Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/3/2009

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich unserem Alterspräsidenten Heinz Riesenhuber zu seinem 74. Geburtstag gratulieren, den er am Dienstag dieser Woche begangen hat, und dazu alle guten Wünsche des ganzen Hauses übermitteln. ({0}) Gemäß § 93 b Abs. 8 unserer Geschäftsordnung sind auf Vorschlag der Fraktionen deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments zu berufen, die an den Sitzungen des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union teilnehmen können. Anzahl und Verteilung dieser Sitze sind in unserer Geschäftsordnung nicht festgelegt und müssen folglich nach Wahlen zum Europaparlament oder zum Deutschen Bundestag neu festgelegt werden. Die Fraktionen haben sich auf insgesamt 16 mitwirkungsberechtigte Mitglieder des Europäischen Parlaments verständigt. Davon entfallen auf die CDU/ CSU sieben, auf die SPD vier, auf die FDP und auf Bündnis 90/Die Grünen jeweils zwei sowie auf Die Linke ein Mitglied. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann können wir so verfahren. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Durchwinken des SWIFT-Abkommens durch die Bundesregierung und Umgehung des Europäischen Parlaments ({1}) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas Jung ({2}), Marie-Luise Dött, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Michael Kauch, Harald Leibrecht, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für ein wirksames und faires globales Klimaschutzabkommen in Kopenhagen - Drucksache 17/100 ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Bildungsproteste nicht aussitzen - Hochschulgipfel vorziehen ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen Schulz, Katja Mast, Olaf Scholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Durch Vorrang für Anerkennung Integration stärken - Anerkennungsgesetz für ausländische Abschlüsse vorlegen - Drucksache 17/108 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 4 a, 5 b und 17 werden abgesetzt. Darf ich zu diesen Veränderungen Einvernehmen feststellen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 sowie die Tagesordnungspunkte 4 b bis 4 d auf: ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas Jung ({4}), Marie-Luise Dött, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Michael Kauch, Harald Leibrecht, Horst Meierhofer, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Für ein wirksames und faires globales Klima- schutzabkommen in Kopenhagen - Drucksache 17/100 - 4 b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Die Klimakonferenz in Kopenhagen zum Er- folg führen - Deutschlands und Europas Vor- reiterrolle nutzen und stärken - Drucksache 17/105 - c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Barbara Höll, Dorothee Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kehrtwende beim globalen Klimaschutz auf UN-Gipfel in Kopenhagen - Drucksache 17/115 - d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Ott, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kopenhagen mit verbindlichen und ambitionierten Klimaschutzzielen zum Auftakt einer globalen ökologischen Modernisierung machen - Drucksache 17/120 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache neunzig Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister für Umwelt, Dr. Norbert Röttgen. ({5})

Dr. Norbert Röttgen (Minister:in)

Politiker ID: 11002765

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute sind es nur noch wenige Tage bis zur Weltklimakonferenz in Kopenhagen, auf der die Weichen für die nächsten Jahrzehnte gestellt werden. Es geht bei den Beratungen auf der Konferenz um unsere Art, zu leben. Es geht um Überleben. Es geht um unsere Art, zu wirtschaften. Es geht um Technologie und Wohlstandssicherung. Es geht auch um Sicherheit. Weil es um all diese Güter, um all diese Lebensziele geht, bin ich davon überzeugt - ich möchte dieses auch hier wiederholen -, dass es zum Erfolg dieser Konferenz aus der Sache heraus keine Alternative gibt. Wir alle sind verpflichtet, dieser Konferenz zum Erfolg zu verhelfen. ({0}) Für Meldungen oder Meinungsbekundungen, in denen von einem Scheitern der Konferenz die Rede ist und in denen die Überlegung „Es muss ja nicht klappen; wir können es auch vertagen oder später fortsetzen“ geäußert wird, hatte und habe ich kein Verständnis. Ich freue mich darüber, dass inzwischen die Verhandlungen eine gewisse Dynamik entwickelt haben und der Erfolgswille aller Verhandlungspartner sichtbar ist. Diese Entwicklung kann man im Zeitraum zwischen der Debatte zur Regierungserklärung, die wir hier geführt haben, und der Diskussion, die wir heute, wenige Tage vor Konferenzbeginn, führen, feststellen. Wir Deutsche, wir Europäer ließen uns von Diskussionen über das Scheitern der Konferenz sowieso nicht anstecken, sondern Deutschland und Europa sind im Hinblick auf diese internationale Entwicklung und Politikgestaltung Vorreiter. Da wir gestern auch im Europaausschuss eine Debatte dazu geführt haben, was mich sehr gefreut hat, möchte ich diese Gelegenheit zu folgender Randbemerkung nutzen: Im Bereich des Klimaschutzes zeigen wir Europäer, was wir leisten können, wenn wir eine gemeinsame Gestaltungsidee haben und nach außen geschlossen dafür eintreten. Europa kann sehr viel. Es ist sehr schön, dass Europa auch zeigt, was es kann, gerade beim Klimaschutz. ({1}) Inzwischen haben alle Weltregionen und großen Länder ihre Zahlen auf den Tisch gelegt. Brasilien, Korea, Japan und Südafrika haben durchaus ambitionierte Klimaziele formuliert. Daran wird deutlich, dass Europa nicht mehr die einzige Region der Welt ist, die ambitioniert ist und etwas erreichen will, sondern dass die Treiber dieser Entwicklung aus allen Weltregionen kommen und dass sich diese Entwicklung zunehmend zu einem globalen Prozess und Trend verdichtet. Auch China und die USA haben ihre Zahlen auf den Tisch gelegt. Die USA haben angekündigt, ihren CO2Ausstoß im Vergleich zum Jahr 2005 um 17 Prozent zu reduzieren. Das internationale Referenzjahr ist 1990. Wenn man die Ankündigung der USA, eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in Höhe von 17 Prozent im Vergleich zu 2005 vorzunehmen, mit der entsprechenden Zahl im Referenzjahr 1990 ins Verhältnis setzt, dann schmelzen die genannten 17 Prozent auf 4 Prozent zusammen. Das ist ein wichtiger Bestandteil unserer Bewertung. Man muss allerdings auch die andere Seite der Medaille betrachten: Erstens muss man, so glaube ich, akzeptieren, dass die amerikanische Regierung nicht acht Jahre einer Administration, in der der Klimaschutz keine Rolle gespielt hat, rückgängig machen kann. Die USA starten später. Wir sind schon länger dabei; nebenbei bemerkt: auch zu unserem Vorteil. Zweitens muss man zur Kenntnis nehmen, dass die USA in den letzten Jahren unser Tempo der Reduzierung des CO2-Ausstoßes schon erreicht haben und sich vorgenommen haben, in den Jahren nach 2020 sogar schneller zu werden als wir, um am Ende auch die gleichen Ziele wie wir zu erreichen. Damit will ich nicht beschönigen, dass in den USA nach der bisherigen Ankündigung immer noch weniger geleistet wird, als bis zum Jahre 2020 notwendig wäre. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass auch in den USA eine Trendumkehr stattgefunden hat. Es wird dort nicht mehr über eine Ausweitung oder Beibehaltung des StaBundesminister Dr. Norbert Röttgen tus quo, sondern es wird erstmalig über eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes gesprochen. Dass es dazu kommen wird, dass die USA, wenn sie ein paar Jahre Zeit gewonnen haben, massiv Energietechnologie und sonstige Technologie für den Klimaschutz einsetzen werden, darüber sollten wir uns im Klaren sein. Diesen Trend sollten wir zur Kenntnis nehmen, sowohl als Herausforderung für uns als auch als Zeichen der Entschlossenheit der USA. Ähnliches gilt für China, das Klimaziele vorgelegt hat, bei denen sie ganz sicher noch etwas drauflegen können, auch drauflegen müssen. Die chinesische Innenpolitik sieht allerdings Klimaschutz, CO2-Reduzierung, ja sogar eine gewisse Entkopplung von Wachstum - zu diesem Ziel bekennt sich China weiterhin nachdrücklich und Energie- und Ressourcenverbrauch ausdrücklich vor. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass dies ein Teil der wirtschaftspolitischen Strategie im nächsten Fünfjahresplan der Chinesen sein wird, dass sie also klarmachen werden, wohin die Reise in China geht, und dass sie dies mit den Mitteln einer autoritären Regierungsform per Kommando durchsetzen werden. Ich betone das, um zu zeigen, wie der globale Entwicklungstrend läuft, dass er noch nicht am Ziel ist, dass es Dynamik gibt, aber auch, dass der Prozess kein Selbstläufer ist. Ich schildere diesen Prozess, um eine kritische Frage, die in diesem Zusammenhang immer wieder eine Rolle spielt und die ich in meinen ersten Wochen als Umweltminister immer wieder gehört habe, hier ausdrücklich zu benennen. Sie lautet: Können wir es uns als Industrieland Deutschland leisten, konsequenten ambitionierten Klimaschutz zu betreiben? Mit dieser Frage bin ich immer wieder konfrontiert worden, und darum möchte ich sie hier beantworten, und zwar, indem ich sage, dass ich schon die Fragestellung für falsch halte. Ich möchte an die Stelle dieser Frage die aus meiner Sicht richtige Frage stellen. Sie lautet: Könnten wir es uns überhaupt leisten, auf konsequenten ambitionierten Klimaschutz zu verzichten? Die Antwort auf diese Frage ist: Nein, wir können es uns nicht leisten, auf Klimaschutz zu verzichten. ({2}) Dafür gibt es mehrere Begründungen. Ich möchte mich auf einen Begründungspfeiler, von dem ich glaube, dass wir ihn auch in der Vermittlung und Kommunikation neben anderen Begründungspfeilern noch ausbauen müssen, stützen. Der Begründungspfeiler für meine These, dass wir es uns nicht leisten können, auf Klimaschutz zu verzichten, besteht darin, dass es sich beim Klimaschutz um ein ökonomisches und technologisches Wettrennen handelt. Warum ist der Klimaschutz ökonomisch wie technologisch ein Wettrennen, ein Wettbewerb? Das ist deshalb so, weil bis 2050 - das ist der Zeithorizont, über den wir reden - auf der Welt über 2 Milliarden Menschen mehr leben werden. All diese Menschen erstreben und ersehnen, so zu leben, wie Nordamerikaner und Westeuropäer heute leben. Mit diesem Bevölkerungswachstum und der Entwicklungsrichtung, die diese Menschen für sich persönlich haben, ist zwingend ein enormer Anstieg der Nachfrage nach Energie und knappen Ressourcen verbunden. Mit einer solchen enormen Nachfragesteigerung nach den endlichen, knappen Gütern Energie und Ressourcen würde zwingend verbunden sein, dass die Preise ebenso wie unsere Abhängigkeit bei der Ressourcenbeschaffung immer weiter steigen würden. Auf den Zusammenhang von immer weiter steigender Nachfrage nach Energie und Ressourcen und der Knappheit und Endlichkeit von Energie und Ressourcen gibt es zwei falsche Antworten und eine richtige. Die einen sagen: Augen zu! Wir können es uns nicht leisten, diesen Langfristhorizont zugrunde zu legen. Ich halte das für verantwortungslos. Die anderen sagen: Wenn das die Entwicklung ist, dann müssen wir uns zurückentwickeln, dann müssen wir Verzicht üben, dann müssen wir sozusagen vorindustriell leben, wenn wir vorindustrielle Temperaturen wieder erreichen wollen. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass beide Antworten falsch sind. Ich glaube, der Schlüssel zur richtigen Antwort liegt in der Technologie. Energietechnologie ist das, was wir brauchen. Der Schlüssel zur richtigen Antwort lautet: Ökonomische Modernisierung und technologische Innovation sind der Weg, wie wir Wohlstand erreichen, wie wir Wachstum erreichen und gleichzeitig ressourcenschonend wirtschaften und leben. Das ist der Zusammenhang, den wir wollen. ({3}) Damit ist ausdrücklich verbunden, zu sagen: Wir wollen Wachstum. Beim Klimaschutz geht es um die Sicherung des Wohlstands. Wir wollen Industrieland bleiben, wir wollen nicht deindustrialisieren. Das sind unsere Ziele. Weil das unsere Ziele sind, müssen wir die Wege beschreiben, wie wir unsere Vorstellung von Wachstum unter den Bedingungen des Klimaschutzes erreichen wollen und können. Ich glaube, dass die Vorstellung von Wachstum, die wir im 21. Jahrhundert haben müssen, nicht mehr die Vorstellung von Wachstum der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts sein kann. Es geht nicht um das Wachstum von Zahlen, um quantitatives Wachstum, sondern die Aufgabe liegt darin, dass wir das von uns gewollte Wachstum von steigendem Energie- und Ressourcenverbrauch entkoppeln, sodass wir auf der einen Seite zählbares Wachstum und auf der anderen Seite einen sinkenden Energie- und Ressourcenverbrauch haben. Die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energie- und Ressourcenverbrauch ist die Bedingung dafür, dass wir in einer Zeit von 9 Milliarden Menschen, die auf uns zukommt, unser eigenes Wachstum überhaupt erleben, ja, sogar überleben. Also Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch! ({4}) Der Weg, ein solches Wachstum zu erreichen, ist der Einsatz von Energietechnologie. Durch die ökonomische Modernisierung, die mit Klimaschutz einhergeht und die wir mit Klimaschutz offensiv angehen, und durch den Einsatz von Technologien erzeugen wir neue Märkte. Diejenigen, die dies anbieten, werden die Exportweltmeister der Zukunft sein. Diejenigen, die darin investieren, werden die Technologieführer der Zukunft sein. Dort entstehen Märkte - schon heute. Dort entsteht Beschäftigung - schon heute. Dort gibt es Wachstumsraten wie in kaum einem anderen Bereich - schon heute. Und all dies erst recht in der Zukunft! Weil das so ist, ist das Projekt Klimaschutz kein gegen die Wirtschaft gerichtetes Projekt, sondern es ist mit einem Strukturwandel und einem wirtschaftlichen Modernisierungsprozess verbunden, im Zuge dessen darüber entschieden wird, ob wir unser Leben auch in Zukunft noch mit Lebensqualität und in Wohlstand bestreiten können. Es ist kein Gegensatz, sondern die ökologische und die ökonomische Herausforderung fallen zusammen. Die Klimakonferenz in Kopenhagen ist in diesem Sinne zugleich auch die wichtigste Wirtschaftskonferenz unserer Zeit, weil es genau darum geht. ({5}) Es geht um Rettung, es geht um Abwehr katastrophaler Folgen, wie wir sie in der Kapital- und Finanzmarktkrise erlebt haben. Meine Damen und Herren, ich möchte für mich hier bekunden, dass ich im Bewusstsein nach Kopenhagen reise, dass es um diese Rettung geht, und dass uns allen klar ist, dass wir viel zu verlieren haben. Ich bin aber noch mehr überzeugt davon, dass wir, wenn wir diesen Prozess erfolgreich offensiv angehen, viel zu gewinnen haben, nämlich eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder. Darum geht es. Ich glaube, das verbindet uns, und darum sollten wir uns alle wechselseitig Erfolg in Kopenhagen wünschen. Herzlichen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Welt schaut in der Tat in diesen Tagen nach Kopenhagen - zu Recht. Dort geht es nämlich nicht nur um Konferenzen und Kommuniqués, sondern dort geht es auch um Überlebensfragen der Menschheit. Insofern haben Sie recht, Herr Röttgen. Gerade deshalb wird in Kopenhagen auch sehr darauf geschaut werden, was wir in Deutschland tun. Wir sind nämlich in Kopenhagen nicht irgendwer. Auch unsere klimapolitische Glaubwürdigkeit steht dort auf dem Spiel. Diese Glaubwürdigkeit dürfen wir in Kopenhagen nicht verspielen. ({0}) Viele freuen sich - Sie haben das gesagt, Herr Röttgen -, manche ärgert das auch, aber wir, Deutschland, sind in der Tat Vorreiter beim Klimaschutz. Das ist das Ergebnis - das will ich auch offen sagen - einer Klima- und Umweltpolitik, für die viele in diesem Hohen Haus jahrelang gestritten haben, ({1}) die aber von der jetzigen Regierungskoalition und von vielen, die ihr angehören, erbittert bekämpft worden ist. Ich erinnere an die Stichworte Atomausstieg, Ökosteuer, ({2}) Erneuerbare-Energien-Gesetz, Energieeinsparverordnung und Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Das alles wurde bekämpft, und zwar überwiegend von Union und FDP. ({3}) Meine Damen und Herren, niemandem ist es verboten, über die Jahre klüger zu werden. Im Gegenteil, wenn das passiert, freue ich mich darüber, ist das gut. ({4}) Wir vergessen aber nicht - und auch die Öffentlichkeit wird das nicht vergessen -, dass viele von Ihnen alle vorhin genannten Instrumente über viele Jahre hinweg bekämpft haben und dass es der Sozialdemokratie in der Großen Koalition geschuldet gewesen ist, dass die Kanzlerin während unserer EU-Präsidentschaft als Klimakanzlerin nach Europa fahren konnte. ({5}) Wir sind nicht nachtragend. Auch das gehört dazu. Ich freue mich, dass Herr Röttgen als Nachfolger von Herrn Gabriel sogar seine Sprache benutzt. Vor kurzem habe ich gelesen, dass er vom Klimaschutz als Impulsgeber für ökonomische Modernisierung gesprochen hat. Das kam uns bekannt vor. Schön wäre es aber auch - das will ich Ihnen ganz gerne sagen -, wenn Sie nach den vielen Jahren, in denen wir über den richtigen Klimaschutz und über die richtige Energiepolitik gestritten haben, erstens sagen würden, dass Sie auf dem falschen Dampfer gewesen sind, und wenn Sie zweitens - auch das habe ich in der Rede von Herrn Röttgen vermisst - endlich konkret werden würden; denn die Wahrheit ist konkret, auch im Klimaschutz. ({6}) Noch schöner wäre es, wenn sich die konkrete Wahrheit auch im Koalitionsvertrag niedergeschlagen hätte. Die 1 Milliarde Euro, die Sie mindestens brauchen, um den Hoteliers ein bisschen entgegenzukommen, hätten Sie besser für die Energieforschung ausgegeben. Das hätte Wachstum generiert. Das wäre Vorsorge für die Zukunft gewesen, aber nicht diese lächerlichen Steuersenkungen für Hoteliers. Das ist eine Verschwendung von Haushaltsmitteln. Das nutzt nichts. ({7}) Am allerschönsten wäre es natürlich, wenn Ihre Politik nicht nur einen grünen Anstrich hätte, sondern wenn sie auch in der Substanz grün wäre; denn das allein bestimmt Glaubwürdigkeit. Was heißt es denn, wenn Sie jetzt den Atomausstieg infrage stellen und den Ausstieg aus dem Atomausstieg planen? Sie wissen doch genauso gut wie wir und beobachten es genauso wie wir - es findet ja jetzt schon statt -, dass sich in den Vorstandsetagen der deutschen Energieversorger der eine oder andere schon wieder zurücklehnt. Durch die Diskussion über die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken verlieren wir wertvolle Zeit, die wir zum Ausbau der erneuerbaren Energien benötigen. Damit setzen wir unseren technologischen Vorsprung aufs Spiel. Das ist der falsche Weg. Das ist energiepolitisch, das ist klimaschutzpolitisch der Holzweg. Diesen Weg werden wir nicht mitgehen, meine Damen und Herren. ({8}) Wie steht es weiter um die Glaubwürdigkeit der Koalition, wenn sie - wie ich gelesen habe - im Vergaberecht ökologische Standards als vergabefremd tilgen will, wenn dies sozusagen dem Bürokratieabbau geopfert werden soll? Die Möglichkeit, staatliche Nachfrage in Höhe von 50 Milliarden Euro im Jahr ökologisch einzusetzen und damit auch klimaschutzpolitisch vieles zu bewegen, fällt auf diese Weise weg. Diese Spielräume hat die Politik dann nicht mehr. Mit dem, was Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben, bewegen Sie am Ende nichts. ({9}) Ich rede über Glaubwürdigkeit und werfe einen Blick auf das von Union und FDP regierte Nordrhein-Westfalen, das jetzt gerade im Landesentwicklungsplan offenbar sämtliche Klimaschutzauflagen tilgt. In Ihrer Koalitionsvereinbarung heißt es - ich zitiere, weil wir das richtig finden -: Der Klimaschutz ist weltweit die herausragende umweltpolitische Herausforderung unserer Zeit. Ja, richtig. Aber das gilt offensichtlich nicht in Nordrhein-Westfalen, wo CDU und FDP regieren. Dort fallen Handeln und Reden offenbar weit auseinander, und das schadet unserer Glaubwürdigkeit. Denn auch das wird in Kopenhagen beobachtet. ({10}) Am Ende bleibt es dabei: Der Erfolg von Kopenhagen - damit haben Sie recht, Herr Röttgen - steht und fällt mit der Bereitschaft vor allen Dingen der Industrienationen, ihren angemessenen Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen zu leisten, und zwar nicht nur mit fernen Versprechungen für 2050, sondern vor allen Dingen auch mit konkreten Vereinbarungen bezogen auf 2020. Die Europäische Union ist gut beraten, an ihrem Ziel einer 30-prozentigen Reduzierung der Treibhausgasemissionen festzuhalten, und wir sind gut beraten, die von uns auf nationaler Ebene angestrebten 40 Prozent beizubehalten. Dafür hat Sigmar Gabriel seinerzeit als Umweltminister das Programm und die entsprechenden Gesetzgebungsvorhaben vorgelegt. Aber jenseits der 30 Prozent auf europäischer und der 40 Prozent auf nationaler Ebene besteht die Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft jetzt vor allen Dingen darin, Ländern wie den Vereinigten Staaten, Japan und Kanada deutlich zu machen, dass sie sich aus ihrer Verpflichtung nicht verabschieden können. Es ist richtig: Obama ist im Vergleich zu seinen Vorgängern einen sehr mutigen Schritt gegangen: 17 Prozent Reduktion. So etwas haben wir von der Bush-Regierung in den früheren Jahren in der Tat nicht gehört. Wir wissen aber alle miteinander, dass das am Ende nicht ausreichen wird, um in Kopenhagen eine anspruchsvolle Gesamtvereinbarung zustande zu bringen. Deshalb müssen die Vereinigten Staaten auf dem Weg nach Kopenhagen mutiger werden und sich auch in Kopenhagen noch ein Stück bewegen. Unsere Rolle gegenüber den USA muss die des Ermutigers sein, Frau Bundeskanzlerin, Herr Röttgen. Das erwarten wir von Ihnen. ({11}) Die Welt wartet auf ein verbindliches Abkommen in Kopenhagen. Sie erwartet keine Rote-Teppiche-Show und keine leeren Worthülsen. Das kann nur gelingen - damit kommen wir zum entscheidenden Punkt -, wenn wir in Kopenhagen viel über das Klima reden, aber auch über Geld, und zwar vor allen Dingen - das betone ich - über zusätzliches Geld für die Entwicklungsländer. Wenn ich „zusätzlich“ sage, dann meine ich das auch so. ({12}) Nehmen wir das ernst! Die Entwicklungsländer müssen sich doch betrogen fühlen, wenn die Industriestaaten auf der einen Seite Mittel für den internationalen Klimaschutz anbieten, aber auf der anderen Seite ankündigen, im Gegenzug weniger für die Armutsbekämpfung, die Bekämpfung von Krankheiten wie Aids und anderes mehr tun zu können. Das Ausspielen von Armut auf der einen Seite gegen Klimaschutz auf der anderen Seite darf es nicht geben. Dafür darf Deutschland nicht die Hand reichen. ({13}) Das hat nationale Folgen. Es bedeutet, dass wir die Einnahmen aus dem Emissionshandel nicht irgendwo im Haushalt zur allgemeinen Haushaltsdeckung verschwinden lassen dürfen. Wir haben in unserer Regierungszeit - auch in der Großen Koalition - dafür gesorgt, dass die Einnahmen aus dem Emissionshandel ausschließlich dem Klimaschutz zugutekommen. Das galt bisher. Wir - aber nicht nur wir, sondern auch die Öffentlichkeit - werden Sie, die Bundesregierung, daran messen, ob Sie diese Standards halten. ({14}) Auf die Folgen der Steuerpolitik werde ich jetzt nicht eingehen. Dazu besteht diese Woche im Deutschen Bundestag noch viel Gelegenheit. Aber diese Steuerpolitik - insbesondere der mit dieser Steuersenkungspolitik einhergehende staatliche Einnahmeverzicht - hat auch Folgen für die Möglichkeiten im Klimaschutz. Denn wir müssen uns fragen - und wir werden alle miteinander gefragt werden -, woher die Milliarden für den internationalen Waldschutz und für die Entwicklungsländer kommen sollen. Die Menschen ahnen doch: Aus Steuersenkungen kann das jedenfalls nicht finanziert werden. Über eine höhere Neuverschuldung werden Sie das sicherlich auch nicht finanzieren wollen. Ich will damit sagen: Man kann diese Fragen nicht beantworten, ohne ein klares und deutliches Wort zu den internationalen Finanzierungsinstrumenten zu sagen. Das war der Grund dafür, weshalb ich bereits im März gemeinsam mit Peer Steinbrück gesagt habe: Wir brauchen internationale Finanzierungsinstrumente. Wir brauchen eine internationale Finanzmarktsteuer. ({15}) Wir haben zu Recht Milliarden in die Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte gesteckt. Es gab viel öffentliche Kritik. Aber das war notwendig, um nicht noch mehr zusammenbrechen zu lassen. Wenn das richtig war, dann ist es genauso richtig, dass die internationalen Finanzmärkte jetzt ihren Beitrag zur Finanzierung der Zukunftsaufgaben leisten müssen. Die Finanzmärkte profitieren wie kaum ein anderer von der Globalisierung. Deshalb: Sorgen wir dafür - an die Regierung gerichtet: Sorgen Sie dafür -, dass sich die Finanzmärkte dieser Verantwortung nicht entziehen. Auch wenn es scheinbar nicht hier hingehört, weil es in den G-20-Rahmen passt; wir werden Sie unterstützen, Frau Merkel, dass aus dem Prüfauftrag der G 20 zur Einführung einer internationalen Finanzmarktsteuer endlich ein Beschluss der G 20 wird. Ohne den, befürchte ich, hängen viele anspruchsvolle Ziele, die in Kopenhagen vereinbart werden, in der Luft. Das darf nicht das Ergebnis von Kopenhagen sein. Im Übrigen haben Sie, Frau Merkel und Herr Röttgen, für anspruchsvolle Ziele die Unterstützung der SPDFraktion. Vielen Dank. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Michael Kauch ist der nächste Redner für die FDPFraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Klimaschutz kostet Geld. Kein Klimaschutz kostet mehr Geld. Künftige Generationen werden uns daran messen, welche ökologische und ökonomische Erblast wir ihnen hinterlassen. Aus Verantwortung für kommende Generationen macht diese Koalition, macht die FDP Ernst mit einer ambitionierten Klimaschutzpolitik. 80 bis 95 Prozent CO2-Einsparung bis 2050 in den Industriestaaten und ohne Wenn und Aber 40 Prozent bis 2020 in Deutschland, das ist ein klares Signal für Kopenhagen. Das ist mehr als jemals eine Regierung in Deutschland beschlossen hat. ({0}) Die Wirtschaftskrise ist kein Argument für weniger Klimaschutz. Sie ist ein Argument für besseren Klimaschutz, für einen Klimaschutz, der ökologische Ziele zu möglichst niedrigen Kosten erreicht. Deshalb will die FDP, deshalb will diese Koalition mehr marktwirtschaftliche Instrumente im Klimaschutz nutzen. Deshalb stehen wir zum Emissionshandel als zentralem Instrument des Klimaschutzes. Wir wollen ihn zu einem globalen Kohlenstoffmarkt ausbauen. ({1}) Klimaschutz ist auch ein Weg heraus aus der Wirtschaftskrise; denn er ist Motor für neue Technologien. Wir Liberale und diese Koalition wollen eine Innovationsstrategie für unsere Energieversorgung. Wir werden den Weg in das Zeitalter erneuerbarer Energien beschreiten. Deshalb, Herr Steinbrück, Entschuldigung, Herr Steinmeier - ich habe mich versprochen, weil man das, was Herr Steinmeier gesagt hat, an dem messen muss, was Herr Steinbrück als Finanzminister gemacht hat -, ({2}) werden wir morgen im Deutschen Bundestag im Wachstumsbeschleunigungsgesetz zwei Maßnahmen zurücknehmen, die Ihr Finanzminister initiiert hat, nämlich immer höhere Steuern für die Biokraftstoffe und immer mehr Eingriffe in die Investitionsbedingungen für erneuerbare Energien. Die Fraktion eines ehemaligen Bundesfinanzministers, der die Abwrackprämie zu verantworten hat, sollte sich hier nicht hinstellen und die neue Regierung im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit ihrer ökologischen Politik angreifen. ({3}) Klimaschutz funktioniert nur global, und er ist nur wirksam, wenn die wichtigsten Wirtschaftsnationen dieser Erde mehr abliefern als bisher. Auch im Hinblick auf Herrn Obama muss man deutlich sagen: Wer Führung im Klimaschutz, wer Führung in der globalen Politik verlangt und einfordert, der muss selbst vorangehen. Das, was die USA auf den Tisch legen, ist bemerkenswert und deutlich mehr als das, was die Vorgängerregierung immer zugestanden hat; aber es reicht bei Weitem nicht aus. Deshalb sind wir erfreut, dass die USA den Weg gemeinsam mit uns gehen wollen, aber wir denken, dass die USA mehr leisten können. ({4}) Deutschland bekennt sich zum Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung. Die Schwellenländer tragen immer noch weniger Verantwortung für die Erwärmung dieser Welt, aber sie werden in Zukunft immer mehr Verantwortung tragen, und deshalb werden auch sie mehr Beiträge zum Klimaschutzabkommen in Kopenhagen leisten müssen. Deshalb ist es eine schlechte Nachricht, dass China, Brasilien, Indien und Südafrika gestern eine Erklärung abgegeben haben, dass sie nicht zum 2-Grad-Ziel stehen. Das steht im Widerspruch zu dem, was wir auch auf der Ebene der G 20 vereinbart haben. Das muss die deutsche Bundesregierung gemeinsam mit der Europäischen Union angehen. Wir brauchen eine faire Lastenverteilung im Interesse der Wettbewerbsgleichheit in der Welt, aber auch im Blick auf die Enkelgenerationen der Länder, die sich heute noch als Entwicklungsländer bezeichnen. Der Antrag, den CDU/CSU und FDP heute vorgelegt haben, gibt ein starkes Signal für internationale Verantwortung und internationale Solidarität. Wir bekennen uns klar dazu, dass wir längerfristig eine Angleichung der Pro-Kopf-Emissionen in der Welt brauchen. Mehr als 2 Tonnen pro Jahr und Kopf der Weltbevölkerung hält dieser Planet im Jahr 2050 nicht aus. Der Clean-Development-Mechanismus ist einer der Schlüssel, dieses Ziel zu erreichen. Er ermöglicht es uns, Klimaschutzziele kostengünstiger zu erreichen. Dieser Ansatz ist einer der wesentlichen Unterschiede in den Klimaschutzanträgen, die heute hier in diesem Haus vorliegen. Ich sage ganz klar: Wenn die Linken beispielsweise auf Auslandsinvestitionen in den Klimaschutz nach 2012 komplett verzichten wollen, dann haben sie den globalen Charakter des Klimaschutzproblems nicht erkannt. ({5}) Wir, FDP und Union, wollen nicht weniger, sondern wir wollen mehr Auslandsprojekte für den Klimaschutz. Aber klar ist dabei auch: Das darf nicht zu Klimadumping führen. Deshalb muss sichergestellt werden, dass diese Projekte immer nur zusätzlich zu dem erfolgen, was die Schwellen- und Entwicklungsländer als Eigenbeiträge in Kopenhagen vereinbaren werden. Für die Zukunft muss auch Missbrauch ausgeschlossen werden. Deshalb müssen diese Projekte besser geprüft werden. Wir haben in der letzten Wahlperiode fraktionsübergreifend dazu Vorschläge für die Verhandlungen in Kopenhagen gemacht. Wir freuen uns, dass die Bundesregierung zugesagt hat, genau diese Punkte in die Verhandlungen einzubringen. ({6}) Die Koalition bekennt sich zur internationalen Verantwortung, und dazu gehört die Finanzierung von Waldschutz, von Technologietransfer und von Anpassungsmaßnahmen in den Entwicklungsländern. Um es möglichen Kritikern deutlich zu sagen: Das kostet viel Geld, aber es liegt im nationalen Interesse der Bundesrepublik Deutschland, dass wir die Schwellen- und Entwicklungsländer ins Boot bekommen. Wenn wir alles das, was in den Entwicklungsländern gemacht werden soll, national machen wollten, dann würde es viel teurer. Deshalb hat diese Koalition im Koalitionsvertrag vereinbart - Herr Steinmeier, ich empfehle Ihnen, das einmal nachzulesen -, dass wir 50 Prozent der Versteigerungserlöse aus dem Emissionshandel nach 2013 vorrangig für internationale Projekte einsetzen wollen. Damit hat die Koalition Vorsorge für die Vereinbarungen getroffen, die wir in Kopenhagen treffen werden. Das ist seriöse und vorausschauende Finanzpolitik. ({7}) Ich freue mich, dass diese Koalition einen großen Wert auf den Schutz der internationalen Regenwälder legt. Das ist ein bisher völlig vernachlässigtes Feld der Klimaschutzpolitik, ({8}) und deshalb freue ich mich, dass insbesondere der neue Entwicklungsminister Dirk Niebel einen ganz klaren Akzent setzen wird. ({9}) Ich glaube, dass die Klimaschutzpolitik stärker als bisher als Querschnittsaufgabe dieser Regierung verstanden wird. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Eva Bulling-Schröter ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen es: Das Eis der Arktis ist dünner als je zuvor. Die Gletscher schmelzen immer schneller. In Afrika gehen ganze Ernten verloren, weil nach der Aussaat der Regen ausbleibt. Der Klimawandel ist nicht mehr nur Zukunft, sondern längst Realität, und sie wird noch grausamer, wenn wir nicht endlich handeln. ({0}) Noch mehr Flüchtlingsströme und neue Konflikte, etwa um Boden oder Wasser, stehen vor der Tür. 42 In596 selstaaten sind gar vom völligen Untergang bedroht. All das wissen wir, und trotzdem reagieren die maßgeblich Verantwortlichen in einer merkwürdigen Mischung aus Trägheit, Opportunismus und Klientelpolitik, wehren sich die Energie- und Automobilkonzerne mit Händen und Füßen dagegen, zukunftsfähige Konzepte zu entwickeln; es könnte ja sein, dass ihre Profite kurzfristig zusammensacken. Derweil läuft uns die Zeit davon. Um das 2-GradZiel wenigstens mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln zu erreichen, muss nach neuesten Studien der Peak, also der Höhepunkt der globalen Treibhausgasemissionen, bis 2011 überwunden werden. Dann müssten sie allerdings um 3,7 Prozent pro Jahr sinken. Das ist sehr ambitioniert, aber nicht undenkbar, wenn die Sache erst einmal Fahrt aufgenommen hat. Schafft die Weltgemeinschaft die Wende dagegen erst 2020, so wie es die Koalition in ihrem Antrag anvisiert, so müssten die Emissionen global jährlich um gigantische 9 Prozent vermindert werden. Das scheint jedoch nach allen Erfahrungen der Wirtschaftsgeschichte kaum machbar. Für Deutschland liegt die Rate im Schnitt der letzten Jahre unter 1 Prozent. Der Zeitfaktor wird im Kampf gegen die Erderwärmung also immer mehr zur zentralen Herausforderung. Diese kann allerdings gemeistert werden, wenn der politische Wille da ist. Sowohl die technisch-technologischen als auch die finanziellen Mittel dafür sind heute schon vorhanden. Nehmen wir die aktuelle Studie der Universität Stanford, nach der eine praktisch emissionsfreie Energieversorgung weltweit bereits 2030 möglich wäre, und zwar zu bezahlbaren Preisen. Herr Fell hat gestern im Ausschuss einen schönen Vergleich aus dieser Arbeit zitiert: Windkraft würde nach der Fotovoltaik Platz zwei bei der Versorgung einnehmen. Dafür wären 3,8 Millionen Windkrafträder notwendig. Das klingt natürlich viel, ist aber wenig; denn jährlich werden weltweit fast 20-mal so viele Autos hergestellt, nämlich 72 Millionen. Nicht nur angesichts dessen sind die Ziele der EU und auch Deutschlands deutlich zu niedrig. Das Stockholm Environment Institute kommt in einer Studie im Auftrag des BUND zum Ergebnis, die EU könnte bis 2020 gegenüber 1990 ihren Treibhausgasausstoß um 40 Prozent reduzieren, bis 2050 um 90 Prozent. Jetzt kommt’s: das alles ohne die unverantwortliche Atomenergie oder die fragwürdige Verpressung von CO2 im Untergrund. ({1}) Diese Werte decken sich mit den Forderungen der Linken. Für Deutschland muss bis 2020 unserer Auffassung nach eine Halbierung möglich sein; denn wir haben die „Wallfall-Profits“ eingefahren, sprich: die geschenkten Emissionsminderungen durch die Deindustrialisierung der DDR. Es geht mir hier nicht um einen Wettbewerb darum, wer sich die höchsten Ziele setzt. Wir haben uns einfach zu viel Zeit gelassen. Das gilt für viele Industriestaaten, an der Spitze die USA, aber auch Deutschland, jedenfalls wenn man zugrunde legt, was möglich gewesen wäre. Die verschiedenen Bundesregierungen haben hierzulande viel zu lange eine Politik pro Kohle, pro Auto und pro Großkonzerne betrieben, und sie betreiben sie weiter. Die Erfolgsstory der erneuerbaren Energien kann das nur zum Teil wettmachen. Würde man die Menge an Kohlendioxid, die noch halbwegs klimaverträglich emittiert werden darf, gerecht auf die Menschen dieser Welt verteilen - das wurde schon angesprochen -, so dürften die Deutschen nur noch zehn Jahre so weiterwirtschaften. Dann wäre unser Budget aufgebraucht. Deshalb müssen wir schnell aus der Kohle heraus. Hierzulande dürfen natürlich auch keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden. ({2}) Zudem brauchen wir eine neue Mobilität jenseits des beherrschenden Autos. Das alles muss kommen; denn mit der Physik kann man keine Kompromisse schließen. Es geht um nicht weniger als um die vollständige Dekarbonisierung, also Nullemissionen, unserer Volkswirtschaft bis zur Mitte des Jahrhunderts. Die vielleicht 5 Prozent Treibhausgase, die dann noch gegenüber dem heutigen Ausstoß übrig bleiben dürfen, können wir für unser Energiesystem getrost vergessen. Diese brauchen wir für industrielle Anwendungen, in denen Emissionen unvermeidlich sind. Fassen wir kurz zusammen: Erstens. Praktisch keinerlei Treibhausgasemissionen mehr in wenigen Jahrzehnten. Zweitens. Verlieren wir global noch mehr als fünf Jahre Zeit, haben wir das Erdklima verzockt. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich alle begriffen haben, die an wichtigen Stellschrauben sitzen. Das sogenannte Liberale Institut der FDP-nahen FriedrichNaumann-Stiftung hat ja sogar für morgen die Speerspitzen der deutschen und internationalen Klimawandelleugner nach Berlin eingeladen. Dort dürfen sich die Teilnehmer dann von Fred Singer aus den USA anhören, warum der Klimawandel nicht vom Menschen gemacht ist. Zuvor hat der Mann der Welt schon erklärt, warum FCKWs ungefährlich für die Ozonschicht sind und auch warum Passivrauchen kein Problem für die Lunge ist. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden beim Kampf gegen die Erderwärmung von einer technologischen Revolution, die der Einführung der Dampfmaschine oder der Mikroelektronik in nichts nachsteht. Genau wie damals wird dieser Prozess gravierende Auswirkungen auf die Ökonomie und auf soziale Prozesse haben. Denn es wird Gewinner- und VerliererbranEva Bulling-Schröter chen geben. Dahinter stehen jeweils Zehntausende von Beschäftigten, und die erwarten natürlich etwas, die wollen nicht arbeitslos werden. In diesem Zusammenhang ist es allerdings eine Illusion, zu glauben, Arbeitsplätze entstehen immer am gleichen Ort und annähernd zeitgleich dort, wo andere wegfallen. Es geht also um eine soziale Abfederung des ökologischen Umbaus, um Qualifikation und anderes mehr. Das ist dringend notwendig. ({4}) Für all das brauchen wir Geld, Geld, das die Bundesregierung gerade verschenkt, weil sie beispielsweise den Energieversorgern die Emissionszertifikate kostenlos überlässt. Sie hat es auch verschleudert, als sie mit der Abwrackprämie für 3 Milliarden Euro Autos gefördert hat, die nicht nur nicht wettbewerbsfähig, sondern die schlicht auch nicht zukunftsfähig sind. Sie haben das ja nicht einmal an den CO2-Ausstoß gebunden. Das wäre ja das Mindeste gewesen. ({5}) Sozial und ökologisch dagegen wäre gewesen, den Nahverkehr und die Bahn auszubauen. Schließlich sind die CO2-Emissionen des Verkehrs in den 27 EU-Staaten zwischen 1990 und 2005 um sage und schreibe 33 Prozent gestiegen, allerdings nicht durch die Bahn, die sinkende Emissionen hat, sondern durch den Straßen-, Flug- und Seeverkehr. Jetzt zurück zu Kopenhagen. Einig sind wir uns hier im Hause darin, dass die Konferenz am besten mit einem Abkommen, nach Lage der Dinge aber mindestens mit einem verbindlichen Beschluss zu Ende gehen muss. Spätestens bis zum Sommer muss dann der ratifizierungsfähige Rechtstext stehen. Auf der Grundlage des 2-Grad-Zieles müssen in Kopenhagen Beschlüsse über die Emissionsziele für Industriestaaten und Schwellenländer gefasst werden. Es muss verbindliche Zusagen in Bezug auf den Technologie- und Finanztransfer aus den Industriestaaten in die Entwicklungsländer geben. Es geht hierbei um einen globalen Deal: Der Norden muss den Süden dafür bezahlen, dass dieser weniger ausstößt, als bei ungebremster Entwicklung wahrscheinlich wäre. Dafür gewinnen wir hier im Norden, die wir in den letzten 100 Jahren die Atmosphäre mit Klimakillern vollgepumpt haben, etwas Zeit, um den Strukturwandel sozial abfedern zu können. Es geht also nicht um Almosen an die Entwicklungsländer. Schließlich bläst Texas noch heute so viel Treibhausgase in die Luft wie ganz Afrika. Auch Europa ist nicht viel besser. ({6}) Es geht vielmehr um eine gerechte Lastenverteilung und darum, dass Entwicklungsländer mithilfe der Industriestaaten die fossile Phase in ihrem Energiesystem überspringen oder wenigstens schnell hinter sich lassen können. Da der Klimawandel bereits voranschreitet, müssten wir den Ländern im Süden auch jene Anpassungskosten erstatten, die den Menschen durch Überflutung, Versalzung der Böden usw. entstehen. Es muss unser Eigeninteresse sein, Anreize dafür zu schaffen, dass die letzten großen Wälder dieser Erde nicht für immer verschwinden, allerdings nicht durch den Emissionshandel - hier sind wir uns mit Herrn Minister Röttgen einig -, sondern über internationale Fonds. Denn sonst bedeutet ein vor Abholzung bewahrter Wald in Brasilien oder Indonesien automatisch ein Kohlekraftwerk mehr in Deutschland oder Italien. Für all dies fordern die großen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen von den Industrieländern bis 2020 ansteigend rund 110 Milliarden Euro jährlich. Das unterstützen wir. Wir wollen im Gegensatz zur Koalition, dass dieses Geld zusätzlich zur Verfügung gestellt wird. Die EU und die Bundesregierung wollen, dass etwa ein Drittel dieses Geldes vom Süden selbst aufgebracht wird. Ich sage Ihnen: Das ist zynisch! Zudem soll ein weiteres Drittel aus der Ausweitung der Kohlenstoffmärkte kommen - Stichwort: CDM, vermeintliche Klimaschutzprojekte in den Entwicklungsländern, für die sich der Norden CO2-Zertifikate gutschreiben lässt. Wir wissen, dass hier mit faulen Zertifikaten getrickst wird. Momentan sind weltweit so viele Zertifikate angemeldet, dass man damit in Deutschland die achtfache Menge CO2 ausstoßen dürfte. Wir sind gegen diesen Missbrauch; wir lehnen das ab. ({7}) Der CDM soll 2012 auslaufen. Der Technologietransfer soll über Fonds finanziert werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Letzter Satz. - Die Linke fordert: Realer Umwelt- und Klimaschutz zu Hause ({0}) und kein windiges Freikaufen irgendwo in der Welt! ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Umweltminister, ich will mir einmal ein Lob abringen. ({0}) - Man soll ja ungewöhnlich beginnen. - Zu Ihrer Rede möchte ich sagen: Sie haben hier heute schön gesprochen. ({1}) Jetzt bin ich mit dem Lob schon fertig und muss zum nächsten Teil kommen. Ihre Rede hatte zwischen den Zeilen leider kein Fleisch an den Knochen. ({2}) Eines muss man klar sagen: Eine erfolgreiche Konferenz in Kopenhagen wird es nur geben, wenn die historischen Verursacher des Klimawandels sich bewegen und in Vorleistung treten, wenn sie jetzt zum Beispiel ohne Vorbedingung konkrete Zusagen für die Finanzierung der Entwicklungsländer machen. An dieser Stelle hat Sie der Mut verlassen. Wir brauchen aber keine Philosophen, sondern Menschen, die wirklich bereit sind, etwas zu verändern. ({3}) Ihre Rede blieb immer noch in der miserablen Strategie des Taktierens. Man nennt das Verhandlungsmikado, nach dem Motto: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Dieses Mikadoverhalten, Herr Röttgen, passt nicht dazu, dass Sie mit Ihrer Rede das große Ziel des Klimaschutzes beschwören wollten. Wie ist es mit den konkreten Finanzzusagen, dass ab 2020 110 Milliarden Euro von der internationalen Gemeinschaft und 35 Milliarden von der EU bereitgestellt werden? Warum haben Sie hier nicht gesagt: „Deutschland ist ohne Wenn und Aber bereit, dieses Verhandlungsmikado zu durchbrechen und tatsächlich Vorleistungen für die Entwicklungsländer, angefangen bei 7 Milliarden Euro und sich steigernd auf 10 Milliarden Euro, zu erbringen“? Dazu gab es von Ihnen kein Wort. Es gab heute auch kein Wort von Ihnen dazu, ob Europa ohne Vorbedingungen zu einer Reduktion der CO2Emissionen um 30 Prozent und Deutschland um 40 Prozent bereit sind. Kein Wort von Ihnen dazu, ob Sie entsprechende Zusagen machen wollen. Kein Wort von Ihnen dazu, ob zusätzliche Mittel vielleicht einfach trickreich in der Entwicklungshilfe untergebracht werden. Kein Wort von Ihnen dazu, dass es die Bereitschaft gibt, klimaschädliche Subventionen abzubauen. ({4}) Kein Wort von Ihnen dazu, dass zusätzliche Mittel beispielsweise zum Schutz der Tropenwälder zur Verfügung gestellt werden. - Was Sie gesagt haben, waren alles schöne Worte, aber keine konkrete Antwort auf die Frage: Wie können wir eigentlich die Ziele erreichen, die wir uns für 2020 oder 2050 vorgenommen haben? Sie haben wohlklingende Worte über die ökologische Modernisierung dieses Landes gesprochen. Sie haben über nachhaltiges Wirtschaften und Wachstum geredet. Aber bei genauem Lesen Ihrer Texte, Herr Röttgen, fällt mir eines auf: Sie wollen zwar kein Wachstum wie früher, aber Sie erklären nicht, dass Sie dafür sorgen wollen, dass wir in Zukunft anders leben, anders wohnen, anders produzieren und anders transportieren. Sie begreifen Klimaschutztechnologie nur als Zusatz nach dem Motto: Da China, Indien und die USA in diesen Bereich investieren und daher auf diesem Feld wachsen, machen wir da auch etwas. Wir wollen uns im Wettbewerb nicht überholen lassen. - Aber das ist zu wenig. Wer wirklich dem Klimawandel entgegenwirken will, muss für eine andere Wirtschaftsweise sorgen und kann nicht an die alte Wachstumsphilosophie andocken. Man muss die CO2-freie Gesellschaft auch bauen wollen, Herr Röttgen. ({5}) - Ja, so ist der Fachausdruck, Herr Vaatz. - Man muss diese Gesellschaft bauen wollen und darf nicht daran hängen, die alten Strukturen zu erhalten. Wenn ich mich frage, ob Sie eigentlich glaubwürdig sind, dann fällt mir als Erstes Herr Hennenhöfer ein. Herr Hennenhöfer ist das beste Beispiel für das Verhältnis von Ihren wohlklingenden Worten zu Ihren Taten. Anstatt jemanden auf diese Stelle zu setzen, der einmal etwas anderes will, werden jetzt AKW-Betreiber zur Atomaufsicht gemacht. Ansonsten machen Sie jede Art von Klientelpolitik. Anstatt ökologisch zu modernisieren, machen Sie faktisch business as usual. ({6}) Das ist immer noch die klassische Industriepolitik, und diese finanzieren Sie. Fragen wir doch mal ab, wo tatsächlich die Neuausrichtung der Energiepolitik auf erneuerbare Energien und Effizienz zu finden ist. Sie können gerne darüber diskutieren, was da zusätzlich gemacht werden kann. Aber ich bitte Sie, einmal ganz klar zu sagen: Wir bauen keine neuen Kohlekraftwerke, keine CO2-Schleudern mit miserabler alter Technik, sondern wir geben jetzt erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und -einsparungen den Vorrang. - Das haben Sie hier nicht gemacht. ({7}) Wenn Sie die Gesellschaft wirklich umbauen und anders wirtschaften wollen, dann sorgen Sie doch dafür, dass wir einen aussagekräftigen Energieausweis für den Gebäudebestand bekommen. Sorgen Sie doch dafür, dass für technische Geräte wie Kühlschränke die A++Kennzeichnungen aussagekräftig sind und nicht ein Label auf dem Gerät klebt, das vor zwei Jahren mit alter Technologie erlangt wurde. Dann sorgen Sie dafür, dass CO2 eingespart wird, indem wir ein Tempolimit auf der Autobahn implementieren und indem wir dem Bahnverkehr als ökologischem Verkehr einer integrierten Mobilität den absoluten Vorrang geben. ({8}) Das wäre der Weg zu einem ganz anders definierten Wachstum. Da reicht mir nicht, dass hier und da über Elektromobilität gesprochen wird und der Bundesverkehrsminister ein paar Modellregionen einrichtet. Angesichts der Rede von Herrn Röttgen stelle ich mir die Frage: Wie sollen wir denn zu den Zielen kommen, die Sie beschrieben haben? Herr Röttgen macht den Guru der grünen Marktwirtschaft, Herr Brüderle ist der Wächter der alten Deutschland AG. Daran schließt sich für mich die Frage an: Herr Röttgen, sind Sie nur dazu da, schöne Reden zu halten, oder sind Sie dazu da, wirklich etwas zu verändern? Die Frage, die nicht nur mich in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigt: Sind Sie derjenige, der Sie vorgeben zu sein, oder sind Sie am Ende nur ein Frühstücksdirektor, wobei die Entscheidungen andere auf der Basis der guten alten Industriepolitik und gegen den Klimaschutz treffen? ({9}) Herr Röttgen, wir brauchen keine erneute Absichtserklärung. Wir wollen keine Verlängerung der Absichtserklärung von Rio. Wir wollen auch keine Wiederholung der Vereinbarungen von Heiligendamm. Methode Merkel ist: zuerst die Erwartungen kleinreden, dann den Minimalkonsens schlucken und schließlich das Ergebnis als grandiosen Erfolg verkaufen. Jetzt ist die Zeit reif für Taten, Herr Röttgen. Sie selber haben gesagt, man fahre zwecks Rettung nach Kopenhagen. Ich sage Ihnen: Kopenhagen ist heute und hier. Ihre Rede war zwar schön; aber Sie hatten weder den Mut noch hat Sie die Emphase gepackt, tatsächlich mit der Rettung zu beginnen. Es war eine dünne Rede. Sie sind nicht in Vorleistung getreten. So werden wir weder unsere Wirtschaft modernisieren und ökologisieren noch das Weltklima retten. Das war zu dünn. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der letzten Woche haben die Potsdamer Klimaforscher die neuesten Ergebnisse präsentiert. Diese lassen die Klimaproblematik noch viel dramatischer erscheinen. Die Treibhausgasemissionen nehmen plötzlich stärker zu. Gletscher, Eiskappen, Eisdecke - all das schmilzt schneller. Der Anstieg der Meeresspiegel wurde bisher unterschätzt. Vor diesem Hintergrund wird die Konferenz in Kopenhagen sicher zu einem historischen Datum, verbunden mit der Frage: Haben wir Menschen die Fähigkeit und auch die politischen Strukturen, um in absehbarer Zeit den ökologisch bedingten Zusammenbruch von Zivilisationen in weiten Teilen der Welt zu verhindern? Auch wenn wir in Kopenhagen vielleicht kein völkerrechtsverbindliches Abkommen zustande bekommen, muss es zu einem politischen Durchbruch mit entscheidenden Eckpunkten kommen. Diese Eckpunkte lauten: erstens internationale Anerkennung des 2-Grad-Zieles, zweitens ausreichende Minderungsziele für die Industrieländer, drittens ausreichende Beiträge der Entwicklungsländer und der Schwellenländer, viertens konkrete Hilfszusagen der Industrieländer und schließlich ein transparentes, effizientes Umsetzungs- und Überwachungssystem. Das muss das Ziel der Konferenz von Kopenhagen sein. ({0}) Die Union steht zu dem ehrgeizigen Angebot der EU. Sie steht zu dem ehrgeizigen Angebot der Bundesregierung, bis 2020 eine CO2-Reduktion um 40 Prozent herbeizuführen. Wir stehen hinter der Verhandlungsdelegation der Bundesregierung und hinter Bundeskanzlerin Merkel. Es wäre gut, wenn auch das gesamte Haus der Delegation Rückendeckung aussprechen würde, statt sich im kleinkarierten Hü und Hott zu verlieren. ({1}) Herr Steinmeier, Sie haben gefragt: Wo bleibt das Konkrete? Ich möchte Sie herzlich bitten, sich unseren sehr detaillierten Antrag anzuschauen. Ich finde es traurig, dass Sie das nicht vorher getan haben. Dann hätten Sie das, was Sie gesagt haben, nicht sagen können. Erst unter dem Lichte dessen, was Sie gesagt haben, wird mir klar, warum Schröder bei Gazprom und Fischer bei RWE gelandet sind. Das ist für mich der Marsch durch die Instanzen für eine bessere Klimapolitik. Anders können sie das nicht gemeint haben. ({2}) Ich möchte vier konkrete Punkte nennen, die im Rahmen der Jahrhundertaufgabe, die im Hinblick auf die Konferenz in Kopenhagen und die Zeit danach vor uns steht, für mich wichtig sind. Erstens. Der Bundesumweltminister hat völlig zu Recht ausgeführt, dass wir nicht nur über die Kosten dessen, was wir zu schultern haben, reden müssen, sondern dass es darum geht, die Chance zu erkennen und zu nutzen und unsere exportabhängige Volkswirtschaft zu modernisieren. Die Programme zur Gebäudesanierung führen nicht nur zur Einsparung von CO2, sondern sie schaffen auch Arbeitsplätze und machen uns weniger importabhängig. Neue Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien, der CO2-Abscheidung, der Elektromobilität und der Solarkraftwerke lassen uns nicht nur die CO2-Ziele erreichen, sondern sind auch ein Quantensprung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Dabei geht es, liebe Frau Künast, auch um das, was die Grünen immer propagiert haben: um qualitatives Wachstum, und zwar nicht als Randerscheinung, sondern als tiefgreifende Modernisierung unserer Volkswirtschaft. Dazu aber - das sage ich ausdrücklich an Sie gerichtet müssen auch die Grünen zu irgendeiner Art von Infrastruktur bereit sein. Man kann nicht sagen, man wolle die Volkswirtschaft modernisieren, und zugleich auf jede Pipeline und neue Kraftwerke verzichten. In diesem Punkt müssen Sie sich bewegen. Wir werden diese Auseinandersetzung in den Diskussionen der kommenden Jahre führen, Frau Künast. Welche Pipelines dürfen wir Ihrer Meinung nach denn bauen? ({3}) Zweitens. Die Zusammenarbeit mit den Entwicklungs- und Schwellenländern ist in der Tat von entscheidender Bedeutung. Das Desaster des Klimawandels spielt sich vor allem in den Entwicklungsländern ab, mit unabsehbaren Folgen auch für unsere Wirtschaft und für unsere Sicherheit. Deswegen ist es nicht nur ein Akt der humanitären Verantwortung, wenn wir diesen Ländern helfen; es geht auch um unsere Verantwortung gegenüber den eigenen Bürgern. Wir haben hier alle Möglichkeiten dieser Welt: beim Technologietransfer mit dem Ziel der Abkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch, beim Aufbau eigener wissenschaftlicher Kapazitäten und eigener nachhaltiger Produktionsstätten, durch eine vernünftigere Landnutzung und ein besseres Landnutzungsmanagement, aber auch - in diesem Punkt warne ich vor Blauäugigkeit - beim Einfordern sozialer, wirtschaftlicher und politischer Reformen. Drittens. Das gilt auch für den Waldschutz. Herr Trittin, wir haben in Den Haag bitter darüber gestritten, ob und wie wir den Waldschutz honorieren sollten. Seit dieser Zeit ist der Tropenwald weiter geschrumpft und damit die als CO2-Senke anrechenbare Fläche, die wir dringend benötigen, aber auch die tropische Schatzkammer der Welt. Dank Angela Merkel sind wir Vorreiter im Tropenwaldschutz, aber wir brauchen mehr Verbündete, die auch gegenüber den Menschen in den Entwicklungsländern die Leistungen des Waldes für die Welt besser honorieren. Das ist die einzige Chance, diese Schatzkammern und damit auch die CO2-Senken über die Zeit zu retten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, ich mache beim Stichwort „Zeit“ darauf aufmerksam, dass die Zeit leider auch für die Bewirtschaftung unserer Redezeiten ein gewisses Maß an Verbindlichkeit beansprucht.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deswegen komme ich zum berühmten letzten Satz. ({0}) - Lesen Sie bitte unseren Antrag. ({1}) Es ist unbedingt notwendig, dass die internationale Unterstützung auch ankommt und dass die Mittel effizient eingesetzt werden. Wir brauchen keine neue UNSuperbürokratie und auch keine Blankoschecks. Wir brauchen aber die Beteiligung beispielsweise unserer bewährten NGOs und unserer Durchführungsorganisationen bei der Verteilung der Mittel. Die finanziellen Mittel, die wir generieren müssen, müssen wirklich da ankommen, wo sie gebraucht und effizient eingesetzt werden; sonst werden wir das Problem, vor dem wir stehen, nicht lösen können. Vielen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Kelber ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kern des Problems, über das wir sprechen, ist so einfach wie erschreckend: Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels halten nicht Schritt mit der Erkenntnis über die Gefahren der globalen Erwärmung. Die Industriestaaten belauern sich gegenseitig. Man hat Angst, bei den Verhandlungen seine Ausgangsposition zu verschlechtern, wenn man konkrete Maßnahmen beschließt, sich zu konkreten Minderungszielen verpflichtet oder - eine kleine Ausnahme ist hier die Europäische Union - konkrete Finanzierungszusagen macht. Die Schwellenländer beobachten dies und nehmen immer mehr zur Kenntnis, dass sie Angst haben müssen, dass ihnen die gleiche Entwicklung wie in den Industrieländern verwehrt wird, was teilweise als ein Trick der Industrieländer angesehen wird. Die Entwicklungsländer stehen daneben und staunen: Sie, die nichts zum Klimawandel beigetragen haben, sollen jetzt verpflichtet werden, das Problem mit zu lösen, unter dem sie als Erste leiden. Dann lesen sie auch noch, dass die Mittel für den Klimaschutz die Mittel für Armutsbekämpfung begrenzen sollen. Wir erleben, dass Lobbyisten weiter ihr Geld mit Geschäftspraktiken verdienen wollen, die dem Klima schaden, und damit doppelt rücksichtslos vorgehen: zum einen rücksichtslos gegenüber kommenden Generationen, die weniger an Lebensqualität haben werden und die Kosten für das zu tragen haben, was schon heute an Schäden vorhanden ist, und zum anderen rücksichtslos gegenüber anderen Weltregionen. Vorhin ist das Beispiel von Texas und Afrika genannt worden. Leider ist das Beispiel auch für Deutschland passend: 1 Milliarde Afrikaner verursacht weniger Treibhausgasemissionen als 80 Millionen Deutsche. - Das zeigt die Dimension, über die wir uns unterhalten. Die Stärke Deutschlands in der internationalen Klimaschutzdiplomatie lag darin, dass wir in diesem Parlament mehr und mehr zu einem gleichen Problembewusstsein gefunden haben und dass wir mehr und mehr zu einer gemeinsamen Erkenntnis über die Zielsetzungen, die notwendig sind, um das Problem in den Griff zu bekommen, gekommen sind. Diese breiten Mehrheiten gab es nicht von Anfang an. Aber dass wir jetzt als Ziel festgelegt haben, die CO2-Emissionen um 40 Prozent zu senken, zeigt die Stärke Deutschlands. Das würde auch anderen Ländern guttun. Wir haben trotz des Streits über die unterschiedlichen Sichtweisen erste Maßnahmen ergriffen und erste internationale Finanzverpflichtungen übernommen. Ergebnisse dessen waren der Technologievorsprung - das war gut für uns - und die Glaubwürdigkeit in der internationalen Klimaschutzdiplomatie. Das hat es ermöglicht, mit den Entwicklungs- und Schwellenländern zu sprechen. Genau diese beiden Dinge aber, Technologievorsprung und Glaubwürdigkeit, sind jetzt in Gefahr. Das sagt Ihnen nicht nur die Opposition im Bundestag. Das hat im letzten Monat der Rat für Nachhaltigkeit der Bundesregierung konstatiert. Ich will das an dem Beispiel der technologischen Führerschaft deutlich machen. Wir hatten in einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie vereinbart, die deutsche Energieproduktivität, die Energieeffizienz und die -einsparung jährlich um 3 Prozent zu steigern. In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie vereinbart, von diesem Ziel abzurücken und sich mit dem zu begnügen, was uns die EU als Minimum vorschreibt. Das ist der Punkt: Sie stutzen Deutschlands Technologieführerschaft an dieser Stelle auf Mittelmaß. Das verspielt Glaubwürdigkeit. ({0}) Schlimmer ist aber, was mit der Zusage von internationalen Finanzmitteln zur Bekämpfung von Armut und zur Bekämpfung des Klimawandels passiert. Das muss man hier öffentlich sagen. Wir haben einen Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der dieses Ministerium eigentlich abschaffen wollte. Dann ist er aber Minister dieses Ministeriums geworden. Seine erste Maßnahme war, überschriftenheischend zu sagen: Die technische Zusammenarbeit mit den Schwellenländern, mit denen ich in Kopenhagen ein Abkommen schließen will, kündige ich auf. ({1}) Gestern zieht er den Antrag der Koalition mit zurück und präsentiert einen neuen, und zwar, wie wir gehört haben, mit seiner Handschrift - das ist vorhin von Rednern der Koalition gesagt worden -, in dem steht, dass die Mittel für den Klimaschutz bei der Bekämpfung der Armut den ärmsten Ländern abgezogen werden. Nichts anderes heißt das, wenn die Mittel für den Klimaschutz der ODA-Quote zugerechnet werden. Dieses Geld nehmen Sie den Ärmsten weg. Das macht der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Das ist eine Schande für Deutschland. ({2}) Schade, dass die Bundeskanzlerin nicht mehr da ist. Sie hat am 30. Januar 2009 in einer Rede das Gegenteil versprochen. Sie hat gesagt: Wir wollen diese Zusagen einhalten. Wir wollen Enttäuschungen in den Ländern vermeiden, „denen wir mit unseren Millenniumszielen viele Versprechungen und Zusagen gemacht haben“. Diese Zusage wird heute, wenn dieser Antrag eine Mehrheit bekommt, gebrochen. Sie haben etwas anderes versprochen. Sie haben im Kioto-Protokoll zugesagt, neue und zusätzliche Mittel für den Klimaschutz zur Verfügung zu stellen, und zwar nicht durch Abzug von Mitteln aus der Entwicklungszusammenarbeit. In diesem konkreten Teil handeln Sie falsch, Herr Minister Röttgen. Da hat Ihnen Herr Niebel die klimapolitischen Hosen heruntergezogen. ({3}) Das ist ein gefährliches Signal für Kopenhagen. Das ist ein klarer Bruch des Versprechens gegenüber den Ärmsten dieser Welt. Ich fordere Sie auf, heute wenigstens diesen Punkt aus Ihrem Antrag zu streichen. Sie verabschieden sich von dem Konsens, der in diesem Parlament und in der deutschen Gesellschaft über viele Jahre galt. Sie brechen Ihre Versprechen, die Sie noch vor wenigen Monaten der ganzen Welt laut verkündet haben. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Minister:in)

Politiker ID: 11003198

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kelber, vielen Dank für die nette Vorlage. Ich kann Ihnen versichern, dass das gesamte Kabinett die Hosen anlassen wird. Wir alle wissen, dass der Klimaschutz eine globale Herausforderung ist, und wir wissen vor allen Dingen auch, dass insbesondere die Entwicklungsländer betroffen sind. Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit sind überhaupt nicht voneinander zu trennen. ({0}) Beides sind integrale Bestandteile der Aufgaben, die diese Bundesregierung zu leisten hat. ({1}) Die Entwicklungsländer sind mehrfach betroffen, weil sie am meisten unter dem Klimawandel zu leiden haben, obwohl sie am wenigsten dazu beigetragen haben, und weil von heute bis zum Jahr 2050 90 Prozent der zusätzlichen Emissionen in Entwicklungs- und Schwellenländern ausgestoßen werden. Deswegen ist die Entwicklungszusammenarbeit eine Frage der Zukunft der Weltbevölkerung. Ich glaube, dass man zur Kenntnis nehmen muss, dass selbst die komplette Reduktion der Treibhausgasemissionen in den Industriestaaten nicht dazu führen würde, das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Aus diesem Grund ist ein eigener Anteil der Entwicklungs- und Schwellenländer zur Reduktion von Treibhausgasen zwingend notwendig und muss in Kopenhagen eingefordert werden. ({2}) Klimaschutz ist integraler Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit. Deswegen bin ich froh, dass der Koalitionsvertrag hierzu klar und eindeutig formuliert ist. Dort steht, dass Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz zu den Schlüsselsektoren der Entwicklungszusammenarbeit zählen. Darüber hinaus hat sich die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag freiwillig, ohne irgendeine Verpflichtung dazu zu haben, zu einem Reduktionsziel von 40 Prozent bis zum Jahr 2020 bekannt. ({3}) Das ist ein wegweisender Beschluss. Es ist auch ein Signal für unsere europäischen Partner, uns das möglichst nachzutun. ({4}) - Herr Kelber, Sie könnten zumindest Ihre eigenen CO2Emissionen dadurch minimieren, dass Sie meine kurze Rede einfach still ertragen. Über die einzelnen Punkte können wir in den weiteren Debatten diskutieren. ({5}) Wenn man die Anpassung an den Klimawandel als integralen Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit versteht, führt das dazu, dass zukünftige Entwicklungsprojekte klimafest gestaltet werden müssen. Wenn aufgrund des Klimawandels zum Beispiel ein Staudamm an einem Wasserkraftwerk einen Meter höher gebaut werden muss, als das früher der Fall war, dann ist diese Klimaschutzmaßnahme ein Bestandteil des Entwicklungsprojektes. So müssen wir die Entwicklungszusammenarbeit in diesem Themenfeld in Zukunft betrachten. Das eigentliche Klimaministerium in der Bundesrepublik Deutschland ist übrigens das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit über 1 Milliarde Euro im laufenden Etat für Klimaschutzmaßnahmen. ({6}) Man muss deutlich sagen, dass die Stärkung dieses Ministeriums durch die Übernahme durch die FDP dazu führt, dass der Klimawandel intensiver bekämpft wird, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. ({7}) Wir sind für einen fairen Interessenausgleich zwischen Nord und Süd. Das wird der Schlüssel zum Erfolg der Klimaverhandlungen in Kopenhagen sein. Die Entwicklungsländer werden nur dann bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und ihre CO2-Emissionen zu mindern, wenn sie verlässliche und planbare Unterstützung durch die Industrieländer bekommen. Gerade die Bundesrepublik Deutschland steht durch ihr bisheriges Regierungshandeln in der Pflicht, weiterhin Vorreiter zu sein. Aus diesem Grund ist der Antrag der Regierungsfraktionen, der heute zur Entscheidung ansteht, ein guter Antrag, der wegweisende Punkte beinhaltet. Die Bundesregierung beteiligt sich mit einem fairen und angemessenen Anteil an der Emissionsminderung und an der Anpassung an den Klimawandel. Aber wir sagen auch: Das ist ein Bestandteil des 0,7-Prozent-Ziels im Rahmen der Entwicklungsfinanzierung. Es geht nicht, Klimaschutz und Armutsbekämpfung von der Opposition gegeneinander ausspielen zu lassen; denn ein richtig verstandener Klimaschutz ist ausdrücklich auch ein Beitrag zur Armutsbekämpfung. ({8}) Entwicklungsländer und Schwellenländer nutzen oftmals die teuersten und umweltschädlichsten Energieträger. ({9}) Deswegen wird mit moderner Technologie und mit erneuerbaren Energien ein Synergieeffekt im Sinne der Armutsbekämpfung erzielt. Diese Bundesregierung wird auf ihrer Agenda den Schutz der Regenwälder mit einem hohen Stellenwert versehen. Der Waldschutz ist mit Sicherheit eines der kostengünstigsten und nachhaltigsten Klimaschutzinstrumente. Aus diesem Grund wird dies einer der Schwerpunkte der neuen Bundesregierung in der Entwicklungszusammenarbeit sein. ({10}) Klimaschutz kostet Geld, kein Klimaschutz kostet mehr Geld; das hat Michael Kauch vorhin völlig zu Recht gesagt. Deswegen setzen wir auf den Emissionszertifikatehandel als wesentliches, als marktwirtschaftlich organisiertes Finanzierungsinstrument beim Klimaschutz. Dass wir den Waldschutz hier noch nicht einbeziehen können, hat zwei ganz klar nachvollziehbare Gründe: Es würde zu einem Preisverfall bei den Emissionszertifikaten führen und dadurch die Finanzierungsgrundlage vieler Projekte vernichten. Außerdem müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die CO2-Absorptionsfähigkeit noch nicht vollständig messbar ist, wir also derzeit keine Grundlage haben, um Waldschutzprojekte in den Zertifikatehandel einzubeziehen. Bei allem Engagement dieser Bundesregierung fordern wir natürlich konkrete und nachprüfbare Mindestbeiträge unserer Partner, auch der Entwicklungs- und Schwellenländer. Wir müssen gemeinsam handeln. Das heißt, wir müssen gemeinsame Vereinbarungen finden, zumindest die politischen Ziele definieren und einen Zeitpunkt festsetzen, bis zu dem ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag geschlossen sein muss. Unter diesen Voraussetzungen kann und wird die Konferenz in Kopenhagen zu einem Erfolg werden. Vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Hermann Ott für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Hermann E. Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004125, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Röttgen, dies ist meine erste Rede in diesem Haus. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Ihnen meine Glückwünsche zu Ihrer Ernennung auszusprechen. Sie haben als Umweltminister die Chance, in den nächsten Jahren einige wichtige Weichen zu stellen, Weichen für die Zukunft Deutschlands, aber auch für die Zukunft aller anderen Menschen auf diesem Planeten. Dies ist eine wunderbare Aufgabe. Dafür wünsche ich Ihnen viel Glück. ({0}) Ich beneide Sie allerdings nicht um die Regierungsmannschaft, mit der Sie diese schwierige Aufgabe bewältigen müssen. ({1}) Eines ist doch völlig klar: Wenn Sie das, was Sie hier im Plenum und in der Presse in den letzten Wochen gesagt haben, ernst meinen, dann sind die wirklichen Gegner Ihrer Politik nicht die Damen und Herren auf den harten Oppositionsbänken, nein, dann sind die Gegner Ihrer Politik auf der Regierungsbank. ({2}) Ich will jetzt gar nicht auf die Auslassungen einzelner Ihrer Kolleginnen und Kollegen eingehen; das wäre langwierig und langweilig. Aber es ist zumindest ein Indiz, dass das Liberale Institut der Friedrich-NaumannStiftung ({3}) morgen, wenige Tage vor der Konferenz in Kopenhagen, eine Klimakonferenz veranstaltet, in der nicht ein einziger ernstzunehmender Klimawissenschaftler sitzt, sondern nur Klimawandelleugner und Klimaskeptiker. Das ist degoutant und einer politischen Stiftung in dieser Bundesrepublik nicht würdig. ({4}) Gott sei Dank gehören die grundsätzlichen Positionen zur Klimapolitik zumindest rhetorisch mittlerweile zur Staatsräson der Bundesrepublik. Es gibt heute einen ziemlich breiten Konsens darüber, dass der Klimawandel eine Bedrohung unserer Spezies darstellt und dass entschlossen gehandelt werden muss. Leider hapert es bei dem Antrag der Regierungskoalition an dieser Entschlossenheit. Denn was bedeutet schon das Bekenntnis zum 2-Grad-Ziel, was bedeutet das Bekenntnis zur 50prozentigen Reduktion der Emissionen bis zum Jahr 2050, wenn der Emissionshandel zum vorrangigen Instrument des Klimaschutzes erklärt wird? Der Emissionshandel kann das allein strukturell gar nicht leisten. Was bedeutet das Eingeständnis, dass die Entwicklungsländer viel Geld für Klimaschutzmaßnahmen brauchen, wenn sich die Regierungsfraktionen gleichzeitig in gefühlten 50 Prozent ihres Antrags damit beschäftigen, wie der deutsche Anteil möglichst gering gehalten werden kann? Das, meine Damen und Herren, ist Feigheit. ({5}) Das ist Feigheit, weil sich die Bundesregierung weigert, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Die Tatsachen sind ganz leicht zu beschreiben: Ungefähr 50 Prozent der Emissionen kommen heute aus Industriestaaten, die anderen 50 Prozent - mit steigender Tendenz - aus Entwicklungsländern. Wenn wissenschaftlich belegt ist, dass wir die globalen Emissionen bis 2050 um 50 Prozent reduzieren müssen, dann muss man nicht Mathematik studiert haben, um zu wissen, dass dieses Ziel nicht von einer Seite alleine erreicht werden kann. Dies ist eine klassische Pattsituation, aus der nur ein Ausweg möglich ist: die andere Seite als gleichberechtigt zu betrachten. Den Entwicklungs- und Schwellenländern muss ein faires und konkretes Angebot unterbreitet werden. ({6}) Dieses Angebot muss substanzielle finanzielle Zusagen enthalten, und zwar zusätzlich zur zugesagten Entwicklungshilfe in Höhe von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und nicht, wie Sie in Ihrem Antrag nachträglich formuliert haben, als Teil der Entwicklungshilfe. Die Entwicklungsländer verstehen nicht, warum Sie das machen. Das ist kein echtes Angebot. Damit kommen Sie nicht weiter. ({7}) Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, Ihre Politik ist finsterstes 20. Jahrhundert ({8}) und in keiner Weise geeignet, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. ({9}) Es geht nicht mehr darum, anderen etwas wegzunehmen, um selbst mehr zu haben. Nein, Politik im 21. Jahrhundert bedeutet, gemeinsam für die Zukunft der Menschheit zu kämpfen. Lieber Herr Kollege Röttgen, die Konferenz in Kopenhagen wird schwierig. Es wird darauf ankommen, mit klarem Verstand und Fingerspitzengefühl vorzugehen. Eine Verständigung mit den Entwicklungsländern ist möglich. Ich verspreche Ihnen Unterstützung für eine wahrhaft zukunftsorientierte und ökologische Politik; ich glaube, an dieser Stelle kann ich für meine gesamte Fraktion sprechen. Ich wünsche uns allen, dass wir in Kopenhagen einen Erfolg feiern können, damit auf dieser Erde auch weiterhin menschengerechtes Leben möglich ist. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Kollege Ott, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag, verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere parlamentarische Arbeit. ({0}) Nun erhält der Kollege Andreas Jung für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({1})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Konferenz von Kopenhagen darf nicht scheitern. Trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise bin ich überzeugt, dass der Klimawandel die größte globale Herausforderung in unserem Jahrhundert bleibt. Wenn es nicht gelingt, den Klimawandel aufzuhalten, dann wird unsere Erde ärmer werden: ärmer an Lebensgrundlagen für Menschen mit allen Konsequenzen wie humanitären Notlagen, sozialen Spannungen, ethnischen Konflikten und ungekannten Migrationsbewegungen, ärmer an immateriellen Werten wie dem Reichtum der Natur und der Vielfalt der Tierund Pflanzenwelt, wegen unabsehbarer Klimaschäden und einer Häufung von Naturkatastrophen aber auch ärmer an materiellen Werten. ({0}) Ich bin überzeugt, dass am Ende nichts gewonnen wäre, wenn wir die Finanzkrise gelöst und das Wirtschaftssystem gerettet haben, das Ökosystem uns aber um die Ohren fliegt. In Kopenhagen geht es darum, dies zu verhindern. Deshalb kämpfen wir für den Erfolg dieser Konferenz. ({1}) Bundesumweltminister Norbert Röttgen und die gesamte Bundesregierung unter Führung der Bundeskanzlerin haben bei ihren Verhandlungen die volle Unterstützung der Unionsfraktion. Sie haben ein Verhandlungsmandat, mit dem die Vorreiterrolle der Bundesrepublik Deutschland fortgeschrieben wird. Es schreibt das fort, was Konsens in der Großen Koalition war, ({2}) und geht, Herr Kollege Kelber, in entscheidenden Punkten sogar darüber hinaus. ({3}) Ich will zwei Punkte nennen. Sie haben gesagt: Es geht auch um das, was man innenpolitisch in die Waagschale zu werfen bereit ist. Zum ersten Mal bekennen wir uns zu dem Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, und zwar bedingungslos, also ohne den Vorbehalt, unter den das Ganze in den letzten Jahren gestellt wurde: dass die anderen Industriestaaten vergleichbare Leistungen erbringen. Das ist ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem Status quo. ({4}) Zum ersten Mal bekennen wir uns auch zu der Langfristperspektive, die wir im Auge behalten müssen: dass die Industrieländer die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 nicht nur um 80 Prozent, sondern um bis zu 95 Prozent reduzieren. Wir zeigen damit auf, vor welchem radikalen Wandel bei uns Industrie, Energie, Mobilität und Privathaushalte stehen. Auch das ist ein Punkt, bei dem wir über das hinausgehen, was bisher Konsens war. ({5}) - Wir als Bundesrepublik Deutschland. - Deshalb kann man mit guten Gründen behaupten, dass die Vorreiterrolle Deutschlands fortgeschrieben wird. Nachdem ich Ihre Rede, Herr Kollege Kelber, aber auch die von Herrn Steinmeier gehört habe, muss ich, mit Verlaub, sagen, dass mich das schon überrascht hat. Ich habe es in den letzten Jahren als ausgesprochen Andreas Jung ({6}) wohltuend und gewinnbringend empfunden, dass wir, obwohl wir uns innenpolitisch gestritten haben, dann, wenn es um die großen Fragen, um die Klimakonferenzen ging, einig hinter dem jeweiligen Minister - in der letzten Legislaturperiode hinter dem SPD-Minister - gestanden haben. ({7}) Diesen Gipfel zu nutzen für eine generelle Aussprache bis hin zu der Frage der Mehrwertsteuerermäßigung für Hotels, das, Herr Kollege Steinmeier, mögen Sie parteitaktisch für geschickt halten. Ich halte es mit Blick auf Kopenhagen und die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, schlicht für unangemessen. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Herr Kollege Jung, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Jung, Sie haben gerade von der Notwendigkeit eines radikalen Wandels der Industriegesellschaft gesprochen. Ich glaube, Sie stimmen mit mir darin überein, dass dieser Wandel vor allem das Energiesystem betreffen wird. Frau Kollegin Bulling-Schröter hat gerade berichtet, dass wir im Umweltausschuss über einen Plan amerikanischer Wissenschaftler von der Stanford-Universität gesprochen haben. Sie haben einen Plan für diese Welt vorgestellt, wonach bis 2030 das gesamte konventionelle Energiesystem auf erneuerbare Energien umgestellt werden kann. Dieser Plan sei technologisch machbar, wirtschaftspolitisch richtig und auch finanzierbar. Eine einzige Voraussetzung sei noch nicht erfüllt: Die führenden Regierenden der Welt hätten noch nicht die erforderliche Motivation; sie müssten noch davon überzeugt werden, dass dies geht. Deswegen meine Frage an Sie: Werden Sie - die Unionsfraktion und andere - sich dafür einsetzen, dass dieser Plan in Kopenhagen auf die Tagesordnung kommt und die Bundesregierung diesen Plan dort vorstellt, um die größte Chance, das konventionelle Energiesystem vollständig, zu 100 Prozent, auf erneuerbare Energien umzustellen, was machbar ist, zu nutzen? ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Fell, Sie kennen den Koalitionsvertrag. Sie wissen, dass darin das ausdrückliche Bekenntnis enthalten ist, die Tür zu einem regenerativen Zeitalter aufzustoßen. Gerade diese Bundesregierung bekennt sich dazu, das weiterzuführen, was unter anderen Regierungen angestoßen und unter der rot-grünen Regierung - das kann man ja sagen - fortgeführt und verbessert wurde. Wir wollen unsere Anstrengungen verstärken. Unser Ziel ist, so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umzustellen. Selbstverständlich ist das einer der Punkte, die wir auf der Konferenz von Kopenhagen einbringen. Es macht ein Stück weit unsere Glaubwürdigkeit aus, dass andere sehen, dass wir entschlossen sind, für die erneuerbaren Energien einzutreten. Insofern wird das in Kopenhagen selbstverständlich eine Rolle spielen. Ich möchte abschließend uns alle auffordern, in Kopenhagen gemeinsam für den Erfolg zu werben, dafür zu werben, die Partner, gerade die USA, ins Boot zu holen, gemeinsam deutlich zu machen, dass die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union erwarten, dass, wenn ein Staat sich als Führungsnation versteht, er gerade bei diesem wichtigen Thema nicht zurückbleiben darf. Eines macht mir hier ein Stück weit Hoffnung. Ich erinnere mich an eine Szene zum Ende der Konferenz von Bali. Als die USA den Durchbruch zum Bali-Aktionsplan blockierten, stand der Delegierte von Papua-Neuguinea auf und sagte: In meiner Heimat gibt es ein Sprichwort. Dieses Sprichwort heißt: Führe, aber wenn du nicht führen kannst, dann trete auf die Seite. Und das sage ich jetzt zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Nach diesen Sätzen sprangen die Menschen im ganzen Saal auf, sie haben gejubelt und applaudiert. Unter dem Eindruck dieses Jubels, der in die ganze Welt übertragen wurde, ist die Verhandlungsführerin der USA aufgestanden, und sie hat gesagt: Wir nehmen unser Veto zurück. Ich glaube, wir können berechtigte Hoffnungen haben, dass es auch bei dieser Konferenz wieder eine solche Dynamik geben und es dadurch bei dieser Konferenz zu entscheidenden Schritten kommen wird. Die Bundesregierung wird ihren Beitrag dazu jedenfalls leisten. Dabei hat sie die volle Unterstützung der Union. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Kelber das Wort.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jung, Sie haben es kurz angesprochen und haben eingefordert, wie früher einen Konsens bei den Beschlüssen zu Klimakonferenzen zu erreichen. Dabei haben Sie mich persönlich angesprochen. Bis gestern Vormittag lag ein Antragsentwurf der Koalition vor, bei dem es der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion möglich gewesen wäre, nicht dagegen zustimmen. Ich denke einmal, dass er auch aus Ihrer Feder als Berichterstatter war. Dieser Antragsentwurf ist gestern Morgen zurückgezogen und gestern Nachmittag in veränderter Form neu vorgelegt worden. Er enthält einen wichtigen geänderten Punkt - neben vielen anderen -, nämlich die Reduzierung der Mittel für die Armutsbekämpfung verbunden mit einer Verrechnung der Mittel für den Klimaschutz, damit Herr Niebel in der Statistik besser dasteht, ohne für die Menschen und die Sache wirklich etwas erreicht zu haben. ({0}) Dafür werden Sie unsere Stimme nicht bekommen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung, bitte schön, Kollege Jung.

