Auffassung vertrete ich und vertritt die Bundesregierung.
Angesichts dieser Wichtigkeit der Technologie, die
übrigens nicht nur in Deutschland, sondern europaweit
erprobt wird - wir erfüllen eine Richtlinie der EU-Kommission -, ist es für uns entscheidend, dass wir die Modellprojekte ergebnisoffen bewerten. Auf dieser Grundlage wird danach ein neues Gesetz erlassen, in dem es
keine Präklusionen gibt. Das heißt, was jetzt in der ersten Stufe ausgeschlossen worden ist, muss in der zweiten
Stufe nicht ebenso ausgeschlossen sein.
Die nächste Nachfrage hat der Kollege Krischer.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben über Opt-out- und
Opt-in-Lösungen für einzelne Bundesländer gesprochen.
Ist Ihnen bekannt, dass der Bundesumweltminister, Herr
Dr. Norbert Röttgen, in vielen Zeitungsinterviews mehrfach öffentlich die Position vertreten hat, dass Bundesländern, die die CCS-Technologie nicht anwenden wollen, die Möglichkeit gegeben werden soll, auf die
Anwendung zu verzichten? Ist dies auch die Meinung
der gesamten Regierung und damit Meinung des Bundeswirtschaftsministeriums, das in dieser Frage ja eine gemeinsame Federführung mit dem Bundesumweltministerium hat?
Lieber Herr Kollege Krischer, ich darf auf meine Antwort auf die Frage des Kollegen Miersch verweisen. Wir
befinden uns aktuell in einem Ressortabstimmungsverfahren. Bei diesem Ressortabstimmungsverfahren geht
es genau darum - das wissen Sie -, dass sich unterschiedliche Ressorts auf eine Meinung einigen müssen.
Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich Ihnen gegenüber
in einem so aktuellen Stadium keine vorzeitigen Wasserstandsmeldungen eines einzelnen Ministeriums abgebe.
Sie haben auf die Äußerungen des Bundesumweltministers hingewiesen. Mir ist bekannt, was er früher
gesagt hat. Aber wir befinden uns jetzt in diesem Abstimmungsverfahren und gehen alle davon aus, dass wir
Ihnen sehr zeitnah einen Gesetzentwurf präsentieren
können, den wir hier im Parlament dann sehr sorgfältig
mit Ihnen diskutieren werden.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Behm.
Vielen Dank. - Es ist in verschiedenen Gutachten ja
die Rede davon, dass nur noch ein Speichervolumen von
circa 13 Milliarden Tonnen CO2 zur Verfügung steht.
Das würde maximal für 20 Jahre ausreichen.
Nun setzt man voraus: Alte Kraftwerke werden nicht
mit Abscheide- und Speichertechnologien nachgerüstet,
vielmehr wird es die CCS-Technologie nur in neu gebauten Kohlekraftwerken geben, die erst in etlichen Jahren
ans Netz gehen werden. Da die Technologie erst in etlichen Jahren Wirkung entfalten kann, frage ich mich: Ist
das vor dem Hintergrund, dass wir hier über einen Zeitraum von vielleicht maximal 20 Jahren reden, überhaupt
eine sinnvolle Option? In Bezug auf die Entwicklung einer solchen Technologie, die - das geht ja auch aus der
Fragestunde hier hervor und ist Grund für den Widerstand der verschiedenen Bundesländer - mit diversen
ungeklärten Fragen und Risiken behaftet ist, frage ich:
Stehen Aufwand und Nutzen in einem gesunden Verhältnis? Wie schätzt die Bundesregierung das vor dem Hintergrund eines Speichervolumens von 13 Milliarden
Tonnen CO2 ein, das für maximal 20 Jahre ausreicht?
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich will hier jetzt nicht
die Antwort auf die Frage 7 vorwegnehmen, die mir die
Kollegin Nestle gestellt hat, und den Zeitplan nicht
durcheinanderbringen. Deswegen will ich Ihnen nur sehr
vorläufig sagen - ich komme später bei der Antwort auf
die Frage von Kollegin Nestle noch einmal auf diesen
Punkt zurück -: Diese Schätzungen sind höchst vorläufig und nur auf der Basis von Teilen der betreffenden Regionen gemacht worden. Die Kapazitäten sind vorhersehbar erheblich höher als die, die Sie eben genannt
haben.
Frau Kollegin, ich will schon jetzt eines sagen: Angesichts unserer ehrgeizigen Klimaschutzziele, die auch
Sie sicherlich unterstützen werden, würden wir einen
großen Fehler machen, wenn wir nicht wenigstens durch
Modellprojekte klären würden, ob die CCS-Technologie
zu einer Verbesserung unserer Klimaschutzbilanz beitragen kann.
Wenn wir uns in einer Dagegen-Mentalität auch unter
Verletzung von Richtlinien der EU-Kommission diesem
Thema von vornherein überhaupt nicht zuwenden würden, dann würden wir höchstwahrscheinlich eine klimapolitische Sünde begehen. Dass es Widerstände vor Ort
gibt, auch gegenüber sinnvollen Vorhaben, ist mir
schmerzlich bewusst. Das betrifft nicht nur die CCSTechnik, sondern alles andere auch. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, müssen wir aber bereit sein,
auch diese Technologien zu prüfen. Die Bundesregierung ist in der Tat übereinstimmend der Meinung, dass
das eine sehr lohnenswerte Option ist. Die Anwendung
muss übrigens nicht nur an Land erfolgen; es gibt auch
Optionen auf See.
Wir sollten die Option auf jeden Fall prüfen. Deswegen werbe ich auch bei Ihnen darum, dass Sie etwaige
Widerstände, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommen,
hintanstellen und gemeinsam mit uns den Evaluationsprozess angehen.
Die nächste Frage kommt vom Kollegen Ott.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Im Anschluss an
Ihre Ausführungen habe ich eine Nachfrage, Herr Kollege Otto. Sie haben gesagt, dass wir die CCS-Technologie brauchen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Ich
will nicht näher darauf eingehen, dass wir erst in 20 bis
25 Jahren in der Lage wären, mit dieser Technik einen
nennenswerten Anteil der Emissionen aufzunehmen,
also dann, wenn wir unsere Emissionen schon längst um
60 bis 70 Prozent verringert haben müssen. Ich will auch
nicht weiter vertiefen - auf die Fragen der Kollegin
Nestle wurde schon eingegangen -, dass wahrscheinlich
nur für 18 bis 20 Jahre Speicherkapazitäten in Deutschland vorhanden sind. Sie setzen also sozusagen auf ein
totes Pferd.
Ich möchte Sie aber fragen, ob Sie die Studie des
Sachverständigenrates für Umweltfragen kennen, die
heute Abend vorgestellt wird und in der untersucht wird,
wie Deutschland bis zum Jahr 2050 die Stromerzeugung
zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien sicherstellen
kann. Darin sind auch eindeutige Aussagen über die
CCS-Technik enthalten.
Selbst dann, wenn eine solche Verpressung von Kohlendioxid befürwortet wird, müssen die Lagerstätten, so
die Meinung der Sachverständigen, erhalten werden.
Denn es kann sein, dass wir ab 2050 „negativ“ werden,
das heißt, dass wir mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre herausholen, als wir emittieren. In diesem speziellen Fall, wenn wirklich alles schiefläuft und wir in
höchster Not sind, dann würden wir diese Lagerstätten
brauchen. Ist Ihnen diese Studie und sind Ihnen diese
Bedenken bekannt?
Diese Bedenken sind mir natürlich bekannt. Das Bundeswirtschaftsministerium wertet alle Untersuchungen,
die zu diesen Themenbereichen erstellt werden, sorgfältig aus. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Bundesregierung gemeinsam ein Energiekonzept aufgelegt
hat. An dieses Energiekonzept, das von der Bundesregierung im vergangenen Jahr veröffentlicht worden ist, halten wir uns. Nach diesem Konzept wird es auch über das
Jahr 2050 hinaus zur Absicherung der Grundlast noch in
einem gewissen Umfang herkömmliche Kraftwerke geben müssen. Deswegen sollten wir uns die Option für
CCS nicht verbauen.
({0})
- Das kann durchaus sein, Herr Kollege. Wir gehen ergebnisoffen in diesen Prozess hinein. Ich habe schon gesagt, dass das CCS-Gesetz keine endgültige Entscheidung über die Anwendung von CCS in Deutschland
beinhalten wird, sondern die Öffnung für Modellprojekte. Zu Modellprojekten gehört es, dass sie sorgfältig
evaluiert und bewertet werden. Dann werden die Entscheidungen getroffen.
Ich kann mich nicht allein auf solche schlanken Gutachten verlassen, in denen von 100 Prozent erneuerbaren
Energien die Rede ist, die aber nicht darauf eingehen,
wie die Energiesicherheit dauerhaft zu gewährleisten ist.
({1})
- Lieber Herr Kollege Ott, bei allem Respekt vor unterschiedlichen wissenschaftlichen Meinungen: Die Bundesregierung setzt nicht auf ein totes Pferd. Aber sie verzichtet auch nicht darauf, auf andere Pferde zu setzen,
die es möglicherweise gibt. Um es ganz klar zu sagen:
Ich hielte es für unverantwortlich, wenn wir anders als
andere Länder weltweit die CCS-Technologie nicht testen würden.
Gerade die Grünen, die als Partei sehr ambitionierte
Klimaschutzziele verfolgen, sollten der CCS-Technik
eine Chance geben. Sie können immer noch zu einer negativen Bewertung kommen, lieber Herr Kollege Ott.
Aber von vornherein eine Technologie auszuschließen,
das hielte ich nicht für den richtigen Weg. Die Bundesregierung wird das mit Sicherheit nicht tun.
({2})
Die Frage der Kollegin Kotting-Uhl, bitte.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
ich will Sie noch einmal zitieren. Sie haben vorhin gesagt, dass die Klimaschutzziele ohne CCS nicht erreichbar sind. Daraufhin habe ich mich gemeldet. Ich entnehme dem und auch Ihrer Antwort auf die Frage des
Herrn Kollegen Ott, dass Sie CCS nicht nutzen wollen,
wie es vom SRU empfohlen wird, um ausschließlich
CO2-Emissionen aus den energieintensiven Industrieprozessen einzulagern, sondern dass Sie das für die Kohleverstromung haben wollen.
Sie sagen, es sei unverantwortlich, diese Technologie
nicht auszuprobieren oder ihr keine Chance zu geben.
Zur Bewertung von Technologien gehört nach Auffassung von uns Grünen schon auch, dass man ihren möglichen Nutzen, ihren möglichen Schaden und ihre Risiken
gegeneinander abwägt. Das vermisse ich bei Ihnen.
Ich komme jetzt aber zu meiner Frage an Sie. Es werden ja schon Kohlekraftwerke mit dem Versprechen
„Green Coal“ gebaut - irgendwann ist die Kohle sauber,
und wir verpressen das ganze CO2, das wir dabei abscheiden -, und es gibt bereits Widerstand in Kommunen, in ganzen Ländern, die ahnen, fürchten, dass diese
Speicher oder auch nur die Transportpipelines, die ja
auch ein ziemliches Ausmaß haben, später bei ihnen gebaut werden sollen. Wir haben ja bei der Atommüllendlagerfrage ein ähnliches Problem: Niemand hat das so
gerne in seinem Garten oder vor seiner Haustür. Was hat
eigentlich die Bundesregierung aus diesem Problem,
Endlager für Atommüll zu finden und eventuell irgendwann auch einmal in Betrieb zu nehmen, und zwar mit
einer möglichst hohen Akzeptanz in der Bevölkerung
der Umgebung, für die Frage gelernt, die sich jetzt stellt?
Wie wollen Sie die Bevölkerung einbeziehen? Es sind
bereits Widerstände in Niedersachsen, in SchleswigHolstein, in einzelnen Kommunen vorhanden. Was wollen Sie anders machen? Was also haben Sie aus der desolaten Lage bei der Atommüllendlagersuche gelernt?
Liebe Frau Kollegin, lassen mich zunächst eines sagen: Sie nehmen für sich in Anspruch, dass Sie den Nutzen und die Belastung abwägen. Genau das tut die Bundesregierung aber auch. Ich sage Ihnen: Wenn Sie den
möglichen Nutzen und mögliche Risiken der CCS-Technologie prüfen wollen, dann müssen Sie der Durchführung von Modellprojekten die Zustimmung erteilen.
Wenn Sie das von vornherein ablehnen, werden Sie nicht
zu einem seriösen Urteil kommen können. Das jedenfalls ist Auffassung der Bundesregierung.
Frau Kollegin, in aller Offenheit - lassen Sie mich das
gerade am Beispiel der Atomendlagerstätten sagen -:
Diese Bundesregierung stellt sich - im Gegensatz zu den
Vorgängerregierungen -, auch wenn es vor Ort unpopulär ist, den energiepolitischen Notwendigkeiten. Ich
weiß sehr wohl, dass es im Wendland und dort, wo auch
immer Atomendlagerstätten möglicherweise einmal geprüft werden, große Widerstände in der Bevölkerung
gibt. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Grünen auf der
Woge dieses Protestes schwimmen. Aber ich sage Ihnen:
Als Bundesregierung sind wir verpflichtet, verantwortungsbewusst für die nächsten Generationen zu denken.
Wir scheuen uns auch nicht, Proteste vor Ort auszuhalten, wenn wir der Meinung sind, dass eine bestimmte
Technologie notwendig ist, um unsere Klimaschutzziele
zu erreichen. „Wasch mir den Pelz, aber mach mich
nicht nass“ kann nicht die Devise dieser Regierung sein.
Sie können sich als Oppositionspartei immer einen
schlanken Fuß machen. Die Bundesregierung kann das
nicht tun.
({0})
- Frau Kollegin, um das ganz klar zu sagen: Unabhängig
von der Frage der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke brauchen wir Endlagerstätten, egal, wo sie sind.
