Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die in der weiteren Zusatzpunktliste
aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Ermittlung
von Regelbedarfen und zur Änderung des
Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetz-
buch
- Drucksachen 17/3404, 17/3958, 17/3982,
17/4032, 17/4058, 17/4095, 17/4303, 17/4304,
17/4719 -
ZP 9 Vereinbarte Debatte
zur Lage von SGB-Leistungsempfängern und
ihrer Kinder
ZP 10 a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes
- Drucksache 17/3481 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksachen 17/4710, 17/4739 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Frank Schäffler
Harald Koch
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Carsten
Sieling, Manfred Zöllmer, Elvira DrobinskiWeiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gesamtkonzept zur Stärkung des Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen vorlegen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Sahra Wagenknecht, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Beschäftigtenrechte bei Übernahmen und
Fusionen stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Maisch, Dr. Gerhard Schick, Cornelia Behm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbraucherschutz auf Finanzmärkten
nachholen
- Drucksachen 17/2136, 17/3540, 17/3210,
17/4710, 17/4739 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Frank Schäffler
Harald Koch
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist das auch so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Gesetz zur Ermittlung
von Regelbedarfen und zur Änderung des
Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetz-
buch
- Drucksachen 17/3404, 17/3958, 17/3982,
17/4032, 17/4058, 17/4095, 17/4303, 17/4304,
17/4719 -
Der Berichterstatter im Bundestag, der Abgeordnete
Thomas Oppermann, wünscht nicht das Wort zur Be-
richterstattung. Mit einer schriftlichen Erklärung macht
er aber auf vier von Bund und Ländern abgegebene Pro-
Redetext
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
tokollerklärungen aufmerksam. Diese Erklärung und die
Protokollerklärungen nehmen wir zu Protokoll.1) Ferner
liegt auch eine schriftliche Erklärung der Fraktion Die
Linke nach § 90 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung vor.
Wir kommen gleich zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Druck-
sache 17/4719.
Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3
Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im
Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam
abzustimmen ist.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. - Wir können leider immer noch
nicht beginnen, weil hier vorne zwei Schriftführer feh-
len.
Jetzt sind alle Schriftführer an ihren vorgesehenen
Plätzen. Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre
Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.2)
Wir setzen die Beratungen fort. Dazu bitte ich, liebe
Kolleginnen und Kollegen, dass Sie Ihre Plätze einnehmen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Vereinbarte Debatte
zur Lage von SGB-Leistungsempfängern und
ihrer Kinder
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Ministerin von
der Leyen das Wort.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einem
Jahr hat uns das Bundesverfassungsgericht den Auftrag
zur Neuordnung der Regelsätze gegeben. Vor zwei Mo-
naten hat der Bundestag zugestimmt. Sieben Wochen ha-
ben wir im Vermittlungsverfahren darüber verhandelt,
einen politischen Konsens herzustellen. Diesen haben
wir heute leider noch nicht erreicht. Das bedauere ich,
weil die Verhandlungen auch von gegenseitiger Achtung
getragen waren. Aber unter dem Strich zählt, dass wir im
1) Anlage 2 und 3
2) Ergebnis Seite 10270 D
Interesse der betroffenen Menschen so schnell wie möglich eine Lösung in dieser Sache finden.
({0})
Ich weiß, dass wir im Bundestag eine Mehrheit haben, aber im Bundesrat nicht. Dennoch lohnt es sich, das
Angebot öffentlich zu diskutieren.
Ich glaube, diese Zäsur ist heute notwendig, damit die
endlose Forderungsspirale der letzten sieben Wochen
einmal bilanziert wird.
({1})
Das ist ein gutes Angebot. Das ist ein Angebot, das
nachhaltig ist, und ich glaube, das sollte auch anerkannt
werden.
Im Gesetz geht es um zwei zentrale Fragen: die Bargeldleistung im Regelsatz und das Bildungspaket. Wir
wissen doch alle, dass die Kinder von Hartz-IV-Empfängern oder die in Sozialhilfe eher ausgegrenzt und abgehängt werden als Gleichaltrige, nicht weil ihre Eltern
sich nicht kümmern, sondern weil ihre Eltern selber mit
sozialer Isolation zu kämpfen haben. Je häufiger die
Kinder in der Schule oder im Freundeskreis die Erfahrung des Scheiterns machen, desto tiefer gräbt sich das
Gefühl der eigenen Unfähigkeit und Hilflosigkeit ein.
({2})
Das Bildungspaket folgt deshalb der Einsicht, dass diesen Kindern mit konkreten Hilfen mehr geholfen wird
als mit direkten Zahlungen an die Eltern. Im Hinblick
auf diese grundlegende sozialpolitische Einsicht sind wir
uns doch einig.
({3})
Es geht konkret um eine warme Mahlzeit in den
Schulen und Kindergärten. Wir sind uns einig, dass die
Finanzierung des Mittagessens auf die Hortkinder ausgeweitet wird. Es geht konkret um die individuelle Förderung beim Lernen und um die Chance, bei Sport und
Musik - wo auch immer die Interessen liegen - mitzumachen. Wir sind uns einig, dass die 160 000 Kinder von
Wohngeldbeziehern mit dabei sein sollen. Wir sind uns
einig, dass die Kommunen das organisieren sollen. Wir
sind uns einig, dass die Kommunen dadurch keine zusätzlichen finanziellen Lasten haben sollen, sondern dass
ihnen die Kosten des Bildungspaketes ersetzt werden
sollen. Wir sind uns in diesen ganzen Punkten einig.
({4})
Damit die Kommunen wirklich die Gestaltungsfreiheit haben, ihre Aufgaben für alle Familien und alle Kinder wahrzunehmen, übernimmt der Bund bedingungslos
die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
({5})
Das heißt in Zahlen: Bis 2015 gehen rund 20 Milliarden
Euro vom Bund an die Länder und Kommunen. Bis 2020
gehen rund 54 Milliarden Euro vom Bund an die Kommunen.
Meine Damen und Herren, wir sind uns also in fünf
zentralen Fragen des Bildungspaketes einig. Sofort 5 Milliarden Euro mehr für Kinder und Kommunen: Das ist
ein nachhaltiges Angebot; mehr geht nicht. Wer das ausschlägt, der muss sich vorwerfen lassen, dass er aus Prinzip keine Einigung will.
({6})
Ich glaube, dass wir uns auch beim Regelsatz in der
zentralen Frage einig sind, auch wenn das in den letzten
Tagen sicher nicht deutlich geworden ist.
({7})
- Ich werde es Ihnen gleich erklären.
({8})
Es geht darum, einen nachvollziehbaren, verfassungsfest
begründeten Berechnungsweg vorzulegen. Das haben wir
von der Regierung getan.
({9})
Die Verhandlungsführung der SPD hat das auch getan.
Nur hat die Verhandlungsführung der anderen Seite im
Laufe der Verhandlungen nicht eine Methode zur Berechnung vorgelegt, sondern verschiedene, die sich auch
noch widersprechen:
({10})
Mal waren die Aufstocker drin, mal waren sie draußen;
mal wurde die Referenzgruppe auf 20 Prozent erweitert,
mal nicht. Mit anderen Worten: Jedes einzelne Element
der Berechnung der Bundesregierung findet sich genauso auch in den Vorschlägen der SPD wieder. Also
können weder die einzelnen Elemente noch die Summe
der Elemente falsch oder gar verfassungswidrig sein.
({11})
Sie mögen ein anderes Ziel als wir verfolgen: Sie
wollen den Hartz-IV-Satz weiter erhöhen; Sie kämpfen
um Mehrausgaben in Bund und Kommunen. Das ist Ihr
Recht; aber das löst doch nicht die Probleme der Arbeitslosen. Mir scheint hier ein weiteres Argument wichtig:
Wenn Sie heute im Bundesrat dem Gesetz in Gänze nicht
zustimmen sollten, dann verweigern Sie den betroffenen
Bürgerinnen und Bürgern die Erhöhung und das Bildungspaket mit seiner nachhaltigen Finanzierung.
({12})
Das kann nicht im Sinne der Betroffenen sein. Ermöglichen Sie den Kindern das Bildungspaket! Sie haben
heute die Chance dazu.
({13})
Sie können politisch um Mehrheiten werben, wenn
Sie wirklich glauben, dass es besser wäre, wenn die
Hartz-IV-Sätze weiter erhöht würden. Aber wir von der
Bundesregierung wollen unsere Kraft, unsere Energie
und das Geld der Bürgerinnen und Bürger dafür verwenden, dass diese Menschen schneller wieder in Arbeit
kommen.
({14})
Wir wollen nicht Passivität und Abhängigkeit fortschreiben, sondern die Voraussetzungen für faire Arbeit
schaffen und da, wo sie sich bieten, Chancen eröffnen.
Vor allen Dingen wollen wir für die Kinder den Teufelskreis der vererbten Armut durchbrechen.
({15})
Zusammenfassend möchte ich festhalten: Alles, was
wir vorgelegt haben, auch die Mindestlöhne für den Bereich der Zeitarbeit, für das Wach- und Sicherheitsgewerbe und für die Weiterbildungsbranche, fordern auch
Sie. Sie wollen nur mehr. Für dieses Mehr gibt es heute
aber keine politischen Mehrheiten.
({16})
Wenn Sie das Gute, das Gemeinsame ablehnen, dann ist
das aus meiner Sicht Blockade, die sich in diesem Fall
nicht lohnt.
({17})
Wir sind Ihnen in den Verhandlungen weit entgegengekommen. Wir könnten den Kommunen 5 Milliarden
Euro im Jahr mehr geben.
({18})
Wir haben das Bildungspaket signifikant erweitert, um
350 Millionen Euro. Das ist zwar teuer,
({19})
aber das ist gut investiertes Geld, weil es die Kommunen
entlastet und die Chancen der Kinder verbessert.
Alle diese Verbesserungen stehen heute auf dem
Spiel. Deshalb bitte ich Sie, nicht das Maximale zu fordern. Machen Sie das, was heute möglich ist! Beschreiten Sie den Weg, den wir gemeinsam gefunden haben!
Die Hartz-IV-Empfänger im Land, insbesondere die
Kinder, werden es Ihnen danken und wir selbstverständlich auch.
({20})
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat nun Manuela Schwesig, Ministerin des
Landes Mecklenburg-Vorpommern.
({0})
Manuela Schwesig, Ministerin ({1}):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Vor genau einem Jahr
hat das Bundesverfassungsgericht der Politik den Auftrag erteilt, die Weichen in der Sozialpolitik neu zu stellen.
({2})
Es geht im Kern um unseren Sozialstaat. Es geht um die
Menschenwürde. Es geht um ein menschenwürdiges
Existenzminimum für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
({3})
Das heißt für uns, dass drei Dinge erfüllt sein müssen:
Erstens: Bildungschancen für Kinder und Jugendliche unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.
({4})
Zweitens. Menschen, die arbeiten, müssen von ihrer
Arbeit leben können. Deswegen sind Mindestlöhne in
diesem Zusammenhang wichtig.
({5})
Drittens. Wer keine Arbeit hat oder nicht arbeiten
kann, der muss von einer solidarischen Gemeinschaft
fair unterstützt werden. Es geht nicht um Almosen oder
spätrömische Dekadenz.
({6})
Es geht um einen Rechtsanspruch für alle Menschen in
diesem Land.
({7})
Dieses Urteil ist eine große Chance, gemeinsam etwas
Gutes und Großes auf den Weg zu bringen.
({8})
Dieses Urteil verlangt große Antworten bei den Themen
Bildung, Mindestlohn und faire Regelsätze. Aber, Frau
Bundesministerin, die Antworten, die Sie gegeben haben, sind Klein-Klein; sie sind genau das Gegenteil davon.
({9})
Viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land ärgern sich zu Recht
({10})
und fragen sich, warum wir das nicht gemeinsam hinbekommen. Frau von der Leyen, Sie haben zehn Monate
gebraucht, um überhaupt einen Entwurf auf den Tisch zu
legen.
({11})
Seit Mai 2010 wissen Sie, dass Sie unsere Stimmen im
Bundesrat brauchen. Trotzdem haben Sie viel Zeit mit
einer Chipkartenshow verplempert, anstatt sich wirklich
um die Sache zu kümmern. Sie tragen die Verantwortung
dafür, dass heute kein guter Gesetzentwurf auf dem
Tisch liegt.
({12})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ahrendt von der FDP-Fraktion.
({0})
Manuela Schwesig, Ministerin ({1}):
Selbstverständlich.
Frau Ministerin Schwesig, bei Ihrer Rede mag man
geneigt sein, zu sagen: Die Worte höre ich wohl, allein
mir fehlt der Glaube.
({0})
Sie sind Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern.
Dort befinden sich 95 Prozent aller Kinder unter sechs
Jahren in einer Kindertageseinrichtung; das ist eine
stolze Zahl. Und trotzdem - Sie tragen als SPD seit 1998
Verantwortung im Land -: Mecklenburg-Vorpommern
ist das Land mit der höchsten Zahl von jungen MenChristian Ahrendt
schen, die die Schule ohne Schulabschluss verlassen,
14 Prozent. Finden Sie nicht, dass Sie Ihren Reden auch
einmal Taten folgen lassen sollten?
({1})
Manuela Schwesig, Ministerin ({2}):
Herr Ahrendt, Sie wollten eine Frage stellen; die habe
ich nicht gehört.
({3})
Aber ich sage Ihnen eines: Herr Ahrendt, Sie haben
recht: 98 Prozent der Kinder in Mecklenburg-Vorpommern gehen in eine Kita. Diese Kinder bekommen schon
lange ein kostenfreies Mittagessen, wenn sie arme Kinder sind. Das, was Sie auf den Weg bringen wollen, haben unsere Kinder in MV schon längst. Deswegen weiß
ich, wovon ich rede.
({4})
Herr Ahrendt, wenn Ihr Generalsekretär heute sagt,
({5})
die Koalition hätte nicht die richtige Verhandlungsführung gehabt, dann frage ich Sie: Wo war denn Ihre Verhandlungsführung? Sie hatten gar keine. Die einzige
Strategie, die die FDP hatte, war: Blockade, Blockade,
Blockade. Sie hat gesagt: Wir wollen keine Schulsozialarbeiter.
({6})
Wenn Sie über Bildung reden, dann erklären Sie uns,
warum Sie dagegen sind, dass wir 5 000 Schulsozialarbeiter in den sozialen Brennpunkten einsetzen, um endlich Jugendliche zu fördern.
({7})
Das wäre der richtige Weg. Das blockieren Sie aber.
({8})
Sie blockieren außerdem einen fairen Regelsatz. Sie haben diese ganzen Verhandlungen blockiert. Die Kanzlerin
ist vor Ihnen eingeknickt und hat der Arbeitsministerin
den Auftrag gegeben, die Verhandlungen abzubrechen.
Das ist unverantwortlich. Sie haben Regierungsverantwortung.
({9})
- Herr Kauder, wenn Sie mehr erwarten, dann sprechen
Sie doch mit dem CDU-Bildungsminister in Mecklenburg-Vorpommern.
({10})
Es muss Schluss sein mit den Schuldzuweisungen.
Heute ist der Tag der Verantwortung und der Vernunft.
({11})
Und deswegen - wir wollen weiter verhandeln -: Kommen Sie zurück an den Verhandlungstisch!
({12})
Wir werden heute mit Kurt Beck im Bundesrat den Antrag stellen, weiterzuverhandeln. Ich fordere Sie auf:
Verhandeln Sie weiter! Wir waren nahe dran an einem
guten Ergebnis. Sie haben die Verhandlungen abgebrochen. Kommen Sie zurück an den Verhandlungstisch,
damit wir den 2 Millionen Kindern, die in Armut leben,
helfen mit guten Vorschlägen, die wir auf den Tisch gelegt haben!
({13})
Wenn Sie behaupten, wir hätten die Verhandlungen
mit dem Mindestlohn überfrachtet, dann will ich Ihnen
mal eines erklären: Mindestlohn und gleicher Lohn für
gleiche Arbeit sind der Kern der Antwort auf die Probleme in unserem Land. Es kann doch nicht sein, dass
die Menschen arbeiten gehen und am Ende zum Sozialamt gehen müssen, um sich Sozialleistungen abzuholen.
11 Milliarden Euro bezahlen wir dafür.
Deswegen brauchen wir Mindestlöhne und gleichen
Lohn für gleiche Arbeit, damit die Menschen, die arbeiten, aus der Hartz-IV-Falle herauskommen und einen fairen Lohn beziehen und damit überleben können.
({14})
Denn ja: Arbeit muss sich lohnen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Antwort gegeben. Arbeit muss sich
lohnen, aber nicht, indem man Sozialleistungen herunterschraubt, sondern indem man faire Löhne, Mindestlöhne bezahlt.
({15})
Frau von der Leyen, es reicht nicht, für Frauen in
DAX-Vorständen zu kämpfen. In dieser Woche sind Sie
den Frauen in den Rücken gefallen, weil Sie nicht die
Ministerin Manuela Schwesig ({16})
Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit unterstützen.
({17})
Es geht um die Verkäuferin, um die Kassiererin und um
die Kellnerin, die unsere Unterstützung brauchen, und
zwar jetzt und sofort. Es ist peinlich genug, dass die
Kanzlerin Sie bei der Quote abserviert hat. Aber es ist
eine Schande, dass Sie diesen vielen Frauen in Deutschland in den Rücken fallen.
({18})
Beim Thema Bildung war es uns wichtig, die Eltern
zu unterstützen, die arbeiten und am Ende auch nicht
viel mehr haben als andere. Deswegen ist es richtig, dass
wir das Bildungspaket auf Geringverdiener ausweiten.
Es ist richtig, dass wir das Bildungspaket bei den Kommunen andocken, damit Kitas, Ganztagsschulen und
Vereine das Geld bekommen. Es ist schwierig; denn von
sieben Wochen Verhandlungen brauchten wir fünf, um
Sie von dieser logischen Konsequenz zu überzeugen. Sie
haben fünf Wochen gebraucht, um aufzuwachen.
({19})
Lassen Sie uns die Vorschläge zu den Themen Mindestlohn und Schulsozialarbeit verbessern! Sorgen Sie
dafür, dass Sie Ihr Versprechen halten!
({20})
Wir sind gemeinsam vor die Öffentlichkeit getreten und
haben gesagt: Wir wollen, dass das Bildungspaket an die
Kommunen geht und dass die Kommunen dafür Ist-Kosten bekommen. Der Vorschlag, der auf dem Tisch liegt,
enthält keine Ist-Kosten.
({21})
Die Kommunen werden von Ihnen über den Tisch gezogen, wie Sie es schon bei Ihrer Steuerpolitik gemacht haben. Das wird es mit uns nicht geben, weil die Bürger
vor Ort die Zeche dafür zahlen müssten.
({22})
Nehmen Sie die Regierungsverantwortung ernst!
Kommen Sie zurück zum Verhandlungstisch! Es geht
darum, dass wir für 6 Millionen Menschen, für 2 Millionen Kinder, die in Kinderarmut aufwachsen, eine Antwort geben.
({23})
Bildung, Mindestlohn und ein fairer Regelsatz sind Beiträge zur Bekämpfung der Kinderarmut. Machen Sie
mit! Kommen Sie zurück! Übernehmen Sie Regierungsverantwortung, wie es sich für einen vernünftigen Laden
- zurzeit sind Sie keiner - gehört. Wir stehen zu unserer
Verantwortung. Wir wollen ein gutes Ergebnis, aber
keine faulen Kompromisse. Die müssen Sie schon alleine machen.
Vielen Dank.
({24})
Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun Kollege
Heinrich Kolb.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Schwesig, das, was Sie hier abgeliefert haben, ist
aus unserer Sicht vollkommen inakzeptabel.
({0})
Sie sagen: „Es darf keine gegenseitigen Schuldzuweisungen geben“ und wollen sich dann hier als Vertreterin
der Anklage profilieren. So geht es nicht! Wir haben eine
gemeinsame Verantwortung.
({1})
Sie haben in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung, weil Sie damals federführend als rot-grüne
Bundesregierung gemeinsam mit uns dieses Gesetz beschlossen haben, das heute nachgebessert werden muss.
So geht es nicht.
({2})
Kollege Kolb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Heil?
Sonst immer gerne, aber ich habe ja noch gar nichts
gesagt.
({0})
Ich möchte noch ein bisschen ausführen. Dann komme
ich gerne darauf zurück.
Ich möchte zu den Punkten, die die Ministerin genannt hat, Regelsatz, Bildungspaket, Mindestlöhne, etwas sagen. Frau Ministerin Schwesig, Sie haben hier gesagt, Sie wollen einen fairen Regelsatz. Ich habe Ihre
Rede aufmerksam verfolgt. Sie haben mit keinem Wort
dargelegt, dass der von uns errechnete Regelsatz, die Erhöhung um 5 Euro, falsch wäre. Ich schließe also aus Ihrer Rede, dass der Regelsatz, wie er von uns vorgelegt
wurde, in Ordnung ist. Das sollten Sie dann hier auch
akzeptieren.
({1})
Sie sagen: Es geht uns um die Bildungschancen von
Kindern. - Dazu kann ich nur sagen: Späte Erkenntnis.
In dem Gesetz, das Rot-Grün damals beschlossen hat,
war von Bildungschancen überhaupt keine Rede.
({2})
Sie hatten vollkommen vergessen, dass es hier einen Bedarf geben könnte.
({3})
Was Sie machen, ist unlauter. Wir wollen heute gemeinsam mit Ihnen im Wege der Nachbesserung beschließen,
dass Kinder aus Hartz-IV-Familien ebenso wie Kinder
aus Familien, die Wohngeld oder Kinderzuschlag erhalten, also alle Kinder in Familien mit niedrigen Einkommen, künftig einen fairen Zugang zu Bildungschancen
haben.
({4})
Das wollen wir. Sie verhindern das, wenn Sie sich heute
der Zustimmung zu unserem Paket verweigern.
({5})
Herr Kollege Kolb, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Kollegen Heil?
Nein, ich werde erst alle drei Punkte vortragen, dann
kann Herr Heil am Schluss gerne nachfragen.
({0})
Sie wissen, dass ich nicht vor Zwischenfragen kneife,
aber heute Morgen möchte ich erst diese drei Punkte benennen.
({1})
Ich halte fest: Der Regelsatz, wie er von uns vorgelegt
wurde, ist offensichtlich in Ordnung, Frau Schwesig.
({2})
Die Bildungschancen hatten Sie vollkommen vergessen;
wir stellen Bildungschancen für Kinder aus Familien mit
niedrigen Einkommen her.
Dann sind wir beim dritten Punkt - da wollen Sie sich
in den Verhandlungen mächtig inszenieren -: Mindestlöhne. Sie sagen, bei diesem Thema hätten sich die FDP
und die Koalition nicht bewegt. Ich will Ihnen sagen:
Wir haben uns in diesem Zusammenhang erheblich bewegt.
({3})
- Ich rede über Mindestlöhne, Herr Heil.
({4})
Wir bieten Ihnen an, im Bereich der Zeitarbeit, in dem
es schon heute einen fast flächendeckenden tariflichen
Mindestlohn gibt,
({5})
zusätzliche Regelungen einzuführen, die sicherstellen,
dass durch die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem
1. Mai 2011 keine Konkurrenz durch ausländische Tarifverträge im Bereich der deutschen Zeitarbeit entstehen
kann; das haben wir Ihnen angeboten. Darüber hinaus
sind wir bereit, Ihnen auf zwei weiteren Feldern entgegenzukommen - das fällt uns nicht leicht; aber wir tun
es, damit es einen Kompromiss geben kann -: bei der
Aus- und Weiterbildung sowie im Wach- und Sicherheitsgewerbe. Hier haben wir uns, wie ich denke, erheblich bewegt. Das, was Sie gefordert haben, ist sichergestellt: dass ein bestimmtes Lohnniveau existiert. In der
Zeitarbeit - ich wiederhole es - ist das ohnehin schon
der Fall.
({6})
Was Sie machen, ist Folgendes: Sie betreiben im
Deutschen Bundestag und im Bundesrat eine Blockadepolitik, so wie es Lafontaine 1997/1998 getan hat. Das
ist verantwortungslos.
({7})
Es ist verantwortungslos, so zu handeln. Es ist verantwortungslos gegenüber den Menschen, die auf eine Erhöhung der Regelsätze warten.
({8})
Es ist verantwortungslos gegenüber den Kindern aus
Hartz-IV-Familien, die einen Anspruch haben, gefördert
zu werden: bei der Ausstattung mit Lernmitteln, beim
Zugang zu Fördermaßnahmen, wenn im Einzelfall Defizite auftreten, und bei der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen und dem Mittagessen in der Schule, also
bei der Integration in die Gemeinschaft. Es geht auch darum, diesen Kindern soziokulturelle Teilhabe zu ermöglichen. All das wollen wir. Durch die sture Blockadepolitik, die Sie betreiben,
({9})
verhindern Sie, dass all dies am heutigen Tage Gesetz
werden kann. Das halte ich für unverantwortlich.
({10})
Ihnen geht es letztlich darum, über den Bundesrat und
über den Vermittlungsausschuss Einfluss auf die Grundlinien der deutschen Politik zu nehmen.
({11})
- Wir haben eine Linie: eine Linie, die dazu geführt hat,
dass wir in Deutschland aktuell ein wahres Beschäftigungswunder erleben, um das uns das Ausland beneidet.
({12})
Deutschland ist schneller als alle anderen Staaten durch
die Krise gekommen.
({13})
Wir wollen diese gute Politik fortsetzen. Wir werden
uns aber nicht von Ihnen dazu verführen lassen, grenzenlos und ausufernd zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Das wäre unverantwortlich. Wir wollen Konsolidierung, wir wollen Wachstum, und wir
wollen Beschäftigungschancen für die Menschen in diesem Land.
Danke schön.
({14})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Hubertus Heil.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kolb, ich will Ihnen sagen: Wer keinen Mut hat, Zwischenfragen zuzulassen, der muss mit einer Kurzintervention rechnen.
({0})
Ich fange mit dem, was Sie zum Schluss gesagt haben, an. Sie führten aus, wie Deutschland durch die
Krise gekommen ist und warum die Situation am deutschen Arbeitsmarkt besser ist als in anderen Ländern.
Herr Kolb, das hat mit Ihnen gar nichts zu tun.
({1})
Sie haben gegen jede Maßnahme gestimmt, die wir ergriffen haben, um Deutschland besser durch die Krise zu
führen. Sie haben gegen Olaf Scholz und Peer
Steinbrück agitiert, die zusammen mit Frank-Walter
Steinmeier die Erfinder der Konjunkturpakete und der
Kurzarbeit waren. Die FDP war die Dagegen-Partei,
Herr Kolb.
({2})
Zweitens, Herr Kolb. Sie haben vorhin wahrheitswidrig behauptet, mit den Arbeitsmarktreformen der rotgrünen Bundesregierung seien keine Maßnahmen im
Bildungsbereich verbunden gewesen. Herr Kolb, das
stimmt nicht. Wir haben damals ein Bildungspaket auf
den Weg gebracht und 4 Milliarden Euro in Ganztagsschulen investiert. Auch da waren Sie dagegen.
({3})
Jetzt komme ich zum zentralen Punkt, Herr Kolb. Sie
persönlich müssen sich fragen, welche Verantwortung
Sie dafür haben, dass die schwarz-gelbe Seite die Verhandlungen am vergangenen Donnerstag vorerst abgebrochen hat.
({4})
Sie waren es, der sich, als es um die Zeit- und Leiharbeit
und um Mindestlöhne ging, einen zweifelhaften Spitznamen verdient hat.
({5})
Wissen Sie, wie Sie bei uns mittlerweile genannt werden? Gromyko.
({6})
Sie saßen nämlich nur da und sagten im Stile eines sowjetischen Kremlministers immer wieder Nein bzw. Njet.
({7})
Sie waren es, der die ganze Regierung in Geiselhaft genommen und sich nicht bewegt hat.
({8})
Mit der CDU/CSU wären wir bei der Zeit- und Leiharbeit schon längst zu einer Lösung gekommen. Sie haben die Koalition festgenagelt. Sie haben Placebo-Mindestlöhne angeboten; das stimmt. Sie haben aber gesagt,
die Koalition dürfe sich beim Thema „Missbrauch von
Zeit- und Leiharbeit“ und deren Bekämpfung nicht bewegen.
Die FDP war es, die die Koalition neun Monate festgenagelt hat. Sie verweigern den Menschen ein Leben
nach dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
({9})
Die FDP ist die Blockade- und Dagegen-Partei. Das ist
die Wahrheit, Herr Kolb.
Wir wollen bessere Bildungschancen für Kinder. Wir
brauchen einen fairen Regelsatz, der verfassungsfester
ist als das, was Sie vorgelegt haben, und wir brauchen
Hubertus Heil ({10})
Fortschritte bei den Mindestlöhnen, die den Grundsatz
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ berücksichtigen.
Weil wir etwas für die Menschen herausholen wollen,
wird Kurt Beck im Bundesrat das Angebot machen, weiter zu verhandeln. Ich sage Ihnen mit Herbert Wehner,
Herr Kolb: Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen. - Sie sind rausgegangen. Kommen Sie wieder rein.
Dann kommen wir auch zu Lösungen.
Herzlichen Dank.
({11})
Kollege Kolb, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Herr Kollege Heil, ich habe Verständnis dafür, dass
Sie sich im Wege der Kurzintervention an mich wenden.
Schließlich haben Sie von Ihrer Fraktion keine Redezeit
bekommen.
({0})
Zum Stichwort „Gromyko“. Da, wo einem die Argumente ausgehen, fangen die Beleidigungen an. Ich stelle
fest, Herr Kollege Heil: Ihnen sind die Argumente ausgegangen.
({1})
Sie sagen, wir seien die Dagegen-Partei. Ich halte dagegen:
({2})
Als wir in die Regierung eingetreten sind, sind wir mit
dem, was Sie als Große Koalition beschlossen hatten,
sehr verantwortungsvoll umgegangen. Wir haben die
Kurzarbeitsregelung, die Sie auf den Weg gebracht hatten, verlängert, da wir dies in der vor einem Jahr noch
bestehenden Krisensituation für angemessen und vertretbar hielten. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz
haben wir der Konjunktur einen zusätzlichen Anstoß gegeben.
({3})
Es hat doch einen Grund, dass das Wachstum in
Deutschland im letzten Jahr mit 3,6 Prozent deutlich höher ausgefallen ist als in allen anderen EU-Staaten. Im
Gegensatz zu anderen Regierungen hat diese Regierung
gehandelt.
({4})
Da haben Sie sich verweigert. Da waren Sie die Dagegen-Partei. Sie haben nicht gesehen, dass es notwendig
ist, eine aufkeimende Konjunktur zu wässern, damit sie
gedeihen kann und damit Arbeitsplätze entstehen. Der
Erfolg gibt uns recht; das will ich hier sehr deutlich sagen.
Zum Schluss: Sie bringen immer das Argument, wir
seien beim Thema Zeitarbeit nicht dabei. Ich will dazu
Folgendes sagen: Als Anfang letzten Jahres ein großes
deutsches Einzelhandelsunternehmen mit Praktiken auf
dem Markt versuchte, Stammbelegschaften durch Zeitarbeiter zu ersetzen, waren es der Kollege Schiewerling
und ich von der Koalition, die sofort gesagt haben: Das
werden wir nicht mittragen. Dem schieben wir einen
Riegel davor.
({5})
Als Sie sich noch mit dem Thema „Mindestlöhne in
der Zeitarbeitsbranche“ beschäftigt haben, war es die
FDP, die gesagt hat, dass das wichtigere Thema die
Frage des Equal Pay sei, also die Heranführung der Entlohnung von Zeitarbeitern an die von Stammbelegschaften.
({6})
Was uns allerdings unterscheidet - Sie von mir, Herr
Heil, aber wahrscheinlich auch Ihre Fraktion von meiner
Fraktion -, ist, dass wir die Zeitarbeit als Brücke in den
ersten Arbeitsmarkt nicht kaputtmachen wollen. Sie allerdings wären bereit gewesen, dies sehenden Auges in
Kauf zu nehmen.
({7})
Diesbezüglich haben wir uns verweigert. Insofern haben
Sie an der Stelle recht.
Insgesamt kann man sagen, dass wir sehr verantwortlich gehandelt haben. Die Koalition ist in diesen Verhandlungen geschlossen gewesen.
({8})
Sie hat gemeinsame Angebote unterbreitet und ist an die
Grenze des finanziell Verantwortbaren gegangen. Es
liegt ein sehr gutes Angebot auf Ihrem Tisch. Sie sollten
sich überwinden, Ihr Herz über die Hürde werfen, und
diesem Paket zustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat nun Dagmar Enkelmann für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das, was wir in den letzten Wochen im Vermitt10254
lungsausschuss erlebt haben, war ein unwürdiges Gefeilsche und Geschacher.
({0})
Das, was jetzt hier stattfindet, sind politische Schaukämpfe.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben
offenkundig kalte Füße gekriegt. Sie wollen den Vermittlungsausschuss vor der Entscheidung im Bundesrat
erneut anrufen. Sie stecken gemeinsam mit den Grünen
nach wie vor in der Hartz-IV-Falle, und Sie sind nicht
bereit, sich aus dieser Falle zu befreien.
({1})
Das Schlimme daran ist allerdings, dass das auf dem Rücken von Langzeitarbeitslosen, auf dem Rücken von
Menschen, die für einen Hungerlohn arbeiten und auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind, und auf
dem Rücken von Kindern und Jugendlichen, die in
Hartz-IV-Familien leben, ausgetragen wird. Das ist schäbig.
({2})
Es geht hier nicht um Sieg oder Niederlage, es geht auch
nicht um Paragrafen. Es geht hier um 6,7 Millionen
Menschen, um 2,5 Millionen Kinder. Wie Sie mit dem
Schicksal dieser Menschen umgehen, ist eine Schande.
({3})
Haben Sie sich schon einmal mit Betroffenen unterhalten? Sie von der FDP haben das wahrscheinlich nicht
getan; Sie sehen ja bei jedem Hartz-IV-Empfänger spätrömische Dekadenz. Sie von den Christlich-Sozialen
und den Christdemokraten, haben Sie sich einmal mit
Menschen unterhalten, die unter solchen Bedingungen
leben müssen? - Ich habe bei Matthäus etwas Schönes
gefunden:
Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt - das ist alles, was das
Gesetz und die Propheten fordern.
({4})
Wollen Sie so behandelt werden, wie Sie Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger behandeln?
({5})
Wissen Sie, wie sich diejenigen fühlen, die zum Beispiel am Ende eines Quartals auf einen notwendigen
Arztbesuch verzichten, weil sie die Praxisgebühr nicht
zahlen können? Wissen Sie, wie sich diejenigen fühlen,
die zum Beispiel wegen der Zuzahlung auf notwendige
Arzneien verzichten? Wissen Sie, wie es einer Mutter
geht - ich weiß nicht, ob Sie einmal ein Gespräch mit einer alleinerziehenden Mutter geführt haben -, die ihrem
Kind nicht gestattet, zur Geburtstagsfeier des Klassenkameraden zu gehen, und zwar nicht, weil sie ihrem
Kind das nicht gönnt, sondern weil sie die Sorge hat,
dass daraus Erwartungen entstehen, ebenfalls eine solche Geburtstagsparty auszurichten, was im Budget aber
nicht vorgesehen ist?
Erinnern wir uns: Das Bundesverfassungsgericht hat
vor mehr als einem Jahr die Berechnung der Hartz-IVRegelsätze für verfassungswidrig erklärt; das war eine
schallende Ohrfeige für alle Hartz-IV-Parteien in diesem
Parlament. Es hat dem Gesetzgeber den Auftrag gegeben, Transparenz herzustellen und für die Sicherung der
physischen Existenz und eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sorgen. Diese Aufgabe stand im Zentrum des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, und diese Aufgabe ist bis heute nicht
erfüllt.
({6})
Ich behaupte, dass zu keinem Zeitpunkt wirklich gewollt war, eine verfassungskonforme Regelung zu finden. Gewollt war auch nicht, dass die Linke mit dabei
ist. Das ist verständlich; denn die Linke war von Anfang
an gegen Hartz IV. Sie hat gesagt: Das ist Armut per Gesetz. Dieses Gesetz ist verfassungswidrig. - Die Linke
hat vom Verfassungsgericht recht bekommen.
({7})
Per Mehrheitsentscheidung im Vermittlungsausschuss
hat man dann zunächst verhindert - und zwar Sie alle -,
dass die Linke in der Arbeitsgruppe mitarbeiten darf.
({8})
Herr Altmaier, dank des Bundesverfassungsgerichts - mal
wieder das Bundesverfassungsgericht - mussten Sie
dann doch dem Grundgesetz Genüge tun; es hat Sie darauf aufmerksam gemacht. Die Linke war dann bis zum
19. Januar 2011 mit dabei.
({9})
Die Linke hat in der Arbeitsgruppe und in den Unterarbeitsgruppen mitgearbeitet, und wir haben Ihnen den
Spiegel vors Gesicht gehalten. Wir haben massenhaft
Material, Unterlagen und Forderungen in die Beratungen
eingebracht. Darunter war unter anderem eine Berechnung des Statistischen Bundesamtes. Darin wurden die
verdeckt Armen herausgerechnet und eine Referenzgruppe nicht der unteren 15 Prozent der Einkommen,
wie Sie es wollten, sondern der unteren 20 Prozent der
Einkommen gebildet. Allein bei dieser Berechnung
kommt das Statistische Bundesamt auf einen Regelsatz
von 392 Euro. Das ist deutlich mehr, als Sie von CDU/
CSU und FDP anbieten, und übrigens auch deutlich
mehr, als das, was die SPD anbietet. 11 Euro sind genauso ein Schlag ins Gesicht der Langzeitarbeitslosen.
({10})
Wir haben Ihnen eine Studie des Forschungsinstituts
für Kinderernährung in Dortmund vorgelegt. Darin geht
es um die Kosten einer gesunden Ernährung für Kinder
und Jugendliche. Diese Studie kommt zu folgendem Ergebnis - ich zitiere, Herr Präsident -:
Bei den 10- bis 12-Jährigen reichen die Regelsätze
nicht für eine mittlere körperliche Aktivität; ebenso
wie für die 13- bis 14-Jährigen und die 15- bis
18-jährigen Jungen unabhängig vom Aktivitätsniveau.
Das heißt, das, was Sie als Regelsatz vereinbart haben,
reicht nicht, um Kinder und Jugendliche gesund zu ernähren. Das ist ein Skandal.
({11})
Das war aber für Sie kein Thema in den Verhandlungen.
Die Linke hat Vorschläge eingebracht, wie man zu einem verfassungskonformen Regelsatz kommen kann.
Wir haben vorgeschlagen, die Referenzgruppe von
15 Prozent auf 20 Prozent zu vergrößern und die Aufstocker und die verdeckt Armen herauszurechnen. Wir haben darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, die Zusammensetzung des Regelsatzes generell zu prüfen.
Teilhabe heißt zum Beispiel Mobilität. Das ist mit
18 Euro im Monat nicht zu machen.
({12})
Teilhabe heißt auch gesunde Ernährung. Ich finde, zur
Teilhabe gehören auch Schnittblumen. Wenn ich auf einen Geburtstag eingeladen bin, nehme ich wenigstens einen Strauß Blumen mit. Das wollen Sie Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern untersagen. Richtig ist:
Wenn man alles zusammengerechnet, dann kommt man
auf einen Regelsatz von 500 Euro. Das ist eine Forderung der Linken.
({13})
Aber Sie waren nicht einmal bereit, darüber zu reden.
Kritik gibt es auch vom Behindertenbeauftragten der
Bundesregierung. Auch das ist einmalig. Herr Hüppe hat
die Kürzung des Regelsatzes bei behinderten nichterwerbstätigen Erwachsenen um 20 Prozent kritisiert. Es
ist schlicht und ergreifend menschenunwürdig, ausgerechnet bei denen zu kürzen, die ohnehin schon in dieser
Gesellschaft benachteiligt sind.
({14})
Die Linke hat in der Arbeitsgruppe und in den Unterarbeitsgruppen immer wieder gemahnt. Das hat Sie in
Ihren Kungelrunden gestört. Deshalb haben Sie einen
Trick angewendet: Sie haben aus der formellen Arbeitsgruppe eine informelle Arbeitsgruppe gemacht. Damit
haben Sie die Linke aus den weiteren Verhandlungen in
Ihren Kungelrunden herausgehalten.
Besonders verwerflich finde ich etwas, das in den
ganzen Debatten keine Rolle gespielt hat. Das Verfassungsgericht hat gefordert, dass der Regelsatz für Kinder
und ihr tatsächlicher Bedarf eigenständig berechnet werden müssen. Das Verfassungsgericht hat Ihnen Willkür
vorgeworfen. Ein Kind ist nicht mit 60 Prozent eines Erwachsenen gleichzusetzen. Das haben Sie in den Verhandlungen völlig ignoriert.
({15})
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident. Bei
den anderen waren Sie etwas großzügiger, bei mir natürlich nicht. Das ist klar.
Nein. Entschuldigen Sie, Frau Kollegin, ich habe die
Uhr genau im Blick. Deswegen ist es unverschämt, so zu
reagieren.
({0})
Es ist mir klar, dass Sie da Beifall klatschen.
Die Linke ist vor die Tür gesetzt worden. Sie wird
aber weiter an der Seite der Hartz-IV-Betroffenen kämpfen. Wir werden Sie weiter daran erinnern, was vom Verfassungsgericht vorgegeben wird.
({0})
Dieses Gesetz wird schneller beim Verfassungsgericht
landen, als Sie es ahnen.
({1})
Frau Kollegin Enkelmann, ich will Ihnen kurz mitteilen: Sie hatten sieben Minuten Redezeit; Sie haben diese
um anderthalb Minuten überschritten. So viel zu Ihrer
Behauptung, ich wäre nicht großzügig genug.
Das Wort hat nun Kollegin Renate Künast von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, in der bisherigen Debatte hat man eines gemerkt,
nämlich dass die Regierung noch nicht verstanden hat,
was das Wesen eines Vermittlungsverfahrens in
Deutschland ist.
({0})
Wenn man keine Mehrheit hat, gehört es zu einem
Vermittlungsverfahren, auf die andere Seite zuzugehen
und Mehrheiten zu bilden.
({1})
- Nein. Wer als Bundesregierung für seine Vorhaben und
Vorlagen keine Mehrheit hat, muss im deutschen Vermittlungsverfahren auf die Opposition und die Bundesländer zugehen, um eine Mehrheit herzustellen. Das erwarten wir und das erwartet das ganze Land von einer
Bundeskanzlerin.
({2})
Das haben Sie offensichtlich nicht verstanden, Frau
Merkel. - Offensichtlich hat sie es auch gar nicht nötig,
hier zu sitzen. Angesichts der Größe der Aufgabe auch
ein beachtlicher Vorgang!
({3})
Wir, Jürgen Trittin und ich, haben Ihnen als Grüne bereits im Dezember des letzten Jahres geschrieben, Frau
Merkel: Wir wollen mit Ihnen über die Frage der Umsetzung reden. - Da war schon fast ein Jahr vergangen;
denn das Urteil ist vom 9. Februar 2010. Wir haben gesehen, dass Frau von der Leyen es nicht kann. Ihnen,
Frau Bundeskanzlerin, mache ich hier und heute den
Vorwurf, dass Sie das ein Jahr lang haben treiben lassen.
Das ist die Feststellung. Sie haben sich nicht für das Soziale, haben sich nicht für die Kinder engagiert.
({4})
Ein Jahr lang haben Sie es treiben lassen, und an diesem Dienstag haben Sie es dann - das war offensichtlich
Ihr größtes Missverständnis - mit Basta-Politik versucht
und schon nachmittags angekündigt, dass abends nichts
dabei herauskommt. Wir haben das genau verstanden.
Ich will Ihnen an dieser Stelle aber eines sagen: Es ist ersichtlich, dass Frau von der Leyen das nicht kann. Frau
von der Leyen hat ein Jahr lang das Urteil vor sich hergeschoben. In diesem Urteil wird eine transparente Berechnung gefordert. Da kam sie mit einer Berechnung
nach Kassenlage. In dem Urteil ist von der Ermittlung
des tatsächlichen Bedarfs die Rede. Da kam sie mit Kassenlage und rechnerischen Tricksereien. In dem Urteil
heißt es: Die Kinder haben einen Anspruch auf Förderung. Sie hätten mit uns schon im Februar oder März
letzten Jahres diskutieren können, wie man das technisch
macht. Stattdessen haben Sie den Vorschlag über die
Jobcenter unterbreitet; die Kommunen mussten die
weiße Fahne der Kapitulation hissen, weil das nicht
ging. Sie haben es handwerklich miserabel gemacht,
Frau von der Leyen, und auch deshalb hat es so lange gedauert.
({5})
Frau von der Leyen erzählt gern, was so alles in diesem Paket drin ist. Entschuldigen Sie bitte, aber Sie haben vergessen, dass die Menschen zum Waschen auch
warmes Wasser brauchen. Sie haben einen Vorschlag
zum Mittagessen gemacht, bei dem davon ausgegangen
wurde, dass in einem Drittel der Schulen, also dort, wo
es Kantinen und Mittagessen für Kinder gibt, die Kinder
das Essen finanziert kriegen. Aber sobald ein Kind aus
der Grundschule in den Hort geht, kriegt es kein Mittagessen mehr. Und da haben sie die Chuzpe, sich mit ausgebreiteten Armen als Engel der Kinder hinzustellen? Nein, das war handwerklich miserabel. Sie haben die
Zeit verplempert.
({6})
Ich weiß doch, wie oft Fritz Kuhn mit neuen Zetteln kam
und sagte: Wir haben wieder einen Fehler gefunden.
Wir haben noch einen Fehler gefunden. Sie, Frau
Merkel, haben zugelassen, dass die FDP kam und vorschlug „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit nach neun Monaten“. Meine Damen und Herren, was soll man mit
gleichem Lohn für gleiche Arbeit ab neun Monaten,
wenn der Vertrag gar keine neun Monate dauert?
({7})
Das ist Ihnen nicht einmal peinlich.
Ich sage Ihnen: Das war im Großen und Ganzen ein
verplempertes Jahr. Sie haben einen Vorschlag gemacht,
von dem Jürgen Borchert, der Richter am Landessozialgericht Hessen, der das Bundesverfassungsgericht deswegen angerufen hat, schon damals gesagt hat: Die alten
Regelsätze sind willkürlich. Zu Ihrem heutigen Vorschlag und Ihrem VA-Ergebnis sagt er: Der Gesetzgeber
läuft mit diesem Entwurf erneut ins offene Messer. - Sie
werden uns nicht dazu bringen, für so etwas zu stimmen.
({8})
Da können Sie hier noch so engelsgleich stehen. Es ist
unsere Pflicht, nicht einfach zu sagen: „Ist mir doch
egal; dann schicken wir es wieder nach Karlsruhe“, sondern verfassungsgemäße Entwürfe zu machen. Dazu haben wir Ihnen wiederholt Vorschläge gemacht.
({9})
Sie sagen hier der Stimmung wegen, Mindestlöhne
hätten in solchen Verhandlungen gar nichts zu suchen,
das sei sachfremd. Ich weiß nicht, ob das an der Stelle
eiskalte Kalkulation ist oder Sie es selber wirklich nicht
wissen.
({10})
Ich weiß nur, was Herr Laumann sagt, Ihr Mann in
NRW, liebe CDUler. Er sagt heute - das geht gerade
über die Ticker -: Die Verantwortung für das Scheitern
hat die FDP. Er sagt weiter ganz klar: Wer solche Vorschläge macht, wenn es um Mindestlöhne und das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ geht, ist entweder
böswillig oder hat keine Ahnung.
({11})
Ich rufe von hier aus Herrn Laumann in NRW zu: Beides
trifft zu. Sie sind böswillig und haben keine Ahnung,
meine Damen und Herren von der Koalition.
({12})
Warum haben wir entsprechende Vorlagen zu Mindestlöhnen und Regelsätzen in das Gesetzgebungsverfahren - schon im Bundestag - eingebracht? Weil
Mindestlöhne und Regelsätze auf das Engste zusammengehören. Wenn sich die Regelsätze an den untersten Einkommen orientieren; dann dürfen diese Löhne nicht weiter sinken. Sonst rechnen wir uns zwangsweise immer
weiter nach unten. Aber genau das wollten Sie. Sie kommen dann zwangsweise zu dem Punkt, an dem die Existenzsicherung durch die Regelsätze überhaupt nicht
mehr möglich ist. Deswegen sagen wir Nein zu solchen
Spielchen.
({13})
Mindestlöhne sind auch deshalb wichtig, weil es inakzeptabel ist - zumindest für uns -, dass der Staat Billiglöhne, die die Menschen aufgrund des Lohndumpings
bekommen, aufstocken muss, dass also wir seitens des
Staates gezwungen sind, die Folgen des Lohndumpings
der Firmen mit Steuermitteln auszugleichen. Meine Damen und Herren von der Union, das ist nicht christlich.
Deshalb stimmen wir dem nicht zu.
({14})
Ihr Angebot an die Kommunen ist vergiftet; denn Ihr
Gesetzentwurf enthält keine korrekte Berechnung der
Kosten der Unterkunft und sieht vor, dass der Bundesagentur für Arbeit 4 Milliarden Euro bei den Arbeitsmaßnahmen gestrichen werden. Sie von der CDU/CSU
und insbesondere Frau Merkel sagen immer: Hartz IV
soll eine Brücke sein. - Ich stelle mir das so vor: Du
gehst als Hartz-IV-Bezieher über die Brücke. In der
Mitte sollen die Wiedereingliederung und die Qualifizierung für Arbeit passieren. In der Mitte sollen die Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit wirken. Aber in
der Mitte nehmen Sie die Bretter aus der Brücke heraus,
indem Sie Geld abziehen.
({15})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dem können wir nicht zustimmen. Wir brauchen das
Geld für Bildung und Weiterbildung.
Frau Bundeskanzlerin, schön, dass Sie mir schon wieder den Rücken zukehren. Ich weiß aber immerhin, wo
Sie sind.
({0})
Ich fordere Sie auf, Frau Merkel: Konzentrieren Sie sich
auf das Wesen des deutschen Vermittlungsverfahrens! Es
ist Ihre Aufgabe - vielleicht werden Sie damit noch
groß; ich gönne es Ihnen im Interesse des Landes -, im
Vermittlungsausschuss ein Ergebnis zu erzielen.
Frau Kollegin!
Wir sind dazu bereit. Wir haben bereits gestern beschlossen, im Bundesrat einen Antrag auf erneute Anrufung des Vermittlungsausschusses zu stellen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Es muss doch möglich sein, trotz Regierungsbeteiligung der FDP die Zukunft des Landes zu gestalten.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Max Straubinger für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
erleben heute ein Schauspiel von Rot-Grün und den Linken. Sie zeigen eine große Verweigerungshaltung gegenüber den bedürftigen Menschen in unserem Land.
({0})
Wir als Koalition haben ein Gesetzgebungsverfahren in
Gang gesetzt, weil uns letztendlich das Bundesverfassungsgericht aufgetragen hat, ein rot-grünes Gesetz zu
reparieren und das Ganze in die richtigen Bahnen zu lenken. Aber Sie zeigen eine Blockadehaltung und weigern
sich, Ihre damaligen Fehler zu korrigieren.