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kelber, ich möchte nur darauf hinweisen, dass der Antrag zwar ergänzt wurde, dass aber alle wesentlichen Punkte, durch die das Verhandlungsmandat der Bundesregierung bestimmt wird und in denen es um die Position der Bundesregierung bei dieser Konferenz geht, in keiner Weise aufgeweicht oder abgeschwächt worden sind. Es wurden weitere Punkte ergänzt, die gerade die Entwicklungshilfe betreffen, ohne in der Sache und hinsichtlich der Bedeutung etwas zurückzunehmen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun möchte der Kollege Kauch zu einer Kurzintervention das Wort erhalten. Bitte schön.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Jung, ich hätte mich gefreut, wenn Sie noch einen Aspekt in Ihre Antwort auf die Kurzintervention aufgenommen hätten. Der Kollege Kelber sagte, hier sei eine Kürzung der Mittel vorgesehen. Ich frage Sie: Hat es Ihre Bundesregierung in den elf Jahren unter der Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul jemals erreicht, dass die Entwicklungshilfe 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts beträgt? Nein. Sie haben das Haus mit einem Anteil von 0,38 Prozent übergeben. Hier gibt es noch ganz viel Luft zu den 0,7 Prozent. Dementsprechend sollten Sie hier nicht behaupten, es sei eine Kürzung der Mittel für die Armutsbekämpfung. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Frank Schwabe für die SPD-Fraktion. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind nur noch wenige Tage bis zur Klimakonferenz in Kopenhagen. Der Herr Bundesumweltminister hat in den letzten Wochen die Dramatik der Situation in den Medien und auch im Parlament mehrfach beschrieben. Ich will für die SPD ausdrücklich sagen: Wir sind uns sehr wohl der Rolle bewusst, die wir in Kopenhagen haben. Wir sind uns aber auch der Rolle bewusst, die wir als Opposition hier im Deutschen Bundestag haben. Wir haben mehrere Reden zu bewerten, insbesondere zwei Reden, die Bundesminister hier gehalten haben. Zu der Rede des Bundesumweltministers sage ich: Die Kür war nicht grandios, aber eigentlich ganz okay, die Pflicht hat allerdings vollständig gefehlt. Beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat beides gefehlt; das will ich ganz deutlich sagen. Es geht darum, welche Rolle Deutschland spielt. Die nationale Vorreiterrolle wird immer wieder beschrieben und beschworen. Sie besteht aus zwei Aspekten. Zum einen besteht sie darin, national engagiert Klimaschutz zu betreiben. Dabei fehlt eigentlich alles. Das 40-Prozent-Ziel ist schön. Sie wissen, wer in den vergangenen Jahren dafür gekämpft hat und warum es an mancher Stelle nicht funktioniert hat. Sie muss zum anderen mit nationalen Maßnahmen unterlegt werden. Das tun Sie jedoch nicht. Sie vertagen Entscheidungen bis zum Oktober des nächsten Jahres. Wir brauchen Verbindlichkeit bei den nationalen Maßnahmen. Der WWF hat einen Vorschlag für ein Klimaschutzgesetz unterbreitet. Dies sollten wir in den nächsten Wochen und Monaten miteinander diskutieren. ({0}) Auf internationaler Ebene sind zwei Dinge notwendig. Wir sind in der Pflicht, Zahlen vorzulegen, aber nicht in der Pflicht, schöne Reden zu halten. Europa bzw. Deutschland muss sagen, in welcher Höhe es eine Reduktionsverpflichtung eingehen will. Wir müssen außerdem sagen, wie hoch die Finanztransfers in Entwicklungsländer sein sollen, die wir leisten wollen; denn ohne Finanztransfers wird es nicht gehen. Die sozialdemokratische Fraktion steht zu den Zahlen 30-30. Wir wollen eine 30-prozentige Reduzierung der Treibhausgase in Europa, und zwar eigenständig und unkonditioniert, also unabhängig davon, was die anderen machen. Außerdem wollen wir einen Finanztransfer von 30 Milliarden Euro im Jahr 2020 vonseiten der Europäischen Union. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso Sie nicht bereit sind, diese Zahlen auf den Tisch zu legen und die Dynamik, die in den vergangenen Wochen eingetreten ist, zu unterstützen. Wenn Klimaschutz eine Menschheitsaufgabe ist, wie es beschrieben wurde, wenn Klimaschutz ein Wachstumsmotor ist, wie es beschrieben wurde, wenn es keinen Plan B für Kopenhagen gibt, wie es beschrieben wurde, wenn Deutschland mittlerweile ein unkonditioniertes Ziel von 40 Prozent verfolgt und wenn wir wisFrank Schwabe sen, dass der Spielraum für CO2-Senkungen infolge der Wirtschaftskrise größer geworden ist, warum kann Europa bzw. Deutschland dann nicht für eine CO2-Reduzierung von 30 Prozent bis zum Jahr 2020 eintreten, unabhängig davon, was der Rest der Welt macht? Ich glaube, das ist notwendig, und das müssen Sie noch vor dem Klimagipfel in Kopenhagen vorlegen. ({1}) Das eine betrifft die Frage der CO2-Reduktion, und das andere betrifft die Frage der Finanztransfers. In Grafiken, die die Verantwortung für den CO2-Ausstoß darstellen, zeigen sich drei große Kreise, nämlich um Europa, die USA und China. Die Auswirkungen davon treffen vor allem die Entwicklungsländer in Afrika und anderswo. Deshalb müssen wir hinsichtlich der Finanztransfers jetzt etwas auf den Tisch legen. Ivo de Boer hat die Europäische Union aufgefordert, Zahlen zu nennen. Das Europäische Parlament hat eine Unterstützung in Höhe von 30 Milliarden Euro beschlossen. Es liegt in der Verantwortung Deutschlands, Europa zu dieser Position im Vorfeld des Klimagipfels in Kopenhagen zu drängen. Herr Kelber hat gerade dazu gesprochen. Das Ganze ist wirklich peinlich; das kann man nicht anders sagen. Bis gestern Mittag gab es einen Antrag der Koalition, bei dem zwar einiges fehlte. Dieser Antrag war aber hinsichtlich der Beschreibung der Ziele und Maßnahmen im Prinzip recht anständig. Das hat sich geändert; Herr Niebel oder andere werden interveniert haben. Mit dem nun vorliegenden Antrag können Sie sich bei den Entwicklungsländern nicht mehr blicken lassen. Wenn Sie die 0,7 Prozent nicht mehr eigenständig erreichen wollen, sondern die Entwicklungshilfemittel mit denen für Klimaschutzmaßnahmen verrechnen wollen, wenn Sie also die Mittel für den aufgrund des gestiegenen Meeresspiegels notwendigen Dammbau in Afrika mit den Mitteln für die Aidsbekämpfung verrechnen wollen, dann ist das peinlich und der Vorreiterrolle Deutschlands in Kopenhagen überhaupt nicht angemessen. ({2}) Ich kann Sie nur noch einmal auffordern. Die Zeit des Zögerns, des Zauderns und auch des Pokerns ist vorbei. Das ist der Situation nicht angemessen. Neben Ihren guten Reden müssen Sie nun endlich Zahlen und Daten auf den Tisch legen. Sie müssen sich frühzeitig zu Maßnahmen verpflichten, um die Dynamik im Hinblick auf Kopenhagen weiter zu verstärken. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Thomas Gebhart, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Thomas Gebhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004038, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Klimawandel und damit ganz eng verbunden die Fragen der Energieversorgung gehören ohne jeden Zweifel zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Die Folgen eines ungebremsten Klimawandels wären am Ende enorm. Deshalb ist klar: Wir müssen dem Klimawandel entgegentreten. Dies ist auf der einen Seite eine ethische Pflicht. Es ist aber auf der anderen Seite auch eine Frage der politischen und ökonomischen Vernunft. Daher heißt unser Ziel, den Klimawandel auf ein verantwortbares Maß zu begrenzen. Wie erreichen wir dieses Ziel? Die Klimaveränderungen sind ein klassisches globales Problem. Deutschland allein und Europa allein werden das Klima nicht retten können. Wir brauchen also eine internationale Antwort. Notwendig ist, dass die Welt kooperiert. Deswegen ist der Weltklimagipfel in Kopenhagen so wichtig, und deswegen muss Kopenhagen ein Erfolg werden. Wir werden alles dazu beitragen, dass Kopenhagen gelingt. ({0}) Wir allein retten das Klima nicht. Aber wir Deutschen müssen unseren Beitrag leisten. Deswegen bekennen wir uns ausdrücklich zu dem ambitionierten Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Deutschland ist damit Vorreiter. Unser Leitbild heißt dabei, eine nachhaltige Entwicklung, Umwelt, Wirtschaft und soziale Aspekte in Einklang zu bringen. Das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen. Es ist aber zugleich auch eine große Zukunftschance für unser Land. ({1}) Denn es ist völlig klar: Je effizienter wir künftig mit knappen Ressourcen umgehen und je besser wir uns als Spitzenreiter bei sauberen, umweltfreundlichen Technologien behaupten, desto mehr Arbeitsplätze schaffen und sichern wir langfristig in unserem Land. Nachhaltiges Wirtschaften entscheidet mehr und mehr über die Wettbewerbsfähigkeit, und nachhaltiges Wirtschaften wird mehr und mehr zu einem Erfolgsfaktor für Unternehmen. Deswegen ist es in diesem Zusammenhang besonders wichtig, zu sehen, dass wir insbesondere eine nachhaltige Energieversorgung brauchen, die langfristig sicher, verlässlich und ökologisch wie ökonomisch vernünftig ist. Ich will an dieser Stelle vier wichtige Eckpunkte nennen. Erstens. Wir müssen verstärkt auf Energieeffizienz und Energieeinsparung setzen. Wir haben in unserem Land noch große Potenziale, Stichwort „energetische Gebäudesanierung“. Zweitens. Wir müssen vor allem auf Forschung und Entwicklung, Innovationen und neue Technologien setzen. Sie sind, wie der Minister gesagt hat, vermutlich der Schlüssel zur Lösung der Probleme überhaupt. Lassen Sie uns daher Umwelt- und Klimaschutz nicht im Sinne von Verzicht rückwärtsgewandt diskutieren, sondern nach vorne gerichtet als etwas, das neue Möglichkeiten schafft, als Strategie zur Modernisierung dieses Landes. ({2}) Drittens. Wir brauchen mehr erneuerbare Energien als Teil des Energiemixes. Aber auch hier gilt es, mit ökonomischem Sachverstand an die Sache heranzugehen und insbesondere auf effiziente Formen erneuerbarer Energien zu setzen. Der vierte und letzte Punkt: Es macht keinen Sinn, sichere Kernkraftwerke jetzt abzuschalten und durch Energieimporte oder zusätzliche Kohlekraftwerke zu ersetzen. ({3}) Wir werden übrigens die Klimaschutzziele dann nicht erreichen können, wenn wir die Kernkraftwerke abschalten. Deshalb sagen wir: Die Kernkraft hat eine Brückenfunktion. Sie ist eine Brücke hin zu den erneuerbaren Energien. ({4}) Deshalb sollten wir die Laufzeiten unter bestimmten Bedingungen verlängern und gleichzeitig einen Teil der zusätzlichen Erlöse in die erneuerbaren Energien investieren. Wir könnten den Weg hin zu den erneuerbaren Energien schneller gehen. ({5}) Das ist insgesamt ein vernünftiger Weg. Es ist ein Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung und insgesamt zu einer nachhaltigen Politik. ({6}) Kurzum: Tragen wir dazu bei, dass Kopenhagen ein Erfolg wird, und nutzen wir die Chance einer nachhaltigen Entwicklung! Danke schön. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Auch Ihnen, lieber Kollege Gebhart, gratuliere ich herzlich zur ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen viel Erfolg bei der weiteren parlamentarischen Arbeit. ({0}) Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Thomas Bareiß für die CDU/CSU-Fraktion.

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letzter Redner hat man die Chance, auf all das einzugehen, was in den letzten eineinhalb Stunden gesagt worden ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Aber in vier Minuten, Herr Kollege. ({0})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich versuche es, Herr Präsident. Ich möchte zuerst auf die vier vorliegenden Anträge eingehen. Wir spüren: Eigentlich sind wir in den Zielen gar nicht so weit voneinander entfernt. Die Ziele ziehen sich wie ein roter Faden durch alle vier Anträge. In manchen Punkten ist die Opposition etwas ambitionierter. Das ist nun einmal das Vorrecht derjenigen, die die Verantwortung nicht tragen müssen. Aber in einem Punkt unterscheiden wir uns in ganz besonderer Weise. Sie sind gegen neue Kohlekraftwerke, obwohl Sie genau wissen, dass die neuen Kohlekraftwerke einen wesentlich besseren Nutzungsgrad haben als die alten. ({0}) Sie stehen für den sofortigen Ausstieg aus der Kernkraft in Europa. Sie stehen der CCS-Technologie skeptisch gegenüber. Ihre Politik steht in all diesen Punkten eher für mehr CO2 als für weniger. ({1}) So sieht für mich keine glaubwürdige Klima- und Energiepolitik aus. Wir haben hohe Erwartungen an den Klimagipfel. Da wir in Europa und ganz besonders in Deutschland eine große Verantwortung haben, wollen und werden wir eine Vorreiterrolle einnehmen; meine Kollegen haben dazu schon einiges gesagt. Klar ist aber auch: Alle Anstrengungen werden nur erfolgreich sein, wenn alle Länder an einem Strang ziehen. ({2}) China und die USA emittieren über 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Ein Abkommen, bei dem diese beiden Länder nicht dabei wären, wäre kein Schritt nach vorn. Deshalb ist es gut, dass sowohl der US-Präsident als auch der chinesische Präsident dabei sind und konkrete Ziele ins Auge gefasst haben. Diese mögen für uns zwar noch etwas unambitioniert sein. Aber allein die Tatsache, dass sie Ziele haben, stellt für mich einen großartigen Erfolg und einen wesentlichen Schritt nach vorn im Vergleich zu dem dar, was wir vor zwölf Jahren in Kioto vereinbart haben. Meine Damen und Herren, Klimaschutz ist eine globale Herausforderung. Ich glaube, darin sind wir uns einig. Wir brauchen ein funktionsfähiges Instrument, um weltweit zu gestalten und notfalls zu sanktionieren. Deshalb muss in Kopenhagen die Ausweitung des Emissionshandels für alle beteiligten Staaten an erster Stelle der Agenda stehen. Der Emissionshandel ist und bleibt - daThomas Bareiß von bin ich zutiefst überzeugt - das international wichtigste Instrument einer fairen und marktorientierten Klimapolitik. Es bringt nichts, wenn wir in Europa ein strenges Emissionshandelssystem betreiben, solange andere Teile der Welt nicht einbezogen werden. Gerade für Deutschland ist das enorm wichtig; denn wir haben einen Industrieanteil an unserer Wertschöpfung von über 26 Prozent. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier nach fairen Spielregeln spielen dürfen. Klima- und Umweltschutz dürfen nicht als isolierte Politikbereiche betrachtet werden. Klima- und Umweltpolitik müssen immer Hand in Hand mit der Wirtschaftsund der Energiepolitik gehen. Dann wird der Klimaschutz auch eine nachhaltige und selbsttragende Jobmaschine für Deutschland sein. Dann wird in Zukunft die Klimapolitik in jeglicher Hinsicht für Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland sorgen. ({3}) Meine Damen und Herren, wir haben in Kopenhagen eine einmalige Chance. Wir sollten sie nutzen. Ich wünsche der Kanzlerin Angela Merkel und Norbert Röttgen viel Erfolg dabei. Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Zusatzpunkt 2. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf der Drucksache 17/100 mit dem Titel „Für ein wirk- sames und faires globales Klimaschutzabkommen in Ko- penhagen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition ange- nommen. Tagesordnungspunkt 4 b. Hier geht es um die Abstim- mung über den Antrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/105 mit dem neuen Titel „Die Klimakon- ferenz in Kopenhagen zum Erfolg führen - Deutschlands und Europas Vorreiterrolle nutzen und stärken“. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dieser Antrag ist mehrheit- lich abgelehnt. Unter dem Tagesordnungspunkt 4 c stimmen wir ab über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 17/115 mit dem neuen Titel „Kehrtwende beim globalen Klimaschutz auf UN-Gipfel in Kopenhagen“. Wer will diesem Antrag zustimmen? - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Antrag ist mehr- heitlich abgelehnt. Tagesordnungspunkt 4 d. Abstimmung über den An- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 17/120 mit dem neuen Titel „Kopenhagen mit ver- bindlichen und ambitionierten Klimaschutzzielen zum Auftakt einer globalen ökologischen Modernisierung machen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag hat keine Mehrheit gefunden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 c auf: a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Datenschutz im Beschäftigungsverhältnis ({0}) - Drucksache 17/69 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Federführung strittig c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Dr. Konstantin von Notz, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Persönlichkeitsrechte abhängig Beschäftigter sichern - Datenschutz am Arbeitsplatz stärken - Drucksache 17/121 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Auch für diese Aussprache sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 90 Minuten vorgesehen. - Ganz offenkundig findet das Zustimmung. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Kollegen Olaf Scholz für die SPD-Fraktion das Wort. ({4})

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Skandal für Skandal hat uns in den letzten Jahren gelehrt: Wir brauchen einen Beschäftigtendatenschutz. Das ist eine Erfahrung, die wir alle gemeinsam in Deutschland gemacht haben. Die Geschichte des Datenschutzes für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist so wie die vieler rechtlicher Regelungen für Arbeitnehmer: Der Datenschutz kommt zu spät - das muss man offen sagen -, er kommt erst allmählich, und er stand am Anfang nicht fest. Das erinnert an die Geschichte zum Beispiel des bürgerlichen Rechts in Deutschland. Auch dort gab es das Arbeitsverhältnis ganz lange gar nicht. Obwohl es immer eine Lebenstatsache für Millionen Bürgerinnen und Bürger gewesen ist, hat es dort keinen Niederschlag gefunden. Erst heute finden sich solche Vorschriften. Dementsprechend müssen wir auch jetzt vorgehen. Wir brauchen nach all den Skandalen, die fast eine Liste der bekanntesten Unternehmen Deutschlands darstellen, endlich einen Beschäftigtendatenschutz, der die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland besser absichert. ({0}) Ich sage ausdrücklich: Wir brauchen ihn auch deshalb, weil die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ganz anders ist als die vieler anderer, die ebenfalls betroffen sind und die Probleme mit der Datensicherheit und der Verwendung ihrer Daten haben. Man kann eben als Arbeitnehmer nicht so frei wählen, bei welchem Anbieter man Daten hinterlässt und mit wem man Kontakt aufnimmt. Man ist von anderen abhängig, und die Abhängigkeitsstrukturen des Arbeitsverhältnisses machen einen ganz besonderen Schutz notwendig. Deshalb bin ich der festen Überzeugung: Wir brauchen ein eigenes Beschäftigtendatenschutzgesetz und keine Regelung, die irgendwo anders mit unterkommt. ({1}) Nun hat man dazugelernt. In der letzten Koalition, in der letzten Regierung hat es zwei Vereinbarungen gegeben. Diese sind interessant, wenn wir über das weitere Vorgehen reden. Die erste war: Wir wollen eine Generalklausel im Bundesdatenschutzgesetz für die Beschäftigten unterbringen. Die zweite war: Wir werden in der Regierung bis zum August dieses Jahres ein Eckpunktepapier, möglicherweise einen Gesetzentwurf zum Beschäftigtendatenschutz einvernehmlich zustande bringen. Das waren zwei Verabredungen, die die alte Koalition getroffen hatte. Das mit der Generalklausel war schon eine eigene Geschichte. Ich glaube, dass ich nicht allzu viel ausplaudere, wenn ich sage, dass es zwischen dem Innenminister, der Justizministerin und dem Arbeitsminister mehrfach Einigungen gegeben hat, dass diese Einigungen aber immer nach Telefonanrufen von Wirtschaftsverbänden im Wirtschaftsministerium nicht für die ganze Regierung gegolten haben. Erst am Ende und in allergrößter Not ist es zu der heutigen Generalklausel gekommen, weil der Lobbyismus massiv interveniert hat. Immer dann, wenn es einen Skandal gab, haben alle gesagt: „Man muss etwas tun“; aber wenn es konkret wurde, waren viele nicht mehr dabei. Das war schon bemerkenswert. Ich habe mich nicht gefreut, dass die Vereinbarung, dass es bis zum August eine Verständigung über einen Beschäftigtendatenschutz geben sollte, nicht umgesetzt worden ist. Ich habe mich darüber aber nicht gewundert. Das war nach der Vorgeschichte mit der Generalklausel im Bundesdatenschutzgesetz nicht anders zu erwarten. Es hat massive Widerstände gegen eine Verständigung über konkrete Ziele gegeben. Das muss ein Ende haben. Wir brauchen deshalb jetzt eine solche Gesetzgebung in Deutschland. ({2}) Was da passiert, das kann man nur ahnen. Jedenfalls ist der Koalitionsvertrag keine gute Botschaft; denn darin steht nicht, dass es ein Beschäftigtendatenschutzgesetz geben sollte. Vielmehr heißt es dort, man wolle im Bundesdatenschutzgesetz eine Regelung für die Arbeitnehmer treffen. Nun kann man sagen: Es ist egal, wo die entsprechende Regelung steht. Ehrlicherweise muss ich sagen: Wenn die Inhalte stimmen, ist es wirklich egal. Die Frage ist aber: Warum ist das passiert? ({3}) Die vorherige Forderung anderer, zum Beispiel von der FDP, war die nach einem eigenen Gesetz, ({4}) und die Union hat dazu schon einmal Ja gesagt. Ich will dazu ausdrücklich sagen: Dass das jetzt so geregelt werden soll, macht misstrauisch. Misstrauen muss nicht bestätigt werden. Als Bürger dieses Landes, als jemand, der sich für den Datenschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einsetzt, wünsche ich mir, dass dabei etwas Gutes herauskommt. Ich werde einen Gesetzentwurf, der noch gar nicht vorliegt, nicht kritisieren. Das ist die Methode anderer; die mache ich nicht mit. Ich betone: Das, was darin steht, kann man messen. Mit der Verabschiedung des hier vorliegenden Gesetzentwurfs kann man ganz deutlich feststellen, ob das, was vorgeschlagen wird, mehr oder weniger ist. Weniger als das, was in dem jetzt vorgelegten Gesetz zum Beschäftigtendatenschutz stehen soll, sollte keine gesetzliche Regelung umfassen. ({5}) Es gilt in diesem Deutschen Bundestag: Hic Rhodus, hic salta. Das ist ganz wichtig. Hier im Bundestag wird das Gesetz beschlossen. Allgemeine Reden zu diesem Thema sind völlig überflüssig. Eine angemessene Behandlung, das ist etwas, was die Bürgerinnen und Bürger verdient haben. Denn sie kennen die Methode der Auseinandersetzung mit dem Datenschutz für Beschäftigte sehr genau: Immer wenn ein Skandal bekannt wird, meldet sich eine große Zahl von Politikerinnen und Politikern zu Wort und fordert: Ein Beschäftigtendatenschutzgesetz muss her! Hinterher stellen sie ihre Aktivitäten komplett ein, bekämpfen ein solches Gesetz sogar im Einzelnen - wenn sie Minister sind, überlassen sie das möglicherweise ihren Beamten -, damit nichts wirklich Konkretes herauskommt. Das darf an dieser Stelle nicht passieren. Dafür ist diese Frage zu sensibel. Wir müssen jetzt endlich etwas zustande bringen. Das muss spätestens im nächsten Jahr etwas werden. Mit dem Gesetzentwurf, den wir hier vorlegen, ist das möglich. ({6}) Es gibt nicht nur Interpretationsprobleme. Lange haben wir alle gesagt - ich will mich da nicht ausschließen -: Wer sich gut auskennt, weiß, dass das meiste, was in diesen Skandalen passiert ist, schon jetzt verboten ist. Aber natürlich müssen wir lernen, dass ganz offenbar ein Teil derjenigen, die Verantwortung in Unternehmen tragen, Gesetze nur befolgen will, wenn sie ihren Inhalt ganz genau nachlesen können, und deshalb müssen wir das, was wir wollen, aufschreiben. Aber es gibt auch ohne Ende Regelungslücken, wie sich bei der genaueren Beschäftigung mit modernen technischen Möglichkeiten und mit diesem Gesetzentwurf zeigt. Wir brauchen klare Regelungen, wonach zum Beispiel bei Einstellungen gefragt werden darf. Wir brauchen klare Regelungen über die Verwendung und Nutzung von Daten im Beschäftigungsverhältnis, sodass zweifelsfrei feststeht: Was man für eine konkrete Tätigkeit in einem Unternehmen nicht braucht, danach darf weder gefragt noch darf es gewusst oder verwendet werden. Zuwiderhandlung muss verboten sein, und das geschieht mit der Verabschiedung unseres Gesetzentwurfs. ({7}) Wir müssen natürlich auch den ganzen Missbrauch bei gesundheitlichen Untersuchungen unterbinden. Ich denke dabei sowohl an die Frage nach vorliegenden Diagnosen als auch an das, was beim Eintritt in ein Unternehmen häufig gemacht wird. Es ist nicht zulässig - es darf auch nicht zulässig sein -, die allgemeine Fitness der Arbeitnehmer abzutesten; das geht nicht. Zulässig ist, Konkretes zu erfahren, wenn es um einen Arbeitsplatz geht, bei dem bestimmte gesundheitliche Probleme eintreten können. Aber das ist die einzige Situation, und die ist ganz selten. Sie auf diese seltenen Fälle zu beschränken, das ist das, was wir jetzt tun müssen. ({8}) Ich will es ausdrücklich ergänzen: Es gibt dann vieles, was mit den Techniken verbunden ist, zum Beispiel Fernüberwachung bei Telearbeiten. Wir brauchen eine Regelung, die das so beschränkt, dass das nicht zu einer allgemeinen Kontrolle der Arbeitnehmer wird. Wir müssen sicherstellen, dass es keine Videoüberwachung gibt, die konkret auf Arbeitnehmer bezogen bloß auf Verdacht hin möglich ist; wenn, dann müssen schon ganz konkrete Vorwürfe gegen einen konkreten Einzelnen vorliegen. In allen anderen Fällen muss man sicherstellen, dass das, was zur Betriebssicherheit notwendig ist, auch nur zur Betriebssicherheit dient und nicht dazu, Beschäftigte zu überwachen. Das Gleiche gilt für biometrische Daten und all die Dinge, die dort stattfinden. Ein wichtiges Thema ist die Verwendung des Telefons im Betrieb. Ich finde, wir sollten eine neue Klarstellung vornehmen, nämlich sicherstellen, dass es erlaubt ist, das Telefon auch privat zu nutzen, wie es meistens geschieht, und dann klar erklären: Dann darf die Überwachung, die da heute in Unternehmen stattfindet, nicht mehr fortgesetzt werden. Auch das muss beendet werden. ({9}) Wir brauchen dieses Gesetz. Wir brauchen eine klare Verantwortlichkeit des Arbeitgebers. Auch wenn er andere beauftragt, endet die nicht. Er muss das weiter tun. Wir brauchen Schadensersatzansprüche für die Arbeitnehmer bei Missbrauch von Daten, Unterlassungsansprüche, Korrekturmöglichkeiten. Alles das ist jetzt möglich. Lassen Sie uns diese Dinge gemeinsam zustande bringen! Schönen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Frieser von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Datenschutz wird zunehmend - aber er ist es auch schon - zum bestimmenden Thema dieser parlamentarischen Arbeit. Die Unsicherheit im Umgang mit Daten quält uns fast alle mit einem zunehmenden Unsicherheitsgefühl, und zwar vor allem die Arbeitnehmer, aber auch die Arbeitgeber. Dass wir hier eine Regelung finden müssen, das ist, glaube ich, eine einheitliche Haltung in diesem Haus; da eint uns der Konsens. Gerade deshalb geht der Koalitionsvertrag - Sie haben ihn ja fast fehlerfrei zitiert, Herr Kollege Scholz - genau dieses Problem, wie ich meine, sogar sehr detailliert an. ({0}) Um es noch etwas grundsätzlicher zu fassen: Ohne Sicherheit ist keine Freiheit. Das ist der alte Humboldtsche Satz, und er ist auch die Grundlage für das Regierungshandeln in dieser Frage. Denn es geht genau darum, dass der Umgang mit den persönlichen, mit den eigenen Daten auch die Grundlage für eine persönliche Freiheit ist und bleiben kann. Deshalb bedarf es dieser Regelungen. Es ist klar - davon geht der Koalitionsvertrag eben genau aus -, dass es keine Bespitzelung am Arbeitsplatz geben darf, dass der Arbeitnehmer davor geschützt werden muss. Deshalb ist auch klar, dass nur Daten verarbeitet werden können, die für das Arbeitsverhältnis auch wirklich erforderlich sind. ({1}) Wir können in der Koalition jedenfalls von einem ausgehen: dass der Koalitionsvertrag in der Opposition angekommen ist; er wird dort gelesen, und zwar vermehrt. Es ist nicht das erste, nicht das einzige Thema, aber es wird uns vermehrt passieren, dass die Themen ins Parlament hineingejagt werden. Man wird schauen, dass man mit heraushängender Zunge möglichst der Erste ist, der dieses Thema draußen noch irgendwie besetzen kann. Aber ich kann nur sagen: Mit solcherlei Flickwerk, mit solcherlei Unzulänglichkeit lässt sich auch in dieser Frage kein Staat machen. ({2}) Es wird Sie nicht wundern, dass wir von der CDU/ CSU deshalb - ich nehme an, dass das auch die Kolleginnen und Kollegen von der FDP tun - diesen Entwurf ablehnen - vielleicht ablehnen müssen -; das gilt aber natürlich nur den inhaltlichen Vorstellungen des Entwurfs. Es gilt nicht dem Thema des Arbeitnehmerdaten612 schutzes. Insofern glaube ich auch, dass wir das Ganze zügig regeln müssen. Es ist in der Tat so: Wir haben immer wieder skandalträchtige Vorkommnisse. Es geht um pauschale Videobeobachtungen, es geht um Nötigungen mittels Privatdetektiven, und es geht darum, dass erhobene Daten am Arbeitsplatz tatsächlich auch ein Handlungsprofil eines Arbeitnehmers erahnen oder nachverfolgen lassen. Das sind alles Zustände, die wir in der Tat regeln müssen. Deshalb geht es eben auch darum, dass wir diese Frage genau, präzise bearbeiten müssen. Nur können wir das nicht mit den Ungenauigkeiten machen, die der SPD-Gesetzentwurf beinhaltet. Es muss die Anmerkung erlaubt sein, Herr Kollege Scholz, dass der Handlungsdruck, den Sie jetzt hier so in epischer Breite darstellen, Sie in Ihrer Regierungsverantwortung nicht dazu getrieben hat, an dieser Stelle zu einem Ergebnis zu kommen. ({3}) Deshalb muss ich ganz ehrlich sagen: Wir dürfen den wohlgesetzten abwägenden Prozess an dieser Stelle nicht unterbrechen. Ich kann nicht ganz verstehen, warum dieser unabgestimmte Gesetzentwurf jetzt aus Ihrer Schublade herauskommt. Wenn Sie uns diese Lade gezeigt hätten, hätten wir früher darüber reden können. Aber er hätte besser ein Ladenhüter bleiben sollen. ({4}) Sie wissen, dass dieses Thema erstmals am 16. Februar letzten Jahres im Bundesinnenministerium unter der Verantwortung des damaligen Bundesinnenministers Schäuble besprochen wurde. Ich glaube, Sie konnten bei diesem Gespräch nicht anwesend sein, Herr Kollege Scholz. Aber das macht nichts. Dort wurden zwei Dinge vereinbart: erstens die Tatsache, dass man dieses Thema innerhalb des Bundesdatenschutzgesetzes regeln kann, um Doppelbegrifflichkeiten zu vermeiden und die Einheitlichkeit von Definitionen herzustellen. Das ist eines der großen Probleme des von Ihnen hier eingebrachten Gesetzentwurfes. Zweitens sollte eine gründliche Abstimmung mit den Tarifparteien stattfinden, mit den Arbeitnehmervertretern und den Arbeitgebern. Was Sie heute vorlegen, ist hingegen ein unabgestimmter Entwurf. Deshalb ist er abzulehnen. Wir können an dieser Stelle so nicht weitermachen. Dieses Platzieren im September - dafür haben wir ja alle Verständnis - hat sicherlich nicht von ungefähr kurz vor der Bundestagswahl stattgefunden. Wir sollten jetzt vielleicht einen Schritt zurücktreten und versuchen, uns so abzustimmen, wie es bisher nicht geschehen ist. ({5}) Ich will nicht alle fachlichen Mängel aufzählen; einige habe ich schon genannt. Man muss dem Parlament die Chance geben, auf einen Entwurf der Regierung zu reagieren und zu versuchen, die selber für notwendig gehaltene Abstimmung gemeinsam mit den politischen Meinungsträgern herbeizuführen. Der Entwurf enthält einige Unzulänglichkeiten und Ungenauigkeiten. Sie sind bereits definiert und vorgetragen worden. ({6}) Letztendlich muss sogar angezweifelt werden, dass der jetzt vorgelegte SPD-Entwurf mit der EG-Datenschutzrichtlinie in weiten Zügen zu vereinbaren ist. Da kann ich nur sagen, werte Kollegen: Auch in der Opposition muss man präzise formulieren und arbeiten. Es reicht nicht, alte Entwürfe vorzulegen. ({7}) Ich möchte noch die Frage eines Beauftragten für den Beschäftigtendatenschutz ansprechen. Den haben Sie nur ganz am Rande erwähnt, Herr Kollege Scholz. Dieser soll neben dem Datenschutzbeauftragten tätig werden, und zwar bereits bei Kleinunternehmern von fünf Mitarbeitern aufwärts. Dass Sie am Ende Ihres Gesetzentwurfes schreiben, das Gesetz würde keinerlei Kosten verursachen, halte ich nicht nur für vermessen, sondern auch für nicht glaubhaft. Insofern ist auch das ein Punkt, an dem wir noch einiges nacharbeiten müssen. Sie wussten, dass Sie mit diesem Antrag mit den Grünen etwas konkurrieren. Im ersten Entwurf der Grünen wurde ebenfalls ein solcher Mitarbeiterdatenschutzbeauftragter gefordert. Diese Forderung ist dann über Nacht verschwunden. Stattdessen wurde, ebenso plötzlich, die Möglichkeit einer Verbandsklage aufgenommen, zu der ich ehrlich sagen muss: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat meines Erachtens mit einer Verbandsklage nicht sehr viel zu tun. Vielmehr ist der Rechtsschutz ausreichend. ({8}) Der Duktus der Sprache des Entwurfes geht - das will ich einmal deutlich sagen - mit einer Vorverurteilung des Arbeitgebers einher. Die meisten Arbeitgeber verhalten sich nicht nur gesetzestreu, sondern auch im Sinne ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine Vorverurteilung und ein An-den-Pranger-Stellen durch den Sprachduktus halte ich nicht für angebracht. ({9}) Es geht auch darum, die Frage eines fehlenden Schutzinteresses des Mitarbeiters in Einklang mit den Verpflichtungen eines Unternehmens zu bringen. Dabei geht es um die Fragen der Korruptionsbekämpfung und der Datenerhebung, die auch etwas mit der wirtschaftlichen Tätigkeit zu tun haben. Das müssen wir übereinanderbringen, auch gemeinsam mit den entscheidenden VerMichael Frieser bänden. Das fehlt schon im Denkansatz bei diesem Gesetzentwurf. Schon allein deshalb ist er abzulehnen. ({10}) Wir sollten an dieser Stelle der SPD Zeit zum Überlegen geben. Die Grünen machen es - nicht oft, aber öfter in dieser Frage geschickter. Sie legen zu diesem Thema keinen eigenen Gesetzentwurf vor, sondern einen Antrag, der aber im Grunde genommen in die ähnliche Richtung geht: Sie irrlichtern in dieselbe dunkle Ecke. ({11}) Letztendlich will man einen eigenen Gesetzentwurf unbedingt erzwingen. Dieser enthält aber all den Ballast, den ich schon erwähnt habe. Ich kann nur sagen, dass es dieses Arbeitsauftrages nicht bedurfte. Das Innenministerium arbeitet bereits daran. Die politischen Parteien denken an dieser Stelle mit. Deshalb kann ich nur sagen: Ich hoffe, dass wir zum Ergebnis kommen, dass wir anderthalb Stunden Debattenzeit für diesen Gesetzentwurf nicht gebraucht hätten. Ich kann Sie nur auffordern, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lehnen Sie mit uns sowohl den SPD-Gesetzentwurf als auch den Antrag der Grünen ab! Vielen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Frieser, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag im Namen des ganzen Hauses sehr herzlich. ({0}) Das Wort hat jetzt der Kollege Jan Korte von der Fraktion Die Linke. ({1})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 1986 wird ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gefordert. Man kann also heute nicht von einem Schnellschuss sprechen. Das geht, mit Verlaub, völlig am Thema vorbei. Das möchte ich vorwegsagen. ({0}) Erinnern wir uns: Die Bahn schnüffelte 173 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. Ein Textildiscounter spitzelt hinter den Mitarbeitern her, ob sie vielleicht verschuldet sind; denn dann dürfen sie nicht hinter der Kasse sitzen. In vielen Unternehmen - das können wir im Wochenrhythmus erfahren - kommt ans Tageslicht, dass Mails mitgelesen werden, Telefonate abgehört werden und ({1}) dass Gewerkschafter bespitzelt werden. Das muss man sich einmal vorstellen. Erinnern wir uns weiter: Bei Lidl ging es sogar so weit, dass in den Umkleidekabinen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Supermarktes gefilmt wurde. Man muss sich darüber im Klaren sein, was hier im Land abgeht. Das ist offensichtlich die Regel und nicht die Ausnahme. Deswegen ist es höchste Eisenbahn, dass der Staat hier eingreift, um dem Einhalt zu gebieten. ({2}) Wir müssen uns in diesem Hause einig sein, dass die Bundesregierung und der Bundestag endlich ein deutliches Zeichen setzen müssen, dass die Persönlichkeitsrechte von Bürgerinnen und Bürgern nicht am Werkstor und auch nicht in den Umkleidekabinen von Angestellten eines Supermarktes enden. ({3}) Seit 1986 wird ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gefordert. In der letzten Wahlperiode gab es zwei gemeinsame Beschlussempfehlungen zum Bericht des Bundesdatenschutzbeauftragten. Das ist insofern bemerkenswert, als diese gemeinsamen Beschlussempfehlungen von allen gemeinsam, also von der Linken bis zur CSU, getragen wurden, was nicht alltäglich ist. Das sollte man hier einmal anmerken. Mehrfach wurde in diesen Beschlussempfehlungen die Bundesregierung von allen Fraktionen aufgefordert, endlich ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz vorzulegen. Passiert ist aber nichts. Die Skandale gehen munter weiter, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind geradezu Freiwild in vielen Unternehmen. Es ist sicher interessant, was heute vorgelegt wurde. Darin sind viele wichtige Punkte enthalten. Das ist richtig. Allerdings kann ich Ihnen folgenden Vorwurf nicht ersparen: Die SPD war elf Jahre in der Bundesregierung. Wenn es ein zentrales Anliegen der SPD gewesen wäre, dann hätte man in diesen elf Jahren etwas machen können. ({4}) Unsere Unterstützung hätten Sie dabei gehabt. Passiert ist aber nichts. Zwei Wochen vor der Wahl haben Sie, Herr Scholz, als Arbeitsminister angekündigt, Sie würden etwas vorlegen. Danach sind Sie aus der Regierung geflogen und sind jetzt in der Opposition. Heute legen Sie nun endlich einen Gesetzentwurf vor. Geschenkt! Wichtig ist, dass wir diesen Gesetzentwurf gemeinsam durchbekommen. Nach den heutigen Redebeiträgen kann man sagen, dass das Hauptproblem die CDU/CSU ist. Bei der FDP weiß man, seit sie in der Regierung sitzt, nicht mehr, wie sie zu den Bürgerrechten steht und ob sie nicht lieber die Interessen der Wirtschaftskonzerne exekutiert. Deshalb wird das Vorhaben wahrscheinlich nicht erfolgreich sein. ({5}) - Dass Sie geklatscht haben, hat mich für kurze Zeit ideologisch irritiert. ({6}) Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, jetzt wirklich eine gesetzliche Regelung voranzubringen. Sie sollten sich einmal überlegen, dass Arbeitsverhältnisse, wie es der Begriff schon ausdrückt, Abhängigkeitsverhältnisse sind. Hinzu kommt, dass die Zunahme von prekärer Beschäftigung in den letzten Jahren zu einer größeren Abhängigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allem zu sehr viel weniger Mitbestimmung geführt hat. Es ist richtig, dass wir ein allgemeines Arbeitnehmerdatenschutzgesetz voranbringen; denn die prekäre Beschäftigung hat zu weniger Mitbestimmung und zu einer geringeren Achtung der Persönlichkeitsrechte geführt. Gerade in Zeiten der Krise und in Zeiten von mehr prekärer Beschäftigung wird die Angst der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer größer - deswegen auch das Aufbegehren und der Widerstand. Die Interessenvertretung ist geschwächt worden. Wenn wir ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz beschließen, das transparent ist, in dem klare Rechte formuliert werden und das bestimmten Unternehmenspraktiken klar Einhalt gebietet, dann bedeutet ein solches Arbeitnehmerdatenschutzgesetz für die einzelne Arbeitnehmerin und den einzelnen Arbeitnehmer ein Mehr an Mitbestimmung, ein Mehr an Demokratie und vor allem ein Mehr an Selbst- und Mitbestimmung. Nach so vielen Jahren müssen wir endlich in die Puschen kommen. ({7}) Wenn wir über ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, über die Skandale in den Unternehmen und darüber, wie Mitarbeiter ausgeforscht worden sind, diskutieren, dann sollten wir - der Staat, der Bundestag, die Bundesregierung - innehalten und überlegen, was wir mit den Bürgerrechten und der Demokratie in den letzten Jahren gemacht haben. Man kann es auf einen Punkt bringen: In vielen Wirtschaftsunternehmen wird das nachgemacht, was im Bundestag und von der jetzigen und der vorhergehenden Bundesregierung vorgemacht worden ist, nämlich eine exorbitante Datensammelwut zu veranstalten. Deswegen ist in diesem Zusammenhang auch der Staat gefragt, endlich einmal innezuhalten und einen anderen Weg einzuschlagen. ({8}) Eine letzte Anmerkung möchte ich machen. Wenn wir über ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz diskutieren und es hoffentlich endlich auf den Weg bringen, dann sollten wir auch an die Arbeitslosen, an die Hartz-IV-Empfänger denken. Für sie gibt es nämlich de facto überhaupt keine Datenschutzregeln. Darüber müssen wir miteinander diskutieren; denn nur gemeinsam werden wir es hinbekommen, hier etwas zu ändern. Erinnern Sie sich an die Skandale, die es in einigen Argen in den letzten Wochen gab. Deswegen ist es richtig, über Arbeitnehmerdatenschutz zu sprechen. Es ist genauso wichtig, auf die Gruppe der Hartz-IV-Empfänger einzugehen, die sich in der Arge angesichts der Fragen und dessen, was sie offenlegen müssen, gewissermaßen nackig machen müssen. Nur zusammen werden wir es hinbekommen, einen wirklichen Kurswechsel zu bewerkstelligen. Dafür steht die Linke, dafür werden wir alles tun. Vor allem werden wir dafür im Parlament und auf der Straße richtig Druck machen. Es wird Zeit. Danke. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz von der FDPFraktion, der ich gleichzeitig sehr herzlich zu ihrem heutigen Geburtstag gratuliere. ({0})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank. Es ist natürlich ein Traum für eine Parlamentarierin, am Geburtstag reden zu dürfen - zumal zu einem solchen Thema. Aber, Herr Scholz, Sie haben mich wieder enttäuscht. Das war kein Geburtstagsgeschenk von Ihnen, ({0}) und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens bin ich enttäuscht, dass jemand, der immerhin gut zwei Jahre Arbeitsminister gewesen ist, ({1}) sich dafür, keine weiterreichenden Gesetzgebungsverfahren eingeleitet haben zu können, damit entschuldigt - so nenne ich das einmal freundlich -, dass der Lobbyismus ({2}) - meiner kann es nicht gewesen sein, das muss man ganz deutlich sagen; denn wir waren in der Opposition; die unterschiedlichen Rollen sollten Sie noch im Kopf haben - und der Druck sehr groß waren. Ich verstehe das, ehrlich gesagt, nicht. Zweitens hat mich die Tatsache enttäuscht, dass Sie sich nicht einmal die Mühe gemacht haben, unsere Programmatik genau zu lesen. Denn dann wüssten Sie, dass wir uns immer dafür eingesetzt haben, ein Arbeitnehmerdatenschutzrecht zu schaffen und nicht unbedingt ein Gesetz. Sie als Jurist sollten den Unterschied kennen. ({3}) Nur das dazu. Kollegin Kramme, ich kann mich noch gut erinnern, dass Sie hier - es war einst im Mai; das verspricht Schönes - versprochen haben, dass es noch in dieser Legislaturperiode ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz geben wird. Und dann? Eine Sitzungswoche und noch eine Sitzungswoche vergehen, und nichts ist passiert. Dann hat Herr Scholz drei Wochen vor der Bundestagswahl - es war in meinem Wahlkreis, in Düsseldorf - einen Gesetzentwurf vorgestellt. Das ist eine Verdummung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber nichts, was uns in diesem Zusammenhang wirklich weiterbringt. ({4}) Wenn ich das noch sagen darf: Einen Gesetzentwurf hätten Sie schon vor Jahren vorlegen müssen. Vielleicht nicht unbedingt diesen, weil dieser Gesetzentwurf - in dieser Hinsicht teile ich die Einschätzung meines Kollegen von der CDU/CSU - nicht gut ist. Nach jahrelanger Arbeit hätte ich erwartet, dass er besser ist. ({5}) - Unser Gesetzentwurf wird kommen, und zwar schon bald. ({6}) Der Unterschied, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist: Sie haben elf Jahre lang das Arbeitsministerium unter einer SPD-Flagge geführt. Sie waren elf Jahre lang nicht in der Lage, etwas vorzulegen, nicht einmal als Regierung. ({7}) Von daher: Wir machen das richtig und gründlich. Darauf können Sie sich verlassen. Sie können rumnörgeln, wie Sie möchten, aber da müssen Sie sich an Ihre eigene Nase fassen ({8}) und sich nicht als Heilsarmee für die Bürgerinnen und Bürger, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufspielen. Wir werden sehen, wer den besseren Entwurf vorlegt. ({9}) - Nein, es geht um Ihren Gesetzentwurf und nicht um meine Inhalte. Damit müssen Sie leben. Richtig ist, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon heute nicht schutzlos sind, wenn der Arbeitgeber Telefon oder E-Mails überwacht. ({10}) Richtig ist auch, dass dieser Schutz leider sehr lückenhaft und damit nicht praxisgerecht ist: mangelnde Praxistauglichkeit, die vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davor zurückschrecken lässt, ihre Rechte, die sie haben, auch durchzusetzen, mangelnde Praxistauglichkeit, die sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber und Unternehmen ein Problem geworden ist. Klar ist: Wir brauchen eindeutige Regelungen für die Erhebung und Nutzung von personenbezogenen Daten am Arbeitsplatz. Es geht darum, den Spagat zwischen dem Schutz von Arbeitnehmerdaten und effektiver Korruptionsbekämpfung hinzubekommen. Compliance und Revision ist das Tagesgeschäft in den Unternehmen. Das kann man nicht von einem Tag auf den anderen abschaffen, aber wir brauchen auch keinen gläsernen Bürger, und wir brauchen auch keinen gläsernen Arbeitnehmer. Diesen Spagat werden wir hinbekommen. Da bin ich sicher. Aber man muss überhaupt erkennen, dass es diesen Spagat gibt. Wir wollen ein Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist für uns der Ausgangspunkt für das Grundrecht auf Datenschutz. Wie gesagt, meine Damen und Herren von der SPD: Wir haben elf Jahre gewartet. Schade, dass nur ein Flickenteppich mit Überflüssigem, mit Unnötigem und aus meiner Sicht mit zum Teil sachfremden Erwägungen herausgekommen ist; denn wo ich die datenschutzrechtliche Relevanz einer Norm, die die Erstattung von Bewerbungskosten regelt, einordnen soll, das müssen Sie mir erklären. An anderer Stelle begnügen Sie sich einfach damit, das Bundesdatenschutzgesetz abzuschreiben. Das ist ja auch einfach: copy and paste. Aber wenn Sie das schon machen, dann doch bitte mit Augenmaß und orientiert am Schutzgedanken der Regelungen. ({11}) Mit reflexartiger Überregelung ist weder dem Arbeitnehmer noch dem Arbeitgeber gedient. ({12}) Wir wissen alle - jeder von uns hat das sicherlich schon einmal erlebt - um die Problematik der datenschutzrechtlichen Einwilligung im Arbeitsverhältnis. Das ist ein Über-/Unterordnungsverhältnis. Wenn Ihnen gesagt wird, Ihre Einwilligung sei freiwillig, dann haben Sie eine Ahnung davon, wie freiwillig diese Einwilligung wirklich ist. Diese Freiwilligkeit muss jetzt intensiv hinterfragt werden. Deshalb hat sich aus unserer Sicht im Bereich des Beschäftigtendatenschutzes das Instrument der Betriebsvereinbarung hervorragend etabliert. Auch wenn es an dieser Stelle Nachholbedarf gibt: Datenschutz ist auch immer ein Teil von Unternehmenskultur. Wenn es schiefgeht, dann natürlich nicht; das haben wir oft genug gesehen. Aber warum Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diese aus meiner Sicht bewährte und höchstrichterlich bestätigte Praxis einschränken wollen, bleibt Ihr Geheimnis. Warum Sie den Betrieben und den Mitarbeitern Macht nehmen wollen, müssen Sie uns erklären. Vor diesem Hintergrund: Das probate Mittel der betrieblichen Vereinbarung durch Unabdingbarkeitsregeln zu schwächen, halte ich persönlich für praxisfremd und wenig durchdacht. Würde Ihre Vorstellung Gesetz, wären über Nacht unzählige Betriebsvereinbarungen hinfällig. Das kann nicht Sinn und Zweck der Übung sein. Ich freue mich auf die Kommentare der Gewerkschaft an die SPD. ({13}) Sinn und Zweck dieser Übung kann nach unserer Auffassung auch nicht sein, neben dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten einen betrieblichen Beauftragten für den Beschäftigtendatenschutz zu etablieren; das hat auch schon mein Kollege gesagt. Hier sind Überschneidungen und Reibungspunkte vorprogrammiert. Besser erscheint es uns, die Position des betrieblichen Datenschutzbeauftragten zu stärken und ein einheitliches Berufsbild zu entwerfen, das Mindestanforderungen über die aktuelle Formulierung im Bundesdatenschutzgesetz hinaus verbindlich festlegt. Mal abgesehen davon, steht aus unserer Sicht der bürokratische Aufwand für die Unternehmen in keinem Verhältnis zum Erfolg. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Arbeitnehmerdatenschutz führte in den zurückliegenden Wahlperioden ein kümmerliches Dasein. Herr Korte, Sie haben recht, dass wir fraktionsübergreifend hier im Bundestag alle zwei Jahre gefordert haben, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen. ({14}) Darin waren wir uns einig. Erste Versuche, wie der zum Ende der vergangenen Wahlperiode eingeführte § 32 des Bundesdatenschutzgesetzes, verfehlten das Anliegen, für mehr Klarheit zu sorgen. Arbeitnehmerdatenschutzrecht muss vor allem transparent und für den Einzelnen verständlich sein. Das muss unser Ziel sein. Wenn wir das nicht machen, dann kommen wir leider kein Stück weiter. Dafür aber benötigen wir kein eigenständiges Gesetz, das in weiten Teilen einfach nur als Kopie des Bundesdatenschutzgesetzes daherkommt. ({15}) Rechtszersplitterung trägt nie zu einer verbesserten Handhabung des Rechts bei. ({16}) Deswegen stehen wir dem Antrag der Grünen - zugegeben, in einigen Teilen ist er sehr erfreulich - durchaus kritisch gegenüber. Wir werden bereits im nächsten Jahr einen neuen Entwurf vorlegen. Dann werden wir darüber diskutieren. Ich bin sicher, dass wir es schaffen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr zu bieten, als die SPD das in der Vergangenheit getan hat. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Olaf Scholz.