Diesem Prozess müssen wir uns unterziehen. Wenn die
Grünen der Meinung sind: „Wir entziehen uns diesem
mühsamen Prozess, indem wir uns einfach verweigern
und Vogel-Strauß-Politik machen“, so mag das Ihre Politik sein. Es kann aber nicht die Politik der Bundesregierung sein. Wir sind gefordert. Wir sind den Menschen
gegenüber verantwortlich. Wir sind den Klimaschutzzielen gegenüber verantwortlich. Deswegen haben wir
ein Energiekonzept, an dem Sie uns messen können. In
dem Energiekonzept steht, dass wir auch CCS-Techniken in Modellprojekten prüfen wollen, und genau das
tun wir. Da sind wir ganz berechenbar und klar. Ich
appelliere, insbesondere was die Frage CCS-Technologie anbelangt, an die Kollegen Ott, Krischer und andere:
Überprüfen Sie Ihre Position doch noch einmal, auch
wenn es unpopulär ist. Dass Sie sich von vornherein dieser Technologie entziehen und noch nicht einmal Modellprojekte zulassen wollen, verstehe ich, offen gesagt,
nicht.
Die Bundesregierung wird es anders halten. Wir werden einen entsprechenden Gesetzentwurf so schnell wie
möglich vorlegen und mit Ihnen darüber diskutieren.
Dann wird der Bundestag - hoffentlich bald - eine vernünftige Entscheidung treffen.
({1})
Die nächste Frage stellt Dorothea Steiner.
Sie haben in Ihren Ausführungen uns Grünen mit Vehemenz eine Dagegen-Mentalität unterstellt. Das bringt
mich zu der Frage: Würden Sie eine solche DagegenMentalität beispielsweise auch dem niedersächsischen
Ministerpräsidenten McAllister unterstellen, der sagt, er
sei von CCS wirklich nicht überzeugt, und seinem Wirtschaftsminister, der sagt: „Wir hoffen, dass wir an diesem Prozess nicht beteiligt werden“? Die niedersächsische Landesregierung erweckt insgesamt den Eindruck,
dass es ihr aufgrund Ihrer gesetzlichen Planungen gelingen könne, davonzukommen, obwohl Niedersachsen
sonst als großer potenzieller Standort betrachtet wird.
Wer hat denn nun die Dagegen-Mentalität: die Grünen
oder die Landesregierung von Niedersachsen? Und warum? Ich möchte in diesem Zusammenhang auch nach
der Bewertung der Beweggründe der schleswig-holsteinischen Landesregierung fragen.
Frau Kollegin, da Sie in einer Fülle von Fragen zu
verstehen geben, dass Sie offensichtlich CCS in jeder
Form und überall ablehnen und auch kein CCS-Gesetz
haben wollen, stelle ich jedenfalls fest, dass die Landesregierungen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein
mit uns um die inhaltliche Ausgestaltung des Gesetzes
ringen. Ich kenne niemanden in der niedersächsischen
- das gilt auch für Herrn McAllister - oder der schleswig-holsteinischen Landesregierung, der so fundamental
wie Sie diese Technologie ablehnt.
Herr Kollege Krischer, es ist wahr, dass wir bei den
Landesregierungen von Niedersachsen und SchleswigHolstein um Akzeptanz werben; das ist ein ganz normaler Vorgang. Wo immer es sein mag: Wir werben um Akzeptanz für Standorte. Aber in der Diskussion, die ich
mit Ihnen von der Grünen-Fraktion führe, geht es nicht
um Standorte. Die Fraktion der Grünen hat offensichtlich von vornherein die CCS-Technologie abgeschrieben. Sie wollen gar nichts machen. Ob man das Dagegen-Mentalität nennt oder schlicht als verantwortungslos
bezeichnet, überlasse ich dem Urteil anderer; das muss
ich nicht wiederholen.
Ich werbe auch bei der Grünen-Fraktion - gerade weil
wir uns über die ambitionierten Klimaschutzziele einig
sind - um eine sorgfältige Prüfung und Evaluierung von
CCS. Am Ende des Prozesses steht eine Entscheidung.
Aber von vornherein diese Technologie auszuschließen
und gar kein Modellprojekt zu starten, hielte ich - ich
wiederhole das - schlicht für verantwortungslos.
({0})
Der Kollege Gerd Bollmann stellt die nächste Frage. Bitte.
Ich frage nach etwas anderem. Wir planen bis zum
Jahr 2050 die Dekarbonisierung in Deutschland. Angenommen, dass CCS nicht eingesetzt wird - ich erinnere
an die heutige Sitzung des Umweltausschusses, in der
die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein auch
auf Nachfrage mehr oder weniger eindeutig erklärt haben,
dass diese Technologie für sie nicht infrage kommt -: Wie
beurteilen Sie dann die Zukunft der deutschen Stahlindustrie, aber auch anderer Industriezweige mit hohen
CO2-Emissionen?
Ich nehme die Stellungnahmen der derzeitigen Landesregierungen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein zur Kenntnis. Wir werden dort weiterhin um eine
Öffnung gegenüber unseren Plänen werben. Lieber Herr
Kollege Bollmann, da Sie Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion sind, lassen Sie mich offen sagen: Wenn die
SPD-geführte Landesregierung von Brandenburg in
dieser Frage offener ist als die CDU/FDP-geführten Landesregierungen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein, dann lassen Sie uns auf diesem Feld zusammenarbeiten. Ich verstehe nicht, warum Sie eine solche Frage
stellen. Herr Bollmann, Sie müssten als sozialdemokratischer Abgeordneter doch die Position Ihrer Landesregierung unterstützen. Unterschätzen Sie außerdem nicht:
An dem Standort in Südostbrandenburg werden viele
Arbeitsplätze entstehen. Ich kann mir nicht vorstellen,
dass Sie Ihrer Landesregierung in Brandenburg in den
Rücken fallen wollen.
Eine Nachfrage, Herr Bollmann.
Ich habe nicht die Hoffnung gehabt, dass Sie mich
über die parteipolitische Richtung, die ich einnehmen
müsste, aufklären.
Ich habe Sie ausschließlich danach gefragt, wie Sie
die Zukunft der deutschen Stahlindustrie sehen. Ich weiß
im Moment nicht, wie dort, wenn demnächst nicht irgendwo ein neues Verfahren vom Himmel fällt, mit anderen Techniken gearbeitet werden soll; dazu gibt es zurzeit keine Ansätze. Wie sehen Sie die Zukunft der
deutschen Stahlindustrie, aber auch der Zementindustrie,
der chemischen Industrie und der Aluminiumindustrie?
Nur danach habe ich Sie gefragt, und ich habe Sie nicht
um eine Belehrung im Hinblick auf meine politische
Ausrichtung gebeten.
Herr Kollege Bollmann, da alle von Ihnen genannten
Industriezweige, zuallererst die Stahlindustrie, für uns
zentrale Industriebranchen mit Zigtausenden von Arbeitsplätzen sind, wird die Bundesregierung alles dafür
tun, die Standorte hier zu erhalten. Wir werden auch in
Zukunft eine leistungsfähige Stahl- und Zementindustrie
und andere Industrien brauchen. Deswegen versuchen
wir alles, um die Dekarbonisierung, die Sie eben angesprochen haben, zu erreichen. Ein mögliches, und zwar
sehr zentrales, Mittel dazu kann die CCS-Technik sein.
Ich sage aber auch ganz offen: Wir werden auch auf
europäischer Ebene um Lösungen ringen. Sollte die Entwicklung in Deutschland nicht schnell genug vorangehen, werden wir sehen, ob wir auf europäischer Ebene
einen Lastenausgleich zustande bringen. In jedem Fall
äußere ich ein klares Bekenntnis. Wir können doch nicht
die Stahlindustrie hier aufgeben. Ich nehme an, dass das
auch nicht Ihre Intention ist. Ich werbe auch bei Ihnen,
lieber Kollege Bollmann, darum, dass Sie als Mitglied
der sozialdemokratischen Fraktion zusammen mit der
Bundesregierung um Akzeptanz für die CCS-Modellprojekte werben.
Die nächste Frage kommt von Kollegin Nestle.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben gerade
gesagt, dass CCS unter anderem deshalb wichtig sein
könne, weil wir auch Grundlastkraftwerke bräuchten.
Genau darauf bezieht sich meine Nachfrage. Was ist die
Grundlage dafür, dass Sie davon ausgehen, dass wir im
Jahr 2030 - vor 2020 wird CCS großtechnisch nicht zur
Verfügung stehen; das heißt, die CCS-Kohlekraftwerke
werden 2030 und lange darüber hinaus sicherlich noch
laufen - noch Grundlastkraftwerke im System brauchen?
Wenn man die Prognosen der Bundesregierung im
Hinblick auf erneuerbare Energien, die offiziell nach
Brüssel gemeldet worden sind, zugrunde legt, dann zeigt
sich - das ist sicherlich auch Ihnen bekannt -, dass der
komplette deutsche Strombedarf schon im Jahr 2020
sehr oft nur aus den fluktuierenden erneuerbaren Energien Wind und Sonne - sie sind nicht regelbar; sie werden auch vom Wetter bestimmt und richten sich nicht
nach unseren Bedürfnissen - gedeckt werden wird, dass
es sogar zu Überschüssen kommen wird. Dabei wurde
noch gar nicht einmal die Annahme getroffen, dass wir
bei der Energieeffizienz vorankommen. Wenn wir das
schaffen, werden die erneuerbaren Energien noch öfter
den Bedarf alleine decken, erst recht im Jahre 2030. Aus
unserer Sicht könnte man noch mehr Erneuerbare zubauen, als Sie es vorhaben.
Im Jahre 2030 wird zu einem Großteil der Zeit unser
Bedarf komplett aus fluktuierenden Erneuerbaren gedeckt werden. Wenn wir im Jahre 2030 noch GrundlastIngrid Nestle
kraftwerke haben, werden sie meiner Meinung nach für
uns ein großes Problem sein, weil sie nicht schnell genug
komplett abgeschaltet werden können und sie nicht die
Lücken zwischen den Zeiten füllen können, wenn die
Erneuerbaren den Bedarf alleine decken. Das würden
flexible Gaskraftwerke schaffen, sicherlich nicht KohleCCS-Kraftwerke. Wie kommen Sie vor diesem Hintergrund zu der Einschätzung, dass wir im Jahr 2030
Grundlastkraftwerke brauchen? Wären diese nicht vielmehr ein Problem?
Frau Kollegin Nestle, die Bundesregierung hat ihr
Energiekonzept nicht aus Daffke oder aus Jux aufgelegt,
sondern weil es eine Richtlinie sein soll. Die Bundesregierung hat es nach soliden, umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchungen aufgestellt. Nach all den
Erkenntnissen, die wir in einem sehr sorgfältigen Erkundungsverfahren gewonnen haben, nach derzeitigem
Stand der Dinge, werden wir nicht nur im Jahr 2030,
sondern sogar noch im Jahr 2050 einen Anteil von etwa
20 Prozent Stromerzeugung aus herkömmlichen Kraftwerken brauchen.
Ich weiß, dass die Grünen-Fraktion eine hundertprozentige Versorgung durch erneuerbare Energien anstrebt.
Das mögen Sie tun; das lasse ich Ihnen. Die Bundesregierung hat nach sehr sorgfältiger Prüfung und nach
Abstimmung mit allen Ressorts ein Konzept vorgelegt,
das Sie kennen und das Sie sich noch einmal anschauen
mögen. Meine Antwort basiert natürlich auf diesem
Energiekonzept.
Ihnen, Frau Kollegin Nestle, und auch den anderen
Kollegen der Grünen-Fraktion möchte ich, da Sie immer
sagen, das alles sei weit weg, entgegenhalten: Unser
Energiekonzept ist bis zum Jahr 2050 angelegt. In unserem Energiekonzept, das wir Ihnen schriftlich vorgelegt
haben und an dem wir uns messen lassen, haben wir eindeutig gesagt, dass wir die CCS-Technologie für notwendig erachten und dass wir sie, wenn dies nach dem
Evaluationsprozess vertretbar ist, nach Möglichkeit anwenden wollen und anwenden müssen, um die Klimaschutzziele zu erreichen.
Wenn Sie sagen, Sie seien einer anderen Auffassung
und man könne das alles mit erneuerbaren Energien machen, dann kann ich Ihnen nur sagen, dass Sie dann von
den meisten wissenschaftlichen Untersuchungen, die es
weltweit gibt, weit entfernt sind. Wir werden bei den Erneuerbaren einen sicheren Grundlastbereich mit hoher
Wahrscheinlichkeit noch nicht im Jahr 2030 und möglicherweise auch noch nicht im Jahr 2050 haben, weil die
dafür notwendigen Speichertechnologien noch nicht zur
Verfügung stehen.
Wir sollten uns jetzt nicht über das Energiekonzept
streiten. Sie haben eine andere Vorstellung. Meine Antwort basiert auf dem Energiekonzept der Bundesregierung.
Die letzte Nachfrage zu dieser Frage stellt der Kollege Rolf Hempelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Otto, ich glaube, dass jedenfalls bei Teilen des Hauses
durchaus akzeptiert ist, dass CCR international eine
Rolle spielen wird. Man weiß aber noch nicht genau, wie
viel es im Kraftwerksbereich und wie viel es möglicherweise im Bereich der Industrie sein wird. Wir sind für
Demonstrationsprojekte in Deutschland offen, weil wir
vor allen Dingen die internationale Dimension und
durchaus die Möglichkeit deutscher Unternehmen sehen,
hier entsprechend tätig zu werden und Know-how zu
entwickeln.
Sie haben gesagt: Die Bundesregierung kann sich da,
anders als andere, keinen schlanken Fuß machen. - Ich
frage einmal: Wie haben Sie vor zwei Jahren, als Sie
noch in der Opposition waren, das Verhalten der damaligen CDU/CSU-Fraktion bewertet - sie war immerhin an
der Bundesregierung beteiligt -, als sie kurz vor einer
Wahl darauf verzichtete, dieses Gesetz zum Abschluss
zu bringen, was damals möglich gewesen wäre? War das
nicht schlanker Fuß? Bei dem, worüber Sie jetzt nachdenken, nämlich Opt-out-Regelungen für ganze Bundesländer oder eine Opt-in-Regelung - das würde letztlich
bedeuten, man muss sozusagen proaktiv werden, um
überhaupt daran teilzunehmen -: Ist nicht auch das so etwas wie die Eröffnung einer Möglichkeit des schlanken
Fußes für Landesregierungen? Ist es nicht in gewisser
Weise das Eingeständnis des Scheiterns, wenn man es
anders gar nicht mehr hinbekommen kann?
