Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/11/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die in der weiteren Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetz- buch - Drucksachen 17/3404, 17/3958, 17/3982, 17/4032, 17/4058, 17/4095, 17/4303, 17/4304, 17/4719 - ZP 9 Vereinbarte Debatte zur Lage von SGB-Leistungsempfängern und ihrer Kinder ZP 10 a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes - Drucksache 17/3481 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksachen 17/4710, 17/4739 - Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Frank Schäffler Harald Koch b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Carsten Sieling, Manfred Zöllmer, Elvira DrobinskiWeiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gesamtkonzept zur Stärkung des Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen vorlegen - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Sahra Wagenknecht, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Beschäftigtenrechte bei Übernahmen und Fusionen stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr. Gerhard Schick, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbraucherschutz auf Finanzmärkten nachholen - Drucksachen 17/2136, 17/3540, 17/3210, 17/4710, 17/4739 Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Frank Schäffler Harald Koch Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das auch so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetz- buch - Drucksachen 17/3404, 17/3958, 17/3982, 17/4032, 17/4058, 17/4095, 17/4303, 17/4304, 17/4719 - Der Berichterstatter im Bundestag, der Abgeordnete Thomas Oppermann, wünscht nicht das Wort zur Be- richterstattung. Mit einer schriftlichen Erklärung macht er aber auf vier von Bund und Ländern abgegebene Pro- Redetext Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse tokollerklärungen aufmerksam. Diese Erklärung und die Protokollerklärungen nehmen wir zu Protokoll.1) Ferner liegt auch eine schriftliche Erklärung der Fraktion Die Linke nach § 90 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung vor. Wir kommen gleich zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Druck- sache 17/4719. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Wir können leider immer noch nicht beginnen, weil hier vorne zwei Schriftführer feh- len. Jetzt sind alle Schriftführer an ihren vorgesehenen Plätzen. Ich eröffne die Abstimmung. Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Wir setzen die Beratungen fort. Dazu bitte ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie Ihre Plätze einnehmen. Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Vereinbarte Debatte zur Lage von SGB-Leistungsempfängern und ihrer Kinder Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Ministerin von der Leyen das Wort. ({4})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einem Jahr hat uns das Bundesverfassungsgericht den Auftrag zur Neuordnung der Regelsätze gegeben. Vor zwei Mo- naten hat der Bundestag zugestimmt. Sieben Wochen ha- ben wir im Vermittlungsverfahren darüber verhandelt, einen politischen Konsens herzustellen. Diesen haben wir heute leider noch nicht erreicht. Das bedauere ich, weil die Verhandlungen auch von gegenseitiger Achtung getragen waren. Aber unter dem Strich zählt, dass wir im 1) Anlage 2 und 3 2) Ergebnis Seite 10270 D Interesse der betroffenen Menschen so schnell wie möglich eine Lösung in dieser Sache finden. ({0}) Ich weiß, dass wir im Bundestag eine Mehrheit haben, aber im Bundesrat nicht. Dennoch lohnt es sich, das Angebot öffentlich zu diskutieren. Ich glaube, diese Zäsur ist heute notwendig, damit die endlose Forderungsspirale der letzten sieben Wochen einmal bilanziert wird. ({1}) Das ist ein gutes Angebot. Das ist ein Angebot, das nachhaltig ist, und ich glaube, das sollte auch anerkannt werden. Im Gesetz geht es um zwei zentrale Fragen: die Bargeldleistung im Regelsatz und das Bildungspaket. Wir wissen doch alle, dass die Kinder von Hartz-IV-Empfängern oder die in Sozialhilfe eher ausgegrenzt und abgehängt werden als Gleichaltrige, nicht weil ihre Eltern sich nicht kümmern, sondern weil ihre Eltern selber mit sozialer Isolation zu kämpfen haben. Je häufiger die Kinder in der Schule oder im Freundeskreis die Erfahrung des Scheiterns machen, desto tiefer gräbt sich das Gefühl der eigenen Unfähigkeit und Hilflosigkeit ein. ({2}) Das Bildungspaket folgt deshalb der Einsicht, dass diesen Kindern mit konkreten Hilfen mehr geholfen wird als mit direkten Zahlungen an die Eltern. Im Hinblick auf diese grundlegende sozialpolitische Einsicht sind wir uns doch einig. ({3}) Es geht konkret um eine warme Mahlzeit in den Schulen und Kindergärten. Wir sind uns einig, dass die Finanzierung des Mittagessens auf die Hortkinder ausgeweitet wird. Es geht konkret um die individuelle Förderung beim Lernen und um die Chance, bei Sport und Musik - wo auch immer die Interessen liegen - mitzumachen. Wir sind uns einig, dass die 160 000 Kinder von Wohngeldbeziehern mit dabei sein sollen. Wir sind uns einig, dass die Kommunen das organisieren sollen. Wir sind uns einig, dass die Kommunen dadurch keine zusätzlichen finanziellen Lasten haben sollen, sondern dass ihnen die Kosten des Bildungspaketes ersetzt werden sollen. Wir sind uns in diesen ganzen Punkten einig. ({4}) Damit die Kommunen wirklich die Gestaltungsfreiheit haben, ihre Aufgaben für alle Familien und alle Kinder wahrzunehmen, übernimmt der Bund bedingungslos die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. ({5}) Das heißt in Zahlen: Bis 2015 gehen rund 20 Milliarden Euro vom Bund an die Länder und Kommunen. Bis 2020 gehen rund 54 Milliarden Euro vom Bund an die Kommunen. Meine Damen und Herren, wir sind uns also in fünf zentralen Fragen des Bildungspaketes einig. Sofort 5 Milliarden Euro mehr für Kinder und Kommunen: Das ist ein nachhaltiges Angebot; mehr geht nicht. Wer das ausschlägt, der muss sich vorwerfen lassen, dass er aus Prinzip keine Einigung will. ({6}) Ich glaube, dass wir uns auch beim Regelsatz in der zentralen Frage einig sind, auch wenn das in den letzten Tagen sicher nicht deutlich geworden ist. ({7}) - Ich werde es Ihnen gleich erklären. ({8}) Es geht darum, einen nachvollziehbaren, verfassungsfest begründeten Berechnungsweg vorzulegen. Das haben wir von der Regierung getan. ({9}) Die Verhandlungsführung der SPD hat das auch getan. Nur hat die Verhandlungsführung der anderen Seite im Laufe der Verhandlungen nicht eine Methode zur Berechnung vorgelegt, sondern verschiedene, die sich auch noch widersprechen: ({10}) Mal waren die Aufstocker drin, mal waren sie draußen; mal wurde die Referenzgruppe auf 20 Prozent erweitert, mal nicht. Mit anderen Worten: Jedes einzelne Element der Berechnung der Bundesregierung findet sich genauso auch in den Vorschlägen der SPD wieder. Also können weder die einzelnen Elemente noch die Summe der Elemente falsch oder gar verfassungswidrig sein. ({11}) Sie mögen ein anderes Ziel als wir verfolgen: Sie wollen den Hartz-IV-Satz weiter erhöhen; Sie kämpfen um Mehrausgaben in Bund und Kommunen. Das ist Ihr Recht; aber das löst doch nicht die Probleme der Arbeitslosen. Mir scheint hier ein weiteres Argument wichtig: Wenn Sie heute im Bundesrat dem Gesetz in Gänze nicht zustimmen sollten, dann verweigern Sie den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern die Erhöhung und das Bildungspaket mit seiner nachhaltigen Finanzierung. ({12}) Das kann nicht im Sinne der Betroffenen sein. Ermöglichen Sie den Kindern das Bildungspaket! Sie haben heute die Chance dazu. ({13}) Sie können politisch um Mehrheiten werben, wenn Sie wirklich glauben, dass es besser wäre, wenn die Hartz-IV-Sätze weiter erhöht würden. Aber wir von der Bundesregierung wollen unsere Kraft, unsere Energie und das Geld der Bürgerinnen und Bürger dafür verwenden, dass diese Menschen schneller wieder in Arbeit kommen. ({14}) Wir wollen nicht Passivität und Abhängigkeit fortschreiben, sondern die Voraussetzungen für faire Arbeit schaffen und da, wo sie sich bieten, Chancen eröffnen. Vor allen Dingen wollen wir für die Kinder den Teufelskreis der vererbten Armut durchbrechen. ({15}) Zusammenfassend möchte ich festhalten: Alles, was wir vorgelegt haben, auch die Mindestlöhne für den Bereich der Zeitarbeit, für das Wach- und Sicherheitsgewerbe und für die Weiterbildungsbranche, fordern auch Sie. Sie wollen nur mehr. Für dieses Mehr gibt es heute aber keine politischen Mehrheiten. ({16}) Wenn Sie das Gute, das Gemeinsame ablehnen, dann ist das aus meiner Sicht Blockade, die sich in diesem Fall nicht lohnt. ({17}) Wir sind Ihnen in den Verhandlungen weit entgegengekommen. Wir könnten den Kommunen 5 Milliarden Euro im Jahr mehr geben. ({18}) Wir haben das Bildungspaket signifikant erweitert, um 350 Millionen Euro. Das ist zwar teuer, ({19}) aber das ist gut investiertes Geld, weil es die Kommunen entlastet und die Chancen der Kinder verbessert. Alle diese Verbesserungen stehen heute auf dem Spiel. Deshalb bitte ich Sie, nicht das Maximale zu fordern. Machen Sie das, was heute möglich ist! Beschreiten Sie den Weg, den wir gemeinsam gefunden haben! Die Hartz-IV-Empfänger im Land, insbesondere die Kinder, werden es Ihnen danken und wir selbstverständlich auch. ({20}) Vielen Dank. ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Manuela Schwesig, Ministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern. ({0}) Manuela Schwesig, Ministerin ({1}): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Vor genau einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht der Politik den Auftrag erteilt, die Weichen in der Sozialpolitik neu zu stellen. ({2}) Es geht im Kern um unseren Sozialstaat. Es geht um die Menschenwürde. Es geht um ein menschenwürdiges Existenzminimum für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. ({3}) Das heißt für uns, dass drei Dinge erfüllt sein müssen: Erstens: Bildungschancen für Kinder und Jugendliche unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. ({4}) Zweitens. Menschen, die arbeiten, müssen von ihrer Arbeit leben können. Deswegen sind Mindestlöhne in diesem Zusammenhang wichtig. ({5}) Drittens. Wer keine Arbeit hat oder nicht arbeiten kann, der muss von einer solidarischen Gemeinschaft fair unterstützt werden. Es geht nicht um Almosen oder spätrömische Dekadenz. ({6}) Es geht um einen Rechtsanspruch für alle Menschen in diesem Land. ({7}) Dieses Urteil ist eine große Chance, gemeinsam etwas Gutes und Großes auf den Weg zu bringen. ({8}) Dieses Urteil verlangt große Antworten bei den Themen Bildung, Mindestlohn und faire Regelsätze. Aber, Frau Bundesministerin, die Antworten, die Sie gegeben haben, sind Klein-Klein; sie sind genau das Gegenteil davon. ({9}) Viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land ärgern sich zu Recht ({10}) und fragen sich, warum wir das nicht gemeinsam hinbekommen. Frau von der Leyen, Sie haben zehn Monate gebraucht, um überhaupt einen Entwurf auf den Tisch zu legen. ({11}) Seit Mai 2010 wissen Sie, dass Sie unsere Stimmen im Bundesrat brauchen. Trotzdem haben Sie viel Zeit mit einer Chipkartenshow verplempert, anstatt sich wirklich um die Sache zu kümmern. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass heute kein guter Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ahrendt von der FDP-Fraktion. ({0}) Manuela Schwesig, Ministerin ({1}): Selbstverständlich.

Christian Ahrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003729, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin Schwesig, bei Ihrer Rede mag man geneigt sein, zu sagen: Die Worte höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. ({0}) Sie sind Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern. Dort befinden sich 95 Prozent aller Kinder unter sechs Jahren in einer Kindertageseinrichtung; das ist eine stolze Zahl. Und trotzdem - Sie tragen als SPD seit 1998 Verantwortung im Land -: Mecklenburg-Vorpommern ist das Land mit der höchsten Zahl von jungen MenChristian Ahrendt schen, die die Schule ohne Schulabschluss verlassen, 14 Prozent. Finden Sie nicht, dass Sie Ihren Reden auch einmal Taten folgen lassen sollten? ({1}) Manuela Schwesig, Ministerin ({2}): Herr Ahrendt, Sie wollten eine Frage stellen; die habe ich nicht gehört. ({3}) Aber ich sage Ihnen eines: Herr Ahrendt, Sie haben recht: 98 Prozent der Kinder in Mecklenburg-Vorpommern gehen in eine Kita. Diese Kinder bekommen schon lange ein kostenfreies Mittagessen, wenn sie arme Kinder sind. Das, was Sie auf den Weg bringen wollen, haben unsere Kinder in MV schon längst. Deswegen weiß ich, wovon ich rede. ({4}) Herr Ahrendt, wenn Ihr Generalsekretär heute sagt, ({5}) die Koalition hätte nicht die richtige Verhandlungsführung gehabt, dann frage ich Sie: Wo war denn Ihre Verhandlungsführung? Sie hatten gar keine. Die einzige Strategie, die die FDP hatte, war: Blockade, Blockade, Blockade. Sie hat gesagt: Wir wollen keine Schulsozialarbeiter. ({6}) Wenn Sie über Bildung reden, dann erklären Sie uns, warum Sie dagegen sind, dass wir 5 000 Schulsozialarbeiter in den sozialen Brennpunkten einsetzen, um endlich Jugendliche zu fördern. ({7}) Das wäre der richtige Weg. Das blockieren Sie aber. ({8}) Sie blockieren außerdem einen fairen Regelsatz. Sie haben diese ganzen Verhandlungen blockiert. Die Kanzlerin ist vor Ihnen eingeknickt und hat der Arbeitsministerin den Auftrag gegeben, die Verhandlungen abzubrechen. Das ist unverantwortlich. Sie haben Regierungsverantwortung. ({9}) - Herr Kauder, wenn Sie mehr erwarten, dann sprechen Sie doch mit dem CDU-Bildungsminister in Mecklenburg-Vorpommern. ({10}) Es muss Schluss sein mit den Schuldzuweisungen. Heute ist der Tag der Verantwortung und der Vernunft. ({11}) Und deswegen - wir wollen weiter verhandeln -: Kommen Sie zurück an den Verhandlungstisch! ({12}) Wir werden heute mit Kurt Beck im Bundesrat den Antrag stellen, weiterzuverhandeln. Ich fordere Sie auf: Verhandeln Sie weiter! Wir waren nahe dran an einem guten Ergebnis. Sie haben die Verhandlungen abgebrochen. Kommen Sie zurück an den Verhandlungstisch, damit wir den 2 Millionen Kindern, die in Armut leben, helfen mit guten Vorschlägen, die wir auf den Tisch gelegt haben! ({13}) Wenn Sie behaupten, wir hätten die Verhandlungen mit dem Mindestlohn überfrachtet, dann will ich Ihnen mal eines erklären: Mindestlohn und gleicher Lohn für gleiche Arbeit sind der Kern der Antwort auf die Probleme in unserem Land. Es kann doch nicht sein, dass die Menschen arbeiten gehen und am Ende zum Sozialamt gehen müssen, um sich Sozialleistungen abzuholen. 11 Milliarden Euro bezahlen wir dafür. Deswegen brauchen wir Mindestlöhne und gleichen Lohn für gleiche Arbeit, damit die Menschen, die arbeiten, aus der Hartz-IV-Falle herauskommen und einen fairen Lohn beziehen und damit überleben können. ({14}) Denn ja: Arbeit muss sich lohnen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Antwort gegeben. Arbeit muss sich lohnen, aber nicht, indem man Sozialleistungen herunterschraubt, sondern indem man faire Löhne, Mindestlöhne bezahlt. ({15}) Frau von der Leyen, es reicht nicht, für Frauen in DAX-Vorständen zu kämpfen. In dieser Woche sind Sie den Frauen in den Rücken gefallen, weil Sie nicht die Ministerin Manuela Schwesig ({16}) Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit unterstützen. ({17}) Es geht um die Verkäuferin, um die Kassiererin und um die Kellnerin, die unsere Unterstützung brauchen, und zwar jetzt und sofort. Es ist peinlich genug, dass die Kanzlerin Sie bei der Quote abserviert hat. Aber es ist eine Schande, dass Sie diesen vielen Frauen in Deutschland in den Rücken fallen. ({18}) Beim Thema Bildung war es uns wichtig, die Eltern zu unterstützen, die arbeiten und am Ende auch nicht viel mehr haben als andere. Deswegen ist es richtig, dass wir das Bildungspaket auf Geringverdiener ausweiten. Es ist richtig, dass wir das Bildungspaket bei den Kommunen andocken, damit Kitas, Ganztagsschulen und Vereine das Geld bekommen. Es ist schwierig; denn von sieben Wochen Verhandlungen brauchten wir fünf, um Sie von dieser logischen Konsequenz zu überzeugen. Sie haben fünf Wochen gebraucht, um aufzuwachen. ({19}) Lassen Sie uns die Vorschläge zu den Themen Mindestlohn und Schulsozialarbeit verbessern! Sorgen Sie dafür, dass Sie Ihr Versprechen halten! ({20}) Wir sind gemeinsam vor die Öffentlichkeit getreten und haben gesagt: Wir wollen, dass das Bildungspaket an die Kommunen geht und dass die Kommunen dafür Ist-Kosten bekommen. Der Vorschlag, der auf dem Tisch liegt, enthält keine Ist-Kosten. ({21}) Die Kommunen werden von Ihnen über den Tisch gezogen, wie Sie es schon bei Ihrer Steuerpolitik gemacht haben. Das wird es mit uns nicht geben, weil die Bürger vor Ort die Zeche dafür zahlen müssten. ({22}) Nehmen Sie die Regierungsverantwortung ernst! Kommen Sie zurück zum Verhandlungstisch! Es geht darum, dass wir für 6 Millionen Menschen, für 2 Millionen Kinder, die in Kinderarmut aufwachsen, eine Antwort geben. ({23}) Bildung, Mindestlohn und ein fairer Regelsatz sind Beiträge zur Bekämpfung der Kinderarmut. Machen Sie mit! Kommen Sie zurück! Übernehmen Sie Regierungsverantwortung, wie es sich für einen vernünftigen Laden - zurzeit sind Sie keiner - gehört. Wir stehen zu unserer Verantwortung. Wir wollen ein gutes Ergebnis, aber keine faulen Kompromisse. Die müssen Sie schon alleine machen. Vielen Dank. ({24})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun Kollege Heinrich Kolb. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schwesig, das, was Sie hier abgeliefert haben, ist aus unserer Sicht vollkommen inakzeptabel. ({0}) Sie sagen: „Es darf keine gegenseitigen Schuldzuweisungen geben“ und wollen sich dann hier als Vertreterin der Anklage profilieren. So geht es nicht! Wir haben eine gemeinsame Verantwortung. ({1}) Sie haben in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung, weil Sie damals federführend als rot-grüne Bundesregierung gemeinsam mit uns dieses Gesetz beschlossen haben, das heute nachgebessert werden muss. So geht es nicht. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Kolb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sonst immer gerne, aber ich habe ja noch gar nichts gesagt. ({0}) Ich möchte noch ein bisschen ausführen. Dann komme ich gerne darauf zurück. Ich möchte zu den Punkten, die die Ministerin genannt hat, Regelsatz, Bildungspaket, Mindestlöhne, etwas sagen. Frau Ministerin Schwesig, Sie haben hier gesagt, Sie wollen einen fairen Regelsatz. Ich habe Ihre Rede aufmerksam verfolgt. Sie haben mit keinem Wort dargelegt, dass der von uns errechnete Regelsatz, die Erhöhung um 5 Euro, falsch wäre. Ich schließe also aus Ihrer Rede, dass der Regelsatz, wie er von uns vorgelegt wurde, in Ordnung ist. Das sollten Sie dann hier auch akzeptieren. ({1}) Sie sagen: Es geht uns um die Bildungschancen von Kindern. - Dazu kann ich nur sagen: Späte Erkenntnis. In dem Gesetz, das Rot-Grün damals beschlossen hat, war von Bildungschancen überhaupt keine Rede. ({2}) Sie hatten vollkommen vergessen, dass es hier einen Bedarf geben könnte. ({3}) Was Sie machen, ist unlauter. Wir wollen heute gemeinsam mit Ihnen im Wege der Nachbesserung beschließen, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien ebenso wie Kinder aus Familien, die Wohngeld oder Kinderzuschlag erhalten, also alle Kinder in Familien mit niedrigen Einkommen, künftig einen fairen Zugang zu Bildungschancen haben. ({4}) Das wollen wir. Sie verhindern das, wenn Sie sich heute der Zustimmung zu unserem Paket verweigern. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Kolb, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Kollegen Heil?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich werde erst alle drei Punkte vortragen, dann kann Herr Heil am Schluss gerne nachfragen. ({0}) Sie wissen, dass ich nicht vor Zwischenfragen kneife, aber heute Morgen möchte ich erst diese drei Punkte benennen. ({1}) Ich halte fest: Der Regelsatz, wie er von uns vorgelegt wurde, ist offensichtlich in Ordnung, Frau Schwesig. ({2}) Die Bildungschancen hatten Sie vollkommen vergessen; wir stellen Bildungschancen für Kinder aus Familien mit niedrigen Einkommen her. Dann sind wir beim dritten Punkt - da wollen Sie sich in den Verhandlungen mächtig inszenieren -: Mindestlöhne. Sie sagen, bei diesem Thema hätten sich die FDP und die Koalition nicht bewegt. Ich will Ihnen sagen: Wir haben uns in diesem Zusammenhang erheblich bewegt. ({3}) - Ich rede über Mindestlöhne, Herr Heil. ({4}) Wir bieten Ihnen an, im Bereich der Zeitarbeit, in dem es schon heute einen fast flächendeckenden tariflichen Mindestlohn gibt, ({5}) zusätzliche Regelungen einzuführen, die sicherstellen, dass durch die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Mai 2011 keine Konkurrenz durch ausländische Tarifverträge im Bereich der deutschen Zeitarbeit entstehen kann; das haben wir Ihnen angeboten. Darüber hinaus sind wir bereit, Ihnen auf zwei weiteren Feldern entgegenzukommen - das fällt uns nicht leicht; aber wir tun es, damit es einen Kompromiss geben kann -: bei der Aus- und Weiterbildung sowie im Wach- und Sicherheitsgewerbe. Hier haben wir uns, wie ich denke, erheblich bewegt. Das, was Sie gefordert haben, ist sichergestellt: dass ein bestimmtes Lohnniveau existiert. In der Zeitarbeit - ich wiederhole es - ist das ohnehin schon der Fall. ({6}) Was Sie machen, ist Folgendes: Sie betreiben im Deutschen Bundestag und im Bundesrat eine Blockadepolitik, so wie es Lafontaine 1997/1998 getan hat. Das ist verantwortungslos. ({7}) Es ist verantwortungslos, so zu handeln. Es ist verantwortungslos gegenüber den Menschen, die auf eine Erhöhung der Regelsätze warten. ({8}) Es ist verantwortungslos gegenüber den Kindern aus Hartz-IV-Familien, die einen Anspruch haben, gefördert zu werden: bei der Ausstattung mit Lernmitteln, beim Zugang zu Fördermaßnahmen, wenn im Einzelfall Defizite auftreten, und bei der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen und dem Mittagessen in der Schule, also bei der Integration in die Gemeinschaft. Es geht auch darum, diesen Kindern soziokulturelle Teilhabe zu ermöglichen. All das wollen wir. Durch die sture Blockadepolitik, die Sie betreiben, ({9}) verhindern Sie, dass all dies am heutigen Tage Gesetz werden kann. Das halte ich für unverantwortlich. ({10}) Ihnen geht es letztlich darum, über den Bundesrat und über den Vermittlungsausschuss Einfluss auf die Grundlinien der deutschen Politik zu nehmen. ({11}) - Wir haben eine Linie: eine Linie, die dazu geführt hat, dass wir in Deutschland aktuell ein wahres Beschäftigungswunder erleben, um das uns das Ausland beneidet. ({12}) Deutschland ist schneller als alle anderen Staaten durch die Krise gekommen. ({13}) Wir wollen diese gute Politik fortsetzen. Wir werden uns aber nicht von Ihnen dazu verführen lassen, grenzenlos und ausufernd zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Das wäre unverantwortlich. Wir wollen Konsolidierung, wir wollen Wachstum, und wir wollen Beschäftigungschancen für die Menschen in diesem Land. Danke schön. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Hubertus Heil.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kolb, ich will Ihnen sagen: Wer keinen Mut hat, Zwischenfragen zuzulassen, der muss mit einer Kurzintervention rechnen. ({0}) Ich fange mit dem, was Sie zum Schluss gesagt haben, an. Sie führten aus, wie Deutschland durch die Krise gekommen ist und warum die Situation am deutschen Arbeitsmarkt besser ist als in anderen Ländern. Herr Kolb, das hat mit Ihnen gar nichts zu tun. ({1}) Sie haben gegen jede Maßnahme gestimmt, die wir ergriffen haben, um Deutschland besser durch die Krise zu führen. Sie haben gegen Olaf Scholz und Peer Steinbrück agitiert, die zusammen mit Frank-Walter Steinmeier die Erfinder der Konjunkturpakete und der Kurzarbeit waren. Die FDP war die Dagegen-Partei, Herr Kolb. ({2}) Zweitens, Herr Kolb. Sie haben vorhin wahrheitswidrig behauptet, mit den Arbeitsmarktreformen der rotgrünen Bundesregierung seien keine Maßnahmen im Bildungsbereich verbunden gewesen. Herr Kolb, das stimmt nicht. Wir haben damals ein Bildungspaket auf den Weg gebracht und 4 Milliarden Euro in Ganztagsschulen investiert. Auch da waren Sie dagegen. ({3}) Jetzt komme ich zum zentralen Punkt, Herr Kolb. Sie persönlich müssen sich fragen, welche Verantwortung Sie dafür haben, dass die schwarz-gelbe Seite die Verhandlungen am vergangenen Donnerstag vorerst abgebrochen hat. ({4}) Sie waren es, der sich, als es um die Zeit- und Leiharbeit und um Mindestlöhne ging, einen zweifelhaften Spitznamen verdient hat. ({5}) Wissen Sie, wie Sie bei uns mittlerweile genannt werden? Gromyko. ({6}) Sie saßen nämlich nur da und sagten im Stile eines sowjetischen Kremlministers immer wieder Nein bzw. Njet. ({7}) Sie waren es, der die ganze Regierung in Geiselhaft genommen und sich nicht bewegt hat. ({8}) Mit der CDU/CSU wären wir bei der Zeit- und Leiharbeit schon längst zu einer Lösung gekommen. Sie haben die Koalition festgenagelt. Sie haben Placebo-Mindestlöhne angeboten; das stimmt. Sie haben aber gesagt, die Koalition dürfe sich beim Thema „Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit“ und deren Bekämpfung nicht bewegen. Die FDP war es, die die Koalition neun Monate festgenagelt hat. Sie verweigern den Menschen ein Leben nach dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. ({9}) Die FDP ist die Blockade- und Dagegen-Partei. Das ist die Wahrheit, Herr Kolb. Wir wollen bessere Bildungschancen für Kinder. Wir brauchen einen fairen Regelsatz, der verfassungsfester ist als das, was Sie vorgelegt haben, und wir brauchen Hubertus Heil ({10}) Fortschritte bei den Mindestlöhnen, die den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ berücksichtigen. Weil wir etwas für die Menschen herausholen wollen, wird Kurt Beck im Bundesrat das Angebot machen, weiter zu verhandeln. Ich sage Ihnen mit Herbert Wehner, Herr Kolb: Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen. - Sie sind rausgegangen. Kommen Sie wieder rein. Dann kommen wir auch zu Lösungen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Kolb, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Heil, ich habe Verständnis dafür, dass Sie sich im Wege der Kurzintervention an mich wenden. Schließlich haben Sie von Ihrer Fraktion keine Redezeit bekommen. ({0}) Zum Stichwort „Gromyko“. Da, wo einem die Argumente ausgehen, fangen die Beleidigungen an. Ich stelle fest, Herr Kollege Heil: Ihnen sind die Argumente ausgegangen. ({1}) Sie sagen, wir seien die Dagegen-Partei. Ich halte dagegen: ({2}) Als wir in die Regierung eingetreten sind, sind wir mit dem, was Sie als Große Koalition beschlossen hatten, sehr verantwortungsvoll umgegangen. Wir haben die Kurzarbeitsregelung, die Sie auf den Weg gebracht hatten, verlängert, da wir dies in der vor einem Jahr noch bestehenden Krisensituation für angemessen und vertretbar hielten. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben wir der Konjunktur einen zusätzlichen Anstoß gegeben. ({3}) Es hat doch einen Grund, dass das Wachstum in Deutschland im letzten Jahr mit 3,6 Prozent deutlich höher ausgefallen ist als in allen anderen EU-Staaten. Im Gegensatz zu anderen Regierungen hat diese Regierung gehandelt. ({4}) Da haben Sie sich verweigert. Da waren Sie die Dagegen-Partei. Sie haben nicht gesehen, dass es notwendig ist, eine aufkeimende Konjunktur zu wässern, damit sie gedeihen kann und damit Arbeitsplätze entstehen. Der Erfolg gibt uns recht; das will ich hier sehr deutlich sagen. Zum Schluss: Sie bringen immer das Argument, wir seien beim Thema Zeitarbeit nicht dabei. Ich will dazu Folgendes sagen: Als Anfang letzten Jahres ein großes deutsches Einzelhandelsunternehmen mit Praktiken auf dem Markt versuchte, Stammbelegschaften durch Zeitarbeiter zu ersetzen, waren es der Kollege Schiewerling und ich von der Koalition, die sofort gesagt haben: Das werden wir nicht mittragen. Dem schieben wir einen Riegel davor. ({5}) Als Sie sich noch mit dem Thema „Mindestlöhne in der Zeitarbeitsbranche“ beschäftigt haben, war es die FDP, die gesagt hat, dass das wichtigere Thema die Frage des Equal Pay sei, also die Heranführung der Entlohnung von Zeitarbeitern an die von Stammbelegschaften. ({6}) Was uns allerdings unterscheidet - Sie von mir, Herr Heil, aber wahrscheinlich auch Ihre Fraktion von meiner Fraktion -, ist, dass wir die Zeitarbeit als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt nicht kaputtmachen wollen. Sie allerdings wären bereit gewesen, dies sehenden Auges in Kauf zu nehmen. ({7}) Diesbezüglich haben wir uns verweigert. Insofern haben Sie an der Stelle recht. Insgesamt kann man sagen, dass wir sehr verantwortlich gehandelt haben. Die Koalition ist in diesen Verhandlungen geschlossen gewesen. ({8}) Sie hat gemeinsame Angebote unterbreitet und ist an die Grenze des finanziell Verantwortbaren gegangen. Es liegt ein sehr gutes Angebot auf Ihrem Tisch. Sie sollten sich überwinden, Ihr Herz über die Hürde werfen, und diesem Paket zustimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Dagmar Enkelmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir in den letzten Wochen im Vermitt10254 lungsausschuss erlebt haben, war ein unwürdiges Gefeilsche und Geschacher. ({0}) Das, was jetzt hier stattfindet, sind politische Schaukämpfe. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben offenkundig kalte Füße gekriegt. Sie wollen den Vermittlungsausschuss vor der Entscheidung im Bundesrat erneut anrufen. Sie stecken gemeinsam mit den Grünen nach wie vor in der Hartz-IV-Falle, und Sie sind nicht bereit, sich aus dieser Falle zu befreien. ({1}) Das Schlimme daran ist allerdings, dass das auf dem Rücken von Langzeitarbeitslosen, auf dem Rücken von Menschen, die für einen Hungerlohn arbeiten und auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind, und auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen, die in Hartz-IV-Familien leben, ausgetragen wird. Das ist schäbig. ({2}) Es geht hier nicht um Sieg oder Niederlage, es geht auch nicht um Paragrafen. Es geht hier um 6,7 Millionen Menschen, um 2,5 Millionen Kinder. Wie Sie mit dem Schicksal dieser Menschen umgehen, ist eine Schande. ({3}) Haben Sie sich schon einmal mit Betroffenen unterhalten? Sie von der FDP haben das wahrscheinlich nicht getan; Sie sehen ja bei jedem Hartz-IV-Empfänger spätrömische Dekadenz. Sie von den Christlich-Sozialen und den Christdemokraten, haben Sie sich einmal mit Menschen unterhalten, die unter solchen Bedingungen leben müssen? - Ich habe bei Matthäus etwas Schönes gefunden: Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt - das ist alles, was das Gesetz und die Propheten fordern. ({4}) Wollen Sie so behandelt werden, wie Sie Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger behandeln? ({5}) Wissen Sie, wie sich diejenigen fühlen, die zum Beispiel am Ende eines Quartals auf einen notwendigen Arztbesuch verzichten, weil sie die Praxisgebühr nicht zahlen können? Wissen Sie, wie sich diejenigen fühlen, die zum Beispiel wegen der Zuzahlung auf notwendige Arzneien verzichten? Wissen Sie, wie es einer Mutter geht - ich weiß nicht, ob Sie einmal ein Gespräch mit einer alleinerziehenden Mutter geführt haben -, die ihrem Kind nicht gestattet, zur Geburtstagsfeier des Klassenkameraden zu gehen, und zwar nicht, weil sie ihrem Kind das nicht gönnt, sondern weil sie die Sorge hat, dass daraus Erwartungen entstehen, ebenfalls eine solche Geburtstagsparty auszurichten, was im Budget aber nicht vorgesehen ist? Erinnern wir uns: Das Bundesverfassungsgericht hat vor mehr als einem Jahr die Berechnung der Hartz-IVRegelsätze für verfassungswidrig erklärt; das war eine schallende Ohrfeige für alle Hartz-IV-Parteien in diesem Parlament. Es hat dem Gesetzgeber den Auftrag gegeben, Transparenz herzustellen und für die Sicherung der physischen Existenz und eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sorgen. Diese Aufgabe stand im Zentrum des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, und diese Aufgabe ist bis heute nicht erfüllt. ({6}) Ich behaupte, dass zu keinem Zeitpunkt wirklich gewollt war, eine verfassungskonforme Regelung zu finden. Gewollt war auch nicht, dass die Linke mit dabei ist. Das ist verständlich; denn die Linke war von Anfang an gegen Hartz IV. Sie hat gesagt: Das ist Armut per Gesetz. Dieses Gesetz ist verfassungswidrig. - Die Linke hat vom Verfassungsgericht recht bekommen. ({7}) Per Mehrheitsentscheidung im Vermittlungsausschuss hat man dann zunächst verhindert - und zwar Sie alle -, dass die Linke in der Arbeitsgruppe mitarbeiten darf. ({8}) Herr Altmaier, dank des Bundesverfassungsgerichts - mal wieder das Bundesverfassungsgericht - mussten Sie dann doch dem Grundgesetz Genüge tun; es hat Sie darauf aufmerksam gemacht. Die Linke war dann bis zum 19. Januar 2011 mit dabei. ({9}) Die Linke hat in der Arbeitsgruppe und in den Unterarbeitsgruppen mitgearbeitet, und wir haben Ihnen den Spiegel vors Gesicht gehalten. Wir haben massenhaft Material, Unterlagen und Forderungen in die Beratungen eingebracht. Darunter war unter anderem eine Berechnung des Statistischen Bundesamtes. Darin wurden die verdeckt Armen herausgerechnet und eine Referenzgruppe nicht der unteren 15 Prozent der Einkommen, wie Sie es wollten, sondern der unteren 20 Prozent der Einkommen gebildet. Allein bei dieser Berechnung kommt das Statistische Bundesamt auf einen Regelsatz von 392 Euro. Das ist deutlich mehr, als Sie von CDU/ CSU und FDP anbieten, und übrigens auch deutlich mehr, als das, was die SPD anbietet. 11 Euro sind genauso ein Schlag ins Gesicht der Langzeitarbeitslosen. ({10}) Wir haben Ihnen eine Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung in Dortmund vorgelegt. Darin geht es um die Kosten einer gesunden Ernährung für Kinder und Jugendliche. Diese Studie kommt zu folgendem Ergebnis - ich zitiere, Herr Präsident -: Bei den 10- bis 12-Jährigen reichen die Regelsätze nicht für eine mittlere körperliche Aktivität; ebenso wie für die 13- bis 14-Jährigen und die 15- bis 18-jährigen Jungen unabhängig vom Aktivitätsniveau. Das heißt, das, was Sie als Regelsatz vereinbart haben, reicht nicht, um Kinder und Jugendliche gesund zu ernähren. Das ist ein Skandal. ({11}) Das war aber für Sie kein Thema in den Verhandlungen. Die Linke hat Vorschläge eingebracht, wie man zu einem verfassungskonformen Regelsatz kommen kann. Wir haben vorgeschlagen, die Referenzgruppe von 15 Prozent auf 20 Prozent zu vergrößern und die Aufstocker und die verdeckt Armen herauszurechnen. Wir haben darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, die Zusammensetzung des Regelsatzes generell zu prüfen. Teilhabe heißt zum Beispiel Mobilität. Das ist mit 18 Euro im Monat nicht zu machen. ({12}) Teilhabe heißt auch gesunde Ernährung. Ich finde, zur Teilhabe gehören auch Schnittblumen. Wenn ich auf einen Geburtstag eingeladen bin, nehme ich wenigstens einen Strauß Blumen mit. Das wollen Sie Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern untersagen. Richtig ist: Wenn man alles zusammengerechnet, dann kommt man auf einen Regelsatz von 500 Euro. Das ist eine Forderung der Linken. ({13}) Aber Sie waren nicht einmal bereit, darüber zu reden. Kritik gibt es auch vom Behindertenbeauftragten der Bundesregierung. Auch das ist einmalig. Herr Hüppe hat die Kürzung des Regelsatzes bei behinderten nichterwerbstätigen Erwachsenen um 20 Prozent kritisiert. Es ist schlicht und ergreifend menschenunwürdig, ausgerechnet bei denen zu kürzen, die ohnehin schon in dieser Gesellschaft benachteiligt sind. ({14}) Die Linke hat in der Arbeitsgruppe und in den Unterarbeitsgruppen immer wieder gemahnt. Das hat Sie in Ihren Kungelrunden gestört. Deshalb haben Sie einen Trick angewendet: Sie haben aus der formellen Arbeitsgruppe eine informelle Arbeitsgruppe gemacht. Damit haben Sie die Linke aus den weiteren Verhandlungen in Ihren Kungelrunden herausgehalten. Besonders verwerflich finde ich etwas, das in den ganzen Debatten keine Rolle gespielt hat. Das Verfassungsgericht hat gefordert, dass der Regelsatz für Kinder und ihr tatsächlicher Bedarf eigenständig berechnet werden müssen. Das Verfassungsgericht hat Ihnen Willkür vorgeworfen. Ein Kind ist nicht mit 60 Prozent eines Erwachsenen gleichzusetzen. Das haben Sie in den Verhandlungen völlig ignoriert. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident. Bei den anderen waren Sie etwas großzügiger, bei mir natürlich nicht. Das ist klar.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nein. Entschuldigen Sie, Frau Kollegin, ich habe die Uhr genau im Blick. Deswegen ist es unverschämt, so zu reagieren. ({0})

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist mir klar, dass Sie da Beifall klatschen. Die Linke ist vor die Tür gesetzt worden. Sie wird aber weiter an der Seite der Hartz-IV-Betroffenen kämpfen. Wir werden Sie weiter daran erinnern, was vom Verfassungsgericht vorgegeben wird. ({0}) Dieses Gesetz wird schneller beim Verfassungsgericht landen, als Sie es ahnen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Enkelmann, ich will Ihnen kurz mitteilen: Sie hatten sieben Minuten Redezeit; Sie haben diese um anderthalb Minuten überschritten. So viel zu Ihrer Behauptung, ich wäre nicht großzügig genug. Das Wort hat nun Kollegin Renate Künast von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, in der bisherigen Debatte hat man eines gemerkt, nämlich dass die Regierung noch nicht verstanden hat, was das Wesen eines Vermittlungsverfahrens in Deutschland ist. ({0}) Wenn man keine Mehrheit hat, gehört es zu einem Vermittlungsverfahren, auf die andere Seite zuzugehen und Mehrheiten zu bilden. ({1}) - Nein. Wer als Bundesregierung für seine Vorhaben und Vorlagen keine Mehrheit hat, muss im deutschen Vermittlungsverfahren auf die Opposition und die Bundesländer zugehen, um eine Mehrheit herzustellen. Das erwarten wir und das erwartet das ganze Land von einer Bundeskanzlerin. ({2}) Das haben Sie offensichtlich nicht verstanden, Frau Merkel. - Offensichtlich hat sie es auch gar nicht nötig, hier zu sitzen. Angesichts der Größe der Aufgabe auch ein beachtlicher Vorgang! ({3}) Wir, Jürgen Trittin und ich, haben Ihnen als Grüne bereits im Dezember des letzten Jahres geschrieben, Frau Merkel: Wir wollen mit Ihnen über die Frage der Umsetzung reden. - Da war schon fast ein Jahr vergangen; denn das Urteil ist vom 9. Februar 2010. Wir haben gesehen, dass Frau von der Leyen es nicht kann. Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, mache ich hier und heute den Vorwurf, dass Sie das ein Jahr lang haben treiben lassen. Das ist die Feststellung. Sie haben sich nicht für das Soziale, haben sich nicht für die Kinder engagiert. ({4}) Ein Jahr lang haben Sie es treiben lassen, und an diesem Dienstag haben Sie es dann - das war offensichtlich Ihr größtes Missverständnis - mit Basta-Politik versucht und schon nachmittags angekündigt, dass abends nichts dabei herauskommt. Wir haben das genau verstanden. Ich will Ihnen an dieser Stelle aber eines sagen: Es ist ersichtlich, dass Frau von der Leyen das nicht kann. Frau von der Leyen hat ein Jahr lang das Urteil vor sich hergeschoben. In diesem Urteil wird eine transparente Berechnung gefordert. Da kam sie mit einer Berechnung nach Kassenlage. In dem Urteil ist von der Ermittlung des tatsächlichen Bedarfs die Rede. Da kam sie mit Kassenlage und rechnerischen Tricksereien. In dem Urteil heißt es: Die Kinder haben einen Anspruch auf Förderung. Sie hätten mit uns schon im Februar oder März letzten Jahres diskutieren können, wie man das technisch macht. Stattdessen haben Sie den Vorschlag über die Jobcenter unterbreitet; die Kommunen mussten die weiße Fahne der Kapitulation hissen, weil das nicht ging. Sie haben es handwerklich miserabel gemacht, Frau von der Leyen, und auch deshalb hat es so lange gedauert. ({5}) Frau von der Leyen erzählt gern, was so alles in diesem Paket drin ist. Entschuldigen Sie bitte, aber Sie haben vergessen, dass die Menschen zum Waschen auch warmes Wasser brauchen. Sie haben einen Vorschlag zum Mittagessen gemacht, bei dem davon ausgegangen wurde, dass in einem Drittel der Schulen, also dort, wo es Kantinen und Mittagessen für Kinder gibt, die Kinder das Essen finanziert kriegen. Aber sobald ein Kind aus der Grundschule in den Hort geht, kriegt es kein Mittagessen mehr. Und da haben sie die Chuzpe, sich mit ausgebreiteten Armen als Engel der Kinder hinzustellen? Nein, das war handwerklich miserabel. Sie haben die Zeit verplempert. ({6}) Ich weiß doch, wie oft Fritz Kuhn mit neuen Zetteln kam und sagte: Wir haben wieder einen Fehler gefunden. Wir haben noch einen Fehler gefunden. Sie, Frau Merkel, haben zugelassen, dass die FDP kam und vorschlug „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit nach neun Monaten“. Meine Damen und Herren, was soll man mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit ab neun Monaten, wenn der Vertrag gar keine neun Monate dauert? ({7}) Das ist Ihnen nicht einmal peinlich. Ich sage Ihnen: Das war im Großen und Ganzen ein verplempertes Jahr. Sie haben einen Vorschlag gemacht, von dem Jürgen Borchert, der Richter am Landessozialgericht Hessen, der das Bundesverfassungsgericht deswegen angerufen hat, schon damals gesagt hat: Die alten Regelsätze sind willkürlich. Zu Ihrem heutigen Vorschlag und Ihrem VA-Ergebnis sagt er: Der Gesetzgeber läuft mit diesem Entwurf erneut ins offene Messer. - Sie werden uns nicht dazu bringen, für so etwas zu stimmen. ({8}) Da können Sie hier noch so engelsgleich stehen. Es ist unsere Pflicht, nicht einfach zu sagen: „Ist mir doch egal; dann schicken wir es wieder nach Karlsruhe“, sondern verfassungsgemäße Entwürfe zu machen. Dazu haben wir Ihnen wiederholt Vorschläge gemacht. ({9}) Sie sagen hier der Stimmung wegen, Mindestlöhne hätten in solchen Verhandlungen gar nichts zu suchen, das sei sachfremd. Ich weiß nicht, ob das an der Stelle eiskalte Kalkulation ist oder Sie es selber wirklich nicht wissen. ({10}) Ich weiß nur, was Herr Laumann sagt, Ihr Mann in NRW, liebe CDUler. Er sagt heute - das geht gerade über die Ticker -: Die Verantwortung für das Scheitern hat die FDP. Er sagt weiter ganz klar: Wer solche Vorschläge macht, wenn es um Mindestlöhne und das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ geht, ist entweder böswillig oder hat keine Ahnung. ({11}) Ich rufe von hier aus Herrn Laumann in NRW zu: Beides trifft zu. Sie sind böswillig und haben keine Ahnung, meine Damen und Herren von der Koalition. ({12}) Warum haben wir entsprechende Vorlagen zu Mindestlöhnen und Regelsätzen in das Gesetzgebungsverfahren - schon im Bundestag - eingebracht? Weil Mindestlöhne und Regelsätze auf das Engste zusammengehören. Wenn sich die Regelsätze an den untersten Einkommen orientieren; dann dürfen diese Löhne nicht weiter sinken. Sonst rechnen wir uns zwangsweise immer weiter nach unten. Aber genau das wollten Sie. Sie kommen dann zwangsweise zu dem Punkt, an dem die Existenzsicherung durch die Regelsätze überhaupt nicht mehr möglich ist. Deswegen sagen wir Nein zu solchen Spielchen. ({13}) Mindestlöhne sind auch deshalb wichtig, weil es inakzeptabel ist - zumindest für uns -, dass der Staat Billiglöhne, die die Menschen aufgrund des Lohndumpings bekommen, aufstocken muss, dass also wir seitens des Staates gezwungen sind, die Folgen des Lohndumpings der Firmen mit Steuermitteln auszugleichen. Meine Damen und Herren von der Union, das ist nicht christlich. Deshalb stimmen wir dem nicht zu. ({14}) Ihr Angebot an die Kommunen ist vergiftet; denn Ihr Gesetzentwurf enthält keine korrekte Berechnung der Kosten der Unterkunft und sieht vor, dass der Bundesagentur für Arbeit 4 Milliarden Euro bei den Arbeitsmaßnahmen gestrichen werden. Sie von der CDU/CSU und insbesondere Frau Merkel sagen immer: Hartz IV soll eine Brücke sein. - Ich stelle mir das so vor: Du gehst als Hartz-IV-Bezieher über die Brücke. In der Mitte sollen die Wiedereingliederung und die Qualifizierung für Arbeit passieren. In der Mitte sollen die Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit wirken. Aber in der Mitte nehmen Sie die Bretter aus der Brücke heraus, indem Sie Geld abziehen. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dem können wir nicht zustimmen. Wir brauchen das Geld für Bildung und Weiterbildung. Frau Bundeskanzlerin, schön, dass Sie mir schon wieder den Rücken zukehren. Ich weiß aber immerhin, wo Sie sind. ({0}) Ich fordere Sie auf, Frau Merkel: Konzentrieren Sie sich auf das Wesen des deutschen Vermittlungsverfahrens! Es ist Ihre Aufgabe - vielleicht werden Sie damit noch groß; ich gönne es Ihnen im Interesse des Landes -, im Vermittlungsausschuss ein Ergebnis zu erzielen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin!