({1})
Diese Bundesregierung hat mit Frau Bundesministerin von der Leyen an der Spitze erstmals ein Bildungsund Teilhabepaket für die Unterstützung bedürftiger
Kinder verabschiedet; wir haben das kreiert. Aber Sie
verweigern den Kindern die nötige Unterstützung für die
Zukunft und für die schulische Ausbildung.
({2})
Wir haben gesetzeskonforme Regelsätze erarbeitet, die
nachvollziehbar und transparent gestaltet sind sowie den
Lebensbedürfnissen der Menschen gerecht werden.
({3})
Auch dies ist unser Auftrag gewesen. Sie verweigern
aber den Bürgerinnen und Bürgern, die auf Unterstützung und staatliche Leistungen angewiesen sind, die Erhöhung der Regelsätze um 5 Euro pro Monat.
({4})
Sie sind letztendlich die Verweigerer in unserem
Land.
({5})
Niemand in unserem Land kann verstehen, dass der
Regelsatz von 345 Euro richtig gewesen sein soll, weil
er von SPD und Grünen kreiert worden ist, aber dass ein
Regelsatz von 364 Euro, der von CDU, CSU und FDP
gemeinsam erarbeitet worden ist, falsch sein soll. Das
kann meines Erachtens nicht sein. Das werden die Bürgerinnen und Bürger, auch wenn Sie ein noch so großes
Wahlkampfgetöse veranstalten, nicht begreifen.
({6})
Es ging bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts darum, dass wir transparente Regelsätze ermitteln.
Dies haben wir getan. Deshalb sind Sie aufgefordert,
dem zuzustimmen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Strengmann-Kuhn?
Ja.
Herr Kollege Straubinger, Sie waren doch selber bei
der Anhörung im Ausschuss und haben die Aussagen der
Experten gehört, die, was die Juristen angeht, eindeutig
gesagt haben, dass dieser Regelsatz nicht den Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Ich könnte
lange nachbeten - das haben wir im Ausschuss lange genug gemacht -, an welchen Punkten Sie teilweise willkürliche Berechnungen durchgeführt haben, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht genügten
und somit verfassungswidrig waren. Ich weiß nicht, warum Sie hier versuchen, die Bevölkerung für dumm zu
verkaufen, obwohl Sie wissen, dass dieser Regelsatz
nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht.
({0})
Herr Borchert, einer der Experten, ist eben zitiert
worden. Es waren aber noch mehrere anwesend, die genau dasselbe gesagt haben. Sie rennen wieder in ein offenes Messer. Die Regelung wird wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden. Sie haben im
Vermittlungsverfahren keinen einzigen Vorschlag gemacht, wie der Regelsatz verfassungsgemäß gestaltet
werden kann. Das aber stand im Zentrum des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts. Sie verstoßen sehenden Auges gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und
damit gegen die Verfassung. Das werfen wir Ihnen vor.
Wenn Sie sich da nicht bewegen, dann kommen wir
nicht zusammen.
({1})
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, diese Eindeutigkeit
konnten wir bei der Anhörung in keiner Weise feststellen.
({0})
- Natürlich. - Im Gegenteil, unsere Darlegung der Regelsätze wurde untermauert. Dass diese Berechnung verfassungskonform ist, war die Ansicht, die bei den Anhörungen geäußert wurde. Während der Verhandlungen im
Rahmen des Vermittlungsverfahrens haben weder die
SPD noch die Grünen oder die Linke uns darlegen können, dass die Sätze nicht verfassungskonform ermittelt
worden wären.
({1})
Das ist die Wahrheit. Deshalb sind Sie die Verweigerer
und Blockierer in unserem Land.
({2})
- Herr Strengmann-Kuhn, ich bin noch nicht fertig.
Die Erhöhung um 6 Euro, die Sie anstreben, hat in
keiner Weise mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben
zu tun. Ihre Darlegungen sind falsch. Bei den Regelsätzen muss man auch sehen, dass die kleinen Leute diese
zu bezahlen haben.
({3})
Wenn Sie 6 Euro mehr fordern, dann bedeutet das fast
500 Millionen Euro mehr, die die Verkäuferin, die Arzthelferin und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
mit kleinen Einkommen mit ihren Beiträgen und Steuern
zu berappen haben, die jeden Tag früh aufstehen müssen
und arbeiten.
({4})
Dies zeigt sehr deutlich: Sie machen eine Politik gegen den kleinen Mann in unserem Land. Sie sind die Unterstützer der Menschen, die möglicherweise nicht jede
Arbeit annehmen wollen.
({5})
Wir arbeiten daran, dass jeder in Arbeit kommt. Wir haben Erfolge zu verzeichnen. Unter Rot-Grün hatten wir
5 Millionen Arbeitslose und Bedürftige, jetzt sind es nur
noch 3 Millionen mit fallender Tendenz. Das ist der Erfolg der Bundesregierung unter Angela Merkel.
({6})
Das Entscheidende ist, dass wir die Leute in Arbeit
bringen. Nicht die Alimentierung über Steuergelder ist
das Entscheidende, sondern die Schaffung von Arbeitsplätzen. Daran arbeiten wir. Sie haben sich zum Beispiel
einer Erhöhung des Kindergeldes zum 1. Januar verweigert; damit wären die Familienleistungen verstärkt worden. Sie haben sich steuerlichen Erleichterungen verweigert.
({7})
Alle diese Maßnahmen, die wir zum 1. Januar 2010 in
Gang gebracht haben, haben dazu geführt, dass im Jahr
2010 ein Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent erreicht
worden ist, viele Arbeitsplätze in unserem Land geschaffen wurden und die Langzeitarbeitslosigkeit abgebaut
werden konnte, wodurch die Menschen in unserem Land
weniger auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Das
ist der Erfolg unserer Bundesregierung.
({8})
Wenn Sie im Zusammenhang mit dem Vermittlungsverfahren Mindestlöhne einfordern, dann muss ich Ihnen
sagen: Wir haben dafür gekämpft, dass es mehr Mindestlöhne in unserem Land gibt,
({9})
dass 3 Millionen Menschen in verschiedenen Branchen
auf Lohnuntergrenzen setzen können. Wir sind auch bereit, das bei der Zeitarbeit in Gang zu setzen. Aber Sie
verweigern sich heute einer Umsetzung der Lohnuntergrenzen in der Zeitarbeit.
({10})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Pronold?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Straubinger, Ihr Ministerpräsident und
Parteivorsitzender hat im Januar in aller Öffentlichkeit
und auch gegenüber dem DGB in Bayern versprochen,
dass er sich mit aller Kraft dafür einsetzen - und auch
die FDP überzeugen - wird, dass die Zeitarbeit so reguliert werden soll, dass nach einer Zeit von vier Wochen
das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ zum Tragen kommt.
({0})
Warum stehen Sie heute nicht mehr zu dem Versprechen,
das der CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer gegeben
hat? Warum haben Sie das in den Verhandlungen nicht
durchgesetzt?
({1})
Herr Kollege Pronold, erstens ist mir diese Aussage
des bayerischen Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden nicht bekannt.
({0})
Zweitens setzen wir in dieser Frage auf die Tatkraft der
Tarifpartner. Die Tarifpartner haben zum Beispiel in der
Stahlbranche erreicht, dass bereits ab dem ersten Tag
Equal Pay für den Einsatz von Zeitarbeitnehmerinnen
und -arbeitnehmern gilt. Wir sind auch überzeugt, dass
letztendlich die Tarifpartner in freier Tarifvereinbarung
Verbesserungen mit erarbeiten werden, auch in puncto
Equal Pay, gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Ich verstehe
Sie nicht,
({1})
die Sie doch immer auch Gewerkschaftsvertreter sein
wollen, dass Sie letztendlich den Gewerkschaften ihr
Verhandlungsmandat nehmen wollen; denn das wäre ja
die Konsequenz Ihres Handelns.
({2})
Das darf nicht sein. Wir sind überzeugt, dass wir mit tatkräftigen Arbeitnehmervertretern besondere Löhne vereinbaren können. Wir sind nicht für Mindestlöhne, sondern wir sind für hohe Löhne für die Menschen in
unserem Land.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schlecht von der Linksfraktion?
Bitte schön. Ich bin immer zur Aufklärung bereit.
Herr Kollege Straubinger, zwei Punkte. Erstens. Können Sie sich, nachdem in den letzten zehn Jahren die gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten durch politische Maßnahmen gerade durch Sie in erheblicher Weise
beeinträchtigt worden sind - durch Befristungen, Leiharbeit und Minijobs und vor allen Dingen durch die hier
zur Debatte stehenden Hartz-IV-Regelungen -, wirklich
vorstellen, dass es möglich sein sollte, die Leiharbeit tarifpolitisch zu regulieren? Denn gerade durch die gesetzlichen Regulierungen sind den Gewerkschaften schwere
Knüppel zwischen die Beine geworfen worden.
({0})
Heute hier zu sagen, dass man jetzt noch ein Jahr warten
solle und dass dann die Gewerkschaften das bitte schön
regulieren mögen,
({1})
ist hochgradig zynisch.
({2})
Die zweite Frage.
({3})
Sie haben ein Jahr gebraucht, um den heutigen Stand zu
erreichen, und es ist nichts dabei herausgekommen. Sie
haben jetzt wochenlang im Vermittlungsausschuss zusammengesessen. Bei der Bankenkrise hingegen, Ende
2008, haben Sie innerhalb von einer Woche ein riesiges
Rettungspaket für die Banken auf den Weg gebracht.
Finden Sie es nicht auch hochskandalös,
({4})
dass damals, als es um die Banken ging, alles in fünf,
sechs Tagen möglich war, während jetzt auch nach einem Jahr noch nichts herausgekommen ist? Herauskommen müsste ein Regelsatz von 500 Euro; denn das ist der
einzige Regelsatz, der sich aufgrund der Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts errechnen lässt und der darüber hinaus menschenwürdig ist.
({5})
Dass die Linken in unserem Land gerne Pi mal Daumen rechnen und die Regelsätze nicht nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts berechnen, ist bekannt. Aber das müssen die kleinen Leute bezahlen, die
Sie hier nicht vertreten.
({0})
Nicht wir haben ein Jahr lang gebraucht, sondern es
war vorher bekannt, dass die Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erst im September bzw.
Oktober vorliegen werden. Wir haben den Auftrag des
Bundesverfassungsgerichts, diese Regelsätze transparent
und vollziehbar zu ermitteln. Deshalb war es notwendig,
abzuwarten, bis die statistischen Erhebungen vorlagen.
({1})
Man kann deshalb nicht behaupten, wir hätten zu lange
gebraucht, sondern es gab die Vorgabe - die noch von
den früheren Arbeitsministern der SPD stammte -, Daten auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zu ermitteln.
({2})
- Bleiben Sie ruhig stehen!
({3})
Sie haben zwei Fragen gestellt. Ich habe erst eine beantwortet.
({4})
Sie werfen uns vor, dass wir zu lange gebraucht hätten, um die Regelsätze zu ermitteln, und jetzt weitere
sieben Wochen verhandelt haben. Ich sage Ihnen: Es gehört zu Verhandlungen dazu, dass sich beide Seiten bewegen.
({5})
Wir haben uns bewegt: Beim Bildungs- und Teilhabepaket haben wir fast über 400 Millionen Euro zusätzlich
zur Verfügung gestellt, damit die Kommunen die Vorhaben umsetzen können. Wir waren bereit, einen Mindestlohn für den Bereich Aus- und Weiterbildung zu kreieren. Wir sind bereit für die Zeitarbeit.
({6})
Wir sind bereit, eine Mindestlohngrenze für das Wachund Sicherheitsgewerbe festzulegen. Wir haben uns in
den entscheidenden Fragen bewegt, aber auch die gesammelte linke Opposition muss sich bewegen, statt zu
versuchen, ihren gesamten Forderungskatalog durchzusetzen.
Wenn Sie darauf anspielen, dass wir innerhalb kürzester Zeit den Sparerinnen und Sparern unter die Arme gegriffen haben:
({7})
Das Bankensystem zu retten, war eine wichtige Aufgabe
für die Sparerinnen und Sparer in unserem Land, und
zwar nicht wegen der Banken, sondern es ging darum,
dass die Ersparnisse der Menschen sicher sind.
({8})
Ich bin noch bei der ersten Frage. - Sie werfen uns
vor, dass wir durch die Lösung der Probleme der Zeitarbeit oder anderer Arbeitsverhältnisse die Gewerkschaften ihrer Gestaltungsmöglichkeit beraubt hätten,
dabei haben SPD-Minister die Befristungen und andere
Maßnahmen beschlossen. Wir haben gar nichts verändert. Sie müssen sich also an die Kolleginnen und Kollegen der SPD wenden und nicht an uns.
({9})
Verehrte Damen und Herren, in all den Wahlkämpfen,
die vor uns liegen,
({10})
werden Sie nicht bestehen können, wenn Sie sich darauf
kaprizieren, hohe Regelsätze zu haben. Ich bin überzeugt,
den Menschen ist es wichtig, in Arbeit zu kommen. Das
werden wir mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an der
Spitze, mit unserer Bundesarbeitsministerin und dem
Bundeswirtschaftsminister tatkräftig umsetzen, um die
soziale Lage der Menschen in unserem Land zu verbessern.
Sie hätten heute im Bundesrat die Chance gehabt
- möglicherweise haben Sie sie noch -, die soziale Lage
der Menschen zusätzlich zu verbessern, wenn Sie unseren Vorschlägen zustimmen würden. Damit wären die
Grundlagen für die Menschen gelegt, die in Deutschland
am Existenzminimum leben müssen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und die Geduld.
({11})
Kollege Straubinger, das nennt man Glück: durch
Zwischenfragen eine doppelte Redezeit erreichen.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Sigmar Gabriel für die
SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle
haben jetzt noch einmal die Argumente gehört, aber wir
müssen natürlich aufpassen, dass wir hier im Hause
nicht das tun, was ein saarländischer Ministerpräsident
einmal als Theaterspiel bezeichnet hat. Wir alle wissen,
dass im Bundesrat zwischen allen Parteien längst wieder
über die Neuaufnahme des Vermittlungsverfahrens verhandelt wird, und das ist auch gut so.
({0})
Auf Antrag von Kurt Beck und anderen ist das zustande
gekommen.
({1})
Wissen Sie, wozu ich keine Lust habe? Wir hätten Ihnen eine Niederlage bei der Abstimmung im Bundesrat
beibringen können. Das werden wir, wenn das vernünftig läuft, nicht tun, nicht weil wir Ihnen ungern Niederlagen beibringen - ({2})
- Quatschen Sie doch nicht immer dazwischen! Hören
Sie doch mal eine Sekunde zu!
({3})
- Gut, okay. Ich habe es versucht. Das ist bei Ihnen offensichtlich nur schwer möglich. Herr Kauder weiß aber,
wovon ich rede.
Wir dürfen hier kein Vieraugenparlament werden,
({4})
wo wir uns unter vier Augen immer sagen: „Das können
wir eigentlich nicht machen; eigentlich müssten wir das
anders machen“, es aber dann, wenn das dritte Augenpaar dabei ist, wieder ganz anders machen. Wir wissen
doch - jedenfalls die meisten von uns -, dass da draußen
in der Öffentlichkeit ein völlig anderer Eindruck entsteht; da hat der Kollege von den Linken schon recht.
Der Eindruck da draußen ist, dass wir in wenigen Stunden in der Lage waren, Milliarden zur Bankenrettung zusammenzubringen - wir haben sie gerettet wegen unserer Bevölkerung, nicht wegen der Banken -,
({5})
aber dass wir offensichtlich in Monaten nicht in der Lage
sind, für Millionen von Menschen gemeinsam eine Verbesserung zu erzeugen.
Wenn wir jetzt erklären, Sie seien schuld, und Sie sagen, wir seien schuld, dann überrascht das die Leute da
draußen auch nicht, weil die davon ausgehen, dass wir
zu nichts anderem in der Lage sind, als uns gegenseitig
zu erklären, was der andere falsch gemacht hat.
Unter vier Augen sagen wir: Leute, wir müssen ein
Ergebnis erzielen. - Wenn wir heute im Bundesrat bei
der Abstimmung gewinnen würden - und wir würden
gewinnen -, dann würden wir alle eine große Niederlage
erleiden, weil die Menschen draußen sich noch mehr von
der Politik abwenden würden. Das ist der Grund dafür,
dass wir überhaupt zusammenkommen.
({6})
Darum geht es, dass wir es noch einmal versuchen
wollen. Wir hätten das heute hinbekommen - keine
Sorge; mit den Ländern, in denen wir an der Regierung
beteiligt sind, haben wir das eng abgestimmt -, aber Kurt
Beck startet zusammen mit anderen - zum Beispiel, wie
ich höre, mit dem CDU-Kollegen aus Sachsen-Anhalt den Versuch, doch noch ein Ergebnis zu erzielen.
Frau von der Leyen, es macht doch keinen Sinn, dass
Sie hierherkommen und so tun, als sei das alles sozusagen von vornherein dufte gewesen. Sie wissen doch,
dass Sie zum Beispiel vergessen hatten, 277 Millionen
Euro für Warmwasser in den Regelsatz einzurechnen.
({7})
Sie wissen doch, dass Ihre eigenen Kollegen Ihnen gesagt haben: Du kannst doch nicht wirklich die Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung für die Entscheidung darüber
zuständig machen wollen, welche Kinder Nachhilfe bekommen. - Das haben Ihnen Ihre Leute gesagt.
({8})
Ein bisschen mehr Demut bei der Debatte wäre doch angemessen angesichts der Tatsache, dass Ihre eigenen
Leute Ihre Vorschläge kassiert haben.
Frau von der Leyen, wir sind uns nicht einig darüber,
dass nur ein Teil der Kinder ein Mittagessen bekommen
soll.
({9})
Wir sind uns nicht einig darüber, dass 10 Euro als Minibetrag für Familien die Familien besserstellen und zu einer besseren Bildung der Kinder beitragen, wie das Ihrer
Meinung entspricht. Unsere Richtung ist eine andere.
Wir wollen die Schulen und die Kindertagesstätten stärken. Darum geht es, Frau von der Leyen.
({10})
Wir sind uns auch nicht einig darüber, ob die Kommunen tatsächlich eine bessere finanzielle Ausstattung
bekommen. Allerdings - das will ich offen sagen -: Wir
sind einen großen Schritt weitergekommen bei der
Frage: Wie bekommen wir die Finanzierung hin? Lassen
Sie uns die nächsten beiden Schritte, die Sie jetzt am
Ende nicht mehr gehen wollten, noch machen und wirklich dafür sorgen, dass die Kommunen sicher sein können, dieses Geld zu bekommen. Wir wissen aber auch
- das sagen wir wieder nur unter vier Augen -, was passiert, wenn nicht drinsteht, wofür das Geld genutzt werden soll, nämlich für Schulsozialarbeit.
({11})
Nun könnte man sagen: Nein, wenn das dritte Augenpaar dabei ist, dann werden das natürlich alle machen. Ja, viele werden es machen, aber manche haben die
Kommunalaufsicht im Haus und werden das Geld nicht
in die Schulen geben. Deswegen lassen Sie uns das entsprechend festlegen.
Frau von der Leyen, Sie wissen doch auch, dass es
nicht stimmt, dass die Debatte um Mindestlöhne oder
Leiharbeit hier nicht mit hineingehört. Es geht uns allen
doch offensichtlich darum, dass sich Arbeit lohnen
muss.
({12})
Aber das erreichen wir nicht dadurch, dass man die
Hartz-IV-Sätze möglichst niedrig ansetzt, sondern dadurch, dass Mindestlöhne eingeführt werden. Hier sind
wir in der Tat einen großen Schritt weiter zueinandergekommen. Aber warum ziehen Sie nicht eine wirkliche
Lohnuntergrenze ein, indem Sie die Mindestlöhne auch
im Arbeitnehmer-Entsendegesetz festschreiben?
({13})
Durch das, was Sie jetzt machen, eröffnen Sie wieder
neue Schlupflöcher. Und Sie wissen doch, was dann passiert: Die Menschen, denen wir etwas versprochen haben, erleben in der Realität etwas ganz anderes, und
nicht die Unternehmer, die diese Schlupflöcher nutzen,
werden dann am Pranger stehen, sondern die Politik ist
wieder schuld, weil sie etwas versprochen hat, was nicht
eingehalten wird. Deshalb brauchen wir ein besseres Gesetz beim Mindestlohn.
({14})
Es sind nur noch wenige Meter, die wir da gehen müssen. Das muss doch zu schaffen sein, verdammt noch
mal!
({15})
Da Sie von der FDP ja nun gar nicht wollen, dass wir
da zueinanderkommen, zitiere ich einmal aus einer heutigen Meldung. Vielleicht ist es ja so möglich, bei Ihnen
Nachdenklichkeit zu erzeugen. Da steht, dass Sie das
Hauptproblem der Verhandlungen gewesen sind. Wie
sehr sich die FDP da verrannt hat, wird zum Beispiel daran deutlich, dass Ihnen, Herr Kolb, der Spitzname Gromyko gegeben wurde, weil Sie in den Verhandlungen im
Wesentlichen immer „Njet“ gesagt haben.
({16})
- Na gut, Herr Goldmann, dann zitiere ich eben die FDP
selber. Vom schleswig-holsteinischen Sozialminister, der
zugleich auch stellvertretender Ministerpräsident ist und
Ihrer Partei angehört, heißt es dort:
Dabei würde er es sehr begrüßen, wenn sich die
FDP in den Streitfragen zur Lohnuntergrenze und
zur gleichen Bezahlung von Stammbelegschaften
und Leih- und Zeitarbeitern „weniger dogmatisch
als bisher zeigen würde“.
({17})
Weiter heißt es - hören Sie genau zu; es geht um Ihren
Sozialminister -:
Garg hob hervor, dass es sozial- und gesellschaftspolitisch richtig sei, für die Zeitarbeit eine Lohnuntergrenze vorzuschreiben.
({18})
- Nein, es gibt Ausnahmetatbestände, die Sie hereinverhandelt haben.
Wenn Sie schon nicht auf die Sozialdemokraten hören, dann hören Sie wenigstens auf Ihren Koalitionspartner: Herr Laumann, der Bundeschef der CDU-Arbeitnehmerschaft,
wies der FDP unterdessen eine Mitverantwortung
für das Scheitern der Hartz-IV-Einigungsgespräche
zu. Wer wie die FDP eine gleiche Bezahlung für
Leiharbeiter erst nach neun Monaten wolle, sei entweder „böswillig oder hat keine Ahnung“ …
Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren.
({19})
Lassen Sie uns also offen miteinander umgehen. Wir
haben uns jetzt noch einmal gegenseitig gezeigt, wie gut
wir reden können. Unsere Rednerin war, wie ich finde,
die bessere.
({20})
Sei es drum. Darum geht es nicht. Lassen Sie es uns offen sagen und dem Bundesrat zurufen: Wir halten es für
richtig, dass ihr dort miteinander, egal welcher Regierung ihr angehört, das Vermittlungsverfahren wieder eröffnen wollt!
({21})
Wir finden es richtig, dass nicht aufgehört wird, eine Lösung zu suchen! Wir finden es richtig, dass wir alle drei
Teile, bei denen wir ja kurz vor einer Lösung stehen, zueinanderbringen! - Wir können damit der Bevölkerung
zeigen, dass wir mehr können, als uns zu streiten. Die
Landtagswahlen werden zeigen, dass das uns allen guttut. Wenn wir das jetzt nicht machen, dann werden wir
alle bei den Landtagswahlen bestraft, weil sich die Leute
von uns abwenden. Das ist der Grund, warum wir wieder
verhandeln wollen, meine Damen und Herren.
({22})
Das Wort hat nun Birgit Homburger für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte noch einmal festhalten, dass wir in diesem Verfahren ein weitreichendes Angebot gemacht haben. Für
all diejenigen, die uns hier zuhören und die es nicht so
ermessen können wie diejenigen, die im Verfahren drinstecken, möchte ich es noch einmal an einer Zahl verdeutlichen: Wenn man alles zusammenrechnet - das
Bildungspaket, die Grundsicherung und das, was bei
Hartz IV gemacht werden soll -, dann kommt man auf
eine Summe von 7 Milliarden Euro jährlich. Das haben
wir angeboten.
({0})
Frau Schwesig hat vorhin in ihrer Rede hier gesagt, die
Ministerin habe sich hier im Klein-Klein verloren.
({1})
Sehr verehrte Frau Schwesig, wenn Sie sich das noch
kurz anhören würden?
({2})
Sie haben es offensichtlich nicht nötig, zuzuhören.
({3})
Aber ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen
und Herren: Offensichtlich hat Frau Schwesig kein Verhältnis zu dem Geld, das die Bürgerinnen und Bürger
hart erarbeiten müssen. Das sind keine Peanuts; das ist
ein Riesenangebot.
({4})
Herr Gabriel, wir wollen ein Ergebnis. Ich begrüße
ganz ausdrücklich das, was Sie vorgetragen haben, und
dass Sie jetzt zur Vernunft kommen wollen.
({5})
Wir wissen, was im Augenblick im Bundesrat verhandelt
wird. Im Bundesrat wird momentan darüber gesprochen,
dass der Vermittlungsausschuss nur noch aus einem einzigen Grund angerufen wird, nämlich wegen der Sonderbedarfe.
({6})
Das ist ein entscheidender Punkt.
Selbst Herr Kurth von den Grünen kritisiert die eigene Verhandlungsführung und sagt: Wir haben die Verhandlungen mit sachfremden Forderungen überfrachtet.
({7})
Wenn Sie die sachfremden Forderungen weggenommen
hätten, hätten wir schon längst ein Ergebnis erreicht.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Kollegen Schlecht von der Fraktion Die Linke?
Ja, bitte.
({0})
Frau Homburger, ich möchte auf einen Punkt eingehen, den Sie bei der Auflistung Ihres wunderbaren Pakets gerade gar nicht erwähnt haben: Das ist die in der
Tat absolute Blockade der FDP in der Frage der Leiharbeit.
Gerade in Baden-Württemberg gibt es jetzt wieder einen Aufschwung. In diesem Aufschwung hat allerdings
die Leiharbeit massiv um sich gegriffen. Wissen Sie eigentlich, dass zum Beispiel Daimler in Untertürkheim
heute zwar wieder die Beschäftigtenzahl wie vor der
Krise hat, dass aber heute 800 Leiharbeitnehmer mehr in
diesem Betrieb beschäftigt sind und dass dort wegen der
Leiharbeit Vollzeitarbeitsplätze vernichtet worden sind?
Das ist wirklich menschenunwürdig. Ähnliche Beispiele
könnte man in vielen anderen Betrieben bei uns im sogenannten Musterländle finden.
({0})
Herr Kollege, ich würde Ihnen anraten, sich einmal
anzuschauen, wie das in den Betrieben in den letzten
Jahren gelaufen ist und wie das jetzt läuft. Wenn Sie sich
mit der Realität befassen würden, würden Sie nämlich
feststellen, dass in den letzten Jahren, wenn es einen
Aufschwung gab, zunächst über Zeitarbeit eingestellt
wurde. Die Zeitarbeitnehmer hatten dann über diese
Brücke eine Chance auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Wer diese Brücke wie Sie einreißen
will, der handelt unsozial.
({0})
Es bleibt festzuhalten: Wir haben mit über
12 Milliarden Euro für die Kommunen in den Jahren
2012 bis 2015 ein weitreichendes Angebot gemacht.
({1})
Sie verhindern das Bildungspaket. Sie verhindern die
Entlastung der Kommunen durch überzogene Forderungen beim Regelsatz. Das ist die Wahrheit. Deswegen
muss das hier noch einmal festgestellt werden.
({2})
In allen anderen Punkten haben wir Kompromisse gefunden. Aber am Ende sind die Verhandlungen an Ihren
überzogenen Forderungen beim Regelsatz gescheitert.
({3})
Wir haben vom Bundesverfassungsgericht den Auftrag erhalten, den Regelsatz transparent neu zu regeln.
Genau diesen Auftrag haben wir wahrgenommen. Wir
haben zum ersten Mal ein transparentes Regelwerk vorgelegt. Ich halte an dieser Stelle noch einmal fest, dass
auch Sie von der SPD nicht mehr sagen, dass das nicht
richtig sei. Im Gegenteil: Sie haben offensichtlich akzeptiert, dass unsere Berechnungen absolut verfassungsfest
sind.
({4})
Auch Sie reden nicht mehr davon, dies verfassungsfest
zu machen. Sie reden nur noch darüber, dass man es verfassungsfester machen muss. Ich sage Ihnen: Entweder
ist eine Regelung verfassungsfest, oder sie ist es nicht.
Ich sage: Sie ist verfassungsfest. Deswegen bleiben wir
bei den 5 Euro!
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, von
der SPD und von den Grünen, wer den Aufschwung über
Hartz-IV-Sätze organisieren will, der liegt daneben; der
vergisst, dass all das, was wir hier ausgeben, von den
Bürgerinnen und Bürgern erst einmal erwirtschaftet werden muss.
({6})
Bildung ist die soziale Frage unserer Zeit. Deshalb
haben wir als Koalition erstmals ein Bildungspaket für
Kinder auf den Weg gebracht. Dies sind die von der SPD
und von den Grünen vergessenen Kinder, weil Sie bei
Hartz IV seinerzeit kein Bildungspaket auf den Weg gebracht haben.
({7})
Wir haben erstmals ein solches Paket gemacht.
({8})
Wer heute das Riesenangebot ablehnt, das wir auf den
Tisch legen - es enthält auch eine Grundsicherung, von
der Kommunen profitieren -, der versündigt sich an den
Kommunen. Ab heute ist jedes Schlagloch einer kommunalen Straße ein rot-grünes Schlagloch; das müssen
Sie wissen.
({9})
Meine Damen und Herren, wir sind an einem Ergebnis interessiert. Wir haben hier ein großartiges Angebot
auf den Tisch gelegt. Ich kann Sie nur auffordern: Nehmen Sie dieses Angebot endlich an! Es ist ein Angebot
für einen verfassungsfesten Hartz-IV-Regelsatz, ein Angebot für ein Bildungspaket für Kinder, wie es noch nie
in der Bundesrepublik Deutschland da war, und ein Angebot für Mindestlöhne.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
({0})
Herr Präsident, ich bin gleich so weit. - Wir haben
auch bei den Mindestlöhnen ein Angebot gemacht. Ich
sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren:
Alles, was Sie dort gefordert haben, haben wir als FDP
Ihnen in den Verhandlungen zugestanden. Deshalb halte
ich fest: Wenn das Gesetz jetzt scheitert, dann scheitert
es an Ihren überzogenen Forderungen.
Frau Kollegin, Sie müssen wirklich zum Ende kommen.
Wir fordern Sie auf, im Bundesrat genau das zu tun,
was Sie jetzt gesagt haben, nämlich sich auf einen Punkt
zu konzentrieren. Wenn wir das tun, werden wir gemeinsam zu einem Ergebnis kommen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Peter Altmaier für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist richtig, was Herr Gabriel sagt, dass genau
in dieser Stunde im Bundesrat Ministerpräsidenten der
CDU und Ministerpräsidenten der SPD gemeinsam versuchen, ein Scheitern dieses Gesetzesprojektes zu verhindern. Ihre eigenen Ministerpräsidenten haben erkannt, dass das, was Ihre Redner - Frau Schwesig, Herr
Heil, Frau Künast - heute Morgen an die Wand fahren
wollten,
({0})
was sie in Grund und Boden verdammt haben, ein gutes
Vorhaben ist und es sich lohnt, dieses Vorhaben zu retten.
({1})
Deshalb werden wir ungeachtet aller Polemik dafür sorgen, dass dieses Gesetz in absehbarer Zeit in Kraft tritt.
({2})
Lassen Sie mich einen Satz zum Argument der Verfassungswidrigkeit sagen - es wurde immer wieder das
Wort „verfassungsfest“ verwendet -:
({3})
CDU und CSU tragen seit fünf Jahren Verantwortung in
der Bundesregierung; es ist in Karlsruhe noch kein einziges Gesetz aufgehoben worden, für das ein CDU- oder
CSU- oder FDP-Minister in dieser Zeit federführend
verantwortlich war. Alle Gesetze, die aufgehoben worden sind - Luftsicherheitsgesetz, Zuwanderungsgesetz
und Hartz IV -, waren Gesetze, für die die rot-grüne Koalition verantwortlich gezeichnet hat.
({4})
Sie wurden für verfassungswidrig befunden, weil sie juristisch und inhaltlich schlecht gemacht waren. Wir haben von Ihnen, schon gar nicht von der Linken, keine
verfassungsrechtlichen Belehrungen nötig.
({5})
Das, was auf dem Tisch liegt, ist ein Paket, das die
Kommunen in einer Art und Weise entlastet, wie es in
den letzten 15 Jahren nicht geschehen ist. Lesen Sie
nach, was der Präsident des Deutschen Landkreistages,
Herr Duppré, heute Morgen erklärt hat: Er hat an den
Bundesrat appelliert, dem Gesetz zuzustimmen, weil er
erkennt, dass es der erste Versuch ist, die Gemeinden
strukturell so zu entlasten, dass sie ihren originären Aufgaben wieder besser nachkommen können. Dies war unser Vorschlag; wir haben ihn eingebracht. Sie haben so
getan, als sei das eine Nebensächlichkeit.
({6})
Ein weiterer Punkt. Das, was Ursula von der Leyen
vorgelegt hat, was wir nach Reparatur Ihres schlechten
Gesetzes auf den Weg gebracht haben, ist sozialpolitisch
beispielhaft und richtungsweisend. Wir haben dafür gesorgt, dass es im Bereich der Bildung ein kohärentes Paket für die Kinder gibt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Künast?
Gerne.
Herr Kollege Altmaier, Sie haben den Präsidenten des
Deutschen Landkreistags zitiert. Ich habe einen Brief
vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Darin steht
im Gegensatz dazu:
Der behaupteten Entlastung der Kommunen von
rund 12 Milliarden Euro in den Jahren 2012 bis
2015 stehen somit Belastungen in ähnlicher Größenordnung in den Jahren 2011 bis 2015 gegenüber.
Die Zahlen machen deutlich, dass der von Bundesseite vorgelegte Vorschlag für uns
- den Deutschen Städte- und Gemeindebund nicht akzeptabel ist.
Was sagen Sie denn dazu?
Liebe Frau Künast, Sie sollten ehrlich sein und auch
das Datum dieses Briefes vorlesen. Dann werden Sie
feststellen, dass er geschrieben worden ist, bevor wir unser Paket im Vermittlungsausschuss beschlossen haben.
({0})
Alle Äußerungen nach diesem Zeitpunkt sind positive
Äußerungen. Je länger diskutiert wird, desto mehr
spricht sich herum, was in diesem Paket enthalten ist.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert von der Fraktion Die
Linke?
Ja, gerne.
Herr Kollege Altmaier, Sie sprachen gerade davon,
dass es eine sozialpolitisch vorbildliche Leistung sei, die
Sie abliefern wollen. Können Sie mir bitte sagen, worin
das Vorbildhafte besteht, wenn bei erwachsenen behinderten Menschen, die nicht erwerbsfähig sind, 20 Prozent des Regelsatzes einfach so weggenommen werden?
Das sind nach alter Rechnung 68 Euro und nach neuer
Rechnung 73 Euro. Können Sie mir sagen, inwiefern das
eine sozialpolitisch vorbildliche Leistung sein soll?
({0})
Herr Kollege Seifert, wir haben ein Gesamtpaket vorgelegt. Wir haben wochenlang im Vermittlungsausschuss darüber verhandelt. Weder die Kollegen von den
Grünen noch die Kollegen von der SPD haben in diesen
Wochen diesen Punkt thematisiert.
({0})
Ich sage Ihnen aber zu, weil ich die Arbeit und die Argumente des Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe sehr
schätze - er ist ein seriöser Mensch, der sich diese Dinge
genau überlegt hat -,
({1})
dass wir das bei nächster Gelegenheit prüfen und gegebenenfalls korrigieren werden.
({2})
Herr Kollege, es gibt weitere Zwischenfragen.
Ja, gerne.
Kollegin Ferner und dann Kollegin Hagedorn.
Lieber Kollege Altmaier, habe ich recht, wenn ich
sage, dass ich Sie in der ersten bzw. zweiten Runde der
Unterarbeitsgruppe nochmals, nachdem wir das Thema
in allen Vermittlungsrunden schon angesprochen hatten,
darauf aufmerksam gemacht habe, dass in der Regelbedarfsstufe 3 eine Kürzung für diejenigen vorgesehen ist,
die nicht erwerbsfähig sind und mit anderen Erwachsenen in einem Haushalt zusammenleben? Habe ich Sie
auf den Brief des Behindertenbeauftragten verwiesen,
oder leiden Sie, Kollege Altmaier, an Gedächtnisverlust?
Die zweite Frage, die ich stellen möchte: Geben Sie
mir recht, dass der Gesetzentwurf, dem Sie und die gesamte Koalition im Bundestag zugestimmt haben, einen
Fehler enthält, weil weder im Regelsatz noch bei den
Kosten der Unterkunft Mittel dafür vorgesehen sind,
dass Haushalte ihr Warmwasser mit Strom bereiten? Geben Sie mir recht, dass das Gesetz, das Sie mit Ihren
Stimmen hier im Bundestag beschlossen haben, schon
allein deshalb verfassungswidrig ist?
Frau Kollegin Ferner, ich kann Ihnen, da wir gemeinsam in einer Unterarbeitsgruppe waren, bestätigen, dass
Sie dort stundenlang all das an Forderungen vorgelesen
haben,
({0})
was Sie in den letzten zehn Jahren gegenüber Ihren eigenen Finanz- und Sozialministern zu keinem Zeitpunkt
durchsetzen konnten. Sie haben uns eine Weihnachtswunschliste, ein Sammelsurium präsentiert.
({1})
In der allerletzten Sitzung, in der informellen Runde
- da waren Sie nicht mehr dabei, aber die Kollegin
Schwesig war dabei -, in der wir versucht haben, Lösungen zu finden, haben Sie Forderungen im Wert von
3 Milliarden Euro auf den Tisch gelegt. In welcher Zeit
leben wir eigentlich? Wir haben gemeinsam eine Schuldenbremse im Grundgesetz vereinbart. Wir haben enge
Finanzierungsspielräume bei den Kommunen, bei den
Ländern und beim Bund.
({2})
Wir müssen vielen Bürgerinnen und Bürgern, Facharbeitern, Beamten, Angestellten, Einschränkungen zumuten,
und Sie tun so, als ob wir es hier mit einem finanzpolitischen Wunderland zu tun hätten, in dem man die Milliardenforderungen nur aneinanderzureihen braucht. Sie
sind aus der Zeit gefallen. Sie werden erleben, dass Sie
damit keine Wähler für die SPD zurückgewinnen. Sie
werden höchstens noch mehr Wähler den Linken in die
Arme treiben.
({3})
Herr Kollege, die Kollegin Hagedorn möchte eine
letzte Zwischenfrage zu dieser Rede stellen.
Herr Kollege Altmaier, wir sind uns darüber einig
- ich glaube, alle in diesem Haus -, dass die Kommunen
dringend auf Entlastung warten. Wir alle wollen ihnen
diese geben. Stimmen Sie mir zu, wenn ich das Angebot
gerade aus kommunaler Sicht als vergiftetes Angebot
bezeichnen würde? Stimmen Sie mir zu, dass Sie planen,
bis 2015 bei der Bundesagentur für Arbeit 15 Milliarden
Euro als Gegenfinanzierung für die Besserstellung der
Kommunen zu kürzen? Stimmen Sie mir weiterhin zu,
dass diese Koalition bereits mit ihrem Sparpaket zusätzlich 10 Milliarden Euro für aktivierende Arbeitsmarktpolitik bei der Bundesagentur für Arbeit bis 2014 streichen will? Können Sie diesem Haus vielleicht erklären,
wie dann der Anspruch, der vorhin von Ihrer Seite formuliert worden ist, dass Sie Menschen in Arbeit bringen
wollen, mit einem Minus von 24 Milliarden Euro in den
nächsten Jahren verwirklicht werden soll?
Frau Kollegin Hagedorn, zunächst einmal stimme ich
Ihnen zu, dass wir die Kommunen in den nächsten Jahren um über 15 Milliarden Euro netto entlasten werden.
({0})
Das ist die größte Entlastung der Kommunen, die es in
den letzten Jahren gegeben hat. Ich freue mich, dass das
heute zum ersten Mal ein Vertreter der Opposition gesagt
und anerkannt hat. Deshalb sollten Sie dem auch zustimmen.
({1})
Der zweite Punkt ist: Es ist richtig - wir haben das in
der Protokollerklärung der Bundesregierung im Bundesrat auch gesagt -, dass wir einen Teil dieser Entlastung
durch einen halben Mehrwertsteuersatzpunkt finanzieren
werden, der der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung
gestellt worden war. Das können wir deshalb tun, ohne
dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung steigen,
ohne dass es zu Engpässen kommt, weil es uns seit
Übernahme der Bundesregierung durch Angela Merkel
gelungen ist, die Arbeitslosenzahl von 5 Millionen unter
Gerhard Schröder auf unter 3 Millionen zu senken. Wir
werden diese Politik in den nächsten Jahren fortsetzen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der entscheidende Punkt, warum wir am Sonntagabend und am
Dienstagabend nicht zu einem Ergebnis gekommen sind,
bestand darin, dass der Kollege Kuhn von den Grünen
und die Kollegin Schwesig von der SPD in vielem mit
uns einer Meinung waren, aber am Ende sagten: Wir bestehen darauf, dass es zu einer Erhöhung des Regelsatzes
kommt, egal auf welche Weise und egal in welcher
Form. Das hat deutlich gemacht, dass es Ihnen nicht um
gute Lösungen gegangen ist, sondern um Ideologie.
({3})
Der Kollege Kuhn hat einen Vorschlag präsentiert,
der ungefähr so aussieht. Er hat gesagt: Wir erhöhen den
Regelsatz durch die Erhöhung der Grundgesamtheit um
etwa 17 Euro. Dann kürzen wir den Regelsatz wieder um
17 Euro, weil wir den Leuten weniger Geld für Mobilität
geben. Dann sagen wir den Leuten, dass sie sich die Mittel für die Mobilität wiederholen können, indem sie zum
Amt gehen und einen Antrag stellen.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das können
Sie niemandem erklären. Aber ich kann Ihnen erklären,
dass allein mit diesem Vorschlag Mehrkosten von
1,1 Milliarden Euro verbunden wären. Dies ist es mir
nicht wert, Ihren ideologischen Steckenpferden gerecht
zu werden, nur damit wir gute Lösungen, die wir haben
- 23 Euro für Mobilität für jedermann -, dann auch noch
verschlechtern.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben
in dieser ganzen Verhandlungsrunde eines gezeigt: dass
Sie selbst nicht mehr hinter dem stehen, was als eine der
wenigen positiven Errungenschaften aus der Zeit der rotgrünen Koalition übrig geblieben ist. Die Agenda 2010,
Herr Kollege Steinmeier, die auch mit Ihr Werk war, hat
mit dazu beigetragen, dass wir in der Arbeitsmarktpolitik zu einer grundlegenden Trendwende gekommen sind,
dass heute mehr Menschen in Brot und Arbeit sind als
jemals zuvor, dass wir heute über 40 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte haben.
({6})
Aber es gibt einen großen Teil Ihrer Fraktion, dem die
ganze Richtung nicht passt. Sie haben all Ihre Bedenken
und all Ihren Unmut gegen diese Agenda und gegen
diese Reform, die ein Kernstück der Agenda war, benutzt, um die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss
zu überfrachten, zu überladen, finanziell maßlos zu machen.
({7})
Deshalb war es richtig, dass wir die Notbremse gezogen
haben, dass wir gesagt haben: Wir beenden dieses Vermittlungsverfahren an dieser Stelle und sorgen dafür,
dass Vernunft in die Debatte einkehrt. Immerhin: Der
Kollege Gabriel scheint es bemerkt zu haben; denn sein
Angebot, jetzt noch einmal ruhig und sachlich zu reden,
ist genau das, was wir die ganze Zeit über als Angebot
gemacht haben.
({8})
Ich sage Ihnen: Wir können in den nächsten Tagen
und Wochen dazu beitragen, dass wir zu einer Lösung
kommen, die den Betroffenen schnell und unproblematisch ihre Ansprüche bei der Erhöhung des Regelsatzes
um 5 Euro und beim Bildungspaket zugutekommen
lässt. Das Einzige, was Sie tun müssen, ist, dass Sie von
Ihren ideologischen Maximalforderungen abgehen und
bereit sind,
({9})
anzuerkennen, dass das Paket, das wir auf den Tisch gelegt haben, ein gutes Paket ist, das den Menschen hilft,
das den Kommunen hilft und das deshalb möglichst
schnell in Kraft gesetzt werden sollte.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort zu zwei Kurzinterventionen nacheinander
erteile ich dem Kollegen Fritz Kuhn und dann der Kollegin Ulla Schmidt.
Lieber Herr Altmaier, nach sechs, sieben Wochen
Verhandlungen war das jetzt, finde ich, unter Ihrem Niveau.
({0})
Sie waren in den Verhandlungen differenzierter als gerade hier.
Ich möchte klar sagen: Was die Verhandlungen so
schwierig gemacht hat, war, dass Schwarz und Gelb, vor
allem getrieben von der FDP, keine konkreten Kompromissvorschläge mehr gemacht haben,
({1})
sondern immer nur gesagt haben: Es gilt der Gesetzentwurf, über Weiteres reden wir nicht. Die FDP hat sogar
Zickzackverhandlungen geführt.
({2})
Beim Thema Equal Pay wollte sie erst neun Monate,
dann hat der Generalsekretär, der die Verhandlungen aus
dem Hintergrund immer kommentiert hat, plötzlich
sechs Monate gesagt.
({3})
Zwei Tage später sprach man wieder von neun Monaten.
({4})
Wenn es um Seriosität und Maximalforderungen geht,
schauen Sie von Ihnen aus gesehen nach links. Dort sitzt
die FDP; wir sitzen dort nicht.
({5})
Wir haben im Unterschied dazu in einer nicht enden
wollenden Kette bis zur Schmerzgrenze immer neue
Kompromissvorschläge gemacht,
({6})
weil wir wissen, dass Vermittlungsverfahren im deutschen System keine Veranstaltungen für Maximalforderungen sind, sondern dass man dort Kompromisse eingehen muss.
Was Sie uns nicht absprechen können, Herr Altmaier,
ist, dass wir die Frage stellen und gestellt haben, ob die
Regelsatzermittlung im Gesetzentwurf wirklich den
Auflagen des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Wir
sind der Überzeugung, dass dies nicht so ist und dass
man da etwas verbessern muss. Denn Sie haben die Vergleichsgruppe, nach der der Regelsatz neu bestimmt
wird, zuerst systematisch nach unten arm gerechnet, indem Sie statt der untersten 20 Prozent die untersten
15 Prozent der Einkommen betrachten, indem Sie die
verdeckten Armen - entgegen der Auflage des Bundesverfassungsgerichts - nicht herausgerechnet haben und
indem Sie auch die Aufstocker nicht herausgerechnet haben. In einem zweiten Schritt haben Sie die Grundlagen
der Statistikmethode untergraben, indem Sie bei sehr
vielen Einzelposten gekürzt haben oder sie ganz abgeschafft haben.
Daher rühren die Rechtsbedenken - nicht nur von
uns, sondern auch von vielen Verfassungsexperten in
Deutschland -, ob dieser Gesetzentwurf verfassungskonform ist. Werden Sie uns absprechen wollen, dass wir
nicht bereit sind, Gesetze zu unterstützen, die wir für
verfassungswidrig halten? Sie als Verfassungsrechtler,
Herr Altmaier, glauben das doch, wenn Sie in den Spiegel sehen, ehrlich nicht.
({7})
Einen zweiten Punkt möchte ich ansprechen. Sie reden jetzt von dem großzügigen Angebot an die Gemeinden. In der Tat sollen die Gemeinden, wenn ich alles,
was gegenzurechnen ist, abziehe, 1,7 Milliarden Euro erhalten. Die Kosten der Grundsicherung, die sie gerade
tragen, liegen bei 3,5 Milliarden Euro. Sie müssen aufgrund des alten KdU-Streits auf etwa 1,8 Milliarden
Euro verzichten.
Herr Kollege Kuhn, Sie müssen zum Ende kommen.
- Ich bin gleich am Ende. ({0})
Das macht netto 1,7 Milliarden Euro. Klar ist doch, dass
dieses Angebot mit dem Verhandlungsgegenstand nichts
zu tun hat. Sie haben einfach nebenher das Angebot von
jährlich 1,7 Milliarden Euro für die Kommunen auf den
Tisch gelegt und werfen uns vor, dass wir finanzpolitische Maximalforderungen stellen. Sie haben versucht,
uns vor das Kanonenrohr zu schieben
Herr Kollege.
- ich bin sofort fertig - und vor die Alternative zu
stellen: Bist du für die Hartz-IV-Empfänger oder für die
Gemeinden? Wir sagen: Wir sind für die Hartz-IV-Empfänger und für die Gemeinden. Diese Nummer geht mit
uns wirklich nicht.
({0})
Die zweite Kurzintervention sollten wir vorne weg
zulassen. Kollegin Schmidt, bitte.
({0})
Vielen Dank. - Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil
der Kollege Altmaier nach meiner Auffassung sehr unzureichend oder überhaupt nicht auf die Fragen geantwortet hat, die der Kollege Seifert und auch die Kollegin
Ferner gestellt haben.
({0})
Ich habe in der letzten Woche eine Werkstatt für Behinderte besucht. 400 geistig schwerbehinderte Menschen arbeiten dort acht Stunden pro Tag ihren Fähigkeiten entsprechend. Etwa 200 von ihnen wohnen zu Hause
bei ihren Eltern, die anderen circa 200 in Einrichtungen
und Heimen, auch in solchen der Lebenshilfe. All diesen
400 Menschen sagt diese Regierung: Ihr bekommt den
Regelsatz um 20 Prozent gekürzt. - Alle 400 sind dauerhaft erwerbsunfähig. Hier geht es nicht darum, Maximalforderungen zu erheben. Es geht auch nicht darum, Ansprüche auszuweiten.
({1})
Sie verringern mit Ihrem Gesetz den bestehenden Anspruch darauf, dass ein über 25-Jähriger, der zu Hause
oder in einer Wohngemeinschaft lebt, gleichbehandelt
wird, egal ob er im Hartz-IV-Bezug oder im SGB-XIIBezug ist, wenn er dauerhaft erwerbsunfähig ist. Das ist
eine Schande, und das hat mit Sozialpolitik nichts mehr
zu tun.
({2})
Darauf würde ich gerne eine Antwort von Ihnen hören.
Das Bundessozialgericht hat gesagt: Es gibt keinen
Grund für ein unterschiedliches Existenzminimum für
beide Gruppen. Frau von der Leyen hat mir als Antwort
auf meine Frage geschrieben: Wir halten das Gerichtsurteil für falsch, und deshalb ändern wir das Gesetz. Ich
sage Ihnen: Da es hier um Ansprüche geht, können Sie
doch nicht erwachsenen behinderten Menschen, die zu
Hause leben und deren Eltern besondere Erschwernisse
haben - sie müssen ihr Leben lang viel geben, um für
ihre Kinder, auch wenn sie erwachsen sind, da zu sein -,
sagen: Ihr braucht nur noch 80 Prozent des Regelsatzes.