Unterstellen wir einmal, es hätte vor zwei Jahren einen Sinn gehabt, als man dieses Gesetz auf die lange
Bank geschoben hat. Dann frage ich, welcher Lernprozess inzwischen stattgefunden hat. Werden Sie das, was
damals gesagt worden ist, in Ihrem Gesetzentwurf berücksichtigen, also eine stärkere Haftung der Speicherbetreiber und eine bessere Berücksichtigung der Interessen der Oberflächeneigentümer vorsehen? Werden Sie
wenigstens ein Modellprojekt für den Bereich der Industrie einbeziehen, wenn alle sagen, dass wir es dort vermutlich nötiger brauchen als in anderen Bereichen? Gibt
es im Zusammenhang mit Ihrem Gesetzgebungsverfahren Überlegungen zum Thema Wiederverwendung, also
CCR? Hat es einen solchen Lernprozess gegeben? Hat es
sich insofern gelohnt, diese zwei Jahre zu investieren,
oder war es eigentlich doch die Fortsetzung des schlanken Fußes?
Lieber Herr Kollege Hempelmann, ich verkneife es
mir, hier eine frühere Regierung zu bewerten, zumal
auch Ihre Fraktion an dieser Regierung beteiligt war. Ich
will es mir mit Ihnen nicht verderben.
({0})
Nachdem Sie mich nach dem schlanken Fuß gefragt
haben, kann ich Ihnen sagen: Diese Bundesregierung
macht keine Politik des schlanken Fußes. Wir haben den
damaligen Gesetzentwurf sehr heftig diskutiert. Wir haben auch einige Änderungen. Gestatten Sie mir, dass ich
jetzt zu Einzelheiten des neuen Gesetzentwurfs nichts
sagen möchte. Wie gesagt: Er ist gerade in der letzten
Ressortabstimmung. Wir werden ihn hoffentlich sehr
zeitnah vorlegen. Auf dieser Basis werden wir dann diskutieren.
Die Fragen, die Sie angesprochen haben, betreffen in
der Tat diejenigen Punkte, über die zu reden sein wird.
Lassen Sie uns an dieser Stelle nicht die Diskussion
über einen Gesetzentwurf, der ohnedies in der ersten
Hälfte des Jahres 2011 hier behandelt werden muss, vorwegnehmen, zumal die Zeit schon etwas fortgeschritten
ist, Frau Präsidentin.
Über das Fortschreiten der Zeit brauchen Sie sich
keine Sorgen zu machen; das haben wir hier voll im
Griff.
Wir kommen jetzt zu den Fragen auf Drucksache
17/4812 in der üblichen Reihenfolge.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Hier steht
wiederum der Kollege Parlamentarische Staatssekretär
Hans-Joachim Otto zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Frage 1 des Kollegen Duin wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Steiner auf:
Inwieweit gibt die von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, veröffentlichte Tabelle mit Daten zu 408 Speicherstrukturen Anhaltspunkte über mögliche
CO2-Endlager in Deutschland?
Frau Kollegin Steiner, die Tabelle mit 408 möglichen
CO2-Speicherstrukturen ist das Ergebnis einer rein geowissenschaftlichen Bewertung des Untergrundes ausgewählter Regionen in drei großen Sedimentbecken
Deutschlands, nämlich dem Norddeutschen Becken,
dem bayerischen Molassebecken und dem Oberrheingraben, auf der Grundlage bereits vorhandener Daten durch
die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
in Hannover. Hierbei handelt es sich zunächst nur - das
hier mitzuteilen ist mir wichtig - um Grundlagenforschung zu möglichen Speicherpotenzialen.
Einige Regionen - über die drei genannten hinaus sind zudem geowissenschaftlich bisher noch nicht bewertet. Viele für die geologische Speicherung notwendige Parameter sind noch nicht berücksichtigt oder untersucht worden. Deswegen, Frau Kollegin Steiner, sind
diese Daten der Bundesanstalt nur von sehr vorläufigem
Charakter. Eine Eignung der benannten Gesteinsschichten für die Speicherung muss also durch Erkundungsuntersuchungen jeweils gesondert nachgewiesen werden, bevor eine Ausweisung als geeigneter Standort
fachlich gerechtfertigt wäre.
Frau Steiner, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.
Als Vorbemerkung möchte ich sagen: Es ist bedauerlich, dass es des Studiums von Greenpeace bedurfte, um
diese Informationen, die vorläufigen Informationen, die
Sie gerade dargestellt haben, auszuwerten und an die Öffentlichkeit zu bringen. Wir hätten sie für die interessierte Öffentlichkeit lieber schon eher von den zuständigen Ministerien direkt gehabt.
Angesichts des Potenzials, auf das Sie angespielt haben - Sie haben das Norddeutsche Becken genannt -,
und nachdem ich mich vorhin schon als Niedersächsin
geoutet habe, möchte ich eine Frage stellen. Vor dem
Hintergrund dessen, dass das größte Potenzial in Niedersachsen verortet wird und die Niedersächsische Landesregierung gesagt hat - ich habe vorhin den Ministerpräsidenten angeführt; ich könnte natürlich auch den
Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr oder den
Vorsitzenden der Regierungsfraktion anführen -: „Das
werden wir in Niedersachsen nicht mehr aufnehmen; wir
werden kein Standort für weitere Endlager sein“, frage
ich Sie: Wieso glauben Sie, dass es überhaupt realistisch
ist, für Niedersachsen eine CO2-Speicherung ins Auge
zu fassen?
Frau Kollegin, ehrlich gesagt: Ich kann mich an dieser
Stelle, auch unter Beachtung der unterschiedlichen
Kompetenzen, nicht zu einzelnen Bundesländern äußern.
Wir haben hier unsere Aufgabe für die Bundesrepublik
insgesamt zu erfüllen. Wir werden uns auf der Grundlage des Gesetzes mit den jeweiligen Landesregierungen
unterhalten. Ich habe die vorläufigen Stellungnahmen
aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein natürlich zur
Kenntnis genommen, genauso wie ich die bisherige Stellungnahme der Brandenburgischen Landesregierung zur
Kenntnis genommen habe. Wir haben hier im Deutschen
Bundestag doch nicht die Aufgabe, darüber zu diskutieren, ob sich der Landtag in Niedersachsen oder die Landesregierung in Niedersachsen so oder so entscheidet.
Ich habe da bestimmte Wünsche, aber das liegt in der
Zuständigkeit dieser Länder. Deswegen, Frau Kollegin
Steiner, ganz offen gesagt: Ich verstehe Ihre Frage nicht.
Wir müssen hier in jedem Fall unseren Job machen,
nämlich die notwendigen gesetzlichen Grundlagen
schaffen.
Lassen Sie mich eines abschließend sagen: Es ist
zwar richtig, dass Greenpeace diese Daten an die Öffentlichkeit gebracht hat. Soweit Greenpeace aber behauptet
- und Sie möglicherweise behaupten wollen -, dass da
irgendetwas geheim gehalten wurde, weise ich das zurück. Das ist ein Zwischenbericht einer Bundesanstalt,
der nach den üblichen gesetzlichen Vorschriften dort eingesehen werden konnte. Das hat Greenpeace getan; das
ist völlig legal und in Ordnung. Von Geheimhaltung
kann überhaupt keine Rede sein.
Ich habe heute in einigen Presseberichten gelesen,
dass Greenpeace den Vorwurf erhebt, dass einige Daten
geschwärzt worden seien. Die Schwärzungen sind allein
darauf zurückzuführen, dass sensible BetriebsgeheimParl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
nisse enthalten sind, und sie sind nicht von der Bundesregierung vorgenommen worden, sondern von den zuständigen Landesregierungen. Es kann nicht anders
gehen. Es gibt eben Betriebsgeheimnisse und sensible
Daten, die nach den entsprechenden gesetzlichen Vorschriften nicht an die Öffentlichkeit gegeben worden
sind. Jeden Vorwurf, dass hier irgendetwas geheim gehalten worden sei, weist die Bundesregierung mit Nachdruck zurück.
({0})
Frau Steiner hat eine weitere Nachfrage. Ich möchte
aber zuvor gerne darauf hinweisen, weil im Teletext
etwas anderes steht, dass die Aktuelle Stunde um
15.40 Uhr beginnen wird. Es gibt jetzt noch diese eine
Nachfrage, und dann fahren wir in der Tagesordnung
fort.
Bitte schön, Frau Steiner.
Herr Staatssekretär, der Hintergrund der Frage, von
der Sie meinten, dass Sie sie nicht verstünden, war folgender: Herr Röttgen hat das ganze letzte Jahr über zugesichert, in der CCS-Einlagerungsfrage werde nichts
gegen den Willen der Länder passieren. Im Gesetzentwurf sind nun aber Formulierungen enthalten, dass,
wenn sonstige energetische Nutzung nicht entgegensteht
oder das Wohl der Allgemeinheit nicht tangiert ist, Modellprojekte zur CCS-Einlagerung selbst an Stellen vorgesehen werden können, die die Länder ablehnen, während Niedersachsen nach wie vor davon ausgeht,
Modellprojekte verhindern zu können. Jetzt möchten wir
klar wissen, was gilt. Kann man gegen den Willen der
Länder an bestimmten Orten Modellprojekte zur CCSSpeicherung durchführen, oder kann man es nicht?
Frau Kollegin Steiner, zum wiederholten Male muss
ich Sie darauf hinweisen, dass sich der Gesetzentwurf,
der genau diese Fragen regeln wird, in der Ressortabstimmung befindet. Ich gehe allerdings davon aus
- das war ja bisher auch in allen öffentlichen Stellungnahmen so; sonst brauchten wir uns gar nicht über Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg zu unterhalten -, dass natürlich der Wille der örtlichen
Behörden und auch der entsprechenden Länder zu berücksichtigen ist. Wir würden wahrscheinlich einen großen Fehler machen, wenn wir irgendein Bundesland,
sofern wir es nach der Gesetzgebungszuständigkeit überhaupt könnten, dazu zwingen würden, ein Modellprojekt
an einem bestimmten Ort durchzuführen. Das muss im
Einvernehmen gemacht werden. Deswegen werben wir
in den Gesprächen mit den Regierungen der Länder, in
denen sich potenzielle Standorte befinden, darum - Frau
Kollegin Steiner, wenn Sie mir Ihr geschätztes Ohr leihen -, dass wir das hinbekommen.
Ich möchte noch einmal, gerade auch im Hinblick auf
die doch vielfältigen und skeptischen Fragen aus der
Grünen-Fraktion, bei Ihnen darum werben: Lassen Sie
uns doch auf der Grundlage des Gesetzentwurfes, der Ihnen sehr bald hier vorliegen wird, diskutieren, ob es vertretbar oder möglicherweise sogar geboten ist, entsprechende Modellprojekte zuzulassen, oder ob nicht. Ich
kann mir offen gesagt nicht vorstellen, dass die GrünenFraktion auf Dauer an der Meinung festhält, dass schon
die Erprobung von CCS von vornherein abzulehnen ist.
Diese Position ist mir in der Tat, Frau Kollegin Steiner,
nicht recht verständlich. Selbst wenn ich mich in Ihre
Lage versetze und mir Ihre klimaschutzpolitischen Ziele
zu eigen mache, wird mir nicht klar, weshalb Sie so
skeptisch sind und einen solchen Widerstand gegen CCS
aufbauen. Lassen Sie uns offen und unbefangen über
diese Thematik diskutieren. Dann wird am Ende, wie ich
hoffe, ein Gesetz herauskommen, mit dem wir unserer
Verantwortung gerecht werden.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Ich unterbreche die Sitzung und werde danach die
Aktuelle Stunde aufrufen.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Stellungnahme des Bundesministers der
Verteidigung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg und mögliche Textübernahmen
aus Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen
Dienstes des Deutschen Bundestages sowie angebliche Textübernahmefunde nach „GuttenPlag Wiki“ auf 270 Seiten der Dissertation des
Bundesministers der Verteidigung
Zunächst hat der Kollege Thomas Oppermann für die
SPD das Wort.
({0})
Herr Kauder, würden Sie bitte Ihren Platz einnehmen?
({0})
- So viel Respekt muss schon sein, Herr Kauder.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als die
Süddeutsche Zeitung vor einer Woche die ersten Plagiate
von Herrn zu Guttenberg dokumentierte - ({1})
Vielleicht können Sie es ein bisschen lauter stellen, Frau
Präsidentin.
({2})
Wir haben die Technik jetzt hoffentlich in den Griff
bekommen.
Herr Oppermann, bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als die
Süddeutsche Zeitung vor genau einer Woche die ersten
Plagiate von Herrn zu Guttenberg dokumentierte, da
nannte der Minister die Vorwürfe abstrus und behauptete: Die Anfertigung dieser Arbeit war meine eigene
Leistung. - Heute wissen wir, dass Herr Guttenberg auf
über 100 Seiten verstreut über das ganze Buch von zahlreichen Wissenschaftlern, Politikern, Journalisten und
sogar Studenten abgeschrieben hat, ohne die Urheberschaft kenntlich zu machen. Wir erfahren täglich von
neuen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes, die
Herr Guttenberg in Auftrag gegeben und in seine Arbeit
einverleibt hat, ohne dafür um eine Genehmigung zu bitten und ohne sie kenntlich zu machen. Der Stand vor einer halben Stunde, Herr Guttenberg, war, dass vier Gutachten vorliegen. Inzwischen liegen insgesamt sechs
Gutachten vor.
({0})
Sie rücken mit der Wahrheit immer nur dann scheibchenweise heraus, wenn die Beweislast erdrückend wird.
({1})
Wer über 100 Seiten in seine Arbeit kopiert, wer
sechs Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes einbaut, der macht keine handwerklichen Fehler, der zitiert
nicht fahrlässig falsch. Wer das macht, der betreibt die
vorsätzliche und planmäßige Übernahme fremden Gedankengutes, meine Damen und Herren.
({2})
Diese Arbeit ist in großen Teilen nicht Ihre Leistung,
Herr Guttenberg. Sie haben getäuscht, Sie haben betrogen, Sie haben gelogen.
({3})
Ich frage Sie, wie Sie noch Respekts- und Autoritätsperson für Zehntausende junger deutscher Soldaten sein
können, die in ihrem Leben nicht darauf aus sind, sich
durchzumogeln, sondern die ihre Pflicht tun wollen.