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sind dazu bereit. Wir haben bereits gestern beschlossen, im Bundesrat einen Antrag auf erneute Anrufung des Vermittlungsausschusses zu stellen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es muss doch möglich sein, trotz Regierungsbeteiligung der FDP die Zukunft des Landes zu gestalten. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir erleben heute ein Schauspiel von Rot-Grün und den Linken. Sie zeigen eine große Verweigerungshaltung gegenüber den bedürftigen Menschen in unserem Land. ({0}) Wir als Koalition haben ein Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt, weil uns letztendlich das Bundesverfassungsgericht aufgetragen hat, ein rot-grünes Gesetz zu reparieren und das Ganze in die richtigen Bahnen zu lenken. Aber Sie zeigen eine Blockadehaltung und weigern sich, Ihre damaligen Fehler zu korrigieren. ({1}) Diese Bundesregierung hat mit Frau Bundesministerin von der Leyen an der Spitze erstmals ein Bildungsund Teilhabepaket für die Unterstützung bedürftiger Kinder verabschiedet; wir haben das kreiert. Aber Sie verweigern den Kindern die nötige Unterstützung für die Zukunft und für die schulische Ausbildung. ({2}) Wir haben gesetzeskonforme Regelsätze erarbeitet, die nachvollziehbar und transparent gestaltet sind sowie den Lebensbedürfnissen der Menschen gerecht werden. ({3}) Auch dies ist unser Auftrag gewesen. Sie verweigern aber den Bürgerinnen und Bürgern, die auf Unterstützung und staatliche Leistungen angewiesen sind, die Erhöhung der Regelsätze um 5 Euro pro Monat. ({4}) Sie sind letztendlich die Verweigerer in unserem Land. ({5}) Niemand in unserem Land kann verstehen, dass der Regelsatz von 345 Euro richtig gewesen sein soll, weil er von SPD und Grünen kreiert worden ist, aber dass ein Regelsatz von 364 Euro, der von CDU, CSU und FDP gemeinsam erarbeitet worden ist, falsch sein soll. Das kann meines Erachtens nicht sein. Das werden die Bürgerinnen und Bürger, auch wenn Sie ein noch so großes Wahlkampfgetöse veranstalten, nicht begreifen. ({6}) Es ging bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts darum, dass wir transparente Regelsätze ermitteln. Dies haben wir getan. Deshalb sind Sie aufgefordert, dem zuzustimmen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Strengmann-Kuhn?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Straubinger, Sie waren doch selber bei der Anhörung im Ausschuss und haben die Aussagen der Experten gehört, die, was die Juristen angeht, eindeutig gesagt haben, dass dieser Regelsatz nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Ich könnte lange nachbeten - das haben wir im Ausschuss lange genug gemacht -, an welchen Punkten Sie teilweise willkürliche Berechnungen durchgeführt haben, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht genügten und somit verfassungswidrig waren. Ich weiß nicht, warum Sie hier versuchen, die Bevölkerung für dumm zu verkaufen, obwohl Sie wissen, dass dieser Regelsatz nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht. ({0}) Herr Borchert, einer der Experten, ist eben zitiert worden. Es waren aber noch mehrere anwesend, die genau dasselbe gesagt haben. Sie rennen wieder in ein offenes Messer. Die Regelung wird wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden. Sie haben im Vermittlungsverfahren keinen einzigen Vorschlag gemacht, wie der Regelsatz verfassungsgemäß gestaltet werden kann. Das aber stand im Zentrum des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Sie verstoßen sehenden Auges gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und damit gegen die Verfassung. Das werfen wir Ihnen vor. Wenn Sie sich da nicht bewegen, dann kommen wir nicht zusammen. ({1})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Strengmann-Kuhn, diese Eindeutigkeit konnten wir bei der Anhörung in keiner Weise feststellen. ({0}) - Natürlich. - Im Gegenteil, unsere Darlegung der Regelsätze wurde untermauert. Dass diese Berechnung verfassungskonform ist, war die Ansicht, die bei den Anhörungen geäußert wurde. Während der Verhandlungen im Rahmen des Vermittlungsverfahrens haben weder die SPD noch die Grünen oder die Linke uns darlegen können, dass die Sätze nicht verfassungskonform ermittelt worden wären. ({1}) Das ist die Wahrheit. Deshalb sind Sie die Verweigerer und Blockierer in unserem Land. ({2}) - Herr Strengmann-Kuhn, ich bin noch nicht fertig. Die Erhöhung um 6 Euro, die Sie anstreben, hat in keiner Weise mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu tun. Ihre Darlegungen sind falsch. Bei den Regelsätzen muss man auch sehen, dass die kleinen Leute diese zu bezahlen haben. ({3}) Wenn Sie 6 Euro mehr fordern, dann bedeutet das fast 500 Millionen Euro mehr, die die Verkäuferin, die Arzthelferin und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit kleinen Einkommen mit ihren Beiträgen und Steuern zu berappen haben, die jeden Tag früh aufstehen müssen und arbeiten. ({4}) Dies zeigt sehr deutlich: Sie machen eine Politik gegen den kleinen Mann in unserem Land. Sie sind die Unterstützer der Menschen, die möglicherweise nicht jede Arbeit annehmen wollen. ({5}) Wir arbeiten daran, dass jeder in Arbeit kommt. Wir haben Erfolge zu verzeichnen. Unter Rot-Grün hatten wir 5 Millionen Arbeitslose und Bedürftige, jetzt sind es nur noch 3 Millionen mit fallender Tendenz. Das ist der Erfolg der Bundesregierung unter Angela Merkel. ({6}) Das Entscheidende ist, dass wir die Leute in Arbeit bringen. Nicht die Alimentierung über Steuergelder ist das Entscheidende, sondern die Schaffung von Arbeitsplätzen. Daran arbeiten wir. Sie haben sich zum Beispiel einer Erhöhung des Kindergeldes zum 1. Januar verweigert; damit wären die Familienleistungen verstärkt worden. Sie haben sich steuerlichen Erleichterungen verweigert. ({7}) Alle diese Maßnahmen, die wir zum 1. Januar 2010 in Gang gebracht haben, haben dazu geführt, dass im Jahr 2010 ein Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent erreicht worden ist, viele Arbeitsplätze in unserem Land geschaffen wurden und die Langzeitarbeitslosigkeit abgebaut werden konnte, wodurch die Menschen in unserem Land weniger auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Das ist der Erfolg unserer Bundesregierung. ({8}) Wenn Sie im Zusammenhang mit dem Vermittlungsverfahren Mindestlöhne einfordern, dann muss ich Ihnen sagen: Wir haben dafür gekämpft, dass es mehr Mindestlöhne in unserem Land gibt, ({9}) dass 3 Millionen Menschen in verschiedenen Branchen auf Lohnuntergrenzen setzen können. Wir sind auch bereit, das bei der Zeitarbeit in Gang zu setzen. Aber Sie verweigern sich heute einer Umsetzung der Lohnuntergrenzen in der Zeitarbeit. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pronold?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Straubinger, Ihr Ministerpräsident und Parteivorsitzender hat im Januar in aller Öffentlichkeit und auch gegenüber dem DGB in Bayern versprochen, dass er sich mit aller Kraft dafür einsetzen - und auch die FDP überzeugen - wird, dass die Zeitarbeit so reguliert werden soll, dass nach einer Zeit von vier Wochen das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ zum Tragen kommt. ({0}) Warum stehen Sie heute nicht mehr zu dem Versprechen, das der CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer gegeben hat? Warum haben Sie das in den Verhandlungen nicht durchgesetzt? ({1})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Pronold, erstens ist mir diese Aussage des bayerischen Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden nicht bekannt. ({0}) Zweitens setzen wir in dieser Frage auf die Tatkraft der Tarifpartner. Die Tarifpartner haben zum Beispiel in der Stahlbranche erreicht, dass bereits ab dem ersten Tag Equal Pay für den Einsatz von Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern gilt. Wir sind auch überzeugt, dass letztendlich die Tarifpartner in freier Tarifvereinbarung Verbesserungen mit erarbeiten werden, auch in puncto Equal Pay, gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Ich verstehe Sie nicht, ({1}) die Sie doch immer auch Gewerkschaftsvertreter sein wollen, dass Sie letztendlich den Gewerkschaften ihr Verhandlungsmandat nehmen wollen; denn das wäre ja die Konsequenz Ihres Handelns. ({2}) Das darf nicht sein. Wir sind überzeugt, dass wir mit tatkräftigen Arbeitnehmervertretern besondere Löhne vereinbaren können. Wir sind nicht für Mindestlöhne, sondern wir sind für hohe Löhne für die Menschen in unserem Land. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schlecht von der Linksfraktion?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön. Ich bin immer zur Aufklärung bereit.

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Straubinger, zwei Punkte. Erstens. Können Sie sich, nachdem in den letzten zehn Jahren die gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten durch politische Maßnahmen gerade durch Sie in erheblicher Weise beeinträchtigt worden sind - durch Befristungen, Leiharbeit und Minijobs und vor allen Dingen durch die hier zur Debatte stehenden Hartz-IV-Regelungen -, wirklich vorstellen, dass es möglich sein sollte, die Leiharbeit tarifpolitisch zu regulieren? Denn gerade durch die gesetzlichen Regulierungen sind den Gewerkschaften schwere Knüppel zwischen die Beine geworfen worden. ({0}) Heute hier zu sagen, dass man jetzt noch ein Jahr warten solle und dass dann die Gewerkschaften das bitte schön regulieren mögen, ({1}) ist hochgradig zynisch. ({2}) Die zweite Frage. ({3}) Sie haben ein Jahr gebraucht, um den heutigen Stand zu erreichen, und es ist nichts dabei herausgekommen. Sie haben jetzt wochenlang im Vermittlungsausschuss zusammengesessen. Bei der Bankenkrise hingegen, Ende 2008, haben Sie innerhalb von einer Woche ein riesiges Rettungspaket für die Banken auf den Weg gebracht. Finden Sie es nicht auch hochskandalös, ({4}) dass damals, als es um die Banken ging, alles in fünf, sechs Tagen möglich war, während jetzt auch nach einem Jahr noch nichts herausgekommen ist? Herauskommen müsste ein Regelsatz von 500 Euro; denn das ist der einzige Regelsatz, der sich aufgrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts errechnen lässt und der darüber hinaus menschenwürdig ist. ({5})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dass die Linken in unserem Land gerne Pi mal Daumen rechnen und die Regelsätze nicht nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts berechnen, ist bekannt. Aber das müssen die kleinen Leute bezahlen, die Sie hier nicht vertreten. ({0}) Nicht wir haben ein Jahr lang gebraucht, sondern es war vorher bekannt, dass die Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erst im September bzw. Oktober vorliegen werden. Wir haben den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, diese Regelsätze transparent und vollziehbar zu ermitteln. Deshalb war es notwendig, abzuwarten, bis die statistischen Erhebungen vorlagen. ({1}) Man kann deshalb nicht behaupten, wir hätten zu lange gebraucht, sondern es gab die Vorgabe - die noch von den früheren Arbeitsministern der SPD stammte -, Daten auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zu ermitteln. ({2}) - Bleiben Sie ruhig stehen! ({3}) Sie haben zwei Fragen gestellt. Ich habe erst eine beantwortet. ({4}) Sie werfen uns vor, dass wir zu lange gebraucht hätten, um die Regelsätze zu ermitteln, und jetzt weitere sieben Wochen verhandelt haben. Ich sage Ihnen: Es gehört zu Verhandlungen dazu, dass sich beide Seiten bewegen. ({5}) Wir haben uns bewegt: Beim Bildungs- und Teilhabepaket haben wir fast über 400 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt, damit die Kommunen die Vorhaben umsetzen können. Wir waren bereit, einen Mindestlohn für den Bereich Aus- und Weiterbildung zu kreieren. Wir sind bereit für die Zeitarbeit. ({6}) Wir sind bereit, eine Mindestlohngrenze für das Wachund Sicherheitsgewerbe festzulegen. Wir haben uns in den entscheidenden Fragen bewegt, aber auch die gesammelte linke Opposition muss sich bewegen, statt zu versuchen, ihren gesamten Forderungskatalog durchzusetzen. Wenn Sie darauf anspielen, dass wir innerhalb kürzester Zeit den Sparerinnen und Sparern unter die Arme gegriffen haben: ({7}) Das Bankensystem zu retten, war eine wichtige Aufgabe für die Sparerinnen und Sparer in unserem Land, und zwar nicht wegen der Banken, sondern es ging darum, dass die Ersparnisse der Menschen sicher sind. ({8}) Ich bin noch bei der ersten Frage. - Sie werfen uns vor, dass wir durch die Lösung der Probleme der Zeitarbeit oder anderer Arbeitsverhältnisse die Gewerkschaften ihrer Gestaltungsmöglichkeit beraubt hätten, dabei haben SPD-Minister die Befristungen und andere Maßnahmen beschlossen. Wir haben gar nichts verändert. Sie müssen sich also an die Kolleginnen und Kollegen der SPD wenden und nicht an uns. ({9}) Verehrte Damen und Herren, in all den Wahlkämpfen, die vor uns liegen, ({10}) werden Sie nicht bestehen können, wenn Sie sich darauf kaprizieren, hohe Regelsätze zu haben. Ich bin überzeugt, den Menschen ist es wichtig, in Arbeit zu kommen. Das werden wir mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Spitze, mit unserer Bundesarbeitsministerin und dem Bundeswirtschaftsminister tatkräftig umsetzen, um die soziale Lage der Menschen in unserem Land zu verbessern. Sie hätten heute im Bundesrat die Chance gehabt - möglicherweise haben Sie sie noch -, die soziale Lage der Menschen zusätzlich zu verbessern, wenn Sie unseren Vorschlägen zustimmen würden. Damit wären die Grundlagen für die Menschen gelegt, die in Deutschland am Existenzminimum leben müssen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und die Geduld. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Straubinger, das nennt man Glück: durch Zwischenfragen eine doppelte Redezeit erreichen. ({0}) Das Wort hat nun Kollege Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion. ({1})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle haben jetzt noch einmal die Argumente gehört, aber wir müssen natürlich aufpassen, dass wir hier im Hause nicht das tun, was ein saarländischer Ministerpräsident einmal als Theaterspiel bezeichnet hat. Wir alle wissen, dass im Bundesrat zwischen allen Parteien längst wieder über die Neuaufnahme des Vermittlungsverfahrens verhandelt wird, und das ist auch gut so. ({0}) Auf Antrag von Kurt Beck und anderen ist das zustande gekommen. ({1}) Wissen Sie, wozu ich keine Lust habe? Wir hätten Ihnen eine Niederlage bei der Abstimmung im Bundesrat beibringen können. Das werden wir, wenn das vernünftig läuft, nicht tun, nicht weil wir Ihnen ungern Niederlagen beibringen - ({2}) - Quatschen Sie doch nicht immer dazwischen! Hören Sie doch mal eine Sekunde zu! ({3}) - Gut, okay. Ich habe es versucht. Das ist bei Ihnen offensichtlich nur schwer möglich. Herr Kauder weiß aber, wovon ich rede. Wir dürfen hier kein Vieraugenparlament werden, ({4}) wo wir uns unter vier Augen immer sagen: „Das können wir eigentlich nicht machen; eigentlich müssten wir das anders machen“, es aber dann, wenn das dritte Augenpaar dabei ist, wieder ganz anders machen. Wir wissen doch - jedenfalls die meisten von uns -, dass da draußen in der Öffentlichkeit ein völlig anderer Eindruck entsteht; da hat der Kollege von den Linken schon recht. Der Eindruck da draußen ist, dass wir in wenigen Stunden in der Lage waren, Milliarden zur Bankenrettung zusammenzubringen - wir haben sie gerettet wegen unserer Bevölkerung, nicht wegen der Banken -, ({5}) aber dass wir offensichtlich in Monaten nicht in der Lage sind, für Millionen von Menschen gemeinsam eine Verbesserung zu erzeugen. Wenn wir jetzt erklären, Sie seien schuld, und Sie sagen, wir seien schuld, dann überrascht das die Leute da draußen auch nicht, weil die davon ausgehen, dass wir zu nichts anderem in der Lage sind, als uns gegenseitig zu erklären, was der andere falsch gemacht hat. Unter vier Augen sagen wir: Leute, wir müssen ein Ergebnis erzielen. - Wenn wir heute im Bundesrat bei der Abstimmung gewinnen würden - und wir würden gewinnen -, dann würden wir alle eine große Niederlage erleiden, weil die Menschen draußen sich noch mehr von der Politik abwenden würden. Das ist der Grund dafür, dass wir überhaupt zusammenkommen. ({6}) Darum geht es, dass wir es noch einmal versuchen wollen. Wir hätten das heute hinbekommen - keine Sorge; mit den Ländern, in denen wir an der Regierung beteiligt sind, haben wir das eng abgestimmt -, aber Kurt Beck startet zusammen mit anderen - zum Beispiel, wie ich höre, mit dem CDU-Kollegen aus Sachsen-Anhalt den Versuch, doch noch ein Ergebnis zu erzielen. Frau von der Leyen, es macht doch keinen Sinn, dass Sie hierherkommen und so tun, als sei das alles sozusagen von vornherein dufte gewesen. Sie wissen doch, dass Sie zum Beispiel vergessen hatten, 277 Millionen Euro für Warmwasser in den Regelsatz einzurechnen. ({7}) Sie wissen doch, dass Ihre eigenen Kollegen Ihnen gesagt haben: Du kannst doch nicht wirklich die Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung für die Entscheidung darüber zuständig machen wollen, welche Kinder Nachhilfe bekommen. - Das haben Ihnen Ihre Leute gesagt. ({8}) Ein bisschen mehr Demut bei der Debatte wäre doch angemessen angesichts der Tatsache, dass Ihre eigenen Leute Ihre Vorschläge kassiert haben. Frau von der Leyen, wir sind uns nicht einig darüber, dass nur ein Teil der Kinder ein Mittagessen bekommen soll. ({9}) Wir sind uns nicht einig darüber, dass 10 Euro als Minibetrag für Familien die Familien besserstellen und zu einer besseren Bildung der Kinder beitragen, wie das Ihrer Meinung entspricht. Unsere Richtung ist eine andere. Wir wollen die Schulen und die Kindertagesstätten stärken. Darum geht es, Frau von der Leyen. ({10}) Wir sind uns auch nicht einig darüber, ob die Kommunen tatsächlich eine bessere finanzielle Ausstattung bekommen. Allerdings - das will ich offen sagen -: Wir sind einen großen Schritt weitergekommen bei der Frage: Wie bekommen wir die Finanzierung hin? Lassen Sie uns die nächsten beiden Schritte, die Sie jetzt am Ende nicht mehr gehen wollten, noch machen und wirklich dafür sorgen, dass die Kommunen sicher sein können, dieses Geld zu bekommen. Wir wissen aber auch - das sagen wir wieder nur unter vier Augen -, was passiert, wenn nicht drinsteht, wofür das Geld genutzt werden soll, nämlich für Schulsozialarbeit. ({11}) Nun könnte man sagen: Nein, wenn das dritte Augenpaar dabei ist, dann werden das natürlich alle machen. Ja, viele werden es machen, aber manche haben die Kommunalaufsicht im Haus und werden das Geld nicht in die Schulen geben. Deswegen lassen Sie uns das entsprechend festlegen. Frau von der Leyen, Sie wissen doch auch, dass es nicht stimmt, dass die Debatte um Mindestlöhne oder Leiharbeit hier nicht mit hineingehört. Es geht uns allen doch offensichtlich darum, dass sich Arbeit lohnen muss. ({12}) Aber das erreichen wir nicht dadurch, dass man die Hartz-IV-Sätze möglichst niedrig ansetzt, sondern dadurch, dass Mindestlöhne eingeführt werden. Hier sind wir in der Tat einen großen Schritt weiter zueinandergekommen. Aber warum ziehen Sie nicht eine wirkliche Lohnuntergrenze ein, indem Sie die Mindestlöhne auch im Arbeitnehmer-Entsendegesetz festschreiben? ({13}) Durch das, was Sie jetzt machen, eröffnen Sie wieder neue Schlupflöcher. Und Sie wissen doch, was dann passiert: Die Menschen, denen wir etwas versprochen haben, erleben in der Realität etwas ganz anderes, und nicht die Unternehmer, die diese Schlupflöcher nutzen, werden dann am Pranger stehen, sondern die Politik ist wieder schuld, weil sie etwas versprochen hat, was nicht eingehalten wird. Deshalb brauchen wir ein besseres Gesetz beim Mindestlohn. ({14}) Es sind nur noch wenige Meter, die wir da gehen müssen. Das muss doch zu schaffen sein, verdammt noch mal! ({15}) Da Sie von der FDP ja nun gar nicht wollen, dass wir da zueinanderkommen, zitiere ich einmal aus einer heutigen Meldung. Vielleicht ist es ja so möglich, bei Ihnen Nachdenklichkeit zu erzeugen. Da steht, dass Sie das Hauptproblem der Verhandlungen gewesen sind. Wie sehr sich die FDP da verrannt hat, wird zum Beispiel daran deutlich, dass Ihnen, Herr Kolb, der Spitzname Gromyko gegeben wurde, weil Sie in den Verhandlungen im Wesentlichen immer „Njet“ gesagt haben. ({16}) - Na gut, Herr Goldmann, dann zitiere ich eben die FDP selber. Vom schleswig-holsteinischen Sozialminister, der zugleich auch stellvertretender Ministerpräsident ist und Ihrer Partei angehört, heißt es dort: Dabei würde er es sehr begrüßen, wenn sich die FDP in den Streitfragen zur Lohnuntergrenze und zur gleichen Bezahlung von Stammbelegschaften und Leih- und Zeitarbeitern „weniger dogmatisch als bisher zeigen würde“. ({17}) Weiter heißt es - hören Sie genau zu; es geht um Ihren Sozialminister -: Garg hob hervor, dass es sozial- und gesellschaftspolitisch richtig sei, für die Zeitarbeit eine Lohnuntergrenze vorzuschreiben. ({18}) - Nein, es gibt Ausnahmetatbestände, die Sie hereinverhandelt haben. Wenn Sie schon nicht auf die Sozialdemokraten hören, dann hören Sie wenigstens auf Ihren Koalitionspartner: Herr Laumann, der Bundeschef der CDU-Arbeitnehmerschaft, wies der FDP unterdessen eine Mitverantwortung für das Scheitern der Hartz-IV-Einigungsgespräche zu. Wer wie die FDP eine gleiche Bezahlung für Leiharbeiter erst nach neun Monaten wolle, sei entweder „böswillig oder hat keine Ahnung“ … Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren. ({19}) Lassen Sie uns also offen miteinander umgehen. Wir haben uns jetzt noch einmal gegenseitig gezeigt, wie gut wir reden können. Unsere Rednerin war, wie ich finde, die bessere. ({20}) Sei es drum. Darum geht es nicht. Lassen Sie es uns offen sagen und dem Bundesrat zurufen: Wir halten es für richtig, dass ihr dort miteinander, egal welcher Regierung ihr angehört, das Vermittlungsverfahren wieder eröffnen wollt! ({21}) Wir finden es richtig, dass nicht aufgehört wird, eine Lösung zu suchen! Wir finden es richtig, dass wir alle drei Teile, bei denen wir ja kurz vor einer Lösung stehen, zueinanderbringen! - Wir können damit der Bevölkerung zeigen, dass wir mehr können, als uns zu streiten. Die Landtagswahlen werden zeigen, dass das uns allen guttut. Wenn wir das jetzt nicht machen, dann werden wir alle bei den Landtagswahlen bestraft, weil sich die Leute von uns abwenden. Das ist der Grund, warum wir wieder verhandeln wollen, meine Damen und Herren. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Birgit Homburger für die FDPFraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch einmal festhalten, dass wir in diesem Verfahren ein weitreichendes Angebot gemacht haben. Für all diejenigen, die uns hier zuhören und die es nicht so ermessen können wie diejenigen, die im Verfahren drinstecken, möchte ich es noch einmal an einer Zahl verdeutlichen: Wenn man alles zusammenrechnet - das Bildungspaket, die Grundsicherung und das, was bei Hartz IV gemacht werden soll -, dann kommt man auf eine Summe von 7 Milliarden Euro jährlich. Das haben wir angeboten. ({0}) Frau Schwesig hat vorhin in ihrer Rede hier gesagt, die Ministerin habe sich hier im Klein-Klein verloren. ({1}) Sehr verehrte Frau Schwesig, wenn Sie sich das noch kurz anhören würden? ({2}) Sie haben es offensichtlich nicht nötig, zuzuhören. ({3}) Aber ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Offensichtlich hat Frau Schwesig kein Verhältnis zu dem Geld, das die Bürgerinnen und Bürger hart erarbeiten müssen. Das sind keine Peanuts; das ist ein Riesenangebot. ({4}) Herr Gabriel, wir wollen ein Ergebnis. Ich begrüße ganz ausdrücklich das, was Sie vorgetragen haben, und dass Sie jetzt zur Vernunft kommen wollen. ({5}) Wir wissen, was im Augenblick im Bundesrat verhandelt wird. Im Bundesrat wird momentan darüber gesprochen, dass der Vermittlungsausschuss nur noch aus einem einzigen Grund angerufen wird, nämlich wegen der Sonderbedarfe. ({6}) Das ist ein entscheidender Punkt. Selbst Herr Kurth von den Grünen kritisiert die eigene Verhandlungsführung und sagt: Wir haben die Verhandlungen mit sachfremden Forderungen überfrachtet. ({7}) Wenn Sie die sachfremden Forderungen weggenommen hätten, hätten wir schon längst ein Ergebnis erreicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Kollegen Schlecht von der Fraktion Die Linke?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte. ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Homburger, ich möchte auf einen Punkt eingehen, den Sie bei der Auflistung Ihres wunderbaren Pakets gerade gar nicht erwähnt haben: Das ist die in der Tat absolute Blockade der FDP in der Frage der Leiharbeit. Gerade in Baden-Württemberg gibt es jetzt wieder einen Aufschwung. In diesem Aufschwung hat allerdings die Leiharbeit massiv um sich gegriffen. Wissen Sie eigentlich, dass zum Beispiel Daimler in Untertürkheim heute zwar wieder die Beschäftigtenzahl wie vor der Krise hat, dass aber heute 800 Leiharbeitnehmer mehr in diesem Betrieb beschäftigt sind und dass dort wegen der Leiharbeit Vollzeitarbeitsplätze vernichtet worden sind? Das ist wirklich menschenunwürdig. Ähnliche Beispiele könnte man in vielen anderen Betrieben bei uns im sogenannten Musterländle finden. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich würde Ihnen anraten, sich einmal anzuschauen, wie das in den Betrieben in den letzten Jahren gelaufen ist und wie das jetzt läuft. Wenn Sie sich mit der Realität befassen würden, würden Sie nämlich feststellen, dass in den letzten Jahren, wenn es einen Aufschwung gab, zunächst über Zeitarbeit eingestellt wurde. Die Zeitarbeitnehmer hatten dann über diese Brücke eine Chance auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Wer diese Brücke wie Sie einreißen will, der handelt unsozial. ({0}) Es bleibt festzuhalten: Wir haben mit über 12 Milliarden Euro für die Kommunen in den Jahren 2012 bis 2015 ein weitreichendes Angebot gemacht. ({1}) Sie verhindern das Bildungspaket. Sie verhindern die Entlastung der Kommunen durch überzogene Forderungen beim Regelsatz. Das ist die Wahrheit. Deswegen muss das hier noch einmal festgestellt werden. ({2}) In allen anderen Punkten haben wir Kompromisse gefunden. Aber am Ende sind die Verhandlungen an Ihren überzogenen Forderungen beim Regelsatz gescheitert. ({3}) Wir haben vom Bundesverfassungsgericht den Auftrag erhalten, den Regelsatz transparent neu zu regeln. Genau diesen Auftrag haben wir wahrgenommen. Wir haben zum ersten Mal ein transparentes Regelwerk vorgelegt. Ich halte an dieser Stelle noch einmal fest, dass auch Sie von der SPD nicht mehr sagen, dass das nicht richtig sei. Im Gegenteil: Sie haben offensichtlich akzeptiert, dass unsere Berechnungen absolut verfassungsfest sind. ({4}) Auch Sie reden nicht mehr davon, dies verfassungsfest zu machen. Sie reden nur noch darüber, dass man es verfassungsfester machen muss. Ich sage Ihnen: Entweder ist eine Regelung verfassungsfest, oder sie ist es nicht. Ich sage: Sie ist verfassungsfest. Deswegen bleiben wir bei den 5 Euro! ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, von der SPD und von den Grünen, wer den Aufschwung über Hartz-IV-Sätze organisieren will, der liegt daneben; der vergisst, dass all das, was wir hier ausgeben, von den Bürgerinnen und Bürgern erst einmal erwirtschaftet werden muss. ({6}) Bildung ist die soziale Frage unserer Zeit. Deshalb haben wir als Koalition erstmals ein Bildungspaket für Kinder auf den Weg gebracht. Dies sind die von der SPD und von den Grünen vergessenen Kinder, weil Sie bei Hartz IV seinerzeit kein Bildungspaket auf den Weg gebracht haben. ({7}) Wir haben erstmals ein solches Paket gemacht. ({8}) Wer heute das Riesenangebot ablehnt, das wir auf den Tisch legen - es enthält auch eine Grundsicherung, von der Kommunen profitieren -, der versündigt sich an den Kommunen. Ab heute ist jedes Schlagloch einer kommunalen Straße ein rot-grünes Schlagloch; das müssen Sie wissen. ({9}) Meine Damen und Herren, wir sind an einem Ergebnis interessiert. Wir haben hier ein großartiges Angebot auf den Tisch gelegt. Ich kann Sie nur auffordern: Nehmen Sie dieses Angebot endlich an! Es ist ein Angebot für einen verfassungsfesten Hartz-IV-Regelsatz, ein Angebot für ein Bildungspaket für Kinder, wie es noch nie in der Bundesrepublik Deutschland da war, und ein Angebot für Mindestlöhne.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich bin gleich so weit. - Wir haben auch bei den Mindestlöhnen ein Angebot gemacht. Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Alles, was Sie dort gefordert haben, haben wir als FDP Ihnen in den Verhandlungen zugestanden. Deshalb halte ich fest: Wenn das Gesetz jetzt scheitert, dann scheitert es an Ihren überzogenen Forderungen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen wirklich zum Ende kommen.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir fordern Sie auf, im Bundesrat genau das zu tun, was Sie jetzt gesagt haben, nämlich sich auf einen Punkt zu konzentrieren. Wenn wir das tun, werden wir gemeinsam zu einem Ergebnis kommen. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Peter Altmaier für die CDU/CSU-Fraktion.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist richtig, was Herr Gabriel sagt, dass genau in dieser Stunde im Bundesrat Ministerpräsidenten der CDU und Ministerpräsidenten der SPD gemeinsam versuchen, ein Scheitern dieses Gesetzesprojektes zu verhindern. Ihre eigenen Ministerpräsidenten haben erkannt, dass das, was Ihre Redner - Frau Schwesig, Herr Heil, Frau Künast - heute Morgen an die Wand fahren wollten, ({0}) was sie in Grund und Boden verdammt haben, ein gutes Vorhaben ist und es sich lohnt, dieses Vorhaben zu retten. ({1}) Deshalb werden wir ungeachtet aller Polemik dafür sorgen, dass dieses Gesetz in absehbarer Zeit in Kraft tritt. ({2}) Lassen Sie mich einen Satz zum Argument der Verfassungswidrigkeit sagen - es wurde immer wieder das Wort „verfassungsfest“ verwendet -: ({3}) CDU und CSU tragen seit fünf Jahren Verantwortung in der Bundesregierung; es ist in Karlsruhe noch kein einziges Gesetz aufgehoben worden, für das ein CDU- oder CSU- oder FDP-Minister in dieser Zeit federführend verantwortlich war. Alle Gesetze, die aufgehoben worden sind - Luftsicherheitsgesetz, Zuwanderungsgesetz und Hartz IV -, waren Gesetze, für die die rot-grüne Koalition verantwortlich gezeichnet hat. ({4}) Sie wurden für verfassungswidrig befunden, weil sie juristisch und inhaltlich schlecht gemacht waren. Wir haben von Ihnen, schon gar nicht von der Linken, keine verfassungsrechtlichen Belehrungen nötig. ({5}) Das, was auf dem Tisch liegt, ist ein Paket, das die Kommunen in einer Art und Weise entlastet, wie es in den letzten 15 Jahren nicht geschehen ist. Lesen Sie nach, was der Präsident des Deutschen Landkreistages, Herr Duppré, heute Morgen erklärt hat: Er hat an den Bundesrat appelliert, dem Gesetz zuzustimmen, weil er erkennt, dass es der erste Versuch ist, die Gemeinden strukturell so zu entlasten, dass sie ihren originären Aufgaben wieder besser nachkommen können. Dies war unser Vorschlag; wir haben ihn eingebracht. Sie haben so getan, als sei das eine Nebensächlichkeit. ({6}) Ein weiterer Punkt. Das, was Ursula von der Leyen vorgelegt hat, was wir nach Reparatur Ihres schlechten Gesetzes auf den Weg gebracht haben, ist sozialpolitisch beispielhaft und richtungsweisend. Wir haben dafür gesorgt, dass es im Bereich der Bildung ein kohärentes Paket für die Kinder gibt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Künast?

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Altmaier, Sie haben den Präsidenten des Deutschen Landkreistags zitiert. Ich habe einen Brief vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Darin steht im Gegensatz dazu: Der behaupteten Entlastung der Kommunen von rund 12 Milliarden Euro in den Jahren 2012 bis 2015 stehen somit Belastungen in ähnlicher Größenordnung in den Jahren 2011 bis 2015 gegenüber. Die Zahlen machen deutlich, dass der von Bundesseite vorgelegte Vorschlag für uns - den Deutschen Städte- und Gemeindebund nicht akzeptabel ist. Was sagen Sie denn dazu?

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Künast, Sie sollten ehrlich sein und auch das Datum dieses Briefes vorlesen. Dann werden Sie feststellen, dass er geschrieben worden ist, bevor wir unser Paket im Vermittlungsausschuss beschlossen haben. ({0}) Alle Äußerungen nach diesem Zeitpunkt sind positive Äußerungen. Je länger diskutiert wird, desto mehr spricht sich herum, was in diesem Paket enthalten ist. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert von der Fraktion Die Linke?

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Altmaier, Sie sprachen gerade davon, dass es eine sozialpolitisch vorbildliche Leistung sei, die Sie abliefern wollen. Können Sie mir bitte sagen, worin das Vorbildhafte besteht, wenn bei erwachsenen behinderten Menschen, die nicht erwerbsfähig sind, 20 Prozent des Regelsatzes einfach so weggenommen werden? Das sind nach alter Rechnung 68 Euro und nach neuer Rechnung 73 Euro. Können Sie mir sagen, inwiefern das eine sozialpolitisch vorbildliche Leistung sein soll? ({0})

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Seifert, wir haben ein Gesamtpaket vorgelegt. Wir haben wochenlang im Vermittlungsausschuss darüber verhandelt. Weder die Kollegen von den Grünen noch die Kollegen von der SPD haben in diesen Wochen diesen Punkt thematisiert. ({0}) Ich sage Ihnen aber zu, weil ich die Arbeit und die Argumente des Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe sehr schätze - er ist ein seriöser Mensch, der sich diese Dinge genau überlegt hat -, ({1}) dass wir das bei nächster Gelegenheit prüfen und gegebenenfalls korrigieren werden. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, es gibt weitere Zwischenfragen.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Ferner und dann Kollegin Hagedorn.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Altmaier, habe ich recht, wenn ich sage, dass ich Sie in der ersten bzw. zweiten Runde der Unterarbeitsgruppe nochmals, nachdem wir das Thema in allen Vermittlungsrunden schon angesprochen hatten, darauf aufmerksam gemacht habe, dass in der Regelbedarfsstufe 3 eine Kürzung für diejenigen vorgesehen ist, die nicht erwerbsfähig sind und mit anderen Erwachsenen in einem Haushalt zusammenleben? Habe ich Sie auf den Brief des Behindertenbeauftragten verwiesen, oder leiden Sie, Kollege Altmaier, an Gedächtnisverlust? Die zweite Frage, die ich stellen möchte: Geben Sie mir recht, dass der Gesetzentwurf, dem Sie und die gesamte Koalition im Bundestag zugestimmt haben, einen Fehler enthält, weil weder im Regelsatz noch bei den Kosten der Unterkunft Mittel dafür vorgesehen sind, dass Haushalte ihr Warmwasser mit Strom bereiten? Geben Sie mir recht, dass das Gesetz, das Sie mit Ihren Stimmen hier im Bundestag beschlossen haben, schon allein deshalb verfassungswidrig ist?

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Ferner, ich kann Ihnen, da wir gemeinsam in einer Unterarbeitsgruppe waren, bestätigen, dass Sie dort stundenlang all das an Forderungen vorgelesen haben, ({0}) was Sie in den letzten zehn Jahren gegenüber Ihren eigenen Finanz- und Sozialministern zu keinem Zeitpunkt durchsetzen konnten. Sie haben uns eine Weihnachtswunschliste, ein Sammelsurium präsentiert. ({1}) In der allerletzten Sitzung, in der informellen Runde - da waren Sie nicht mehr dabei, aber die Kollegin Schwesig war dabei -, in der wir versucht haben, Lösungen zu finden, haben Sie Forderungen im Wert von 3 Milliarden Euro auf den Tisch gelegt. In welcher Zeit leben wir eigentlich? Wir haben gemeinsam eine Schuldenbremse im Grundgesetz vereinbart. Wir haben enge Finanzierungsspielräume bei den Kommunen, bei den Ländern und beim Bund. ({2}) Wir müssen vielen Bürgerinnen und Bürgern, Facharbeitern, Beamten, Angestellten, Einschränkungen zumuten, und Sie tun so, als ob wir es hier mit einem finanzpolitischen Wunderland zu tun hätten, in dem man die Milliardenforderungen nur aneinanderzureihen braucht. Sie sind aus der Zeit gefallen. Sie werden erleben, dass Sie damit keine Wähler für die SPD zurückgewinnen. Sie werden höchstens noch mehr Wähler den Linken in die Arme treiben. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, die Kollegin Hagedorn möchte eine letzte Zwischenfrage zu dieser Rede stellen.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Altmaier, wir sind uns darüber einig - ich glaube, alle in diesem Haus -, dass die Kommunen dringend auf Entlastung warten. Wir alle wollen ihnen diese geben. Stimmen Sie mir zu, wenn ich das Angebot gerade aus kommunaler Sicht als vergiftetes Angebot bezeichnen würde? Stimmen Sie mir zu, dass Sie planen, bis 2015 bei der Bundesagentur für Arbeit 15 Milliarden Euro als Gegenfinanzierung für die Besserstellung der Kommunen zu kürzen? Stimmen Sie mir weiterhin zu, dass diese Koalition bereits mit ihrem Sparpaket zusätzlich 10 Milliarden Euro für aktivierende Arbeitsmarktpolitik bei der Bundesagentur für Arbeit bis 2014 streichen will? Können Sie diesem Haus vielleicht erklären, wie dann der Anspruch, der vorhin von Ihrer Seite formuliert worden ist, dass Sie Menschen in Arbeit bringen wollen, mit einem Minus von 24 Milliarden Euro in den nächsten Jahren verwirklicht werden soll?

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Hagedorn, zunächst einmal stimme ich Ihnen zu, dass wir die Kommunen in den nächsten Jahren um über 15 Milliarden Euro netto entlasten werden. ({0}) Das ist die größte Entlastung der Kommunen, die es in den letzten Jahren gegeben hat. Ich freue mich, dass das heute zum ersten Mal ein Vertreter der Opposition gesagt und anerkannt hat. Deshalb sollten Sie dem auch zustimmen. ({1}) Der zweite Punkt ist: Es ist richtig - wir haben das in der Protokollerklärung der Bundesregierung im Bundesrat auch gesagt -, dass wir einen Teil dieser Entlastung durch einen halben Mehrwertsteuersatzpunkt finanzieren werden, der der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellt worden war. Das können wir deshalb tun, ohne dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung steigen, ohne dass es zu Engpässen kommt, weil es uns seit Übernahme der Bundesregierung durch Angela Merkel gelungen ist, die Arbeitslosenzahl von 5 Millionen unter Gerhard Schröder auf unter 3 Millionen zu senken. Wir werden diese Politik in den nächsten Jahren fortsetzen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der entscheidende Punkt, warum wir am Sonntagabend und am Dienstagabend nicht zu einem Ergebnis gekommen sind, bestand darin, dass der Kollege Kuhn von den Grünen und die Kollegin Schwesig von der SPD in vielem mit uns einer Meinung waren, aber am Ende sagten: Wir bestehen darauf, dass es zu einer Erhöhung des Regelsatzes kommt, egal auf welche Weise und egal in welcher Form. Das hat deutlich gemacht, dass es Ihnen nicht um gute Lösungen gegangen ist, sondern um Ideologie. ({3}) Der Kollege Kuhn hat einen Vorschlag präsentiert, der ungefähr so aussieht. Er hat gesagt: Wir erhöhen den Regelsatz durch die Erhöhung der Grundgesamtheit um etwa 17 Euro. Dann kürzen wir den Regelsatz wieder um 17 Euro, weil wir den Leuten weniger Geld für Mobilität geben. Dann sagen wir den Leuten, dass sie sich die Mittel für die Mobilität wiederholen können, indem sie zum Amt gehen und einen Antrag stellen. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das können Sie niemandem erklären. Aber ich kann Ihnen erklären, dass allein mit diesem Vorschlag Mehrkosten von 1,1 Milliarden Euro verbunden wären. Dies ist es mir nicht wert, Ihren ideologischen Steckenpferden gerecht zu werden, nur damit wir gute Lösungen, die wir haben - 23 Euro für Mobilität für jedermann -, dann auch noch verschlechtern. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben in dieser ganzen Verhandlungsrunde eines gezeigt: dass Sie selbst nicht mehr hinter dem stehen, was als eine der wenigen positiven Errungenschaften aus der Zeit der rotgrünen Koalition übrig geblieben ist. Die Agenda 2010, Herr Kollege Steinmeier, die auch mit Ihr Werk war, hat mit dazu beigetragen, dass wir in der Arbeitsmarktpolitik zu einer grundlegenden Trendwende gekommen sind, dass heute mehr Menschen in Brot und Arbeit sind als jemals zuvor, dass wir heute über 40 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte haben. ({6}) Aber es gibt einen großen Teil Ihrer Fraktion, dem die ganze Richtung nicht passt. Sie haben all Ihre Bedenken und all Ihren Unmut gegen diese Agenda und gegen diese Reform, die ein Kernstück der Agenda war, benutzt, um die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss zu überfrachten, zu überladen, finanziell maßlos zu machen. ({7}) Deshalb war es richtig, dass wir die Notbremse gezogen haben, dass wir gesagt haben: Wir beenden dieses Vermittlungsverfahren an dieser Stelle und sorgen dafür, dass Vernunft in die Debatte einkehrt. Immerhin: Der Kollege Gabriel scheint es bemerkt zu haben; denn sein Angebot, jetzt noch einmal ruhig und sachlich zu reden, ist genau das, was wir die ganze Zeit über als Angebot gemacht haben. ({8}) Ich sage Ihnen: Wir können in den nächsten Tagen und Wochen dazu beitragen, dass wir zu einer Lösung kommen, die den Betroffenen schnell und unproblematisch ihre Ansprüche bei der Erhöhung des Regelsatzes um 5 Euro und beim Bildungspaket zugutekommen lässt. Das Einzige, was Sie tun müssen, ist, dass Sie von Ihren ideologischen Maximalforderungen abgehen und bereit sind, ({9}) anzuerkennen, dass das Paket, das wir auf den Tisch gelegt haben, ein gutes Paket ist, das den Menschen hilft, das den Kommunen hilft und das deshalb möglichst schnell in Kraft gesetzt werden sollte. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu zwei Kurzinterventionen nacheinander erteile ich dem Kollegen Fritz Kuhn und dann der Kollegin Ulla Schmidt.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Altmaier, nach sechs, sieben Wochen Verhandlungen war das jetzt, finde ich, unter Ihrem Niveau. ({0}) Sie waren in den Verhandlungen differenzierter als gerade hier. Ich möchte klar sagen: Was die Verhandlungen so schwierig gemacht hat, war, dass Schwarz und Gelb, vor allem getrieben von der FDP, keine konkreten Kompromissvorschläge mehr gemacht haben, ({1}) sondern immer nur gesagt haben: Es gilt der Gesetzentwurf, über Weiteres reden wir nicht. Die FDP hat sogar Zickzackverhandlungen geführt. ({2}) Beim Thema Equal Pay wollte sie erst neun Monate, dann hat der Generalsekretär, der die Verhandlungen aus dem Hintergrund immer kommentiert hat, plötzlich sechs Monate gesagt. ({3}) Zwei Tage später sprach man wieder von neun Monaten. ({4}) Wenn es um Seriosität und Maximalforderungen geht, schauen Sie von Ihnen aus gesehen nach links. Dort sitzt die FDP; wir sitzen dort nicht. ({5}) Wir haben im Unterschied dazu in einer nicht enden wollenden Kette bis zur Schmerzgrenze immer neue Kompromissvorschläge gemacht, ({6}) weil wir wissen, dass Vermittlungsverfahren im deutschen System keine Veranstaltungen für Maximalforderungen sind, sondern dass man dort Kompromisse eingehen muss. Was Sie uns nicht absprechen können, Herr Altmaier, ist, dass wir die Frage stellen und gestellt haben, ob die Regelsatzermittlung im Gesetzentwurf wirklich den Auflagen des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Wir sind der Überzeugung, dass dies nicht so ist und dass man da etwas verbessern muss. Denn Sie haben die Vergleichsgruppe, nach der der Regelsatz neu bestimmt wird, zuerst systematisch nach unten arm gerechnet, indem Sie statt der untersten 20 Prozent die untersten 15 Prozent der Einkommen betrachten, indem Sie die verdeckten Armen - entgegen der Auflage des Bundesverfassungsgerichts - nicht herausgerechnet haben und indem Sie auch die Aufstocker nicht herausgerechnet haben. In einem zweiten Schritt haben Sie die Grundlagen der Statistikmethode untergraben, indem Sie bei sehr vielen Einzelposten gekürzt haben oder sie ganz abgeschafft haben. Daher rühren die Rechtsbedenken - nicht nur von uns, sondern auch von vielen Verfassungsexperten in Deutschland -, ob dieser Gesetzentwurf verfassungskonform ist. Werden Sie uns absprechen wollen, dass wir nicht bereit sind, Gesetze zu unterstützen, die wir für verfassungswidrig halten? Sie als Verfassungsrechtler, Herr Altmaier, glauben das doch, wenn Sie in den Spiegel sehen, ehrlich nicht. ({7}) Einen zweiten Punkt möchte ich ansprechen. Sie reden jetzt von dem großzügigen Angebot an die Gemeinden. In der Tat sollen die Gemeinden, wenn ich alles, was gegenzurechnen ist, abziehe, 1,7 Milliarden Euro erhalten. Die Kosten der Grundsicherung, die sie gerade tragen, liegen bei 3,5 Milliarden Euro. Sie müssen aufgrund des alten KdU-Streits auf etwa 1,8 Milliarden Euro verzichten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Kuhn, Sie müssen zum Ende kommen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Ich bin gleich am Ende. ({0}) Das macht netto 1,7 Milliarden Euro. Klar ist doch, dass dieses Angebot mit dem Verhandlungsgegenstand nichts zu tun hat. Sie haben einfach nebenher das Angebot von jährlich 1,7 Milliarden Euro für die Kommunen auf den Tisch gelegt und werfen uns vor, dass wir finanzpolitische Maximalforderungen stellen. Sie haben versucht, uns vor das Kanonenrohr zu schieben