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben mich auf den Druck von Lobbyisten angesprochen. Ich habe ihm gut standgehalten. Das hat am Ende mit dem Bundesdatenschutzgesetz auch geklappt. Aber es ist schon so gewesen - das wiederhole ich hier -: Es hat massivste Interventionen gegeben. Wenn es das Arbeitsministerium nicht gegeben hätte, hätten sie dahin gehend Erfolg gehabt, dass es zu einer lauen Regelung gekommen wäre. Diese Lobbyisten haben jedoch Unterstützung in anderen Ministerien der alten Bundesregierung gefunden. Deshalb bin ich hinsichtlich der Zukunft etwas misstrauisch. Einen anderen Punkt, den Sie angesprochen haben, will ich gerne kommentieren. Zu den Vereinbarungen über die Schaffung der Generalklausel gehörten die Vereinbarung, ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz vorzulegen, und die Verständigung, dass es dazu bis zum August ein gemeinsames Papier der Regierung gibt. Das hat es nicht gegeben, weil der Koalitionspartner das inhaltlich nicht gewollt hatte, weil er, wie es auch hier durchzuklingen scheint, den Wunsch der Arbeitgeberverbände, möglichst wenig zu regeln, erhört hat. Wir werden sehen, was jetzt dabei herauskommt. Sie haben heute Geburtstag. Ich möchte Ihnen dazu ausdrücklich gratulieren. Ich mag Ihren kämpferischen Redestil; das will ich klar sagen. Ich wünsche Ihnen zu Ihrem Geburtstag, dass Sie dann, wenn die Bundesregierung den Gesetzentwurf vorgelegt hat, hier nicht kleinlaut stumm bleiben und schweigen müssen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung erhält das Wort die Kollegin Gisela Piltz.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da ich gut erzogen bin, Herr Scholz, erst einmal herzlichen Dank für den Glückwunsch, auch wenn dieser mit dem „dumm“ ein bisschen vergiftet ist. ({0}) - Gut, dann ist es bei mir falsch angekommen. Also, danke schön für den Glückwunsch. Aber ganz ehrlich: Wenn das, was Sie vorgelegt hatten, oder die Tatsache, dass Sie nichts getan hatten - das haben Sie so erklärt -, ein Beweis dafür sein soll, dass Sie dem Lobbyistendruck standgehalten haben, dann finde ich das sehr enttäuschend. ({1}) Sie haben gesagt: Ich habe dem Druck der Lobbyisten standgehalten, deshalb habe ich nichts getan. So habe ich das verstanden. ({2}) Ich finde, wenn das so funktioniert, wenn man als Minister versucht, so Politik zu machen, dann bin ich davon sehr enttäuscht und kann nur hoffen, dass diese Regierung das besser macht, als Sie das gemacht haben. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Beate Müller-Gemmeke von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Guten Morgen, liebe Sozialdemokraten, auch ich muss es noch einmal sagen: Sie haben zehn Jahre im Ministerium für Arbeit und Soziales regiert, aber erst heute kommen Sie mit einem Gesetzentwurf zum Beschäftigtenschutz. All die Jahre haben Sie es nicht geschafft, das Thema angemessen zu bearbeiten, ({0}) und das trotz der vielen Skandale, die in den letzten Jahren durch die Medien gingen. Natürlich ist es richtig, dass Sie dieses wichtige Thema auf die Agenda des Deutschen Bundestages setzen. Wir unterstützen das, legen aber einen eigenen Antrag vor; denn Ihre Forderungen gehen uns nicht weit genug. ({1}) Herr Frieser, es ist Realität, dass die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in vielen Unternehmen mit Füßen getreten wurden. ({2}) Die Vorfälle sind mir eindrücklich in Erinnerung geblieben, beispielsweise die systematische Überwachung des Mailverkehrs von weit über 80 000 Beschäftigten bei der Bahn, die Bespitzelung der Betriebsräte bei der Telekom, das gezielte Erfassen von Krankheitsdaten und die Videoüberwachung bei Lidl, das heimliche Speichern von Krankendaten bei Daimler und nicht zuletzt die Vorwürfe der Bespitzelung von Beschäftigten bei Edeka. All dies sind prominente Beispiele für den Missbrauch von Daten der Beschäftigten, aber das ist bestimmt nur die Spitze des Eisbergs. Das ist und bleibt ein Skandal und muss vom Gesetzgeber unbedingt unterbunden werden. ({3}) Das ist auch die Meinung des Bundesarbeitsgerichts. Auf die Missstände beim Beschäftigtendatenschutz wurde schon mehrfach hingewiesen. Der Sprecher des Gerichts stellte gegenüber dem Tagesspiegel fest, dass es jede Menge Rechtsunsicherheit gebe. Herr Frieser und Frau Piltz, die Präsidentin des Gerichts fordert ein eigenständiges Datenschutzgesetz für Beschäftigte. Ein eigenständiges Beschäftigtendatenschutzgesetz haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode gefordert. Aber wir sind mit dieser Forderung auf taube Ohren gestoßen. CDU/CSU und SPD haben unseren damaligen Antrag abgelehnt. Jetzt kann ich nur hoffen, dass CDU/CSU und FDP endlich begreifen, dass in diesem Bereich erheblicher Reglungsbedarf besteht. Vor allem appelliere ich an die Regierungsfraktionen, ihr Vorhaben, den Beschäftigtendatenschutz lediglich in einem Kapitel des Bundesdatenschutzgesetzes zu regeln, aufzugeben. ({4}) Der Datenschutz für Beschäftigte muss klar, eindeutig und umfassend geregelt werden. Diesem Anspruch wird man mit einem Kapitel im Bundesdatenschutzgesetz bei weitem nicht gerecht. ({5}) Wir brauchen vor allem weiter gehende Regelungen; denn gegenwärtig herrscht ein unter bürgerrechtlichen Gesichtspunkten unhaltbarer Zustand. Diesbezüglich geht unser Antrag über den Gesetzentwurf der SPD hinaus: Erstens. Wir wollen ein Klagerecht für Gewerkschaften, damit auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne betriebliche Interessenvertretung zu ihrem Recht kommen können. Zweitens. Wir wollen höhere Bußgelder. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die jetzige Bußgeldregelung wenig abschreckende Wirkung hat. Wenn die Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten verletzt werden, dann ist das kein Kavaliersdelikt. Das muss endlich deutlich werden und spürbar bestraft werden. ({6}) Drittens - das ist ganz wichtig - müssen auch die Arbeitsuchenden bei der Bundesagentur für Arbeit in den Beschäftigtenschutz einbezogen werden. Dass das dringend notwendig ist, hat der Skandal bei der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit gezeigt. Ich sage es noch einmal: Die Regierungsfraktionen sollen dieses wichtige Thema endlich aufgreifen. Die Beschäftigten sind in ihrer Abhängigkeit von den Arbeitgebenden besonders schutzbedürftig. In diesem Sinne greift der neue § 32 des Bundesdatenschutzgesetzes zu kurz. Er enthält allenfalls Generalklauseln, die letztendlich keine Rechtssicherheit bieten, weder für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch für die Unternehmen. Es bleibt also noch viel zu tun, bis die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserer schnelllebigen Informationsgesellschaft geschützt sind. Gerade in Zeiten, in denen die Arbeitsmarktlage angespannt ist und die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust bis weit in die Mitte der Gesellschaft reicht, müssen Beschäftigte wertgeschätzt, fair behandelt und endlich in ihren Rechten gestärkt werden. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Müller-Gemmeke, auch Ihnen gratuliere ich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag im Namen des ganzen Hauses. Herzlichen Glückwunsch. ({0}) Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, seien Sie getrost versichert, das Thema Datenschutz wird für die aktuelle Regierungskoalition eine außerordentlich wichtige Rolle spielen. Es wird ein Kernthema im Bereich der Innen- und Rechtspolitik in dieser Legislaturperiode sein. ({0}) Dies gilt insbesondere für den Arbeitnehmerdatenschutz. Es ist völlig unstreitig: Es gab in der Vergangenheit gravierende, schwerwiegende und durch nichts zu rechtfertigende Datenschutzskandale. Es gab Skandale in Großunternehmen, wo Mitarbeiter bespitzelt wurden, Daten missbräuchlich gespeichert und teilweise weitergegeben wurden. Ich bitte aber um eines, und zwar darum, den Blick für die Realität nicht zu verlieren. Es hat sich hier um einige wenige Ausnahmefälle gehandelt. Ich warne dringend davor, die gesamte deutsche Wirtschaft unter Generalverdacht zu stellen. ({1}) Das trifft einfach nicht zu. Der überwiegende Teil der deutschen Wirtschaft, insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen, verhält sich vollkommen gesetzesund rechtstreu. Dies sollte an dieser Stelle deutlich zum Ausdruck gebracht werden. ({2}) Ich bedauere es sehr, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und von der SPD, dass Ihrem Antrag bzw. Ihrem Gesetzentwurf ein grundsätzlicher Argwohn und ein Misstrauen gegenüber der Wirtschaft innewohnt. Dies ist vollkommen ungerechtfertigt. ({3}) Ich möchte nicht verhehlen, dass es sehr wohl Änderungsbedarf gibt. Es besteht die Notwendigkeit, den Arbeitnehmerdatenschutz in Deutschland zu verbessern. Wir werden dies in dieser Legislaturperiode tun; seien Sie versichert. Ich warne in aller Deutlichkeit davor, vollkommen überzogene, höchst bürokratische, kostspielige und unverhältnismäßige Regelungen zu schaffen. Dies wäre der Fall, wenn wir sie so schaffen würden, wie sie der Gesetzentwurf der SPD vorsieht. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass die Grundinitiative nicht von Ihnen, Herr Scholz, in Ihrem früheren Amt ausging, sondern vom damaligen Bundesinnenminister, Dr. Wolfgang Schäuble, ({4}) der am 16. Februar dieses Jahres zu einem Spitzentreffen im Bundesinnenministerium eingeladen hatte. Sie, Herr Scholz, waren nicht anwesend, aber Vertreter der Arbeitnehmerseite, zum Beispiel der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer. Man hat sich meines Erachtens dort sehr konsensual und zielgerichtet mit dem Thema „Verbesserung des Arbeitnehmerdatenschutzes“ auseinandergesetzt. ({5}) Ich warne in aller Deutlichkeit davor, jetzt übereilt und vorschnell Regelungen zu schaffen. Für uns in der neuen Koalition gilt ganz klar der Grundsatz: Qualität geht vor Schnelligkeit. ({6}) Wir wollen effiziente und praxistaugliche Regelungen schaffen. ({7}) Wir wollen aber nichts über das Knie brechen. ({8}) Ich darf an dieser Stelle eines klarstellen, weil Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und von der SPD, hier das Gegenteil behaupten: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland sind heute nicht rechtlos gestellt. Es gibt eine sehr ausdifferenzierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zum Umgang mit personenrelevanten Daten vor Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses und nach Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses. Das heißt aber nicht, dass wir als Gesetzgeber nichts tun sollten; das Gegenteil ist der Fall. Ich bin der festen Überzeugung: Wir als Gesetzgeber sind aufgerufen - wir haben dies im Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU und der FDP ganz deutlich zum Ausdruck gebracht -, den Arbeitnehmerdatenschutz zu verbessern. Wir werden dafür sorgen, dass Arbeitnehmer in Deutschland vor Bespitzelungsaktionen wirksam geschützt werden. ({9}) Stephan Mayer ({10}) Wir werden in diesem Zusammenhang das Bundesdatenschutzgesetz lesbarer und verständlicher gestalten. Wir werden es zukunftsfest und technologieneutral ausgestalten. ({11}) Hinsichtlich der Frage, ob wir ein eigenes Beschäftigtendatenschutzgesetz in Deutschland brauchen, bin ich der Meinung, dass wir das schon vorhandene und bewährte Bundesdatenschutzgesetz ({12}) um ein weiteres Kapitel erweitern sollten. Es gibt zu viele Gesetze, zum Beispiel das Bundespersonalvertretungsgesetz, das Arbeitssicherheitsgesetz und das Telemediengesetz, ({13}) in denen spezialgesetzliche Regelungen für den Arbeitnehmerdatenschutz erforderlich wären. Ich bin der Auffassung, es wäre vernünftiger, im Bundesdatenschutzgesetz ein eigenes Kapitel für den Arbeitnehmerdatenschutz zu schaffen. Ich bitte Sie, eines zur Kenntnis zu nehmen: Beim Thema Datenschutz geht es nicht nur um den Schutz der vorhandenen Daten, sondern es geht immer auch darum, Datensparsamkeit an den Tag zu legen. ({14}) Es ist also immer auch darauf zu achten, dass möglichst wenige Daten erhoben werden. ({15}) Die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts habe ich schon erwähnt. Das Bundesarbeitsgericht hat die ganz klare Vorgabe gemacht, dass sowohl vor der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses als auch nach Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses nur die personenrelevanten Daten erhoben werden dürfen, die für die Beantwortung der Frage relevant sind, ob das Beschäftigungsverhältnis begründet bzw. fortgesetzt oder beendet werden sollte oder muss. Daran werden wir uns orientieren, genauso wie an den festen Grundsätzen der Freiwilligkeit und der Einwilligung. Es dürfen nur die Daten gespeichert werden, die vom betroffenen Arbeitnehmer oder Bewerber freiwillig herausgegeben werden. Die Persönlichkeitsrechte des Bewerbers und insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind bei der Erhebung von Daten stets zu wahren. Es dürfen insbesondere nur Fragen zu dienstlich relevanten Vorgängen gestellt werden. Dies gilt allerdings schon heute. Meine lieben Kollegen von den Grünen, Sie haben in Ihrem Antrag, der sehr umfangreich ist, viele Allgemeinplätze aufgeführt, die völlig überflüssig sind. Sie sind deshalb überflüssig, weil sie schon längst geltendes Recht sind. Die Frage nach einer Schwangerschaft oder einer geplanten Schwangerschaft ist schon heute arbeitsrechtlich unzulässig. ({16}) Das Gleiche gilt für die Überwachung mit Videokameras; ({17}) hier besteht, um das deutlich zu sagen, Klarstellungsbedarf. Wir wollen dafür sorgen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland nicht mit speziellen Videokameras bespitzelt werden. In manchen Unternehmen ist dies notwendig, um dafür zu sorgen, dass die Waren gesichert sind und damit dann, wenn Waren gestohlen werden, diesem Diebstahl nachgegangen werden kann. Wir sind aber der festen Überzeugung, dass es nicht erforderlich ist und nicht zulässig sein darf, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit speziellen Videokameras zu bespitzeln. Lieber Kollege Scholz, Sie haben die private Nutzung des Telefons angesprochen und dafür plädiert, dass es generell zulässig sein sollte, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland das dienstliche Telefon zu privaten Zwecken nutzen. Dies mag in dem einen oder anderen Fall vielleicht richtig sein. Ich sage aber ganz offen: Diese Forderung im Sinne einer Generalklausel zu formulieren und sie der Wirtschaft in der jetzigen Situation ins Stammbuch zu schreiben, halte ich für vollkommen deplatziert und verfehlt. ({18}) Wir werden des Weiteren darauf achten, dass passgenaue, zielgenaue Regelungen getroffen werden und nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, dass also nicht vollkommen bürokratische und unverhältnismäßige Regelungen getroffen werden. Ein Kernanliegen der neuen Regierungskoalition ist, die Rolle des Bundesdatenschutzbeauftragten zu stärken, stets seine Unabhängigkeit zu wahren und seine personelle und sächliche Ausstattung zu verbessern. Ich warne aber davor, im Rahmen eines Arbeitnehmerdatenschutzrechts durch die Hintertür Änderungen am Arbeitsrecht vorzunehmen. Liebe Kollegen von der SPD, es ist schon erwähnt worden, dass ein Punkt in Ihrem Gesetzentwurf mit Arbeitnehmerdatenschutz überhaupt nichts zu tun hat. In § 6 Abs. 6 Ihres Gesetzentwurfes steht, dass einem Bewerber sämtliche Kosten, zum Beispiel Fahrtkosten, und Auslagen für ein Bewerbungsgespräch zu erstatten sind, wenn der Arbeitgeber ihn zur persönlichen Vorstellung auffordert. Diese Regelung hat mit Arbeitnehmerdatenschutz wirklich überhaupt nichts zu tun. ({19}) Stephan Mayer ({20}) Ich warne, wie gesagt, davor, jetzt durch die Hintertür Regelungen einzuführen, die mit dem Arbeitnehmerdatenschutz überhaupt nichts zu tun haben. ({21}) Des Weiteren müssen wir meines Erachtens unheimlich aufpassen, dass wir dem individuellen Anspruch des Arbeitnehmers bzw. des Bewerbers gerecht werden, dass mit seinen personenbezogenen Daten sorgfältig und ordnungsgemäß umgegangen wird. In diesem Zusammenhang halte ich aber überhaupt nichts von der Forderung der Grünen, ein neues Verbandsklagerecht einzuführen. ({22}) Ich sage ganz offen: Ich stehe dem Institut des Verbandsklagerechts ohnehin sehr skeptisch und distanziert gegenüber. ({23}) Ich persönlich bin nämlich der Auffassung, dass es nicht in unsere Rechtssystematik passt. Natürlich muss jemand, der sich in seinen Rechten verletzt fühlt, dies individuell gerichtlich geltend machen können. Das heißt aber nicht, dass wir für Betriebsräte oder für Gewerkschaften eine ausufernde Ausweitung des Rechtsinstitutes des Verbandsklagerechtes schaffen müssten. Dem müssen wir Einhalt gebieten. Wir brauchen kein neues Verbandsklagerecht in diesem Bereich. Seien Sie versichert, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Wir werden uns mit dem wichtigen Thema, wie wir den Arbeitnehmerdatenschutz verbessern können, in dieser Legislaturperiode sehr zielgenau, sehr sorgfältig und sehr seriös auseinandersetzen. Der Antrag und der Gesetzentwurf, den die einzelnen Oppositionsfraktionen eingebracht haben, sind übereilt und vorschnell eingebracht worden. Gemach, gemach! Seien Sie versichert: In wenigen Monaten werden wir wesentlich mehr Licht ins Dunkel bringen. Herzlichen Dank. ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Anette Kramme von der SPD-Fraktion. ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der Union und von der FDP, Sie haben recht: Die Opposition sollte präzise arbeiten. Wir werden uns bemühen, diesem Anspruch immer gerecht zu werden. ({0}) Im Gegenzug sollte die Kritik der Regierung Substanz haben, und die Regierung sollte an der einen oder anderen Stelle auch Vorschläge unterbreiten. Meine Damen und Herren, was ich von Ihnen höre, läuft im Prinzip auf eines hinaus: Sie wollen kein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, Sie wollen keine zusätzlichen Regelungen. Ich höre von der FDP, Betriebsvereinbarungen seien so toll. Diese Möglichkeit gibt es bereits. Und, ist in diesem Lande etwas passiert? Ich höre von Ihnen, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes sei spitze. Das mag dem Grunde nach zutreffend sein; aber die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist Einzelfallrechtsprechung und hilft uns deshalb überhaupt nicht weiter. Wir haben eine Unzahl von Skandalen in der Republik. Ich weiß nicht, ob Ihre Einschätzung korrekt ist, dass es sich um einige wenige Einzelfälle handele. Man gewinnt vielmehr den Eindruck, dass wir nur die Spitze des Eisberges sehen und auf viel mehr gefasst sein müssen. Es ist richtig: Es gibt einige Spielregeln zum Datenschutz. Es fehlen jedoch Regeln, die den immensen Stellenwert des Datenschutzes im Arbeitsverhältnis verdeutlichen. Wir haben im Juli dieses Jahres Neuregelungen vorgenommen; das ist sehr erfreulich. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang Rechtsprechung festgeschrieben worden. Schon der damalige Gesetzgeber hat aber klar und deutlich gesagt: Ein eigenständiges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz ist unentbehrlich. Beim Arbeitnehmerdatenschutzgesetz geht es um Menschenwürde. Solch ein Gesetz darf deshalb kein Anhängsel zu irgendeinem anderen Gesetz sein. Natürlich hat der Arbeitgeber ein Informationsinteresse, und er hat auch ein Informationsrecht. Entscheidend ist aber: Wo werden die Grenzen gezogen? Die Grenzziehungen sind leider sehr unpräzise. Das Bundesdatenschutzgesetz weist viele Lücken auf, sodass in ganz vielen Fällen auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückgegriffen werden muss. Wir haben die Problematik, dass Rechtsprechung immer nur Einzelfallrechtsprechung ist. So gibt es bei der Telefonüberwachung eben keine generelle Regelung dazu, was der Arbeitgeber darf und was nicht. Es ist keine leichte Aufgabe, detaillierte Regelungen zu treffen. Die technischen Möglichkeiten sind weit fortgeschritten; aber wir brauchen vor allen Dingen Regelungen in Bereichen, die altbekannt sind. Wir brauchen deshalb einen beherzten Gesetzgeber. Der ist an dieser Stelle leider nicht zu erkennen. ({1}) Leider können Datenschutzregelungen derzeit fast immer durch eine individuelle Einwilligung des Arbeitnehmers aufgehoben werden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum das so sein muss. Warum sind Regelungen zu Urlaubsansprüchen und viele andere Regelungen im Arbeitsrecht unabdingbar, die Regelungen zum Datenschutz aber nicht? ({2}) Was ist beispielsweise bei Bewerbungsgesprächen? Dabei geht es eben nicht um einen Offenbarungseid des einzelnen Bewerbers oder der einzelnen Bewerberin, sondern es existieren Rechte und Pflichten. Deshalb brauchen wir dort klare und präzise Regelungen. ({3}) Es ist leider auch völlig unklar, wann ärztliche Untersuchungen erlaubt sind und wann nicht. Das Bundesarbeitsgericht sagt: Ärztliche Untersuchungen und Psychotests sind nur zulässig, wenn sie unbedingt nötig sind und nur in entsprechendem Umfang. - Was ist aber nötig, und was ist unnötig? ({4}) Ich sage: Entschuldigung, aber so geht es nicht. Unentbehrlich sind vor allen Dingen Regelungen zur Videoüberwachung. Die Videoüberwachung liegt in der Beliebtheitsskala der Arbeitgeber leider ganz vorne, und leider haben wir gerade in diesem Bereich eine vollkommene Unklarheit darüber, wann die Videoüberwachung heimlich oder öffentlich erlaubt oder nicht erlaubt ist. Deshalb geht es darum, auch an dieser Stelle präzise Regelungen zu haben. Es gibt eine Spezialvorschrift für öffentliche Räume, es gibt sehr spezielle Gerichtsentscheidungen, und seit kurzem gibt es eine Regelung zur Videoüberwachung in Bezug auf Straftaten, aber nichts Generelles. Deshalb müssen wir an dieser Stelle ganz klar sagen: Videoüberwachung nicht zur Leistungskontrolle, und Videoüberwachung vor allen Dingen grundsätzlich nicht heimlich! ({5}) Meine Damen und Herren, Neugierde ist sehr menschlich, und viele von uns wollen mehr über ihre Mitmenschen wissen. Wenn es aber um die spezifische Neigung von Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen geht, dann sollten wir klare Grenzen ziehen und verständliche Regelungen schaffen. Wir sollten auch eines berücksichtigen: Der loyalste Arbeitnehmer wird demotiviert, wenn ihm nur Misstrauen entgegenschlägt. Durch Misstrauen wird man demotiviert. Ich bin mir ganz sicher: Durch ein Beschäftigungsdatenschutzgesetz würde mehr Wachstum geschaffen als durch Ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz. In dem Sinne: Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Sebastian Blumenthal von der FDP-Fraktion. ({0})

Sebastian Blumenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004013, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schutz von Arbeitnehmerdaten hat für die FDP einen Stellenwert, der weit über den des Schutzes von Arbeitnehmerrechten hinausgeht. Persönliche Daten sind für uns Bestandteile individueller Freiheit. Durch die Bespitzelungsaktionen von einigen Unternehmen, die uns in der jüngsten Vergangenheit zur Kenntnis gelangt sind, wird das Erfordernis eines wirksamen Arbeitnehmerdatenschutzes verdeutlicht. Darüber besteht kein Zweifel. ({0}) Es ist daher dringend erforderlich, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Überwachungen am Arbeitsplatz wirksam geschützt werden. Nur solche Daten sollten verarbeitet werden, die für das Arbeitsverhältnis erforderlich und insofern für das Unternehmen unverzichtbar sind. Die angestrebten Regelungen müssen dabei für die Bewerber und für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichsam praxisgerecht und verlässlich sein. ({1}) Insofern ist die Initiative der SPD als Grundlage für eine zielorientierte Diskussion durchaus begrüßenswert. Dieser Entwurf ist auch deshalb hilfreich, weil durch ihn verdeutlicht wird, welche Schwierigkeiten und technischen Probleme in der Diskussion leicht übersehen werden. So ist in dem Entwurf der SPD unter anderem vorgesehen, dass erstens die Verkehrsdaten der Arbeitnehmer nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen durch die Arbeitgeber erhoben und verwendet werden dürfen, zum Beispiel zur Gewährleistung der Datensicherheit. Zweitens müssen solche Daten nach Ansicht der SPD nach spätestens sieben Tagen gelöscht werden. Damit sind Daten nach dem Telekommunikationsgesetz gemeint, also solche Daten, die durch die Nutzung von Telefon, E-Mail-Verkehr und Internetverbindungen sowie anderen Telekommunikationsdienstleistungen übertragen und erzeugt werden. Damit würde die SPD - das ist die Kehrseite Ihres Entwurfs - in diesem Fall entgegen ihrer eigentlichen Absicht aber mehr Unsicherheit für die Beteiligten und Betroffenen schaffen; ({2}) denn die Forderungen der Sozialdemokraten stehen nicht nur in einem logischen Widerspruch zu einem anderen Gesetz, das die SPD selbst eingebracht und verabschiedet hat, sie sind auch rechtlich und technisch überhaupt nicht damit zu vereinbaren. Damit komme ich zurück auf ein Gesetz, das in diesem Hause am 9. November 2007 beschlossen worden ist, nämlich auf das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung. Zentraler Bestandteil dieses Gesetzes ist die von der FDP entschieden abgelehnte Vorratsdatenspeicherung. Seit Januar 2008 sind demnach alle Telekommunikationsdienstleister und Internetprovider verpflichtet, die Verkehrsdaten jeglicher Telekommunikation für sechs Monate auf Vorrat zu speichern. Konkret heißt das, dass bei Telefonverbindungen die Rufnummern von Anrufer und Angerufenem sowie die Anrufzeit gespeichert werden müssen. Bei Verbindungen mit Mobiltelefonen muss die IMEI-Nummer, also die physikalische Geräte-ID, zusätzlich mitgespeichert werden. Beim Verbindungsaufbau mit dem Internet ist eine Speicherung der vergebenen IP-Adresse vorgeschrieben. Beim Zugriff auf das Postfach müssen der Benutzername und die IP-Adresse gespeichert werden. Ich führe das technisch etwas dezidierter aus, um Ihnen klarzumachen, in welcher Tiefe wir uns damit beschäftigen sollten; denn allzu oft war in der Vergangenheit zu erkennen, dass sich die politischen gestalterischen Kräfte offenbar ohne fachliches Grundverständnis diesem Thema genähert haben. Das möchten wir von der FDP jetzt ändern. ({3}) Wir betrachten also genau die Daten, die nach dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für den Zeitraum von sechs Monaten gespeichert werden müssen. Solche Daten dürfen nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der SPD zum Arbeitnehmerdatenschutz nur in seltenen Ausnahmefällen gespeichert werden und sind dann - Zitat aus Ihrem Entwurf - „unverzüglich zu löschen“. In der Telekommunikationsbranche in Deutschland sind etwa 200 000 Arbeitnehmer beschäftigt. Die allermeisten dieser Mitarbeiter bringen sowohl dienstlich als auch privat Festnetz, Mobiltelefon, Internet und E-Mail zum Einsatz. Wie sollen und müssen sich nun die Arbeitgeber dieser Branche gegenüber ihren Arbeitnehmern verhalten? Sind sie verpflichtet, die Verkehrsdaten im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung für sechs Monate zu speichern? Um den Vorgaben des SPD-Entwurfs gerecht werden zu können, dürfen sie diese Daten aber nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen speichern. Diese müssen dann nach sieben Tagen wieder gelöscht werden. Nach SPD-Ansicht muss der Arbeitgeber also Daten speichern, die er eigentlich gar nicht speichern darf. Also unabhängig davon, wie es der Arbeitgeber macht, er verhält sich falsch. Sie bringen ihn in Verlegenheit. Das kann keine Rechtssicherheit schaffen. ({4}) Nach Auffassung der FDP kann dies nicht zielführend sein. Es fällt ein Widerspruch auf. Weshalb beschließen Sie von der SPD erst ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, und warum legen Sie uns jetzt einen Entwurf vor und tun so, als ob es diese gar nicht gäbe? Das kann nicht funktionieren. ({5}) Insbesondere bei der Vorratsdatenspeicherung müssen wir - wie auch im Koalitionsvertrag vereinbart - zunächst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten und diese zur weiteren Klärung und Einarbeitung in einen inhaltlich belastbaren Gesetzentwurf, den wir von der Koalition noch vorlegen werden, integrieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es besteht kein Zweifel daran, dass wir uns hierbei einig sind. Darüber können wir uns gern gemeinsam weitergehende Gedanken machen. Wichtig ist aus meiner Sicht und aus der Sicht der FDP-Fraktion, dass wir uns diesem Thema technisch fundiert nähern und es ganzheitlich betrachten, um allen Belangen gerecht zu werden. Dabei können wir die Arbeitgeber auch nicht außen vor lassen. Es darf nicht nur aus einer Sicht betrachtet werden. Das möchten wir nicht. Insofern freue ich mich auf die gemeinsame Arbeit mit dem Ziel, eine Verbesserung herbeizuführen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sehr geehrter Herr Kollege Blumenthal, auch Ihnen gratuliere ich im Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag. ({0}) Das Wort hat nun der Kollege Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke. ({1})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich ist eine Regelung dringend notwendig. Das müsste eigentlich unbestritten sein. Ich möchte noch einmal auf einige Vorgänge eingehen. Bei der Deutschen Bahn wurden systematisch persönliche Daten wie Anschrift, Telefonnummer und Bankverbindung gespeichert. Das gegenüber der Deutschen Bahn verhängte Bußgeld betrug übrigens 1,1 Millionen Euro bei einem Jahresumsatz von 33,5 Milliarden Euro. Das bezahlt die Deutsche Bahn aus der Portokasse. Das wird sie nicht abschrecken. Das zweite Beispiel ist Lidl. Zu Lidl will ich ein paar Sätze mehr sagen. Bei Lidl wurden Detektive gegen die eigene Belegschaft eingesetzt. Ich möchte zur Kenntnis geben, welche hervorragenden Erkenntnisse diese Detektive bei Lidl gewonnen haben. Ich trage aus dem Bericht der Detektive vor: Dienstag 16.40 Uhr. „Ich spreche mit Frau T. über Diebstähle, die eventuell durch Mitarbeiter begangen werden können, und versuche, sie etwas auszufragen. Frau T. erwähnt einen konkreten Verdacht gegenüber Frau L. Die Vermutung wird hauptsächlich durch die Tatsache begründet, dass Frau L. sehr introvertiert ist.“ - Das sind bemerkenswerte Erkenntnisse. Ein weiterer Bericht dieses Detektivs: „Sie sitzt zusammen mit Frau L. im Pausenraum. Die Kräfte unterhalten sich über Gehälter, Zuschläge und oft bezahlte Überstunden. Frau M. hofft ebenfalls, dass ihr Gehalt bereits heute gutgeschrieben wird, da sie für heute Abend dringend Geld benötigt ({0}).“ Was waren dort für Schwachmaten am Werk? Warum wird gefragt, aus welchem Grund die Frau ihr Geld noch nicht auf ihrem Konto hat? Weil sie offensichtlich in diesem Unternehmen sehr wenig verdient und trotzdem ausspioniert wird. Das könnte vielleicht eine Erkenntnis sein. ({1}) Ich kann es Ihnen nicht ersparen, den Bericht noch an einer Stelle fortzusetzen. Darin heißt es: „Frau U. schien mir nicht ganz bei der Sache zu sein. Sie spricht sehr unkonzentriert. Das liegt vielleicht daran, dass sie diese Woche heiratet. Dann hätte sie allerdings die ganze Woche Urlaub nehmen müssen.“ Wir reden hier über Datenschutz. Wenn wir uns nicht darauf verständigen, dass das Ausspionieren von Mitarbeitern durch Detektive ein Straftatbestand wird, dann werden wir daran nichts ändern. ({2}) In der Debatte über den Datenschutz ist von der Koalition zu hören, wir sollten nicht von Misstrauen gegenüber der Wirtschaft reden. „Gemach, gemach“, hat Herr Mayer gesagt, „bitte keine übereilten Vorschläge. Wir sollten nichts übers Knie brechen.“ Meine Damen und Herren von der Regierung, ich sage Ihnen eines: Mit jedem Tag, der verstreicht, ohne dass Sie dies regeln, sind Sie mitverantwortlich dafür, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land ausspioniert werden und dass sich ihnen gegenüber der Datenmissbrauch häuft. ({3}) - Ja, sie haben elf Jahre nichts gemacht, aber ihr auch nicht. ({4}) Sie können sich aufregen, wie Sie wollen. Ich verstehe, dass Sie Ihre Klientel in der Wirtschaft nicht mit einem besonderen Datenschutzgesetz belasten wollen. ({5}) Ich kann Ihnen auch den Grund dafür nennen: Weil Sie die Spenden aus der Großindustrie bekommen, die bei diesem Thema ganz besonders belastet ist. Deshalb sind Sie nicht bereit, ein vernünftiges Gesetz auf den Weg zu bringen. ({6}) Diese Auswüchse nehmen zu. ({7}) - Wie war das mit Brandenburg? Das ist ja bemerkenswert, dass ausgerechnet Sie mit dem Finger auf Brandenburg und die Stasi zeigen. Wissen Sie, wie der Artikel im Stern überschrieben war? „Die Lidl-Stasi“, und dagegen unternehmen Sie nichts. Sie blasen sich beim Thema Brandenburg auf wie ein Frosch, kurz bevor er platzt, aber wenn es ernst wird, dann laufen Sie weg. Das ist die Realität. ({8}) Inzwischen geht es so weit, dass Bewerber Bluttests machen müssen, bevor sie eingestellt werden. Das ist bei Rundfunkanstalten, bei Daimler und anderen großen Unternehmen üblich. Wissen Sie, was das ist? Das ist moderner Vampirismus. ({9}) Was machen die eigentlich mit unserem Blut? Wer ist dafür verantwortlich, was dort passiert? Wenn Sie nicht der Auffassung wären, nichts unternehmen zu müssen und alles beim Alten zu lassen, dann hätten Sie nicht nur gesagt, dass SPD und Grüne elf Jahre zu spät dran sind - damit haben Sie recht -, sondern Sie hätten auch selber etwas vorgelegt. Das sind Sie schuldig, und dass Sie es nicht tun, ist ein Skandal. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Konstantin von Notz vom Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern intensiv über SWIFT und die datenschutzrechtlichen Folgen diskutiert. Heute führen wir eine durchaus heftige, aber auch unterhaltsame Diskussion über ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Wir alle sollten uns vor Augen führen, dass in den nächsten Jahren der Datenschutz eines der ganz zentralen Themen in diesem Haus sein muss. ({0}) Früher war die Bundesrepublik Deutschland beim Datenschutz weit vorne. Das ist aber lange her; das war in den 70er-Jahren. Herr Mayer, Sie haben davon gesprochen, dass Sie nichts über das Knie brechen wollen. Das hört sich für mich so an, als ob das Ganze auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden soll. Frau Piltz, ich vermute, dass Sie guter Absicht sind. Aber gerade an Ihrem Geburtstag gebe ich Ihnen den Rat: Passen Sie auf! Ich habe das Gefühl, dass in der Koalition keine Einigkeit darüber besteht, wie dringend und schnell ein solches Gesetz kommen muss. Es muss aber jetzt kommen; denn die Skandale passieren jetzt. ({1}) Das Netzzeitalter bzw. die digitale Revolution - das ist im Grunde die entscheidende Veränderung - zwingt uns jetzt dazu, endlich zu handeln. Der Datenschutz muss nach Ansicht der Grünen in das Grundgesetz aufgenommen werden. Er ist ein zentrales Anliegen der Bürgerinnen und Bürger und bedarf einer entsprechenden Wertschätzung und Berücksichtigung. Wir brauchen des Weiteren eine Überarbeitung und eine Reform des - das geben Sie im Koalitionsvertrag offen zu - etwas vermurksten Bundesdatenschutzgesetzes. Und wir brauchen ein eigenständiges und schlagkräftiges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, wie es unter anderem auch der Bundesdatenschutzbeauftragte fordert. ({2}) Herr Scholz, wir freuen uns zwar, dass Sie wieder den alten Gesetzentwurf aus der Schublade geholt haben. Sie haben aber leider keinen Federstrich an ihm verändert. Inzwischen ist viel passiert. Der moderne Vampirismus in Form von Bluttests, die Herr Ernst eben angesprochen hat, und vieles mehr muss Berücksichtigung in einem modernen Arbeitnehmerdatenschutzgesetz finden. Wir fordern insbesondere die Verbandsklage als zusätzliche Möglichkeit. Herr Mayer, wie Sie als Rechtsanwalt sicherlich wissen, sind der einzelne Arbeitnehmer und die einzelne Arbeitnehmerin in einem Machtgefüge, wie es ein Konzern oder ein großes Unternehmen, das überwacht und bespitzelt - das sind in der Tat Stasimethoden -, darstellt, ziemlich machtlos und hilflos sowie auch oft in finanzieller Hinsicht in einer prekären Situation. Deshalb macht eine Verbandsklage durchaus Sinn. ({3}) In einem anderen Punkt fällt der SPD-Gesetzentwurf leider sogar hinter das geltende Bundesdatenschutzgesetz zurück. Nicht nur die „böse“ Wirtschaft, sondern selbstverständlich auch Behörden müssen sich den angestrebten gesetzlichen Anforderungen unterwerfen. Herr Korte hat die Skandale völlig zu Recht angesprochen. Wir warten ganz gespannt darauf, wann der fulminante Aufschlag zur Verbesserung der Situation kommt. Ich habe zwar Sorge um Lobbyeinflüsse, glaube aber, dass es in der Koalition grundsätzlich positive Ansätze gibt. Setzen Sie diese Ansätze durch! Dann haben Sie unsere Unterstützung. Herr Frieser, Sie haben davon gesprochen, dass es hier keines Arbeitsauftrages bedarf. Die Sache eilt aber. Wir müssen hier schnell vorankommen; denn der Staat ist - das sage ich im Hinblick auf die Vorratsdatenspeicherung - kein gutes Vorbild für die Unternehmen. Wir sollten uns klarmachen, dass der Staat eine Vorbildfunktion hat. ({4}) Man kann den Unternehmen nicht aufgeben, massenhaft Daten ohne jeden Tatverdacht zu speichern, und anschließend sagen: Hier läuft vieles falsch. ({5}) - Doch, so ist es leider, Herr Uhl. - Wir sollten uns hier unserer Vorbildfunktion bewusst werden. Dieses Land braucht einen Aufbruch im Datenschutz. Alle, die dafür glaubwürdig und ernsthaft streiten, werden wir, die Bundestagsfraktion der Grünen, tatkräftig unterstützen. Wir haben als Grüne den Ehrgeiz, dass dieses Land beim Datenschutz wieder weit vorne ist. Dafür sollten wir gemeinsam streiten. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte sind uns nun schon einige zeithistorische Forschungsergebnisse zum Thema Arbeitnehmerdatenschutz präsentiert worden. Der Kollege Olaf Scholz hat die Debatte eröffnet, indem er über die Zeit der Großen Koalition gesprochen hat, in der er selber als Bundesminister Verantwortung getragen hat. Er hätte auch, weil er schon damals dem Deutschen Bundestag angehört hat, mit dem Jahr 2002 anfangen können; denn damals haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen die zweite Auflage ihrer rot-grünen Koalition begonnen und in ihrer damaligen Koalitionsvereinbarung festgehalten, dass der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erstmals in einem Arbeitnehmerdatenschutzgesetz verankert werden soll. Wie wir alle wissen, ist daraus nichts geworden. Deswegen mein erster Ratschlag an die verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten und vom Bündnis 90/Die Grünen, auch an den neuen Kollegen, der eben gesprochen hat: Ich würde mich mit der Äußerung „Jetzt muss aber schnell gehandelt werden!“ etwas zurückhalten, wenn man aus der eigenen Koalitionsvereinbarung 2002 zum Thema Arbeitnehmerdatenschutz nichts gemacht hat. ({0}) Herr Kollege Scholz, weil Sie und andere Redner auf die Bemühungen und Beratungen in der Großen Koalition gemeinsam mit uns, den Christdemokraten und den Christlich-Sozialen, zu sprechen gekommen sind, möchte ich darauf hinweisen, dass in der Kabinettssitzung am 18. Februar das Ergebnis des Spitzengesprächs, das schon erwähnt worden ist, mit folgendem Ergebnis thematisiert worden ist - ich zitiere -: Peter Weiß ({1}) Angesichts der Komplexität eines solchen Vorhabens geht die Bundesregierung aber davon aus, dass die Arbeiten erst in der nächsten Legislaturperiode zum Abschluss gebracht werden können. Das heißt, die Einschätzung, dass wir noch in der vergangenen Legislaturperiode wirklich etwas zustande bringen, war bereits am 18. Februar im Kabinett zumindest infrage gestellt worden. Deshalb, glaube ich, sollten wir jetzt einmal langsam die zeithistorischen Erörterungen zum Thema Arbeitnehmerdatenschutz abschließen und uns der Zukunft zuwenden. Fakt ist, dass diese neue Koalition aus CDU/CSU und FDP in ihrem Koalitionsprogramm festgeschrieben hat: Wir wollen den Arbeitnehmerdatenschutz umfassend regeln, und wir wollen das dadurch tun, dass wir den Arbeitnehmerdatenschutz in einem eigenen Kapitel des Bundesdatenschutzgesetzes ausgestalten. Nun ist schon in einigen Debattenbeiträgen bereits vorgetragen worden, dass man es nur richtig machen könne, wenn man ein eigenes Gesetz vorlege. Aber ich glaube, der Hinweis vom Kollegen Scholz in seiner Eingangsrede ist vollkommen richtig: Es kommt nicht auf den Ort an, es kommt auf den Inhalt und darauf an, dass wir wirklich verlässliche, klare, eindeutige Regelungen zum Arbeitnehmerdatenschutz ins Gesetz schreiben. Ob das ein eigenes Gesetz ist oder ein eigenes Kapitel im Bundesdatenschutzgesetz, ist eine zweitrangige Frage. Es ist vielleicht aber durchaus eine Frage für die praktische Anwendung. ({2}) Je mehr Einzelgesetze wir haben, desto unübersichtlicher wird es. ({3}) Man soll auch an den normalen Bürger und nicht nur an den Fachjuristen denken. Der normale Bürger ist froh, wenn er weiß: Die Vorschriften, die mich betreffen und meinen Schutz vor Datenschnüffelei finde ich in einem Gesetz, in dem etwas Qualifiziertes zum Arbeitnehmerdatenschutz steht. - Deswegen ist unser Weg richtig. ({4}) Nun werden im Arbeitsleben in unterschiedlichen Bereichen Daten gesammelt und verwertet, die besonders schutzwürdig sind. Internet und E-Mail-Verkehr hinterlassen Spuren in den betrieblichen Archivsystemen, Gesundheitsdaten werden von unterschiedlichen Stellen, manchmal auch im Vorstellungsgespräch, abgefragt, Videoüberwachung von Firmen, Anlagen und Geschäftsräumen ist heute weit verbreitet. Mit elektronischen Betriebs- und Dienstausweisen wird das Kommen und Gehen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dokumentiert. In sogenannten Skill-Datenbanken werden Kenntnisse, Erfahrungen und Kompetenzen von Mitarbeitern zum Teil konzernweit verwaltet. Unser erklärtes Ziel ist, allen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Datenschutzniveau zu sichern und den Missbrauch privater Daten zu verhindern. Ein Hinweis, den man in einer solchen Debatte geben sollte: Bezüglich Datenschutz muss jeder bei sich selbst anfangen. Es ist erstaunlich, was etliche Mitbürgerinnen und Mitbürger alles ins Netz stellen. Eine Umfrage des Verbraucherschutzministeriums hat ergeben, dass das diejenigen, die Personalentscheidungen treffen, längst entdeckt haben. Sie lesen nicht nur die schriftlich eingesandten Unterlagen, sondern recherchieren auch im Netz. Aus dieser Umfrage des Ministeriums ist hervorgegangen, dass ein Viertel der Unternehmen gesagt hat: Wir haben Bewerber wegen der Daten, die wir im Netz gefunden haben, nicht genommen. Umgekehrt gilt aber auch, dass 56 Prozent der Unternehmen erklärt haben: Wir haben Bewerber gerade deswegen genommen, weil wir im Netz interessante Informationen über sie gefunden haben. Jeder sollte beim Datenschutz also bei sich selbst anfangen und sich die Frage stellen: Welche Daten über mich selbst stelle ich ins Netz? Das kann natürlich nicht genügen. Der Arbeitnehmerdatenschutz muss - das ist schon mehrmals betont worden - verbessert und gestärkt werden. Die Achtung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollte ebenso zu den guten und fairen Arbeitsbedingungen gehören wie gerechte Bezahlung und Chancengleichheit. Ein guter Beschäftigtendatenschutz erhöht zudem die Motivation, trägt und fördert die Arbeitszufriedenheit und bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Standortvorteil. Ich möchte noch einmal, an die Opposition gerichtet, sagen: Es ist nett, dass Sie, Sozialdemokraten und Grüne, heute einen Gesetzentwurf und einen Antrag vorlegen. Kaum ist man nicht mehr in Regierungsverantwortung, lässt sich zu diesem Thema offensichtlich sehr leicht etwas vorlegen. ({5}) - Bei Ihnen ist es vier Jahre her. Bei den Sozialdemokraten ist es erst wenige Wochen her. ({6}) Ich bin zuversichtlich, dass uns der Bundesinnenminister in einem angemessenen Zeitraum einen soliden, fundierten Entwurf für eine gesetzliche Regelung des Arbeitnehmerdatenschutzes vorlegen wird. In der Tat ist die Zeit des Jammerns und Redens vorbei. Wir tun jetzt etwas. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Josip Juratovic von der SPD-Fraktion. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als ich 1983 im Audi-Werk in Neckarsulm zu arbeiten angefangen habe, habe ich in der Personalabteilung als Erstes eine Karteikarte bekommen. Es war ziemlich eindeutig, zu sehen, was dort über mich gespeichert wird. Diese Karteikarte existiert natürlich nicht mehr. Wir haben eine enorme technische Entwicklung hinter uns. Von dieser Entwicklung haben wir viel profitiert. Bei Audi habe ich in der Lackiererei gearbeitet. Ich hatte einen gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatz. Die Automatisierung hat diese Arbeit menschenfreundlicher gestaltet. Infolge der technischen Entwicklung werden auch die Daten der Beschäftigten bei Audi nicht mehr auf Karteikarten gespeichert, sondern in elektronische Systeme eingespeist. Heute gibt es keine Stempelkarten mehr, sondern elektronische Chipkarten. Das kann bequem sein. Aber bei der Chipkarte sieht man nicht mehr, was genau darauf gespeichert wird und wer darauf Zugriff hat. Man sieht nicht, wer was kontrollieren kann. Diese Informationen können, wie wir alle wissen, missbraucht werden. Wie jeder technische Fortschritt birgt die Automatisierung der Datenverarbeitung auch Risiken. Um diese Risiken einzuschränken, brauchen wir ein wirksames Gesetz für den Arbeitnehmerdatenschutz. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hat in unserem Land eine bewegte und wichtige Geschichte. Um nicht weniger als um dieses Grundrecht geht es beim Arbeitnehmerdatenschutz. ({0}) Wir haben heute bereits einiges über all die großen Konzerne und ihre Skandale gehört. Heute geht es aber nicht darum, auf die schwarzen Schafe zu zeigen; heute müssen wir zeigen, warum ein Gesetz aus einem Guss Vorteile für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bietet. Erstens. Wir müssen die Rechte der Arbeitnehmer eindeutig definieren. Viele Arbeitnehmer wissen nicht, welche Daten sie bei ihrem Arbeitgeber angeben müssen und welche nicht. Viele haben Angst, bei Widerstand ihren Job zu verlieren oder bei der Einstellung durchzufallen. Die Ansprüche der Unternehmer werden immer höher. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich bin mir sicher, dass bei gewissen Einstellungstests vielleicht nur jeder Zehnte unter uns hier die Ansprüche manch eines Unternehmens in der freien Wirtschaft erfüllen würde. ({1}) Deshalb müssen wir den Menschen mit einem klaren Gesetz diese Angst nehmen. Zweitens. Für Arbeitgeber muss klargestellt werden, welche Mitarbeiterdaten erhoben und genutzt werden dürfen. Wir müssen aus der rechtlichen Grauzone heraus. Drittens. Sicherlich ist es am besten, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Sinne einer funktionierenden Sozialpartnerschaft in Betriebsvereinbarungen über ein gemeinsames Vorgehen bezüglich der Daten einigen können. Dies ist bereits nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 des Betriebsverfassungsgesetzes möglich. Meine Kolleginnen und Kollegen vom Betriebsrat bei Audi schließen gerade mit der Arbeitgeberseite eine solche Betriebsvereinbarung zur Informationstechnik ab. Aber nicht überall haben wir einen starken Betriebsrat, wenn es überhaupt einen gibt. ({2}) In vielen Bereichen bestehen gesetzliche Lücken, die eine gute Vereinbarung erschweren. Diese gesetzlichen Lücken müssen wir schnellstmöglich schließen. Viertens. Bis heute ist das Verbot heimlicher Kontrollen durch Detektive und Videoüberwachung in keinem Gesetz festgeschrieben. Es ist unklar, wie mit privaten E-Mails am Arbeitsplatz umzugehen ist. Die totale Kontrolle, die heute für moralische Empörung sorgt, muss gesetzlich verboten werden. Für all das reichen keine kleinteiligen Gesetzesänderungen hier und da. Kolleginnen und Kollegen, bisher ist der Arbeitnehmerdatenschutz ein Sammelsurium aus vielen Paragrafen in verschiedenen Gesetzen, aus der Rechtsprechung und aus Rechtsmeinungen. Damit schaffen wir unnötige Bürokratie. Unternehmen benötigen Rechtsberater, um die Details in den verschiedenen Gesetzen zu finden, Arbeitnehmervertreter brauchen ebenfalls teure Beratung, um die Arbeitnehmer und den Arbeitnehmerdatenschutz zu verteidigen. Wer hier immer nach Bürokratieabbau ruft, hat heute die Chance, dabei einen wichtigen Schritt zu machen, indem wir ein klares und eindeutiges Gesetz schaffen. ({3}) Mit dem uns vorliegenden Gesetzentwurf vereinfachen und verbessern wir den Arbeitnehmerdatenschutz. Wir machen deutlich, welche Daten erhoben und gespeichert werden dürfen und wozu sie verwendet werden dürfen. Wir sorgen für Klarheit und schaffen Grauzonen ab, wir stärken die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Bereich des Datenschutzes, und wir schaffen ein klares Verbot von Totalüberwachung am Arbeitsplatz. Für meine Kollegen bei Audi bedeutet das, sie wissen darüber Bescheid, was mit ihrer Chipkarte geschieht, und es ist für jeden einsehbar, wozu die Daten benutzt werden und wer darauf Zugriff hat. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP, Sie haben im Wahlkampf immer mit dem Schutz der Grundrechte geworben. ({4}) Sie hatten sich auch den Arbeitnehmerdatenschutz auf die Fahne geschrieben. Nun weiß ich, dass das mit der Union nicht so einfach ist. Dennoch erlauben Sie mir eine Frage: Können Sie und werden Sie dem Innenministerium beim Arbeitnehmerdatenschutz die Stirn bieten, oder fallen Sie wie in dieser Woche beim SWIFTJosip Juratovic Abkommen um und verhindern damit einen effektiven Schutz der Grundrechte? ({5}) Kolleginnen und Kollegen, der von uns Sozialdemokraten vorgelegte Gesetzentwurf schafft Klarheit, er gibt den Arbeitgebern Sicherheit, und er schützt Arbeitnehmer vor skrupellosen Arbeitgebern. Die übrigen Fraktionen in diesem Haus sind gut beraten, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt gebe ich der Kollegin Gitta Connemann von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Geheimdienst am Arbeitsplatz“, „Im Netz der Späher“ oder „Wenn der Chef Spione schickt“ - so lauten nur einige der Überschriften rund um die Datenschutzskandale der letzten Monate. Die Spitzelvorgänge bei der Bahn oder bei Discounterketten haben uns alle aufgeschreckt, aus gutem Grund: Privatheit ist der Kern der persönlichen Freiheit. Der Anspruch, persönlich nicht ausgeforscht zu werden, gilt auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Mitarbeiter müssen sich darauf verlassen können und darauf vertrauen dürfen, aber sie können es nicht immer. Das zeigt die Bahn: Sie überwachte den E-MailVerkehr ihres Personals und ließ auch Arbeitnehmervertreter beobachten. Dafür musste sie übrigens eine Buße von 1,1 Millionen Euro zahlen. Dieses Beispiel zeigt: Es gibt Unternehmen, die Mitarbeiter ausleuchten. Es zeigt auch, dass ein solches Verhalten schon heute rechtlich belangt werden kann. Es zeigt aber auch, dass die rasante Entwicklung der modernen Kommunikations- und Informationstechnologie uns, auch als Politiker, vor Herausforderungen stellt, Herausforderungen, die seriös angegangen werden müssen. Seriös haben Sie dies, Herr Kollege Ernst, sicherlich nicht getan. Denn ich finde es unerträglich, wenn Sie in Ihrer Rede die sicherlich skandalösen Vorgänge bei einer Discounterkette mit dem Schicksal vergleichen, das Menschen erlitten haben, weil sie von der Stasi bespitzelt worden sind. ({0}) Dieser Vergleich ist unerträglich und ein Schlag für jeden, der über Jahre in Hohenschönhausen oder Bautzen eingesessen hat. Ich finde, da wäre eine persönliche Entschuldigung wirklich angemessen. ({1}) Wir stellen uns den Herausforderungen seriös; denn wir sehen: Private Daten sind en masse zu haben - durch modernste IT-Anwendungen, die ungeahnte Einsichtsund Kontrollmöglichkeiten schaffen, aber auch durch die Menschen selbst, die ihre Daten über das Web 2.0 freiwillig preisgeben. Damit stehen wir als Gesetzgeber vor zwei Kernfragen. Erstens: Welche Daten dürfen Unternehmen von ihren Mitarbeitern erheben? Und vor allem zweitens: Unter welchen Bedingungen dürfen sie es? Dabei sind zwei unterschiedliche Interessen in Einklang zu bringen, nämlich auf der einen Seite das legitime Interesse von Arbeitnehmern, dass ihre privaten Daten geschützt werden. Es geht eben den Arbeitgeber nichts an, was der Mitarbeiter in seiner Freizeit macht, mit wem er liiert ist oder wie sein Gesundheitszustand ist, es sei denn, dieser Zustand oder das Verhalten wirkt sich auf das Arbeitsverhältnis aus. Auf der anderen Seite hat der Arbeitgeber wiederum ein berechtigtes Interesse, kontrollieren zu dürfen, ob interne Regelungen beachtet werden. Auch die Bekämpfung von Straftaten und Korruption muss möglich bleiben, denn Korruption schädigt das Gemeinwohl. Eine aktuelle Studie von PricewaterhouseCoopers beziffert den durch Wirtschaftskriminalität entstehenden Schaden auf 6 Milliarden Euro jährlich - verursacht durch eigene Mitarbeiter, übrigens auch zulasten der anderen Mitarbeiter; denn ohne Aufklärung geraten diese immer in Mitverdacht. Um nicht missverstanden zu werden: Keine Kriminalitätsbekämpfung rechtfertigt einen Rechtsverstoß. Auf der anderen Seite müssen sich aber auch Unternehmen vor Korruption schützen können. Das ist eine Gratwanderung, manchmal auch eine Grauzone. Wir haben schon die einschlägigen Strafgesetze verschärft. Dennoch bestehen Rechtsunsicherheiten. Die Datenschutzbeauftragten haben das entsprechend angemahnt. In einem ersten Schritt hat der ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gemeinsam mit diesem Parlament im Bundesdatenschutzgesetz klargestellt, dass dieses Gesetz auch für Arbeitsverhältnisse gilt. Die Schutzrechte wurden erweitert. Aber es besteht weiterer Handlungsbedarf, immer mit dem Ziel, auf der einen Seite dem Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer einen ausreichenden Schutz zu geben und auf der anderen Seite den berechtigten Interessen der Arbeitgeber Rechnung zu tragen. Diesen Zielkonflikt löst der Gesetzentwurf der SPD nicht auf. Er verdient aus meiner Sicht nur eine Beurteilung: unausgewogen, lebensfremd, widersprüchlich und ein bürokratischer Albtraum. ({2}) Herr Scholz, Ihr Entwurf ist unausgewogen. Denn er normiert nur die Pflicht des Arbeitgebers, die Beschäftigtendaten vertraulich zu behandeln. Eine Pflicht des Arbeitnehmers, betriebliche Daten und die Daten anderer Arbeitnehmer zu schützen, wird demgegenüber nicht begründet. Das ist eine einseitige Zielsetzung zulasten des Kollektivs, also zulasten der anderen Mitarbeiter. Daraus spricht ein Generalverdacht gegen Arbeitgeber. Dieses Zerrbild entspricht nicht der Wirklichkeit. Es ist in unseren kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht an der Tagesordnung, dass Chefs ihre Mitarbeiter bespitzeln. Das ist eine Ausnahme, die wir bekämpfen müssen, aber nicht die Regel. Eine solche Pauschalverurteilung, die Grundlage des Gesetzentwurfs ist, ist unerträglich. ({3}) Ich nenne in diesem Zusammenhang das Thema Videoüberwachung. Der Kollege Mayer hat vollkommen zutreffend darauf hingewiesen, dass diese per se unzulässig ist. Aber sie muss in Ausnahmefällen möglich sein, letztendlich auch aus Arbeitsschutzgründen; denn es gibt Arbeitsplätze mit einem hohen Risiko von Arbeitsunfällen. Das ist beispielsweise bei der Abfüllung von Chemikalien der Fall. Da dient die Videoüberwachung dazu, Sicherheitskräfte im Notfall sofort alarmieren zu können. Diese Möglichkeit wollen Sie abschaffen. ({4}) Das kann doch nicht Sinn und Zweck eines Gesetzes sein. Der Entwurf ist übrigens auch lebensfremd. Ich nenne ein Beispiel, das die Situation von Bewerbern betrifft. Auch allgemein zugängliche Daten sollen nur mit Zustimmung des Betroffenen genutzt werden dürfen. Als Betroffener gilt eben auch der Bewerber. Bei Bewerbungsverfahren ist es heute jedoch absolut üblich, auf das Internet zurückzugreifen. Soziale Netzwerke, Jobbörsen und Bewerberportale sind gerade darauf ausgerichtet, Informationen für potenzielle Arbeitgeber bereitzustellen. Bewerber wollen mittels dieser Medien auf sich aufmerksam machen. Der faktische Ausschluss von Internetrecherchen bei der Einstellung ist unsinnig und schadet den Bewerbern. Das gilt auch für die Vorschrift, die Bewerbungsunterlagen spätestens zwei Monate nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens zu vernichten. Denn das Anlegen von Bewerberpools liegt durchaus im Interesse von Arbeitsuchenden. Der Gesetzentwurf ist ein bürokratischer Albtraum, wenn es um die neu zu schaffende Position eines - man lasse sich dieses Wort einmal auf der Zunge zergehen Beschäftigtendatenschutzbeauftragten geht. Nach dem Willen der SPD soll ein solcher Beschäftigtendatenschutzbeauftragter in jedem Betrieb mit mehr als fünf Arbeitnehmern bestellt werden. Nicht nur, dass die Bezeichnung kaum aussprechbar ist: Dies würde gelten für jeden Bäcker, jeden Tischler und jeden Kfz-Mechaniker. Es würde übrigens auch für uns Abgeordnete gelten. Denn wir beschäftigen in der Regel mehr als fünf Mitarbeiter. ({5}) Das würde für mich bedeuten, dass ich für mein Büro, in dem praktisch alle in einem Zimmer sitzen, eine Beschäftigtendatenschutzbeauftragte berufen müsste, um sicherzustellen, dass keine der Mitarbeiterinnen gegebenenfalls auf Facebook nach den neuesten Fotos ihrer Kolleginnen sucht. Das ist vollkommen absurd. Noch absurder wird es in den Betrieben, in denen dieser Beschäftigtendatenschutzbeauftragte zusätzlich zu dem ohnehin schon existierenden betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellt werden soll. Der betriebliche Datenschutzbeauftragte, den es heute schon gibt, hat nach dem Datenschutzgesetz bereits heute auch die Aufgabe, über die Rechtmäßigkeit der Verwendung der Daten der Beschäftigten zu wachen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Connemann.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vor diesem Hintergrund können wir nur sagen: Dieser Gesetzentwurf ist vollkommen untauglich. Er wird dem legitimen Anspruch der Arbeitnehmer auf einen ausreichenden Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte ebenso wenig gerecht wie dem berechtigten Anspruch der Arbeitgeber auf eine verlässliche Regelung. Wir werden diese gemeinsam schaffen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Connemann, Sie haben gerade eine Entschuldigung von mir verlangt, weil ich die Vorgänge in den Betrieben mit der Stasi verglichen hätte. ({0}) - Sie klatschen zu früh, meine Damen und Herren. Vielleicht ist Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit entgangen, dass der Stern am 27. März 2008 über die Vorgänge berichtet hat, die ich angesprochen habe. Die Überschrift dieses Artikels lautet: „Die Lidl-Stasi“. Im Text wird dann weiter ausgeführt - ich zitiere aus diesem Stern-Artikel -: Montagmorgen um sechs Uhr kommt die Lidl-Stasi bei einer Filiale an. ({1}) Der Vergleich zwischen dem, was in der deutschen Industrie vorgeht, und der Stasi ist nicht von mir, sondern von der deutschen Medienlandschaft. ({2}) Das sollten Sie zum Ersten zur Kenntnis nehmen. ({3}) Zum Zweiten halte ich Folgendes für unerträglich: Auf der einen Seite nehmen Sie die Beschnüffelung durch die Stasi, die mir genauso unangenehm ist und die ich genauso verurteile wie Sie, ({4}) zum Anlass, sich in der Öffentlichkeit wie das MichelinMännchen aufzuplustern. Wenn es aber auf der anderen Seite konkret wird und Beschnüffelungen zu verhindern sind, nämlich im Hier und Jetzt und nicht die vor 20 Jahren, dann kneifen Sie, dann verhindern Sie eine vernünftige gesetzliche Regelung. Das ist Heuchelei; das zu sagen kann ich Ihnen nicht ersparen. ({5}) Wenn Sie eine Entschuldigung wollen, ({6}) dann gehen Sie zur Redaktion des Stern oder schreiben Sie einen Leserbrief. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung Frau Kollegin Connemann. ({0})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege Ernst, es ist das eine, was der Stern titelt. Es ist das andere, was Sie benutzen. Wir sind hier im Deutschen Bundestag. Es obliegt Ihrer Wortwahl, ob Sie im Zusammenhang mit Vorgängen bei Discountern einen vom Stern angestellten Vergleich in Ihren Mund nehmen. ({0}) Fakt ist, Herr Kollege Ernst, dass Sie das Wort „Stasispitzel“ in diese Debatte eingeführt haben, in der es um den Schutz der Arbeitnehmerdaten geht, um ein berechtigtes Interesse der Arbeitnehmer an einem ausreichenden Schutz, der aber in keiner Weise damit zu vergleichen ist. Sie haben gesagt, auch Ihnen sei die Beschnüffelung durch die Stasi unangenehm. Ich finde es bezeichnend, dass Sie von unangenehm sprechen. ({1}) Ich finde es unerträglich und halte es für eines der dunkelsten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte, dass Menschen durch Spitzel ebenjener Stasi in politische Haft in Gefängnissen wie Hohenschönhausen und Bautzen gekommen sind und dort über viele Jahre gefangen waren. Nach wie vor bleibt deshalb der von Ihnen in diese Debatte eingeführte Vergleich der Lidl-Beobachtung mit einem Stasispitzel unerträglich. ({2}) Für den Fall, dass Sie hier weiter solche Vergleiche einführen, würde ich Ihnen sehr raten, sich ein wenig intensiver mit Ihren Kollegen in Brandenburg zu unterhalten, ({3}) deren Vergangenheit, die jetzt ans Tageslicht kommt, die Zukunft dieses Landes bestimmen soll. Da kann ich wirklich nur mit Heine sagen: Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht. Das gilt insbesondere für Sie, Herr Kollege Ernst. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/69 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim Innenausschuss. Die Fraktion der SPD wünscht die Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Ich lasse deshalb zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der SPD - Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Überweisungsvorschlag mit großer Mehrheit abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP - Federführung beim Innenausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit der gleichen Mehrheit angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5 c. Die Vorlage auf Drucksache 17/121 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Kerstin Andreae, Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Moratorium für Stuttgart 21 - Wirtschaftlichkeit des Großprojektes vor Baubeginn sicherstellen - Drucksache 17/125 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Es handelt sich um eine Überweisung im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 17/125 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Bildungsproteste nicht aussitzen - Hochschulgipfel vorziehen Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann von der SPD-Fraktion. ({1})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser Aktuellen Stunde möchte die SPD-Bundestagsfraktion ein Anliegen in dieses Parlament einbringen, das viele Menschen bewegt: Es bewegt Studierende, es bewegt die Hochschulen, es bewegt die Öffentlichkeit. Gestern hat der Bundespräsident eine hervorragende Rede zu diesem Anlass gehalten. ({0}) Deshalb haben wir dieses Thema aufgenommen. Es ist wichtig, dieses Thema aufzunehmen, weil es eine lange Vorgeschichte hat. Nicht, dass wir auf der Fachebene nicht schon 2008 vom Wissenschaftsrat darauf hingewiesen worden wären, dass die Hochschulen unterfinanziert sind. Wir sollten auch nicht vergessen, dass schon im Juni dieses Jahres darauf aufmerksam gemacht wurde - nicht erst durch die aktuellen Proteste -, dass die Studierenden erwarten, für sich ein gutes Studium entwickeln zu können. Schließlich sollte man daran erinnern, wie mit diesen Protesten umgegangen worden ist. Ende des Monats November ist es wieder zu entsprechenden Protesten gekommen, weil Studierende und Mitarbeiter von Hochschulen das Gefühl haben, dass zwar getagt wird, aber auch viel der Schwarze Peter hin- und hergeschoben wird. Die Krönung war kürzlich die Ansage der Bundesbildungsministerin, einen Hochschulgipfel, einen BolognaGipfel, einberufen zu wollen. Zunächst denkt man: Donnerwetter, da wird was in die Hand genommen! Wann soll er stattfinden? Im April nächsten Jahres. Wir, die Sozialdemokraten, finden das zu spät. Es ist nicht zeitgerecht. Deswegen wollen wir das hier thematisieren. ({1}) Man könnte es - um ein falsches Wort der Bildungsministerin aufzugreifen - auch so sagen: So, wie sie meinte, die Studentenproteste als gestrig bezeichnen zu müssen, so kann man sagen, dass sie sich damit, mit diesem Termin zu werben, hart an der Grenze zu vorgestrig bewegt. Weshalb? Erstens. Gerade weil wir, nicht zuletzt durch die Ansprache des Bundespräsidenten, mitbekommen haben, dass Bildung ein gemeinsames Anliegen von Hochschulen, Bund und Ländern sein muss, ist es wichtig, dass bei dem gemeinsamen Anliegen eine starke Kraft vorangeht. Deshalb lautet unser Begehren, unser Wunsch, unsere Forderung, diesen Bologna-Gipfel vorzuziehen und nicht in den April 2010 zu verlagern. Zweitens. Der Wissenschaftsrat hat mit Bedacht gesagt, dass die Hochschulen trotz aller Anstrengungen strukturell unterfinanziert sind. Man braucht mehr feste Stellen, mehr Professorinnen und Professoren, Manpower, Womanpower in der Betreuung, in der Beratung und auch eine bessere Qualifizierung von Lehrenden. Der dazu notwendige Betrag wurde mit 1,1 Milliarden Euro jährlich beziffert. Das zeigt: Wir brauchen ein starkes Zeichen, dass der Bund in seiner Kooperation mit den Ländern und den Hochschulen bereit ist, die finanziellen Mittel aufzustocken. Deshalb diese Aktualität, deshalb diese Aktuelle Stunde. Drittens. Es gibt ein Datum, den 16. Dezember 2009. An diesem Tag steht nicht nur die Verabschiedung des Haushaltsplanes 2010 und der mittelfristigen Finanzplanung im Kabinett an, sondern auch der Bildungsgipfel findet an diesem Tag statt. Man stelle sich vor, was dort alles festgesetzt wird, um es dann erst im April 2010 gegebenenfalls nacharbeiten zu können. Es ist deshalb ein Anliegen, eine Forderung, rechtzeitig eine markante Größe seitens des Bundes anzubieten, damit die Hochschulen, die Länder und der Bund ein entsprechendes Programm für einen erfolgreichen Bologna-Prozess und eine erfolgreiche Hochschulreform auf den Weg bringen können. Ansonsten erleben wir nicht nur fünf verschenkte Monate zwischen November 2009 und April 2010, sondern es wird dann zu einem verschenkten Jahr oder noch mehr, weil das Fundament fehlt, auf dem der Bund, die Länder und die Hochschulen, auch materiell unterlegt, planen können. Noch einmal das Anliegen: Mit dieser Aktuellen Stunde wollen wir möglichst geschlossen ein Zeichen dafür setzen, dass wir im Interesse der Allgemeinheit Hochschulen stärken wollen. Die Allgemeinheit hat nämlich inzwischen begriffen, dass die Hochschulen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Wir haben auch gegenüber den Hochschulen selbst das Zeichen zu setzen, dass es mit dem Schwarzer-Peter-Spiel ein Ende hat. Ich will ausdrücklich dazusagen: Es muss auch ein Zeichen an die Studierenden gehen, dass ihre guten und erfolgreichen Proteste jetzt nicht marginalisiert werden, sie nicht in die Ecke gedrängt werden und die Erfüllung ihrer Forderungen nicht auf die lange Bank geschoben wird. Schließlich würden wir damit auch im Sinne des Bundespräsidenten handeln, der von uns gute Kooperation gefordert hat. Schlussbemerkung: Frau Ministerin Schavan, wir müssen Ihnen vorhalten, dass Ihre Methode allzu häufig ist, erst etwas plump gegenzuhalten, wie gegenüber den Studierenden mit der Bemerkung „gestrig“, dann VerDr. Ernst Dieter Rossmann ständnis zu zeigen, danach etwas lange ruhen zu lassen und am Ende eher weihevoll, wenn der Prozess zu Ende ist, die Hand daraufzulegen. Frau Schavan, nehmen Sie Abschied von dieser Methode des Schavanismus. ({2}) Kommen Sie in die Hufe! Setzen Sie ein Zeichen, und gehen Sie mutig nach vorne! Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Professorin Dr. Monika Grütters von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Monika Grütters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003761, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Immer mal wieder einen Kalauer, Herr Rossmann: „Schavanismus“. Ich finde, das Thema ist für so etwas zu ernst. Gerade vor einer Woche habe ich hier gesagt, wie toll es ist, dass wir in einem Jahr zweimal über ein so wichtiges Thema reden. Jetzt toppt das die SPD und sorgt dafür, dass wir in acht Tagen zweimal über dieses Thema reden. ({0}) Sie sollten aufpassen, dass das bei Ihnen nicht zum Running Gag wird. Dafür ist das Thema wirklich zu ernst. ({1}) Sie haben gefragt, was in den letzten acht Tagen passiert ist. Die Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat wirklich etwas getan. Im Gegensatz zu Ihnen hat sie nicht nur geredet, sondern immerhin zu einem BolognaGipfel eingeladen. ({2}) Das haben Sie schließlich nicht getan. Geradezu reflexhaft kommt dann von den Oppositionsbänken die Reaktion: Sie müssen zu einem Bologna-Gipfel einladen. Weil das nun schon passiert ist, ist die Reaktion: nicht erst im April, sondern schon jetzt. Da hätte ich von Ihnen ein bisschen mehr Fantasie und mehr andere konkrete Vorschläge erwartet. ({3}) Ähnlich der Kollege Gehring, der gebetsmühlenartig - wir hören das gleich bestimmt wieder - Bundesaktivitäten fordert, wenn die Länder und die Hochschulen Missstände verursachen. Aber auch das läuft immer nach dem Motto: Ich fordere etwas, was du schon tust; vom Hochschulpakt über den Bildungsgipfel, jetzt die Bologna-Konferenz, mehr Geld für den Bildungsbereich bis hin zur Verbesserung der Lage der Studis. Dies wird von der Regierungsbank bereits umgesetzt und trotzdem von der Opposition immer wieder eingefordert. Dabei hat sogar gestern die, was das bürgerliche Milieu angeht, eher unverdächtige Tageszeitung taz getitelt: Studis, stoppt euren Streik! ({4}) - Ich lese auch die heutige Ausgabe. Darauf komme ich gleich noch. Sie aber haben hoffentlich auch die von gestern gelesen. ({5}) Dabei meinen weder die taz noch wir - Sie auch nicht, das wissen wir, darauf haben wir uns letzte Woche verständigt -, dass die Bildungsproteste nicht berechtigt wären. Uns geht es aber darum, wie man mit intelligenten Ideen die teilweise wirklich schlimme Situation an den Unis verbessert; mit Streik jedenfalls nicht. Selbst die taz rät dazu, bessere Strategien zu entwickeln. Unsere Strategie ist: Der Bundesetat für Bildung ist in den vergangenen Jahren so sehr gestiegen wie kein anderer im Bundeshaushalt, und zwar, Herr Gehring und Herr Rossmann, trotz der Zuständigkeit der Länder. Sie wollten ein finanzielles Zeichen, wir haben es gesetzt. Zum zweiten Mal wird es im Dezember einen Bildungsgipfel mit der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten geben; denn schließlich haben sie die, wie viele von uns Bildungsleuten meinen, vertrackte Föderalismusreform beschlossen. Dieser Bildungsgipfel wird nicht deshalb abgehalten, weil Sie etwas verspätet danach rufen, sondern weil wir schon sehr früh der Meinung waren, dass er einmal wieder sein muss. Ich kenne keine andere Kanzlerin, die sich einmal im Jahr mit den Ministerpräsidenten zusammengesetzt hat, um über dieses Thema zu reden. ({6}) Die Bundesbildungsministerin trifft sich erneut mit den Bildungsministern der Länder, auch im Rahmen der KMK. Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Frau Wintermantel, war es übrigens, die den Zeitpunkt April vorgegeben hat. Das ist der Grund für diesen Termin und nicht, dass Frau Schavan meint, sich noch fünf Monate Zeit lassen zu müssen. Unsere Ideen zur Verbesserung der Situation sind bekannt: Mobilitätsfenster, Studien- und Prüfungsordnungen korrigieren, mehr individuelle Gestaltung, Entschlackung der Lehrpläne, was übrigens kein Geld, sondern Mut erfordert. ({7}) Das sind keine Dinge, für die wir noch fünf Monate Zeit brauchen. Damit die Hochschulen uns konkrete Vorschläge machen können, wurde von ihnen der April vorgeschlagen. Es gibt aber auch Erfolge. Herr Rossmann, ich finde, wir sind es den Studierenden und der Wirtschaft schul632 dig, auch darauf hinzuweisen. Die Vertreter der Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität haben gesagt, dass sie mit der Umsetzung des Prozesses beeindruckende Erfolge erzielt haben, dass das schon seit 2003 wirklich gut läuft. Also: Etwas mehr Besonnenheit und etwas weniger Aktionismus! Dazu rät auch der eben von Ihnen ins Feld geführte Peter Strohschneider, der Vorsitzende des Wissenschaftsrates. Er sagt sogar, dass wir mehr Flexibilität bei den curricularen Strukturen brauchen. Eine Reform der Reform brauchen wir jedenfalls nicht. ({8}) Der versammelten Linken und den Studis möchte man - ganz im Geiste der taz - zurufen: Stoppt eure Proteste! Entwickelt gemeinsam Konzepte zur Lösung der erkannten Probleme! Setzt euch mit den Verantwortlichen zusammen! Das sind in erster Linie die Länder. In fünf Ländern stellt die SPD übrigens den Bildungsminister. Es wäre interessant, wenn die gemeinsam eine Konferenz abhalten und Ideen für einen vernünftigen Umgang mit den Forderungen entwickeln würden. ({9}) Der Bologna-Prozess ist ein Versuch, die Hochschulen und die gesellschaftliche Wirklichkeit, in der sie stehen, etwas realistischer zu betrachten. Es ist der Versuch, darauf zu reagieren, dass heute mehr als ein Drittel eines Abiturjahrgangs einen akademischen Abschluss anstrebt. KMK-Bildungstreffen am 10. Dezember, Bildungsgipfel mit Merkel am 16. Dezember, ein Bologna-Gipfel im April, Kommentare der stärksten Figuren dieser Republik, vom Bundespräsidenten, der Kanzlerin und der Bundesbildungsministerin - so geht man verantwortungsbewusst mit den Protesten um. ({10}) Die ritualisierte Aufregung überlassen wir gerne der Opposition. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicole Gohlke von der Fraktion Die Linke. ({0})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Den Bildungsstreik sollte man nicht überbewerten; solche Proteste sind unter Studenten alle paar Jahre üblich“, das haben Sie, Frau Bildungsministerin, am letzten Sonntag bei Anne Will sinngemäß auf die Frage erklärt, warum die Studierenden protestieren. Solche Äußerungen sind für die Studierenden wirklich schwer zu ertragen; denn so etwas ist nichts anderes als absolute Ignoranz und Respektlosigkeit den Streikenden gegenüber. ({0}) Geld ist nicht alles, ist die nächste Erwiderung von Politikern der schwarz-gelben Koalition auf die Forderungen der Streikenden. Aber Dozentinnen und Dozenten und Bibliotheken kosten nun einmal Geld, erst recht, wenn die Hochschulen endlich einmal aufhören, prekäre Lehrverträge und sogar 1-Euro-Jobs zu vergeben. Ohne mehr Geld wird es keine neuen Studienplätze und keine breitere Ausgestaltung der Studiengänge geben. ({1}) Mehr Geld ist vielleicht nicht die alleinige Lösung, aber in jedem Fall die Voraussetzung für Verbesserungen. Die bisherigen Vorhaben der Regierung reichen keinesfalls aus. Im Gegenteil: Die Steuersenkungspläne der Bundesregierung sind genau wie die Schuldenbremse eine Katastrophe für die Bildungspolitik, weil die Haushalte der Länder schon jetzt auf dem letzten Loch pfeifen. ({2}) Frau Schavan, wenn Sie von der Situation der Studierenden irgendetwas verstanden haben, dann müssen Sie sich jetzt gegen die geplante Steuerreform stellen; sonst wird entgegen Ihren Bekundungen die Bildung in Deutschland totgespart. ({3}) Welche Antworten auf die Bildungsmisere kommen ansonsten von der Bundesregierung? Das Projekt „Bildungssparen“ - davon haben wir jetzt schon einiges gehört - nach dem Vorbild der Riester-Rente, also die Privatisierung der Bildungsförderung. Doch wer soll sich das leisten können? Für wen ist das gedacht? Ihr Bildungssparen führt unter anderem dazu, dass viele Eltern in die schlimme Situation kommen werden, entscheiden zu müssen, wofür sie das wenige Geld, das am Monatsende eventuell übrig ist, sparen und anlegen: für die Bildung der Kinder oder für die eigene Altersvorsorge. Wie würden Sie entscheiden, Frau Schavan, wenn Sie in einer etwas schwierigeren sozialen Situation wären: Zukunft für die Kinder oder ein halbwegs würdevoller Lebensabend? Oder für welches Ihrer Kinder würden Sie sparen, wenn es für das Studium von zwei oder drei Kindern nicht reicht? ({4}) Dabei können sich diejenigen, die vor solchen Entscheidungen stehen, sogar noch glücklich schätzen. Hartz-IV-Bezieher und -Bezieherinnen, Alleinerziehende oder die vielen Geringverdiener in unserer Gesellschaft stehen schon gar nicht mehr vor solchen Entscheidungen. Frau Bildungsministerin, nehmen Sie endlich die Realitäten in diesem Land zur Kenntnis. Durch Ihre Pläne fördern Sie nur die Kinder aus einkommensstarken Familien. Diejenigen, die Förderung brauchen, haben überhaupt nichts davon. ({5}) Statt Bildungssparen brauchen wir einen freien Bildungszugang für alle - unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. ({6}) Kolleginnen und Kollegen, seit drei Wochen streiken Schülerinnen und Schüler sowie Studierende für bessere Bildung. Sie, Frau Ministerin, tun so, als wären Sie auf ihrer Seite. Die Streikenden erleben jetzt mancherorts, zum Beispiel letzte Nacht in der Uni Frankfurt, dass die Hochschulleitung besetzte Hörsäle mit Polizeigewalt, und zwar dabei auch mit wirklicher Gewalt, räumen lässt - mit stillschweigender Duldung der Bildungsministerin. ({7}) Frau Schavan, ich fordere Sie auf, Stellung zu beziehen. Ist Polizeigewalt auch Ihre Art, mit den Protesten umzugehen? ({8}) Polizeigewalt gegen Proteste ist mit Demokratie an den Hochschulen absolut unvereinbar. Sie muss tabu sein. Eine demokratische Gesellschaft braucht demokratische Hochschulen. Die Studierenden verteidigen die Demokratie an den Hochschulen. Sie haben dafür die Unterstützung der Linken. ({9}) Frau Schavan, beziehen Sie Stellung, verurteilen Sie öffentlich dieses Vorgehen der Hochschulleitungen und der Polizei, und setzen Sie sich dafür ein, dass die Anzeigen gegen die Studierenden zurückgezogen werden! ({10}) Umso mehr Respekt habe ich für diejenigen Studentinnen und Studenten, die sich von diesem Vorgehen nicht einschüchtern und entmutigen lassen und sich die Hörsäle wieder zurückerobern, um ihren berechtigten Protest fortzusetzen. ({11}) Die Politik der Bildungsprivatisierung und der Einsparung öffentlicher Gelder für Bildung hat in den letzten Jahren auch dazu geführt, dass Hörsäle mittlerweile nach Großkonzernen benannt sind, die die Hochschulen sponsern; so viel zur vermeintlichen Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft. ({12}) So heißt ein Hörsaal in Würzburg bereits Aldi-Süd-Hörsaal und einer in Nürnberg ausgerechnet easyCreditHörsaal. Dieser Name grenzt angesichts der schwarzgelben Konzepte zur Bildungsfinanzierung wirklich an Realsatire. ({13}) Es ist ein Armutszeugnis, dass sich die Hochschulen mit solch absurden und zweifelhaften Finanzierungskonzepten über Wasser halten müssen. Es ist höchste Zeit, dass sich die Studentinnen und Studenten ihren Raum zurückholen. In diesem Sinne: Die Hörsäle und die Hochschulen gehören den Studierenden! Vielen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Professor Dr. Martin Neumann das Wort.