({4})
Jeder Soldat wäre in einem solchen Fall entlassen worden. Jeder Schüler wäre durch die Abiturprüfung gefallen, und jeder Student wäre von der Universität geflogen.
({5})
Weil das so ist, darf es in Deutschland keine Sonderrechte für Minister geben.
({6})
Angesichts der Tatsache, dass Sie sich damit herausreden wollen, Herr Guttenberg, Sie hätten nur schlampig
zitiert, spotten die Satiriker auch schon, dass künftig diejenigen, die des Ladendiebstahls überführt werden, sich
damit herausreden, sie hätten schlampig eingekauft.
({7})
Dazu darf es in Deutschland nicht kommen.
({8})
Ich finde es unerträglich, Herr Kauder, dass die Bundeskanzlerin die Entscheidung getroffen hat, dass ein
akademischer Hochstapler und Lügner weiterhin dem
Kabinett angehören darf.
({9})
Fast noch schlimmer als diese Entscheidung ist die Begründung. Die Bundeskanzlerin hat gesagt, sie habe ja
keinen wissenschaftlichen Assistenten eingestellt, sondern einen Verteidigungsminister. Man kann den Menschen Guttenberg doch nicht aufteilen in einen akademischen Hochstapler und in einen veritablen, populären
Verteidigungsminister.
({10})
Die Aufrichtigkeit, die Ehrlichkeit und die Wahrhaftigkeit sind doch unteilbar.
({11})
Wahrhaftigkeit, Schutz des Eigentums, Respekt vor geistigem Eigentum und vor den Leistungen anderer sind
doch keine austauschbaren Werte; das sind die Fundamentalwerte einer bürgerlichen Gesellschaft und sollten
auch die Werte einer bürgerlichen Koalition sein.
({12})
Ich weiß nicht, ob der Bundeskanzlerin - übrigens
auch der Wissenschaftsministerin - überhaupt bewusst
ist, welchen gewaltigen Flurschaden Sie im gesamten
Bereich der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses angerichtet haben.
({13})
Ausgerechnet Sie wollen Deutschland zur Bildungsrepublik machen. Mit Schummeln und Mogeln zerstören Sie
die Wissenschaftskultur und die Basis für intellektuelle
Redlichkeit in diesem Land.
({14})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme zum Schluss.
Herr Guttenberg, Sie sind in einer schwierigen Lage.
Da braucht man eigentlich Freunde. Ich sage Ihnen: Die
christdemokratische Kameradschaft, die die Bundeskanzlerin gerade für Sie organisiert, ist keine echte
Freundschaft.
({0})
Sie haben die Bodenhaftung verloren. Wirkliche
Freunde würden in einer solchen Situation alles tun, um
Sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen;
aber sie würden Sie nicht bestärken, indem sie Ihre
schweren Verfehlungen bagatellisieren.
({1})
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.
Das war schon der Schlusssatz.
Da hat die Bundeskanzlerin einen schweren Fehler
gemacht. Sie opfert die Wahrheit der Macht. Aber damit
werden Sie nicht durchkommen, meine Damen und Herren.
({0})
Der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich hat jetzt das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Oppermann, das, was Sie hier vorgeführt haben, ist keine ordnungsgemäße parlamentarische Opposition, das ist eine Unverschämtheit.
({0})
Jetzt weiß ich auch, warum Sie schon zweimal eine Delegation zum amerikanischen Wahlkampf geschickt haben: damit sie lernen, was Negative Campaigning heißt,
nämlich das Vernichten des politischen Gegners um jeden Preis. Das, was Sie hier machen, ist unglaublich.
({1})
Das ist ein Stil, den wir bei der politischen Auseinandersetzung in diesem Hohen Hause nicht einreißen lassen
sollten.
({2})
- Entschuldigung! Der Bundesminister hat hier - Sie
waren doch vorhin da - alle Ihre Fragen ordnungsgemäß, ausführlich und überzeugend beantwortet.
({3})
Sie stellen sich hier hin und behaupten das Gegenteil.
Das ist unverfroren.
({4})
Im Übrigen sage ich Ihnen: Wir sollten hier ein Signal
an die Gesellschaft senden,
({5})
dass man nicht den Kopf abgerissen bekommt, wenn
man einen Fehler macht, ihn zugibt und sich dafür entschuldigt, sondern dass die Entschuldigung angenommen wird. Das wäre ein Signal, das von diesem Haus
ausgehen könnte.
({6})
Der Minister hat hier erklärt, dass er gegen den wissenschaftlichen Kodex verstoßen hat
Dr. Hans-Peter Friedrich ({7})
({8})
und dass er die Folgen tragen will.
({9})
Der Deutsche Bundestag entscheidet nicht darüber, ob
und in welchem Umfang die Arbeit, die er eingereicht
hat, wissenschaftlichen Wert hat und einen Erkenntnisgewinn bringt.
({10})
Das ist hier kein Promotionsausschuss; das entscheidet
einzig und allein die Universität Bayreuth.
({11})
Der Kollege Lauterbach hat sich in dieser Woche in
unglaublicher Art und Weise im Fernsehen auf den Weg
gemacht, die Universität Bayreuth und den dortigen Promotionsausschuss unter Druck zu setzen, indem er gesagt hat: Wenn sie ihm den Doktortitel nicht aberkennen,
dann haben sie die falschen Maßstäbe und sind nicht objektiv.
({12})
Das ist unerhört. Bitte respektieren Sie endlich die
Unabhängigkeit der Wissenschaft in diesem Land!
({13})
Es ist ein unglaublicher Vorgang, wie hier in den letzten Tagen - ja, wenn ich zurückdenke, muss ich sagen:
in den letzten Wochen und Monaten - gegen KarlTheodor zu Guttenberg geholzt wird.
({14})
Sie machen das seit einiger Zeit. Sie haben bewusst eine
Skandalisierung betrieben, die unerträglich ist.
({15})
Ich schaue mir zum Beispiel Herrn Trittin an, der sich
tatsächlich herablässt, zu sagen, Herr zu Guttenberg
ließe jedes Gefühl für Stil und Anstand vermissen.
({16})
Lieber Herr Trittin, da sind Sie genau der Richtige.
({17})
Derjenige, der hier in diesem Hause einen Kollegen als
Skinhead bezeichnet, nur weil er sich bekennt, stolz zu
sein, Deutscher zu sein, ist kein Ratgeber für Stil und
Anstand in diesem Haus.
({18})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Ende ist
entscheidend,
({19})
dass Karl-Theodor zu Guttenberg seine Aufgabe als
Bundesminister der Verteidigung in hervorragender
Weise wahrnimmt. Ich will Ihnen jetzt einmal vorlesen,
was der oberste Befehlshaber der deutschen Truppen in
Afghanistan, Generalmajor Fritz, heute Morgen im
Deutschlandfunk gesagt hat.
({20})
Er wurde gefragt:
Wie kommen die Plagiatsvorwürfe bei den Soldaten
in Afghanistan an?
Generalmajor Fritz sagte:
Wissen Sie, wir haben hier in Afghanistan ganz andere Sorgen. Aber ich möchte Ihnen eines sagen:
Der Minister ist allein in der Zeit, wo ich hier das
Kommando geführt habe, fünfmal da gewesen. Ich
habe ihn jedes Mal erlebt. Seine erste Frage an uns
und an alle Soldaten ist, was braucht ihr, was kann
ich für euch machen, und er hat eine ganze Menge
in dieser Hinsicht bewegt. Er kümmert sich um die
Soldaten, er spricht mit den Soldaten und ich
glaube, wir wissen sehr gut, was wir an unserem
Minister haben, und wir stehen hinter ihm.
({21})
Das ist ein Zitat des obersten Soldaten der deutschen Armee in Afghanistan.
Verteidigungsminister werden in diesem Hause und in
diesem Lande nicht nach ihren wissenschaftlichen Qualitäten beurteilt, sondern nach ihrer Fähigkeit, die Bundeswehr zu führen.
({22})
Er hat sie in einen Reformprozess geführt, den wir morgen schon in einem ersten Schritt umsetzen werden,
nämlich mit der Aussetzung der Wehrpflicht. Ich denke,
dass dieser Minister ein hervorragender VerteidigungsDr. Hans-Peter Friedrich ({23})
minister ist, und ich danke ihm für seinen Einsatz, jetzt
und in der Zukunft.
Vielen Dank.
({24})
Jürgen Trittin hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kollege Friedrich, die einzige Unverschämtheit, die
heute im Plenum begangen worden ist, wurde von Ihnen
begangen, nämlich als Sie versucht haben, einen General
zur Verteidigung Ihres Minister und dessen fragwürdiger
Praktiken heranzuziehen. Das ist nicht nur eine Unverschämtheit, sondern auch ein Missbrauch der Bundeswehr, den Sie hier betrieben haben.
({0})
Ich muss mich korrigieren: Es hat noch eine zweite
Unverschämtheit gegeben.
({1})
Diese Unverschämtheit
({2})
wurde von Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg begangen.
Herr zu Guttenberg, Sie haben behauptet, Sie hätten
handwerkliche Fehler gemacht. Dann haben Sie sich im
Bundesverteidigungsministerium - das war im Fernsehen zu sehen - neben Offiziere der Bundeswehr gestellt
und gesagt, Sie hätten „zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich
gemacht“.
({3})
Stellen Sie sich einmal vor, ein Offiziersanwärter würde
eine Arbeit abliefern, bei der schon in der Einleitung
eine Textstelle aus der FAZ übernommen, aber nicht als
solche gekennzeichnet wurde, und die Jahreszahl sorgsam aktualisiert wurde. Geht man die Arbeit weiter
durch, stellt sich heraus, dass in mehr als 200 Fällen so
verfahren wurde, dass aus Reiseführern kopiert wurde,
dass aus Schriftsätzen des Deutschen Bundestages, unseres Prozessvertreters in Europafragen, zitiert wurde.
Karl-Theodor zu Guttenberg aber stellt sich hier hin und
erklärt dem Deutschen Bundestag, das alles sei passiert,
ohne dass ihm das bewusst gewesen sei. Dass ihn da
nicht homerisches Gelächter aus dem Saal getrieben hat,
ist das einzig Erstaunliche daran.
({4})
Jedem Offiziersanwärter, der behauptet hätte, all das sei
unbewusst geschehen, er habe unbewusst und ohne Fälschungsvorsatz kopiert, hätte man gesagt: Das ist eine
Schutzbehauptung,
({5})
und diese Schutzbehauptung können wir nicht akzeptieren. Dann wäre verfahren, wie es die Regel ist: Der Offiziersanwärter hätte nicht nur in akademischer Hinsicht
Probleme bekommen, sondern er wäre auch disziplinarrechtlich belangt worden.
({6})
Damit kommen wir zum Kernpunkt: Sie, Herr
Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg, haben erklärt, Sie wollten für sich keine andere Maßstäbe gelten lassen als für
andere. Wenn das stimmt, dann hätten Sie heute hier
nicht mehr im Amt sein dürfen. Dann hätten Sie zurücktreten müssen. Das wäre die einzig logische Konsequenz
gewesen.
({7})
Aber es kommt noch schlimmer: Sie bringen es fertig,
noch in der Geste der Demut und der Entschuldigung
Arroganz zu demonstrieren.
({8})
Bei Ihrem Auftritt in Hessen im Beisein Roland Kochs
haben Sie gesagt, in der Doktorarbeit, die Sie eingereicht
haben, stünde Blödsinn. Das will ich nicht ausschließen.
Etwa im Vorwort mit dem „Kairos“ steht viel geschwurbelter Blödsinn. Das stimmt.
({9})
Aber Sie können doch nicht im Ernst 200 Plagiate von
Professoren, vom Wissenschaftlichen Dienst und von
ernst zu nehmenden Forschern übernehmen und denen
anschließend erzählen, das sei Blödsinn. Erst klauen Sie
bei denen, und dann beleidigen Sie sie auch noch.
({10})
Wir haben es hier in der Tat damit zu tun, dass Sie alle
Werte missachten. Wir hätten von der Bundeskanzlerin
erwarten müssen, dass sie das nicht zulässt.
({11})
Es geht übrigens nicht um Bagatellen. In meinem
Wahlkreis hat die Universität Göttingen gerade jemanden in einem ähnlichen Fall überführt und ihm die
Doktorwürde aberkannt. Der Mann ist dann von der
Staatsanwaltschaft wegen des öffentlichen Interesses angeklagt worden
({12})
und wurde zu 90 Tagessätzen wegen Betruges verurteilt.
Meine Damen und Herren, hören Sie auf, solche Fragen
als Bagatelle, als lässliches Schummeln zu bezeichnen!
Damit zerstören Sie das Vertrauen in die Institutionen
dieses Landes.
({13})
Sie, Herr zu Guttenberg, führen sich ein bisschen auf
wie ein Held von Thomas Mann, der auf die Frage, ob
das denn Diebstahl wäre, was er gemacht hätte, gesagt
hat - ich zitiere -:
Was ich je getan habe, war in hervorragendem
Maße meine Tat, nicht die von Krethi und Plethi, …
so habe ich mich doch in dem geheimnisvollen,
aber unerschütterlichen Gefühl, ein Gunstkind der
schaffenden Macht und geradezu von bevorzugtem
Fleisch und Blut zu sein, innerlich stets gegen eine
so unnatürliche Gleichstellung aufgelehnt.
Meine Damen und Herren, das steht auf Seite 50
Herr Kollege.
- der Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull.
({0})
Herr Kollege.
Frau Bundeskanzlerin, die Bundeswehr darf nicht
mehr von einem Felix Krull kommandiert werden. Entlassen Sie Herrn Dr. zu Guttenberg!
({0})
Stephan Thomae hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben, glaube ich, soeben den untauglichen Versuch mit untauglichen Mitteln
erlebt, einem erfolgreichen Minister in einer erfolgreichen Regierung ein Bein zu stellen.
({0})
Sie merken nämlich, dass der Wind sich allmählich dreht
und in der Öffentlichkeit mehr und mehr erkannt und anerkannt wird, was diese Regierung sich zum Programm
und zum Ziel gemacht hat. Zu diesen Zielen gehört das,
was seit vielen Jahren Beschlusslage der FDP ist und
was dieser Bundesminister der Verteidigung entschieden
und entschlossen mit uns zusammen angepackt und umgesetzt hat, nämlich die Aussetzung der Wehrpflicht.