Weil diese Menschen nur noch 80 Prozent des Regelsatzes bekommen, sagen Sie gleichzeitig - so Frau von
der Leyen in ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen, die wir ihr gestellt haben -, dass auch die Leistungen für Mobilitätshilfe und die Leistungen für besondere
Förderungen sich in Zukunft nur noch auf 80 Prozent
des Regelsatzes beziehen und nicht mehr auf 100 Prozent. Wenn Sie weiterhin von „sozial“ sprechen und das
Soziale überhaupt noch für sich in Anspruch nehmen
wollen, dann fordere ich Sie auf: Nutzen Sie die Chance
eines neuen Vermittlungsverfahrens, und nehmen Sie
diese Regelung als allererste zurück! Dafür haben die
Bürgerinnen und Bürger in unserem Land auch Verständnis.
Danke schön.
({3})
Herr Kollege Altmaier, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Schmidt, Sie waren bei den Verhandlungen nicht dabei.
({0})
Ich habe vorhin gesagt: Ich kann mich nicht an jedes einzelne Detail erinnern, das die Kollegin Ferner erwähnt
hat. Ich bin aber gerne bereit, zuzugestehen, dass sie es
so, wie sie es geschildert hat, vorgetragen hat.
Ich saß in den entscheidenden Verhandlungsrunden
mit Frau Schwesig, Herrn Oppermann und Herrn Kuhn
an drei Tagen und in drei Nächten zusammen. Wir haben
über 100 verschiedene Punkte gesprochen. Dieser Punkt
ist von SPD und Grünen in dieser Chefrunde kein einziges Mal thematisiert worden.
({1})
Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie, wenn Ihnen dieser Aspekt nicht wert ist, in den Verhandlungen thematisiert zu werden, vor dem Forum der Öffentlichkeit so
tun, als sei dies aus Ihrer Sicht der wichtigste Punkt der
gesamten Veranstaltung gewesen.
({2})
Herr Kollege Kuhn, auch Sie waren in den Verhandlungen ein sachlicher und ein fairer Partner. Aber Sie
sollten das, was vom Bundesrat beschlossen wird, genau
lesen. Wenn Sie sagen, der Entlastung der Kommunen
bei der Grundsicherung stünden Mehrbelastungen von
1,8 Milliarden Euro bei den KdU entgegen, dann dürfen
Sie nicht vergessen, dass wir noch am Mittwoch die Protokollerklärung so geändert haben, dass in Zukunft eine
Berechnung nach Istkosten erfolgt. Das hat große Freude
bei den Kommunen und erhebliche Sorgen beim Finanzminister ausgelöst. Aber es ist ein Grund dafür, dass inzwischen immer mehr kommunale Vertreter sagen: Ihr
müsst dieses Paket retten; denn dieses Paket wird unsere
Lage durchgreifend verbessern.
({3})
Der zweite Punkt, lieber Kollege Kuhn, ist: Sie haben
zu Beginn dieser Verhandlungen Forderungen gestellt.
Sie haben jetzt gesagt: Man darf die Verhandlungen
nicht überfrachten. - In der allerersten Runde, in der Sie
uns Ihre Wünsche ausgebreitet haben, hatten Sie allerdings Wünsche für über 20 000 Sozialarbeiter im Gegenwert von 2,5 Milliarden Euro. Sie hatten Wünsche
für Steigerungen des Regelsatzes an verschiedenen Stellen. Wenn man diese addiert, kommt man auf 2,5 Milliarden Euro.
({4})
Sie haben alle Ihre Wünsche aufgeführt, und daraufhin
hat der Kollege Heil gesagt: Selbstverständlich reden wir
über einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn
in ganz Deutschland.
Meine Damen und Herren, Sie können doch nicht
glauben, dass Sie die Zahl der Weihnachtsgeschenke dadurch erhöhen, dass Sie Ihren Wunschzettel verlängern.
({5})
Wenn Sie alle unerfüllten Wünsche der letzten
20 Jahre, die Sie nicht einmal in Ihrer eigenen Regierungszeit ansatzweise realisiert haben, in ein solches
Vermittlungsverfahren einbringen, dann ist das eine
Überfrachtung und Überladung des Verfahrens. Deshalb
haben wir Sie wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt.
({6})
Der letzte Punkt, meine Damen und Herren. Ich habe
nicht damit angefangen, aus internen Verhandlungen zu
zitieren. Aber wenn wir schon darüber sprechen, was wir
intern gesagt haben, dann will ich auch darauf hinweisen, dass Sie in der vorletzten Verhandlungsrunde gesagt
haben: Uns ist der Regelsatz besonders wichtig, und
wenn wir uns da einigen, dann sind wir auch bereit, auf
die Regelung von Equal Pay zu verzichten.
({7})
Das war Ihr Angebot in dieser letzten Verhandlungsrunde.
Als dann die Verhandlungen beendet waren, haben
Sie schamhaft gesagt, Sie hätten Equal Pay jetzt doch
gern nach vier Monaten.
({8})
Deshalb sage ich Ihnen: Sie haben sich bei diesen
Verhandlungen vergaloppiert.
({9})
Sie haben sich bei diesen Verhandlungen übernommen.
({10})
Wir werden gemeinsam mit den Ministerpräsidenten von
CDU und SPD dafür sorgen, dass dieses Gesetzespaket
in einer annehmbaren und in einer praktikablen Form in
nächster Zeit durch Bundestag und Bundesrat beschlossen werden kann.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach unserer Geschäftsordnung sind Kurzinterventionen auf Kurzinterventionen hin nicht zulässig. Deswegen, Kollege
Altmaier, ist es misslich, wenn Sie in Ihrer letzten Antwort Dinge mitteilen, die die anderen Gesprächs- und
Verhandlungspartner natürlich provozieren müssen,
({0})
ich diesen aber nicht die Gelegenheit geben kann, darauf
zu antworten. Das ist ein bisschen eine schwierige Lage,
ich bitte um Verständnis dafür. Weitere Kurzinterventionen werden nicht zugelassen.
Ich schließe die Aussprache.
Ich teile Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Ermittlung von
Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch mit: abgegebene
Stimmen 565. Mit Ja haben gestimmt 313, mit Nein haben gestimmt 252, Enthaltungen keine. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenene Stimmen: 565;
davon
ja: 313
nein: 252
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({1})
Manfred Behrens ({2})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
({3})
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({8})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({9})
Volker Kauder
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({10})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({11})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({12})
Nadine Schön ({13})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({14})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Daniela Ludwig
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({15})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({16})
Anita Schäfer ({17})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({18})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({19})
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({20})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marcus Weinberg ({21})
Peter Weiß ({22})
Sabine Weiss ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({24})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({25})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Pascal Kober
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({26})
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dr. Martin Lindner ({27})
Michael Link ({28})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({29})
Dr. Martin Neumann
({30})
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({31})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({32})
Dr. Daniel Volk
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({33})
Nein
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({34})
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({35})
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({36})
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({37})
Hubertus Heil ({38})
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({39})
Frank Hofmann ({40})
Christel Humme
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe ({41})
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({42})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel ({43})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Karin Roth ({44})
Michael Roth ({45})
Marlene Rupprecht
({46})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({47})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({48})
Werner Schieder ({49})
Ulla Schmidt ({50})
Silvia Schmidt ({51})
Carsten Schneider ({52})
Swen Schulz ({53})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
({54})
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothee Menzner
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({55})
Dr. Ilja Seifert
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({56})
Volker Beck ({57})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Dr. Thomas Gambke
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Priska Hinz ({58})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth ({59})
Monika Lazar
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({60})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({61})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den
Tagesordnungspunkt 22 sowie den Zusatzpunkten 10 a
und b auf:
22 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts ({62})
- Drucksachen 17/3628, 17/3803 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({63})
- Drucksachen 17/4710, 17/4739 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Frank Schäffler
Harald Koch
ZP 10 a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes
- Drucksache 17/3481 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({64})
- Drucksachen 17/4710, 17/4739 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Frank Schäffler
Harald Koch
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses ({65})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Carsten
Sieling, Manfred Zöllmer, Elvira DrobinskiWeiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gesamtkonzept zur Stärkung des Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen vorlegen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Sahra Wagenknecht, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Beschäftigtenrechte bei Übernahmen und
Fusionen stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Maisch, Dr. Gerhard Schick, Cornelia Behm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbraucherschutz auf Finanzmärkten
nachholen
- Drucksachen 17/2136, 17/3540, 17/3210,
17/4710, 17/4739 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Frank Schäffler
Harald Koch
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Hans
Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({66})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Heute setzen wir einen weiteren Meilenstein zur Regulierung des
Finanzmarktes zum Wohle der Verbraucher und zum
Wohle der Vertrauensbasis in der Finanzindustrie.
Noch vor einem Jahr hat uns allen die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise Zukunftsängste bereitet. Sorgen
um Spareinlagen, Fondsschließungen, Lohnverzicht, Entlassungen - das waren tiefe Einschnitte für die Menschen.
Niemand hätte damals gedacht, dass wir so schnell und so
gut aus dieser Krise in eine neue Wachstumsphase mit einer neuen Aufwärtsentwicklung kommen können. Dieser
Erfolg hat zwei Ursachen: erstens die Arbeit der Menschen in den Betrieben in Deutschland, zweitens die aktive Krisenbekämpfung durch diese Regierung und diese
Koalition.
Erfolg haben wir auch bei der Finanzmarktregulierung erzielt. Schritt für Schritt gelingt uns mit einer
Reihe von gesetzlichen Maßnahmen die Stabilisierung
des Finanzmarktes.
({0})
Weitere Regulierungen, wie Basel III oder Maßnahmen
bezüglich des Grauen Kapitalmarkts, werden folgen.
Der heutige Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des
Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts schafft die Grundlage für vier
wichtige neue Regulierungen: erstens die Erhöhung der
Beteiligungstransparenz beim Anschleichen bei Übernahmetransaktionen, zweitens die Verbesserung bei der
Produktinformation, drittens die Kontrolle der Anlageberater vor Falschberatung und viertens ein überzeugendes Konzept für die Erhaltung der offenen Immobilienfonds und für mehr Sicherheit für viele Millionen
Privatanleger in Deutschland. Der Schritt, den wir heute
gehen, ist ein Quantensprung, ein Meilenstein.
({1})
Mit diesem finanzpolitischen Weg schaffen wir eine
neue Vertrauensbasis. Wir sollten uns darüber einig sein,
dass der Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten mit
diesem Gesetz wirklich gestärkt wird.
Die SPD hat dazu ein Papier veröffentlicht, das nur
als enttäuschend bezeichnet werden kann. Sie haben darin keine Vorschläge gemacht.
({2})
Sie fordern, man solle die Entwicklung beobachten. Sie
beobachten, wir handeln heute. Das ist der Unterschied.
({3})
Wir nehmen die Bedürfnisse und Ansprüche der privaten
Anleger ernst und werden ihnen mit den neugestalteten
Produkten mehr Sicherheit bieten.
Damit komme ich zu den offenen Immobilienfonds.
Offene Immobilienfonds waren lange Zeit, nämlich
51 Jahre lang, eine beliebte und bewährte Anlageform,
weil bei den realen Sachwerten indexierte Mietverträge
den gewünschten Inflationsschutz ermöglichen. Es ist in
einer Volkswirtschaft ein ganz wichtiger Punkt, dass es
Sachwerte bzw. Sachanlagen gibt, durch die letzten Endes Investitionen hervorgerufen werden, was zur Schaffung von Arbeitsplätzen führt. Deswegen ist dieses Produkt so wichtig für die Anleger, für die Wirtschaft und
für die Finanzindustrie.
Leider sind diese Fonds in den letzten Jahren wegen
des niedrigen Zinsniveaus insbesondere von institutionellen Anlegern häufig als Geldmarktfonds missbraucht
worden. Dies passt eben nicht zum Prinzip langfristiger
Anlagen in Immobilien. Das ist ein Widerspruch.
Mit den Änderungen reagieren wir auf die lang andauernde Krise der Branche. Es kam zu Fondsschließungen und Vertrauensverlust. Wegen hoher Geldabflüsse
nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers mussten
zwölf Fonds schließen. Heute sind noch 24 Milliarden
Euro von Anlegern blockiert. Hier haben wir nun mit einem marktwirtschaftlich vernünftigen Instrumentarium
regulierend eingegriffen.
Ziel war es, das Funktionieren der Kapitalmärkte zu
sichern, Produktdefizite auszuräumen und das Finanzdienstleistungsangebot zu verbessern. Hierbei haben wir
den Wunsch privater Anleger berücksichtigt, in Substanzwerte zu investieren. Auch das ist ein wichtiger
Punkt. Der Wunsch, in Substanzwerte zu investieren,
wird von unseren Bürgern unverändert hoch geschätzt.
Offene Immobilienfonds sind eben die einzige Option,
sich mit geringen Beträgen professionell an gewerblichen Immobilien zu beteiligen. Wir müssen hier einen
großen Wert feststellen. Deshalb liegt es im Interesse der
Privatanleger, die offenen Immobilienfonds zu stärken
und zu sichern.
Die vorgesehenen Änderungen bei den offenen Immobilienfonds bedeuten eine Rückkehr zum ursprünglichen Erfolgsmodell, risikoscheuen Anlegern eine breitgestreute und langfristige Immobilienanlage anzubieten.
So haben wir den immobilienwirtschaftlich rational
schwer nachvollziehbaren pauschalen Wertabschlag für
die Anleger verhindert. Es war sehr wichtig, dass wir die
Altanleger vor willkürlichen Abschlägen schützen. Das
stärkt auch die Vertrauensbasis gegenüber der Finanzwirtschaft. Deswegen bin ich sehr froh, dass dies erreicht
wurde.
Zu begrüßen ist insbesondere, dass wir die Mindesthaltefrist für Neuanleger und eine einjährige Kündigungsfrist einführen. Damit haben wir - das muss man
zugeben - die Fonds für institutionelle Anleger, die diese
kurzfristig als Geldmarktfonds nutzen, unattraktiver gemacht. Das ist aber Sinn und Zweck dieser Maßnahme.
Wir wollen den Verbraucherschutz stärken und Vertrauen schaffen. Dies gelingt mit der mittel- und langfristigen Anlage für den Privatanleger.
Das Produkt soll mittel- und langfristige Nutzung erfahren. Die Fonds werden damit zweifellos als Parkstation für institutionelle Anleger unattraktiv; aber das ist
durchaus gewollt. Wir haben die rund 3 Millionen Privatanleger, die Anteile an diesen Fonds besitzen, weitgehend verschont. Indem ein Anleger künftig pro Halbjahr
Anteile im Gegenwert von 30 000 Euro zurückgeben
kann, wird den Liquiditätsbedürfnissen der meisten Privatanleger Rechnung getragen. Über 90 Prozent der Privatanleger werden in ihren Liquiditätsbedürfnissen zuDr. h. c. Hans Michelbach
friedengestellt. Das schafft eine Vertrauensgrundlage für
das Produkt. Das sollten wir heute betonen.
({4})
Zwar gibt es in der Marktwirtschaft keine Vollkaskoversicherung, aber das Vertrauen in die Integrität der Kapitalmärkte wird erhöht. Deswegen freue ich mich, dass
wir heute entscheidende Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Finanzdienstleistungsindustrie ihrer dienenden Funktion gegenüber den Menschen wieder besser
nachkommen kann.
Wir haben das Ziel, einen transparenteren, integeren
und effizienten Finanzmarkt zu entwickeln und damit zu
erreichen, dass die Marktteilnehmer Vertrauen in ein faires, kundenorientiertes Finanzdienstleistungsangebot entwickeln. Diesem Ziel nähern wir uns Schritt für Schritt,
um letzten Endes eine neue Vertrauensbasis für die Anleger in Deutschland zu schaffen. Das dient auch der Finanzmarktindustrie.
Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, und wir
lassen uns dabei von niemandem beirren.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Carsten Sieling für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise, symbolisch zugespitzt durch das Scheitern der Bank Lehman
Brothers, Tausende von Anlegerinnen und Anlegern geschädigt wurden,
({0})
gab es eine politische Aussage: Alle Märkte, alle Akteure und alle Produkte sind zu regulieren. Das ist das
große Ziel, das im Übrigen die Kanzlerin in ihrer letzten
Regierungserklärung noch einmal betont hat. Mit dieser
großen Aussage sind Sie auch 2009 in die Koalition gestartet.
Jetzt legen Sie uns den Entwurf eines sogenannten Anlegerschutzgesetzes zur Abstimmung vor. Ich glaube, jeder der in den letzten Wochen und Monaten die Debatte
verfolgt und sich die Mühe gemacht hat, diesen Gesetzentwurf zu lesen, hat gemerkt, dass das Prinzip Ihres Gesetzentwurfs, Ihrer Politik und Ihres Vorgehens in Wirklichkeit lautet: allen Märkten zuliebe, allen Akteuren
zuliebe und allen Produkten zuliebe. Die Anlegerinnen
und Anleger, die Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben bei dem, was Sie uns heute zur Abstimmung vorgelegt haben, links liegen.
({1})
Das ist die bittere Wahrheit - Sie können betreten oder
skeptisch schauen -; dafür gibt es unabweisbare Argumente.
Ich will damit nicht sagen - das haben wir im Finanzausschuss beraten, und wir haben uns viel Zeit dafür genommen -, dass es nicht das eine oder andere an Positivem oder an vernünftigen Akzenten gibt. Was Sie aber
nicht leisten, ist, unser gemeinsames Ziel anzusteuern.
Wir brauchen einen Finanz-TÜV. Wir brauchen ein echtes Maßnahmenpaket. In Ihrem Gesetzentwurf findet das
keinen Niederschlag.
({2})
Was die positiven Dinge angeht: Auch wenn alles bewölkt ist und man nur Schatten sieht, kommt ab und zu
ein kleiner Sonnenstrahl durch.
({3})
Man findet bei Ihnen zum Beispiel die Aussage, dass zukünftig laut Wertpapierhandelsgesetz nicht mehr nur die
Vermutung gilt, Provisionen seien wie bisher grundsätzlich darauf ausgelegt, die Qualität der Anlageberatung
zu verbessern. Die bisherige Regelung soll also gestrichen werden. Das ist Ausdruck einer positiven Einsicht.
Aber nirgendwo ziehen Sie die Konsequenz, einen
Schritt in Richtung Transparenz zu gehen und dafür zu
sorgen, dass Provisionen offengelegt und in ihrer Höhe
begrenzt werden müssen. Das wäre eine konkrete Maßnahme. Insgesamt gibt es also nur ein bisschen Licht und
viel Schatten.
Dieser Gesetzentwurf ist aus mehreren Gründen eine
reine Enttäuschung. Wird er verabschiedet, erhalten die
Verbraucherinnen und Verbraucher zu wenig Schutz.
Ich will den Kernpunkt nennen, den der Kollege
Michelbach hier natürlich mit keinem Wort angesprochen
hat. Die größte Gefahr und die größten Schäden sind vom
Grauen Kapitalmarkt, von Anlagen in geschlossenen
Fonds ausgegangen. Herr Staatssekretär Koschyk, ich
verweise auf das Vorhaben, das das Bundesfinanzministerium hier durchaus verantwortet und in die ersten Diskussionsentwürfe aufgenommen hat.
({4})
- Völlig richtig. Das war möglich. - Dann haben Sie
sich in der Koalition durchgesetzt und dafür gesorgt,
dass die entsprechende Regelung aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wird. Der eigentliche Skandal
bei der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes ist, dass
der gefährlichste Teil unreguliert bleibt.
({5})
- Das ist Ihre Politik. Wenn man die Chance hat, etwas
umzusetzen, dann nutzt man sie nicht und redet vom
Nachfolgegesetz. Da hätten Sie schneller reagieren können.
({6})
Ihre Ministerin, Frau Aigner - sie sitzt mittlerweile
nicht mehr auf der Regierungsbank, sondern auf einem
Abgeordnetenstuhl -, und der ausgeschiedene Kollege
Dautzenberg sind es doch gewesen, die deutlich gesagt
haben: Es wäre richtig gewesen, die Tätigkeit der 80 000
freien Vermittler und den riesigen Grauen Kapitalmarkt
mit in diesem Gesetz zu regulieren. Aber nein, das machen Sie nicht. Sie haben zugelassen, dass dieser Gesetzentwurf unter Federführung von Herrn Brüderle, dem
Bundeswirtschaftsminister, überarbeitet wurde,
({7})
nachdem die entsprechende Lobby zu ihm gekommen
war.
Das, was Sie uns vorlegen, ist doch Folgendes - Herr
Volk, ich will es Ihnen gern sagen; Sie kündigen es uns
immer an, und man kann überall lesen, wie es aussehen
soll -: Während Sie die Finanzaufsicht zu Recht bei der
mit der notwendigen Kompetenz ausgestatteten Behörde,
nämlich der BaFin, belassen, wollen Sie den gefährlichsten Teil zukünftig der Gewerbeordnung und damit den
kommunalen Gewerbeaufsichtsämtern unterstellen. 7 000
unterschiedliche Ämter, die die Aufgabe haben, sich um
den Gaststättenbereich und viele andere Dinge zu kümmern, sollen sich dann auch noch um diesen Bereich
kümmern. Das ist doch ein Scherz. Das ist ein Flickenteppich. Das ist Schweizer Käse und alles andere als Anlegerschutz.
({8})
Das ist nichts. Darum kann man nur deutlich sagen: Sie
verfehlen den wesentlichen Punkt.
Aber Sie haben viele Komplimente bekommen; ich
will das hier kurz ansprechen. Ein Lobbyist des Verbandes Geschlossene Fonds hat interessante Aussagen gemacht. Kurz vor der Befassung im Bundeskabinett hat er
deutlich gemacht hat, er habe nochmals ein längeres und
intensives Gespräch mit einem Vertreter der Bundeswirtschaftsministeriums geführt. Die Erfolgsmeldung dieses
Lobbyisten lautete: Der von uns bekämpfte Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums ist nunmehr dauerhaft von der Tagesordnung des Bundeskabinetts genommen. Kein Wunder, dass der Lobbyist letztendlich sagte:
Das alles ist ein Erfolg unserer Anstrengungen.
({9})
- Herr Schäffler, Sie sitzen hier, weil Sie der Hebel für
die Lobbyisten sind,
({10})
die ihre Interessen in dieses demokratische Parlament hineintragen. Das zeigen Sie uns mit diesem Gesetzentwurf.
({11})
Jetzt kommen Sie, Herr Volk, mit etwas Neuem. Herr
Tenhagen, der Chefredakteur der Zeitschrift Finanztest,
spricht in einem Interview mit Zeit Online zu Recht von
einer Extrawurst für die Lobbyistinnen und Lobbyisten,
die Sie braten. So ist es!
In diesem Gesetzentwurf gibt es einen Punkt, mit dem
Sie zeigen, dass Sie im Gegenzug dafür, dass Sie die einen in Ruhe lassen, an anderer Stelle für eine Überregulierung sorgen.
({12})
Mit anderen Worten: Sie lassen den Amtsschimmel so
richtig wiehern, Herr Kollege Michelbach. Sie wollen
alle Bankberater im Bereich der Aufsicht registrieren
lassen. Was ich sage, ist auch einer Stellungnahme von
den Gewerkschaften und dem Verbraucherzentrale Bundesverband zu entnehmen. Auch diese wissen, dass das,
was Sie vorhaben, wirkungslos ist.
({13})
Sie kommen mit dem Vorschlaghammer. Aber damit
kann man keinen wirklichen Verbraucherschutz organisieren. Sie müssen mit dem Florett arbeiten, um diejenigen aufzuspießen, um die es geht.
({14})
Sie werden eine Aufsicht etablieren, die insgesamt
400 000 Menschen registrieren soll; dafür stellt die
BaFin zusätzlich 20 Leute ein. Jeder kann sich ausrechnen, wie hoch der bürokratische Aufwand sein wird. Wir
haben Ihnen im Finanzausschuss vorgeschlagen: Konzentrieren Sie sich auf die Sünder! Legen Sie - genauso
wie im Verkehrsrecht - eine Sünderkartei an, in der man
wie in Flensburg die Sünder registriert! So kann man effektiv regulieren und sanktionieren. Das ist der richtige
Weg beim Verbraucherschutz.
({15})
Ich will Ihre anderen Schwachpunkte ansprechen.
Wie Sie wissen, sind Produktinformationsblätter ein
wichtiges Instrument. Ihr Gesetzentwurf ermöglicht den
Einsatz dieses Instrumentes. Aber es ist ein stumpfes
Schwert, weil Sie darauf verzichten, Transparenz und
Vergleichbarkeit zu schaffen. Sie setzen keine Standards
und geben nicht vor, was diese Informationsblätter enthalten sollen. Im Prinzip ist Ihr Ansatz gut. Aber Sie heben quasi nur das Bein und machen keinen Schritt nach
vorne.
Genauso verhält es sich leider bei dem Thema, mit
dem Sie sich, Herr Michelbach, in Ihrer Rede hauptsächlich befasst haben, nämlich mit den offenen Immobilienfonds. Viele Anleger haben die große Sorge - diese teilen wir -, dass ein Fonds, nachdem sie Geld angelegt
haben, geschlossen werden muss, weil die Konstruktion
der Fonds falsch ist. Sie haben das Problem zwar angesprochen, gehen es aber nicht an. Die Schlimmsten sind
nicht die kleinen Privatanleger, die kurzfristig einige
Zehntausend Euro benötigen, um zum Beispiel ihr Haus
zu reparieren, sondern die großen institutionellen Anleger; sie sind das eigentliche Problem.
Ich will Ihnen einmal Ihre Leistung vor Augen führen. Sie haben Anfang Mai einen Diskussionsentwurf
vorgelegt. Dann haben Sie das von Ihnen vorgeschlagene Verfahren dreimal überarbeitet. Nach jeder Überarbeitung haben Sie uns gesagt, nun sei es wirkungsvoll.
Aber nie ist es Ihnen gelungen, die Privatanleger von
den institutionellen Anlegern, die Schafe von den Wölfen zu trennen und für mehr Sicherheit zu sorgen. Da
versagt Ihr Gesetzentwurf.
({16})
Ich hoffe zwar, dass das, was Sie vorschlagen, trägt, befürchte aber, dass das keine hinreichenden Ergebnisse
zeitigen wird.
({17})
Ihr Gesetz, dessen Entwurf zur Abstimmung vorliegt,
lässt den Grauen Kapitalmarkt unreguliert; es wird kein
einheitliches Schutzregime entwickelt. Sie behandeln
die offenen Immobilienfonds nach dem Prinzip Hoffnung. Was Anschleichen und Unternehmensübernahmen
angeht, wird - der Kollege Volk hat das bereits angesprochen - wieder verzögert; darüber soll weiter beraten
werden. Die SPD hat Ihnen einen Vorschlag unterbreitet.
Sie könnten ihm zustimmen. Dann würden Sie gefährliche Übernahmen verhindern.
Im Ergebnis handelt es sich um ein Gesetz, bei dem
Sie als Tiger gesprungen, aber als Bettvorleger gelandet
sind. Herausgekommen ist nicht mehr als ein Rumpfgesetz. Dazu kann ich nur sagen: Das ist kein Anlegerschutz, sondern frecher Etikettenschwindel. Den lehnen
wir ab.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({18})
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Schäffler das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf darf nicht isoliert, sondern muss im Zusammenhang mit einem Maßnahmenpaket zur Verbesserung des Verbraucher- und
Anlegerschutzes in Deutschland betrachtet werden. Das
ist der erste Baustein, den wir dazu vorlegen. Er ist ein
guter Baustein, weil er mehr Verbraucherschutz in
Deutschland schafft und dafür sorgt, dass die Bürger ihr
Geld sicherer und transparenter anlegen können, als es in
der Vergangenheit der Fall war.
({0})
Man muss den Sozialdemokraten ins Stammbuch
schreiben: Sie hätten nicht nur elf Jahre Zeit gehabt, all
das zu machen, was sie hier beklagt haben, sondern sie
hätten es hier auch beantragen können. Sie hätten einen
Änderungsantrag zu unserem Gesetzentwurf einbringen
können; Sie hätten somit alles, was sie wollen, haben
können.
({1})
Sie haben im Finanzausschuss aber nicht dementsprechend gehandelt, und sie haben auch hier im Plenum keinen Änderungsantrag eingebracht. Deshalb sage ich,
Herr Sieling, dass Sie hier eine billige Nummer abgezogen haben. Sie werden der Sache nicht gerecht. Dieses
Gesetz ist ein Meilenstein für den Verbraucherschutz in
Deutschland.
({2})
Der entscheidende Faktor für die Transparenz am
Finanz- und Kapitalmarkt in Deutschland ist die Transparenz bei der Übernahme von Aktienpaketen. Das ist
etwas Substanzielles und praktischer Verbraucherschutz.
Was haben wir denn bei VW und Porsche erlebt? Investoren haben sich mithilfe von Finanzinstrumenten an ein
Unternehmen herangeschlichen, ohne den Kapitalmarkt
darüber zu informieren. Das werden wir ändern. Das
wird es in Deutschland in dieser Form nicht mehr geben.
Das ist ein Erfolg dieser Koalition.
({3})
Ein weiterer Punkt ist die Schaffung von Registern.
Sie haben unter der Vorgängerregierung selbst ein Register für Versicherungsvermittler in Deutschland geschaffen.
({4})
Das, was Sie hier kritisieren, nämlich das, was wir im
Bankenbereich machen, haben Sie bei den Versicherungsvermittlern in Deutschland geschaffen.
({5})
Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen: ob
Sie das grundsätzlich ablehnen oder grundsätzlich befürworten. Aber Ihr Wischiwaschi, den Gewerkschaften
und den Bankenverbänden hinterherzurennen, das ist
einfach zu billig.
({6})
Darüber hinaus werden wir mit dem Produktinformationsblatt für mehr Transparenz sorgen. Auch das ist ein
entscheidender Punkt. Derzeit ist es so, dass die Kunden
auf den Finanzmärkten mit Papier zugeschmissen werden. Im Kern hat es der Gesetzgeber in der Vergangenheit immer gut gemeint; aber in der Praxis ist weniger
Transparenz übrig geblieben. Ich glaube, das Produkt10278
informationsblatt ist wichtig, um dem Kunden die wesentlichen Fakten in vereinfachter Form mitzuteilen.
({7})
Ich halte für wesentlich, was wir bei den offenen Immobilienfonds geschaffen haben. Es handelt sich dabei
um eine wichtige Anlageklasse. Wir in Deutschland
haben wenige Anlageklassen, bei denen wir Wettbewerbsvorteile gegenüber dem Ausland haben. Eine der
wenigen Anlageklassen, bei der wir noch solche Wettbewerbsvorteile haben, sind die offenen Immobilienfonds.
Es ist schlicht Fakt, dass fast ein Drittel der offenen Immobilienfonds inzwischen geschlossen ist oder sich in
der Abwicklung befindet. Dabei handelt es sich nicht um
Peanuts; vielmehr hat der gesamte Markt ein Volumen
von 88 Milliarden Euro. Es geht also um eine ganz wichtige Anlageklasse in Deutschland. Es war für uns eine
besondere Verpflichtung, diese Anlageklasse zukunftsfähig zu machen. Wir wollen den Run, den wir im Zuge
der Finanzkrise erlebt haben, nicht noch einmal erleben.
Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis, das wir erzielt haben. Sie haben kritisiert, dass wir über den richtigen Weg im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gestritten haben. Ich frage mich: Was ist denn unsere Aufgabe
als Parlamentarier? Unsere Aufgabe ist doch, Gesetzentwürfe zu verbessern. Das haben wir in hervorragender
Weise getan.
({8})
Wir haben letztendlich das, was Sie vorhin kritisiert
haben, verhindert, nämlich dass Großinvestoren in diese
Fonds hinein- und aus ihnen herausgehen und damit das
gesamte Produkt in Schieflage bringen. Das haben wir
verhindert. Wir haben eine Haltedauer von zwei Jahren
und eine Kündigungsfrist von 12 Monaten eingeführt.
Das wird dazu führen, dass das Produkt nicht als Geldmarktfonds missbraucht werden kann, sondern für den
mittel- und langfristigen Anleger geeignet ist.
Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass die Kleinanleger gut an ihr Geld kommen können. Ich glaube, das
ist ganz entscheidend.
Darüber hinaus haben wir die Unabhängigkeit der
Sachverständigen wesentlich gestärkt. Wir haben die
Lehre aus dem gezogen, was bei den Wirtschaftsprüfern
und Ratingagenturen in der Vergangenheit schiefgelaufen ist. Dadurch, dass man Beratung und Bewertung verquickt hat, gab es dort Interessenkonflikte. Das kann
man nicht durch gesetzliche Informationsbarrieren verhindern; das funktioniert in der Praxis nicht. Stattdessen
haben wir eine klare Linie gezogen. Wer in diesem
Markt tätig ist, darf am Ende nur bewerten und nicht parallel auch noch beraten. Das ist ein ganz entscheidender
Faktor.
Gleichzeitig wollen wir, dass die Sachverständigen
nicht dauerhaft bei ein und derselben Kapitalanlagegesellschaft tätig sein dürfen; vielmehr müssen sie, wie wir
das auch von den Wirtschaftsprüfern kennen, nach einer
gewissen Zeit wechseln.
Außerdem machen wir das Produkt stabiler, indem
wir die hohen Fremdkapitalquoten, die einige Fonds haben und die in der Krise eher zu Instabilität beitragen, reduzieren.
Der vorliegende Gesetzentwurf sowie das Finanzvermittlergesetz und ein Gesetz zur Honorarberatung, zu
denen wir in den nächsten Wochen Entwürfe vorlegen
werden, bedeuten einen Dreiklang in Bezug auf eine
Steigerung des Verbraucherschutzes in Deutschland. Ich
kann die Opposition und vor allem die SPD nur auffordern, an diesem Dialog konstruktiv mitzuwirken.
Vielen Dank.
({9})
Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Schäffler, Sie haben recht: Dieses Gesetz
kann nicht isoliert betrachtet werden. Aber der finanzielle Verbraucherschutz wird erst dann tatsächlich greifen, wenn die Finanzmärkte national und international
grundsätzlich reguliert sind. Davon sind wir noch weit
entfernt. Die Banken müssen auf ihr Kerngeschäft zurückgeführt werden; erst dann können wir grundsätzliche Lösungen anstreben.
({0})
Detailliert wird meine Kollegin Caren Lay das noch ausführen.
Ich möchte mich jetzt auf die Regeln zur Übernahme
von Unternehmen konzentrieren. Die freie Handelbarkeit von Aktien, also das Recht, Anteile von Gesellschaften zu erwerben, erfordert natürlich ein Regelwerk.
Es muss sichergestellt werden, dass einerseits Spekulationen mit Aktien nicht ins Aberwitzige gesteigert werden und andererseits Klein- und Minderheitsaktionäre
nicht übertölpelt und unter Wert abgefunden werden
können.
Sie erheben mit Ihrem Gesetzentwurf den Anspruch,
zu regeln, dass intransparentes Anschleichen an Unternehmen verhindert werden kann. Die Süddeutsche Zeitung titelte im August 2008:
Überraschend aus dem Hinterhalt: Vor Angreifern,
die sich über verdeckte Aktienkäufe an Unternehmen anschleichen, gibt es immer noch keinen
Schutz.
Wir reden von Übernahmeschlachten, von feindlichen
Übernahmen. Hier findet sich ein wirklich schöner militärischer Sprachgebrauch. Wie immer im Krieg bleiben
die einfachen Soldaten, sprich: die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, auf der Strecke, aber auch UnternehmensanDr. Barbara Höll
teilseigner, die sich vor dem Anschleichen nicht schützen können.
Ihre Lösung ist halbherzig; denn Sie sind nicht bereit,
tatsächlich voranzugehen und so zu agieren, wie es zum
Beispiel in der Schweiz geschieht. Schweizer Unternehmen sind anders geschützt als deutsche Unternehmen.
Sie haben die Freiheit, die Verträge so zu gestalten, dass
niemand 10, 20 oder 30 Prozent der Aktien erwerben
kann, sondern höchstens 5 Prozent. Sie hingegen sind
nicht bereit, einen solchen Schritt zu gehen. Statt sich für
die Vertragsfreiheit der Anteilseigner eines Unternehmens einzusetzen, fordern Sie einen offenen Zugang zu
den Märkten.
Ein strengeres Kapitalmarktrecht in Deutschland
würde - das wurde in den Beratungen zu dem Gesetzentwurf deutlich - erschwerte Regulierungen für im Ausland tätige deutsche Unternehmen zur Folge haben. Das
wollen Sie nicht. Wer agiert denn solchermaßen bei
Übernahmen im Ausland? Das sind große Finanzinvestoren und Konzerne. Das heißt, mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf, der nur halbherzige Regelungen vorsieht, agieren Sie wieder nur im Interesse von großen Finanzinvestoren und Konzernen. Das lehnen wir ab.
({1})
Sie setzen sich auch nicht wirklich für Offenlegungspflichten ein. Das alles bleibt außen vor. Wir haben Ihnen zu diesem Thema einen knappen, aber treffenden
Antrag vorgelegt. Wir fordern von Ihnen, dass die Position von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diesen
Prozessen gestärkt wird. Wir könnten schon heute das
Vertragsrecht so gestalten, dass Unternehmen frei über
Beteiligungen bestimmen können.
Wir fordern von Ihnen auch, dass bei Unternehmensübernahmen die Interessen der Beschäftigten insoweit
berücksichtigt werden, als Gewerkschaften zum Beispiel
einen gesetzlichen Anspruch haben, Fusionstarifverträge
abzuschließen. Wir fordern von Ihnen, dass die Betriebsräte der betroffenen Unternehmen ein Vetorecht bekommen. Dann können sie sagen: Mit uns nicht; denn wir
sind diejenigen, die die Werte im Betrieb erarbeiten.
({2})
Ich finde es schon sehr bedenklich, dass die FDP genau
aus dem Grund, dass wir ein Vetorecht des Betriebsrates
fordern, unseren Antrag abgelehnt hat und sich nicht einmal zu einer Enthaltung durchringen konnte.
({3})
Wir sind auch für ein Vetorecht der öffentlichen Hand,
sobald bei einer Übernahme überragendes öffentliches
Interesse besteht. Wir sind für satzungsmäßige Offenlegungspflichten und Erwerbsbegrenzungen, die möglich
sind. Es wurde Ihnen in der Anhörung eindeutig gesagt,
dass dem nichts entgegensteht.
Bei all diesen Prozessen, ob bei Schaeffler oder bei
Hochtief,
({4})
geht es nicht darum, ein Unternehmen einfach zu übernehmen und auf dem Rücken der Beschäftigten profitabler gestalten zu wollen. Das wäre schon schlimm genug.
Ich sage ganz klar: Bei diesen feindlichen Übernahmen
geht es oftmals darum, Konkurrenten vom Markt zu verdrängen, die übernommenen Betriebe mit eigenen Schulden zu überhäufen oder Betriebe zu zerschlagen. Betroffen sind immer die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aus
diesem Grunde ist die Linke dafür, dass eine grundsätzliche Regelung erfolgt, die es insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der öffentlichen Hand ermöglicht, hier wirksam einzugreifen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat das Wort für
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der vorliegende Gesetzentwurf ist von Ihrer Seite mit
großen Ankündigungen versehen worden. Im Koalitionsvertrag haben Sie geschrieben:
Wir wollen ein konsistentes Finanzdienstleistungsrecht schaffen, damit Verbraucher in Zukunft besser
vor vermeidbaren Verlusten und falscher Finanzberatung geschützt werden. Ein angemessener Anlegerschutz … wird prinzipiell unabhängig davon
gewährleistet, welches Produkt oder welcher Vertriebsweg vorliegt.
Ich habe damals gedacht: Schauen wir mal.
({0})
Jetzt sehen wir es: Sie werden Ihrem eigenen Anspruch
nicht gerecht, und zwar bei weitem nicht.
({1})
Herr Flosbach hat in der Debatte vom 1. Juli 2010
- in der wir gedrängt haben, dass etwas passieren muss ausgeführt:
Sie fordern ein schlüssiges Gesamtkonzept zur
Stärkung des Verbraucherschutzes. Warten Sie noch
ein paar Tage. In wenigen Tagen wird dieses Konzept vorgelegt.
Herr Flosbach weiter:
Bei uns dauert es nur acht Monate,
- er bezog sich auf die Zeitspanne nach der Bundestagswahl bis ein schlüssiges Gesamtkonzept vorgelegt wird.
Wenn das, was uns heute vorliegt, das schlüssige Gesamtkonzept sein soll, das Sie damals angekündigt haben,
dann muss man feststellen - das haben Sie heute schon
selber zugegeben -: Dem ist nicht so. Jetzt heißt es plötzlich, es gebe einen Dreiklang, wir sollten abwarten. Aber
genau diese Ankündigungen sind Verbraucherinnen und
Verbraucher leid.
({2})
Milliardenschäden aus den letzten Jahren verpflichten
die Politik dazu, endlich zu reagieren, und nicht nur Ankündigungen zu machen.
({3})
Ich begrüße in dieser Debatte ganz herzlich die Ankündigungsministerin Aigner, die in dieser Debatte mal
wieder nicht das Wort ergreifen wird und die bei allen
relevanten Fragen des Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen außer Ankündigungen nichts zu sagen
gehabt hat.
({4})
- Die Kollegin Maisch erwartet Nachwuchs und ist deswegen bei der heutigen Debatte nicht da.
({5})
Ich finde, damit sollten Sie respektvoll umgehen.
({6})
Ich will auf die konkreten Lücken in Ihrem Konzept
eingehen, weil sie für die Verbraucherinnen und Verbraucher noch zu großen Problemen führen werden.
Ich komme auf die erste große Lücke zu sprechen und
zitiere die Stellungnahme der Deutschen Bundesbank aus
der Anhörung, in der deutlich gemacht wurde, dass, um
eine sektorübergreifende Gleichwertigkeit einzuführen,
auch erwogen werden sollte, die Vermittler von geschlossenen Fonds und von Investmentfonds und auch gebundene Versicherungsvermittler einzubeziehen, das heißt
Versicherungsvermittler, die von den Anforderungen des
§ 34 d Gewerbeordnung befreit sind. Der Vertreter der
Bundesbank hat in der Anhörung selbst gesagt - ich zitiere -:
Von daher ist die Lücke bei den gebundenen Versicherungsvermittlern von uns auch explizit als Lücke mit einem entsprechenden Handlungsbedarf,
den wir dort sehen, identifiziert worden.
Die Bundesbank beklagt also eine große Lücke, die in
Ihrem Gesetzgebungsverfahren relevant ist.
Damit deutlich wird, dass dies keine kleine Lücke ist:
Es handelt sich hier um 80 000 freie Vermittler unter den
256 000 Vermittlern, die es im Versicherungsbereich insgesamt gibt. Das ist ein knappes Drittel. Eine große Lücke in Ihrem Gesetzgebungsverfahren!
({7})
Die zweite Lücke - Herr Sieling hat sie schon angesprochen - betrifft die freien Anlageberater. Sie haben
den ganzen Bereich des Grauen Kapitalmarkts ausgenommen; dabei waren wir uns im Juli 2009 nach der Anhörung im Finanzausschuss noch einig, dass hier vordringlicher Handlungsbedarf besteht.
({8})
Auch das wird verschoben. Sie kündigen erneut an: Das
wird irgendwann passieren. - Aber warum passiert es
nicht jetzt? Weil es Einfluss von den entsprechenden
Verbänden gegeben hat und Sie eingeknickt sind!
({9})
Es ist die zweite große, die zweite gravierende Lücke in
Ihrem Gesetz.
({10})
Es gibt eine dritte Lücke in Ihrem Gesetz, die große
Auswirkungen für Kundinnen und Kunden hat, und das
ist die Lücke bei den Verjährungsfristen.
({11})
Schon bei der Reform des Schuldverschreibungsrechts ist
angekündigt worden: Wir wollen von den Sonderverjährungsfristen wegkommen. - Wir haben Ihnen unsere Änderungsanträge im Finanzausschuss vorgelegt, und Sie
haben sie abgelehnt. Dabei wäre es wirklich an der Zeit,
zu einem einheitlichen Recht zu kommen: bei der Prospekthaftung im Börsengesetz und im Verkaufsprospektgesetz; bei der Veröffentlichung von Insiderinformationen. Es gibt immer noch eine ganze Reihe von offenen
Punkten. Warum muss das weiter verschoben werden?
Der Anspruch, ein einheitliches Recht zu schaffen, ist von
Ihnen selber formuliert worden. Sie werden diesem Anspruch nicht gerecht, und damit leidet Ihr Gesetz an einer
weiteren großen Lücke.
({12})
Ich komme zur vierten großen Lücke.
({13})
Es geht hier um das ganze Themenfeld der Zertifikate.
108 Milliarden Euro betrug das Volumen dieser Finanzprodukte in Deutschland Ende November 2010. Das ist
wesentlich mehr als das Volumen der offenen Immobilienfonds, die jetzt reguliert werden. Warum bleibt diese
große Masse von Produkten unreguliert? Dabei sagen
viele: Das ist intransparent; da muss endlich etwas geschehen. - Nach der Pleite von Lehman Brothers ist
doch deutlich geworden, wie die Menschen auf intransparente Produkte hereingefallen sind. Auch die SachverDr. Gerhard Schick
ständigen haben uns darauf hingewiesen. Sie lassen eine
große Lücke in einem relevanten Produktfeld.
({14})
Wenn wir als Grüne den Strich darunter ziehen, müssen wir sagen: Die Lücken in diesem Gesetz haben System. Die Lücken in diesem Gesetz sind groß. Die Lücken in diesem Gesetz werden die Bürgerinnen und
Bürger in diesem Land noch sehr teuer zu stehen kommen.
({15})
Genauso war es ja auch bei den Lücken, die Sie bei der
MiFID-Umsetzung gelassen haben - Herr Michelbach,
Sie wissen es, da habe ich auch schon von den Lücken gesprochen -; auch diese sind für die Menschen später in
dramatischer Weise relevant geworden. Auch bei der
Umsetzung der EU-Versicherungsvermittler-Richtlinie haben Sie eine Lücke gelassen. So ging es während der ganzen Zeit der Großen Koalition.
Machen Sie sich nichts vor: Es ist doch nicht nur die
Opposition, die davon spricht, dass das Gesetz seine Probleme hat. Die Wirtschaftswoche zum Beispiel schreibt:
Verbesserungswürdig ist aber nicht nur der Anlegerschutz, sondern auch das Gesetz selbst. Die
Bundesregierung hat das ursprünglich 68 Seiten
starke Werk auf 45 Seiten geschrumpft und damit in
den vergangenen Monaten entscheidend abgeschwächt; Mängel blieben dagegen bestehen.
({16})
Das Handelsblatt titelt: „Vom geplanten Schutz der Anleger bleibt nicht viel übrig“. Auch der Chef von MLP
hat in einem bemerkenswerten Gastbeitrag im Handelsblatt gesagt, das Gesetz gehe nicht an die Wurzel des
Übels heran.
Sie trauen sich eben nicht, die vorhandenen Ungleichheiten, die schlechten Regulierungen im deutschen Finanzmarkt wirklich anzugehen, und Sie lassen damit
eben nicht nur für die Kundinnen und Kunden Schutzlücken, sondern Sie verhindern damit auch Wettbewerbsgleichheit für diejenigen, die auf dem Markt tätig sind.
({17})
Ich will noch auf drei Punkte eingehen, die mir sehr
wichtig sind:
Neben den großen Lücken, die zu beklagen sind, geht
Ihr Gesetzentwurf an manchen Stellen leider auch in die
falsche Richtung. Das Beratungsprotokoll hat sich in
vielen Fällen als nachteilig für die Kunden herausgestellt, weil es im Nachhinein als Beweis dafür herangezogen wird, dass die Beratung in einer Form stattgefunden habe, die aber nicht der Wirklichkeit entsprach. Wir
müssen sehr aufpassen, dass nicht unter der Überschrift
„Verbraucherschutz“ etwas eingeführt wird, was nachher
den Verbrauchern schadet. Wenn es so weit kommt,
brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Menschen
kein Vertrauen fassen.
Genauso verhält es sich beim Produktinformationsblatt. Solange wir viele intransparente Produkte zulassen,
gibt es für die Kunden nur eine Scheinvergleichbarkeit.
Außerdem scheuen Sie sich im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, klare Vorgaben zu machen, damit es
wirklich zu einer Vergleichbarkeit der verschiedenen Produkte kommen kann. Warum nehmen wir uns denn nicht
ein Vorbild an den Niederlanden oder Schweden, wo die
Aufsicht so vorgeht? Daran wird doch wieder einmal
deutlich, dass das Produktinformationsblatt, statt Transparenz zu schaffen, dazu dienen soll, die Probleme des
deutschen Finanzmarkts überzutapezieren.
({18})
Ein letzter Punkt ist mir persönlich sehr wichtig; Sie
wissen das: Für uns Grüne geht es bei anlegergerechten
Beratungen auch wirklich um den Menschen, um den Anleger; das heißt, es geht nicht nur um Rendite. Wir stehen
hier in der Tradition einer wirklich sozialen Marktwirtschaft, die einmal entstanden ist aus den humanistischen
Idealen eines Walter Eucken und aus der christlichen Soziallehre.
({19})
Die Vordenker der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland wussten, dass Menschen nicht nur renditehungrige
Wesen sind. 40 Prozent der Menschen in Deutschland,
so Schätzungen, wollen neben Angaben zu Rendite, Liquidität und Risiko auch wissen, welche Auswirkungen
ihre Investition hat. Sie wollen vermeiden, dass sie unwissentlich in Unternehmen investieren, die mit Streumunition Geld verdienen oder in denen es Kinderarbeit
gibt.
({20})
Sie haben in diesem Gesetzgebungsverfahren unseren
Vorschlag abgelehnt, dass wenigstens ein Minimum an
diesbezüglicher Information geliefert wird. Daran sieht
man, wie weit es mit der Christlich Demokratischen
Union und der Christlich-Sozialen Union gekommen ist.
({21})
Wenn man wirklich Anlegerschutz betreiben will,
dann muss man bei den Menschen ansetzen.
({22})
Menschen sind durchaus nicht nur renditehungrig, wie
Sie das immer darstellen. Sie sorgen mit Ihrem Gesetz ja
nun dafür, dass auch nur diesbezügliche Informationen
zur Verfügung gestellt werden. Ein entsprechendes Gesetz müsste vielmehr auch an den Bedürfnissen der Anlegerinnen und Anleger in Deutschland ausgerichtet sein.
Das heißt, dass es auch für Ethik Platz an den Finanzmärkten geben muss.
Vielen Dank.
({23})
Das Wort hat der Kollege Dr. Mathias Middelberg für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Verehrter
Kollege Schick, ich muss sagen: Das Ross, auf das Sie
sich eben geschwungen haben, war doch recht hoch. Sie
haben in Ihrer Zeit, in der Sie politisch die Verantwortung hatten, die Möglichkeit gehabt, all diese Dinge zu
implementieren, die Sie uns hier gerade vorgetragen haben, zum Beispiel den Gesichtspunkt der Ethik in die
Anlageberatung einzuflechten. Das ist allerdings in Ihrer
Regierungszeit nicht geschehen.