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP nimmt die aktuellen Proteste von Schülern und Studierenden ernst und begrüßt das Engagement zur Verbesserung der Lernbedingungen an Schulen und Hochschulen. Zehn Jahre nach Beginn der Bologna-Reform zeigt sich, dass die tiefgreifendste Reform in der deutschen Hochschullandschaft eine Reform ist, die von den Akteuren die Bereitschaft verlangt, diesen Prozess weiter allumfassend zu gestalten. Dabei gibt es deutliche Unterschiede. Aus einer aktuellen Umfrage der Beratungsgesellschaft Ernst & Young unter 281 Hochschulen geht hervor, dass sich die Hochschulen in NRW unter liberaler Begleitung im Unterschied zu denen im restlichen Bundesgebiet anscheinend recht wohl fühlen. Von dort kommen überwiegend positive Einschätzungen. Keine einzige sieht ihre Existenz gefährdet. Die meisten nennen ihre Finanzlage „zufriedenstellend“ oder „sehr gut“. Der lauter werdende Ruf vieler Unis nach mehr Autonomie wurde von der NRWRegierung schon 2007 erhört. 87 Prozent der staatlichen Hochschulen in NRW beschreiben sich daher als weitgehend selbstverwaltet - über 30 Prozent mehr als bei der bundesweiten Umfrage. Es zeigt sich, dass die Hochschulen ganz genau wissen, dass nur die Qualität der Lehre ihre Attraktivität erhöht. Das bestärkt unsere Annahme, dass Hochschulen mit einem hohen Autonomiestatus ganz besonders hart und effektiv für möglichst gute Studienbedingungen arbeiten. Dies ist ein fortwährender Prozess und ein Beleg dafür, dass es sinnvoll ist, den Hochschulen mehr Freiheit zu geben. Die Studie zeigt aber auch: Die Unis stehen in einem immer härteren Wettbewerb um Studenten, Lehrkräfte und Geld. Neun von zehn Hochschulen wollen eine bessere Lehre, um in diesem Wettstreit bestehen zu können. Übrigens: Höhere Studiengebühren sind in der Regel kein Thema. ({0}) Dr. Martin Neumann ({1}) 83 Prozent der staatlichen Hochschulen gehen von gleichbleibenden oder fallenden Gebühren aus. Wir halten im Kern an den Zielen der Bologna-Reform fest und werden tatkräftig unterstützend daran mitwirken, diese Reform zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Gleichzeitig bekennen wir uns zum Ausbau der europäischen Dimension im Bildungsbereich, sprechen uns entschieden für grenzüberschreitende Mobilität des Lernens und Lehrens aus. Wir stehen aktiv für einen europäischen Hochschul- und Wirtschaftsraum. ({2}) Frau Bundesbildungsministerin hat gestern im Ausschuss über den vor uns liegenden Weg informiert und uns mitgeteilt, welche Termine bis zum 12. April 2010 zu absolvieren sind. Ich meine, wir alle tun gut daran, genau diesen Weg zu absolvieren, damit der Gipfel ein Erfolg wird. Für die entsprechenden Lösungen sind in den Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Hochschulen abgestimmte Maßnahmen notwendig. Ich sage Ihnen auch, warum. Bei meinen wöchentlichen Treffen mit Studierenden an einer FH bekomme ich durchaus unterschiedliche Bilder präsentiert. Woran liegt das? An den erfolgreichen Hochschulen, in denen die Selbstverwaltung ernst genommen wird, und an Hochschulen, in denen eine gute Studienberatung durchgeführt wird, in denen es eine Vielzahl kleiner Tutorien und kleiner Studiengruppen gibt und in denen die Studierenden gute Kontakte zu den Hochschullehrern haben, gibt es deutlich weniger Probleme. ({3}) Meine Damen und Herren, wie ist der gegenwärtige Stand? Im Moment sind etwa 80 Prozent der Studiengänge an den deutschen Universitäten und Fachhochschulen umgestellt. Die Arbeitsmarktakzeptanz der ersten Bachelor-Absolventen ist laut Institut der deutschen Wirtschaft überwiegend gut. Rund drei Viertel der Unternehmen bewerteten die neuen Abschlüsse schon im Jahr 2004 als positiv. Auch der DIHK, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, erkennt bei der Anerkennung und Bewertung von Bachelor und Master einen positiven Trend. Die Zahl der Studienabbrüche geht seit Einführung von Bachelor und Master signifikant zurück. Hinzu kommt - das ist, wie ich glaube, an dieser Stelle auch sehr wichtig -: Der Arbeitsaufwand ist durchaus vergleichbar. Über das Credit-Point-System sind Transparenz und Qualität steuerbar. Genau dies zu organisieren, ist ein wesentlicher Teil der Hochschulverantwortung. Die subjektive Zufriedenheit der Studierenden mit der Situation von Betreuung und Lehre hat sich seit der Beginn der Bologna-Reform deutlich verbessert. Dennoch, meine Damen und Herren, kommen auf die Hochschulen weitere wichtige Aufgaben zu. Um in diesem Wettbewerb bestehen zu können und Qualitätsstandards im Bereich der Bildung zu gewährleisten, sind die Hochschulen gezwungen, sich weiterzuentwickeln. ({4}) Meine Damen und Herren, ich denke, dieser Prozess, den wir unterstützen, sollte im Rahmen des Bildungsgipfels am 12. April nächsten Jahres zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Ich bedanke mich. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die neue Bundesbildungsministerin ist ganz die alte. Ihr Berufsmotto ist offensichtlich geblieben: zögern, beschwichtigen und aussitzen. ({0}) Nicht einmal der zweite bundesweite Bildungsstreik macht sie zur dynamischen Anwältin der Studierenden, so gesehen zum Beispiel bei Anne Will. ({1}) Deshalb gab es gestern eine zutreffende und berechtigte Standpauke des Bundespräsidenten. ({2}) Ihr Gebot der Stunde müsste lauten: anpacken, handeln und kämpfen. Kämpfen müsste sie für bessere Studienbedingungen, für eine echte Korrektur der Bologna-Reform und für Bildungsgerechtigkeit statt Bildungsspaltung. Was bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses schiefgelaufen ist und noch schiefläuft, gehört mittlerweile zum bildungspolitischen Allgemeinwissen. Über die Phase der Problemanalyse sind wir längst hinaus; Frau Grütters, da haben Sie recht. Das ist übrigens auch ein Erfolg des ersten Bildungsstreiks. Das könnten Sie den Studierenden durchaus einmal anerkennend sagen. ({3}) Es kann sich niemand mehr hinstellen und sagen, die Korrekturforderungen seien gestrig oder unberechtigt, alles sei super gelaufen. ({4}) Die Bologna-Reform muss korrigiert werden. Sich die Probleme, mit denen die Studierenden tagtäglich zu tun haben, erst im April auf dem Bologna-Gipfel vortragen zu lassen, käme viel zu spät. Der Gipfel muss unverzüglich einberufen werden. ({5}) Vom Bologna-Gipfel erwarten wir übrigens mehr als ein Gruppenbild von Schavan, Pinkwart und Wintermantel. Wir erwarten konkrete, handfeste Ergebnisse, die bei den Studierenden in den Hörsälen und in den Seminarräumen tatsächlich ankommen. ({6}) Wir fordern eine Korrektur der vielerorts schlecht umgesetzten Bologna-Reform. Wir wollen eine Entrümpelung der Studiengänge, durch die endlich wieder Zeitfenster und Freiräume im Studium geschaffen werden, weniger Prüfungen, bessere Betreuung und deutlich mehr Master-Studienplätze, damit der Übergang vom Bachelor zum Master nicht zum Nadelöhr wird, sondern dieser für viele möglich ist. ({7}) Wir wollen auch eine neue Anerkennungspraxis, eine neue Anerkennungskultur bei erworbenen Studienleistungen, zum Beispiel durch eine Mobilitätsgarantie für die Studierenden. Um diese Korrekturen der Bologna-Reform zu verabreden, müssen sich Bund und Länder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Hochschulen, aber vor allem auch der Studierenden zügig an einen Tisch setzen. Sie können gleich die Frage beantworten, ob die Studierendengruppen tatsächlich zu dem Bologna-Gipfel eingeladen werden. Sie sollten auf jeden Fall mit am Tisch sitzen. ({8}) Die erste Verabredung auf diesem Gipfel muss lauten: Schluss mit Schuldzuweisungen und Schwarzer-PeterSpiel; denn Sie alle tragen in Bund und Ländern Verantwortung für schlechte Studienbedingungen und für heutige und künftige Studierendengenerationen. ({9}) Bei diesem Gipfel muss der Bund auch eigene Beiträge leisten. Ministerin Schavan darf nicht mit leeren Taschen anreisen und sich in wohlfeilen Appellen, dass die anderen handeln sollen, erschöpfen, sondern sie muss tatsächlich etwas mitbringen. Wer wie Sie mit dem Finger auf die Hochschulen zeigt, sollte wissen, dass mehrere Finger zurück zeigen. ({10}) Es ist doch so, dass Bund und Länder versäumt haben, die Bologna-Reform gegenzufinanzieren. Man muss es einmal ganz klar sagen: Wir haben eine 15-prozentige Unterfinanzierung der Bologna-Reform. Pro Jahr fehlen rund 1,1 Milliarden Euro. Ihre Verantwortung ist es, endlich ein Bologna-Paket zu schnüren, in dem Qualität und Finanzmittel stecken. Nur so kann die Unterfinanzierung der Hochschulen endlich überwunden werden. ({11}) Es gibt übrigens auch eine soziale Dimension der Bologna-Reform. Dazu war von den Bildungspolitikern von Union und FDP leider wieder kein Wort zu hören. Das wundert mich nicht. Mit Ihrer Privat-vor-Staat-Ideologie schlagen Sie nämlich Studienberechtigten aus Familien mit einem schmalen Geldbeutel reihenweise die Hörsaaltür vor der Nase zu. ({12}) Mit Studiengebühren, mit Krediten, mit flächendeckenden NCs und einem eklatanten Studienplatzmangel türmen Sie immer höhere Bildungsblockaden auf, statt Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten Aufstieg durch Bildung zu eröffnen. Das wäre Ihre Aufgabe; aber dabei versagen Sie seit Jahren. ({13}) Frau Schavan, motten Sie bitte Ihr vages Stipendienprogramm ein! Sie wissen ja noch gar nicht, wie Sie es machen wollen. Mit dem Geld, das dafür vorgesehen ist, könnten Sie das BAföG sofort um 10 Prozent erhöhen. Das wäre ein richtiger Schritt. Das brächte auf einen Schlag mehr Bildungsgerechtigkeit. Dafür würde ich Ihnen viel Erfolg wünschen; denn den Finanzminister müssen Sie davon offensichtlich noch überzeugen. ({14}) Es ist aber so: Schwarz-Gelb manövriert die Bildungsrepublik weiter Richtung Märchenland. Das muss man so deutlich sagen; denn morgen werden Sie den Ländern, den Hochschulen und den Kommunen die finanzielle Basis unter den Füßen wegreißen. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat zur Folge, dass allein dem NRW-Landeshaushalt im nächsten Jahr eine halbe Milliarde Euro entzogen wird. Diesem Schuldenwachstumsgesetz kann man als verantwortungsbewusster Bildungspolitiker und erst recht als Bildungsministerin am Kabinettstisch nicht zustimmen. Sie müssen es ablehnen! Mit dem Geld, das Sie den Ländern entziehen, könnten Sie bundesweit 300 000 Studienplätze schaffen. Das wäre eine sinnvolle Investition in die Zukunft. ({15}) Wir brauchen keine Steuergeschenke an Besserverdienende

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Gehring, kommen Sie bitte zum Schluss.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ja, sofort - und keine Subvention deutscher Hotelbetten. Die Koalition muss dafür sorgen, dass die Studierenden und die Hochschulen nicht länger im Regen stehen gelassen werden. Sorgen Sie für eine klare Gegenfinanzierung der notwendigen Korrekturen an der BolognaReform und liefern Sie belastbare Ergebnisse auf Ihrem Gipfel - nicht erst im April, sondern so schnell wie möglich. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Präsidentin! Meine sehr geschätzten Kollegen! Wir haben in den letzten Monaten immer wieder Streiks und Protestaktionen von Studenten erlebt. Die Anliegen der Studenten, vor allem hinsichtlich der lokalen Umsetzung der Bologna-Reformen an den einzelnen Hochschulen, sind zu einem guten Teil auch berechtigt. Es gibt Bachelor-Studiengänge mit zu hoher Stoffdichte, zu vielen Prüfungen oder zu wenigen oder gar keinen Möglichkeiten, ins Ausland zu gehen. Darunter leiden die betroffenen Studenten, und die Hochschulen und die Politik stehen in der Verantwortung, diesen Studenten schnellstmöglich zu helfen ({0}) und Mängel in der Umsetzung der Bologna-Reformen zu korrigieren. ({1}) Es wäre aber verantwortungslos, aufgrund von einzelnen Mängeln bei der Umsetzung den ganzen Reformprozess infrage zu stellen. ({2}) Durch Parolen wie „Stopp Bologna“ oder die Forderungen nach einer Rückabwicklung der Reformen werden wir nur aufgehalten. Sie bringen uns nicht weiter, sie verunsichern die Studenten und helfen ihnen nicht. ({3}) Wir - damit meine ich die Politik, die Hochschulen, die Wirtschaft und die Studenten - sind gefordert, unsere Anstrengungen darauf zu konzentrieren und dafür zu sorgen, dass der Bologna-Prozess in ganz Deutschland ein Erfolg wird. Dazu gehören die eben angesprochenen Verbesserungen bei den Studienbedingungen, dazu gehört aber auch die tatsächliche Umsetzung der in den Reformen vorgesehenen Zweistufigkeit mit dem Bachelor als einem wirklich berufsqualifizierenden Abschluss. An dieser Stelle - der Kollege von der FDP hat es eben angesprochen - gibt es auch positive Meldungen zu verkünden: Der Bachelor wird auf dem Arbeitsmarkt gut angenommen. Bereits aus den allerersten Gruppen von Bachelor-Absolventen an den Fachhochschulen aus dem Abschlussjahr 2006/2007 sind knapp 60 Prozent ohne Master direkt in den Beruf gegangen. Bei den Bachelors von den Universitäten waren es auf Anhieb immerhin um die 20 Prozent. Die Bachelor-Absolventen, die direkt in den Beruf eingestiegen sind, haben ihre Stelle nach durchschnittlich 3,2 Monaten gefunden. Auch das ist ein sehr guter Wert. Die Arbeitslosigkeit bei Bachelor-Absolventen ist mit etwa 3 Prozent genauso hoch oder niedrig wie bei den anderen akademischen Abschlüssen. Das darf eigentlich nicht verwundern; denn der Abschluss ist ja auch eine Antwort auf die Forderungen der Wirtschaft nach kürzeren Studienzeiten, nach mehr Praxisnähe und nach einer größeren internationalen Vergleichbarkeit der Abschlüsse. Die Unternehmen und die Industrie dürfen jetzt nicht nachlassen, attraktive Einstiegsmöglichkeiten für Bachelor-Absolventen zu schaffen, und müssen sich auch aktiv an dem Dialog zur Verbesserung der Studienstrukturen beteiligen. Initiativen wie „Bachelor Welcome“ oder wie die der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft gehen genau in die richtige Richtung. Wir haben in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern einen hohen fachlichen Standard bei der Ausbildung. Ich denke hier an den vielzitierten DiplomIngenieur. Die Herausforderung ist nun, diesen hohen Standard auch auf die gestuften Studiengänge zu übertragen. Einfach stehen zu bleiben, ist keine Lösung. Die Welt entwickelt sich weiter. Um uns herum haben mittlerweile über 45 weitere Länder mit dem BolognaProzess begonnen, und in Deutschland selbst haben zu diesem Wintersemester 43 Prozent des Jahrgangs ein Studium begonnen. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren waren es noch 31 Prozent. Das ist eine erfreuliche Entwicklung für ein Land, dessen Zukunft in den Händen gut ausgebildeter Fachkräfte liegt. Nichtsdestotrotz stellt diese Entwicklung unser gesamtes Bildungssystem vor große Herausforderungen. Die Koalition hat reagiert und stellt in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung zur Verfügung. ({4}) Die Politik allein kann es aber nicht richten. Wir brauchen die Unterstützung der Hochschulen und der Wirtschaft, aber auch die der Studenten. Die Kultusministerkonferenz hat im Oktober viele Anliegen der Studenten aufgegriffen. Jetzt sind die Hochschulen am Zug, die notwendigen Korrekturmaßnahmen einzuleiten. Das geht nicht von heute auf morgen. Frau Ministerin Schavan hat aber klug gehandelt und setzt im April nächsten Jahres mit dem BolognaGipfel einen Meilenstein, ({5}) bei dem die Wirksamkeit der Korrekturen realistisch überprüft werden kann. ({6}) Ich rufe die protestierenden Studenten dazu auf, sich an diesem Prozess aktiv zu beteiligen und mitzuarbeiten; denn nur wer mitarbeitet und sich einbringt, kann auch etwas bewegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brandl, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu recht herzlich und wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. ({0}) Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Willi Brase. ({1})

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe persönlich mit Studierenden in meiner Heimatstadt in Siegen diskutiert und auch die Fragen debattiert, die in Bezug auf Bachelor und Master sowie bei der Studienreform eine Rolle gespielt haben. Das war und ist ein Punkt der Debatte der Studierenden. Der zweite Punkt ist überhaupt noch nicht erwähnt worden, nämlich die Frage der Chancengleichheit von jungen Leuten in unserem Land. ({0}) Ich will es einmal ganz deutlich sagen, damit wir es hier nicht vergessen - das belegen im Übrigen auch alle Untersuchungen -: Der Geldbeutel der Eltern bzw. der Erziehungsberechtigten entscheidet darüber, ob ein junger Mensch in unserem Land die Chance hat, nach oben zu kommen. Das ist ein Zustand, der so nicht mehr bestehen bleiben darf. ({1}) Die Studenten haben sehr deutlich mehr Geld für die Universitäten gefordert. Ich finde es gut, dass der Bundespräsident kürzlich, wenn man der Presse glauben darf, klipp und klar kritisiert hat, dass unser Bildungssystem seit mehreren Jahren chronisch unterfinanziert ist. Außerdem hat er kritisch angemerkt, dass es nicht ausreicht, nur eine exzellente Forschungslandschaft in diesem Land zu unterhalten, Frau Schavan, sondern dass auch eine exzellente Landschaft für die Lehre an unseren Hochschulen nötig ist. Dazu kann ich nur sagen, dass der Präsident recht hat. Wir müssen da noch einiges machen in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Wenn dies richtig ist, dann muss man über den Tellerrand schauen und überlegen, wie wir auf diesem Weg ein Stück weiterkommen. Angesichts der Tatsache, dass wir mehr Geld brauchen - vorhin wurde von 1,1 Milliarden Euro zusätzlich für den Bologna-Prozess gesprochen -, kann ich nur sagen: Liebe Koalitionäre, nehmen Sie doch ernst, was Ihnen kürzlich bei der Anhörung bezüglich Ihres Wachstumsbeschleunigungsgesetzes gesagt wurde. ({3}) Was soll dieser Unsinn mit 7 Prozent Mehrwertsteuer für Hotelunterkünfte? Investieren Sie diese 1 Milliarde lieber in den Hochschulbereich. Damit machen Sie etwas Gutes in diesem Land für die Menschen. ({4}) Ein weiterer Punkt: Es gibt gute Studien, beispielsweise die vom HIS, die wir kürzlich im Ausschuss bekommen haben und die noch einmal überarbeitet wird. Außerdem gibt es eine aktuelle Studie von der Bertelsmann Stiftung. Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, wie es mit der Finanzlage und mit den Perspektiven für junge Leute aussieht. Studienberechtigte sind gefragt worden, was sie hindert, ein Studium aufzunehmen. Als erstes Argument wird die hohe finanzielle Belastung genannt. Als zweites Argument wird vorgebracht, dass man Angst davor hat, später die Schulden, die man macht, wenn man BAföG erhält, abtragen zu müssen. ({5}) - Sie können den Kopf noch zehn Mal schütteln. - Als drittes Argument kommen die Studiengebühren. Werden Sie endlich einmal schlau daraus! Herr Müller im Saarland und Herr Koch in Hessen haben begriffen, dass man mit Studiengebühren nicht viel gewinnen kann. Wir brauchen keine Studiengebühren; die jungen Menschen brauchen vielmehr vernünftige Perspektiven. Die Studiengebühren gehören in die Mottenkiste dieses Jahrhunderts. ({6}) Es darf auch nicht vergessen werden - das geschieht häufig -, dass aufgrund unseres Schulsystems bei uns nach der vierten, fünften oder sechsten Klasse aussortiert wird. In diesem Moment entscheidet sich, welche Perspektive junge Menschen haben. Häufig werden an dieser Stelle die Kinder aus bildungsferneren Schichten, aus Schichten, die materiell nicht so gut gestellt sind und die kein hohes Einkommen beziehen, zum ersten Mal wegsortiert, indem sie zum Beispiel auf die Hauptschule kommen. Für die Kinder, die das Glück haben, aufs Gymnasium zu kommen, gilt das achtjährige Gymnasium G 8. Wir erleben seit drei bis vier Jahren, dass die beschleunigte Einführung des G 8 alles andere als bessere Chancen für die Kinder mit sich gebracht hat. Es macht die Eltern verrückt. Sie sitzen teilweise bis abends mit ihren Kindern an den Schulaufgaben. Die Sportvereine und andere Vereine beklagen, dass ihnen langsam der Nachwuchs ausgeht, weil die Kinder keine Zeit mehr haben, weil sie nur noch dabei sind, das zu lernen, was im Rahmen von G 8 durchgepaukt wird. Ich finde, an der Stelle müssen wir endlich einmal Nein sagen. Wir vergewaltigen doch die Kinder mit dem, was wir ihnen da antun. ({7}) Ich komme zum Schluss und halte fest: Wir brauchen mehr Geld. Darum werden wir weiter kämpfen. Wir brauchen das Geld auch an der richtigen Stelle, und zwar für Brennpunktschulen, für die individuelle Sprachförderung und für die individuelle Förderung von jungen Leuten. Dann kommen wir auf einen guten Weg. Wir haben während der rot-grünen Regierungszeit die Zahl der BAföG-Empfänger von über 500 000 auf 800 000 gesteigert. In der schwarz-roten Regierungszeit ist die Zahl nach den letzten Schätzungen Ihres Hauses, Frau Ministerin, auf über 900 000 gestiegen. Es war und ist richtig, dass wir das BAföG weiterentwickelt haben. Das BAföG muss erhöht werden. Das ist der richtige Weg. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sylvia Canel für die FDPFraktion.

Sylvia Canel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004024, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Offensichtlich befürchtet die SPD, dass dem Studentenstreik über die Weihnachtsfeiertage die Puste ausgeht. ({0}) Denn die Zahl der aktiven Protestler ist sogar zu Spitzenzeiten vergleichsweise gering. Nach Ansicht der Neuen Zürcher Zeitung handelt es sich um eine Minderheit von weniger als 5 Prozent aller immatrikulierten Studenten. ({1}) Im Fernsehen wurde gestern gezeigt, wie 200 Studierende aus der Mensa der Uni Frankfurt herausgetragen wurden. Das ist eine der größten Universitäten Deutschlands mit 35 000 Studierenden. Wo waren die eigentlich alle? ({2}) Die jungen Akademiker hinterließen völlig zerstörte Räume. Damit haben sie das Geld derjenigen verbrannt, die Steuern zahlen, damit andere studieren können. Die Hörsäle gehören nicht in erster Linie den Studierenden, Frau Gohlke, sondern den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die dafür auf Geld verzichten. ({3}) Doch auch wenn das Auftreten und Gebaren einiger Studierender völlig an der Sache vorbeigeht, sollte man die Sorgen und Nöte der großen Mehrheit der Studierenden nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn während sich einige wenige um die Bekämpfung des Kapitalismus, die Tolerierung von Täuschungsversuchen bei Prüfungen und Essen im Freien bemühen - das sind alles Beispiele aus den 95 Forderungen des ReferentInnenRates der Humboldt-Uni -, ({4}) so setzt sich die große Mehrheit der Studierenden völlig zu Recht für bessere Bedingungen in der Lehre und mehr Flexibilität im Studienverlauf ein. ({5}) Diesen Einsatz sollte man respektieren, und diesen Einsatz nimmt die neue Bundesregierung auch sehr ernst. ({6}) Dementsprechend begrüßen wir es explizit, dass Bundesministerin Schavan mit Ländern, Hochschulen und Studierendenvertretern in den Dialog getreten ist. Wir sehen die Probleme und werden sie gemeinsam lösen. Angesichts dieser positiven Entwicklung finde ich es bemerkenswert, wie die SPD nun versucht, das Feuer des Streiks wieder anzufachen, um sich ihre alten Knochen daran zu wärmen. ({7}) Die Genossen wollen sich unterhaken lassen und hoffen darauf, so den Protest gegen die neue, frische Regierung zu instrumentalisieren. ({8}) Das wird nicht gelingen. ({9}) Bei diesem Plan gibt es nämlich eine Schwachstelle. Der Protest richtet sich in weiten Teilen gegen die BolognaReform. Diese Reform wurde von einer rot-grünen Bundesregierung angeschoben. Daran ist zunächst nichts zu kritisieren. Doch die notwendigen rechtlichen und finanziellen Flankierungen dieser Beschlüsse blieben damals aus; das darf man deutlich sagen. ({10}) Bologna wurde zum rot-grünen Sparprogramm, zum bildungspolitischen Steinbruch der Schröder-Ära. Elf Jahre SPD-Regierungsbeteiligung haben die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen auf Bundes- und Länderebene zementiert. ({11}) Ich will Sie nur ganz kurz daran erinnern, dass zum Beispiel der Wissenschaftssenator Flierl von der Linken sowie die von der SPD und der Linkspartei getragene Regierung im Jahre 2004 hier in unserer Hauptstadt beschlossen haben, rund ein Fünftel der Stellen für Hochschulprofessoren und 10 000 der Studienplätze zu streichen. Bildungsabbau, Qualitätsverlust und Mangelverwaltung, so sieht für uns linke Bildungspolitik aus. ({12}) Kein Wunder, dass sich der hochdekorierte und vielfach ausgezeichnete Präsident der Freien Universität, Herr Professor Lenzen, mit dem Verweis auf die mangelhaften Rahmenbedingungen in der rot-rot-regierten Hauptstadt verabschiedet hat. Ich komme aus Hamburg. Wir Hamburger freuen uns; denn wir sind die Nutznießer. ({13}) Wie anders ist es doch in Nordrhein-Westfalen, wo der liberale Innovationsminister Pinkwart die Situation der Hochschulen spürbar verbesserte! ({14}) Er hat die Studienbedingungen mit den Studiengebühren sichtbar und fühlbar verbessert. Er kann nicht klagen; denn die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen haben so viele Studienanmeldungen wie noch nie zuvor. ({15}) Wenn sich nun die Bundesbildungsministerin mit den Studierenden, den Hochschulrektoren und den Wissenschaftsministern treffen will, um über die notwendigen Nachbesserungen zu diskutieren und Lösungen zu suchen, dann verdient sie unsere volle Unterstützung. Auch die Studierenden freuen sich darüber. Juliane Knörr, Koordinatorin der rheinland-pfälzischen JusoHochschulgruppen, hat gegenüber der Welt gesagt, dieser Zeitplan sei angemessen, und es scheint ihr so, dass heute nur die Linken und die SPD im Grunde genommen dagegen sind. Aussitzen ist nichts für Liberale. Die FDP will etwas bewegen. ({16}) Wir sind nicht immer bequem. Aber das ist notwendig. Wir maßen uns auch nicht an, den Hochschulen ins Handwerk zu pfuschen. Wir wollen nicht alles bis ins Kleinste regeln. Stattdessen wollen wir die Hochschulen rechtlich und finanziell so ausstatten, dass sie in der Lage sind, die bestmöglichen Studienbedingungen herbeizuführen. Wir werden die finanzielle Situation der Studierenden verbessern. Das wird eine gute Bildungspolitik. Genauso wie wir es in den Ländern geschafft haben, werden wir es im Bund schaffen. Herr Dr. Rossmann, Schavanismus ist mir lieber als blinder Aktivismus. Danke schön. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Gerdes für die SPD-Fraktion. ({0})

Michael Gerdes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004039, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die anhaltenden Proteste an den Unis und auch diese Aktuelle Stunde machen einmal mehr deutlich: Es geht nicht nur um Bologna. Es geht tiefer. Bildung ist längst kein Randthema mehr. Bildung steht seit Jahren im Mittelpunkt öffentlicher Debatten. Sie ist häufig Gegenstand politischer Sonntagsreden. Nun frage ich mich, ob die vielen Reden über den hohen Stellenwert der Bildung mit der Realität übereinstimmen. Für meinen Geschmack häufen sich die Negativmeldungen über die deutsche Bildungssituation zu sehr. Bei den anhaltenden Protesten der Studierenden wegen verschulter Studiengänge ist im Übrigen nicht die Stärke der Beteiligung ausschlaggebend. Ich will darauf hinweisen, dass auch die Studierenden nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft sind. Wenn ich mir die Beteiligung in diesem Hohen Hause anschaue, dann stelle ich fest, dass nicht alle Bundestagsabgeordneten bei jedem Thema anwesend sind. Daher sollte man nicht an der Anzahl der Studierenden die Qualität des Protestes ablesen. ({0}) Es geht aber noch weiter: Abiturienten, die lieber eine Ausbildung beginnen, weil sie sich Studiengebühren nicht leisten können, Warnungen aus der Wirtschaft vor Fachkräftemangel, unbesetzte Lehrstellen aufgrund fehlender Qualifikationen, besorgte Eltern - wir haben es gerade gehört -, die ihre Kinder nicht dem Lernstress im G 8 ausliefern wollen, und immer noch soziale Selektion im deutschen Bildungssystem. Diese Liste ließe sich weiter fortsetzen. Ich will mir das heute ersparen. Im letzten Jahr hat Kanzlerin Merkel die Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen, aber in dieser Republik sind wir längst noch nicht angekommen. Zwar sind wir uns alle einig, dass Bildung eine wettbewerbsrelevante Ressource ist, und wir alle sagen: „In der Wissensgesellschaft ist Bildung die Quelle von wirtschaftlichem Wachstum“, gehandelt wird aber nicht nach dieser Maxime. Sonst würde die schwarz-gelbe Mehrheit morgen nicht ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschließen, das wohl eher bremsen wird, als dass es Probleme löst. ({1}) Dieses Gesetz wird Länder und Kommunen dazu zwingen, drastisch einzusparen. Das sind Einsparungen, die vor allem die Ausgaben für Bildung betreffen. Es drohen Kürzungen bei Kindergärten, Schulen und Universitäten, und das, obwohl wir bei den Bildungsausgaben im OECD-Vergleich sowieso nur im unteren Mittelfeld liegen. Im Klartext: Die schwarz-gelbe Regierung verzichtet auf Steuereinnahmen und riskiert somit sinkende Bildungsausgaben. ({2}) Gute Bildung basiert auf einer soliden Finanzierung. Wir sollten die Mahnung von Frau Wintermantel ernst nehmen: Die von den Studierenden beklagten Mängel bei der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge hängen auch mit der chronischen Unterfinanzierung der Universitäten zusammen. Dieser Meinung ist nicht nur die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, sondern auch viele Professoren reklamieren die Geldknappheit ihrer Institute. Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die der Staat zu finanzieren hat, egal für welche Altersgruppe. Ein Staat, der zu wenig Geld für Bildung ausgibt, verletzt das Recht auf Bildung und gefährdet zudem seine eigene wirtschaftliche Existenz. Erst letzte Woche hat die Bertelsmann-Stiftung eine Studie über den volkswirtschaftlichen Nutzen guter Bildung veröffentlicht. Die Schlagzeile lautet: Hohe Zahl von schlechten Schülern kostet die Gesellschaft viel Geld. Ich füge hinzu: Gleiches gilt auch für unsere Studierenden und Azubis. ({3}) Wer schlechte Lernbedingungen vorfindet, kann später nicht den Bedingungen des Arbeitsmarkts entsprechen. Kinder, Schüler, Azubis und Studierende brauchen vernünftige, qualitativ hochwertige Bildungsbedingungen und Chancengleichheit. Mit Blick auf die Proteste der Studierenden frage ich mich: Was nützen uns Absolventen, die ihr Bachelorstudium zwar schnell hinter sich gebracht haben, aber kein fundiertes akademisches Wissen haben? Wir appellieren an unsere Jugendlichen, möglichst gute Abschlüsse zu machen, sorgen aber nicht für ein durchlässiges und gerechtes Bildungssystem. Aus meinem betrieblichen Alltag kann ich Ihnen berichten, dass viele Azubis, die das Zeug zum Studieren hätten, aus Angst vor finanzieller Not nicht an die Hochschule wollen. ({4}) - Das ist Lebenserfahrung, und das ist eine falsche Entwicklung. - An dieser Stelle fällt mir das Stichwort „Bildungssparen“ ein. Ich finde den Grundgedanken richtig, Geld für Ausbildung und Studium zur Seite zu legen. Nur, wenn ich an die vielen Familien mit prekären Beschäftigungsverhältnissen denke, die am Ende des Monats froh sind, ihren Lebensunterhalt so eben bestritten zu haben, wird eines deutlich: Da ist kein Euro mehr vorhanden, der gespart werden könnte. Es bleibt dabei: Wer arm ist, hat es schwer, an Bildung teilzuhaben; wer reich ist, hat beste Aussichten auf Bildung. Die soziale Ungerechtigkeit wird auf die nächste Generation übertragen. Das ist die Realität. ({5}) Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministerin, lassen Sie die Studierenden und die Universitäten nicht im Regen stehen! Nehmen Sie die Kritik ernst und handeln Sie! Ein erster Schritt wäre es, den geforderten Bologna-Gipfel so schnell wie möglich durchzuführen. Ein zweiter Schritt wäre es, die Bildung in diesem Land nicht zusätzlich durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu gefährden. Streichen Sie es von der Tagesordnung! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Gerdes, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir gratulieren Ihnen dazu und wünschen Ihnen alles Gute für Ihre Arbeit. ({0}) Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan. ({1})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir hatten gestern im Bundestagsausschuss für Bildung und Forschung zwei Stunden Zeit für ein Gespräch, auch über das Thema dieser Aktuellen Stunde. Ich will gern wiederholen, was ich gestern den Kolleginnen und Kollegen zu erläutern versucht habe. Ich möchte vorher auf einige Punkte eingehen, die Sie angesprochen haben. Erstens. In mehreren Reden, unter anderem in der von Herrn Gehring und von Herrn Rossmann, kam die Forderung zum Ausdruck, dass der Bologna-Prozess korrigiert werden muss - im Gestus der Selbstverständlichkeit, so als wüssten Sie das lange. Da fragt man sich dann unwillkürlich: Was ist eigentlich zwischen 1999, als Frau Bulmahn den Vertrag unterschrieben hat, und dem Jahr 2005 in der Phase der Einführung, in den ersten sechs Jahren, geschehen? ({0}) - Ich war Kultusministerin, mit Verlaub. Ich war nicht Wissenschaftsministerin. Wir haben dem Bologna-Prozess immer zugestimmt, und ich habe diese Herausforderung angenommen. - Jetzt fällt Ihnen ein: Es muss korrigiert werden. Sechs Jahre haben Sie in der rot-grünen Bundesregierung Verantwortung getragen. Das, was Ihnen heute einfällt, ist Ihnen damals nicht eingefallen. ({1}) Zweitens. Sie sagen: Der Bund muss etwas tun; die Ministerin darf nicht mit leeren Taschen zum Gipfel gehen. Da haben Sie recht. ({2}) - Jetzt kommen Sie wieder mit Herrn Koch und dem Bundesverfassungsgericht. Herr Rossmann, man muss schon so vorgehen, dass es der Verfassung entspricht. Das ist die Aufgabe einer Bundesregierung bei jeder Maßnahme, die sie beschließt. ({3}) Sie haben das nicht berücksichtigt. Zwischen 1999 und 2005 ist eben keine gemeinsame Perspektive von Bund und Ländern entwickelt worden. Für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems, für die Schaffung neuer Studienplätze ist keine Unterstützung geleistet worden. ({4}) Seit 2005 gibt es einen Hochschulpakt, in der ersten Phase mit der Schaffung von 90 000 zusätzlichen Studienplätzen, in der zweiten Phase mit der Schaffung von 275 000 zusätzlichen Studienplätzen. Jetzt gibt es in der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern das 10-Prozent-Ziel. Das alles ist nach 2005 geschehen, und nichts davon ist in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung passiert. ({5}) Drittens. Sie - ich glaube, es war Herr Gehring sprechen von den immer höheren Blockaden, wenn es darum geht, in Deutschland gute Bildung zu bekommen und ein Studium aufzunehmen. Es gibt so viele Untersuchungen, dass man immer streiten kann, wer sich gerade auf welche bezieht. Wir werden sie einmal alle zusammenführen, um längerfristige Trends aufzuzeigen. Wenn man nur die Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus den letzten zehn Jahren nimmt, dann ist augenscheinlich, dass in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung, jedenfalls was die Studienanfängerquote angeht, Stagnation und Rückgang herrschten. In diesem Jahr haben wir eine Rekordzahl: Seit 2005, spätestens seit 2007 ist die Stagnation überwunden. ({6}) - Natürlich stimmt es. Das Statistische Bundesamt spricht von über 43 Prozent eines Jahrgangs, die im Studienjahr 2009 ein Studium aufgenommen haben. So viele hat es noch nie gegeben. Übrigens gab es da, wo Studiengebühren erhoben werden, erhebliche Zuwachsraten. ({7}) - Ich weiß, dass Ihnen diese Zahl nicht passt; aber sie stimmt. Dann wird gesagt, in Deutschland seien die Blockaden schon deshalb höher, weil Studiengebühren existierten. Wenn Sie die Zahl der Hochschulen mit Studiengebühren in Deutschland zusammenzählen, dann werden Sie feststellen, dass es an der Mehrheit der Hochschulen überhaupt keine Studiengebühren gibt. ({8}) - Darauf legen Sie doch wert. - Wer in Deutschland studieren und keine Studiengebühr zahlen möchte, lieber Herr Brase, kann das. ({9}) - Sehen Sie, bei Studierenden ist es unterschiedlich. Da gibt es viele, die - das zeigen die HIS-Studien - ihren Studienort auch mit Blick auf die Qualität wählen. ({10}) Deshalb gibt es hohe Zuwachsraten in Nordrhein-Westfalen, in Bayern, in Baden-Württemberg - da, wo Studiengebühren existieren und sich die Lehre verbessert hat. ({11}) Frau Gohlke, Sie sprechen von der Gewalt gegenüber Studierenden. Ich finde es erstaunlich, dass Sie nicht darüber sprechen, dass Hörsäle zu besetzen, andere am Studieren zu hindern und die Säle zerstört zurückzulassen, auch Gewalt ist, die nicht akzeptabel ist. ({12}) Deshalb ist die Räumung von Universitäten, in denen Gewalt ausgeübt wird, richtig. ({13}) Der Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode sieht ganz klar den Aufwuchs vor - wir haben hier schon zweimal darüber gesprochen -, er sieht Aufstiegsstipendien vor. Jetzt nenne ich den Zeitplan noch einmal: Natürlich wird am 12. April nicht eine Konferenz stattfinden, auf der wieder analysiert wird. Die Frage, was zu tun ist, ist im Sommer des vergangenen Jahres besprochen worden. Danach hat es ein Elf-Punkte-Programm der Kultusministerkonferenz gegeben. Das steht jetzt in den Ländern zur Umsetzung an. Das Beispiel von Herrn Pinkwart und von Nordrhein-Westfalen ist genannt worden. Die Hochschulen haben mit ihren Wissenschaftsministern ein Memorandum verabschiedet; sie haben ganz klar die Schritte zur Konkretisierung aufgeführt, sie haben deutlich gemacht, was jetzt zu geschehen hat. Das Wintersemester steht unter dem Vorzeichen der Umsetzung, der Korrektur, der Verbesserung der Qualität von Lehre. Dazu findet am 10. Dezember das Gespräch der Hochschulrektorenkonferenz mit der Kultusministerkonferenz statt. Dazu werden diverse Workshops in den einzelnen Ländern stattfinden. Das Ziel ist, in den 16 Ländern das, was verabredet worden ist, jetzt umzusetzen. Dann werden wir in der zweiten Märzwoche die internationale Bologna-Konferenz in Wien und in Budapest haben, und vier Wochen später werden wir diesen Prozess der Umsetzung der Korrekturagenda in Deutschland durchführen. ({14}) Und das, was in anderen Ländern passiert, der Austausch auf der internationalen Bologna-Konferenz, wird für die Frage der Mobilität wichtig sein. Dies alles wird dann bilanziert. Es werden die Perspektiven entwickelt, auch die finanzpolitischen Perspektiven. ({15}) Sie wissen, dass das 10-Prozent-Ziel beschlossen worden ist, Sie wissen, dass es am 10. Dezember genau darum geht, Sie wissen - auch das habe ich gestern gesagt -, dass wir dann überlegen werden, was seitens des Bundes noch zusätzlich zum Hochschulpakt investiert werden kann. ({16}) Sie wissen, dass im neuen Hochschulpakt pro Studienplatz mehr Geld für Lehre ausgegeben worden ist. ({17}) Klarer Zeitplan, klarer Fahrplan im Blick auf Taten, nicht auf weitere allgemeine Debatten. Es wird konkret. Auch das stinkt Ihnen. ({18}) Ich finde, Sie sollten jetzt einfach die Bemühungen ernst nehmen, die in den Hochschulen, in den Landesregierungen, in der Bundesregierung geschehen. Und zum Abschluss, lieber Herr Rossmann: Auf das Wort „Schavanismus“ haben Sie nicht mal Copyright. Das gibt es schon seit 15 Jahren, von Ihrem Kollegen Zeller aus Baden-Württemberg erfunden, ({19}) seines Zeichens SPD-Landtagsabgeordneter. Ich kann nur sagen: Willkommen! Nun ist der Begriff auch in Berlin angekommen. ({20})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Swen Schulz für die SPDFraktion. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Grütters, Sie haben danach gefragt, warum wir in dieser Woche, nachdem wir über das Thema bereits in der letzten Woche diskutiert haben, auf Antrag der SPD erneut diese Diskussion führen. Ich kann Ihnen das erklären: Wir lassen die Regierungskoalition nicht in Ruhe, wir lassen sie nicht aus der Verantwortung. ({0}) Das ist auch notwendig, weil Bundesministerin Schavan ja ganz offenkundig immer wieder zum Jagen getragen werden muss. ({1}) Frau Canel, wir instrumentalisieren nicht die Proteste der Studierenden, aber wir begrüßen, dass die Studierenden Druck machen. Erst nachdem die Studierenden protestiert haben, hat Frau Schavan reagiert und zum Beispiel eine BAföG-Erhöhung angekündigt, und erst nach der Forderung der HRK-Präsidentin, einen BolognaGipfel durchzuführen, hat Frau Schavan gesagt: Na ja, okay, kann man im April machen. Aber man fragt sich schon, wo die eigene Initiative, der eigene konkrete Beitrag ist. ({2}) Ich habe das letzte Woche schon in der Debatte im Deutschen Bundestag gefragt. Jetzt habe ich der Ministerin wieder zugehört, und es kam wieder nichts Konkretes, Swen Schulz ({3}) außer wohlklingenden Worten und Schuldzuweisungen, Fingerzeigen auf andere; aber es war nichts von einer eigenen Problemlösung zu hören. Frau Schavan, Sie haben es ja angesprochen. Wir hatten gestern im Ausschuss zwei Stunden Zeit, zu diskutieren. Dabei sind Sie von der Opposition zu vielen verschiedenen Themen konkret befragt worden: Wie stellen Sie sich die Realisierung des 10-Prozent-Ziels zur Bildungsfinanzierung vor? - Keine konkrete Antwort. Wie soll es finanziell für die Länder weitergehen, die dann ja im Wesentlichen die Bildungspolitik finanzieren sollen? Keine Antwort. Wie soll es mit dem Bildungssparen laufen? - Keine Antwort. Wie soll es mit den Bildungsschecks laufen? - Keine Antwort. Wie soll das Stipendiensystem konkret aussehen? - Keine Antwort. Wie soll die BAföG-Erhöhung ausgestaltet werden? - Wiederum keine Antwort. ({4}) Ich habe mir gedacht: Wenn schon im Ausschuss nichts Konkretes gesagt wird, wenn hier im Plenum des Deutschen Bundestages nichts Konkretes gesagt wird, dann schaue ich doch einmal nach, was schriftlich in dem berühmten Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP festgehalten ist. Es wird ja immer gesagt, das sei ein Schwerpunkt der Regierungskoalition. Ich habe einmal nachgeschaut, und tatsächlich: Da gibt es einen Abschnitt „Qualität für Studium und Hochschule“ - auf 25 Zeilen Allgemeinplätze. So viel zu diesem Schwerpunkt. ({5}) Beim Durchblättern dieses Koalitionsvertrages habe ich zum Beispiel gefunden, dass dem Abschnitt „Wehrtechnische Industrie und Rüstungskooperation“ 26 Zeilen gewidmet werden, ({6}) und er ist dann auch noch wesentlich konkreter. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie handeln dieses so wichtige Thema Hochschulpolitik larifari ab, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({7}) Es soll also im April einen Hochschulgipfel geben. Da fragt man sich: Warum eigentlich erst im April? Sie haben versucht, das zu erklären, aber so richtig einsichtig - tut mir leid - ist es tatsächlich nicht. Ist es deswegen, weil Sie hoffen, dass bis dahin der Druck der Studierendenproteste nachgelassen hat, oder deswegen, weil Sie hoffen, dass andere für Sie, Frau Schavan, die Hochschulen oder die Bundesländer, die Probleme abgeräumt haben und Sie dann sozusagen nur noch die Ergebnisse einsammeln müssen? Hat das etwa mit dem Termin der NRW-Landtagswahlen im Mai zu tun? ({8}) - Nein, natürlich nicht. - Frau Schavan, ich bitte Sie, wachen Sie endlich auf! Sie müssen mal etwas auf den Tisch legen. Sie müssen die Initiative ergreifen. Sie müssen einen Beitrag leisten und die Problemlösung forcieren. ({9}) Und jetzt, Frau Schavan, habe ich auch eine gute Nachricht für Sie: ({10}) Bei all dem brauchen Sie sich nur an dem zu orientieren, was die SPD schon vorgearbeitet hat. ({11}) Wir haben einen Antrag „Studienpakt für Qualität und gute Lehre jetzt durchsetzen“ vorgelegt. Da steht alles drin, was Sie an Handwerkszeug brauchen: Masterstudium offenhalten, Personaloffensive, Wettbewerb „Gute Lehre für alle“, Durchlässigkeit des Studiums, Studienpakt von Bund und Ländern - und zwar ordentlich finanziert: 3 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren -, Vorschläge für die BAföG-Novelle. Frau Schavan, es ist alles von uns vorgearbeitet. Wenn Sie den Ländern ein ordentliches Angebot machen würden, tatsächlich einen klaren Fahrplan vorlegen würden, in welchem Sie sagen, was der Bund leistet, dann könnte der Gipfel viel früher stattfinden. Man könnte viel früher zu konkreten Ergebnissen kommen, die dann tatsächlich im nächsten Semester zu Verbesserungen an den Hochschulen für die Studierenden führen würden. Das wäre wesentlich besser, als das jetzt auf die lange Bank zu schieben. Sie, Frau Schavan, lehnen die Verantwortung ab. Sie ruhen sich auf Erfolgen der Vergangenheit, die Sie nur mit der SPD in der Großen Koalition einfahren konnten, aus. Ansonsten machen Sie nur noch Klientel- und Schaufensterpolitik. Und - das ist vielleicht das Schlimmste - Sie schauen tatenlos zu, wie den Ländern und Kommunen durch eine irrsinnige Steuerpolitik finanziell die Luft abgedreht wird. Die Länder haben dann keine Chance mehr auf eine vernünftige Bildungspolitik. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fordern Sie auf: Beenden Sie diese Larifaripolitik! Werden Sie endlich aktiv! Herzlichen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Tankred Schipanski für die Unionsfraktion. ({0})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat anscheinend das Wachstumsbeschleunigungsgesetz nicht richtig verstanden. ({0}) Sie sollten das einmal nacharbeiten. Hans Zehetmair hat einmal festgestellt: In der Bildungspolitik ist der Jammerton zum Kammerton geworden. - Wenn man Sie heute hört, dann muss man sagen, dass er völlig recht hat. ({1}) Besuchen Sie einmal die Homepage www.bildungsstreik.net. Sie werden staunen, welche Ziele dort genannt werden: Weg mit dem Schulstress, weg mit dem Leistungsdruck, kostenlose Fahrt im öffentlichen Personennahverkehr, Abschaffung der Leiharbeit und Zeitarbeit. ({2}) Das sind teilweise absurde Ziele. Als ich die Reden der Linken gehört habe, wusste ich auch, woher das kommt und von wem die Studenten da instrumentalisiert werden. ({3}) Ich komme direkt von der TU Ilmenau, einer kleinen Universität in Thüringen. Als ich dort neulich in der Mensa war, bekam ich einen Flyer in die Hand, den der Studentenrat, der weiß Gott nicht unionsnah ist, ausgelegt hatte. Die Studenten dieser Universität fragen sich, wofür gestreikt wird. Denn in Ilmenau gibt es keine Studiengebühren, aber viele neue Gebäude, ausreichend Platz in Hörsälen und ein gutes Betreuungsverhältnis. Die dortigen Studenten finden die Grundidee von Bologna richtig. Das Einzige, was zu konstatieren ist - das gibt jeder von uns hier zu -, ist, dass es bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses einen Optimierungsbedarf gibt. Das ist der richtige Ansatzpunkt. Aber man braucht keinen Streik, um das deutlich zu machen. Das ist doch der falsche Weg. ({4}) Auch die Polemik der Opposition im Parlament bringt uns da überhaupt nicht weiter. Wir brauchen ein konstruktives Miteinander von Hochschulleitung, Studierenden und Professoren statt Chaos auf den Straßen und in den Hörsälen. ({5}) Wichtig ist, dass wir, was die Umsetzung von Bologna angeht, eine Feinjustierung, die aus den neuen Erfahrungswerten resultiert, vornehmen müssen. Da ist die Bundesregierung auf dem richtigen Weg. Nicht das Bologna-Konzept ist schlecht, sondern es gibt Probleme bei der Umsetzung. Das hat zum einen mit der den Deutschen innewohnenden Neigung zur Bürokratie zu tun. Zum anderen müssen wir uns erst an neue Player wie Akkreditierungsagenturen gewöhnen und mit denen zurechtkommen. Es ist ein ganz natürlicher Lernprozess, wenn man die Umstrukturierung von Abschlüssen vorantreibt. Die Umsetzung von Bologna liegt schwerpunktmäßig bei den Hochschulen und nicht bei der Bundesregierung. Die Lehrstühle und Fachgebiete müssen die Lehrinhalte dem neuen Rahmen anpassen. Das kann ihnen kein Ministerium abnehmen. Das gehört zur Lehrfreiheit, zur Verantwortung der Lehrenden für die Studierenden. Ich komme direkt von einer Universität, an der ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter die Umstellung in einem Fachgebiet mitgestaltet habe. Das bedeutet für die Lehrenden, die inhaltlichen Schwerpunkte neu zu setzen, Vorlesungen umzustrukturieren und gegebenenfalls neue Lehrveranstaltungen anzubieten. Wir dürfen doch nicht, wie das Teile der Opposition tun, den gesamten Bologna-Prozess infrage stellen. Bologna ist der richtige Weg zu einem leistungsorientierten und mobilen Studium: Weg von Sitzscheinen oder Hörscheinen und hin zu Credit Points. Credit Points gehören zu einem leistungsbezogenen Bewertungssystem. Vor einer Bewertung mittels Punkten braucht kein Student Angst zu haben; denn das kennt er aus der Schule. Mit einem weiteren Irrglauben, der immer wieder hier angeführt wird, muss einmal aufgeräumt werden. Bologna bringt keine Verschulung, sondern eine Strukturierung gerade für die Geisteswissenschaften. Bologna ist also eine Chance für die Geisteswissenschaften, weil Bologna Lernen mit Richtung und nicht Lernen ohne Ziel bedeutet. Bologna ist ein Gewinn an Lebenszeit für uns junge Menschen. Wir können früher ins Berufsleben einsteigen, und wir können uns bewusster für eine weitere akademische Ausbildung entscheiden. ({6}) Die Rede des Bundespräsidenten war keinesfalls eine Standpauke für uns. Bundespräsident Köhler hat festgestellt, dass der Umbau des Hochschulsystems notwendig und ein gemeinsamer europäischer Weg richtig und zukunftsweisend seien. Auf diesem Weg befinden wir uns. Er hat überladene Studien- und Prüfungsordnungen kritisiert, die jedoch in der Verantwortung jeder einzelnen Hochschule liegen. Der Bundespräsident hat mehr Ehrgeiz und mehr Mitmacher gefordert. Das heißt ein stärkeres Einbringen in die Nachjustierung des Bologna-Prozesses. Das machen die Hochschulen, indem sie ihre Gestaltungsspielräume besser als bisher nutzen. Das macht die HRK mit ihren jüngsten Beschlüssen von Leipzig. Das macht die KMK mit ihrem Zehnpunktebeschluss. Das macht der Wissenschaftsrat mit seinen Empfehlungen. Das macht unsere Bundesbildungsministerin, indem sie Koordinierungsaufgaben übernimmt und für April 2010 zu einem Bologna-Gipfel eingeladen hat. Dabei geht es um einen realistischen Zeitplan. Wir müssen den Hochschulen doch erst einmal die Chance geben, eine Nachjustierung voranzutreiben. Erst dann kann ein Bologna-Gipfel überhaupt zu konkreten Ergebnissen führen. Eine Evaluation findet doch immer zum Ende eines Semesters und nicht zu Beginn statt. Das sollte auch die Opposition wissen. ({7}) In Richtung der Opposition: Zu der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde mit einem recht polemischen Titel muss gesagt werden: „Bildungsproteste nicht aussitzen“ - Sie müssen nachsitzen, „Hochschulgipfel vorziehen“ - Sie müssen sich in den Bologna-Prozess einbringen, Sie müssen mitziehen. Wir sitzen gar nichts aus, sondern setzen uns für eine sinnvolle Nachjustierung des Bologna-Prozesses in einem realistischen Zeitplan ein. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schipanski, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir wünschen Ihnen auch weiterhin viel Erfolg in Ihrer Arbeit. ({0}) Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Kaufmann für die Unionsfraktion.

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn ich mit den Zielen der friedlich protestierenden Studierenden teilweise sympathisiere - zum Beispiel mit dem Ziel einer stärkeren Beteiligung an der universitären Selbstverwaltung -, möchte ich Sie bitten, dem Antrag der SPDFraktion nicht zuzustimmen. ({0}) Die Probleme, Sorgen und Nöte der Studierenden sind uns wichtig und jeden Streit wert. Die Proteste sind uns nicht etwa lästig. Vielmehr muss die konstruktive Kritik ein Ansporn sein, die Qualität der Bologna-Reform weiter zu verbessern. ({1}) Der anvisierte Termin für den Bildungsgipfel im April 2010 nach dem internationalen Bologna-Gipfel ist hierfür der richtige Zeitpunkt. Er gibt dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung genügend Zeit, sich intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen. Mit Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wollen Sie verhindern, dass sich das Parlament in angemessener Weise auf diesen Bildungsgipfel vorbereitet. ({2}) Lassen Sie uns, abgesehen von aller Kritik, einen kurzen Blick auf die Ausgangssituation werfen. Im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe hat sich Deutschland 1999 gemeinsam mit seinen europäischen Nachbarn die Aufgabe gestellt, einen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Wir haben vor allem in den letzten Jahren unter Ministerin Schavan und im Rahmen der größten Hochschulreform seit Jahrzehnten die Chance genutzt, mehr Beschäftigungsfähigkeit zu vermitteln und die Studiendauer zu verkürzen. Inzwischen bietet der durch den Bologna-Prozess geschaffene europäische Hochschulraum den Studierenden konkrete Vorteile, zum Beispiel einen leichteren Wechsel an ausländische Hochschulen. Da die Abschlüsse Bachelor und Master im Ausland wesentlich bekannter sind als die Abschlüsse Diplom und Magister, ist es inzwischen deutlich leichter, an eine ausländische Hochschule zu wechseln. Zahlreiche Länder haben in den letzten Jahren ihre Hochschulsysteme entsprechend aufeinander abgestimmt. Module und Leistungspunktesystem sowie Diploma Supplement sorgen für Transparenz und erleichtern die Anerkennung der erbrachten Leistungen und Abschlüsse unter den Hochschulen. ({3}) Es ist folgerichtig, dass die Kultusministerkonferenz die Hochschulen jüngst ermuntert hat, den Ausbau strukturierter Austauschprogramme mit ausländischen Partnerhochschulen voranzutreiben. Beispielhaft für die erfolgreiche europäische Dimension der Reform will ich hier die Universität Mannheim nennen, eine Universität mit deutschlandweit hervorragendem Ruf. Eine Umfrage bei den Studierenden des dortigen Bachelor-Studiengangs BWL ergab, dass sich durch die Umstellung die Mobilität der Studierenden deutlich erhöht hat. Nebenbei bemerkt: Die durchschnittliche Studienzeit hat sich auf 6,2 Semester und die Studienabbrecherquote auf unter 10 Prozent reduziert. ({4}) Ein weiterer Vorteil für unsere Studierenden ist die leichtere Anerkennung durch ausländische Arbeitgeber. Vor der Bologna-Reform zeichnete sich die Hochschullandschaft in Europa durch große Vielfalt, aber auch durch eine verwirrende Unübersichtlichkeit aus. Der Mangel an Einheitlichkeit und Transparenz der Studiensysteme erschwerte den Vergleich und damit auch das Studium in anderen Ländern. In einer Zeit zunehmender Internationalisierung war und ist dies nicht mehr zeitgemäß. Gemeinsam mit den europäischen Partnern haben wir dies vor allem zum Wohle der Studierenden, aber auch der Wirtschaft geändert. Zudem wurden durch die Reformen europaweite Lernprozesse in Gang gesetzt. Die Staaten überlegen, in welchen Bereichen sie voneinander profitieren können. Innerhalb des Bologna-Prozesses kommen Rektoren, Politiker und Studierende beispielsweise bei den sogenannten Bologna-Seminaren miteinander ins Gespräch und können so die bestehenden Probleme gemeinsam angehen. Wie wichtig und wie weitreichend die Bologna-Reformen gewesen sind, zeigt sich allein am Teilnehmer646 kreis. 46 europäische Staaten kooperieren mittlerweile in einem für unsere Zukunft zentralen politischen Thema. Auch das sollten wir nicht vergessen. ({5}) Die Koalition gibt sich mit dem bisher Erreichten jedoch nicht zufrieden; denn wir dürfen die Augen vor den berechtigten Anliegen der Studierenden und der Hochschulen nicht verschließen. Eine Reform kann nie endgültig abgeschlossen sein. Wir werden die Umsetzung des Bologna-Prozesses deshalb evaluieren und mit den notwendigen Anpassungen auf die Forderungen der Studierenden eingehen. Mit dem Bologna-Qualitäts- und Mobilitätspaket werden wir die internationale Anerkennung von Studienleistungen und Hochschulabschlüssen weiter verbessern. Notwendig ist aber auch ein Perspektivwechsel. Der Bologna-Prozess bietet den Studierenden außerordentliche Chancen der Entwicklung und der Teilnahme im europäischen Hochschulraum. Ich habe zahlreiche Beispiele dafür genannt, warum er ein europäischer Erfolg ist, der in der Praxis bereits von vielen Studierenden gelebt wird. Eine Abkehr von der Bologna-Reform wäre eine Sackgasse. Über Korrekturen werden wir im April beim Bologna-Gipfel beraten. Bis dahin wollen wir alle Kräfte bündeln und, statt in Aktionismus zu verfallen und ad hoc einen Gipfel zu veranstalten, den offenen Dialog mit den Studierenden und den Hochschulen weiterführen. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kaufmann, das gesamte Haus gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede und wünscht Ihnen viel Erfolg bei der weiteren Arbeit. ({0}) Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Atomwaffen unverzüglich aus Deutschland abziehen - Drucksache 17/116 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Verteidigungsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes Malczak, Omid Nouripour, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Deutschland atomwaffenfrei - Bei der Abrüstung der Atomwaffen vorangehen - Drucksache 17/122 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke. ({3})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man muss sich schon klar darüber sein, dass man in der atomaren Frage immer wieder in einer Entscheidungssituation steht. Wenn die atomare Rüstung, was die USA und andere Atommächte angeht, nicht gestoppt wird, dann ist eine Weiterverbreitung von Atomwaffen nicht zu verhindern. Das ist vorgezeichnet. Wenn Atomwaffen weiter verbreitet werden, ist eine Debatte über eine atomwaffenfreie Welt zwar angenehm, aber eine Illusion. Es kommt darauf an, dass es uns jetzt gelingt, atomare Abrüstung praktisch durchzusetzen. ({0}) Daran hängt auch, ob man den Menschen endlich die Angst nehmen kann; denn atomare Hochrüstung hat bei vielen Menschen Angst und Protest ausgelöst. Ich finde, wir könnten stolz darauf sein, sollten wir es durchsetzen, dass Deutschland tatsächlich atomwaffenfrei gemacht wird, und zwar hier und jetzt und nicht irgendwann. Die Chancen dazu sind vorhanden. ({1}) Es ist in unserem Land viel zu wenig bekannt, dass auch in Deutschland Atomwaffen stationiert sind. In Büchel sind immer noch amerikanische Atomwaffen stationiert. Man spricht von 20, aber so genau weiß das keiner. Die Bundeswehr befindet sich mit der atomaren Teilhabe nach wie vor in schlechter Gesellschaft. Atomwaffen sind nicht nur Waffen des Kalten Krieges; dort waren sie der Kernpunkt. Ich frage mich: Gegen wen sind die Atomwaffen, die in Büchel noch immer stationiert sind, eigentlich gerichtet? ({2}) Zu Zeiten des Kalten Krieges war es relativ klar: Sie waren gegen die Sowjetunion gerichtet. Überlegen Sie einmal: Ist es vernünftig, heute noch Atomwaffen stationiert zu haben, von denen man ausgehen muss, dass sie gegen Russland gerichtet sind? Das ist eine nicht akzeptable Position in Europa. ({3}) Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen, heißt für mich gleichzeitig, den Kalten Krieg zu beenden und die atomare Teilhabe aufzukündigen. Von vier Parteien gab es ein entsprechendes Wahlversprechen. Im Wahlprogramm der FDP steht, dass die Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden sollen. Gleiches gilt für die Grünen, die SPD und uns. ({4}) Jetzt liegen ein Antrag der Linken und ein Antrag der Grünen vor. Ich will hier ausdrücklich erklären: Wenn es zu einem Gruppenantrag kommen sollte, zumindest von SPD, Grünen und uns, sind wir bereit, den eigenen Antrag zurückzuziehen. Wir wollen, dass sich eine Mehrheit im Deutschen Bundestag für den Abzug der Atomwaffen einsetzt. ({5}) Ich hätte auch nichts dagegen, wenn die FDP mitmachte. Auch die Kollegen der CDU sind sehr herzlich eingeladen. Beteiligen Sie sich daran, die Atomwaffen aus Deutschland zu entfernen. ({6}) Was aber nicht geht, lieber Kollege Stinner, ist, im Wahlkampf zu versprechen, die Atomwaffen abziehen zu lassen, und hinterher abzutauchen. Jetzt müssen Sie ein Stück weit Farbe bekennen. Bleibt es dabei? Wann soll es so weit sein? Sind Sie bereit, hier mit anderen Fraktionen im Parlament zusammenzuarbeiten? ({7}) Ich will abschließend ausdrücklich den Menschen in Büchel und der Friedensinitiative in Büchel danken. Wenn nicht die Friedensinitiative in Büchel über die ganzen Jahre hinweg den Abzug der Atomwaffen gefordert hätte, wäre das Thema nicht in der öffentlichen Diskussion. Meines Erachtens hat die Friedensbewegung in diesem Land sehr viel Positives erreicht. Der Deutsche Bundestag sollte den Respekt haben, zu sagen: Wir danken den Menschen, die sich schon immer für den Abzug der amerikanischen Atomwaffen in Deutschland eingesetzt haben, weil sie ein atomwaffenfreies Deutschland und möglichst auch ein atomwaffenfreies Europa wollen. Das ist unser Ziel. Dabei können wir zusammenarbeiten. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Roderich Kiesewetter. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nicht mit dem Abzug der Atomwaffen geht der Kalte Krieg zu Ende, verehrter Herr Kollege, sondern heute vor 20 Jahren, auf den Tag genau, haben Gorbatschow und Bush vor Malta das Ende des Kalten Krieges erklärt. Das ging nur, weil vor 30 Jahren die Union für Helmut Schmidt hartnäckig den NATO-Doppelbeschluss durchgesetzt hat. ({0}) Ihre Anträge haben aber einen gewissen Charme; denn der unverzügliche Abzug von Atomwaffen aus unserem Land berührt Grundfragen unserer Sicherheitspolitik. Darum geht es in der Sicherheitspolitik: Beharrlichkeit, Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und auch Mut zu Initiativen. ({1}) Deshalb unterstützen wir von der Koalition die Prager Vorschläge von US-Präsident Obama, seine neue Abrüstungsinitiative, aber auch seine Vision einer atomwaffenfreien Welt. Das haben wir im Koalitionsvertrag klar zum Ausdruck gebracht. Obama sagt aber auch, dass wir dafür lange brauchen werden. Wenn wir diese Vision erfolgreich umsetzen wollen, brauchen wir eine glaubwürdige nukleare Abschreckung - und dafür sorgen die USA, bis wir dieses Ziel erreicht haben. Wir werden im nächsten Jahr ein neues strategisches Konzept der NATO haben. Zurzeit gilt noch die NATOStrategie von 1999. Wir können dem Ergebnis der Diskussion nicht vorgreifen; aber die Rolle der Atomwaffen wird Teil dieser Diskussion sein. Ich selbst habe dies über Jahre in Brüssel erlebt. Ich erwähne aber auch: Die Regierungschefs haben sich beim letzten NATO-Gipfel mit der Bedeutung nuklearer Mittel auseinandergesetzt. Die Auffassung, dass nukleare Mittel für unsere Sicherheitsvorsorge bedeutend sind, wird noch von allen gemeinsam vertreten. Die NATO hat Vorleistungen gebracht. Ich erinnere daran, dass die NATO bereits im Jahr 2001 eindeutig auf alle bodengestützten taktischen Nuklearwaffen in Europa verzichtet hat. Die wenigen verbliebenen Atomwaffen, von denen Sie eben sprachen, Herr Gehrcke, ({2}) sind in Staaten Europas stationiert, und zwar nicht nur in Deutschland. Sie sind bislang als Rückversicherung und als Beitrag zur Solidarität verstanden worden. Darum geht es doch: Transatlantische Solidarität und nukleare Teilhabe bedeuten zunächst Mitverantwortung und Mitgestaltung, aber eben auch Mitsprache. So sehen das im Übrigen auch unsere NATO-Partner, zum Beispiel unser Nachbarland Polen. Wir Deutschen haben aus guten Gründen dauerhaft auf eigene Nuklearwaffen verzichtet. Im Kalten Krieg haben wir aber vom nuklearen Schutzschirm der USA profitiert und waren bereit, durch die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland Verantwortung zu übernehmen. Dies war für uns insbesondere während des OstWest-Konflikts eine lebensnotwendige Rückversicherung. ({3}) Heute ist das Ziel einer nuklearen Abrüstung erreichbar, und es ist erstrebenswert. ({4}) Auch wir wollen den Abzug, wenn die Zeit dafür reif ist. Wir werden das Ziel erreichen, gemeinsam im Bündnis und mit klaren Zwischenschritten, wie wir es im Koalitionsvertrag zum Ausdruck gebracht haben. Aber ein sofortiger Abzug ohne vorherige Verhandlungen würde - und das ist der Punkt - unsere Position als verlässlicher und bedeutender europäischer Partner gravierend schwächen. Bündnissolidarität ist ein hohes Gut. ({5}) Heute, im Zeitalter von Terrorismus, der Gefahr einer unkontrollierten Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und nuklearer Aufrüstung, ist die Gefahr unberechenbarer geworden. ({6}) Dieser unangenehmen Realität müssen wir uns stellen. Es gilt, neue Atommächte zu verhindern und entschieden gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen vorzugehen, auch mit Blick auf Nordkorea und Iran. Russland hat noch taktische Atomwaffen, Kurzstreckenraketen im Gebiet von Königsberg/Kaliningrad. Hier geht es uns nicht um Bedrohung, sondern um das erfolgreiche Wegverhandeln der Atomwaffen in Europa. Das gelingt aber nicht durch einen sofortigen und einseitigen Verzicht auf die bei uns stationierten Waffen. Ein übereilter Verzicht ohne Ausloten und Aushandeln macht uns weniger sicher und international weniger glaubwürdig. Das dürfen wir im Interesse unserer Bevölkerung nicht zulassen, weder auf der Ostalb noch hier in Berlin. Ich rege deshalb eine gründliche, umfassende und verantwortungsbewusste Diskussion über deutsche Sicherheitsinteressen an. Wo sollte diese stattfinden, wenn nicht hier, im Parlament! Ich bin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sehr dankbar dafür, dass ihr Antrag im Vergleich zu dem Antrag der Linken sehr ausführlich und gut begründet ist. Das ist konstruktiv. Dennoch gilt: Wir gehen keinen deutschen Sonderweg. Das hat uns in der Vergangenheit immer geschadet. Wir wollen eine gesamteuropäische Perspektive. Wir brauchen eine ernsthafte Diskussion über europäische Sicherheitsinteressen im Bündnis. Es hilft nichts, erst Fakten zu schaffen und dann darüber zu diskutieren. Umgekehrt haben wir Einfluss, und darum geht es doch für unser Land. Im Ziel sind wir uns einig, aber nicht über den Weg. Deshalb lehnt meine Fraktion Ihren Antrag, wie er heute formuliert ist, ab. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kiesewetter, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Dazu beglückwünsche ich Sie im Namen aller Kolleginnen und Kollegen recht herzlich. ({0}) Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Uta Zapf.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich mit der Bemerkung anfangen, dass ich mich darüber freue, dass ganz offensichtlich alle Parlamentarier, die hier sitzen, für eine atomwaffenfreie Welt sind. ({0}) So habe ich das im Koalitionsvertrag gelesen. ({1}) Deshalb hat mich die Rede des Kollegen Kiesewetter etwas irritiert; denn er ist ein wenig zurückgerudert. ({2}) Sie haben natürlich recht: Wir müssen dringend über die Frage der Sicherheitsarchitektur reden. Ich würde aber gerne erst einmal ein Lob loswerden. Ich finde, dass die Formulierungen im Koalitionsvertrag sehr gut gelungen sind. Dort steht: Die Koalitionsparteien unterstützen weitgehende „Abrüstungsinitiativen einschließlich des Zieles einer nuklearwaffenfreien Welt“. ({3}) Abrüstung und Rüstungskontrolle werden nicht als ein Verlust von Sicherheit verstanden ({4}) - das wurde ja gelegentlich anders gesehen -, ({5}) sondern man betrachtet Abrüstung und Rüstungskontrolle „als zentralen Baustein einer globalen Sicherheitsarchitektur der Zukunft“. Ich glaube, dass dies ein ganz wichtiger Befund ist. Das wurde in den vergangenen Zeiten bei den Parteien, die diesen Koalitionsvertrag ausgehandelt haben, nicht immer so gesehen. Dem stimmen wir also zu. Ich bin auch gerne bereit, weiter zu loben, nämlich die im Koalitionsvertrag stehende Erkenntnis, „dass auch Zwischenschritte bei der Erreichung des Zieles einer nuklearwaffenfreien Welt wesentliche Zugewinne an Sicherheit bedeuten können“. Ich glaube, das ist richtig. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir uns jetzt nicht nur über den Abzug dieser einen Kategorie von Waffen in Büchel verständigen, sondern über den gesamten Prozess für die Zukunft. Da kommen noch andere Aspekte ins Spiel. Ich denke, wir müssen im Zusammenhang mit der Aufgabe des Nuklearschirms und der nuklearen Teilhabe über die Strategien reden. Das müssen wir in diesem Haus auf alle Fälle tun; das haben wir bisher verabsäumt. Immer, wenn ich hier gesprochen habe, habe ich gesagt, dass wir die Strategien bereden müssen; aber das haben wir in den Ausschüssen und hier in der Debatte nie fertiggebracht. Nun steht unmittelbar bevor, dass sich die NATO eine neue Strategie gibt. Dabei geht es im Wesentlichen darum, welche Rolle Nuklearwaffen in Zukunft in der Sicherheitspolitik spielen werden. Kollege Kiesewetter, es kann nicht mehr so sein, dass die Stationierung von Nuklearwaffen als Rückversicherung und Solidarität gilt, auch als Einflussnahme. Es gibt einige europäische Länder, die Nuklearwaffen stationiert hatten und diese jetzt nicht mehr haben, zum Beispiel Griechenland. Es gibt andere Länder, die es nicht wollen, zum Beispiel Deutschland und Belgien. Ich glaube nicht, dass diese Länder Angst haben, aus der Solidarität der Allianz zu fallen und ungeschützt dazustehen. ({6}) Darüber muss man noch einmal nachdenken. Es ist ganz wichtig, dass wir diese Fragen im Zusammenhang mit der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag sehen; sie steht unmittelbar bevor. Die Überprüfungskonferenz im Jahre 2010 wird eine Schlüsselrolle spielen, wenn es darum geht, wie wir die anstehenden Fragen bezüglich der Zukunft der Nichtproliferation und der Sicherheitsarchitektur in dieser Welt lösen. Deshalb greifen sowohl der Antrag der Grünen als auch der Antrag der Linken zu kurz. Ich kündige hiermit an, dass wir in der nächsten Woche einen Antrag einbringen werden, der einen größeren Umfang hat und sich auch auf den Nichtverbreitungsvertrag bezieht. Ich denke, dann können wir über alle Ansätze miteinander diskutieren. Lieber Kollege Gehrcke, ob es zu einem gemeinsamen Antrag kommt, werden wir sehen. Wir hatten das übrigens schon einmal in der Vergangenheit. Ich würde ganz gerne auf die Frage der Strategie eingehen. Es gibt von den Verteidigungsministern, der Nuklearen Planungsgruppe und anderen aus den Jahren 2007 und 2008 Aussagen, die, wenn es um die zukünftige NATO-Strategie geht, alle darauf rekurrieren, dass sie großen Wert auf die nuklearen Kräfte, die in Europa stationiert und der NATO gewidmet sind, legen und dass diese - das wurde von Ihnen, Herr Kollege Kiesewetter, angesprochen - ein wesentliches politisches und militärisches Bindeglied zwischen Europa und Nordamerika sind. Auch im Weißbuch ist davon übrigens noch die Rede. Der Kollege von Klaeden hat, als er noch außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war, genau dasselbe gesagt: „Die nukleare Teilhabe muss Teil der deutschen Sicherheitspolitik bleiben“. Ich glaube, das müssen wir in der Zukunft infrage stellen; darüber müssen wir neu nachdenken. Außenminister Westerwelle und Kanzlerin Merkel sind, was ihre kräftigen Aussagen zum Abzug der nuklearen Waffen aus der Bundesrepublik und aus Europa angeht, schon ein bisschen zurückgerudert. Herr Westerwelle hat bei seinem Besuch der NATO in Brüssel deutlich gemacht, dass man die Sache natürlich nur in Kooperation mit den NATO-Mitgliedern und den Verbündeten angehen wird. Man muss dazusagen: Das wäre auch gar nicht anders möglich. Interessant finde ich allerdings, dass NATO-Generalsekretär Rasmussen ihm herzlich gedankt und gesagt hat, die Sicherheit des Bündnisses stehe auf dem Spiel. Liebe Leute, ist denn die Sicherheit des Bündnisses abhängig von den 20 oder 30 Atomwaffen in Büchel oder von Atomwaffen, die in der Türkei oder sonst wo stationiert sind? Ist die Sicherheit überhaupt von Nuklearwaffen abhängig? Das ist der Kern des Themas, über den wir diskutieren müssen. Auch in den USA wird über diese Fragen diskutiert. Dort führt man gerade eine neue „Nuclear Posture Review“ durch, die im Frühjahr nächsten Jahres, wahrscheinlich im Februar, veröffentlicht wird. Auch darin werden solche Überlegungen angestellt. Jetzt will ich auf einen wunden Punkt der gesamten Diskussion hinweisen. Wenn zum Beispiel Obama sagt, Nuklearwaffen müssten in der Sicherheitspolitik eine geringere Rolle spielen - das steht so auch im Bericht der Perry/Schlesinger-Kommission des Kongresses, die sich mit der zukünftigen Rolle der Nuklearwaffen beschäftigt -, es aber gleichzeitig heißt, dass man, solange in der Welt atomare Waffen existieren, an der nuklearen Abschreckung und an einer entsprechenden Ausrüstung der eigenen Streitkräfte festhalten wolle, dann ist das ein Widerspruch, der im Hinblick auf die zukünftige Diskussion über den Nichtverbreitungsvertrag geradezu tödlich sein kann. Wir müssen uns auch fragen: Welche Rolle sollen Nuklearwaffen spielen? Welche Aufgabe hat die NATO in Zukunft überhaupt? Ist es nicht Blödsinn, davon auszugehen, dass man zur Erfüllung dieser Aufgabe Nuklearwaffen benötigt? Wollen wir damit Terroristen jagen, oder was wollen wir mit ihnen machen? Wollen wir vielleicht in aller Welt mithilfe von Nuklearwaffen Interventionen durchführen? Meine Damen und Herren, das sind sehr ernste Fragen. Wir sind gut beraten, alles zu tun, um noch vor der Überprüfungskonferenz eine abgestimmte Strategie zu entwickeln.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Zapf, ich bin ein sehr geduldiger Mensch. Aber ich bitte Sie, jetzt wirklich auf das Signal zu achten.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin gleich fertig; nur noch zwei Worte. - Wir müssen uns bemühen, uns in die Verhandlungen in New York mit einer guten Position einzubringen, damit der Nichtverbreitungsvertrag stabilisiert wird. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Elke Hoff das Wort. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht um ein außerordentlich heikles Thema, über das wir in diesem Hohen Hause schon seit Jahren diskutieren. Ich bin sehr erfreut, dass es in diesem Parlament überwiegend Konsens ist, dass der Abzug der Nuklearwaffen aus Europa, aus Deutschland ein wichtiges Thema ist. Ich freue mich, dass es in der Vergangenheit auch aufgrund der guten Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fraktionen immer wieder gelungen ist, unsere Positionen weitestgehend anzunähern. Ich möchte an dieser Stelle der Kollegin Zapf sehr herzlich dafür danken, dass sie ihre Auffassung deutlich gemacht und anerkannt hat, dass das, was in unserer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben wurde, sicherlich auch eine Weichenstellung für die Zukunft ist. Man muss fairerweise sagen, dass dies bei den vorherigen Bundesregierungen nicht in dieser klaren Form zum Ausdruck gekommen ist. ({0}) Ich bin froh und auch ein Stück weit stolz darauf, dass uns dies jetzt gelungen ist. Ich glaube, dass wir als Parlament über die Fraktionsgrenzen hinweg gut daran tun, die Bundesregierung bei diesen Schritten zu unterstützen und ihr Rückendeckung zu geben. Es wird sicherlich an der einen oder anderen Stelle in Nuancen Unterschiede geben; entscheidend ist aber, dass sich Bundesaußenminister Westerwelle in den schwierigen Gesprächen, vor denen wir stehen, auf einen breiten Konsens im deutschen Parlament berufen kann. ({1}) Die ersten Schritte werden bereits gemacht. Das Thema steht auch auf der Tagesordnung der NATO-Außenminister. Ich halte das für ein wichtiges Signal. Es gibt von einer Reihe befreundeter Nationen - Belgien, Norwegen - Signale, dass sie gemeinsam mit Luxemburg rasch in Konsultationen mit uns eintreten werden, weil die Zielsetzungen gleich sind. Dieser Dialog ist wichtig, um am Ende die Bündnispartner zu überzeugen, dass dieser Schritt richtig ist. Es ist gut, dass wir hier den Anfang gemacht haben. Uta Zapf hat zu Recht darauf hingewiesen, dass auch die Überprüfungskonferenz im nächsten Jahr ein ganz wichtiges Momentum hat. Je klarer unsere Position im nächsten Frühjahr ist und je deutlicher wir mit einem breiten Konsens in diesem Parlament Abrüstungssignale setzen wollen, desto leichter ist es für die Bundesregierung - desto leichter wäre es auch für die Bundesregierungen der Vergangenheit gewesen -, zu zeigen, dass von Deutschland spürbare Signale ausgehen. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Nuklearwaffen Relikte des Kalten Krieges sind. Wir müssen so ehrlich sein, uns damit auseinanderzusetzen, und den Mut haben, neue Wege zu gehen. Ich halte es aber auch für richtig, dass dies, wie der Kollege Kiesewetter klargemacht hat, nur in einem breiten Konsens erfolgen kann. Globale Abrüstung bedeutet immer, dass man den elementaren Sicherheitsinteressen einzelner Nationen Rechnung tragen muss. Niemand kann allein einen Stein aus der Mauer ziehen; dann droht die ganze Konstruktion zusammenzufallen. Dem Abzug gegenüber steht das Vertrauen, das aufgebaut werden muss. Von Europa aus muss ein Signal in die Welt gehen. Warum soll nicht Europa, warum soll nicht Deutschland vorneweg marschieren, wenn es darum geht, unsere USamerikanischen und unsere russischen Nachbarn davon zu überzeugen, dass wir es ernst meinen, wenn wir diesen Schritt gehen wollen, und in dieser Frage bei uns ein breiter Konsens herrscht? ({2}) Ich hoffe, dass von hier aus, falls es zu einem gemeinsamen Antrag kommt, an dem sich auch die Opposition beteiligt, die notwendigen Signale ausgehen, dass der Außenminister bei diesem Thema Rückendeckung hat. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie die Bemühungen der Bundesregierung, dieses Ziel zu erreichen, unterstützen würden. Der Koalitionsvertrag definiert das Ziel. Was im Moment in Brüssel bei der NATO-Außenministerkonferenz gemacht wird, ist der erste Schritt dazu. Ich glaube, wenn wir hier gemeinsam an einem Strang ziehen, werden wir der deutschen Bevölkerung, der europäischen Bevölkerung und der Weltgemeinschaft zeigen können, dass Abrüstung für uns kein Lippenbekenntnis, sondern ein ernsthaftes politisches Anliegen ist. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Agnes Malczak das Wort. ({0})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nukleare Abrüstung scheint ein nettes Thema für SonntagsAgnes Malczak reden und Lippenbekenntnisse zu sein. Man muss sich die Augen reiben, wenn man sieht, wer heutzutage alles für Abrüstung ist. Abrüstung ist aber ein hartes Thema. Es geht um die Beseitigung und Vernichtung von Waffen, nicht darum, sie wegzureden. Deshalb müssen den Worten Taten folgen, hier in Deutschland und auf der ganzen Welt. Endlich besteht die Chance für einen internationalen Abrüstungsprozess. Spätestens mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an den US-Präsidenten Obama und mit seiner historischen Rede in Prag sind einmalige Rahmenbedingungen für eine atomwaffenfreie Welt geschaffen. Die größte Atommacht unterstützt diese Vision und ist bereit, konkrete Schritte zur Reduzierung ihres Atomwaffenarsenals einzuleiten. Herr Kiesewetter, sich daran nicht zu beteiligen, wäre ein deutscher Sonderweg und doch reichlich abstrus; ({0}) denn wir dürfen uns nicht damit bequemen, beifällig auf die USA zu blicken. Nukleare Abrüstung und sicherheitspolitisches Umdenken beginnen vor der eigenen Haustür. Nur wer selbst bereit ist, ohne den vermeintlichen Schutz von Atomwaffen zu leben - ich finde, das ist kein Schutz, sondern ein Sicherheitsrisiko -, kann von anderen verlangen, dass sie dies auch tun. Deshalb muss die Bundesregierung endlich den Weg für ein atomwaffenfreies Deutschland und ein Deutschland ohne nukleare Teilhabe freimachen. ({1}) Im Koalitionsvertrag habe ich wirklich nur wenig Gutes und Sinnvolles gefunden. Doch ich habe einen Satz entdeckt, der mich sehr gefreut hat. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag: … im Zuge der Ausarbeitung eines strategischen Konzeptes der NATO werden wir uns im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden. ({2}) Daran möchten wir Grüne Sie jetzt freundlich, aber auch mit Nachdruck, erinnern. ({3}) Es ist auch zu begrüßen, dass der Außenminister mit Hillary Clinton über dieses Thema gesprochen hat. Doch nun muss etwas geschehen, insbesondere, da die USA eine Modernisierung ihrer Atomwaffen beschlossen haben. Im Haushaltsjahr 2010 sollen mindestens 32,5 Millionen US-Dollar investiert werden, um zu untersuchen, wie atomare Fliegerbomben des Typs B 61 modernisiert werden können. Beim Jagdbombergeschwader 33 der Luftwaffe in Büchel in Rheinland-Pfalz lagern Waffen genau dieses Typs im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO. Anfang 2010 wird die US-Regierung den Bericht zur Zukunftsplanung des US-Nuklearwaffenpotenzials vorlegen, und sie könnte dort nach Ansicht von Experten bestätigen, dass eine neue Bombe erforderlich ist. Dann sollen weitere 15 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt werden. Deshalb muss die Bundesregierung nun dringend Fakten schaffen. Es geht nicht, abzuwarten, bis es zu spät ist. Die Bundesregierung sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, um ihr Image und auch das der vorherigen Bundesregierung, immer nur alles auszusitzen und zu reagieren, wenigstens in diesem Punkt zu widerlegen. ({4}) Das Motto der Stunde ist daher: Taten statt Warten. Deshalb muss der Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland unverzüglich angepackt werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Malczak, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Dazu gratulieren wir Ihnen recht herzlich, und ich gratuliere Ihnen auch persönlich für die erste Rede. Es schaffen nicht viele Kolleginnen und Kollegen, von vornherein in der Redezeit zu bleiben. ({0}) Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Karl Lamers das Wort. ({1})