({1})
Herr Minister, dass wir dieses gemeinsame Vorhaben mit
Ihnen zusammen verwirklichen konnten, das rechnet Ihnen die FDP hoch an.
Weil Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dem Minister und der Regierung diesen Erfolg neiden, versuchen Sie jetzt, die Auseinandersetzung auf Nebenschauplätze zu verlagern.
({2})
Aber diese Rechnung wird nicht aufgehen, denn der
Minister hat reagiert. Er verzichtet darauf, den akademischen Titel zu führen. Er hat die Universität Bayreuth
um Prüfung und Aberkennung gebeten. Er hat handwerkliche Fehler bei der Abfassung seiner Dissertation
eingeräumt. Für menschliche Verfehlungen neben Familie und Mandat kann man auch Verständnis aufbringen.
({3})
Deshalb, Herr Minister - Sie werden ja in wenigen
Minuten an dieses Pult treten -: Räumen Sie in der Ihnen
eigenen Geradlinigkeit letzte Zweifel aus, machen Sie
Klarschiff, damit die Verdächtigungen gegen Ihre Person
ein Ende haben und wir uns nicht weiter mit sachfremden Anschuldigungen der Opposition herumschlagen
müssen! Denn die Anschuldigungen sind ernst; sie sind
keine Kleinigkeit. Aber wir vertrauen darauf, dass Sie
die gegen Sie erhobenen Vorwürfe rasch und umfassend
ausräumen werden und dass Sie anschließend Ihre ganze
Kraft wieder der Regierungsarbeit zuwenden können. Es
geht um die Sicherheit unserer Soldaten, die sich in gefährlichen Auslandseinsätzen befinden. Es geht darum,
die Bundeswehr auf neue Aufgaben in einer neuen
Struktur vorzubereiten. Diese Regierung packt die großen Herausforderungen an, während Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, sich im wahrsten Sinn
des Wortes in den Fußnoten unserer Politik verheddern.
({4})
Der Kollege Dr. Dietmar Bartsch hat das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr richtig, Frau Künast. - Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute eine
Aktuelle Stunde, die diesen Namen wirklich verdient. Es
gibt fast stündlich neue Erkenntnisse. Das, was Herr
Guttenberg in der Fragestunde an Erklärungen und Ausflüchten geboten hat, bestätigt noch einmal, dass das hier
weiter besprochen werden muss. Es ist ja offensichtlich
so, dass der Wissenschaftliche Dienst noch viel mehr geleistet hat.
Ich will daran erinnern, es ist noch keine Woche her,
da haben Sie gesagt: „Der Vorwurf, meine Doktorarbeit
sei ein Plagiat, ist abstrus.“ „Dem Ergebnis“ der Prüfung
der Uni Bayreuth „sehe ich mit großer Gelassenheit entgegen.“
({0})
Zwei Tage später sagen Sie, „vorübergehend“ legen Sie
den Titel ab, und weitere drei Tage später wollen Sie den
Titel zurückgeben. Ich sage Ihnen, Herr Guttenberg, Sie
haben wirklich ein Problem. Sie glauben, das können Sie
mit Aussitzen und Arroganz erledigen. Nein, das ist
nicht möglich. Sie haben eine Rechtsauffassung nach
Gutsherrenart.
({1})
Als wenn ein ertappter Uhrendieb das Problem lösen
könnte, indem er die Uhr zurückgibt. Das ist ja wohl
nicht möglich. Jeder Ladendieb, der ertappt wird, muss
sein Diebesgut selbstverständlich zurückgeben. Selbstverständlich muss er mit einer Strafe rechnen, und hier
und da gibt es auch ein Hausverbot. Das gilt für Sie genauso.
({2})
Ob Sie den Doktortitel tragen dürfen oder nicht, das entscheidet in Deutschland Gott sei Dank immer noch die
Universität, und nicht Sie. Sie entziehen ihn nicht, und
Sie dürfen ihn auch nicht tragen. Wenn es denn so wäre,
wie Sie und die Bundeskanzlerin immer sagen, dass der
Doktortitel und das Ministeramt nichts miteinander zu
tun haben: Warum schreiben Sie dann an die Uni Bayreuth auf dem Ministerkopfbogen? Können Sie das einmal erklären?
({3})
Es geht hier um Glaubwürdigkeit, es geht um Ehrlichkeit, und es geht um Aufrichtigkeit. Ihnen unterstehen
zwei Universitäten der Bundeswehr. Was sagen Sie mit
dem, wie Sie agiert haben, eigentlich den Leuten, die dort
studieren und wissenschaftliche Grade erringen wollen?
Das ist doch wirklich nicht zu akzeptieren. Sie sind wirklich ein tolles Vorbild für die, kann ich nur sagen. Sie haben getäuscht, und Sie haben gelogen, und Lügner dürfen
in unserem Land nicht ministrabel werden!
({4})
Ich kann da nur an die Maßstäbe der Kanzlerin erinnern. Als Helmut Kohl die Spenderinnen und Spender
nicht genannt hat, hat sie dafür gesorgt, dass er den Ehrenvorsitz der Partei losgeworden ist. Gelten diese Maßstäbe bei Ihnen denn nicht mehr?
({5})
Sehr geehrter Herr Friedrich, wenn Sie hier sagen, es
ist eine Unverschämtheit, angesichts der Herausforderungen den Minister hier so anzugehen: Die Unverschämtheit ist, dass Sie genau dies tun. Das ist ein großer
Fehler. Ein Minister, der so angegriffen ist, der Selbstverteidigungsminister ist, kann die Aufgaben, die anstehen, nicht lösen. In Afghanistan gibt es tote deutsche
Soldaten.
({6})
Wir brauchen eine Bundeswehrreform, über die wir hier
noch reichlich diskutieren werden. Und dann haben wir
so einen Minister im Amt? Das ist nicht zu akzeptieren.
({7})
In diesem Lichte ist übrigens auch die Bewertung der
Kanzlerin, dass es sich hier um einen Minister handelt,
der eine hervorragende Arbeit leistet, noch einmal zu
hinterfragen. Wie war das denn bei Norbert Schatz, dem
Kapitän der „Gorch Fock“?
({8})
Den hat Herr Guttenberg ohne Anhörung, ohne dass er
sich einmal zum Vorwurf äußern konnte, einfach abgesetzt.
({9})
Das ist inakzeptabel. Wenn dieser Maßstab gelten
würde, was müsste er dann tun? Das gilt genauso für Generalinspekteur Schneiderhan, das gilt für Staatssekretär
Wichert und eben auch für Kapitän Schatz. Sie hätten
längst persönliche Schlussfolgerungen ziehen müssen,
Herr Minister. Das ist die Situation. Sie werden nicht in
der Lage sein, die Feldpostaffäre und all diese Dinge
aufzuklären.
Wir erleben aber hier, meine Damen und Herren,
nicht nur eine Affäre Guttenberg. Wenn man einmal unterstellt, der Minister hat nach seinem Gespräch mit der
Kanzlerin die Wahrheit gesagt, dann ist es doch so, dass
es für eine Erklärung des Ministers keiner Aufforderung
bedurft hat und es sie auch nicht gab. Das sagt doch ganz
klar, dass die Kanzlerin hier versagt hat. Das ist doch der
Punkt.
({10})
Es ist gegenüber allen, die ehrlich ihre Diplom-, Master- und Doktorarbeiten anfertigen, ein Hohn, wenn sich
die Kanzlerin mit flapsigen Sprüchen, sie habe
Guttenberg nicht als wissenschaftlichen Assistenten ins
Kabinett geholt, vor ihren Minister stellen will. Ja, dann
kann er auch betrunken fahren, sie hat ihn ja auch nicht
als Fahrer eingestellt. Das kann doch wohl nicht wahr
sein!
({11})
Was ist denn das für eine Doppelmoral bei der Union,
wenn jedes Kind, das sich im Internet einen Song herunterlädt, kriminalisiert wird, und Sie hier nur Verteidigungsstrategie machen? Mit Ihrem Festhalten am Ministeramt laden Sie letztlich Schuld auf die politische
Kultur in Deutschland.
({12})
- Ja, das sagt der Richtige, der hat eine ordentliche Promotion in Moskau gemacht. Das ist besser als Abschreiben, Frau Homburger.
({13})
Von vielen Seiten kommen jetzt berechtigte Rücktrittsforderungen. Ich will zum Abschluss zweimal
Guttenberg zitieren. Einmal will ich Ihren Großvater zitieren, der das beachtenswerte Buch Fußnoten geschrieben hat. Er schreibt: „Am Ende zählt, ob einer ist, was er
vorgibt“. Dann will ich Sie selbst zitieren: „Verantwortung bedeutet vor allem Verpflichtung, Vertrauen und
Gewissen.“ Ich appelliere an Ihre Ehre: Früher wusste
der Adel, was an so einer Stelle zu tun ist.
({14})
Das Wort hat der Bundesminister Karl-Theodor zu
Guttenberg.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Am Ende zählt, dass einer das ist, was er
vorgibt, Kollege Bartsch. Ja, ein Mensch mit seinen
Schwächen und mit seinen Fehlern.
({0})
Wenn man das vorgeben kann und wenn Sie sagen, dass
man Gefahr läuft, Schuld auf die politische Landschaft
zu laden, dann glaube ich, dass es, wenn man gleichzeitig versucht, die Kraft aufzubringen, sich nicht nur im
stillen Kämmerlein, sondern öffentlich für erkannte Fehler zu entschuldigen, der politischen Landschaft insgesamt nicht schaden muss, so vorzugehen.
({1})
Ich habe fehlerhaft gehandelt. Ich habe mir nicht den
Anspruch gesetzt, auszusitzen oder arrogant dieser Tätigkeit nachzugehen, nein,
({2})
sondern mit der notwendigen Verantwortung die Aufgaben anzunehmen, die im Amtsspektrum des Bundesverteidigungsministers zu sehen sind. Das sind gewaltige
Aufgaben, aber solche, die ich mit Freude angehe und
die ich umso freudiger annehme, je liebevoller man mit
mir hier umgeht.
({3})
- Das war jetzt besonders liebevoll von Ihnen.
({4})
- Mehr ist nicht drin, das verstehe ich, Herr Bartsch, das
kann ich nachvollziehen.
({5})
Mir war noch einmal wichtig, dies zu sagen. Ich habe
vorhin hier in diesem Hohen Hause noch einmal wiederholt, welche Fehler ich gemacht habe ({6})
dass Fehler geschehen sind, ist unbestritten - und dass
ich zu denen auch stehe. Ich bin dankbar für jeden Hinweis, den ich zusätzlich bekomme, was meine Arbeit anbelangt.
({7})
Ich hatte nach einer langen Pause am Wochenende drei
Tage, um sie entsprechend zu sichten. Ich habe viele,
viele Hinweise aus dem Internet bekommen,
({8})
die ich, wenn man dazu endlich einmal Zeit haben sollte,
auch noch einmal entsprechend aufarbeiten kann. Das
steht völlig außer Frage.
Was die Zahl der Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste anbelangt, so waren mir bislang vier bekannt, die ich als Primärquellen benannt habe. Von sechs
weiß ich bisher nichts. Ich freue mich, wenn ich sie sehe.
({9})
Ob ich sie als Primärquelle eingebracht habe oder mit ihren Fußnoten so umgegangen bin, wie ich mit anderen
Fußnoten umgegangen bin, kann ich erst sehen, wenn
ich es mir tatsächlich angeschaut habe.
({10})
Ich werde dann aber auch ebenso offen dazu Stellung
nehmen.
({11})
Das Letzte, was mir noch einmal wichtig ist zu wiederholen, ist: Wenn man sich den Spiegel selbstkritisch
vorhält, dann steht man zu den Dingen, die man gemacht
hat, kann aber auch bei einer Sache weiterhin klar stehen: dass man nicht bewusst und mit Vorsatz getäuscht
hat,
({12})
sondern dass man auch hier versucht, der Verantwortung
seines Amtes nachzukommen und gerecht zu werden.
({13})
In Wiederholung dessen, lieber Herr Trittin, was Sie
vorhin gesagt haben, als Sie über Maßstäbe gesprochen
haben - ich möchte Maßstäbe jetzt nicht an anderen
Maßstäben messen -: Als ich gesagt habe: „Zu dem
Blödsinn stehe ich, den ich geschrieben habe“,
({14})
habe ich das auf meinen Blödsinn bezogen und nicht auf
anderen.
({15})
Auch dazu kann und darf man stehen.
Mir geht es darum, in eine Debatte, die jetzt hoch aufgeheizt ist und in der ich auch manche Stimmungslage
verstehen kann, wieder so viel Ruhe hineinzubringen,
dass man auch vergleichsweise ruhig seiner Tätigkeit als
Bundesminister nachkommen kann.
({16})
- Das werde ich. ({17})
Das werde ich tun: mit der entsprechenden Freude und
mit der entsprechenden Verantwortung, die man für Soldaten im Einsatz trägt, mit einer Verantwortung mit
Blick auf eine Bundeswehrreform und mit der notwendigen Leidenschaft, die man anlegen kann und anlegen
muss und die von einem Bundesminister auch erwartet
wird. In dieser Hinsicht werde ich die nächsten Wochen
und Monate angehen, und zwar im Amt und mit Freuden
und mit entsprechendem Enthusiasmus.
Herzlichen Dank.
({18})
Das Wort hat der bereits am Rednerpult eingetroffene
Kollege Dr. Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Minister, es ist schon unglaublich,
wie Sie sich hier hinstellen und sagen: Ich habe mich
entschuldigt. Das muss reichen. Schwamm drüber! Wenn das Schule macht, dann haben wir bald eine andere Republik.
({0})
Manche sagen, es gibt Wichtigeres als die Fehler und
Verfehlungen des Verteidigungsministers. Das ist wahr.
Die Angehörigen von Soldaten, die in Afghanistan
kämpfen und Leib und Leben riskieren, müssen über die
Rangfolge der Nachrichten verbittert sein. Wenn die
Bild-Zeitung am Samstag in Riesenbuchstaben die Sensation meldet, dass der Minister nicht zurücktritt, und
daneben viel kleiner vom Tod deutscher Soldaten berichtet, dann ist das eine grobe Verzerrung der Maßstäbe.