({0})
Ich glaube, man muss jetzt einmal ehrlich sein und
diesen Gesetzentwurf in Gänze und in aller Breite zur
Kenntnis nehmen. Dann sieht man nämlich, dass wir unter dem Strich gesehen heute ganz wesentliche Schritte
machen auf dem Weg zu mehr Anlegerschutz, zu mehr
Transparenz am Markt, zu mehr Vertrauen in den Kapitalmarkt - das ist gerade für die Kleinanleger wichtig und zu mehr Verlässlichkeit in diesen Markt. Um das
gleich am Anfang zu bilanzieren: Heute ist ein erfreulicher und guter Tag für die Kleinanleger und für die ganz
normalen Leute in Deutschland.
({1})
Ich möchte das an dem Punkt deutlich machen, den
sich Frau Höll eben herausgegriffen hat, nämlich an den
Unternehmensübernahmen. Ich glaube, wir tun gerade
auf diesem Feld einen ganz entscheidenden Schritt in
Richtung Transparenz und Offenheit auf dem Markt.
Wir haben die Katastrophen infolge der Versuche zur
Übernahme von VW durch Porsche und von Conti durch
Schaeffler - in diesem Fall ist nicht der Kollege
Schäffler, sondern das Unternehmen Schaeffler aus Süddeutschland gemeint ({2})
noch bestens in Erinnerung. Davon waren - das hat Frau
Höll zu Recht betont - nicht nur größere Konzerne oder
irgendwelche Konzernchefs betroffen. Es ging auch um
die einfachen Arbeitnehmer, in diesem Fall um Hunderttausende von Arbeitnehmern in Niedersachsen, die von
solchen Übernahmen, die verdeckt und intransparent
eingeleitet wurden, betroffen gewesen wären. Zum
Schluss ging es im Fall Porsche/VW darum, dass die
Kasse des VW-Konzerns geplündert werden sollte. Nur
dann wäre nämlich diese Übernahme finanzierbar gewesen.
Diese Katastrophen, die wir fast gehabt hätten und die
wir gerade noch verhindern konnten, kann und wird es in
Zukunft aufgrund dieses Gesetzes nicht mehr geben. Ein
verdecktes Anschleichen bei Unternehmensübernahmen
wird es in Zukunft in Deutschland nicht mehr geben.
({3})
- Es gibt jetzt klare Regelungen, Frau Höll. Das erkläre
ich Ihnen gerne.
Wir Parlamentarier - Herr Schäffler hat das hervorgehoben - haben uns intensiv dafür eingesetzt, dass wir
jetzt ein Regime haben, in dem alle Finanzinstrumente
- nicht nur Aktien, sondern auch Optionen, Swaps und
Ähnliches, mit denen man die Möglichkeit hat, Aktien
zu erwerben - meldepflichtig sind, und zwar in Stufen
von 5 Prozent. Die Anteile der verschiedenen Instrumente werden addiert. Es ist nicht mehr wie früher möglich, dass sich beispielsweise Frau Schaeffler 2,97 Prozent der Aktien kaufen konnte und dazu noch 4,98 Prozent in Form von Optionen, was sie nicht melden
musste. Nach einem weiteren Kauf von Swaps konnte
sie dann sagen: Ich habe 36 Prozent der Aktien. Ihr alle
hört jetzt auf mein Kommando. - Diese Veranstaltung
wird es in Zukunft in Deutschland nicht mehr geben.
Das sind die entscheidenden Schritte hin zu einer Verbesserung, hin zu einem transparenten, fairen und ehrlichen Übernahmerecht.
({4})
Wir sind aber durchaus interessiert daran - auch das
möchte ich betonen -, dass es in Deutschland Übernahmen unter einem ehrlichen und klaren Regime geben
darf und auch geben muss. Es gibt nämlich Unternehmen, die schlecht dastehen und bei denen im Grunde genommen eine Übernahme sinnvoll wäre. Das ist dann
keine Bedrohung für die dort beschäftigten Arbeitnehmer. Vielmehr kann es für ein schlecht gemanagtes Unternehmen absolut gut sein, wenn es mit anderen Unternehmen fusioniert bzw. von anderen übernommen wird.
Das ist gut und sichert die Arbeitsplätze dort.
Wichtig ist, dass ein Übernahmeregime offen, transparent und für die Beteiligten am Markt erkennbar ist.
Dann werden auch Kleinanleger nicht dadurch betrogen,
dass sie im Übernahmefall vielleicht zu wenig für ihre
Aktien bekommen. Dann werden gesunde, faire und ehrliche Übernahmepreise gezahlt. Das wiederum ist letzten
Endes gut für die Stabilität der Unternehmen und für die
Sicherheit der Arbeitsplätze. Ich komme also zu ganz
anderen Ergebnissen als Sie.
Es wurden von der Opposition Anträge vorgelegt. Die
SPD meint, absehbar sei die geringe Wirkung dieser von
uns vorgelegten gesetzlichen Regelung und es gebe die
Notwendigkeit einer zügigen Weiterentwicklung des
Übernahmerechts. Ich teile diese Einschätzung nicht. Ich
glaube vielmehr, dass wir heute die entscheidenden
Schritte hin zu einer Verbesserung des Übernahmerechts
tun, damit wir in Zukunft klare, faire, transparente und
ehrliche Verhältnisse am Markt haben.
Frau Höll, ich fand interessant, dass Sie auf die
Schweiz hingewiesen haben - davon habe ich in Ihren
Anträgen bisher nichts gelesen -: In der Schweiz gibt es
Regelungen, die den Unternehmen erlauben, über die
Satzung Erwerbsbeschränkungen festzulegen, das heißt,
festzulegen, wie viele Anteile jemand erwerben kann.
Ich konnte dazu allerdings keine konkreten Vorschläge
in Ihrem Antrag lesen, auch nicht im Antrag der SPD.
Wir wollen uns auch über eine Verschärfung des Sanktionsregimes beim Anschleichen zum Zwecke von Unternehmensübernahmen unterhalten. Das sind Punkte,
über die man sich durchaus noch unterhalten kann.
Es gibt bestimmte Details, bei denen man noch nacharbeiten kann. Ich möchte aber noch einmal betonen:
Wir machen jetzt den entscheidenden Schritt, um klare
Verhältnisse am Kapitalmarkt zu schaffen. Wenn in Zukunft Anteilsübernahmen in 5-Prozent-Schritten gemeldet werden müssen, dann sieht jeder, wer sich an ein Unternehmen gewissermaßen heranpirscht, wer 5, 10 oder
15 Prozent der Anteile erwirbt. Das können dann alle
Marktteilnehmer zur Kenntnis nehmen. Das bekommen
dann auch alle Arbeitnehmer mit; sie sind übrigens in
den Aufsichtsräten - zumindest der großen Gesellschaften - zu 50 Prozent vertreten und haben damit mittelbar
Einfluss auf die Satzungsgestaltung.
Schon heute kann man per Satzung Aktien vinkulieren, also die Verwendung für bestimmte Zwecke ausschließen. Schon heute kann man von Inhaber- auf Namensaktien umstellen; man kann dann genau sehen, wer
an einem Unternehmen beteiligt ist. Schon heute hat
man die Möglichkeit, die Abwahl des Aufsichtsrats über
die Satzung zu beschränken. Schon heute man die Möglichkeit - ich spreche damit das Beispiel Hochtief an -,
mithilfe eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages bestimmte Mehrheitsgrenzen als sehr hohe
Schwelle festzulegen.
Weil wir heute im Zusammenhang mit den vorliegenden Anträgen auch über Hochtief diskutieren, will ich an
dieser Stelle auf Folgendes hinweisen: All das ist vom
Management von Hochtief leider versäumt worden. Bei
Hochtief waren alle Möglichkeiten gegeben, sich rechtzeitig auf Übernahmeversuche vorzubereiten. Der Fall
ACS/Hochtief war kein Fall von Anschleichen; denn es
war für jedermann erkennbar, dass ACS Beteiligungen
am Unternehmen hatte, die knapp unterhalb der 30-Prozent-Schwelle lagen. Jeder Vernünftige hätte damit rechnen können, dass ACS alsbald dazu übergehen würde,
ein Pflichtangebot zu machen. Es ist unverständlich, warum das Management von Hochtief nicht vorbereitet war
und nicht rechtzeitig reagiert hat, obwohl jahrelang bekannt war, dass die Spanier am Unternehmen beteiligt
sind. Man muss diese Frage an das Management von
Hochtief richten, aber nicht an den Gesetzgeber.
Ich habe am Punkt des Übernahmerechts deutlich gemacht: Wir sind mit diesem Anlegerschutzgesetz gewichtige und aus meiner Sicht ganz wesentliche Schritte
gegangen. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn das
hier heute kleingeredet wird, so wie Sie es gemacht haben.
Vielen Dank.
({5})
Für die SPD-Fraktion spricht Lothar Binding.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Wenn man sich den
Bericht des Finanzausschusses ansieht, dann ahnt man
vielleicht, dass sich Herr Middelberg bei dem, was er
vorgetragen hat, nicht ganz sicher ist.
({0})
- Ich bin mir oft unsicher; aber ich verschweige es nicht.
({1})
Im Bericht des Finanzausschusses steht auf Wunsch
der Koalitionsfraktionen, der Finanzausschuss solle
„noch vor der Sommerpause im Jahr 2011 ein Fachgespräch zur Klärung der Frage durchführen“, ob es Möglichkeiten der Fortentwicklung des Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetzes gibt. Daran sieht man, dass
doch noch etwas kommen soll.
Daher habe ich die Kritik von Gerhard Schick nicht
ganz verstanden.
({2})
Er hat gesagt, Herr Flosbach habe vor einem halben Jahr
für die CDU/CSU-Fraktion erklärt, dass in wenigen Tagen ein gutes Gesetz kommen werde. Herr Flosbach hat
auch heute wieder erklärt, dass in wenigen Tagen ein gutes Gesetz kommen werde. Er wird auch in einem halben
Jahr erklären, dass in wenigen Tagen ein gutes Gesetz
kommen werde. Insofern ist er sich doch hundertprozentig treu geblieben. Ich finde, das muss man respektieren.
({3})
Es geht uns darum, die feindlichen Übernahmen und
die Zerschlagung von Unternehmen zu erschweren; man
kann sie sicher nicht unmöglich machen. Dabei geht es
uns nicht so sehr um die Aktionäre im Allgemeinen, sondern eher um die Kleinaktionäre. Uns geht es um faire
Wettbewerbsbedingungen. In erster Linie geht es uns
aber um Arbeitsplätze, um Arbeitnehmer, um Familien
und damit - last, but not least - um Schicksale. Immer
wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass Einzelne betroffen sind.
Es geht uns aber ebenso um die Unternehmenskultur.
Bedenken Sie, was passiert ist: Hoechst existiert zwar
noch irgendwie, aber trotzdem ist alles ganz anders. Ich
glaube, man muss auch auf die Unternehmenslandschaft
achten. Es geht in diesem Zusammenhang darum, dass
wir die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften bei Übernahmen verbessern, um bestimmten Konzentrationsprozessen entgegenzuwirken.
Lothar Binding ({4})
Auf der anderen Seite gibt es sehr wohl die taktische
Kursgestaltung. Es gibt Spekulationen. Es gibt unberechenbare Vorgänge auf Handelsplätzen, zum Beispiel
das High Frequency Trading, das keiner genau überschauen kann. Das sind Vorgänge, die niemand vorhersehen kann.
Außerdem gibt es das Anschleichen, das Einschleichen. Das hat etwas mit Heimlichkeit zu tun: Man will
überraschen. Man will mit Überraschungseffekten den
eigenen Gewinn steigern, möglicherweise sogar als Unternehmen, das vor dem Konkurs steht. In einer letzten
Rettungsaktion versucht dieses Unternehmen aber, ein
gutgehendes Unternehmen zu übernehmen, um sich so
selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Dies geschieht aber
zum Preis der Zerschlagung von anderen Unternehmen.
Der Kollege Middelberg hat in der ersten Lesung gesagt:
Das Szenario einer Zerschlagung ist … ziemlich
unwahrscheinlich.
Er dachte an Hochtief. Ich glaube, das Szenario einer
Zerschlagung ist im Regelfall sehr wahrscheinlich. Herr
Middelberg sprach vom „Wert … in der komplexen,
weltweiten Aufstellung des Unternehmens“ und sagte:
Keiner würde so dumm sein, dieses Unternehmen
tatsächlich zu zerschlagen.
Wenn wir uns anschauen, wie viele gute Unternehmen in Wirklichkeit schon zerschlagen wurden, stellen
wir fest, dass der eigentliche Wert des Unternehmens im
Ideenreichtum der Arbeitnehmer und in deren Hände Arbeit liegt, dass aber viele Unternehmen, die feindliche
Übernahmen planen, darauf keine Rücksicht nehmen.
({5})
Deshalb spricht die praktische Erfahrung gegen das gutgläubige „Es wird schon nichts passieren!“. Nein, oft
geht es um die feindliche Übernahme, um die Filetierung. Es geht sogar darum, dass die Arbeitnehmer der
Zielgesellschaft letztendlich die Übernahme ihres Unternehmens und ihre eigene Entlassung auch noch bezahlen.
Wer das vermeiden will, der muss, ähnlich wie England und Frankreich - es gibt auch Länder, die das nicht
so machen; das stimmt -, die Verpflichtung zur Veröffentlichung und Abgabe eines Pflichtangebots auch für
den Fall vorsehen, dass der Erwerber die Schwelle von
30 Prozent - qualifizierte Beteiligung - überschreitet.
Das steht in unserem, dem SPD-Gesetzentwurf.
Wir glauben, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einen guten Schritt weiterkommen. Wir sind damit sicherlich noch nicht am Ende angekommen und haben auch
noch nicht alle Ziele erreicht, aber das ist eine gute Möglichkeit, um Übernahmen, die wir vermeiden wollen, zu
verhindern. Dadurch können wir die Möglichkeiten einschränken, sich legal an eine Zielgesellschaft anzuschleichen - auf Englisch heißt das Creeping-in; ohne
diese Begriffe geht es heutzutage gar nicht mehr -, womit die Absicht verfolgt wird, unauffällig und kostengünstig eine Kontrollposition gegenüber anderen Unternehmen zu erreichen.
Der Fall ACS/Hochtief war für uns der Anlass für das
Gesetz. Allein betrachtet wäre das kein hinreichender
Grund, zu handeln. Wenn man aber alle anderen Prozesse, die wir beobachten, hinzunimmt, hat man einen
guten Grund. Wenn man bei Hochtief genauer hinschaut,
stellt man fest, dass dieses Unternehmen schuldenfrei
und wirtschaftlich gesund war und gute Projekte in
Deutschland und Europa hatte. Das alles kann man über
ACS nicht sagen. Auch diesen Fall muss man also sehr
genau unter die Lupe nehmen. Er ist für uns Anlass genug, um darüber nachzudenken.
Wir wissen, dass im Markt auch durchaus über ganz
andere Dinge nachgedacht wird. Vielleicht erleichtert es
Ihnen die Entscheidung, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, wenn ich einige Namen nenne: Infineon,
Rheinmetall, MTU Aero Engines. Es gibt also weiterführende Gedanken mit Blick auf den Markt. Daher
lohnt es sich, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Schönen Dank.
({6})
Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Professor
Dr. Erik Schweickert.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schick, nur um das klarzustellen:
Ich wünsche Nicole Maisch von dieser Stelle alles Gute.
Als junger Vater weiß ich, was da auf sie zukommt. Der
Vorwurf in Richtung Ihrer Fraktion bezog sich nicht darauf, dass die Kollegin Maisch nicht anwesend ist. Ich
hätte ihr heute sehr gerne zugehört, weil sie immer etwas
Substanzielles zur Debatte beiträgt. Es ging darum, deutlich zu machen: In Ihrer Fraktion bearbeitet nicht nur
Frau Maisch das Thema Verbraucherschutz. Sie haben
eine Vorsitzende der Arbeitsgruppe für den Verbraucherschutz. Sie stellen außerdem eine stellvertretende Ausschussvorsitzende.
({0})
Von ihnen redet niemand, und es ist auch niemand von
ihnen anwesend. Das hätten wir gar nicht erwähnt, wenn
Sie nicht gemeint hätten, die Ministerin, die hierbei gar
nicht federführend ist, angreifen zu müssen. Das geht so
nicht, Herr Schick.
({1})
Frau Höll, es überrascht mich, dass Sie sagen, dass
Sie die Kompetenzen der Banken auf das Kerngeschäft
zurückschneiden wollen. Was bleibt denn dann noch übrig? Wollen Sie nur noch die freien Finanzvermittler?
Ich dachte, ich hätte die Anliegen der Linken anders verstanden. Wahrscheinlich muss man sich hier wundern.
Wir haben zwei Möglichkeiten. Entweder wir machen
etwas à la Hartz IV. Wir schnüren ein riesiges Paket, in
das insbesondere die Opposition sachfremde Sachen packen möchte, bei dem letztlich aber nichts herumkommt.
Wir gehen einen anderen Weg und sagen: Heute beschließen wir dieses Gesetz, das die Banken betrifft. Wir
haben zugesagt, dass wir in diesem Bereich auch Regelungen für die freien Finanzvermittler schaffen. Außerdem werden wir noch das Thema der Honorarberatung
angehen. Hier brauchen wir ein ganz klares Berufsbild.
Ich lege mich an dieser Stelle einmal fest: Ein Honorarberater ist für mich kein Vermittler, sondern ein Berater.
Das muss klar voneinander getrennt werden. Deshalb
brauchen wir ein gescheites Berufsbild, das mehr als nur
die Teilnahme an einem Wochenendseminar voraussetzt.
({2})
Vielmehr muss eine Trennung deutlich werden, und das
gesamte Spektrum muss überblickt werden. Dies sage
ich, damit Sie auch einmal einen Einblick in die Meinung der FDP-Bundestagsfraktion zum Verbraucherschutz bekommen.
({3})
Wir werden diesen Bereich also noch angehen.
Heute liegt uns ein Gesetzentwurf vor, über den wir
beraten müssen, ob er gut oder schlecht ist. Wenn ich
Herrn Binding höre, dann gewinne ich den Eindruck,
dass wir ein gutes Gesetz brauchen. Das ist aber falsch;
denn wir haben bereits ein gutes Gesetz. Warum haben
wir ein gutes Gesetz? Mit Blick auf die Reihen in der
Opposition muss ich sagen: Es waren Ihre Finanzminister, die damals Hedgefonds zugelassen haben, die meinten, die würden die große Rendite bringen.
({4})
- Der Herr Kelber regt sich schon wieder auf. Vielleicht
haben Sie die namentliche Abstimmung verpasst.
({5})
- Stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie etwas wissen
wollen.
({6})
- Wenn Sie das interessiert, dann stellen Sie eine Zwischenfrage.
Wir sichern mit diesem Gesetzentwurf die Qualität
der Beratung, indem wir uns die Qualifizierung der Berater nachweisen lassen, Herr Kelber. Das ist mehr als
das, was Sie hinbekommen haben. Außerdem erhöhen
wir mit diesem Gesetzentwurf die Transparenz bei den
Verkaufsgesprächen, weil wir die Offenlegung der Provisionen vorschreiben.
({7})
Eine größere Transparenz der Produkte kann nicht
über 40 Seiten Protokoll erreicht werden. Vielmehr haben wir Protokolle von zwei Seiten und bei komplexen
Beratungen von drei Seiten vorgesehen. Somit wird klar
festgelegt, dass der Kunde informiert wird.
({8})
- Wir haben das nicht festgelegt. Wir haben extra ins
Gesetz geschrieben, dass, wenn die Protokolle unseren
Anforderungen nicht genügen, wir dies sehr schnell und
ohne eine große Debatte auf dem Verordnungswege lösen können. Das ist überhaupt kein Problem.
({9})
Ich sage Ihnen auch, dass ich einheitliche Risikoklassen festlegen möchte. Hierbei brauchen wir Transparenz;
denn nur dann kann ich ein Produkt mit einem anderen
Produkt vergleichen. Sollen wir als Politik aber vorgeben, wie diese Sachen funktionieren?
({10})
Wir geben die Rahmenbedingungen vor. Wenn uns das
nicht passt, was uns die Banken vorlegen, werden wir
das auf dem Verordnungswege regeln, und zwar schneller, als Sie denken können.
({11})
Wie können wir die Rahmenbedingungen in diesem
Bereich schaffen? Wir müssen zusehen, dass die Aufgaben des Verbraucherschutzes erfüllt werden. Das muss in
die Finanzaufsicht integriert werden. Das ist für uns ein
wichtiges Thema.
({12})
- Das steht selbstverständlich im Gesetz. Das müssen
Sie nachlesen. Manchmal tut es sogar gut, wenn man die
Vorlagen der Regierung liest. Dann würde man nämlich
feststellen, dass genau diese Punkte darin enthalten sind.
Vorhin ist der Vorwurf der Bürokratie erhoben worden.
Wir haben die Meldung, die jetzt mit einem Knopfdruck
von den Banken erledigt werden kann, so hinbekommen,
dass das verwaltungstechnisch sehr wohl machbar ist.
Außerdem haben wir festgelegt, dass eine Vermittlerkartei erstellt wird, sodass wir wissen, gegen wen im Falle einer Falschberatung oder wenn sich die Beschwerden in
diesem Bereich häufen vorgegangen werden muss.
Allein schon die Erfassung der Daten, also wer am
Kunden arbeitet und wie die Beratung aussieht, wird zu
einer Disziplinierung beitragen. Der Berater wird sich
zweimal überlegen, ob er den Vorgaben seines Obervertriebes nachgibt oder ob er das Wohl des Kunden im
Auge hat. Darum geht es uns als christlich-liberale Koalition.
({13})
Da Sie so viel über die anderen Sachen reden, möchte
ich klar sagen: Wir werden diese Vorgaben auch auf dem
Grauen Kapitalmarkt umsetzen, aber in einem anderen
Gesetzestext. Wenn das Ihr einziger Kritikpunkt ist, ob
es ein Gesetz ist oder ob es drei Gesetze sind, dann ist
das wirklich schwach. Außerdem wissen Sie, dass die
Sachen, die wir hier sagen, auch umgesetzt werden.
Wenn dann der Vorwurf kommt, man hätte zu lange
gebraucht, dann sage ich nur, Herr Kelber: Wenn zwölf
Jahre nichts gegangen ist, wenn zwölf Jahre in diesem
Bereich nichts passiert ist, dann würde ich mir fünfmal
überlegen, ob ich diese Kritik hier äußere.
({14})
Die christlich-liberale Koalition geht beim Anlegerschutz voran. Sie macht einen Schritt nach dem anderen,
und diese macht sie schnell. Das ist ein Meilenstein für
die Verbraucherinnen und Verbraucher. Von daher sind
wir auf einem guten Weg und arbeiten in diesem Bereich
erfolgreich und effizient für den Verbraucherschutz. Um
genau das geht es.
({15})
Zu einer Kurzintervention der Kollege Kelber bitte.
Herr Kollege Schweickert, Sie haben mich insgesamt
viermal direkt angesprochen. Sie sind erst seit 2009 Mitglied des Bundestages. Sie haben gesagt, zwölf Jahre
lang sei nichts passiert. Haben Sie aufgepasst und bemerkt, dass Ihre Partei bei jeder Regulierung, die vorgenommen wurde, von Überregulierung
({0})
gesprochen hat und uns Irland und Island als Beispiele
für gute Finanzregulierung empfohlen hat?
Sie möchten antworten? - Bitte schön.
({0})
Herr Kollege Kelber, Sie haben gesagt, dass ich erst
seit 2009 Mitglied dieses Hohen Hauses bin; das ist richtig. Daher habe ich mir die Mühe gemacht, nachzuschauen, was damals zu diesem Punkt gesagt worden ist.
Ich möchte zitieren
({0})
aus einer Pressemitteilung Ihres damaligen Finanzministers Hans Eichel, der dort
({1})
- Moment, ich komme sofort dazu; dann können Sie es
in Relation setzen - zur „Verbesserung der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes“ geschrieben
hat:
Weitere wesentliche Bestandteile sind das Investmentgesetz 2003, Regelungen über Hedgefonds
und alternative Investments …
Wenn man in der Pressemitteilung weiterliest, um herauszufinden, was diese alternativen Investments sind,
findet man Folgendes:
Kreditinstitute können nunmehr in Deutschland ihre
Kreditforderungen und Kreditrisiken in Zweckgesellschaften bündeln und daraus eine Reihe liquider
Wertpapiere an den Kapitalmarkt bringen.
In der Pressemitteilung heißt es auch:
Damit wird Deutschland
- bei den Hedgefonds den Anschluss an die Entwicklung im Bereich alternativer Investments halten, die insbesondere im angelsächsischen Finanzmarkt weit vorangeschritten
ist.
({2})
Jetzt die Äußerung unseres Kollegen Solms, der damals dazu im Plenum gesprochen hat - ich zitiere -:
Deswegen will ich daran erinnern, Frau Staatssekretärin: Vertrauen für den Finanzmarkt zu schaffen
bedeutet mehr als die Schaffung von Finanzmarktförderungsgesetzen oder eine Liberalisierung bei
den Fondsprodukten.
Lieber Herr Kelber, nehmen Sie sich dies zu Herzen.
Dann wissen Sie, wo wir stehen und wo damals die Fehler gemacht worden sind.
({3})
Jetzt hat Caren Lay das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Eines ist aus meiner Sicht unstrittig: Der Gesetzentwurf, den wir heute behandeln, ist längst überfällig.
Aus Sicht der Kleinanlegerinnen und Kleinanleger
kommt er viel zu spät. Denn jedes Jahr verlieren private
Haushalte 20 bis 30 Milliarden Euro allein durch Falschberatung bei der Geldanlage. Vor diesem Hintergrund
muss ich sagen: Es ist völlig inakzeptabel, dass Sie
heute, zweieinhalb Jahre nach der Lehman-Pleite, sagen:
Wir beschließen heute einmal ein kleines Paket, dann
kommen der zweite, der dritte und der vierte Schritt. Das
sagen Sie uns jetzt seit Beginn dieser Legislaturperiode.
Das ist für uns als Opposition nicht mehr hinnehmbar.
({0})
Wir brauchen einfach nur diese Legislaturperiode zu
betrachten. Der Rettungsschirm für Banken einschließlich vieler Milliarden Euro Steuermittel war natürlich
ganz schnell gespannt. Auf einen Schutzschirm für Verbraucherinnen und Verbraucher, der diesen Namen wirklich verdient, warten wir bis heute. Wir als Linke haben
als Erste ein Gesamtkonzept für den finanziellen Verbraucherschutz vorgelegt; die anderen Oppositionsfraktionen sind bald gefolgt, übrigens häufig mit großen
Übereinstimmungen. Vor diesem Hintergrund ist das,
was die Koalition uns heute zur Abstimmung vorlegt,
überaus mager und für uns nicht hinnehmbar.
({1})
Man muss eine ganz andere Einschätzung haben,
wenn man hier von einem großen Wurf oder gar von einem Meilenstein für den Verbraucherschutz spricht. Die
Regierung verläuft sich hier in Klein-Klein, und die
wirklich zentralen Fragen des finanziellen Verbraucherschutzes werden überhaupt nicht angegangen. Deswegen
kann ich mich in meiner Rede auch nicht nur auf das
konzentrieren, was Sie falsch oder unzureichend regeln,
sondern ich möchte auch die Dinge ansprechen, die in
diesem Gesetzentwurf überhaupt nicht vorkommen, die
aber dringend notwendig wären, wenn man im Interesse
der Kleinanleger handeln möchte.
({2})
Das Kernanliegen von uns Linken ist immer, dass wir
sagen: Wir können nicht die gesamte Verantwortung auf
die Verbraucherinnen und Verbraucher abwälzen. Manche Finanzprodukte sind so intransparent, dass selbst
Profis nicht durchblicken. Wie soll dann eine Verkäuferin sie verstehen, die vielleicht 3 000 Euro, die sie sich
hart erspart hat, zur Bank tragen möchte, aber gar kein
Vertrauen mehr hat, ob sie ihr Geld dort in sicheren Händen weiß? Wir sagen: Hier ist die Politik gefragt. Wir
brauchen wirksame öffentliche Institutionen. Diese sind
nach wie vor nicht geschaffen.
Als ersten Schritt hätte man sagen können: Man muss
die Finanzaufsicht, die BaFin, stärken, indem man ihr
den gesetzlichen Auftrag für den Verbraucherschutz
gibt; auch wenn wir Linke dies für unzureichend halten,
wäre es ein erster Schritt gewesen. In diesem Gesetzentwurf ist aber Fehlanzeige. Wir sagen: Auch Deutschland
braucht endlich eine Verbraucherschutzbehörde für die
Finanzmärkte, die auch aktiv vor Missständen warnen
muss.
({3})
Das halten wir eigentlich für eine Selbstverständlichkeit.
In Ihrem Gesetzentwurf ist aber Fehlanzeige, ebenso wie
im Hinblick auf den Marktwächter und die Stärkung der
Verbraucherzentralen, was seit langem gefordert wird.
Kommen wir zur Registrierungspflicht für Berater.
Erstens gehen Sie mit der Registrierungspflicht das
Kernproblem nicht an.
({4})
Das Kernproblem ist die provisionsgetriebene Beratung.
Sie muss endlich überwunden werden.
({5})
Zweitens sind die überzogenen Verkaufsvorgaben, denen
die Beraterinnen und Berater ausgesetzt sind, ein ganz
zentrales Problem. Hier muss man ansetzen; denn diese
Vorgaben setzen die Beschäftigten der Bank unter
Druck. Auch diesen Mut haben Sie nicht aufgebracht.
Außerdem gibt es Finanzprodukte, die aus Sicht der
Linken so unseriös sind, dass sie überhaupt nicht auf den
Markt gehören. Deswegen fordern wir, wie viele andere,
einen Finanz-TÜV. Auch davon ist im Koalitionslager
noch nichts zu sehen.
Die fehlende Regulierung des Grauen Kapitalmarktes
wurde mehrfach angesprochen; dabei geht es beispielsweise um die freien Vermittler. Die Regulierung soll
jetzt auf die Gewerbeaufsicht der Länder abgewälzt werden.
({6})
Das ist wirklich ein völlig untaugliches Instrument, weil
die Gewerbeaufsicht, die sich ansonsten zum Beispiel
um den Nichtraucherschutz kümmert, hierfür überhaupt
nicht ausgestattet ist. Ihr Gesetzentwurf ist ein Flickenteppich, den die Verbraucherverbände an dieser Stelle zu
Recht kritisieren. Wir halten all das für den Gipfel einer
falschen Politik, die nicht im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher ist.
({7})
Meine Damen und Herren, die Koalition ist vor der
Bankenlobby eingeknickt.
({8})
Der Kollege Sieling hat zu Recht gesagt, dass es dafür ab
und zu ein Dankeschön gibt; Sie haben aus dem entsprechenden Schreiben zitiert. Eines haben Sie aber leider
nicht erwähnt: Ab und zu wird auch ein großzügiger
Scheck ausgestellt. Wenn man sich vor Augen hält, welche Beträge von Juli bis November letzten Jahres an
Union und FDP geflossen sind,
({9})
zum Beispiel von der Deutschen Vermögensberatung,
muss man sagen: Das passt wirklich auf keine Kuhhaut.
({10})
Ich sage nicht, dass es an dieser Stelle einen Zusammenhang gibt.
({11})
Fakt ist aber: Es gab Spenden in großer Höhe. Jeder
sollte sich selbst einen Reim darauf machen, ob es hier
einen Zusammenhang mit dem schwachen Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, gibt.
Vielen Dank.
({12})
Mechthild Heil spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Meine sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Finanzkrise hat das Vertrauen der
Verbraucher in die Finanzmärkte erschüttert. Selbst
hochanerkannte Finanzfachleute haben viel Geld verloren. Wenn Fachleuten, die sich doch auskennen müssten,
dies passiert, wie kann ich mich dann als Laie noch zurechtfinden? Das fragen sich viele Verbraucher und, wie
ich denke, auch viele Bürger, die dieser Debatte folgen.
Mit ihrer eigenen Bank, mit ihrem eigenen Berater
sind die meisten Anleger zufrieden. Dennoch ist die Verunsicherung unter den Bankkunden groß. Oder positiv
gesagt: Das Interesse der Kunden an den Produkten ist
stetig gewachsen.
Was verkauft mir mein Berater da eigentlich? Was
steckt dahinter? Wie viel Risiko gehe ich ein? Warum bietet er ausgerechnet mir dieses Produkt an? Und warum
das und nicht ein anderes? Was springt dabei eigentlich
für den Berater heraus? Blickt mein Berater da eigentlich
durch? Was befähigt ihn dazu, mich zu beraten? - Der
Verbraucher ist sensibilisiert, und mancher Verbraucher
ist sicherlich auch verunsichert.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf reagieren wir
auf diese Vertrauenskrise. Integere, effiziente und transparente Kapitalmärkte sind die entscheidende Voraussetzung für eine gesunde Volkswirtschaft. Wir stärken den
öffentlichen Anlegerschutz und verbessern die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte. Wir bekämpfen die Unsicherheit von Anlegern und stärken damit den Finanzplatz Deutschland.
({0})
Das wichtigste Anliegen aus Sicht des Verbraucherschutzes ist es, dem Bürger zu ermöglichen, seine Entscheidungen wirklich mündig fällen zu können. Mit diesem Gesetz tun wir genau das: Wir stärken den Schutz
der Verbraucher, und wir bringen mehr Transparenz in
das ganze System.
Das Beratungsprotokoll hat die Beweissituation von
Privatanlegern bereits verbessert.
({1})
Wir gehen heute aber noch einen Schritt weiter: Produktinformationsblätter werden Pflicht. In den Produktinformationsblättern werden die wesentlichen Eigenschaften
des Finanzproduktes in leicht verständlicher Form auf
zwei bis drei Seiten dargestellt. Dieser „Beipackzettel“
enthält alle wesentlichen Informationen über das jeweilige Finanzprodukt. Der Kunde wird informiert, und er
kann auf einen Blick die Art des Finanzprodukts, seine
Funktionsweise, die damit verbundenen Risiken, die
Aussicht auf Kapitalrückzahlung bzw. Erträge unter den
verschiedenen Marktbedingungen und die mit der Anlage verbundenen Kosten sehen. Das Informationsblatt
darf sich jeweils nur auf ein Finanzprodukt beziehen.
Werbung und sonstige, nicht dem Zweck dienende Informationen sind verboten.
Der Vorteil dieses Informationsblattes sind eine realistische Einschätzung des Produktes und eine gute Vergleichbarkeit mit anderen Finanzprodukten. Damit steigern wir die Entscheidungssicherheit des Einzelnen
gegenüber den Banken und Anlageberatern.
Welche Konsequenzen ziehen wir aber noch aus der
Finanzkrise? - Die Krise hat gezeigt: Nicht jeder Berater
hat die nötige Sach- und Fachkunde. Und sie hat gezeigt:
Nicht immer stand bei der Anlageberatung das Kundeninteresse im Vordergrund. Provisionen und Vertriebsvorgaben spielen eine große Rolle. Es muss jedoch klar
sein: Provisionen und Vertriebsvorgaben dürfen nicht zu
Falschberatungen führen.
Darüber hinaus muss derjenige, der mit dem Geld anderer Leute umgeht, ein hohes Verantwortungsbewusstsein haben und hohe Sach- und Fachkenntnisse besitzen.
Deshalb verpflichtet der vorliegende Gesetzentwurf zum
Nachweis der Sach- und Fachkunde der Anlageberater,
Vertriebsbeauftragten und der Compliance-Beauftragten.
Daher legen wir im Gesetz fest: Jeder der rund
300 000 Berater muss sich bei der Finanzaufsichtsbehörde BaFin registrieren lassen. Wie in einem Klassenbuch wird jede Beschwerde, der Name des Mitarbeiters
sowie des Unternehmens vermerkt. Das ist ein richtiger
und wichtiger Schritt in Richtung Schutz der Anleger einerseits und Stärkung der Verantwortlichkeit der Berater
andererseits.
Wir führen Sanktionsmöglichkeiten der BaFin im
Falle von Falschberatungen ein. Kommt es wiederholt
zu Falschberatungen, kann als letzter Ausweg ein Anlageberater bis zu zwei Jahre von seiner Funktion suspendiert werden. Das ist ein wichtiger Beitrag für mehr Verbraucherschutz in Deutschland.
Die Möglichkeiten der BaFin gehen in Zukunft aber
noch weiter: Die BaFin prüft auch die Vertriebsstrukturen, die für eine Falschberatung ausschlaggebend waren.
Somit sagen wir auch Provisionen und Vertriebsvorgaben, die sich gegen einen Kunden wenden, den Kampf
an.
Das Gesetz verpflichtet die Banken ausdrücklich,
Vertriebsvorgaben so auszugestalten, umzusetzen und zu
überwachen, dass die Kundeninteressen nicht beeinträchtigt werden. Doch was macht die Opposition? - Die
traurige Wahrheit sieht wie folgt aus: Die SPD sträubt
sich gegen eine pauschale Registrierung. Das verwundert mich schon sehr, hat doch im Sommer noch die gesamte SPD mit Herrn Steinmeier an ihrer Spitze in einem Antrag zur Stärkung des Verbraucherschutzes eine
- ich zitiere - „umfassende Registrierungspflicht“ gefordert.
({2})
Von Ihrem hohen Anspruch ist nach Druck von den Gewerkschaften und von Bankenlobbyisten nicht viel übrig
geblieben. Der Schutz der Verbraucher ist bei Ihnen auf
der Strecke geblieben.
({3})
Die Sozialdemokraten fordern aktuell in ihrem Antrag: Registrierung erst nach Kundenbeschwerde. Als
Anwalt der Verbraucher sind Sie gestartet,
({4})
und jetzt ziehen Sie mit einer bunten Truppe aus Gewerkschaften, Interessenverbänden und Banken unter
dem Slogan „Kriminalisierung eines Berufsstandes“ gegen den Schutz von Anlegern vor schlechten Beratern zu
Felde. Das ist schäbig.
({5})
Es geht nicht um die Kriminalisierung eines Berufsstandes. Wir als CDU/CSU nehmen aber die Realität in den
Blick.
Ja, der einzelne Kundenberater kann durch Vorgaben
seiner Vorgesetzten unter großen Verkaufsdruck geraten.
Deshalb wird die BaFin ja auch die gesamte Beratungsstruktur in den Blick nehmen. Aber genauso wenig, wie
ein Lkw-Fahrer über eine rote Ampel fahren darf, nur
weil sein Chef ihm einen engen Zeitplan vorgegeben hat,
darf ein Bankberater ungeeignete Papiere an seine Kunden verkaufen, nur um Zielvorgaben zu erfüllen. Tut er
das, müssen er und sein Chef mit Sanktionen rechnen.
Das ist richtig, und das wollen wir zum Schutz der
Verbraucherinnen und Verbraucher. Dadurch schaffen
wir Vertrauen. Mit dem Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz schaffen wir die Grundlage dafür.
Vielen Dank.
({6})
Die Kollegin Kerstin Tack spricht jetzt für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man
sich den Gesetzentwurf anguckt, muss man sich fragen:
Was war das Ziel, und was ist das Ergebnis? Zum Ziel
hat der Kollege Schick vorhin schon etwas aus dem
Koalitionsvertrag zitiert, indem er gesagt hat: Ziel dieser
Koalition war es, eine Einheitlichkeit bei den Rahmenbedingungen sowohl für die Vermittlung als auch für die
Vertriebswege als auch für die Produkte selber herzustellen.
Gucken wir uns jetzt einmal an, was wir hier heute
mit dem Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt bekommen
haben, nämlich eine Zweiteilung auf dem Beratermarkt.
Auf der einen Seite gibt es die streng regulierten Bankberater, auf der anderen Seite freie Vermittler, denen ein
Gewerbeschein genügt, um Fondsanteile verkaufen zu
dürfen. Die genauen Regelungen werden wir am Ende
des Tages hier vorgelegt bekommen. Das alles machen
Sie ja erst noch. Sie sind noch dabei, uns das alles vorzulegen. Das haben Sie ja nicht in einem Rutsch hinbekommen. Das wollen wir an dieser Stelle doch einmal
konstatieren.
({0})
Frau Aigner hat als Verbraucherschutzministerin in
den letzten Monaten keine Gelegenheit ausgelassen, ihre
Vorstellungen in Bezug auf eine künftige Regelung
kundzutun. Sie hat immer wieder auf den Koalitionsvertrag verwiesen und gesagt, sie wolle die Einheitlichkeit
und dass die Protokollierung standardisierter wird. Sie
hat auch immer wieder gesagt, dass die Honorarberatung
gestärkt werden muss und dass für das Produktinformationsblatt eine standardisierte Vorgabe erforderlich ist.
({1})
Was ist passiert? Von den Ankündigungen ist im jetzigen Gesetzentwurf nichts übrig geblieben.
({2})
Wehe dem Verbraucher, der sich auf die Ankündigungen von Frau Aigner verlässt; denn davon bleibt doch
nichts übrig. Jetzt ist es schon so weit, dass die Ankündigungen nicht nur von der Ministerin kommen, sondern
auch von den jeweiligen verbraucherpolitischen Sprechern der Regierungskoalition.
({3})
Herr Schweickert, ich habe Ihre Ankündigung zur
Honorarberatung gehört. Mir fehlt aber der Glaube, dass
das in Ihren nächsten und übernächsten Schritten auch
Wirklichkeit wird. Sie kündigen ja auch hinsichtlich des
Protokolls an: „Wenn das nicht reicht, dann arbeiten wir
nach“, und zu den Produktinformationsblättern sagen
Sie: „Wenn das nicht reicht, dann machen wir eine
Rechtsverordnung.“ Wenn Sie doch schon wissen, dass
das nicht ausreichend ist; wieso stehen die Ergänzungen
denn dann nicht hier drin?
({4})
Was die Protokolle angeht, die schon vorgeschrieben
sind, gibt es kein Testheft von Stiftung Warentest, in dem
nicht festgestellt wird, dass sie nicht nachvollziehbar
und inhaltlich unzureichend sind oder erst gar nicht erstellt werden. Das wollen Sie komplett ignorieren und
stellen allenfalls eine Nachregelung in Aussicht.
({5})
Warum regeln Sie es nicht in dem Gesetzentwurf? Das
wäre doch Ihre Aufgabe gewesen.
Menschen, die eine Beratung aufsuchen, erwarten,
dass sie eine vernünftige Auswertung und Protokollierung des Gespräches bekommen können. Schließlich
sollen sie daraus auch später Ansprüche gegenüber dem
Berater ableiten können.
({6})
Des Weiteren sehen Sie eine Stärkung der Bankaufsicht vor, indem Sie die Bankberater verstärkt unter
Druck setzen wollen. In der Begründung des Gesetzentwurfes stellen Sie selber fest:
Problemfelder sind insbesondere die heterogene
Qualifikation der Anlageberater und die nachteilige
Beeinflussung durch Vertriebsinteresse, -druck und
-provisionen.
Aber was ist die Quintessenz aus dieser Problembeschreibung? Was passiert in Bezug auf den Vertriebsdruck?
Sie setzen die Bankberater immens unter Druck, indem sie nicht nur montags die Anweisung bekommen,
wie freitags die Zahlen auszusehen haben, sondern indem Sie auch eine Prüfung durch die BaFin vorsehen.
Sie sagen, die Bankberater würden schon Manns genug
sein, sich dagegen zu wehren, wenn die Vorgaben am
Montag zu hoch sind, um mit der Zahl der Kunden, die
die Woche über die Bank besuchen, eingehalten zu werden. Das kann doch nicht sein. Es kann nur darum gehen, die Vertriebswege und die internen Systeme der
Banken in den Blick zu nehmen. Sie können doch nicht
die Berater dafür bestrafen, dass das System innerhalb
der Bank nicht stimmt. Da stinkt der Fisch vom Kopf.
Das ist die Situation.
({7})
Richtig wäre gewesen, sich den Vertriebswegen stärker zu öffnen und einen vernünftigen Informantenschutz
für das System zu schaffen, damit Bankberater eventuelle Missstände in ihrer Bank unter besonderem Schutz
weitergeben können. Das wäre vernünftig gewesen und
hätte uns weitergeholfen.
Ein gutes Gesamtkonzept auch aus Sicht des Verbraucherschutzes muss mehr beinhalten. Es muss eine
Marktwächterfunktion vorsehen. Es muss auch beinhalten, dass die Verbraucherzentralen die Märkte beobachten können und Beschwerderechte haben. Wir haben das
in der Großen Koalition noch gemeinsam beschlossen.
Davon wollen die Kollegen von der CDU/CSU heute
nichts mehr wissen.
Damals haben wir auch die Stärkung der Honorarberater, die Klärung eines genauen Rechtsrahmens und die
Kostentransparenz beschlossen. Auch das ist nicht mehr
im Gesetzentwurf enthalten.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Dieser Gesetzentwurf
schützt keinen Anleger. Er schützt die freien Vermittler
und den Grauen Kapitalmarkt vor Regulierung und
Sanktionierung. Das machen wir nicht mit.
Herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Ralph Brinkhaus hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Privileg des letzten Redners in der Debatte ist, dass er auf
alles reagieren kann, was vorher gesagt wurde. Ich muss
ehrlich sagen: Die Debatte war ein bisschen rituell. Die
Regierung sagt: Alles ist gut. Die Opposition sagt: Alles
ist schlecht. Das ist das Übliche.
({0})
Gestört hat mich ein bisschen, Herr Schick und Herr
Sieling, dass Sie das Ganze etwas auf die persönliche
Ebene gezogen haben. Ich glaube, das ist nicht notwendig. Ich glaube, wir alle wollen im Anlegerschutz mehr
tun. Wir haben unterschiedliche Vorstellungen, wie das
geschehen kann. Dementsprechend wünsche ich mir,
dass wir die Diskussion mit weniger Schaum vor dem
Mund ein wenig sachlicher führen.
({1})
Ich nehme die einzelnen Kritikpunkte, die heute wie
auch in Briefen von Gewerkschaften und Personalräten
geäußert worden sind, sehr ernst und möchte auf den einen oder anderen Punkt eingehen. Fangen wir mit dem
Anschleichen an. Kollege Middelberg hat dazu einiges
ausgeführt.
Wir schließen eine Lücke und damit eine Umgehungsmöglichkeit im geltenden Recht. Das ist ehrenwert, gut und richtig. Es trifft aber nicht zu, dass wir daRalph Brinkhaus
mit das ganze Übernahmerecht verbessern. Diesen
Anspruch erheben wir gar nicht. Das ist ein sehr komplexer Prozess, dem übrigens auch der SPD-Antrag nicht
gerecht wird.
Wir müssen vielmehr das Ganze in den Blick nehmen
und feststellen, ob das, was teilweise in Presse und Wissenschaft geäußert wird, zutrifft, nämlich dass deutsche
Unternehmen ein besseres Ziel für feindliche Übernahmen sind als Unternehmen in anderen Ländern.
Das ist insofern gerade jetzt besonders wichtig, als
deutsche Unternehmen besser dastehen als viele andere
Unternehmen in vielen anderen Ländern und deswegen
durchaus ein Übernahmeziel sind. Wir werden das sorgfältig machen. Wir werden ein Fachgespräch führen. Wir
werden gemeinsam mit Ihnen die Anregungen gründlich
aufgreifen und werden dann Lösungen erarbeiten, die
dazu beitragen werden, dass wir ein Level Playing Field,
einen fairen Wettbewerb, in Europa und auch in der ganzen Welt haben.
Zweiter Punkt: Produktinformationsblätter. Dazu muss
man einfach einmal sagen, dass wir es gemacht haben.
Wir haben ein Produktinformationsblatt eingeführt
({2})
gegen sehr viel Widerstand. Wir haben teilweise konkurrierende europäische Regelungen, wir haben Vorstellungen im Bankenbereich, wie das Ganze aussehen soll.
Wir haben angefangen, wir haben es gemacht. Jetzt kann
man natürlich kritisieren, dass das Ganze nicht detailliert
genug ist. Man kann kritisieren, dass darin nichts steht
zu ökologischen und sozialen Aspekten. Man kann viel
kritisieren. Aber man sollte doch einfach mal anerkennen, dass wir einen Anfang gemacht haben. Wenn wir
bessere Erkenntnisse gewinnen, dann werden wir diese
einbeziehen. Das müssen wir sowieso tun, weil wir auf
europäischer Ebene die PRIPs-Intiative haben, wonach
wir dieses Informationsblatt in zwei bis drei Jahren überarbeiten müssen.
({3})
Dritter Punkt: Beraterqualität. Ganz ehrlich, meine
Damen und Herren, wer kann denn wirklich etwas dagegen haben, dass wir verlangen, dass Berater im Wertpapierbereich über Sachkunde verfügen? Wer kann denn
wirklich etwas dagegen haben?
({4})
Dementsprechend sollte man anerkennen, dass wir
das hier an dieser Stelle im ersten Schritt bei den Bankberatern verortet haben. Wir haben sogar noch eines gemacht: Damit durch dieses Gesetz niemand geschädigt
wird, haben wir die Übergangsfrist im Gesetzgebungsprozess noch einmal verlängert. Wir haben eine „AlteHasen-Regelung“ eingebaut. Wir haben ganz viele Regelungen eingebaut, damit auch Leute, die vielleicht
nicht über die formale Qualifikation verfügen, genügend
Zeit haben, sich diese Qualifikation anzueignen.
Zweiter Punkt hierzu: Was kann man dagegen haben,
dass die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, tatsächlich überwacht, ob die Beratung
gut und richtig ist? Was kann man wirklich dagegen haben? Genau das werden wir in diesem Gesetz regeln.
Man muss eines dazu sagen - das ist jetzt an die Kollegen der SPD gerichtet -: Ja, wir fangen eben nicht nur
bei den Beratern an, sondern elementarer Teil dieses Gesetzes ist, dass wir erstmals die Vertriebsbeauftragten
und die Compliance-Beauftragten in Unternehmen in
den Fokus nehmen und versuchen, auch diese zu überwachen.
Was wird passieren? Es wird Folgendes passieren:
Wir werden alle Bankberater registrieren. Ja, wir werden
alle Bankberater registrieren. Da kann man jetzt einwenden, das sei eine riesige Bürokratie. Wir haben das bei
den Versicherungsvermittlern gemacht, die übrigens fast
genauso viele sind wie die Bankberater. - Anstandslos.
Es gibt keine Beschwerde.
({5})
In einem zweiten Schritt werden wir dann die Beschwerden, die von Kunden gegenüber einem Bankberater geäußert werden, sammeln. Es wird aber nicht so
kommen wie bei der Flensburger Verkehrssünderkartei:
sechs Beschwerden, und du bist raus, du kriegst ein Berufsverbot. Das ist ja die Befürchtung, die von den Gewerkschaften immer wieder suggeriert wird. Nein, es
wird so sein: Wenn wir eine gewisse Häufung von Beschwerden haben, dann wird die BaFin anrücken, und
dann wird sie beim Berater fragen, was schiefgelaufen
ist. Sie wird aber genau das tun, was Sie angemahnt haben. Sie wird nämlich auch bei den Vertriebsstrukturen
prüfen, was dort schiefgelaufen ist, ob da ein Vorgesetzter ist, der unzulässigerweise Druck ausgeübt hat.
({6})
Sie wird auch den Compliance-Beauftragten befragen:
Gibt es in diesem Unternehmen eine Unternehmenskultur, die gezielt auf eine Falschberatung hinwirkt?
Das ist neu, das ist gut, und das ist richtig. Das ist ein
Quantensprung gegenüber all den Dingen, die wir vorher
gemacht haben. Das muss man auch mal anerkennen.