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ich bin sofort fertig - und vor die Alternative zu stellen: Bist du für die Hartz-IV-Empfänger oder für die Gemeinden? Wir sagen: Wir sind für die Hartz-IV-Empfänger und für die Gemeinden. Diese Nummer geht mit uns wirklich nicht. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die zweite Kurzintervention sollten wir vorne weg zulassen. Kollegin Schmidt, bitte. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil der Kollege Altmaier nach meiner Auffassung sehr unzureichend oder überhaupt nicht auf die Fragen geantwortet hat, die der Kollege Seifert und auch die Kollegin Ferner gestellt haben. ({0}) Ich habe in der letzten Woche eine Werkstatt für Behinderte besucht. 400 geistig schwerbehinderte Menschen arbeiten dort acht Stunden pro Tag ihren Fähigkeiten entsprechend. Etwa 200 von ihnen wohnen zu Hause bei ihren Eltern, die anderen circa 200 in Einrichtungen und Heimen, auch in solchen der Lebenshilfe. All diesen 400 Menschen sagt diese Regierung: Ihr bekommt den Regelsatz um 20 Prozent gekürzt. - Alle 400 sind dauerhaft erwerbsunfähig. Hier geht es nicht darum, Maximalforderungen zu erheben. Es geht auch nicht darum, Ansprüche auszuweiten. ({1}) Sie verringern mit Ihrem Gesetz den bestehenden Anspruch darauf, dass ein über 25-Jähriger, der zu Hause oder in einer Wohngemeinschaft lebt, gleichbehandelt wird, egal ob er im Hartz-IV-Bezug oder im SGB-XIIBezug ist, wenn er dauerhaft erwerbsunfähig ist. Das ist eine Schande, und das hat mit Sozialpolitik nichts mehr zu tun. ({2}) Darauf würde ich gerne eine Antwort von Ihnen hören. Das Bundessozialgericht hat gesagt: Es gibt keinen Grund für ein unterschiedliches Existenzminimum für beide Gruppen. Frau von der Leyen hat mir als Antwort auf meine Frage geschrieben: Wir halten das Gerichtsurteil für falsch, und deshalb ändern wir das Gesetz. Ich sage Ihnen: Da es hier um Ansprüche geht, können Sie doch nicht erwachsenen behinderten Menschen, die zu Hause leben und deren Eltern besondere Erschwernisse haben - sie müssen ihr Leben lang viel geben, um für ihre Kinder, auch wenn sie erwachsen sind, da zu sein -, sagen: Ihr braucht nur noch 80 Prozent des Regelsatzes. Weil diese Menschen nur noch 80 Prozent des Regelsatzes bekommen, sagen Sie gleichzeitig - so Frau von der Leyen in ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen, die wir ihr gestellt haben -, dass auch die Leistungen für Mobilitätshilfe und die Leistungen für besondere Förderungen sich in Zukunft nur noch auf 80 Prozent des Regelsatzes beziehen und nicht mehr auf 100 Prozent. Wenn Sie weiterhin von „sozial“ sprechen und das Soziale überhaupt noch für sich in Anspruch nehmen wollen, dann fordere ich Sie auf: Nutzen Sie die Chance eines neuen Vermittlungsverfahrens, und nehmen Sie diese Regelung als allererste zurück! Dafür haben die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land auch Verständnis. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Altmaier, bitte.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Schmidt, Sie waren bei den Verhandlungen nicht dabei. ({0}) Ich habe vorhin gesagt: Ich kann mich nicht an jedes einzelne Detail erinnern, das die Kollegin Ferner erwähnt hat. Ich bin aber gerne bereit, zuzugestehen, dass sie es so, wie sie es geschildert hat, vorgetragen hat. Ich saß in den entscheidenden Verhandlungsrunden mit Frau Schwesig, Herrn Oppermann und Herrn Kuhn an drei Tagen und in drei Nächten zusammen. Wir haben über 100 verschiedene Punkte gesprochen. Dieser Punkt ist von SPD und Grünen in dieser Chefrunde kein einziges Mal thematisiert worden. ({1}) Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie, wenn Ihnen dieser Aspekt nicht wert ist, in den Verhandlungen thematisiert zu werden, vor dem Forum der Öffentlichkeit so tun, als sei dies aus Ihrer Sicht der wichtigste Punkt der gesamten Veranstaltung gewesen. ({2}) Herr Kollege Kuhn, auch Sie waren in den Verhandlungen ein sachlicher und ein fairer Partner. Aber Sie sollten das, was vom Bundesrat beschlossen wird, genau lesen. Wenn Sie sagen, der Entlastung der Kommunen bei der Grundsicherung stünden Mehrbelastungen von 1,8 Milliarden Euro bei den KdU entgegen, dann dürfen Sie nicht vergessen, dass wir noch am Mittwoch die Protokollerklärung so geändert haben, dass in Zukunft eine Berechnung nach Istkosten erfolgt. Das hat große Freude bei den Kommunen und erhebliche Sorgen beim Finanzminister ausgelöst. Aber es ist ein Grund dafür, dass inzwischen immer mehr kommunale Vertreter sagen: Ihr müsst dieses Paket retten; denn dieses Paket wird unsere Lage durchgreifend verbessern. ({3}) Der zweite Punkt, lieber Kollege Kuhn, ist: Sie haben zu Beginn dieser Verhandlungen Forderungen gestellt. Sie haben jetzt gesagt: Man darf die Verhandlungen nicht überfrachten. - In der allerersten Runde, in der Sie uns Ihre Wünsche ausgebreitet haben, hatten Sie allerdings Wünsche für über 20 000 Sozialarbeiter im Gegenwert von 2,5 Milliarden Euro. Sie hatten Wünsche für Steigerungen des Regelsatzes an verschiedenen Stellen. Wenn man diese addiert, kommt man auf 2,5 Milliarden Euro. ({4}) Sie haben alle Ihre Wünsche aufgeführt, und daraufhin hat der Kollege Heil gesagt: Selbstverständlich reden wir über einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in ganz Deutschland. Meine Damen und Herren, Sie können doch nicht glauben, dass Sie die Zahl der Weihnachtsgeschenke dadurch erhöhen, dass Sie Ihren Wunschzettel verlängern. ({5}) Wenn Sie alle unerfüllten Wünsche der letzten 20 Jahre, die Sie nicht einmal in Ihrer eigenen Regierungszeit ansatzweise realisiert haben, in ein solches Vermittlungsverfahren einbringen, dann ist das eine Überfrachtung und Überladung des Verfahrens. Deshalb haben wir Sie wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt. ({6}) Der letzte Punkt, meine Damen und Herren. Ich habe nicht damit angefangen, aus internen Verhandlungen zu zitieren. Aber wenn wir schon darüber sprechen, was wir intern gesagt haben, dann will ich auch darauf hinweisen, dass Sie in der vorletzten Verhandlungsrunde gesagt haben: Uns ist der Regelsatz besonders wichtig, und wenn wir uns da einigen, dann sind wir auch bereit, auf die Regelung von Equal Pay zu verzichten. ({7}) Das war Ihr Angebot in dieser letzten Verhandlungsrunde. Als dann die Verhandlungen beendet waren, haben Sie schamhaft gesagt, Sie hätten Equal Pay jetzt doch gern nach vier Monaten. ({8}) Deshalb sage ich Ihnen: Sie haben sich bei diesen Verhandlungen vergaloppiert. ({9}) Sie haben sich bei diesen Verhandlungen übernommen. ({10}) Wir werden gemeinsam mit den Ministerpräsidenten von CDU und SPD dafür sorgen, dass dieses Gesetzespaket in einer annehmbaren und in einer praktikablen Form in nächster Zeit durch Bundestag und Bundesrat beschlossen werden kann. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach unserer Geschäftsordnung sind Kurzinterventionen auf Kurzinterventionen hin nicht zulässig. Deswegen, Kollege Altmaier, ist es misslich, wenn Sie in Ihrer letzten Antwort Dinge mitteilen, die die anderen Gesprächs- und Verhandlungspartner natürlich provozieren müssen, ({0}) ich diesen aber nicht die Gelegenheit geben kann, darauf zu antworten. Das ist ein bisschen eine schwierige Lage, ich bitte um Verständnis dafür. Weitere Kurzinterventionen werden nicht zugelassen. Ich schließe die Aussprache. Ich teile Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch mit: abgegebene Stimmen 565. Mit Ja haben gestimmt 313, mit Nein haben gestimmt 252, Enthaltungen keine. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Endgültiges Ergebnis Abgegebenene Stimmen: 565; davon ja: 313 nein: 252 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({1}) Manfred Behrens ({2}) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer ({3}) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({4}) Dirk Fischer ({5}) Axel E. Fischer ({6}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({7}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({8}) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({9}) Volker Kauder Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Julia Klöckner Axel Knoerig Dr. Kristina Schröder Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({11}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({12}) Nadine Schön ({13}) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({14}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Daniela Ludwig Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({15}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({16}) Anita Schäfer ({17}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({18}) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({19}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({20}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marcus Weinberg ({21}) Peter Weiß ({22}) Sabine Weiss ({23}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Dagmar Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({24}) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({25}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Pascal Kober Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth ({26}) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Martin Lindner ({27}) Michael Link ({28}) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({29}) Dr. Martin Neumann ({30}) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({31}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane RatjenDamerau Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel ({32}) Dr. Daniel Volk Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({33}) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({34}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({35}) Edelgard Bulmahn Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Peter Friedrich Michael Gerdes Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf ({36}) Michael Groschek Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({37}) Hubertus Heil ({38}) Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({39}) Frank Hofmann ({40}) Christel Humme Josip Juratovic Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({41}) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Nicolette Kressl Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({42}) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Petra Merkel ({43}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({44}) Michael Roth ({45}) Marlene Rupprecht ({46}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({47}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({48}) Werner Schieder ({49}) Ulla Schmidt ({50}) Silvia Schmidt ({51}) Carsten Schneider ({52}) Swen Schulz ({53}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({54}) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Heidrun Dittrich Werner Dreibus Klaus Ernst Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Dorothee Menzner Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer ({55}) Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({56}) Volker Beck ({57}) Cornelia Behm Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Winfried Hermann Priska Hinz ({58}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Markus Kurth Undine Kurth ({59}) Monika Lazar Jerzy Montag Kerstin Müller ({60}) Beate Müller-Gemmeke Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({61}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 sowie den Zusatzpunkten 10 a und b auf: 22 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts ({62}) - Drucksachen 17/3628, 17/3803 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({63}) - Drucksachen 17/4710, 17/4739 - Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Frank Schäffler Harald Koch ZP 10 a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes - Drucksache 17/3481 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({64}) - Drucksachen 17/4710, 17/4739 - Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Frank Schäffler Harald Koch b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({65}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Carsten Sieling, Manfred Zöllmer, Elvira DrobinskiWeiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gesamtkonzept zur Stärkung des Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen vorlegen - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Sahra Wagenknecht, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Beschäftigtenrechte bei Übernahmen und Fusionen stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr. Gerhard Schick, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbraucherschutz auf Finanzmärkten nachholen - Drucksachen 17/2136, 17/3540, 17/3210, 17/4710, 17/4739 Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Frank Schäffler Harald Koch Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({66})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Heute setzen wir einen weiteren Meilenstein zur Regulierung des Finanzmarktes zum Wohle der Verbraucher und zum Wohle der Vertrauensbasis in der Finanzindustrie. Noch vor einem Jahr hat uns allen die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise Zukunftsängste bereitet. Sorgen um Spareinlagen, Fondsschließungen, Lohnverzicht, Entlassungen - das waren tiefe Einschnitte für die Menschen. Niemand hätte damals gedacht, dass wir so schnell und so gut aus dieser Krise in eine neue Wachstumsphase mit einer neuen Aufwärtsentwicklung kommen können. Dieser Erfolg hat zwei Ursachen: erstens die Arbeit der Menschen in den Betrieben in Deutschland, zweitens die aktive Krisenbekämpfung durch diese Regierung und diese Koalition. Erfolg haben wir auch bei der Finanzmarktregulierung erzielt. Schritt für Schritt gelingt uns mit einer Reihe von gesetzlichen Maßnahmen die Stabilisierung des Finanzmarktes. ({0}) Weitere Regulierungen, wie Basel III oder Maßnahmen bezüglich des Grauen Kapitalmarkts, werden folgen. Der heutige Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts schafft die Grundlage für vier wichtige neue Regulierungen: erstens die Erhöhung der Beteiligungstransparenz beim Anschleichen bei Übernahmetransaktionen, zweitens die Verbesserung bei der Produktinformation, drittens die Kontrolle der Anlageberater vor Falschberatung und viertens ein überzeugendes Konzept für die Erhaltung der offenen Immobilienfonds und für mehr Sicherheit für viele Millionen Privatanleger in Deutschland. Der Schritt, den wir heute gehen, ist ein Quantensprung, ein Meilenstein. ({1}) Mit diesem finanzpolitischen Weg schaffen wir eine neue Vertrauensbasis. Wir sollten uns darüber einig sein, dass der Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten mit diesem Gesetz wirklich gestärkt wird. Die SPD hat dazu ein Papier veröffentlicht, das nur als enttäuschend bezeichnet werden kann. Sie haben darin keine Vorschläge gemacht. ({2}) Sie fordern, man solle die Entwicklung beobachten. Sie beobachten, wir handeln heute. Das ist der Unterschied. ({3}) Wir nehmen die Bedürfnisse und Ansprüche der privaten Anleger ernst und werden ihnen mit den neugestalteten Produkten mehr Sicherheit bieten. Damit komme ich zu den offenen Immobilienfonds. Offene Immobilienfonds waren lange Zeit, nämlich 51 Jahre lang, eine beliebte und bewährte Anlageform, weil bei den realen Sachwerten indexierte Mietverträge den gewünschten Inflationsschutz ermöglichen. Es ist in einer Volkswirtschaft ein ganz wichtiger Punkt, dass es Sachwerte bzw. Sachanlagen gibt, durch die letzten Endes Investitionen hervorgerufen werden, was zur Schaffung von Arbeitsplätzen führt. Deswegen ist dieses Produkt so wichtig für die Anleger, für die Wirtschaft und für die Finanzindustrie. Leider sind diese Fonds in den letzten Jahren wegen des niedrigen Zinsniveaus insbesondere von institutionellen Anlegern häufig als Geldmarktfonds missbraucht worden. Dies passt eben nicht zum Prinzip langfristiger Anlagen in Immobilien. Das ist ein Widerspruch. Mit den Änderungen reagieren wir auf die lang andauernde Krise der Branche. Es kam zu Fondsschließungen und Vertrauensverlust. Wegen hoher Geldabflüsse nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers mussten zwölf Fonds schließen. Heute sind noch 24 Milliarden Euro von Anlegern blockiert. Hier haben wir nun mit einem marktwirtschaftlich vernünftigen Instrumentarium regulierend eingegriffen. Ziel war es, das Funktionieren der Kapitalmärkte zu sichern, Produktdefizite auszuräumen und das Finanzdienstleistungsangebot zu verbessern. Hierbei haben wir den Wunsch privater Anleger berücksichtigt, in Substanzwerte zu investieren. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Der Wunsch, in Substanzwerte zu investieren, wird von unseren Bürgern unverändert hoch geschätzt. Offene Immobilienfonds sind eben die einzige Option, sich mit geringen Beträgen professionell an gewerblichen Immobilien zu beteiligen. Wir müssen hier einen großen Wert feststellen. Deshalb liegt es im Interesse der Privatanleger, die offenen Immobilienfonds zu stärken und zu sichern. Die vorgesehenen Änderungen bei den offenen Immobilienfonds bedeuten eine Rückkehr zum ursprünglichen Erfolgsmodell, risikoscheuen Anlegern eine breitgestreute und langfristige Immobilienanlage anzubieten. So haben wir den immobilienwirtschaftlich rational schwer nachvollziehbaren pauschalen Wertabschlag für die Anleger verhindert. Es war sehr wichtig, dass wir die Altanleger vor willkürlichen Abschlägen schützen. Das stärkt auch die Vertrauensbasis gegenüber der Finanzwirtschaft. Deswegen bin ich sehr froh, dass dies erreicht wurde. Zu begrüßen ist insbesondere, dass wir die Mindesthaltefrist für Neuanleger und eine einjährige Kündigungsfrist einführen. Damit haben wir - das muss man zugeben - die Fonds für institutionelle Anleger, die diese kurzfristig als Geldmarktfonds nutzen, unattraktiver gemacht. Das ist aber Sinn und Zweck dieser Maßnahme. Wir wollen den Verbraucherschutz stärken und Vertrauen schaffen. Dies gelingt mit der mittel- und langfristigen Anlage für den Privatanleger. Das Produkt soll mittel- und langfristige Nutzung erfahren. Die Fonds werden damit zweifellos als Parkstation für institutionelle Anleger unattraktiv; aber das ist durchaus gewollt. Wir haben die rund 3 Millionen Privatanleger, die Anteile an diesen Fonds besitzen, weitgehend verschont. Indem ein Anleger künftig pro Halbjahr Anteile im Gegenwert von 30 000 Euro zurückgeben kann, wird den Liquiditätsbedürfnissen der meisten Privatanleger Rechnung getragen. Über 90 Prozent der Privatanleger werden in ihren Liquiditätsbedürfnissen zuDr. h. c. Hans Michelbach friedengestellt. Das schafft eine Vertrauensgrundlage für das Produkt. Das sollten wir heute betonen. ({4}) Zwar gibt es in der Marktwirtschaft keine Vollkaskoversicherung, aber das Vertrauen in die Integrität der Kapitalmärkte wird erhöht. Deswegen freue ich mich, dass wir heute entscheidende Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Finanzdienstleistungsindustrie ihrer dienenden Funktion gegenüber den Menschen wieder besser nachkommen kann. Wir haben das Ziel, einen transparenteren, integeren und effizienten Finanzmarkt zu entwickeln und damit zu erreichen, dass die Marktteilnehmer Vertrauen in ein faires, kundenorientiertes Finanzdienstleistungsangebot entwickeln. Diesem Ziel nähern wir uns Schritt für Schritt, um letzten Endes eine neue Vertrauensbasis für die Anleger in Deutschland zu schaffen. Das dient auch der Finanzmarktindustrie. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, und wir lassen uns dabei von niemandem beirren. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Carsten Sieling für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carsten Sieling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise, symbolisch zugespitzt durch das Scheitern der Bank Lehman Brothers, Tausende von Anlegerinnen und Anlegern geschädigt wurden, ({0}) gab es eine politische Aussage: Alle Märkte, alle Akteure und alle Produkte sind zu regulieren. Das ist das große Ziel, das im Übrigen die Kanzlerin in ihrer letzten Regierungserklärung noch einmal betont hat. Mit dieser großen Aussage sind Sie auch 2009 in die Koalition gestartet. Jetzt legen Sie uns den Entwurf eines sogenannten Anlegerschutzgesetzes zur Abstimmung vor. Ich glaube, jeder der in den letzten Wochen und Monaten die Debatte verfolgt und sich die Mühe gemacht hat, diesen Gesetzentwurf zu lesen, hat gemerkt, dass das Prinzip Ihres Gesetzentwurfs, Ihrer Politik und Ihres Vorgehens in Wirklichkeit lautet: allen Märkten zuliebe, allen Akteuren zuliebe und allen Produkten zuliebe. Die Anlegerinnen und Anleger, die Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben bei dem, was Sie uns heute zur Abstimmung vorgelegt haben, links liegen. ({1}) Das ist die bittere Wahrheit - Sie können betreten oder skeptisch schauen -; dafür gibt es unabweisbare Argumente. Ich will damit nicht sagen - das haben wir im Finanzausschuss beraten, und wir haben uns viel Zeit dafür genommen -, dass es nicht das eine oder andere an Positivem oder an vernünftigen Akzenten gibt. Was Sie aber nicht leisten, ist, unser gemeinsames Ziel anzusteuern. Wir brauchen einen Finanz-TÜV. Wir brauchen ein echtes Maßnahmenpaket. In Ihrem Gesetzentwurf findet das keinen Niederschlag. ({2}) Was die positiven Dinge angeht: Auch wenn alles bewölkt ist und man nur Schatten sieht, kommt ab und zu ein kleiner Sonnenstrahl durch. ({3}) Man findet bei Ihnen zum Beispiel die Aussage, dass zukünftig laut Wertpapierhandelsgesetz nicht mehr nur die Vermutung gilt, Provisionen seien wie bisher grundsätzlich darauf ausgelegt, die Qualität der Anlageberatung zu verbessern. Die bisherige Regelung soll also gestrichen werden. Das ist Ausdruck einer positiven Einsicht. Aber nirgendwo ziehen Sie die Konsequenz, einen Schritt in Richtung Transparenz zu gehen und dafür zu sorgen, dass Provisionen offengelegt und in ihrer Höhe begrenzt werden müssen. Das wäre eine konkrete Maßnahme. Insgesamt gibt es also nur ein bisschen Licht und viel Schatten. Dieser Gesetzentwurf ist aus mehreren Gründen eine reine Enttäuschung. Wird er verabschiedet, erhalten die Verbraucherinnen und Verbraucher zu wenig Schutz. Ich will den Kernpunkt nennen, den der Kollege Michelbach hier natürlich mit keinem Wort angesprochen hat. Die größte Gefahr und die größten Schäden sind vom Grauen Kapitalmarkt, von Anlagen in geschlossenen Fonds ausgegangen. Herr Staatssekretär Koschyk, ich verweise auf das Vorhaben, das das Bundesfinanzministerium hier durchaus verantwortet und in die ersten Diskussionsentwürfe aufgenommen hat. ({4}) - Völlig richtig. Das war möglich. - Dann haben Sie sich in der Koalition durchgesetzt und dafür gesorgt, dass die entsprechende Regelung aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wird. Der eigentliche Skandal bei der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes ist, dass der gefährlichste Teil unreguliert bleibt. ({5}) - Das ist Ihre Politik. Wenn man die Chance hat, etwas umzusetzen, dann nutzt man sie nicht und redet vom Nachfolgegesetz. Da hätten Sie schneller reagieren können. ({6}) Ihre Ministerin, Frau Aigner - sie sitzt mittlerweile nicht mehr auf der Regierungsbank, sondern auf einem Abgeordnetenstuhl -, und der ausgeschiedene Kollege Dautzenberg sind es doch gewesen, die deutlich gesagt haben: Es wäre richtig gewesen, die Tätigkeit der 80 000 freien Vermittler und den riesigen Grauen Kapitalmarkt mit in diesem Gesetz zu regulieren. Aber nein, das machen Sie nicht. Sie haben zugelassen, dass dieser Gesetzentwurf unter Federführung von Herrn Brüderle, dem Bundeswirtschaftsminister, überarbeitet wurde, ({7}) nachdem die entsprechende Lobby zu ihm gekommen war. Das, was Sie uns vorlegen, ist doch Folgendes - Herr Volk, ich will es Ihnen gern sagen; Sie kündigen es uns immer an, und man kann überall lesen, wie es aussehen soll -: Während Sie die Finanzaufsicht zu Recht bei der mit der notwendigen Kompetenz ausgestatteten Behörde, nämlich der BaFin, belassen, wollen Sie den gefährlichsten Teil zukünftig der Gewerbeordnung und damit den kommunalen Gewerbeaufsichtsämtern unterstellen. 7 000 unterschiedliche Ämter, die die Aufgabe haben, sich um den Gaststättenbereich und viele andere Dinge zu kümmern, sollen sich dann auch noch um diesen Bereich kümmern. Das ist doch ein Scherz. Das ist ein Flickenteppich. Das ist Schweizer Käse und alles andere als Anlegerschutz. ({8}) Das ist nichts. Darum kann man nur deutlich sagen: Sie verfehlen den wesentlichen Punkt. Aber Sie haben viele Komplimente bekommen; ich will das hier kurz ansprechen. Ein Lobbyist des Verbandes Geschlossene Fonds hat interessante Aussagen gemacht. Kurz vor der Befassung im Bundeskabinett hat er deutlich gemacht hat, er habe nochmals ein längeres und intensives Gespräch mit einem Vertreter der Bundeswirtschaftsministeriums geführt. Die Erfolgsmeldung dieses Lobbyisten lautete: Der von uns bekämpfte Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums ist nunmehr dauerhaft von der Tagesordnung des Bundeskabinetts genommen. Kein Wunder, dass der Lobbyist letztendlich sagte: Das alles ist ein Erfolg unserer Anstrengungen. ({9}) - Herr Schäffler, Sie sitzen hier, weil Sie der Hebel für die Lobbyisten sind, ({10}) die ihre Interessen in dieses demokratische Parlament hineintragen. Das zeigen Sie uns mit diesem Gesetzentwurf. ({11}) Jetzt kommen Sie, Herr Volk, mit etwas Neuem. Herr Tenhagen, der Chefredakteur der Zeitschrift Finanztest, spricht in einem Interview mit Zeit Online zu Recht von einer Extrawurst für die Lobbyistinnen und Lobbyisten, die Sie braten. So ist es! In diesem Gesetzentwurf gibt es einen Punkt, mit dem Sie zeigen, dass Sie im Gegenzug dafür, dass Sie die einen in Ruhe lassen, an anderer Stelle für eine Überregulierung sorgen. ({12}) Mit anderen Worten: Sie lassen den Amtsschimmel so richtig wiehern, Herr Kollege Michelbach. Sie wollen alle Bankberater im Bereich der Aufsicht registrieren lassen. Was ich sage, ist auch einer Stellungnahme von den Gewerkschaften und dem Verbraucherzentrale Bundesverband zu entnehmen. Auch diese wissen, dass das, was Sie vorhaben, wirkungslos ist. ({13}) Sie kommen mit dem Vorschlaghammer. Aber damit kann man keinen wirklichen Verbraucherschutz organisieren. Sie müssen mit dem Florett arbeiten, um diejenigen aufzuspießen, um die es geht. ({14}) Sie werden eine Aufsicht etablieren, die insgesamt 400 000 Menschen registrieren soll; dafür stellt die BaFin zusätzlich 20 Leute ein. Jeder kann sich ausrechnen, wie hoch der bürokratische Aufwand sein wird. Wir haben Ihnen im Finanzausschuss vorgeschlagen: Konzentrieren Sie sich auf die Sünder! Legen Sie - genauso wie im Verkehrsrecht - eine Sünderkartei an, in der man wie in Flensburg die Sünder registriert! So kann man effektiv regulieren und sanktionieren. Das ist der richtige Weg beim Verbraucherschutz. ({15}) Ich will Ihre anderen Schwachpunkte ansprechen. Wie Sie wissen, sind Produktinformationsblätter ein wichtiges Instrument. Ihr Gesetzentwurf ermöglicht den Einsatz dieses Instrumentes. Aber es ist ein stumpfes Schwert, weil Sie darauf verzichten, Transparenz und Vergleichbarkeit zu schaffen. Sie setzen keine Standards und geben nicht vor, was diese Informationsblätter enthalten sollen. Im Prinzip ist Ihr Ansatz gut. Aber Sie heben quasi nur das Bein und machen keinen Schritt nach vorne. Genauso verhält es sich leider bei dem Thema, mit dem Sie sich, Herr Michelbach, in Ihrer Rede hauptsächlich befasst haben, nämlich mit den offenen Immobilienfonds. Viele Anleger haben die große Sorge - diese teilen wir -, dass ein Fonds, nachdem sie Geld angelegt haben, geschlossen werden muss, weil die Konstruktion der Fonds falsch ist. Sie haben das Problem zwar angesprochen, gehen es aber nicht an. Die Schlimmsten sind nicht die kleinen Privatanleger, die kurzfristig einige Zehntausend Euro benötigen, um zum Beispiel ihr Haus zu reparieren, sondern die großen institutionellen Anleger; sie sind das eigentliche Problem. Ich will Ihnen einmal Ihre Leistung vor Augen führen. Sie haben Anfang Mai einen Diskussionsentwurf vorgelegt. Dann haben Sie das von Ihnen vorgeschlagene Verfahren dreimal überarbeitet. Nach jeder Überarbeitung haben Sie uns gesagt, nun sei es wirkungsvoll. Aber nie ist es Ihnen gelungen, die Privatanleger von den institutionellen Anlegern, die Schafe von den Wölfen zu trennen und für mehr Sicherheit zu sorgen. Da versagt Ihr Gesetzentwurf. ({16}) Ich hoffe zwar, dass das, was Sie vorschlagen, trägt, befürchte aber, dass das keine hinreichenden Ergebnisse zeitigen wird. ({17}) Ihr Gesetz, dessen Entwurf zur Abstimmung vorliegt, lässt den Grauen Kapitalmarkt unreguliert; es wird kein einheitliches Schutzregime entwickelt. Sie behandeln die offenen Immobilienfonds nach dem Prinzip Hoffnung. Was Anschleichen und Unternehmensübernahmen angeht, wird - der Kollege Volk hat das bereits angesprochen - wieder verzögert; darüber soll weiter beraten werden. Die SPD hat Ihnen einen Vorschlag unterbreitet. Sie könnten ihm zustimmen. Dann würden Sie gefährliche Übernahmen verhindern. Im Ergebnis handelt es sich um ein Gesetz, bei dem Sie als Tiger gesprungen, aber als Bettvorleger gelandet sind. Herausgekommen ist nicht mehr als ein Rumpfgesetz. Dazu kann ich nur sagen: Das ist kein Anlegerschutz, sondern frecher Etikettenschwindel. Den lehnen wir ab. Danke für die Aufmerksamkeit. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Schäffler das Wort. ({0})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf darf nicht isoliert, sondern muss im Zusammenhang mit einem Maßnahmenpaket zur Verbesserung des Verbraucher- und Anlegerschutzes in Deutschland betrachtet werden. Das ist der erste Baustein, den wir dazu vorlegen. Er ist ein guter Baustein, weil er mehr Verbraucherschutz in Deutschland schafft und dafür sorgt, dass die Bürger ihr Geld sicherer und transparenter anlegen können, als es in der Vergangenheit der Fall war. ({0}) Man muss den Sozialdemokraten ins Stammbuch schreiben: Sie hätten nicht nur elf Jahre Zeit gehabt, all das zu machen, was sie hier beklagt haben, sondern sie hätten es hier auch beantragen können. Sie hätten einen Änderungsantrag zu unserem Gesetzentwurf einbringen können; Sie hätten somit alles, was sie wollen, haben können. ({1}) Sie haben im Finanzausschuss aber nicht dementsprechend gehandelt, und sie haben auch hier im Plenum keinen Änderungsantrag eingebracht. Deshalb sage ich, Herr Sieling, dass Sie hier eine billige Nummer abgezogen haben. Sie werden der Sache nicht gerecht. Dieses Gesetz ist ein Meilenstein für den Verbraucherschutz in Deutschland. ({2}) Der entscheidende Faktor für die Transparenz am Finanz- und Kapitalmarkt in Deutschland ist die Transparenz bei der Übernahme von Aktienpaketen. Das ist etwas Substanzielles und praktischer Verbraucherschutz. Was haben wir denn bei VW und Porsche erlebt? Investoren haben sich mithilfe von Finanzinstrumenten an ein Unternehmen herangeschlichen, ohne den Kapitalmarkt darüber zu informieren. Das werden wir ändern. Das wird es in Deutschland in dieser Form nicht mehr geben. Das ist ein Erfolg dieser Koalition. ({3}) Ein weiterer Punkt ist die Schaffung von Registern. Sie haben unter der Vorgängerregierung selbst ein Register für Versicherungsvermittler in Deutschland geschaffen. ({4}) Das, was Sie hier kritisieren, nämlich das, was wir im Bankenbereich machen, haben Sie bei den Versicherungsvermittlern in Deutschland geschaffen. ({5}) Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen: ob Sie das grundsätzlich ablehnen oder grundsätzlich befürworten. Aber Ihr Wischiwaschi, den Gewerkschaften und den Bankenverbänden hinterherzurennen, das ist einfach zu billig. ({6}) Darüber hinaus werden wir mit dem Produktinformationsblatt für mehr Transparenz sorgen. Auch das ist ein entscheidender Punkt. Derzeit ist es so, dass die Kunden auf den Finanzmärkten mit Papier zugeschmissen werden. Im Kern hat es der Gesetzgeber in der Vergangenheit immer gut gemeint; aber in der Praxis ist weniger Transparenz übrig geblieben. Ich glaube, das Produkt10278 informationsblatt ist wichtig, um dem Kunden die wesentlichen Fakten in vereinfachter Form mitzuteilen. ({7}) Ich halte für wesentlich, was wir bei den offenen Immobilienfonds geschaffen haben. Es handelt sich dabei um eine wichtige Anlageklasse. Wir in Deutschland haben wenige Anlageklassen, bei denen wir Wettbewerbsvorteile gegenüber dem Ausland haben. Eine der wenigen Anlageklassen, bei der wir noch solche Wettbewerbsvorteile haben, sind die offenen Immobilienfonds. Es ist schlicht Fakt, dass fast ein Drittel der offenen Immobilienfonds inzwischen geschlossen ist oder sich in der Abwicklung befindet. Dabei handelt es sich nicht um Peanuts; vielmehr hat der gesamte Markt ein Volumen von 88 Milliarden Euro. Es geht also um eine ganz wichtige Anlageklasse in Deutschland. Es war für uns eine besondere Verpflichtung, diese Anlageklasse zukunftsfähig zu machen. Wir wollen den Run, den wir im Zuge der Finanzkrise erlebt haben, nicht noch einmal erleben. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis, das wir erzielt haben. Sie haben kritisiert, dass wir über den richtigen Weg im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gestritten haben. Ich frage mich: Was ist denn unsere Aufgabe als Parlamentarier? Unsere Aufgabe ist doch, Gesetzentwürfe zu verbessern. Das haben wir in hervorragender Weise getan. ({8}) Wir haben letztendlich das, was Sie vorhin kritisiert haben, verhindert, nämlich dass Großinvestoren in diese Fonds hinein- und aus ihnen herausgehen und damit das gesamte Produkt in Schieflage bringen. Das haben wir verhindert. Wir haben eine Haltedauer von zwei Jahren und eine Kündigungsfrist von 12 Monaten eingeführt. Das wird dazu führen, dass das Produkt nicht als Geldmarktfonds missbraucht werden kann, sondern für den mittel- und langfristigen Anleger geeignet ist. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass die Kleinanleger gut an ihr Geld kommen können. Ich glaube, das ist ganz entscheidend. Darüber hinaus haben wir die Unabhängigkeit der Sachverständigen wesentlich gestärkt. Wir haben die Lehre aus dem gezogen, was bei den Wirtschaftsprüfern und Ratingagenturen in der Vergangenheit schiefgelaufen ist. Dadurch, dass man Beratung und Bewertung verquickt hat, gab es dort Interessenkonflikte. Das kann man nicht durch gesetzliche Informationsbarrieren verhindern; das funktioniert in der Praxis nicht. Stattdessen haben wir eine klare Linie gezogen. Wer in diesem Markt tätig ist, darf am Ende nur bewerten und nicht parallel auch noch beraten. Das ist ein ganz entscheidender Faktor. Gleichzeitig wollen wir, dass die Sachverständigen nicht dauerhaft bei ein und derselben Kapitalanlagegesellschaft tätig sein dürfen; vielmehr müssen sie, wie wir das auch von den Wirtschaftsprüfern kennen, nach einer gewissen Zeit wechseln. Außerdem machen wir das Produkt stabiler, indem wir die hohen Fremdkapitalquoten, die einige Fonds haben und die in der Krise eher zu Instabilität beitragen, reduzieren. Der vorliegende Gesetzentwurf sowie das Finanzvermittlergesetz und ein Gesetz zur Honorarberatung, zu denen wir in den nächsten Wochen Entwürfe vorlegen werden, bedeuten einen Dreiklang in Bezug auf eine Steigerung des Verbraucherschutzes in Deutschland. Ich kann die Opposition und vor allem die SPD nur auffordern, an diesem Dialog konstruktiv mitzuwirken. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat das Wort. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schäffler, Sie haben recht: Dieses Gesetz kann nicht isoliert betrachtet werden. Aber der finanzielle Verbraucherschutz wird erst dann tatsächlich greifen, wenn die Finanzmärkte national und international grundsätzlich reguliert sind. Davon sind wir noch weit entfernt. Die Banken müssen auf ihr Kerngeschäft zurückgeführt werden; erst dann können wir grundsätzliche Lösungen anstreben. ({0}) Detailliert wird meine Kollegin Caren Lay das noch ausführen. Ich möchte mich jetzt auf die Regeln zur Übernahme von Unternehmen konzentrieren. Die freie Handelbarkeit von Aktien, also das Recht, Anteile von Gesellschaften zu erwerben, erfordert natürlich ein Regelwerk. Es muss sichergestellt werden, dass einerseits Spekulationen mit Aktien nicht ins Aberwitzige gesteigert werden und andererseits Klein- und Minderheitsaktionäre nicht übertölpelt und unter Wert abgefunden werden können. Sie erheben mit Ihrem Gesetzentwurf den Anspruch, zu regeln, dass intransparentes Anschleichen an Unternehmen verhindert werden kann. Die Süddeutsche Zeitung titelte im August 2008: Überraschend aus dem Hinterhalt: Vor Angreifern, die sich über verdeckte Aktienkäufe an Unternehmen anschleichen, gibt es immer noch keinen Schutz. Wir reden von Übernahmeschlachten, von feindlichen Übernahmen. Hier findet sich ein wirklich schöner militärischer Sprachgebrauch. Wie immer im Krieg bleiben die einfachen Soldaten, sprich: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auf der Strecke, aber auch UnternehmensanDr. Barbara Höll teilseigner, die sich vor dem Anschleichen nicht schützen können. Ihre Lösung ist halbherzig; denn Sie sind nicht bereit, tatsächlich voranzugehen und so zu agieren, wie es zum Beispiel in der Schweiz geschieht. Schweizer Unternehmen sind anders geschützt als deutsche Unternehmen. Sie haben die Freiheit, die Verträge so zu gestalten, dass niemand 10, 20 oder 30 Prozent der Aktien erwerben kann, sondern höchstens 5 Prozent. Sie hingegen sind nicht bereit, einen solchen Schritt zu gehen. Statt sich für die Vertragsfreiheit der Anteilseigner eines Unternehmens einzusetzen, fordern Sie einen offenen Zugang zu den Märkten. Ein strengeres Kapitalmarktrecht in Deutschland würde - das wurde in den Beratungen zu dem Gesetzentwurf deutlich - erschwerte Regulierungen für im Ausland tätige deutsche Unternehmen zur Folge haben. Das wollen Sie nicht. Wer agiert denn solchermaßen bei Übernahmen im Ausland? Das sind große Finanzinvestoren und Konzerne. Das heißt, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, der nur halbherzige Regelungen vorsieht, agieren Sie wieder nur im Interesse von großen Finanzinvestoren und Konzernen. Das lehnen wir ab. ({1}) Sie setzen sich auch nicht wirklich für Offenlegungspflichten ein. Das alles bleibt außen vor. Wir haben Ihnen zu diesem Thema einen knappen, aber treffenden Antrag vorgelegt. Wir fordern von Ihnen, dass die Position von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diesen Prozessen gestärkt wird. Wir könnten schon heute das Vertragsrecht so gestalten, dass Unternehmen frei über Beteiligungen bestimmen können. Wir fordern von Ihnen auch, dass bei Unternehmensübernahmen die Interessen der Beschäftigten insoweit berücksichtigt werden, als Gewerkschaften zum Beispiel einen gesetzlichen Anspruch haben, Fusionstarifverträge abzuschließen. Wir fordern von Ihnen, dass die Betriebsräte der betroffenen Unternehmen ein Vetorecht bekommen. Dann können sie sagen: Mit uns nicht; denn wir sind diejenigen, die die Werte im Betrieb erarbeiten. ({2}) Ich finde es schon sehr bedenklich, dass die FDP genau aus dem Grund, dass wir ein Vetorecht des Betriebsrates fordern, unseren Antrag abgelehnt hat und sich nicht einmal zu einer Enthaltung durchringen konnte. ({3}) Wir sind auch für ein Vetorecht der öffentlichen Hand, sobald bei einer Übernahme überragendes öffentliches Interesse besteht. Wir sind für satzungsmäßige Offenlegungspflichten und Erwerbsbegrenzungen, die möglich sind. Es wurde Ihnen in der Anhörung eindeutig gesagt, dass dem nichts entgegensteht. Bei all diesen Prozessen, ob bei Schaeffler oder bei Hochtief, ({4}) geht es nicht darum, ein Unternehmen einfach zu übernehmen und auf dem Rücken der Beschäftigten profitabler gestalten zu wollen. Das wäre schon schlimm genug. Ich sage ganz klar: Bei diesen feindlichen Übernahmen geht es oftmals darum, Konkurrenten vom Markt zu verdrängen, die übernommenen Betriebe mit eigenen Schulden zu überhäufen oder Betriebe zu zerschlagen. Betroffen sind immer die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aus diesem Grunde ist die Linke dafür, dass eine grundsätzliche Regelung erfolgt, die es insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der öffentlichen Hand ermöglicht, hier wirksam einzugreifen. Ich danke Ihnen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist von Ihrer Seite mit großen Ankündigungen versehen worden. Im Koalitionsvertrag haben Sie geschrieben: Wir wollen ein konsistentes Finanzdienstleistungsrecht schaffen, damit Verbraucher in Zukunft besser vor vermeidbaren Verlusten und falscher Finanzberatung geschützt werden. Ein angemessener Anlegerschutz … wird prinzipiell unabhängig davon gewährleistet, welches Produkt oder welcher Vertriebsweg vorliegt. Ich habe damals gedacht: Schauen wir mal. ({0}) Jetzt sehen wir es: Sie werden Ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht, und zwar bei weitem nicht. ({1}) Herr Flosbach hat in der Debatte vom 1. Juli 2010 - in der wir gedrängt haben, dass etwas passieren muss ausgeführt: Sie fordern ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Stärkung des Verbraucherschutzes. Warten Sie noch ein paar Tage. In wenigen Tagen wird dieses Konzept vorgelegt. Herr Flosbach weiter: Bei uns dauert es nur acht Monate, - er bezog sich auf die Zeitspanne nach der Bundestagswahl bis ein schlüssiges Gesamtkonzept vorgelegt wird. Wenn das, was uns heute vorliegt, das schlüssige Gesamtkonzept sein soll, das Sie damals angekündigt haben, dann muss man feststellen - das haben Sie heute schon selber zugegeben -: Dem ist nicht so. Jetzt heißt es plötzlich, es gebe einen Dreiklang, wir sollten abwarten. Aber genau diese Ankündigungen sind Verbraucherinnen und Verbraucher leid. ({2}) Milliardenschäden aus den letzten Jahren verpflichten die Politik dazu, endlich zu reagieren, und nicht nur Ankündigungen zu machen. ({3}) Ich begrüße in dieser Debatte ganz herzlich die Ankündigungsministerin Aigner, die in dieser Debatte mal wieder nicht das Wort ergreifen wird und die bei allen relevanten Fragen des Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen außer Ankündigungen nichts zu sagen gehabt hat. ({4}) - Die Kollegin Maisch erwartet Nachwuchs und ist deswegen bei der heutigen Debatte nicht da. ({5}) Ich finde, damit sollten Sie respektvoll umgehen. ({6}) Ich will auf die konkreten Lücken in Ihrem Konzept eingehen, weil sie für die Verbraucherinnen und Verbraucher noch zu großen Problemen führen werden. Ich komme auf die erste große Lücke zu sprechen und zitiere die Stellungnahme der Deutschen Bundesbank aus der Anhörung, in der deutlich gemacht wurde, dass, um eine sektorübergreifende Gleichwertigkeit einzuführen, auch erwogen werden sollte, die Vermittler von geschlossenen Fonds und von Investmentfonds und auch gebundene Versicherungsvermittler einzubeziehen, das heißt Versicherungsvermittler, die von den Anforderungen des § 34 d Gewerbeordnung befreit sind. Der Vertreter der Bundesbank hat in der Anhörung selbst gesagt - ich zitiere -: Von daher ist die Lücke bei den gebundenen Versicherungsvermittlern von uns auch explizit als Lücke mit einem entsprechenden Handlungsbedarf, den wir dort sehen, identifiziert worden. Die Bundesbank beklagt also eine große Lücke, die in Ihrem Gesetzgebungsverfahren relevant ist. Damit deutlich wird, dass dies keine kleine Lücke ist: Es handelt sich hier um 80 000 freie Vermittler unter den 256 000 Vermittlern, die es im Versicherungsbereich insgesamt gibt. Das ist ein knappes Drittel. Eine große Lücke in Ihrem Gesetzgebungsverfahren! ({7}) Die zweite Lücke - Herr Sieling hat sie schon angesprochen - betrifft die freien Anlageberater. Sie haben den ganzen Bereich des Grauen Kapitalmarkts ausgenommen; dabei waren wir uns im Juli 2009 nach der Anhörung im Finanzausschuss noch einig, dass hier vordringlicher Handlungsbedarf besteht. ({8}) Auch das wird verschoben. Sie kündigen erneut an: Das wird irgendwann passieren. - Aber warum passiert es nicht jetzt? Weil es Einfluss von den entsprechenden Verbänden gegeben hat und Sie eingeknickt sind! ({9}) Es ist die zweite große, die zweite gravierende Lücke in Ihrem Gesetz. ({10}) Es gibt eine dritte Lücke in Ihrem Gesetz, die große Auswirkungen für Kundinnen und Kunden hat, und das ist die Lücke bei den Verjährungsfristen. ({11}) Schon bei der Reform des Schuldverschreibungsrechts ist angekündigt worden: Wir wollen von den Sonderverjährungsfristen wegkommen. - Wir haben Ihnen unsere Änderungsanträge im Finanzausschuss vorgelegt, und Sie haben sie abgelehnt. Dabei wäre es wirklich an der Zeit, zu einem einheitlichen Recht zu kommen: bei der Prospekthaftung im Börsengesetz und im Verkaufsprospektgesetz; bei der Veröffentlichung von Insiderinformationen. Es gibt immer noch eine ganze Reihe von offenen Punkten. Warum muss das weiter verschoben werden? Der Anspruch, ein einheitliches Recht zu schaffen, ist von Ihnen selber formuliert worden. Sie werden diesem Anspruch nicht gerecht, und damit leidet Ihr Gesetz an einer weiteren großen Lücke. ({12}) Ich komme zur vierten großen Lücke. ({13}) Es geht hier um das ganze Themenfeld der Zertifikate. 108 Milliarden Euro betrug das Volumen dieser Finanzprodukte in Deutschland Ende November 2010. Das ist wesentlich mehr als das Volumen der offenen Immobilienfonds, die jetzt reguliert werden. Warum bleibt diese große Masse von Produkten unreguliert? Dabei sagen viele: Das ist intransparent; da muss endlich etwas geschehen. - Nach der Pleite von Lehman Brothers ist doch deutlich geworden, wie die Menschen auf intransparente Produkte hereingefallen sind. Auch die SachverDr. Gerhard Schick ständigen haben uns darauf hingewiesen. Sie lassen eine große Lücke in einem relevanten Produktfeld. ({14}) Wenn wir als Grüne den Strich darunter ziehen, müssen wir sagen: Die Lücken in diesem Gesetz haben System. Die Lücken in diesem Gesetz sind groß. Die Lücken in diesem Gesetz werden die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land noch sehr teuer zu stehen kommen. ({15}) Genauso war es ja auch bei den Lücken, die Sie bei der MiFID-Umsetzung gelassen haben - Herr Michelbach, Sie wissen es, da habe ich auch schon von den Lücken gesprochen -; auch diese sind für die Menschen später in dramatischer Weise relevant geworden. Auch bei der Umsetzung der EU-Versicherungsvermittler-Richtlinie haben Sie eine Lücke gelassen. So ging es während der ganzen Zeit der Großen Koalition. Machen Sie sich nichts vor: Es ist doch nicht nur die Opposition, die davon spricht, dass das Gesetz seine Probleme hat. Die Wirtschaftswoche zum Beispiel schreibt: Verbesserungswürdig ist aber nicht nur der Anlegerschutz, sondern auch das Gesetz selbst. Die Bundesregierung hat das ursprünglich 68 Seiten starke Werk auf 45 Seiten geschrumpft und damit in den vergangenen Monaten entscheidend abgeschwächt; Mängel blieben dagegen bestehen. ({16}) Das Handelsblatt titelt: „Vom geplanten Schutz der Anleger bleibt nicht viel übrig“. Auch der Chef von MLP hat in einem bemerkenswerten Gastbeitrag im Handelsblatt gesagt, das Gesetz gehe nicht an die Wurzel des Übels heran. Sie trauen sich eben nicht, die vorhandenen Ungleichheiten, die schlechten Regulierungen im deutschen Finanzmarkt wirklich anzugehen, und Sie lassen damit eben nicht nur für die Kundinnen und Kunden Schutzlücken, sondern Sie verhindern damit auch Wettbewerbsgleichheit für diejenigen, die auf dem Markt tätig sind. ({17}) Ich will noch auf drei Punkte eingehen, die mir sehr wichtig sind: Neben den großen Lücken, die zu beklagen sind, geht Ihr Gesetzentwurf an manchen Stellen leider auch in die falsche Richtung. Das Beratungsprotokoll hat sich in vielen Fällen als nachteilig für die Kunden herausgestellt, weil es im Nachhinein als Beweis dafür herangezogen wird, dass die Beratung in einer Form stattgefunden habe, die aber nicht der Wirklichkeit entsprach. Wir müssen sehr aufpassen, dass nicht unter der Überschrift „Verbraucherschutz“ etwas eingeführt wird, was nachher den Verbrauchern schadet. Wenn es so weit kommt, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Menschen kein Vertrauen fassen. Genauso verhält es sich beim Produktinformationsblatt. Solange wir viele intransparente Produkte zulassen, gibt es für die Kunden nur eine Scheinvergleichbarkeit. Außerdem scheuen Sie sich im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, klare Vorgaben zu machen, damit es wirklich zu einer Vergleichbarkeit der verschiedenen Produkte kommen kann. Warum nehmen wir uns denn nicht ein Vorbild an den Niederlanden oder Schweden, wo die Aufsicht so vorgeht? Daran wird doch wieder einmal deutlich, dass das Produktinformationsblatt, statt Transparenz zu schaffen, dazu dienen soll, die Probleme des deutschen Finanzmarkts überzutapezieren. ({18}) Ein letzter Punkt ist mir persönlich sehr wichtig; Sie wissen das: Für uns Grüne geht es bei anlegergerechten Beratungen auch wirklich um den Menschen, um den Anleger; das heißt, es geht nicht nur um Rendite. Wir stehen hier in der Tradition einer wirklich sozialen Marktwirtschaft, die einmal entstanden ist aus den humanistischen Idealen eines Walter Eucken und aus der christlichen Soziallehre. ({19}) Die Vordenker der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland wussten, dass Menschen nicht nur renditehungrige Wesen sind. 40 Prozent der Menschen in Deutschland, so Schätzungen, wollen neben Angaben zu Rendite, Liquidität und Risiko auch wissen, welche Auswirkungen ihre Investition hat. Sie wollen vermeiden, dass sie unwissentlich in Unternehmen investieren, die mit Streumunition Geld verdienen oder in denen es Kinderarbeit gibt. ({20}) Sie haben in diesem Gesetzgebungsverfahren unseren Vorschlag abgelehnt, dass wenigstens ein Minimum an diesbezüglicher Information geliefert wird. Daran sieht man, wie weit es mit der Christlich Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union gekommen ist. ({21}) Wenn man wirklich Anlegerschutz betreiben will, dann muss man bei den Menschen ansetzen. ({22}) Menschen sind durchaus nicht nur renditehungrig, wie Sie das immer darstellen. Sie sorgen mit Ihrem Gesetz ja nun dafür, dass auch nur diesbezügliche Informationen zur Verfügung gestellt werden. Ein entsprechendes Gesetz müsste vielmehr auch an den Bedürfnissen der Anlegerinnen und Anleger in Deutschland ausgerichtet sein. Das heißt, dass es auch für Ethik Platz an den Finanzmärkten geben muss. Vielen Dank. ({23})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Dr. Mathias Middelberg für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Verehrter Kollege Schick, ich muss sagen: Das Ross, auf das Sie sich eben geschwungen haben, war doch recht hoch. Sie haben in Ihrer Zeit, in der Sie politisch die Verantwortung hatten, die Möglichkeit gehabt, all diese Dinge zu implementieren, die Sie uns hier gerade vorgetragen haben, zum Beispiel den Gesichtspunkt der Ethik in die Anlageberatung einzuflechten. Das ist allerdings in Ihrer Regierungszeit nicht geschehen. ({0}) Ich glaube, man muss jetzt einmal ehrlich sein und diesen Gesetzentwurf in Gänze und in aller Breite zur Kenntnis nehmen. Dann sieht man nämlich, dass wir unter dem Strich gesehen heute ganz wesentliche Schritte machen auf dem Weg zu mehr Anlegerschutz, zu mehr Transparenz am Markt, zu mehr Vertrauen in den Kapitalmarkt - das ist gerade für die Kleinanleger wichtig und zu mehr Verlässlichkeit in diesen Markt. Um das gleich am Anfang zu bilanzieren: Heute ist ein erfreulicher und guter Tag für die Kleinanleger und für die ganz normalen Leute in Deutschland. ({1}) Ich möchte das an dem Punkt deutlich machen, den sich Frau Höll eben herausgegriffen hat, nämlich an den Unternehmensübernahmen. Ich glaube, wir tun gerade auf diesem Feld einen ganz entscheidenden Schritt in Richtung Transparenz und Offenheit auf dem Markt. Wir haben die Katastrophen infolge der Versuche zur Übernahme von VW durch Porsche und von Conti durch Schaeffler - in diesem Fall ist nicht der Kollege Schäffler, sondern das Unternehmen Schaeffler aus Süddeutschland gemeint ({2}) noch bestens in Erinnerung. Davon waren - das hat Frau Höll zu Recht betont - nicht nur größere Konzerne oder irgendwelche Konzernchefs betroffen. Es ging auch um die einfachen Arbeitnehmer, in diesem Fall um Hunderttausende von Arbeitnehmern in Niedersachsen, die von solchen Übernahmen, die verdeckt und intransparent eingeleitet wurden, betroffen gewesen wären. Zum Schluss ging es im Fall Porsche/VW darum, dass die Kasse des VW-Konzerns geplündert werden sollte. Nur dann wäre nämlich diese Übernahme finanzierbar gewesen. Diese Katastrophen, die wir fast gehabt hätten und die wir gerade noch verhindern konnten, kann und wird es in Zukunft aufgrund dieses Gesetzes nicht mehr geben. Ein verdecktes Anschleichen bei Unternehmensübernahmen wird es in Zukunft in Deutschland nicht mehr geben. ({3}) - Es gibt jetzt klare Regelungen, Frau Höll. Das erkläre ich Ihnen gerne. Wir Parlamentarier - Herr Schäffler hat das hervorgehoben - haben uns intensiv dafür eingesetzt, dass wir jetzt ein Regime haben, in dem alle Finanzinstrumente - nicht nur Aktien, sondern auch Optionen, Swaps und Ähnliches, mit denen man die Möglichkeit hat, Aktien zu erwerben - meldepflichtig sind, und zwar in Stufen von 5 Prozent. Die Anteile der verschiedenen Instrumente werden addiert. Es ist nicht mehr wie früher möglich, dass sich beispielsweise Frau Schaeffler 2,97 Prozent der Aktien kaufen konnte und dazu noch 4,98 Prozent in Form von Optionen, was sie nicht melden musste. Nach einem weiteren Kauf von Swaps konnte sie dann sagen: Ich habe 36 Prozent der Aktien. Ihr alle hört jetzt auf mein Kommando. - Diese Veranstaltung wird es in Zukunft in Deutschland nicht mehr geben. Das sind die entscheidenden Schritte hin zu einer Verbesserung, hin zu einem transparenten, fairen und ehrlichen Übernahmerecht. ({4}) Wir sind aber durchaus interessiert daran - auch das möchte ich betonen -, dass es in Deutschland Übernahmen unter einem ehrlichen und klaren Regime geben darf und auch geben muss. Es gibt nämlich Unternehmen, die schlecht dastehen und bei denen im Grunde genommen eine Übernahme sinnvoll wäre. Das ist dann keine Bedrohung für die dort beschäftigten Arbeitnehmer. Vielmehr kann es für ein schlecht gemanagtes Unternehmen absolut gut sein, wenn es mit anderen Unternehmen fusioniert bzw. von anderen übernommen wird. Das ist gut und sichert die Arbeitsplätze dort. Wichtig ist, dass ein Übernahmeregime offen, transparent und für die Beteiligten am Markt erkennbar ist. Dann werden auch Kleinanleger nicht dadurch betrogen, dass sie im Übernahmefall vielleicht zu wenig für ihre Aktien bekommen. Dann werden gesunde, faire und ehrliche Übernahmepreise gezahlt. Das wiederum ist letzten Endes gut für die Stabilität der Unternehmen und für die Sicherheit der Arbeitsplätze. Ich komme also zu ganz anderen Ergebnissen als Sie. Es wurden von der Opposition Anträge vorgelegt. Die SPD meint, absehbar sei die geringe Wirkung dieser von uns vorgelegten gesetzlichen Regelung und es gebe die Notwendigkeit einer zügigen Weiterentwicklung des Übernahmerechts. Ich teile diese Einschätzung nicht. Ich glaube vielmehr, dass wir heute die entscheidenden Schritte hin zu einer Verbesserung des Übernahmerechts tun, damit wir in Zukunft klare, faire, transparente und ehrliche Verhältnisse am Markt haben. Frau Höll, ich fand interessant, dass Sie auf die Schweiz hingewiesen haben - davon habe ich in Ihren Anträgen bisher nichts gelesen -: In der Schweiz gibt es Regelungen, die den Unternehmen erlauben, über die Satzung Erwerbsbeschränkungen festzulegen, das heißt, festzulegen, wie viele Anteile jemand erwerben kann. Ich konnte dazu allerdings keine konkreten Vorschläge in Ihrem Antrag lesen, auch nicht im Antrag der SPD. Wir wollen uns auch über eine Verschärfung des Sanktionsregimes beim Anschleichen zum Zwecke von Unternehmensübernahmen unterhalten. Das sind Punkte, über die man sich durchaus noch unterhalten kann. Es gibt bestimmte Details, bei denen man noch nacharbeiten kann. Ich möchte aber noch einmal betonen: Wir machen jetzt den entscheidenden Schritt, um klare Verhältnisse am Kapitalmarkt zu schaffen. Wenn in Zukunft Anteilsübernahmen in 5-Prozent-Schritten gemeldet werden müssen, dann sieht jeder, wer sich an ein Unternehmen gewissermaßen heranpirscht, wer 5, 10 oder 15 Prozent der Anteile erwirbt. Das können dann alle Marktteilnehmer zur Kenntnis nehmen. Das bekommen dann auch alle Arbeitnehmer mit; sie sind übrigens in den Aufsichtsräten - zumindest der großen Gesellschaften - zu 50 Prozent vertreten und haben damit mittelbar Einfluss auf die Satzungsgestaltung. Schon heute kann man per Satzung Aktien vinkulieren, also die Verwendung für bestimmte Zwecke ausschließen. Schon heute kann man von Inhaber- auf Namensaktien umstellen; man kann dann genau sehen, wer an einem Unternehmen beteiligt ist. Schon heute hat man die Möglichkeit, die Abwahl des Aufsichtsrats über die Satzung zu beschränken. Schon heute man die Möglichkeit - ich spreche damit das Beispiel Hochtief an -, mithilfe eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages bestimmte Mehrheitsgrenzen als sehr hohe Schwelle festzulegen. Weil wir heute im Zusammenhang mit den vorliegenden Anträgen auch über Hochtief diskutieren, will ich an dieser Stelle auf Folgendes hinweisen: All das ist vom Management von Hochtief leider versäumt worden. Bei Hochtief waren alle Möglichkeiten gegeben, sich rechtzeitig auf Übernahmeversuche vorzubereiten. Der Fall ACS/Hochtief war kein Fall von Anschleichen; denn es war für jedermann erkennbar, dass ACS Beteiligungen am Unternehmen hatte, die knapp unterhalb der 30-Prozent-Schwelle lagen. Jeder Vernünftige hätte damit rechnen können, dass ACS alsbald dazu übergehen würde, ein Pflichtangebot zu machen. Es ist unverständlich, warum das Management von Hochtief nicht vorbereitet war und nicht rechtzeitig reagiert hat, obwohl jahrelang bekannt war, dass die Spanier am Unternehmen beteiligt sind. Man muss diese Frage an das Management von Hochtief richten, aber nicht an den Gesetzgeber. Ich habe am Punkt des Übernahmerechts deutlich gemacht: Wir sind mit diesem Anlegerschutzgesetz gewichtige und aus meiner Sicht ganz wesentliche Schritte gegangen. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn das hier heute kleingeredet wird, so wie Sie es gemacht haben. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht Lothar Binding. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wenn man sich den Bericht des Finanzausschusses ansieht, dann ahnt man vielleicht, dass sich Herr Middelberg bei dem, was er vorgetragen hat, nicht ganz sicher ist. ({0}) - Ich bin mir oft unsicher; aber ich verschweige es nicht. ({1}) Im Bericht des Finanzausschusses steht auf Wunsch der Koalitionsfraktionen, der Finanzausschuss solle „noch vor der Sommerpause im Jahr 2011 ein Fachgespräch zur Klärung der Frage durchführen“, ob es Möglichkeiten der Fortentwicklung des Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetzes gibt. Daran sieht man, dass doch noch etwas kommen soll. Daher habe ich die Kritik von Gerhard Schick nicht ganz verstanden. ({2}) Er hat gesagt, Herr Flosbach habe vor einem halben Jahr für die CDU/CSU-Fraktion erklärt, dass in wenigen Tagen ein gutes Gesetz kommen werde. Herr Flosbach hat auch heute wieder erklärt, dass in wenigen Tagen ein gutes Gesetz kommen werde. Er wird auch in einem halben Jahr erklären, dass in wenigen Tagen ein gutes Gesetz kommen werde. Insofern ist er sich doch hundertprozentig treu geblieben. Ich finde, das muss man respektieren. ({3}) Es geht uns darum, die feindlichen Übernahmen und die Zerschlagung von Unternehmen zu erschweren; man kann sie sicher nicht unmöglich machen. Dabei geht es uns nicht so sehr um die Aktionäre im Allgemeinen, sondern eher um die Kleinaktionäre. Uns geht es um faire Wettbewerbsbedingungen. In erster Linie geht es uns aber um Arbeitsplätze, um Arbeitnehmer, um Familien und damit - last, but not least - um Schicksale. Immer wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass Einzelne betroffen sind. Es geht uns aber ebenso um die Unternehmenskultur. Bedenken Sie, was passiert ist: Hoechst existiert zwar noch irgendwie, aber trotzdem ist alles ganz anders. Ich glaube, man muss auch auf die Unternehmenslandschaft achten. Es geht in diesem Zusammenhang darum, dass wir die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften bei Übernahmen verbessern, um bestimmten Konzentrationsprozessen entgegenzuwirken. Lothar Binding ({4}) Auf der anderen Seite gibt es sehr wohl die taktische Kursgestaltung. Es gibt Spekulationen. Es gibt unberechenbare Vorgänge auf Handelsplätzen, zum Beispiel das High Frequency Trading, das keiner genau überschauen kann. Das sind Vorgänge, die niemand vorhersehen kann. Außerdem gibt es das Anschleichen, das Einschleichen. Das hat etwas mit Heimlichkeit zu tun: Man will überraschen. Man will mit Überraschungseffekten den eigenen Gewinn steigern, möglicherweise sogar als Unternehmen, das vor dem Konkurs steht. In einer letzten Rettungsaktion versucht dieses Unternehmen aber, ein gutgehendes Unternehmen zu übernehmen, um sich so selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Dies geschieht aber zum Preis der Zerschlagung von anderen Unternehmen. Der Kollege Middelberg hat in der ersten Lesung gesagt: Das Szenario einer Zerschlagung ist … ziemlich unwahrscheinlich. Er dachte an Hochtief. Ich glaube, das Szenario einer Zerschlagung ist im Regelfall sehr wahrscheinlich. Herr Middelberg sprach vom „Wert … in der komplexen, weltweiten Aufstellung des Unternehmens“ und sagte: Keiner würde so dumm sein, dieses Unternehmen tatsächlich zu zerschlagen. Wenn wir uns anschauen, wie viele gute Unternehmen in Wirklichkeit schon zerschlagen wurden, stellen wir fest, dass der eigentliche Wert des Unternehmens im Ideenreichtum der Arbeitnehmer und in deren Hände Arbeit liegt, dass aber viele Unternehmen, die feindliche Übernahmen planen, darauf keine Rücksicht nehmen. ({5}) Deshalb spricht die praktische Erfahrung gegen das gutgläubige „Es wird schon nichts passieren!“. Nein, oft geht es um die feindliche Übernahme, um die Filetierung. Es geht sogar darum, dass die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft letztendlich die Übernahme ihres Unternehmens und ihre eigene Entlassung auch noch bezahlen. Wer das vermeiden will, der muss, ähnlich wie England und Frankreich - es gibt auch Länder, die das nicht so machen; das stimmt -, die Verpflichtung zur Veröffentlichung und Abgabe eines Pflichtangebots auch für den Fall vorsehen, dass der Erwerber die Schwelle von 30 Prozent - qualifizierte Beteiligung - überschreitet. Das steht in unserem, dem SPD-Gesetzentwurf. Wir glauben, dass wir mit diesem Gesetzentwurf einen guten Schritt weiterkommen. Wir sind damit sicherlich noch nicht am Ende angekommen und haben auch noch nicht alle Ziele erreicht, aber das ist eine gute Möglichkeit, um Übernahmen, die wir vermeiden wollen, zu verhindern. Dadurch können wir die Möglichkeiten einschränken, sich legal an eine Zielgesellschaft anzuschleichen - auf Englisch heißt das Creeping-in; ohne diese Begriffe geht es heutzutage gar nicht mehr -, womit die Absicht verfolgt wird, unauffällig und kostengünstig eine Kontrollposition gegenüber anderen Unternehmen zu erreichen. Der Fall ACS/Hochtief war für uns der Anlass für das Gesetz. Allein betrachtet wäre das kein hinreichender Grund, zu handeln. Wenn man aber alle anderen Prozesse, die wir beobachten, hinzunimmt, hat man einen guten Grund. Wenn man bei Hochtief genauer hinschaut, stellt man fest, dass dieses Unternehmen schuldenfrei und wirtschaftlich gesund war und gute Projekte in Deutschland und Europa hatte. Das alles kann man über ACS nicht sagen. Auch diesen Fall muss man also sehr genau unter die Lupe nehmen. Er ist für uns Anlass genug, um darüber nachzudenken. Wir wissen, dass im Markt auch durchaus über ganz andere Dinge nachgedacht wird. Vielleicht erleichtert es Ihnen die Entscheidung, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, wenn ich einige Namen nenne: Infineon, Rheinmetall, MTU Aero Engines. Es gibt also weiterführende Gedanken mit Blick auf den Markt. Daher lohnt es sich, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Schönen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Professor Dr. Erik Schweickert. ({0})