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel einer atomwaffenfreien Welt steht auf der Agenda vieler Länder, auch auf der der Bundesrepublik Deutschland. ({0}) Der Konsens darüber erstreckt sich auf alle Fraktionen dieses Hohen Hauses. Die Koalition aus CDU, CSU und FDP hat sich in der Koalitionsvereinbarung zu diesem Ziel ausdrücklich bekannt. Im Zuge der Ausarbeitung - Frau Malczak, hier stimme ich Ihnen voll zu; Sie haben es richtig zitiert eines neuen strategischen Konzepts der NATO werden wir uns im Bündnis und gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden. ({1}) Dr. Karl A. Lamers ({2}) Hier können Sie ganz beruhigt sein, auch Frau Zapf und Herr Gehrcke. Genau das, was wir in unserem Vertrag niedergelegt haben, tun wir. ({3}) Herr Kollege Kiesewetter, wir unterstützen in der Tat die Vision des amerikanischen Präsidenten Barack Obama und seine Politik für neue Abrüstungsinitiativen, wie er sie in seiner Prager Rede beeindruckend dargelegt hat. Dazu gehört auch das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt. Wir sind überzeugt, dass auch Zwischenschritte auf dem Weg dahin einen wesentlichen Zugewinn an Sicherheit bedeuten können. ({4}) Wir wollen verhindern, Frau Zapf, dass neue Nuklearmächte entstehen und neue nukleare Rüstungswettläufe ausgelöst werden. Das Ziel einer atomwaffenfreien Welt bedeutet allerdings, dass niemand Atomwaffen besitzt. ({5}) Wir wissen jedoch, dass es offizielle und inoffizielle Atomwaffenstaaten gibt. Wir wissen auch, dass weitere Staaten - zum Beispiel der Iran und Nordkorea - nach Atomwaffen streben, ohne dass sie bereit sind, dies öffentlich zuzugeben. Sie sind für uns ständiger Anlass zu Sorge, weil ihre Bemühungen um die Schließung des Brennstoffkreislaufes weit über das hinausgehen, was man für die zivile Nutzung der Kernenergie benötigt. Deutschland hat bereits vor Jahrzehnten auf jegliche Nuklearbewaffnung verzichtet. ({6}) Die NATO mit ihrer Defensivstrategie hat in der Zeit des Kalten Krieges Stabilität, Sicherheit und Frieden garantiert. In der Hochzeit des Kalten Krieges gab es nach öffentlich zugänglichen Informationen circa 7 300 Nuklearwaffen allein in Europa. Bis 1992 sank die Zahl auf circa 700. In der Amtszeit des amerikanischen Präsidenten Clinton wurde die Zahl der Nuklearwaffen in Europa auf 480 reduziert, davon gab es circa 170 in Deutschland. Heute gibt es nur noch eine kleine Zahl von Nuklearwaffen in Rheinland-Pfalz. Frieden schaffen mit weniger Waffen. Nicht Proteste und Demonstrationen schaffen dies, sondern eine vernünftige Politik, die wir über Jahre und Jahrzehnte hinweg in Deutschland und im Bündnis gestaltet haben. ({7}) Die Bundesregierung und die anderen Mitgliedstaaten der NATO haben sich beim vergangenen NATO-Gipfel auf die Fortschreibung des gültigen NATO-Strategiekonzepts geeinigt. Klar ist, dass die Änderungen bzw. Neuregelungen im künftigen strategischen Konzept des Konsenses im Bündnis bedürfen. Auf diesem Wege werden wir dafür eintreten, die restlichen Nuklearwaffen aus Deutschland abzuziehen. Wir setzen damit auf eine enge Abstimmung und auf ein gemeinsames Handeln in der NATO. Wir sind entschlossen, die Chancen des transatlantischen Bündnisses zu nutzen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verweist darauf, dass die damalige rot-grüne Koalition seinerzeit beschlossen hat, keine neuen nuklearwaffenfähigen Trägersysteme zu beschaffen. An dieser Entscheidung wird sich auch unter der jetzigen Koalition nichts ändern. Wir sind uns einig, in Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten zu erreichen, die sich noch in Deutschland befindlichen wenigen Nuklearwaffen abzuziehen. Allerdings können wir nicht alles mit unterschreiben, was die grüne Fraktion sonst noch in ihrem Antrag untergebracht hat. Ich kann zum Beispiel überhaupt nicht nachvollziehen, warum die Bundesregierung aufgefordert wird, sich dafür einzusetzen, dass die - ich zitiere „Drohung eines Atomwaffeneinsatzes gegen Nichtatomwaffenstaaten“ überwunden wird. ({8}) Ich frage Sie: Wann hat denn die NATO jemals irgendjemanden bedroht? ({9}) Sie hat doch nur für den Fall eines Angriffs auf das Bündnisgebiet einem potenziellen Aggressor militärische Maßnahmen angekündigt, und zwar unter Inanspruchnahme des Rechts der kollektiven Selbstverteidigung. ({10}) Das ist das legitime Recht aller Staaten und auch von Verteidigungsbündnissen. Dieses legitime Recht besteht weiterhin. ({11}) Meine Damen und Herren, für mich steht fest, dass in Bezug auf die wenigen in Deutschland verbliebenen Nuklearwaffen der NATO eine Lösung herbeigeführt werden muss. Wir sollten und dürfen uns allerdings nicht auf einen nationalen Alleingang einlassen - Herr Kollege Kiesewetter, da stimme ich Ihnen vollkommen zu - oder gar versteifen. Die NATO-Strategie kann und darf von uns nicht aufgekündigt werden. Das hat sogar die rot-grüne Koalition seinerzeit eingesehen, als sie vom „perspektivischen Ende der nuklearen Teilhabe“ sprach. Im Konsens werden wir meiner Überzeugung nach unser Ziel durchaus erreichen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden. Das ist dann wiederum ein Schritt auf dem Weg zu unserem gemeinsamen Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Lassen Sie mich enden mit einem Satz von Immanuel Kant, der einmal gesagt hat: Der Friede ist das Meisterstück der Vernunft. Dr. Karl A. Lamers ({12}) An einem solchen „Meisterstück der Vernunft“ bauen wir. ({13}) Alles, was in Bezug auf NATO-Strategie, Stabilität und Sicherheit getan wird, hat ganz direkt mit diesem „Meisterstück“ zu tun. Ergebnis: Den Anträgen können wir nicht zustimmen. In der Sache erkennen wir aber durchaus Richtiges. Ich danke. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/116 und 17/122 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und b sowie Zusatzpunkt 4 auf: 7 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Petra Hinz ({0}), Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Brain Waste stoppen - Anerkennung ausländischer akademischer und beruflicher Qualifikationen umfassend optimieren - Drucksache 17/123 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Nicole Gohlke, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für eine zügige und umfassende Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen - Drucksache 17/117 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen Schulz, Katja Mast, Olaf Scholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Durch Vorrang für Anerkennung Integration stärken - Anerkennungsgesetz für ausländische Abschlüsse vorlegen - Drucksache 17/108 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Krista Sager für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({4})

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei uns leben inzwischen fast 3 Millionen Menschen, die einen im Ausland erworbenen Abschluss haben, darunter circa 800 000 Akademikerinnen und Akademiker. Der größte Teil von ihnen arbeitet weit unter seinem Qualifikationsniveau. Viele sind völlig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Wir wissen doch längst, dass wir bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse in Deutschland inzwischen unhaltbare Zustände haben und dass wir den Anerkennungswirrwarr endlich überwinden müssen. ({0}) Dieser Wirrwarr ist nicht nur extrem ungerecht gegenüber den Betroffenen, sondern er zeigt auch langjährige integrationspolitische Versäumnisse. Mit Blick auf die demografische Entwicklung, den drohenden Fachkräftemangel, unsere Sozialsysteme und das Steueraufkommen ist es schlicht ein Gebot der gesamtgesellschaftlichen politischen Vernunft, dass man hier endlich etwas tut, damit in dieses Anerkennungsdickicht Ordnung hineinkommt. ({1}) Grenzübergreifende Mobilität wird - das wissen wir alle - in Zukunft eher zunehmen als abnehmen. Denken Sie nur an die große Anzahl von binationalen Ehen bei uns. Nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen eine reale Chance, dass sie mit ihren im Ausland erworbenen Abschlüssen bei uns etwas anfangen können, sondern auch die Wirtschaft hat ein Interesse daran, dass die bestehenden intransparenten und ineffizienten Verfahren grundlegend geändert werden. Was muss geschehen? Wir brauchen einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf ein schnelles, transparentes und gerechtes Anerkennungsverfahren. Wenn ich „schnell“ sage, dann meine ich selbstverständlich nicht „schnelle Ablehnung“. Denn wir wollen die qualifizierten Menschen tatsächlich integrieren. Dass die Ausbildung im Ausland etwas anders verlaufen ist, heißt noch lange nicht, dass sie nicht gleichwertig sein kann. In anderen Ländern sind schließlich nicht alle doof, und es ist auch nicht so, dass nur wir in Deutschland wissen, wie es geht. Bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse muss Schluss damit sein, dass verschiedene Gruppen unterschiedlich behandelt werden. ({2}) Die Unterscheidung zwischen Spätaussiedlern, EU-Bürgern und Drittstaatenangehörigen hat bei diesem Verfahren nichts zu suchen. ({3}) Ein Rechtsanspruch auf ein solches Verfahren muss auch unabhängig davon gelten, ob es um reglementierte oder nichtreglementierte Berufe geht. Wichtig ist auch: Das Ergebnis eines Anerkennungsverfahrens muss bundesweit gelten. Es muss in jedem Bundesland anerkannt werden. Bei einer Teilanerkennung muss es eine verbindliche Auskunft darüber geben, welche Anschlussqualifizierung zu einer Vollanerkennung führen kann. Ein solches Verfahren sollte nicht länger als sechs Monate dauern. Es muss auch vom Ausland betrieben werden können; denn wir wollen nicht, dass die Menschen hier bei uns jahrelang arbeitslos sind. Wir müssen weg von dem Anlaufstellenwirrwarr. Die Betroffenen brauchen klare Ansprechpartner und eine gute Beratung, welche Anschlussqualifizierungen sinnvoll sind. Dabei darf nicht nur von ihren Abschlüssen, sondern es muss auch von ihren realen Kompetenzen ausgegangen werden. Wir müssen mehr Angebote schaffen, zum Beispiel fachsprachliche Angebote; denn viele sind fachlich gut, können sich aber nicht so gut in ihrer Fachsprache ausdrücken. Eine reale Teilnahme an Anschlussqualifizierungen muss ermöglicht werden. Das heißt, wir brauchen hier eine Förderung mit Maßnahmen der Arbeitsmarktintegration und eine Weiterbildungsförderung. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Wahlkampf haben alle Parteien gesagt: Hier muss etwas geschehen. Die Bundesregierung will jetzt ein Eckpunktepapier vorlegen. Ich bin sicher: Auf dem Weg von den Eckpunkten bis zu guten gesetzlichen Regelungen und besseren Angeboten wird sich noch mancher Stolperstein zeigen. Deswegen glaube ich, es ist wichtig, dass das Parlament und die Fachausschüsse diesen Prozess aktiv begleiten. Wenn wir uns gemeinsam hineinknien, haben wir eine Chance, im nächsten Jahr endlich etwas Vernünftiges hinzubekommen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung Dr. Helge Braun. ({0})

Prof. Dr. Helge Braun (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003510

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Debatte muss nicht zwangsläufig im Dissens verlaufen. Wenn Sie die Historie dieses Themas sehen, dann stellen Sie fest, dass es schon in der letzten Legislaturperiode zahlreiche Anträge und Anfragen zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse in Deutschland gegeben hat. Im Mai 2008 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Sachstandsbericht zu diesem Thema abgegeben. ({0}) Die Koalition aus CDU, CSU und FDP hat darüber hinaus das Thema im Koalitionsvertrag verankert und hat mit Hinweis auf den zunehmenden Fachkräftemangel in Deutschland das Ziel formuliert, dass niemand unterhalb seiner Qualifikation in Deutschland beschäftigt werden soll. ({1}) Deshalb sprechen wir uns für die Einführung eines gesetzlichen Anspruchs auf ein Bewertungs- und Anerkennungsverfahren aus. Die Koalition ist sich darüber hinaus über das Ziel einig, die Ergänzungs- und Anpassungsqualifizierungsmaßnahmen in Deutschland auszuweiten, sodass diejenigen, die nicht unmittelbar eine Anerkennung erhalten können, im Wege eines Ergänzungsund Anpassungsqualifizierungsverfahrens eine Anerkennung erreichen können. Darüber hinaus ist der Ausbau der Datenbestände wichtig. Im Hinblick auf die von der Opposition eingebrachten Anträge muss ich sagen: So schnell, wie es hier suggeriert wird, wird es an einigen Stellen nicht gehen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie verfügt zwar bereits über Datenbestände betreffend die berufliche Ausbildung in anderen Ländern. Aber es bedarf eines relativ großen Aufwands, die Curricula fremder Abschlüsse in Deutschland umfangreich zu katalogisieren und so ein gleichwertiges und verlässliches Anerkennungsverfahren zu ermöglichen. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung wird in Kürze ein Eckpunktepapier in das Kabinett einbringen, in dem die wesentlichen Ziele eines Anerkennungsverfahrens definiert sind und die wesentlichen Schritte hin zur Umsetzung respektive Durchführung dieser Verfahren skizziert sind. Dieses Eckpunktepapier wird dann Grundlage für die Erarbeitung eines Referentenentwurfs sein. Aber schon die Erfahrungen in der Europäischen Union zeigen: Die Struktur der beruflichen Qualifikation ist ausgesprochen unterschiedlich. Deshalb ist die Umsetzung eines solchen Anerkennungsverfahrens in der Praxis alles andere als trivial. Im Unterschied zu dem vorliegenden Antrag der Linken muss ich deutlich sagen: Beim Anerkennungsverfahren sind der Wunsch und der Wille der Integration sowie gute Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Migrationshintergrund der eine Anspruch, den wir erfüllen müssen. Der andere betrifft die Sicherung des Qualitätsniveaus der Abschlüsse in Deutschland. ({2}) Die Verfahrensansprüche, die wir hier in ein Gesetz schreiben wollen, müssen natürlich auch mit Strukturen unterlegt werden, welche die Chance bieten, dass wir diese einlösen. Deshalb brauchen wir - davon bin ich überzeugt - ein umfassendes Anerkennungsmanagement. Das beginnt mit der Information der Migranten, geht weiter über Beratung und die Anerkennungsbewertung und endet - ich habe es bereits angesprochen - mit den ergänzenden Weiterbildungsangeboten. Bei jedem dieser Schritte sind die Fragen zu beantworten: Wer macht es, wo macht er es, und wie macht er es? Das ist also ein insgesamt nicht triviales Verfahren. Deshalb wird die Bundesregierung im Anschluss an den Beschluss der Eckpunkte den Weg weitergehen, der im Grunde genommen schon im Oktober 2008 mit der Qualifizierungsinitiative für Deutschland begonnen wurde. Seitdem arbeitete eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe intensiv an Empfehlungen. Diese liegen seit September vor und sind in die Eckpunkte des Kabinetts für die nächste Woche eingegangen. Auf Grundlage dieses Eckpunktebeschlusses können wir dann dazu übergehen, einen Konsens zwischen allen beteiligten Akteuren herzustellen. Das sind nicht gerade wenige. Wir brauchen an dieser Stelle als Partner die Wirtschaft, die Kammern, die Länder, die Berufsverbände, die Hochschulen und die Bildungsträger; denn nur wenn alle an einem Strang ziehen, haben wir am Ende ein Anerkennungsverfahren, das die hohen Ansprüche, die auch Sie, Frau Sager, eben definiert haben, tatsächlich erfüllt. Deshalb ist es richtig, dass wir zunächst den Eckpunktebeschluss des Kabinetts abwarten und es dann Ende 2010, wenn der zweite Umsetzungsbericht an die Regierungschefs des Bundes und der Länder ansteht, zu einem Referentenentwurf kommt. Wir sind uns, denke ich, einig: Niemand soll unterhalb seiner Qualifikation beschäftigt werden. Das ist ein hohes Ziel. Der Erhalt der hohen Qualität der Abschlüsse in Deutschland ist ein zweites hohes Ziel. Diese beiden in einem transparenten, einfachen und verlässlichen Verfahren zusammenzuführen, ist das Ziel dieser Koalition und damit auch das Ziel der Bundesregierung. Deshalb bitte ich Sie, sich in Gelassenheit an dem parlamentarischen Verfahren zu beteiligen und nicht mit Forderungen, die ein vernünftiges Ergebnis torpedieren, zu schnell über das Ziel hinauszuschießen. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katja Mast für die SPDFraktion. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! 7 200 Taxen bringen uns in Berlin von A nach B. Im Gespräch mit den Taxifahrerinnen und Taxifahrern stellt man oft fest: Das ist ja eine Ärztin aus der Türkei, ein Ingenieur aus Osteuropa oder ein arabischer Facharbeiter. Was haben diese Taxifahrer aus Berlin mit dem heutigen Tagesordnungspunkt 7 zu tun? Viel mehr, als uns allen lieb ist; denn viele Menschen aus anderen Ländern arbeiten hier bei uns in Deutschland in Jobs, die weit unter ihrer Qualifikation liegen. Gleichzeitig - jetzt wird es paradox - beklagt sich die Wirtschaft über Fachkräftemangel, und die Volkswirtschaftler sagen uns klar und deutlich: Je mehr Fachkräfte wir beschäftigen, desto mehr Jobs haben wir in Deutschland. - Glauben Sie mir: Als Abgeordnete aus BadenWürttemberg kenne ich das sehr gut; denn Fachkräftemangel ist bei uns auch in Zeiten der Krise in aller Munde. Deshalb muss der Deutsche Bundestag handeln. Wir müssen einen Weg finden, um die Abschlüsse aus dem Ausland schnell und zuverlässig anzuerkennen. Das ist ein zentraler Schritt, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Es ist aber auch ein wichtiger Schritt hin zu einer gelungenen Integration von in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten. ({0}) Die bisherigen Regelungen zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen gehen völlig an der Realität vorbei. Ein verwirrendes Geflecht aus Zuständigkeiten führt bislang, wenn überhaupt, zu langwierigen Anerkennungsverfahren, die immer - ich betone: immer - auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden, zu oft aber auch scheitern. Damit wollen wir, die SPD-Bundestagsfraktion, durch unseren Antrag Schluss machen. Wir wollen ein Anerkennungsgesetz, das jedem - übrigens auch Deutschen, die im Ausland eine Qualifikation erworben haben - ein geordnetes Anerkennungsverfahren ermöglicht. Damit einhergehen müssen ein Rechtsanspruch auf ein solches Verfahren und vor allen Dingen klare Fristen; nach spätestens sechs Monaten sollte ein solches Verfahren abgeschlossen sein. Ergebnis muss sein, dass von Freiburg bis Flensburg oder von Flensburg bis Freiburg einheitliche Regeln bei der Anerkennung der Abschlüsse gelten, und zwar unabhängig davon, welche Nationalität im Pass steht. Wir bleiben mit unserem Antrag unserer Linie treu; denn der ehemalige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz hat Anfang dieses Jahres Eckpunkte für ein Anerkennungsgesetz vorgelegt. Die amtierende Bundesregierung kann auf diese Eckpunkte gerne zurückgreifen. Wenn sie das täte, wären wir in unserem Verfahren schon einen Schritt schneller. Die Opposition hier im Deutschen Bundestag ist sich im Grundsatz einig; das zeigen die drei Anträge von heute. Allerdings will die SPD einige Schritte weiter gehen: Wir wollen ein Einstiegs-BAföG, damit Qualifika656 tionen nachträglich erworben werden können, und die Einbeziehung nichtformaler Qualifikation. Stimmen wir nicht überein? Fachkräftemangel beseitigen wir besonders klug, wenn wir die in unserem Land brachliegenden Qualifikationen und auch Lebensleistungen der Menschen anerkennen. Diese Anerkennungskultur ist Wertschätzung. Diese Anerkennungskultur ist echte Integration. Diese Anerkennungskultur schafft gute Arbeit. Ich sage selbst jenen, die sich für die derartige Anerkennung nicht erwärmen können: Auch volkswirtschaftlich ist eine solche Politik sinnvoll. Die Bundesregierung fordere ich auf: Legen Sie uns ein Anerkennungsgesetz vor. Die Eckpunkte sind bereits in der politischen Debatte. Dann sind wir gemeinsam auf der Höhe der Zeit, und Deutschland wird in ganz Europa Leuchtturm in Sachen Anerkennungskultur. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Sibylle Laurischk das Wort. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Integration bleibt weiterhin ein wichtiges gesellschaftspolitisches Anliegen für uns alle. Integration gelingt besonders dann, wenn Menschen Arbeit haben, wenn sie an einem Arbeitsplatz ihre Fähigkeiten und ihr Können einbringen können und sich damit in die deutsche Gesellschaft hineinbewegen. Deswegen ist es für uns nicht erst seit dem Abschluss des Koalitionsvertrags ausgesprochen wichtig, dass wir die Anerkennung von Berufs- und Bildungsabschlüssen, die Menschen im Ausland erworben haben, voranbringen. In Deutschland gibt es ein Wirrwarr, eine große Kompetenzunklarheit, gerade aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeiten der Bundesländer. Ich glaube, wir haben mit unserem Antrag „Lebensleistung von Migrantinnen und Migranten würdigen - Anerkennungsverfahren von Bildungsabschlüssen verbessern“ schon vor einem Jahr deutlich gemacht, dass dieses Thema nicht länger auf sich warten lassen kann und dass schon die alte Bundesregierung sehr gefordert war. Ich hätte mir gewünscht, Frau Mast, dass der damals zuständige Minister so aktiv geworden wäre, wie Sie es nun empfehlen. ({0}) Insofern freue ich mich natürlich, dass die Opposition, sogar geschlossen, unsere Initiative begleiten will und ein Anerkennungsgesetz fordert, wie wir es im Koalitionsvertrag umrissen haben. Wir wollen das umsetzen. Ich glaube, wir haben wirklich begriffen, dass diese Umsetzung dringend notwendig ist und dass es für Menschen, die nach Deutschland kommen, immer wieder schmerzlich ist, festzustellen, dass sie das, was sie im Ausland studiert haben und was sie an Fähigkeiten, auch durch praktische Tätigkeiten, im Ausland erworben haben, hier nicht zur Anwendung bringen können, sodass sie hier möglicherweise weit unter Qualifikation arbeiten müssen. So kann das nicht weitergehen. Da haben wir unsere Zielsetzung ganz klar formuliert. Wir leisten damit einen ganz wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Integration. Wir sollten auch sehen, dass hier Möglichkeiten zur erfolgreichen, zur positiven Integration bestehen. Integration ist nicht nur ein Problemfeld, sondern es ist wirklich auch ein Feld mit Chancen. Gerade Menschen, die ihre Fähigkeiten einbringen können, sind positiv zu begleiten und zu unterstützen. Wenn wir hier aus dem Bundestag heraus geschlossen agieren, dann sind wir, was das Thema Integration angeht, auf einem guten und richtigen Weg. Danke. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Sevim Dağdelen hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier heute in der Aktuellen Stunde noch einmal vergegenwärtigt bekommen, dass in Deutschland für den Lebensweg und auch für die Bildungskarriere immer noch der Geldbeutel oder auch die Herkunft entscheidend ist. Auch deshalb haben wir Linken bereits 2007 als erste Fraktion konkrete Vorschläge zur erleichterten Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufs- und Bildungsabschlüssen vorgelegt. Alle anderen Fraktionen dieses Hauses fanden dieses Anliegen wichtig und richtig, nur lösen wollte das Problem dann doch niemand, außer den Linken. So wurde unser Antrag noch im Januar dieses Jahres von Ihnen allen abgelehnt. Doch, siehe da, fünf Monate nach der Ablehnung unseres Antrages - der Wahlkampf rückte ja näher - gab es dann ein gemeinsames Eckpunktepapier der zuständigen Bundesministerien. - Die Linke wirkt also! ({0}) Der Skandal aber ist, dass die Große Koalition mit ihrem gesamten Ministerialapparat innerhalb von vier Jahren nicht mehr geschafft hat als lediglich Eckpunktepapiere. Spätestens seit dem „Sechsten Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“ vom Juni 2005 hätte Ihnen dieses Problem bekannt sein müssen, und man hätte auch erwarten können und dürfen, dass Sie handeln, aber auch das folgte nicht. Für die Betroffenen ist es wirklich schon zynisch, wenn die SPD nun in ihrer Antragsbegründung über die Zeit ihrer Regierungsverantwortung von „Stagnation“ schreibt. Die Gefahr des sozialen Abstiegs hat sich dadurch für viele Migrantinnen und Migranten in den letzten vier Jahren nicht nur vergrößert, sondern diese Gefahr ist auch Realität geworden. Die Erwerbsbiografien und auch die Qualifikationen dieser Menschen sind immer weiter entwertet worden. Vier Jahre Dequalifizierung, vier Jahre Diskriminierung und auch vier Jahre Ablehnung, wie Sie selbst in Ihrem Antrag richtigerweise schreiben. Das haben Sie von der SPD allerdings leider auch mitzuverantworten. ({1}) Und was noch schlimmer ist: Die bereits bestehenden gutachterlichen Anerkennungsverfahren durch die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen haben sich durch die massiven Kürzungen bei den personellen Ressourcen der Länder um bis zu 40 Prozent sogar noch verschlechtert. Das musste die Bundesregierung auf meine schriftliche Frage hin sogar einräumen. Auch das ist ein Skandal. ({2}) Nun aber haben sich die CDU, die CSU und die FDP in ihrem Koalitionsvertrag dieses Anliegen sozusagen auf ihre Fahne geschrieben. Doch die Linke wird und will nicht zulassen, dass noch einmal vier Jahre vergehen, bis diese Benachteiligung von rund einer halben Million Migrantinnen und Migranten endlich beseitigt wird. Deshalb möchten wir Ihnen mit unserem Antrag noch einmal Beine machen. ({3}) Denn die Integrationsbeauftragte, Frau Böhmer - sie ist ja heute anwesend -, hat zwar immer wieder betont, dass die unzureichende Anerkennung bzw. die Nichtanerkennung von ausländischen Hochschulabschlüssen und von Qualifikationen ein „Skandal“ sei, der „schnellstmöglich beendet“ werden müsse, aber auch hier folgten den Worten keine Taten. Bedauerlich ist auch, dass die zwischenzeitlich vorgesehene Möglichkeit einer Approbation in Heilberufen für Migrantinnen und Migranten ebenso aus dem Entwurf des Koalitionsvertrages herausgefallen ist wie auch die Sechsmonatsfrist für das Anerkennungsverfahren. Das ist sehr bedauerlich. Deshalb teilen wir das Misstrauen der Grünen, die ebenfalls ganz offenkundig bei dieser Bundesregierung nicht auf die Einsicht in das Notwendige warten wollen, und deshalb erneut unser Antrag mit zwingenden Mindestforderungen für diesen Bereich. Warum die Grünen allerdings unserem Antrag im Januar 2009 nicht zugestimmt haben, bleibt ihr Geheimnis. Aber wir freuen uns selbstverständlich, wenn die Linke auch bei den Grünen hin und wieder wirkt. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Marcus Weinberg das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin von der Fraktion Die Linke, Sie wollen mir ja Beine machen; aber wie Sie hoffentlich gesehen haben, habe ich schon welche, und Sie werden in den nächsten Monaten sehen, wie schnell diese Beine laufen können. Ich will ausdrücklich bemerken, dass die Debatte über dieses Thema, die wir heute nicht zum ersten Mal führen, ({0}) wichtig ist. Sie ist übrigens auch zu diesem Zeitpunkt wichtig; denn wir werden in den nächsten Tagen erleben, dass das Kabinett sich mit diesem Thema beschäftigt. Insofern ist es immer richtig, wenn - lex legis - die Legislative vorher klar bekundet, was sie erwartet. Es ist im laufenden Prozess immer richtig, zunächst Eckpunkte zu entwickeln und klarzumachen, wo das Parlament steht, um dann über die Regierung verantwortlich ein Gesetz zu entwickeln, das dann im Bundestag beschlossen wird. Denn ich glaube, wir alle - angefangen bei Frau Sager bis hin zu der Kollegin von der FDP und der Kollegin von der SPD - sind uns einig, ({1}) dass es nicht hinnehmbar ist, dass das Potenzial und die Qualifikationen von Zugewanderten der Wissenschaft und damit auch dem Arbeitsmarkt verloren gehen. Es ist für uns auch nicht hinnehmbar, wenn Menschen, die selbst für ihre Ausbildung und den Erwerb von Berufsqualifikationen gesorgt haben, nicht in diesem Beruf arbeiten können. Sozialpolitisch, gesellschaftspolitisch und arbeitsmarktpolitisch ist das also nicht tragbar. Ich teile ausdrücklich eine Bemerkung von Frau Sager von den Grünen, dass es auch einige integrationspolitische Versäumnisse gibt. Diese liegen durchaus auf unser aller Schultern. Aber jetzt können wir zügig ein Gesetz verabschieden, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass uns die Entwicklung durch den demografischen Wandel und den daraus entstehenden Fachkräftemangel dazu zwingen wird, in den nächsten Jahren gesellschaftlich anders mit diesem Thema umzugehen. Wir reden immer über sehr abstrakte Zahlen: Wir reden über 500 000 zugewanderte Akademiker, die nicht in ihrem Beruf arbeiten können; insgesamt erfahren über 1 Million Menschen keine angemessene Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikation. Das sind aber alles einzelne Menschen, die in ihrem Sevim DaðdelenSevim Dağdelen Marcus Weinberg ({2}) persönlichen Fortkommen in dieser Gesellschaft gehindert werden. Das ist ein Integrationshemmnis. Deswegen ist es richtig, dass wir damals in der Großen Koalition - gemeinsam mit mehreren Ministerien; es waren übrigens CDU/CSU-geführte Ministerien - angefangen haben, diese Eckpunkte zu entwickeln. Das setzen wir jetzt in der Koalition mit der FDP fort. Es geht uns dabei um die Frage der Integration von Beschäftigten sowie der Integration im Bildungsbereich, auch mit der Zielsetzung der Durchlässigkeit. Der Koalitionsvertrag wurde bereits angesprochen. Darin haben wir mit unserem Regierungspartner vereinbart und uns verpflichtet, Unterschiede in den Bildungsstandards und bei der Bewertung von Bildungsabschlüssen zu beseitigen. Das heißt, wir wollen vergleichbare Lernerfolge in Deutschland und international schaffen. Es ist nicht so, dass in der Vergangenheit nichts geschehen wäre. Auch das muss man deutlich sagen. Ich erinnere daran, dass die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, die von der KMK eingerichtet wurde und für die Bewertung und Einstufung ausländischer Bildungsnachweise zuständig ist, im Frühjahr dieses Jahres mit der Zeugnisbescheinigung auch für Privatpersonen begonnen hat. ({3}) Man kann lange darüber diskutieren, wie effektiv die ZAB arbeitet. Sie hat aber eine Reihe von Funktionen, zum Beispiel die Vorbereitung bilateraler Abkommen ({4}) - ich zähle nur auf, was sich verändert hat - oder dass Universitäten und Institutionen die ZAB als Berater oder Dienstleister in Anspruch nehmen können, beispielsweise wenn es um Stipendien geht. Zweiter Punkt. Mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen oder dem Kreditpunktesystem für die berufliche Bildung wird ein System der Vergleichbarkeit etabliert. Vorhin haben viele gelacht, als es um dieses Kreditpunktesystem ging. Ich kann nur sagen: Das ist der Prozess der Zukunft, und es wäre für das Fortkommen vieler Menschen, die heute noch keine Anerkennung haben, gut gewesen, wenn es dieses Kreditpunktesystem bereits gegeben hätte. ({5}) Bis 2010 wird ein Qualifikationsrahmen entwickelt werden. Ich stimme ausdrücklich zwei Vorbedingungen zu.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, bevor Sie Ihre Vorbedingungen nennen: Möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dağdelen zulassen?

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne. Bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege Weinberg. - Sie haben von der ZAB, der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, berichtet. Ich habe am Ende der vergangenen Legislaturperiode, im September 2009, die Frage gestellt, wie es mit der Absicht, die Anerkennungsverfahren zu vereinfachen, vereinbar ist, wenn man die Ressourcen der ZAB um 40 Prozent kürzt und somit die Dauer der Verfahren deutlich erhöht. Ihre Staatsministerin Frau Professor Dr. Maria Böhmer sagte daraufhin: Eine angemessene personelle und finanzielle Ausstattung ist aus meiner Sicht Voraussetzung dafür, dass die ZAB ihre umfassenden Aufgaben als Gutachter- und Informationsstelle nach der Lissabon-Konvention sowie im Rahmen der Richtlinie 2005/36/EG wahrnehmen kann. Wie ist das mit Ihren Aussagen vereinbar?

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wahrscheinlich ist es in meinen Aussagen nicht deutlich geworden. Die ZAB ist ein Instrumentarium, das die Länder, die die Verantwortung haben, über die KMK geschaffen haben, um Defizite abzubauen. Es geht um die Anerkennung von Ausbildungsgängen von Privatpersonen, um die Vorbereitung bilateraler Übereinkommen zwischen Deutschland und anderen Ländern und um die Frage, wie diese Institution der KMK Universitäten unterstützen kann, wenn sie Fragen zu Stipendien oder zu vergleichbaren Dingen haben. Die ZAB ist also als Dienstleister tätig geworden. Aber das ist nicht das Ende der Fahnenstange, sondern erst der Anfang. Am Ende werden die Ressourcen - auch die finanziellen - zusammengestellt und dann - das ist der Zweck des Gesetzes - so verknüpft, dass beim Anerkennungsverfahren gewisse Vorgaben, auf die ich im Folgenden noch kommen möchte, erfüllt werden können. Insofern ist die ZAB ein Zwischenschritt. ({0}) Zu den Vorgaben will ich sagen: Völlig richtig ist, dass wir die Qualität des Ausbildungssystems und auch die Besonderheiten des deutschen Bildungssystems berücksichtigen müssen. Der Europäische Qualifikationsrahmen ist richtig und wichtig. Aber wir legen auch Wert darauf, dass unsere Vorgaben beachtet werden. Jetzt komme ich zu dem zentralen Punkt, den auch Frau Sager angesprochen hat. Ich hoffe daher, dass es zu einer mehrere Fraktionen umfassenden Koalition im nächsten Jahr kommt. Drei Ziele sind für die Menschen wichtig: Erstens muss es ein Anerkennungsverfahren geben. Solche Verfahren können lange dauern. Deshalb muss es eine verbindliche Regelung geben. Verbindlich heißt für uns, dass innerhalb einer Frist von sechs Monaten das Marcus Weinberg ({1}) Anerkennungsverfahren abgeschlossen ist. Es nutzt aber kein Anerkennungsverfahren, wenn es keine Angebote gibt, wie man die Defizite ausgleichen kann. Daher muss es zweitens Angebote für verzahnte Qualifizierungsmaß- nahmen in Form eines Modulsystems geben, mit denen man Defizite relativ zügig ausgleichen kann. Da die Ma- terie so kompliziert ist - es gibt verschiedene Akteure wie Bund, Länder, Kommunen und Kammern -, muss drittens durch Clearingstellen transparent gemacht wer- den, welche Möglichkeiten es gibt. - Dieses sind aus un- serer Sicht die drei übergeordneten Ziele. Ich finde es richtig - Herr Dr. Braun hat es bereits er- wähnt -, dass wir am 9. Dezember den entscheidenden Schritt gehen und die Eckpunkte ins Kabinett einbrin- gen, die wir, wie gerade skizziert, als Schwerpunkte an- sehen. Insgesamt werden drei gesetzliche Ansprüche verankert: a) Anspruch auf Durchführung eines Aner- kennungsverfahrens bzw. eines Verfahrens zur Feststel- lung beruflicher Qualifikationen; b) Anspruch auf formale Teilanerkennung bzw. Anspruch auf eine gut- achterliche Stellungnahme oder eine Potenzialanalyse, mit der ermittelt wird, welche Ausbildungsinhalte mög- licherweise nachgeholt werden müssen; c) Anspruch auf Information über entsprechende Maßnahmenangebote. Ich glaube, dass wir in der Debatte im Deutschen Bundestag jetzt die entscheidenden Schritte gehen können. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir dieses übergeordnete gesellschaftspolitische, arbeitsmarktpolitische und integrationspolitische Thema gemeinsam weiter begleiten und zu einem Schwerpunkt in der Bildungsarbeit machen. Ich hoffe, dass wir spätestens in einem Jahr ein Anerkennungsgesetz verabschiedet haben, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Herzlichen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Swen Schulz hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Expertenkommission Forschung und Innovation hat in ihrem Gutachten 2009 einmal mehr das Problem des Fachkräftemangels in Deutschland angesprochen und eine aktive Einwanderungspolitik für Hochqualifizierte gefordert. Das alles ist auch in Ordnung; es ist okay. Aber zuallererst müssen wir doch wohl die Fähigkeiten derjenigen, die bereits hier leben, entsprechend nutzen. ({0}) Leider sind wir in Deutschland sehr weit davon entfernt. Es leben hier sehr viele, die im Ausland Qualifikationen erworben haben, deren Anerkennung ihnen vollkommen unnötig schwer gemacht wird. Schätzungen gehen alleine von 500 000 Menschen aus, deren akademische Qualifikation nicht anerkannt wird. Hinzu kommen viele Meister, Techniker usw. usf. Sie sind nicht etwa schlecht qualifiziert, müssen aber, wie es dann so heißt, in nicht ausbildungsangemessenen Tätigkeiten aktiv sein. Das Problem ist, dass es in Deutschland anders als zum Beispiel in Dänemark kein ordentliches, geregeltes Anerkennungsverfahren für im Ausland erworbene Abschlüsse gibt. Da wird nach Berufsgruppen, nach Anerkennungszwecken und danach unterschieden, ob es sich um Spätaussiedler, um EU-Bürger oder um sogenannte Drittstaatler handelt. Da gibt es in den einzelnen Bundesländern vollkommen unterschiedliche Verwaltungspraktiken. Am Ende blickt keiner, wenn man einmal ehrlich ist, wirklich durch. Das ist eine vollkommen inakzeptable Ungleichbehandlung der Bürgerinnen und Bürger. Das zwingt die Leute nachgerade in die Knie. Es erschwert Integration, und es ist volkswirtschaftlicher Irrsinn, weil wir die Fähigkeiten der Menschen, die hier leben, nicht nutzen. Mit diesem Unfug müssen wir endlich aufhören. ({1}) Nun ist das Problem nicht neu. Dies alles ist schon in die Diskussion über den Integrationsplan und die Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung eingeflossen. Leider gibt es da noch keine handfesten Fortschritte. Ich will den Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der Linksfraktion sagen: In der letzten Legislaturperiode war es der eigentlich gar nicht zuständige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, der initiativ geworden ist und Punkte vorgelegt hat. ({2}) Aber in der Großen Koalition gab es auch bremsende Kräfte. Kollege Weinberg, ich höre gerne, dass wir inzwischen so ziemlich auf einen Nenner kommen. Wir haben in unserem Antrag, basierend auf der Vorarbeit des früheren Arbeitsministers Olaf Scholz, klare Punkte formuliert. Wir müssen mit diesem Kuddelmuddel, mit diesem Anerkennungswirrwarr, wie die Kollegin Sager gesagt hat, aufräumen. Wir müssen die Stagnation, die wir seit langem hier sehen, überwinden. Darum muss der Bund voranschreiten und den Entwurf eines Anerkennungsgesetzes vorlegen. Darin muss ein Rechtsanspruch für alle auf Durchführung eines Anerkennungsverfahrens enthalten sein. ({3}) Wir brauchen ausreichend viele Anerkennungs- und Beratungsstellen. Das Verfahren darf höchstens sechs Monate dauern, damit alle schnell Klarheit bekommen. Das Ziel muss eine bundesweit verbindliche Gleichwertigkeitsfeststellung sein. Wo nur Teilanerkennungen ausgesprochen werden können, müssen dann auch Angebote zur Nach- und Weiterqualifizierung gemacht werden. Diese Angebote müssen dann auch tatsächlich wahrgenommen werden können, auch in finanzieller Hinsicht. Swen Schulz ({4}) Wir brauchen entsprechende Förderinstrumente. Wir schlagen zur Ergänzung dessen, was wir bereits haben, ein Einstiegs-BAföG zur beruflichen Integration vor. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Integration in den Beruf tatsächlich zu erleichtern. ({5}) Es geht hier um Respekt. Es geht um das wohlverstandene gemeinsame Interesse, dass sich alle, die hier leben, einbringen und ihren Beitrag leisten können. In diesem Sinne ist unsere Forderung an die Bundesregierung: Legen Sie nicht einfach nur Eckpunkte vor - ich glaube, wir haben lange genug über diese Thematik geredet -, sondern forcieren Sie die Problemlösung! Legen Sie einen Gesetzentwurf vor! Dann kommen wir schneller zum Ziel. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Serkan Tören spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Serkan Tören (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004177, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt ausführlich gehört, welche Missstände es bei der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse gibt und welche Potenziale für unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft dort brachliegen. Wir haben gehört, wie frustrierend und beschämend es für die Betroffenen ist, von Pontius zu Pilatus zu rennen, ohne ihrem Ziel näherzukommen, in Deutschland ihren gelernten Beruf ausüben zu dürfen. Wir sind uns in diesem Hause über die Fraktionen hinweg einig, dass dies ein Zustand ist, der dringend geändert werden muss. Lassen Sie mich daher konkreter werden und ein paar Eckpunkte darlegen, die wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner zügig beraten werden. Erstens. Das Thema Neuzuwanderer. Wir werden prüfen, inwieweit es möglich ist, bereits vor der Einwanderung mit der Feststellung der Qualifikation beginnen zu können, um so die Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt zu beschleunigen. Zweitens. Zur Dauer der Anerkennungsverfahren. Wir haben immer wieder klar gefordert, dass die Dauer der Verfahren nicht länger als sechs Monate betragen soll. Daran wollen wir festhalten. Das muss die Messlatte sein. ({0}) Drittens. Das Thema Teilanerkennung. Das ist durchaus ein schwieriges Thema, aber auch das möchten wir ermöglichen und gleichzeitig mit Angeboten zur Anpassungsqualifizierung verbinden. Deutschland ist ein Zuwanderungsland, und Deutschland braucht Zuwanderung. Aber - das wird insbesondere den Damen und den Herren von der Linken nicht passen - die Eckpunkte und Instrumente, die ich gerade kurz erläutert habe, müssen sinnvoll eingesetzt und ausgerichtet werden. Das bedeutet: Sie müssen sich an dem Bedarf unserer Unternehmen und Freiberufler, an dem Bedarf unserer Wirtschaft orientieren. ({1}) Nur so geben wir den Menschen, die in unser Land kommen, eine echte Perspektive und die Chance auf Selbstverwirklichung und Integration. ({2}) Das ist auch die einzige Möglichkeit, wie wir es in Deutschland schaffen, dem globalen Wettbewerb um die besten Köpfe standzuhalten und sie hierher zu bekommen. Das ist die einzige Chance. ({3}) Alle, die sich mit diesem Thema befassen, wissen, wie komplex und schwierig es ist, flächendeckend zu befriedigenden Lösungen und Verfahren zu kommen. Ich sage das insbesondere mit Blick auf unsere föderale Struktur. Daher appelliere ich an dieser Stelle ganz klar an die Kolleginnen und Kollegen der Länder, hier zu kooperieren, sodass wir schnell zu Ergebnissen kommen. Wir müssen endlich aufhören, Wachstumschancen zu verschenken; denn das können wir uns weiß Gott nicht leisten. Der Bund hat klare Eckpunkte und ein klares Bekenntnis im Koalitionsvertrag formuliert. Jetzt sind die Länder in der Pflicht. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/123, 17/117 und 17/108 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Die EU-Perspektive der südosteuropäischen Staaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Makedonien, Montenegro und Serbien verstärken - Drucksache 17/106 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Hier ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dietmar Nietan für die SPD-Fraktion.

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor gut vier Wochen haben wir alle mit großer Dankbarkeit den 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer gefeiert. Damals, am 9. November 1989, fiel endlich dieses schändliche Bauwerk, welches schlechthin das Symbol für die Teilung Europas war. Heute möchte ich namens der SPD-Bundestagsfraktion den Antrag „Die EU-Perspektive der südosteuropäischen Staaten … verstärken“ vorstellen. Wir möchten mit diesem Antrag daran erinnern, dass gerade wir Deutsche eine besondere Verpflichtung haben, uns innerhalb der Europäischen Union für eine Politik einzusetzen, die sich dem Ziel der Vereinigung Europas uneingeschränkt verpflichtet fühlt. Nach dem traumatischen Versagen der Europäischen Union während des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawiens haben wir den über 20 Millionen Menschen in Albanien, in Bosnien und Herzegowina, im Kosovo, in Kroatien, in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, in Montenegro und in Serbien nicht erst auf dem Treffen des Europäischen Rates 2003 in Thessaloniki das Versprechen gegeben, ihnen eine ernsthafte Chance für einen Beitritt in die EU zu geben. Nun ist nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon aus unserer Sicht der richtige Zeitpunkt gekommen, dieses Versprechen nicht nur als ein Lippenbekenntnis zu erneuern, sondern es durch konkrete politische Initiativen mit neuem Schwung zu versehen. Wenn sich die Bundesregierung für eine konkrete Verstärkung der EU-Perspektive für die Staaten Südosteuropas auf dem kommenden Europäischen Rat am 10. und 11. Dezember in Brüssel einsetzen würde, hätte sie dabei sicherlich viele Unterstützerinnen und Unterstützer. So konzediert die EU-Kommission in ihrem letzten Fortschrittsbericht der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien erhebliche Fortschritte bei der Umsetzung wichtiger Reformen. Aus diesem Grund empfiehlt die Kommission die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien. Ich hoffe deshalb sehr, dass die Bundeskanzlerin kommende Woche auf dem Europäischen Rat in Brüssel die Initiative ergreift, indem sie sich für einen entsprechenden Beschluss zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen einsetzt. ({0}) Die Regierung in Skopje hat sich, sicherlich auch ermutigt durch die positive Empfehlung der EU-Kommission für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, im Namensstreit mit Griechenland auf Griechenland zubewegt. Die deutsche Bundesregierung könnte jetzt an dieser Stelle, so finde ich, unseren griechischen Freunden gut zureden, sich in dieser Frage ebenfalls zu bewegen. Mazedonien die Perspektive eines EU-Beitritts mit Hinweis auf den andauernden Namensstreit zu versagen, wäre jedenfalls unverantwortlich. Die guten Fortschritte, insbesondere von Kroatien, Mazedonien und Serbien, zeigen, dass die EU-Beitrittsperspektive ein ganz entscheidender Punkt im Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess der Europäischen Union mit den Staaten Südosteuropas ist. Der amtierende Erweiterungskommissar Rehn hat noch zuletzt Ende Oktober vor dem Europäischen Parlament die EUBeitrittsperspektive als das zentrale Instrument für Stabilität auf dem Balkan bezeichnet. Ausdrücklich spricht sich Olli Rehn für eine Fortsetzung des Erweiterungsprozesses aus. Ich muss Ihnen sagen: Eine solch klare Aussage, insbesondere auch gegenüber den Staaten in Südosteuropa, sucht man im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP leider vergeblich. ({1}) Angesichts der Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise, aber auch vor dem Hintergrund eines teilweise in besorgniserregender Weise aufkeimenden Nationalismus in der Balkanregion bedarf es aber genau jetzt eines deutlichen Signals, dass die EU ihre Anstrengungen verstärkt, um die soziale, wirtschaftliche und politische Stabilisierung der Region voranzubringen. ({2}) Die proeuropäischen, demokratischen Kräfte in den Staaten Südosteuropas brauchen jetzt unsere Unterstützung. Lob allein ist da zu wenig. Jetzt sind Taten gefragt. Die Beschlüsse des Europäischen Rats für Justiz und Inneres vom vergangenen Montag, die Visumspflicht für Mazedonien, Montenegro und Serbien aufzuheben sowie Bosnien-Herzegowina und Serbien entsprechende Makrofinanzhilfen zu geben, sind ermutigend. Doch entscheidend ist für mich die Frage, ob es weiterhin gerade auch aus Deutschland das Signal gibt: Wir wollen den Erweiterungsprozess fortsetzen. Wir wollen euch, die Staaten Südosteuropas, ernsthaft und aufrichtig bei uns aufnehmen. Wir würdigen eure Reformschritte und werden alles unterlassen, was auf EU-Seite den Beitrittsprozess unnötig verlängert. Das gilt nicht nur für Kroatien, wo die Frage von fehlenden Artillerieprotokollen nicht zum alleinigen Maßstab für den Beitrittsfortschritt gemacht werden sollte. Das gilt für die gesamte Region; denn letztlich muss es in unser aller Interesse sein, dass die Länder Südosteuropas, inzwischen eine Enklave innerhalb der Europäischen Union, einen neuen und nachhaltigen Impuls für eine EU-Mitgliedschaft erhalten. Unser allseits geschätzter früherer Kollege Detlef Dzembritzki hat in seiner letzten Bundestagsrede hier an dieser Stelle am 28. Mai dieses Jahres gesagt, er halte es für sinnvoll, nach der Ratifizierung des Lissabon-Vertrages zu prüfen, ob man nicht einen weiteren Sondergipfel für die Region einberufen solle. Damals bekam Detlef Dzembritzki für diesen Vorschlag in diesem Haus viel Beifall. Jetzt ist vielleicht die Zeit gekommen, dem Beifall von damals Taten folgen zu lassen. In diesem Sinne bitte ich Sie alle um Unterstützung für unseren Antrag. Ich glaube, nicht nur Detlef Dzembritzki, sondern auch die Reformer in Südosteuropa würden sich darüber sehr freuen. Ich danke Ihnen. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Peter Beyer hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ende des KosovoKrieges, des letzten großen Krieges auf dem Balkan, liegt jetzt ungefähr zehn Jahre zurück. Seitdem sind in dem südosteuropäischen Raum erhebliche Fortschritte zu verzeichnen, allerdings in stark unterschiedlichem Ausmaß. Zudem hat die Entwicklung leider gezeigt, dass das einmal Erreichte nicht immer von Dauer ist. Der Grund hierfür ist nicht nur die im Antrag genannte Wirtschafts- und Finanzkrise, beileibe nicht. Auch nicht überwundene, stark ausgeprägte ethnische Spannungen hemmen den wirtschaftlichen Fortschritt in diesen Ländern. Dies ist ein wichtiger Grund, warum der Motor auf dem Weg Richtung EU-Mitgliedschaft stottert. Die Europäische Union hat auf ihrem WestbalkanGipfel in Thessaloniki in 2003 die Perspektive einer EUMitgliedschaft für die Westbalkanländer deutlich unterstrichen. Wir stehen dazu. Das kommt beispielsweise in den Bestrebungen der EU hin zu einer Visaliberalisierung zum Ausdruck. Eine Beitrittsperspektive läuft letztlich immer auch auf Visafreiheit hinaus. Die EU hat dafür Roadmaps mit diesen Staaten festgelegt. Für viele Menschen auf dem westlichen Balkan ist die Europäische Union ein wichtiger Hoffnungsträger. Die EU steht für Stabilität, wirtschaftliche Entwicklung und für Demokratie. Nicht nur wirtschaftliche Erwägungen spielen eine Rolle. Gerade wir Deutschen wissen, dass die EU helfen kann, lang andauernde Konflikte nicht nur zu überwinden, sondern letztlich auch final zu beenden. ({0}) Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass die Hoffnungen, die die Menschen mit der EU und einer Mitgliedschaft in der EU verbinden, berechtigt sind. Ich bin deshalb sehr für ehrliche Beitrittsgespräche mit den Ländern Südosteuropas. Allerdings müssen wir auch klar sehen, dass die Staaten im Hinblick auf eine mögliche EU-Mitgliedschaft unterschiedlich weit fortgeschritten sind. Mazedonien hat den Status eines Beitrittskandidaten erreicht. Montenegro hat im Dezember letzten Jahres ein EU-Beitrittsgesuch übergeben, Albanien Ende April dieses Jahres. Auch Serbien hat einige Verbesserungen erreicht, an der einen oder anderen Stelle, beispielsweise bei der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, hapert es aber noch. Lassen Sie mich kurz auf die Lage in Bosnien-Herzegowina eingehen. Dieses Land ist durch die kriegerischen Auseinandersetzungen nach dem Zerfall Jugoslawiens ganz besonders gebeutelt. Noch heute kämpft dieser Staat mit den Folgen. Neben den Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Beendigung des Mandates des Hohen Repräsentanten sind ethnische Konflikte in Bosnien-Herzegowina weiterhin besonders präsent. Das behindert den Annäherungsprozess an die EU. Gleichzeitig erkennen wir an, dass Bosnien-Herzegowina im Rahmen der Annäherung an die EU wichtige Schritte unternommen hat. Letztlich brauchen wir ein demokratisches Bosnien-Herzegowina, das als Staat selbst agieren kann. Die Stabilität dieses fragilen Staatengebildes ist von entscheidender Bedeutung für die gesamte südosteuropäische Region. ({1}) Leider stockt derzeit der notwendige Verfassungsreformprozess. Kosovo schließlich kämpft seit der Unabhängigkeit 2008 darum, ein hinreichendes Maß an Stabilität in dem Staat hinzubekommen. Vor diesem Hintergrund plädiere ich dafür, ergebnisoffene Verhandlungen mit den Staaten in dieser Region zu führen. Wir brauchen Verhandlungen, die auf die konkrete Situation der einzelnen Beitrittskandidaten zugeschnitten sind. Wir brauchen eine Erweiterungspolitik mit Augenmaß und sicherlich an der einen oder anderen Stelle auch mit einem langen Atem. Die strikte Erfüllung der Beitrittskriterien muss dabei immer bindende Voraussetzung für einen Beitritt sein. Eine Aufweichung der Beitrittskriterien darf es einfach nicht geben. Schon gar nicht darf es zu einer Art Automatismus kommen. Daher wäre die Nennung eines Beitrittsdatums vor Abschluss der Verhandlungen schlicht nicht sinnvoll. An Termingeschäften hat sich schon so mancher die Finger verbrannt. Der künftige Erweiterungsprozess wird auch davon bestimmt sein, ob es uns gelingt, die EU nicht nur räumlich zu vergrößern. Entscheidend dürfte sein, dass wir die Verbindungen der Mitgliedstaaten im Innern vertiefen und letztlich das Zusammenwachsen weiter vorantreiben. Daher muss auch immer die Aufnahmefähigkeit der EU mit in den Blick genommen werden. Die europäische Einigung ist zweifellos die größte politische Erfolgsgeschichte unseres Kontinents. Sie garantiert seit Jahrzehnten Sicherheit und Frieden im Innern ebenso wie nach außen. Wir dürfen uns aber nicht auf dem Erreichten ausruhen. Die Arbeit ist noch nicht vollständig getan. Für den langfristigen Erfolg der Europäischen Union ist die tagtägliche Akzeptanz der EUBürgerinnen und -Bürger ganz entscheidend. Und dazu gehört eben auch, dass man sich an die selbstgesetzten Vorgaben hält. Das schafft Transparenz und Verlässlichkeit. Das wiederum schafft letztlich Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern. ({2}) In diesem Sinne verstehe ich den Antrag der SPDFraktion so, dass eine Aufnahme auch dann geschehen soll, wenn die tatsächlichen Gegebenheiten dem noch entgegenstehen. Das lehnen wir ab. ({3}) Klare Beitrittsperspektive ja, aber feste Beitrittsversprechen wird es mit uns nicht geben. Ich danke Ihnen. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, das war Ihre erste Rede in diesem Haus, zu der wir Ihnen gratulieren. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit hier. ({0}) Der Kollege Dr. Diether Dehm spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. ({1})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren, insbesondere liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Leider zeigt Ihr Antrag, dass Sie noch nicht richtig in der Opposition angekommen sind. Ich hätte mir gewünscht, dass Ihr Wahlergebnis dazu führt, dass Sie auch Ihre Außen- und Europapolitik auf den Prüfstand stellen. ({0}) Schon in der Überschrift Ihres Antrages nennen Sie das Kosovo einen Staat; aber das ist ein Bruch des Völkerrechts. Willy Brandt stand ohne Wenn und Aber für das Völkerrecht. Wenn nicht bald aus dem aktuellen SPDKurs wieder sozialdemokratischer Kurs wird, wird das nichts mit einer gescheiten Opposition und auch nichts irgendwann wieder mit der Regierung. ({1}) Will die SPD die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo weiterhin positiv sanktionieren? Wollen Sie damit grünes Licht für die Zerschlagung weiterer Nationalstaaten geben? ({2}) In Ihrem Antrag geben Sie vor, für den Erhalt multinationaler Staaten auf dem Balkan einzutreten. Warum haben Sie denn dann nichts dagegen getan, als das multinationale Jugoslawien zerschlagen wurde? ({3}) Tun Sie nicht so, als ob Sie nicht wüssten, dass mit der Anerkennung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo alle Sezessionsbestrebungen in der Region Auftrieb bekommen, ob in Bosnien oder in Montenegro. Sie beklagen in Ihrem Antrag zunehmenden Nationalismus. Wo Nationalstaaten aber zerstückelt und gedemütigt werden, nimmt Nationalismus meistens zu. ({4}) Dass Sie jetzt die Folgen der Jugoslawien-Kriege beklagen, ist nicht glaubwürdig. Wer hat denn 1999 Jugoslawien ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats angegriffen? Das war die Regierung von Schröder, Fischer und Scharping mit schwarz-gelber Billigung. ({5}) Joseph Fischer kümmert sich jetzt um die Verlegung der Nabucco-Pipeline durch den Balkan. Ihr Antrag ruft zwar „Haltet den Dieb!“, aber das Diebesgut, die Nabucco-Pipeline, bleibt hier. ({6}) Weder Sie in Ihrem Antrag noch die Bundesregierung sehen vor, dass die Bevölkerung gefragt wird. Wer die Erweiterung der EU will, muss die Menschen dabei mitnehmen. Aber zu Volksabstimmungen sagen Sie weiterhin: Nein, danke. ({7}) Wenn Sie Volksabstimmungen in Europa, wie die in Irland, nicht vermeiden können, dann lassen Sie so lange abstimmen, bis Ihnen das Ergebnis passt. ({8}) - Wer hier Gefangener seiner Ideologie ist bezüglich des Bruchs des Völkerrechts - ({9}) - Ich weiß nicht, warum Sie hier jetzt „Genosse Dehm“ rufen; wir sind noch nicht so weit, dass wir uns das hier zurufen müssen, schon gar nicht hier im Parlament. Die Linke setzt auf ein Europa der Bevölkerungen anstatt auf ein Europa der Eliten, dessen Entstehung jüngst der zweitoberste Verfassungsrichter, Voßkuhle, befürchtet hat. Im Europaausschuss wurde ich gefragt, ob wir Linke jetzt unseren Frieden mit dem Lissabon-Vertrag gemacht haben. Die Linke achtet geltende Gesetze, so auch den Lissabon-Vertrag in der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts, was wir gemeinsam mit dem Kollegen Gauweiler erstritten haben. Wir achten das Gesetz. Es freut mich, dass ich den Kollegen hier sitzen sehe. Wir Linke beachten sogar die autoritären Notstandsgesetze, die wir bekämpft haben. Aber wir bleiben bei unserer Kritik am neoliberalen, militaristischen Lissabon-Vertrag. ({10}) Mit ihm kommt die EU nicht in die Herzen und Köpfe der Völker Europas. ({11}) Wir wollen weiterhin eine friedliche, eine sozialstaatliche, eine ökologische und eine demokratische Verfassung für unser Europa. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Oliver Luksic hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beitrittsperspektive der Länder des Westbalkans ist aus Sicht aller Beteiligten wichtig, sowohl für die Länder des Balkans als auch für die Europäische Union und Deutschland. Im Gegensatz zur Linken sagen wir als FDP: Wir stehen zur Thessaloniki-Agenda, und wir stehen zum langfristigen Ziel eines EU-Beitritts der Länder des Westbalkans. Der Westbalkan darf keine nichteuropäische Insel inmitten von Europa sein. ({0}) Die Erweiterung darf aber kein Selbstzweck sein. Man muss sich daran orientieren - und zwar nur daran -, ob ein Beitrittsland die Kopenhagener Kriterien erfüllt. Der Erweiterungsprozess ist für uns grundsätzlich ein offener Prozess. Er muss mit Augenmaß betrieben werden. Für uns als FDP-Fraktion sprechen drei Gründe für die Beitrittsperspektive der Länder des Westbalkans. Der erste Grund ist die Entwicklung der Länder des Westbalkans. Sie sind leider immer noch von gesellschaftlicher Instabilität geprägt, die aus historischen Konflikten und ethnischen Spannungen resultiert. Auch die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder muss beschleunigt werden. Sie sind von der Wirtschafts- und Finanzkrise besonders betroffen. Damit sich gerade diese Länder entwickeln, ist es wichtig, dass es von Europa ein klares Signal gibt. Europa ist nämlich auch der Kitt, der diese Länder zusammenhält. Deswegen muss Europa das Signal senden: Der Balkan ist ein Teil Europas. Es geht auch darum, die Hoffnungen, die die Menschen auf dem Balkan mit Europa verbinden, nicht zu enttäuschen. Daran sollte auch die Linke denken, wenn sie den vorliegenden Antrag in Bausch und Bogen verdammt. ({1}) Zweitens. Aus Sicht der Europäischen Union kommt es darauf an, ob die Ankündigung, die Olli Rehn in seiner Funktion als Erweiterungskommissar gemacht hat, dass es nach der Vertiefung der Europäischen Union eine weitere Erweiterung geben soll, umgesetzt wird. Wir als FDP wollen eine starke Europäische Union. Für uns ist eine europäische Einheit ohne den Balkan nicht vollständig. Drittens. Auch aus deutscher Sicht sprechen wirtschaftliche und politische Interessen für eine EU-Perspektive dieser Staaten. Wir haben es mit Ländern zu tun, die sehr deutschlandfreundlich sind. Es gibt historische Verflechtungen und Verwachsungen, was die Wirtschaft angeht. Gerade der deutsche Mittelstand ist dort sehr aktiv. Viele Bürgerinnen und Bürger in diesen Ländern sprechen Deutsch. Die deutsche Wirtschaft hat somit die Chance, neue Märkte zu erschließen. Vor allem aber ist es unser genuines politisches Interesse, sicherzustellen, dass wir direkt vor unserer Haustür einen stabilen Balkan haben. Auch aus deutschem Interesse müssen wir daher den Staaten des Westbalkans eine Beitrittsperspektive geben. ({2}) Die FDP-Fraktion ist der Meinung, dass Erweiterungspolitik immer mit Augenmaß betrieben werden muss. Wir können nicht alle Länder des Westbalkans in einen Topf werfen. Es gibt unterschiedliche Entwicklungsstadien, auf die wir Rücksicht nehmen müssen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das wichtige vierte Kopenhagener Kriterium: die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union. Für uns gibt es einen klaren Maßstab, nach dem die Beitrittsfähigkeit der Länder beurteilt werden muss: die Kopenhagener Kriterien. Dabei handelt es sich um politische Kriterien wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte, wirtschaftliche Kriterien wie soziale Marktwirtschaft sowie die Umsetzung von EU-Normen, also die Übernahme des Acquis communautaire. Die Position der FDP ist ganz klar: Es gibt keine zusätzlichen Kriterien. Religion ist kein Kriterium. Für uns ist die Einhaltung der Kopenhagener Kriterien entscheidend, wenn es um die Frage geht, ob wir Beitrittsverhandlungen mit einem Land aufnehmen. Das steht so auch explizit im Koalitionsvertrag; das ist gut und richtig. ({3}) Wenn man sich die Situation in den verschiedenen Ländern des Westbalkans anschaut, stellt man fest, dass eine Einzelfallbetrachtung notwendig ist. Jedes dieser Länder hat den Status eines potenziellen Beitrittskandidaten. Mazedonien ist mit Sicherheit am weitesten. Spätestens Anfang 2010, wenn nicht schon jetzt im Dezember in der Ratssitzung in Brüssel, wird dieses Thema noch einmal auf der Tagesordnung stehen. Für uns ist klar: Wir wollen, dass Mazedonien und Griechenland den Namensstreit beilegen. Slowenien und Kroatien haben ein gutes Beispiel dafür geliefert, wie man das maOliver Luksic chen kann. Sowohl Mazedonien als auch Griechenland müssen jetzt europäisch denken und europäisch handeln. ({4}) Albanien und Montenegro haben den Antrag auf EUMitgliedschaft gestellt, sind aber noch nicht ganz so weit. Montenegro ist, was die ökonomischen und die politischen Kriterien angeht, vielleicht ein Stückchen weiter als Albanien. Was Albanien betrifft, sind wir skeptisch, ob die Avis-Aufforderung an die Kommission seitens des Rats richtig war. Serbien, Bosnien-Herzegowina und das Kosovo müssen die Vergangenheit aufarbeiten und vor allem mit dem Internationalen Strafgerichtshof kooperieren. Aus Sicht der FDP-Fraktion brauchen wir ganz klar eine Einzelfallprüfung. Wir dürfen die Länder des Westbalkans nicht alle über einen Kamm scheren. Deswegen können wir dem Antrag der SPD leider nicht zustimmen. Das Prinzip des Geleitzuges sehen wir kritisch: Ein Zug, bei dem alle zusammengefasst werden sollen, fährt spät ab und kommt langsam zum Ziel, weil der Langsamste das Tempo bestimmt. Ich glaube, es ist besser, wenn jedes Land allein abfährt. Ich würde das „Regattaprinzip“ nennen. Das ist sachgerechter. Lassen Sie mich abschließend sagen - ich glaube, das sehen alle Fraktionen im Europaausschuss ähnlich -, dass nicht nur, was Mazedonien angeht, sondern auch, was Island angeht, bevor die Bundesregierung in Brüssel grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gibt, hier im Deutschen Bundestag darüber debattiert werden muss. Ich glaube, es ist wichtig, dass, bevor in Brüssel entschieden wird, die deutsche Öffentlichkeit und wir hier im Bundestag dies diskutieren. Das ist der Auftrag, den uns der Vertrag von Lissabon gibt, und dafür steht die FDP-Fraktion. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Luksic, auch für Sie war das die erste Rede hier im Parlament. Wir gratulieren Ihnen dazu und wünschen für die weitere Arbeit alles Gute. ({0}) Marieluise Beck spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mich in der Tat freuen, wenn dieser Antrag ein Aufschlag wäre für dieses Haus, in dieser Legislaturperiode mit etwas mehr Verve und Engagement - - Oh, da muss erst das Gratulieren zu Ende gehen; da ist noch ein Defilee im Gange.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das nennt man normalerweise Wandelprozession. Ich stoppe so lange Ihre Redezeit.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wunderbar.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