({7})
Jetzt will ich Ihnen eines sagen. Es wird ja immer so
getan, als könne der arme Berater nichts dafür. Wir wissen, dass Vertriebsdruck in den Betrieben ausgeübt wird.
Aber wer kann denn ernsthaft etwas dagegen haben, dass
dann, wenn ein Berater systematisch über Jahre hinweg
eine Falschberatung betreibt, systematisch über Jahre
hinweg das Vermögen, das ihm anvertraut wird, vernichtet, ganze Lebensentwürfe vernichtet, wie das im Lehman-Fall passiert ist, diesem Berater als Ultima Ratio
gesagt wird, dass er für zwei Jahre aus dem Verkehr gezogen wird? Ich kann das nicht verstehen.
({8})
Denn auch der Berater hat eine Verantwortung.
Im Übrigen tun wir mit diesem Gesetz eines: Wir stärken den Berater gegenüber seinem Chef, weil er sich immer wieder darauf berufen kann: Ich werde beobachtet,
ich muss für mein Handeln einstehen.
({9})
Deswegen ist es so richtig, wie wir diesen Gesetzentwurf
gemacht haben, und deswegen ist es völlig unverständlich, dass von der SPD versucht wird, dieses Gesetz mit
der Begründung zu torpedieren, dass das zu viel Bürokratie sei. Das, Herr Sieling, ist armselig!
({10})
Kommen wir zum nächsten Bereich, zum Bereich der
offenen Immobilienfonds. Wir haben festgestellt, meine
Damen und Herren, dass wir bei den offenen Immobilienfonds einen Konstruktionsfehler haben. Der Konstruktionsfehler bestand darin, dass wir auf der einen
Seite den Anlegern versprochen haben, dass sie täglich
ihre Anteile zurückgeben dürfen und ihr Geld dafür kriegen,
({11})
das aber mit Immobilien unterlegt war, die man nicht
täglich wie Aktien in einem Aktienfonds verkaufen
kann.
Wir haben dieses Problem angepackt. Wir haben dieses Produkt durch Mindesthaltefristen, Kündigungsfristen und vieles andere mehr sicherer gemacht, und zwar
in einem Prozess, der wahnsinnig schwierig war; denn
die Branche hatte keine Lösung angeboten. Wir mussten
das alleine machen. Wir haben das auch auf den Weg gebracht. Das Einzige, was Ihnen, Herr Sieling, dazu einfällt, ist der Satz: Ich habe dagegen Bedenken. - Der Gegenvorschlag, den Sie im Entschließungsantrag machen,
läuft letztendlich nur auf eine genauere Beobachtung hinaus. Das entspricht nicht dem Niveau, auf dem wir hier
diskutieren sollten. Aber das passt zu Ihnen, Herr
Sieling, und Ihrer Rede. Das ist nicht gut.
({12})
Nachdem ich einiges zum Gesetzentwurf gesagt habe,
lassen Sie mich noch ein paar allgemeine Ausführungen
machen.
({13})
Lassen Sie mich auf den Vorwurf der Branche eingehen,
wir regulierten zu viel und verursachten einen zu hohen
bürokratischen Aufwand. Ich habe grundsätzlich eine
sehr marktwirtschaftliche und wirtschaftsliberale Einstellung und frage mich manchmal auch, ob das, was wir
regulieren, richtig ist oder ob wir dadurch nicht nur zusätzlichen bürokratischen Aufwand verursachen. Aber
die gesamte Finanzbranche hatte seit 2008 zweieinhalb
Jahre Zeit, auf all die Fragen, die die Finanzkrise aufgeworfen hat, eigene Antworten zu geben. Diese Antworten sind nie gekommen, weder beim Eigenkapital noch
bei der Liquidität noch bei den Ratingagenturen und
auch nicht beim Verbraucherschutz. Wenn die Branche
nun sagt: „Ihr macht da etwas falsch; das ist eine Überregulierung“, dann muss sie sich fragen lassen, warum sie
keine eigenen Vorschläge gemacht hat.
({14})
Ich will das am Beispiel der offenen Immobilienfonds
erläutern. Wir wissen seit zwei Jahren, dass dieses Produkt in der Krise ist.
({15})
Wir warten seit zwei Jahren auf Vorschläge der Branche.
Aber es kommt nichts. Schlimmer noch: Jeder Vorschlag, den wir gemacht haben, wurde bekämpft, einmal
vom Verband, dann von größeren Anbietern und dann
wieder von kleineren Anbietern. So kann man nicht arbeiten. Ganz ehrlich: Wenn man Marktwirtschaft ernst
nimmt, dann muss man dem Markt auch zugestehen,
dass er in der Lage ist, Probleme selbst zu lösen.
({16})
Ich habe das Gefühl, dass der Finanzmarkt momentan
dazu nicht in der Lage ist. Er ist nicht in der Lage, seine
Probleme selbst zu lösen. Deswegen darf er sich nicht
wundern, dass wir Politiker mit unserem vielleicht begrenzten Wissen - so demütig sollten wir sein - hin und
wieder Regelungen erlassen, die nicht optimal sind.
Aber der Finanzmarkt hätte immer die Alternative gehabt, sich selbst zu regulieren und selber etwas auf den
Weg zu bringen. Warum müssen wir denn ein Produktinformationsblatt machen? Warum hat es der Zentrale Kreditausschuss nicht geschafft, ein bundesweit einheitliches Produktinformationsblatt für Deutschland auf den
Weg zu bringen? Das geht so nicht. Da darf er sich nicht
wundern, dass wir das machen.
Ein letzter Satz, den ich Ihnen noch mitgeben möchte.
Ich habe neulich an einer Podiumsdiskussion über die
Finanzmärkte teilgenommen; es waren nette Gespräche
mit netten Bankern. Herr Schick, ich habe dann eingeworfen: Ohne Ethik und Moral funktioniert Marktwirtschaft nicht. - Daraufhin wurde mir empört entgegengeschleudert: Der Markt hat keine Moral, Herr Brinkhaus. Das ist zwar richtig. Aber die einzelnen Marktteilnehmer
sollten Ethik und Moral haben.
({17})
Ich habe das Gefühl, dass die Finanzbranche, die überwiegend gut und korrekt arbeitet - das gilt insbesondere
für die vielen Hunderttausenden Mitarbeiter -, nicht
über die Selbstreinigungskraft verfügt, diejenigen, die
nicht diese Moral haben, zu bekämpfen. Ich wiederhole:
Ich habe das Gefühl, dass die Finanzbranche nicht über
die Selbstreinigungskraft verfügt, diejenigen zu bekämpfen, die nicht diese Moral haben. Dann muss sich diese
Branche auch gefallen lassen, reguliert zu werden.
Eines steht fest - das gilt zumindest für uns -: Wir
sind noch immer begeisterte Anhänger der Marktwirtschaft. Aber wir werden es nie wieder zulassen, dass
eine Branche durch Fehlverhalten die Marktwirtschaft
gefährdet. Deswegen beschließen wir heute über den
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes. Die freien Vermittler werden genau den
gleichen harten Regelungen unterworfen wie die Bankvermittler und Bankberater. Wir werden auch Basel III
weiter umsetzen und die OTC-Derivate regulieren. Die
christlich-liberale Koalition wird den eingeschlagenen
Weg weitergehen. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung.
Danke.
({18})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der
Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts. Zu diesem Punkt
liegt eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Ge-
schäftsordnung des Abgeordneten Thomas Dörflinger
vor.1)
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 17/4710 und
17/4739, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den
Drucksachen 17/3628 und 17/3803 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, bitte ich um ihr Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koali-
tionsfraktionen angenommen. Dagegen haben SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die Linke hat sich ent-
halten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dafür stimmt, möge bitte
aufstehen. - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! -
Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem
gleichen Stimmenverhältnis angenommen wie vorher.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Zunächst stimmen wir ab über den
Entschließungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksa-
che 17/4721. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt bei Zustim-
mung durch die einbringende Fraktion, dagegen haben
CDU/CSU und FDP gestimmt, enthalten haben sich
Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4722. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Dafür hat
die einbringende Fraktion Die Linke gestimmt, dagegen
haben die Koalitionsfraktionen und die SPD gestimmt,
enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen.2)
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
1) Anlage 4
2) Anlage 5
Drucksache 17/4723. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist abgelehnt bei Zustimmung durch das Bündnis 90/Die
Grünen, dagegen haben die Koalitionsfraktionen gestimmt, SPD und Linke haben sich enthalten.
Wir kommen zu Zusatzpunkt 10 a: Abstimmung über
den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung
des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes. Der
Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4710, den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 17/3481 abzulehnen. Wer für den Gesetzentwurf stimmen will, möge die
Hand heben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt bei Zustimmung durch die SPD, die Regierungsfraktionen haben dagegen gestimmt, enthalten haben sich Linke und
Bündnis 90/Die Grünen. Damit entfällt die dritte Beratung.
Wir setzen die Abstimmungen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses fort.
Zusatzpunkt 10 b: Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2136
mit dem Titel „Gesamtkonzept zur Stärkung des Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen vorlegen“. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und FDP,
dagegen hat die SPD gestimmt, Linke und Bündnis 90/
Die Grünen haben sich enthalten.
Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3540 mit dem Titel „Beschäftigtenrechte bei Übernahmen und Fusionen
stärken“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/
CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3210 mit dem Titel „Verbraucherschutz auf Finanzmärkten nachholen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Bündnis 90/Die
Grünen hat dagegen gestimmt, Linke und SPD haben
sich enthalten.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Hans-Josef Fell, Ingrid Nestle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Klimaverträgliche Energien für Europa Erneuerbar, effizient, sicher
- Drucksache 17/4687 10294
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Vorgesehen ist, hierzu eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Kollegin Bärbel Höhn für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Am 4. Februar dieses Jahres
hat der EU-Gipfel zur Energiepolitik stattgefunden. EUKommissar Oettinger hat Anfang dieser Woche beim
Neujahrsempfang des Bundesverbandes Erneuerbarer
Energien seine Konzepte vorgetragen. Wir Grünen halten es für notwendig und sinnvoll, auch im Bundestag
über dieses Thema zu debattieren; denn es geht um die
zukünftige Klima- und Energiepolitik in Europa. Wir sehen, dass eine negative Entwicklung nicht nur in
Deutschland, sondern auch in Europa stattfindet. Wir
stellen fest, dass die Politik rückwärtsgewandt ist. Das
wollen wir thematisieren, denn das hat auch in Deutschland Auswirkungen.
({0})
Während wir vor einigen Jahren noch erlebt haben,
dass Deutschland und Europa in der Klimapolitik und in
Bezug auf die erneuerbaren Energien Vorreiter waren, so
müssen wir jetzt feststellen, dass die Ergebnisse des letzten EU-Rates enttäuschend sind. Es ist so, dass die erneuerbaren Energien in der zukünftigen Energiepolitik
von Europa gar nicht vorkommen. Für Sie mag vielleicht
verwunderlich sein, dass ich mich darüber sogar freue;
({1})
aber es ging darum, etwas Schlimmeres zu verhindern.
EU-Kommissar Oettinger hatte nämlich einen dramatischen Angriff auf unser deutsches EEG in Vorbereitung:
Er wollte versuchen, es von Europa aus zu kippen.
({2})
Es ist gut, dass die Mehrheit der EU-Länder das abgewehrt hat.
({3})
Unter dem Begriff „Harmonisierung“ - das hört sich ja
eigentlich ganz gut an - wollte er versuchen, die einzelnen Förderinstrumente der Länder aufeinander abzustimmen. Das heißt, wir hätten wirkungslose Systeme
von anderen übernehmen müssen. Es war richtig, dass
wir sofort interveniert haben.
({4})
Es war richtig, dass wir unseren Europaabgeordneten gesagt haben: Seid vorsichtig, passt auf! - Ja, es gibt auch
ein paar Aufrechte in der CDU/CSU; auch Sie gehören
dazu, Herr Göppel. Aber leider repräsentieren Sie da
nicht mehr die Mehrheit Ihrer Fraktion; die Mehrheit Ihrer Abgeordneten ist mittlerweile auf einem anderen
Trip. Ich würde mich freuen, Herr Göppel, es wäre anders.
Warum gibt es diesen Trend, die Angriffe auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland? Der Grund
ist die Laufzeitverlängerung; denn die Atomkraftwerke
wollen ihren Strom weiter ins Netz speisen, und der
Ausbau der Erneuerbaren würde genau das verhindern.
Gerade wenn die Erneuerbaren ausgebaut werden, können die großen Energiekonzerne mit ihren Atomkraftwerken nicht den erhofften Gewinn machen. Deshalb
versuchen sie, den Ausbau der Erneuerbaren zu verhindern.
({5})
Ich persönlich finde deshalb, dass der Begriff „Brückentechnologie“ eigentlich das Unwort des letzten Jahres ist.
({6})
Diejenigen, die die Atomkraft als Brückentechnologie
für die Erneuerbaren bezeichnen und die Laufzeitverlängerung deshalb gutheißen, hätten einmal zum Empfang
des Bundesverbandes Erneuerbarer Energien gehen sollen. Dort hätten sie feststellen können, dass die Betroffenen selber die Laufzeitverlängerung als Mauer und nicht
als Brücke sehen. Deshalb werden wir weiter dagegen
vorgehen.
({7})
Der erste Redner auf diesem Empfang, Herr Fuchs, hat
gesagt: Die Umlage für die erneuerbaren Energien wird
noch enorm steigen. Am Ende dieses Jahres werden es
5 Cent statt 3,5 Cent sein. - Das sind Gruselgeschichten,
und das weiß er auch. Wenn man die Fehlentwicklungen
im Erneuerbare-Energien-Gesetz endlich angehen würde
- und das muss man tun; das müssen Sie tun -, dann
kann man die Umlage im nächsten Jahr sogar mindern.
Das hat eine Studie des DIW, die heute veröffentlicht
wurde, deutlich gemacht. Das heißt, wenn man vorsichtig und sorgfältig mit dem EEG umgeht, dann ist - so
das DIW - im Jahre 2020 die Umlage nicht höher als
3,5 Cent, also nicht mehr als in diesem Jahr. Wir fordern
Sie auf, das umzusetzen; denn damit bewahren wir den
Ausbau der erneuerbaren Energien und entwerfen keine
Horrorszenarien, wie der Kollege Fuchs das am Montag
getan hat.
({8})
Wichtig ist, dass wir den Bereich der erneuerbaren
Energien schützen, weil er eine Erfolgsgeschichte ist. In
den letzten Jahren wurden durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien 70 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr eingespart, 320 000 Menschen haben Arbeit gefunden, und
beim Export haben wir Spitzenergebnisse zu verzeichnen. Das alles lassen wir uns von Ihnen nicht gefährden.
Deshalb kämpfen wir weiter für den Bereich erneuerbare
Energien.
({9})
- Ja, ab und zu gibt es Abgeordnete, die mitkämpfen.
Das ist doch auch in Ordnung.
Wir müssen uns daneben um einen zweiten Aspekt
kümmern, nämlich um die Energieeinsparung. Ich stelle
fest: Bisher haben Sie nur Sonntagsreden gehalten.
Angela Merkel sagte am 3. Januar 2007 in einem Interview mit der Financial Times Deutschland: Das A und O
ist Energieeffizienz, sparsamer Umgang mit Energie. Im
Koalitionsvertrag heißt es: Wir wollen „die enormen
Potenziale im Bereich Energieeffizienz heben“.
({10})
Dann tun Sie es auch! Das, was Sie momentan machen,
ist eine zahnlose Umsetzung der EU-Gesetzgebung. Sie
haben keine Einsparquote, und Sie haben keinen Energiesparfonds. Das Einzige, was Sie haben, ist Information. Auf unseren Stromrechnungen bekommen wir einen Hinweis auf das Internet, wo man sich eine Liste
von Energiedienstleistern angucken soll. So leisten Sie
keinen wirkungsvollen Beitrag zur Verbesserung der
Energieeffizienz. Das ist eine falsche Politik,
({11})
und zwar deshalb, weil es auch im Bereich der Energieeffizienz enorme Potenziale gibt. Eine Studie des Bundesumweltministeriums besagt, dass 260 000 neue Arbeitsplätze entstehen könnten, 77 Millionen Tonnen CO2
und 19 Milliarden Euro Energiekosten eingespart werden könnten. Dieses Potenzial wollen wir heben.
Ich komme zum Schluss. Als neue Maßgabe haben
Sie ein Energieeinsparpotenzial von 12,8 Prozent genannt und nicht mehr 20 Prozent, wie es die EU eigentlich vor hatte.
Frau Kollegin.
Malta ist mit 22 Prozent weiter, auch Österreich, Spanien und Frankreich sind weiter. Setzen Sie endlich die
Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz um.
Das wäre ein Beitrag für mehr Beschäftigung.
Vielen Dank.
({0})
Jens Koeppen hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir diskutieren heute wieder einen Antrag der Grünen zum Thema klimaverträgliche Energieversorgung.
({0})
Einige dieser Anträge - in der Vergangenheit haben Sie
immer wieder welche eingebracht - sind nahezu identisch. Sie haben eine andere Überschrift gewählt, aber
die Forderungen sind die gleichen.
({1})
Aber was nutzt die Quantität, die Antragsflut, wenn die
Qualität nicht stimmt?
({2})
Es ist außerdem bemerkenswert, mit welcher Beharrlichkeit Sie immer wieder mit demselben Kopf durch dieselbe Wand wollen.
Aber es ist auch gut, dass Sie diese Anträge stellen;
denn das gibt uns die Gelegenheit, über das Thema Umwelt und Energie zu sprechen und darauf zu verweisen,
dass man erstens - das ist der Kardinalfehler - bei der
Energie- und Klimapolitik nicht nur national denken
darf, sondern auch global denken muss. Zweitens. Nachhaltige Energiepolitik muss sich am Zieldreieck Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz
ausrichten. Bei Ihnen brechen immer zwei Säulen weg,
nämlich die Versorgungssicherheit und die Wirtschaftlichkeit. Drittens. Unser Energiekonzept, Frau KottingUhl, richtet sich an diesem Zieldreieck aus. Damit machen wir den Weg frei, solide ins regenerative Zeitalter
zu gehen. Diesen Weg wollen wir beharrlich gehen.
({3})
Sie können gerne mitmachen.
({4})
- Herr Kelber, auch Sie sind eingeladen.
({5})
Die Energiepolitik in Deutschland nur am Klimaschutz auszurichten, ist blauäugig, es gefährdet den
Standort Deutschland und den internationalen Klimaschutzdialog. Deutschland in ein grünes Paradies zu verwandeln, ohne dabei den Blick in die Welt zu wagen, ist
zu wenig, ja sogar fahrlässig.
Es reicht eben nicht aus, nur zu fordern - und das wöchentlich! -, dass wir bis zum Jahr 2030 100 Prozent er10296
neuerbare Energien haben wollen. Es reicht nicht aus, zu
sagen: Im Jahr 2050 wollen wir 95 Prozent CO2-Reduktion erreicht haben.
({6})
Es reicht auch nicht aus, immer nur zu schreiben, dass
Wind und Sonne Vorrang beim EEG haben. Es reicht
nicht, zu schreiben
({7})
- ich komme gleich dazu -, dass Kohle und Kernkraft
verteufelt werden, ohne zu beachten, dass wir darauf
heute noch nicht verzichten können, Herr Hempelmann.
({8})
Eine moderne Energieversorgung muss ganzheitlich
ausgerichtet werden. Dazu haben wir in unserem Energiekonzept einen Fahrplan vorgelegt, der genau dieses
Zieldreieck beachtet. Sicherlich, man kann die Ziele
noch ambitionierter gestalten und immer noch einen
draufsetzen, aber wir brauchen auch den gesellschaftlichen Konsens. Wir müssen die Menschen im Lande und
vor allen Dingen auch die Länder mitnehmen; ohne die
wird das nichts.
Meine Damen und Herren, Sie hingegen richten Ihre
Politik einseitig auf den Klimaschutz aus, egal was die
Menschen künftig dafür bezahlen müssen.
({9})
Ihnen ist es egal, dass die Wirtschaft unter diesem Kostendruck leiden muss. Sie treiben mit Ihrer Politik auch
die soziale Spaltung der Gesellschaft voran.
({10})
Sie wird das Ergebnis haben, dass einige sich die Energie leisten können, andere nicht. Das führt bereits jetzt
dazu, dass die Akzeptanz für erneuerbare Energien rapide abnimmt.
({11})
Sie riskieren die Abwanderung der Industrie in vermeintliche Energieparadiese. Das lehnen wir strikt ab.
Bezahlbare Energie muss für alle in Zukunft möglich
sein.
({12})
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Frau Höhn zulassen?
Selbstverständlich.
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben wieder das falsche Argument
gebracht, nämlich dass durch die Erneuerbaren alles total teuer wird und dass man das deshalb nicht bezahlen
kann.
({0})
Können Sie hier bestätigen, dass die Preise an der Leipziger Börse seit 2008 am Spotmarkt und am Terminmarkt um 30 bis 40 Prozent gesackt sind, dass die
Strompreiserhöhung um 7,5 Prozent von allen Energieversorgern nicht hätte stattfinden dürfen, weil diese Erhöhung nur in die Gewinne gegangen ist, und dass Eon
und RWE bei den Erzeugerpreisen mittlerweile Renditen
haben, die höher sind als die von Ackermann? Können
Sie also bestätigen: „Der eigentliche Preistreiber ist die
Monopolsituation am Markt“?
({1})
Sehr geehrte Frau Höhn, lieber Herr Hempelmann,
losgelöst von jeder Kostenentwicklung und von anderen
Konditionen: Die erneuerbaren Energien werden in Zukunft nicht die Innovationskraft haben, die nötig ist.
({0})
Sie werden auch nicht die Technologietreiber sein. Wenn
Sie heute den Monopolmarkt der erneuerbaren Energien
verkünden und ausschreiben würden, dann würden die
Wertschöpfung und insbesondere die Exportkraft in diesem Bereich extrem geschwächt.
({1})
Ohne jeglichen Wettbewerb und ohne Kostendruck würden die erneuerbaren Energien ihr großes Potenzial verspielen.
({2})
Eine einseitige Energiepolitik, die mit hohen Subventionen arbeitet, hätte den Effekt, dass die Versorgung aus
erneuerbaren Energien in 20 bis 30 Jahren teilweise unbezahlbar würde. Das können und werden wir nicht zulassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Ihrem
Antrag wird immer wieder ein - vermeintlicher - Widerspruch zwischen erneuerbaren Energien und Energieeffizienz auf der einen Seite und CO2-armen Technologien
auf der anderen Seite aufgemacht. Ihre kategorische und
enervierende Absage an einzelne Technologien können,
wollen und werden wir nicht mittragen. Unser Ansatz
gilt nach wie vor: Technologieoffenheit, Wettbewerb,
Marktanreiz statt Dauersubventionierung und Preistreiberei.
({3})
Der freiwillige Verzicht auf einzelne Technologien,
der Verzicht auf die Technologieoffenheit würde die
Preise massiv steigen lassen. Sie riskieren damit außerdem, dass die Senkung der CO2-Emissionen in dem gesteckten Zeitrahmen nicht möglich wird.
Sie setzen alles auf eine Karte: auf Wind, Sonne und
Biomasse. Aber Sie können das doch nicht so einengen
und für 40 oder 50 Jahre im Voraus festlegen, dass Sie
andere Technologien nicht mehr zulassen. Mit einer solchen Politik würden Sie auch die Kernfusionsforschung
ausschließen sowie andere Technologien, die heute noch
nicht erforscht sind. Damit würden wir eine große
Chance vertun.
({4})
- Das mag aus Ihrer Sicht so sein, aber ich glaube, dass
wir eine Chance vertun.
Wir sind in Europa im Bereich der erneuerbaren Energien auf einem guten Weg. Aus der Mitteilung der Europäischen Kommission vom Januar geht hervor, dass die
Ziele für die erneuerbaren Energien bis 2020 erreicht
und, wenn wir gut sind, sogar übertroffen werden, wenn
die Mitgliedstaaten ihre Aktionspläne auch wirklich
vollständig umsetzen und wenn die Finanzierungsinstrumente verbessert und evaluiert werden. Frau Höhn, dazu
gehört auch das EEG; denn auch ein bewährtes Tool wie
das EEG muss für die Zukunft neu aufgestellt werden,
muss verbessert werden, muss sich einer Evaluation unterziehen. Das EEG muss insbesondere Anreize für neue
Technologien, für Innovationen, für Speicherlösungen,
für intelligente Netze und Zähler, für Einsparungen beim
Eigenverbrauch schaffen.
({5})
Die Kosten-Nutzen-Relation muss deutlich verbessert
werden: mehr Markt, mehr Wettbewerb. Ein Weiter-so
mit einer blinden Einspeisevergütung darf es nicht geben. Darauf sollten wir auch bei der EEG-Novelle achten.
Meine Damen und Herren, ich bin ja von Beruf Elektrotechniker. Eines hat mich in Ihrem Antrag sehr gestört
und geärgert: kein Wort zum dringend notwendigen Netzausbau.
({6})
Wie kommt der Windstrom aus der dünn besiedelten
Uckermark, wo ich wohne, nach Berlin? Wenn wir den
Anteil der erneuerbaren Energien wirklich so massiv
ausbauen wollen - darin sind wir uns ja einig -, dann
brauchen wir schnell 3 600 Kilometer neue Stromleitungen.
({7})
Dieser notwendige Netzausbau wird aber teilweise von
Ihren Leuten vor Ort - das heißt nicht von Ihnen hier,
aber von Ihnen nahestehenden Organisationen vor Ort vehement blockiert.
({8})
Es handelt sich um den NABU, den BUND, Ihre Kreisverbände. Sie tun das, obwohl andererseits Techniken
für Spannungsgrößen in Höhe von 380 000 Volt überhaupt noch nicht ausgereift sind. Aber das ist Ihnen egal.
Aus den Augen, aus dem Sinn. Sie wollen die Leitungen
unter die Erde verlegen, trotz zehnmal so hoher Kosten
({9})
- Sie können gleich etwas dazu sagen; Herr Kelber, Sie
sind gleich dran -,
({10})
trotz größerer Umweltbelastung, trotz höherer Flächeninanspruchnahme, trotz riesiger Schneisen, die geschlagen werden müssen, trotz zigmal so hoher Bodenversiegelung aufgrund der nötigen Betonwannen. Sie sagen:
„Aus den Augen, aus dem Sinn“, und schüren die Proteste. Es ist nicht redlich, Woche für Woche eine Energieversorgung zu 100 Prozent aus Erneuerbaren zu fordern, aber dann, wenn es spannend wird, den Schwanz
einzuziehen und die Drecksarbeit die anderen Abgeordneten machen zu lassen.
({11})
Damit werden wir uns nicht zufriedengeben. Das ist
keine redliche Umweltpolitik.
({12})
Eine weitere Klimaschutztechnologie, die Sie vor Ort
immer wieder vehement bekämpfen und verteufeln, weil
Sie Angst haben, diese erklären zu müssen, ist CCS. Einerseits sagen Sie Ja zu CCS im Rahmen von Forschungsprojekten und Industrieprojekten.
({13})
Andererseits sagen Sie hier, ohne irgendeine wissenschaftliche Verifizierung, es sei eine nicht verantwortbare Risikotechnologie.
({14})
Meine Damen und Herren, das ist Panikmache. Ohne die
CCS-Technologie werden die Kosten für unsere Klimaschutzmaßnahmen nach Einschätzung der Europäischen
Kommission um 70 Prozent steigen, oder unsere Bemühungen werden scheitern. Aber das wollen Sie wohl in
Kauf nehmen.
({15})
Der Innovationsstandort Deutschland wird nur dann
bestehen, wenn unabhängige Wissenschaftler Forschung
ohne Scheuklappen betreiben und Demonstrationen auch
bei solchen Technologien durchführen dürfen. Es wird
schwer werden, den Chinesen oder Indern diese Technologie zu verkaufen, die ja nun einmal jede Woche ein
neues Kohlekraftwerk ans Netz nehmen und Mengen
dort speichern müssen, bei denen wir hier gar nicht mithalten können,
({16})
wenn diese Technologie hier im Land bei Demonstrationen schon für gefährlich erklärt wird. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an den Transrapid. Wir müssen
Technologien hier ausprobieren, um sie dann exportieren
zu können. Sonst wird das nichts.
Wir werden in Kürze ein CCS-Gesetz zur Verabschiedung vorlegen, das Risiken für Mensch und Umwelt ausschließt. In diesem Punkt werden wir auch keine Kompromisse zulassen.
Meine Damen und Herren von den Grünen, in Ihrem
Antrag schreiben Sie wörtlich:
Eine konsistente Klimaschutzstrategie muss vom
Ziel her gedacht und angegangen werden.
Da unterstütze ich Sie voll und gebe Ihnen uneingeschränkt recht. Ich füge aber hinzu: Hier darf es keine
Denkverbote geben, hier darf es keine Technologieverteufelung geben, und hier darf es auch keine ideologische Herangehensweise geben.
Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Ulrich Kelber ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der europäische Energiegipfel letzte Woche war
nichts anderes als ein Krisengipfel. Die Europäische
Union ist von all ihren energie- und klimapolitischen
Zielen im Augenblick meilenweit entfernt, und in allen
europäischen Staaten und zugleich auch in der EU-Kommission lässt der Elan zur Erreichung der Ziele nach.
Was uns aber am meisten beschäftigen sollte, ist, dass
Deutschland vom früheren Tempomacher und Innovationsmotor in der europäischen Energie- und Klimapolitik zur Stotterbremse geworden ist.
({0})
Dies ist für uns doppelt gefährlich: Erstens. In Europa
fehlt ein wichtiger Antreiber für eine nachhaltige Energiepolitik. Zweitens. Deutschlands wirtschaftliche Interessen sehen im Grunde genommen ganz anders aus als
das, was jetzt von einigen Verbänden diktiert wird.
({1})
Wir als Hightechland sind eigentlich prädestiniert, Energieeffizienztechnologien zu liefern. Stattdessen müssen
wir uns jetzt bescheinigen lassen, dass wir in der Europäischen Union Schlusslicht bei den Energieeffizienzbemühungen sind. Wir sind zwar Weltmarktführer bei den
erneuerbaren Energien, verspielen diese Position aber im
Augenblick. Früher waren wir Klimaschutztreiber in der
Europäischen Union; jetzt kann sich die Regierungskoalition noch nicht einmal darüber einig werden, ob sie
das europäische Ziel von verbindlich 30 Prozent minus
bis 2020 unterstützt oder nicht. Das ist ein Jammerspiel
an dieser Stelle.
({2})
Die SPD fordert eine sofortige Kehrtwende in der deutschen Energiepolitik, und zwar bei der zu Hause und bei
der in der Europäischen Union.
Warum haben wir heute einen Antrag vorliegen? Warum musste in der letzten Woche ein Antrag eingebracht
werden? Ich erwarte von einer Regierung zu einem solch
wichtigen europäischen Gipfel der Staats- und Regierungschefs eine Regierungserklärung. Weder haben wir
in der letzten Woche eine Regierungserklärung dazu bekommen, mit welchem Ziel man hineingeht, noch heute
einen Bericht dazu, welche Folgen die Beschlüsse und
Nichtbeschlüsse dieses Gipfels für die deutsche Energiepolitik und für die Investitionen in Deutschland hätten.
So kann man keine Europapolitik betreiben.
Das schwarz-gelbe Bündnis mit den großen Energiekonzernen behindert Deutschlands Energiezukunft.
({3})
Dieses Ketten an Wünsche und Strategien der großen
Energiekonzerne schafft keine Energiezukunft; es verspielt mögliche Schritte.
({4})
Ich möchte das an ein paar Beispielen deutlich machen:
Wenn man den Vorschlägen der großen Energiekonzerne
folgt, verlängert man deren teures Monopol in die Zukunft. Ich will Ihnen das mit Zahlen belegen:
In den letzten Wochen haben sich immer wieder Rednerinnen und Redner aus der schwarz-gelben Koalition
- auch Herr Oettinger hat dies getan - darüber beklagt,
wie hoch die Strompreise aufgrund der Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland gestiegen seien, und
meinten, dass dies ein Thema sei, auf das wir ein Augenmerk haben müssten. Für einen Vierpersonenhaushalt werden 140 Euro als Zahl genannt. Schauen wir uns jetzt nur
einmal die Gewinne der drei größten deutschen Energiekonzerne an: Das sind 23 Milliarden Euro, von 6 Milliarden Euro vor ein paar Jahren sind sie auf 23 Milliarden
gestiegen. Das sind Pi mal Daumen 300 Euro pro Kopf
der Bevölkerung. Das heißt, die vierköpfige Familie, die
140 Euro für die Förderung der erneuerbaren Energien,
für 350 000 daraus entstandene Arbeitsplätze und Klimaschutz zahlt, überweist 1 200 Euro direkt an die drei
Energiekonzerne. Wo sind die Worte und Taten der Regierung zu diesem Thema? Sie beschäftigen sich nur mit
den Zahlen der erneuerbaren Energien.
Wenn Sie als Bundesregierung schon nicht auf uns als
Opposition hören, dann hören Sie doch wenigstens Ihren
eigenen Institutionen zu. Die Bundesnetzagentur sagt:
Die Strompreiserhöhungen jetzt sind mit den Entwicklungen der erneuerbaren Energien nicht zu begründen;
sie sind reine Margenerhöhungen der großen Energiekonzerne. - Oder ganz aktuell sagt heute eine Studie des
Umweltbundesamtes, einer nachgeordneten Behörde Ihres Hauses, Frau Staatssekretärin Heinen-Esser: 85 Prozent der Strompreiserhöhungen der letzten zehn Jahre
haben nichts, aber auch gar nichts mit der Förderung der
erneuerbaren Energien zu tun, sondern dienten allein den
Margenerhöhungen der großen Energiekonzerne. - Warum sind Sie im Bündnis mit den Energiekonzernen gegen die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem
Land?
({5})
Schwarz-Gelb bekennt sich in dem sogenannten
Energiekonzept ganz eindeutig zur Förderung der erneuerbaren Energien. Nur: Sie wollen die erneuerbaren
Energien dort fördern, wo die Interessen der Energiekonzerne liegen.
({6})
Das heißt, sie wollen zusätzliches Geld in die großen
Offshorewindparks stecken. Sie wollen Geld in den Netzausbau stecken, um Solarthermiekraftwerke in Südeuropa und Nordafrika anzuschließen. Denn das ist die
Idee in den Konzernzentralen: Wir lutschen unsere
Kohle- und Atomkraftwerke an ihrem goldenen Ende
aus, solange es geht, und verkaufen billig produzierten
Strom teuer an die Verbraucherinnen und Verbraucher,
({7})
und danach ersetzen wir diese Kraftwerke durch große
zentrale Erzeugungseinheiten. Damit wird die ganze
Idee zerstört, eine dezentrale Energieerzeugung mit hoher Wertschöpfung und weniger Netzausbau zu erreichen. Wir erhalten für weitere Jahrzehnte ein Monopol,
das für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für
die heimische Wirtschaft teuer ist. Das bringt keine Zukunft.
({8})
Der Innovationsmangel Ihrer Politik schadet der deutschen Wirtschaft; denn ohne einen starken Heimatmarkt
entstehen nicht die Technologien, die man auf dem Weltmarkt verkaufen kann. Man muss einen Heimatmarkt
haben, auf dem man eine Entwicklung finanzieren kann
und auf dem man zeigen kann, dass es funktioniert, damit die entsprechenden Produkte in der Welt gekauft
werden. Das war der dritte Fehler des Bündnisses.
Wir, die SPD, wollen eine dezentrale und wettbewerbliche Energieversorgung, eine massive Reduktion
des Energieverbrauchs, einen schnellen und vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien. Dazu heißt es im
Gutachten des von der Bundesregierung eingesetzten
Sachverständigenrats für Umweltfragen: Eine vollständig regenerative Energieversorgung ist technologisch
machbar und „ökonomisch vorteilhaft“. Jetzt kommt der
entscheidende Punkt, der bei der Solardeckeldebatte vergessen wurde: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der von der Regierung selbst eingesetzt wurde, sagt,
dass der Übergang zur regenerativen Stromversorgung in
Deutschland durch das sogenannte Energiekonzept von
Schwarz-Gelb länger dauern und teurer sein wird. Das
ist ein entscheidender Punkt im neuen Gutachten der sogenannten Umweltweisen.
Nach einem Jahr schwarz-gelber Energiepolitik ist
schon ein Investitionsstopp in Deutschland nachweisbar
und nachmessbar: Es gibt einen Einbruch bei den Neubauten hochflexibler GuD-Kraftwerke; denn die Stadtwerke wollen nicht mehr investieren, weil ihnen durch
die Laufzeitverlängerung bei den Atomkraftwerken der
Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Es gibt
keine Modernisierung des Kraftwerksparks; das schadet
der Umsetzung unserer Klimaziele, Herr Kauch. Es gibt
ein Absacken bei den Aufträgen in allen Bereichen der
erneuerbaren Energien, auch bei der Windenergie. Wenn
Sie sich nur die Meldungen der letzten Wochen ansehen,
nach denen RWE und EnBW trotz wieder gestiegener
Gewinne ankündigen, ihre Investitionen in erneuerbare
Energien zurückzufahren, dann erkennen Sie doch, welche Auswirkungen Ihre Politik hat.
({9})
Ein Land lebt doch nicht davon, dass Dinosaurierkraftwerke weiterbetrieben werden können und die Gewinne in Konzernschatullen verschwinden; ein Wirt10300
schaftsstandort lebt von Investitionen und Innovationen.
Hier haben Sie einen entscheidenden Fehler gemacht.
({10})
Zum Thema Energieeffizienz. Anstatt den sparsamen
Umgang mit Energie zu beschleunigen, treten Sie auf die
Bremse. Sie von der CDU/CSU hatten mit der SPD eine
anspruchsvolle Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen, die
einen starken Rückgang des Energieverbrauchs vorsah.
Im sogenannten Energiekonzept war dieses Ziel schon
abgeschwächt. Dann haben wir hier ein Energieeffizienzgesetz vorgelegt bekommen, das nicht einmal mehr
die Umsetzung der Vorgaben aus dem sogenannten
Energiekonzept vorsah, sondern nur noch die Erreichung
des Mindestmaßes, das die Europäische Union auch von
Deutschland fordert. Das würde ja bedeuten: Für das
Hightechland Deutschland gelten die gleichen Vorgaben
wie für ein bulgarisches Dorf.
Sie von der Bundesregierung haben dann nicht einmal
die Vorgaben dieses Gesetzes nach Brüssel gemeldet,
sondern nur einen Plan, auf den die Europäische Union
mit dem Hinweis reagierte, dass Deutschland von allen
Industrieländern der Europäischen Union das Land mit
den am wenigsten ambitionierten Zielen bei der Energieeffizienz sei. Das war für einen Hightechstandort wie
Deutschland eine Ohrfeige. Wir machen dank schwarzgelber Energiepolitik weniger als alle anderen.
({11})
Das birgt für uns eine große Gefahr: Schwarz-Gelb
tritt hier auf die Bremse, während unsere Konkurrenten
- China, Korea, Japan, USA, Brasilien - ihre Maßnahmen in den Bereichen der erneuerbaren Energien und der
Energieeffizienz massiv beschleunigen. Wir halten doch
nicht unsere Weltmarktposition, wenn Sie sich auf den
Lorbeeren der Vorgängerregierung ausruhen, sondern
nur durch mutiges Voranschreiten.
Damit wir nicht immer nur beim Strom bleiben,
nenne ich Ihnen vergleichbare Beispiele aus dem Wärmebereich. Sie haben den Umfang der Programme verringert oder sie gestoppt. Sie haben keine Effizienzvorgaben gemacht. Folge: In Italien, in Großbritannien,
überall steigt die Zahl der Maßnahmen zur Energiedämmung, etwa Kesselaustausch, und es steigt der Einsatz
von Solarthermie. In Deutschland gab es bei den Wärmepumpen ein Minus von 6 Prozent, beim Tausch bei
Heizungen ein Minus von 18 Prozent und beim Einbau
von Solarthermieanlagen ein Minus von 27 Prozent. Das
ist die Bilanz eines Jahres schwarz-gelber Politik.
Sie liefern die Verbraucherinnen und Verbraucher einem Monopol aus.
({12})
Sie lassen sie mit steigenden Weltmarktpreisen allein,
anstatt ihnen zu helfen, weniger zu verbrauchen. Sie
werden damit nicht nur in Deutschland zum Bremsklotz.
Schwarz-Gelb wird damit auch zum Bremsklotz der europäischen Energie- und Klimaschutzpolitik. Vom Tempomacher zur Stotterbremse - das ist eine Blamage für
Deutschland in der Europäischen Union.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Horst Meierhofer für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bislang haben wir sowohl von Herrn Kelber als auch
von Frau Höhn sehr wenig zu dem Antrag gehört.
({0})
Ich frage mich, worüber hier geredet wurde.
({1})
Über die Digitalisierung des europäischen Kinos? Jedenfalls wurde nicht über den Antrag geredet. Das Gesagte
hatte nämlich nichts damit zu tun. Ich weiß nicht, ob Sie
für oder gegen diesen Antrag sind. Sie haben den Antrag
mit keinem Wort erwähnt. Man fragt sich wirklich, was
für Debatten hier geführt werden. Hier geht es nicht um
Schaufensterdebatten, sondern um einen konkreten Antrag, in dem zwar einiges, aber leider nichts Konkretes
steht.
({2})
Das würde ich gerne einmal aufzeigen. Ich möchte versuchen, ein paar Sachen klarzustellen.
({3})
Vielleicht können Sie später sagen, ob die SPD dafür
oder dagegen ist.
In der Überschrift steht: „Erneuerbar, effizient, sicher“. Was hier fehlt, sind die Punkte Klimaverträglichkeit und Finanzen. Die Kosten für den Verbraucher sollten wir nicht ganz vernachlässigen.
({4})
Man sollte sich vielleicht auch über die Ressourcen Gedanken machen und über den Umweltschutz; auch dieses
Thema kommt in Ihrem Antrag überhaupt nicht vor.
Sie wägen ganz allgemein ab und bringen keinen einzigen konkreten Vorschlag, wie man das tatsächlich
schaffen kann. Sie setzen sich sehr ambitionierte Ziele,
haben eine Idee, wie das Ergebnis aussehen soll, aber Sie
sagen nicht, wie man das Ziel erreichen kann. Das ist ein
Schaufensterantrag, der an Populismus nicht zu überbieten ist.
({5})
Sie fordern nicht nur für Deutschland, sondern für
ganz Europa eine Vollversorgung mit Strom aus erneuerbarer Energie bis 2030 - das ist in 19 Jahren -, wohl wissend, dass Deutschland dieses Ziel schwerlich erreichen
wird,
({6})
weil wir dafür das 500-Fache an Speicherkapazität brauchen werden. Herr Fell, vielleicht können Sie uns erklären, wie das mithilfe der Grünen erreicht werden kann.
Vielleicht können Sie uns auch noch sagen, wie man es
schaffen kann, dass die Netze ausgebaut werden. Dazu
haben Herr Kelber und Frau Höhn nichts gesagt. Dazu
sagen Sie alle überhaupt nichts, weil Sie Angst haben,
konkret zu werden.
({7})
Ein Antrag, der sich mit der europäischen Energiepolitik der Zukunft beschäftigt, aber mit keinem Wort den
Netzausbau erwähnt, ist das Papier nicht wert, auf dem
er geschrieben steht.
({8})
- Sie haben den Antrag ja nicht geschrieben, Herr
Hempelmann. Ich muss mich auf das beziehen, was mir
vorliegt, und in dem Antrag taucht das Wort „Netze“
kein einziges Mal auf.
({9})
Es geht darum, dass einige Länder weit hinter
Deutschland zurückliegen. Das ist eine Vielzahl von
Ländern, zum Beispiel Frankreich, Bulgarien, Rumänien
oder auch Belgien, das 6 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien bezieht. Erklären Sie diesen Ländern
einmal, dass sie in 19 Jahren etwas erreichen müssen,
was Deutschland, der Vorreiter auf diesem Gebiet, kaum
schaffen wird. Erklären Sie mir mal bitte, warum irgendein Land mit uns ins Gespräch treten soll, wenn solche illusorischen Ziele erreicht werden sollen.
({10})
Hier wird ein Popanz aufgebaut. Glauben Sie, weil die
Grünen das im deutschen Parlament beschlossen haben,
wird daraus auf europäischer Ebene ein vernünftiges
Konzept? Ich habe das wirklich nicht ganz verstanden.
({11})
Am Montag hatten wir die Möglichkeit, Herrn
Oettinger, dem EU-Energiekommissar, zuzuhören. Er
hat sehr klar gesagt, dass er die erneuerbaren Energien
als Zukunftsmarkt ansieht.
({12})
Er hat auch klargemacht, dass ein ganz entscheidender
Schritt der Aufbau eines europäischen Netzes sein wird.
Er hat gesagt, dass es wichtig sein wird, die verschiedenen Nationen miteinander zu verbinden.
({13})
Die baltischen Staaten haben mit dem europäischen
Netz nichts zu tun. Sie bekommen zu 100 Prozent Gas
aus Russland. Deren Netze haben mit unseren nichts zu
tun. Gleichzeitig erwarten wir, dass sie in 19 Jahren den
Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gewinnen? Sie müssen erklären, wie das funktionieren soll. Sie
nennen vollkommen utopische Zahlen, haben aber keine
Antwort auf die Frage der Grenzkuppelstellen. Wie verbinde ich Netze miteinander? Wie verbinde ich Norden
und Süden? Wie sieht das mit den Interkonnektoren aus?
Nichts dazu steht in Ihrem Antrag. Aussagen dazu wären
vielleicht theoretisch und würden nicht so nett klingen
wie die in Ihrem Pippi-Langstrumpf-Antrag, in dem Sie
sich die Welt so malen, wie sie Ihnen gefällt.
({14})
Solche Aussagen aber hätten etwas mit der Realität zu
tun. Das sind die Antworten, auf die wir warten. Dazu
steht aber leider überhaupt nichts im Antrag.
({15})
- Ich will nicht Ihr Programm lesen, sondern Ihren Antrag. Der ist gerade einmal zwei Seiten lang. Gar nichts
steht darüber drin. Darüber debattieren wir.
({16})
Wenn wir ein europäisches Netz wollen, dann müssen
wir bedenken, dass wir in Deutschland andere erneuerbare Energieträger nutzen als andere Länder.
({17})
Es wäre gut, wenn nicht alle gleichzeitig reden wollten. Frau Höhn würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Lassen Sie diese zu?
Ja, sehr gerne.
({0})
Aber wenn die Lebendigkeit in Unverständlichkeit
ausartet, steht nicht einmal im Protokoll - außer allgemeinem Tumult -, was hätte vorgetragen werden sollen.
({0})
Herr Meierhofer, Sie haben vorhin gesagt, in unserem
Antrag steht nichts zu den Netzen. Haben Sie vielleicht
den vorletzten Spiegelstrich übersehen? Da steht:
… eine rasche Klärung bei der Finanzierung des
Energieinfrastrukturpakets der EU unter Beteiligung der öffentlichen Hand, …
Das sehen wir anders als Oettinger.
Wir glauben, dass man ein Paket schnüren muss, bei
dem alle ihren Beitrag leisten, die Verbraucher, die Wirtschaft und auch die öffentliche Hand. Das ist der Weg,
den wir gehen wollen, und zwar für ein Netz, das vor allen Dingen auf erneuerbare Energien ausgerichtet ist und
das nicht gebaut wird, damit der Atomstrom in diesem
Netz Platz hat. Das sind Kosten, die die Verbraucher
nicht bereit sind zu zahlen.
({0})
Ich habe gesagt, dass in Ihrem Antrag das Wort
„Netze“ nicht auftaucht und dass Sie nichts zum Netzausbau sagen. Das habe ich Ihnen gesagt, und dabei
bleibe ich.
({0})
- Entschuldigung, wenn ich die Frage beantworten darf:
Was heißt das denn konkret, was hier steht? Man soll
sich darüber Gedanken machen. Das ist doch Blabla.
({1})
Wollen Sie, dass RWE und andere Netzbetreiber beim
Netzausbau subventioniert werden? Wollen Sie, dass die
europäischen Verbraucher innerhalb der nächsten 19 Jahre
das Dreifache bezahlen müssen? Was ist denn die konkrete Folge, die Sie daraus ableiten? Nichts. Gar nichts
leiten Sie daraus ab, und das ist das Problem.
({2})
Sie tun so, als wären Sie diejenigen, die die Erneuerbaren möglichst schnell ausbauen wollen, und als wären
Sie klima- und umweltfreundlich. In Wirklichkeit geben
Sie keinen einzigen sinnvollen Hinweis, wie das gelingen kann. Das ist so bedauerlich an diesem Antrag.
({3})
- Diesen Antrag zu lesen, dauert keine fünf Minuten,
und danach ist man genauso schlau wie vorher, Herr Ott.
Das kann ich Ihnen schon jetzt sagen.
Sie geben überhaupt keine Antworten darauf, wie andere Länder mit den Deutschen in dieser Frage gemeinsam vorangehen können.
({4})
Dazu ist in Ihrem Antrag nichts zu lesen. Sie haben genauso wie Herr Kelber ausschließlich über Deutschland
gesprochen. Wir reden hier über Europa. 100 Prozent Erneuerbare in ganz Europa, und das innerhalb von 19 Jahren: Das ist vollkommen realitätsfremd. Das ist etwas,
was mich sehr ärgert.
Ich möchte noch eines am Schluss dazu sagen.
({5})
- Ja, es geht um den Strommarkt.
Es geht um die 100 Prozent bzw. die 50 Prozent. Das
ist noch absurder, weil der Anteil erneuerbarer Energien
in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten teilweise nur
bei 3 Prozent bis 4 Prozent liegt. Belgien hatte Mitte
letzten Jahres - vermutlich jetzt immer noch - nicht einmal ein Konzept, um die Erneuerbaren voranzubringen
und zu fördern. Belgien ist hierbei noch sehr weit von
uns entfernt.
Das spielt für Sie aber überhaupt keine Rolle, weil Sie
keine Verantwortung tragen, weder hier noch sonst irgendwo. Aus diesem Grunde haben Sie damit natürlich
auch keine Probleme. Das ist das Problem.
({6})
Ich darf zum Schluss sagen: Es klingt wirklich nett,
was Sie erzählen. Es ist wichtig, dass die Leute draußen
mitbekommen: Das sind ausschließlich Luftschlösser;
das ist ausschließlich Blabla. Sie blasen die Backen auf.
Wenn es aber um die konkrete Umsetzung geht, tragen
Sie keinen einzigen Anteil an der Verbesserung, auch
aus Angst.
Wenn es beispielsweise um Wasserkraft geht, haben
Sie natürlich Probleme mit Ihren eigenen Mitgliedern
vor Ort. Wenn es um Speicher geht, haben Sie natürlich
Probleme vor Ort. Wenn es um Biogasanlagen geht, haben Sie natürlich Probleme vor Ort. Wenn es um Netze
geht, haben Sie natürlich Probleme vor Ort. Wenn es um
CO2-freie Kohleverstromung geht - was vielleicht für
Polen und andere Länder zumindest mittelfristig interessant sein könnte -, haben Sie keinerlei Antwort.