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schick, nur um das klarzustellen: Ich wünsche Nicole Maisch von dieser Stelle alles Gute. Als junger Vater weiß ich, was da auf sie zukommt. Der Vorwurf in Richtung Ihrer Fraktion bezog sich nicht darauf, dass die Kollegin Maisch nicht anwesend ist. Ich hätte ihr heute sehr gerne zugehört, weil sie immer etwas Substanzielles zur Debatte beiträgt. Es ging darum, deutlich zu machen: In Ihrer Fraktion bearbeitet nicht nur Frau Maisch das Thema Verbraucherschutz. Sie haben eine Vorsitzende der Arbeitsgruppe für den Verbraucherschutz. Sie stellen außerdem eine stellvertretende Ausschussvorsitzende. ({0}) Von ihnen redet niemand, und es ist auch niemand von ihnen anwesend. Das hätten wir gar nicht erwähnt, wenn Sie nicht gemeint hätten, die Ministerin, die hierbei gar nicht federführend ist, angreifen zu müssen. Das geht so nicht, Herr Schick. ({1}) Frau Höll, es überrascht mich, dass Sie sagen, dass Sie die Kompetenzen der Banken auf das Kerngeschäft zurückschneiden wollen. Was bleibt denn dann noch übrig? Wollen Sie nur noch die freien Finanzvermittler? Ich dachte, ich hätte die Anliegen der Linken anders verstanden. Wahrscheinlich muss man sich hier wundern. Wir haben zwei Möglichkeiten. Entweder wir machen etwas à la Hartz IV. Wir schnüren ein riesiges Paket, in das insbesondere die Opposition sachfremde Sachen packen möchte, bei dem letztlich aber nichts herumkommt. Wir gehen einen anderen Weg und sagen: Heute beschließen wir dieses Gesetz, das die Banken betrifft. Wir haben zugesagt, dass wir in diesem Bereich auch Regelungen für die freien Finanzvermittler schaffen. Außerdem werden wir noch das Thema der Honorarberatung angehen. Hier brauchen wir ein ganz klares Berufsbild. Ich lege mich an dieser Stelle einmal fest: Ein Honorarberater ist für mich kein Vermittler, sondern ein Berater. Das muss klar voneinander getrennt werden. Deshalb brauchen wir ein gescheites Berufsbild, das mehr als nur die Teilnahme an einem Wochenendseminar voraussetzt. ({2}) Vielmehr muss eine Trennung deutlich werden, und das gesamte Spektrum muss überblickt werden. Dies sage ich, damit Sie auch einmal einen Einblick in die Meinung der FDP-Bundestagsfraktion zum Verbraucherschutz bekommen. ({3}) Wir werden diesen Bereich also noch angehen. Heute liegt uns ein Gesetzentwurf vor, über den wir beraten müssen, ob er gut oder schlecht ist. Wenn ich Herrn Binding höre, dann gewinne ich den Eindruck, dass wir ein gutes Gesetz brauchen. Das ist aber falsch; denn wir haben bereits ein gutes Gesetz. Warum haben wir ein gutes Gesetz? Mit Blick auf die Reihen in der Opposition muss ich sagen: Es waren Ihre Finanzminister, die damals Hedgefonds zugelassen haben, die meinten, die würden die große Rendite bringen. ({4}) - Der Herr Kelber regt sich schon wieder auf. Vielleicht haben Sie die namentliche Abstimmung verpasst. ({5}) - Stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie etwas wissen wollen. ({6}) - Wenn Sie das interessiert, dann stellen Sie eine Zwischenfrage. Wir sichern mit diesem Gesetzentwurf die Qualität der Beratung, indem wir uns die Qualifizierung der Berater nachweisen lassen, Herr Kelber. Das ist mehr als das, was Sie hinbekommen haben. Außerdem erhöhen wir mit diesem Gesetzentwurf die Transparenz bei den Verkaufsgesprächen, weil wir die Offenlegung der Provisionen vorschreiben. ({7}) Eine größere Transparenz der Produkte kann nicht über 40 Seiten Protokoll erreicht werden. Vielmehr haben wir Protokolle von zwei Seiten und bei komplexen Beratungen von drei Seiten vorgesehen. Somit wird klar festgelegt, dass der Kunde informiert wird. ({8}) - Wir haben das nicht festgelegt. Wir haben extra ins Gesetz geschrieben, dass, wenn die Protokolle unseren Anforderungen nicht genügen, wir dies sehr schnell und ohne eine große Debatte auf dem Verordnungswege lösen können. Das ist überhaupt kein Problem. ({9}) Ich sage Ihnen auch, dass ich einheitliche Risikoklassen festlegen möchte. Hierbei brauchen wir Transparenz; denn nur dann kann ich ein Produkt mit einem anderen Produkt vergleichen. Sollen wir als Politik aber vorgeben, wie diese Sachen funktionieren? ({10}) Wir geben die Rahmenbedingungen vor. Wenn uns das nicht passt, was uns die Banken vorlegen, werden wir das auf dem Verordnungswege regeln, und zwar schneller, als Sie denken können. ({11}) Wie können wir die Rahmenbedingungen in diesem Bereich schaffen? Wir müssen zusehen, dass die Aufgaben des Verbraucherschutzes erfüllt werden. Das muss in die Finanzaufsicht integriert werden. Das ist für uns ein wichtiges Thema. ({12}) - Das steht selbstverständlich im Gesetz. Das müssen Sie nachlesen. Manchmal tut es sogar gut, wenn man die Vorlagen der Regierung liest. Dann würde man nämlich feststellen, dass genau diese Punkte darin enthalten sind. Vorhin ist der Vorwurf der Bürokratie erhoben worden. Wir haben die Meldung, die jetzt mit einem Knopfdruck von den Banken erledigt werden kann, so hinbekommen, dass das verwaltungstechnisch sehr wohl machbar ist. Außerdem haben wir festgelegt, dass eine Vermittlerkartei erstellt wird, sodass wir wissen, gegen wen im Falle einer Falschberatung oder wenn sich die Beschwerden in diesem Bereich häufen vorgegangen werden muss. Allein schon die Erfassung der Daten, also wer am Kunden arbeitet und wie die Beratung aussieht, wird zu einer Disziplinierung beitragen. Der Berater wird sich zweimal überlegen, ob er den Vorgaben seines Obervertriebes nachgibt oder ob er das Wohl des Kunden im Auge hat. Darum geht es uns als christlich-liberale Koalition. ({13}) Da Sie so viel über die anderen Sachen reden, möchte ich klar sagen: Wir werden diese Vorgaben auch auf dem Grauen Kapitalmarkt umsetzen, aber in einem anderen Gesetzestext. Wenn das Ihr einziger Kritikpunkt ist, ob es ein Gesetz ist oder ob es drei Gesetze sind, dann ist das wirklich schwach. Außerdem wissen Sie, dass die Sachen, die wir hier sagen, auch umgesetzt werden. Wenn dann der Vorwurf kommt, man hätte zu lange gebraucht, dann sage ich nur, Herr Kelber: Wenn zwölf Jahre nichts gegangen ist, wenn zwölf Jahre in diesem Bereich nichts passiert ist, dann würde ich mir fünfmal überlegen, ob ich diese Kritik hier äußere. ({14}) Die christlich-liberale Koalition geht beim Anlegerschutz voran. Sie macht einen Schritt nach dem anderen, und diese macht sie schnell. Das ist ein Meilenstein für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Von daher sind wir auf einem guten Weg und arbeiten in diesem Bereich erfolgreich und effizient für den Verbraucherschutz. Um genau das geht es. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention der Kollege Kelber bitte.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schweickert, Sie haben mich insgesamt viermal direkt angesprochen. Sie sind erst seit 2009 Mitglied des Bundestages. Sie haben gesagt, zwölf Jahre lang sei nichts passiert. Haben Sie aufgepasst und bemerkt, dass Ihre Partei bei jeder Regulierung, die vorgenommen wurde, von Überregulierung ({0}) gesprochen hat und uns Irland und Island als Beispiele für gute Finanzregulierung empfohlen hat?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie möchten antworten? - Bitte schön. ({0})

Dr. Erik Schweickert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004151, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kelber, Sie haben gesagt, dass ich erst seit 2009 Mitglied dieses Hohen Hauses bin; das ist richtig. Daher habe ich mir die Mühe gemacht, nachzuschauen, was damals zu diesem Punkt gesagt worden ist. Ich möchte zitieren ({0}) aus einer Pressemitteilung Ihres damaligen Finanzministers Hans Eichel, der dort ({1}) - Moment, ich komme sofort dazu; dann können Sie es in Relation setzen - zur „Verbesserung der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes“ geschrieben hat: Weitere wesentliche Bestandteile sind das Investmentgesetz 2003, Regelungen über Hedgefonds und alternative Investments … Wenn man in der Pressemitteilung weiterliest, um herauszufinden, was diese alternativen Investments sind, findet man Folgendes: Kreditinstitute können nunmehr in Deutschland ihre Kreditforderungen und Kreditrisiken in Zweckgesellschaften bündeln und daraus eine Reihe liquider Wertpapiere an den Kapitalmarkt bringen. In der Pressemitteilung heißt es auch: Damit wird Deutschland - bei den Hedgefonds den Anschluss an die Entwicklung im Bereich alternativer Investments halten, die insbesondere im angelsächsischen Finanzmarkt weit vorangeschritten ist. ({2}) Jetzt die Äußerung unseres Kollegen Solms, der damals dazu im Plenum gesprochen hat - ich zitiere -: Deswegen will ich daran erinnern, Frau Staatssekretärin: Vertrauen für den Finanzmarkt zu schaffen bedeutet mehr als die Schaffung von Finanzmarktförderungsgesetzen oder eine Liberalisierung bei den Fondsprodukten. Lieber Herr Kelber, nehmen Sie sich dies zu Herzen. Dann wissen Sie, wo wir stehen und wo damals die Fehler gemacht worden sind. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Caren Lay das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines ist aus meiner Sicht unstrittig: Der Gesetzentwurf, den wir heute behandeln, ist längst überfällig. Aus Sicht der Kleinanlegerinnen und Kleinanleger kommt er viel zu spät. Denn jedes Jahr verlieren private Haushalte 20 bis 30 Milliarden Euro allein durch Falschberatung bei der Geldanlage. Vor diesem Hintergrund muss ich sagen: Es ist völlig inakzeptabel, dass Sie heute, zweieinhalb Jahre nach der Lehman-Pleite, sagen: Wir beschließen heute einmal ein kleines Paket, dann kommen der zweite, der dritte und der vierte Schritt. Das sagen Sie uns jetzt seit Beginn dieser Legislaturperiode. Das ist für uns als Opposition nicht mehr hinnehmbar. ({0}) Wir brauchen einfach nur diese Legislaturperiode zu betrachten. Der Rettungsschirm für Banken einschließlich vieler Milliarden Euro Steuermittel war natürlich ganz schnell gespannt. Auf einen Schutzschirm für Verbraucherinnen und Verbraucher, der diesen Namen wirklich verdient, warten wir bis heute. Wir als Linke haben als Erste ein Gesamtkonzept für den finanziellen Verbraucherschutz vorgelegt; die anderen Oppositionsfraktionen sind bald gefolgt, übrigens häufig mit großen Übereinstimmungen. Vor diesem Hintergrund ist das, was die Koalition uns heute zur Abstimmung vorlegt, überaus mager und für uns nicht hinnehmbar. ({1}) Man muss eine ganz andere Einschätzung haben, wenn man hier von einem großen Wurf oder gar von einem Meilenstein für den Verbraucherschutz spricht. Die Regierung verläuft sich hier in Klein-Klein, und die wirklich zentralen Fragen des finanziellen Verbraucherschutzes werden überhaupt nicht angegangen. Deswegen kann ich mich in meiner Rede auch nicht nur auf das konzentrieren, was Sie falsch oder unzureichend regeln, sondern ich möchte auch die Dinge ansprechen, die in diesem Gesetzentwurf überhaupt nicht vorkommen, die aber dringend notwendig wären, wenn man im Interesse der Kleinanleger handeln möchte. ({2}) Das Kernanliegen von uns Linken ist immer, dass wir sagen: Wir können nicht die gesamte Verantwortung auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abwälzen. Manche Finanzprodukte sind so intransparent, dass selbst Profis nicht durchblicken. Wie soll dann eine Verkäuferin sie verstehen, die vielleicht 3 000 Euro, die sie sich hart erspart hat, zur Bank tragen möchte, aber gar kein Vertrauen mehr hat, ob sie ihr Geld dort in sicheren Händen weiß? Wir sagen: Hier ist die Politik gefragt. Wir brauchen wirksame öffentliche Institutionen. Diese sind nach wie vor nicht geschaffen. Als ersten Schritt hätte man sagen können: Man muss die Finanzaufsicht, die BaFin, stärken, indem man ihr den gesetzlichen Auftrag für den Verbraucherschutz gibt; auch wenn wir Linke dies für unzureichend halten, wäre es ein erster Schritt gewesen. In diesem Gesetzentwurf ist aber Fehlanzeige. Wir sagen: Auch Deutschland braucht endlich eine Verbraucherschutzbehörde für die Finanzmärkte, die auch aktiv vor Missständen warnen muss. ({3}) Das halten wir eigentlich für eine Selbstverständlichkeit. In Ihrem Gesetzentwurf ist aber Fehlanzeige, ebenso wie im Hinblick auf den Marktwächter und die Stärkung der Verbraucherzentralen, was seit langem gefordert wird. Kommen wir zur Registrierungspflicht für Berater. Erstens gehen Sie mit der Registrierungspflicht das Kernproblem nicht an. ({4}) Das Kernproblem ist die provisionsgetriebene Beratung. Sie muss endlich überwunden werden. ({5}) Zweitens sind die überzogenen Verkaufsvorgaben, denen die Beraterinnen und Berater ausgesetzt sind, ein ganz zentrales Problem. Hier muss man ansetzen; denn diese Vorgaben setzen die Beschäftigten der Bank unter Druck. Auch diesen Mut haben Sie nicht aufgebracht. Außerdem gibt es Finanzprodukte, die aus Sicht der Linken so unseriös sind, dass sie überhaupt nicht auf den Markt gehören. Deswegen fordern wir, wie viele andere, einen Finanz-TÜV. Auch davon ist im Koalitionslager noch nichts zu sehen. Die fehlende Regulierung des Grauen Kapitalmarktes wurde mehrfach angesprochen; dabei geht es beispielsweise um die freien Vermittler. Die Regulierung soll jetzt auf die Gewerbeaufsicht der Länder abgewälzt werden. ({6}) Das ist wirklich ein völlig untaugliches Instrument, weil die Gewerbeaufsicht, die sich ansonsten zum Beispiel um den Nichtraucherschutz kümmert, hierfür überhaupt nicht ausgestattet ist. Ihr Gesetzentwurf ist ein Flickenteppich, den die Verbraucherverbände an dieser Stelle zu Recht kritisieren. Wir halten all das für den Gipfel einer falschen Politik, die nicht im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher ist. ({7}) Meine Damen und Herren, die Koalition ist vor der Bankenlobby eingeknickt. ({8}) Der Kollege Sieling hat zu Recht gesagt, dass es dafür ab und zu ein Dankeschön gibt; Sie haben aus dem entsprechenden Schreiben zitiert. Eines haben Sie aber leider nicht erwähnt: Ab und zu wird auch ein großzügiger Scheck ausgestellt. Wenn man sich vor Augen hält, welche Beträge von Juli bis November letzten Jahres an Union und FDP geflossen sind, ({9}) zum Beispiel von der Deutschen Vermögensberatung, muss man sagen: Das passt wirklich auf keine Kuhhaut. ({10}) Ich sage nicht, dass es an dieser Stelle einen Zusammenhang gibt. ({11}) Fakt ist aber: Es gab Spenden in großer Höhe. Jeder sollte sich selbst einen Reim darauf machen, ob es hier einen Zusammenhang mit dem schwachen Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, gibt. Vielen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Mechthild Heil spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mechthild Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzkrise hat das Vertrauen der Verbraucher in die Finanzmärkte erschüttert. Selbst hochanerkannte Finanzfachleute haben viel Geld verloren. Wenn Fachleuten, die sich doch auskennen müssten, dies passiert, wie kann ich mich dann als Laie noch zurechtfinden? Das fragen sich viele Verbraucher und, wie ich denke, auch viele Bürger, die dieser Debatte folgen. Mit ihrer eigenen Bank, mit ihrem eigenen Berater sind die meisten Anleger zufrieden. Dennoch ist die Verunsicherung unter den Bankkunden groß. Oder positiv gesagt: Das Interesse der Kunden an den Produkten ist stetig gewachsen. Was verkauft mir mein Berater da eigentlich? Was steckt dahinter? Wie viel Risiko gehe ich ein? Warum bietet er ausgerechnet mir dieses Produkt an? Und warum das und nicht ein anderes? Was springt dabei eigentlich für den Berater heraus? Blickt mein Berater da eigentlich durch? Was befähigt ihn dazu, mich zu beraten? - Der Verbraucher ist sensibilisiert, und mancher Verbraucher ist sicherlich auch verunsichert. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf reagieren wir auf diese Vertrauenskrise. Integere, effiziente und transparente Kapitalmärkte sind die entscheidende Voraussetzung für eine gesunde Volkswirtschaft. Wir stärken den öffentlichen Anlegerschutz und verbessern die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte. Wir bekämpfen die Unsicherheit von Anlegern und stärken damit den Finanzplatz Deutschland. ({0}) Das wichtigste Anliegen aus Sicht des Verbraucherschutzes ist es, dem Bürger zu ermöglichen, seine Entscheidungen wirklich mündig fällen zu können. Mit diesem Gesetz tun wir genau das: Wir stärken den Schutz der Verbraucher, und wir bringen mehr Transparenz in das ganze System. Das Beratungsprotokoll hat die Beweissituation von Privatanlegern bereits verbessert. ({1}) Wir gehen heute aber noch einen Schritt weiter: Produktinformationsblätter werden Pflicht. In den Produktinformationsblättern werden die wesentlichen Eigenschaften des Finanzproduktes in leicht verständlicher Form auf zwei bis drei Seiten dargestellt. Dieser „Beipackzettel“ enthält alle wesentlichen Informationen über das jeweilige Finanzprodukt. Der Kunde wird informiert, und er kann auf einen Blick die Art des Finanzprodukts, seine Funktionsweise, die damit verbundenen Risiken, die Aussicht auf Kapitalrückzahlung bzw. Erträge unter den verschiedenen Marktbedingungen und die mit der Anlage verbundenen Kosten sehen. Das Informationsblatt darf sich jeweils nur auf ein Finanzprodukt beziehen. Werbung und sonstige, nicht dem Zweck dienende Informationen sind verboten. Der Vorteil dieses Informationsblattes sind eine realistische Einschätzung des Produktes und eine gute Vergleichbarkeit mit anderen Finanzprodukten. Damit steigern wir die Entscheidungssicherheit des Einzelnen gegenüber den Banken und Anlageberatern. Welche Konsequenzen ziehen wir aber noch aus der Finanzkrise? - Die Krise hat gezeigt: Nicht jeder Berater hat die nötige Sach- und Fachkunde. Und sie hat gezeigt: Nicht immer stand bei der Anlageberatung das Kundeninteresse im Vordergrund. Provisionen und Vertriebsvorgaben spielen eine große Rolle. Es muss jedoch klar sein: Provisionen und Vertriebsvorgaben dürfen nicht zu Falschberatungen führen. Darüber hinaus muss derjenige, der mit dem Geld anderer Leute umgeht, ein hohes Verantwortungsbewusstsein haben und hohe Sach- und Fachkenntnisse besitzen. Deshalb verpflichtet der vorliegende Gesetzentwurf zum Nachweis der Sach- und Fachkunde der Anlageberater, Vertriebsbeauftragten und der Compliance-Beauftragten. Daher legen wir im Gesetz fest: Jeder der rund 300 000 Berater muss sich bei der Finanzaufsichtsbehörde BaFin registrieren lassen. Wie in einem Klassenbuch wird jede Beschwerde, der Name des Mitarbeiters sowie des Unternehmens vermerkt. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt in Richtung Schutz der Anleger einerseits und Stärkung der Verantwortlichkeit der Berater andererseits. Wir führen Sanktionsmöglichkeiten der BaFin im Falle von Falschberatungen ein. Kommt es wiederholt zu Falschberatungen, kann als letzter Ausweg ein Anlageberater bis zu zwei Jahre von seiner Funktion suspendiert werden. Das ist ein wichtiger Beitrag für mehr Verbraucherschutz in Deutschland. Die Möglichkeiten der BaFin gehen in Zukunft aber noch weiter: Die BaFin prüft auch die Vertriebsstrukturen, die für eine Falschberatung ausschlaggebend waren. Somit sagen wir auch Provisionen und Vertriebsvorgaben, die sich gegen einen Kunden wenden, den Kampf an. Das Gesetz verpflichtet die Banken ausdrücklich, Vertriebsvorgaben so auszugestalten, umzusetzen und zu überwachen, dass die Kundeninteressen nicht beeinträchtigt werden. Doch was macht die Opposition? - Die traurige Wahrheit sieht wie folgt aus: Die SPD sträubt sich gegen eine pauschale Registrierung. Das verwundert mich schon sehr, hat doch im Sommer noch die gesamte SPD mit Herrn Steinmeier an ihrer Spitze in einem Antrag zur Stärkung des Verbraucherschutzes eine - ich zitiere - „umfassende Registrierungspflicht“ gefordert. ({2}) Von Ihrem hohen Anspruch ist nach Druck von den Gewerkschaften und von Bankenlobbyisten nicht viel übrig geblieben. Der Schutz der Verbraucher ist bei Ihnen auf der Strecke geblieben. ({3}) Die Sozialdemokraten fordern aktuell in ihrem Antrag: Registrierung erst nach Kundenbeschwerde. Als Anwalt der Verbraucher sind Sie gestartet, ({4}) und jetzt ziehen Sie mit einer bunten Truppe aus Gewerkschaften, Interessenverbänden und Banken unter dem Slogan „Kriminalisierung eines Berufsstandes“ gegen den Schutz von Anlegern vor schlechten Beratern zu Felde. Das ist schäbig. ({5}) Es geht nicht um die Kriminalisierung eines Berufsstandes. Wir als CDU/CSU nehmen aber die Realität in den Blick. Ja, der einzelne Kundenberater kann durch Vorgaben seiner Vorgesetzten unter großen Verkaufsdruck geraten. Deshalb wird die BaFin ja auch die gesamte Beratungsstruktur in den Blick nehmen. Aber genauso wenig, wie ein Lkw-Fahrer über eine rote Ampel fahren darf, nur weil sein Chef ihm einen engen Zeitplan vorgegeben hat, darf ein Bankberater ungeeignete Papiere an seine Kunden verkaufen, nur um Zielvorgaben zu erfüllen. Tut er das, müssen er und sein Chef mit Sanktionen rechnen. Das ist richtig, und das wollen wir zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher. Dadurch schaffen wir Vertrauen. Mit dem Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz schaffen wir die Grundlage dafür. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Kerstin Tack spricht jetzt für die SPDFraktion. ({0})

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich den Gesetzentwurf anguckt, muss man sich fragen: Was war das Ziel, und was ist das Ergebnis? Zum Ziel hat der Kollege Schick vorhin schon etwas aus dem Koalitionsvertrag zitiert, indem er gesagt hat: Ziel dieser Koalition war es, eine Einheitlichkeit bei den Rahmenbedingungen sowohl für die Vermittlung als auch für die Vertriebswege als auch für die Produkte selber herzustellen. Gucken wir uns jetzt einmal an, was wir hier heute mit dem Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt bekommen haben, nämlich eine Zweiteilung auf dem Beratermarkt. Auf der einen Seite gibt es die streng regulierten Bankberater, auf der anderen Seite freie Vermittler, denen ein Gewerbeschein genügt, um Fondsanteile verkaufen zu dürfen. Die genauen Regelungen werden wir am Ende des Tages hier vorgelegt bekommen. Das alles machen Sie ja erst noch. Sie sind noch dabei, uns das alles vorzulegen. Das haben Sie ja nicht in einem Rutsch hinbekommen. Das wollen wir an dieser Stelle doch einmal konstatieren. ({0}) Frau Aigner hat als Verbraucherschutzministerin in den letzten Monaten keine Gelegenheit ausgelassen, ihre Vorstellungen in Bezug auf eine künftige Regelung kundzutun. Sie hat immer wieder auf den Koalitionsvertrag verwiesen und gesagt, sie wolle die Einheitlichkeit und dass die Protokollierung standardisierter wird. Sie hat auch immer wieder gesagt, dass die Honorarberatung gestärkt werden muss und dass für das Produktinformationsblatt eine standardisierte Vorgabe erforderlich ist. ({1}) Was ist passiert? Von den Ankündigungen ist im jetzigen Gesetzentwurf nichts übrig geblieben. ({2}) Wehe dem Verbraucher, der sich auf die Ankündigungen von Frau Aigner verlässt; denn davon bleibt doch nichts übrig. Jetzt ist es schon so weit, dass die Ankündigungen nicht nur von der Ministerin kommen, sondern auch von den jeweiligen verbraucherpolitischen Sprechern der Regierungskoalition. ({3}) Herr Schweickert, ich habe Ihre Ankündigung zur Honorarberatung gehört. Mir fehlt aber der Glaube, dass das in Ihren nächsten und übernächsten Schritten auch Wirklichkeit wird. Sie kündigen ja auch hinsichtlich des Protokolls an: „Wenn das nicht reicht, dann arbeiten wir nach“, und zu den Produktinformationsblättern sagen Sie: „Wenn das nicht reicht, dann machen wir eine Rechtsverordnung.“ Wenn Sie doch schon wissen, dass das nicht ausreichend ist; wieso stehen die Ergänzungen denn dann nicht hier drin? ({4}) Was die Protokolle angeht, die schon vorgeschrieben sind, gibt es kein Testheft von Stiftung Warentest, in dem nicht festgestellt wird, dass sie nicht nachvollziehbar und inhaltlich unzureichend sind oder erst gar nicht erstellt werden. Das wollen Sie komplett ignorieren und stellen allenfalls eine Nachregelung in Aussicht. ({5}) Warum regeln Sie es nicht in dem Gesetzentwurf? Das wäre doch Ihre Aufgabe gewesen. Menschen, die eine Beratung aufsuchen, erwarten, dass sie eine vernünftige Auswertung und Protokollierung des Gespräches bekommen können. Schließlich sollen sie daraus auch später Ansprüche gegenüber dem Berater ableiten können. ({6}) Des Weiteren sehen Sie eine Stärkung der Bankaufsicht vor, indem Sie die Bankberater verstärkt unter Druck setzen wollen. In der Begründung des Gesetzentwurfes stellen Sie selber fest: Problemfelder sind insbesondere die heterogene Qualifikation der Anlageberater und die nachteilige Beeinflussung durch Vertriebsinteresse, -druck und -provisionen. Aber was ist die Quintessenz aus dieser Problembeschreibung? Was passiert in Bezug auf den Vertriebsdruck? Sie setzen die Bankberater immens unter Druck, indem sie nicht nur montags die Anweisung bekommen, wie freitags die Zahlen auszusehen haben, sondern indem Sie auch eine Prüfung durch die BaFin vorsehen. Sie sagen, die Bankberater würden schon Manns genug sein, sich dagegen zu wehren, wenn die Vorgaben am Montag zu hoch sind, um mit der Zahl der Kunden, die die Woche über die Bank besuchen, eingehalten zu werden. Das kann doch nicht sein. Es kann nur darum gehen, die Vertriebswege und die internen Systeme der Banken in den Blick zu nehmen. Sie können doch nicht die Berater dafür bestrafen, dass das System innerhalb der Bank nicht stimmt. Da stinkt der Fisch vom Kopf. Das ist die Situation. ({7}) Richtig wäre gewesen, sich den Vertriebswegen stärker zu öffnen und einen vernünftigen Informantenschutz für das System zu schaffen, damit Bankberater eventuelle Missstände in ihrer Bank unter besonderem Schutz weitergeben können. Das wäre vernünftig gewesen und hätte uns weitergeholfen. Ein gutes Gesamtkonzept auch aus Sicht des Verbraucherschutzes muss mehr beinhalten. Es muss eine Marktwächterfunktion vorsehen. Es muss auch beinhalten, dass die Verbraucherzentralen die Märkte beobachten können und Beschwerderechte haben. Wir haben das in der Großen Koalition noch gemeinsam beschlossen. Davon wollen die Kollegen von der CDU/CSU heute nichts mehr wissen. Damals haben wir auch die Stärkung der Honorarberater, die Klärung eines genauen Rechtsrahmens und die Kostentransparenz beschlossen. Auch das ist nicht mehr im Gesetzentwurf enthalten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Dieser Gesetzentwurf schützt keinen Anleger. Er schützt die freien Vermittler und den Grauen Kapitalmarkt vor Regulierung und Sanktionierung. Das machen wir nicht mit. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ralph Brinkhaus hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Privileg des letzten Redners in der Debatte ist, dass er auf alles reagieren kann, was vorher gesagt wurde. Ich muss ehrlich sagen: Die Debatte war ein bisschen rituell. Die Regierung sagt: Alles ist gut. Die Opposition sagt: Alles ist schlecht. Das ist das Übliche. ({0}) Gestört hat mich ein bisschen, Herr Schick und Herr Sieling, dass Sie das Ganze etwas auf die persönliche Ebene gezogen haben. Ich glaube, das ist nicht notwendig. Ich glaube, wir alle wollen im Anlegerschutz mehr tun. Wir haben unterschiedliche Vorstellungen, wie das geschehen kann. Dementsprechend wünsche ich mir, dass wir die Diskussion mit weniger Schaum vor dem Mund ein wenig sachlicher führen. ({1}) Ich nehme die einzelnen Kritikpunkte, die heute wie auch in Briefen von Gewerkschaften und Personalräten geäußert worden sind, sehr ernst und möchte auf den einen oder anderen Punkt eingehen. Fangen wir mit dem Anschleichen an. Kollege Middelberg hat dazu einiges ausgeführt. Wir schließen eine Lücke und damit eine Umgehungsmöglichkeit im geltenden Recht. Das ist ehrenwert, gut und richtig. Es trifft aber nicht zu, dass wir daRalph Brinkhaus mit das ganze Übernahmerecht verbessern. Diesen Anspruch erheben wir gar nicht. Das ist ein sehr komplexer Prozess, dem übrigens auch der SPD-Antrag nicht gerecht wird. Wir müssen vielmehr das Ganze in den Blick nehmen und feststellen, ob das, was teilweise in Presse und Wissenschaft geäußert wird, zutrifft, nämlich dass deutsche Unternehmen ein besseres Ziel für feindliche Übernahmen sind als Unternehmen in anderen Ländern. Das ist insofern gerade jetzt besonders wichtig, als deutsche Unternehmen besser dastehen als viele andere Unternehmen in vielen anderen Ländern und deswegen durchaus ein Übernahmeziel sind. Wir werden das sorgfältig machen. Wir werden ein Fachgespräch führen. Wir werden gemeinsam mit Ihnen die Anregungen gründlich aufgreifen und werden dann Lösungen erarbeiten, die dazu beitragen werden, dass wir ein Level Playing Field, einen fairen Wettbewerb, in Europa und auch in der ganzen Welt haben. Zweiter Punkt: Produktinformationsblätter. Dazu muss man einfach einmal sagen, dass wir es gemacht haben. Wir haben ein Produktinformationsblatt eingeführt ({2}) gegen sehr viel Widerstand. Wir haben teilweise konkurrierende europäische Regelungen, wir haben Vorstellungen im Bankenbereich, wie das Ganze aussehen soll. Wir haben angefangen, wir haben es gemacht. Jetzt kann man natürlich kritisieren, dass das Ganze nicht detailliert genug ist. Man kann kritisieren, dass darin nichts steht zu ökologischen und sozialen Aspekten. Man kann viel kritisieren. Aber man sollte doch einfach mal anerkennen, dass wir einen Anfang gemacht haben. Wenn wir bessere Erkenntnisse gewinnen, dann werden wir diese einbeziehen. Das müssen wir sowieso tun, weil wir auf europäischer Ebene die PRIPs-Intiative haben, wonach wir dieses Informationsblatt in zwei bis drei Jahren überarbeiten müssen. ({3}) Dritter Punkt: Beraterqualität. Ganz ehrlich, meine Damen und Herren, wer kann denn wirklich etwas dagegen haben, dass wir verlangen, dass Berater im Wertpapierbereich über Sachkunde verfügen? Wer kann denn wirklich etwas dagegen haben? ({4}) Dementsprechend sollte man anerkennen, dass wir das hier an dieser Stelle im ersten Schritt bei den Bankberatern verortet haben. Wir haben sogar noch eines gemacht: Damit durch dieses Gesetz niemand geschädigt wird, haben wir die Übergangsfrist im Gesetzgebungsprozess noch einmal verlängert. Wir haben eine „AlteHasen-Regelung“ eingebaut. Wir haben ganz viele Regelungen eingebaut, damit auch Leute, die vielleicht nicht über die formale Qualifikation verfügen, genügend Zeit haben, sich diese Qualifikation anzueignen. Zweiter Punkt hierzu: Was kann man dagegen haben, dass die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, tatsächlich überwacht, ob die Beratung gut und richtig ist? Was kann man wirklich dagegen haben? Genau das werden wir in diesem Gesetz regeln. Man muss eines dazu sagen - das ist jetzt an die Kollegen der SPD gerichtet -: Ja, wir fangen eben nicht nur bei den Beratern an, sondern elementarer Teil dieses Gesetzes ist, dass wir erstmals die Vertriebsbeauftragten und die Compliance-Beauftragten in Unternehmen in den Fokus nehmen und versuchen, auch diese zu überwachen. Was wird passieren? Es wird Folgendes passieren: Wir werden alle Bankberater registrieren. Ja, wir werden alle Bankberater registrieren. Da kann man jetzt einwenden, das sei eine riesige Bürokratie. Wir haben das bei den Versicherungsvermittlern gemacht, die übrigens fast genauso viele sind wie die Bankberater. - Anstandslos. Es gibt keine Beschwerde. ({5}) In einem zweiten Schritt werden wir dann die Beschwerden, die von Kunden gegenüber einem Bankberater geäußert werden, sammeln. Es wird aber nicht so kommen wie bei der Flensburger Verkehrssünderkartei: sechs Beschwerden, und du bist raus, du kriegst ein Berufsverbot. Das ist ja die Befürchtung, die von den Gewerkschaften immer wieder suggeriert wird. Nein, es wird so sein: Wenn wir eine gewisse Häufung von Beschwerden haben, dann wird die BaFin anrücken, und dann wird sie beim Berater fragen, was schiefgelaufen ist. Sie wird aber genau das tun, was Sie angemahnt haben. Sie wird nämlich auch bei den Vertriebsstrukturen prüfen, was dort schiefgelaufen ist, ob da ein Vorgesetzter ist, der unzulässigerweise Druck ausgeübt hat. ({6}) Sie wird auch den Compliance-Beauftragten befragen: Gibt es in diesem Unternehmen eine Unternehmenskultur, die gezielt auf eine Falschberatung hinwirkt? Das ist neu, das ist gut, und das ist richtig. Das ist ein Quantensprung gegenüber all den Dingen, die wir vorher gemacht haben. Das muss man auch mal anerkennen. ({7}) Jetzt will ich Ihnen eines sagen. Es wird ja immer so getan, als könne der arme Berater nichts dafür. Wir wissen, dass Vertriebsdruck in den Betrieben ausgeübt wird. Aber wer kann denn ernsthaft etwas dagegen haben, dass dann, wenn ein Berater systematisch über Jahre hinweg eine Falschberatung betreibt, systematisch über Jahre hinweg das Vermögen, das ihm anvertraut wird, vernichtet, ganze Lebensentwürfe vernichtet, wie das im Lehman-Fall passiert ist, diesem Berater als Ultima Ratio gesagt wird, dass er für zwei Jahre aus dem Verkehr gezogen wird? Ich kann das nicht verstehen. ({8}) Denn auch der Berater hat eine Verantwortung. Im Übrigen tun wir mit diesem Gesetz eines: Wir stärken den Berater gegenüber seinem Chef, weil er sich immer wieder darauf berufen kann: Ich werde beobachtet, ich muss für mein Handeln einstehen. ({9}) Deswegen ist es so richtig, wie wir diesen Gesetzentwurf gemacht haben, und deswegen ist es völlig unverständlich, dass von der SPD versucht wird, dieses Gesetz mit der Begründung zu torpedieren, dass das zu viel Bürokratie sei. Das, Herr Sieling, ist armselig! ({10}) Kommen wir zum nächsten Bereich, zum Bereich der offenen Immobilienfonds. Wir haben festgestellt, meine Damen und Herren, dass wir bei den offenen Immobilienfonds einen Konstruktionsfehler haben. Der Konstruktionsfehler bestand darin, dass wir auf der einen Seite den Anlegern versprochen haben, dass sie täglich ihre Anteile zurückgeben dürfen und ihr Geld dafür kriegen, ({11}) das aber mit Immobilien unterlegt war, die man nicht täglich wie Aktien in einem Aktienfonds verkaufen kann. Wir haben dieses Problem angepackt. Wir haben dieses Produkt durch Mindesthaltefristen, Kündigungsfristen und vieles andere mehr sicherer gemacht, und zwar in einem Prozess, der wahnsinnig schwierig war; denn die Branche hatte keine Lösung angeboten. Wir mussten das alleine machen. Wir haben das auch auf den Weg gebracht. Das Einzige, was Ihnen, Herr Sieling, dazu einfällt, ist der Satz: Ich habe dagegen Bedenken. - Der Gegenvorschlag, den Sie im Entschließungsantrag machen, läuft letztendlich nur auf eine genauere Beobachtung hinaus. Das entspricht nicht dem Niveau, auf dem wir hier diskutieren sollten. Aber das passt zu Ihnen, Herr Sieling, und Ihrer Rede. Das ist nicht gut. ({12}) Nachdem ich einiges zum Gesetzentwurf gesagt habe, lassen Sie mich noch ein paar allgemeine Ausführungen machen. ({13}) Lassen Sie mich auf den Vorwurf der Branche eingehen, wir regulierten zu viel und verursachten einen zu hohen bürokratischen Aufwand. Ich habe grundsätzlich eine sehr marktwirtschaftliche und wirtschaftsliberale Einstellung und frage mich manchmal auch, ob das, was wir regulieren, richtig ist oder ob wir dadurch nicht nur zusätzlichen bürokratischen Aufwand verursachen. Aber die gesamte Finanzbranche hatte seit 2008 zweieinhalb Jahre Zeit, auf all die Fragen, die die Finanzkrise aufgeworfen hat, eigene Antworten zu geben. Diese Antworten sind nie gekommen, weder beim Eigenkapital noch bei der Liquidität noch bei den Ratingagenturen und auch nicht beim Verbraucherschutz. Wenn die Branche nun sagt: „Ihr macht da etwas falsch; das ist eine Überregulierung“, dann muss sie sich fragen lassen, warum sie keine eigenen Vorschläge gemacht hat. ({14}) Ich will das am Beispiel der offenen Immobilienfonds erläutern. Wir wissen seit zwei Jahren, dass dieses Produkt in der Krise ist. ({15}) Wir warten seit zwei Jahren auf Vorschläge der Branche. Aber es kommt nichts. Schlimmer noch: Jeder Vorschlag, den wir gemacht haben, wurde bekämpft, einmal vom Verband, dann von größeren Anbietern und dann wieder von kleineren Anbietern. So kann man nicht arbeiten. Ganz ehrlich: Wenn man Marktwirtschaft ernst nimmt, dann muss man dem Markt auch zugestehen, dass er in der Lage ist, Probleme selbst zu lösen. ({16}) Ich habe das Gefühl, dass der Finanzmarkt momentan dazu nicht in der Lage ist. Er ist nicht in der Lage, seine Probleme selbst zu lösen. Deswegen darf er sich nicht wundern, dass wir Politiker mit unserem vielleicht begrenzten Wissen - so demütig sollten wir sein - hin und wieder Regelungen erlassen, die nicht optimal sind. Aber der Finanzmarkt hätte immer die Alternative gehabt, sich selbst zu regulieren und selber etwas auf den Weg zu bringen. Warum müssen wir denn ein Produktinformationsblatt machen? Warum hat es der Zentrale Kreditausschuss nicht geschafft, ein bundesweit einheitliches Produktinformationsblatt für Deutschland auf den Weg zu bringen? Das geht so nicht. Da darf er sich nicht wundern, dass wir das machen. Ein letzter Satz, den ich Ihnen noch mitgeben möchte. Ich habe neulich an einer Podiumsdiskussion über die Finanzmärkte teilgenommen; es waren nette Gespräche mit netten Bankern. Herr Schick, ich habe dann eingeworfen: Ohne Ethik und Moral funktioniert Marktwirtschaft nicht. - Daraufhin wurde mir empört entgegengeschleudert: Der Markt hat keine Moral, Herr Brinkhaus. Das ist zwar richtig. Aber die einzelnen Marktteilnehmer sollten Ethik und Moral haben. ({17}) Ich habe das Gefühl, dass die Finanzbranche, die überwiegend gut und korrekt arbeitet - das gilt insbesondere für die vielen Hunderttausenden Mitarbeiter -, nicht über die Selbstreinigungskraft verfügt, diejenigen, die nicht diese Moral haben, zu bekämpfen. Ich wiederhole: Ich habe das Gefühl, dass die Finanzbranche nicht über die Selbstreinigungskraft verfügt, diejenigen zu bekämpfen, die nicht diese Moral haben. Dann muss sich diese Branche auch gefallen lassen, reguliert zu werden. Eines steht fest - das gilt zumindest für uns -: Wir sind noch immer begeisterte Anhänger der Marktwirtschaft. Aber wir werden es nie wieder zulassen, dass eine Branche durch Fehlverhalten die Marktwirtschaft gefährdet. Deswegen beschließen wir heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes. Die freien Vermittler werden genau den gleichen harten Regelungen unterworfen wie die Bankvermittler und Bankberater. Wir werden auch Basel III weiter umsetzen und die OTC-Derivate regulieren. Die christlich-liberale Koalition wird den eingeschlagenen Weg weitergehen. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung. Danke. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts. Zu diesem Punkt liegt eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Ge- schäftsordnung des Abgeordneten Thomas Dörflinger vor.1) Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 17/4710 und 17/4739, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/3628 und 17/3803 in der Ausschussfas- sung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koali- tionsfraktionen angenommen. Dagegen haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die Linke hat sich ent- halten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dafür stimmt, möge bitte aufstehen. - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen wie vorher. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge. Zunächst stimmen wir ab über den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksa- che 17/4721. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt bei Zustim- mung durch die einbringende Fraktion, dagegen haben CDU/CSU und FDP gestimmt, enthalten haben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs- antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4722. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Dafür hat die einbringende Fraktion Die Linke gestimmt, dagegen haben die Koalitionsfraktionen und die SPD gestimmt, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen.2) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf 1) Anlage 4 2) Anlage 5 Drucksache 17/4723. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch das Bündnis 90/Die Grünen, dagegen haben die Koalitionsfraktionen gestimmt, SPD und Linke haben sich enthalten. Wir kommen zu Zusatzpunkt 10 a: Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4710, den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 17/3481 abzulehnen. Wer für den Gesetzentwurf stimmen will, möge die Hand heben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt bei Zustimmung durch die SPD, die Regierungsfraktionen haben dagegen gestimmt, enthalten haben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Damit entfällt die dritte Beratung. Wir setzen die Abstimmungen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses fort. Zusatzpunkt 10 b: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2136 mit dem Titel „Gesamtkonzept zur Stärkung des Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen vorlegen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und FDP, dagegen hat die SPD gestimmt, Linke und Bündnis 90/ Die Grünen haben sich enthalten. Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3540 mit dem Titel „Beschäftigtenrechte bei Übernahmen und Fusionen stärken“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/ CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3210 mit dem Titel „Verbraucherschutz auf Finanzmärkten nachholen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Bündnis 90/Die Grünen hat dagegen gestimmt, Linke und SPD haben sich enthalten. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Ingrid Nestle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Klimaverträgliche Energien für Europa Erneuerbar, effizient, sicher - Drucksache 17/4687 10294