({1})
Die Bundeswehr, meine Damen und Herren, ist wichtiger als dieser Minister. Unsere Bundeswehr braucht einen Minister, dessen Worte etwas bedeuten, der nicht
heute so und morgen so redet, gerade wie das Publikum
es hören will.
({2})
Was soll es bedeuten, lieber Herr zu Guttenberg,
wenn Sie in einer Rede in der Führungsakademie der
Bundeswehr sagen, dass Sie sich vom Prinzip „Klarheit
und Wahrheit“ leiten lassen?
({3})
Was bedeutet „Klarheit und Wahrheit“ für Sie? Ich will
gar nicht über das Täuschen und Tarnen in Ihrer Doktorarbeit im Einzelnen reden. Sie haben bei Einreichung
des Werkes eine ehrenwörtliche Erklärung abgegeben,
dass Sie die Dissertation selbstständig verfasst und keine
anderen als die von Ihnen angegebenen Quellen und
Hilfsmittel benutzt haben.
({4})
Das war nicht wahr, oder?
Was bedeutet Ihr Ehrenwort, Herr Minister? Sie führen als Verteidigungsminister auch die Universitäten der
Bundeswehr. In Ihrer Rede an der Führungsakademie
haben Sie gesagt - Zitat -:
Führen durch Vorbild: Daran müssen wir uns täglich erinnern.
Ja, daran will ich Sie erinnern. Was ist das für ein jämmerliches Vorbild, wenn einer durch Täuschung einen
Doktortitel erwerben will?
({5})
„Wahrheit und Klarheit“: Was bedeutet es, wenn Sie
im Kabinett einerseits einer Einsparung von 8 Milliarden
Euro im Haushalt der Bundeswehr zustimmen und
gleichzeitig eine Bundeswehrreform planen, für die Sie
zusätzliches Geld brauchen? Die Wahrheit ist, dass bei
Ihrer Bundeswehrreform noch überhaupt nichts klar ist.
Was bedeutet es, wenn der Verteidigungsminister
sagt: „Mit mir ist die Abschaffung der Wehrpflicht nicht
zu machen“? Das bedeutet, wie wir gesehen haben, dass
er sich ein paar Monate später dafür feiern lässt, dass er
die Wehrpflicht abschafft. Übrigens: Was wir jetzt haben, ist W6, und das ist Murks im Quadrat.
Ihr Prinzip, Herr zu Guttenberg, ist, dass Prinzipien
etwas für normale Leute sind. Sie selbst brauchen keine.
Sie verkaufen es stattdessen als besondere politische
Leistung, dass Sie sich immer wieder korrigieren müssen.
Schauen wir auf die kritischen Situationen Ihrer 16 Monate als Verteidigungsminister - Kunduz, Wehrpflicht,
Bundeswehrreform, „Gorch Fock“, die Promotionslüge -,
dann sehen wir: Keine Ihrer Erklärungen hatte Bestand.
Ihr Wort gilt nichts.
({6})
Können Sie so Verteidigungsminister bleiben? Warum
ist damals eigentlich Dr. Jung zurückgetreten?
({7})
Warum haben Sie damals den Generalinspekteur entlassen und in der Presse zum Sündenbock für Ihre eigenen
Fehler gemacht? Viele hier im Saal haben aus guter Erfahrung viel mehr Vertrauen in den alten General
Schneiderhan als in Sie und Ihr Amtsverständnis, Herr
Minister.
({8})
Die einfache Frage an Sie ist: Gilt für Sie ein besonderes Recht? Quod licet Iovi, non licet bovi? Gelten für
Jupiter andere Maßstäbe als für Ihre Kollegen, das gemeine Rindvieh?
({9})
Beantworten Sie diese Frage; es ist eine Frage der Ehre.
Ziehen Sie die Konsequenz und ziehen Sie sie bitte
selbst!
Schönen Dank.
({10})
Der Kollege Burkhardt Müller-Sönksen hat das Wort
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Laut § 106 der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages ist die Aktuelle Stunde ein parlamentarisches Instrument zur Behandlung von Fragen
von „allgemeinem aktuellen Interesse“. Sehr geehrter
Herr Kollege Oppermann - ich adressiere hier ganz bewusst an Sie als Parlamentarischer Geschäftsführer der
SPD-Bundestagsfraktion -, gibt es für die SPD und für
die Grünen momentan kein wichtigeres Thema als die
vor Jahren verfasste Dissertation des Verteidigungsministers?
({0})
Gibt es keinen politischen - ich betone: politischen - Inhalt, für den die Opposition dieses wichtige Instrument
der Aktuellen Stunde verwenden möchte?
({1})
Herr Trittin, es ist für die FDP als Rechtsstaatspartei
bedauerlich, dass Sie hier einen Vergleich zu einem
Strafverfahren ziehen. Wollen Sie Vorverurteilungen
auch schon in diesen Fall hineinbringen?
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Er hat
seinen Doktortitel abgegeben! Wieso ist das
eine Vorverurteilung?
Das ist unverschämt. Das ist einer Rechtsstaatspartei
nicht würdig. Auch die Grünen haben eine rechtsstaatliche Tradition, die Sie mit Füßen getreten haben.
({2})
Karl-Theodor zu Guttenberg hat Fehler gemacht. Die
fehlende Sorgfalt im Umgang mit Quellen bei seiner
Dissertation ist belegt und wird von niemandem infrage
gestellt.
({3})
Aber wir müssen hier in aller Deutlichkeit hervorheben:
Er hat sich nicht als Verteidigungsminister, sondern bei
der Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit vor Jahren Verfehlungen zuschulden kommen lassen. Er hat
seine Fehler am Montag offen eingeräumt
({4})
und heute hier im Bundestag für mich in glaubhafter
Weise sein Bedauern zum Ausdruck gebracht. Herr
Trittin, ich kann die von Ihnen behauptete Arroganz bei
diesem Verteidigungsminister in diesem Hohen Hause
nicht erkennen.
({5})
Herr Minister zu Guttenberg steht zu dem, was er getan
hat, und er übernimmt die volle Verantwortung für sein
Handeln.
({6})
Seine Entscheidung, auf seinen Doktortitel zu verzichten, halte ich für das richtige Signal.
({7})
Ich erwarte jetzt von ihm, dass er der Universität Bayreuth beim weiteren Gang der Aufklärung nach Kräften
behilflich ist.
({8})
Die Bewertung, wie nun mit seiner Dissertation umzugehen ist, überlässt meine Fraktion der Stelle, die dafür zuständig ist. Es ist nicht Aufgabe des Bundestages, über
die Dissertation von Herrn zu Guttenberg zu urteilen,
({9})
sondern die Entscheidung liegt bei der Promotionskommission der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Bayreuth.
({10})
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie als Opposition in dieser Debatte eine Chance sehen, von den Erfolgen der schwarz-grünen Sicherheitspolitik abzulenken
oder sie vielleicht sogar kleinzureden.
({11})
Die Koalitionsfraktionen haben mit dem Minister zu
Guttenberg in den letzten Monaten in der Verteidigungspolitik Großes erreicht. Wir stellen die Bundeswehr
durch unsere Reform auf ein sicheres Fundament für die
Zukunft.
({12})
Wir haben die Wehrpflicht ausgesetzt und die lange
überfällige Verschlankung der Struktur auf den Weg gebracht. Wir erhöhen durch ein breites Paket an Maßnahmen die Attraktivität der Bundeswehr. Wir wollen junge
Menschen für eine Tätigkeit in der Bundeswehr begeistern.
Die Opposition wurde in den letzten Monaten nicht
müde, dem Verteidigungsminister bei jedem einzelnen
seiner öffentlichen Auftritte übertriebene mediale Unterstützung vorzuwerfen. Auch ich habe manchmal das Gefühl gehabt, dass der eine oder andere Besuch in Afghanistan vielleicht zu viel war.
({13})
- Herr Trittin, gerne. - Ich habe bei den Soldaten nachgefragt. Diese empfanden das als Unterstützung und
nicht als mediale Inszenierung.
({14})
Die Öffentlichkeit ist auf die Bundeswehr in Afghanistan aufmerksam gemacht worden. Das ist das Verdienst
des Verteidigungsministers.
Ihr Ziel ist es nur, dem Minister, der in der Öffentlichkeit und bei den Soldaten großen Rückhalt und Respekt
genießt, die Befähigung zum Ministeramt abzusprechen.
({15})
Das wird Ihnen auch mit dieser Aktuellen Stunde heute
nicht gelingen. Ich nehme seine Entschuldigung für die
Fehler und seinen Verzicht auf den Doktortitel wahr. Im
Gegensatz zu Ihnen schätze ich wie die Mehrheit der
Bürgerinnen und Bürger seine Arbeit als Bundesminister
der Verteidigung.
Ich glaube kaum, dass die Soldatinnen und Soldaten
heute Abend in Afghanistan Verständnis für diese Debatte haben.
({16})
Ich glaube, sie werden, wie auch die Mehrheit der Deutschen in der Republik, weiterhin fragen: Was sprechen
die in der Opposition da eigentlich über diesen Minister?
({17})
Wir werden unsere erfolgreiche Arbeit für eine gute
Sicherheitspolitik zum Wohle der Bundeswehr und zum
Wohle der Bundesrepublik Deutschland mit Minister zu
Guttenberg fortsetzen.
Vielen Dank.
({18})
Krista Sager hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr zu
Guttenberg, viele Menschen halten Sie für einen besonders klugen und begabten jungen Politiker.
({0})
Ich habe in den Gesprächen, die ich geführt habe, jenseits aller politischen Differenzen immer gesagt: Ja, das
sehe ich genauso.
({1})
Nun wird man, weil man klug und begabt ist, noch
nicht zur Lichtgestalt. Ich glaube, es gibt so etwas wie
eine menschliche Sehnsucht nach Vorbildern, die nicht
ganz von der gleichen Welt sind, in der man selber herumläuft. Wenn eine solche Lichtgestalt dann der Täuschung überführt wird, dann hofft man erst einmal, dass
das nicht so schlimm ist, dass das üble Nachrede ist und
dass das vorübergeht wie schlechtes Wetter. Eine Partei,
die nicht unbegrenzt mit politischen Talenten gesegnet
ist,
({2})
macht dann erst einmal die Wagenburg zu und gibt
Durchhalteparolen aus. Wenn der junge Senkrechtstarter
am Ende etwas gerupfter dasteht als vorher, dann gibt es
in der politischen Familie genügend, die selbst daran
ihre Freude haben.
Aber die Frage bleibt doch: Kommt dabei nicht gewaltig etwas unter die Räder,
({3})
und müssen wir das, was da unter die Räder kommt,
nicht etwas ernster nehmen?
({4})
Meine Damen und Herren, das, was passiert ist, ist
leider schlimm. Wer in einem sehr großen Ausmaß und
großem Umfang wissenschaftliche Leistungen anderer
als seine eigenen ausgibt, der begeht in der immateriellen Welt wissenschaftlichen und intellektuellen Arbeitens Diebstahl und Betrug.
({5})
Ich lade Sie jetzt einmal ein: Begeben wir uns gedanklich aus der Welt der immateriellen Güter in die
Welt der materiellen Güter! Wenn in einem bürgerlichen
Kabinett ein Minister sitzen würde, der überführt worden wäre, sich an fremdem Eigentum vergangen zu haben, und der als Lügner und Betrüger enttarnt worden
wäre: Glauben Sie, das würde ein bürgerliches Kabinett
einfach so aussitzen? Glauben Sie, dass man in einer solchen Situation sagen würde „Jetzt hat er doch das unrechtmäßig erworbene Gut freiwillig, wenn auch unter
Schmerzen zurückgegeben; jetzt ist doch alles wieder
gut“? Nein, meine Damen und Herren, das würde sicher
nicht passieren.
Sie profitieren nur davon, dass die Menschen nicht
das gleiche Verständnis haben, weil es hier um wissenschaftliche Güter und wissenschaftliches Eigentum geht.
Erst haben Sie geleugnet, und jetzt bagatellisieren Sie,
verniedlichen Sie, verharmlosen Sie. Da geht es kryptisch um einen Kodex oder, wie Sie sagten, Herr
Friedrich, um Stilfragen, als wenn man nicht richtig mit
Messer und Gabel essen könnte.
({6})
Nein, es geht nicht um Fußnoten und nichtgesetzte
Gänsefüßchen. Es geht um die existenziellen Grundbedingungen von Wissenschaft in diesem Land.
({7})
Lug und Betrug kann nicht an die Stelle von ehrlicher
wissenschaftlicher Arbeit gesetzt werden. Sonst entsteht
ein Schaden. Dass Sie diesen Schaden nur als Kollateralschaden behandeln, zeigt, was für ein Verständnis Sie inzwischen von den Gütern haben, die hier beschädigt
werden. Das sind wichtige Güter in diesem Lande.
Wenn Sie dann noch darauf setzen, dass ein Großteil
der Bevölkerung glaubt, dass das nur Nichtigkeiten sind,
weil sie das vielleicht nicht richtig einschätzen kann,
dann ist das Arroganz diesen Menschen gegenüber, weil
Sie sie wie Fußvolk behandeln.
({8})
Frau Schavan, ich kann auch nicht verstehen, warum
Sie sich als Forschungsministerin nicht schützend vor
die Wissenschaft gestellt haben.
({9})
Im Gegenteil: Sie sind nicht nur abgetaucht, sondern haben sich auch noch zu der Äußerung hinreißen lassen,
man könne auch ohne Promotion Minister sein. Frau
Schavan, das ist schlicht unter Ihrem intellektuellen
Niveau.
({10})
Er hätte die Promotion doch einfach lassen können. Tausende von Menschen bringen ihre Promotion nicht zu
Ende, ohne dass es ihr Selbstbild zerstört.
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen
Selbstbild in jungen Jahren muss kein Schaden sein. Es
muss nicht einmal ein Schaden für die eigene Karriere
sein, wenn man dann die Konsequenzen zieht und zurücktritt. Ich habe vor einigen Jahren selber erlebt, wie
ein kluger, begabter junger Politiker, Cem Özdemir, zurückgetreten ist, weil er einen Fehler gemacht hat. Dieser
Fehler war wirklich Dummer-Jungen-Kram gegenüber
dem, was Sie gemacht haben. Aber er ist zurückgetreten,
und er ist wiedergekommen.