({7})
Das ist es, was so wahnsinnig schade ist. Wenn Sie
das nächste Mal debattieren wollen, dann legen Sie doch
bitte einen Antrag vor, der es auch wert ist, debattiert zu
werden.
Vielen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was letzte Woche beim EU-Energiegipfel beschlossen
wurde, stand ziemlich im Schatten des Ägypten-Aufstandes. Das ist vielleicht auch besser so; denn eigentlich
wurde nichts beschlossen, was uns bei der Lösung der
Klima- und Energiefragen wirklich weiterbringt.
Das ist aber auch eine Nachricht, und zwar eine traurige. Sie von der Regierung sind daran natürlich nicht
unschuldig. Diese Nachricht zeigt, dass Europa meilenweit davon entfernt ist, die Erderwärmung und den Ressourcenschwund angemessen anzugehen.
Es wurde wieder versäumt, das europäische Klimaschutzziel bis 2020 auf minus 30 Prozent anzuheben.
Wir wissen auch, dass die EU mit ihrem Ziel von minus
20 Prozent die Erderwärmung vorantreibt - das wissen
wir einfach, meine Damen und Herren -, und zwar auf
ein Level von weit über 2 Prozent. So viel zum Thema
„Umweltpolitik global denken“, Herr Koeppen. Das
mahnten Sie schließlich in Ihrer Rede an.
({0})
Das merken natürlich auch Indien und China. Sie verstecken sich nicht nur hinter den USA, sondern wundern
sich auch über Europa. Warum sollen diejenigen, die pro
Kopf nur einen Bruchteil der Abgase ausstoßen, nun ihre
Emissionen reduzieren?
Ich wünsche uns allen bei den nächsten Klimaverhandlungen im Dezember viel Spaß. Wenn die EU so
weitermacht, werden sich alle wieder genauso aufführen
wie in Kopenhagen. Denn in Durban geht es ans Eingemachte; dort müssen Beschlüsse gefasst werden. Wir
alle wissen das.
({1})
Der angebliche Schwung von Cancún kann dann zur
Bruchlandung führen. Denn in Cancún wurde ja leider
nur eine leere Hülle beschlossen. Deshalb konnte man
sich dort gerade noch einigen und hat dann auf einen
Phantomerfolg angestoßen. Alle Beschlüsse, die wehtun
würden, wurden verschoben, zum Beispiel, wer wie
viele Treibhausgase einsparen soll oder welche Industrieländer wie viel in die Fonds für Klimaschutz und Anpassung für den globalen Süden zahlen sollen. Das Internationale Transportforum der OECD hat danach in einer
Pressemitteilung geschrieben: Nein, von Cancún sei kein
zusätzlicher Druck auf den Verkehrssektor zur Reduzierung von Emissionen zu erwarten. Die Lehre aus Cancún
sei, dass die Herausforderung für die Transportbranche
nun darin bestehe, sich an ein sich wandelndes Klima
anzupassen. Dazu kann ich nur sagen: Na super.
Zurück zum Energiegipfel. Herr Oettinger ist zwar
mit seinem Vorhaben gescheitert, das deutsche EEG
über eine angebliche Harmonisierung der Förderinstrumente für erneuerbare Energien auszuhebeln. Dafür hat
er aber bei den Atomkonzernen gepunktet. Der vereinbarte Vorrang sogenannter CO2-armer Technologien umfasst jetzt auch die Atomkraft. Neben den Franzosen
freuen sich darüber natürlich auch RWE, Eon und Vattenfall. Dazu kann ich nur sagen: Das ist wahrlich ein
europäisches Projekt.
Durch diese Strategie werden die Leitungen für die
erneuerbaren Energien verstopft. Durch diese Politik
wird der Systemkonflikt zwischen regenerativen Energien und Großkraftwerken weiter verschärft.
({2})
Ich frage mich: Wann begreifen Sie das endlich?
({3})
Die naturgemäß schwankende Einspeisung von Ökostrom passt nicht zu Grundlastkraftwerken; das passt
nicht mit Atom- oder Kohlemeilern zusammen.
({4})
Sie bestreiten es jetzt schon wieder. Schauen wir mal,
wie lange der Einspeisevorrang noch bleibt.
({5})
Ich traue Ihnen da nicht über den Weg.
({6})
Ich sage Ihnen: Wenn Sie den Einspeisevorrang kippen,
dann werden Sie Proteste auf den Straßen erleben; denn
viele Menschen sehen das ganz anders als Sie. Sie wollen im Kern alte Strukturen.
({7})
Herr Koeppen hat sich ja für CCS ausgesprochen. Ich
sage: Diese Technologie ist rückwärtsgewandt. Wir lehnen diese Technologie ab. Sie ist nicht zukunftsweisend.
({8})
Zum Schluss. Ausgerechnet Sie sprechen von sozialen Preisen.
({9})
Sie haben mit Ihrer Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke mit dazu beigetragen, dass die Konzerne immer
mehr Profite machen. Das wissen wir; das ist bewiesen.
Frau Kollegin.
Das sagen nicht die Linken, sondern das Öko-Institut
und viele andere Umweltinstitute. Sie unterstützen die
Konzerne; dafür wurden Sie gewählt.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Maria Flachsbarth
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
wundere mich.
({0})
Dass wir gestern Abend ganz heftig über Endlagerung
gestritten haben, dass wir uns in Sachen Kernenergie
hart austauschen, das ist okay, geschenkt. Das ist überhaupt gar keine Frage. Aber es war immer eine Stärke
dieses Hauses, dass wir bei den Fragen, wie wir die erneuerbaren Energien vorantreiben, wie wir die energetische Umstellung dieses Landes bewerkstelligen wollen,
über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam gehandelt haben.
({1})
Von daher denke ich, dass es besser wäre, wenn in dieser
Debatte andere Töne anschlagen würden.
({2})
Der Klimaschutz - da sind wir uns doch völlig einig,
Herr Kelber - ist die herausragende umweltpolitische
Herausforderung der Gegenwart.
({3})
Es geht um die Vorsorge für eine langfristig tragfähige
ökonomische wie ökologische Entwicklung. Wir wissen,
dass wir das 2-Prozent-Ziel erreichen müssen; dafür
müssen bis 2050 mindestens 80 Prozent der Treibhausgasemissionen eingespart werden. Wir wissen, dass die
Erde ein industrielles Wachstum auf dem Niveau des
bisherigen Ressourcenverbrauchs einfach nicht erträgt.
Wir wissen, dass China mit seinen 6 Milliarden Tonnen
CO2-Emissionen pro Jahr zwar der größte Emittent ist,
der einzelne Chinese aber nur halb so viele Emissionen
wie ein Deutscher und nur ein Viertel der Emissionen eines US-Amerikaners verursacht. Ein Inder wiederum
verursacht nur ein Viertel des CO2-Ausstoßes, den ein
Chinese verursacht. Wir wissen, dass deshalb Handlungsbedarf besteht. Ich finde, ab und an sollte man auch
diese Dimension betrachten, damit man ernsthaft diskutiert, statt sich nur gegenseitig politische Argumente um
die Ohren zu schlagen.
({4})
Die Menschen auf der ganzen Welt wollen an unserem Wohlstand teilhaben. Deshalb wird es einen kontinuierlich steigenden Energiebedarf geben, und deshalb
müssen wir - das ist dringend notwendig - die Ressourcen intelligenter und sparsamer einsetzen und erneuerbare Energieträger verstärkt verwenden.
({5})
Deutschland hat das Ziel - wir haben es in unserem
Koalitionsvertrag formuliert und werden die entsprechenden Maßnahmen im Laufe dieser Legislaturperiode
umsetzen -, bei den Treibhausgasemissionen bis 2020
gegenüber 1990 40 Prozent und bis zum Jahr 2050
80 bis 95 Prozent einzusparen.
({6})
Der Einsatz der Erneuerbaren - das haben Sie in Ihrem Antrag richtig festgestellt - senkt die Importabhängigkeit und führt zu Wertschöpfung und Arbeitsplätzen
im eigenen Land - Argumente, die wir, wie ich finde,
noch viel zu wenig in die Öffentlichkeit kommunizieren.
Damit dieser Umbau funktionieren kann - der Umbau
von einer zentralen Energieversorgung, die konventionelle Energieträger nutzt und nachfrageorientiert ist, hin
zu einer dezentralen Energieversorgung, die auf Erneuerbaren fußt und angebotsorientiert ist; schließlich sind
Wind und Sonne nicht steuerbar -, brauchen wir vor allen Dingen den Ausbau von Speichern und Netzen, wobei Netze zum Teil auch als Speicher fungieren können.
In dieser Frage brauchen wir einen gesamtgesellschaftlichen Konsens;
({7})
denn vor Ort müssen wir diese Projekte gemeinsam
durchsetzen. Insofern sind Debatten wie diese, die
Scheinkonfrontationen produzieren, problematisch.
({8})
Die Vorschläge, die EU-Energiekommissar Oettinger
unterbreitet hat, nämlich die Netze in Europa auszubauen, zeigen doch in die richtige Richtung.
({9})
Auf dem EU-Gipfel vom 4. Februar dieses Jahres, über
den ich noch kein gutes Wort gehört habe, wurde angekündigt, dass die EU den zersplitterten Markt binnen
drei Jahren, also bis 2014, einen will, insbesondere was
den Ausbau von Strom- und Gasleitungen angeht. Das
ist im Hinblick auf die Nutzung der Erneuerbaren notwendig und, um mehr Wettbewerb zu ermöglichen:
durch größere Leitungskapazität, mehr Grenzkuppelstellen und einen EU-weiten Stromhandel.
({10})
Der Rat hat die Kommission ganz konkret beauftragt,
bis Juni 2011 - der Termin ist also absehbar - Angaben
dazu vorzulegen, wie die notwendigen Investitionen aussehen sollen und wie das Ganze finanziert werden soll.
Außerdem wurde die Kommission beauftragt, Hindernisse für Infrastrukturmaßnahmen zu beseitigen. Das ist
sehr konkret. Es zeigt erstens, dass Handlungsbedarf besteht, und zweitens, dass gehandelt wird.
Bei dem Thema, über das wir gerade sprechen, ist
auch das EU-Klima- und Energiepaket mit einzubeziehen. Die Richtlinie 2009/28/EG vom April letzten Jahres, die wir im Rahmen des EAG, des Europarechtsanpassungsgesetzes, gerade in nationales Recht umsetzen,
gibt vor, dass in der EU bis zum Jahre 2020 ein Anteil
der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch in
Höhe von 20 Prozent verbindlich ist. Für Deutschland
sind es, wie wir alle wissen, 18 Prozent.
Was ich in diesem Zusammenhang ausgesprochen
positiv finde, ist, dass die Mitgliedstaaten ihre Förderinstrumente für die Zielerreichung grundsätzlich selbst
ausgestalten können. Es ist darüber hinaus vernünftig,
dass es flexible Mechanismen für eine Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten geben soll. Für uns ist jetzt
wichtig, dass es diese europäischen Ziele und einen europäischen Konsens gibt, dass wir also gemeinsam als
Europa agieren.
Wichtig ist auch, dass wir zu Hause unsere Hausaufgaben machen. Auch hier sind wir auf einem guten Weg,
selbst wenn wir uns im Detail streiten. Bei der Anhörung
zum EAG haben uns die Experten doch gesagt, dass
Deutschland in Bezug auf das meiste, was Europa im
Bereich der Erneuerbaren fordert, mit dem ErneuerbareEnergien-Gesetz, mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz und mit den Nachhaltigkeitsverordnungen sehr
weit vorangeschritten ist. Insofern ist es vernünftig, dass
wir weiter daran arbeiten, und das werden wir im Rahmen der Novellen zum Erneuerbare-Energien-Gesetz
und zum EE-WärmeG im nächsten Jahr tun.
Wir werden die Bundesregierung nochmals bitten
- ich bin mir ganz sicher, dass sie da auf unserer Seite ist -,
uns relativ schnell die Evaluation des Integrierten Energie- und Klimapaketes vorzulegen, damit wir dies in unsere weiteren Überlegungen einbeziehen können. Anschließend wollen wir das Energiekonzept Schritt für
Schritt in der Politik umsetzen; damit meine ich beispielsweise die Gesetzgebungsvorhaben, die ich eben
genannt habe.
Das Besondere an diesem Konzept ist doch, dass wir
nicht noch einmal nur Ziele für die Handlungsfelder
Energieeffizienz, energetische Gebäudesanierung, Netzausbau, Mobilität, Kernenergie und Erneuerbare Energien aufgeschrieben haben, sondern dass dieses Konzept
finanziell unterlegt ist. Für die zusätzliche Finanzierung
von Erneuerbaren, von Energieeffizienz und von nationalem wie internationalem Klimaschutz gibt es dauerhaft ein Sondervermögen, nämlich den Energie- und Klimafonds. Das kann sich sehen lassen: Für 2011 und 2012
startet dieses Sondervermögen mit 300 Millionen Euro,
aber ab 2013 - dann fließen die Auktionierungserlöse
der Emissionszertifikate diesem Fonds zu - sind es mehr
als 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Ab 2017 sind es aufgrund der Gewinnabschöpfung aus der Laufzeitverlängerung sogar über 3 Milliarden Euro pro Jahr. - Das sind
Dimensionen, mit denen sich Deutschland sehen lassen
kann. Wir als Parlament müssen nun schauen, dass wir
dieses Ziel - das geschieht natürlich auch durch Konfrontation; das ist gar keine Frage - gemeinsam erreichen.
({11})
Ein kleiner, ganz zarter Hinweis, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen: Sie sagen, Deutschland
möge sich in puncto Kernenergie und CCS europaweit
für eine Diskriminierung dieser Technologien einsetzen.
Das ist uns seit zehn Jahren nicht gelungen. In puncto
Kernenergie stehen wir isoliert da; das muss man so sagen.
({12})
Ich bitte die Bundesregierung daher, sie möge ihre Überzeugungskraft lieber für das Werben für den Ausbau Erneuerbarer verwenden.
In Bezug auf CCS sagt uns das Öko-Institut, dass wir
CCS im Bereich der prozessbedingten CO2-Emissionen
brauchen,
({13})
also zum Beispiel bei der Eisen- und Stahlproduktion
oder bei der Zementherstellung. In Deutschland fallen
zurzeit 80 Millionen Tonnen CO2 und global 2,5 Milliarden Tonnen CO2 an.
({14})
Deshalb sollten wir auch diese Technologie nicht vom
Tisch fegen.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat das
weltweit ehrgeizigste Klimaschutzprogramm. Jetzt gilt
es, das nationale Vorgehen mit dem Vorgehen auf EUEbene enger zu verzahnen. Ich lade Sie ein, mit uns gemeinsam daran zu arbeiten.
Herzlichen Dank.
({16})
Rolf Hempelmann ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
- Es würde ohnehin manche Debatte sehr beleben, wenn
die jeweils anderen Fraktionen die Stichworte lieferten,
auf die der gerade benannte Redner einzugehen hätte. Bitte schön, Herr Kollege Hempelmann, machen Sie etwas daraus.
({1})
Verehrter Herr Präsident, ich kann Ihre Dankbarkeit
nur teilen. Man ist ja für jedes Informationsbedürfnis,
das von den Regierungsparteien geäußert wird, dankbar;
denn dann merkt man, dass man wirklich helfen kann
und dass die Hilfe auch erwünscht ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man im Ausland unterwegs ist und sich über Energie und Energiepolitik unterhält und dabei beiläufig erwähnt, dass man
aus Deutschland kommt, dann erntet man in der Regel
bewundernde Blicke und Kommentare. Wenn man dann
ein bisschen tiefer ins Thema einsteigt, dann kommt der
Gesprächspartner eigentlich sehr schnell auf das Thema
Erneuerbare Energien. Im Ausland wird nämlich konstatiert, dass wir hier in den letzten 10 bis 15 Jahren eine
Erfolgsgeschichte geschrieben haben, und es ist erkannt,
dass ein politisches Instrumentarium dahinter stand, insbesondere eben das EEG. Es ist auch erkannt, dass wir
damit in Sachen Klimaschutz, aber auch in Sachen Wertschöpfung und Beschäftigung im eigenen Land sowie
Export der Technologien in die Regionen dieser Welt
vieles erreicht haben.
({0})
Es muss daher eigentlich in besonderes Erstaunen
versetzen, dass diese Diskussion von einigen Teilen des
politischen Spektrums, aber auch von interessierten Teilen der Wirtschaft so einseitig geführt wird. Es wird nur
sehr partiell und selektiv von Kosten gesprochen, nämlich von den Kosten, die man sehr direkt über die EEGUmlage verifizieren kann. Es wird nicht davon gesprochen, wie sich der Aufbau der erneuerbaren Energien auf
die Preisbildung insgesamt ausgewirkt hat, auch an den
Börsen. Schon deswegen ist diese Kostendebatte unehrlich; sie ist aber natürlich auch interessengeleitet, weil so
die Präferierung der Erneuerbaren gegenüber anderen
Energieträgern bekämpft werden soll.
({1})
Lieber Herr Kollege Koeppen, natürlich bringt der Erfolg, den wir in den letzten 10 bis 15 Jahren hatten, auch
neue Herausforderungen mit sich. Ich betone das immer,
auch wenn ich in Ländern bin, in denen man gerade am
Anfang dieser Entwicklung steht. Diese Herausforderungen hatten wir damals nicht, aber wir haben sie jetzt, beispielsweise in Bezug auf die Netze, weil die Anteile der
volatilen Erneuerbaren erheblich angestiegen sind, aber
auch bezogen auf das gesamte Energiesystem. Wir sind
bereit, uns den Herausforderungen zu stellen. Wir sind
aber nicht bereit, sie lediglich als Problem zu identifizieren; wir sehen sie vor allen Dingen als Chance.
Wenn man sich Ihre Zielsetzungen anschaut, dann
wird deutlich, dass Sie das eigentlich auch so sehen. Sie
wollen im Stromsektor - diesen greife ich einmal heraus - bis zum Jahre 2020 einen Anteil der Erneuerbaren
von 35 Prozent erreichen. Im darauffolgenden Jahrzehnt
wollen Sie über die 50-Prozent-Schwelle kommen. Für
die Folge reden Sie zumindest schon einmal von 80 Prozent. Andere Parteien sind hier noch ambitionierter. Wenn wir das gemeinsam wollen, dann heißt das natürlich, dass wir den entsprechenden gesetzlichen Rahmen dafür schaffen müssen, damit diese steigenden Strommengen
in das Energiesystem integriert werden können.
Dazu muss man Folgendes feststellen: Sie treffen Entscheidungen - das gilt gerade hinsichtlich der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke -, die genau in die andere Richtung weisen. Sie schaffen für eine längere
Zukunft Inflexibilitäten im System, die wir überhaupt
nicht vertragen können, wenn wir ein System haben wollen, in das tatsächlich bald 35 Prozent, danach 50 Prozent und später 80 Prozent und mehr an erneuerbarer
Energie integriert werden können.
({2})
- Nein.
Viele von Ihnen kommen jetzt auf den Trichter, zu sagen: Wir haben ein Problem mit den verstopften Netzen.
Lasst uns jetzt einmal ein bisschen langsamer machen.
Bei den erneuerbaren Energien setzen wir erst einmal
auf Netzausbau. - Andere, zum Beispiel der EU-Kommissar Oettinger, unterstützt durch den Wirtschaftsminister Brüderle, sagen: Wir brauchen hier erst einmal
eine Harmonisierung in Europa. - Was ist damit eigentlich gemeint? Wenn man die Kommentierungen, die sich
daran anschließen, hört, dann weiß man, dass es offensichtlich um eine Harmonisierung in Richtung anderer
Fördermodelle als das EEG geht, zum Beispiel in Richtung Quoten. Dabei wird aber einiges übersehen:
Erstens. Die Erfahrungen mit der Quote zeigen, dass
diejenigen Länder, die nicht das EEG, sondern Quotenmodelle haben, beim Ausbau der erneuerbaren Energien
langsamer gewesen sind und dass es teurer war. Es hat
also ökologisch und ökonomisch nichts gebracht.
({3})
Zweitens. Viele von denen, die mit der Quote begonnen haben, sind mittlerweile beim EEG oder bei EEGähnlichen Modellen mit der gleichen Struktur von VorRolf Hempelmann
rangeinspeisung, festem Entgelt und Degression angelangt. Wenn 21 von 27 Mitgliedstaaten schon das EEG
oder EEG-ähnliche Modelle haben, dann würde Harmonisierung eigentlich bedeuten: EEG für alle.
({4})
Das war aber, wie wir wissen, nicht so gemeint.
Der dritte Punkt ist die Standortdebatte. Harmonisierung soll dadurch erreicht werden, dass man erneuerbare
Energien dort zulässt, wo die besten Standorte sind.
Letztendlich bedeutet das: Ade vom 35-Prozent-Ziel in
Deutschland, erst recht von 50 Prozent oder 80 Prozent.
Erneuerbare-Energie-Anlagen sollen im Ausland bzw.
sogar außerhalb Europas in Nordafrika installiert werden. Dort scheint die Sonne häufiger, und anderswo
weht der Wind stärker. Das klingt für einen Wirtschaftspolitiker zunächst nicht schlecht. Es bedeutet aber letztlich, dass wir in Deutschland auf Wertschöpfung und Arbeitsplätze in diesem Bereich verzichten. Das war ein
wesentlicher Grund für die großartige Akzeptanz der erneuerbaren Energien in Deutschland.
({5})
Man muss auch berücksichtigen, was es für das Zusammenspiel von Erzeugung und Netz bedeutet, wenn
wir lediglich an der Peripherie Europas Erzeugungsanlagen haben. Das bedeutet, dass es sehr viel schwieriger
sein wird, für Netzstabilität zu sorgen. Alle Fachleute
sprechen sich für die räumliche Nähe von Erzeugung
und Verbrauch aus. Das spricht für ein dezentrales System, wie wir es uns vorstellen.
({6})
All das zeigt, dass sich die Bundesregierung, unterstützt von ihrem Kommissar Oettinger, ziemlich verritten hat. Das bestätigt auch das Ergebnis der letzten Woche: Es gibt keine Unterstützung von der restlichen
Europäischen Union.
Wir sollten uns den Herausforderungen stellen. Aber
das geht weiter als das, was bisher von Ihnen vorgeschlagen worden ist. Ich bin völlig damit einverstanden,
dass wir nicht nur in den Kategorien des EEG denken
dürfen. Wir müssen allerdings auch erkennen, dass wir
das EEG auf Sicht brauchen.
({7})
Aber wir müssen jetzt parallel dazu daran arbeiten, dass
die Markteinführung der erneuerbaren Energien, aber
auch die Netz- und Systemintegration funktionieren.
({8})
Ich weiß, dass ich mich immer noch nicht klar genug
ausgedrückt habe. Denn was ich gesagt habe, suggeriert,
dass wir ausschließlich bei den Erneuerbaren ansetzen
und sie in den Stand versetzen müssten, sich besser in das
System zu integrieren. Das ist selbstverständlich notwendig. Dafür müssen technische Lösungen gefunden werden; Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch. Gleichzeitig geht es aber auch darum, das System selbst
weiterzuentwickeln. Es geht um die Vernetzung gerade
auch im Bereich der Verteilnetze und um die Schnittstelle
zum Endkunden. Da ist noch viel Musik drin. Das haben
wir bisher vernachlässigt. Wir haben zwar vor Jahren
erste Schritte getan, indem wir uns für intelligente Zähler
und lastvariable Tarife ausgesprochen haben, aber an der
Stelle sind wir stehen geblieben. Seit zwei Jahren ist
nichts mehr passiert. Wir müssen jetzt weitergehen.
Wenn wir das tun, können wir ein riesiges Potenzial
heben. Wir können die Angebots- und die Nachfrageseite sehr viel weiter zusammenführen.
({9})
Wir heben Effizienzpotenziale für die Erzeugungsseite
ebenso wie für das Netz und den Endkunden. Bisher haben wir das nicht getan; aber es ist die Voraussetzung dafür, dass letzten Endes ein System funktioniert, in dem
die Erneuerbaren der dominante Part sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns lieber über den Systemumbau diskutieren. Holen Sie die
Akteure, auch die Bundesregierung, zusammen! Es gibt
eine vielfältige Kulisse von Akteuren, die mithelfen können, den Systemumbau zu bewerkstelligen. Sie stehen
bereit und wollen ihre Vorschläge einbringen, damit Sie
als Rahmengeber und sie als Marktakteure den Systemumbau vorantreiben können. Ich glaube, das ist fruchtbringender als eine reine Diskussion über Entgeltsätze oder
eine ungleichgewichtige Diskussion über Kosten oder
Scheinkosten. Lassen Sie uns die Chancen nutzen, die in
diesem Thema stecken!
Vielen Dank.
({10})
Der Kollege Michael Kauch erhält nun das Wort für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zeigt wieder, dass die
Grünen immer dann gut sind, wenn es um „gut fühlen“
geht, wenn es darum geht, Betroffenheit zu äußern, vielleicht auch wenn es darum geht, das eine oder andere anzustoßen. Aber dann, wenn die Probleme tatsächlich im
großen industriellen Maßstab gelöst werden sollen,
({0})
dann muss halt die christlich-liberale Koalition ran, zum
Beispiel wenn es darum geht, einen Anteil von 80 Prozent erneuerbare Energien in diesem Land zu schaffen.
({1})
Wir haben bei den UN-Klimaverhandlungen in Cancún einen Teilerfolg erzielt. Wir haben die stockende
Verhandlung der letzten Jahre einen Schritt vorangebracht. Ich glaube, es muss nun ein Zeichen gesetzt werden, um die Verhandlungslinie für die UN-Konferenz in
Durban in diesem Jahr vonseiten der Europäischen
Union wieder ein Stück voranzubringen. Wir haben noch
keinen Durchbruch erzielt; aber ich glaube, es ist an der
Zeit, dass sich die Europäische Union über das CO2-Einsparungsziel von 20 Prozent hinaus bewegt. Wir in
Deutschland müssen mit daran arbeiten, die Europäische
Union in diese Richtung zu bewegen.
({2})
Die Zukunft der erneuerbaren Energien wird wesentlich davon abhängen, ob es uns bei der Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, vor der wir in diesem Jahr
stehen, gelingt, die Marktintegration und die Netzintegration der erneuerbaren Energien voranzubringen.
Denn es ist klar: Wenn wir hin wollen zu 80 Prozent erneuerbaren Energien, dann werden wir im Jahr 2050 ein
anderes EEG haben. Sonst hätten wir eine Verstaatlichung der gesamten Energiewirtschaft durch gelenkte
Preise. Es wäre natürlich auch im Blick auf die Netzstabilität nicht sinnvoll, weiterhin mit einem Instrument zu
arbeiten, das eben keine Anreize für eine nachfrage- und
angebotsgerechte Einspeisung setzt. Wir müssen bei den
Markt- und Netzintegrationsinstrumenten im Jahr 2012
beginnen, um dann Stück für Stück die erneuerbaren
Energien stärker in den Markt hineinzubringen. Mit
Blick auf die europäische Dimension ist es auch erforderlich, die erneuerbaren Energien stärker in einen europäischen Markt zu bringen. Wir brauchen einen europäischen Strombinnenmarkt nicht nur für konventionellen
Strom, sondern auch für erneuerbaren Strom.
Wenn wir das erste Solarkraftwerk, das Desertec in
Marokko bauen will, in den europäischen Markt einbinden wollen, dann ist es notwendig, die flexiblen Kooperationsmechanismen der Erneuerbare-Energien-Richtlinie zu nutzen. Die Bundesregierung hat sich entschieden,
in das Europarechtsanpassungsgesetz Erneuerbare Energien diesen Punkt noch nicht aufzunehmen. Ich sage aber
auch ganz deutlich im Namen meiner Fraktion, dass wir
die Bundesregierung auffordern, im Jahr 2012 ein Gesamtkonzept vorzulegen, um diese flexiblen Kooperationsmechanismen in die Praxis umsetzen zu können. Wir
wollen ein nationales Förderinstrument, das EEG; wir
wollen aber auch, dass der Rechtsrahmen für Kooperationen im europäischen Kontext endlich für jeden Investor
klar und deutlich ist.
({3})
Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Debatte schon wieder viel Skandalgeschrei gehört und
auch, was uns die Opposition wieder alles nicht glaubt
und was sie uns unterstellt. Ich sage Ihnen ganz deutlich,
liebe Kollegin Bulling-Schröter: Wir von der FDP haben
in den Koalitionsvertrag und in das Energiekonzept klar
hineingeschrieben, dass der Einspeisevorrang zugunsten
der erneuerbaren Energien erhalten bleibt. Das war so,
das ist so, und das wird so bleiben. Es gibt den Systemkonflikt, der hier immer wieder heraufbeschworen wird,
also nicht. Die erneuerbaren Energien haben Vorrang im
Netz. Die konventionellen Kraftwerke müssen sich den
Rest des Marktes teilen. Der Wettbewerb findet nicht
zwischen den Erneuerbaren und der Kernkraft, sondern
zwischen der Kernkraft und der Kohle statt. Das ist unter
Klimagesichtspunkten auch gut so.
({4})
Da hier die Systemfrage gestellt wird, verweise ich
auf die Lerneffekte bei der deutschen Energiewirtschaft.
Bei einer Fraktionsanhörung am Montag hat uns die Vertreterin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft erklärt, dass der Begriff „Grundlast“ aus dem
deutschen Energieversorgungssystem verschwinden wird.
Das hat vor einem Jahr noch anders geklungen. Ich habe
daher das gute Gefühl, dass die Realitäten, die das neue
Energiekonzept der Bundesregierung den Akteuren klarmacht - mit den Erneuerbaren hin zu einem Zeitalter der
Erneuerbaren -, angekommen sind. Die Akteure werden
nun in die Zukunft investieren; das ist gut so. Dazu brauchen sie noch nicht einmal die Grünen.
({5})
Herr Kelber, Sie haben uns heute von diesem Pult aus
ein schönes Beispiel dafür gegeben, wie pharisäerhaft
man sein kann. Sie haben gesagt: Diese Bundesregierung verhindert Kraftwerkserneuerungen. - Sie kommen
aus Nordrhein-Westfalen, wo Rot-Grün regiert. Es handelt sich zwar nur um eine Minderheitsregierung, und
Sie sind dort auch nur der Hampelmann der Grünen.
Aber haben Sie vergessen, wer den Kraftwerksneubau in
Datteln verhindern will? Das ist die Landesregierung
von SPD und Grünen.
({6})
Das mag Ihnen peinlich sein, aber Sie können das nicht
bei der Bundesregierung abladen. Das sind Ihre Parteifreunde, die das machen, Herr Kelber.
({7})
- Meine Redezeit geht zu Ende.
Abschließend möchte ich auf die Forderung im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen eingehen, man möge
die Finanzierung des Infrastrukturpakets - Sie intonieren
das so, als ob öffentliche Gelder fließen müssten - klären. Ich kann Ihnen nur sagen: Herzlichen Glückwunsch! Erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern, warum sie mit ihren Steuermitteln auch noch RWE & Co.
subventionieren sollen! - Diese Konzerne haben in den
vergangenen Jahren erhebliche Gewinne alleine im
Emissionshandel erzielt und verfügen über genügend Finanzkraft, das selber zu stemmen. Es bedarf keiner Steuermittel.
Vielen Dank.
({8})
Nun hat Diether Dehm für die Fraktion Die Linke das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Herr Oettinger hat in dieser Woche verkündet, eine Steigerung der Energiekosten sei nicht mehr aufzuhalten.
Ein Beispiel: Ein vierköpfiger Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4 500 Kilowattstunden wird in diesem
Jahr 90 Euro mehr zahlen. - In einkommensschwachen
Haushalten wird schon jetzt gefroren. Daher fordert die
Linke, die Milliardengewinne der Konzerne abzuschöpfen und dies zugunsten der Einkommensschwachen umzulegen.
({0})
Der Antrag der Grünen hat eine Schwachstelle. Das
Problem der Speicherung wird mit keinem Wort erwähnt. Erneuerbare Energien gehen aber nur mit Rekommunalisierung. Aber das wäre das Ende von Joschka
Fischers Fata Morgana vom ökologischen Kapitalismus.
({1})
Notwendig sind Entflechtung und Enteignung der Stromkonzerne. Wir stimmen Ihrem Antrag zwar zu. Aber hätte
Rot-Grün damals beim Atomausstieg seine Hausaufgaben seriös und verbindlich gemacht, brauchten die Menschen heute nicht gegen Castor und Gorleben zu demonstrieren. Dann brauchten wir auch diese ganze Debatte
gar nicht.
({2})
Meine lieben Freunde von den Grünen, da Sie so dazwischen rufen, kann ich nur sagen: An die Freiwilligkeit der Energiekonzerne zu appellieren, ist, als wenn
Sie an einen Marder im Blutrausch appellieren, sich
selbst die Maulsperre einzuziehen. Das geht einfach
nicht.
({3})
Mit der Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken verschafft nun die Bundesregierung den Konzernen neue Milliardengewinne. Gegen diese müssen die
Erzeuger erneuerbarer Energien und die Mittelständler
jetzt noch brutaler auf dem Strommarkt konkurrieren
und werden oft wieder verlieren.
Die Niederlande haben ihre Förderung regenerativer
Energien gerade auf null gefahren und den Bau neuer
Atomkraftwerke auf den Weg gebracht. Der Europäische
Rat hat letzte Woche beschlossen, Schiefergasvorkommen und deren - hochgefährlichen - Abbau neu zu evaluieren. Um Öl und Gas werden neue Kriege geplant. In
ganz Europa haben Sie von der Bundesregierung und der
Koalition die Weichen rückwärtsgestellt. Alles, was unser wunderbarer und viel zu früh verstorbener Kollege
Hermann Scheer in seinem letzten großen Werk Der
energethische Imperativ genannt hat, muss uns auf dem
Herzen brennen.
({4})
Was Schwarz-Gelb gegen Hermann Scheer in all den
Jahrzehnten gesagt hat, war gelogen. Sie taten so, als sei
Uran ein schier unerschöpfliches Gut. Sie sagten, nur
Solarenergie müsse subventioniert werden, die Atomkraft würde sich nur am Markt rentieren. Sie unterschlugen die Steuerförderung, die Sie Siemens, RWE und Eon
geschenkt haben. Sie genehmigten Atomlager bedenkenlos und unterschlagen heute noch, dass wegen der Grube
Asse II wohl demnächst die Evakuierung von Hunderttausenden von Niedersachsen geplant werden muss. Sie
katzbuckeln vor der Gier der Konzerne, die nur jetzt ihre
Profite haben wollen, so wie einige in diesem Hohen
Hause jetzt wiedergewählt werden wollen, unter dem
Motto: Nach mir die Sintflut.
({5})
Lieber Kollege Koeppen, lieber Kollege Meierhofer,
Sie schauen immer auf die Welt, und die Welt ist die Begründung dafür, warum wir unsere innenpolitischen
Hausaufgaben nicht machen können. 67 Prozent der
Wertschöpfung der Energiekonzerne erfolgt in fünf zentralen Staaten der EU. Da ist Deutschland ganz vorne.
Der Klimafeind steht im eigenen Land.
Hermann Scheer war auch einer der jahrzehntelang
überhörten Privatisierungsgegner. Um aber fit für die
Börse zu werden, strich die Bahn ihre Belegschaft und
die Infrastruktur zusammen, ein Viertel ihrer Schneeräumfahrzeuge, und plötzlich im Dezember war unerwarteterweise dann Winter. Es soll Stuttgart 21 gebaut
werden, ohne dass die Frage nach dem Gütertransport
und den damit verbundenen CO2-Emissionen beantwortet wird.
({6})
Der Noch-Ministerpräsident Mappus will die Anteile
seines Landes an der EnBW, Energie Baden-Württemberg AG, an die Börse bringen. Seine DAX-Fantasien
kosten nicht nur Arbeitsplätze und Tarifverträge, sondern auch klimatische Nachhaltigkeit. Dagegen wollen
Menschen nicht nur auf die Straße, sondern Mappus
auch abwählen gehen.
({7})
Die Umweltorganisation Robin Wood hat vor Jahren
ein Buch mit dem Titel Manager der Klimakatastrophe:
die Deutsche Bank und ihre Energie- und Verkehrspolitik
herausgebracht. Auf 340 Seiten wird nachgewiesen, wie
die Deutsche Bank, die an vielem Unrecht seit dem
Jahr 1933 beteiligt war, ihre Kapitalbeteiligung bei
Daimler, bei Energiekonzernen und ihre 3 200 Lobbyisten für Spritfresser der E-Klasse und gegen die Einfüh10310
rung von Solarenergie über Jahrzehnte eingesetzt hat.
Wer Machtkontrolle ernst meint, der braucht einen starken Staat und eine EU, die die Power hat, den Energieriesen und der Deutschen Bank entgegenzutreten, und
der sich nicht so klein macht, dass er in deren Hintern
passt.
({8})
Ein sozialer und ökologischer Staat der Zukunft, der
die Strompreise, die Zocker und die Emissionen in den
Griff bekommt, beginnt in den Kommunen. Wer dort als
Christ für die Schöpfung demonstriert, als Liberaler für
einen fairen Wettbewerb ohne Monopolkapital streitet,
als Sozialdemokrat oder Grüner für die Ideen Hermann
Scheers eintritt, auf einem nichtkapitalistischen Weg zu
erneuerbaren Energien zu kommen, wird die Linke als
Antreiber und als verlässlichen Partner haben - außerparlamentarisch und parlamentarisch.
({9})
Wer den Ausstieg aus Atom und fossilen Brennstoffen wagt, nach all den Menetekeln wie Springfluten und
Dürrekatastrophen, nach all den klimatisch bedingten
Kriegs- und Hungersnöten, der und die hat auch die
Mehrheit der Lebenden auf seiner Seite und der Nochnicht-Geborenen, die wehrlos sind, wenn wir nicht für
sie kämpfen.
({10})
Das Wort erhält nun der Kollege Hans-Josef Fell für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der EU-Energiegipfel letzte Woche hat keine
Antworten zur Sicherung der Energieversorgung, auf
steigende Energiepreise, die Erderwärmung oder die zunehmenden internationalen Spannungen, die sich mit der
Verknappung der Energierohstoffe immer weiter ausbreiten, gebracht. Unter der Dominanz der schwarz-gelben deutschen Regierung wurde verpasst, den dringend
erforderlichen Transformationsprozess hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien unter Ausschöpfung der großen Energieeinsparpotenziale auf den Weg
zu bringen. Europa droht zu über 70 Prozent von Energierohstoffimporten aus zunehmend unsicheren Lieferländern abhängig zu werden. Statt endlich die Erschließung der unerschöpflichen und kostenlosen heimischen
Energieressourcen aus Solarstrahlung, Wind, Wasserkraft und Erdwärme in den Mittelpunkt zu stellen, setzt
der EU-Gipfel mit neuen Pipelines und Terminals auf die
Erhöhung der Importabhängigkeit, und das auch noch
aus politisch instabilen Lieferländern: Erdgas aus Kasachstan über die Nabucco-Pipeline, Erdöl aus Nigeria
und Kolumbien, Kohle aus Südafrika und Indonesien
({0})
oder Uran aus dem Niger. So, meine Damen und Herren
von Union und FDP, werden Sie die EU und Deutschland in immer größere Abhängigkeiten und wirtschaftliche Probleme stürzen und keine vernünftige Energiepolitik auf den Weg bringen.
({1})
Gleichzeitig hatte die Bundesregierung auf dem
EU-Gipfel keine Kraft und keinen Willen, Herr Kauch,
das EU-weite CO2-Reduktionsziel für den Klimaschutz
wenigstens auf 30 Prozent bis 2020 anzuheben. Das ist
ein Armutszeugnis, nein, besser: ein komplettes Versagen von Frau Merkel und Umweltminister Röttgen im
europäischen Klimaschutz.
Dabei will ich nicht verhehlen, dass es vom EU-Energiegipfel durchaus einen erfreulichen Punkt zu berichten
gibt. Meine Kollegin Bärbel Höhn ist bereits darauf eingegangen. Die Vorstellungen von Energiekommissar
Oettinger, das erfolgreiche deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz zugunsten von wirkungslosen Grünstromzertifikaten zu Fall zu bringen, wurden abgewehrt.
({2})
Überfraktionelle Aktivitäten im Bundestag und im
EU-Parlament stärkten Umweltminister Röttgen den Rücken. Das wird nicht aufhören; dieser parteiübergreifende
Einsatz wird auch weiterhin notwendig sein. Ich appelliere an die Union, da weiterhin mitzuhelfen. In seiner
Rede am Montag vor dem Bundesverband Erneuerbare
Energien hat das CDU-Mitglied Oettinger Befürchtungen
hinsichtlich seiner mittelstandsfeindlichen Energiepolitik
mit Abschaffung des EEG neu gestärkt.
Die klare Haltung der deutschen Regierung zum
Schutze des EEG war leider nicht selbstverständlich.
Ausgerechnet die FDP mit Wirtschaftsminister Brüderle
stand nicht hinter der starken Wirtschaftsbranche der erneuerbaren Energien. Brüderle hat zusammen mit vielen
Stimmen aus der Union Sympathie für die Vorschläge
Oettingers bekundet. Seine Zustimmung zum Erhalt des
EEG hat er sich mit der Verhinderung eines verbindlichen Zieles von 20 Prozent Energieeffizienzsteigerung
auf europäischer Ebene erkauft. Man muss sich das einmal vorstellen: Da steigt der Ölpreis auf 100 Dollar pro
Barrel, und der Wirtschaftsminister hat nichts Besseres
zu tun, als Energieverschwendung zu unterstützen. Unglaublich, was hier abgeht!
({3})
Auch den Atomwünschen Frankreichs hat Frau
Merkel große Unterstützung zukommen lassen. Unter
dem wohlklingenden Begriff „Low Carbon“ verbergen
sich in Wirklichkeit Atom und Kohle mit CCS. Nun hat
also die EU die Atomkraft als investitionswürdig anerkannt. Das ist ein äußerst bedenklicher Schritt auf diesem EU-Gipfel, der die ungelösten Probleme von AtomHans-Josef Fell
müll und Proliferation weiter verschärfen wird, statt sie
zu lösen.
Das Festhalten der Bundesregierung und des EU-Gipfels an der alten atomar-fossilen Energieversorgung wird
schon in diesem Jahr schlimme negative Auswirkungen
auf Wirtschaft und Wohlstand haben. Die gegenüber erneuerbaren Energien angeblich so billige fossile und atomare Energieversorgung wird immer mehr zur Belastung
der Wirtschaft, des Verkehrssystems, des Wärmesektors
und der Energiekunden.
So hat sogar die den Erdölkonzernen nahestehende
Internationale Energieagentur gestern gewarnt, dass die
volkswirtschaftliche Belastung durch Erdöl in diesem
Jahr von 4,1 auf 4,7 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts ansteigen würde. Doch diese Bundesregierung
hat überhaupt keine Antwort auf diese Fragen. In Ihren
Reden sprechen Sie viel über die Preise von erneuerbaren Energien. Kein einziges Wort aber habe ich zu der
mit den Ölpreisen zusammenhängenden Herausforderung gehört.
Die Bundesregierung träumt noch immer den Schlaf
der Gerechten. Erst diese Woche hat sie auf eine Anfrage
von uns wieder bestätigt, dass sie langfristig von einem
Ölpreis von 60 Dollar pro Barrel ausgeht, obwohl der
Preis aktuell bei 100 Dollar pro Barrel liegt. Das ist unverantwortlich.
Es steht zu erwarten, dass die Studie der Bundeswehr,
die Sie endlich einmal lesen sollten, Realität wird. Nach
dem Überschreiten des Peak Oils werden wir mit Bankenzusammenbrüchen, mit Massenentlassungen, mit
Hungersnöten und der Destabilisierung unserer Gesellschaft rechnen müssen. Warum kümmern Sie sich nicht
um dieses Problem, wenn Sie sagen, Sie würden Energiepolitik machen? Mit Ihrer Energiepolitik, wie Sie sie
auf dem EU-Gipfel durchgezogen haben, treiben Sie die
EU-Wirtschaft und die nationale Wirtschaft immer wieder in dieses Desaster hinein.
Herr Kollege.
Was wir brauchen, ist eine Energieversorgung mit erneuerbaren Energien und Energieeinsparungen, die uns
Klimaschutz und Energieversorgungssicherheit gleichzeitig bringen. Das fehlt bei Ihnen völlig.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Georg Nüßlein für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen! Meine
Herren! Bei dieser Debatte frage ich mich schon eine
ganze Weile: Was bringt es denn, wenn wir uns beim
Formulieren von Zielen übertrumpfen, ehe wir die ersten
Etappen genommen haben?
({0})
Was bringt es denn, wenn wir die schwächeren europäischen Länder mit dem höchsten Effizienzpotenzial, das
es zu heben gilt, gar nicht herankommen lassen, sondern
ihnen schon beim Formulieren von Zielen vorweggehen? Wenn wir den Stab ständig höher hängen und am
Schluss keiner mehr Anlauf nimmt, hinüberzuspringen,
wäre das der falsche Weg.
Deshalb glaube ich, dass wir uns den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zuwenden sollten, der
gesagt hat, dass er dieses Thema sehr praktisch angehen
will. Lieber Kollege Fell, wenn es darum geht, das CO2Problem zu lösen, dann sieht die praktische Realität so
aus, dass für viele - nicht alle - europäische Staaten das
Thema Kernenergie und das Thema erneuerbare Energien zusammengehören.
({1})
Das ist auch ökonomisch wie ökologisch nicht von der
Hand zu weisen.
({2})
Die zentrale Forderung in diesen Schlussfolgerungen
lautet, dass man den Energiebinnenmarkt zügig und uneingeschränkt umsetzen will. Man muss sich Gedanken
darüber machen, was das heißt. Aus meiner Sicht muss
es zunächst heißen, dass sich in den Staaten, die noch
nicht so weit sind wie Deutschland, etwas ändern muss.
In Frankreich gibt es einen Staatskonzern, der die dortige Chemieindustrie mit niedrigen Preisen subventioniert. Dort gibt es offenbar ein anderes Verständnis von
Europa. Hier stellt sich die Frage, ob das sein kann.
Nein, das kann nicht sein. Wenn im nächsten Schritt ein
Binnenmarkt realisiert werden soll, dann muss man beachten, dass es zunächst um die technischen Voraussetzungen geht, um den Notverbund zu einem Handelsverbund auszubauen. Das ist der entscheidende Punkt.
Es geht auch um die Frage des Wettbewerbs. Wirft
man einen Blick auf die nationale Situation, Herr Kelber,
haben Sie durchaus recht in Ihrer Analyse, dass nicht das
bewegt wurde, was wir uns erwartet hätten, und die
Wettbewerbssituation im deutschen Oligopol nicht so ist,
wie wir es uns vorstellen. Ich finde es aber ausgesprochen dreist, lieber Herr Kollege Kelber, dass Sie so tun,
als hätten Sie politisch nichts damit zu tun und als hätte
sich das erst im letzten Jahr so entwickelt.
({3})
Die SPD war doch viele Jahre mit an der Regierung
({4})
- zu lange; der Zwischenruf ist richtig -, und Sie tun so,
als sei das etwas, das Sie nicht betrifft; im Gegenteil. Sie
gehen noch weiter und unterlegen das Ganze mit einer
Rechnung, die hanebüchen ist. Sie haben hier am Pult ausgerechnet - ich hoffe, dass das im Protokoll nicht nachträglich geändert wird, wenn ich das jetzt aufgreife -,
eine vierköpfige Familie würde 1 200 Euro in die Gewinne der Energieversorger investieren. Da kann ich so
lange rechnen, wie ich will: Wenn ich für eine Familie
3 500 bis 4 000 kW pro Jahr ansetze, komme ich auf
Stromkosten, die irgendwo zwischen 800 und 900 Euro
betragen. Wie kann die Familie, wenn sie 800 bis 900 Euro
für Strom ausgibt, 1 200 Euro in die Gewinne der Energieversorger investieren?
({5})
Das halte ich für ausgesprochen hanebüchen.
Wir sollten uns weniger mit solchen Dingen beschäftigen und stattdessen einmal eine redliche Debatte darüber führen, wie wir aus der schwierigen Wettbewerbssituation das Beste für unser Land machen.
({6})
Dabei wird man über viele Themen reden müssen. - Ich
weiß, wo die Gewinne herkommen: Produktion, Vertrieb. Entschuldigung, das wissen wir doch.
({7})
Ich glaube, die Kollegin Höhn wollte genau das fragen, was ich gerade ausführe, aber das kann sie gern tun.
Aber das kann ja durch tatsächliche Frage und tatsächliche Antwort abgeglichen werden.
({0})
Bitte schön, Frau Höhn.
Herr Kollege Nüßlein, die Situation, die Herr Kelber
beschrieben hat, ist sogar noch viel schlimmer. Im Jahr
2002 hatten die Energiekonzerne einen Gewinn von
6 Milliarden Euro. Im letzten Jahr betrug der Gewinn sogar schon 30 Milliarden Euro. Eine Verfünffachung des
Gewinns! Alle Ökonomen sagen: Bei der Erzeugung von
Strom machen die einen wahnsinnigen Gewinn.
({0})
Da sind Kapitalerträge drin, die weit über der Marge
liegen, die Ackermann für seine Deutsche Bank in Anspruch nimmt, nämlich eher 40 bis 50 Prozent als
25 Prozent. Es ist wirklich dramatisch, was da an Margen verdient wird.
Betrachten Sie allein die Preiserhöhung in diesem
Jahr! Die gesamte Preiserhöhung war ungerechtfertigt,
weil genau in dem Maß, in dem die Konzerne die Preise
erhöht haben, die Kosten an der Leipziger Börse gesunken sind. Herr Nüßlein, was wollen Sie als CDU/CSU
und FDP tun, dass diese Abzocke der großen Energiekonzerne - was die machen, ist wirklich Abzocke - endlich aufhört? Denn was die mit den Verbrauchern machen - überhöhte, unfaire Energiepreise -, muss endlich
ein Ende haben.
Liebe Frau Kollegin Höhn, das wäre jetzt das gewesen, was ich anschließend gerne gesagt hätte.
({0})
- Nein, bleiben Sie bitte stehen. Jetzt haben Sie mir die
Gelegenheit gegeben, das zu tun. So sollten wir schon
miteinander umgehen.
({1})
Ich bin der Meinung dass die Europäische Union mit
dem Weg, den sie vorzeichnet, nämlich mit einem Mehr
an Wettbewerb über die europäischen Grenzen hinweg,
den Schritt vollzieht, den wir national allein offenkundig
nicht gehen können.
({2})
- Wir können das nur im Wettbewerb lösen. Diese Thematik werden wir genau an dieser Stelle lösen. Das ist
das eine.
({3})
Das andere ist: Wir werden alles vermeiden müssen,
liebe Frau Kollegin Höhn, was den Versorgern die
Chance gibt, Strompreise mit politischen, staatlichen
Maßnahmen zu begründen.
({4})
- Doch. Natürlich können wir etwas machen. Wir werden den Wettbewerb über die Europäische Union erreichen. Wir werden unsere Regulierungsmaßnahmen
vorantreiben. Wir werden all diese Dinge vorantreiben,
um dafür zu sorgen, dass die Preise nicht weiter steigen.
Wir werden im Übrigen im Rahmen der Produktion
dafür Sorge tragen, dass das in dieser Richtung nicht
funktioniert. Dazu haben wir die Laufzeitverlängerung
beschlossen. Wir hätten auch nettere, populärere Dinge
tun können, aber wir haben sehr genau gesehen, dass die
Kernenergie preisdämpfende Wirkung hat.