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Vorgesehen ist, hierzu eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Kollegin Bärbel Höhn für Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 4. Februar dieses Jahres hat der EU-Gipfel zur Energiepolitik stattgefunden. EUKommissar Oettinger hat Anfang dieser Woche beim Neujahrsempfang des Bundesverbandes Erneuerbarer Energien seine Konzepte vorgetragen. Wir Grünen halten es für notwendig und sinnvoll, auch im Bundestag über dieses Thema zu debattieren; denn es geht um die zukünftige Klima- und Energiepolitik in Europa. Wir sehen, dass eine negative Entwicklung nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa stattfindet. Wir stellen fest, dass die Politik rückwärtsgewandt ist. Das wollen wir thematisieren, denn das hat auch in Deutschland Auswirkungen. ({0}) Während wir vor einigen Jahren noch erlebt haben, dass Deutschland und Europa in der Klimapolitik und in Bezug auf die erneuerbaren Energien Vorreiter waren, so müssen wir jetzt feststellen, dass die Ergebnisse des letzten EU-Rates enttäuschend sind. Es ist so, dass die erneuerbaren Energien in der zukünftigen Energiepolitik von Europa gar nicht vorkommen. Für Sie mag vielleicht verwunderlich sein, dass ich mich darüber sogar freue; ({1}) aber es ging darum, etwas Schlimmeres zu verhindern. EU-Kommissar Oettinger hatte nämlich einen dramatischen Angriff auf unser deutsches EEG in Vorbereitung: Er wollte versuchen, es von Europa aus zu kippen. ({2}) Es ist gut, dass die Mehrheit der EU-Länder das abgewehrt hat. ({3}) Unter dem Begriff „Harmonisierung“ - das hört sich ja eigentlich ganz gut an - wollte er versuchen, die einzelnen Förderinstrumente der Länder aufeinander abzustimmen. Das heißt, wir hätten wirkungslose Systeme von anderen übernehmen müssen. Es war richtig, dass wir sofort interveniert haben. ({4}) Es war richtig, dass wir unseren Europaabgeordneten gesagt haben: Seid vorsichtig, passt auf! - Ja, es gibt auch ein paar Aufrechte in der CDU/CSU; auch Sie gehören dazu, Herr Göppel. Aber leider repräsentieren Sie da nicht mehr die Mehrheit Ihrer Fraktion; die Mehrheit Ihrer Abgeordneten ist mittlerweile auf einem anderen Trip. Ich würde mich freuen, Herr Göppel, es wäre anders. Warum gibt es diesen Trend, die Angriffe auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland? Der Grund ist die Laufzeitverlängerung; denn die Atomkraftwerke wollen ihren Strom weiter ins Netz speisen, und der Ausbau der Erneuerbaren würde genau das verhindern. Gerade wenn die Erneuerbaren ausgebaut werden, können die großen Energiekonzerne mit ihren Atomkraftwerken nicht den erhofften Gewinn machen. Deshalb versuchen sie, den Ausbau der Erneuerbaren zu verhindern. ({5}) Ich persönlich finde deshalb, dass der Begriff „Brückentechnologie“ eigentlich das Unwort des letzten Jahres ist. ({6}) Diejenigen, die die Atomkraft als Brückentechnologie für die Erneuerbaren bezeichnen und die Laufzeitverlängerung deshalb gutheißen, hätten einmal zum Empfang des Bundesverbandes Erneuerbarer Energien gehen sollen. Dort hätten sie feststellen können, dass die Betroffenen selber die Laufzeitverlängerung als Mauer und nicht als Brücke sehen. Deshalb werden wir weiter dagegen vorgehen. ({7}) Der erste Redner auf diesem Empfang, Herr Fuchs, hat gesagt: Die Umlage für die erneuerbaren Energien wird noch enorm steigen. Am Ende dieses Jahres werden es 5 Cent statt 3,5 Cent sein. - Das sind Gruselgeschichten, und das weiß er auch. Wenn man die Fehlentwicklungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz endlich angehen würde - und das muss man tun; das müssen Sie tun -, dann kann man die Umlage im nächsten Jahr sogar mindern. Das hat eine Studie des DIW, die heute veröffentlicht wurde, deutlich gemacht. Das heißt, wenn man vorsichtig und sorgfältig mit dem EEG umgeht, dann ist - so das DIW - im Jahre 2020 die Umlage nicht höher als 3,5 Cent, also nicht mehr als in diesem Jahr. Wir fordern Sie auf, das umzusetzen; denn damit bewahren wir den Ausbau der erneuerbaren Energien und entwerfen keine Horrorszenarien, wie der Kollege Fuchs das am Montag getan hat. ({8}) Wichtig ist, dass wir den Bereich der erneuerbaren Energien schützen, weil er eine Erfolgsgeschichte ist. In den letzten Jahren wurden durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien 70 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr eingespart, 320 000 Menschen haben Arbeit gefunden, und beim Export haben wir Spitzenergebnisse zu verzeichnen. Das alles lassen wir uns von Ihnen nicht gefährden. Deshalb kämpfen wir weiter für den Bereich erneuerbare Energien. ({9}) - Ja, ab und zu gibt es Abgeordnete, die mitkämpfen. Das ist doch auch in Ordnung. Wir müssen uns daneben um einen zweiten Aspekt kümmern, nämlich um die Energieeinsparung. Ich stelle fest: Bisher haben Sie nur Sonntagsreden gehalten. Angela Merkel sagte am 3. Januar 2007 in einem Interview mit der Financial Times Deutschland: Das A und O ist Energieeffizienz, sparsamer Umgang mit Energie. Im Koalitionsvertrag heißt es: Wir wollen „die enormen Potenziale im Bereich Energieeffizienz heben“. ({10}) Dann tun Sie es auch! Das, was Sie momentan machen, ist eine zahnlose Umsetzung der EU-Gesetzgebung. Sie haben keine Einsparquote, und Sie haben keinen Energiesparfonds. Das Einzige, was Sie haben, ist Information. Auf unseren Stromrechnungen bekommen wir einen Hinweis auf das Internet, wo man sich eine Liste von Energiedienstleistern angucken soll. So leisten Sie keinen wirkungsvollen Beitrag zur Verbesserung der Energieeffizienz. Das ist eine falsche Politik, ({11}) und zwar deshalb, weil es auch im Bereich der Energieeffizienz enorme Potenziale gibt. Eine Studie des Bundesumweltministeriums besagt, dass 260 000 neue Arbeitsplätze entstehen könnten, 77 Millionen Tonnen CO2 und 19 Milliarden Euro Energiekosten eingespart werden könnten. Dieses Potenzial wollen wir heben. Ich komme zum Schluss. Als neue Maßgabe haben Sie ein Energieeinsparpotenzial von 12,8 Prozent genannt und nicht mehr 20 Prozent, wie es die EU eigentlich vor hatte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Malta ist mit 22 Prozent weiter, auch Österreich, Spanien und Frankreich sind weiter. Setzen Sie endlich die Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz um. Das wäre ein Beitrag für mehr Beschäftigung. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jens Koeppen hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute wieder einen Antrag der Grünen zum Thema klimaverträgliche Energieversorgung. ({0}) Einige dieser Anträge - in der Vergangenheit haben Sie immer wieder welche eingebracht - sind nahezu identisch. Sie haben eine andere Überschrift gewählt, aber die Forderungen sind die gleichen. ({1}) Aber was nutzt die Quantität, die Antragsflut, wenn die Qualität nicht stimmt? ({2}) Es ist außerdem bemerkenswert, mit welcher Beharrlichkeit Sie immer wieder mit demselben Kopf durch dieselbe Wand wollen. Aber es ist auch gut, dass Sie diese Anträge stellen; denn das gibt uns die Gelegenheit, über das Thema Umwelt und Energie zu sprechen und darauf zu verweisen, dass man erstens - das ist der Kardinalfehler - bei der Energie- und Klimapolitik nicht nur national denken darf, sondern auch global denken muss. Zweitens. Nachhaltige Energiepolitik muss sich am Zieldreieck Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz ausrichten. Bei Ihnen brechen immer zwei Säulen weg, nämlich die Versorgungssicherheit und die Wirtschaftlichkeit. Drittens. Unser Energiekonzept, Frau KottingUhl, richtet sich an diesem Zieldreieck aus. Damit machen wir den Weg frei, solide ins regenerative Zeitalter zu gehen. Diesen Weg wollen wir beharrlich gehen. ({3}) Sie können gerne mitmachen. ({4}) - Herr Kelber, auch Sie sind eingeladen. ({5}) Die Energiepolitik in Deutschland nur am Klimaschutz auszurichten, ist blauäugig, es gefährdet den Standort Deutschland und den internationalen Klimaschutzdialog. Deutschland in ein grünes Paradies zu verwandeln, ohne dabei den Blick in die Welt zu wagen, ist zu wenig, ja sogar fahrlässig. Es reicht eben nicht aus, nur zu fordern - und das wöchentlich! -, dass wir bis zum Jahr 2030 100 Prozent er10296 neuerbare Energien haben wollen. Es reicht nicht aus, zu sagen: Im Jahr 2050 wollen wir 95 Prozent CO2-Reduktion erreicht haben. ({6}) Es reicht auch nicht aus, immer nur zu schreiben, dass Wind und Sonne Vorrang beim EEG haben. Es reicht nicht, zu schreiben ({7}) - ich komme gleich dazu -, dass Kohle und Kernkraft verteufelt werden, ohne zu beachten, dass wir darauf heute noch nicht verzichten können, Herr Hempelmann. ({8}) Eine moderne Energieversorgung muss ganzheitlich ausgerichtet werden. Dazu haben wir in unserem Energiekonzept einen Fahrplan vorgelegt, der genau dieses Zieldreieck beachtet. Sicherlich, man kann die Ziele noch ambitionierter gestalten und immer noch einen draufsetzen, aber wir brauchen auch den gesellschaftlichen Konsens. Wir müssen die Menschen im Lande und vor allen Dingen auch die Länder mitnehmen; ohne die wird das nichts. Meine Damen und Herren, Sie hingegen richten Ihre Politik einseitig auf den Klimaschutz aus, egal was die Menschen künftig dafür bezahlen müssen. ({9}) Ihnen ist es egal, dass die Wirtschaft unter diesem Kostendruck leiden muss. Sie treiben mit Ihrer Politik auch die soziale Spaltung der Gesellschaft voran. ({10}) Sie wird das Ergebnis haben, dass einige sich die Energie leisten können, andere nicht. Das führt bereits jetzt dazu, dass die Akzeptanz für erneuerbare Energien rapide abnimmt. ({11}) Sie riskieren die Abwanderung der Industrie in vermeintliche Energieparadiese. Das lehnen wir strikt ab. Bezahlbare Energie muss für alle in Zukunft möglich sein. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Höhn zulassen?

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben wieder das falsche Argument gebracht, nämlich dass durch die Erneuerbaren alles total teuer wird und dass man das deshalb nicht bezahlen kann. ({0}) Können Sie hier bestätigen, dass die Preise an der Leipziger Börse seit 2008 am Spotmarkt und am Terminmarkt um 30 bis 40 Prozent gesackt sind, dass die Strompreiserhöhung um 7,5 Prozent von allen Energieversorgern nicht hätte stattfinden dürfen, weil diese Erhöhung nur in die Gewinne gegangen ist, und dass Eon und RWE bei den Erzeugerpreisen mittlerweile Renditen haben, die höher sind als die von Ackermann? Können Sie also bestätigen: „Der eigentliche Preistreiber ist die Monopolsituation am Markt“? ({1})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Höhn, lieber Herr Hempelmann, losgelöst von jeder Kostenentwicklung und von anderen Konditionen: Die erneuerbaren Energien werden in Zukunft nicht die Innovationskraft haben, die nötig ist. ({0}) Sie werden auch nicht die Technologietreiber sein. Wenn Sie heute den Monopolmarkt der erneuerbaren Energien verkünden und ausschreiben würden, dann würden die Wertschöpfung und insbesondere die Exportkraft in diesem Bereich extrem geschwächt. ({1}) Ohne jeglichen Wettbewerb und ohne Kostendruck würden die erneuerbaren Energien ihr großes Potenzial verspielen. ({2}) Eine einseitige Energiepolitik, die mit hohen Subventionen arbeitet, hätte den Effekt, dass die Versorgung aus erneuerbaren Energien in 20 bis 30 Jahren teilweise unbezahlbar würde. Das können und werden wir nicht zulassen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Ihrem Antrag wird immer wieder ein - vermeintlicher - Widerspruch zwischen erneuerbaren Energien und Energieeffizienz auf der einen Seite und CO2-armen Technologien auf der anderen Seite aufgemacht. Ihre kategorische und enervierende Absage an einzelne Technologien können, wollen und werden wir nicht mittragen. Unser Ansatz gilt nach wie vor: Technologieoffenheit, Wettbewerb, Marktanreiz statt Dauersubventionierung und Preistreiberei. ({3}) Der freiwillige Verzicht auf einzelne Technologien, der Verzicht auf die Technologieoffenheit würde die Preise massiv steigen lassen. Sie riskieren damit außerdem, dass die Senkung der CO2-Emissionen in dem gesteckten Zeitrahmen nicht möglich wird. Sie setzen alles auf eine Karte: auf Wind, Sonne und Biomasse. Aber Sie können das doch nicht so einengen und für 40 oder 50 Jahre im Voraus festlegen, dass Sie andere Technologien nicht mehr zulassen. Mit einer solchen Politik würden Sie auch die Kernfusionsforschung ausschließen sowie andere Technologien, die heute noch nicht erforscht sind. Damit würden wir eine große Chance vertun. ({4}) - Das mag aus Ihrer Sicht so sein, aber ich glaube, dass wir eine Chance vertun. Wir sind in Europa im Bereich der erneuerbaren Energien auf einem guten Weg. Aus der Mitteilung der Europäischen Kommission vom Januar geht hervor, dass die Ziele für die erneuerbaren Energien bis 2020 erreicht und, wenn wir gut sind, sogar übertroffen werden, wenn die Mitgliedstaaten ihre Aktionspläne auch wirklich vollständig umsetzen und wenn die Finanzierungsinstrumente verbessert und evaluiert werden. Frau Höhn, dazu gehört auch das EEG; denn auch ein bewährtes Tool wie das EEG muss für die Zukunft neu aufgestellt werden, muss verbessert werden, muss sich einer Evaluation unterziehen. Das EEG muss insbesondere Anreize für neue Technologien, für Innovationen, für Speicherlösungen, für intelligente Netze und Zähler, für Einsparungen beim Eigenverbrauch schaffen. ({5}) Die Kosten-Nutzen-Relation muss deutlich verbessert werden: mehr Markt, mehr Wettbewerb. Ein Weiter-so mit einer blinden Einspeisevergütung darf es nicht geben. Darauf sollten wir auch bei der EEG-Novelle achten. Meine Damen und Herren, ich bin ja von Beruf Elektrotechniker. Eines hat mich in Ihrem Antrag sehr gestört und geärgert: kein Wort zum dringend notwendigen Netzausbau. ({6}) Wie kommt der Windstrom aus der dünn besiedelten Uckermark, wo ich wohne, nach Berlin? Wenn wir den Anteil der erneuerbaren Energien wirklich so massiv ausbauen wollen - darin sind wir uns ja einig -, dann brauchen wir schnell 3 600 Kilometer neue Stromleitungen. ({7}) Dieser notwendige Netzausbau wird aber teilweise von Ihren Leuten vor Ort - das heißt nicht von Ihnen hier, aber von Ihnen nahestehenden Organisationen vor Ort vehement blockiert. ({8}) Es handelt sich um den NABU, den BUND, Ihre Kreisverbände. Sie tun das, obwohl andererseits Techniken für Spannungsgrößen in Höhe von 380 000 Volt überhaupt noch nicht ausgereift sind. Aber das ist Ihnen egal. Aus den Augen, aus dem Sinn. Sie wollen die Leitungen unter die Erde verlegen, trotz zehnmal so hoher Kosten ({9}) - Sie können gleich etwas dazu sagen; Herr Kelber, Sie sind gleich dran -, ({10}) trotz größerer Umweltbelastung, trotz höherer Flächeninanspruchnahme, trotz riesiger Schneisen, die geschlagen werden müssen, trotz zigmal so hoher Bodenversiegelung aufgrund der nötigen Betonwannen. Sie sagen: „Aus den Augen, aus dem Sinn“, und schüren die Proteste. Es ist nicht redlich, Woche für Woche eine Energieversorgung zu 100 Prozent aus Erneuerbaren zu fordern, aber dann, wenn es spannend wird, den Schwanz einzuziehen und die Drecksarbeit die anderen Abgeordneten machen zu lassen. ({11}) Damit werden wir uns nicht zufriedengeben. Das ist keine redliche Umweltpolitik. ({12}) Eine weitere Klimaschutztechnologie, die Sie vor Ort immer wieder vehement bekämpfen und verteufeln, weil Sie Angst haben, diese erklären zu müssen, ist CCS. Einerseits sagen Sie Ja zu CCS im Rahmen von Forschungsprojekten und Industrieprojekten. ({13}) Andererseits sagen Sie hier, ohne irgendeine wissenschaftliche Verifizierung, es sei eine nicht verantwortbare Risikotechnologie. ({14}) Meine Damen und Herren, das ist Panikmache. Ohne die CCS-Technologie werden die Kosten für unsere Klimaschutzmaßnahmen nach Einschätzung der Europäischen Kommission um 70 Prozent steigen, oder unsere Bemühungen werden scheitern. Aber das wollen Sie wohl in Kauf nehmen. ({15}) Der Innovationsstandort Deutschland wird nur dann bestehen, wenn unabhängige Wissenschaftler Forschung ohne Scheuklappen betreiben und Demonstrationen auch bei solchen Technologien durchführen dürfen. Es wird schwer werden, den Chinesen oder Indern diese Technologie zu verkaufen, die ja nun einmal jede Woche ein neues Kohlekraftwerk ans Netz nehmen und Mengen dort speichern müssen, bei denen wir hier gar nicht mithalten können, ({16}) wenn diese Technologie hier im Land bei Demonstrationen schon für gefährlich erklärt wird. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an den Transrapid. Wir müssen Technologien hier ausprobieren, um sie dann exportieren zu können. Sonst wird das nichts. Wir werden in Kürze ein CCS-Gesetz zur Verabschiedung vorlegen, das Risiken für Mensch und Umwelt ausschließt. In diesem Punkt werden wir auch keine Kompromisse zulassen. Meine Damen und Herren von den Grünen, in Ihrem Antrag schreiben Sie wörtlich: Eine konsistente Klimaschutzstrategie muss vom Ziel her gedacht und angegangen werden. Da unterstütze ich Sie voll und gebe Ihnen uneingeschränkt recht. Ich füge aber hinzu: Hier darf es keine Denkverbote geben, hier darf es keine Technologieverteufelung geben, und hier darf es auch keine ideologische Herangehensweise geben. Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ulrich Kelber ist der nächste Redner für die SPDFraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der europäische Energiegipfel letzte Woche war nichts anderes als ein Krisengipfel. Die Europäische Union ist von all ihren energie- und klimapolitischen Zielen im Augenblick meilenweit entfernt, und in allen europäischen Staaten und zugleich auch in der EU-Kommission lässt der Elan zur Erreichung der Ziele nach. Was uns aber am meisten beschäftigen sollte, ist, dass Deutschland vom früheren Tempomacher und Innovationsmotor in der europäischen Energie- und Klimapolitik zur Stotterbremse geworden ist. ({0}) Dies ist für uns doppelt gefährlich: Erstens. In Europa fehlt ein wichtiger Antreiber für eine nachhaltige Energiepolitik. Zweitens. Deutschlands wirtschaftliche Interessen sehen im Grunde genommen ganz anders aus als das, was jetzt von einigen Verbänden diktiert wird. ({1}) Wir als Hightechland sind eigentlich prädestiniert, Energieeffizienztechnologien zu liefern. Stattdessen müssen wir uns jetzt bescheinigen lassen, dass wir in der Europäischen Union Schlusslicht bei den Energieeffizienzbemühungen sind. Wir sind zwar Weltmarktführer bei den erneuerbaren Energien, verspielen diese Position aber im Augenblick. Früher waren wir Klimaschutztreiber in der Europäischen Union; jetzt kann sich die Regierungskoalition noch nicht einmal darüber einig werden, ob sie das europäische Ziel von verbindlich 30 Prozent minus bis 2020 unterstützt oder nicht. Das ist ein Jammerspiel an dieser Stelle. ({2}) Die SPD fordert eine sofortige Kehrtwende in der deutschen Energiepolitik, und zwar bei der zu Hause und bei der in der Europäischen Union. Warum haben wir heute einen Antrag vorliegen? Warum musste in der letzten Woche ein Antrag eingebracht werden? Ich erwarte von einer Regierung zu einem solch wichtigen europäischen Gipfel der Staats- und Regierungschefs eine Regierungserklärung. Weder haben wir in der letzten Woche eine Regierungserklärung dazu bekommen, mit welchem Ziel man hineingeht, noch heute einen Bericht dazu, welche Folgen die Beschlüsse und Nichtbeschlüsse dieses Gipfels für die deutsche Energiepolitik und für die Investitionen in Deutschland hätten. So kann man keine Europapolitik betreiben. Das schwarz-gelbe Bündnis mit den großen Energiekonzernen behindert Deutschlands Energiezukunft. ({3}) Dieses Ketten an Wünsche und Strategien der großen Energiekonzerne schafft keine Energiezukunft; es verspielt mögliche Schritte. ({4}) Ich möchte das an ein paar Beispielen deutlich machen: Wenn man den Vorschlägen der großen Energiekonzerne folgt, verlängert man deren teures Monopol in die Zukunft. Ich will Ihnen das mit Zahlen belegen: In den letzten Wochen haben sich immer wieder Rednerinnen und Redner aus der schwarz-gelben Koalition - auch Herr Oettinger hat dies getan - darüber beklagt, wie hoch die Strompreise aufgrund der Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland gestiegen seien, und meinten, dass dies ein Thema sei, auf das wir ein Augenmerk haben müssten. Für einen Vierpersonenhaushalt werden 140 Euro als Zahl genannt. Schauen wir uns jetzt nur einmal die Gewinne der drei größten deutschen Energiekonzerne an: Das sind 23 Milliarden Euro, von 6 Milliarden Euro vor ein paar Jahren sind sie auf 23 Milliarden gestiegen. Das sind Pi mal Daumen 300 Euro pro Kopf der Bevölkerung. Das heißt, die vierköpfige Familie, die 140 Euro für die Förderung der erneuerbaren Energien, für 350 000 daraus entstandene Arbeitsplätze und Klimaschutz zahlt, überweist 1 200 Euro direkt an die drei Energiekonzerne. Wo sind die Worte und Taten der Regierung zu diesem Thema? Sie beschäftigen sich nur mit den Zahlen der erneuerbaren Energien. Wenn Sie als Bundesregierung schon nicht auf uns als Opposition hören, dann hören Sie doch wenigstens Ihren eigenen Institutionen zu. Die Bundesnetzagentur sagt: Die Strompreiserhöhungen jetzt sind mit den Entwicklungen der erneuerbaren Energien nicht zu begründen; sie sind reine Margenerhöhungen der großen Energiekonzerne. - Oder ganz aktuell sagt heute eine Studie des Umweltbundesamtes, einer nachgeordneten Behörde Ihres Hauses, Frau Staatssekretärin Heinen-Esser: 85 Prozent der Strompreiserhöhungen der letzten zehn Jahre haben nichts, aber auch gar nichts mit der Förderung der erneuerbaren Energien zu tun, sondern dienten allein den Margenerhöhungen der großen Energiekonzerne. - Warum sind Sie im Bündnis mit den Energiekonzernen gegen die Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Land? ({5}) Schwarz-Gelb bekennt sich in dem sogenannten Energiekonzept ganz eindeutig zur Förderung der erneuerbaren Energien. Nur: Sie wollen die erneuerbaren Energien dort fördern, wo die Interessen der Energiekonzerne liegen. ({6}) Das heißt, sie wollen zusätzliches Geld in die großen Offshorewindparks stecken. Sie wollen Geld in den Netzausbau stecken, um Solarthermiekraftwerke in Südeuropa und Nordafrika anzuschließen. Denn das ist die Idee in den Konzernzentralen: Wir lutschen unsere Kohle- und Atomkraftwerke an ihrem goldenen Ende aus, solange es geht, und verkaufen billig produzierten Strom teuer an die Verbraucherinnen und Verbraucher, ({7}) und danach ersetzen wir diese Kraftwerke durch große zentrale Erzeugungseinheiten. Damit wird die ganze Idee zerstört, eine dezentrale Energieerzeugung mit hoher Wertschöpfung und weniger Netzausbau zu erreichen. Wir erhalten für weitere Jahrzehnte ein Monopol, das für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für die heimische Wirtschaft teuer ist. Das bringt keine Zukunft. ({8}) Der Innovationsmangel Ihrer Politik schadet der deutschen Wirtschaft; denn ohne einen starken Heimatmarkt entstehen nicht die Technologien, die man auf dem Weltmarkt verkaufen kann. Man muss einen Heimatmarkt haben, auf dem man eine Entwicklung finanzieren kann und auf dem man zeigen kann, dass es funktioniert, damit die entsprechenden Produkte in der Welt gekauft werden. Das war der dritte Fehler des Bündnisses. Wir, die SPD, wollen eine dezentrale und wettbewerbliche Energieversorgung, eine massive Reduktion des Energieverbrauchs, einen schnellen und vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien. Dazu heißt es im Gutachten des von der Bundesregierung eingesetzten Sachverständigenrats für Umweltfragen: Eine vollständig regenerative Energieversorgung ist technologisch machbar und „ökonomisch vorteilhaft“. Jetzt kommt der entscheidende Punkt, der bei der Solardeckeldebatte vergessen wurde: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der von der Regierung selbst eingesetzt wurde, sagt, dass der Übergang zur regenerativen Stromversorgung in Deutschland durch das sogenannte Energiekonzept von Schwarz-Gelb länger dauern und teurer sein wird. Das ist ein entscheidender Punkt im neuen Gutachten der sogenannten Umweltweisen. Nach einem Jahr schwarz-gelber Energiepolitik ist schon ein Investitionsstopp in Deutschland nachweisbar und nachmessbar: Es gibt einen Einbruch bei den Neubauten hochflexibler GuD-Kraftwerke; denn die Stadtwerke wollen nicht mehr investieren, weil ihnen durch die Laufzeitverlängerung bei den Atomkraftwerken der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Es gibt keine Modernisierung des Kraftwerksparks; das schadet der Umsetzung unserer Klimaziele, Herr Kauch. Es gibt ein Absacken bei den Aufträgen in allen Bereichen der erneuerbaren Energien, auch bei der Windenergie. Wenn Sie sich nur die Meldungen der letzten Wochen ansehen, nach denen RWE und EnBW trotz wieder gestiegener Gewinne ankündigen, ihre Investitionen in erneuerbare Energien zurückzufahren, dann erkennen Sie doch, welche Auswirkungen Ihre Politik hat. ({9}) Ein Land lebt doch nicht davon, dass Dinosaurierkraftwerke weiterbetrieben werden können und die Gewinne in Konzernschatullen verschwinden; ein Wirt10300 schaftsstandort lebt von Investitionen und Innovationen. Hier haben Sie einen entscheidenden Fehler gemacht. ({10}) Zum Thema Energieeffizienz. Anstatt den sparsamen Umgang mit Energie zu beschleunigen, treten Sie auf die Bremse. Sie von der CDU/CSU hatten mit der SPD eine anspruchsvolle Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen, die einen starken Rückgang des Energieverbrauchs vorsah. Im sogenannten Energiekonzept war dieses Ziel schon abgeschwächt. Dann haben wir hier ein Energieeffizienzgesetz vorgelegt bekommen, das nicht einmal mehr die Umsetzung der Vorgaben aus dem sogenannten Energiekonzept vorsah, sondern nur noch die Erreichung des Mindestmaßes, das die Europäische Union auch von Deutschland fordert. Das würde ja bedeuten: Für das Hightechland Deutschland gelten die gleichen Vorgaben wie für ein bulgarisches Dorf. Sie von der Bundesregierung haben dann nicht einmal die Vorgaben dieses Gesetzes nach Brüssel gemeldet, sondern nur einen Plan, auf den die Europäische Union mit dem Hinweis reagierte, dass Deutschland von allen Industrieländern der Europäischen Union das Land mit den am wenigsten ambitionierten Zielen bei der Energieeffizienz sei. Das war für einen Hightechstandort wie Deutschland eine Ohrfeige. Wir machen dank schwarzgelber Energiepolitik weniger als alle anderen. ({11}) Das birgt für uns eine große Gefahr: Schwarz-Gelb tritt hier auf die Bremse, während unsere Konkurrenten - China, Korea, Japan, USA, Brasilien - ihre Maßnahmen in den Bereichen der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz massiv beschleunigen. Wir halten doch nicht unsere Weltmarktposition, wenn Sie sich auf den Lorbeeren der Vorgängerregierung ausruhen, sondern nur durch mutiges Voranschreiten. Damit wir nicht immer nur beim Strom bleiben, nenne ich Ihnen vergleichbare Beispiele aus dem Wärmebereich. Sie haben den Umfang der Programme verringert oder sie gestoppt. Sie haben keine Effizienzvorgaben gemacht. Folge: In Italien, in Großbritannien, überall steigt die Zahl der Maßnahmen zur Energiedämmung, etwa Kesselaustausch, und es steigt der Einsatz von Solarthermie. In Deutschland gab es bei den Wärmepumpen ein Minus von 6 Prozent, beim Tausch bei Heizungen ein Minus von 18 Prozent und beim Einbau von Solarthermieanlagen ein Minus von 27 Prozent. Das ist die Bilanz eines Jahres schwarz-gelber Politik. Sie liefern die Verbraucherinnen und Verbraucher einem Monopol aus. ({12}) Sie lassen sie mit steigenden Weltmarktpreisen allein, anstatt ihnen zu helfen, weniger zu verbrauchen. Sie werden damit nicht nur in Deutschland zum Bremsklotz. Schwarz-Gelb wird damit auch zum Bremsklotz der europäischen Energie- und Klimaschutzpolitik. Vom Tempomacher zur Stotterbremse - das ist eine Blamage für Deutschland in der Europäischen Union. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bislang haben wir sowohl von Herrn Kelber als auch von Frau Höhn sehr wenig zu dem Antrag gehört. ({0}) Ich frage mich, worüber hier geredet wurde. ({1}) Über die Digitalisierung des europäischen Kinos? Jedenfalls wurde nicht über den Antrag geredet. Das Gesagte hatte nämlich nichts damit zu tun. Ich weiß nicht, ob Sie für oder gegen diesen Antrag sind. Sie haben den Antrag mit keinem Wort erwähnt. Man fragt sich wirklich, was für Debatten hier geführt werden. Hier geht es nicht um Schaufensterdebatten, sondern um einen konkreten Antrag, in dem zwar einiges, aber leider nichts Konkretes steht. ({2}) Das würde ich gerne einmal aufzeigen. Ich möchte versuchen, ein paar Sachen klarzustellen. ({3}) Vielleicht können Sie später sagen, ob die SPD dafür oder dagegen ist. In der Überschrift steht: „Erneuerbar, effizient, sicher“. Was hier fehlt, sind die Punkte Klimaverträglichkeit und Finanzen. Die Kosten für den Verbraucher sollten wir nicht ganz vernachlässigen. ({4}) Man sollte sich vielleicht auch über die Ressourcen Gedanken machen und über den Umweltschutz; auch dieses Thema kommt in Ihrem Antrag überhaupt nicht vor. Sie wägen ganz allgemein ab und bringen keinen einzigen konkreten Vorschlag, wie man das tatsächlich schaffen kann. Sie setzen sich sehr ambitionierte Ziele, haben eine Idee, wie das Ergebnis aussehen soll, aber Sie sagen nicht, wie man das Ziel erreichen kann. Das ist ein Schaufensterantrag, der an Populismus nicht zu überbieten ist. ({5}) Sie fordern nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa eine Vollversorgung mit Strom aus erneuerbarer Energie bis 2030 - das ist in 19 Jahren -, wohl wissend, dass Deutschland dieses Ziel schwerlich erreichen wird, ({6}) weil wir dafür das 500-Fache an Speicherkapazität brauchen werden. Herr Fell, vielleicht können Sie uns erklären, wie das mithilfe der Grünen erreicht werden kann. Vielleicht können Sie uns auch noch sagen, wie man es schaffen kann, dass die Netze ausgebaut werden. Dazu haben Herr Kelber und Frau Höhn nichts gesagt. Dazu sagen Sie alle überhaupt nichts, weil Sie Angst haben, konkret zu werden. ({7}) Ein Antrag, der sich mit der europäischen Energiepolitik der Zukunft beschäftigt, aber mit keinem Wort den Netzausbau erwähnt, ist das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht. ({8}) - Sie haben den Antrag ja nicht geschrieben, Herr Hempelmann. Ich muss mich auf das beziehen, was mir vorliegt, und in dem Antrag taucht das Wort „Netze“ kein einziges Mal auf. ({9}) Es geht darum, dass einige Länder weit hinter Deutschland zurückliegen. Das ist eine Vielzahl von Ländern, zum Beispiel Frankreich, Bulgarien, Rumänien oder auch Belgien, das 6 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien bezieht. Erklären Sie diesen Ländern einmal, dass sie in 19 Jahren etwas erreichen müssen, was Deutschland, der Vorreiter auf diesem Gebiet, kaum schaffen wird. Erklären Sie mir mal bitte, warum irgendein Land mit uns ins Gespräch treten soll, wenn solche illusorischen Ziele erreicht werden sollen. ({10}) Hier wird ein Popanz aufgebaut. Glauben Sie, weil die Grünen das im deutschen Parlament beschlossen haben, wird daraus auf europäischer Ebene ein vernünftiges Konzept? Ich habe das wirklich nicht ganz verstanden. ({11}) Am Montag hatten wir die Möglichkeit, Herrn Oettinger, dem EU-Energiekommissar, zuzuhören. Er hat sehr klar gesagt, dass er die erneuerbaren Energien als Zukunftsmarkt ansieht. ({12}) Er hat auch klargemacht, dass ein ganz entscheidender Schritt der Aufbau eines europäischen Netzes sein wird. Er hat gesagt, dass es wichtig sein wird, die verschiedenen Nationen miteinander zu verbinden. ({13}) Die baltischen Staaten haben mit dem europäischen Netz nichts zu tun. Sie bekommen zu 100 Prozent Gas aus Russland. Deren Netze haben mit unseren nichts zu tun. Gleichzeitig erwarten wir, dass sie in 19 Jahren den Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gewinnen? Sie müssen erklären, wie das funktionieren soll. Sie nennen vollkommen utopische Zahlen, haben aber keine Antwort auf die Frage der Grenzkuppelstellen. Wie verbinde ich Netze miteinander? Wie verbinde ich Norden und Süden? Wie sieht das mit den Interkonnektoren aus? Nichts dazu steht in Ihrem Antrag. Aussagen dazu wären vielleicht theoretisch und würden nicht so nett klingen wie die in Ihrem Pippi-Langstrumpf-Antrag, in dem Sie sich die Welt so malen, wie sie Ihnen gefällt. ({14}) Solche Aussagen aber hätten etwas mit der Realität zu tun. Das sind die Antworten, auf die wir warten. Dazu steht aber leider überhaupt nichts im Antrag. ({15}) - Ich will nicht Ihr Programm lesen, sondern Ihren Antrag. Der ist gerade einmal zwei Seiten lang. Gar nichts steht darüber drin. Darüber debattieren wir. ({16}) Wenn wir ein europäisches Netz wollen, dann müssen wir bedenken, dass wir in Deutschland andere erneuerbare Energieträger nutzen als andere Länder. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es wäre gut, wenn nicht alle gleichzeitig reden wollten. Frau Höhn würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie diese zu?