So, Frau Beck, bitte.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, wenn Sie ab jetzt mit dabei sind, ordentlich Dampf zu machen, dass auch in diesem Haus über Südosteuropa mit mehr Ernsthaftigkeit gestritten wird, bin ich sehr froh darüber. Ich glaube, dass der Balkan drohte, in Vergessenheit zu geraten, weil es in letzter Zeit keine offene Gewalt gab, weil keine wirklich großen Schwierigkeiten sichtbar waren. Die ganze Region ist deswegen ein wenig in den Schatten geraten. Wir haben nicht das Verständnis, dass die Europäische Union ohne Südosteuropa ein Torso wäre. Die Perspektive ist eher: Gut, wenn sie sich bemühen, dann wollen wir sie dabei unterstützen, beizutreten. Wir alle müssen die Perspektive umkehren: Es liegt in unserem Interesse, dass Südosteuropa zu einem Teil der Europäischen Union wird. Daher sollten wir - das fehlt mir in Ihrem Antrag, liebe Kollegen von der SPD; da ist er mir ein bisschen zu glatt - schauen, was wir, die Europäische Union, selbst für Fehler gemacht haben. Der historische Grund für die Gründung der Europäischen Union ist die Überwindung des Nationalismus gewesen. Dennoch erleben wir, dass der Nationalismus noch heute und selbst in reifen EU-Ländern in einer Weise zum Vorschein kommt, wie man es rational kaum mehr verstehen kann. Ich denke da an den Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien. Wie kann es sein, dass ein reifes EU-Land wie Griechenland, das durch die EU sehr wohl gute Perspektiven hat und, wie wir gelernt haben, die weitaus höchsten Nettoeinnahmen aus dem EU-Haushalt bezieht, ein kleines Nachbarland wie Mazedonien, bei dem es ja wohl keine Angst haben muss, dass es von ihm angegriffen werden könnte, dermaßen an der Gurgel hält, dass der Beitritt Mazedoniens zum Halt gebracht wird? Es ist unglaublich. Weshalb gibt es nicht genug Kraft innerhalb der Europäischen Union, diesem Mitglied Griechenland zu bedeuten, dass diese Art von nationalistischer Politik nicht zum Geist der Europäischen Union gehört? ({0}) Wir wissen, dass Mazedonien ein fragiles Land ist. Es hat mit inneren Spannungen zu kämpfen, und es war großartig, dass verhindert werden konnte, dass dort, anders als in anderen südosteuropäischen Ländern, ein hei666 Marieluise Beck ({1}) ßer Krieg ausgebrochen ist. Auch ein Grenzstreit wie zwischen Slowenien und Kroatien sollte in EU-Ländern nationaler geregelt werden. Wir müssen sehr deutlich machen: Die Aufnahme in die Europäische Union bedeutet auch die Aufgabe von Souveränität. Wer in die Europäische Union geht, der will nicht nur Zugang zu Ressourcen und zu Unterstützung haben, sondern der will sich auch diesem europäischen Projekt verpflichten, und das bedeutet Souveränitätsübertragung. All diese seminationalen Konflikte, die innerhalb der Länder des Westbalkan schmoren, müssten zur Seite geschoben werden, wenn wirklich die Überzeugung vorhanden ist, dass man zur EU als eine Wertegemeinschaft gehören will, die sich der Überwindung des Nationalismus verschrieben hat. Das ist die Messlatte, die neben dem Acquis communautaire für die Länder gelten muss, die an die Tür der EU klopfen, und das muss auch die Messlatte für uns sein. Wir wollen den Nationalismus überwinden. Spätestens mit dem Zerfall Jugoslawiens ist es uns noch einmal vor Augen geführt worden, welch unglaubliches Gift dies ist und welches Leid durch den Nationalismus auch über die Menschen in einem modernen Europa gebracht werden kann. Lassen Sie uns also darauf beharren: Es geht um die Überwindung des Nationalismus. Wir sollten uns mit aller Kraft darum bemühen, dass diese Gedanken in dieser Legislaturperiode von diesem Hause aus auch nach Südosteuropa getragen werden. Schönen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächstes spricht der Kollege Gunther Krichbaum für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir feiern in diesem Jahr 60 Jahre Grundgesetz und 20 Jahre Mauerfall. Für uns ist es eine pure Selbstverständlichkeit, in rechtsstaatlichen Verhältnissen, in Frieden und in Demokratie zu leben. Wir vergessen aber allzu häufig, dass es keine 20 Jahre her ist, dass wir in Europa noch ganz andere Verhältnisse und im Herzen von Europa einen fürchterlichen Krieg hatten, der schließlich im Zerfall eines ganzen Landes mündete, im Zerfall des ehemaligen Jugoslawien. Umso wichtiger ist es, dass die Staaten des ehemaligen Jugoslawien eine Perspektive zum Beitritt in die Europäische Union erhalten, weil diese Beitrittsperspektive wiederum friedensstiftend, aber auch stabilisierend wirkt. Wir vertreten diese Beitrittsperspektive nicht erst seit der Thessaloniki-Agenda, sondern bereits seit dem Europäischen Rat in Feira im Jahre 2000; der EU-Gipfel in Thessaloniki war drei Jahre später. Auch Günter Verheugen selbst hatte diese Beitrittsperspektive als damaliger Erweiterungskommissar nochmals untermauert, als er dann, wie Sie wissen, das sechsstufige Verfahren entwickelte. Abermals bekräftigt wurde dies letztes Jahr auf dem Europäischen Rat. In dem Antrag der SPD werden deshalb pure Selbstverständlichkeiten betont. Wir alle sind uns einig, dass diese Länder eine EU-Beitrittsperspektive haben müssen. Deswegen ist die nochmalige Erwähnung in dem Antrag - milde gesagt - überflüssig. Seit dieser Zeit sind verschiedene Unterstützungsmaßnahmen ergriffen worden, die heute im sogenannten IPA-Programm, in den Heranführungsbeihilfen zusammengefasst sind. Wir haben ein Interesse daran, dass diese Länder fit gemacht werden für die Europäische Union. Die Europäische Union hat sich ebenfalls über den Vertrag von Lissabon fit für künftige Erweiterungen gemacht; denn jetzt sind die institutionellen Voraussetzungen hierfür geschaffen worden, die wir mit dem Vertrag von Nizza nicht gehabt hätten. Es gilt - verschiedene Kollegen haben bereits darauf hingewiesen - das Prinzip der „Own Merits“, also das Prinzip der eigenen Verdienste. Auch dazu sagt der Antrag der SPD-Fraktion überhaupt gar nichts. Es liegt nicht nur an der EU und deren Wohlwollen, sondern es müssen sich auch die Staaten selbst bewegen. Kraft ihrer eigenen Fortschritte bestimmen sie letztlich das Erweiterungsdatum und haben es deswegen selbst in der Hand. ({0}) Die Richtigkeit dieses Aufeinanderzugehens hat sich beispielsweise bei der Visafreiheit, die wir für Serbien, für Montenegro und Mazedonien ab dem 19. Dezember einführen, bewahrheitet. Ich bin sicher, dass bald auch Bosnien und Albanien die Voraussetzungen erfüllen und dazukommen werden. Das ist wichtig für die jungen Menschen. Frau Beck von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dies noch einmal betont. Es ist wichtig, dass wir diese jungen Menschen in die Europäische Union reisen lassen. Nur das hilft, den Nationalismus zu überwinden. Ich erinnere an eine Präsidentenwahl in Serbien. Als sich der nationalistische Nikolic und der pro-europäische Tadic gegenüberstanden, hat die junge Bevölkerung nicht Tadic, sondern mehrheitlich Nikolic gewählt. Warum? Weil wir die jungen Menschen nicht haben reisen lassen. Wir haben sie nicht in die Europäische Union hineingelassen. ({1}) Dieser Anachronismus wird jetzt Gott sei Dank beseitigt. ({2}) Ich möchte keine Ausführungen zu Bosnien-Herzegowina machen, weil Herr Kollege Beyer hierauf schon eingegangen ist. Es sollten aber noch einige Bemerkungen zu den übrigen Ländern gemacht werden. Kroatien steht an der Schwelle zur Europäischen Union. Dennoch bleibt noch viel zu tun, Stichwort Korruptionsbekämfpung. Der EU-Fortschrittsbericht nennt erhebliche Fortschritte. Es darf aber auch daran erinnert werden, dass verschiedene Kollegen aus dem Bundestag, aber auch aus dem Europäischen Parlament durch die Benennung von fragwürdigen Vorgängen und aufgrund der nachfolgenden Meldungen bei der Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF dafür gesorgt haben, dass - einhergehend mit einer Medienberichterstattung - Druck in Richtung Regierung entstanden ist. Deshalb sind weitere Fortschritte erforderlich; denn die Korruption betrifft die Ärmsten der Armen. Auch das sei immer wieder gesagt. Korruptionsbekämpfung ist kein Selbstzweck; denn Korruption benachteiligt diejenigen, die in den fragwürdigen Überbietungswettbewerb nicht eintreten können und deswegen die eigentlichen Opfer von Korruption sind. Noch ein klärendes Wort zu Mazedonien und Griechenland. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Namensstreit ist bizarr. Was Griechenland angeht, so muss man sich schon der Sprache der Diplomatie bedienen, um höflich zu bleiben. Seit dem Jahr 1981, seit dem Beitritt Griechenlands, ist Griechenland der größte Zahlungsempfänger innerhalb der Europäischen Union. Griechenland hat von diesen finanziellen Transferleistungen immer wieder profitiert und somit auch von der Solidarität der Europäischen Union. Als Bleistift und Radiergummi herausgeholt wurden, um die Maastricht-Kriterien zumindest auf dem Papier zu erfüllen, blieben andere Konsequenzen aus. Die Geduld innerhalb der Europäischen Union wurde jedoch damals strapaziert. ({3}) Die Geduld ist aber nicht unendlich. Wir erwarten, dass bilaterale Streitigkeiten nicht auf die Ebene der EU hochgehieft werden und damit für Belastungen sorgen. Deutliche Worte gilt es auch in Richtung Mazedonien zu sagen. Mazedonien wäre gut beraten, Provokationen in Richtung seines südlichen Nachbarn zu unterlassen, weil dies nicht dem Geist Europas entspricht und damit einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht gerade zuträglich ist. ({4}) Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung zu Serbien. Serbien belegt in einem Ranking von Transparency International gegenwärtig den 83. Rang, eingerahmt von Trinidad und Tobago sowie El Salvador. Serbien ist ein Schlüsselland der Region. Wir wollen, dass Serbien in die Europäische Union kommt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Unser Appell zielt deshalb darauf, dass wir auf die serbische Regierung einwirken, alles in Richtung Korruptionsbekämpfung zu tun. Abschließend möchte ich noch eine Bemerkung zum Antrag machen. Es wäre schön gewesen, wenn zwei Tage nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon auch einige Worte zur Rolle der nationalen Parlamente gefunden worden wären. Denn wir haben bei künftigen Erweiterungen ein entscheidendes Wort mitzusprechen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In diesem Sinne können wir dem Antrag leider nicht zustimmen, auch wenn er die richtige Richtung einschlägt. Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/106 mit dem Titel „Die EU-Perspektive der südosteuropäischen Staaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Makedonien, Montenegro und Serbien verstärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt bei Zustimmung durch die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die übrigen Fraktionen haben dagegen gestimmt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan ({1}) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 ({2}) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1890 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - Drucksachen 17/39, 17/111 ({4}) Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Rolf Mützenich Jan van Aken Kerstin Müller ({5}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/139 668

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Abgeordnete Herbert Frankenhauser Carsten Schneider ({0}) Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven Kindler Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir, wie Sie wissen, später namentlich abstimmen. Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, zu diesem Tagesordnungspunkt eineinviertel Stunden zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Minister:in)

Politiker ID: 11002944

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Seit der Einbringung des Antrages der Bundesregierung in der ersten Beratung hat Präsident Obama die von uns seinerzeit bereits erwartete Rede gehalten und seine Erwartungen und sein Konzept vorgestern vorgetragen. Das ist zweifelsohne eine bedeutsame Rede, auch für unsere Entscheidung. Deswegen erlaube ich mir, gegen die üblichen Gewohnheiten auch in der zweiten bzw. dritten Beratung noch einmal das Wort zu ergreifen. Ich werde nicht noch einmal auf das Bezug nehmen, was wir schon in der ersten Beratung gemeinsam besprochen haben. Die Gründe, warum die Bundesregierung der Auffassung ist, dass das ISAF-Mandat verlängert werden sollte und dass unsere Mission in Afghanistan nicht nur den Menschen in Afghanistan dient, sondern auch unserer eigenen Sicherheit, sind bereits ausgetauscht worden. Präsident Obama hat zweifelsohne eine wichtige Rede gehalten. Er hat sich auch die Zeit genommen, diese Rede und seine Strategie zu erarbeiten. Ich möchte hinzufügen: Auch wir werden uns in Deutschland die Zeit nehmen, das, was in dieser Rede gesagt worden ist, auszuwerten und selbstverständlich auch mit unseren Verbündeten zu besprechen. Ich möchte nach der Diskussion im Auswärtigen Ausschuss noch einmal mit Nachdruck sagen: Wir werden selbstverständlich nicht nur mit den Verbündeten reden, sondern auch mit dem Parlament. Wir wollen mit allen Fraktionen das Gespräch suchen, wie wir es im Auswärtigen Ausschuss verabredet haben. Das versteht sich von selbst. ({0}) Ich sehe die Haltung, die wir als Bundesregierung vertreten haben, durch die Rede von Präsident Obama vor allen Dingen darin bestärkt, dass auch wir uns innerhalb dieser deutschen Legislaturperiode eine Abzugsperspektive erarbeiten wollen. Wir wollen das in den nächsten Jahren. Es deckt sich mit dem Willen von Präsident Obama, dass durch die richtige Politik eine Abzugsperspektive erarbeitet wird und auch in Sicht kommt. ({1}) Deswegen ist es sehr wichtig, festzuhalten, dass auch unsere Verbündeten dieser Auffassung sind. Das ist ein Einsatz, der ein Ziel hat, nämlich das Ziel der selbsttragenden Sicherheit in Afghanistan. Es ist kein Einsatz als Selbstzweck. Wir wollen, dass eine Abzugsperspektive erarbeitet wird, weil niemand in diesem Hause diesen Einsatz für die Ewigkeit möchte. Wir wollen, dass das vor der Abstimmung über die Verlängerung dieses Mandats klar ist. ({2}) Es ist wichtig - auch das hat Präsident Obama in seiner viel beachteten Rede unterstrichen -, dass es keine militärische Lösung geben wird. Was es geben wird, ist eine politische Lösung, die militärisch unterstützt wird. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu Teilen der öffentlichen Diskussion. ({3}) Deswegen setzt die Bundesregierung einen Schwerpunkt beim zivilen Aufbau. Wir sind bereit - das sagen wir auch unseren Verbündeten -, mehr beim zivilen Aufbau zu tun. Wer will, dass eine Abzugsperspektive in Sicht kommt, muss mehr für die selbsttragende Sicherheit tun und seinen Beitrag dazu leisten, dass Polizei in Afghanistan selbst ausgebildet wird und über eine vernünftige Arbeitstechnik verfügt. Das ist es, worum es in Afghanistan geht: um eigene Sicherheitsstrukturen in Afghanistan. ({4}) Herr Kollege Trittin, um vorab auf Ihre Einwände zu antworten: Ich sagte, dass das ein Schwerpunkt wird. Das ist eine klare Aussage der Bundesregierung. Ich sage hier nicht ohne Grund, dass wir einen Schwerpunkt auf diesen Bereich legen möchten. Ich habe oft genug in früheren Debatten genauso wie Sie auf dieses Thema hingewiesen. Es ist aus unserer Sicht aber auch notwendig, dass wir auf die Afghanistan-Konferenz hinweisen. Sie wird mutmaßlich am 28. Januar nächsten Jahres in London stattfinden. Es wird mutmaßlich weitere Konferenzen geben, mutmaßlich auch in Kabul. Das entspricht natürlich der Notwendigkeit und der Erkenntnis, dass wir schließlich gemeinsam mit Afghanistan eine Lösung erarbeiten wollen. Es ist aber aus Sicht der Bundesregierung auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es zuallererst um strategische Diskussionen geht und dass die bevorstehende Afghanistan-Konferenz keine Truppenstellerkonferenz ist. Diese Afghanistan-Konferenz muss vielmehr Ziele definieren. Sie muss auch strategische Diskussionen führen und Analysen vornehmen. Dann geht es um alles Weitere. Zuerst eine Debatte zu führen, in der es nur noch darum geht, um wie viele Soldaten aufgestockt werden soll oder nicht, ist die falsche Reihenfolge. Zuerst geht es um Ziele, Konzepte und eine gemeinsame Strategie. ({5}) Ich möchte Ihnen vor dem Hintergrund, dass heute Abend das NATO-Außenministertreffen in Brüssel beginnen wird, versichern - es wird nächste Woche fortgesetzt; es gibt verschiedene Debatten am morgigen Tag, auch im Bündnis; auf Einladung der amerikanischen Seite wird es mehrere Gespräche am Rande dieser Beratungstage in Brüssel geben -: Mir ist es wichtig - das sage ich insbesondere an die Adresse der Opposition, die ein Recht darauf hat, das zu erfahren -, dass Sie sicher sein können, dass es jetzt zuerst um eine gemeinsame strategische Erörterung gehen wird. Es wird nicht so sein, dass wir nach der anstehenden Abstimmung heute Abend nach Brüssel fahren und dort Zusagen über Kontingente machen. Es gilt, was ich hier gesagt habe. Die Afghanistan-Konferenz ist nicht ohne Grund von Deutschland, Frankreich und Großbritannien initiiert worden. Sie ist für uns der richtige Ort für die strategische Diskussion. Sie können sich darauf verlassen, dass ich diese Linie im Bündnis heute Abend und morgen beim NATO-Außenministertreffen verbindlich für unser Land vertreten werde. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Hans-Ulrich Klose hat das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, ist keine Routineentscheidung und darf es auch nicht sein. Wir müssen uns jedes Mal der Gründe vergewissern, warum wir in Afghanistan sind und bleiben wollen. Ich wiederhole sie: einmal, weil seinerzeit ein deutscher Bundeskanzler nach den Anschlägen von 9/11 den Amerikanern uneingeschränkte Solidarität versprochen hat - ich gebe zu, ich habe damals bei dem Adjektiv „uneingeschränkt“ etwas gezuckt, aber ich habe nicht widersprochen -, zum anderen, weil die deutsche Bundesregierung auf der von ihr organisierten PetersbergKonferenz dem afghanischen Volk Hilfe bei der Stabilisierung und beim Wiederaufbau des Landes versprochen hat, und weil ich glaube, dass Peter Struck mit seinem Wort, dass wir am Hindukusch auch unsere Sicherheit verteidigen, recht hatte; denn jeder weiß: Würden wir von heute auf morgen von dort abziehen, wären in sechs Wochen die Taliban wieder dran, und dann wäre Afghanistan wieder ein Safe Haven für Terrorismus. Das wollen wir nicht. Weil das so ist, wird die sozialdemokratische Fraktion der Verlängerung des Mandats mit großer Mehrheit zustimmen. Dennoch sind dieses Mal einige Besonderheiten zu bedenken: erstens die Präsidentenwahl in Afghanistan. Dabei hat es Unregelmäßigkeiten gegeben, die weit über das normale Maß hinausgehen. Karzai ist, vorsichtig formuliert, ein umstrittener Präsident auch in Afghanistan. Ich möchte nicht so weit gehen, ihn als Teil des Problems zu bezeichnen, aber von Good Governance ist Afghanistan weit entfernt. Mangelnde Effizienz und grassierende Korruption sind die Stichworte, die die Lage richtig beschreiben. ({0}) Zweitens der Vorfall in Kunduz; denn das Bombardement der Tanklastfahrzeuge in der Nacht vom 3. auf den 4. September hat das Bild der Bundeswehr in Afghanistan, aber auch hier bei uns verändert. Es gibt eine Vielzahl von Fragen, mit denen sich der Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss beschäftigen wird. Sie betreffen nicht nur den Bereich des Verteidigungsministeriums, die Frage also, wann wer von wem informiert worden ist; sie gelten vor allem dem Vorfall selbst, will sagen: Es geht um die Frage, ob die Bombardierung ein Fehler war oder doch nötig, gerechtfertigt oder angemessen. Vor allem um diese Fragen muss sich der Untersuchungsausschuss kümmern, weil wir, das deutsche Parlament, wissen müssen, wie die Parlamentsarmee Bundeswehr im konkreten Fall in Afghanistan agiert. Dabei muss auch die Bundeswehr ausreichend zu Wort kommen, vor allem der Offizier, der den Befehl gegeben hat. Er steht im Zentrum der Kritik, und deshalb ist es wichtig, seine Lageeinschätzung und seine Motivation kennenzulernen. Vorverurteilungen sollten wir tunlichst unterlassen. ({1}) Drittens. Zu bedenken ist aber auch, was Präsident Obama am 1. Dezember zur neuen amerikanischen Afghanistan-Strategie gesagt hat. Es war, wie immer, eine eindrucksvolle Rede, über die ich, um ehrlich zu sein, gleichwohl nicht glücklich bin: zum einen, weil ich das Gefühl habe, die Rede sei mehr der amerikanischen Innenpolitik geschuldet als der konkreten Lage in Afghanistan, zum anderen, weil die neue amerikanische Strategie immer noch zu sehr auf militärische Mittel, mehr Soldaten setzt, obwohl wir doch alle wissen, dass der Konflikt in Afghanistan mit militärischen Mitteln allein nicht zu lösen ist. Zugegeben, der Präsident hat auch über eine zivile Strategie gesprochen, und von Partnerschaft mit Pakistan in diesen Punkten ist die Rede, aber nach meinem Dafürhalten sehr allgemein und sehr knapp. Etwas genauer hätte ich es schon ganz gern gehört. Mit welchen militärischen Mitteln will man die Momentum genannte Wende im Kampf gegen die Taliban denn herbeiführen? Von wem und in welcher Zeit sollen wie viele afghanische Soldaten und Polizisten ausgebildet werden, die nach anderthalb Jahren schrittweise die Verantwortung für ihr Land übernehmen sollen? In welcher Weise sollen die regionalen Führer in die Stabilisierungsbemühungen einbezogen werden? Sie müssen es! Genügt die Partnerschaft mit Pakistan, oder müssen auch andere Nachbarländer in die Stabilisierungsbemühungen eingebunden werden? Vielleicht Indien? Ganz sicher Iran und die nördlichen Nachbarn. Auch Russland und China? Ich bin nicht glücklich, weil ich finde, die neue Strategie der USA hätte vorher mit den Alliierten besprochen werden müssen, und zwar im NATO-Rat, zumal der Präsident die NATO-Relevanz seiner Entscheidung ausdrücklich und mehrfach betont hat. ({2}) Ich weiß, der Präsident hat unter anderem die Bundeskanzlerin einige Stunden vor seiner Rede über deren Inhalt informiert. Das reicht aber nicht aus. Besser wäre es gewesen, die Verbündeten in diesen Entscheidungsprozess einzubeziehen, damit aus der amerikanischen eine solidarische NATO-Entscheidung wird. Wer allein entscheidet und dann erwartet, dass die Verbündeten liefern, mehr Soldaten vor allem, der plädiert in Wahrheit für ein militärisches Weiter-so in einer Koalition der Willigen. ({3}) Das habe ich immer, auch hier in diesem Hause, kritisiert, und ich kritisiere es auch heute. Antiamerikanische Motive wird man mir dabei nicht unterstellen. ({4}) Ich bin für amerikanisches Leadership, füge aber hinzu: Es wäre hilfreich, wenn die Verbündeten gefragt würden, bevor in Washington über eine neue Strategie entschieden wird. Weil ich das so sehe, unterstütze ich, Frau Bundeskanzlerin, ausdrücklich die Position der Bundesregierung, die ihre Afghanistan betreffenden Entscheidungen erst nach dem 28. Januar 2010, also nach der Strategiekonferenz in London, treffen will. Ich betone übrigens: Strategiekonferenz, keine Truppenstellerkonferenz. ({5}) Im Übrigen verweise ich auf den Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion. Ich gehe davon aus, dass dieser Antrag wie üblich in die Ausschüsse überwiesen wird. Das ist gut so, weil es uns Gelegenheit gibt, uns um die Details einer verbindlichen Roadmap zu kümmern und Einfluss zu nehmen auf die erwähnte Konferenz in London. Das Parlament ist dort nicht vertreten - leider. Die Bundesregierung wäre jedoch gut beraten, auf die Stimmen des Parlamentes, auch die der Opposition, zu hören. Zum Schluss. Zwei der drei heutigen Oppositionsfraktionen haben in den vergangenen sieben bzw. elf Jahren aufseiten der Regierung über wichtige Afghanistan betreffende Fragen mit entschieden. Die SPD-Fraktion steht zu der Verantwortung, die sie dadurch übernommen hat, auch in der Opposition. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In Afghanistan ist kein Erfolg allein mit militärischen Mitteln zu erzielen. Das sagen wir in fast jeder Rede zu diesem Thema. Zu oft wird dabei aber vergessen: In Afghanistan ist auch kein Erfolg ohne militärische Mittel zu erzielen. Wir alle sind uns einig in der Anerkennung der Tragweite unserer Entscheidung, deutsche Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Wir alle anerkennen die Verantwortung, die wir damit übernehmen, und wir alle sind uns darin einig, dass wir uns diese Entscheidung nicht leicht machen dürfen und dass uns diese Entscheidung durch die Ereignisse und Entwicklungen in Afghanistan alles andere als leicht gemacht wird. Ich will mich auch auf die Rede von Präsident Obama in West Point beziehen. Er hat gesagt: „Afghanistan ist nicht verloren, aber es hat sich seit einigen Jahren zurückbewegt.“ Eine radikale Allianz aus religiösen Fanatikern, regionalen Aufständischen und Terroristen hat die Sicherheitslage in vielen Landesteilen verschlechtert. Korruption und Drogenkriminalität zehren weiter wie ein Krebsgeschwür am Körper des afghanischen Staates, und die Umstände der Wiederwahl Präsident Karzais haben diese nicht gerade zu einem Jubelfest der Demokratie gemacht. Ich sage ganz offen: Ich verstehe jeden, dem unser Engagement in Afghanistan Kopfschmerzen bereitet. Ich verstehe jeden, der sich fragt, ob wir hier auf dem richtigen Weg sind, und ich verstehe jeden, der diesen Einsatz lieber heute als morgen beendet sehen will. Mir geht es auch so. Aber ich sagte schon, wir sind uns der Verantwortung bewusst, die wir mit dieser Mandatserteilung übernehmen, und dazu gehört die Erkenntnis, dass es zu diesem Mandat, zu diesem Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten, keine vernünftige Alternative gibt. Ich weiß, einige in diesem Haus sehen das anders. ({0}) - Das stimmt, Herr Ströbele. Aber, Herr Ströbele, Sie sollten sich fragen: Wer würde die Aufbauhelfer schützen, wenn die Soldaten plötzlich abzögen? Wer würde dafür sorgen, dass die gebauten Brücken nicht wieder gesprengt, die neu gebauten Schulen nicht wieder geschlossen würden, die neu erlangten Freiheiten nicht wieder einkassiert würden? Wer würde das Erreichte absichern, und wer würde künftige Weiterentwicklungen ermöglichen? ({1}) Die afghanischen Sicherheitskräfte jedenfalls sind dazu noch nicht in der Lage. Das ist nicht nur unsere Analyse, so sagt es auch die afghanische Regierung, und es ist vor allem auch die Auffassung der Mehrheit der Menschen in Afghanistan. Ich bin der Kollegin Marieluise Beck dankbar, dass sie einen Brief afghanischer Frauen an uns alle weitergeleitet hat. In diesem Brief heißt es: Der Abzug der deutschen Truppen würde einen herben Rückschlag in Bezug auf sämtliche Entwicklungen bedeuten, die stattgefunden haben. Und weiter: Deshalb möchten wir die internationale Gemeinschaft und insbesondere die Bundesrepublik Deutschland ermuntern und um ein langfristiges Engagement in unserem Land bitten. Auf Ihren Beitrag - militärisch wie zivil - kommt es an, damit wir die Chance auf eine friedliche, demokratische Zukunft erhalten. - So weit die afghanischen Frauen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein klares politisches Interesse an einer solchen friedlichen, demokratischen Entwicklung in Afghanistan. ({2}) Wir haben ein Interesse daran, dass das afghanische Volk nicht wieder zur Geißel einer Gewaltherrschaft wird, die die Gewalt auch nach außen trägt. Spätestens seit dem 11. September 2001 wissen wir, dass die Sicherheit und die Stabilität Afghanistans mit unserer Sicherheit verbunden sind. Wir wissen auch, dass sich eine Destabilisierung Afghanistans unweigerlich auf dessen Nachbarland Pakistan und damit auf die ganze Region ausweiten würde. Stellen wir uns das doch einmal vor: Afghanistan wird von der internationalen Schutztruppe sich selbst überlassen, es versinkt erneut im Bürgerkrieg, al-Qaida und die Taliban erstarken wieder, sie setzen ihre Angriffe gegen den Nachbarstaat Pakistan mit doppelter Härte und Brutalität fort, Pakistan als Nuklearmacht stürzt ins Chaos, Indien wird sich gezwungen sehen, einzuschreiten, und der Westen ist von einem erneuten schrecklichen Terroranschlag bedroht. Und noch etwas gibt es zu bedenken: Wenn die Mission von 43 Staaten, angeführt von den USA und der NATO, die unter einem Mandat der Vereinten Nationen Frieden und Stabilität in ein kleines unterentwickeltes Land bringen soll, nach fast einem Jahrzehnt eines teuren und aufopferungsvollen Engagements nicht Erfolg hat, dann steht nicht nur die NATO vor einem Scherbenhaufen, dann können sich auch die Vereinten Nationen, die diesen Auftrag mandatiert haben, auf Jahrzehnte hinaus von jeder Glaubwürdigkeit ihrer Friedensmissionen, ja ihres ganzen Auftrags verabschieden. Das alles müssen wir sehen. Wir übernehmen mit unserer Entscheidung für dieses Mandat Verantwortung für die Stabilität Afghanistans und seiner Region, für die Zukunft seiner Menschen, die sich ein Leben in Frieden wünschen, für die Sicherheit der Menschen hier bei uns, für das Ansehen der NATO und für die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen. Für all diese Ziele müssen wir entschlossen einstehen, und unsere Beteiligung am ISAF-Einsatz ist dafür ein unerlässlicher Beitrag. Meine Damen und Herren, auf der Afghanistan-Konferenz am 28. Januar wollen die ISAF-Partner gemeinsam mit der afghanischen Regierung neue Ziel- und Zeitvorgaben definieren. Maßgabe dabei wird sein, dass die Afghanen mehr und mehr die Verantwortung für die Stabilisierung ihres Landes und seinen Aufbau übernehmen müssen, dass die Afghanisierung des Einsatzes vorangetrieben werden muss. Wir wollen, dass dort konkrete Ziele und überprüfbare Teilschritte vereinbart werden: für die wirtschaftliche Entwicklung, für die Ausbildung von Polizei und Armee, für die Bekämpfung von Korruption, Drogen und Kriminalität, für gute Regierungsführung, für die Achtung von Menschenrechten. In den nächsten fünf Jahren müssen auf all diesen Feldern deutliche Fortschritte erzielt werden, um den internationalen Truppen zu ermöglichen, sich immer mehr zurückzuziehen. Wir wissen noch nicht, was dies für unseren Anteil am ISAF-Einsatz bedeutet. Das ist der Grund - der Außenminister hat es gesagt -, warum wir das ISAF-Mandat heute zunächst inhaltlich unverändert verabschieden wollen. ({3}) Wir wollen dem Ergebnis der Konferenz und den Konsequenzen, die daraus zu ziehen sein werden, in keiner Weise vorgreifen. Das ist die richtige Reihenfolge. Eines aber ist klar - auch das hat der Außenminister noch einmal unterstrichen -: Es geht um die Schaffung selbsttragender Sicherheit und Stabilität. ISAF und unsere afghanischen Partner müssen in den nächsten Jahren die Voraussetzungen für eine Übergabe der Verantwortung von ISAF an die afghanischen Sicherheitskräfte schaffen. Dies ist kein endloser Einsatz. Meine Damen und Herren, ich wiederhole es: Ich habe Respekt und Verständnis für alle Kolleginnen und Kollegen, die mit diesem Einsatz Schwierigkeiten haben. Dies ist ein schwieriger Einsatz, und die Ereignisse vom 4. September zeigen, in welch schwierige Situationen er unsere Soldaten führt. Da dürfen wir uns die Entscheidung auch nicht leicht machen. Wir müssen diesen Einsatz immer wieder neu bewerten. Das Ergebnis dieser Bewertung fällt für mich heute aber eindeutig aus: Es gibt keine verantwortbare Alternative zu diesem Einsatz, nicht für Afghanistan und seine Menschen und auch nicht für unsere Sicherheit. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jan van Aken hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden gleich dafür stimmen, 4 500 deutsche Soldaten in den Krieg zu schicken. Sie sagen es nur nicht. Sie reden hier die ganze Zeit von Mandat, von Abzugsperspektive - auf das Wort muss man erst einmal kommen -, von Missionen, von Einsatz, als ob das Ganze eine Feuerwehrübung in Castrop-Rauxel wäre. ({0}) Das ist es aber nicht. Es geht hier um einen Krieg. Die Entscheidung, die Sie gleich im Bundestag treffen, wird Menschenleben kosten, und das verschweigen Sie. ({1}) Wie weit dieses Ausblenden einer Kriegsrealität geht, musste ich vor zwei Tagen in voller Breite und Tiefe erfahren. Da habe ich den Verteidigungsminister zu Guttenberg gefragt, wie viele zivile Opfer es insgesamt in den letzten Jahren durch die Bundeswehr in Afghanistan gegeben hat. Er wusste es nicht. ({2}) Auch die ganze Riege der Generäle, die hinter ihm saß, wusste es nicht. Das interessiert Sie einfach nicht, wenn in Ihrem Krieg unschuldige Zivilisten zu Tode kommen, ({3}) es sei denn, es steht irgendwann einmal in der Bild-Zeitung. ({4}) Es geht hier auch nicht nur um die Bombenabwürfe in Kunduz. Die beiden Tanklaster sind doch nur die Spitze des Eisberges. Darunter liegen viele Tausende Tote. Ich habe hier nur eine Zahl von den Vereinten Nationen für Sie: In den letzten zweieinhalb Jahren sind in Afghanistan 4 654 unschuldige Zivilisten bei Kampfhandlungen getötet worden, ein Drittel davon von afghanischen und westlichen Truppen. ({5}) Darin sind all die noch nicht eingerechnet, die im Krieg an Unterernährung und Krankheit gestorben sind. ({6}) Herr zu Guttenberg, es reicht einfach nicht, dass Sie einen Krieg auch einen Krieg nennen. Sie müssen auch sagen, welches Elend und welche Zerstörung dieser Krieg jeden Tag in Afghanistan bedeutet. ({7}) Ihre Soldaten wissen das ganz genau. Ich möchte jetzt den Wehrbeauftragten der Bundesregierung zitieren. ({8}) Er hat immer einen sehr engen Kontakt zu den Soldaten. Er hat neulich in einer Fernsehsendung etwas gesagt, was mir bis heute keine Ruhe lässt. Er sagte nämlich, bei seinem letzten Besuch in Afghanistan hätten deutsche Soldaten ihn bedrängt: Herr Robbe, wenn Sie wieder in Berlin sind, dann sagen Sie doch bitte, dass im Moment hier keine Brunnen gebaut werden und auch keine Schulen errichtet werden, sondern dass hier Krieg stattfindet. Das ist die Stimme der deutschen Soldaten in Afghanistan. Ich habe mir kurz überlegt, ob ich diesen Satz heute nicht immer und immer wieder vorlesen soll: Sagen Sie doch bitte, dass im Moment hier keine Brunnen gebaut werden und auch keine Schulen errichtet werden, sondern dass hier Krieg stattfindet. ({9}) Wir müssen endlich aufhören, diesen Krieg als große Aufbauaktion darzustellen. Wenn ich Ihnen heute hier zuhöre, dann habe ich das Gefühl, Sie schicken Care-Pakete nach Afghanistan und keine Soldaten. Wenn die deutschen Soldaten selber sagen, hier werde nichts aufgebaut, dann müssen Sie auch einmal darauf hören. ({10}) Das Gleiche gilt übrigens auch für die Entwicklungshelfer, die tagtäglich vor Ort sind. Sie sagen seit Jahren das Gleiche: Da, wo das Militär ist, können wir gar nichts aufbauen. - Erst gestern hat dazu CARE, eine der größten internationalen Hilfsorganisationen, deutliche Worte gefunden: In dem Moment, in dem wir gezwungen werden, mit dem Militär zusammenzuarbeiten, werden wir von den Menschen vor Ort nicht mehr akzeptiert. Dieses Risiko können wir nicht eingehen. Deshalb nehmen wir kein Geld an, das uns zwingen würde, mit dem Militär zusammenzuarbeiten. ({11}) Nehmen wir doch einmal einen Zeugen aus den Reihen der Bundeswehr. Der ehemalige Bundeswehrarzt Reinhard Erös baut seit sieben Jahren in Afghanistan Schulen für Mädchen und Jungen, ({12}) und zwar im Osten, wo die Amerikaner sind, also mitten im Hauptkampfgebiet, mitten im Taliban-Gebiet. Was sagt er dazu? Ich habe neulich mit ihm in einer Talkshow gesessen, in der er gesagt hat: Die Voraussetzung dafür, dass ich Schulen bauen und betreiben kann, ist, dass sich das Militär heraushält. Die Amerikaner haben bei uns die strikte Vorgabe, an die sie sich auch halten: Kommt unseren Schulen nicht zu nahe, Distanz vier bis fünf Kilometer. - Das hat er militärisch präzise ausgedrückt. ({13}) Herr Erös sagte weiter: Verbindet Schulen nicht mit westlichen Soldaten. Und das funktioniert mitten im Taliban-Gebiet. - Das sind die Realitäten. Hören Sie endlich auf, hier Krieg als Wohltätigkeitsveranstaltung anzupreisen! ({14}) Eine Frage habe ich die ganze Zeit: Warum überhaupt, warum schicken Sie jetzt wieder 4 500 deutsche Soldaten in den Krieg? In ihrem Antrag nennt die Bundesregierung dafür genau zwei Gründe. Der erste Grund ist die Sicherheit Deutschlands, also Terrorbekämpfung. Dabei wissen doch alle Militärs und auch Sie, Herr zu Guttenberg, ganz genau, dass sich Terror nicht mit Krieg bekämpfen lässt. ({15}) Im Gegenteil: Mit jedem einzelnen Bombenabwurf und mit jedem einzelnen Toten in Afghanistan wächst der Widerstand dort. Auch die internationalen Terrororganisationen bekommen mehr und mehr Zulauf von jungen Leuten. ({16}) Der zweite Grund, den Sie nennen, ist die Bündnistreue. Sie schreiben in dem Antrag, dem Sie gleich zustimmen werden, als Begründung für den Kriegseinsatz: Für die Bundesregierung ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit als Bündnispartner … Wenn ich mir vorstelle, dass mir als Soldaten in Afghanistan die Kugeln rechts und links um die Ohren fliegen und mein oberster Dienstherr mir sagt: „Das machst du, um die deutsche Bündnistreue zu demonstrieren“, dann muss ich doch sofort den Dienst quittieren. ({17}) Nehmen Sie sich ein Beispiel an Kanada und Australien, die den Mut hatten, ihre Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Nehmen Sie sich auch ein Beispiel am niederländischen Parlament, das den Mut hatte, den Abzug seiner Soldaten zu beschließen. ({18}) Bringen auch Sie endlich den Mut auf, den Abzug der deutschen Soldaten zu beschließen und jetzt endlich den Weg zum Frieden einzuschlagen. Die spannende Frage ist natürlich: Was ist der Weg zum Frieden? Wie könnte er aussehen? Da muss man das Rad gar nicht neu erfinden. ({19}) Denn in jedem Krieg ist der allererste Schritt, den man machen muss, um zum Frieden zu kommen, ein Waffenstillstand. ({20}) Warum redet hier eigentlich niemand über Waffenstillstand? ({21}) Der kann natürlich scheitern. Aber ohne einen Waffenstillstand wird es niemals Frieden geben. ({22}) Das war in jedem Krieg so, und das ist auch im Afghanistan-Krieg so. Also, Herr Westerwelle, wann fangen die Verhandlungen an? Wissen Sie jetzt schon, mit welchen lokalen Führern Sie dann zusammenarbeiten wollen? ({23}) Haben Sie den Waffenstillstand schon auf die Tagesordnung der Afghanistan-Konferenz gesetzt? ({24}) Das darf doch keine Truppenstellerkonferenz, sondern muss eine Friedenskonferenz werden. ({25}) Wir als Linke bleiben dabei: Wir lehnen diesen Krieg ab. Wir lehnen den Kriegseinsatz der deutschen Soldaten ab, und wir werden uns weiterhin im Bundestag und auf der Straße für einen Waffenstillstand, für einen wirklich zivilen Aufbau in Afghanistan und für einen endgültigen Frieden einsetzen. ({26}) Vorhin hat ein Abgeordneter der CDU/CSU Immanuel Kant zitiert: Der Friede ist das Meisterstück der Vernunft. Recht hat er. Aber der Krieg, den Sie jetzt gleich beschließen, ist das Meisterstück der Unvernunft. ({27}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Ob wir nun deutsche Soldaten oder deutsche Waffen in einen Krieg schicken, beides ist falsch. Ich sage Ihnen: Wir werden keine Ruhe geben, bis beides aufhört. Ich danke Ihnen. ({28})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jürgen Trittin hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege van Aken, man kann ja unterschiedlicher Auffassung über diesen Einsatz sein und darüber so oder so denken. Eines aber sollten Sie sich klarmachen: Egal wie sich ein Mitglied dieses Hauses entscheidet, egal ob er dafürstimmt, dagegenstimmt oder sich enthält, diese Entscheidung hat so oder so Konsequenzen für das Le674 ben von Soldatinnen und Soldaten, von Entwicklungshelfern sowie von Afghaninnen und Afghanen. Das Dilemma ist, dass es keine Entscheidung gibt, die wirklich das erzeugt, was wir alle uns wünschen, nämlich dass niemand in Gefahr kommt. ({0}) Es geht um eine Abwägung und in diesem Sinne um gegenseitigen Respekt. Wir sollten es uns nicht einfach machen. In Afghanistan geht es um einen Stabilisierungseinsatz im Auftrag des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Wir haben es nicht mit einer imperialistischen Invasion zu tun. Wir haben es nicht mit dem Überfall der Sowjetunion auf dieses Land zu tun, sondern mit einem Stabilisierungseinsatz im Auftrag der Vereinten Nationen. ({1}) Es ist das Wesen eines solchen Stabilisierungseinsatzes, dass er nur dann erfolgreich sein kann, wenn man den Grundgedanken, dass irgendein Problem auf dieser Welt nur militärisch zu lösen ist, überwindet, aber gleichzeitig weiß, dass die Stabilisierung von zerfallenden Gesellschaften nur in einem vernünftigen Zusammenwirken von Sicherheit - das beinhaltet auch militärische Sicherheit - und Entwicklung stattfinden kann. Es geht dabei darum, dies unter dem Primat des Zivilen in ein vernünftiges, ausgewogenes Verhältnis zu bekommen. So schafft man heute auf diesem Globus, in einer komplizierteren Welt, Frieden. ({2}) Dazu gehört auch, dass man, wenn etwas schiefgeht, wenn ein Fehler passiert, über diejenigen, die solche Entscheidungen in Extremsituationen zu treffen haben, nicht leichtfertig den Stab bricht; denn solche Fehler können passieren. In Richtung der Bundesregierung sage ich aber: Solche Fehler darf man nicht vertuschen; man muss sie als Fehler benennen. ({3}) Denn nur wenn man solche Angriffe wie den vom 4. September 2009 als Fehler benennt, haben wir gemeinsam die Chance, aus einem solchen Fehler zu lernen und dafür Sorge zu tragen, dass sich solche Fehler tunlichst nicht wiederholen. Bei Ihnen, Herr Bundesverteidigungsminister, Frau Bundeskanzlerin, vermisse ich, dass Sie auf dem Stand des Wissens, das Sie heute haben, zugeben, dass es falsch war, wie an dieser Stelle agiert wurde, und uns erklären, wie man das künftig anders machen will. ({4}) Wir wissen, wie Sie, dass es ein einfaches Weiter-so und ein Durchwursteln bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag nicht geben wird. Deswegen brauchen wir - der Außenminister hat darauf hingewiesen - eine Abzugsperspektive. Sie haben sich auf Präsident Obama berufen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

({0}) militärische Aufstockung, mehr zivile Hilfe und ein konkretes Datum, an dem der Abzug beginnt. Das alles haben Sie aber in Ihrem Mandat - und Sie berufen sich auf Obama - nicht vorgesehen. Sie legen uns ein Mandat vor, in dem es heißt: Wir machen erst einmal ein Jahr so weiter und ändern es eventuell im Lichte der Ergebnisse der Afghanistan-Konferenz, wir sagen aber heute noch nicht, wie. ({1}) Ich sage Ihnen: Das ist ein Ansinnen an den Deutschen Bundestag, einen Blankoscheck auszustellen. Ich hätte mir gewünscht, Herr Westerwelle, dass Sie mit Ihrer mehrfachen Ankündigung, ein konkretes zivil-militärisches Mandat vorzulegen, ernst gemacht hätten, und nicht allgemein versprechen, dass Sie für den Polizeiaufbau mehr tun wollen; denn das hören wir seit drei Jahren. Vielmehr hätte ich von Ihnen die verbindliche Zusage erwartet, dass Sie endlich 500 Polizistinnen und Polizisten nach Afghanistan schicken, weil das die Voraussetzung dafür ist, dass es dort 80 000 Polizistinnen und Polizisten geben kann. ({2}) Das alles sind Sie uns schuldig geblieben. Sie sind nicht einmal in der Lage, zu benennen, mit welchen zivilen Vorschlägen und wie viel zusätzlichen Euros an Entwicklungshilfe Sie in diese Afghanistan-Konferenz gehen. Von uns erwarten Sie aber, dass wir für ein Jahr verlängern. Ich sage Ihnen: Wenn Sie diese Konferenz ernst nehmen würden, dann hätten Sie diesen Vorschlag nicht machen dürfen. Dann hätten Sie sagen müssen: Okay, wir wissen noch nicht, was bei dieser Konferenz vorgeht. Wir gehen mit verschiedenen Vorschlägen hin und werden das Mandat im Lichte dieser Konferenz verändern, und weil wir es danach ändern, verlängern wir das Mandat erst einmal für ein halbes Jahr. In anderen Fällen haben Sie das auch gekonnt. Sie aber lassen uns im Unklaren über Ihre Absichten. Sie sagen nicht, wohin Sie wollen. Sie machen unverbindliche Ankündigungen, erwarten aber von uns, dass wir zu einem weiteren Jahr Ja sagen. Ich finde, das ist eine Überforderung. Wir Grüne stehen zu unserer Verantwortung in Afghanistan. Es kann und darf keinen Sofortabzug geben, aber am Ende des Tages brauchen wir eine konkrete Abzugsperspektive und eine Aufbauoffensive. Die bleiben Sie schuldig. Deswegen sagt die große Mehrheit meiner Fraktion - zu Ihrem Mandat, nicht zu AfghanisJürgen Trittin tan -: Wir können diesem Mandat nicht zustimmen. Deshalb werden wir uns enthalten. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Polenz.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Trittin, ich hatte mich zu einer Zwischenfrage gemeldet, die Sie leider nicht zugelassen haben. Deshalb möchte ich mich in dieser Form auf die letzte Passage Ihres Beitrags beziehen, in der Sie kritisieren, dass die Bundesregierung erneut ein Mandat für ein Jahr beantragt. Glauben Sie nicht, dass in dieser Situation ein auf ein halbes Jahr verkürztes Mandat dahin gehend weltweit große Kommunikationsprobleme ausgelöst hätte, dass es in der Diskussion im Bündnis so hätte verstanden werden können, als sei das der Anfang vom Ende des deutschen Engagements in Afghanistan? ({0}) Herr Trittin, wenn man die Regierung in der Frage der Kommunikation kritisiert und die eine oder andere Enthaltung in Ihrer Fraktion damit begründen will, muss man einbeziehen, dass es hier nicht nur eine Binnenkommunikation, sondern auch eine Kommunikation nach draußen gibt. Sie wissen genauso gut wie ich, dass bereits jetzt - zum Beispiel auch weil die Rede des amerikanischen Präsidenten vergleichsweise spät kam - in der Region die Sorge besteht, die 43 Länder, die sich jetzt für die internationale Gemeinschaft in Afghanistan engagieren, könnten vielleicht doch vorzeitig diesem Land den Rücken kehren und diejenigen im Stich lassen, die sich jetzt mit uns für den Aufbau ihres Landes engagieren. Die müssen wir im Blick haben, und deshalb glaube ich, dass der Antrag der Bundesregierung, am Einjahresmandat festzuhalten, genau richtig ist. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Polenz, das Signal für Ihre Zwischenfrage kam außerhalb der zugestandenen Redezeit; das konnten Sie nicht wissen. Jetzt erhält Herr Trittin das Wort für eine Erwiderung.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege Polenz, entschuldigen Sie, aber ich habe Ihre Meldung nicht gesehen. Ich wollte Ihrer Frage überhaupt nicht ausweichen. Ich finde, Sie haben eine wichtige und richtige Frage angesprochen. Die Bundesregierung hätte aber Alternativen gehabt. Wir können als Parlament immer nur Ja oder Nein sagen. Die Bundesregierung hätte uns heute ihre Vorstellungen, die sie für ein Mandat hat, auch was die zivile Seite - die Aufstockung der Entwicklungshilfe und der Polizei - angeht, hier vorlegen können; dann würde über die Sachlage, die Sie angesprochen haben, anders diskutiert. Die Bundesregierung hätte sich auch entscheiden können, zu sagen: Wir wissen nicht, wie weit wir gehen. Bis heute gibt es keine Äußerung der Bundesregierung zu den Ankündigungen auch aus Ihren Reihen - der Kollege redet nachher noch -, man sei bei der Aufstockung der Truppen flexibel. Es gibt bis heute keine Antwort auf die Frage, warum der entsprechende Teil des Haushalts um 200 Millionen Euro aufgestockt worden ist. All dies ist unklar. Deswegen hätten Sie das tun müssen - Sie heben auf die Binnenkommunikation ab -, was Sie in einem anderen Fall auch getan haben: Sie hätten das Mandat auf ein halbes Jahr begrenzen müssen. Das können Sie, wie man am Beispiel UNIFIL sieht. Da sind Sie sogar in der Lage, das Mandat so sehr zu verkürzen, dass es schon vor dem nächsten Beschluss des Sicherheitsrates über ein zusätzliches UNIFIL-Mandat ausläuft; Sie lassen es zwei Monate vorher enden. Wenn es Ihnen mit den Signalen an die Verbündeten ernst ist, hätten Sie in diesem Fall zumindest sagen müssen: Wir verlängern bis August, weil dann der Sicherheitsrat entschieden hat. Ich sage Ihnen: Heute wäre es richtig gewesen, uns entweder ein komplettes zivil-militärisches Mandat vorzulegen oder aber das Mandat, wie es in unserem Entschließungsantrag heißt - das wäre logisch gewesen -, auf ein halbes Jahr zu verkürzen, verbunden mit der Klarstellung, dass darauf ein neues Mandat folgen wird. Das haben Sie versäumt; das bringt uns in die Situation, Ihrem Antrag in der Form nicht zustimmen zu können. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Rainer Stinner hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen schaut die ganze Welt auf Afghanistan. Wir alle merken, dass unsere heutige Debatte in der deutschen Öffentlichkeit eine viel größere Resonanz findet als in den vergangenen Jahren. Ich finde das gut; denn wir nehmen heute wieder einmal eine wichtige Weichenstellung vor; wir treffen eine wichtige Entscheidung für unser Land und die internationale Gemeinschaft. Wir von der FDP-Fraktion werden dem Mandatsantrag der Bundesregierung zustimmen. Es ist im deutschen nationalen Interesse, dass Afghanistan nicht wieder zur Brutstätte des internationalen Terrorismus wird. ({0}) Es ist im deutschen nationalen Interesse, dass das Land stabilisiert wird, dass sich das Land und die Region nicht zu einem unüberschaubaren Pulverfass entwickeln, das die Sicherheit der Region und der ganzen Welt gefährdet. Wir können und wollen es auch nicht zulassen, dass dieses Land wieder in die Steinzeit zurückgebombt wird, mit unübersehbaren Folgen für die ganze Bevölkerung, insbesondere für Frauen und Kinder. ({1}) Wer angesichts dieser Tatsache heute hier, im Deutschen Bundestag, öffentlich den sofortigen Abzug deutscher Soldaten fordert, handelt völlig verantwortungslos. ({2}) Wer heute hier den sofortigen Abzug fordert, zeigt ein weiteres Mal, dass ihm das Schicksal von Millionen von Menschen völlig egal ist. ({3}) Diejenigen, die das hier und heute tun, stehen damit in einer Reihe unseliger Fehlentscheidungen, die Sie und Ihre Vorgänger in den letzten 20, 30 Jahren immer wieder gefällt haben. Ihnen sind die Menschen völlig egal. ({4}) Wir bürden den Soldatinnen und Soldaten, den Polizisten und den Zivilisten, die in Afghanistan sind, eine schwere Aufgabe auf. Deshalb rufe ich von hier aus den vielen Soldaten, Polizisten und Zivilisten in Afghanistan, die die heutige Debatte vor Ort live verfolgen, zu: Unsere Gedanken sind bei Ihnen. Wir unterstützen Sie. Wir danken Ihnen ganz herzlich für Ihren schweren, freiwilligen Einsatz. Insbesondere sprechen wir Ihnen unsere Anerkennung aus. ({5}) Wir von der FDP-Fraktion sind weit davon entfernt, uns die Welt in Afghanistan zurechtzubiegen und sie uns rosig auszumalen. Wir wissen, dass wir schwere Probleme mit dem Mandat haben, dass wir schwere Probleme in Afghanistan haben. Deshalb betrachten wir das Mandat von Jahr zu Jahr und auch zwischen den Jahren kritisch, und wir sind dabei auch selbstkritisch. ({6}) - Herr Ströbele, das ist notwendig. Unsere Kritik und Selbstkritik hat insbesondere zwei Aspekte zum Inhalt: Erstens. Was wollen wir eigentlich dort? Was ist die Strategie? Was ist das Ziel? Eine genaue Definition von Strategie und Ziel durch die NATO ist nochmals dringend notwendig. Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, dass in London eine Afghanistan-Konferenz stattfinden wird. Werter Herr Trittin, Sie sind kein Hellseher, ich bin kein Hellseher, und auch Herr Westerwelle ist kein Hellseher. Wir alle wissen nicht, was das Ergebnis dieser Konferenz sein wird. Deshalb wäre es völlig unseriös, wenn wir heute die möglichen Ergebnisse der Konferenz, an der wir aktiv teilnehmen wollen, vorwegnehmen würden. Der folgende Ablauf ist richtig: Erst die Konferenz, erst das Ziel, dann die Strategie, dann die Maßnahmen, und dann entscheiden wir hier, im Deutschen Bundestag, welche Ressourcen wir einsetzen. Das ist die richtige Reihenfolge. Ich spreche ausdrücklich von Ressourcen, weil ich sehr deutlich sagen möchte: Es geht nicht nur darum, dass wir uns über die Anzahl der Soldaten unterhalten. Es geht darum, wie wir dem Ziel, das wir gemeinsam haben - ich glaube, darin sind wir uns alle einig -, der Stabilisierung Afghanistans insgesamt, näherkommen können. Der zweite Aspekt unserer Reflexion ist immer gewesen: Ist die vernetzte Sicherheit eigentlich richtig verankert? Auch diesbezüglich müssen wir sehr selbstkritisch sein. Ich sage ganz offen und ehrlich: Wir müssen gemeinsam besser werden. Ich bin sehr froh darüber, dass Minister Niebel in den ersten Wochen seiner Amtszeit deutliche Impulse für Afghanistan gesetzt hat. ({7}) Ich fordere die Innenpolitiker in Bund und Ländern auf und bitte darum, dem Thema Afghanistan eine höhere Priorität beizumessen. ({8}) Wir haben eine schwere Entscheidung zu fällen. Sie betrifft Soldaten, ihre Familien, Polizisten und Zivilisten. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten bestens ausgerüstet, bestens ausgestattet sind und mit klaren Einsatzregeln ihre Arbeit in Afghanistan verrichten können. Meine Damen und Herren, wir treffen heute eine schwere, eine wichtige, eine bedeutsame Entscheidung. Wir treffen sie in Verantwortung für unsere Soldaten, in Verantwortung hinsichtlich der internationalen Kompetenz und Zusammenarbeit Deutschlands. Wir treffen sie mit gutem Gewissen. Wir treffen sie für Deutschland, für den Frieden und für Afghanistan. ({9}) Ich danke Ihnen. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Kurzintervention des Kollegen Gehrcke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ihnen fällt auch nichts Besseres mehr ein! - Kollege Stinner, ich bin bereit, mir sehr viel vorhalten zu lassen. Ich bin bereit, mir vorhalten zu lassen, dass ich mich möglicherweise irre und dass sich möglicherweise meine Fraktion irrt. Glücklich ist, wer Irrtum für sich selbst hundertprozentig ausschließen kann, wie Sie es offensichtlich können. Ich bin bereit, mir vorhalten zu lassen, dass unsere Vorschläge möglicherweise nicht zu dem Ergebnis führen, das wir wünschen, nämlich endlich Frieden in einem Land, in dem seit über 30 Jahren Krieg herrscht. Ich bin bereit, mir vorhalten zu lassen, dass wir alle zusammen die Dinge vielleicht noch nicht bis zum Ende durchdacht haben und vieles nicht berücksichtigt haben. Ich bin aber nicht bereit, mir von Ihnen vorhalten zu lassen, dass ich persönlich oder meine Fraktion kein Interesse am Leben der Menschen in Afghanistan haben. Das ist eine Unverschämtheit. Eine solche Behauptung steht Ihnen nicht zu. ({0}) Ich will Ihnen ein weiteres Moment nennen, das für mich ein doch sehr entsetzliches Déjà-vu-Erlebnis darstellte. Sie haben davon gesprochen, Afghanistan dürfe nicht in die Steinzeit zurückgebombt werden. Das ist ja ein Satz, der im Vietnamkrieg eine Rolle gespielt hat. Aber unterstellen wir das einmal: Steinzeit, Mittelalter. Sie haben davon gesprochen, wie toll in Afghanistan dazu beigetragen werde, dass Bildung verbreitet wird, dass eine andere Art und Weise der Ökonomie durchgesetzt werde, dass ein Land aus dem Mittelalter herausgelöst werde. All diese Argumente habe ich immer benutzt, um den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan zu rechtfertigen. Ihre Argumente sind nicht anders und keinen Deut besser, als es damals meine Argumente waren. Diese waren, wie man inzwischen gesehen hat, falsch. ({1}) Das müssen Sie sich vorhalten lassen. Sie beten alten Quark nach und das in einer Art und Weise, durch die eine Verständigung über einen vernünftigen politischen Prozess schon nicht mehr möglich ist. Ich habe sehr genau hingehört, welche Bedenken hier artikuliert und welche neuen Fragen aufgeworfen worden sind. Wenn man in der Art und Weise, wie Sie hier glauben, Politik machen zu können, nämlich Augen zu und durch, weiterhin in die Sackgasse rennt, dann wird man Schaden anrichten - in Afghanistan und auch bei den Soldaten, die Sie nach Afghanistan schicken. Das ist Krieg, und aus diesem Krieg muss man heraus. Das war unser Anliegen. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Stinner, es gibt noch eine zweite Kurzintervention des Kollegen Ströbele. Diese würde ich gern erst noch zulassen; dann können Sie im Zusammenhang antworten. ({0}) - Genau. - Herr Ströbele, bitte schön.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Kollege Stinner und vorher auch schon der Kollege Polenz haben darauf hingewiesen, dass man berücksichtigen sollte, wie das, was hier gesagt wird, weit draußen in der Welt ankommt. Das ist sicher richtig. Man sollte aber auch berücksichtigen, wie es hier in Deutschland, hier in Berlin ankommt. Ich spreche hier - Kollege Mißfelder hat mir ja letztes Mal vorgeworfen, ich wolle nur meine Meinung sagen und diese hier unterbringen für die Bevölkerung in meinem Wahlkreis in der Mitte Berlins. Ich maße mir an, für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung zu sprechen, ({0}) nämlich für den Teil der deutschen Bevölkerung - darunter sind auch CDU- und FDP-Wählerinnen und -Wähler, und zwar nicht zu wenige -, ({1}) der nicht versteht, dass hier immer nur darüber geredet wird, wie mit mehr Soldaten, mit mehr Krieg in Afghanistan die Situation bewältig werden kann. ({2}) Sie verstehen einfach nicht, dass man sich überhaupt nicht damit auseinandersetzt, dass die Bundeswehr seit acht Jahren in Afghanistan ist und dass der Bevölkerung in Deutschland - übrigens auch der Bundeswehr - seit fünf Jahren immer wieder versprochen wird: Wir brauchen nur ein paar mehr Soldaten, wir brauchen ein bisschen mehr Militär, dann wird sich das Schicksal da schon wenden, dann werden wir unserem Ziel näher kommen. Sie nehmen - das werfe ich der Bundesregierung und den Koalitionären vor - die Realitäten in Afghanistan nicht zur Kenntnis. ({3}) Sie reden nur davon, dass Sie militärische Mittel brauchen. Sie übersehen, dass der zivile Aufbau, der uns allen am Herzen liegt, in weiten Gegenden, beispielsweise rund um Kunduz, so gut wie gar nicht mehr stattfinden kann, weil in Afghanistan Krieg herrscht. Wir verlängern diesen Krieg nur, indem wir immer neue Soldaten nach Afghanistan schicken. Bitte erklären Sie nicht nur der Weltöffentlichkeit, sondern auch Ihren und meinen Wählerinnen und Wählern und der gesamten deutschen Bevölkerung, warum Sie jetzt hoffen, dass sich die Situation in Afghanistan im nächsten oder übernächsten Jahr verbessert, wenn man heute die Aufstockung der Zahl der Soldaten und die Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr mit einem Weiter-so beschließt. Was so in ein oder zwei Jahren dort passiert sein wird, ist, dass dort weitere Tausende von Menschen im Krieg getötet, verletzt oder verstümmelt worden sein werden. Ich bitte Sie, dies zu bedenken. Darauf sollten Sie eine Antwort geben. Diese Antwort sind Sie der deutschen Bevölkerung schuldig. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Stinner zur Antwort auf die beiden Kurzinterventionen.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Gehrcke, als Sie sich gemeldet haben, habe ich zunächst gedacht, Sie wollten sich für die unsägliche Rede Ihres Herrn van Aken hier entschuldigen. ({0}) Da habe ich mich leider getäuscht. Lieber Herr Gehrcke, da ich Sie persönlich als durchaus differenziert denkenden Menschen schätze, möchte ich Ihnen sehr gerne antworten. Ihr Kollege und Ihre Partei bezeichnen uns hier im Parlament und draußen im Lande als Kriegstreiber, ({1}) als Leute, die den Krieg willkürlich in fremde Länder treiben. ({2}) In Anbetracht eines solch gravierenden Vorwurfs muss ich sagen: Auf diesen groben Klotz gehört eindeutig ein grober Keil. ({3}) Deshalb stehe ich nicht an, gegenüber Ihrer Partei eine sehr deutliche Sprache zu sprechen. Sie und Herr Ströbele wollen heute hier mit Nein stimmen. Würde die Mandatsverlängerung abgelehnt, hieße das aber, dass die Soldaten innerhalb von zehn Tagen abgezogen sein müssten. ({4}) Lassen Sie uns jetzt einmal realistisch denken. Sehr geehrter, lieber Herr Gehrcke, sind Sie nicht in der Lage zu ermessen, was das für die Menschen in Afghanistan bedeuten würde? In dieser Woche hatten wir eine afghanische Delegation zu Besuch, die afghanischen Frauen haben einen Brief geschrieben, ({5}) und vor einiger Zeit haben wir mit 20 afghanischen Parlamentariern eine beeindruckende Diskussion geführt. Alle haben uns aufgefordert: Verlasst unser Land nicht! - Herr Gehrcke, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass dann, wenn die NATO ihre Soldaten innerhalb von 14 Tagen abziehen würde, irgendeine Chance bestünde, dass die Menschen in Afghanistan in Frieden leben. Nein, nein, nein! Das ist nicht der Fall. Deshalb verlängern wir das Mandat. ({6}) Herr Ströbele, ich bin gerne bereit, bei anderer Gelegenheit ausführlicher mit Ihnen über die Frage, welche Entwicklung stattgefunden hat, zu sprechen. Jetzt habe ich allerdings nicht die dafür notwendige Zeit zur Verfügung. Ich frage Sie aber: Sind Sie nicht in der Lage, zu erkennen, dass es in den letzten Jahren durchaus zu einer Wandlung der Attitüden der verschiedenen beteiligten NATO-Staaten gekommen ist? ({7}) Sind Sie nicht in der Lage zu erkennen, dass wir jetzt in London eine Chance haben, die wir noch niemals hatten, nämlich die Chance, bezüglich der Strategie in Afghanistan eine Konvergenz der Attitüden der verschiedenen beteiligten Länder herzustellen? Das ist eine Veränderung. Außerdem, Herr Ströbele - ich muss das so deutlich sagen -, bezweifle ich Ihre Fähigkeit, zu hören. ({8}) Der Außenminister, der Kollege Schockenhoff von der CDU und ich haben eindeutig mehrfach und mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass Militär allein nicht die Lösung ist. ({9}) - Herr Ströbele, hören Sie eigentlich nicht zu? Hören Sie einfach einmal zu, nehmen Sie das zur Kenntnis und lassen Sie das Gehörte von Ihren Gehörgängen auch in Ihr Gehirn hineinrauschen. ({10}) Wir haben eindeutig und mehrfach betont: Wir wissen genau, dass wir einen gemeinsamen, vernetzten Ansatz - „comprehensive“ oder wie auch immer Sie ihn nennen wollen - brauchen. Dafür stehen wir. Wir sind doch selbstkritisch, Herr Ströbele; das habe ich doch gesagt. ({11}) Wir malen uns die Welt nicht rosa. ({12}) Wir glauben, dass wir mit der neuen Bundesregierung jetzt, wo sich die Möglichkeit bietet, in London eine gemeinsame Kompetenzlinie der NATO zu finden, bessere Chancen haben als jemals zuvor. Das ist ein Fortschritt. Den sollten Sie unterstützen, statt hier nicht zuzuhören und das abzulehnen. Vielen Dank. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold von der SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob das Geschrei, das die Linken zu diesem Thema aufführen, der Ernsthaftigkeit der Situation und der Not der Menschen in Afghanistan wirklich angemessen ist. ({0}) Mein Rat wäre: Bevor Sie der ganzen Welt erklären wollen, wie es in Afghanistan aussieht, sollten Sie wenigstens Ihren Fraktionsvorsitzenden einmal dorthin schicken, damit er sich ein eigenes Bild macht und vielleicht herausfindet, wie man was verhindern kann. Hier sitzt eine Reihe von verantwortungsvollen Politikern aus allen Fraktionen. Alle machen sich die Mühe, sich in Afghanistan umzuhören und umzuschauen. ({1}) Dieses Geschäft ist Ihnen schon zu viel. Sie wollen vom bequemen Schreibtisch aus wissen, wie es geht. ({2}) Die Bundesregierung und alle, die heute geredet haben, haben übereinstimmend gesagt: Ein Weiter-so darf es in Afghanistan nicht geben. Wir hätten uns allerdings ein präziseres und aufschlussreicheres Mandat gewünscht, übrigens auch ein kürzeres; das wurde hier schon diskutiert. Ich glaube nicht, dass es ausreichend ist, wenn Sie auf die Konferenz am 28. Januar verweisen. Es ist richtig: Auf dieser Konferenz muss über Neuausrichtungen und Veränderungen der Strategie diskutiert und entschieden werden. Wir wünschen uns allerdings, dass Sie sich nicht hinter dieser Konferenz verstecken, sondern im Vorfeld mit uns Parlamentariern darüber reden, mit welchen Ideen und Impulsen Sie dorthin fahren. ({3}) Weil dies wichtig ist, hat unsere Fraktion einen Entschließungsantrag vorgelegt. Dieser Entschließungsantrag ist in vielen Bereichen sehr konkret. Wir sagen zum Beispiel, dass die Hilfe für Afghanistan nicht unkonditioniert gewährt werden darf, sondern die afghanische Regierung eine Menge Hausaufgaben zu erledigen hat. Wir sagen natürlich auch, dass ein Versöhnungsprozess initiiert werden muss. Vor allen Dingen sagen wir, es reicht nicht aus, immer wieder zu fordern, dass die afghanische Polizei ausgebildet wird. Es ist höchste Zeit, dass der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland mit seinen Kollegen aus den Ländern Klartext über den Aufbau der Polizei in Afghanistan redet und sich hier einmal ausdrücklich dazu bekennt, was er in Zukunft leisten will, damit der Aufbau der Polizei in Afghanistan vernünftig vorankommt. Wir wissen doch alle, wie groß die Defizite vor allen Dingen im Bereich Kunduz sind. Diese Defizite werden wir nur beheben können, wenn wir nachhaltig für eine Finanzierung der dort notwendigen zusätzlichen Polizisten sorgen. Zu all dem schweigt die Regierung; das ist wirklich zu wenig. Darüber muss diskutiert werden! ({4}) Obamas Rede - darüber wurde schon geredet - hat nicht wirklich etwas Neues gebracht. Eines hat er mit seiner Rede aber schon im Vorfeld erreicht: All diejenigen, auch in der Regierung, die in der Vergangenheit immer wieder gesagt haben: „Der Afghanistan-Einsatz wird erst auf einer langen Zeitschiene gesehen erfolgreich“, merkten, dass das der falsche Ansatz ist. Die westlichen Demokratien - auch wir - werden diesen Einsatz weder materiell noch von der Zustimmung in unserer Gesellschaft her 10, 15 Jahre durchhalten. Deshalb ist es sicherlich richtig, dass jetzt darüber geredet werden muss: Wo muss man Strategien nachjustieren, und wo muss das als richtig Erkannte endlich konsequenter um- und durchgesetzt werden? Das ist doch das Hauptproblem in Afghanistan: dass das, was man weiß, nicht wirklich umgesetzt wird. Deshalb sind wir durchaus dankbar, dass jetzt klar ist, dass in allen Bereichen - das trifft eben nicht in erster Linie auf das Militärische zu, sondern vor allen Dingen auf den zivilen Aufbau mehr getan werden muss. Wir stimmen mit der Regierung überein, wenn sie sagt, dass die Frage der Truppenstärke nicht am Anfang stehen darf, sondern am Ende stehen muss. Es ist richtig, zunächst die Ziele und erst dann den Weg dorthin zu definieren. Es bleibt dabei: Wir Deutschen haben eine besondere Verantwortung im Norden. Bei dieser Verantwortung sollen und müssen wir bleiben. Es muss aber auch darüber geredet werden: Wo gibt es im Norden stabile Distrikte? Die gibt es. So können Ressourcen frei werden, die man einsetzen kann, um die Lage im zweifellos problematischen Bereich Kunduz zu stärken. All dies kann und sollte vorgelegt werden. Lassen Sie mich am Ende noch ein Thema ansprechen. Frau Bundeskanzlerin, Herr Außenminister, Herr Verteidigungsminister, Sie machen es uns nicht ganz einfach, zuzustimmen; denn durch die Debatte der letzten Wochen, die zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses aufgrund Ihrer desaströsen Informationspolitik geführt hat, wird die Zustimmung natürlich erschwert. Dadurch ist Vertrauen kaputtgegangen. Dabei geht es nicht nur um die Frage, wie wir Abgeordneten damit umgehen, sondern auch darum, wie wir es in Zukunft schaffen, in der deutschen Gesellschaft Akzeptanz für Auslandseinsätze zu erreichen. Deshalb ist das ein sehr wichtiges Thema. Ich wünsche mir, dass ein paar Fragen wirklich zu Ende debattiert werden. Herr zu Guttenberg hat, ich glaube, zu Recht darauf verwiesen, dass es ein bewaffneter nichtinternationaler Konflikt ist. Herr zu Guttenberg, deshalb ist noch lange nicht jedes militärische Vorgehen angemessen. Ich glaube, darin sind wir uns auch einig. Ich will Ihnen das überhaupt nicht unterstellen. Ich glaube aber, die Debatte darüber, was in Afghanistan richtig ist und was die Soldaten tun dürfen, ist nicht damit erledigt, dass die Soldaten Rechtssicherheit haben. Das ist sicher hilfreich und notwendig; das unterstützen wir. Aber darüber, wie die Bundeswehr vorgeht, haben wir offensichtlich einen politischen Diskurs zu führen. Wir alle wissen: Das Völkerrecht wird diesen neuen asymmetrischen Konflikten nicht ausreichend gerecht. Es ist eben so, dass man zwar keine Zivilisten wissentlich angreifen und töten darf, gleichzeitig besagt das Völkerrecht aber: Wenn es einen hohen militärischen Nutzen gibt und es in einem vernünftigen Verhältnis steht, dann darf man auch hinnehmen, dass Zivilisten zu Schaden kommen. Ich spitze das einmal zu, weil ich viele E-Mails dazu erhalte: Viele Bürgerinnen und Bürger ziehen daraus den Schluss, nun ja, wenn man in einem solchen bewaffneten Einsatz ist, dann ist es fast normal, dass Zivilisten getötet werden. ({5}) Ich sage Ihnen ausdrücklich: Dahin wollen und dürfen wir nicht kommen. ({6}) Dafür gibt es viele gute Gründe: Es ist strategisch falsch, zivile Opfer in Kauf zu nehmen, weil wir wissen: Aufständische werden nur erfolgreich sein, wenn sie in der Zivilgesellschaft Unterstützung finden. Es ist aber auch ethisch falsch. ({7}) Wir machen es uns hier nicht einfach. Wir schicken die Soldaten in den Einsatz, und wir wissen, dass wir damit Verantwortung dafür übernehmen, was in Afghanistan passiert. Wir denken in solchen Stunden auch an die getöteten Zivilisten. Das ist die Verantwortung des Deutschen Bundestages. Ich glaube, wir haben an dieser Stelle noch einen erheblichen Klärungsbedarf. Herr zu Guttenberg, Sie könnten uns helfen, wenn Sie sehr deutlich machen würden, dass für Sie ein militärischer Einsatz mit Abwurf von Bomben eben nicht verhältnismäßig ist und auch nicht, wie Sie es in Washington angedeutet haben, ein Stück Normalität der deutschen Politik ist, sondern dass wir uns der großen Verantwortung in Afghanistan bewusst sind. Wenn nämlich alle anderen Mittel - das müssen sich die Linken auch noch einmal aufschreiben - versagt haben, dann ist es im Auftrag der Vereinten Nationen legitim und auch notwendig, den Menschen in Afghanistan Stabilität zu bringen; denn das liegt nicht nur im deutschen Interesse, sondern auch im Interesse der ganzen Welt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort fertig. - Ich sage am Ende noch dazu: Wir sehen dabei auch unsere Verantwortung als Bündnispartner. Die NATO darf in Afghanistan nicht scheitern. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Paul Schäfer das Wort.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Arnold, ich war als verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke in Afghanistan, und auch mein Kollege Norman Paech, der außenpolitischer Sprecher war, war mehrfach in Afghanistan, und zwar nicht nur in Delegationen, in denen man einen ganz bestimmten Ausschnitt der Realität sieht, aber natürlich auch nur diesen. Sie werden mir bestimmt zugestehen, dass man auf diese Weise die Realität dieses Landes nicht erfasst. Ich habe Bundeswehrsoldaten gesehen und mit ihnen gesprochen. Sie haben dringend nachgefragt: Was wollen wir da? Wie lange wollen wir da bleiben? Zu welchem Ende wollen wir das Ganze bringen? Ich habe gesehen, wie sich die Eliten in Afghanistan immer mehr „verbunkert“ haben - und nicht nur die afghanischen Eliten. Auch die auswärtigen Verwalter dieses Landes haben sich von Besuch zu Besuch immer mehr „verbunkert“. Ich habe auf der einen Seite die Armut im Land gesehen und auf der anderen Seite die herrlichen Villen, die sehr gut abgesichert sind, von Leuten, die immer reicher geworden sind. Ich habe natürlich auch Afghanen getroffen, die große Hoffnungen in die internationale Gemeinschaft projizieren. Diese sagen: Ihr müsst uns weiterhelfen. - Das muss man sicherlich zur Kenntnis nehmen. Aber sie stellen auch die Frage, mit welchen Mitteln man dies tut. Diese Realität kennen wir doch alle, unabhängig davon, ob man das mit den eigenen Augen gesehen hat oder nicht. Ich habe hier schon beim letzten Mal vorgetragen - dem hat niemand widersprochen -, dass in den vergangenen drei bis vier Jahren die Zahl der Soldaten eminent aufgestockt worden ist und gleichzeitig die Gewalt zugenommen hat. Das ist ein Grundfaktum, das man nicht aus der Welt schaffen kann, auch wenn man schon zehn oder zwanzig Mal in Afghanistan war. Daraus muss man einen Schluss ziehen. Wir haben festgestellt: Je mehr Krieg dort geführt wird, desto weniger Aufbau findet statt. Man kann das nicht damit kontern, dass man darauf verweist, dass vielleicht irgendwo eine Brücke gebaut worden ist. Insgesamt legen alle Befunde den Schluss nahe, dass der Aufbau umso mehr ins Stocken gerät, je stärker der Krieg zunimmt und je weiter die Taliban infolge dieses Krieges ihren Einflussbereich ausdehnen. Daher bleiben wir bei unserem Nein zu diesem Einsatz. Deshalb plädieren wir dafür, die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen. Paul Schäfer ({0}) An dieser Stelle möchte ich eine sehr persönliche Anmerkung machen. Wir alle beschäftigen uns mit diesem „Vorfall“ in Kunduz. Die Bundeswehr ist zum ersten Mal seit 1945 zumindest in die Situation verstrickt, dass eine offensive Operation ausgelöst worden ist, bei der sehr viele Menschen getötet worden sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schäfer, kommen Sie zum Schluss.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dieser Vorfall zeigt, wie sehr wir schon auf die schiefe Bahn geraten sind. Weil wir als Deutsche eine besondere historische Verantwortung tragen, bin ich dagegen, dass wir diesen Weg fortsetzen. Vielmehr bin ich der Meinung, dass Schluss sein sollte. Wir sollten die Bundeswehr aus Afghanistan abziehen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung, Kollege Arnold.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Schäfer, wir waren ja wiederholt zusammen in Afghanistan. Ich sage ausdrücklich, ({0}) dass alle Gespräche, die wir dort geführt haben - auch in der Nachbereitung mit Kollegen Schäfer -, hilfreich und konstruktiv waren. Wir konnten über den richtigen Weg für Afghanistan streiten und ringen. Das finde ich in Ordnung. Wir müssen uns nicht einig sein. Wenn man aber aus Afghanistan zurückkommt, dann muss man seiner Fraktion auch differenziert über die Situation in Afghanistan berichten. Wir stellen fest, dass es in Kunduz, im Norden unseres Verantwortungsbereiches, Kämpfe gibt. Wir stellen fest, dass die Taliban stark sind und deshalb die Bundeswehr und andere Verbündete jeden Tag unter Druck stehen. Wir sehen aber auch, dass in Faizabad ziviles Leben entsteht, dass sich die Wirtschaft entwickelt, dass es Strom gibt, dass es Schulen gibt, dass es Krankenhäuser und sichere Straßen gibt. Wir sehen, dass sich in Masar-i-Scharif, einer Großstadt, von Halbjahr zu Halbjahr ein richtiges Leben entwickelt und dies auch für den Laien sichtbar ist. Warum reden Sie nicht auch über dieses Afghanistan? Afghanistan ist eben ein Land, in dem es nicht nur Krieg gibt, wie manche glauben, und in dem es auch nicht nur Frieden gibt, sondern es gibt beides parallel. Es gehört zu unserer Verantwortung, dies auch so darzustellen. Ich habe Ihnen als Verteidigungspolitiker überhaupt nicht vorgeworfen, dass Sie sich nicht um Afghanistan kümmern. Sie tun das zweifellos. Ich sage nur: Die beiden Vertreter Ihrer Fraktionsspitze, die die lautesten Reden zu diesem Thema halten, die dabei den oberflächlichsten und billigsten Applaus einheimsen, ({1}) die alles tun, um Anhänger der Friedensbewegung oder grundsätzliche Pazifisten für sich allein zu vereinnahmen - diese haben allerdings auch in Zukunft in meiner Partei Platz -, diese beiden waren noch nie in Afghanistan. Es wäre jedoch lehrreich, wenn Herr Lafontaine und Herr Gysi einmal nach Afghanistan fahren, mit allen möglichen Menschen dort sprechen, sich umhören und davon lernen würden. Bei dieser Aufforderung bleibe ich. Ich habe den Eindruck, das könnte zumindest den Ton in der Auseinandersetzung ein Stück weit verändern. Das halte ich für notwendig. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. KarlTheodor zu Guttenberg. ({0})