Im Übrigen müssen wir hier im Hause eine Diskussion über die Frage führen: Wie geht es bei den erneuerbaren Energien weiter?
Herr Nüßlein, darf die Frau Bulling-Schröter denn
auch noch eine Zwischenfrage stellen?
Ja.
({0})
Danke schön, Herr Nüßlein. - Ich habe gehört, Sie
möchten alles tun, damit Gewinne abgeschöpft werden
und die Preise nicht steigen, wenn ich es richtig verstanden habe. Jetzt ist es ja so, dass nach wie vor 90 Prozent
der Zertifikate kostenlos an die großen Energieunternehmen weitergegeben werden. Ab 2013 dürfen sie dann
versteigert werden; darüber bin ich sehr froh. Jetzt hat ja
die Linke schon einige Male Anträge gestellt, zu prüfen,
inwieweit diese Gewinne abgeschöpft werden können,
da ja die fiktiven Kosten für diese Zertifikate - die Unternehmen bekommen sie noch kostenlos - eingepreist
und direkt an die Verbraucherinnen und Verbraucher
weitergegeben werden. Das bestreitet niemand in diesem
Hause. In der letzten Legislatur wurde uns gesagt, dass
das nicht geprüft wurde. Gründe dafür wurden uns nicht
genannt. Meine Frage an Sie lautet jetzt: Werden Sie das
prüfen? Es handelt sich ja um einige Milliarden Euro,
die praktisch leistungslos Jahr für Jahr den Profit der
großen Konzerne steigern.
Zunächst einmal zum ersten Teil Ihrer Ausführungen:
Sie verwechseln hier Wirkungen des Wettbewerbs mit
der Frage, wie man Gewinne abschöpfen kann. Das ist
typisch Linke.
({0})
Wir haben nicht Verstaatlichungen und andere Repressionen im Sinn, sondern setzen darauf, dass sich dynamisch europaweit ein Markt entwickelt, der seinen Beitrag dazu leistet, dass es am Ende andere Strompreise
und in der Konsequenz auch eine andere Gewinnsituation bei dem einen oder anderen Oligopolisten geben
wird. Das ist das eine.
Das andere ist: Wir schöpfen in der Tat ab. Wir haben
eine Brennelementesteuer beschlossen. Andere, die hier
sitzen und ständig solche Dinge predigen, haben sich das
nicht getraut. Sie haben vielmehr seinerzeit mit den Versorgern einen Deal gemacht und explizit auf solche
Maßnahmen verzichtet. Das muss man doch der Ehrlichkeit halber einmal sagen.
({1})
Auch wenn Sie es uns ständig vorwerfen: Den Deal mit
den großen Versorgern haben ausschließlich und allein
Sie gemacht. Sie haben dabei auf Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und auf steuerliche Eingriffe
verzichtet.
({2})
All diese Dinge, die immer klug gefordert werden, werden von Ihnen, wenn es zum Schwur kommt, nicht umgesetzt.
({3})
Das ist etwas, was einen an dieser Stelle aufbringt. Wir
werden über die Brennelementesteuer Gewinne abschöpfen, und wir werden im Nachgang einen Fonds füllen, der uns in der Energiepolitik in die Lage versetzt,
entsprechende Dinge in diesem Bereich auch zu finanzieren, statt nur über sie zu diskutieren. Sie hätten etwas
anderes gemacht, nämlich das, was Sie üblicherweise
machen: Schulden, meine Damen und Herren, hätten Sie
an dieser Stelle gemacht. Deshalb halte ich es für richtig,
dass wir uns Gedanken gemacht haben, wie man auch
energie- und klimapolitische Maßnahmen finanziert.
Im Anschluss an das allgemeine Thema „Harmonisierung europäischer Politik“, auf das ich vorhin schon eingegangen bin, möchte ich nun auf das spezielle Thema
„Harmonisierung der europäischen Politik im Bereich
der erneuerbaren Energien“ eingehen. Das halte ich für
ganz entscheidend. Uns muss klar sein, dass wir, sobald
ein EU-Binnenmarkt im Energiesektor entsteht, über das
Thema Harmonisierung reden müssen. Ich bin deshalb
ganz froh, dass wir damit frühzeitig angefangen haben.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch einmal
klarstellen, dass die breite Mehrheit dieses Hauses dabei
nicht an die Festlegung von Quoten denkt. Wir sind ganz
klar dafür, das EEG, das etabliert ist und sich nicht nur in
Deutschland bewährt hat, als Diskussionsgrundlage für
die Harmonisierung zu nehmen. Damit unterstreiche ich
hier noch einmal deutlich das, was Herr Oettinger Ende
Januar im Focus gesagt hat. Auch er hat ja explizit gesagt, dass das EEG Basis für die Harmonisierung sein
kann. Wahrscheinlich haben auch ihn die Vergleichszahlen beeindruckt, die man einfach einmal zur Kenntnis
nehmen sollte: In Großbritannien kostet die Förderung
für die Megawattstunde Wind 65 Euro - dort gilt eine
Quotenregelung -, in Italien kostet sie 85 Euro - auch
dort gilt eine Quotenregelung -, während sie in Deutschland, wo das EEG gilt, rund 50 Euro kostet. Diese klaren
wirtschaftlichen und preislichen Realitäten muss Politik
einfach zur Kenntnis nehmen.
Mir wäre es ein Anliegen, wenn wir diese Diskussion
ein bisschen zielgerichteter führten, weniger unter dem
Gesichtspunkt „Kernenergie oder nicht Kernenergie“;
({4})
denn das ist Schnee von gestern. Herr Kollege Fell, das
ist beschlossene Sache, etwas, was die Koalition geklärt
hat.
({5})
Lassen Sie uns über die Frage diskutieren, wie wir die
Themen erneuerbare Energien, Netzausbau und Speicherung weiterbringen. Dann haben wir für die Visionen,
die Sie haben, viel getan; denn nur Visionen zu haben,
Herr Kollege, ist ein bisschen schwierig.
Vielen Dank.
({6})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Thomas Bareiß für die CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Höhn, Sie haben die Debatte begonnen, haben den Antrag begründet und gesagt, dass wir in
Deutschland Vorreiter im Bereich der erneuerbaren
Energien waren. Ich möchte zum Ende dieser Debatte
wieder etwas Klarheit in dieses Thema hineinbekommen.
In der Phase der elf Jahre rot-grüner Umweltminister
haben wir gerade einmal 10 Prozent Zuwachs bei den erneuerbaren Energien gehabt. Wir haben uns jetzt vorgenommen, in den nächsten zehn Jahren 20 Prozent Zuwachs bei den erneuerbaren Energien zu schaffen. Von
daher möchte ich Sie fragen, wer hier ambitioniert an
das Thema herangeht und wer wirklich etwas für die erneuerbaren Energien machen will. Das sind nämlich wir.
Die christlich-liberale Koalition geht dieses Thema an.
({0})
Wir haben nicht nur Fragen aufgeworfen, sondern
auch Antworten geliefert. Sie hingegen haben die letzten
zehn Jahre im Bereich Netzausbau nichts gemacht.
({1})
Sie haben in den Bereichen Marktintegration und Speichertechnologien nichts gemacht. Sie haben einfach nur
10 Prozent aufwachsen lassen und wissen nicht, wohin
es gehen soll. Wir packen die Themen an. Wir haben
jetzt ein Energiekonzept vorgelegt, das in sich schlüssig
ist und eine - das ist das Wichtigste - in sich stimmige
Finanzierung beinhaltet.
({2})
In den nächsten Jahren werden von den konventionellen
Kraftwerken, von den fossilen Kraftwerken und von den
Kernreaktoren, 35 Milliarden Euro geliefert, um die
Energiewende zu gestalten. Das ist für mich ein schlüssiges und in sich stimmiges Energiekonzept, das nachhaltig tragfähig ist.
Hinsichtlich Ihres Antrages - wir haben schon die unterschiedlichsten Wortmeldungen dazu gehabt - möchte
ich eines herausstellen. Sie schreiben: „Klimaverträgliche Energien für Europa - Erneuerbar, effizient, sicher“.
Aber die Worte „Verbraucher“, „Wirtschaftlichkeit“ oder
„bezahlbar“ kommen in Ihrem Antrag gar nicht mehr
vor.
({3})
In allen acht Punkten, die Sie aufgeführt haben, kommt
das Wort „Verbraucher“ nicht vor. Aber jemand muss
doch diese Veranstaltung bezahlen, die Sie ständig fordern.
({4})
Dieses Thema betrachten wir genauso wie die Frage der
Umweltverträglichkeit und die Frage der Sicherheit.
Wissen Sie, was Sie machen? Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der zum Schluss dieser Debatte einmal gesagt
werden muss: Sie verlieren mit Ihrer Energiepolitik die
Akzeptanz der Menschen.
({5})
Es kann nicht sein, dass wir die Energiepreise in den
nächsten Jahren ins Uferlose steigen lassen. Schon heute
muss eine ganz normale vierköpfige Familie 200 Euro
und ein normaler, kleiner Bäckerbetrieb über 3 000 Euro
bis zu 5 000 Euro für die Energiewende bezahlen. Wenn
es so weitergeht, muss ein vierköpfiger Haushalt die
nächsten zwei Jahre noch weitere 100 Euro draufsatteln.
Das wird nicht funktionieren. Deshalb brauchen wir
mehr Realismus in der Energiewende. Auch dafür wird
unser Energiekonzept stehen.
({6})
Herr Kelber und Frau Höhn, nun zu Ihren Wortmeldungen. Sie sprechen von Monopol.
({7})
Sie sprechen davon, dass die Konzerne ständig nur von
uns profitieren würden.
({8})
Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen - ich habe vorhin
einmal nachgeschaut -:
({9})
Schauen Sie einmal, wie sich die Aktienkurse von Eon
und RWE, von den ganz großen Kernenergie- und fossilen Betreibern, in den letzten 12 Monaten verändert haben. Die Kurse haben sich in den letzten 12 bis
15 Monaten kontinuierlich verschlechtert:
({10})
15 Prozent minus bei Eon und 20 Prozent minus bei
RWE. So groß sind also die Erwartungen des Marktes an
die drei, vier großen Konzerne, die wir in Deutschland
noch haben, nicht mehr; denn wir wollen die Energiewende richtig gestalten.
({11})
Es gibt einen Markt vor Ort; man muss ihn nur nutzen. Ein Stromverbraucher hat in Deutschland die Möglichkeit, zwischen durchschnittlich 85 Anbietern zu
wählen. Ein Gasverbraucher hat die Möglichkeit, zwischen 25 Anbietern zu wählen.
Das ist doch etwas. Die Bundesnetzagentur hat uns
gesagt: Ein deutscher Verbraucher könnte, wenn er richtig entscheiden und wechseln würde, im Schnitt jährlich
150 Euro sparen. Also ist ein Markt vorhanden; man
muss ihn nur nutzen. Damit das geschieht, muss man für
die Transparenz des Marktes sorgen. Insofern haben wir
uns mit dem Sofortprogramm der Bundesregierung das
richtige Konzept auf die Tagesordnung geschrieben: Wir
wollen eine Markttransparenzstelle einrichten. Das ist
übrigens ein Projekt, das von den Stadtwerken und den
kleinen Versorgern dringend eingefordert wurde. Dementsprechend haben wir in den letzten Wochen großes
Lob geerntet.
({12})
Meine Damen und Herren, wir führen eine Debatte
über europäische Energiepolitik. Wir brauchen auch bei
diesem Thema eher mehr Europa als weniger. Das ist mit
Blick auf das Thema Netzintegration und Netzausbau
besonders wichtig. Allein in Deutschland brauchen wir
4 300 Kilometer neue Netze.
({13})
- Das sagt die dena, die damals auch mit Ihrer Unterstützung gegründet worden ist.
({14})
- Herr Kelber, auch wenn nur 3 000 oder 3 500 Kilometer neue Netze nötig wären, würde das nichts an der Tatsache ändern, dass wir in den letzten Jahren nur 90 Kilometer neuer Netze errichtet haben. Entschuldigung,
wenn wir in diesem Tempo weitermachen, werden wir
nicht einmal in 50 Jahren so weit sein, dass wir die
neuen Netze integrieren können.
({15})
Wir brauchen aber nicht nur deutsche Netze, sondern
auch europäische Netze; in der Europäischen Union werden 40 000 Kilometer neuer Netze benötigt. Hierfür bedarf es enormer Investitionen in Höhe von über 200 Milliarden Euro. Diese Investitionen müssen von den
Unternehmen, von der Wirtschaft geleistet werden. Wir
brauchen aber an gewissen Punkten, wenn es für Mitgliedstaaten nicht wirtschaftlich ist, das Netz auszubauen, eventuell auch europäische Gelder. Es ist ein
wichtiges Projekt, dies in die Wege zu leiten; Kommissar Oettinger wird das angehen.
Der Netzausbau ist das eine; Speicher sind das andere. Auch da ist eine europäische Zusammenarbeit
dringend notwendig. Der Ausbau der Speicher ist eine
enorme Herausforderung für die Länder Österreich,
Schweiz und Norwegen; das muss man klar sagen. Sie
wollen Norwegen zum Standort großer Pumpspeicherkraftwerke in Europa machen.
({16})
Wenn alles so käme, wie Sie es sagen, würden in Norwegen 35 Pumpspeicherkraftwerke gebaut. Ich lasse die
Frage außen vor, ob das mit Blick auf den Naturschutz
der richtige Weg ist.
Sie verteufeln immer die Kernenergie und sagen: Wir
leben auf der Insel der Glückseligen und werden ohne
Kernenergie auskommen. Ich sage Ihnen aber eines
- das ist die Realität -: Wir rufen dann den Strom der
norwegischen Pumpspeicherkraftwerke, die auch durch
unsere Windkraftwerke aufgefüllt werden, ab über die
Leitungen, die in der Nord- und Ostsee noch gebaut werden müssen. Wenn diese norwegischen Pumpspeicherkraftwerke leer sind, wir aber Strom brauchen und keine
Windenergie da ist, dann werden sie durch finnische
Kernreaktoren gefüllt, und wir werden diesen Strom abrufen.
({17})
Das ist Ihre Politik. Die Schaffung gemeinsamer
europäischer Netze führt zwangsläufig dazu - das wer10316
den auch Sie akzeptieren müssen -, dass die Kernenergie
in den nächsten 20, 30 oder 40 Jahren in unserem Energiemix eine Rolle spielen wird, auch wenn unsere Kernreaktoren durch Sie, durch uns oder durch wen auch immer abgeschaltet werden.
({18})
Wir brauchen die Kernreaktoren in Europa auch deshalb,
weil wir das Thema Klimaschutz ernst nehmen. Wir haben uns das Ziel aufs Schild gehoben, einen Anteil der
regenerativen Energien an der Stromversorgung von
40 Prozent zu erreichen.
({19})
- Mal sehen, Herr Kelber.
Ich rate Ihnen, sich die Zahlen zum Pro-Kopf-Verbrauch von CO2 anzuschauen: jährlich 9,1 Tonnen CO2
pro Kopf in Deutschland, 5,8 Tonnen in Frankreich. Woran liegt das? Das liegt daran, dass wir in Deutschland
bei der Energieversorgung sehr stark auf Kohle setzen.
({20})
Allein die Energieunternehmen verursachen in Deutschland 3,9 Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf; in Frankreich sind es nur 0,7 Tonnen.
({21})
- Das liegt daran, dass wir -
Das kann man leider nicht im Einzelnen erläutern.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Die anderen Länder bauen nach wie vor auf Kernenergie; auch
das ist europäische Politik. Sie bauen auf Kernenergie,
weil sie das Thema Klimaschutz ernst nehmen; auch das
spielt eine Rolle.
({0})
Wir sind mit unserem Energiekonzept auf dem richtigen
Weg: Es ist in sich schlüssig, durchgerechnet und bezahlbar.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 17/4687 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu gibt es
Konsens. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkten 24 a und b
auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({0}) zu der Unterrichtung
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss und den
Ausschuss der Regionen
Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für das europäische Kino
KOM({1}) 487 endg.; Ratsdok. 14119/10
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des
Grundgesetzes
- Drucksachen 17/3608 Nr. A.39, 17/4467 Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Dr. Claudia Winterstein
Kathrin Senger-Schäfer
Claudia Roth ({2})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner, Martin Dörmann,
Siegmund Ehrmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Für eine Kinodigitalisierung, die den Erhalt
unserer Kinolandschaft sichert
- Drucksachen 17/1156, 17/4718 Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Dr. Claudia Winterstein
Kathrin Senger-Schäfer
Claudia Roth ({4})
Das ist gewissermaßen der Beitrag des Deutschen
Bundestages zur Berlinale,
({5})
auch wenn ich fürchte, Frau Kollegin Roth, dass wir für
die Verleihung des Goldenen Bären nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden,
({6})
was, wenn uns das nicht plausibel ist, Gegenstand einer
Enquete-Kommission werden könnte.
({7})
Jedenfalls soll für die jetzt vorgesehene Debatte eine
Aussprachezeit von 45 Minuten reichen.
({8})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Hat jemand weiter gehende Vorschläge? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Wolfgang Börnsen.
({9})
Herr Präsident! Verehrte durchhaltefähige Kollegen
am Freitagnachmittag!
({0})
Für eine filmpolitische Debatte hätte der Deutsche Bundestag, wie ich finde, kaum einen geeigneteren Zeitpunkt finden können. Gestern ist die 61. Berlinale glanzvoll eröffnet worden, und heute tritt die Verordnung des
Bundes zur Digitalisierung der Kinos in Kraft.
({1})
Der Startschuss ist gefallen. Die Gewinner sind die
kleinen Kinos,
({2})
140 Millionen Kinokunden jährlich und der Film als
Kultur- und Wirtschaftsgut.
({3})
- Herzlichen Dank. - Das Neumann-Modell findet eine
breite Zustimmung bei den Ländern, bei den Filmverantwortlichen und dem Deutschen Bundestag. Wir als
Union begrüßen diese Bündnispartnerschaft für Film
und Kino in Deutschland.
Verehrte Kollegen, die Debatte in dieser Woche sollte
nicht ohne eine Würdigung des großartigen Filmemachers Bernd Eichinger geführt werden.
({4})
- Frau Kollegin Roth, bitte.
({5})
- Es gehört dazu, dass man deutlich macht, dass der
Staatsminister bei der Unterzeichnung eines trilateralen
Filmabkommens ist und deshalb nicht bei der Debatte
dabei sein kann.
({6})
Er ist sonst immer regelmäßig dabei, weil er sehr verantwortungsbewusst ist.
Ich möchte zur Würdigung des großartigen Filmemachers Bernd Eichinger zurückkommen. Am Montag
wurde er beerdigt. Bundespräsident Christian Wulff hat
die explosive Leidenschaft dieses Mannes für den Film
in seinem Nachruf betont. Mut und Tatkraft für große
Filme haben Bernd Eichinger ausgezeichnet. Das Träumen hat er nie aufgegeben. Für das Filmland Deutschland war er in vielen Bereichen wegweisend. Sein Tod
reißt eine große Lücke in einer Zeit, da sich in der Filmbranche in Deutschland Zweifel und Selbstkritik breitgemacht haben. Provozierend fragten FAZ-Filmfeuilletonisten vor wenigen Tagen:
Woran liegt es, dass das deutsche Kino so reich ist
an Talenten und Könnern? Und so arm an guten Filmen?
Obwohl die langfristigen Zahlen erfreulich, die internationalen Erfolge stabil sind und das Kinointeresse in
den letzten zehn Jahren stetig steigt, wachsen derzeit in
der Branche Ratlosigkeit und Zweifel an dem derzeitigen System Film. Eine Frischzellenkur wird gefordert,
mehr Innovationen, weniger Subventionen, Mut zum
Themenrisiko, gesellschaftskritische Kompromisslosigkeit, mehr Klasse, weniger Masse.
Dabei war das Kinojahr 2009 durchaus passabel. Mit
220 deutschen Filmen gab es so viele wie nie zuvor. Deren Marktanteil betrug 27,4 Prozent - so hoch wie seit
Jahrzehnten nicht mehr. Kino made in Germany ist zum
Kassenfüller geworden. Wenn Martin Moszkowicz von
der Constantin feststellt, von zehn großen Filmproduktionen würden jetzt acht in Deutschland gedreht - früher
war das Verhältnis umgekehrt -, wird damit der Nachweis erbracht, dass Deutschland als Produktionsstandort
an Zuspruch gewonnen hat. Das begrüßen wir.
({7})
Die hohe Qualifikation der Filmschaffenden trägt
dazu bei. Aber auch der finanzielle Rahmen stimmt:
70 Millionen Euro Fördermittel von der FFA, 60 Millionen Euro Fördermittel vom DFFF, dazu die Länderförderung.
Trotzdem gab es einen Besuchereinbruch im Kinojahr
2010 und weniger Besucher bei Filmen aus dem eigenen
Land. Die Ursache dafür ist nicht nur in der Fußballweltmeisterschaft zu sehen, sondern ist nach Brancheneinschätzung auch auf zu viel Mittelmaß, auf zu viele deutsche Filme zurückzuführen, die sich gegenseitig das
Publikum streitig machen, sowie auf zu wenige attraktive Drehbücher und wagemutige Produzenten.
Bei manchen Produktionen kommt ein Zeitdruck
hinzu, der Sorgfalt verhindert, wenn zum Beispiel pro
Drehtag sechs Minuten abgeliefert werden müssen.
Besonders kritisch wird die Rolle des Fernsehens im
Filmsystem hinterfragt. Es gehört - ob öffentlich-rechtlich oder privat - zu den wichtigsten Kultur- und Filmförderern unseres Landes, keine Frage. Viele Filme, auch
von jungen Filmemachern, wurden erst durch die Sendeer
möglich. Das verdient Anerkennung. Auch an der Filmförderung durch die FFA sind sie neben der Videowirtschaft und den Kinobetreibern maßgeblich beteiligt. Die
Handelnden klagen jedoch über zu hohe Förderauflagen
und zu geringe Förderanteile des Fernsehens. Sie weisen
auf Frankreich hin. Dort stammen zwei Drittel der
500 Millionen Euro Fördermittel direkt vom Fernsehen.
Diese Kritik muss sich die Branche gefallen lassen.
Als Mitförderer müssen wir dieser Kritik nachgehen.
Wolfgang Börnsen ({8})
Sollte sie zutreffen, gehört die Filmförderung insgesamt
auf den Prüfstand. Auch Teile der Kinowirtschaft erweisen sich immer mehr als Wackelkandidaten in diesem
Finanzierungssystem.
Wir als Union werden dafür sorgen, dass es weiterhin
stabile Rahmenbedingungen für einen kreativen, für einen kritischen und auch für einen gut unterhaltenden
Film gibt; denn wir glauben, dass der Film weiterhin
eine Zukunft haben muss.
Die Kinodigitalisierung zeigt, dass wir hinter den Kinos in unserem Land und hinter dem Film in unserem
Land stehen. 4 Millionen Euro pro Jahr stellen wir dem
Film zur Verfügung.
Ein letztes Wort würde ich gerne noch der Berlinale
2011 widmen. Sie ist für uns alle und für Europa ein Höhepunkt des Filmjahres. Sie war und ist ein Beispiel für
die Freiheit. Sie war 40 Jahre lang auch ein Symbol für
die Freiheit der Kunst in dieser Stadt. Jetzt - 60 Jahre
später - ist wieder unser Eintritt für die Freiheit gefragt.
Es geht um den iranischen Regisseur Jafar Panahi. Er
sollte der Jury angehören. Dazu ist es nicht gekommen.
Wegen seines filmischen Schaffens wurde er in seiner
Heimat Iran inhaftiert. Das können und werden wir als
Parlamentarier nicht dulden.
({9})
Die Union und alle anderen, glaube ich, unterstützen die
Solidaritätsaktion der Berlinale. Wir fordern die Freiheit
für Jafar Panahi und seine Freunde.
({10})
In diesem Zusammenhang passen leider auch aktuelle
Meldungen. Kurz vor der Berlinale-Premiere ist der
Film „Khodorkovsky“ über den inhaftierten russischen
Regimekritiker Michail Chodorkowski geraubt worden.
Unbekannte sind in die Berliner Arbeitsräume des Regisseurs eingebrochen. Damit sollte offensichtlich die
Aufführung dieses Films vor der Weltöffentlichkeit auf
der Berlinale verhindert werden.
Ich rufe uns alle auf: Eine solche Beschneidung der
Freiheit der Kunst dürfen wie niemals hinnehmen; denn
Bürger- und Menschenrechte haben für uns die höchste
Priorität.
({11})
Angelika Krüger-Leißner ist die nächste Rednerin für
die SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer um 11.55 Uhr
auf den Ticker geschaut hat, hat dort die Blitzmeldung
lesen können: „Die FFA hat Richtlinien und Anträge zur
Digitalisierungsförderung auf ihre Webseite gestellt.“
Das ist eine wirklich gute Nachricht für die Branche, vor
allem für die Kinos. Ich freue mich - da spreche ich für
meine gesamte Fraktion -, dass es nun mit der lange angekündigten Förderung für die Kinos losgeht. Ich beglückwünsche den Herrn Staatsminister, dass er sozusagen gerade noch pünktlich zur Schlussberatung des
Antrages meiner Fraktion unsere Kernforderung erfüllt.
Denn all die Kinos, die bei der anstehenden Digitalisierung auf sich allein gestellt und finanziell überfordert
wären, können jetzt mit der Unterstützung sowohl vom
Bund als auch von der Filmförderungsanstalt rechnen.
Damit stehen die Chancen gut, dass wir in Deutschland
eine Kinodigitalisierung durchführen, die den Erhalt unserer Kinolandschaft sichert, wie wir in unserem Antrag
fordern.
Aber lange hat es gedauert. Lassen Sie mich kurz Revue passieren. Wir wissen: Seit Jahren wird bei uns über
Kinodigitalisierung diskutiert. Nachdem das sogenannte
„100er Modell“ gescheitert war, weil sich die Branche
nicht einigen konnte, hat sich lange nichts getan. Dabei
wollten wir doch in Europa die Ersten sein. Dann hat die
SPD-Fraktion die Bundesregierung mit dem vorliegenden Antrag aufgefordert, ein Konzept für die Förderung
vorzulegen; das ist schon fast ein Jahr her. Die Lösung
der damit verbundenen Fragen war sicherlich nicht einfach, und sicherlich ist die Filmbranche kein leichter
Verhandlungspartner; aber es stellt sich doch die Frage,
ob immer geschickt agiert wurde, etwa als die Kinodigitalisierung mit dem Finanzierungsproblem der FFA verknüpft worden ist. Fest steht jedenfalls, dass das die
Fronten verhärtet und die Verhandlungen zäh gemacht
hat.
Mit unserem Antrag kam dann endlich Bewegung in
die Sache. Im Mai vergangenen Jahres lagen die Eckpunkte auf dem Tisch, die Gespräche mit den Ländern
wurden forciert, und die SPD initiierte eine große Anhörung im Kulturausschuss. Wichtige Verbesserungen am
Förderkonzept konnten für die kleinen umsatzschwachen Kinos und für die Programmkinos durchgesetzt
werden. Dann hat meine Fraktion im Kulturausschuss
die Initiative für eine gemeinsame Protokollerklärung ergriffen, der sich alle Fraktionen angeschlossen haben.
Darin enthalten sind wichtige Forderungen hinsichtlich
der Umsetzung der Förderung. Schließlich hat der Haushaltsausschuss im Oktober 2010 die ersten 4 Millionen
Euro für die Förderung freigegeben.
Dann gab es wieder Stillstand. Inzwischen lagen
750 Anträge bei der FFA vor. Die Kinobetreiber, die
endlich mit der Digitalisierung loslegen wollten, hatten
auf das Startsignal gewartet. Das Geld lag schon lange
bereit, es konnte nur nicht ausgereicht werden. Mit dem
heutigen Tag liegt die Rechtsverordnung vor, die bisher
fehlte.
Ich meine, der Redlichkeit halber musste dieser Hergang noch einmal sachlich und ganz objektiv dargestellt
werden.
Jetzt lassen Sie mich nach vorne schauen. Wir freuen
uns, dass unserem Antrag im Kern entsprochen wurde.
Warum wir uns überhaupt für die Kinos so starkmachen,
möchte ich noch einmal ins Gedächtnis rufen. Übrigens
haben wir den Leiter der Berlinale, Dieter Kosslick, fest
an unserer Seite. Vor einem Jahr hat er dem Kino im
13.00
Rahmen der Berlinale mit tollen Veranstaltungen einen
Schwerpunkt gewidmet: Berlinale goes Kiez. Das gibt es
in diesem Jahr wieder. Dabei wird der rote Teppich vor
den kleinen Programmkinos ausgerollt und bringt den
Glamour der Berlinale in die Stadtteile. Das sagt viel
über die große Wertschätzung, die der Berlinale-Chef
den ambitionierten Kinobetreibern entgegenbringt. Die
große Leinwand ist tatsächlich der einzige Ort, an dem
die ganze visuelle Kraft und der Zauber guter Filme zur
Entfaltung kommen. Weder Fernsehen noch Laptop
noch iPad noch Smartphone können diese Wirkung je erreichen.
Viele von uns haben gestern Abend den wunderbaren
Eröffnungsfilm der Berlinale von den Coen-Brüdern gesehen; bald kommt er ja auch in die Kinos. Stellen Sie
sich einmal vor, Sie würden dieses Leinwandopus auf
wenige Zentimeter Display zwängen. Ich glaube, dann
können Sie ermessen, wovon ich spreche, wenn ich von
der Unersetzbarkeit des Kinos rede.
Viele Kollegen wissen, dass ich seit Jahren mit Leidenschaft in der Vergabekommission der FFA für die
Förderung von Filmprojekten arbeite. Hier habe ich das
Glück, die Projekte von der Idee bis zum fertigen Film
zu begleiten. Wir haben schon wahre Juwelen darunter
gehabt; Das Weiße Band von Michael Haneke oder Poll
von Chris Kraus, um nur zwei Beispiele zu nennen. Da
werden Geschichten so erzählt, dass sie einen im Innersten erreichen. Sie bringen uns fremde Menschen und
Schicksale nahe, sie öffnen den Blick für Unbekanntes
und anderes, sie versetzen uns in ferne Zeiten oder
fremde soziale Milieus, sie berühren uns, und sie wühlen
uns auf. Im besten Falle schaffen sie es, uns zugleich zu
unterhalten. Das war übrigens auch immer das Ziel von
Bernd Eichinger, und das ist ihm auch immer wieder gelungen.
Wenn Filme all das leisten können, dann haben wir es
mit einem Kulturgut ersten Ranges zu tun. Es ist unsere
Verantwortung als Kulturpolitiker, dafür zu sorgen, dass
diese Filme erstens einen Ort finden, wo sie ihre ganze
Kraft entfalten können, und dass zweitens möglichst
viele Menschen, auch in ländlichen Regionen und kleinen Städten, Zugang zum Kulturgut Film finden.
Mit der technologischen Innovation der Digitalisierung, die uns derzeit in allen Bereichen ereilt, wird die
Fortexistenz unserer vielfältigen Kinolandschaft infrage
gestellt, einfach weil die Digitalisierung teuer ist und
weil es keine Alternative gibt. Wenn ich vom notwendigen Erhalt unserer Kinolandschaft spreche, dann meine
ich alle Filmtheater. Ich meine die kleinen Traditionskinos genauso wie die Multiplexhäuser, die kommunalen
Kinos ebenso wie die Filmkunst- und Programmkinos.
Auf keines dieser Häuser wollen wir verzichten, wenn es
um die Vielfalt geht. Der Unterschied ist nur: Die einen
können sich die Digitalisierung aus eigener Kraft leisten,
und die anderen sind auf Hilfe angewiesen. Genau hier
soll unsere Förderung ansetzen.
Für die SPD waren immer drei Punkte wichtig: erstens Technikneutralität, zweitens Nachhaltigkeit und drittens die Gewährleistung der Programmierungsfreiheit
der Kinomacher.
Die ersten beiden Punkte, Technikneutralität und
Nachhaltigkeit, finden sich in der Rechtsverordnung
wieder. Wir müssen aber aufpassen, dass beide Kriterien
nicht so miteinander verknüpft werden, dass am Ende
doch ein Standard verpflichtend wird, nach dem Motto:
Nachhaltig ist eine digitale Anlage nur, wenn sie von den
US-Majors mit Filmen beliefert wird. Das wäre dann der
Zwangsstandard durch die Hintertür.
Die SPD fordert, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“
ebenfalls berücksichtigt, dass die kleinen Kinos nicht
mit überflüssigen und teuren technischen Standards
überfordert werden. Denn das würde die Filmtheater sowohl mit dem nötigen Eigenanteil als auch mit den höheren Betriebs- und Folgekosten finanziell überfordern.
Am Ende müsste das Kino dann dichtmachen, und das
wäre genau das Gegenteil von Nachhaltigkeit, die wir
meinen. Das sieht übrigens die EU-Kommission in ihrer
Mitteilung zur Kinodigitalisierung ganz genauso.
Ich denke, bei der Entscheidung, welche Technik die
Kinos brauchen, sollten wir zunächst einmal von der unternehmerischen Klugheit des Kinobetreibers ausgehen.
Die meisten Kinos haben nicht nur eine Leinwand. Oft
werden auf den unterschiedlichsten Leinwänden ganz
verschiedene Filme programmiert. Der Kinobetreiber
kennt den Verleihmarkt, und er weiß am besten, welchen
Standard er braucht für die Filme, die er zeigen will.
Deshalb sollten wir zunächst dieser unternehmerischen
Entscheidung vertrauen. Aber ich erwarte auch, dass die
Filmförderungsanstalt bei der Prüfung der Anträge die
gesamte Situation eines Kinos berücksichtigt und bei
den Bescheiden die nötige Flexibilität zeigt.
Bei aller Freude über den Start der Förderung bleibt
eine Forderung, der wir uns alle verschrieben haben, die
Politik genauso wie die gesamte Filmbranche, bisher unerfüllt: Wir wollten und wir wollen eine flächendeckende Kinodigitalisierung. Derzeit gibt es noch viele
weiße Flächen.
({0})
Denn die Förderung vom Bund gibt es nur dort, wo auch
die Länder mit fördern; das war ja eine Bedingung des
Haushaltsausschusses. Wir können uns hier allerdings
nicht aus der Verantwortung stehlen, mit kalter Schulter
auf die Länder verweisen und die Kinos in diesen Ländern im Regen stehen lassen.
Ich meine, in erster Linie ist hier die Verleihwirtschaft
gefragt. Auch die Verleiher haben sich immer der Flächendeckung verschrieben. Ich glaube, wir sind uns einig darin, dass die Verleiher bei der Finanzierung der Digitalisierung den besten Schnitt gemacht haben; denken
wir doch nur daran, was die Verleiher noch zu Zeiten des
„100er Modells“ leisten wollten. Demgegenüber ist der
jetzt fällige Anteil von 20 Millionen Euro ein blendendes Geschäft für sie. Deshalb erwarte ich, dass die Verleihwirtschaft hier in die Bresche springt und eine Übergangslösung möglich macht. Die Politik, das heißt wir,
wird alles daransetzen, dass die noch säumigen Länder
mit Förderprogrammen nachziehen. Es gibt Länder, in
denen die Anzahl der Leinwände überschaubar ist. Und
ich glaube, dass auch Bremen, das Saarland, Mecklen10320
burg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen das
leisten können. Diese sind noch säumig. Deshalb mein
Appell an die Verleiher: Machen Sie diesen Kinos in diesen Ländern ein Angebot!
Zum Schluss noch ein Ausblick. Der nächste Schritt
wird es sein, dass auch die sogenannten Marktkinos, also
die umsatzstärkeren Häuser, möglichst schnell an eine
Förderung kommen; die Aussichten dafür sind nicht
schlecht. Am 23. Februar wird es eine Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichtes geben; ich vernehme positive Anzeichen. Dann wären auch Gelder der FFA für
die Marktkinos frei.
Nach dem 23. Februar können die Weichen neu gestellt werden. Ich erinnere daran, dass nicht nur Kulturstaatsminister Neumann, sondern wir alle der Branche
versprochen haben, dass wir die große FFG-Novelle anpacken wollen. Aber die Branche muss in Vorleistung
treten. Sie selber muss zu Solidarität zurückfinden, sich
zu dieser Förderung bekennen, und dann werden wir den
zweiten Schritt machen und die Grundlage dafür legen.
Ich habe übrigens immer noch die Hoffnung -
Kollegin Krüger-Leißner, für weitere Ausblicke ist
jetzt wirklich keine Zeit mehr.
({0})
Darf ich den Satz beenden?
Letzter Satz.
Ich gebe meiner Hoffnung Ausdruck, dass die schwer
angeschlagene Solidarität in der Branche wieder geheilt
werden kann und dass wir diesen branchenübergreifenden Konsens finden. Übrigens ist das auch ein Vermächtnis von Bernd Eichinger. Das sind wir ihm schuldig.
Danke.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Dr. Winterstein
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Trotz aller Technik, die es inzwischen für den
Filmgenuss zu Hause gibt, musste ich gestern Abend eines wieder einmal feststellen: Ein Kinobesuch ist und
bleibt immer ein ganz besonderes Erlebnis. Das kann bei
der glanzvollen Eröffnung der Berlinale oder auch in einem Kino in Ihrer Nähe der Fall sein.
({0})
Die Berlinale hat sich längst zu einem der wichtigsten
internationalen Filmereignisse entwickelt. Das zeigt auch
eindrucksvoll die Zahl von 385 Filmen aus 58 Ländern,
und ich glaube, dass sich alle Kinofreunde darauf freuen,
in den kommenden zehn Tagen recht viele dieser Filme zu
sehen.
Meine Damen und Herren, die Berlinale ist das Aushängeschild für den Filmstandort Deutschland. Darüber
hinaus war und ist die Berlinale immer wieder Impulsgeber für neue Ideen und Motor für neue Entwicklungen in
der Filmlandschaft.
Dieser Vorreiterrolle wird das Festival auch beim
Thema Kinodigitalisierung gerecht. Denn 39 der insgesamt 56 Kinosäle der diesjährigen Berlinale sind mit digitaler Technik ausgerüstet, also zwei Drittel; das ist eine
beachtliche Zahl. Von den derzeit 4 700 Kinos in
Deutschland verfügen allerdings derzeit weniger als 600
über die digitale Technik. Das heißt, das ist nur jedes
achte Kino.
Aus diesem Grund hat die Koalition das Thema Kinodigitalisierung zu einem ihrer Schwerpunkte in der Filmpolitik gemacht. Dieser Schritt von der analogen zur digitalen Technik ist ein Meilenstein für die gesamte
Kinolandschaft.
Dabei müssen wir von unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinos ausgehen. Nach dem Konzept des
Kulturstaatsministers sollen noch 3 700 Leinwände in
Deutschland digitalisiert werden. Davon gehören etwa
2 500 zu den umsatzstarken Kinos und Multiplexen, die
sich vor allem in den Großstädten befinden. Sie sind in
der Lage, die Umstellung auf die digitale Projektion
selbst zu finanzieren, und haben das teilweise auch
schon getan.
Daneben haben wir noch 1 200 weitere Leinwände,
die zu den kleineren Kinos im ländlichen Raum oder zu
den Arthouse- und Programmkinos gehören. Diese Kinos stellen eine kulturelle Grundversorgung im Bereich
des Films sicher. Viele der Berlinale-Filme werden nach
dem Festival in solchen Kinos gezeigt und erreichen so
ein weit größeres Publikum.
Diese Häuser können die hohen Investitionen für die
Umstellung auf digitale Technik wegen ihres besonderen
Filmprogramms oder ihres Standortes nicht allein schultern. Daher haben wir in der Koalition den erwähnten
Förderrahmen geschaffen, durch den der Erhalt kleiner
und mittelständischer Kinos gesichert wird. Damit stützen wir auch die kulturelle Vielfalt in allen Regionen
Deutschlands.
({1})
Dafür haben wir - das wurde schon gesagt - in diesem Jahr 4 Millionen Euro als Bundesförderung im
Haushalt bereitgestellt.
In Kombination mit weiteren Fördermitteln der EU,
der Länder und der Filmwirtschaft selbst sind die KiDr. Claudia Winterstein
nounternehmen nun in der Lage, die digitale Umstellung
mit einem überschaubaren Eigenanteil zu finanzieren.
Ich freue mich, dass gerade heute - auch das ist erwähnt
worden - die entsprechende Verordnung in Kraft tritt,
damit möglichst zügig eine flächendeckende Digitalisierung möglich wird.
Eine nationale Förderung ist an dieser Stelle insbesondere vor dem Hintergrund wichtig, dass gerade die
kleinen und speziellen Kinos viele deutsche Produktionen zeigen. Ohne diese Unterstützung müssten wir ein
Kinosterben befürchten.
Auch wenn im vergangenen Jahr der große Kassenschlager fehlte: Die Filmindustrie befindet sich seit Jahren im Aufwind. Deutsche Filme werden beim Publikum
immer beliebter, und durch die Förderung der Digitalisierung erreicht der deutsche Film sein Publikum in allen
Regionen unseres Landes.
Vielen Dank.
({2})
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Kunert
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man ein Kino will, das den Blick in die Welt
und in die Geschichte offenhält, dann braucht man
mehr denn je die kommunalen Kinos.
Das sagte Wim Wenders, einer der großen Regisseure.
Wenn man seiner Logik folgt, dann muss man die
Pläne der Bundesregierung zur Digitalisierung der Kinos
kritisch unter die Lupe nehmen. Die Kinos weltweit und
in Europa werden auf digitale Vorführtechnik umgestellt.
Das ist die Folge einer grundlegenden technologischen
Veränderung. Alle Schritte von der Produktion bis zur
Vermarktung werden digitalisiert. Das wird zu enormen
Investitionen führen.
Sicher liegt die Zukunft im digitalen Kino. Das erkennen auch die kleinen und kommunalen Kinos an. Hier im
Hause und auch mit der EU-Kommission sind wir uns
einig: Die Digitalisierung der Kinos kann man nicht dem
Markt allein überlassen.
({0})
Wäre das der Fall, käme es zu einer Verödung des kulturellen Reichtums und zum Verlust der Vielfalt in der
Kinolandschaft. Die kleinen Kinos, die Arthouse- und
Programmkinos, die kommunalen Kinos, die Kinos in
der Fläche: Sie alle gingen unter und würden aussterben.
Übrig blieben allein die großen Kinoketten mit Programmen, die sehr oft auf verkaufsstarke Hollywood-Filme
ausgerichtet sind. Das wollen wir verhindern.
Die Multiplex-Kinos haben die Umstellung auf das
digitale Abspiel bereits vollzogen. Jetzt gilt es, die kleinen und kommunalen Kinos in der Fläche zu erhalten.
Das ist das Anliegen einer Empfehlung der EU-Kommission und auch eines Konzeptes des Kulturstaatsministers. Das finden wir gut.
({1})
In einem entscheidenden Punkt ist das für uns aber
unzureichend: Die Gelder zur Digitalisierung der kleinen
und kommunalen Kinos reichen bei weitem nicht aus.
Die Ursache dafür sind die hohen Kosten für Projektoren. Sie müssen den Standards der DCI, einem Zusammenschluss der großen Hollywood-Studios, entsprechen.
Kleine und kommunale Kinos brauchen für die Digitalisierung eine weniger aufwendige technische Lösung.
Das hängt mit den geringeren Raumgrößen und dem
kleineren Projektionsabstand zusammen. Bei der von
den kleineren Kinos bevorzugten Lösung kostet ein Projektor zwischen 15 000 und 20 000 Euro. Bei der Technik, die Hollywood bevorzugt, würde ein Projektor zwischen 70 000 und 80 000 Euro kosten.
Der Haken an der kostengünstigeren Variante ist allerdings, dass die großen Produktions- und Verleihfirmen Hollywoods Kinos ohne Projektoren mit DCI-Norm
nicht beliefern würden, weil sie ihre Qualitätsstandards
gesichert sehen wollen. So würde die Förderung der alternativen Technik in eine Sackgasse führen, weil sie
Folgeinvestitionen nach sich ziehen würde. Für die Vielfalt der Kinolandschaft in Europa wäre das sehr schädlich.
Damit die kleinen und kommunalen Kinos auch in
Zukunft existieren, brauchen sie eine höhere Zusatzförderung. Die Linke setzt sich dafür ein, dass die kleinen
Kinos von Augsburg
({2})
bis Sassnitz ausreichende Mittel erhalten, um die digitale
Zukunft zu bestehen.
Kleine und kommunale Kinos sind im Unterschied zu
den großen Kinoketten innovativ. Analoge und digitale
Filme, Filmfestivals, das direkte Gespräch mit dem Regisseur, Diskussionsforen und Einblicke in das Schaffen
der Filmproduzenten und europäische Filme: All das
macht Kino aus, und all das findet man nur in kleinen
und kommunalen Kinos. Sie sind Orte der Kultur und
Kommunikation.
In ländlichen Räumen sind die kleinen Kinos mitunter
die einzigen kulturellen Treffpunkte. Sie tragen entscheidend zur Lebensqualität bei. Die Linke setzt sich gerade
für den Erhalt dieser Kinos ein, weil sie ein Stück Kulturerbe bewahren.
({3})
In Zukunft werden diese kleinen Kinos die einzigen sein,
die über die Vielfalt ihrer Programme hinaus auch Filme
sowohl digital als auch in klassischen Formaten zeigen
können.
Ich meine, das Konzept zur Förderung der Digitalisierung der Kinos muss vom Kopf auf die Füße gestellt
werden. Zunächst müssen kleine Kinos, Arthouse- und
Programmkinos gefördert werden. Finnland macht es
uns vor. Die EU-Kommission hat die staatlichen Beihilfen im Falle Finnlands in ihrer Mitteilung zur Kinodigitalisierung ausdrücklich genehmigt. Mehr noch, sie betrachtet staatliche Hilfen bis 500 000 Euro als zulässig.
Die Europäische Union hat endlich einmal bei einem
Thema nichts gegen staatliche Beihilfen. Wenn wir im
Vergleich dazu an den ÖPNV denken, dann muss uns
das doch ermutigen. Nehmen wir uns also ein Beispiel
an Finnland und fördern wir in ausreichendem Maße.
Über fünf Jahre hinweg 20 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, ist aus unserer Sicht zu wenig.
Spitzenkino wird ohne Kleinkino nicht möglich sein.
Der rote Teppich wie bei der Berlinale muss jetzt in erster Linie den kleinen und kommunalen Kinos ausgerollt
werden.
Schönen Dank.
({4})
Die Kollegin Claudia Roth hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns im
Ausschuss lange und intensiv mit der Kinodigitalisierung beschäftigt. Erst einmal, auch stellvertretend, vielen herzlichen Dank an Bernd Neumann für die sehr kollegiale Art, in der wir dieses Thema bearbeitet haben!
Ich hoffe, es bleibt bei der konstruktiven und kollegialen
Art des Umgangs in unserem Ausschuss.
Wann, wenn nicht in diesen Tagen der Berlinale, muss
deutlich werden, dass uns der Erhalt der Kinolandschaft
ein Herzensanliegen ist? Neben den tollen Filmen und
dem Talentcampus ist das Besondere an der Berlinale,
dass sie das weltgrößte Besucher- und Besucherinnenfestival ist. Das heißt, es gibt einen riesengroßen Bedarf
an Filmen und am Filmerlebnis im Kino, und zwar nicht
nur in den Metropolen, sondern auch anderswo, etwa in
den Dörfern. Augsburg ist zwar kein Dorf, aber Sie haben es zu Recht genannt.
({0})
Kinos muss es auch in den Dörfern geben; denn - das ist
sehr wichtig - es hat eine unglaublich große bildungspolitische Bedeutung. Es ist sozusagen Grundnahrungsmittel für die kulturelle Bildung und für eine lebendige
Demokratie.
Ich gebe meinem Kollegen Wolfgang Börnsen explizit recht: Es ist notwendig, dass wir sehr laut gegen jede
Repression eintreten, die Filmemacher erleiden, und
deutlich machen: Es ist nicht hinnehmbar, dass ein großartiger und weltweit ausgezeichneter Filmemacher wie
Jafar Panahi zu 6 Jahren Haft verurteilt, mit 20 Jahren
Berufsverbot und einem Ausreiseverbot bestraft worden
ist, weil er angeblich Propaganda gegen die Islamische
Republik betrieben hat.
Es sind immer wieder die Künstler und Künstlerinnen, die mit ihren Bildern, mit ihren Gedichten, mit ihren Filmen die Stimme von demokratischen Bewegungen, von Freiheitsbewegungen sind. Deswegen ist es
wichtig, dass wir in Berlin sehr deutlich ein Zeichen an
die junge, an die Grüne Bewegung im Iran senden, dass
wir Jafar Panahi stellvertretend für alle anderen mit einem ähnlichen Schicksal nicht vergessen; denn Vergessen tötet.
({1})
Ich will auf drei etwas kritische, nicht geklärte Punkte
eingehen.
Erstens: die Umsatzgrenzen bei den zu fördernden
Kinos. Es gibt einiges, was in der Konsequenz gefährlich
sein kann. Bei einem Mindestumsatz von 40 000 Euro
und einem Höchstumsatz von 260 000 Euro jährlich
dürfte etwa ein Viertel der Kriterienkinos aus der Förderung herausfallen. Das träfe zu auf so wichtige und
durchaus legendäre Häuser wie das „Abaton“ in Hamburg - Fatih Akin hat da seine Anfänge erlebt -, die
„City Kinos“ in München oder den „Delphi Filmpalast“
in Berlin. Das sind legendäre Häuser, die für den deutschen, für den europäischen und für den Arthouse-Film
sehr wichtig sind; aus diesem Grunde sind sie ausgezeichnet worden. An dieser Stelle muss also nachgebessert werden, was die Umsatzgrenzen angeht. Diese wichtigen Häuser dürfen nicht einfach aus der Förderung
herausfallen.
({2})
Zweitens: Technikneutralität. Was ich hierzu zu sagen
habe, möchte ich sogar noch ein bisschen schärfer formulieren als manche Kollegen und Kolleginnen, die vor
mir gesprochen haben; das war mir nicht deutlich genug.
Technikneutralität wird jetzt von europäischer Seite unterstützt; das ist auch schriftlich fixiert. Es muss klipp
und klar sein, dass man nicht einseitig auf den Hollywood-Standard DCI setzt. Dieser Standard wird mittlerweile anders benannt; es wird von der ISO-Norm gesprochen. Dieser Standard ist schon jetzt viel zu teuer.
Seine Anwendung wäre für viele Kinos absolut unrentabel.
Wenn jetzt vonseiten der Regierung nichts mehr über
den technischen Standard gesagt wird und wenn das Kriterium „Nachhaltigkeit“ bei der Festlegung der Förderkriterien berücksichtigt wird - darüber freue ich mich
natürlich; denn Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der für uns
Grüne viel bedeutet -, dann betone ich: Der Ausdruck
„Nachhaltigkeit“ muss präzisiert sein. Bisher ist definitiv nicht klar genug, was darunter zu verstehen ist.
Ist es nachhaltig, kleine Kinos vertraglich mit den hohen DCI-Folgekosten zu belasten, zum Beispiel was den
Ersatz von Leuchtmitteln angeht? Ist es nachhaltig, zu
riskieren, dass die Hollywood-Firmen DCI-Kinos bevorzugen und andere damit an den Rand drängen? Das birgt
die Gefahr einer Kartellbildung und einer Marktbereinigung im Sinne des kommerziellen Mainstream-Kinos.