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, sehr gerne. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Aber wenn die Lebendigkeit in Unverständlichkeit ausartet, steht nicht einmal im Protokoll - außer allgemeinem Tumult -, was hätte vorgetragen werden sollen. ({0})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Meierhofer, Sie haben vorhin gesagt, in unserem Antrag steht nichts zu den Netzen. Haben Sie vielleicht den vorletzten Spiegelstrich übersehen? Da steht: … eine rasche Klärung bei der Finanzierung des Energieinfrastrukturpakets der EU unter Beteiligung der öffentlichen Hand, … Das sehen wir anders als Oettinger. Wir glauben, dass man ein Paket schnüren muss, bei dem alle ihren Beitrag leisten, die Verbraucher, die Wirtschaft und auch die öffentliche Hand. Das ist der Weg, den wir gehen wollen, und zwar für ein Netz, das vor allen Dingen auf erneuerbare Energien ausgerichtet ist und das nicht gebaut wird, damit der Atomstrom in diesem Netz Platz hat. Das sind Kosten, die die Verbraucher nicht bereit sind zu zahlen. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe gesagt, dass in Ihrem Antrag das Wort „Netze“ nicht auftaucht und dass Sie nichts zum Netzausbau sagen. Das habe ich Ihnen gesagt, und dabei bleibe ich. ({0}) - Entschuldigung, wenn ich die Frage beantworten darf: Was heißt das denn konkret, was hier steht? Man soll sich darüber Gedanken machen. Das ist doch Blabla. ({1}) Wollen Sie, dass RWE und andere Netzbetreiber beim Netzausbau subventioniert werden? Wollen Sie, dass die europäischen Verbraucher innerhalb der nächsten 19 Jahre das Dreifache bezahlen müssen? Was ist denn die konkrete Folge, die Sie daraus ableiten? Nichts. Gar nichts leiten Sie daraus ab, und das ist das Problem. ({2}) Sie tun so, als wären Sie diejenigen, die die Erneuerbaren möglichst schnell ausbauen wollen, und als wären Sie klima- und umweltfreundlich. In Wirklichkeit geben Sie keinen einzigen sinnvollen Hinweis, wie das gelingen kann. Das ist so bedauerlich an diesem Antrag. ({3}) - Diesen Antrag zu lesen, dauert keine fünf Minuten, und danach ist man genauso schlau wie vorher, Herr Ott. Das kann ich Ihnen schon jetzt sagen. Sie geben überhaupt keine Antworten darauf, wie andere Länder mit den Deutschen in dieser Frage gemeinsam vorangehen können. ({4}) Dazu ist in Ihrem Antrag nichts zu lesen. Sie haben genauso wie Herr Kelber ausschließlich über Deutschland gesprochen. Wir reden hier über Europa. 100 Prozent Erneuerbare in ganz Europa, und das innerhalb von 19 Jahren: Das ist vollkommen realitätsfremd. Das ist etwas, was mich sehr ärgert. Ich möchte noch eines am Schluss dazu sagen. ({5}) - Ja, es geht um den Strommarkt. Es geht um die 100 Prozent bzw. die 50 Prozent. Das ist noch absurder, weil der Anteil erneuerbarer Energien in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten teilweise nur bei 3 Prozent bis 4 Prozent liegt. Belgien hatte Mitte letzten Jahres - vermutlich jetzt immer noch - nicht einmal ein Konzept, um die Erneuerbaren voranzubringen und zu fördern. Belgien ist hierbei noch sehr weit von uns entfernt. Das spielt für Sie aber überhaupt keine Rolle, weil Sie keine Verantwortung tragen, weder hier noch sonst irgendwo. Aus diesem Grunde haben Sie damit natürlich auch keine Probleme. Das ist das Problem. ({6}) Ich darf zum Schluss sagen: Es klingt wirklich nett, was Sie erzählen. Es ist wichtig, dass die Leute draußen mitbekommen: Das sind ausschließlich Luftschlösser; das ist ausschließlich Blabla. Sie blasen die Backen auf. Wenn es aber um die konkrete Umsetzung geht, tragen Sie keinen einzigen Anteil an der Verbesserung, auch aus Angst. Wenn es beispielsweise um Wasserkraft geht, haben Sie natürlich Probleme mit Ihren eigenen Mitgliedern vor Ort. Wenn es um Speicher geht, haben Sie natürlich Probleme vor Ort. Wenn es um Biogasanlagen geht, haben Sie natürlich Probleme vor Ort. Wenn es um Netze geht, haben Sie natürlich Probleme vor Ort. Wenn es um CO2-freie Kohleverstromung geht - was vielleicht für Polen und andere Länder zumindest mittelfristig interessant sein könnte -, haben Sie keinerlei Antwort. ({7}) Das ist es, was so wahnsinnig schade ist. Wenn Sie das nächste Mal debattieren wollen, dann legen Sie doch bitte einen Antrag vor, der es auch wert ist, debattiert zu werden. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter für die Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was letzte Woche beim EU-Energiegipfel beschlossen wurde, stand ziemlich im Schatten des Ägypten-Aufstandes. Das ist vielleicht auch besser so; denn eigentlich wurde nichts beschlossen, was uns bei der Lösung der Klima- und Energiefragen wirklich weiterbringt. Das ist aber auch eine Nachricht, und zwar eine traurige. Sie von der Regierung sind daran natürlich nicht unschuldig. Diese Nachricht zeigt, dass Europa meilenweit davon entfernt ist, die Erderwärmung und den Ressourcenschwund angemessen anzugehen. Es wurde wieder versäumt, das europäische Klimaschutzziel bis 2020 auf minus 30 Prozent anzuheben. Wir wissen auch, dass die EU mit ihrem Ziel von minus 20 Prozent die Erderwärmung vorantreibt - das wissen wir einfach, meine Damen und Herren -, und zwar auf ein Level von weit über 2 Prozent. So viel zum Thema „Umweltpolitik global denken“, Herr Koeppen. Das mahnten Sie schließlich in Ihrer Rede an. ({0}) Das merken natürlich auch Indien und China. Sie verstecken sich nicht nur hinter den USA, sondern wundern sich auch über Europa. Warum sollen diejenigen, die pro Kopf nur einen Bruchteil der Abgase ausstoßen, nun ihre Emissionen reduzieren? Ich wünsche uns allen bei den nächsten Klimaverhandlungen im Dezember viel Spaß. Wenn die EU so weitermacht, werden sich alle wieder genauso aufführen wie in Kopenhagen. Denn in Durban geht es ans Eingemachte; dort müssen Beschlüsse gefasst werden. Wir alle wissen das. ({1}) Der angebliche Schwung von Cancún kann dann zur Bruchlandung führen. Denn in Cancún wurde ja leider nur eine leere Hülle beschlossen. Deshalb konnte man sich dort gerade noch einigen und hat dann auf einen Phantomerfolg angestoßen. Alle Beschlüsse, die wehtun würden, wurden verschoben, zum Beispiel, wer wie viele Treibhausgase einsparen soll oder welche Industrieländer wie viel in die Fonds für Klimaschutz und Anpassung für den globalen Süden zahlen sollen. Das Internationale Transportforum der OECD hat danach in einer Pressemitteilung geschrieben: Nein, von Cancún sei kein zusätzlicher Druck auf den Verkehrssektor zur Reduzierung von Emissionen zu erwarten. Die Lehre aus Cancún sei, dass die Herausforderung für die Transportbranche nun darin bestehe, sich an ein sich wandelndes Klima anzupassen. Dazu kann ich nur sagen: Na super. Zurück zum Energiegipfel. Herr Oettinger ist zwar mit seinem Vorhaben gescheitert, das deutsche EEG über eine angebliche Harmonisierung der Förderinstrumente für erneuerbare Energien auszuhebeln. Dafür hat er aber bei den Atomkonzernen gepunktet. Der vereinbarte Vorrang sogenannter CO2-armer Technologien umfasst jetzt auch die Atomkraft. Neben den Franzosen freuen sich darüber natürlich auch RWE, Eon und Vattenfall. Dazu kann ich nur sagen: Das ist wahrlich ein europäisches Projekt. Durch diese Strategie werden die Leitungen für die erneuerbaren Energien verstopft. Durch diese Politik wird der Systemkonflikt zwischen regenerativen Energien und Großkraftwerken weiter verschärft. ({2}) Ich frage mich: Wann begreifen Sie das endlich? ({3}) Die naturgemäß schwankende Einspeisung von Ökostrom passt nicht zu Grundlastkraftwerken; das passt nicht mit Atom- oder Kohlemeilern zusammen. ({4}) Sie bestreiten es jetzt schon wieder. Schauen wir mal, wie lange der Einspeisevorrang noch bleibt. ({5}) Ich traue Ihnen da nicht über den Weg. ({6}) Ich sage Ihnen: Wenn Sie den Einspeisevorrang kippen, dann werden Sie Proteste auf den Straßen erleben; denn viele Menschen sehen das ganz anders als Sie. Sie wollen im Kern alte Strukturen. ({7}) Herr Koeppen hat sich ja für CCS ausgesprochen. Ich sage: Diese Technologie ist rückwärtsgewandt. Wir lehnen diese Technologie ab. Sie ist nicht zukunftsweisend. ({8}) Zum Schluss. Ausgerechnet Sie sprechen von sozialen Preisen. ({9}) Sie haben mit Ihrer Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke mit dazu beigetragen, dass die Konzerne immer mehr Profite machen. Das wissen wir; das ist bewiesen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das sagen nicht die Linken, sondern das Öko-Institut und viele andere Umweltinstitute. Sie unterstützen die Konzerne; dafür wurden Sie gewählt. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Maria Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wundere mich. ({0}) Dass wir gestern Abend ganz heftig über Endlagerung gestritten haben, dass wir uns in Sachen Kernenergie hart austauschen, das ist okay, geschenkt. Das ist überhaupt gar keine Frage. Aber es war immer eine Stärke dieses Hauses, dass wir bei den Fragen, wie wir die erneuerbaren Energien vorantreiben, wie wir die energetische Umstellung dieses Landes bewerkstelligen wollen, über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam gehandelt haben. ({1}) Von daher denke ich, dass es besser wäre, wenn in dieser Debatte andere Töne anschlagen würden. ({2}) Der Klimaschutz - da sind wir uns doch völlig einig, Herr Kelber - ist die herausragende umweltpolitische Herausforderung der Gegenwart. ({3}) Es geht um die Vorsorge für eine langfristig tragfähige ökonomische wie ökologische Entwicklung. Wir wissen, dass wir das 2-Prozent-Ziel erreichen müssen; dafür müssen bis 2050 mindestens 80 Prozent der Treibhausgasemissionen eingespart werden. Wir wissen, dass die Erde ein industrielles Wachstum auf dem Niveau des bisherigen Ressourcenverbrauchs einfach nicht erträgt. Wir wissen, dass China mit seinen 6 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr zwar der größte Emittent ist, der einzelne Chinese aber nur halb so viele Emissionen wie ein Deutscher und nur ein Viertel der Emissionen eines US-Amerikaners verursacht. Ein Inder wiederum verursacht nur ein Viertel des CO2-Ausstoßes, den ein Chinese verursacht. Wir wissen, dass deshalb Handlungsbedarf besteht. Ich finde, ab und an sollte man auch diese Dimension betrachten, damit man ernsthaft diskutiert, statt sich nur gegenseitig politische Argumente um die Ohren zu schlagen. ({4}) Die Menschen auf der ganzen Welt wollen an unserem Wohlstand teilhaben. Deshalb wird es einen kontinuierlich steigenden Energiebedarf geben, und deshalb müssen wir - das ist dringend notwendig - die Ressourcen intelligenter und sparsamer einsetzen und erneuerbare Energieträger verstärkt verwenden. ({5}) Deutschland hat das Ziel - wir haben es in unserem Koalitionsvertrag formuliert und werden die entsprechenden Maßnahmen im Laufe dieser Legislaturperiode umsetzen -, bei den Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber 1990 40 Prozent und bis zum Jahr 2050 80 bis 95 Prozent einzusparen. ({6}) Der Einsatz der Erneuerbaren - das haben Sie in Ihrem Antrag richtig festgestellt - senkt die Importabhängigkeit und führt zu Wertschöpfung und Arbeitsplätzen im eigenen Land - Argumente, die wir, wie ich finde, noch viel zu wenig in die Öffentlichkeit kommunizieren. Damit dieser Umbau funktionieren kann - der Umbau von einer zentralen Energieversorgung, die konventionelle Energieträger nutzt und nachfrageorientiert ist, hin zu einer dezentralen Energieversorgung, die auf Erneuerbaren fußt und angebotsorientiert ist; schließlich sind Wind und Sonne nicht steuerbar -, brauchen wir vor allen Dingen den Ausbau von Speichern und Netzen, wobei Netze zum Teil auch als Speicher fungieren können. In dieser Frage brauchen wir einen gesamtgesellschaftlichen Konsens; ({7}) denn vor Ort müssen wir diese Projekte gemeinsam durchsetzen. Insofern sind Debatten wie diese, die Scheinkonfrontationen produzieren, problematisch. ({8}) Die Vorschläge, die EU-Energiekommissar Oettinger unterbreitet hat, nämlich die Netze in Europa auszubauen, zeigen doch in die richtige Richtung. ({9}) Auf dem EU-Gipfel vom 4. Februar dieses Jahres, über den ich noch kein gutes Wort gehört habe, wurde angekündigt, dass die EU den zersplitterten Markt binnen drei Jahren, also bis 2014, einen will, insbesondere was den Ausbau von Strom- und Gasleitungen angeht. Das ist im Hinblick auf die Nutzung der Erneuerbaren notwendig und, um mehr Wettbewerb zu ermöglichen: durch größere Leitungskapazität, mehr Grenzkuppelstellen und einen EU-weiten Stromhandel. ({10}) Der Rat hat die Kommission ganz konkret beauftragt, bis Juni 2011 - der Termin ist also absehbar - Angaben dazu vorzulegen, wie die notwendigen Investitionen aussehen sollen und wie das Ganze finanziert werden soll. Außerdem wurde die Kommission beauftragt, Hindernisse für Infrastrukturmaßnahmen zu beseitigen. Das ist sehr konkret. Es zeigt erstens, dass Handlungsbedarf besteht, und zweitens, dass gehandelt wird. Bei dem Thema, über das wir gerade sprechen, ist auch das EU-Klima- und Energiepaket mit einzubeziehen. Die Richtlinie 2009/28/EG vom April letzten Jahres, die wir im Rahmen des EAG, des Europarechtsanpassungsgesetzes, gerade in nationales Recht umsetzen, gibt vor, dass in der EU bis zum Jahre 2020 ein Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch in Höhe von 20 Prozent verbindlich ist. Für Deutschland sind es, wie wir alle wissen, 18 Prozent. Was ich in diesem Zusammenhang ausgesprochen positiv finde, ist, dass die Mitgliedstaaten ihre Förderinstrumente für die Zielerreichung grundsätzlich selbst ausgestalten können. Es ist darüber hinaus vernünftig, dass es flexible Mechanismen für eine Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten geben soll. Für uns ist jetzt wichtig, dass es diese europäischen Ziele und einen europäischen Konsens gibt, dass wir also gemeinsam als Europa agieren. Wichtig ist auch, dass wir zu Hause unsere Hausaufgaben machen. Auch hier sind wir auf einem guten Weg, selbst wenn wir uns im Detail streiten. Bei der Anhörung zum EAG haben uns die Experten doch gesagt, dass Deutschland in Bezug auf das meiste, was Europa im Bereich der Erneuerbaren fordert, mit dem ErneuerbareEnergien-Gesetz, mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz und mit den Nachhaltigkeitsverordnungen sehr weit vorangeschritten ist. Insofern ist es vernünftig, dass wir weiter daran arbeiten, und das werden wir im Rahmen der Novellen zum Erneuerbare-Energien-Gesetz und zum EE-WärmeG im nächsten Jahr tun. Wir werden die Bundesregierung nochmals bitten - ich bin mir ganz sicher, dass sie da auf unserer Seite ist -, uns relativ schnell die Evaluation des Integrierten Energie- und Klimapaketes vorzulegen, damit wir dies in unsere weiteren Überlegungen einbeziehen können. Anschließend wollen wir das Energiekonzept Schritt für Schritt in der Politik umsetzen; damit meine ich beispielsweise die Gesetzgebungsvorhaben, die ich eben genannt habe. Das Besondere an diesem Konzept ist doch, dass wir nicht noch einmal nur Ziele für die Handlungsfelder Energieeffizienz, energetische Gebäudesanierung, Netzausbau, Mobilität, Kernenergie und Erneuerbare Energien aufgeschrieben haben, sondern dass dieses Konzept finanziell unterlegt ist. Für die zusätzliche Finanzierung von Erneuerbaren, von Energieeffizienz und von nationalem wie internationalem Klimaschutz gibt es dauerhaft ein Sondervermögen, nämlich den Energie- und Klimafonds. Das kann sich sehen lassen: Für 2011 und 2012 startet dieses Sondervermögen mit 300 Millionen Euro, aber ab 2013 - dann fließen die Auktionierungserlöse der Emissionszertifikate diesem Fonds zu - sind es mehr als 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Ab 2017 sind es aufgrund der Gewinnabschöpfung aus der Laufzeitverlängerung sogar über 3 Milliarden Euro pro Jahr. - Das sind Dimensionen, mit denen sich Deutschland sehen lassen kann. Wir als Parlament müssen nun schauen, dass wir dieses Ziel - das geschieht natürlich auch durch Konfrontation; das ist gar keine Frage - gemeinsam erreichen. ({11}) Ein kleiner, ganz zarter Hinweis, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Sie sagen, Deutschland möge sich in puncto Kernenergie und CCS europaweit für eine Diskriminierung dieser Technologien einsetzen. Das ist uns seit zehn Jahren nicht gelungen. In puncto Kernenergie stehen wir isoliert da; das muss man so sagen. ({12}) Ich bitte die Bundesregierung daher, sie möge ihre Überzeugungskraft lieber für das Werben für den Ausbau Erneuerbarer verwenden. In Bezug auf CCS sagt uns das Öko-Institut, dass wir CCS im Bereich der prozessbedingten CO2-Emissionen brauchen, ({13}) also zum Beispiel bei der Eisen- und Stahlproduktion oder bei der Zementherstellung. In Deutschland fallen zurzeit 80 Millionen Tonnen CO2 und global 2,5 Milliarden Tonnen CO2 an. ({14}) Deshalb sollten wir auch diese Technologie nicht vom Tisch fegen. ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat das weltweit ehrgeizigste Klimaschutzprogramm. Jetzt gilt es, das nationale Vorgehen mit dem Vorgehen auf EUEbene enger zu verzahnen. Ich lade Sie ein, mit uns gemeinsam daran zu arbeiten. Herzlichen Dank. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Rolf Hempelmann ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({0}) - Es würde ohnehin manche Debatte sehr beleben, wenn die jeweils anderen Fraktionen die Stichworte lieferten, auf die der gerade benannte Redner einzugehen hätte. Bitte schön, Herr Kollege Hempelmann, machen Sie etwas daraus. ({1})

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident, ich kann Ihre Dankbarkeit nur teilen. Man ist ja für jedes Informationsbedürfnis, das von den Regierungsparteien geäußert wird, dankbar; denn dann merkt man, dass man wirklich helfen kann und dass die Hilfe auch erwünscht ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man im Ausland unterwegs ist und sich über Energie und Energiepolitik unterhält und dabei beiläufig erwähnt, dass man aus Deutschland kommt, dann erntet man in der Regel bewundernde Blicke und Kommentare. Wenn man dann ein bisschen tiefer ins Thema einsteigt, dann kommt der Gesprächspartner eigentlich sehr schnell auf das Thema Erneuerbare Energien. Im Ausland wird nämlich konstatiert, dass wir hier in den letzten 10 bis 15 Jahren eine Erfolgsgeschichte geschrieben haben, und es ist erkannt, dass ein politisches Instrumentarium dahinter stand, insbesondere eben das EEG. Es ist auch erkannt, dass wir damit in Sachen Klimaschutz, aber auch in Sachen Wertschöpfung und Beschäftigung im eigenen Land sowie Export der Technologien in die Regionen dieser Welt vieles erreicht haben. ({0}) Es muss daher eigentlich in besonderes Erstaunen versetzen, dass diese Diskussion von einigen Teilen des politischen Spektrums, aber auch von interessierten Teilen der Wirtschaft so einseitig geführt wird. Es wird nur sehr partiell und selektiv von Kosten gesprochen, nämlich von den Kosten, die man sehr direkt über die EEGUmlage verifizieren kann. Es wird nicht davon gesprochen, wie sich der Aufbau der erneuerbaren Energien auf die Preisbildung insgesamt ausgewirkt hat, auch an den Börsen. Schon deswegen ist diese Kostendebatte unehrlich; sie ist aber natürlich auch interessengeleitet, weil so die Präferierung der Erneuerbaren gegenüber anderen Energieträgern bekämpft werden soll. ({1}) Lieber Herr Kollege Koeppen, natürlich bringt der Erfolg, den wir in den letzten 10 bis 15 Jahren hatten, auch neue Herausforderungen mit sich. Ich betone das immer, auch wenn ich in Ländern bin, in denen man gerade am Anfang dieser Entwicklung steht. Diese Herausforderungen hatten wir damals nicht, aber wir haben sie jetzt, beispielsweise in Bezug auf die Netze, weil die Anteile der volatilen Erneuerbaren erheblich angestiegen sind, aber auch bezogen auf das gesamte Energiesystem. Wir sind bereit, uns den Herausforderungen zu stellen. Wir sind aber nicht bereit, sie lediglich als Problem zu identifizieren; wir sehen sie vor allen Dingen als Chance. Wenn man sich Ihre Zielsetzungen anschaut, dann wird deutlich, dass Sie das eigentlich auch so sehen. Sie wollen im Stromsektor - diesen greife ich einmal heraus - bis zum Jahre 2020 einen Anteil der Erneuerbaren von 35 Prozent erreichen. Im darauffolgenden Jahrzehnt wollen Sie über die 50-Prozent-Schwelle kommen. Für die Folge reden Sie zumindest schon einmal von 80 Prozent. Andere Parteien sind hier noch ambitionierter. Wenn wir das gemeinsam wollen, dann heißt das natürlich, dass wir den entsprechenden gesetzlichen Rahmen dafür schaffen müssen, damit diese steigenden Strommengen in das Energiesystem integriert werden können. Dazu muss man Folgendes feststellen: Sie treffen Entscheidungen - das gilt gerade hinsichtlich der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke -, die genau in die andere Richtung weisen. Sie schaffen für eine längere Zukunft Inflexibilitäten im System, die wir überhaupt nicht vertragen können, wenn wir ein System haben wollen, in das tatsächlich bald 35 Prozent, danach 50 Prozent und später 80 Prozent und mehr an erneuerbarer Energie integriert werden können. ({2}) - Nein. Viele von Ihnen kommen jetzt auf den Trichter, zu sagen: Wir haben ein Problem mit den verstopften Netzen. Lasst uns jetzt einmal ein bisschen langsamer machen. Bei den erneuerbaren Energien setzen wir erst einmal auf Netzausbau. - Andere, zum Beispiel der EU-Kommissar Oettinger, unterstützt durch den Wirtschaftsminister Brüderle, sagen: Wir brauchen hier erst einmal eine Harmonisierung in Europa. - Was ist damit eigentlich gemeint? Wenn man die Kommentierungen, die sich daran anschließen, hört, dann weiß man, dass es offensichtlich um eine Harmonisierung in Richtung anderer Fördermodelle als das EEG geht, zum Beispiel in Richtung Quoten. Dabei wird aber einiges übersehen: Erstens. Die Erfahrungen mit der Quote zeigen, dass diejenigen Länder, die nicht das EEG, sondern Quotenmodelle haben, beim Ausbau der erneuerbaren Energien langsamer gewesen sind und dass es teurer war. Es hat also ökologisch und ökonomisch nichts gebracht. ({3}) Zweitens. Viele von denen, die mit der Quote begonnen haben, sind mittlerweile beim EEG oder bei EEGähnlichen Modellen mit der gleichen Struktur von VorRolf Hempelmann rangeinspeisung, festem Entgelt und Degression angelangt. Wenn 21 von 27 Mitgliedstaaten schon das EEG oder EEG-ähnliche Modelle haben, dann würde Harmonisierung eigentlich bedeuten: EEG für alle. ({4}) Das war aber, wie wir wissen, nicht so gemeint. Der dritte Punkt ist die Standortdebatte. Harmonisierung soll dadurch erreicht werden, dass man erneuerbare Energien dort zulässt, wo die besten Standorte sind. Letztendlich bedeutet das: Ade vom 35-Prozent-Ziel in Deutschland, erst recht von 50 Prozent oder 80 Prozent. Erneuerbare-Energie-Anlagen sollen im Ausland bzw. sogar außerhalb Europas in Nordafrika installiert werden. Dort scheint die Sonne häufiger, und anderswo weht der Wind stärker. Das klingt für einen Wirtschaftspolitiker zunächst nicht schlecht. Es bedeutet aber letztlich, dass wir in Deutschland auf Wertschöpfung und Arbeitsplätze in diesem Bereich verzichten. Das war ein wesentlicher Grund für die großartige Akzeptanz der erneuerbaren Energien in Deutschland. ({5}) Man muss auch berücksichtigen, was es für das Zusammenspiel von Erzeugung und Netz bedeutet, wenn wir lediglich an der Peripherie Europas Erzeugungsanlagen haben. Das bedeutet, dass es sehr viel schwieriger sein wird, für Netzstabilität zu sorgen. Alle Fachleute sprechen sich für die räumliche Nähe von Erzeugung und Verbrauch aus. Das spricht für ein dezentrales System, wie wir es uns vorstellen. ({6}) All das zeigt, dass sich die Bundesregierung, unterstützt von ihrem Kommissar Oettinger, ziemlich verritten hat. Das bestätigt auch das Ergebnis der letzten Woche: Es gibt keine Unterstützung von der restlichen Europäischen Union. Wir sollten uns den Herausforderungen stellen. Aber das geht weiter als das, was bisher von Ihnen vorgeschlagen worden ist. Ich bin völlig damit einverstanden, dass wir nicht nur in den Kategorien des EEG denken dürfen. Wir müssen allerdings auch erkennen, dass wir das EEG auf Sicht brauchen. ({7}) Aber wir müssen jetzt parallel dazu daran arbeiten, dass die Markteinführung der erneuerbaren Energien, aber auch die Netz- und Systemintegration funktionieren. ({8}) Ich weiß, dass ich mich immer noch nicht klar genug ausgedrückt habe. Denn was ich gesagt habe, suggeriert, dass wir ausschließlich bei den Erneuerbaren ansetzen und sie in den Stand versetzen müssten, sich besser in das System zu integrieren. Das ist selbstverständlich notwendig. Dafür müssen technische Lösungen gefunden werden; Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch. Gleichzeitig geht es aber auch darum, das System selbst weiterzuentwickeln. Es geht um die Vernetzung gerade auch im Bereich der Verteilnetze und um die Schnittstelle zum Endkunden. Da ist noch viel Musik drin. Das haben wir bisher vernachlässigt. Wir haben zwar vor Jahren erste Schritte getan, indem wir uns für intelligente Zähler und lastvariable Tarife ausgesprochen haben, aber an der Stelle sind wir stehen geblieben. Seit zwei Jahren ist nichts mehr passiert. Wir müssen jetzt weitergehen. Wenn wir das tun, können wir ein riesiges Potenzial heben. Wir können die Angebots- und die Nachfrageseite sehr viel weiter zusammenführen. ({9}) Wir heben Effizienzpotenziale für die Erzeugungsseite ebenso wie für das Netz und den Endkunden. Bisher haben wir das nicht getan; aber es ist die Voraussetzung dafür, dass letzten Endes ein System funktioniert, in dem die Erneuerbaren der dominante Part sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns lieber über den Systemumbau diskutieren. Holen Sie die Akteure, auch die Bundesregierung, zusammen! Es gibt eine vielfältige Kulisse von Akteuren, die mithelfen können, den Systemumbau zu bewerkstelligen. Sie stehen bereit und wollen ihre Vorschläge einbringen, damit Sie als Rahmengeber und sie als Marktakteure den Systemumbau vorantreiben können. Ich glaube, das ist fruchtbringender als eine reine Diskussion über Entgeltsätze oder eine ungleichgewichtige Diskussion über Kosten oder Scheinkosten. Lassen Sie uns die Chancen nutzen, die in diesem Thema stecken! Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Michael Kauch erhält nun das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zeigt wieder, dass die Grünen immer dann gut sind, wenn es um „gut fühlen“ geht, wenn es darum geht, Betroffenheit zu äußern, vielleicht auch wenn es darum geht, das eine oder andere anzustoßen. Aber dann, wenn die Probleme tatsächlich im großen industriellen Maßstab gelöst werden sollen, ({0}) dann muss halt die christlich-liberale Koalition ran, zum Beispiel wenn es darum geht, einen Anteil von 80 Prozent erneuerbare Energien in diesem Land zu schaffen. ({1}) Wir haben bei den UN-Klimaverhandlungen in Cancún einen Teilerfolg erzielt. Wir haben die stockende Verhandlung der letzten Jahre einen Schritt vorangebracht. Ich glaube, es muss nun ein Zeichen gesetzt werden, um die Verhandlungslinie für die UN-Konferenz in Durban in diesem Jahr vonseiten der Europäischen Union wieder ein Stück voranzubringen. Wir haben noch keinen Durchbruch erzielt; aber ich glaube, es ist an der Zeit, dass sich die Europäische Union über das CO2-Einsparungsziel von 20 Prozent hinaus bewegt. Wir in Deutschland müssen mit daran arbeiten, die Europäische Union in diese Richtung zu bewegen. ({2}) Die Zukunft der erneuerbaren Energien wird wesentlich davon abhängen, ob es uns bei der Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, vor der wir in diesem Jahr stehen, gelingt, die Marktintegration und die Netzintegration der erneuerbaren Energien voranzubringen. Denn es ist klar: Wenn wir hin wollen zu 80 Prozent erneuerbaren Energien, dann werden wir im Jahr 2050 ein anderes EEG haben. Sonst hätten wir eine Verstaatlichung der gesamten Energiewirtschaft durch gelenkte Preise. Es wäre natürlich auch im Blick auf die Netzstabilität nicht sinnvoll, weiterhin mit einem Instrument zu arbeiten, das eben keine Anreize für eine nachfrage- und angebotsgerechte Einspeisung setzt. Wir müssen bei den Markt- und Netzintegrationsinstrumenten im Jahr 2012 beginnen, um dann Stück für Stück die erneuerbaren Energien stärker in den Markt hineinzubringen. Mit Blick auf die europäische Dimension ist es auch erforderlich, die erneuerbaren Energien stärker in einen europäischen Markt zu bringen. Wir brauchen einen europäischen Strombinnenmarkt nicht nur für konventionellen Strom, sondern auch für erneuerbaren Strom. Wenn wir das erste Solarkraftwerk, das Desertec in Marokko bauen will, in den europäischen Markt einbinden wollen, dann ist es notwendig, die flexiblen Kooperationsmechanismen der Erneuerbare-Energien-Richtlinie zu nutzen. Die Bundesregierung hat sich entschieden, in das Europarechtsanpassungsgesetz Erneuerbare Energien diesen Punkt noch nicht aufzunehmen. Ich sage aber auch ganz deutlich im Namen meiner Fraktion, dass wir die Bundesregierung auffordern, im Jahr 2012 ein Gesamtkonzept vorzulegen, um diese flexiblen Kooperationsmechanismen in die Praxis umsetzen zu können. Wir wollen ein nationales Förderinstrument, das EEG; wir wollen aber auch, dass der Rechtsrahmen für Kooperationen im europäischen Kontext endlich für jeden Investor klar und deutlich ist. ({3}) Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Debatte schon wieder viel Skandalgeschrei gehört und auch, was uns die Opposition wieder alles nicht glaubt und was sie uns unterstellt. Ich sage Ihnen ganz deutlich, liebe Kollegin Bulling-Schröter: Wir von der FDP haben in den Koalitionsvertrag und in das Energiekonzept klar hineingeschrieben, dass der Einspeisevorrang zugunsten der erneuerbaren Energien erhalten bleibt. Das war so, das ist so, und das wird so bleiben. Es gibt den Systemkonflikt, der hier immer wieder heraufbeschworen wird, also nicht. Die erneuerbaren Energien haben Vorrang im Netz. Die konventionellen Kraftwerke müssen sich den Rest des Marktes teilen. Der Wettbewerb findet nicht zwischen den Erneuerbaren und der Kernkraft, sondern zwischen der Kernkraft und der Kohle statt. Das ist unter Klimagesichtspunkten auch gut so. ({4}) Da hier die Systemfrage gestellt wird, verweise ich auf die Lerneffekte bei der deutschen Energiewirtschaft. Bei einer Fraktionsanhörung am Montag hat uns die Vertreterin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft erklärt, dass der Begriff „Grundlast“ aus dem deutschen Energieversorgungssystem verschwinden wird. Das hat vor einem Jahr noch anders geklungen. Ich habe daher das gute Gefühl, dass die Realitäten, die das neue Energiekonzept der Bundesregierung den Akteuren klarmacht - mit den Erneuerbaren hin zu einem Zeitalter der Erneuerbaren -, angekommen sind. Die Akteure werden nun in die Zukunft investieren; das ist gut so. Dazu brauchen sie noch nicht einmal die Grünen. ({5}) Herr Kelber, Sie haben uns heute von diesem Pult aus ein schönes Beispiel dafür gegeben, wie pharisäerhaft man sein kann. Sie haben gesagt: Diese Bundesregierung verhindert Kraftwerkserneuerungen. - Sie kommen aus Nordrhein-Westfalen, wo Rot-Grün regiert. Es handelt sich zwar nur um eine Minderheitsregierung, und Sie sind dort auch nur der Hampelmann der Grünen. Aber haben Sie vergessen, wer den Kraftwerksneubau in Datteln verhindern will? Das ist die Landesregierung von SPD und Grünen. ({6}) Das mag Ihnen peinlich sein, aber Sie können das nicht bei der Bundesregierung abladen. Das sind Ihre Parteifreunde, die das machen, Herr Kelber. ({7}) - Meine Redezeit geht zu Ende. Abschließend möchte ich auf die Forderung im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen eingehen, man möge die Finanzierung des Infrastrukturpakets - Sie intonieren das so, als ob öffentliche Gelder fließen müssten - klären. Ich kann Ihnen nur sagen: Herzlichen Glückwunsch! Erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern, warum sie mit ihren Steuermitteln auch noch RWE & Co. subventionieren sollen! - Diese Konzerne haben in den vergangenen Jahren erhebliche Gewinne alleine im Emissionshandel erzielt und verfügen über genügend Finanzkraft, das selber zu stemmen. Es bedarf keiner Steuermittel. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat Diether Dehm für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Herr Oettinger hat in dieser Woche verkündet, eine Steigerung der Energiekosten sei nicht mehr aufzuhalten. Ein Beispiel: Ein vierköpfiger Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4 500 Kilowattstunden wird in diesem Jahr 90 Euro mehr zahlen. - In einkommensschwachen Haushalten wird schon jetzt gefroren. Daher fordert die Linke, die Milliardengewinne der Konzerne abzuschöpfen und dies zugunsten der Einkommensschwachen umzulegen. ({0}) Der Antrag der Grünen hat eine Schwachstelle. Das Problem der Speicherung wird mit keinem Wort erwähnt. Erneuerbare Energien gehen aber nur mit Rekommunalisierung. Aber das wäre das Ende von Joschka Fischers Fata Morgana vom ökologischen Kapitalismus. ({1}) Notwendig sind Entflechtung und Enteignung der Stromkonzerne. Wir stimmen Ihrem Antrag zwar zu. Aber hätte Rot-Grün damals beim Atomausstieg seine Hausaufgaben seriös und verbindlich gemacht, brauchten die Menschen heute nicht gegen Castor und Gorleben zu demonstrieren. Dann brauchten wir auch diese ganze Debatte gar nicht. ({2}) Meine lieben Freunde von den Grünen, da Sie so dazwischen rufen, kann ich nur sagen: An die Freiwilligkeit der Energiekonzerne zu appellieren, ist, als wenn Sie an einen Marder im Blutrausch appellieren, sich selbst die Maulsperre einzuziehen. Das geht einfach nicht. ({3}) Mit der Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken verschafft nun die Bundesregierung den Konzernen neue Milliardengewinne. Gegen diese müssen die Erzeuger erneuerbarer Energien und die Mittelständler jetzt noch brutaler auf dem Strommarkt konkurrieren und werden oft wieder verlieren. Die Niederlande haben ihre Förderung regenerativer Energien gerade auf null gefahren und den Bau neuer Atomkraftwerke auf den Weg gebracht. Der Europäische Rat hat letzte Woche beschlossen, Schiefergasvorkommen und deren - hochgefährlichen - Abbau neu zu evaluieren. Um Öl und Gas werden neue Kriege geplant. In ganz Europa haben Sie von der Bundesregierung und der Koalition die Weichen rückwärtsgestellt. Alles, was unser wunderbarer und viel zu früh verstorbener Kollege Hermann Scheer in seinem letzten großen Werk Der energethische Imperativ genannt hat, muss uns auf dem Herzen brennen. ({4}) Was Schwarz-Gelb gegen Hermann Scheer in all den Jahrzehnten gesagt hat, war gelogen. Sie taten so, als sei Uran ein schier unerschöpfliches Gut. Sie sagten, nur Solarenergie müsse subventioniert werden, die Atomkraft würde sich nur am Markt rentieren. Sie unterschlugen die Steuerförderung, die Sie Siemens, RWE und Eon geschenkt haben. Sie genehmigten Atomlager bedenkenlos und unterschlagen heute noch, dass wegen der Grube Asse II wohl demnächst die Evakuierung von Hunderttausenden von Niedersachsen geplant werden muss. Sie katzbuckeln vor der Gier der Konzerne, die nur jetzt ihre Profite haben wollen, so wie einige in diesem Hohen Hause jetzt wiedergewählt werden wollen, unter dem Motto: Nach mir die Sintflut. ({5}) Lieber Kollege Koeppen, lieber Kollege Meierhofer, Sie schauen immer auf die Welt, und die Welt ist die Begründung dafür, warum wir unsere innenpolitischen Hausaufgaben nicht machen können. 67 Prozent der Wertschöpfung der Energiekonzerne erfolgt in fünf zentralen Staaten der EU. Da ist Deutschland ganz vorne. Der Klimafeind steht im eigenen Land. Hermann Scheer war auch einer der jahrzehntelang überhörten Privatisierungsgegner. Um aber fit für die Börse zu werden, strich die Bahn ihre Belegschaft und die Infrastruktur zusammen, ein Viertel ihrer Schneeräumfahrzeuge, und plötzlich im Dezember war unerwarteterweise dann Winter. Es soll Stuttgart 21 gebaut werden, ohne dass die Frage nach dem Gütertransport und den damit verbundenen CO2-Emissionen beantwortet wird. ({6}) Der Noch-Ministerpräsident Mappus will die Anteile seines Landes an der EnBW, Energie Baden-Württemberg AG, an die Börse bringen. Seine DAX-Fantasien kosten nicht nur Arbeitsplätze und Tarifverträge, sondern auch klimatische Nachhaltigkeit. Dagegen wollen Menschen nicht nur auf die Straße, sondern Mappus auch abwählen gehen. ({7}) Die Umweltorganisation Robin Wood hat vor Jahren ein Buch mit dem Titel Manager der Klimakatastrophe: die Deutsche Bank und ihre Energie- und Verkehrspolitik herausgebracht. Auf 340 Seiten wird nachgewiesen, wie die Deutsche Bank, die an vielem Unrecht seit dem Jahr 1933 beteiligt war, ihre Kapitalbeteiligung bei Daimler, bei Energiekonzernen und ihre 3 200 Lobbyisten für Spritfresser der E-Klasse und gegen die Einfüh10310 rung von Solarenergie über Jahrzehnte eingesetzt hat. Wer Machtkontrolle ernst meint, der braucht einen starken Staat und eine EU, die die Power hat, den Energieriesen und der Deutschen Bank entgegenzutreten, und der sich nicht so klein macht, dass er in deren Hintern passt. ({8}) Ein sozialer und ökologischer Staat der Zukunft, der die Strompreise, die Zocker und die Emissionen in den Griff bekommt, beginnt in den Kommunen. Wer dort als Christ für die Schöpfung demonstriert, als Liberaler für einen fairen Wettbewerb ohne Monopolkapital streitet, als Sozialdemokrat oder Grüner für die Ideen Hermann Scheers eintritt, auf einem nichtkapitalistischen Weg zu erneuerbaren Energien zu kommen, wird die Linke als Antreiber und als verlässlichen Partner haben - außerparlamentarisch und parlamentarisch. ({9}) Wer den Ausstieg aus Atom und fossilen Brennstoffen wagt, nach all den Menetekeln wie Springfluten und Dürrekatastrophen, nach all den klimatisch bedingten Kriegs- und Hungersnöten, der und die hat auch die Mehrheit der Lebenden auf seiner Seite und der Nochnicht-Geborenen, die wehrlos sind, wenn wir nicht für sie kämpfen. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Hans-Josef Fell für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der EU-Energiegipfel letzte Woche hat keine Antworten zur Sicherung der Energieversorgung, auf steigende Energiepreise, die Erderwärmung oder die zunehmenden internationalen Spannungen, die sich mit der Verknappung der Energierohstoffe immer weiter ausbreiten, gebracht. Unter der Dominanz der schwarz-gelben deutschen Regierung wurde verpasst, den dringend erforderlichen Transformationsprozess hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien unter Ausschöpfung der großen Energieeinsparpotenziale auf den Weg zu bringen. Europa droht zu über 70 Prozent von Energierohstoffimporten aus zunehmend unsicheren Lieferländern abhängig zu werden. Statt endlich die Erschließung der unerschöpflichen und kostenlosen heimischen Energieressourcen aus Solarstrahlung, Wind, Wasserkraft und Erdwärme in den Mittelpunkt zu stellen, setzt der EU-Gipfel mit neuen Pipelines und Terminals auf die Erhöhung der Importabhängigkeit, und das auch noch aus politisch instabilen Lieferländern: Erdgas aus Kasachstan über die Nabucco-Pipeline, Erdöl aus Nigeria und Kolumbien, Kohle aus Südafrika und Indonesien ({0}) oder Uran aus dem Niger. So, meine Damen und Herren von Union und FDP, werden Sie die EU und Deutschland in immer größere Abhängigkeiten und wirtschaftliche Probleme stürzen und keine vernünftige Energiepolitik auf den Weg bringen. ({1}) Gleichzeitig hatte die Bundesregierung auf dem EU-Gipfel keine Kraft und keinen Willen, Herr Kauch, das EU-weite CO2-Reduktionsziel für den Klimaschutz wenigstens auf 30 Prozent bis 2020 anzuheben. Das ist ein Armutszeugnis, nein, besser: ein komplettes Versagen von Frau Merkel und Umweltminister Röttgen im europäischen Klimaschutz. Dabei will ich nicht verhehlen, dass es vom EU-Energiegipfel durchaus einen erfreulichen Punkt zu berichten gibt. Meine Kollegin Bärbel Höhn ist bereits darauf eingegangen. Die Vorstellungen von Energiekommissar Oettinger, das erfolgreiche deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz zugunsten von wirkungslosen Grünstromzertifikaten zu Fall zu bringen, wurden abgewehrt. ({2}) Überfraktionelle Aktivitäten im Bundestag und im EU-Parlament stärkten Umweltminister Röttgen den Rücken. Das wird nicht aufhören; dieser parteiübergreifende Einsatz wird auch weiterhin notwendig sein. Ich appelliere an die Union, da weiterhin mitzuhelfen. In seiner Rede am Montag vor dem Bundesverband Erneuerbare Energien hat das CDU-Mitglied Oettinger Befürchtungen hinsichtlich seiner mittelstandsfeindlichen Energiepolitik mit Abschaffung des EEG neu gestärkt. Die klare Haltung der deutschen Regierung zum Schutze des EEG war leider nicht selbstverständlich. Ausgerechnet die FDP mit Wirtschaftsminister Brüderle stand nicht hinter der starken Wirtschaftsbranche der erneuerbaren Energien. Brüderle hat zusammen mit vielen Stimmen aus der Union Sympathie für die Vorschläge Oettingers bekundet. Seine Zustimmung zum Erhalt des EEG hat er sich mit der Verhinderung eines verbindlichen Zieles von 20 Prozent Energieeffizienzsteigerung auf europäischer Ebene erkauft. Man muss sich das einmal vorstellen: Da steigt der Ölpreis auf 100 Dollar pro Barrel, und der Wirtschaftsminister hat nichts Besseres zu tun, als Energieverschwendung zu unterstützen. Unglaublich, was hier abgeht! ({3}) Auch den Atomwünschen Frankreichs hat Frau Merkel große Unterstützung zukommen lassen. Unter dem wohlklingenden Begriff „Low Carbon“ verbergen sich in Wirklichkeit Atom und Kohle mit CCS. Nun hat also die EU die Atomkraft als investitionswürdig anerkannt. Das ist ein äußerst bedenklicher Schritt auf diesem EU-Gipfel, der die ungelösten Probleme von AtomHans-Josef Fell müll und Proliferation weiter verschärfen wird, statt sie zu lösen. Das Festhalten der Bundesregierung und des EU-Gipfels an der alten atomar-fossilen Energieversorgung wird schon in diesem Jahr schlimme negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Wohlstand haben. Die gegenüber erneuerbaren Energien angeblich so billige fossile und atomare Energieversorgung wird immer mehr zur Belastung der Wirtschaft, des Verkehrssystems, des Wärmesektors und der Energiekunden. So hat sogar die den Erdölkonzernen nahestehende Internationale Energieagentur gestern gewarnt, dass die volkswirtschaftliche Belastung durch Erdöl in diesem Jahr von 4,1 auf 4,7 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts ansteigen würde. Doch diese Bundesregierung hat überhaupt keine Antwort auf diese Fragen. In Ihren Reden sprechen Sie viel über die Preise von erneuerbaren Energien. Kein einziges Wort aber habe ich zu der mit den Ölpreisen zusammenhängenden Herausforderung gehört. Die Bundesregierung träumt noch immer den Schlaf der Gerechten. Erst diese Woche hat sie auf eine Anfrage von uns wieder bestätigt, dass sie langfristig von einem Ölpreis von 60 Dollar pro Barrel ausgeht, obwohl der Preis aktuell bei 100 Dollar pro Barrel liegt. Das ist unverantwortlich. Es steht zu erwarten, dass die Studie der Bundeswehr, die Sie endlich einmal lesen sollten, Realität wird. Nach dem Überschreiten des Peak Oils werden wir mit Bankenzusammenbrüchen, mit Massenentlassungen, mit Hungersnöten und der Destabilisierung unserer Gesellschaft rechnen müssen. Warum kümmern Sie sich nicht um dieses Problem, wenn Sie sagen, Sie würden Energiepolitik machen? Mit Ihrer Energiepolitik, wie Sie sie auf dem EU-Gipfel durchgezogen haben, treiben Sie die EU-Wirtschaft und die nationale Wirtschaft immer wieder in dieses Desaster hinein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Was wir brauchen, ist eine Energieversorgung mit erneuerbaren Energien und Energieeinsparungen, die uns Klimaschutz und Energieversorgungssicherheit gleichzeitig bringen. Das fehlt bei Ihnen völlig. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen! Meine Herren! Bei dieser Debatte frage ich mich schon eine ganze Weile: Was bringt es denn, wenn wir uns beim Formulieren von Zielen übertrumpfen, ehe wir die ersten Etappen genommen haben? ({0}) Was bringt es denn, wenn wir die schwächeren europäischen Länder mit dem höchsten Effizienzpotenzial, das es zu heben gilt, gar nicht herankommen lassen, sondern ihnen schon beim Formulieren von Zielen vorweggehen? Wenn wir den Stab ständig höher hängen und am Schluss keiner mehr Anlauf nimmt, hinüberzuspringen, wäre das der falsche Weg. Deshalb glaube ich, dass wir uns den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zuwenden sollten, der gesagt hat, dass er dieses Thema sehr praktisch angehen will. Lieber Kollege Fell, wenn es darum geht, das CO2Problem zu lösen, dann sieht die praktische Realität so aus, dass für viele - nicht alle - europäische Staaten das Thema Kernenergie und das Thema erneuerbare Energien zusammengehören. ({1}) Das ist auch ökonomisch wie ökologisch nicht von der Hand zu weisen. ({2}) Die zentrale Forderung in diesen Schlussfolgerungen lautet, dass man den Energiebinnenmarkt zügig und uneingeschränkt umsetzen will. Man muss sich Gedanken darüber machen, was das heißt. Aus meiner Sicht muss es zunächst heißen, dass sich in den Staaten, die noch nicht so weit sind wie Deutschland, etwas ändern muss. In Frankreich gibt es einen Staatskonzern, der die dortige Chemieindustrie mit niedrigen Preisen subventioniert. Dort gibt es offenbar ein anderes Verständnis von Europa. Hier stellt sich die Frage, ob das sein kann. Nein, das kann nicht sein. Wenn im nächsten Schritt ein Binnenmarkt realisiert werden soll, dann muss man beachten, dass es zunächst um die technischen Voraussetzungen geht, um den Notverbund zu einem Handelsverbund auszubauen. Das ist der entscheidende Punkt. Es geht auch um die Frage des Wettbewerbs. Wirft man einen Blick auf die nationale Situation, Herr Kelber, haben Sie durchaus recht in Ihrer Analyse, dass nicht das bewegt wurde, was wir uns erwartet hätten, und die Wettbewerbssituation im deutschen Oligopol nicht so ist, wie wir es uns vorstellen. Ich finde es aber ausgesprochen dreist, lieber Herr Kollege Kelber, dass Sie so tun, als hätten Sie politisch nichts damit zu tun und als hätte sich das erst im letzten Jahr so entwickelt. ({3}) Die SPD war doch viele Jahre mit an der Regierung ({4}) - zu lange; der Zwischenruf ist richtig -, und Sie tun so, als sei das etwas, das Sie nicht betrifft; im Gegenteil. Sie gehen noch weiter und unterlegen das Ganze mit einer Rechnung, die hanebüchen ist. Sie haben hier am Pult ausgerechnet - ich hoffe, dass das im Protokoll nicht nachträglich geändert wird, wenn ich das jetzt aufgreife -, eine vierköpfige Familie würde 1 200 Euro in die Gewinne der Energieversorger investieren. Da kann ich so lange rechnen, wie ich will: Wenn ich für eine Familie 3 500 bis 4 000 kW pro Jahr ansetze, komme ich auf Stromkosten, die irgendwo zwischen 800 und 900 Euro betragen. Wie kann die Familie, wenn sie 800 bis 900 Euro für Strom ausgibt, 1 200 Euro in die Gewinne der Energieversorger investieren? ({5}) Das halte ich für ausgesprochen hanebüchen. Wir sollten uns weniger mit solchen Dingen beschäftigen und stattdessen einmal eine redliche Debatte darüber führen, wie wir aus der schwierigen Wettbewerbssituation das Beste für unser Land machen. ({6}) Dabei wird man über viele Themen reden müssen. - Ich weiß, wo die Gewinne herkommen: Produktion, Vertrieb. Entschuldigung, das wissen wir doch. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, die Kollegin Höhn wollte genau das fragen, was ich gerade ausführe, aber das kann sie gern tun.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Aber das kann ja durch tatsächliche Frage und tatsächliche Antwort abgeglichen werden. ({0}) Bitte schön, Frau Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Nüßlein, die Situation, die Herr Kelber beschrieben hat, ist sogar noch viel schlimmer. Im Jahr 2002 hatten die Energiekonzerne einen Gewinn von 6 Milliarden Euro. Im letzten Jahr betrug der Gewinn sogar schon 30 Milliarden Euro. Eine Verfünffachung des Gewinns! Alle Ökonomen sagen: Bei der Erzeugung von Strom machen die einen wahnsinnigen Gewinn. ({0}) Da sind Kapitalerträge drin, die weit über der Marge liegen, die Ackermann für seine Deutsche Bank in Anspruch nimmt, nämlich eher 40 bis 50 Prozent als 25 Prozent. Es ist wirklich dramatisch, was da an Margen verdient wird. Betrachten Sie allein die Preiserhöhung in diesem Jahr! Die gesamte Preiserhöhung war ungerechtfertigt, weil genau in dem Maß, in dem die Konzerne die Preise erhöht haben, die Kosten an der Leipziger Börse gesunken sind. Herr Nüßlein, was wollen Sie als CDU/CSU und FDP tun, dass diese Abzocke der großen Energiekonzerne - was die machen, ist wirklich Abzocke - endlich aufhört? Denn was die mit den Verbrauchern machen - überhöhte, unfaire Energiepreise -, muss endlich ein Ende haben.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Höhn, das wäre jetzt das gewesen, was ich anschließend gerne gesagt hätte. ({0}) - Nein, bleiben Sie bitte stehen. Jetzt haben Sie mir die Gelegenheit gegeben, das zu tun. So sollten wir schon miteinander umgehen. ({1}) Ich bin der Meinung dass die Europäische Union mit dem Weg, den sie vorzeichnet, nämlich mit einem Mehr an Wettbewerb über die europäischen Grenzen hinweg, den Schritt vollzieht, den wir national allein offenkundig nicht gehen können. ({2}) - Wir können das nur im Wettbewerb lösen. Diese Thematik werden wir genau an dieser Stelle lösen. Das ist das eine. ({3}) Das andere ist: Wir werden alles vermeiden müssen, liebe Frau Kollegin Höhn, was den Versorgern die Chance gibt, Strompreise mit politischen, staatlichen Maßnahmen zu begründen. ({4}) - Doch. Natürlich können wir etwas machen. Wir werden den Wettbewerb über die Europäische Union erreichen. Wir werden unsere Regulierungsmaßnahmen vorantreiben. Wir werden all diese Dinge vorantreiben, um dafür zu sorgen, dass die Preise nicht weiter steigen. Wir werden im Übrigen im Rahmen der Produktion dafür Sorge tragen, dass das in dieser Richtung nicht funktioniert. Dazu haben wir die Laufzeitverlängerung beschlossen. Wir hätten auch nettere, populärere Dinge tun können, aber wir haben sehr genau gesehen, dass die Kernenergie preisdämpfende Wirkung hat. Im Übrigen müssen wir hier im Hause eine Diskussion über die Frage führen: Wie geht es bei den erneuerbaren Energien weiter?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Nüßlein, darf die Frau Bulling-Schröter denn auch noch eine Zwischenfrage stellen?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Nüßlein. - Ich habe gehört, Sie möchten alles tun, damit Gewinne abgeschöpft werden und die Preise nicht steigen, wenn ich es richtig verstanden habe. Jetzt ist es ja so, dass nach wie vor 90 Prozent der Zertifikate kostenlos an die großen Energieunternehmen weitergegeben werden. Ab 2013 dürfen sie dann versteigert werden; darüber bin ich sehr froh. Jetzt hat ja die Linke schon einige Male Anträge gestellt, zu prüfen, inwieweit diese Gewinne abgeschöpft werden können, da ja die fiktiven Kosten für diese Zertifikate - die Unternehmen bekommen sie noch kostenlos - eingepreist und direkt an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden. Das bestreitet niemand in diesem Hause. In der letzten Legislatur wurde uns gesagt, dass das nicht geprüft wurde. Gründe dafür wurden uns nicht genannt. Meine Frage an Sie lautet jetzt: Werden Sie das prüfen? Es handelt sich ja um einige Milliarden Euro, die praktisch leistungslos Jahr für Jahr den Profit der großen Konzerne steigern.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal zum ersten Teil Ihrer Ausführungen: Sie verwechseln hier Wirkungen des Wettbewerbs mit der Frage, wie man Gewinne abschöpfen kann. Das ist typisch Linke. ({0}) Wir haben nicht Verstaatlichungen und andere Repressionen im Sinn, sondern setzen darauf, dass sich dynamisch europaweit ein Markt entwickelt, der seinen Beitrag dazu leistet, dass es am Ende andere Strompreise und in der Konsequenz auch eine andere Gewinnsituation bei dem einen oder anderen Oligopolisten geben wird. Das ist das eine. Das andere ist: Wir schöpfen in der Tat ab. Wir haben eine Brennelementesteuer beschlossen. Andere, die hier sitzen und ständig solche Dinge predigen, haben sich das nicht getraut. Sie haben vielmehr seinerzeit mit den Versorgern einen Deal gemacht und explizit auf solche Maßnahmen verzichtet. Das muss man doch der Ehrlichkeit halber einmal sagen. ({1}) Auch wenn Sie es uns ständig vorwerfen: Den Deal mit den großen Versorgern haben ausschließlich und allein Sie gemacht. Sie haben dabei auf Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und auf steuerliche Eingriffe verzichtet. ({2}) All diese Dinge, die immer klug gefordert werden, werden von Ihnen, wenn es zum Schwur kommt, nicht umgesetzt. ({3}) Das ist etwas, was einen an dieser Stelle aufbringt. Wir werden über die Brennelementesteuer Gewinne abschöpfen, und wir werden im Nachgang einen Fonds füllen, der uns in der Energiepolitik in die Lage versetzt, entsprechende Dinge in diesem Bereich auch zu finanzieren, statt nur über sie zu diskutieren. Sie hätten etwas anderes gemacht, nämlich das, was Sie üblicherweise machen: Schulden, meine Damen und Herren, hätten Sie an dieser Stelle gemacht. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir uns Gedanken gemacht haben, wie man auch energie- und klimapolitische Maßnahmen finanziert. Im Anschluss an das allgemeine Thema „Harmonisierung europäischer Politik“, auf das ich vorhin schon eingegangen bin, möchte ich nun auf das spezielle Thema „Harmonisierung der europäischen Politik im Bereich der erneuerbaren Energien“ eingehen. Das halte ich für ganz entscheidend. Uns muss klar sein, dass wir, sobald ein EU-Binnenmarkt im Energiesektor entsteht, über das Thema Harmonisierung reden müssen. Ich bin deshalb ganz froh, dass wir damit frühzeitig angefangen haben. In diesem Zusammenhang möchte ich auch einmal klarstellen, dass die breite Mehrheit dieses Hauses dabei nicht an die Festlegung von Quoten denkt. Wir sind ganz klar dafür, das EEG, das etabliert ist und sich nicht nur in Deutschland bewährt hat, als Diskussionsgrundlage für die Harmonisierung zu nehmen. Damit unterstreiche ich hier noch einmal deutlich das, was Herr Oettinger Ende Januar im Focus gesagt hat. Auch er hat ja explizit gesagt, dass das EEG Basis für die Harmonisierung sein kann. Wahrscheinlich haben auch ihn die Vergleichszahlen beeindruckt, die man einfach einmal zur Kenntnis nehmen sollte: In Großbritannien kostet die Förderung für die Megawattstunde Wind 65 Euro - dort gilt eine Quotenregelung -, in Italien kostet sie 85 Euro - auch dort gilt eine Quotenregelung -, während sie in Deutschland, wo das EEG gilt, rund 50 Euro kostet. Diese klaren wirtschaftlichen und preislichen Realitäten muss Politik einfach zur Kenntnis nehmen. Mir wäre es ein Anliegen, wenn wir diese Diskussion ein bisschen zielgerichteter führten, weniger unter dem Gesichtspunkt „Kernenergie oder nicht Kernenergie“; ({4}) denn das ist Schnee von gestern. Herr Kollege Fell, das ist beschlossene Sache, etwas, was die Koalition geklärt hat. ({5}) Lassen Sie uns über die Frage diskutieren, wie wir die Themen erneuerbare Energien, Netzausbau und Speicherung weiterbringen. Dann haben wir für die Visionen, die Sie haben, viel getan; denn nur Visionen zu haben, Herr Kollege, ist ein bisschen schwierig. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Thomas Bareiß für die CDU/CSU. ({0})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Höhn, Sie haben die Debatte begonnen, haben den Antrag begründet und gesagt, dass wir in Deutschland Vorreiter im Bereich der erneuerbaren Energien waren. Ich möchte zum Ende dieser Debatte wieder etwas Klarheit in dieses Thema hineinbekommen. In der Phase der elf Jahre rot-grüner Umweltminister haben wir gerade einmal 10 Prozent Zuwachs bei den erneuerbaren Energien gehabt. Wir haben uns jetzt vorgenommen, in den nächsten zehn Jahren 20 Prozent Zuwachs bei den erneuerbaren Energien zu schaffen. Von daher möchte ich Sie fragen, wer hier ambitioniert an das Thema herangeht und wer wirklich etwas für die erneuerbaren Energien machen will. Das sind nämlich wir. Die christlich-liberale Koalition geht dieses Thema an. ({0}) Wir haben nicht nur Fragen aufgeworfen, sondern auch Antworten geliefert. Sie hingegen haben die letzten zehn Jahre im Bereich Netzausbau nichts gemacht. ({1}) Sie haben in den Bereichen Marktintegration und Speichertechnologien nichts gemacht. Sie haben einfach nur 10 Prozent aufwachsen lassen und wissen nicht, wohin es gehen soll. Wir packen die Themen an. Wir haben jetzt ein Energiekonzept vorgelegt, das in sich schlüssig ist und eine - das ist das Wichtigste - in sich stimmige Finanzierung beinhaltet. ({2}) In den nächsten Jahren werden von den konventionellen Kraftwerken, von den fossilen Kraftwerken und von den Kernreaktoren, 35 Milliarden Euro geliefert, um die Energiewende zu gestalten. Das ist für mich ein schlüssiges und in sich stimmiges Energiekonzept, das nachhaltig tragfähig ist. Hinsichtlich Ihres Antrages - wir haben schon die unterschiedlichsten Wortmeldungen dazu gehabt - möchte ich eines herausstellen. Sie schreiben: „Klimaverträgliche Energien für Europa - Erneuerbar, effizient, sicher“. Aber die Worte „Verbraucher“, „Wirtschaftlichkeit“ oder „bezahlbar“ kommen in Ihrem Antrag gar nicht mehr vor. ({3}) In allen acht Punkten, die Sie aufgeführt haben, kommt das Wort „Verbraucher“ nicht vor. Aber jemand muss doch diese Veranstaltung bezahlen, die Sie ständig fordern. ({4}) Dieses Thema betrachten wir genauso wie die Frage der Umweltverträglichkeit und die Frage der Sicherheit. Wissen Sie, was Sie machen? Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der zum Schluss dieser Debatte einmal gesagt werden muss: Sie verlieren mit Ihrer Energiepolitik die Akzeptanz der Menschen. ({5}) Es kann nicht sein, dass wir die Energiepreise in den nächsten Jahren ins Uferlose steigen lassen. Schon heute muss eine ganz normale vierköpfige Familie 200 Euro und ein normaler, kleiner Bäckerbetrieb über 3 000 Euro bis zu 5 000 Euro für die Energiewende bezahlen. Wenn es so weitergeht, muss ein vierköpfiger Haushalt die nächsten zwei Jahre noch weitere 100 Euro draufsatteln. Das wird nicht funktionieren. Deshalb brauchen wir mehr Realismus in der Energiewende. Auch dafür wird unser Energiekonzept stehen. ({6}) Herr Kelber und Frau Höhn, nun zu Ihren Wortmeldungen. Sie sprechen von Monopol. ({7}) Sie sprechen davon, dass die Konzerne ständig nur von uns profitieren würden. ({8}) Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen - ich habe vorhin einmal nachgeschaut -: ({9}) Schauen Sie einmal, wie sich die Aktienkurse von Eon und RWE, von den ganz großen Kernenergie- und fossilen Betreibern, in den letzten 12 Monaten verändert haben. Die Kurse haben sich in den letzten 12 bis 15 Monaten kontinuierlich verschlechtert: ({10}) 15 Prozent minus bei Eon und 20 Prozent minus bei RWE. So groß sind also die Erwartungen des Marktes an die drei, vier großen Konzerne, die wir in Deutschland noch haben, nicht mehr; denn wir wollen die Energiewende richtig gestalten. ({11}) Es gibt einen Markt vor Ort; man muss ihn nur nutzen. Ein Stromverbraucher hat in Deutschland die Möglichkeit, zwischen durchschnittlich 85 Anbietern zu wählen. Ein Gasverbraucher hat die Möglichkeit, zwischen 25 Anbietern zu wählen. Das ist doch etwas. Die Bundesnetzagentur hat uns gesagt: Ein deutscher Verbraucher könnte, wenn er richtig entscheiden und wechseln würde, im Schnitt jährlich 150 Euro sparen. Also ist ein Markt vorhanden; man muss ihn nur nutzen. Damit das geschieht, muss man für die Transparenz des Marktes sorgen. Insofern haben wir uns mit dem Sofortprogramm der Bundesregierung das richtige Konzept auf die Tagesordnung geschrieben: Wir wollen eine Markttransparenzstelle einrichten. Das ist übrigens ein Projekt, das von den Stadtwerken und den kleinen Versorgern dringend eingefordert wurde. Dementsprechend haben wir in den letzten Wochen großes Lob geerntet. ({12}) Meine Damen und Herren, wir führen eine Debatte über europäische Energiepolitik. Wir brauchen auch bei diesem Thema eher mehr Europa als weniger. Das ist mit Blick auf das Thema Netzintegration und Netzausbau besonders wichtig. Allein in Deutschland brauchen wir 4 300 Kilometer neue Netze. ({13}) - Das sagt die dena, die damals auch mit Ihrer Unterstützung gegründet worden ist. ({14}) - Herr Kelber, auch wenn nur 3 000 oder 3 500 Kilometer neue Netze nötig wären, würde das nichts an der Tatsache ändern, dass wir in den letzten Jahren nur 90 Kilometer neuer Netze errichtet haben. Entschuldigung, wenn wir in diesem Tempo weitermachen, werden wir nicht einmal in 50 Jahren so weit sein, dass wir die neuen Netze integrieren können. ({15}) Wir brauchen aber nicht nur deutsche Netze, sondern auch europäische Netze; in der Europäischen Union werden 40 000 Kilometer neuer Netze benötigt. Hierfür bedarf es enormer Investitionen in Höhe von über 200 Milliarden Euro. Diese Investitionen müssen von den Unternehmen, von der Wirtschaft geleistet werden. Wir brauchen aber an gewissen Punkten, wenn es für Mitgliedstaaten nicht wirtschaftlich ist, das Netz auszubauen, eventuell auch europäische Gelder. Es ist ein wichtiges Projekt, dies in die Wege zu leiten; Kommissar Oettinger wird das angehen. Der Netzausbau ist das eine; Speicher sind das andere. Auch da ist eine europäische Zusammenarbeit dringend notwendig. Der Ausbau der Speicher ist eine enorme Herausforderung für die Länder Österreich, Schweiz und Norwegen; das muss man klar sagen. Sie wollen Norwegen zum Standort großer Pumpspeicherkraftwerke in Europa machen. ({16}) Wenn alles so käme, wie Sie es sagen, würden in Norwegen 35 Pumpspeicherkraftwerke gebaut. Ich lasse die Frage außen vor, ob das mit Blick auf den Naturschutz der richtige Weg ist. Sie verteufeln immer die Kernenergie und sagen: Wir leben auf der Insel der Glückseligen und werden ohne Kernenergie auskommen. Ich sage Ihnen aber eines - das ist die Realität -: Wir rufen dann den Strom der norwegischen Pumpspeicherkraftwerke, die auch durch unsere Windkraftwerke aufgefüllt werden, ab über die Leitungen, die in der Nord- und Ostsee noch gebaut werden müssen. Wenn diese norwegischen Pumpspeicherkraftwerke leer sind, wir aber Strom brauchen und keine Windenergie da ist, dann werden sie durch finnische Kernreaktoren gefüllt, und wir werden diesen Strom abrufen. ({17}) Das ist Ihre Politik. Die Schaffung gemeinsamer europäischer Netze führt zwangsläufig dazu - das wer10316 den auch Sie akzeptieren müssen -, dass die Kernenergie in den nächsten 20, 30 oder 40 Jahren in unserem Energiemix eine Rolle spielen wird, auch wenn unsere Kernreaktoren durch Sie, durch uns oder durch wen auch immer abgeschaltet werden. ({18}) Wir brauchen die Kernreaktoren in Europa auch deshalb, weil wir das Thema Klimaschutz ernst nehmen. Wir haben uns das Ziel aufs Schild gehoben, einen Anteil der regenerativen Energien an der Stromversorgung von 40 Prozent zu erreichen. ({19}) - Mal sehen, Herr Kelber. Ich rate Ihnen, sich die Zahlen zum Pro-Kopf-Verbrauch von CO2 anzuschauen: jährlich 9,1 Tonnen CO2 pro Kopf in Deutschland, 5,8 Tonnen in Frankreich. Woran liegt das? Das liegt daran, dass wir in Deutschland bei der Energieversorgung sehr stark auf Kohle setzen. ({20}) Allein die Energieunternehmen verursachen in Deutschland 3,9 Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf; in Frankreich sind es nur 0,7 Tonnen. ({21}) - Das liegt daran, dass wir -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das kann man leider nicht im Einzelnen erläutern.