Karl Theodor Guttenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11003543

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Man kann, Herr Kollege Schäfer, mit guten Gründen - ich weiß, dass Sie sich intensiv damit befassen unterschiedliche Linien vertreten. Was die Diskussion vorhin ausgelöst hat, war der geäußerte Vorwurf, uns würde es nicht interessieren, wenn Menschen ums Leben kommen. Dieser Vorwurf ist an Niveaulosigkeit nicht zu übertreffen. Ich glaube, das gilt für jeden hier in diesem Raum. ({0}) Wir müssen uns nämlich überlegen, dass eben auch die Selbstüberlassung Afghanistans Leben kosten kann. ({1}) Ich würde im Umkehrschluss nie behaupten, dass Ihnen das egal wäre. Das wäre niveaulos. Genau diesen Punkt sollten wir in Betracht ziehen, wenn wir diese Diskussion substanziell führen und wenn wir uns mit Punkten beschäftigen, die niemals Routineentscheidungen sein können und niemals Routineentscheidungen sein dürfen. Kollege Klose hat darauf hingewiesen. Auch was sich in Afghanistan täglich abspielt, ist nie Routine, und das wird es nie sein. Das, was sich in Kunduz am 4. September abgespielt hat, war natürlich nicht Routine. Gestatten Sie mir, nachdem das Thema heute angesprochen wurde und ich dem Parlament zugesagt habe, dass ich eine Neubewertung der Vorfälle in Kun682 duz vornehmen werde, dass ich Ihnen diese meine Neubewertung heute vortrage. ({2}) Meine Damen und Herren, jede Bewertung dieses Vorfalls hängt in hohem Maße davon ab, ob und inwieweit man die Perspektive des in einer kriegsähnlichen - ja, kriegsähnlichen -, besonderen Situation stehenden Kommandeurs einnimmt oder ob man den Vorfall primär unter dem Blickwinkel möglicher, aber auch tatsächlicher Regelverstöße - Fehler, Herr Trittin - sieht. Ich darf in aller Klarheit sagen, dass Oberst Klein mein volles Verständnis dafür hat, dass er angesichts kriegsähnlicher Zustände um Kunduz, angesichts anhaltender Gefechte, bei denen in diesen Tagen auch deutsche Soldaten verwundet wurden - unter seinem Kommando sind in diesen Monaten auch deutsche Soldaten gefallen -, subjektiv von der militärischen Angemessenheit seines Handelns ausgegangen ist. Dafür hat er mein Verständnis. Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass er gehandelt hat, um seine Soldaten zu schützen. Jeder, der jetzt aus der Distanz leise oder laut Kritik übt, sollte sich selbst prüfen, wie man in dieser Situation gehandelt hätte. Wie viel leichter erscheint es jetzt, sich ein Urteil über die Frage der Angemessenheit zu bilden aus der Distanz, mit auch für mich zahlreichen neuen Dokumenten und mit neuen Bewertungen, die ich am 6. November dieses Jahres noch nicht hatte. Diese weisen im Gesamtbild gegenüber dem gerade benannten COMISAF-Bericht deutlicher auf die Erheblichkeit von Fehlern und insbesondere von Alternativen hin. Zu dem Gesamtbild zählt auch ein durch das Vorenthalten der Dokumente leider mangelndes Vertrauen gegenüber damaligen Bewertungen. Ich wiederhole: Obgleich Oberst Klein - ich rufe das auch den Offizieren zu, die heute hier sind - zweifellos nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz seiner Soldaten gehandelt hat, war es aus heutiger, objektiver Sicht, im Lichte aller, auch der mir damals vorenthaltenen Dokumente, militärisch nicht angemessen. Nachdem ich - ohne juristische Wertung; das ist mir wichtig - meine Beurteilung diesbezüglich rückblickend mit Bedauern korrigiere, korrigiere ich meine Beurteilung allerdings nicht betreffend mein Verständnis bezüglich Oberst Klein. Das ist der Grund - das sage ich auch an dieser Stelle -, weshalb ich Oberst Klein nicht fallen lassen werde. Das würde sich nicht gehören. ({3}) In Afghanistan wird auch künftig der Einsatz militärischer Gewalt notwendig sein, leider. Unsere Soldaten müssen sich schützen und verteidigen können, und sie müssen ihren schwierigen und fordernden Auftrag in der ganzen Breite des Spektrums erfüllen. Deshalb ist es wichtiger denn je - gerade auch in einer solchen Debatte wie am heutigen Tag -, dass sie sich auf unseren vollen Rückhalt verlassen können und unser Verständnis für ihre schwierigen Entscheidungssituationen, in denen sie immer wieder sein werden, gegeben ist. Gleichzeitig muss von unserer Seite alles Machbare getan werden, um vergleichbare Fehler - ich habe auf diese Fehler schon am 6. November hingewiesen - künftig zu vermeiden. Wir haben diesbezüglich im Übrigen unmittelbar entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Ich habe im Zusammenhang mit dem Vorfall von Kunduz, aber auch im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Mandat generell dem Parlament größtmögliche Offenheit und Transparenz zugesagt. So will ich das weiterhin handhaben, auch mit Blick auf den Untersuchungsausschuss. Auch ich habe ein Interesse an der Aufdeckung von allem, was sich im Zuge dessen ereignet hat. Ich glaube, das ist eine Form des Umgangs, die sich gehört. Deswegen habe ich Ihnen heute an dieser Stelle diese Stellungnahme abgegeben. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ute Koczy von Bündnis 90/Die Grünen.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister zu Guttenberg, ich möchte Ihnen meinen Respekt dafür ausdrücken, dass Sie so klare Worte gefunden haben. Ich möchte Ihnen auch sagen, dass ich Ihre Einschätzung zu Oberst Klein teile. ({0}) Ich finde diese Korrektur bemerkenswert; denn wir müssen abwägen - darauf wurde in der Diskussion schon hingewiesen -, wie wir mit der Situation in Afghanistan umgehen. Daher ist es sehr dienlich und hilfreich, wenn wir klare, offene und transparente Worte finden, um Vertrauen, das verloren gegangen ist, wieder entstehen zu lassen. Wie wir alle wissen, hat sich die Situation in Afghanistan verschlechtert, und dies allen Anstrengungen zum Trotz. Wir müssen uns hier im Bundestag fragen, was falsch gelaufen ist, was jetzt getan werden muss und was sich ändern muss; denn ein Weiter-so darf es nicht geben. Was aber sagt uns das zur Abstimmung stehende Mandat zu ISAF dazu? ({1}) Für mich als Entwicklungspolitikerin steht der zivile Aufbau im Vordergrund. Aus diesem Blickwinkel heraus sage ich Ihnen: Auch dieses Mal ist es der Bundesregierung leider nicht gelungen, den zivilen Aufbau in den Mittelpunkt zu rücken. Es bleibt weiterhin bei einer Schräglage. Wir haben es hier mit einer Militärfixiertheit zu tun, die immer wieder dazu beiträgt, die eigentlichen Probleme zu übersehen. ({2}) Wann sehen Sie ein, dass es für Afghanistan wirklich nur ein Motto geben kann: „Zivil vor Militär“? Für den Erfolg unseres Engagements ist der Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung entscheidend. Dieser Rückhalt schwindet aber jeden Tag mehr, weil die Versprechen nicht gehalten worden sind. Es gibt aber auch Fortschritte. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Einlassungen der Linken reagieren. Es gab unter den Taliban kein Gesundheitswesen, es gab ein hohes Sterberisiko von gebärenden Frauen, deren Rechte nicht anerkannt wurden. Auch das muss man in dieser Diskussion immer wieder betonen. ({3}) Es gibt einen Aufbau, aber der Rückhalt schwindet trotzdem, weil man zu wenig auf die Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit geachtet hat, weil die Mechanismen der internationalen Gebergemeinschaft den Bedingungen in Afghanistan nicht angepasst wurden und weil man die Bedürfnisse der Afghaninnen und Afghanen nicht ausreichend berücksichtigt hat. Die Frage ist: Gibt es jetzt eine Umkehr? Ist diese Bundesregierung willens und fähig, all diese Fehler schonungslos zu analysieren und zu bilanzieren? Wird die Bundesregierung ausgehend von dieser Bilanzierung einen Richtungswechsel einleiten? Keine dieser Fragen wurde im Antrag zum Mandat beantwortet. Frau Bundeskanzlerin Merkel, glauben Sie wirklich, dass eine Afghanistan-Konferenz, die mit so heißer Nadel gestrickt wird, zum Dreh- und Angelpunkt neuer Überlegungen und erfolgreicher Arbeit für die Entwicklungszusammenarbeit wird? Ich glaube das nicht, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Nein, dieses Mandat, das Sie hier vorgelegt haben, bleibt auf dem bekannten, ausgetretenen und bisher leider erfolglosen Pfad. So ist eine Zustimmung eben nicht möglich. Ich danke. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst-Reinhard Beck von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst kurz auf die Erklärung des Ministers eingehen und zwei seiner Bemerkungen unterstreichen. Das Erste ist: Ich glaube, dass er hier völlig richtig festgestellt hat, dass Oberst Klein in einer schwierigen Situation zum Schutz der ihm anvertrauten Soldaten diese Entscheidung getroffen hat und dass dies aus seiner Sicht eine verantwortungsvolle Entscheidung war. Das Zweite ist, dass Oberst Klein nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat. Es ist für uns alle, die wir andere Informationen haben, sehr leicht, im Nachhinein Entscheidungen zu kritisieren. Wir müssen aber anerkennen, dass wir dann, wenn wir Soldaten in diese schwierige Situation schicken, auch zu Fehlern stehen müssen, die dort gemacht werden. Ich danke dem Minister ganz ausdrücklich dafür, dass er mit seiner veränderten Bewertung nicht vor die Presse gegangen ist, sondern diese Erklärung hier vor dem Deutschen Bundestag abgegeben hat. Dies verdient unser aller Respekt. ({0}) - Das war jetzt nicht sehr sachdienlich. Ich habe eigentlich noch gar nicht angefangen. Wir reden heute über ein Mandat, das inhaltlich unverändert bei 4 500 Soldaten für Afghanistan liegt. Ich glaube, dass diese Debatte eine Schlagseite hatte; denn wir sind uns auch darüber im Klaren, dass es zunächst einmal um drei Dinge geht: Erstens. Der zivile Aufbau Afghanistans muss erheblich intensiviert werden. Die Grundbedürfnisse der Menschen, wie zum Beispiel die Versorgung mit Wasser und Energie, Gesundheitsvorsorge, also die Basic Elements, müssen dabei im Mittelpunkt stehen. Die Menschen müssen spüren und erleben, dass sich ihre Lage tatsächlich verbessert. Zweitens. Afghanistan hat immer in einem Kampf zwischen der Zentralgewalt und dezentralen Gewalten gestanden. In einem dezentral organisierten Staatswesen muss die Unterstützung der Zentralregierung auch durch den regionalen Aufbau und durch regionale Strukturen, die demokratisch abgesichert sind, erfolgen. Warum werden zum Beispiel die Gouverneure dort nicht gewählt? Drittens. Wenn wir über die Erfordernisse des zivilen Aufbaus Einigkeit erzielt haben, aber erst dann, sollten wir uns gemeinsam auf zusätzliche militärische Fähigkeiten verständigen. Die Bundesregierung ist bereit, an diesem kooperativen Ansatz mitzuwirken. Die Bundeskanzlerin hat deshalb gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien den Generalsekretär der Vereinten Nationen gebeten, möglichst zügig eine internationale Afghanistan-Konferenz einzuberufen. Diese wird vermutlich am 28. Januar 2010 in London stattfinden. Es müssen konkrete, realistische Zielmarken entwickelt werden. Es geht nicht darum, in Afghanistan eine Demokratie westlichen Musters aufzubauen. Wer sich dieses Ziel setzt, ist zum Scheitern verurteilt. Es geht vielmehr darum, ein Afghanistan zu schaffen, das seine Sicherheit selbst gewährleisten kann und rechtsstaatlich, wirtschaftlich und sozial eine positive Zukunft bekommt. Ausgehend von diesen Zielmarken können dann Zeitmarken definiert werden, um in einem angemessenen Zeitrahmen ein Ergebnis erreichen zu können. Wir können nicht weitere acht Jahre warten, bis sich grundle684 Ernst-Reinhard Beck ({1}) gende Erfolge einstellen. Die Regierung Karzai ist aufgerufen, hier ihre Anstrengungen zu verstärken. ({2}) Ziel sollte es sein, noch in dieser Legislaturperiode, das heißt bis zum Herbst 2013, die Voraussetzungen für einen Abzug der internationalen Truppen und somit auch der Bundeswehr zu schaffen. Ich warne aber ausdrücklich davor, heute Abzugstermine zu veröffentlichen oder zu diskutieren. Dies würde den Gegnern jeder Stabilisierungspolitik nur in die Hände spielen. Wenn Ziele und Zeitmarken definiert sind, sollte die Bundesregierung ihren zivilen und militärischen Beitrag neu justieren. Dies kann bedeuten, für einen überschaubaren Zeitraum eine Verstärkung des bisherigen Engagements vorzunehmen. Dazu müssen wir eine Fähigkeitsund Defizitanalyse durchführen, um Schwachstellen zu beseitigen und unseren Ansatz zu optimieren. Dies könnte zum Beispiel - ich glaube, dass dies sogar dringend notwendig ist - eine Verstärkung der Ausbildungskomponente zur Folge haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nouripour?

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dem Kollegen Nouripour immer.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Nouripour.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Beck, teilen Sie vor dem Hintergrund, dass Sie selbst zu Recht mehrfach angemerkt haben, dass der zivile Aufbau für den Erfolg in Afghanistan lebensnotwendig ist, meine Einschätzung, dass es nach den beiden Debatten hier in diesem Hohen Hause - die zweite Debatte geht zu Ende; nach Ihnen sprechen plangemäß nur noch zwei Personen -, die intensiv waren und in denen viele Abgeordnete gesprochen haben, mindestens, euphemistisch gesagt, ein Zeichen von Desinteresse, wenn nicht sogar von Ignoranz ist, dass in diesem Zusammenhang der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hier nicht spricht?

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Nouripour, diese Frage müssen Sie dem Entwicklungsminister stellen. Ich kann dies an dieser Stelle nicht kommentieren. Vielleicht geben wir dem Minister die Gelegenheit, auf Ihre Frage zu antworten. ({0}) - Ich möchte hinzufügen: Dass in einer Debatte zwei Minister das Wort ergreifen, lässt sich nur noch dadurch steigern, dass ein dritter Minister eingreift. ({1}) - Dies ist richtig. Worüber man wenig spricht: Vor Ort - Kollege Nouripour, auch Sie waren schon vor Ort haben wir die zivilen Erfolge schon sehen und bewerten können. Ich möchte ein Nachdenken darüber anregen, ob wir militärisch richtig aufgestellt sind, ob wir eine angemessene Reaktionsfähigkeit haben, zum Beispiel bei Hubschraubern, zum Beispiel bei der Feldhaubitze, bei der Panzerhaubitze 2000 oder bei anderen gepanzerten Fahrzeugen. Stellen Sie sich vor, dass Oberst Klein möglicherweise eben nur die Alternative zwischen Handfeuerwaffen und einem Luftschlag hatte; andere Reaktionsmöglichkeiten gab es eventuell gar nicht. Angesichts dessen muss man sich in Zukunft natürlich überlegen, ob eine angemessene militärische Reaktion einer entsprechenden Ausformung, einer entsprechenden Bewaffnung bedarf. Bereits heute nehmen die afghanischen Sicherheitskräfte an der Mehrzahl der Operationen teil. Wir sollten diese Ausbildung massiv verstärken. Wir sollten uns auch um die Polizeiausbildung kümmern. Natürlich ist es nicht Aufgabe der Bundeswehr, Polizisten auszubilden; darüber sind wir uns im Klaren. Aber es ist ebenso völlig klar, dass unsere Feldjäger eine bestehende Lücke ausgefüllt und wertvolle Ausbildungsarbeit geleistet haben. Ich möchte an dieser Stelle den 45 Feldjägern, die ständig im Einsatz sind, um Polizisten auszubilden, herzlich danken. ({2}) Ich meine auch, dass wir zukünftig in die Mandate nicht nur die Zahl der Soldaten und die entsprechenden militärischen Sachverhalte hineinschreiben sollten, sondern auch die zivilen Komponenten, die hinzukommen müssen. Das Bundeswehrkontingent wird weiter in der Nordregion und in Kabul eingesetzt sein. An dieser Stelle, weil ich oben auf der Tribüne die Kameraden sehe, ein herzliches Dankeschön an die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die unter schwierigen Umständen ihren verantwortungsvollen Dienst erfüllen. - Im Namen meiner Fraktion ein aufrichtiges Dankeschön! ({3}) Aus aktuellem Anlass warne ich davor, das Engagement unserer Soldatinnen und Soldaten hier bei uns in Deutschland durch parteipolitische Profilierung zu belasten. Unsere Kommandeure und Soldaten brauchen in dieser Phase unser Vertrauen und unseren Rückhalt und keine Verunsicherung. Dies und nichts anderes ist unsere gemeinsame Verantwortung in diesem Parlament. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Beck, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal der Kollegin Buchholz von der Fraktion Die Linke?

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde jetzt gern zum Schluss kommen, Herr Präsident, weil ich ja nur noch eine Minute Redezeit habe. Bundesminister Jung hat mit seinem Rücktritt die Konsequenzen aus den Informationspannen im Verteidigungsministerium gezogen. Damit hat er sich vor die Bundeswehr gestellt und weiteren Schaden von der Truppe ferngehalten. Dafür gebührt ihm der Respekt unserer Fraktion. Wir werden als CDU/CSU-Fraktion weiterhin alles dafür tun, Informationsmängel im Zusammenhang mit dem Vorfall vom 4. September in einem Untersuchungsausschuss aufzudecken und künftig Abhilfe zu schaffen. Dies ist, meine ich, auch im Interesse des ganzen Hauses. Ich appelliere daher an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam aufklären, aber lassen Sie uns dies in fairer und angemessener Weise tun! Herr Kollege Klose, ich begrüße es ausdrücklich, dass sich die SPD zu ihrer Verantwortung bekennt und der Mandatsverlängerung für ISAF um ein weiteres Jahr zustimmen will. Schließlich haben wir in den letzten vier Jahren gemeinsam in der Regierungsverantwortung gestanden. Ich möchte auch die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen ermuntern, die Mandatsverlängerung zu befürworten. Schließlich haben Sie Ende 2001 in gemeinsamer Regierungsverantwortung mit der SPD den Grundstein für unser Engagement in Afghanistan gelegt. Meine Fraktion wird dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 17/39 zustimmen. Die Entschließungsanträge von SPD, vom Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken lehnen wir ab. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Buchholz das Wort.

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Beck, Sie haben ja über das Nachdenken über den Einsatz gesprochen, Sie haben berechtigterweise auch über die Soldatinnen und Soldaten gesprochen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie in Ihre Erwägungen auch die Meinung der Bevölkerung hier in Deutschland mit einbeziehen. Wie ja in mehreren Umfragen deutlich wurde, sind drei Viertel der Bevölkerung gegen diesen Krieg in Afghanistan. Die Friedensbewegung hat in der letzten Woche in 69 Städten eine Umfrage auf der Straße durchgeführt und hat über 17 000 Menschen befragt. 94 Prozent der Menschen waren der Meinung, dass die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen werden soll. ({0}) Was sagen Sie dazu? Wie bewerten Sie diese Umfrage in Bezug auf Ihren Antrag? ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung, Kollege Beck.

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin, ich könnte Ihnen ebenfalls eine Reihe von Umfragen entgegenhalten. Je nachdem, wie Sie die Frage stellen, bekommen Sie andere Ergebnisse. Fakt ist in der Tat - da gebe ich Ihnen recht -, dass der Einsatz in weiten Teilen der Bevölkerung - ich glaube, nach den letzten Zahlen, die ich habe, liegt das bei 60 Prozent - nicht unterstützt wird, wenn man ihn als Kriegseinsatz definiert. Dies ist aber de facto gar nicht der Fall, ({0}) sondern unsere Soldaten - ich sage das noch einmal in aller Klarheit - sind dort, um einen zivilen Aufbau abzusichern. Ich sage Ihnen auch deutlich: Wenn wir hier über die zivilen Opfer sprechen - vorhin ist eine Zahl genannt worden -, muss man dazusagen, dass 80 Prozent Opfer der Taliban und nicht der Bundeswehr sind. ({1}) Wir sind dort, um einen Aufbau abzusichern. Wir haben diesen Aufbau über viele Jahre hinweg geleistet. Wenn Sie die zivilen Aufbauhelfer vor Ort fragen, was sie machen würden, wenn die Bundeswehr nicht mehr dort wäre, sagen sie, dass ihre Arbeit dann, zumindest in den paschtunischen Gebieten des Nordens, nicht mehr möglich wäre. Wir würden die Menschen also im Stich lassen. Das wird mit uns nicht geschehen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Burkhard Lischka von der SPD-Fraktion. ({0})

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will eines ganz deutlich sagen - das gilt, glaube ich, für alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause, die gleich zustimmen werden -: Die Verlängerung des ISAF-Mandats und die damit verbundene militärische Präsenz in Afghanistan sind kein Selbstzweck, für niemanden hier. Aber sie sind notwendige Grundlage für die Schaffung eines sicheren Umfeldes, in dem überhaupt so etwas wie Entwicklung und Stabilisierung in Afghanistan stattfinden kann. ({0}) Aber wahr ist auch: Die Verlängerung des ISAF-Mandates darf nicht ein einfaches Weiter-so bedeuten. Wir brauchen eine teilweise Neuausrichtung unserer Afghanistan-Politik, eine stärkere Betonung entwicklungspolitischer Ziele. Denn wenn es uns nicht gelingt, unser Engagement mit sichtbaren Perspektiven für die Menschen in Afghanistan zu verbinden, dann wird dieses Engagement scheitern. Insofern beschließen wir hier heute nicht nur eine Verlängerung des ISAF-Mandates, sondern wir vergewissern uns auch dessen, was wir in Zukunft wollen. Dem dient der Entschließungsantrag der SPD-Fraktion, der Ziele und Zwischenetappen enthält. Was wir brauchen, ist ein klarer Zeitplan für die Umsetzung. Wir wollen das nicht irgendwann erreichen, sondern das muss in dieser Legislaturperiode gelingen. Das muss Ziel unserer Politik sein. ({1}) Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Trotz des internationalen Militäreinsatzes hat sich die Situation in Afghanistan für die Bevölkerung mancherorts verschlechtert. Die Menschen leiden unter Hunger und Armut und unter einer sehr prekären Sicherheitslage. Das Verhältnis von militärischen zu zivilen Ausgaben beläuft sich derzeit auf vier zu eins. Eine dauerhafte Perspektive wird Afghanistan erst dann bekommen, wenn es uns gelingt, dieses Verhältnis umzukehren. ({2}) Nur durch eine konsequente, nachhaltige Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Entwicklung werden wir erreichen, dass das westliche Engagement von der Bevölkerung in Afghanistan akzeptiert wird. ({3}) Aber ich sage auch: Unserer Verantwortung gerade gegenüber der Bevölkerung in Afghanistan würden wir nicht gerecht, Herr Ströbele, wenn wir jetzt in einer Kurzschlusshandlung Hals über Kopf das Land verlassen, ({4}) uns einen schlanken Fuß machen und die Afghaninnen und Afghanen mit ihren riesigen Problemen alleine lassen würden. ({5}) Vor allen Dingen müssen wir an den Zielen unserer Entwicklungszusammenarbeit insgesamt und an der Durchsetzung der international vereinbarten Steigerungen der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit festhalten. Die Bundesregierung hat sich bekanntlich dazu verpflichtet, 2010 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Dass sich ausgerechnet der zuständige Minister, Herr Niebel - jetzt ist er nicht mehr da -, gleich zu Beginn seiner Amtszeit ganz offiziell von diesem Ziel verabschiedet hat, ist bitter. ({6}) Das ist bitter für die Menschen, die Hunger leiden, aber auch für die Entwicklungspolitiker, die sich den Millenniumszielen ernsthaft und nicht nur in Sonntagsreden verpflichtet fühlen. Entwicklungspolitik muss die Herzen der Menschen erreichen und muss bessere Lebensperspektiven für die Menschen vor Ort eröffnen - gerade auch in Afghanistan. Hier hat uns die Bombardierung des Tanklastzugs am 4. September zurückgeworfen. Wenn der von einem deutschen Oberst befohlene Angriff zivile Opfer fordert und Sie, Herr Verteidigungsminister zu Guttenberg, diesen Einsatz, wie wir heute wissen, vorschnell als „angemessen“ tituliert haben, dann geht zunächst einmal Vertrauen verloren. Sie haben sich heute darum bemüht, die Glaubwürdigkeit ein Stück weit wiederherzustellen. Dafür spreche ich Ihnen meinen Respekt aus. Wir brauchen diese Glaubwürdigkeit für unser Engagement in Afghanistan, aber auch für die Akzeptanz bei uns in Deutschland. Entwicklung der Infrastruktur, Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft, ländliche Entwicklung und nicht zuletzt Korruptionsbekämpfung sind wichtige Ziele. Aber wir wissen auch: Manche Entwicklungshilfegelder versickern in Afghanistan. Zu viel von dem, was wir eigentlich erreichen könnten, wird nicht erreicht. Deshalb werden wir dafür sorgen müssen, dass den Worten auch Taten folgen und dass es einen konkreten Fahrplan gibt, der die weitere Zusammenarbeit mit dem afghanischen Präsidenten festlegt und der einen Einstieg in den Ausstieg aus dem militärischen Engagement vorzeichnet. Einen Strategiewechsel darf man nicht nur ankündigen, man muss ihn auch machen. Dem dient der Entschließungsantrag der SPD-Fraktion. Daran werden wir auch die künftige Politik der Bundesregierung messen. ({7}) Denn eine vage Hoffnung, dass das alles in Zukunft schon werden wird, ist uns zu wenig. Das ist zu wenig für die Entwicklung in Afghanistan. Wir müssen die Perspektiven der Menschen stärken. Da haben wir noch jede Menge zu tun. Das müssen wir angehen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Lischka, auch Ihnen gratuliere ich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Alles Gute! ({0}) Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Florian Hahn von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({1})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung, die wir heute im Hohen Haus zu treffen haben, ist keine leichte. Wie die Debatte zeigt, machen wir sie uns auch nicht leicht. Es ist letztlich ein Beschluss darüber, ob wir deutsche Soldaten weiterhin 5 000 Kilometer von der Heimat entfernt der Gefahr für Leib und Leben aussetzen. Doch warum müssen und sollen wir uns weiter zu diesem Mandat bekennen? Weil ein stabiles Afghanistan im ureigenen Interesse Deutschlands liegt. Nur ein afghanischer Staat, der selbstständig für Sicherheit sorgen kann, wird dauerhaft verhindern können, erneut Operationsbasis für Terroristen zu werden, die es auf die Freiheit abgesehen haben, ({0}) die Andersdenkende nicht nur unterdrücken, sondern auch der Folter und dem Tod preisgeben, jawohl: der Folter und dem Tod. Da kann ich, Herr van Aken, nur sagen: Das ist wahrlich keine Feuerwehrübung in CastropRauxel. ({1}) Wenn wir heute darüber abstimmen, das ISAF-Mandat zu verlängern, müssen wir uns dabei klar vor Augen führen, wie wir in Afghanistan den Weg zur Übergabe in Verantwortung weiter beschreiten wollen. Es geht um die Schaffung selbsttragender Sicherheitsstrukturen und anderer funktionstüchtiger Strukturen in Afghanistan. Hier möchte ich mich meinen Vorrednern anschließen: Dies ist nur durch einen vernetzten Ansatz von sicherheitspolitischen, diplomatischen und eben auch - das ist ganz entscheidend - entwicklungspolitischen Maßnahmen zu erzielen. Durch unser entwicklungspolitisches Engagement sind in Afghanistan bis heute bereits lebenswichtige Fortschritte zu verzeichnen: 800 000 Menschen haben eine bessere Stromversorgung. 500 000 Buben und Mädchen können eine Grundschule besuchen. 600 Kilometer Straße und viele Brücken wurden neu gebaut. Von 100 000 vergebenen Mikrofinanzkrediten konnten Haushalte, Handwerker, Händler und Dienstleister profitieren. Dies wäre ohne unsere Sicherheitskräfte so nicht möglich. Ich brauche Ihnen auch nicht zu erzählen, welche Rolle die Frauen unter dem Talibanregime hatten. Für die Rechte der Frauen konnte bis jetzt, auch mit unserer Hilfe, viel erreicht werden. An dieser Stelle möchte ich der Kollegin Beck sehr herzlich danken, die uns den Bericht von neun prominenten Frauen in Afghanistan zugeleitet hat, in dem unter anderem die Erfolge im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Frauenrechte dargestellt werden. Diese Frauen bitten uns explizit um eine Verlängerung des Mandats; Herr Schockenhoff hat bereits ausführlich darauf hingewiesen. Wenn wir den Einsatz jetzt beenden, haben andere, nämlich die Taliban, die Chance, wieder an die Macht zu gelangen und wieder ihr menschenverachtendes Regime zu installieren. Wir in Deutschland müssen uns als berechenbare Freunde der afghanischen Bürgerinnen und Bürger erweisen. Unsere zivilen Anstrengungen müssen noch unmittelbarer bei der Bevölkerung ansetzen. Die Wirkung unseres Einsatzes soll noch deutlicher sichtbar werden und direkt bei den Bedürftigen ankommen. In einem Gespräch mit Vertretern aus Afghanistan wurde mir gesagt, dass es nicht nur wichtig ist, die Bereiche der Landwirtschaft und der Hochschule zu fördern. Ganz entscheidend ist auch die Schaffung von Strukturen im Bereich von Handwerk und Mittelstand. Dies ist mir ein persönliches Anliegen. Denn am Ende des Tages werden wir unsere Politik daran messen müssen, ob es den Menschen in Afghanistan dann nachhaltig besser geht als unter der Talibanherrschaft und ob sie selbstbestimmt die Zukunft ihres Landes gestalten können. ({2}) Dabei können wir aktuell weder auf den Einsatz der Frauen und Männer der Bundeswehr noch auf den Einsatz der Polizei, des Diplomatischen Dienstes und der zivilen Hilfsorganisationen verzichten. Deren Einsatz gebühren unser aller Respekt und unsere Anerkennung. Wir wünschen ihnen auch in Zukunft Gottes Segen. ({3}) Genau diese Leistungsträger können zu Recht von uns erwarten, dass sie nicht zum Gegenstand von parteipolitischem Klein-Klein werden, Herr Nouripour. Sie brauchen vielmehr unsere volle Rückendeckung, eine Rückendeckung, die Sie im Ausschuss gegeben haben und heute nicht mehr geben wollen. ({4}) Zu dieser Rückendeckung gehört ein klares Bekenntnis - das heißt ein klares Ja oder Nein - eines jeden von uns hier im Haus zur Verlängerung des ISAF-Mandats. In diesem Sinne bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. Ich bedanke mich ganz herzlich. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Hahn, auch Ihnen gratuliere ich im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich Ihnen bekannt, dass wir 23 Erklärungen nach § 31 unserer Ge- schäftsordnung zu Protokoll nehmen.1) Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf 1) Anlagen 2 bis 4 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Drucksache 17/111 ({1}) zu dem Antrag der Bundes- regierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 17/39 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. - Haben die Schriftführer ihre Plätze an allen Urnen eingenommen? - Das ist offenkun- dig der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Karte noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen spä- ter bekannt gegeben.1) Ich bitte Sie, die Plätze wieder einzunehmen. Wir haben noch einige Abstimmungen durch Handzeichen vorzunehmen. So habe ich keinen Überblick. ({2}) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/127? Ich bitte um Ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag der SPD ist mehrheitlich abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/128? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist ebenfalls mit großer Mehrheit abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/133? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist ebenfalls mit großer Mehrheit abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon ({4}) auf Grundlage der Resolution 1701 ({5}) vom 11. August 2006 und folgender Resolutionen, zuletzt 1884 ({6}) vom 27. August 2009 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - Drucksachen 17/40, 17/112 ({7}) Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Rolf Mützenich Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller ({8}) 1) Ergebnis siehe Seite 690 C - Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/140 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Carsten Schneider ({10}) Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven Kindler Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Hellmut Königshaus von der FDP-Fraktion. ({11})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, über das UNIFIL-Mandat wird nicht ganz so aufgeregt diskutiert wie eben über das ISAF-Mandat. Gleichwohl geht es hier um ein wichtiges und diffiziles Thema; denn mit diesem Mandat verbinden sich wichtige Ziele. Unsere Marine soll zur Sicherung friedlicher Verhältnisse in der Region beitragen und Waffenschmuggel über See verhindern. Dabei berücksichtigt Deutschland natürlich auch sein besonderes Verhältnis zu Israel und seine Verantwortung für dieses Land. Wir wollen, dass Israel und seine Nachbarn in Frieden miteinander leben können. Dazu wollen wir jeden denkbaren Beitrag leisten. ({0}) Die Stabilisierung des Libanon ist ein wichtiger Eckpfeiler für eine tragfähige und vor allem dauerhafte Friedenslösung. Deutschland hat sich in der Erwartung, hierzu einen Beitrag leisten zu können, entschieden, Kräfte der Marine als Teil der maritimen Komponente des UNIFIL-Einsatzes beizusteuern. Ob dies ein geeigneter Beitrag zur Friedenssicherung war, sei dahingestellt. Sie wissen, dass die FDP hier mehrheitlich skeptisch war. Die Grünen bezeichnen in ihrem Entschließungsantrag das Problem der ungesicherten Grenze zu Syrien - nicht das Problem der Seegrenze zu Recht als „größte Herausforderung“. Da sind Schiffe vor der Küste natürlich keine Hilfe. Gleichwohl müssen wir an dieser Stelle an die Soldatinnen und Soldaten denken, die an Bord der vielen Schiffe waren und dort unter zum Teil sehr schwierigen Umständen ihren Dienst getan haben. Auch ihnen sind wir Dank schuldig. ({1}) Dessen ungeachtet sieht sich die Koalition - damit natürlich auch die FDP - in außenpolitischer Kontinuität. Unsere internationalen Verpflichtungen, auch gegenüber den Vereinten Nationen, halten wir selbstverständlich ein. Niemand kann so tun, als gebe es den UNIFILEinsatz nicht bereits; und da er nicht von heute auf morgen beendet werden kann, gibt die FDP heute mehrheitlich ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandats. Allerdings - auch das muss hier gesagt werden - ist dieses Mandat zu Recht zeitlich und auch inhaltlich, sachlich begrenzt. ({2}) Bei jedem Mandat - und gerade bei diesem - muss immer wieder von neuem geprüft werden, ob es fortgesetzt werden muss oder ob es nunmehr beendet werden kann. Das ist hier zu bedenken. Ziel des Einsatzes - das wissen wir - war die Überwachung der Seegrenzen des Libanon, bis dieser selbst dazu in der Lage ist. Durch den auch mit deutscher Hilfe erreichten Aufbau erweiterter Fähigkeiten der libanesischen Marine ist das Land jetzt selbst in der Lage, diese Aufgaben zu übernehmen. Union und FDP wollen daher im Rahmen der Vereinten Nationen auf eine schrittweise Reduzierung unseres Beitrages an UNIFIL hinwirken, und zwar, wie es im Koalitionsvertrag ausdrücklich heißt, mit der Perspektive der Beendigung. ({3}) Herr Trittin, das ist das Signal, das Sie vorhin an anderer Stelle vermisst haben. Die Perspektive ist die Beendigung des Einsatzes. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Königshaus, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich von der Fraktion Die Linke?

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Königshaus, Sie haben gesagt, dass das Mandat immer wieder inhaltlich zu überprüfen ist und die FDPFraktion es deshalb begrüßt, dass dieser Einsatz auf sechs Monate begrenzt wird. Wenn dieses Argument nicht speziell auf UNIFIL bezogen wird, weil die FDP ihre Position dazu geändert hat, frage ich Sie, warum Sie das nicht genauso für den OEF- und den ISAF-Einsatz beschlossen haben. ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich hatte gehofft, dass irgendjemand diese Frage stellt, damit ich sie hier beantworten kann. In der Öffentlichkeit werden ja verschiedentlich ulkige Argumente vorgebracht, unter anderem, wie eben von Ihnen, die FDP habe ihren Standpunkt geändert. Das hat sie nicht. Wir sind heute in einer ganz anderen Situation. ({0}) Wir haben eine andere Entscheidung zu treffen, als das am Anfang der Fall war, als über die ersten Mandate zu entscheiden war. Damals ging es schlichtweg um die Frage, ob das, was angestrebt wurde, auf diesem Weg wirksam erreicht werden konnte. Damals hatten wir eine andere Auffassung. Das kann man natürlich auch anders sehen. Bei den Folgemandaten ging es darum, ob das von uns ursprünglich durchaus kritisch gesehene Mandat unverändert fortgesetzt werden soll. Dazu sahen wir keinen Anlass, insbesondere weil die Perspektive einer Beendigung, die nun ausdrücklich angestrebt wird, nicht enthalten war. Damals war die Prüfkomponente nicht enthalten, die Sie völlig zu Recht erwarten und verlangen. Weil diese Prüfkomponente dieses Mal enthalten ist, können wir diesem Mandat frohen Herzens zustimmen. Ich kann Sie nur auffordern, ebenfalls Ihre Zustimmung zu geben. ({1}) Die vorgesehene Beendigung unserer Beteiligung an der maritimen Komponente des UNIFIL-Einsatzes folgt also nicht, wie die Grünen behaupten, sachfremden Motiven, sondern einer klaren Bewertung der Fortschritte, die wir im Stabilisierungsprozess bereits erreicht haben und die wir durch eine Fortsetzung des Mandats noch erreichen können. Alles spricht dafür, das Mandat nun auslaufen zu lassen. Eine Reduzierung unserer Beteiligung hat im Übrigen bereits die Regierung der Großen Koalition vorgenommen. Unsere Marine ist jetzt nur noch mit zwei Patrouillenbooten und einer Unterstützungseinheit vor Ort präsent. Die Reduzierung des Mandats ist eine konsequente Folge. Wir werden die kommenden sechs Monate, die uns bleiben, nutzen, um mit den Vereinten Nationen die konkreten Regelungen für die Beendigung des Mandats zu erörtern. Der VN-Sicherheitsrat hat mit der Resolution 1884 eine Überprüfung des operativen Ansatzes von UNIFIL gefordert. Diese Evaluierung läuft bereits. Die Ergebnisse werden voraussichtlich im Frühjahr vorliegen. Dann - und erst dann - wird die Koalition abschließend darüber entscheiden, wie wir das Mandat beenden; denn wir können dort nicht einfach abziehen. Die FDP-Fraktion ist sich der Symbolwirkung dieses Einsatzes gerade auch gegenüber Israel bewusst. Aber wir müssen auch andere Aspekte im Auge behalten. Unsere Marine ist an vielen Orten der Welt gefordert. Wir müssen Prioritäten setzen, wenn wir sie nicht überfordern wollen. Ein weiterer Aspekt darf, glaube ich, nicht übersehen werden. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass Mandate, die einmal erteilt wurden, nicht mehr beendet werden können, selbst dann nicht, wenn sich ihr ursprünglich gewünschter Zweck längst erfüllt hat. Andernfalls wäre es noch schwieriger, für die Mandate, die wir zu Recht aufrechterhalten wollen, in der Bevölkerung Akzeptanz zu erhalten, insbesondere in Afghanistan und am Horn von Afrika. Aus diesen Überlegungen zieht die Koalition mit diesem eingeschränkten Mandat die angemessenen Schlüsse. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des ISAF-Mandats bekannt: abgegebene Stimmen 594. Mit Ja haben gestimmt 446 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 105, Enthaltungen 43. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 594; davon ja: 446 nein: 105 enthalten: 43 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann ({0}) Manfred Behrens ({1}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dr. Dieter Jasper Andreas Jung ({6}) Dr. Franz Josef Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Volkmar Klein Jürgen Klimke Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({8}) Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues ({9}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({10}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Stefan Müller ({11}) Nadine Müller ({12}) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({13}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Eckhard Pols Lucia Puttrich Daniela Raab Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({14}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({15}) Anita Schäfer ({16}) Dr. Wolfgang Schäuble Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({17}) Patrick Schnieder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({18}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({19}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({20}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({21}) Peter Weiß ({22}) Sabine Weiss ({23}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({24}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({25}) Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({26}) Michael Groß Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({27}) Hubertus Heil ({28}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Frank Hofmann ({29}) Dr. Eva Högl Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({30}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Petra Merkel ({31}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Joachim Poß Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann René Röspel Karin Roth ({32}) Michael Roth ({33}) Marlene Rupprecht ({34}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({35}) Bernd Scheelen Marianne Schieder ({36}) Werner Schieder ({37}) Ulla Schmidt ({38}) Carsten Schneider ({39}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({40}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({41}) Florian Bernschneider Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sebastian Körber Patrick Kurth ({42}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({43}) Christian Lindner Michael Link ({44}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabi Molitor Jan Mücke Petra Müller ({45}) Burkhardt Müller-Sönksen ({46}) Hans-Joachim Otto ({47}) Cornelia Pieper Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Carl-Ludwig Thiele Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({48}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({49}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({50}) Cornelia Behm Priska Hinz ({51}) Thomas Koenigs Krista Sager Manuel Sarrazin Nein CDU/CSU Wolfgang Börnsen ({52}) Dr. Peter Gauweiler Norbert Schindler SPD Ingrid Arndt-Brauer Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Peter Danckert Wolfgang Gunkel Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({53}) Hilde Mattheis Sönke Rix Dr. Marlies Volkmer Waltraud Wolff ({54}) FDP Joachim Günther ({55}) Dr. h. c. Jürgen Koppelin DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({56}) Michael Schlecht Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Katja Dörner Bettina Herlitzius Winfried Hermann Dr. Anton Hofreiter Uwe Kekeritz Memet Kilic Sven Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Monika Lazar Beate Müller-Gemmeke Elisabeth Paus Dr. Gerhard Schick Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Enthalten CDU/CSU Manfred Kolbe SPD Daniela Kolbe ({57}) Dr. Wilhelm Priesmeier BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Ulrike Höfken Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Ute Koczy Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Undine Kurth ({58}) Markus Kurth Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({59}) Ingrid Nestle Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({60}) Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Frithjof Schmidt Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler ({61}) Wir setzen die Aussprache fort. Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Günter Gloser von der SPDFraktion. ({62})

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Beteiligung an der Mission UNIFIL war und ist ein wichtiger Beitrag. Deshalb sollte sie fortgesetzt werden. Deutschland hat mit diesem Einsatz wesentlich zur Erreichung der Ziele der Resolution 1701 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen beigetragen. Ich möchte hier ausdrücklich zwei Punkte nennen: erstens die wirksame Verhinderung von Waffenlieferungen von Seeseite, die eine Wiederaufnahme des wichtigen zivilen Seeverkehrs ermöglicht hat, und zweitens die Unterstützung bei der Kontrolle des Waffenstillstands und der Sicherung der Waffenstillstandslinie zwischen Israel und dem Libanon. Dieser erfolgreiche Einsatz deutscher Soldaten und der Einsatzkräfte der weiteren beteiligten Länder verdient unseren Dank und unsere Anerkennung. Ich sage das auch deshalb so deutlich, damit hier nicht der Eindruck entsteht, wie es gelegentlich in Feuilletons zu lesen war, dass es sich bei UNIFIL um einen verzichtbaren „Schönwettereinsatz“ handelt oder dass man dessen Mandatierung aus verschiedenen innenpolitischen Gründen einer besonderen Befristung unterwirft. Es wäre aber falsch, aufgrund des guten Verlaufs der UNIFIL-Mission die Situation in der Region insgesamt nur positiv zu zeichnen. Durch die Kontrolle des Seeverkehrs wurde der Schmuggel von Waffen leider keineswegs beendet. Die Landgrenze zu Syrien ermöglicht es der Hisbollah nach wie vor, sich auf diesem Weg neue Waffen zu besorgen. Die Hisbollah brüstet sich sogar, jetzt besser ausgerüstet zu sein als vor der letzten bewaffneten Auseinandersetzung mit Israel im Sommer 2006. Ich hatte im Oktober 2008 selbst die Gelegenheit, mir auf dem Landweg von Beirut nach Damaskus einen Eindruck von den dortigen Grenzkontrollen zu verschaffen. Deshalb kann ich aus eigenem Augenschein bestätigen: Der Zoll und die Grenztruppen des Libanon brauchen intensive Unterstützung beim Ausbau der Grenzsicherung. ({0}) Das geschieht bereits in Form einer deutschen Unterstützung bei der Ausbildung der Zollmitarbeiter und bei der wichtigen Vernetzung mit anderen Behörden des Landes. Dieses deutsche Engagement sollte ebenfalls fortgeführt und ausgeweitet werden; denn nur durch den Aufbau eigener Kapazitäten können die Probleme dauerhaft gelöst werden. Dieses Prinzip gilt genauso für die Seeseite, wo durch Unterstützung der Ausbildung und Ausrüstung der Marine ebenfalls bereits wertvolle Arbeit geleistet wird. Die Führung des Libanon ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Bei meinem schon erwähnten Besuch konnte ich mich selbst davon überzeugen, dass die Regierung alles in ihrer Macht Stehende tut, um auch an der Grenze zu Syrien eine effektive Kontrolle zu errichten. Doch die Möglichkeiten dazu sind selbst beim besten politischen Willen leider begrenzt. Deshalb muss auch der Nachbar Syrien einen entsprechenden Beitrag zur Unterbindung des Schmuggels leisten. Die Rolle Syriens verdient nicht nur aus diesem Grund unser besonderes Augenmerk. Überhaupt wird es im Libanon nur dann eine positive Entwicklung geben, wenn Syrien eine konstruktive Rolle einnimmt. Ich finde, in dieser Richtung hat Damaskus bereits erste Schritte getan, zum Beispiel durch den Austausch von Botschaftern. Vor allem anderen aber muss Syrien seinen bestehenden Einfluss auf die Hisbollah geltend machen. Ich kann die Aufforderung des Kollegen Rolf Mützenich an den Außenminister in der vorangegangenen Debatte nur unterstützen: Bauen Sie die Beziehungen zu Syrien aus! Nutzen Sie diese Beziehungen intensiv, um Syrien in der Region insgesamt zu einer konstruktiven Haltung zu bewegen! Das ist, wie ich finde, ein wichtiger Punkt im Hinblick auf die auch von Ihnen, Herr Außenminister, immer wieder beschworene Kontinuität der deutschen Außenpolitik. Wir sollten diese Initiative ruhig in Angriff nehmen, auch wenn sie gelegentlich zu koalitionsinternen Dissonanzen führen wird. Deutschland hat ein großes Interesse daran, dass die Spannungen zwischen dem Libanon und Israel abgebaut und die staatlichen Strukturen im Libanon gestärkt werden. Was wir nicht brauchen, sind ein erneutes militärisches Erstarken der Hisbollah, in der Folge Provokationen gegenüber Israel und daraufhin die berechtigte Sorge Israels um seine Sicherheit. An diesem Szenario wird deutlich, dass es neuer Initiativen im Nahen Osten bedarf, um solch einer möglichen Eskalation frühzeitig die Grundlage zu entziehen. Noch ein weiterer Punkt muss betont werden: Die UNIFIL-Mission geht direkt auf Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zurück. Wir sind von der UNO nachdrücklich aufgerufen worden, diese Mission zu unterstützen und zum Erfolg zu führen. Es geht deshalb nicht nur um unser Interesse an der Sicherheit Israels und einer friedlichen Entwicklung der Region, sondern auch um unseren glaubwürdigen Beitrag als aktives Mitglied der Völkergemeinschaft. Vor dem Hintergrund dieser Verantwortung wird die SPD-Bundestagsfraktion der vorgeschlagenen Verlängerung des Mandats, wie angekündigt, zustimmen. Es bleibt aber ein Punkt, der mich und uns stört - er ist bereits erwähnt worden -: In keinem der Redebeiträge, auch nicht in Ihrem, Herr Kollege Königshaus, wurde vonseiten eines Redners der Regierungskoalition nachvollziehbar begründet, warum sich die Verlängerung nur bis zum 30. Juni 2010 erstrecken soll. Die Vereinten Nationen haben das UNIFIL-Mandat mit der Resolution 1884 schließlich bis Ende August 2010 verlängert. Diese - ich muss es so sagen - willkürliche zeitliche Beschränkung des deutschen Beitrags hat auch nichts mit der angekündigten Überprüfung der Mission durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen zu tun, wie verschiedentlich behauptet wurde. Ich habe den Eindruck, hier geht es eher darum, sicherzustellen, dass die FDP und der neue Außenminister ihr Gesicht wahren können. Ich finde allerdings, die deutsche Außenpolitik darf nicht dazu dienen, Fehlentscheidungen der FDP aus ihrer Oppositionszeit jetzt in Regierungsverantwortung aufleben zu lassen. ({1}) Vielmehr muss es uns darum gehen, in einer insgesamt schwierigen Situation im Nahen Osten die richtigen Signale auszusenden. Die Beteiligung Deutschlands an der UNIFIL-Mission ist ein solches richtiges Signal, genauso wie die Unterstützung des Libanon beim Aufbau einer funktionierenden Grenzsicherung an der Landgrenze zu Syrien. Mit der unnötigen Verkürzung des Mandats setzt man dagegen das falsche Signal. Bisher fehlt dafür, wie gesagt, eine schlüssige Begründung. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Henning Otte von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Vor drei Jahren haben wir erstmals einer Beteiligung deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon zugestimmt. Die Beendigung der Kampfhandlungen zwischen dem Libanon und Israel war damals erst durch UNIFIL möglich geworden. Seit 2006 hat der UNIFIL-Flottenverband illegale Waffenlieferungen über See in den Libanon unterbunden. Seit dieser Zeit wurden zusammen mit den Libanesen mehr als 30 000 Abfragen auf See getätigt und über 390 Schiffe überprüft. Über 21 Monate hat Deutschland dabei Führungsverantwortung vor Ort übernommen und diese Arbeit in hervorragender Weise geleistet. Auch in den letzten drei Monaten hat unsere Nation wieder einmal den aus vier Fregatten, drei Schnellbooten und einem Tender bestehenden Flottenverband unter der Flagge der Vereinten Nationen befehligt und das Kommando jetzt an Italien übertragen. Der Beitrag Deutschlands umfasst weit mehr als die erfolgreiche Verhinderung illegaler Waffenlieferungen. Mit der Überlassung von zwei Polizeibooten, einem Wachboot und vor allem einer Küstenradarorganisation mit insgesamt sechs Radaranlagen sowie weiteren Ausbildungsaktivitäten unterstützt unser Land die libanesischen Streitkräfte auf dem Weg zu einer eigenverantwortlichen Sicherung der seeseitigen Grenze. Andererseits ist es unverzichtbar, dass illegale Waffenlieferungen an der Grenze von Syrien zum Libanon ebenfalls unterbunden werden, und zwar von den Libanesen selbst wie auch von Syrien; mein Vorredner hat das angesprochen. Insgesamt gesehen hat sich die innen- und außenpolitische Situation des Libanon und der gesamten Region deutlich verbessert. Libanon und Israel haben beide ein außerordentlich großes Interesse an einer Fortführung der Beteiligung Deutschlands an dieser Maritime Task Force bekundet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine stabile Lage im Nahen Osten liegt auch im Interesse Deutschlands. Ich selbst konnte mir von der Arbeit unserer Truppen beim UNIFIL-Einsatz ein Bild machen. Ich danke unseren Soldatinnen und Soldaten, die durch ihren Einsatz einen wesentlichen Beitrag zu dieser positiven Entwicklung geleistet haben. Der UN-Sicherheitsrat hat mit der Resolution 1884 die UNIFIL-Mission bis zum 31. August 2010 verlängert. Derzeit befinden sich 12 000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Der UN-Generalsekretär hat jüngst noch einmal das sogenannte doppelte Mandat auf See betont: in der Form, dass neben der seeseitigen Sicherung der Grenzen die libanesische Marine auch beim Aufbau von eigenen Fähigkeiten zur Grenzsicherung unterstützt werden soll. Im kommenden Jahr wird es zu einer Evaluierung dieser Mission durch die Vereinten Nationen kommen. Daher ist es richtig, dass wir dieses Mandat bis zum 30. Juni, also um ein halbes Jahr, verlängern. Diese verkürzte Mandatsverlängerung erlaubt es uns, auf die Ergebnisse dieser Evaluation zu reagieren. Angesichts der erfolgreichen Auftragserfüllung und der zunehmenden Befähigung der libanesischen Armee ist eine Absenkung der Obergrenze für die deutsche Beteiligung von 1 200 auf 800 Soldaten richtig und angemessen. Wir machen damit deutlich, dass sich die Truppenstärke an der Lage vor Ort orientiert und entsprechend angepasst wird. UNIFIL ist eine wichtige und erfolgreiche Mission. Wer jetzt, vor der Evaluierung, für einen Abzug unserer Soldaten plädiert, der gefährdet die Erfolge dieser Mission und der Arbeit der letzten drei Jahre. Ein klares Votum für diese Mission ist auch ein Ausdruck der Anerkennung und Wertschätzung der Leistung unserer Soldaten im Einsatz. Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung daher zustimmen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Inge Höger von der Fraktion Die Linke. ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soldaten der Bundeswehr haben im Nahen Osten nichts, aber auch gar nichts zu suchen. ({0}) Das hat mein Kollege Wolfgang Gehrcke bereits in der letzten Woche sehr deutlich gemacht. Formal diskutieren wir heute über die Verlängerung des Einsatzes deutscher Soldaten vor dem Libanon. Faktisch steht wesentlich mehr auf der Tagesordnung. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Rolle der Bundeswehr in der deutschen Außenpolitik. Die Debatte zwischen Herrn Mützenich von der SPD und Verteidigungsminister Jung, äh, Guttenberg in der letzten Woche war da sehr aufschlussreich. ({1}) - Na ja, wir alle sind froh, dass Herr Guttenberg, äh, Herr Jung die Verantwortung übernommen hat und gegangen ist. Die Debatte in der letzten Woche war sehr aufschlussreich. Herr Guttenberg ({2}) forderte, mit der Selbstverständlichkeit von Auslandseinsätzen „unverdruckst“ umzugehen. Herr Mißfelder erklärte den UNIFIL-Einsatz gar zum „Modell für andere Einsätze in der Zukunft“. Sie alle wissen: Die Linke wird die Bundeswehr als Armee im globalen Einsatz niemals als Selbstverständlichkeit hinnehmen. ({3}) Die Linke ist die einzige Partei, die konsequent gegen Auslandseinsätze ist. Wenn nun Herr Mützenich behauptet, dass Auslandseinsätze für seine Partei nie Normalität werden, dann fragt man sich, wo er in den letzten elf Jahren war. Immerhin hat die SPD doch verantwortlich dafür gesorgt, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Normalität werden konnten. ({4}) Nun zum UNIFIL-Mandat. Deutschland ist für unsägliche Verbrechen gegenüber Jüdinnen und Juden verantwortlich. Deutschland kann in der Region des Nahen Ostens niemals als neutraler Akteur auftreten. ({5}) Was wäre zum Beispiel, wenn deutsche Schiffe ein israelisches Flugzeug oder Schiff wegen Verstoßes gegen die UN-Resolution 1701 in ein Gefecht verwickeln und es dabei zu Opfern kommt? ({6}) Der Wirbel um Oberst Klein wäre im Verhältnis zu dem Wirbel bei einem solchen Vorfall eine Kleinigkeit. Dies ist kein hypothetischer Fall. Es kam in den letzten drei Jahren zu mehreren Konfrontationen zwischen der deutschen und der israelischen Armee. Niemand kann garantieren, dass vergleichbare Zwischenfälle auch in der Zukunft glimpflich verlaufen werden. Die deutsche Verantwortung in dieser Region kann und darf sich nicht militärisch artikulieren. ({7}) Darf ich an den Sommer 2006 erinnern? Damals tobte der Krieg zwischen israelischen Streitkräften und Hisbollah-Einheiten. Welche Waffen kamen dabei zum Einsatz? Deutsche Waffen, und zwar auf beiden Seiten der Front. Das darf nie wieder vorkommen. Waffenlieferungen in den Libanon sollen angeblich durch UNIFIL kontrolliert und verhindert werden. Gleichzeitig werden nach wie vor offiziell Waffen aus Deutschland nach Israel und in andere Länder der Region geliefert. Waffenlieferungen in Krisengebiete sollten grundsätzlich unterbleiben. ({8}) Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal betonen: Es darf nicht sein, dass mit dem Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten eine Enttabuisierung des Einsatzes der Bundeswehr in aller Welt stattfindet. Ohne einen umfassenden politischen Prozess wird es keinen dauerhaften Frieden und keine Sicherheit im Nahen Osten geben, weder für die Menschen in Israel noch im Libanon noch in anderen Staaten der Region. Diesen Prozess sollten Deutsche nicht durch mehr Waffen und Soldaten erschweren. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Müller von Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Der deutsche Einsatz im Rahmen der UNIFIL-Mission, über dessen Verlängerung wir heute abstimmen, ist ein verantwortbarer und erfolgreicher Einsatz, der den Friedensprozess im Libanon gestärkt hat und damit zu einer Stabilisierung der Gesamtregion beigeträgt. Genau aus diesem Grund wird er von beiden Konfliktparteien, also von den Libanesen und den Israelis, Frau Höger, sowie von der UNO ausdrücklich weiter gewünscht. ({0}) Ihr Hauptargument, über das man nachdenken muss und das bei der Erteilung des Mandats eine große Rolle gespielt hat - auch hier in diesem Hause -, ist die Frage: Dürfen Deutsche in diese Region, und was ist, wenn es zu einer Konfrontation zwischen Deutschen und Israelis kommt? Es ist nicht zu der befürchteten Konfrontation gekommen. ({1}) Vor allem die Israelis sagen ganz klar, dass sie nicht nur die UNO-Mission wollen. Das ist übrigens die einzige Mission, bei der die Israelis dafür eintreten, dass die UNO die entscheidende Rolle spielt. Sie wünschen ausdrücklich auch einen deutschen Beitrag. Wenn man erkennt, dass ein Argument von der Realität überholt wird, dann muss man in der Lage sein, seine Position zu revidieren und zu sagen: Dieser Einsatz ist sinnvoll. Wir werden zustimmen. ({2}) Herr Königshaus, meine Damen und Herren von der FDP, man könnte meinen, dass Sie Ihre Auffassung revidiert haben. Als Sie noch in der Opposition waren, waren Sie gegen den Einsatz. Ich diffamiere nicht die Argumente. Es gibt Argumente, über die man durchaus nachdenken muss. Heute waren die Gründe für die Revision aber nicht erkennbar, abgesehen von dem Grund, Kerstin Müller ({3}) dass Sie heute nicht mehr in der Opposition, sondern in der Regierung sind. ({4}) Wenn dieser Einsatz im Grundsatz sinnvoll und erforderlich ist, wenn er zum Frieden beiträgt, dann gibt es heute keinen Grund, dieses Mandat bis Ende Juni nächsten Jahres zu begrenzen. ({5}) Das ist lediglich der Gesichtswahrung der FDP geschuldet. Das ist außenpolitisch aber nicht seriös. Sie berufen sich auf die Evaluierung durch die UNO. Das ist meines Erachtens ziemlich fadenscheinig, weil Sie wissen, dass diese bei vielen Mandaten stattfindet. Wenn das UNO-Mandat der Hintergrund gewesen wäre, dann hätten Sie das Mandat wenigstens bis August nächsten Jahres begrenzen müssen. Das wäre logisch gewesen. Man muss ganz klar sagen: Die Argumente sind vorgeschoben. Die FDP plant den Einstieg in den Ausstieg. Das steht leider auch so in Ihrem Koalitionsvertrag. Das ist angesichts der Lage vor Ort - nur das müssen die Argumente für unsere Entscheidung sein - unverantwortlich. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Müller, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Königshaus?

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Königshaus.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, gilt das Argument, das der Kollege Trittin vorhin genannt hat? Er hat nämlich bemängelt, dass das ISAF-Mandat um ein Jahr verlängert wurde und nicht nur um ein halbes Jahr. Dabei geht es auch um eine Evaluierung, nämlich im Rahmen der Afghanistan-Konferenz. Können Sie uns diesen Unterschied erklären?

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Begrenzung von Mandaten. Bei ISAF ist es aber eine Idee der deutschen Bundeskanzlerin, eine Konferenz zu veranstalten. Bei UNIFIL hingegen - ich habe das Geschäft auch lange betrieben - geht es um eine ganz normale routinemäßige Untersuchung bzw. Überprüfung, wie es die UNO mit all ihren Mandaten macht, damit dem Generalsekretär in New York berichtet werden kann. Das war für uns noch nie ein Grund, ein Mandat zu begrenzen, auch nicht bei ISAF und auch nicht bei OEF. ({0}) Ich möchte aus Ihrem Koalitionsvertrag zitieren, weil ich meine, dass dort der eigentliche Grund dargelegt ist. Darin heißt es: Im Rahmen der Vereinten Nationen werden wir auf eine schrittweise Reduzierung unseres deutschen Beitrages zur Maritime Task Force UNIFIL mit der Perspektive der Beendigung hinwirken. Das ist der Grund dafür, weshalb wir es hier mit einer Begrenzung zu tun haben. Ich finde, das ist der Sache nicht angemessen; das sehen auch die Konfliktparteien so. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Müller, erlauben Sie eine Nachfrage des Kollegen Königshaus?