Dem muss deutlich entgegengetreten werden. An diesem
Punkt wünsche ich mir weniger Schwammigkeit. Vielmehr muss klipp und klar, also unmissverständlich, zum
Claudia Roth ({3})
Ausdruck gebracht werden, dass es nicht zu einer Marktbereinigung kommen darf.
({4})
Ich möchte, dass klargestellt wird - da muss nachgebessert werden -, dass im Regelfall auch diejenigen
Kinobetreiber gefördert werden, die nicht den DCI-Standard verwenden. Mit anderen Worten: Diese Förderung
muss der Regelfall sein, sie darf keine verklausulierte
Ausnahme sein. Technikneutralität muss grundsätzlich
und nicht ausnahmsweise gewährleistet sein; sonst wird
sie nämlich ganz bald verschwinden.
Dritter und letzter Punkt.
Kollegin Roth, ich fürchte, das werden wir jetzt nicht
mehr schaffen.
Sie haben recht. Ich muss gleich zur Demonstration
für Jafar Panahi. Ich lade Sie alle herzlich ein, mit mir
daran teilzunehmen.
Etwas will ich aber doch noch sagen. In den Ländern,
die nicht fördern oder nicht fördern können - das haben
die Kollegen schon gesagt -, muss etwas passieren; da
muss es eine Art Notfallfonds geben. Es kann nicht sein,
dass wir vom Ziel einer flächendeckenden Kinolandschaft abrücken. Die betreffenden Länder müssen unter
Druck gesetzt werden. Eventuell muss ihnen geholfen
werden.
Um 16.30 Uhr wird der Film von Jafar Panahi gezeigt.
Dann geben Sie den Kollegen, die hier noch sprechen
möchten, die Chance dazu.
({0})
Es lohnt sich, sich diesen Film anzuschauen.
({0})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Wanderwitz
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Kollegin Roth, die Berlinale in diesen Tagen
verschafft dem Kino und dem Film wieder einmal etwas
mehr Aufmerksamkeit. Besonders viel Aufmerksamkeit
genießen nationale und internationale Stars der Filmbranche. Tolle Filme und deren Macher stehen im Vordergrund. Die Besucher können das Erlebnis „Film im
Kino“ genießen. Es gibt inzwischen viele unterschiedliche Möglichkeiten, Film zu erleben. Trotz aller Schwankungen - Wolfgang Börnsen hat schon einige Worte
dazu gesagt - ist die Zahl der Kinobesucher Jahr für Jahr
hoch. Das zeigt, wie sehr das Erlebnis „Film im Kino“
geschätzt wird.
Die deutsche Filmlandschaft lebt natürlich von Vielfalt, auch bei den Kinos, Vielfalt nicht nur bei den Multiplexen in großen Städten, sondern auch bei vielen kleinen Kinos, gerade in den ländlichen Räumen. Die
meisten Anwesenden kommen genauso wie ich aus Gegenden, die eher ländlich geprägt sind und in denen es
kaum größere Städte gibt. Dort sind die kleinen Kinos
besonders wichtig. Umso mehr freut es mich, festhalten
zu können, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben. Die Filmtheaterdigitalisierungsverordnung - eine
sperrige Bezeichnung - ist seit gestern in Kraft. Die Förderung kann beginnen.
({0})
Das ist vor allem dem Engagement unseres Staatsministers zu verdanken, der bei seinem Leib-und-MagenThema Film - das wissen alle - noch ein kleines bisschen mehr Engagement zeigt als ohnehin bei der Kultur
insgesamt. Das alles gibt insbesondere vielen umsatzschwächeren Kinos, die im ländlichen Raum die kulturelle Grundversorgung sicherstellen, eine Chance. Wenn
bestimmte strukturelle Kriterien erfüllt werden, gibt es
einen erhöhten Förderzuschuss. Wenn wir feststellen,
dass sich Ober- bzw. Untergrenzen, also Deckelungen,
negativ auswirken, dann werden wir darüber noch einmal nachdenken. Wichtig ist aber, dass es nun losgeht.
Die abgestimmten Förderprogramme von BKM und
Filmförderungsanstalt umfassen auch die kommunalen
Kinos. Die Förderprogramme sind weitestgehend kompatibel mit den bestehenden Förderprogrammen der
Länder und haben dort weitere Impulse gegeben. Viele
Länder haben nachgezogen - die Bayern waren die Ersten -, haben entsprechende Mittel in ihre Haushalte eingestellt und angekündigt, zu fördern. Im Grunde genommen kann man diejenigen, die jetzt noch sagen: „Es geht
nicht“, an einer Hand abzählen. Von den vorhin Genannten befinden sich die meisten schon auf dem Weg.
Wir haben auch die Verleiher ins Boot geholt, obwohl
diese sich noch immer etwas zieren. Aber es ist absolut
wichtig, auch die Verleiher zu berücksichtigen; denn sie
sind im Grunde genommen die größten Nutznießer der
Digitalisierung, jedenfalls in finanzieller Hinsicht. Die
Digitalisierung ist eine tolle Sache für die Kinobesucher.
Für die Verleiher bedeutet die Digitalisierung finanzielle
Mehreinnahmen. Diese müssen in der Branche ankommen.
Das Hauptproblem war, dass die Branche ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Das zu regeln, hat sich die
christlich-liberale Koalition im November 2009 im Koalitionsvertrag zur Aufgabe gemacht. Wir haben im Mai
2010 ein Konzept vorgelegt und schließen heute diese
Aufgabe ab. Ich habe nicht den Eindruck, dass das Verfahren besonders langsam war.
({1})
Der SPD-Antrag, über den wir heute abstimmen - eigentlich hat er sich aus meiner Sicht erledigt -, stammt
von März 2010. Er lief damit sozusagen dem Koalitionsvertrag hinterher. Da wir dieses Thema insgesamt sehr
kollegial vorangebracht haben, verstehe ich nicht, warum wir heute über diesen Antrag abstimmen sollen.
Dass er in Bälde erledigt sein wird, war in den letzten
Wochen und Monaten absehbar. Wenn wir uns die heutige Abstimmung hätten sparen können und nur eine Debatte, zum Beispiel über eine europäische Verordnung,
geführt hätten, wäre es auch gut gewesen.
({2})
Stichwort: Mitteilung der Europäischen Kommission
zur Digitalisierung. Auch die EU hat dieses Thema auf
dem Schirm. Es ist schön, dass die EU das Ganze sieht.
Wir sind - wie einige andere Länder, zum Beispiel
Frankreich - schon ein Stückchen weiter. Für uns ist in
diesem Zusammenhang wichtig, dass sichergestellt wird,
dass die europäische Förderung um Deutschland keinen
Bogen macht, sprich: Wenn wir in Deutschland unsere
Leinwände frühzeitig digitalisiert haben, muss trotzdem
der auf Deutschland entfallende Anteil der Fördermittel
fließen,
({3})
beispielsweise für Investitionen in andere Digitalisierungsprojekte. Das ist unsere Forderung an die Kommission. Wir haben noch genügend in Sachen Mediendigitalisierung vor.
({4})
Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege MüllerSönksen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Während der Berlinale richtet sich das Spotlight immer
auf die Metropole Berlin. Aber all die wunderbaren
Filme, die dort präsentiert werden, müssen anschließend
einem breiten Publikum gezeigt werden. Das bedeutet,
sie müssen überall gezeigt werden können, quasi Berlinale in ganz Deutschland. Damit die Kinos im ländlichen Raum und die Programmkinos diese Aufgabe auch
zukünftig erfüllen können, werden wir sie bei den dringend notwendigen Investitionen in digitale Abspieltechnik unterstützen; denn gerade im ländlichen Raum sind
die Kinos unverzichtbar. Sie zeigen großes Kino auch in
kleineren Orten und vermitteln Filmkunst. Als Treffpunkte soziokulturellen Lebens bieten sie gerade für Jugendliche ein niedrigschwelliges Angebot kultureller
Bildung.
({0})
Kinos im ländlichen Raum und sogenannte Programmkinos sind aber auch kleine und mittelständische
Unternehmen. Oftmals sind sie Familienunternehmen.
Manchmal sind sie an gastronomische Betriebe angegliedert. Aus eigener Kraft können nur die umsatzstarken größeren Betriebe und Multiplexe die kurzfristig
benötigten Investitionen stemmen. Ohne eine Unterstützung kleinerer Betriebe würden wir in den nächsten Jahren ein Kinosterben erleben, das äußerst negative Auswirkungen auf den Kulturbereich und den Filmstandort
Deutschland hätte.
({1})
Mit dem nun in Kraft getretenen Förderkonzept ist diese
Gefahr gebannt: Wir stärken die mittelständischen Kinounternehmer.
({2})
Wir freuen uns, dass es uns in den parlamentarischen
Beratungen zum Haushalt 2011 gelungen ist, den Kulturetat insgesamt nicht nur vor Kürzungen zu bewahren,
sondern sogar um 2,4 Prozent zu erhöhen. Allein dieses
Jahr stehen für die Kinodigitalisierung 4 Millionen Euro
zur Verfügung. Geplant ist, insgesamt 20 Millionen Euro
über die nächsten fünf Jahre in die Kinodigitalisierung
zu investieren. Das ist ein beachtlicher Erfolg.
({3})
Auch mit Blick auf die zu Recht sehr strengen Regeln
des europäischen Wettbewerbsrechts bestehen gegen
diese Beihilfen keine Bedenken. Die EU-Kommission
hat in der Mitteilung, die dieser Debatte ihren Anlass
gibt, grünes Licht gegeben. Sie sieht ebenfalls Handlungsbedarf, weil die Vielfalt der Filme und Kinos in
Europa bewahrt werden soll. Die Beihilfen zur Kinodigitalisierung verschaffen nicht einzelnen Unternehmen
Wettbewerbsvorteile, sondern erhalten die vielfältige
und bunte europäische Kinolandschaft. Die EU-Kommission hat für die nächsten Jahre weitere Förderkonzepte angekündigt, was wir begrüßen, weil diese
Konzepte der Bedeutung des Kinos als Vermittler europäischer Vielfalt gerecht werden. Ich freue mich allerdings sehr darüber, dass wir nicht auf Brüssel gewartet
haben, sondern vorher selbst tätig geworden sind.
Nachdem die Filmtheaterdigitalisierungsverordnung
gestern verkündet wurde, kann die Filmförderungsanstalt heute die ersten Anträge beraten. Darüber freue
ich mich sehr. Ab jetzt kann die Kinodigitalisierung in
ganz Deutschland beginnen.
Vielen Dank.
({4})
Die Kollegin Bär hat für die Unionsfraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein
Zitat zu Beginn einer Rede ist in der Regel nichts Ungewöhnliches, heute aber vielleicht schon, weil ich nicht
eine verstorbene Person der Zeitgeschichte zitiere, sondern eine Person, die heute unter uns ist. Ich möchte
meine Rede mit einem Zitat des Kollegen Börnsen beginnen.
({0})
Der Herr Kollege Börnsen hat bei vielen von uns mit seiner Plenarrede am 13. März 2008 für einen Ohrwurm gesorgt, als er an die Filmmusik eines Filmhits des Jahres
1950 erinnerte, der den schönen Titel Der Theodor im
Fußballtor trug. Wolfgang Börnsen musste allerdings
nach diesem Hinweis ernüchtert feststellen - jetzt
kommt das Zitat unseres kulturpolitischen Sprechers -:
Doch gehalten hat der Olli Kahn der Notzeit den
entscheidenden Elfmeter nicht. Denn Der Theodor
im Fußballtor kommt nicht mehr vor. In keinem
Archiv ist dieser Kultspielfilm mehr aufzutreiben.
Dieses Schicksal teilt Theo mit gut einem Drittel
des deutschen Filmkulturerbes. Verloren, verlegt,
vergessen - ein Stück Filmerbe ist unwiderruflich
auf der Strecke geblieben. Ein Land, das seine
Filme verliert, verliert auch Teile seiner Erinnerung
und seiner Identität.
({1})
Wir stehen heute hier, weil wir eben nicht wollen,
dass es uns eines Tages genauso geht und wir schockiert
feststellen müssen, dass die kleinen Kinos in den Großstädten oder die oftmals einzigen Kinos in den kleineren
Städten unseres Landes auf einmal gar nicht mehr existieren, dass das Kino, in dem wir vielleicht einmal den
Kinohit 2005 oder den Kinohit 2009 gesehen haben, geschlossen werden musste, weil es den Sprung ins digitale
Zeitalter schlichtweg nicht hat finanzieren können. Deswegen begrüßen wir ausdrücklich, dass endlich auch auf
europäischer Ebene erkannt wurde, wie wichtig das
Thema Digitalisierung der Kinos ist.
({2})
Die Europäische Kommission bettet das Thema ein in
die „Digitale Agenda für Europa“, die eine der sieben
Leitinitiativen der neuen Strategie „Europa 2020“ für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum ist.
Der hier vorgegebene Rahmen zeigt, wie allumfassend
die Digitalisierung unseres Lebens ist und dass wirklich
kein einziger Lebensbereich ausgespart wird.
Wir begrüßen als Koalitionsfraktionen natürlich noch
viel mehr, dass unser Kulturstaatsminister, der BKM, die
großen Herausforderungen, die durch die Digitalisierung
unserer Kinos entstehen, bereits vor geraumer Zeit erkannt hat. Deshalb sind wir den Anforderungen, die die
Kommission nun an die Mitgliedstaaten stellt, bereits
weit voraus. Es ist mehrfach angesprochen worden, dass
wir trotzdem darauf achten müssen, dass nicht die Ersten
am Ende diejenigen sind, die in die Röhre schauen müssen.
Vor besonders großen Herausforderungen bei der Digitalisierung stehen die vielen kleinen Kinos, die schon
mehrfach erwähnt wurden. Für uns ist es ein sehr großes
Anliegen, sie bei dem Sprung ins digitale Zeitalter zu
unterstützen; denn es ist nicht nur entscheidend, wo wir
einen Film sehen können, sondern auch, welche Filme
gezeigt werden. Es kann nicht angehen, dass man, wenn
man irgendwo in Deutschland ausgesetzt wird, nicht erkennen kann, wo man sich befindet, weil sich alles ähnelt. Das gilt auch für die Kinos. Wenn es diese leuchtenden Häfen, diese Fixpunkte, die auch einmal Filme
zeigen, die man nicht überall sehen kann, nicht mehr
gäbe, wäre das ein äußerst großer Kulturverlust.
({3})
In meinem eigenen Wahlkreis gibt es keinen Ort, der
mehr als 50 000 Einwohner hat. Ich merke natürlich,
dass gerade für die jungen Einwohner in so kleinen Orten die Schließung ihres Kinos, also die Verringerung
des kulturellen Angebots, ein weiterer Grund sein kann,
ihren Wohnsitz aufzugeben und in Städte auszuwandern.
Wir brauchen beides: So wie wir auf der einen Seite
Berlin brauchen, brauchen wir auf der anderen Seite die
vielen Dörfer, Weiler und Ortschaften, und genauso wie
wir die Berlinale brauchen, brauchen wir beispielsweise
- ich hätte es auch gesagt, wenn Sie nicht anwesend wären, lieber Kollege Friedrich - die Hofer Filmtage.
({4})
- Die Internationalen Hofer Filmtage. - Denn es ist von
großer Bedeutung, dass wir die Stars in unserer Hauptstadt haben, aber auch beispielsweise in Hof. Die Stadt
Hof hat - das ist auf das große Bemühen der lokalen
Politiker vor Ort, vor allem des Oberbürgermeisters des
Wohnortes unseres Landesgruppenchefs zurückzuführen - einen roten Teppich ausgerollt, um deutlich zu machen, dass Hof ebenso wie Berlin eine Verbindung zum
Film hat. Das zieht Filmliebhaber an, die sonst wohl
nicht in Regionen, die eher in Grenzgebieten unseres
Freistaats liegen, kommen würden.
Ich danke dem BKM ausdrücklich dafür, dass mit
dem Förderprogramm, das sehr ausgewogen und durchdacht ist, kulturelle, aber eben auch strukturelle Kriterien
an die Förderung angelegt wurden.
Besonders freut mich - das darf ich als bayerische
Bundestagsabgeordnete sagen -, dass sich die zweitmeisten deutschen Programmkinos in Bayern befinden.
Die Bayern zeigen ein besonders großes Engagement,
wenn es um die Programmkinos geht. Wir haben beispielsweise im letzten Jahr in Würzburg ein Kino eröffnet, das eigentlich schon geschlossen war, und zwar auf
Initiative derjenigen Bürger, denen das Kino so wichtig
war, dass sie es selber betreiben wollten.
({5})
Ich möchte zum Beginn meiner Rede zurückkehren:
Wolfgang Börnsen hat vor knapp drei Jahren eine Rede
zum Antrag „Das deutsche Filmerbe sichern“ gehalten.
Diesem Antrag haben damals alle Fraktionen - bis auf
die Linke, aber das ist jetzt nicht relevant - zugestimmt.
Mich wundert es daher, dass bei dem heutigen zukunftsweisenden Thema, bei dem es um die Digitalisierung unserer Kinos geht, die Unterstützung für die EU-Mitteilung ausbleibt. Sie werden verstehen, dass ich auf den
überflüssigen Antrag der SPD jetzt nicht weiter eingehe,
weil er schon überholt war, als er in den Bundestag eingebracht wurde.
Kollegin Bär, das geht jetzt auch nicht mehr, weil Ihre
Redezeit zu Ende ist.
({0})
Gut, dass es nicht mehr möglich ist, auf überflüssige
Anträge einzugehen.
Ein letzter Punkt. Ich möchte den Kolleginnen und
Kollegen mit Blick auf die Demonstration für unseren
im Iran inhaftierten Kollegen aus dem Kulturbereich
- Frau Roth hat es bereits angesprochen - wünschen,
dass ihr Einsatz erfolgreich ist. Darüber hinaus wünsche
ich allen für die nächsten zehn Tage viel Freude bei der
Berlinale oder in einem Kino in dem jeweiligen Wahlkreis.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 17/4467
zu der Unterrichtung „Mitteilung der Kommission an
das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der
Regionen - Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für das europäische Kino“. Der Ausschuss
empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung gemäß Art. 23 Abs. 2 Grundgesetz anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion,
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 24 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der
Fraktion der SPD mit dem Titel „Für eine Kinodigitalisierung, die den Erhalt unserer Kinolandschaft sichert“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/4718, den Antrag der Fraktion der
SPD auf Drucksache 17/1156 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Hilde
Mattheis, Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Vorbereitung des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung in der 17. Wahlperiode - Armuts- und Reichtumsberichterstattung weiterentwickeln
- Drucksache 17/4552 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: der
Kollegen Lange, Tauber und Linnemann für die Unions-
fraktion, der Kolleginnen Mattheis und Hiller-Ohm für
die SPD-Fraktion, des Kollegen Kolb für die FDP-Frak-
tion, der Kollegin Kipping für die Fraktion Die Linke
und des Kollegen Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/4552 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Nicole
Gohlke, Jan van Aken, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
- Drucksache 17/4662 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Gohlke für die Linksfraktion.
1) Anlage 6
Vizepräsidentin Petra Pau
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Stellen Sie sich vor, Sie leben von 812 Euro im Monat.
Das haben Studierende monatlich im Durchschnitt zur
Verfügung.
({0})
Jeder von Ihnen kann im Kopf überschlagen, ob diese
Rechnung aufgeht: Von 812 Euro zahlen sie Miete,
Strom, Essen, Kleidung, Telefon, Internet, Verkehrsmittel, Krankenversicherung und Lernmittel. Außerdem sollen sie davon auch noch bis zu 500 Euro Gebühren im
Semester zahlen,
({1})
also noch einmal 84 Euro im Monat dafür, dass sie studieren dürfen. Diese Rechnung geht offensichtlich nicht
auf. Deswegen sind Studiengebühren ein Verstoß gegen
Grundrechte, gegen das Recht auf Bildung, gegen das
Recht auf freie Berufswahl und gegen den Gleichheitsgrundsatz.
({2})
Studiengebühren dürfen deshalb keinen Tag länger erhoben werden!
In diesem Jahr gibt es gleich mehrmals die Möglichkeit, damit Schluss zu machen; denn bei mehreren Landtagswahlen können die Wählerinnen und Wähler entscheiden, ob sie mit ihrem Votum auch Studiengebühren
abschaffen. Das war schon bei den letzten Landtagswahlen so, und Sie wissen, wie sie ausgegangen sind:
({3})
Studiengebühren sind in Hessen, im Saarland und in
NRW abgewählt worden, und das ist auch gut so.
({4})
Das Thema hat also große Bedeutung für Wahlen; das
hat auch die CDU erkannt. Ich dachte ja, ich höre nicht
richtig, als sich Julia Klöckner, die Spitzenkandidatin
der CDU in Rheinland-Pfalz,
({5})
in einem Interview gegen die Einführung von Studiengebühren ausgesprochen hat. Sie begründete das damit - hören Sie gut zu, Kolleginnen und Kollegen von der Union! -:
Kinder aus sozial schwächeren Familien sollten
nicht vom Studium abgehalten werden. Diese psychologische Hürde gibt es nun einmal.
({6})
Damit hat sogar Frau Klöckner erkannt, dass es einen
Zusammenhang zwischen dem Geldbeutel der Eltern
und der Aufnahme eines Studiums gibt.
Ich kenne junge Leute und Studierende, für die
500 Euro im Semester nicht nur eine psychologische,
sondern eine handfeste finanzielle Hürde sind. Jeder
fünfte Studienabbrecher, jede fünfte Studienabbrecherin
gibt als entscheidenden Grund für das Verlassen der
Hochschule Finanzierungsprobleme an - und die Tendenz ist steigend.
({7})
Dennoch behauptet diese schwarz-gelbe Regierung
weiterhin, Gebühren würden niemanden vom Studieren
abhalten.
({8})
Aber das Gegenteil ist der Fall: In praktisch keinem
anderen europäischen Land hängt es so sehr von der sozialen Lage der Eltern ab, ob man studieren kann oder
nicht.
({9})
Noch dazu studieren in der Bundesrepublik deutlich
weniger Menschen als in anderen Industrieländern. Es
ist völlig klar, dass jedwede Form von Gebühren das
noch verschärft.
({10})
Deswegen fordert die Linke: Abschaffung von Studiengebühren von Stuttgart bis nach Hamburg und Ausbau des BAföG!
({11})
In Hamburg sprechen sich neben der Linken auch
SPD und Grüne gegen Studiengebühren aus. Die Grünen
sind also bereit, die von ihnen selbst 2008 in der Hamburger Bürgerschaft mit beschlossenen Studiengebühren
- das kann ich Ihnen an der Stelle nicht ersparen - wieder abzuschaffen. Es ist aber schon ein wenig halbherzig, wenn es SPD und Grüne dann nicht schaffen, einem
Antrag der Linksfraktion in Hamburg zur sofortigen Abschaffung der Studiengebühren vom letzten Dezember
zuzustimmen. In Hamburg könnten Studiengebühren
schon jetzt Vergangenheit sein.
({12})
Hier im Bundestag tut die Bundesregierung so, als
habe sie mit all dem gar nichts zu tun, als sei das Thema
völlig außerhalb ihrer Zuständigkeit.
({13})
Doch, Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, auch Sie können dazulernen: Das
BAföG heißt ja Bundesausbildungsförderungsgesetz. Es
steckt also schon im Namen: Es ist ein Bundesgesetz.
Wir Linke beantragen, dass Studiengebühren künftig in
die BAföG-Sätze mit einzurechnen sind, dass das
BAföG um die Höhe der jeweiligen Studiengebühren erhöht wird.
({14})
Die Bundesregierung kann sich nicht hinter den Bundesländern verstecken. Es ist Aufgabe des Bundes, für
die Durchsetzung von Grundrechten zu sorgen, und zwar
bundesweit. Nehmen Sie diese Verantwortung endlich
wahr, so lange, bis Studiengebühren flächendeckend abgeschafft sind.
Vielen Dank.
({15})
Der Kollege Dr. Kaufmann hat für die Unionsfraktion
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Gohlke,
Ihr Gesetzentwurf ist ein erstklassiges Beispiel für die
Realitätsferne Ihrer Partei.
({0})
Sie wollen Studiengebühren in den Bedarf für Studierende beim BAföG einbeziehen und versuchen so, die
Abschaffung von Studiengebühren voranzubringen.
Gleichzeitig versuchen Sie derzeit in Nordrhein-Westfalen, die Abschaffung der Studiengebühren zu verhindern.
({1})
Ihre Oppositionskollegen von SPD und Grünen drohen
Ihnen sogar mit Neuwahlen.
({2})
Im Land dafür, im Bund dagegen. Wie entscheiden Sie
sich denn, liebe Kolleginnen und Kollegen?
({3})
Zu Ihrem Gesetzentwurf. In der Opposition steht bei
Ihnen nicht Realpolitik, sondern Realitätsverweigerung
im Vordergrund. So heißt es im zweiten Absatz der Problembeschreibung in Ihrem Gesetzentwurf - ich zitiere -:
Viele Betroffene wollen diese Belastung nicht auf
sich nehmen und sehen sich deshalb gezwungen,
auf ein Studium zu verzichten.
Tatsächlich aber ist das Studium bei jungen Leuten so
beliebt wie nie zu vor.
({4})
Wahrscheinlich haben Sie es noch nicht mitbekommen,
aber die Studienanfängerzahl in Deutschland ist im Jahr
2010 auf ein Rekordhoch gestiegen.
({5})
Mit 442 600 Studienanfängern oder 46 Prozent des Jahrgangs haben sich so viele junge Menschen für ein Studium entschieden wie noch nie zu vor. Nehmen Sie das
bitte einfach einmal zur Kenntnis!
({6})
Noch ein bemerkenswerter Befund, Herr Kollege:
Dort, wo Studiengebühren erhoben werden, sind die Studienanfängerzahlen sogar überproportional gestiegen.
Insofern gibt es keinen negativen Zusammenhang zwischen Studiengebühren und Studienanfängerzahlen.
({7})
Im Gegenteil, Herr Kollege Röspel: In Baden-Württemberg und in Bayern sind die Studienanfängerzahlen seit
der Einführung von Studiengebühren sogar erheblich gestiegen. Studiengebühren haben in Baden-Württemberg
zu einer massiven Qualitätsverbesserung in Forschung
und Lehre geführt.
({8})
Damit meine ich nicht nur längere Öffnungszeiten der
Bibliotheken, sondern vor allem - das ist für Sie interessant - Tausende neu geschaffener Stellen im akademischen Bereich.
({9})
Diese Vorteile kommen auch allen BAföG-Empfängern
zugute.
({10})
Ich kenne jedenfalls keine Studie, die nahelegt, dass
BAföG-Bezieher ein Billigstudium wollten. Sie geben
der Qualität Vorrang wie andere Studierende auch. Die
Studierenden wissen: Dort, wo Gebühren erhoben werden, kommen ihnen diese unmittelbar zugute.
Wie Sie die Abschaffung von Studiengebühren durch
öffentliche Mittel kompensieren wollen, müssen Sie erst
noch unter Beweis stellen. Ich kenne kein erfolgreiches
Beispiel.
({11})
Stattdessen scheint Ihr populistischer, großspurig angekündigter Versuch in Nordrhein-Westfalen nun kläglich
zu scheitern.
({12})
Außerdem haben wir für BAföG-Empfänger in den
letzten Jahren bereits viel erreicht. Zusammen mit der
SPD, liebe Kollegen Rossmann und Röspel, wurden im
August 2008 mit dem Zweiundzwanzigsten Gesetz zur
Änderung des BAföG die Bedarfssätze um 10 Prozent
und die Freibeträge um 8 Prozent angehoben. Eine weitere Anhebung der Bedarfssätze um 2 Prozent und der
Freibeträge um 3 Prozent haben wir gerade erst hier mit
dem 23. Änderungsgesetz beschlossen. Der maximale
BAföG-Höchstsatz beträgt seitdem 670 Euro pro Monat.
Im Übrigen profitieren BAföG-Empfänger schon jetzt
von großzügigen Ausnahmeregelungen bei der Erhebung von Studiengebühren. So werden besondere soziale
Umstände, etwa Kindererziehungszeiten oder studienerschwerende Behinderungen, berücksichtigt. Für Studierende aus kinderreichen Familien hat Baden-Württemberg zum Beispiel die sogenannte Geschwisterregelung
eingeführt, die eine gänzliche Befreiung von Studiengebühren vorsieht. Nach neuesten Zahlen - auch das ist
sehr interessant - sind an der Uni Tübingen, meiner
Alma Mater, fast ein Drittel aller Studierenden aufgrund
der Geschwisterregelung von Studiengebühren befreit.
({13})
Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit für leistungsstarke Studierende besteht durch Stipendien. Ich verweise nur auf das neue Deutschlandstipendium, das am
1. Februar gestartet ist und das gerade nicht auf das
BAföG angerechnet wird.
({14})
Mit diesem Stipendium können leistungsstarke Studierende mit bis zu 300 Euro im Monat gefördert werden zusätzlich zum BAföG.
({15})
Kommentare zum Deutschlandstipendium von Vertretern der Linken, wie zum Beispiel „Steuerfahnder statt
Fundraiser sind gefragt, wenn man die Wirtschaft heranziehen möchte“, zeigen nur, dass sie von einer Regierungsfähigkeit weiter denn je entfernt sind.
({16})
Wie von Ihnen praktizierte Realpolitik aussieht, lässt
sich doch in Brandenburg beobachten.
({17})
Dort haben Sie den Hochschulen eingesparte Rücklagen
in Höhe von 10 Millionen Euro wieder weggenommen.
Die Hochschulen hatten diese mühsam aufgebaut, um
langfristige Projekte zu finanzieren. Sie haben sie ihnen
wieder weggenommen. Jetzt müssen die Hochschulen
auf 10 Millionen Euro verzichten. Das ist rot-rote Realpolitik, meine Damen und Herren.
({18})
Darüber hinaus zeigt dies einmal mehr, dass Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, das Prinzip des Geldzurücklegens und des Sparens unbekannt
ist.
({19})
Deshalb werden Sie auch in meiner schwäbischen Heimat niemals gewählt werden.
Ein weiterer Grund liegt darin, dass Sie Ihren Versprechungen, die Sie regelmäßig abgeben, wenig Taten
folgen lassen. Im rot-rot regierten Brandenburg werden
im Landeshaushalt nur 23 Prozent der Mittel für Bildung
ausgegeben. Fast alle anderen Bundesländer geben zum
Teil deutlich mehr aus. An der Spitze steht - Sie ahnen
es - Baden-Württemberg, meine von CDU und FDP regierte Heimat, mit fast 40 Prozent.
({20})
Die wahren Herausforderungen der Zukunft liegen
darin, Profile zu schärfen und die Alleinstellungsmerkmale der Hochschulen zu verstärken. Wenn es den deutschen Hochschulen gelingt, das zu stärken, worin sie besonders gut sind, also Leuchttürme zu installieren, dann
werden sie auch international in der ersten Liga mitspielen.
Ich bin optimistisch, dass uns dies gelingen wird schon deshalb, weil Qualität eben unser einziger Trumpf
ist. Blicken Sie einmal nach Indien. Dort soll die Zahl
der Universitäten innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre
von 350 auf 1 500 steigen. Das führe man sich einmal
vor Augen! Es ist klar, dass wir da quantitativ nicht mithalten können. Deshalb sind Anträge wie die von der
Linken, die den in Deutschland entfachten Wettbewerb
um Exzellenz und Qualitätsverbesserungen an den
Hochschulen zurückdrehen wollen, kontraproduktiv.
({21})
Ich empfehle Ihnen daher, Frau Kollegin Gohlke, sich
die Bildungs- und Wissenschaftspolitik der CDU-regierten Länder zum Vorbild zu nehmen. In Nordrhein-Westfalen haben Sie jetzt Gelegenheit dazu. Stimmen Sie dort
gemeinsam mit der CDU und der FDP gegen die Abschaffung der Studiengebühren.
Vielen Dank.
({22})
Der Kollege Rossmann hat für die SPD-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nun gibt es also doch eine richtige Debatte zum BAföG
und hoffentlich keine Länder-Streitdebatte. Dem Kollegen Kaufmann möchte ich sagen: Brandenburg darf
man, studienpolitisch gesehen, nicht ohne Berlin betrachten, weil es eine Region ist. Das, was in Brandenburg weniger für Hochschulen ausgegeben wird, wird in
Berlin deutlich mehr ausgegeben; denn Berlin ist die
Hochschulmetropole in Deutschland. Ich finde, wir sollten das nicht außer Acht lassen.
Zu Baden-Württemberg und Bayern: Sie wissen, wie
sich dort die Arbeitsplätze und die Strukturen entwickeln. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es diesbezüglich Auswirkungen auf entsprechende Studienangebote gibt.
Wir möchten uns eher auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit der vorgeschlagenen Gesetzesinitiative
konzentrieren, zumal sie schon das zweite Mal eingebracht wird. In der letzten Legislaturperiode hat sie
keine Zustimmung bei den anderen Fraktionen gefunden.
Ich möchte bekräftigen - da sehen wir Fortschritte -,
dass es einen Konsens geben kann, wenn wir alle das
BAföG stärken wollen. Ich will jetzt nicht näher erläutern, was wir beim BAföG gerne noch zusätzlich gehabt
hätten, nachdem wir in der Großen Koalition das, was
Rot-Grün angefangen hat, deutlich erweitert haben.
Ich möchte für die SPD noch einmal sagen, dass wir
grundsätzlich gegen Studiengebühren sind, weil sie, was
die soziale Verteilungsfrage sowie die Aufwands- und
Effizienzfrage angeht, nicht begründet werden können.
Ich erinnere nur an diejenigen Bundesländer, in denen
keine Studiengebühren erhoben werden. Herr Kollege
Kretschmer hat sich vorhin so echauffiert. Als Sachse
könnte er aus gutem Grund doch sagen: Als Sachse bin
ich stolz darauf, dass es in meinem Bundesland keine
Studiengebühren gibt.
({0})
Die CDU in Sachsen kann aus verteilungspolitischen,
sozialpolitischen, regionalpolitischen und hochschulpolitischen Gründen stolz darauf sein, dass es dort keine
Studiengebühren gibt.
({1})
Es freut mich, dass es auch in Hessen entsprechende
Einsichten gibt. Herr Kretschmer, Sie sollten es positiv
bewerten, dass es auch bei Ihnen eine Entwicklung dahin
gehend gibt, keine Studiengebühren mehr erheben zu
wollen. Das ist auch gut so. Deshalb sollte man sich mit
dem, was die Linke hier vorgeschlagen hat, genauer auseinandersetzen.
Das Bundesausbildungsförderungsgesetz ist ein Bundesgesetz. Das Verfassungsgericht hat leider entschieden, dass es in Bezug auf Studiengebühren eine Länderzuständigkeit gibt. Daher muss eine Abschaffung in den
Ländern politisch durchgefochten werden. Auch in den
letzten konservativen Domänen, wo es - ideologisch begründet - noch Studiengebühren gibt, müssen sich die
Menschen dafür einsetzen, dass es diese Studiengebühren in Zukunft nicht mehr gibt.
({2})
Das ist der politische Weg. Diesen politischen Weg
kann man weitergehen, und man wird ihn weitergehen:
von Hamburg bis Baden-Württemberg. Sie sollten sich
nicht zu sicher sein, dass es nicht auch in BadenWürttemberg zu einer Abschaffung der Studiengebühren
kommt.
Um es verfassungsmäßig noch weiter zu unterlegen:
Sie alle wissen doch, dass wir im Zuge der Föderalismusreform eine Diskussion über Erforderlichkeit und
konkurrierende Gesetzgebung - ich verweise auf Art. 72
des Grundgesetzes - hatten. Wir können froh darüber
sein, dass die entsprechenden Verfassungskommissionen
in Bezug auf das BAföG gesagt haben, dieses solle weiterhin bundeseinheitlich geregelt werden. Demnach sollen Studiengebühren sozial ausgewogen sein. Wenn wir
sozusagen diesen Deckel wegnehmen, dann könnte es
ein Anreiz dafür sein, Studiengebühren nicht mehr in einem gewissen Umfang zu begrenzen. Das sollten wir tatsächlich nicht wollen.
({3})
Deshalb sind wir der Auffassung: Es muss länderbezogen dafür gesorgt werden, dass es grundsätzlich keine
Studiengebühren mehr gibt.
Jetzt zu Ihrem Gesetzentwurf: Erstens. Wir müssen
feststellen, dass er nicht so sorgfältig ausgearbeitet
wurde, wie man es sich eigentlich wünscht, wenn politische Veränderungen damit verbunden sind. Positiv ist
aber - das haben Sie im Vergleich zu vergangenen Entwürfen korrigiert -, dass Sie formulieren, dass der Bedarf sich um ein Zwölftel der im Jahreszeitraum zu entrichtenden Studiengebühren erhöht.
Zweitens. Eine Frage ergibt sich mit Blick auf die Ungleichbehandlung. Sie haben es jetzt so formuliert, dass
diejenigen, die 20 Euro über den Bedarfssätzen liegen,
kein BAföG bekommen, und dass diejenigen, die darunter liegen, die Studiengebühren komplett ersetzt bekämen. Dadurch käme es aber zu einer Fehlsteuerung.
Wenn Sie solche Gesetze machen, erwarten wir eigentlich, dass Sie die Details bedenken und diese einarbeiten.
Drittens. Speziell in Hamburg und Berlin, aber auch
anderswo gibt es private Hochschulen mit sehr hohen
Studiengebühren. Auch an diesen Hochschulen gibt es
BAföG-Empfänger. Wollen Sie eigentlich, dass den
BAföG-Empfängern an diesen Hochschulen die Studiengebühren ersetzt werden? Die Länder, die gar nichts dafür können, dass es dort diese hohen Studiengebühren
gibt, müssten dann dafür aufkommen.
Wir stellen fest: Wenn Sie von der Linken mit heißem
Herzen eine Debatte über dieses Thema führen wollen,
dann sollten Sie Ihre Vorschläge so gut durchkneten,
dass auch die von mir aufgeworfenen Fragen geklärt
werden.
({4})
Leider sind diese Fragen nicht geklärt. Daher hat Ihr Gesetzentwurf keine Berechtigung. Er geht politisch in die
falsche Richtung und ist sachlich nicht genügend ausgearbeitet. Zudem nehmen Sie damit das Tempo heraus,
wenn es darum geht, unsere Forderung umzusetzen - andere haben es schon angesprochen -: Damit wir in
Deutschland ein Hochschulwesen erhalten, das sozial offen ist, müssen wir uns - wie in Hessen, in NordrheinWestfalen, im Saarland, demnächst in Hamburg und bald
in Baden-Württemberg - von den Studiengebühren verabschieden.
({5})
Dort, wo Studiengebühren eingeführt worden sind,
muss man sich mit gutem Gewissen, aber auch mit hochschulpolitischem Realismus schrittweise davon verabschieden; denn die Hochschulen hätten nichts davon,
wenn auf einmal eine große Lücke in den Hochschuletats entstünde. Insofern wurde in Nordrhein-Westfalen
ein realistischer Weg gewählt. Wir wollen die Linken
dazu einladen, diesen Weg zu unterstützen. Auch in
Hamburg wird es einen realistischen Weg geben. Wenn
am Ende zu erkennen ist, dass es in Deutschland nur
noch eine Minderheit von Ländern gibt, die Studiengebühren erheben, dann haben wir politisch einen guten
Kampf gefochten.
Danke.
({6})
Das Wort hat der Kollege Meinhardt für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Der Gesetzentwurf der Linken ist an Bildungspopulismus nicht mehr zu überbieten. Hier geht es
nicht um Studierende und nicht um die Hochschulen,
sondern einzig und allein um eine Neiddebatte, die Sie
hier losbrechen wollen.
({0})
Studienbeiträge sind wesentlicher Bestandteil eines
soliden Finanzierungskonzeptes für unsere deutschen
Hochschulen. Schauen wir uns bitte einmal die Zahlen
an: Allein 1,2 Milliarden Euro - ich wiederhole:
1,2 Milliarden Euro - sind bislang durch die Eigenbeteiligung der Studierenden zusätzlich in die Hochschulkassen geflossen. Wer diesen Hahn zudrehen will, muss zunächst einmal glaubwürdige finanzielle Alternativen auf
den Tisch legen.
({1})
Wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland
nicht weniger Studiengebühren, sondern mehr Hochschulfreiheit. Hochschulen müssen selbst über die Studiengebühren, ihre Ausgestaltung und Höhe, entscheiden können. Wenn Studierende an der Entscheidung
darüber beteiligt sind, was mit ihren Beiträgen passiert,
wird das Ganze zu einem Erfolgsmodell.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir können
uns keine Nullachtfünfzehn-Hochschulpolitik wie die
rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen
leisten. Dort sollen die Studiengebühren mit einem
Federstrich abgeschafft werden. Sofort, vom ersten Moment an, würden 250 Millionen Euro im Hochschulsystem fehlen. Die unglaublich unsolidarische Konsequenz
daraus wäre, dass die Geberländer im Länderfinanzausgleich dieses auch noch mitzufinanzieren hätten. Bildung auf Pump zulasten anderer Bundesländer einzuführen, ist doch wohl der Gipfel der Unverschämtheit.
({3})
Darüber hinaus sollten wir mit einem bildungspolitischen Ammenmärchen aufräumen. Alle seriösen Studien
belegen, dass es keinen Zusammenhang zwischen Studiengebühren und der Entscheidungsneigung möglicher
Studierender aus bildungsfernen Schichten gibt. Dies ist
das Ergebnis aller seriösen Studien, auch des Deutschen
Studentenwerkes.
({4})
Vielmehr gilt die Wahrheit: Nach Abschaffung der
Studiengebühren wird sofort die Zahl der Tutorenstellen
und der Stellen für wissenschaftliche Hilfskräfte an den
Universitäten heruntergefahren. Wer will, dass die Zahl
der Stellen für wissenschaftliche Hilfskräfte und für Tutoren an den Hochschulen reduziert wird, der soll dies
auch öffentlich und präzise in solch einem Gesetzentwurf benennen.
({5})
Warum sind denn gerade diejenigen Länder als Studienstandorte besonders attraktiv, die Studiengebühren
erheben? Weil dort mehr in Hochschulen investiert wird
als in anderen Ländern. Allein in Bayern wurden die
Ausgaben im Zeitraum 2006 bis 2008 um 778 Millionen
Euro gesteigert. In Nordrhein-Westfalen wurden die
Ausgaben im gleichen Zeitraum sogar um 881 Millionen
Euro gesteigert. In Berlin, in Brandenburg und in Bremen herrscht bildungspolitisch tote Hose.
({6})
Wer über Fairness in der Bildungsfinanzierung
spricht, der muss auch die akademische und die berufliche Bildung in eine Balance bringen. Ich habe hier noch
nicht die Forderung gehört, an die privat finanzierten
Kosten für eine Meisterausbildung heranzugehen. Bei
einer dreijährigen Meisterausbildung müssen wir von einer Eigenbeteiligung in Höhe von 4 000 bis 8 000 Euro
ausgehen. Angesichts dessen ist es absolut unfair, in einer Debatte über Studiengebühren nur über den Bereich
der akademischen Bildung zu sprechen und, wie üblich,
die berufliche Bildung außen vor zu lassen. In diesem
Hohen Haus sollte endlich einmal die richtige Frage an
der richtigen Stelle gestellt werden. Es geht darum, über
berufliche und akademische Bildung gleichgewichtig zu
diskutieren.
({7})
- Bringen Sie doch einmal einen entsprechenden Antrag
ein. Wir werden Ihnen dann sagen, was wir davon halten.
Diese Bundesregierung hat mit ihrem BAföG-Modernisierungspaket einen wichtigen bildungspolitischen
Meilenstein gesetzt. Das führt dazu, dass allein in diesem
Jahr 500 Millionen Euro mehr für Investitionen zur Förderung von Studierenden eingesetzt werden. 500 Millionen Euro mehr, das ist das Ergebnis des BAföG-Modernisierungskonzeptes dieser Bundesregierung. Das muss
man auch einmal mit Stolz in diesem Hohen Haus sagen
dürfen.
({8})
Darüber hinaus haben wir mit dem Nationalen Stipendienprogramm endlich eine Talentförderstrategie für dieses Land entwickelt. Schon in diesem Jahr wird sich die
Anzahl der staatlich geförderten Stipendiaten von 20 000
auf 30 000 erhöhen. Ein solcher Aufwuchs um 50 Prozent ist ein deutliches Zeichen des Handelns dieser Bundesregierung. Studiengebühren, über die vor Ort entschieden wird, ein deutlicher Aufwuchs im Bereich der
Stipendienkultur und unser BAföG-Modernisierungspaket sind zusammen ein Zeichen dafür, dass die Attraktivität des Studienplatzes Deutschland mächtig gesteigert
wird.
Der Antrag der Linken ist fachlich falsch, hochschulpolitisch veraltet und finanzpolitisch ein Desaster.
Vielen herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Gehring für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir wissen: Der Kampf gegen soziale Selektivität in unserem Hochschulsystem und für mehr Bildungsaufstieg
ist eine echte Herkulesaufgabe.
({0})
Wir teilen die Zielrichtung der Linksfraktion, dass ein
Studium nicht am Geldbeutel der Eltern scheitern darf
und es für alle finanzierbar sein muss. Ihr Gesetzentwurf, über den wir heute diskutieren, trägt aber leider
nicht dazu bei, dass wir dieses Ziel erreichen. Er klingt
sozial, würde aber nichts anderes als neue Ungerechtigkeiten produzieren. Ihr Gesetzentwurf suggeriert nämlich, dass Studiengebühren sozialverträglich gestaltet
werden können. Wir bezweifeln das. Wir wollen Studiengebühren nicht für Einzelne abmildern, sondern wir
wollen sie für alle abschaffen.
({1})
Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
Sie wollen einseitig einkommensschwache BAföGEmpfänger entlasten - so weit, so nett -, alle anderen
lassen Sie aber im Regen stehen und weiter Studiengebühren blechen in den Ländern. Das ist ein absurdes Gerechtigkeitsverständnis, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Linken.
({2})
Mit Ihrem Gesetzentwurf spalten sie die Studierendenschaft in Zahler und in Nichtzahler. Die einen bekommen eine Rückerstattung der Gebühr aus dem Landeshaushalt, und die anderen gehen leer aus.
Was wären die Konsequenzen Ihres Gesetzentwurfs
in der Praxis? Erstens würden Studiengebühren zementiert.
({3})
Zweitens würde der studentische Widerstand gegen
Studiengebühren geschwächt, weil die Akzeptanz der
Studiengebühren damit gestärkt würde.
({4})
Das ist völlig absurd. Damit leisten Sie den Zielen der
Bildungsstreikbewegung nachträglich einen Bärendienst.
({5})
Anstatt die Akzeptanz der Campusmaut durch solche
Gesetzentwürfe zu erhöhen, sollte die Linkspartei den
Kampf gegen Studiengebühren parlamentarisch und
realpolitisch wirklich unterstützen und dabei bleiben,
dass Bildung keine Ware ist. Das ist das Gebot der
Stunde.
({6})
Unsere grünen Befürchtungen hinsichtlich der Wirkung von Studiengebühren sind leider eingetreten.
({7})
- Dazu komme ich gleich; kein Thema. - Deren Einführung durch schwarz-gelbe Landesregierungen hat bundesweit Zehntausende Hochschulzugangsberechtigte
vom Studium abgeschreckt. Verschiedenste Studien zeigen - Hochschul-Informations-System, Nationaler Bildungsbericht und viele andere -, dass sich viele Abiturienten gerade aus finanziellen Gründen gegen ein
Studium entscheiden. Besonders abschreckend wirkt das
Bezahlstudium auf Frauen und Jugendliche aus Nichtakademikerfamilien, also gerade auf diejenigen, deren
Talente wir verstärkt heben müssen.
Aus diesen Gründen müssen die Studiengebühren
weg und das BAföG dringend weiter ausgebaut werden.
Wir haben gesagt, dass es sogar zu einem Zwei-SäulenModell ausgebaut werden muss. Das wäre viel besser als
ein Deutschland-Stipendium, das Sie hier wieder einmal
gerühmt haben, das aber jetzt schon als Ladenhüter und
Rohrkrepierer daherkommt und keine soziale Gerechtigkeit herstellt.
({8})
Die zweite Befürchtung hat sich leider auch bewahrheitet. Dass Studiengebühren zusätzliches Geld an die
Hochschulen bringen, das ist ein großes Märchen.
Schauen Sie sich doch einmal verschiedene Berichte an.
Viele schwarz-gelbe Landesregierungen haben nach der
Gebühreneinführung die Grundfinanzierung der Hochschulen abgesenkt.
Der Bildungsfinanzbericht 2010 zeigt, dass 2007 rund
717 Millionen Euro aus Studiengebühren an die Hochschulen geflossen sind. Zugleich nahmen die Gebührenländer ihren Hochschulen aber eine halbe Milliarde Euro
weg, indem sie die Grundfinanzierung abgesenkt haben.
Negativvorreiter hierbei waren Baden-Württemberg und
die abgewählte Rüttgers-Regierung in Nordrhein-Westfalen.
({9})
Deshalb ist es so wichtig, festzuhalten, dass unter
dem Strich die Privatisierung von Bildungsausgaben
bleibt, und das halten wir für den falschen Weg. Genauso
halten wir den Weg der Linken, Studiengebühren einfach
abzuschaffen, sich dann aber keine Gedanken über die
Gegenfinanzierung zu machen, für falsch. Diese Gebührenausfälle der Hochschulen müssen entsprechend kompensiert werden.
({10})
Unsere Grünen in den Ländern haben dafür gesorgt,
dass ein bundesweites Ende der Campusmaut näherrückt. Wir kämpfen für Gebührenfreiheit, egal in welcher Koalition: in Hessen mit SPD und Linkspartei. In
Nordrhein-Westfalen steht die rot-grüne Entscheidung
kurz bevor. Im Saarland kämpfen wir übrigens gemeinsam mit Union und FDP dafür, weil auch sie gemerkt
und eingesehen haben, dass die Abschreckungswirkung
von Studiengebühren nicht ignoriert werden kann. In
Hamburg wollen wir den durch uns bereits erheblich geminderten Gebührendruck mit einem Wechsel zu RotGrün vollends aufheben. Das wäre ein Erfolg, weil dann
weitere Gebührenländer fallen.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, darum ersparen Sie uns bitte solche Schaufensterinitiativen, die realpolitisch nichts bringen! Stellen Sie sich Ihrer Verantwortung in den jeweiligen Bundesländern und
schaffen Sie die Studiengebühren wieder ab!
Kollege Gehring, achten Sie bitte auf das Signal.
Ich komme zum Schluss.
In Nordrhein-Westfalen, wo jeder vierte Student
Deutschlands studiert, können Sie in diesen Tagen den
rot-grünen Ausstieg aus den Studiengebühren ermöglichen. Appellieren Sie doch an Ihre Kolleginnen und
Kollegen aus Nordrhein-Westfalen, diese historische
Chance nicht zu verspielen, sondern mit Rot-Grün die
Gebühren abzuschaffen. Darum muss es jetzt gehen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/4662 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 23. Februar 2011, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und erfolgreiche Tage.