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Die anderen Länder bauen nach wie vor auf Kernenergie; auch das ist europäische Politik. Sie bauen auf Kernenergie, weil sie das Thema Klimaschutz ernst nehmen; auch das spielt eine Rolle. ({0}) Wir sind mit unserem Energiekonzept auf dem richtigen Weg: Es ist in sich schlüssig, durchgerechnet und bezahlbar. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 17/4687 an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu gibt es Konsens. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkten 24 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({0}) zu der Unterrichtung Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für das europäische Kino KOM({1}) 487 endg.; Ratsdok. 14119/10 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes - Drucksachen 17/3608 Nr. A.39, 17/4467 Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Dr. Claudia Winterstein Kathrin Senger-Schäfer Claudia Roth ({2}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner, Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine Kinodigitalisierung, die den Erhalt unserer Kinolandschaft sichert - Drucksachen 17/1156, 17/4718 Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Dr. Claudia Winterstein Kathrin Senger-Schäfer Claudia Roth ({4}) Das ist gewissermaßen der Beitrag des Deutschen Bundestages zur Berlinale, ({5}) auch wenn ich fürchte, Frau Kollegin Roth, dass wir für die Verleihung des Goldenen Bären nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden, ({6}) was, wenn uns das nicht plausibel ist, Gegenstand einer Enquete-Kommission werden könnte. ({7}) Jedenfalls soll für die jetzt vorgesehene Debatte eine Aussprachezeit von 45 Minuten reichen. ({8}) Präsident Dr. Norbert Lammert Hat jemand weiter gehende Vorschläge? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Börnsen. ({9})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte durchhaltefähige Kollegen am Freitagnachmittag! ({0}) Für eine filmpolitische Debatte hätte der Deutsche Bundestag, wie ich finde, kaum einen geeigneteren Zeitpunkt finden können. Gestern ist die 61. Berlinale glanzvoll eröffnet worden, und heute tritt die Verordnung des Bundes zur Digitalisierung der Kinos in Kraft. ({1}) Der Startschuss ist gefallen. Die Gewinner sind die kleinen Kinos, ({2}) 140 Millionen Kinokunden jährlich und der Film als Kultur- und Wirtschaftsgut. ({3}) - Herzlichen Dank. - Das Neumann-Modell findet eine breite Zustimmung bei den Ländern, bei den Filmverantwortlichen und dem Deutschen Bundestag. Wir als Union begrüßen diese Bündnispartnerschaft für Film und Kino in Deutschland. Verehrte Kollegen, die Debatte in dieser Woche sollte nicht ohne eine Würdigung des großartigen Filmemachers Bernd Eichinger geführt werden. ({4}) - Frau Kollegin Roth, bitte. ({5}) - Es gehört dazu, dass man deutlich macht, dass der Staatsminister bei der Unterzeichnung eines trilateralen Filmabkommens ist und deshalb nicht bei der Debatte dabei sein kann. ({6}) Er ist sonst immer regelmäßig dabei, weil er sehr verantwortungsbewusst ist. Ich möchte zur Würdigung des großartigen Filmemachers Bernd Eichinger zurückkommen. Am Montag wurde er beerdigt. Bundespräsident Christian Wulff hat die explosive Leidenschaft dieses Mannes für den Film in seinem Nachruf betont. Mut und Tatkraft für große Filme haben Bernd Eichinger ausgezeichnet. Das Träumen hat er nie aufgegeben. Für das Filmland Deutschland war er in vielen Bereichen wegweisend. Sein Tod reißt eine große Lücke in einer Zeit, da sich in der Filmbranche in Deutschland Zweifel und Selbstkritik breitgemacht haben. Provozierend fragten FAZ-Filmfeuilletonisten vor wenigen Tagen: Woran liegt es, dass das deutsche Kino so reich ist an Talenten und Könnern? Und so arm an guten Filmen? Obwohl die langfristigen Zahlen erfreulich, die internationalen Erfolge stabil sind und das Kinointeresse in den letzten zehn Jahren stetig steigt, wachsen derzeit in der Branche Ratlosigkeit und Zweifel an dem derzeitigen System Film. Eine Frischzellenkur wird gefordert, mehr Innovationen, weniger Subventionen, Mut zum Themenrisiko, gesellschaftskritische Kompromisslosigkeit, mehr Klasse, weniger Masse. Dabei war das Kinojahr 2009 durchaus passabel. Mit 220 deutschen Filmen gab es so viele wie nie zuvor. Deren Marktanteil betrug 27,4 Prozent - so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Kino made in Germany ist zum Kassenfüller geworden. Wenn Martin Moszkowicz von der Constantin feststellt, von zehn großen Filmproduktionen würden jetzt acht in Deutschland gedreht - früher war das Verhältnis umgekehrt -, wird damit der Nachweis erbracht, dass Deutschland als Produktionsstandort an Zuspruch gewonnen hat. Das begrüßen wir. ({7}) Die hohe Qualifikation der Filmschaffenden trägt dazu bei. Aber auch der finanzielle Rahmen stimmt: 70 Millionen Euro Fördermittel von der FFA, 60 Millionen Euro Fördermittel vom DFFF, dazu die Länderförderung. Trotzdem gab es einen Besuchereinbruch im Kinojahr 2010 und weniger Besucher bei Filmen aus dem eigenen Land. Die Ursache dafür ist nicht nur in der Fußballweltmeisterschaft zu sehen, sondern ist nach Brancheneinschätzung auch auf zu viel Mittelmaß, auf zu viele deutsche Filme zurückzuführen, die sich gegenseitig das Publikum streitig machen, sowie auf zu wenige attraktive Drehbücher und wagemutige Produzenten. Bei manchen Produktionen kommt ein Zeitdruck hinzu, der Sorgfalt verhindert, wenn zum Beispiel pro Drehtag sechs Minuten abgeliefert werden müssen. Besonders kritisch wird die Rolle des Fernsehens im Filmsystem hinterfragt. Es gehört - ob öffentlich-rechtlich oder privat - zu den wichtigsten Kultur- und Filmförderern unseres Landes, keine Frage. Viele Filme, auch von jungen Filmemachern, wurden erst durch die Sendeer möglich. Das verdient Anerkennung. Auch an der Filmförderung durch die FFA sind sie neben der Videowirtschaft und den Kinobetreibern maßgeblich beteiligt. Die Handelnden klagen jedoch über zu hohe Förderauflagen und zu geringe Förderanteile des Fernsehens. Sie weisen auf Frankreich hin. Dort stammen zwei Drittel der 500 Millionen Euro Fördermittel direkt vom Fernsehen. Diese Kritik muss sich die Branche gefallen lassen. Als Mitförderer müssen wir dieser Kritik nachgehen. Wolfgang Börnsen ({8}) Sollte sie zutreffen, gehört die Filmförderung insgesamt auf den Prüfstand. Auch Teile der Kinowirtschaft erweisen sich immer mehr als Wackelkandidaten in diesem Finanzierungssystem. Wir als Union werden dafür sorgen, dass es weiterhin stabile Rahmenbedingungen für einen kreativen, für einen kritischen und auch für einen gut unterhaltenden Film gibt; denn wir glauben, dass der Film weiterhin eine Zukunft haben muss. Die Kinodigitalisierung zeigt, dass wir hinter den Kinos in unserem Land und hinter dem Film in unserem Land stehen. 4 Millionen Euro pro Jahr stellen wir dem Film zur Verfügung. Ein letztes Wort würde ich gerne noch der Berlinale 2011 widmen. Sie ist für uns alle und für Europa ein Höhepunkt des Filmjahres. Sie war und ist ein Beispiel für die Freiheit. Sie war 40 Jahre lang auch ein Symbol für die Freiheit der Kunst in dieser Stadt. Jetzt - 60 Jahre später - ist wieder unser Eintritt für die Freiheit gefragt. Es geht um den iranischen Regisseur Jafar Panahi. Er sollte der Jury angehören. Dazu ist es nicht gekommen. Wegen seines filmischen Schaffens wurde er in seiner Heimat Iran inhaftiert. Das können und werden wir als Parlamentarier nicht dulden. ({9}) Die Union und alle anderen, glaube ich, unterstützen die Solidaritätsaktion der Berlinale. Wir fordern die Freiheit für Jafar Panahi und seine Freunde. ({10}) In diesem Zusammenhang passen leider auch aktuelle Meldungen. Kurz vor der Berlinale-Premiere ist der Film „Khodorkovsky“ über den inhaftierten russischen Regimekritiker Michail Chodorkowski geraubt worden. Unbekannte sind in die Berliner Arbeitsräume des Regisseurs eingebrochen. Damit sollte offensichtlich die Aufführung dieses Films vor der Weltöffentlichkeit auf der Berlinale verhindert werden. Ich rufe uns alle auf: Eine solche Beschneidung der Freiheit der Kunst dürfen wie niemals hinnehmen; denn Bürger- und Menschenrechte haben für uns die höchste Priorität. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Angelika Krüger-Leißner ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer um 11.55 Uhr auf den Ticker geschaut hat, hat dort die Blitzmeldung lesen können: „Die FFA hat Richtlinien und Anträge zur Digitalisierungsförderung auf ihre Webseite gestellt.“ Das ist eine wirklich gute Nachricht für die Branche, vor allem für die Kinos. Ich freue mich - da spreche ich für meine gesamte Fraktion -, dass es nun mit der lange angekündigten Förderung für die Kinos losgeht. Ich beglückwünsche den Herrn Staatsminister, dass er sozusagen gerade noch pünktlich zur Schlussberatung des Antrages meiner Fraktion unsere Kernforderung erfüllt. Denn all die Kinos, die bei der anstehenden Digitalisierung auf sich allein gestellt und finanziell überfordert wären, können jetzt mit der Unterstützung sowohl vom Bund als auch von der Filmförderungsanstalt rechnen. Damit stehen die Chancen gut, dass wir in Deutschland eine Kinodigitalisierung durchführen, die den Erhalt unserer Kinolandschaft sichert, wie wir in unserem Antrag fordern. Aber lange hat es gedauert. Lassen Sie mich kurz Revue passieren. Wir wissen: Seit Jahren wird bei uns über Kinodigitalisierung diskutiert. Nachdem das sogenannte „100er Modell“ gescheitert war, weil sich die Branche nicht einigen konnte, hat sich lange nichts getan. Dabei wollten wir doch in Europa die Ersten sein. Dann hat die SPD-Fraktion die Bundesregierung mit dem vorliegenden Antrag aufgefordert, ein Konzept für die Förderung vorzulegen; das ist schon fast ein Jahr her. Die Lösung der damit verbundenen Fragen war sicherlich nicht einfach, und sicherlich ist die Filmbranche kein leichter Verhandlungspartner; aber es stellt sich doch die Frage, ob immer geschickt agiert wurde, etwa als die Kinodigitalisierung mit dem Finanzierungsproblem der FFA verknüpft worden ist. Fest steht jedenfalls, dass das die Fronten verhärtet und die Verhandlungen zäh gemacht hat. Mit unserem Antrag kam dann endlich Bewegung in die Sache. Im Mai vergangenen Jahres lagen die Eckpunkte auf dem Tisch, die Gespräche mit den Ländern wurden forciert, und die SPD initiierte eine große Anhörung im Kulturausschuss. Wichtige Verbesserungen am Förderkonzept konnten für die kleinen umsatzschwachen Kinos und für die Programmkinos durchgesetzt werden. Dann hat meine Fraktion im Kulturausschuss die Initiative für eine gemeinsame Protokollerklärung ergriffen, der sich alle Fraktionen angeschlossen haben. Darin enthalten sind wichtige Forderungen hinsichtlich der Umsetzung der Förderung. Schließlich hat der Haushaltsausschuss im Oktober 2010 die ersten 4 Millionen Euro für die Förderung freigegeben. Dann gab es wieder Stillstand. Inzwischen lagen 750 Anträge bei der FFA vor. Die Kinobetreiber, die endlich mit der Digitalisierung loslegen wollten, hatten auf das Startsignal gewartet. Das Geld lag schon lange bereit, es konnte nur nicht ausgereicht werden. Mit dem heutigen Tag liegt die Rechtsverordnung vor, die bisher fehlte. Ich meine, der Redlichkeit halber musste dieser Hergang noch einmal sachlich und ganz objektiv dargestellt werden. Jetzt lassen Sie mich nach vorne schauen. Wir freuen uns, dass unserem Antrag im Kern entsprochen wurde. Warum wir uns überhaupt für die Kinos so starkmachen, möchte ich noch einmal ins Gedächtnis rufen. Übrigens haben wir den Leiter der Berlinale, Dieter Kosslick, fest an unserer Seite. Vor einem Jahr hat er dem Kino im 13.00 Rahmen der Berlinale mit tollen Veranstaltungen einen Schwerpunkt gewidmet: Berlinale goes Kiez. Das gibt es in diesem Jahr wieder. Dabei wird der rote Teppich vor den kleinen Programmkinos ausgerollt und bringt den Glamour der Berlinale in die Stadtteile. Das sagt viel über die große Wertschätzung, die der Berlinale-Chef den ambitionierten Kinobetreibern entgegenbringt. Die große Leinwand ist tatsächlich der einzige Ort, an dem die ganze visuelle Kraft und der Zauber guter Filme zur Entfaltung kommen. Weder Fernsehen noch Laptop noch iPad noch Smartphone können diese Wirkung je erreichen. Viele von uns haben gestern Abend den wunderbaren Eröffnungsfilm der Berlinale von den Coen-Brüdern gesehen; bald kommt er ja auch in die Kinos. Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden dieses Leinwandopus auf wenige Zentimeter Display zwängen. Ich glaube, dann können Sie ermessen, wovon ich spreche, wenn ich von der Unersetzbarkeit des Kinos rede. Viele Kollegen wissen, dass ich seit Jahren mit Leidenschaft in der Vergabekommission der FFA für die Förderung von Filmprojekten arbeite. Hier habe ich das Glück, die Projekte von der Idee bis zum fertigen Film zu begleiten. Wir haben schon wahre Juwelen darunter gehabt; Das Weiße Band von Michael Haneke oder Poll von Chris Kraus, um nur zwei Beispiele zu nennen. Da werden Geschichten so erzählt, dass sie einen im Innersten erreichen. Sie bringen uns fremde Menschen und Schicksale nahe, sie öffnen den Blick für Unbekanntes und anderes, sie versetzen uns in ferne Zeiten oder fremde soziale Milieus, sie berühren uns, und sie wühlen uns auf. Im besten Falle schaffen sie es, uns zugleich zu unterhalten. Das war übrigens auch immer das Ziel von Bernd Eichinger, und das ist ihm auch immer wieder gelungen. Wenn Filme all das leisten können, dann haben wir es mit einem Kulturgut ersten Ranges zu tun. Es ist unsere Verantwortung als Kulturpolitiker, dafür zu sorgen, dass diese Filme erstens einen Ort finden, wo sie ihre ganze Kraft entfalten können, und dass zweitens möglichst viele Menschen, auch in ländlichen Regionen und kleinen Städten, Zugang zum Kulturgut Film finden. Mit der technologischen Innovation der Digitalisierung, die uns derzeit in allen Bereichen ereilt, wird die Fortexistenz unserer vielfältigen Kinolandschaft infrage gestellt, einfach weil die Digitalisierung teuer ist und weil es keine Alternative gibt. Wenn ich vom notwendigen Erhalt unserer Kinolandschaft spreche, dann meine ich alle Filmtheater. Ich meine die kleinen Traditionskinos genauso wie die Multiplexhäuser, die kommunalen Kinos ebenso wie die Filmkunst- und Programmkinos. Auf keines dieser Häuser wollen wir verzichten, wenn es um die Vielfalt geht. Der Unterschied ist nur: Die einen können sich die Digitalisierung aus eigener Kraft leisten, und die anderen sind auf Hilfe angewiesen. Genau hier soll unsere Förderung ansetzen. Für die SPD waren immer drei Punkte wichtig: erstens Technikneutralität, zweitens Nachhaltigkeit und drittens die Gewährleistung der Programmierungsfreiheit der Kinomacher. Die ersten beiden Punkte, Technikneutralität und Nachhaltigkeit, finden sich in der Rechtsverordnung wieder. Wir müssen aber aufpassen, dass beide Kriterien nicht so miteinander verknüpft werden, dass am Ende doch ein Standard verpflichtend wird, nach dem Motto: Nachhaltig ist eine digitale Anlage nur, wenn sie von den US-Majors mit Filmen beliefert wird. Das wäre dann der Zwangsstandard durch die Hintertür. Die SPD fordert, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ ebenfalls berücksichtigt, dass die kleinen Kinos nicht mit überflüssigen und teuren technischen Standards überfordert werden. Denn das würde die Filmtheater sowohl mit dem nötigen Eigenanteil als auch mit den höheren Betriebs- und Folgekosten finanziell überfordern. Am Ende müsste das Kino dann dichtmachen, und das wäre genau das Gegenteil von Nachhaltigkeit, die wir meinen. Das sieht übrigens die EU-Kommission in ihrer Mitteilung zur Kinodigitalisierung ganz genauso. Ich denke, bei der Entscheidung, welche Technik die Kinos brauchen, sollten wir zunächst einmal von der unternehmerischen Klugheit des Kinobetreibers ausgehen. Die meisten Kinos haben nicht nur eine Leinwand. Oft werden auf den unterschiedlichsten Leinwänden ganz verschiedene Filme programmiert. Der Kinobetreiber kennt den Verleihmarkt, und er weiß am besten, welchen Standard er braucht für die Filme, die er zeigen will. Deshalb sollten wir zunächst dieser unternehmerischen Entscheidung vertrauen. Aber ich erwarte auch, dass die Filmförderungsanstalt bei der Prüfung der Anträge die gesamte Situation eines Kinos berücksichtigt und bei den Bescheiden die nötige Flexibilität zeigt. Bei aller Freude über den Start der Förderung bleibt eine Forderung, der wir uns alle verschrieben haben, die Politik genauso wie die gesamte Filmbranche, bisher unerfüllt: Wir wollten und wir wollen eine flächendeckende Kinodigitalisierung. Derzeit gibt es noch viele weiße Flächen. ({0}) Denn die Förderung vom Bund gibt es nur dort, wo auch die Länder mit fördern; das war ja eine Bedingung des Haushaltsausschusses. Wir können uns hier allerdings nicht aus der Verantwortung stehlen, mit kalter Schulter auf die Länder verweisen und die Kinos in diesen Ländern im Regen stehen lassen. Ich meine, in erster Linie ist hier die Verleihwirtschaft gefragt. Auch die Verleiher haben sich immer der Flächendeckung verschrieben. Ich glaube, wir sind uns einig darin, dass die Verleiher bei der Finanzierung der Digitalisierung den besten Schnitt gemacht haben; denken wir doch nur daran, was die Verleiher noch zu Zeiten des „100er Modells“ leisten wollten. Demgegenüber ist der jetzt fällige Anteil von 20 Millionen Euro ein blendendes Geschäft für sie. Deshalb erwarte ich, dass die Verleihwirtschaft hier in die Bresche springt und eine Übergangslösung möglich macht. Die Politik, das heißt wir, wird alles daransetzen, dass die noch säumigen Länder mit Förderprogrammen nachziehen. Es gibt Länder, in denen die Anzahl der Leinwände überschaubar ist. Und ich glaube, dass auch Bremen, das Saarland, Mecklen10320 burg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen das leisten können. Diese sind noch säumig. Deshalb mein Appell an die Verleiher: Machen Sie diesen Kinos in diesen Ländern ein Angebot! Zum Schluss noch ein Ausblick. Der nächste Schritt wird es sein, dass auch die sogenannten Marktkinos, also die umsatzstärkeren Häuser, möglichst schnell an eine Förderung kommen; die Aussichten dafür sind nicht schlecht. Am 23. Februar wird es eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes geben; ich vernehme positive Anzeichen. Dann wären auch Gelder der FFA für die Marktkinos frei. Nach dem 23. Februar können die Weichen neu gestellt werden. Ich erinnere daran, dass nicht nur Kulturstaatsminister Neumann, sondern wir alle der Branche versprochen haben, dass wir die große FFG-Novelle anpacken wollen. Aber die Branche muss in Vorleistung treten. Sie selber muss zu Solidarität zurückfinden, sich zu dieser Förderung bekennen, und dann werden wir den zweiten Schritt machen und die Grundlage dafür legen. Ich habe übrigens immer noch die Hoffnung -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Krüger-Leißner, für weitere Ausblicke ist jetzt wirklich keine Zeit mehr. ({0})

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich den Satz beenden?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Letzter Satz.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gebe meiner Hoffnung Ausdruck, dass die schwer angeschlagene Solidarität in der Branche wieder geheilt werden kann und dass wir diesen branchenübergreifenden Konsens finden. Übrigens ist das auch ein Vermächtnis von Bernd Eichinger. Das sind wir ihm schuldig. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Dr. Winterstein das Wort. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz aller Technik, die es inzwischen für den Filmgenuss zu Hause gibt, musste ich gestern Abend eines wieder einmal feststellen: Ein Kinobesuch ist und bleibt immer ein ganz besonderes Erlebnis. Das kann bei der glanzvollen Eröffnung der Berlinale oder auch in einem Kino in Ihrer Nähe der Fall sein. ({0}) Die Berlinale hat sich längst zu einem der wichtigsten internationalen Filmereignisse entwickelt. Das zeigt auch eindrucksvoll die Zahl von 385 Filmen aus 58 Ländern, und ich glaube, dass sich alle Kinofreunde darauf freuen, in den kommenden zehn Tagen recht viele dieser Filme zu sehen. Meine Damen und Herren, die Berlinale ist das Aushängeschild für den Filmstandort Deutschland. Darüber hinaus war und ist die Berlinale immer wieder Impulsgeber für neue Ideen und Motor für neue Entwicklungen in der Filmlandschaft. Dieser Vorreiterrolle wird das Festival auch beim Thema Kinodigitalisierung gerecht. Denn 39 der insgesamt 56 Kinosäle der diesjährigen Berlinale sind mit digitaler Technik ausgerüstet, also zwei Drittel; das ist eine beachtliche Zahl. Von den derzeit 4 700 Kinos in Deutschland verfügen allerdings derzeit weniger als 600 über die digitale Technik. Das heißt, das ist nur jedes achte Kino. Aus diesem Grund hat die Koalition das Thema Kinodigitalisierung zu einem ihrer Schwerpunkte in der Filmpolitik gemacht. Dieser Schritt von der analogen zur digitalen Technik ist ein Meilenstein für die gesamte Kinolandschaft. Dabei müssen wir von unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinos ausgehen. Nach dem Konzept des Kulturstaatsministers sollen noch 3 700 Leinwände in Deutschland digitalisiert werden. Davon gehören etwa 2 500 zu den umsatzstarken Kinos und Multiplexen, die sich vor allem in den Großstädten befinden. Sie sind in der Lage, die Umstellung auf die digitale Projektion selbst zu finanzieren, und haben das teilweise auch schon getan. Daneben haben wir noch 1 200 weitere Leinwände, die zu den kleineren Kinos im ländlichen Raum oder zu den Arthouse- und Programmkinos gehören. Diese Kinos stellen eine kulturelle Grundversorgung im Bereich des Films sicher. Viele der Berlinale-Filme werden nach dem Festival in solchen Kinos gezeigt und erreichen so ein weit größeres Publikum. Diese Häuser können die hohen Investitionen für die Umstellung auf digitale Technik wegen ihres besonderen Filmprogramms oder ihres Standortes nicht allein schultern. Daher haben wir in der Koalition den erwähnten Förderrahmen geschaffen, durch den der Erhalt kleiner und mittelständischer Kinos gesichert wird. Damit stützen wir auch die kulturelle Vielfalt in allen Regionen Deutschlands. ({1}) Dafür haben wir - das wurde schon gesagt - in diesem Jahr 4 Millionen Euro als Bundesförderung im Haushalt bereitgestellt. In Kombination mit weiteren Fördermitteln der EU, der Länder und der Filmwirtschaft selbst sind die KiDr. Claudia Winterstein nounternehmen nun in der Lage, die digitale Umstellung mit einem überschaubaren Eigenanteil zu finanzieren. Ich freue mich, dass gerade heute - auch das ist erwähnt worden - die entsprechende Verordnung in Kraft tritt, damit möglichst zügig eine flächendeckende Digitalisierung möglich wird. Eine nationale Förderung ist an dieser Stelle insbesondere vor dem Hintergrund wichtig, dass gerade die kleinen und speziellen Kinos viele deutsche Produktionen zeigen. Ohne diese Unterstützung müssten wir ein Kinosterben befürchten. Auch wenn im vergangenen Jahr der große Kassenschlager fehlte: Die Filmindustrie befindet sich seit Jahren im Aufwind. Deutsche Filme werden beim Publikum immer beliebter, und durch die Förderung der Digitalisierung erreicht der deutsche Film sein Publikum in allen Regionen unseres Landes. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Kunert das Wort. ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man ein Kino will, das den Blick in die Welt und in die Geschichte offenhält, dann braucht man mehr denn je die kommunalen Kinos. Das sagte Wim Wenders, einer der großen Regisseure. Wenn man seiner Logik folgt, dann muss man die Pläne der Bundesregierung zur Digitalisierung der Kinos kritisch unter die Lupe nehmen. Die Kinos weltweit und in Europa werden auf digitale Vorführtechnik umgestellt. Das ist die Folge einer grundlegenden technologischen Veränderung. Alle Schritte von der Produktion bis zur Vermarktung werden digitalisiert. Das wird zu enormen Investitionen führen. Sicher liegt die Zukunft im digitalen Kino. Das erkennen auch die kleinen und kommunalen Kinos an. Hier im Hause und auch mit der EU-Kommission sind wir uns einig: Die Digitalisierung der Kinos kann man nicht dem Markt allein überlassen. ({0}) Wäre das der Fall, käme es zu einer Verödung des kulturellen Reichtums und zum Verlust der Vielfalt in der Kinolandschaft. Die kleinen Kinos, die Arthouse- und Programmkinos, die kommunalen Kinos, die Kinos in der Fläche: Sie alle gingen unter und würden aussterben. Übrig blieben allein die großen Kinoketten mit Programmen, die sehr oft auf verkaufsstarke Hollywood-Filme ausgerichtet sind. Das wollen wir verhindern. Die Multiplex-Kinos haben die Umstellung auf das digitale Abspiel bereits vollzogen. Jetzt gilt es, die kleinen und kommunalen Kinos in der Fläche zu erhalten. Das ist das Anliegen einer Empfehlung der EU-Kommission und auch eines Konzeptes des Kulturstaatsministers. Das finden wir gut. ({1}) In einem entscheidenden Punkt ist das für uns aber unzureichend: Die Gelder zur Digitalisierung der kleinen und kommunalen Kinos reichen bei weitem nicht aus. Die Ursache dafür sind die hohen Kosten für Projektoren. Sie müssen den Standards der DCI, einem Zusammenschluss der großen Hollywood-Studios, entsprechen. Kleine und kommunale Kinos brauchen für die Digitalisierung eine weniger aufwendige technische Lösung. Das hängt mit den geringeren Raumgrößen und dem kleineren Projektionsabstand zusammen. Bei der von den kleineren Kinos bevorzugten Lösung kostet ein Projektor zwischen 15 000 und 20 000 Euro. Bei der Technik, die Hollywood bevorzugt, würde ein Projektor zwischen 70 000 und 80 000 Euro kosten. Der Haken an der kostengünstigeren Variante ist allerdings, dass die großen Produktions- und Verleihfirmen Hollywoods Kinos ohne Projektoren mit DCI-Norm nicht beliefern würden, weil sie ihre Qualitätsstandards gesichert sehen wollen. So würde die Förderung der alternativen Technik in eine Sackgasse führen, weil sie Folgeinvestitionen nach sich ziehen würde. Für die Vielfalt der Kinolandschaft in Europa wäre das sehr schädlich. Damit die kleinen und kommunalen Kinos auch in Zukunft existieren, brauchen sie eine höhere Zusatzförderung. Die Linke setzt sich dafür ein, dass die kleinen Kinos von Augsburg ({2}) bis Sassnitz ausreichende Mittel erhalten, um die digitale Zukunft zu bestehen. Kleine und kommunale Kinos sind im Unterschied zu den großen Kinoketten innovativ. Analoge und digitale Filme, Filmfestivals, das direkte Gespräch mit dem Regisseur, Diskussionsforen und Einblicke in das Schaffen der Filmproduzenten und europäische Filme: All das macht Kino aus, und all das findet man nur in kleinen und kommunalen Kinos. Sie sind Orte der Kultur und Kommunikation. In ländlichen Räumen sind die kleinen Kinos mitunter die einzigen kulturellen Treffpunkte. Sie tragen entscheidend zur Lebensqualität bei. Die Linke setzt sich gerade für den Erhalt dieser Kinos ein, weil sie ein Stück Kulturerbe bewahren. ({3}) In Zukunft werden diese kleinen Kinos die einzigen sein, die über die Vielfalt ihrer Programme hinaus auch Filme sowohl digital als auch in klassischen Formaten zeigen können. Ich meine, das Konzept zur Förderung der Digitalisierung der Kinos muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Zunächst müssen kleine Kinos, Arthouse- und Programmkinos gefördert werden. Finnland macht es uns vor. Die EU-Kommission hat die staatlichen Beihilfen im Falle Finnlands in ihrer Mitteilung zur Kinodigitalisierung ausdrücklich genehmigt. Mehr noch, sie betrachtet staatliche Hilfen bis 500 000 Euro als zulässig. Die Europäische Union hat endlich einmal bei einem Thema nichts gegen staatliche Beihilfen. Wenn wir im Vergleich dazu an den ÖPNV denken, dann muss uns das doch ermutigen. Nehmen wir uns also ein Beispiel an Finnland und fördern wir in ausreichendem Maße. Über fünf Jahre hinweg 20 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, ist aus unserer Sicht zu wenig. Spitzenkino wird ohne Kleinkino nicht möglich sein. Der rote Teppich wie bei der Berlinale muss jetzt in erster Linie den kleinen und kommunalen Kinos ausgerollt werden. Schönen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Claudia Roth hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns im Ausschuss lange und intensiv mit der Kinodigitalisierung beschäftigt. Erst einmal, auch stellvertretend, vielen herzlichen Dank an Bernd Neumann für die sehr kollegiale Art, in der wir dieses Thema bearbeitet haben! Ich hoffe, es bleibt bei der konstruktiven und kollegialen Art des Umgangs in unserem Ausschuss. Wann, wenn nicht in diesen Tagen der Berlinale, muss deutlich werden, dass uns der Erhalt der Kinolandschaft ein Herzensanliegen ist? Neben den tollen Filmen und dem Talentcampus ist das Besondere an der Berlinale, dass sie das weltgrößte Besucher- und Besucherinnenfestival ist. Das heißt, es gibt einen riesengroßen Bedarf an Filmen und am Filmerlebnis im Kino, und zwar nicht nur in den Metropolen, sondern auch anderswo, etwa in den Dörfern. Augsburg ist zwar kein Dorf, aber Sie haben es zu Recht genannt. ({0}) Kinos muss es auch in den Dörfern geben; denn - das ist sehr wichtig - es hat eine unglaublich große bildungspolitische Bedeutung. Es ist sozusagen Grundnahrungsmittel für die kulturelle Bildung und für eine lebendige Demokratie. Ich gebe meinem Kollegen Wolfgang Börnsen explizit recht: Es ist notwendig, dass wir sehr laut gegen jede Repression eintreten, die Filmemacher erleiden, und deutlich machen: Es ist nicht hinnehmbar, dass ein großartiger und weltweit ausgezeichneter Filmemacher wie Jafar Panahi zu 6 Jahren Haft verurteilt, mit 20 Jahren Berufsverbot und einem Ausreiseverbot bestraft worden ist, weil er angeblich Propaganda gegen die Islamische Republik betrieben hat. Es sind immer wieder die Künstler und Künstlerinnen, die mit ihren Bildern, mit ihren Gedichten, mit ihren Filmen die Stimme von demokratischen Bewegungen, von Freiheitsbewegungen sind. Deswegen ist es wichtig, dass wir in Berlin sehr deutlich ein Zeichen an die junge, an die Grüne Bewegung im Iran senden, dass wir Jafar Panahi stellvertretend für alle anderen mit einem ähnlichen Schicksal nicht vergessen; denn Vergessen tötet. ({1}) Ich will auf drei etwas kritische, nicht geklärte Punkte eingehen. Erstens: die Umsatzgrenzen bei den zu fördernden Kinos. Es gibt einiges, was in der Konsequenz gefährlich sein kann. Bei einem Mindestumsatz von 40 000 Euro und einem Höchstumsatz von 260 000 Euro jährlich dürfte etwa ein Viertel der Kriterienkinos aus der Förderung herausfallen. Das träfe zu auf so wichtige und durchaus legendäre Häuser wie das „Abaton“ in Hamburg - Fatih Akin hat da seine Anfänge erlebt -, die „City Kinos“ in München oder den „Delphi Filmpalast“ in Berlin. Das sind legendäre Häuser, die für den deutschen, für den europäischen und für den Arthouse-Film sehr wichtig sind; aus diesem Grunde sind sie ausgezeichnet worden. An dieser Stelle muss also nachgebessert werden, was die Umsatzgrenzen angeht. Diese wichtigen Häuser dürfen nicht einfach aus der Förderung herausfallen. ({2}) Zweitens: Technikneutralität. Was ich hierzu zu sagen habe, möchte ich sogar noch ein bisschen schärfer formulieren als manche Kollegen und Kolleginnen, die vor mir gesprochen haben; das war mir nicht deutlich genug. Technikneutralität wird jetzt von europäischer Seite unterstützt; das ist auch schriftlich fixiert. Es muss klipp und klar sein, dass man nicht einseitig auf den Hollywood-Standard DCI setzt. Dieser Standard wird mittlerweile anders benannt; es wird von der ISO-Norm gesprochen. Dieser Standard ist schon jetzt viel zu teuer. Seine Anwendung wäre für viele Kinos absolut unrentabel. Wenn jetzt vonseiten der Regierung nichts mehr über den technischen Standard gesagt wird und wenn das Kriterium „Nachhaltigkeit“ bei der Festlegung der Förderkriterien berücksichtigt wird - darüber freue ich mich natürlich; denn Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der für uns Grüne viel bedeutet -, dann betone ich: Der Ausdruck „Nachhaltigkeit“ muss präzisiert sein. Bisher ist definitiv nicht klar genug, was darunter zu verstehen ist. Ist es nachhaltig, kleine Kinos vertraglich mit den hohen DCI-Folgekosten zu belasten, zum Beispiel was den Ersatz von Leuchtmitteln angeht? Ist es nachhaltig, zu riskieren, dass die Hollywood-Firmen DCI-Kinos bevorzugen und andere damit an den Rand drängen? Das birgt die Gefahr einer Kartellbildung und einer Marktbereinigung im Sinne des kommerziellen Mainstream-Kinos. Dem muss deutlich entgegengetreten werden. An diesem Punkt wünsche ich mir weniger Schwammigkeit. Vielmehr muss klipp und klar, also unmissverständlich, zum Claudia Roth ({3}) Ausdruck gebracht werden, dass es nicht zu einer Marktbereinigung kommen darf. ({4}) Ich möchte, dass klargestellt wird - da muss nachgebessert werden -, dass im Regelfall auch diejenigen Kinobetreiber gefördert werden, die nicht den DCI-Standard verwenden. Mit anderen Worten: Diese Förderung muss der Regelfall sein, sie darf keine verklausulierte Ausnahme sein. Technikneutralität muss grundsätzlich und nicht ausnahmsweise gewährleistet sein; sonst wird sie nämlich ganz bald verschwinden. Dritter und letzter Punkt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Roth, ich fürchte, das werden wir jetzt nicht mehr schaffen.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben recht. Ich muss gleich zur Demonstration für Jafar Panahi. Ich lade Sie alle herzlich ein, mit mir daran teilzunehmen. Etwas will ich aber doch noch sagen. In den Ländern, die nicht fördern oder nicht fördern können - das haben die Kollegen schon gesagt -, muss etwas passieren; da muss es eine Art Notfallfonds geben. Es kann nicht sein, dass wir vom Ziel einer flächendeckenden Kinolandschaft abrücken. Die betreffenden Länder müssen unter Druck gesetzt werden. Eventuell muss ihnen geholfen werden. Um 16.30 Uhr wird der Film von Jafar Panahi gezeigt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann geben Sie den Kollegen, die hier noch sprechen möchten, die Chance dazu. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es lohnt sich, sich diesen Film anzuschauen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Wanderwitz das Wort.