({11})
Sie verspielen jede Menge Respekt bei Menschen, die
die Dimension dessen, was Sie getan haben, begreifen.
Ich kann nicht verstehen, dass Sie diesen Respekt, den
sie eigentlich haben könnten, so leichtfertig verspielen
und hier sagen: Ich sitze das aus. - Das finde ich nicht in
Ordnung.
({12})
Der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff hat jetzt das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich stelle für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch
einmal fest - an diesen Fakten können Sie nicht rütteln,
auch wenn Sie noch so laut dagegen anschreien -:
Erstens. Karl-Theodor zu Guttenberg hat in seiner
Doktorarbeit gravierende Fehler gemacht, die dem Anspruch wissenschaftlichen Arbeitens widersprechen.
({0})
Das hat er selbst eingestanden. Wir haben keinerlei Anlass, zu bezweifeln, dass er dies weder vorsätzlich noch
absichtlich getan hat.
({1})
Zweitens. Er hat sich bei allen öffentlich entschuldigt,
die er dadurch verletzt haben könnte, insbesondere bei
seinem Doktorvater. Das war wichtig und richtig.
({2})
Drittens. Er hat seine Universität gebeten, den Doktortitel zurückzunehmen; das ist die notwendige Konsequenz aus seinen Fehlern.
({3})
Viertens. Alles Weitere prüft und entscheidet die Universität Bayreuth. Damit ist sichergestellt - weil Herr
Gabriel und Redner der Opposition dies infrage gestellt
haben -: Für Karl-Theodor zu Guttenberg gelten die
gleichen Maßstäbe für wissenschaftliches Arbeiten wie
für andere. Er nimmt keine Sonderrechte für sich in Anspruch.
Aber Herr zu Guttenberg hat sehr wohl Anspruch darauf, dass man ihn nicht mit Personen vergleicht, deren
Verhalten eine ganz andere politische Dimension hat,
meine Damen und Herren. Herr Gabriel hat als Vorsitzender der SPD Herrn zu Guttenberg mit Ministerpräsident Berlusconi verglichen, einem alten Mann, der Sex
mit minderjährigen Frauen hat und der, um dies zu vertuschen, sein Amt als Regierungschef missbraucht und
glaubt, sich dafür über das Gesetz stellen zu können.
({4})
Sex mit Minderjährigen, Amtsmissbrauch, Selbstherrlichkeit gegenüber dem Gesetz, das ist es, worauf
Herr Gabriel mit seinem Vergleich zwischen Herrn zu
Guttenberg und Berlusconi anspielt. Das ist infam. Das
ist unanständig, und das ist unter der Gürtellinie.
({5})
Das widerspricht allen Umgangsformen, die wir hier
im Hause pflegen. Es verletzt den Respekt, den wir der
Familie zu Guttenberg schulden, und es ist der deutschen
Sozialdemokratie völlig unwürdig. Dafür muss sich Herr
Gabriel entschuldigen.
({6})
Dieser maßlose Vergleich zeigt doch ganz klar, worum es Ihnen eigentlich geht. Es geht Ihnen doch nicht
um die Fehler von Herrn zu Guttenberg bei seiner wissenschaftlichen Arbeit.
({7})
Nein, Ihnen geht es darum, einen beliebten und erfolgreichen Verteidigungsminister in den Dreck zu ziehen,
und das lassen wir nicht zu.
({8})
Meine Damen und Herren, es geht doch vor allem um
die Bewertung der Arbeit von Karl-Theodor zu
Guttenberg als Verteidigungsminister, und zwar mit
Blick auf die wirklichen Aufgaben und Herausforderungen.
({9})
Ich erinnere nur daran, dass es dieser Verteidigungsminister war, der als einer der Ersten von einem Krieg in
Afghanistan gesprochen hat und der dafür von Herrn
Gabriel in diesem Hause gelobt wurde. Also hat er seine
Sache doch richtig gemacht.
({10})
Dass er damit bei den Soldaten wieder größeres Vertrauen in die Politik bewirkt hat, liegt in unser aller Interesse. Deshalb sollten Sie aufpassen, wie fair oder wie
unfair Sie mit dem Verteidigungsminister umgehen;
denn das wird von den Soldaten sehr genau registriert,
von denen der Verteidigungsminister gerade auch in diesen Tagen höchste Sympathie und Unterstützung erfährt.
Der Verteidigungsminister hat die radikalste Reform
der Bundeswehr auf den Weg gebracht. Die Verkleinerung der Bundeswehr haben doch Sie immer gefordert.
Also hat er seine Sache doch richtig gemacht.
({11})
Wenn in Zeiten knapper Kassen einer die Chance hat, die
für den Umbau der Bundeswehr notwendigen Mittel zu
erhalten, dann ist es dieser Verteidigungsminister. Auch
das wissen Sie nur zu gut.
Es geht dabei auch um die notwendige Europäisierung der Streitkräfte mit allen Konsequenzen für Strukturen, Standorte, auch für die deutsche Wehrindustrie.
Wenn einer diese schwierige Zukunftsaufgabe erfolgreich bewältigen kann, dann ist das Verteidigungsminister zu Guttenberg. Es gibt also überhaupt keinen Grund,
seine Entlassung zu fordern.
({12})
Für diese schwierigen Aufgaben hat der Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg unsere
vollste Unterstützung.
({13})
Burkhard Lischka hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister zu Guttenberg, es ist schon einige Male gesagt
worden: Vor einer Woche haben Sie zu den ersten Vorwürfen, die übrigens wesentlich glimpflicher ausgefallen
sind als das, was wir jetzt haben, noch gesagt, das sei alles abstrus. Nachdem sich jetzt die Faktenlage geändert
hat, versuchen Sie sich heute herauszureden, indem Sie
sagen, Sie hätten ja nicht absichtlich fremde Texte übernommen. Wissen Sie, Herr zu Guttenberg, ich habe am
Montag mit Juraprofessoren zusammengesessen. Wenn
ein Prüfling 20 Prozent seiner Arbeit woanders abschreibt, dann ist die Beweislage so erdrückend, dass
ihm kein Jurist und Prüfer mehr abnimmt, er habe nicht
gewusst, was er da getan hat. Ihre Verteidigungsstrategie
ist abstrus, Herr zu Guttenberg.
({0})
Sie haben vor einer Woche noch so getan, als wenn es
darum ginge, dass Sie da die eine oder andere Fußnote
entsprechend korrigieren müssten, als wenn es darum
ginge, dass Sie möglicherweise den einen oder anderen
etwas falsch zitiert haben.
Heute, nach einer Woche - aber nicht durch Ihr Zutun -,
wissen wir: Sie haben abgekupfert, und zwar in richtig
großem Stil. Sie haben in weiten Teilen Ihrer Arbeit die
Ideen, die wissenschaftlichen Gedanken und die Ausarbeitung anderer übernommen und dann so getan, als
wenn das alles auf Ihrem Mist gewachsen wäre. Am
Montag haben Sie in Kelkheim gesagt: Ich habe Blödsinn geschrieben. - Herr zu Guttenberg, wenn Sie mal
Blödsinn geschrieben hätten, vor allen Dingen wenn Sie
den Blödsinn selber geschrieben hätten,
({1})
dann könnten wir uns heute diese Debatte sparen. Aber
Sie haben eben weite Teile Ihrer Arbeit - und das stellen
Sie auch gar nicht mehr infrage - nicht selber geschrieben. Sie haben sich den glänzenden Doktor in Ihrem Lebenslauf an vielen Stellen zusammengeschnorrt. Sie
schmücken sich mit fremden Federn. Das ist es, worum
es in dieser Debatte tatsächlich geht.
({2})
Herr Minister, wenn das jemand in Ihrem Umfeld getan
hätte, den hätten Sie ihn - da bin ich mir ganz sicher schon längst gefeuert, und zwar mit großer Geste.
({3})
Unhaltbar sei das, würden Sie sagen; das beschädige das
Amt in nicht hinnehmbarer Art und Weise. Aber die
Maßstäbe, die Sie an andere anlegen, gelten nicht für
Sie. Deshalb üben Sie sich hier weiter als Selbstverteidigungsminister. Das ist skandalös, Herr zu Guttenberg,
mit jedem Tag, an dem Sie hier an dieser Stelle sitzen
bleiben.
({4})
Summa cum laude, Herr Minister! Als Selbstverteidigungsminister sind Sie wirklich summa cum laude. Es
ist schon faszinierend, wie Sie im Augenblick versuchen, diesen Doktortitel ganz schnell loszuwerden. Sie
meinen, dass dann alles wieder gut wäre. Aber, Herr
Minister, man kann einen Doktortitel nicht ablegen wie
einen Mantel, der einem nicht gefällt. Da gibt es keine
Geld-zurück- oder, sagen wir besser: Guter-Ruf-zurückGarantie. Man kann nicht ungeschehen machen, woran
man sieben Jahre seines Lebens gebastelt hat, nämlich
eine Promotion abzuliefern, an der viele ganz unfreiwillig mitgearbeitet haben; denn eine solche Doktorarbeit
abzuliefern ist und bleibt - umgangssprachlich - ein Betrug, Herr Minister.
({5})
Mit jedem Tag erfahren wir scheibchenweise - wir
wissen jetzt von sechs Fällen -, dass Sie auch den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages für
Ihre Doktorarbeit eingespannt haben, übrigens wissenschaftliche Mitarbeiter, die durch den Steuerzahler bezahlt werden. Eins zu eins haben Sie seitenlange Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes in Ihre
Doktorarbeit übernommen. Ich kann nur hoffen, dass die
Bundestagsverwaltung alles schnellstmöglich offenlegt,
um jedwede Spekulation zu beenden. Der Steuerzahler,
Herr Minister, will wissen, wie viel er zu Ihrer Doktorarbeit eigentlich beigetragen hat.
({6})
Das Ergebnis, meine Damen und Herren, sagt nicht
nur etwas darüber aus, wie genau es Herr zu Guttenberg
mit den Regeln des wissenschaftlichen Handwerks
nimmt. Es wird auch sehr viel darüber aussagen, wie der
Abgeordnete zu Guttenberg sein Mandat im Deutschen
Bundestag begreift. Aber das hier ist kein Selbstbedienungsladen für private Dissertationen, Herr Minister.
({7})
Nun sagt die Bundeskanzlerin, sie brauche keinen
Doktor als Verteidigungsminister. In der Tat: Ob nun ein
Verteidigungsminister promoviert hat oder nicht, tut
nichts zu Sache. Aber ob er glaubwürdig ist oder ob er
sich seine Karrierestationen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt, „zusammengefingert“ hat, tut
sehr wohl etwas zur Sache.
({8})
Glaubwürdigkeit, Herr Minister, das war einmal Ihr
Markenkern; darauf haben Sie Wert gelegt. Aber die
Glaubwürdigkeit haben Sie in diesen Tagen verloren.
Das ist keine lässliche Sünde, sondern in der Art und
Weise, wie das geschehen ist, ist das ein Grund für den
Rücktritt, ganz einfach, ohne Hintertürchen und ohne ein
„vorübergehend“. Das wäre dann tatsächlich eine große
Geste, Herr Minister.
({9})
Für die Unionsfraktion spricht jetzt Alexander
Dobrindt.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die heutige Aktuelle Stunde ist in der Tat eine Stunde
der Selbstentlarvung der Opposition.
({0})
Sie haben eine Aktuelle Stunde beantragt. In Wirklichkeit wollen Sie hier ein Tribunal durchführen.
({1})
Sie geben vor, einen Sachverhalt aufzuklären. In Wirklichkeit wollen Sie Rufmord an einem Mitglied der Bundesregierung begehen. Das ist die Wahrheit in diesem
Haus.
({2})
Herr Trittin, Herr Oppermann, das, was Sie beide
heute hier aufgeführt haben, ist wahrlich keine parlamentarische Oppositionsarbeit. Es ist wirklich nur schäbig und diesem Hause absolut unwürdig, was Sie hier
geleistet haben.
({3})
Herr Bartels, Sie haben ja recht, wenn Sie sagen, man
könnte auch Wichtigeres diskutieren. Aber Sie haben es
in der Hand; Sie hatten es in der Hand. Sie haben diese
Aktuelle Stunde beantragt zu diesem Thema, zu nichts
anderem. Sie haben die drängenden und gewichtigen
Fragen, über die wir uns auch in der Politik in Deutschland und in Europa unterhalten könnten, beiseitegeräumt
und muten jetzt der Öffentlichkeit Ihre kleinkrämerische
Selbstbeschäftigungstherapie zu. Das ist die Realität in
diesem Haus.
({4})
Meine Damen und Herren, wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Sie zu verantwortungsvoller
Oppositionsarbeit nicht fähig sind, dann haben Sie ihn
heute geliefert. Ich kann Ihnen versichern: Das, was Sie
hier heute aufgeführt haben, wird nicht einmal als Randnotiz in der Geschichte dieses Hauses erscheinen.
({5})
Es ist übrigens nicht der erste Versuch von SPD und
Grünen, dass sie einen ihnen unliebsamen Unionspolitiker hier beschädigen.
({6})
Sie haben schon ab und zu einmal versucht, an dem Lack
zu kratzen. Der Grund dafür ist einfach: Ihnen schmeckt
es nicht, dass Karl-Theodor zu Guttenberg ein hohes Ansehen und Vertrauen bei den Menschen genießt.
({7})
Ihnen schmeckt es nicht, dass er als Verteidigungsminister eine herausragende Arbeit macht. Ihnen schmeckt es
nicht, dass er durch seine Präsenz vor Ort, bei der
Truppe im Einsatz, Solidarität zeigt und Solidarität zurückbekommt. Vor allem schmeckt es Ihnen nicht, dass
über 70 Prozent der Menschen in Deutschland auch in
dieser Debatte hinter ihm stehen. Das schmeckt Ihnen
einfach nicht.
({8})
Die Menschen fragen sich zu Recht
({9})
- freuen Sie sich nicht zu früh! -, ob die Opposition in
Deutschland sich nicht mit ihren Sorgen, Anliegen und
Nöten beschäftigt, sondern mit anderen Dingen. Glauben
Sie mir: Die Menschen durchschauen Ihre taktischen
Spielchen.
({10})
Die Menschen durchschauen auch, dass es Ihnen nicht
um die Sache geht, sondern nur darum, einem Politiker
ans Zeug zu flicken. Das ist das, was eigentlich im Vordergrund steht. Das sollten Sie sich, Herr Oppermann
- weil Sie ja immer fleißig dazwischenrufen -, schon
einmal überlegen, und Sie sollten zur Kenntnis nehmen,
dass 71 Prozent der SPD-Anhänger mit der Arbeit von
Karl-Theodor zu Guttenberg zufrieden sind.
({11})
Frau Sager, Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass
61 Prozent der Grünen-Anhänger mit der Arbeit von
Karl-Theodor zu Guttenberg zufrieden sind. Frau Sager
und Herr Oppermann, da sollten Sie sich lieber einmal
fragen, ob Sie bei Ihrer unwürdigen Hatz gegen den Verteidigungsminister überhaupt das Vertrauen Ihrer eigenen Anhängerschaft haben. Das Vertrauen der Menschen
in diesem Land haben Sie auf jeden Fall nicht.
({12})
Wissen Sie, die Menschen in diesem Land durchschauen das, und sie wissen, dass Sie nur ein einziges
Ziel haben: ein Mitglied dieser Bundesregierung zu beschädigen. Die Menschen durchschauen, dass Sie billigend in Kauf nehmen, einen Kollateralschaden anzurichten, der der Bundeswehr schadet. Sie sind diejenigen, die
der Bundeswehr in dieser Sache in einem schwierigen
und höchst gefährlichen Einsatz schaden. Sie sind diejenigen, die dem großen Reformprozess der Bundeswehr
schaden. Deswegen nenne ich Ihr Verhalten hier perfide
und verantwortungslos. Meine Damen und Herren, Sie
sind es, die großen Schaden diesem Parlament, der Politik und auch der Bundeswehr in diesem Land zufügen.
({13})
Herr Trittin, erkennen Sie an, dass Karl-Theodor zu
Guttenberg Fehler eingeräumt und sich aufrichtig entschuldigt hat. Erkennen Sie an, dass er selbst gehandelt
und den Doktortitel abgelegt hat. Erkennen Sie endlich,
dass Sie sich verrannt haben, und geben Sie doch einfach
zu, dass es Ihnen nicht um die Sache, sondern um eine
schäbige Kampagne gegen den Bundesminister geht.
Dann wären wir viel näher bei der Wahrheit als bei alldem, was wir von Ihnen hier gehört haben.
({14})
Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Lauterbach für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Dobrindt, der Unterschied
zwischen Ihnen und Herrn zu Guttenberg ist, dass man
Herrn zu Guttenberg ernst genommen hat. Das hat man
bei Ihnen nie gemacht. Das haben Sie heute wieder unter
Beweis gestellt. Wir sind hier nicht im Bierzelt, Herr
Kollege, sondern das ist eine ernsthafte Auseinandersetzung. Hier geht es um die Glaubwürdigkeit der Politik.
({0})
Ich hätte Herrn zu Guttenberg die Geste der Demut
und des Bedauerns abgekauft, wenn er heute konsequent
seinen Rücktritt erklärt hätte. Aber er tut das Gegenteil:
Er tut so, als wenn er für die Bundeswehr unverzichtbar
wäre. Dabei hat er mittlerweile endgültig jede Glaubwürdigkeit bei der Truppe verloren.
({1})
Auch für Herrn zu Guttenberg gilt: Wer einmal lügt, dem
glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit
spricht.
Ich zitiere aus dem Brief an die Universität Bayreuth:
Er habe zu keinem Zeitpunkt vorsätzlich oder absichtlich
getäuscht. - Was ist denn das, wenn nicht eine weitere
Lüge, die jetzt noch im Raume steht?
({2})
Das Problem ist doch nicht, dass der Verteidigungsminister betrogen und gelogen hat. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass er es weiter tut und trotzdem
glaubt, im Amt bleiben zu können. Das ist die Wahrheit.
({3})
Er lügt fortwährend und macht hier eine Geste der Demut.
Er gibt eine Doktorarbeit ab, die ohnedies nicht zu
halten wäre. Er gibt etwas ab, was ohnedies weg wäre,
und kombiniert das mit der Lüge, er habe nie getäuscht
und betrogen. Dabei hat er aus Reiseführern, bei Studenten, bei Politikern, bei Professoren und aus Zeitungen
abgeschrieben: in der Einleitung, in jedem Teil seiner
Doktorarbeit. 20 Prozent dieser Doktorarbeit sind nicht
echt. Und da will uns der Minister hier erzählen, es habe
sich um handwerkliche Fehler gehandelt. Wer glaubt
denn das hier im Saal? Wir lassen uns hier doch nicht
zum Narren halten!
({4})
Jeder Richter, jeder Bürgermeister, jeder Lehrer und
jeder Siemens-Manager hätte nach einem solchen unglaublichen Betrug sofort seine Kündigung gesehen.
Aber für den Minister sollen Sonderregelungen greifen.
Er will überleben, aber jedem anderen hätte das die Existenz gekostet.
({5})
Sechs Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des
Bundestages hat er genutzt. Er sagte, er habe diese eingearbeitet. Das ist aber doch gar nicht die Wahrheit. Die
Wahrheit ist doch: Er hat diese Gutachten einfach übernommen und hat es später erwähnt. Somit ist das keine
Nutzung, sondern das ist nichts anderes als eine Fälschung, eine Übernahme, ein plumpes Plagiat.
Selbst in der Rede gerade sind wir noch einmal belogen worden, indem darauf hingewiesen wurde, das sei
genutzt worden. Aber man kann doch nicht sagen, dass
man etwas genutzt hat, wenn man es abschreibt. Sonst ist
doch jedes Plagiat nichts anderes als eine erlaubte Nutzung.
({6})
Was soll ich denn meinen Studenten noch erklären, wenn
jedes Plagiat automatisch eine Nutzung ist? Dann können wir die wissenschaftliche Arbeit einstellen. Ich kann
doch niemals mehr einem Studenten irgendetwas vorwerfen, wenn wir das hier durchgehen lassen. Wir dürften als Professoren gar nicht mehr prüfen. Ich würde jedem Professor dann raten, keine Doktorarbeit mehr auf
Plagiate zu prüfen. Wie kann ich denn einem kleinen
Studenten die Existenz nehmen, wenn der Minister hier
damit durchkommt?
({7})
Der einzige Ort, wo man trotz Abschreibens, trotz
Plagiats, trotz wissenschaftlicher Fehler seinen Arbeitsplatz nicht verliert, ist das Kabinett von Frau Merkel;
überall sonst fliegt man raus, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({8})
Daher bitte ich Sie, Frau Schavan, Frau von der
Leyen, aber auch die Bundeskanzlerin, die heute demonstrativ nicht da ist, weil sie sich das nicht antun will:
({9})
Verschonen Sie uns mit dem Geschwätz von der Exzellenzinitiative, mit dem Geschwätz von der Bildungsrepublik, mit dem Geschwätz von Forschung und Innovation! Das ist doch alles nicht wahr.
Heute war Frau Schavan bei uns im Ausschuss. Ich
bin gar nicht hingegangen.
({10})
Ich will doch von Ihnen nichts mehr zur Wissenschaft
hören, wenn hier alles erlaubt ist, wenn der Minister betrügen und lügen darf, wie er möchte, und ohne Strafe
davonkommt.
({11})
Das wird langfristig den Wissenschaftsstandort
Deutschland massiv beschädigen. Wir können niemals
mehr den Chinesen mit solchen Argumenten kommen.
Alles kann dann hier gefälscht werden. Wenn diese Form
des Plagiats durchgeht, dann darf jedes chinesische Unternehmen alles übernehmen, was wir herstellen; dann
gibt es kein Plagiat mehr; dann ist alles frei.
({12})
Daher geht es nicht um eine Kleinigkeit, wie Sie das
darstellen, sondern es geht um die Grundlage unserer
Demokratie. Darf ein Lügner und Betrüger im Parlament
verbleiben?
({13})
Darf er Minister bleiben? Es geht auch um die Grundlage unserer Wissenschaftsrepublik. Wir haben keine
Rohstoffe. Wir sind auf den Wert der Bildung angewiesen.
({14})
Wir können nicht einen Bildungs- und Forschungsbetrüger im Kabinett belassen.
Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({15})
Philipp Mißfelder hat das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Plenum ist voll besetzt wie sonst nur bei
namentlichen Abstimmungen. Dadurch könnte bei Zuschauerinnen und Zuschauern, die vielleicht seltener
- leider - Bundestagsdebatten verfolgen, der Eindruck
entstehen, als sei Minister zu Guttenberg das Hauptthema, mit dem wir uns in dieser Woche hier im Deutschen Bundestag beschäftigen.
({0})
Um diesem Eindruck entgegenzuwirken, richte ich mich
an meine Fraktion, aber natürlich auch an die Opposition: Ich bin gespannt, wie viele von Ihnen, liebe Kollegen, am morgigen Tag bei der Aktuellen Stunde zu den
Vorgängen in Libyen mit dem gleichen Engagement der
Debatte folgen werden, wie dies jetzt der Fall ist.
({1})
Ich spreche da auch Ihr Verantwortungsbewusstsein als
Abgeordnete an. Es geht um das Bild, das wir in diesem
Haus heute abgeben.
Scheinbar geht es hier um das beherrschende Thema,
das die Gemüter in unserem Land beschäftigt. Dass das
so ist, hat, glaube ich, folgenden Grund: Das Jagdfieber
hat Sie gepackt. Nachdem Sie schon bei anderen Fragen
- „Gorch Fock“, Feldpost, Afghanistan, Kunduz - hier
ein ähnliches Theater aufgeführt haben, glauben Sie, den
Minister zu Guttenberg wirklich in Bedrängnis bringen
zu können. Zweifellos hat es Vorgänge gegeben, die
nicht in Ordnung waren - Andreas Schockenhoff hat sie
aufgezählt -; der Minister selbst hat sie benannt und sich
deshalb auch entschlossen, mit den Konsequenzen umzugehen. Er wird dies wahrscheinlich sein Leben lang
tun müssen.
({2})
Trotzdem finde ich es komisch, wie Sie hier in nahezu
allen Wortbeiträgen eine Zuständigkeit für sich reklamieren, die wir im Deutschen Bundestag nicht haben;
denn die Entscheidung darüber, wie es mit dieser Doktorarbeit weitergehen wird, obliegt nicht uns, sondern
der Uni Bayreuth. Sie - und nicht wir hier im Deutschen
Bundestag - wird eine Klärung herbeiführen.
({3})
Sie ignorieren dabei, dass zur selben Stunde, wo wir
hier über ein wichtiges Thema diskutieren, nämlich über
eine herausragende Persönlichkeit unseres Landes - es
ist aber nicht das wichtigste Thema, mit dem sich der
Deutsche Bundestag in dieser Woche beschäftigen sollte -,
noch anderes geschieht. Sie ignorieren, dass sich in Libyen gravierende politische Veränderungen vollziehen.
({4})
Sie ignorieren, dass Zehntausende von Flüchtlingen auf
dem Weg nach Europa sind.
({5})
Sie ignorieren, dass wir beim Thema Hartz IV trotz des
Kompromisses, den wir diese Woche auf den Weg gebracht haben und dann auch beschließen wollen,
({6})
den uns selbst gesetzten Zielen bei weitem noch nicht
gerecht werden: So gibt es in diesem Lande Tausende
von Kindern, die kein Mittagessen bekommen. Das sind
im Übrigen die Probleme, die die Menschen in Wahrheit
beschäftigen,
({7})
für die sich die Menschen in Wahrheit interessieren.
({8})
Deshalb warne ich Sie alle und uns selbst auch: Wir
dürfen nicht so tun, als gehe es in dieser Debatte um den
Kern der Aufgaben des Deutschen Bundestages.
({9})
Darum geht es nicht. Vielmehr handelt es sich bei dem,
was hier aufgeführt wird, um ein großes politisches Theater, bei dem Sie sich erneut an Minister zu Guttenberg
abarbeiten.
Ich glaube auch, dass Sie als Opposition sehr unglücklich sind. Ihre Vorgänger, Herr Oppermann, wie
zum Beispiel Herr Schröder, haben ja sehr viele Erfahrungen im Umgang mit Umfragen gemacht. Ich weiß
auch, dass sich viele von Ihnen sehr darum grämen, dass
Ihre Umfragewerte häufig relativ niedrig sind
({10})
und dass gerade auch die Beliebtheitswerte Ihrer führenden Persönlichkeiten
({11})
- deswegen ist Herr Gabriel heute sicherlich auch gar
nicht erst zur Debatte erschienen - bei weitem hinter den
Werten von Minister zu Guttenberg liegen. Daran sieht
man den Rückhalt, den Minister zu Guttenberg in Umfragen hat.
({12})
Und wenn Sie in Ihren Wahlkreisen fragen, wie die Bürger diese Vorgänge bewerten, zeigt sich, dass die Dinge
anders liegen, als der Verlauf dieser Debatte es momentan widerspiegelt.
({13})
Ich warne Sie deshalb davor, hier eine Kluft zwischen
der politischen Elite dieses Landes
({14})
und den Bürgern in diesem Land, die von uns fordern,
dass wir uns ernsthaft mit den Fragen beschäftigen, herbeizureden. Dafür sind wir gewählt worden und nicht
dazu, hier weiterhin eine Hexenjagd zu veranstalten,
meine Damen und Herren.
({15})
Karl Theodor zu Guttenberg hat die Unterstützung
vieler Menschen in unserem Land. Er hat die Unterstützung unserer Bundestagsfraktion, der CDU und der CSU
und der Mitglieder unserer Parteien, die das Ganze nicht
kritiklos begleiten, sondern zu Recht darauf gewartet haben, dass er sich erklärt - das hat er getan - und dass er
sich entschuldigt - das hat er getan. Ich bin der Meinung, dass wir uns wieder den wichtigen Themen dieses
Landes zuwenden sollten.
Herzlichen Dank.
({16})
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen Einsichten.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. Februar 2011,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.