Marco Wanderwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Roth, die Berlinale in diesen Tagen verschafft dem Kino und dem Film wieder einmal etwas mehr Aufmerksamkeit. Besonders viel Aufmerksamkeit genießen nationale und internationale Stars der Filmbranche. Tolle Filme und deren Macher stehen im Vordergrund. Die Besucher können das Erlebnis „Film im Kino“ genießen. Es gibt inzwischen viele unterschiedliche Möglichkeiten, Film zu erleben. Trotz aller Schwankungen - Wolfgang Börnsen hat schon einige Worte dazu gesagt - ist die Zahl der Kinobesucher Jahr für Jahr hoch. Das zeigt, wie sehr das Erlebnis „Film im Kino“ geschätzt wird. Die deutsche Filmlandschaft lebt natürlich von Vielfalt, auch bei den Kinos, Vielfalt nicht nur bei den Multiplexen in großen Städten, sondern auch bei vielen kleinen Kinos, gerade in den ländlichen Räumen. Die meisten Anwesenden kommen genauso wie ich aus Gegenden, die eher ländlich geprägt sind und in denen es kaum größere Städte gibt. Dort sind die kleinen Kinos besonders wichtig. Umso mehr freut es mich, festhalten zu können, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben. Die Filmtheaterdigitalisierungsverordnung - eine sperrige Bezeichnung - ist seit gestern in Kraft. Die Förderung kann beginnen. ({0}) Das ist vor allem dem Engagement unseres Staatsministers zu verdanken, der bei seinem Leib-und-MagenThema Film - das wissen alle - noch ein kleines bisschen mehr Engagement zeigt als ohnehin bei der Kultur insgesamt. Das alles gibt insbesondere vielen umsatzschwächeren Kinos, die im ländlichen Raum die kulturelle Grundversorgung sicherstellen, eine Chance. Wenn bestimmte strukturelle Kriterien erfüllt werden, gibt es einen erhöhten Förderzuschuss. Wenn wir feststellen, dass sich Ober- bzw. Untergrenzen, also Deckelungen, negativ auswirken, dann werden wir darüber noch einmal nachdenken. Wichtig ist aber, dass es nun losgeht. Die abgestimmten Förderprogramme von BKM und Filmförderungsanstalt umfassen auch die kommunalen Kinos. Die Förderprogramme sind weitestgehend kompatibel mit den bestehenden Förderprogrammen der Länder und haben dort weitere Impulse gegeben. Viele Länder haben nachgezogen - die Bayern waren die Ersten -, haben entsprechende Mittel in ihre Haushalte eingestellt und angekündigt, zu fördern. Im Grunde genommen kann man diejenigen, die jetzt noch sagen: „Es geht nicht“, an einer Hand abzählen. Von den vorhin Genannten befinden sich die meisten schon auf dem Weg. Wir haben auch die Verleiher ins Boot geholt, obwohl diese sich noch immer etwas zieren. Aber es ist absolut wichtig, auch die Verleiher zu berücksichtigen; denn sie sind im Grunde genommen die größten Nutznießer der Digitalisierung, jedenfalls in finanzieller Hinsicht. Die Digitalisierung ist eine tolle Sache für die Kinobesucher. Für die Verleiher bedeutet die Digitalisierung finanzielle Mehreinnahmen. Diese müssen in der Branche ankommen. Das Hauptproblem war, dass die Branche ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Das zu regeln, hat sich die christlich-liberale Koalition im November 2009 im Koalitionsvertrag zur Aufgabe gemacht. Wir haben im Mai 2010 ein Konzept vorgelegt und schließen heute diese Aufgabe ab. Ich habe nicht den Eindruck, dass das Verfahren besonders langsam war. ({1}) Der SPD-Antrag, über den wir heute abstimmen - eigentlich hat er sich aus meiner Sicht erledigt -, stammt von März 2010. Er lief damit sozusagen dem Koalitionsvertrag hinterher. Da wir dieses Thema insgesamt sehr kollegial vorangebracht haben, verstehe ich nicht, warum wir heute über diesen Antrag abstimmen sollen. Dass er in Bälde erledigt sein wird, war in den letzten Wochen und Monaten absehbar. Wenn wir uns die heutige Abstimmung hätten sparen können und nur eine Debatte, zum Beispiel über eine europäische Verordnung, geführt hätten, wäre es auch gut gewesen. ({2}) Stichwort: Mitteilung der Europäischen Kommission zur Digitalisierung. Auch die EU hat dieses Thema auf dem Schirm. Es ist schön, dass die EU das Ganze sieht. Wir sind - wie einige andere Länder, zum Beispiel Frankreich - schon ein Stückchen weiter. Für uns ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass sichergestellt wird, dass die europäische Förderung um Deutschland keinen Bogen macht, sprich: Wenn wir in Deutschland unsere Leinwände frühzeitig digitalisiert haben, muss trotzdem der auf Deutschland entfallende Anteil der Fördermittel fließen, ({3}) beispielsweise für Investitionen in andere Digitalisierungsprojekte. Das ist unsere Forderung an die Kommission. Wir haben noch genügend in Sachen Mediendigitalisierung vor. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege MüllerSönksen. ({0})

Burkhardt Müller-Sönksen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003818, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während der Berlinale richtet sich das Spotlight immer auf die Metropole Berlin. Aber all die wunderbaren Filme, die dort präsentiert werden, müssen anschließend einem breiten Publikum gezeigt werden. Das bedeutet, sie müssen überall gezeigt werden können, quasi Berlinale in ganz Deutschland. Damit die Kinos im ländlichen Raum und die Programmkinos diese Aufgabe auch zukünftig erfüllen können, werden wir sie bei den dringend notwendigen Investitionen in digitale Abspieltechnik unterstützen; denn gerade im ländlichen Raum sind die Kinos unverzichtbar. Sie zeigen großes Kino auch in kleineren Orten und vermitteln Filmkunst. Als Treffpunkte soziokulturellen Lebens bieten sie gerade für Jugendliche ein niedrigschwelliges Angebot kultureller Bildung. ({0}) Kinos im ländlichen Raum und sogenannte Programmkinos sind aber auch kleine und mittelständische Unternehmen. Oftmals sind sie Familienunternehmen. Manchmal sind sie an gastronomische Betriebe angegliedert. Aus eigener Kraft können nur die umsatzstarken größeren Betriebe und Multiplexe die kurzfristig benötigten Investitionen stemmen. Ohne eine Unterstützung kleinerer Betriebe würden wir in den nächsten Jahren ein Kinosterben erleben, das äußerst negative Auswirkungen auf den Kulturbereich und den Filmstandort Deutschland hätte. ({1}) Mit dem nun in Kraft getretenen Förderkonzept ist diese Gefahr gebannt: Wir stärken die mittelständischen Kinounternehmer. ({2}) Wir freuen uns, dass es uns in den parlamentarischen Beratungen zum Haushalt 2011 gelungen ist, den Kulturetat insgesamt nicht nur vor Kürzungen zu bewahren, sondern sogar um 2,4 Prozent zu erhöhen. Allein dieses Jahr stehen für die Kinodigitalisierung 4 Millionen Euro zur Verfügung. Geplant ist, insgesamt 20 Millionen Euro über die nächsten fünf Jahre in die Kinodigitalisierung zu investieren. Das ist ein beachtlicher Erfolg. ({3}) Auch mit Blick auf die zu Recht sehr strengen Regeln des europäischen Wettbewerbsrechts bestehen gegen diese Beihilfen keine Bedenken. Die EU-Kommission hat in der Mitteilung, die dieser Debatte ihren Anlass gibt, grünes Licht gegeben. Sie sieht ebenfalls Handlungsbedarf, weil die Vielfalt der Filme und Kinos in Europa bewahrt werden soll. Die Beihilfen zur Kinodigitalisierung verschaffen nicht einzelnen Unternehmen Wettbewerbsvorteile, sondern erhalten die vielfältige und bunte europäische Kinolandschaft. Die EU-Kommission hat für die nächsten Jahre weitere Förderkonzepte angekündigt, was wir begrüßen, weil diese Konzepte der Bedeutung des Kinos als Vermittler europäischer Vielfalt gerecht werden. Ich freue mich allerdings sehr darüber, dass wir nicht auf Brüssel gewartet haben, sondern vorher selbst tätig geworden sind. Nachdem die Filmtheaterdigitalisierungsverordnung gestern verkündet wurde, kann die Filmförderungsanstalt heute die ersten Anträge beraten. Darüber freue ich mich sehr. Ab jetzt kann die Kinodigitalisierung in ganz Deutschland beginnen. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Bär hat für die Unionsfraktion das Wort.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Zitat zu Beginn einer Rede ist in der Regel nichts Ungewöhnliches, heute aber vielleicht schon, weil ich nicht eine verstorbene Person der Zeitgeschichte zitiere, sondern eine Person, die heute unter uns ist. Ich möchte meine Rede mit einem Zitat des Kollegen Börnsen beginnen. ({0}) Der Herr Kollege Börnsen hat bei vielen von uns mit seiner Plenarrede am 13. März 2008 für einen Ohrwurm gesorgt, als er an die Filmmusik eines Filmhits des Jahres 1950 erinnerte, der den schönen Titel Der Theodor im Fußballtor trug. Wolfgang Börnsen musste allerdings nach diesem Hinweis ernüchtert feststellen - jetzt kommt das Zitat unseres kulturpolitischen Sprechers -: Doch gehalten hat der Olli Kahn der Notzeit den entscheidenden Elfmeter nicht. Denn Der Theodor im Fußballtor kommt nicht mehr vor. In keinem Archiv ist dieser Kultspielfilm mehr aufzutreiben. Dieses Schicksal teilt Theo mit gut einem Drittel des deutschen Filmkulturerbes. Verloren, verlegt, vergessen - ein Stück Filmerbe ist unwiderruflich auf der Strecke geblieben. Ein Land, das seine Filme verliert, verliert auch Teile seiner Erinnerung und seiner Identität. ({1}) Wir stehen heute hier, weil wir eben nicht wollen, dass es uns eines Tages genauso geht und wir schockiert feststellen müssen, dass die kleinen Kinos in den Großstädten oder die oftmals einzigen Kinos in den kleineren Städten unseres Landes auf einmal gar nicht mehr existieren, dass das Kino, in dem wir vielleicht einmal den Kinohit 2005 oder den Kinohit 2009 gesehen haben, geschlossen werden musste, weil es den Sprung ins digitale Zeitalter schlichtweg nicht hat finanzieren können. Deswegen begrüßen wir ausdrücklich, dass endlich auch auf europäischer Ebene erkannt wurde, wie wichtig das Thema Digitalisierung der Kinos ist. ({2}) Die Europäische Kommission bettet das Thema ein in die „Digitale Agenda für Europa“, die eine der sieben Leitinitiativen der neuen Strategie „Europa 2020“ für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum ist. Der hier vorgegebene Rahmen zeigt, wie allumfassend die Digitalisierung unseres Lebens ist und dass wirklich kein einziger Lebensbereich ausgespart wird. Wir begrüßen als Koalitionsfraktionen natürlich noch viel mehr, dass unser Kulturstaatsminister, der BKM, die großen Herausforderungen, die durch die Digitalisierung unserer Kinos entstehen, bereits vor geraumer Zeit erkannt hat. Deshalb sind wir den Anforderungen, die die Kommission nun an die Mitgliedstaaten stellt, bereits weit voraus. Es ist mehrfach angesprochen worden, dass wir trotzdem darauf achten müssen, dass nicht die Ersten am Ende diejenigen sind, die in die Röhre schauen müssen. Vor besonders großen Herausforderungen bei der Digitalisierung stehen die vielen kleinen Kinos, die schon mehrfach erwähnt wurden. Für uns ist es ein sehr großes Anliegen, sie bei dem Sprung ins digitale Zeitalter zu unterstützen; denn es ist nicht nur entscheidend, wo wir einen Film sehen können, sondern auch, welche Filme gezeigt werden. Es kann nicht angehen, dass man, wenn man irgendwo in Deutschland ausgesetzt wird, nicht erkennen kann, wo man sich befindet, weil sich alles ähnelt. Das gilt auch für die Kinos. Wenn es diese leuchtenden Häfen, diese Fixpunkte, die auch einmal Filme zeigen, die man nicht überall sehen kann, nicht mehr gäbe, wäre das ein äußerst großer Kulturverlust. ({3}) In meinem eigenen Wahlkreis gibt es keinen Ort, der mehr als 50 000 Einwohner hat. Ich merke natürlich, dass gerade für die jungen Einwohner in so kleinen Orten die Schließung ihres Kinos, also die Verringerung des kulturellen Angebots, ein weiterer Grund sein kann, ihren Wohnsitz aufzugeben und in Städte auszuwandern. Wir brauchen beides: So wie wir auf der einen Seite Berlin brauchen, brauchen wir auf der anderen Seite die vielen Dörfer, Weiler und Ortschaften, und genauso wie wir die Berlinale brauchen, brauchen wir beispielsweise - ich hätte es auch gesagt, wenn Sie nicht anwesend wären, lieber Kollege Friedrich - die Hofer Filmtage. ({4}) - Die Internationalen Hofer Filmtage. - Denn es ist von großer Bedeutung, dass wir die Stars in unserer Hauptstadt haben, aber auch beispielsweise in Hof. Die Stadt Hof hat - das ist auf das große Bemühen der lokalen Politiker vor Ort, vor allem des Oberbürgermeisters des Wohnortes unseres Landesgruppenchefs zurückzuführen - einen roten Teppich ausgerollt, um deutlich zu machen, dass Hof ebenso wie Berlin eine Verbindung zum Film hat. Das zieht Filmliebhaber an, die sonst wohl nicht in Regionen, die eher in Grenzgebieten unseres Freistaats liegen, kommen würden. Ich danke dem BKM ausdrücklich dafür, dass mit dem Förderprogramm, das sehr ausgewogen und durchdacht ist, kulturelle, aber eben auch strukturelle Kriterien an die Förderung angelegt wurden. Besonders freut mich - das darf ich als bayerische Bundestagsabgeordnete sagen -, dass sich die zweitmeisten deutschen Programmkinos in Bayern befinden. Die Bayern zeigen ein besonders großes Engagement, wenn es um die Programmkinos geht. Wir haben beispielsweise im letzten Jahr in Würzburg ein Kino eröffnet, das eigentlich schon geschlossen war, und zwar auf Initiative derjenigen Bürger, denen das Kino so wichtig war, dass sie es selber betreiben wollten. ({5}) Ich möchte zum Beginn meiner Rede zurückkehren: Wolfgang Börnsen hat vor knapp drei Jahren eine Rede zum Antrag „Das deutsche Filmerbe sichern“ gehalten. Diesem Antrag haben damals alle Fraktionen - bis auf die Linke, aber das ist jetzt nicht relevant - zugestimmt. Mich wundert es daher, dass bei dem heutigen zukunftsweisenden Thema, bei dem es um die Digitalisierung unserer Kinos geht, die Unterstützung für die EU-Mitteilung ausbleibt. Sie werden verstehen, dass ich auf den überflüssigen Antrag der SPD jetzt nicht weiter eingehe, weil er schon überholt war, als er in den Bundestag eingebracht wurde.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Bär, das geht jetzt auch nicht mehr, weil Ihre Redezeit zu Ende ist. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut, dass es nicht mehr möglich ist, auf überflüssige Anträge einzugehen. Ein letzter Punkt. Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen mit Blick auf die Demonstration für unseren im Iran inhaftierten Kollegen aus dem Kulturbereich - Frau Roth hat es bereits angesprochen - wünschen, dass ihr Einsatz erfolgreich ist. Darüber hinaus wünsche ich allen für die nächsten zehn Tage viel Freude bei der Berlinale oder in einem Kino in dem jeweiligen Wahlkreis. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 17/4467 zu der Unterrichtung „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für das europäische Kino“. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung gemäß Art. 23 Abs. 2 Grundgesetz anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 24 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Für eine Kinodigitalisierung, die den Erhalt unserer Kinolandschaft sichert“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4718, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1156 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Hilde Mattheis, Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vorbereitung des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung in der 17. Wahlperiode - Armuts- und Reichtumsberichterstattung weiterentwickeln - Drucksache 17/4552 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: der Kollegen Lange, Tauber und Linnemann für die Unions- fraktion, der Kolleginnen Mattheis und Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion, des Kollegen Kolb für die FDP-Frak- tion, der Kollegin Kipping für die Fraktion Die Linke und des Kollegen Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/4552 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Nicole Gohlke, Jan van Aken, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes - Drucksache 17/4662 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- gin Gohlke für die Linksfraktion. 1) Anlage 6 Vizepräsidentin Petra Pau ({2})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, Sie leben von 812 Euro im Monat. Das haben Studierende monatlich im Durchschnitt zur Verfügung. ({0}) Jeder von Ihnen kann im Kopf überschlagen, ob diese Rechnung aufgeht: Von 812 Euro zahlen sie Miete, Strom, Essen, Kleidung, Telefon, Internet, Verkehrsmittel, Krankenversicherung und Lernmittel. Außerdem sollen sie davon auch noch bis zu 500 Euro Gebühren im Semester zahlen, ({1}) also noch einmal 84 Euro im Monat dafür, dass sie studieren dürfen. Diese Rechnung geht offensichtlich nicht auf. Deswegen sind Studiengebühren ein Verstoß gegen Grundrechte, gegen das Recht auf Bildung, gegen das Recht auf freie Berufswahl und gegen den Gleichheitsgrundsatz. ({2}) Studiengebühren dürfen deshalb keinen Tag länger erhoben werden! In diesem Jahr gibt es gleich mehrmals die Möglichkeit, damit Schluss zu machen; denn bei mehreren Landtagswahlen können die Wählerinnen und Wähler entscheiden, ob sie mit ihrem Votum auch Studiengebühren abschaffen. Das war schon bei den letzten Landtagswahlen so, und Sie wissen, wie sie ausgegangen sind: ({3}) Studiengebühren sind in Hessen, im Saarland und in NRW abgewählt worden, und das ist auch gut so. ({4}) Das Thema hat also große Bedeutung für Wahlen; das hat auch die CDU erkannt. Ich dachte ja, ich höre nicht richtig, als sich Julia Klöckner, die Spitzenkandidatin der CDU in Rheinland-Pfalz, ({5}) in einem Interview gegen die Einführung von Studiengebühren ausgesprochen hat. Sie begründete das damit - hören Sie gut zu, Kolleginnen und Kollegen von der Union! -: Kinder aus sozial schwächeren Familien sollten nicht vom Studium abgehalten werden. Diese psychologische Hürde gibt es nun einmal. ({6}) Damit hat sogar Frau Klöckner erkannt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Geldbeutel der Eltern und der Aufnahme eines Studiums gibt. Ich kenne junge Leute und Studierende, für die 500 Euro im Semester nicht nur eine psychologische, sondern eine handfeste finanzielle Hürde sind. Jeder fünfte Studienabbrecher, jede fünfte Studienabbrecherin gibt als entscheidenden Grund für das Verlassen der Hochschule Finanzierungsprobleme an - und die Tendenz ist steigend. ({7}) Dennoch behauptet diese schwarz-gelbe Regierung weiterhin, Gebühren würden niemanden vom Studieren abhalten. ({8}) Aber das Gegenteil ist der Fall: In praktisch keinem anderen europäischen Land hängt es so sehr von der sozialen Lage der Eltern ab, ob man studieren kann oder nicht. ({9}) Noch dazu studieren in der Bundesrepublik deutlich weniger Menschen als in anderen Industrieländern. Es ist völlig klar, dass jedwede Form von Gebühren das noch verschärft. ({10}) Deswegen fordert die Linke: Abschaffung von Studiengebühren von Stuttgart bis nach Hamburg und Ausbau des BAföG! ({11}) In Hamburg sprechen sich neben der Linken auch SPD und Grüne gegen Studiengebühren aus. Die Grünen sind also bereit, die von ihnen selbst 2008 in der Hamburger Bürgerschaft mit beschlossenen Studiengebühren - das kann ich Ihnen an der Stelle nicht ersparen - wieder abzuschaffen. Es ist aber schon ein wenig halbherzig, wenn es SPD und Grüne dann nicht schaffen, einem Antrag der Linksfraktion in Hamburg zur sofortigen Abschaffung der Studiengebühren vom letzten Dezember zuzustimmen. In Hamburg könnten Studiengebühren schon jetzt Vergangenheit sein. ({12}) Hier im Bundestag tut die Bundesregierung so, als habe sie mit all dem gar nichts zu tun, als sei das Thema völlig außerhalb ihrer Zuständigkeit. ({13}) Doch, Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, auch Sie können dazulernen: Das BAföG heißt ja Bundesausbildungsförderungsgesetz. Es steckt also schon im Namen: Es ist ein Bundesgesetz. Wir Linke beantragen, dass Studiengebühren künftig in die BAföG-Sätze mit einzurechnen sind, dass das BAföG um die Höhe der jeweiligen Studiengebühren erhöht wird. ({14}) Die Bundesregierung kann sich nicht hinter den Bundesländern verstecken. Es ist Aufgabe des Bundes, für die Durchsetzung von Grundrechten zu sorgen, und zwar bundesweit. Nehmen Sie diese Verantwortung endlich wahr, so lange, bis Studiengebühren flächendeckend abgeschafft sind. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Kaufmann hat für die Unionsfraktion das Wort. ({0})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Gohlke, Ihr Gesetzentwurf ist ein erstklassiges Beispiel für die Realitätsferne Ihrer Partei. ({0}) Sie wollen Studiengebühren in den Bedarf für Studierende beim BAföG einbeziehen und versuchen so, die Abschaffung von Studiengebühren voranzubringen. Gleichzeitig versuchen Sie derzeit in Nordrhein-Westfalen, die Abschaffung der Studiengebühren zu verhindern. ({1}) Ihre Oppositionskollegen von SPD und Grünen drohen Ihnen sogar mit Neuwahlen. ({2}) Im Land dafür, im Bund dagegen. Wie entscheiden Sie sich denn, liebe Kolleginnen und Kollegen? ({3}) Zu Ihrem Gesetzentwurf. In der Opposition steht bei Ihnen nicht Realpolitik, sondern Realitätsverweigerung im Vordergrund. So heißt es im zweiten Absatz der Problembeschreibung in Ihrem Gesetzentwurf - ich zitiere -: Viele Betroffene wollen diese Belastung nicht auf sich nehmen und sehen sich deshalb gezwungen, auf ein Studium zu verzichten. Tatsächlich aber ist das Studium bei jungen Leuten so beliebt wie nie zu vor. ({4}) Wahrscheinlich haben Sie es noch nicht mitbekommen, aber die Studienanfängerzahl in Deutschland ist im Jahr 2010 auf ein Rekordhoch gestiegen. ({5}) Mit 442 600 Studienanfängern oder 46 Prozent des Jahrgangs haben sich so viele junge Menschen für ein Studium entschieden wie noch nie zu vor. Nehmen Sie das bitte einfach einmal zur Kenntnis! ({6}) Noch ein bemerkenswerter Befund, Herr Kollege: Dort, wo Studiengebühren erhoben werden, sind die Studienanfängerzahlen sogar überproportional gestiegen. Insofern gibt es keinen negativen Zusammenhang zwischen Studiengebühren und Studienanfängerzahlen. ({7}) Im Gegenteil, Herr Kollege Röspel: In Baden-Württemberg und in Bayern sind die Studienanfängerzahlen seit der Einführung von Studiengebühren sogar erheblich gestiegen. Studiengebühren haben in Baden-Württemberg zu einer massiven Qualitätsverbesserung in Forschung und Lehre geführt. ({8}) Damit meine ich nicht nur längere Öffnungszeiten der Bibliotheken, sondern vor allem - das ist für Sie interessant - Tausende neu geschaffener Stellen im akademischen Bereich. ({9}) Diese Vorteile kommen auch allen BAföG-Empfängern zugute. ({10}) Ich kenne jedenfalls keine Studie, die nahelegt, dass BAföG-Bezieher ein Billigstudium wollten. Sie geben der Qualität Vorrang wie andere Studierende auch. Die Studierenden wissen: Dort, wo Gebühren erhoben werden, kommen ihnen diese unmittelbar zugute. Wie Sie die Abschaffung von Studiengebühren durch öffentliche Mittel kompensieren wollen, müssen Sie erst noch unter Beweis stellen. Ich kenne kein erfolgreiches Beispiel. ({11}) Stattdessen scheint Ihr populistischer, großspurig angekündigter Versuch in Nordrhein-Westfalen nun kläglich zu scheitern. ({12}) Außerdem haben wir für BAföG-Empfänger in den letzten Jahren bereits viel erreicht. Zusammen mit der SPD, liebe Kollegen Rossmann und Röspel, wurden im August 2008 mit dem Zweiundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des BAföG die Bedarfssätze um 10 Prozent und die Freibeträge um 8 Prozent angehoben. Eine weitere Anhebung der Bedarfssätze um 2 Prozent und der Freibeträge um 3 Prozent haben wir gerade erst hier mit dem 23. Änderungsgesetz beschlossen. Der maximale BAföG-Höchstsatz beträgt seitdem 670 Euro pro Monat. Im Übrigen profitieren BAföG-Empfänger schon jetzt von großzügigen Ausnahmeregelungen bei der Erhebung von Studiengebühren. So werden besondere soziale Umstände, etwa Kindererziehungszeiten oder studienerschwerende Behinderungen, berücksichtigt. Für Studierende aus kinderreichen Familien hat Baden-Württemberg zum Beispiel die sogenannte Geschwisterregelung eingeführt, die eine gänzliche Befreiung von Studiengebühren vorsieht. Nach neuesten Zahlen - auch das ist sehr interessant - sind an der Uni Tübingen, meiner Alma Mater, fast ein Drittel aller Studierenden aufgrund der Geschwisterregelung von Studiengebühren befreit. ({13}) Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit für leistungsstarke Studierende besteht durch Stipendien. Ich verweise nur auf das neue Deutschlandstipendium, das am 1. Februar gestartet ist und das gerade nicht auf das BAföG angerechnet wird. ({14}) Mit diesem Stipendium können leistungsstarke Studierende mit bis zu 300 Euro im Monat gefördert werden zusätzlich zum BAföG. ({15}) Kommentare zum Deutschlandstipendium von Vertretern der Linken, wie zum Beispiel „Steuerfahnder statt Fundraiser sind gefragt, wenn man die Wirtschaft heranziehen möchte“, zeigen nur, dass sie von einer Regierungsfähigkeit weiter denn je entfernt sind. ({16}) Wie von Ihnen praktizierte Realpolitik aussieht, lässt sich doch in Brandenburg beobachten. ({17}) Dort haben Sie den Hochschulen eingesparte Rücklagen in Höhe von 10 Millionen Euro wieder weggenommen. Die Hochschulen hatten diese mühsam aufgebaut, um langfristige Projekte zu finanzieren. Sie haben sie ihnen wieder weggenommen. Jetzt müssen die Hochschulen auf 10 Millionen Euro verzichten. Das ist rot-rote Realpolitik, meine Damen und Herren. ({18}) Darüber hinaus zeigt dies einmal mehr, dass Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, das Prinzip des Geldzurücklegens und des Sparens unbekannt ist. ({19}) Deshalb werden Sie auch in meiner schwäbischen Heimat niemals gewählt werden. Ein weiterer Grund liegt darin, dass Sie Ihren Versprechungen, die Sie regelmäßig abgeben, wenig Taten folgen lassen. Im rot-rot regierten Brandenburg werden im Landeshaushalt nur 23 Prozent der Mittel für Bildung ausgegeben. Fast alle anderen Bundesländer geben zum Teil deutlich mehr aus. An der Spitze steht - Sie ahnen es - Baden-Württemberg, meine von CDU und FDP regierte Heimat, mit fast 40 Prozent. ({20}) Die wahren Herausforderungen der Zukunft liegen darin, Profile zu schärfen und die Alleinstellungsmerkmale der Hochschulen zu verstärken. Wenn es den deutschen Hochschulen gelingt, das zu stärken, worin sie besonders gut sind, also Leuchttürme zu installieren, dann werden sie auch international in der ersten Liga mitspielen. Ich bin optimistisch, dass uns dies gelingen wird schon deshalb, weil Qualität eben unser einziger Trumpf ist. Blicken Sie einmal nach Indien. Dort soll die Zahl der Universitäten innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre von 350 auf 1 500 steigen. Das führe man sich einmal vor Augen! Es ist klar, dass wir da quantitativ nicht mithalten können. Deshalb sind Anträge wie die von der Linken, die den in Deutschland entfachten Wettbewerb um Exzellenz und Qualitätsverbesserungen an den Hochschulen zurückdrehen wollen, kontraproduktiv. ({21}) Ich empfehle Ihnen daher, Frau Kollegin Gohlke, sich die Bildungs- und Wissenschaftspolitik der CDU-regierten Länder zum Vorbild zu nehmen. In Nordrhein-Westfalen haben Sie jetzt Gelegenheit dazu. Stimmen Sie dort gemeinsam mit der CDU und der FDP gegen die Abschaffung der Studiengebühren. Vielen Dank. ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Rossmann hat für die SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun gibt es also doch eine richtige Debatte zum BAföG und hoffentlich keine Länder-Streitdebatte. Dem Kollegen Kaufmann möchte ich sagen: Brandenburg darf man, studienpolitisch gesehen, nicht ohne Berlin betrachten, weil es eine Region ist. Das, was in Brandenburg weniger für Hochschulen ausgegeben wird, wird in Berlin deutlich mehr ausgegeben; denn Berlin ist die Hochschulmetropole in Deutschland. Ich finde, wir sollten das nicht außer Acht lassen. Zu Baden-Württemberg und Bayern: Sie wissen, wie sich dort die Arbeitsplätze und die Strukturen entwickeln. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es diesbezüglich Auswirkungen auf entsprechende Studienangebote gibt. Wir möchten uns eher auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit der vorgeschlagenen Gesetzesinitiative konzentrieren, zumal sie schon das zweite Mal eingebracht wird. In der letzten Legislaturperiode hat sie keine Zustimmung bei den anderen Fraktionen gefunden. Ich möchte bekräftigen - da sehen wir Fortschritte -, dass es einen Konsens geben kann, wenn wir alle das BAföG stärken wollen. Ich will jetzt nicht näher erläutern, was wir beim BAföG gerne noch zusätzlich gehabt hätten, nachdem wir in der Großen Koalition das, was Rot-Grün angefangen hat, deutlich erweitert haben. Ich möchte für die SPD noch einmal sagen, dass wir grundsätzlich gegen Studiengebühren sind, weil sie, was die soziale Verteilungsfrage sowie die Aufwands- und Effizienzfrage angeht, nicht begründet werden können. Ich erinnere nur an diejenigen Bundesländer, in denen keine Studiengebühren erhoben werden. Herr Kollege Kretschmer hat sich vorhin so echauffiert. Als Sachse könnte er aus gutem Grund doch sagen: Als Sachse bin ich stolz darauf, dass es in meinem Bundesland keine Studiengebühren gibt. ({0}) Die CDU in Sachsen kann aus verteilungspolitischen, sozialpolitischen, regionalpolitischen und hochschulpolitischen Gründen stolz darauf sein, dass es dort keine Studiengebühren gibt. ({1}) Es freut mich, dass es auch in Hessen entsprechende Einsichten gibt. Herr Kretschmer, Sie sollten es positiv bewerten, dass es auch bei Ihnen eine Entwicklung dahin gehend gibt, keine Studiengebühren mehr erheben zu wollen. Das ist auch gut so. Deshalb sollte man sich mit dem, was die Linke hier vorgeschlagen hat, genauer auseinandersetzen. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz ist ein Bundesgesetz. Das Verfassungsgericht hat leider entschieden, dass es in Bezug auf Studiengebühren eine Länderzuständigkeit gibt. Daher muss eine Abschaffung in den Ländern politisch durchgefochten werden. Auch in den letzten konservativen Domänen, wo es - ideologisch begründet - noch Studiengebühren gibt, müssen sich die Menschen dafür einsetzen, dass es diese Studiengebühren in Zukunft nicht mehr gibt. ({2}) Das ist der politische Weg. Diesen politischen Weg kann man weitergehen, und man wird ihn weitergehen: von Hamburg bis Baden-Württemberg. Sie sollten sich nicht zu sicher sein, dass es nicht auch in BadenWürttemberg zu einer Abschaffung der Studiengebühren kommt. Um es verfassungsmäßig noch weiter zu unterlegen: Sie alle wissen doch, dass wir im Zuge der Föderalismusreform eine Diskussion über Erforderlichkeit und konkurrierende Gesetzgebung - ich verweise auf Art. 72 des Grundgesetzes - hatten. Wir können froh darüber sein, dass die entsprechenden Verfassungskommissionen in Bezug auf das BAföG gesagt haben, dieses solle weiterhin bundeseinheitlich geregelt werden. Demnach sollen Studiengebühren sozial ausgewogen sein. Wenn wir sozusagen diesen Deckel wegnehmen, dann könnte es ein Anreiz dafür sein, Studiengebühren nicht mehr in einem gewissen Umfang zu begrenzen. Das sollten wir tatsächlich nicht wollen. ({3}) Deshalb sind wir der Auffassung: Es muss länderbezogen dafür gesorgt werden, dass es grundsätzlich keine Studiengebühren mehr gibt. Jetzt zu Ihrem Gesetzentwurf: Erstens. Wir müssen feststellen, dass er nicht so sorgfältig ausgearbeitet wurde, wie man es sich eigentlich wünscht, wenn politische Veränderungen damit verbunden sind. Positiv ist aber - das haben Sie im Vergleich zu vergangenen Entwürfen korrigiert -, dass Sie formulieren, dass der Bedarf sich um ein Zwölftel der im Jahreszeitraum zu entrichtenden Studiengebühren erhöht. Zweitens. Eine Frage ergibt sich mit Blick auf die Ungleichbehandlung. Sie haben es jetzt so formuliert, dass diejenigen, die 20 Euro über den Bedarfssätzen liegen, kein BAföG bekommen, und dass diejenigen, die darunter liegen, die Studiengebühren komplett ersetzt bekämen. Dadurch käme es aber zu einer Fehlsteuerung. Wenn Sie solche Gesetze machen, erwarten wir eigentlich, dass Sie die Details bedenken und diese einarbeiten. Drittens. Speziell in Hamburg und Berlin, aber auch anderswo gibt es private Hochschulen mit sehr hohen Studiengebühren. Auch an diesen Hochschulen gibt es BAföG-Empfänger. Wollen Sie eigentlich, dass den BAföG-Empfängern an diesen Hochschulen die Studiengebühren ersetzt werden? Die Länder, die gar nichts dafür können, dass es dort diese hohen Studiengebühren gibt, müssten dann dafür aufkommen. Wir stellen fest: Wenn Sie von der Linken mit heißem Herzen eine Debatte über dieses Thema führen wollen, dann sollten Sie Ihre Vorschläge so gut durchkneten, dass auch die von mir aufgeworfenen Fragen geklärt werden. ({4}) Leider sind diese Fragen nicht geklärt. Daher hat Ihr Gesetzentwurf keine Berechtigung. Er geht politisch in die falsche Richtung und ist sachlich nicht genügend ausgearbeitet. Zudem nehmen Sie damit das Tempo heraus, wenn es darum geht, unsere Forderung umzusetzen - andere haben es schon angesprochen -: Damit wir in Deutschland ein Hochschulwesen erhalten, das sozial offen ist, müssen wir uns - wie in Hessen, in NordrheinWestfalen, im Saarland, demnächst in Hamburg und bald in Baden-Württemberg - von den Studiengebühren verabschieden. ({5}) Dort, wo Studiengebühren eingeführt worden sind, muss man sich mit gutem Gewissen, aber auch mit hochschulpolitischem Realismus schrittweise davon verabschieden; denn die Hochschulen hätten nichts davon, wenn auf einmal eine große Lücke in den Hochschuletats entstünde. Insofern wurde in Nordrhein-Westfalen ein realistischer Weg gewählt. Wir wollen die Linken dazu einladen, diesen Weg zu unterstützen. Auch in Hamburg wird es einen realistischen Weg geben. Wenn am Ende zu erkennen ist, dass es in Deutschland nur noch eine Minderheit von Ländern gibt, die Studiengebühren erheben, dann haben wir politisch einen guten Kampf gefochten. Danke. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Meinhardt für die FDPFraktion. ({0})

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der Linken ist an Bildungspopulismus nicht mehr zu überbieten. Hier geht es nicht um Studierende und nicht um die Hochschulen, sondern einzig und allein um eine Neiddebatte, die Sie hier losbrechen wollen. ({0}) Studienbeiträge sind wesentlicher Bestandteil eines soliden Finanzierungskonzeptes für unsere deutschen Hochschulen. Schauen wir uns bitte einmal die Zahlen an: Allein 1,2 Milliarden Euro - ich wiederhole: 1,2 Milliarden Euro - sind bislang durch die Eigenbeteiligung der Studierenden zusätzlich in die Hochschulkassen geflossen. Wer diesen Hahn zudrehen will, muss zunächst einmal glaubwürdige finanzielle Alternativen auf den Tisch legen. ({1}) Wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland nicht weniger Studiengebühren, sondern mehr Hochschulfreiheit. Hochschulen müssen selbst über die Studiengebühren, ihre Ausgestaltung und Höhe, entscheiden können. Wenn Studierende an der Entscheidung darüber beteiligt sind, was mit ihren Beiträgen passiert, wird das Ganze zu einem Erfolgsmodell. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir können uns keine Nullachtfünfzehn-Hochschulpolitik wie die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen leisten. Dort sollen die Studiengebühren mit einem Federstrich abgeschafft werden. Sofort, vom ersten Moment an, würden 250 Millionen Euro im Hochschulsystem fehlen. Die unglaublich unsolidarische Konsequenz daraus wäre, dass die Geberländer im Länderfinanzausgleich dieses auch noch mitzufinanzieren hätten. Bildung auf Pump zulasten anderer Bundesländer einzuführen, ist doch wohl der Gipfel der Unverschämtheit. ({3}) Darüber hinaus sollten wir mit einem bildungspolitischen Ammenmärchen aufräumen. Alle seriösen Studien belegen, dass es keinen Zusammenhang zwischen Studiengebühren und der Entscheidungsneigung möglicher Studierender aus bildungsfernen Schichten gibt. Dies ist das Ergebnis aller seriösen Studien, auch des Deutschen Studentenwerkes. ({4}) Vielmehr gilt die Wahrheit: Nach Abschaffung der Studiengebühren wird sofort die Zahl der Tutorenstellen und der Stellen für wissenschaftliche Hilfskräfte an den Universitäten heruntergefahren. Wer will, dass die Zahl der Stellen für wissenschaftliche Hilfskräfte und für Tutoren an den Hochschulen reduziert wird, der soll dies auch öffentlich und präzise in solch einem Gesetzentwurf benennen. ({5}) Warum sind denn gerade diejenigen Länder als Studienstandorte besonders attraktiv, die Studiengebühren erheben? Weil dort mehr in Hochschulen investiert wird als in anderen Ländern. Allein in Bayern wurden die Ausgaben im Zeitraum 2006 bis 2008 um 778 Millionen Euro gesteigert. In Nordrhein-Westfalen wurden die Ausgaben im gleichen Zeitraum sogar um 881 Millionen Euro gesteigert. In Berlin, in Brandenburg und in Bremen herrscht bildungspolitisch tote Hose. ({6}) Wer über Fairness in der Bildungsfinanzierung spricht, der muss auch die akademische und die berufliche Bildung in eine Balance bringen. Ich habe hier noch nicht die Forderung gehört, an die privat finanzierten Kosten für eine Meisterausbildung heranzugehen. Bei einer dreijährigen Meisterausbildung müssen wir von einer Eigenbeteiligung in Höhe von 4 000 bis 8 000 Euro ausgehen. Angesichts dessen ist es absolut unfair, in einer Debatte über Studiengebühren nur über den Bereich der akademischen Bildung zu sprechen und, wie üblich, die berufliche Bildung außen vor zu lassen. In diesem Hohen Haus sollte endlich einmal die richtige Frage an der richtigen Stelle gestellt werden. Es geht darum, über berufliche und akademische Bildung gleichgewichtig zu diskutieren. ({7}) - Bringen Sie doch einmal einen entsprechenden Antrag ein. Wir werden Ihnen dann sagen, was wir davon halten. Diese Bundesregierung hat mit ihrem BAföG-Modernisierungspaket einen wichtigen bildungspolitischen Meilenstein gesetzt. Das führt dazu, dass allein in diesem Jahr 500 Millionen Euro mehr für Investitionen zur Förderung von Studierenden eingesetzt werden. 500 Millionen Euro mehr, das ist das Ergebnis des BAföG-Modernisierungskonzeptes dieser Bundesregierung. Das muss man auch einmal mit Stolz in diesem Hohen Haus sagen dürfen. ({8}) Darüber hinaus haben wir mit dem Nationalen Stipendienprogramm endlich eine Talentförderstrategie für dieses Land entwickelt. Schon in diesem Jahr wird sich die Anzahl der staatlich geförderten Stipendiaten von 20 000 auf 30 000 erhöhen. Ein solcher Aufwuchs um 50 Prozent ist ein deutliches Zeichen des Handelns dieser Bundesregierung. Studiengebühren, über die vor Ort entschieden wird, ein deutlicher Aufwuchs im Bereich der Stipendienkultur und unser BAföG-Modernisierungspaket sind zusammen ein Zeichen dafür, dass die Attraktivität des Studienplatzes Deutschland mächtig gesteigert wird. Der Antrag der Linken ist fachlich falsch, hochschulpolitisch veraltet und finanzpolitisch ein Desaster. Vielen herzlichen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen: Der Kampf gegen soziale Selektivität in unserem Hochschulsystem und für mehr Bildungsaufstieg ist eine echte Herkulesaufgabe. ({0}) Wir teilen die Zielrichtung der Linksfraktion, dass ein Studium nicht am Geldbeutel der Eltern scheitern darf und es für alle finanzierbar sein muss. Ihr Gesetzentwurf, über den wir heute diskutieren, trägt aber leider nicht dazu bei, dass wir dieses Ziel erreichen. Er klingt sozial, würde aber nichts anderes als neue Ungerechtigkeiten produzieren. Ihr Gesetzentwurf suggeriert nämlich, dass Studiengebühren sozialverträglich gestaltet werden können. Wir bezweifeln das. Wir wollen Studiengebühren nicht für Einzelne abmildern, sondern wir wollen sie für alle abschaffen. ({1}) Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Sie wollen einseitig einkommensschwache BAföGEmpfänger entlasten - so weit, so nett -, alle anderen lassen Sie aber im Regen stehen und weiter Studiengebühren blechen in den Ländern. Das ist ein absurdes Gerechtigkeitsverständnis, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken. ({2}) Mit Ihrem Gesetzentwurf spalten sie die Studierendenschaft in Zahler und in Nichtzahler. Die einen bekommen eine Rückerstattung der Gebühr aus dem Landeshaushalt, und die anderen gehen leer aus. Was wären die Konsequenzen Ihres Gesetzentwurfs in der Praxis? Erstens würden Studiengebühren zementiert. ({3}) Zweitens würde der studentische Widerstand gegen Studiengebühren geschwächt, weil die Akzeptanz der Studiengebühren damit gestärkt würde. ({4}) Das ist völlig absurd. Damit leisten Sie den Zielen der Bildungsstreikbewegung nachträglich einen Bärendienst. ({5}) Anstatt die Akzeptanz der Campusmaut durch solche Gesetzentwürfe zu erhöhen, sollte die Linkspartei den Kampf gegen Studiengebühren parlamentarisch und realpolitisch wirklich unterstützen und dabei bleiben, dass Bildung keine Ware ist. Das ist das Gebot der Stunde. ({6}) Unsere grünen Befürchtungen hinsichtlich der Wirkung von Studiengebühren sind leider eingetreten. ({7}) - Dazu komme ich gleich; kein Thema. - Deren Einführung durch schwarz-gelbe Landesregierungen hat bundesweit Zehntausende Hochschulzugangsberechtigte vom Studium abgeschreckt. Verschiedenste Studien zeigen - Hochschul-Informations-System, Nationaler Bildungsbericht und viele andere -, dass sich viele Abiturienten gerade aus finanziellen Gründen gegen ein Studium entscheiden. Besonders abschreckend wirkt das Bezahlstudium auf Frauen und Jugendliche aus Nichtakademikerfamilien, also gerade auf diejenigen, deren Talente wir verstärkt heben müssen. Aus diesen Gründen müssen die Studiengebühren weg und das BAföG dringend weiter ausgebaut werden. Wir haben gesagt, dass es sogar zu einem Zwei-SäulenModell ausgebaut werden muss. Das wäre viel besser als ein Deutschland-Stipendium, das Sie hier wieder einmal gerühmt haben, das aber jetzt schon als Ladenhüter und Rohrkrepierer daherkommt und keine soziale Gerechtigkeit herstellt. ({8}) Die zweite Befürchtung hat sich leider auch bewahrheitet. Dass Studiengebühren zusätzliches Geld an die Hochschulen bringen, das ist ein großes Märchen. Schauen Sie sich doch einmal verschiedene Berichte an. Viele schwarz-gelbe Landesregierungen haben nach der Gebühreneinführung die Grundfinanzierung der Hochschulen abgesenkt. Der Bildungsfinanzbericht 2010 zeigt, dass 2007 rund 717 Millionen Euro aus Studiengebühren an die Hochschulen geflossen sind. Zugleich nahmen die Gebührenländer ihren Hochschulen aber eine halbe Milliarde Euro weg, indem sie die Grundfinanzierung abgesenkt haben. Negativvorreiter hierbei waren Baden-Württemberg und die abgewählte Rüttgers-Regierung in Nordrhein-Westfalen. ({9}) Deshalb ist es so wichtig, festzuhalten, dass unter dem Strich die Privatisierung von Bildungsausgaben bleibt, und das halten wir für den falschen Weg. Genauso halten wir den Weg der Linken, Studiengebühren einfach abzuschaffen, sich dann aber keine Gedanken über die Gegenfinanzierung zu machen, für falsch. Diese Gebührenausfälle der Hochschulen müssen entsprechend kompensiert werden. ({10}) Unsere Grünen in den Ländern haben dafür gesorgt, dass ein bundesweites Ende der Campusmaut näherrückt. Wir kämpfen für Gebührenfreiheit, egal in welcher Koalition: in Hessen mit SPD und Linkspartei. In Nordrhein-Westfalen steht die rot-grüne Entscheidung kurz bevor. Im Saarland kämpfen wir übrigens gemeinsam mit Union und FDP dafür, weil auch sie gemerkt und eingesehen haben, dass die Abschreckungswirkung von Studiengebühren nicht ignoriert werden kann. In Hamburg wollen wir den durch uns bereits erheblich geminderten Gebührendruck mit einem Wechsel zu RotGrün vollends aufheben. Das wäre ein Erfolg, weil dann weitere Gebührenländer fallen. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, darum ersparen Sie uns bitte solche Schaufensterinitiativen, die realpolitisch nichts bringen! Stellen Sie sich Ihrer Verantwortung in den jeweiligen Bundesländern und schaffen Sie die Studiengebühren wieder ab!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Gehring, achten Sie bitte auf das Signal.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. In Nordrhein-Westfalen, wo jeder vierte Student Deutschlands studiert, können Sie in diesen Tagen den rot-grünen Ausstieg aus den Studiengebühren ermöglichen. Appellieren Sie doch an Ihre Kolleginnen und Kollegen aus Nordrhein-Westfalen, diese historische Chance nicht zu verspielen, sondern mit Rot-Grün die Gebühren abzuschaffen. Darum muss es jetzt gehen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/4662 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 23. Februar 2011, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und erfolgreiche Tage.