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Königshaus.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass es für die FDP keine einfachen Mandate gibt und dass wir selbstverständlich nicht routinemäßige Überprüfungen, sondern immer nur ernst gemeinte Überprüfungen vornehmen? Genauso ist das in diesem Fall. Das gilt sowohl für die Afghanistan-Konferenz als auch für das Assessment von UNIFIL. Ich möchte jetzt nicht über die Frage des politischen und des militärischen Nutzens des Mandats sprechen. Es geht schlichtweg um die Frage, ob ein Mandat, das schon läuft - das ist ja etwas anderes, als wenn ich über ein neues Mandat rede -, daraufhin überprüft werden muss, ob es beendet werden muss bzw. ob es beendet werden kann. Das ist doch keine Routine.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. Ich bin immer für Überprüfungen. Ich bin der Meinung, dass auch der Deutsche Bundestag überprüfen und begrenzen muss, wenn er dies als erforderlich ansieht. Ich kann in diesem Fall aber nicht die wirklichen Gründe erkennen. Ich möchte Ihren Koalitionspartner zitieren. Wo ist denn Herr Staatssekretär Kossendey? - Dort hinten sitzt er. Er hat am 30. des vergangenen Monats im Libanon die Übergabe der deutschen Mission an die Italiener vorgenommen. Dabei hat er gesagt - offensichtlich aufgrund seiner Gespräche mit den Israelis und den Libanesen -, dass man sowohl in Israel als auch im Libanon überrascht und enttäuscht über die Ausstiegspläne der Koalition war. Kerstin Müller ({0}) Ich zitiere Sie aus dem Tagesspiegel: „Unser Ausstieg wäre eine Enttäuschung.“ Das heißt, eine Überprüfung ist okay. Aber Sie wollen aussteigen, und das finden nicht nur wir politisch falsch, sondern auch die UNO und die Konfliktparteien. Denn wir leisten mit diesem Einsatz einen notwendigen Beitrag zur Stabilisierung im Osten. Deshalb finde ich, dass Sie klar sagen sollten, ob Sie das von der Sache her so sehen oder nicht, statt herumzueiern und dem Parlament gegenüber nicht ehrlich zu sein. ({1}) Ich will noch etwas zur Sache sagen. Die Lage im Libanon ist nämlich schwierig. Der Libanon ist die Arena regionaler Interessen und Konflikte für Syrien, SaudiArabien und den Iran. Es ist völlig klar: Dieses Mandat ist nur ein einziger Baustein. Erst wenn es gelingt, diese Konflikte zu entschärfen, kann der Libanon langfristig stabilisiert werden. Es ist auf das Problem der Hisbollah hingewiesen worden; das muss man sehr ernst nehmen. Das ist übrigens, finde ich, der Schwachpunkt dieses Mandates, Herr Königshaus. Aber es gibt den Auftrag von UNIFIL nicht, die Landgrenze zu sichern. Nach seriösen Informationen besitzt die Hisbollah jetzt dreimal mehr Waffen als vor dem Krieg. Das ist ein Problem, aber deshalb, Herr Königshaus, sehen die UNO und alle Experten dies als einen Konflikt, der schwelt und jederzeit zu einem heißen Konflikt werden kann. Der UNIFIL-Einsatz sorgt mit dafür, dass das Ganze nicht zu einem heißen Konflikt wird. Er sorgt dafür, dass der Konflikt zwischen Israelis und Libanesen nicht wieder ausbricht. Deshalb bin ich ganz klar der Meinung, dass der Einsatz sinnvoll ist und fortgeführt werden sollte. Wir müssen ihn aber auch in eine Gesamtpolitik einbetten. Das heißt, wir müssen die Öffnung zu den Syrern weiter betreiben, aber wir müssen dabeibleiben, damit die deutsche Stimme im Nahostkonflikt weiter politisches Gewicht behält. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Wolfgang Götzer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor gut drei Jahren hat der libanesische Premierminister die Vereinten Nationen um Hilfe gebeten. Diese haben sich dann aufgrund der Resolution 1701 auch an die deutsche Bundesregierung mit der Bitte um Beteiligung gewandt. Dies führte - Sie erinnern sich - zu großen kontroversen Diskussionen in unserem Land. Man war sich sehr wohl bewusst, dass es sich im Falle einer Zustimmung um eine historische Entscheidung handeln würde. Dabei spielte vor allem unser besonderes Verhältnis zu Israel eine Rolle, das sowohl für als auch gegen eine deutsche Beteiligung ins Feld geführt wurde. Heute kann man sagen: Alle Bedenken, die man vor diesem Einsatz hatte, haben sich zum Glück als unbegründet herausgestellt. ({0}) Vor allem der Einwand, man könne im Nahostkonflikt zur Partei werden, hat sich als unzutreffend erwiesen. Denn sowohl die israelische als auch die libanesische Regierung begrüßen das deutsche Engagement und wünschen ausdrücklich die deutsche Beteiligung. Auch der oft geäußerte Vorwurf der Militarisierung der Außenpolitik ist haltlos bei einem Einsatz, bei dem es größtenteils um die Verhinderung von Waffenschmuggel und um Grenzsicherung geht. Zudem hat sich mit dem Fortschreiten des Einsatzes der Schwerpunkt immer weiter in Richtung Ausbildung der libanesischen Marine verlagert. Der weitere Einwand, der Einsatz sei völkerrechtswidrig, ist ebenfalls nicht stichhaltig. Völkerrechtliche Grundlage für den UNIFIL-Einsatz sind die Beschlüsse des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Es gibt eine ganze Reihe guter Gründe für die Verlängerung des UNIFIL-Mandates und die deutsche Beteiligung daran. Deutschland hat nicht nur wegen seiner besonderen Verantwortung für Israel ein überragendes Interesse an der Schlichtung des Nahostkonflikts und einer friedlichen Perspektive für die Region. Das UNIFILMandat ist auch von strategischer Bedeutung. Man spricht vom Nahen Osten, weil er direkt vor den Grenzen Europas liegt. Die Resolution 1701 der Vereinten Nationen wird nach wie vor als Grundlage zur Vermeidung erneuter bewaffneter Konflikte akzeptiert. Die Mission hilft dabei, die Souveränität und politische Stabilität des Libanon zu stärken. Dies spielt eine entscheidende Rolle für die Sicherheit des Staates Israel, aber auch für die Schaffung eines eigenen palästinensischen Staates. Beides sind Grundvoraussetzungen einer dauerhaften Friedenslösung im Nahen Osten. Der UNIFIL-Flottenverband hat in enger Zusammenarbeit mit der libanesischen Marine den Waffenschmuggel auf dem Seeweg erfolgreich verhindert. Ich möchte deshalb an dieser Stelle unseren Soldatinnen und Soldaten für diesen Einsatz danken. ({1}) Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, seit Beginn des Einsatzes haben sich die innen- und außenpolitische Lage des Libanon und auch die Lebensqualität dort verbessert. Der Einsatz hat dazu beigetragen, den politischen Prozess im Libanon voranzutreiben und demokratische Grundstrukturen aufzu698 bauen. Innenpolitische Auseinandersetzungen wurden seit Beginn des Einsatzes weitgehend friedlich gelöst. Allerdings müssen mittelfristig alle Milizen entwaffnet werden. Wer in diesem Haus hätte vor drei Jahren mit solch enormen Fortschritten gerechnet? Wie groß im Übrigen das internationale Interesse an der UNIFIL-Mission nach wie vor ist, zeigt die Vielzahl der auch künftig teilnehmenden Staaten. Realistisch gesehen wird es noch einige Zeit dauern, bis der Libanon den kompletten Seeraum alleine überwachen kann. Deswegen wäre es falsch, sich jetzt zurückzuziehen. Experten der Bundespolizei müssen im Rahmen der UNIFILMission weiterhin die zuständigen libanesischen Behörden in Fragen der Grenzsicherheit beraten. In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem die ungesicherte Grenze des Libanon zu Syrien ansprechen; das haben auch schon einige Vorredner getan. So begrüßenswert der erfolgreiche Einsatz im Rahmen des UNIFIL-Mandats zu Wasser ist: Die libanesisch-syrische Grenze bleibt eine offene Flanke. Deshalb muss dafür Sorge getragen werden, dass die Waffenlieferungen dort unterbunden werden. ({2}) Ein Abzug zum jetzigen Zeitpunkt wäre auch deshalb nicht sinnvoll, weil die vollständige Umsetzung der Resolution der Vereinten Nationen, insbesondere die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, ein längerfristiger Prozess sein wird, den wir auch im eigenen Interesse begleiten sollten. Darüber hinaus bedarf es noch immer humanitärer Hilfe in den zerstörten Flüchtlingslagern. Wenn die humanitäre Lage in diesen problematischen Gebieten des Landes verbessert wird, dann dient das auch der politischen Stabilisierung und der wirtschaftlichen Fortentwicklung des Libanon. Auch dies trägt langfristig zu einem friedlichen Zusammenleben bei. Deshalb soll sich der deutsche Beitrag zukünftig verstärkt daran ausrichten. Seit 1990 ist unser Land ein verlässlicher Bündnispartner der Vereinten Nationen. Auf uns soll auch in Zukunft Verlass sein. Deshalb dürfen wir uns nicht vorzeitig zurückziehen. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des UNIFIL-Mandates. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Ich gebe Ihnen bekannt, dass zu Tagesordnungspunkt 10 eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor- liegt, die wir zu Protokoll nehmen.1) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 17/112 ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher 1) Anlage 5 Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 17/40 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Haben an allen Urnen die Schriftführer ihren Platz eingenommen? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte in die Urne geworfen? - Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen. Darf ich Sie bitten, die Plätze einzunehmen, damit ich mit der Abstimmung fortfahren kann? Wir haben noch eine Abstimmung mit Handzeichen vorzunehmen, und ich muss erkennen können, wofür und wogegen Sie stimmen. Insbesondere rechts außen scheint der Gesprächsbedarf besonders stark entwickelt zu sein. ({1}) Ich bitte, den Volksauflauf rechts außen zu beenden und die Plätze einzunehmen oder den Saal zu verlassen, damit ich abstimmen lassen kann. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/134. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ih- nen später bekannt gegeben.2) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({3}) und 1373 ({4}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksachen 17/38, 17/110 Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Rolf Mützenich Stefan Liebich Kerstin Müller ({5}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 17/141 - 2) Ergebnis Seite 700 D

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Herbert Frankenhauser Carsten Schneider ({0}) Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven Kindler Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Rainer Stinner von der FDP-Fraktion. ({1})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist kein Geheimnis, dass wir, die FDP-Fraktion, seit geraumer Zeit über die Notwendigkeit und die Sinnhaftigkeit des OEF-Mandates in dieser Form diskutieren. Das ist ein ganz normaler Vorgang, und es ist richtig und wichtig, dass wir so etwas tun: dass wir laufend die Mandate und ihre Bedingungen den aktuellen Situationen anpassen. Diesem Prozess stellen wir uns als FDPFraktion. Zunächst einmal auch hier ein Wort zu den Anwürfen unserer verehrten Kollegen von der Linksfraktion. ({0}) Sie sind mit Ihrem Antrag auch dieses Mal auf dem falschen Dampfer. Wie oft muss Ihnen das Verfassungsgericht noch bestätigen, dass Sie falsch liegen? Verfassungsrechtlich und völkerrechtlich ist an dem Mandat OEF nichts auszusetzen. ({1}) Aber viel wichtiger ist doch, dass wir hier in diesem Hause politisch argumentieren. Selbstverständlich hat sich politisch, seitdem wir das Mandat erstmals beschlossen haben, einiges geändert. Zunächst einmal haben wir im letzten Jahr erstmals in die Mandatierung der OEF ausdrücklich die bis dato mandatierten 100 KSKKräfte in Afghanistan nicht mehr hineingenommen. Das heißt - das müssen wir auch der Öffentlichkeit sehr deutlich sagen -, aus deutscher Sicht hat das Mandat OEF mit Afghanistan nichts mehr zu tun. Wir sind daran in Afghanistan nicht mehr beteiligt. ({2}) Es hat sich seit der ersten Mandatierung etwas Weiteres geändert. Es gibt nämlich seit dem letzten Jahr die Mission Atalanta zur Bekämpfung von Piraterie am Horn von Afrika. Das heißt, es gibt in dieser Region eine maritime Mission. Auch dieser Veränderung müssen wir mit unseren Überlegungen Rechnung tragen. Die FDP-Fraktion stimmt heute diesem OEF-Mandat zu. Wir verknüpfen diese Zustimmung aber, sehr verehrter Herr Kollege Gehrcke, mit der Bedingung, dass wir gemeinsam die Protokollerklärung der Bundesregierung ernst nehmen, und deshalb lese ich, lieber Herr Gehrcke, diese Protokollerklärung hier noch einmal laut und deutlich vor: ({3}) Die Bundesregierung wird spätestens bis zum Sommer 2010 … die Notwendigkeit der weiteren deutschen Beteiligung an Operation Enduring Freedom am Horn von Afrika und gegebenenfalls eine Überführung der bisher im Rahmen von OEF am Horn von Afrika eingesetzten Kräfte in eine gemeinschaftliche Mission zur Pirateriebekämpfung überprüfen. Die Beteiligung an Operation Active Endeavour bleibt hiervon unberührt. … Ebenso selbstverständlich ist, dass die Bundesregierung den Deutschen Bundestag umgehend über das Ergebnis der Evaluierung unterrichten wird. Das ist die Protokollerklärung. Diese nehmen wir sehr ernst. Uns geht es nicht darum, unseren internationalen Verpflichtungen nicht gerecht zu werden. Wir wissen, dass insbesondere am Horn von Afrika internationales Engagement wichtig und richtig ist. Wir wissen auch, dass es bei weitem nicht ausreicht, dorthin Marinekräfte zu schicken, und dass für die Regierung am Horn von Afrika mittel- und langfristig eine politische Lösung das Gegebene ist. Daran müssen wir weiter entsprechend arbeiten. ({4}) Aber wir wollen mit dem Bezug auf die Protokollerklärung sehr deutlich machen: Wir stehen zu unserer Verantwortung. Wir sagen aber auch sehr deutlich: Wir gehen von ehrlichen Mandaten aus. Was draufsteht, muss auch drin sein. Deshalb ist die Zielrichtung meiner Fraktion ganz klar: Wir wollen, dass OEF in dieser Form ausläuft, und wir wollen - wie in der Protokollerklärung festgelegt über die Zusammenlegung dieser Mission mit der Mission zur Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika entscheiden. Wir werden das im Laufe der nächsten Monate tun, spätestens bis zum Sommer des nächsten Jahres. Vielen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Michael Groschek für die SPD-Fraktion. ({0})

Michael Groschek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004044, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege, das war eher auf der Linie des Vertagens, des Vernebelns und des Verarbeitskreisens auf der Grundlage Ihres Koalitionsvertrages. Ich glaube, dass das nicht die Perspektive der Diskussion hier sein kann, lieber Kollege. Ich finde, die Zeit ist reif, die Zeit ist heute reif, zu entscheiden. Deshalb werden wir auch gleich mit Nein zur Mandatierung von OEF entscheiden. ({0}) Dieses Nein zu diesem Mandat verbinden wir allerdings mit einem Ja zur Überführung in Atalanta. Dass das heute nicht in einem Zug stattfinden kann, liegt nicht an der Opposition, sondern liegt an Ihnen, der Regierung und der Regierungskoalition. Wir wollen mit der Entscheidung deutlich machen, dass wir nicht weniger, sondern mehr wirksame Verantwortung übernehmen wollen, und begründen das mit zwei Punkten. Der erste Punkt ist der Logik der Einsatzentwicklung geschuldet. Der zweite Punkt ist die aktuelle Bedrohungslage, wie sie uns immer und immer wieder geschildert wurde. Zur Einsatzentwicklung muss man sagen: Von einem ursprünglichen Maximum von 3 900 mandatierten Soldatinnen und Soldaten sollen wir jetzt nach diesem Mandatsvorschlag herunter auf 700. Wir haben im letzten Jahr mit einer breiten Mehrheit - auch auf Initiative unserer Fraktion hin - den Ausstieg aus dem landgestützten Einsatz beschlossen, und wir haben die Reduzierung auf eine Restkomponente von maximal einem seegehenden Einsatzschiff und einem luftgestützten Einsatzobjekt hinbekommen. Zur Bedrohungslage muss man sagen, dass die Priorität ganz eindeutig bei der Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika liegt und nicht beim Kampf gegen den Terrorismus. Das macht deutlich, dass der Einsatz schon heute ein Zwitter ist, und das macht deutlich, dass die Soldatinnen und Soldaten ein ständiges Umflaggen und einen ständigen Unterstellungswechsel erleben. Das ist das Gegenteil von Klarheit und Konsequenz. Deshalb noch einmal: Es wäre besser, wenn wir heute die Überführung in Atalanta beschließen könnten. ({1}) Ich will den Dank an die Soldaten mit einer Erinnerung an die besondere Verpflichtung, die wir haben, verbinden. Jede Mandatierung muss eine Einzelfallentscheidung sein. Die Verlängerung darf nicht zur Routine verkommen, und wir dürfen einer Kultur des bloßen Weiter-so! bei der Mandatierung keinen Platz einräumen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Beschlussvorlage der Bundesregierung schon als ungenügend zu bezeichnen. Ich will dazu den Staatsminister Hoyer als Kronzeugen bemühen. Vor genau einem Jahr hat er in diesem Hohen Haus noch in anderer Funktion gerade die Operation Enduring Freedom als klares Übergangsmandat bezeichnet, und die Protokollnotiz, die gerade zitiert wurde, ist ja nicht etwa ein Lösungsansatz in der Sache, sondern ist eine Verschlimmbesserung und eine Ausrede, warum Sie heute nicht entscheidungsfähig sind, was die Überführung des Mandats angeht. ({2}) Ich finde, die Selbstverpflichtung, die Sie sich mit der Überprüfung bis zum Sommer auferlegt haben, ist doppelt fragwürdig. Entweder hätten Sie diese Überprüfung mit einer Befristung des Mandats auf ein halbes Jahr verknüpfen müssen - das ist nicht geschehen -, oder aber der Prüfauftrag, den Sie sich selbst gegeben haben, der für Sie ja schon seit einem Jahr im Pflichtenheft steht, hätte bis heute beantwortet sein müssen. Heute hätte nicht die Frage gestellt werden dürfen, sondern die Antwort gegeben werden müssen. Das wäre korrektes Handeln der Regierung bei der Erarbeitung dieser Vorlage gewesen. ({3}) Deshalb ist es Ihr Versäumnis. Sie sind dafür zuständig. Sie tragen die Verantwortung für die mangelnde Sorgfalt im Bemühen um eine gemeinsame Beschlussfassung. Wir hätten gerne in einem breiten Konsens den Umstieg von OEF auf Atalanta beschlossen. Leider ist das mit Ihnen nicht möglich. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Groschek, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen dazu herzlich, verbunden mit den besten Wünschen. ({0}) Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, komme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 10 und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon bekannt. Abgegebene Stimmen: 592. Mit Ja haben gestimmt 500, mit Nein 82, und es gab 10 Enthaltungen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 592; davon ja: 500 nein: 82 enthalten: 10 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann ({1}) Manfred Behrens ({2}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({3}) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({4}) Dirk Fischer ({5}) Axel E. Fischer ({6}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({7}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dr. Dieter Jasper Andreas Jung ({8}) Dr. Franz Josef Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({9}) Volker Kauder Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Volkmar Klein Jürgen Klimke Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({10}) Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues ({11}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({12}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Stefan Müller ({13}) Nadine Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({15}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Eckhard Pols Lucia Puttrich Daniela Raab Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({16}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({17}) Anita Schäfer ({18}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({19}) Patrick Schnieder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({20}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({21}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({22}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({23}) Peter Weiß ({24}) Sabine Weiss ({25}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({26}) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({27}) Martin Burkert Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({28}) Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({29}) Hubertus Heil ({30}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Frank Hofmann ({31}) Dr. Eva Högl Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({32}) Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({33}) Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Petra Merkel ({34}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann René Röspel Karin Roth ({35}) Michael Roth ({36}) Marlene Rupprecht ({37}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({38}) Marianne Schieder ({39}) Werner Schieder ({40}) Ulla Schmidt ({41}) Carsten Schneider ({42}) Swen Schulz ({43}) Dr. Angelica Schwall-Düren Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({44}) Florian Bernschneider Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({45}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({46}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({47}) Christian Lindner Michael Link ({48}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller ({49}) Burkhardt Müller-Sönksen ({50}) Hans-Joachim Otto ({51}) Cornelia Pieper Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Carl-Ludwig Thiele Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({52}) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({53}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({54}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Dr. Thomas Gambke Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({55}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Memet Kilic Sven Kindler Maria Klein-Schmeink Thomas Koenigs Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Undine Kurth ({56}) Markus Kurth Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({57}) Ingrid Nestle Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({58}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein SPD Klaus Barthel Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Marco Bülow Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({59}) Hilde Mattheis Sönke Rix Ottmar Schreiner Rüdiger Veit Waltraud Wolff ({60}) DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({61}) Michael Schlecht Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Lazar Dr. Harald Terpe Enthalten SPD Ewald Schurer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Winfried Hermann Dr. Anton Hofreiter Uwe Kekeritz Sylvia Kotting-Uhl Dr. Hermann Ott Lisa Paus Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Nun erteile ich dem Kollegen Karl-Georg Wellmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({62})

Karl Georg Wellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003862, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die OEF-Mission hat drei Ziele: erstens Versperrung des Zugangs zu den Rückzugsräumen in Ostafrika, zweitens Unterbindung der Verbindungswege zu den terroristischen Strukturen auf der arabischen Halbinsel, drittens Schutz der Seepassage vor terroristischen Angriffen. OEF wird gebraucht, weil der Terror noch virulent ist und weil die Bewegungsfreiheit von Terroristen und ihren Unterstützern auch weiterhin nachhaltig eingeschränkt werden muss. - Das war übrigens ein Zitat von Frank-Walter Steinmeier, der das vor einem Jahr an dieser Stelle gesagt hat. Wie virulent der Terror ist, können Sie heute in den Meldungen lesen. Es gab heute in Somalia einen Terroranschlag mit 19 Toten. Das ist keine Spielerei. Das gibt es nach wie vor. Wir wissen zwar alle, Herr Kollege Groschek, dass sich der Schwerpunkt in Richtung Pirateriebekämpfung verschiebt. Das ist klar. Aber es ist auch heute schon möglich, unsere Einheiten dem Atalanta-Mandat zu unterstellen. Wir wissen sehr gut, dass die Ursache für die Probleme auch der Zustand Somalias ist. Die EU hat auf der Tagesordnung ihrer nächsten Ratssitzung - ich glaube, in der nächsten Woche - ein Programm zur Unterstützung und Kräftigung Somalias. Aber es ist eine Illusion, zu glauben, dass das in kurzer Zeit greift. Wir brauchen die Missionen am Horn von Afrika vorläufig noch lange. Es ist aber vernünftig, darüber nachzudenken, ob man das Mandat nicht überführen kann. Insofern unterstützen wir die Bundesregierung. Das geht nicht Knall auf Fall. Ich finde es positiv, dass bis zum nächsten Sommer evaluiert werden soll, dass das ohne Hektik geprüft werden kann. Diese Möglichkeit sollten wir der Bundesregierung geben. Es gibt aber auch eine Kontinuität der Verantwortung unseres Landes innerhalb der internationalen Missionen. Es ist ein politisches Signal, dass wir uns aus der Solidarität der internationalen Staatengemeinschaft nicht verabschieden. Insofern ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir, eingebunden in das Bündnis mit unseren Partnern, zusammenstehen. Kein Beifall? Das war ein Zitat von Joschka Fischer, Herr Kollege Trittin, der das an dieser Stelle gesagt hat, als er noch Außenminister war. Die SPD hat das in der Vergangenheit immer mitgetragen. Ich kann Ihren stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Herrn Erler zitieren: Es ist unumstritten, dass das OEF-Mandat am Horn von Afrika weiter stabilisierenden Einfluss ausüben muss. - Es ist noch kein Jahr her, dass Ihre Vertreter das hier gesagt haben. ({0}) Bis vor kurzem waren Sie noch Verfechter der Mission, und Frank-Walter Steinmeier hat das als Außenminister hier vertreten. Kaum sind Sie in der Opposition, werfen Sie Ihre Positionen über Bord ({1}) und machen sich davon. Das trägt nicht zu Ihrer außenpolitischen Glaubwürdigkeit bei. Wir haben den Verdacht, dass dies das erste internationale Mandat ist, bei dem Sie sich insgesamt davonmachen. ({2}) Sie suchen sich jetzt sozusagen den schwächsten Punkt, um erstmalig auszusteigen. ({3}) - Ja. ({4}) Sie hatten damals auch nie Probleme mit den Rechtsgrundlagen. Soll ich wirklich noch einmal Steinmeier oder Erler oder Kolbow zitieren, die hier immer vehement vertreten haben, dass es dafür eine gesicherte Rechtsgrundlage gibt? Das ist doch eine politische Frage. ({5}) Da können Sie sich jetzt nicht mit juristischen Spitzfindigkeiten davonstehlen. ({6}) Herr Ströbele, ich darf noch einmal daran erinnern, dass es sich um ein Mandat handelt, das von Rot-Grün beschlossen wurde. ({7}) Sie haben sich auf die Wähler Ihres Wahlkreises bezogen. Sagen Sie doch einmal Ihren Wählern, dass Sie damals an diesem Beschluss mitgewirkt haben, 3 900 Soldaten im Zuge des OEF-Mandats einzusetzen. ({8}) Sie, Herr Trittin, haben es damals im Kabinett mit beschlossen. ({9}) Die Anzahl der Soldaten am Horn von Afrika wurde dann schrittweise reduziert. Diese Bundesregierung führt eine weitere Reduktion von 700 auf nicht einmal mehr 300 Soldaten durch. Die Linke holt jetzt in ihrem Antrag die alten Verschwörungstheorien hervor. Es wird behauptet, dass OEF nur ein Deckmantel für irgendwelche sinistren, militaristisch-imperialistischen Machenschaften ist. Wir wissen ja, dass Sie generell Probleme mit der internationalen Einbindung der Bundesrepublik Deutschland haben. Aber Sie, Herr Gehrcke, haben ein anderes Problem, nämlich ein Glaubwürdigkeitsproblem. Als Sie noch stellvertretender DKP-Vorsitzender waren - Sie haben das vorhin angesprochen -, ({10}) waren Sie ein glühender Verfechter des sowjetischen Einsatzes in Afghanistan. ({11}) Wie hieß es damals: im Geiste proletarischen Internationalismus. Das können Sie in den Protokollen der DKP-Parteitage nachlesen. Heute machen Sie uns den Pazifisten. ({12}) Die Tatsache, dass Sie die internationale Einbindung der Bundesrepublik ablehnen, ist verantwortungslos. Wir stehen zu unserer Verantwortung. Deshalb stimmen wir dem Antrag der Bundesregierung zu. Ich danke Ihnen. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kleine Sünden werden immer sofort bestraft. Da muss man nicht so lange warten. Deswegen mache ich direkt nach der Rede des Kollegen Wellmann eine Kurzintervention. Ich war leider nicht stellvertretender DKP-Vorsitzender, auch wenn ich es damals gerne gewesen wäre. ({0}) Aber meine Partei wollte es nicht. Deswegen ist daraus nichts geworden. Dass Sie mich hinterher dazu befördern, ist ausgleichende Gerechtigkeit. Zur Sache selbst. Ich verstehe nicht, warum man nicht bereit ist, aus der Geschichte ein Stück weit zu lernen. ({1}) - Da können Sie ruhig lachen und sich ein bisschen aufregen; das ist ganz in Ordnung. - Wer nicht bereit ist, aus der eigenen Geschichte ein Stück weit zu lernen, dessen Argumente werden niemals tiefgründig sein. ({2}) Ich habe zu meinen Fehlern, was meine Geschichte und was Afghanistan angeht, gesprochen. Damals habe ich bei der Rechtfertigung des Krieges der Sowjetunion in Afghanistan die gleichen Argumente benutzt, die Sie hier vorgebracht haben. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich mich damit kritisch auseinandergesetzt und darüber in der Öffentlichkeit geredet, während Sie einfach so weitermachen und weitermarschieren. Es geht bei OEF nicht um Verschwörungstheorien. Ich möchte endlich einmal wissen, wann der Krieg gegen den Terror für beendet erklärt wird. Die Beschlusslage der NATO zu dieser Frage ist doch furchtbar. Als ich damals Gerhard Schröder gefragt habe, habe ich die Antwort erhalten: Der Krieg ist beendet, wenn es keinen Terror mehr gibt. - Also am Sankt-NimmerleinsTag. Meine herzliche Bitte: Beteiligen Sie sich daran, aus eigenen Fehlern zu lernen! Sie werden klüger, und es tut der eigenen Seele ganz gut, wenn man dies leistet. Danke sehr. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zur Erwiderung, Herr Kollege Wellmann, bitte.

Karl Georg Wellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003862, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gehrcke, auf Ihrer eigenen Homepage steht, Sie waren im Präsidium der DKP. Ich will auch nicht die Tatsache wiederholen, dass Sie längere Zeit auf der Parteihochschule in Moskau zugebracht haben. Sie waren DKP-mäßig schon ein richtig schwerer Junge. ({0}) Daran kommen Sie nicht vorbei. Zu Ihrem zweiten Teil, Herr Kollege Gehrcke. Die Tatsache, dass Sie die sowjetische Invasion damals in Afghanistan mit dem heutigen Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft vergleichen, zeigt in der Tat, wie wenig Sie aus Ihrer eigenen Geschichte gelernt haben. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Stefan Liebich für die Fraktion Die Linke.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht heute weder um die Kaderpolitik der DKP noch um die Beflaggung von Schiffen, die am Horn von Afrika fahren. In Wirklichkeit geht es doch heute darum, dass Bündnis 90/Die Grünen, die Linke und die SPD das erste Mal eine von der Bundesregierung vorgeschlagene Militärmission ablehnen. ({0}) Die SPD hat das zwar anders begründet; aber im Ergebnis läuft es genau darauf hinaus. Es handelt sich nicht um irgendeine Militärmission, sondern um jene - der Kollege Wellmann hat darauf hingewiesen -, für die Bundeskanzler Gerhard Schröder die Koalitionsmehrheit nur deshalb erhalten hat, weil sie mit der Vertrauensfrage verbunden wurde. Ich möchte - denn dies war eine durchaus sehr grundsätzliche Frage - auf den Anlass zu sprechen kommen. Anlass war der Terroranschlag vom 11. September 2001. Die Ermordung von 2 996 Menschen in Washington und New York City war ein grauenhaftes Verbrechen. Man kann über die Ursachen und die befördernden Momente diskutieren. Ja, aus Armut und Ungerechtigkeit erwächst der Nährboden zur Unterstützung von Gewalt. Aber der Terror selbst - es ist mir wichtig, das hier festzuhalten wird von unserer Partei klipp und klar verurteilt; hier gibt es nichts zu rechtfertigen und nichts zu relativieren. ({1}) „Keine Macht dem Terror - Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika“, das war die Botschaft, die uns am 14. September 2001 einte, als wir mit 200 000 Berlinerinnen und Berlinern am Brandenburger Tor der Opfer gedacht haben. Die Frage, wie Staaten mit der terroristischen Gefahr umgehen, führt allerdings zu unterschiedlichen Antworten. Ich will an dieser Stelle daran erinnern, dass wir in der Europäischen Union, in der NATO, in der westlichen Welt nicht vergessen sollten, dass eine Vielzahl von Anschlägen auch Länder mit großen muslimischen Bevölkerungsteilen betroffen hat. Dies ist also keine Frage des Kampfs der Kulturen und erst recht keine Frage westlicher Werte, wie dies die neue Bundesregierung sieht. ({2}) Die Linke meint, dass Terrorismus eine schlimme Form von Kriminalität ist, die angesichts der Strukturen natürlich auch international - aber mit polizeilichen und Strafverfolgungsmitteln - bekämpft werden muss. Wir bleiben dabei: Der Kampf gegen den Terrorismus kann gewonnen werden, ein Krieg dagegen nicht. ({3}) Präsident Bush hat die Chance der internationalen Solidarität seinerzeit nicht genutzt. Er hat seinen War on Terror allein konzipiert. Er hat die Verbündeten zu Statisten und selbst die NATO zum bloßen Werkzeugkasten degradiert. Die Ergebnisse waren der Irakkrieg, Folter in Abu Ghureib, Rechtsstaatsbruch und Menschenrechtsverletzungen in Guantánamo. Auch die massive Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten in unseren westlichen Gesellschaften war eine Folge. Dieser Weg war falsch und muss beendet werden. ({4}) Die neue US-Regierung von Barack Obama hat sich derweil selbst vom Begriff des War on Terror stillschweigend verabschiedet. Sie hat die schlimmsten Zuspitzungen zurückgenommen und versucht, Guantánamo zu überwinden und sich aus dem Irak zurückzuziehen. Es ist doch absurd, dass wir vor diesem Hintergrund jetzt, acht Jahre nach 9/11, einem Mandat zustimmen sollen, das sich auf den Bündnisfall der NATO und das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der Satzung der UNO stützt. Keinerlei Informationen lassen dies begründet erscheinen. Dieses Mandat folgt einer alten, überholten und falschen Strategie. Dazu sagen wir Nein. ({5}) Unter der Überschrift „Terrorismusbekämpfung“ einer Blankovollmacht für militärische Einsätze zuzustimmen, werden Sie im Ernst nicht von uns erwarten. Es ist Zeit, dass nicht nur das deutsche Engagement für die Operation Enduring Freedom beendet wird, sondern dass sich die Bundesrepublik Deutschland bzw. die Bundesregierung in der NATO auch für die Aufhebung des Bündnisfalls einsetzt. Die Protokollerklärung des Außenministers und das, was seitens der FDP dazu gesagt wurde - weniger von der CDU/CSU -, deuten darauf hin, dass eine Überprüfung und vielleicht auch Beendigung des Einsatzes auch in der Bundesregierung erwogen werden. Ich finde, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Man kann dies jetzt machen; denn es gibt andere Wege. Man kann das gemeinsame Ziel der Bekämpfung des Terrorismus im Rahmen der UNO mit rechtsstaatlichen Mitteln und vor allem mit einer umfassenden, auf die Ursachen ausgerichteten Strategie erreichen. Das verlangt aber eine ehrliche und selbstbewusste Zusammenarbeit Deutschlands mit seinen Partnern, insbesondere mit der Obama-Regierung. Am Anfang steht aber der erste Schritt, nämlich auf einem Irrweg zu stoppen. Die Oppositionsfraktionen fordern die Bundesregierung heute mit ihrem Abstimmungsverhalten dazu auf. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Liebich, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Herzlichen Glückwunsch dazu und alles Gute. ({0}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA zu entscheiden; so die Langbezeichnung für das, was sich hinter OEF oder Active Endeavour verbirgt. Ich will Ihnen in der Kürze der Zeit drei Gründe nennen, warum wir Grüne diesen Antrag ablehnen. Es stellt sich zunächst einmal die Frage nach der völkerrechtlichen Legitimität dieser Einsätze. Warum ist das so wichtig? Ganz einfach: Ohne völkerrechtliche Grundlage würden diese Einsätze gegen das Grundgesetz verstoßen und wären damit per se nicht zustimmungsfähig. Herr Kollege Stinner, da hilft es auch nicht viel, wenn man politisch diskutiert. Die Bundesregierung bezieht sich auf die Resolutionen 1368 und 1373 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom September 2001. Wer diese Resolutionen liest, stellt fest, dass dort die Staaten der internationalen Gemeinschaft nachdrücklich und umfangreich aufgefordert werden, alle erdenklichen strafrechtlichen Maßnahmen zu ergreifen, um terroristische Angriffe zu verhindern und zu verfolgen. Was man dort nicht findet, ist eine Grundlage für irgendwelche konkreten Militäreinsätze außerhalb des eigenen Staatsgebietes. Deshalb bezieht sich die Bundesregierung weiterhin auf das allgemeine Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 der UN-Charta und den Bündnisfall des Nordatlantikvertrages. Zweifelsohne sind die USA im September 2001 angegriffen worden und durften sich, auch mit unserer Unterstützung, verteidigen. Dieses Recht besteht aber ausdrücklich nur so lange, bis der Sicherheitsrat entsprechend tätig geworden ist. In Art. 5 des NATOVertrages heißt es wörtlich: Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, … Mit dem Beschluss über ISAF am 20. Dezember 2001 hat der Sicherheitsrat den Rahmen für diese militärischen Maßnahmen geschaffen und den Umfang festgesetzt. Seit diesem Zeitpunkt kann das Selbstverteidigungsrecht nicht mehr als Rechtfertigung für darüber hinausgehende Maßnahmen herangezogen werden. ({0}) Schon allein der Widerspruch zum geltenden Völkerrecht wäre ein zwingender Grund, diesen Antrag abzulehnen. Nun höre ich leider immer wieder Stimmen, die behaupten, es sei doch übertriebene Rechtsförmelei, in Anbetracht von internationalen Krisen ständig auf die Einhaltung von Recht und Gesetz zu pochen. Ich will Ihnen daher zwei weitere Gründe nennen, warum wir diesen Antrag ablehnen. OEF ist nicht nur völkerrechtswidrig, sondern auch überflüssig und kontraproduktiv. ({1}) Überflüssig ist vor allem die deutsche Beteiligung an OEF, die sich im Wesentlichen auf die Combined Task Force am Horn von Afrika beschränkt. Dort besteht bereits ein Mandat zur Bekämpfung von Piraterie im Rahmen von Atalanta. Die Parallelität der Einsätze führt dazu, dass die Fregatten regelmäßig umflaggen müssen, je nachdem, ob sie unter NATO-, EU-Atalanta- oder nationalem Kommando fahren. Von Einsatzklarheit kann da nicht die Rede sein. Das ständige Umflaggen sollten wir der Besatzung schlicht ersparen, da Atalanta als Grundlage für die dortigen Anti-Piraterie-Einsätze völlig ausreicht. ({2}) Als dritten Grund möchte ich noch festhalten, dass der War on Terror zu alledem noch kontraproduktiv wirkt. Besonders deutlich ist das in Afghanistan geworden. Wo der Stabilisierungseinsatz unter ISAF erste Erfolge erzielte und Vertrauen schaffen sollte, wurde dies durch die rücksichtslose Jagd nach Terroristen und den damit verbundenen vielfachen Tod von Zivilisten wieder zunichtegemacht. Dass wir heute in Afghanistan eine derart kritische Sicherheitslage vorfinden, ist unter anderem der fehlerhaften Strategie von OEF zu verdanken. ({3}) Der Schutz der Zivilbevölkerung ist nämlich gerade nicht das erklärte Ziel von OEF. Es bleibt zu hoffen, dass der jetzige Kurswechsel der Amerikaner gerade noch rechtzeitig kommt. Sicher ist das nicht. Kontraproduktiv an OEF ist darüber hinaus die globale Botschaft an die internationale Völkergemeinschaft. Frieden kann es nämlich nur dort geben, wo das Recht sich durchsetzt. ({4}) Wer aber selbst das Völkerrecht nicht achtet, wird dies auch nicht glaubhaft von anderen einfordern können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Keul, auch für Sie war dies die erste Rede. Auch Ihnen gilt mein herzlicher Glückwunsch, verbunden mit den Wünschen für eine erfolgreiche Arbeit. ({0}) Nun hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Thomas Silberhorn. ({1})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns in diesem Haus über viele Jahre hinweg um breites Einvernehmen zu unserem Einsatz in Afghanistan bemüht. Das hat die Union in Zeiten der Opposition getan; am längsten hat das die FDP in Zeiten der Opposition getan. Ich höre mit Interesse, dass der Kollege Klose heute in der Debatte über das ISAF-Mandat gesagt hat: Die SPD-Fraktion steht zu der Verantwortung, die sie … übernommen hat, auch in der Opposition. Ich würde das gerne begrüßen können; aber ich muss Sie fragen: Warum gilt das nicht für das OEF-Mandat? Rot-Grün hat nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Bündnisfall mit festgestellt und die Initiative für eine militärische Bekämpfung der al-Qaida mit ergriffen. Noch bei der Mandatsverlängerung im November letzten Jahres hat die Bundesregierung ausgeführt - ich zitiere auszugsweise -: Auch wenn es in Europa und den USA … seit mehreren Jahren keinen Anschlag der al-Qaida mehr gegeben hat …, bleibt es dennoch dabei: Die Gefahr ist in der Tat nicht gebannt. Weiter heißt es: Eine breite Zustimmung zu einer Verlängerung des OEF-Mandates … wäre nicht nur ein politisches Signal, dass wir uns aus der Solidarität der internationalen Staatengemeinschaft nicht verabschieden; es wäre vor allen Dingen auch ein starkes Zeichen für unsere Soldatinnen und Soldaten, die bei ihrem Einsatz für unsere Sicherheit Leib und Leben riskieren. Wir schulden unseren Soldaten dafür nicht nur Dank; wir schulden ihnen dafür vor allen Dingen unsere volle Unterstützung. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Arnold?

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kläre auf, von wem das Zitat stammt - es wird Ihnen nicht entgangen sein -: Der Redner war der damalige Bundesaußenminister und heutige Fraktionsvorsitzende der SPD, Dr. Frank-Walter Steinmeier. Das Protokoll von damals vermerkt: „Beifall bei der SPD“. Warum sind Sie heute stumm geblieben? ({0}) Die aktuelle Bedrohungslage am Horn von Afrika hat sich nicht geändert, allenfalls die Bedrohungslage bei der SPD. So wie es Sie bei der Bundestagswahl zerbröselt hat, so zerbröselt jetzt die einst unverbrüchliche Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Silberhorn, darf ich Sie unterbrechen?

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde das gerne ausführen; denn ich habe nicht allzu viel Redezeit. Sie dürfen mich aber gerne nachher unterbrechen, um meine Redezeit zu verlängern. Uns beunruhigt schon, dass Ihr Stimmungsumschwung offenbar nicht durch neue Erkenntnisse motiviert, sondern parteipolitischer Stimmung unterworfen ist. Sie geben die Kontinuität Ihrer eigenen Außenpolitik auf und werfen im Übrigen die Frage nach der Autorität Ihres Fraktionsvorsitzenden auf, die Sie aber selbst beantworten mögen. Ich will nicht verkennen, dass man ernsthaft über eine Anpassung dieses Mandats diskutieren kann und muss. ({0}) Dieses Mandat wurde mehrfach angepasst und um zivile Komponenten ergänzt. OEF ist nur ein Baustein in einem Ansatz vernetzter Sicherheit. Das Mandat wurde mehrmals personell und geografisch reduziert: Wir haben die Spezialkräfte des KSK abgezogen, wir sind nicht mehr unter dem OEF-Mandat in Afghanistan präsent, die Personalobergrenze - es wurde schon angesprochen - wurde von 1 400 auf 800 reduziert. ({1}) Jetzt reduzieren wir die Obergrenze nochmals, und zwar auf 700. Das alles zeigt doch: Wir befinden uns in einem Prozess der Mandatsverlängerung. Es geht hier nicht um ein Weiter-so, sondern um eine kontinuierliche Weiterentwicklung, durchaus mit der Perspektive einer Reduzierung und eines Ausstiegs. ({2}) Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung angekündigt hat, dieses Mandat weiter zu überprüfen und zu schauen, ob es eine Integration in andere Mandate gestattet. Dieses Mandat ist bis heute auf die Satzung der Vereinten Nationen und auf Sicherheitsratsresolutionen gestützt, von denen die letzte vom 8. Oktober dieses Jahres stammt. Es macht keinen Sinn, in Sonntagsreden über effektiven Multilateralismus zu schwadronieren, wenn man sich bei erstbester Gelegenheit, ohne irgendeine Abstimmung in der internationalen Gemeinschaft vorgenommen zu haben, aus einem durch den Sicherheitsrat legitimierten Einsatz verabschiedet. Das ist nicht glaubwürdig. Meine Damen und Herren, Sie wissen sehr wohl, dass dieser Einsatz für die Soldaten, die in Afghanistan unter unserem Mandat im Einsatz sind, wenn auch nicht unter OEF-Mandat, nicht ohne Bedeutung ist. Die amerikanischen Kräfte, die unter OEF-Mandat in Afghanistan operieren, sind unseren Soldatinnen und Soldaten in besonderen Bedrohungslagen bereits mehrfach zur Hilfe geeilt. Diese Schutzkomponente, die wir selbst nicht erfüllen, auf die wir aber angewiesen sind, müssen wir bei diesem Mandat sehr sorgfältig bedenken. Wir sind diejenigen, die die Bündnissolidarität der amerikanischen Partner bereits mehrfach in Anspruch nehmen mussten. Dass ausgerechnet wir uns bei dieser Gelegenheit aus der Bündnissolidarität verabschieden wollen, kann niemanden überzeugen, schon gar nicht die Soldatinnen und Soldaten, die für uns in Afghanistan den Kopf hinhalten. ({3}) Deswegen sage ich sehr deutlich: Die Beteiligung an diesem Mandat liegt nach wie vor im deutschen Interesse. Es geht nicht nur um die Sicherung der Seewege am Horn von Afrika, sondern auch um den Schutz der von uns nach Afghanistan entsandten Soldatinnen und Soldaten. Daher schließe ich mit den Worten, die FrankWalter Steinmeier am 4. November 2008 von dieser Stelle aus gesagt hat - ich zitiere -: Ich appelliere deshalb an das Hohe Haus: Bitte geben Sie den Soldatinnen und Soldaten die notwendige politische Rückendeckung! Dem habe ich nichts hinzuzufügen. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zu einer Kurzintervention hat das Wort der Kollege Arnold.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Silberhorn, ich habe eine ganz andere Erinnerung an die Debatte vor einem Jahr. Ich erinnere mich daran, dass wir in der Koalition - die CDU/CSU war unser Koalitionspartner - sehr schwierige Diskussionen hatten und Ihr Verteidigungsminister und Ihre Fraktion es letztendlich verhindert haben, dass wir aus dem OEFEinsatz insgesamt ausgestiegen sind. ({0}) Wir waren dem Außenminister sehr dankbar dafür, dass er es wenigstens erreicht hat, dass wir die Landkomponente des OEF-Einsatzes abgeschlossen haben. Ein zweiter Hinweis, da Sie das Völkerrecht anführen: Alle Fachleute erkennen übereinstimmend an, dass das Recht auf Selbstverteidigung nach der UN-Charta erlischt, wenn die UNO selbst Maßnahmen beschließt, und Atalanta stellt im Auftrag der UNO am Horn von Afrika Seesicherheit her. Deshalb endet auf der Zeitschiene irgendwann die Legitimation. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zur Erwiderung hat das Wort der Kollege Thomas Silberhorn.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege Arnold, das Sein trübt gelegentlich das Bewusstsein. Wenn Ihre Erinnerung an die Debatte aus dem letzten Jahr getrübt ist, gebe ich Ihnen gerne das Protokoll. Ich habe es hier. Darin können Sie nachlesen und feststellen, dass ich richtig zitiert habe. Ich will aber auch sehr deutlich sagen: Wir hatten eine schwierige Debatte, in der insbesondere in Ihren Reihen gerne zwischen dem OEF- und dem ISAF-Mandat differenziert worden ist, und zwar mit der durchaus schwierigen Konnotation, das ISAF-Mandat als hehre Intervention zum Wiederaufbau der Zivilgesellschaft zu interpretieren, während auf der anderen Seite das OEFMandat in die Ecke der militärischen Bekämpfung von Terroristen gestellt wurde, an der man sich die Finger nicht schmutzig machen möchte. Das spiegelt sich in der Realität in Afghanistan offenkundig nicht wider. ({0}) - Ich glaube nicht, dass jemand in Afghanistan unterscheiden kann, ob ein Soldat mit dem OEF- oder dem ISAF-Mandat ausgestattet ist. Ich glaube nicht, dass man im Einsatz darauf achtet, ob ein Soldat eine OEF- oder eine ISAF-Flagge am Revers hat. Diese unterschiedliche Interpretation von ISAF und OEF war die Grundlage für die schwierige Debatte, die wir damals geführt haben; sie entbehrt jedoch ihrerseits jeglicher Grundlage. Deswegen ist es richtig, dass wir die Fortsetzung dieses Mandats beschlossen haben. Wenn Sie jetzt eine andere völkerrechtliche Bewertung vornehmen wollen, dann weise ich darauf hin, dass der Einsatz auf Grundlage des Atalanta-Mandats schon eine ganze Zeit lang läuft. Diese Frage hätten Sie nicht erst heute, sondern schon vorher stellen müssen. Genau das kritisiere ich: dass Sie Ihre Auffassung jetzt nach der Bundestagswahl ändern. Das kann nicht sachlich motiviert sein; das ist parteipolitisch motiviert. Das ist dem gesamten Einsatz in Afghanistan und auch dem Einsatz am Horn von Afrika im Rahmen der OEF abträglich. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 17/110 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit- kräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA. Der Aus- schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 17/38 an- zunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen mit den Schriftfüh- rern besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Ab- stimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Haben jetzt alle abgege- ben? - Jetzt haben alle ihre Stimme abgegeben. Ich schließe die Abstimmung. Das Ergebnis wird Ih- nen später bekannt gegeben. Ich bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, die Stimmen auszuzählen.1) 1) Ergebnis Seite 710 D Jetzt führen wir noch eine Abstimmung über einen Entschließungsantrag durch. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte weiter folgen wollen, Platz zu nehmen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/126. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) zu der Verordnung der Bundesregierung Erste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ({1}) - Drucksachen 17/74, 17/85 Nr. 2.2, 17/135 Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Jung ({2}) Michael Kauch Dorothea Steiner Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({3})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir alle sind froh, dass wir mit der heutigen Debatte und der folgenden Abstimmung die Diskussion über die Novelle der 1. Bundes-Immissionsschutzverordnung zu einem Ende bringen; die Unionsfraktion meint, zu einem guten Ende. Diese Novelle beinhaltet drei Botschaften. Die erste und aus unserer Sicht besonders wichtige Botschaft lautet: Heizen mit Holz hat Zukunft. Es ist wichtig, dass wir dies in den Mittelpunkt stellen, weil der eine oder andere Vorschlag, den das Ministerium in der letzten Legislaturperiode in dieser Diskussion gemacht hat, dazu führte, dass es in der Frage „Ist Holz tatsächlich ein Energieträger mit Zukunft?“ Verunsicherung gab. Die zweite Botschaft lautet: Wir nehmen die Feinstaubbelastung, die Feinstaubemissionen, die es beim Verbrennen von Holz gibt, ernst und handeln wirkungsvoll. Die dritte Botschaft lautet: Wir haben auch die soziale Dimension dieser Frage im Blick und berücksichtigen Andreas Jung ({0}) sie bei den Neuregelungen. Wir versuchen, diese drei Punkte mit dieser Novelle in Einklang zu bringen. Zunächst einmal vorweg: Warum ist es sinnvoll, mit Holz zu heizen? Wer mit Holz heizt, der leistet einen Beitrag zum Klimaschutz, weil dabei nur das an Emissionen abgegeben wird, was zuvor in einem natürlichen Prozess aufgenommen wurde. Holz ist ein nachwachsender Rohstoff. Wir erhöhen also die Quote der erneuerbaren Energien, wenn wir die Grundlage für das Heizen mit Holz schaffen bzw. sie mit dieser Novelle möglicherweise sogar verbessern. Kollege Fell hat in der Debatte heute früh zu Recht auf die Notwendigkeit hingewiesen, beim Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien so schnell wie möglich voranzukommen. Im Bereich der Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Energien ist Holz heute der Energieträger mit dem größten Anteil. Das sind sicherlich Gesichtspunkte, die uns veranlassen sollten, diesen Energieträger sehr positiv zu bewerten. ({1}) Der zweite Aspekt ist, dass wir durch die Stärkung von Holz als Energieträger regionale Wertschöpfungsketten und regionale Kreisläufe stärken. Wir stärken die Wertschöpfung im ländlichen Raum. Damit tun wir auch etwas für die Arbeitsplätze im ländlichen Raum, und das mit einem Zusatznutzen: Wer mit Holz heizt, dessen Energieträger hat keine langen Transportwege. Durch kürzere Transportstrecken wird somit ein Zusatznutzen für die Umwelt erzielt. Ein dritter Punkt. Wir haben in Deutschland so viele Kapazitäten an Holzvorräten, dass man mit Fug und Recht sagen kann: Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung ist möglich. Wenn wir Holz nutzen, dann tun wir etwas dafür, dass die erheblichen Holzvorräte, die es in Deutschland gibt, einer effektiven, sinnvollen Nutzung zugeführt werden. Es gibt eine neue Studie, die besagt, dass sich in den letzten vier Jahren 3,6 Milliarden Kubikmeter an Resthölzern in unseren Wäldern angesammelt haben. Auch aus diesem Grund kann man sagen: Wer mit Holz heizt, tut etwas für nachhaltige Wirtschaft. ({2}) Aus all diesen Gründen ist es richtig, zu sagen: Heizen mit Holz hat Zukunft. Auf der anderen Seite ergeben sich angesichts der Emissionen, die beim Verbrennen von Holz entstehen, kritische Fragen. An erster Stelle ist die Feinstaubbelastung zu nennen. Daraus ergeben sich Gesundheitsfragen. Ferner führen Geruchsbelästigungen oftmals zu Problemen in der Nachbarschaft. Deshalb war es notwendig, zu handeln und mit dieser Novelle diese beiden Aspekte in Einklang zu bringen. Die Regelungen, die jetzt gefunden wurden, halten wir für einen sehr guten Kompromiss. Wir geben auf der einen Seite das klare Signal: Wer sich einen Ofen neu einbaut, muss dafür Sorge tragen, dass es zu diesen negativen Effekten nicht kommt; denn für neue Öfen gelten ehrgeizige Grenzwerte. Auf der anderen Seite, in der Frage der Bestandsöfen, berücksichtigen wir die sozialen Fragen. Das führt hier wiederum zu zwei unterschiedlichen Regelungen. Zum einen gilt der Grundsatz, dass es für Bestandsöfen lange Übergangsfristen gibt, innerhalb derer der Ofen nachgerüstet oder abgeschaltet werden muss. Eine Kategorie von Öfen nennen wir die Öfen mit sozialem Hintergrund - sie werden unbegrenzten Bestandsschutz genießen, und das halten wir auch für richtig -: Das sind solche Öfen, mit denen zum Beispiel der Herd betrieben wird, mit denen der Backofen betrieben wird, mit denen die Waschküche betrieben wird, aber auch solche, die die einzige Heizung in einem Raum, in einer Wohnung darstellen und bei denen es für den Betroffenen erhebliche Investitionen hervorrufen würde, den Ofen auszuwechseln. Dies betrifft im ländlichen Raum oftmals kleine Wohnungen, kleine Häuser, und ein Austausch des Ofens würde die Eigentümer vor große Probleme stellen. Ihnen geben wir die Botschaft, dass es für ihre Öfen einen unbegrenzten Bestandsschutz gibt. Das gilt auch für die Kategorie der offenen Kamine und für die Kategorie der eingemauerten Kachelöfen. In der Summe ist, meinen wir, eine gute Regelung gefunden worden. Wir glauben, dass damit zwei Dinge erreicht werden, nämlich zum einen eine noch höhere Akzeptanz des Brennstoffs Holz und zum anderen Planungssicherheit. Ich glaube, alle Beteiligten mit ihren unterschiedlichen Auffassungen werden mir zustimmen, dass es nötig ist, dass wir in dieser Debatte einen Punkt machen und sagen: Die Politik hat jetzt entschieden, und jeder kann und muss sich auf diese neuen Regelungen einstellen. Damit herrscht Klarheit darüber, worum es geht. Ich wiederhole noch einmal die Botschaft vom Anfang: Heizen mit Holz hat Zukunft. Wir stimmen dieser Verordnung zu. Herzlichen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, komme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 11 und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA bekannt: abgegebene Stimmen 588. Mit Ja haben gestimmt 322, mit Nein 266, Enthaltungen gab es keine. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 588; davon ja: 322 nein: 266 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann ({0}) Manfred Behrens ({1}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Peter Götz Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Dr. Matthias Heider Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Thomas Jarzombek Dr. Dieter Jasper Andreas Jung ({6}) Dr. Franz Josef Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Volkmar Klein Jürgen Klimke Julia Klöckner Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({8}) Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues ({9}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Michael Luther Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({10}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Stefan Müller ({11}) Nadine Müller ({12}) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann ({13}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Eckhard Pols Lucia Puttrich Daniela Raab Thomas Rachel Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({14}) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht ({15}) Anita Schäfer ({16}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({17}) Patrick Schnieder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster ({18}) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({19}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel ({20}) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({21}) Peter Weiß ({22}) Sabine Weiss ({23}) Ingo Wellenreuther Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine AschenbergDugnus Daniel Bahr ({24}) Florian Bernschneider Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther ({25}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth ({26}) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner ({27}) Christian Lindner Michael Link ({28}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Gabi Molitor Jan Mücke Petra Müller ({29}) Burkhardt Müller-Sönksen ({30}) Hans-Joachim Otto ({31}) Cornelia Pieper Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Carl-Ludwig Thiele Stephan Thomae Florian Toncar Johannes Vogel ({32}) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({33}) Nein CDU/CSU Wolfgang Börnsen ({34}) Dr. Peter Gauweiler SPD Ingrid Arndt-Brauer Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({35}) Gerd Bollmann Bernhard Brinkmann ({36}) Marco Bülow Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Angelika Graf ({37}) Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({38}) Hubertus Heil ({39}) Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({40}) Frank Hofmann ({41}) Dr. Eva Högl Christel Humme Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe ({42}) Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({43}) Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Hilde Mattheis Petra Merkel ({44}) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özoğuz Heinz Paula Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann René Röspel Karin Roth ({45}) Marlene Rupprecht ({46}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({47}) Marianne Schieder ({48}) Werner Schieder ({49}) Ulla Schmidt ({50}) Carsten Schneider ({51}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({52}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Stefan Schwartze Dr. Carsten Sieling Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff ({53}) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Niema Movassat Wolfgang Nešković Thomas Nord Jens Petermann Richard Pitterle Ingrid Remmers Paul Schäfer ({54}) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Michael Schlecht Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({55}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Dr. Thomas Gambke Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz ({56}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Memet Kilic Sven Kindler Maria Klein-Schmeink Thomas Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Undine Kurth ({57}) Markus Kurth Monika Lazar Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({58}) Ingrid Nestle Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Elisabeth Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({59}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Wir setzen die Aussprache fort. Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Vogt für die SPD-Fraktion. ({60})

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir heute Morgen im Vorfeld der Klimaschutzkonferenz diskutiert haben, herrschte in diesem Hause große Einigkeit darüber, dass wir diese Konferenz in Kopenhagen zu einem großen Erfolg führen wollen. Durch die Historie der Verordnung, die wir heute in diesen Abendstunden hier verhandeln, wird aber gezeigt, wie schwer sich einige in diesem Hause mit dem Klimaschutz tun, wenn es konkret wird. ({0}) Der Bayerische Bauernverband hat erklärt - Frau Präsidentin, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -: Die vorgeschlagenen Emissionsgrenzwerte des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit werden kategorisch abgelehnt. ({1}) Damals war das Bundesministerium unter der Führung von Sigmar Gabriel gemeint. Die CSU hat aus falsch verstandenem Lobbyismus über Monate hinweg das Inkrafttreten dieser Verordnung blockiert. Das Wirtschaftsministerium und das Landwirtschaftsministerium unter Ihrer Führung haben verhindert, dass eine vernünftige Verordnung schon sehr frühzeitig hätte in Kraft treten können. ({2}) Selbst als Industrieverbände und Wirtschaftsvertreter darauf hingewiesen haben, dass Planungssicherheit für Investitionen, für die Betriebe und für die Produkte notwendig sind und dass Unsicherheit für die Wirtschaft schädlich ist, ist das Wirtschaftsministerium am Ende interessanterweise nur der CSU gefolgt. Es hat sich nur dem unterworfen, was in diesem Falle von Ihnen parteipolitisch gewünscht war, und es hat sich eben nicht den Interessen der Verbraucher, nicht dem Schutz der Gesundheit durch den Schutz vor Feinstaub und schon gar nicht den Klimaschutzzielen untergeordnet. ({3}) - Ich sage Ihnen, was herausgekommen ist: Es ist eine Verordnung herausgekommen, bei der wir uns durchaus auch weitergehende Regelungen hätten vorstellen können, und Sie wissen, dass der ursprüngliche Entwurf dies auch vorsah. Dies betrifft zum Beispiel die Grenzwerte, die man durchaus höher hätte setzen können, ({4}) und dies betrifft auch die langen und zum Teil überlangen Übergangsfristen für die Sanierung oder Stilllegung vorhandener Anlagen. ({5}) Wir werden dieser Verordnung zustimmen, weil wir in dieser Sache verhandelt haben und wissen, dass man bei Kompromissen, die man schließt, zuweilen auch mit kleinen Erfolgen zufrieden sein muss. Der Erfolg, der mit dieser Verordnung erreicht wird, ist zumindest, dass über 4,5 Millionen Anlagen nachgerüstet oder eben stillgelegt bzw. ersetzt werden müssen. Das ist ein wichtiger Schritt hin zur Reduzierung von Feinstaub; denn dadurch werden die Emissionen begrenzt. Damit ist dies ein Beitrag, aber eben nur ein Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele. Ich will, dass wir uns in diesem Hause dessen bewusst sind, dass dieser Schritt, den wir jetzt machen, aufgrund der technischen Gegebenheiten nur der erste Schritt sein kann. Man hätte heute schon weiter gehen müssen. Wenn wir diese Novelle heute verabschieden, dann muss uns klar sein, dass die nächste Novellierung mit Sicherheit schneller erfolgen muss als diese, weil die Entwicklung der Technik in großen Schritten voranschreitet. Dies muss sich auch in unserer Gesetzgebung und in unserer Verordnungsgebung widerspiegeln. Ich wünsche mir, dass die Anforderungen, die wir heute Vormittag in allgemeiner Form von allen Seiten gehört haben und die von allen Seiten beschworen wurden, in Zukunft auch dann ernst genommen werden, wenn es konkret wird, und dass auch die CSU lernt, dass es nicht darum geht, hier in Deutschland und im Deutschen Bundestag nur die Lobby für einige Holzproduzenten in Bayern zu sein, sondern dass es darum geht, dass wir die Klimalobby in diesem Hause sind. Das ist auch die Aufgabe derer, die für solche Umweltverordnungen Verantwortung tragen. Ich wünsche mir, dass wir in diesem Sinne mehr Gesamtverantwortung zeigen. Vielleicht gelingt das jetzt nach dem Wahlkampf. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte nicht gedacht, dass diese Debatte an diesem späten Abend noch Emotionen erregt. Wir besprechen eine Verordnung, die das Parlament schon einmal passiert hat. Es geht eigentlich nur noch um kleine Änderungen durch den Bundesrat. Frau Vogt, angesichts dessen, was Sie gerade abgeliefert haben, habe ich mir die Frage gestellt, ob Sie diese Verordnung jemals gelesen haben. Liebe Frau Vogt, in dieser Verordnung geht es nicht um Klimaschutz, sondern es geht um Luftreinhaltung. ({0}) Auf den ersten beiden Seiten werden Grenzwerte für Staub und Kohlenmonoxid festgelegt, aber nicht für Kohlendioxid. Naturwissenschaftlich gesehen ist das etwas anders. Auch wenn es schon spät ist, sollten wir uns die Konzentration erhalten und nicht von Klimaschutz, sondern von Luftreinhaltung sprechen; denn darum geht es. ({1}) Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Wir sind sozusagen von Umweltzonen umzingelt. Wenn wir über Luftreinhaltung und Feinstaubbekämpfung reden, dann fällt allen immer zuerst der Verkehr ein und dass wir Umweltzonen einrichten müssen. Das mag an der einen Stelle gut und richtig sein, an der anderen möglicherweise aber nicht. Klar ist aber, dass der Beitrag der Kleinfeuerungsanlagen zur Feinstaubbelastung mindestens so groß ist wie der Beitrag des Verkehrs. Nach der Projektion der Europäischen Kommission wird der Anteil der Feuerungsanlagen an der Feinstaubbelastung in den nächsten Jahren sogar deutlich größer sein als der Anteil des Verkehrs an der Feinstaubbelastung. Wenn wir Umweltschutzpolitik nicht nur als reine Symbolpolitik betreiben wollen, wenn wir nicht nur alles beim Verkehr abladen wollen, dann ist es notwendig, die Grenzwerte für Kleinfeuerungsanlagen zu verschärfen. Ich bitte jeden um Verständnis, der solch eine Anlage zu Hause betreibt. ({2}) Meine Damen und Herren, als wir noch in der Opposition waren, haben wir die Frage gestellt, weshalb keine Anhörung zu dieser Verordnung stattgefunden hat. Wir hätten gern mehr über die Grenzwertsituation von Experten erfahren. Das war nicht mehr möglich. Deshalb finde ich es wichtig und richtig, dass der Bundesrat darauf hinweist, dass die Staubgrenzwerte, die für die Zeit ab 2050 avisiert werden, so ambitioniert sind, dass sie mit heutiger Technik nicht zu erreichen sind, sondern weitere technische Entwicklungen notwendig sind. Spätestens im Jahr 2014 muss überprüft werden, ob dies praxistauglich ist, auch mit Blick auf die Anforderungen an die Nutzung von biogenen Brennstoffen. Es steht auf der Agenda der neuen Koalition, am Ende der Legislaturperiode noch einmal auf die Praxistauglichkeit dieser Grenzwerte zu schauen. Das werden wir auch tun. ({3}) Was wir bei der Verabschiedung dieser Verordnung erlebt haben, ist übrigens eine Never Ending Story gewesen. Das war ein Hin und Her zwischen Rot und Schwarz. Insbesondere Bayern spielte dabei eine bestimmte Rolle. Nun liegt aber eine gute Verordnung auf dem Tisch, die der Bundestag verabschieden kann. Es ist gut für die Bürgerinnen und Bürger, dass mit dieser Verordnung beispielsweise die Prüfintervalle der Schornsteinfeger verlängert werden, sodass ein Bürokratie- und ein Kostenabbau im Interesse der Bürgerinnen und Bürger stattfinden. Ich habe noch zwei Minuten Redezeit. Diese Zeit werde ich nicht ausschöpfen. Vielmehr hoffe ich, dass wir die Debatte in kürzerer Zeit als ursprünglich geplant führen können. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Ralph Lenkert das Wort. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Staubbelastungen in den Städten steigen, und die Zahl der Atemwegserkrankungen und Hautallergien nimmt zu. Die Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes regelt erstmals die zulässigen Abgas- und Feinstaubwerte für Öfen, Kamine und Raumheizungen auf Verbrennungsbasis. Wir begrüßen, dass nun auch Heizgeräte und kleine Heizanlagen zur Reduzierung der Umweltbelastungen herangezogen werden. Die vorgesehenen Übergangszeiten bewirken, dass in ländlichen Gebieten und insbesondere in Gebieten mit niedrigem Einkommen und hoher Arbeitslosigkeit die notwendigen Modernisierungen der Anlagen ohne soziale Härten durchgeführt werden können. ({0}) Die Regierungskoalition leistet mit dieser Verordnung einen Beitrag zum sozial verträglichen Umweltschutz. So weit, so gut. Aber solche konstruktiven Ansätze werden von Fehlern und Tatenlosigkeit auf anderen Gebieten überlagert. Schon jetzt gibt es Überkapazitäten bei der Müllverbrennung und der thermischen Verwertung von Reststoffen. Trotzdem werden weitere überflüssige Müllverbrennungsanlagen und Anlagen für die energetische Verwertung zugelassen und gebaut. Wer profitiert von diesem Bauwahn? Die Bürgerinnen und Bürger sicherlich nicht. Klar ist: Diese bezahlen die Fehlplanung. Viele Kommunen erhöhen erneut die Müllund Abfallgebühren. Wir Bürgerinnen und Bürger, das Handwerk und die produzierende Industrie müssen den ineffektiven Betrieb nicht ausgelasteter Anlagen, den Aufbau von Überkapazitäten sowie den notwendigen Zukauf von Brennstoff bezahlen. Das ist ökonomischer und ökologischer Schwachsinn. ({1}) Damit neue Müllverbrennungsanlagen mehr Strom produzieren, hat man einfach an der Filtertechnik gespart. Deshalb stoßen sie jetzt die vierfache Menge an Schadstoffen aus. Die Grenzwerte werden zwar gerade noch so eingehalten, aber die älteren Anlagen haben deutlich weniger Feinstaub und Umweltgifte ausgeblasen. Hier setzt man für ein paar Kilowatt und ein paar Euro die Gesundheit Tausender Kinder, Frauen und Männer aufs Spiel. Hier muss die Regierung im Interesse der Gesundheit die Grenzwerte für Schadstoffe und Feinstaub deutlich reduzieren. ({2}) Damit die Verbrennungsanlagen laufen können, importiert Deutschland inzwischen Müll aus ganz Europa. Trotzdem läuft zum Beispiel die Anlage in Suhl in Thüringen nur mit 50 Prozent Auslastung. Wir Bürger müssen für die ressourcenvernichtende Müllverbrennung, für die zusätzlichen Müllmengen aus Europa und für eine höhere Schadstoffbelastung in der Umgebung der Verbrennungsanlagen bezahlen. Wer profitiert davon? Planungs- und Baufirmen, aber auch die privaten Betreiber der Anlagen; denn deren Profite sind vertraglich abgesichert. Das nenne ich einen Skandal. ({3}) Deshalb werden wir wie in Suhl jede Bürgerinitiative und jeden Widerstand gegen weitere Müllverbrennungsanlagen und ähnliche Anlagen unterstützen. ({4}) Wenn die Regierung die Fehlentwicklung bei Müllund Reststoffverbrennungsanlagen mit einer vernünftigen Lösung wie der Bundes-Immissionsschutzverordnung beenden will, wird die Fraktion Die Linke ihr gern helfen. Daher stimmen wir heute der Novellierung der 1. Bundes-Immissionsschutzverordnung als einem Schritt in die richtige Richtung zu. Danke. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Lenkert, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen herzlich. Alles Gute!“ ({0}) Nun hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dorothea Steiner das Wort.

Dorothea Steiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004166, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie haben es jetzt von fast allen Vorrednerinnen und Vorrednern gehört: Die vorliegende Verordnung der Bundesregierung soll die Menschen vor Belastung und Gefährdung der Gesundheit durch Feinstäube und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe - kurz PAK aus Kleinfeuerungsanlagen schützen. Das hat mit Müllverbrennung und Klimaschutz weniger zu tun. Darin gebe ich Herrn Kauch tatsächlich Recht. ({0}) Die Novelle zur 1. BImSchV aus dem Jahr 1988 war längst überfällig. In den Verdichtungsräumen der Städte tragen häusliche Heizungen sogar zu einer höheren Feinstaubbelastung der Luft bei als der Autoverkehr. Die Kommunen warten seit Jahren auf eine ambitionierte Novellierung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, die aber nicht kommt. Denn sie brauchen ein Instrumentarium, das ihnen die Möglichkeit bietet, umwelt- und gesundheitsschädliche Emissionen wirksam zu reduzieren. Sonst können viele Städte in Zukunft zulasten der Bür716 gerinnen und Bürger die EU-Feinstaubgrenzwerte in der Luft nicht mehr einhalten. ({1}) Jetzt kommt die Verordnung zum BImSchG endlich, nachdem sie unsinnig lange in der Bundesumlaufbahn gekreist ist. Sie ist zudem mit derartigen Mängeln behaftet, dass ihre Wirksamkeit infrage gestellt ist. Die zahlreichen Ausnahmen durchlöchern die Verordnung so weit, dass ihre Wirkung schwindet. Kontrollen zur Einhaltung werden erschwert. Stellen Sie sich einmal den Schornsteinfeger vor, der immer den dicken Ausnahmekatalog unter dem Arm haben muss, wenn er oder sie Kleinfeuerungsanlagen überprüft! Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele. Ausgenommen sind offene Kamine und Feuerstellen, Badeöfen, handwerklich gesetzte Kachelöfen sowie „historische“ Holzheizungen. „Historisch“ bedeutet, dass die Anlage vor dem 1. Januar 1950 in Betrieb genommen wurde. ({2}) - Das wäre vielleicht etwas. - Dazu muss man sagen: Strengere Grenzwerte dürfen nicht nur für neue, sondern müssen gerade auch für alte Anlagen gelten. Die vorgesehenen Grenzwerte sind zudem zu hoch. Moderne Feuerungsanlagen weisen nur noch ein Drittel des von Ihnen festgelegten Wertes von 75 Milligramm pro Kubikmeter auf. ({3}) So bekommen Sie den gewünschten Technologieschub bei Neuöfen und den Austausch alter Staubschleudern oder schrottreifer Billigöfen durch die vorliegende Verordnung höchstens unzureichend oder gar nicht hin. Ein wesentlicher Faktor dabei sind die unerklärlich langen Übergangsfristen; sie reichen bis 2025. ({4}) Das ist doch, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen sowie von der Linken und der SPD - ich beziehe Sie ebenfalls ein, weil Sie zustimmen wollen -, unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes völlig kontraproduktiv. Es gibt Kommunen, die nun überlegen, wie sie über diese löcherige Regelung hinausgehen können. Beispiel Aachen. Dort wird geschaut, wie man durch eine kommunale Satzung das noch hinbekommen kann, was die Novellierung nicht bringt. Man wollte in Aachen keine Umweltzone für Autos einrichten und hat sich entschieden, den ÖPNV zu fördern und gleichzeitig den Austausch alter Öfen zu forcieren, weil das eine höhere Minderung von Feinstäuben und PAKs verspricht. Nun sitzt die Stadt da und überlegt, wie sie wenigstens die Übergangsfristen durch eine kommunale Satzung verkürzen kann. So geht es vielen Kommunen. In Kenntnis der konkreten Probleme wollen die Städte mehr machen. Aber der Bund bremst sie mit seiner Gesetzgebung aus. Wir, die Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion, haben einen Entschließungsantrag zur Korrektur dieses Bremserverhaltens bereits im Juli sowie noch einmal vorgestern im Umweltausschuss eingebracht. Er wurde eigenartigerweise von allen anderen Fraktionen im Umweltausschuss abgeschmettert. Ich kann Ihnen nur sagen, werte Kollegen von der Linken, der SPD, der CDU/CSU und der FDP: Wem Ausnahmen wichtiger sind als der Schutz der Menschen vor Feinstäuben und giftigen Aromaten, der hat den Zusammenhang von Umwelt und Gesundheit noch nicht wirklich erkannt. Wir als Grüne jedenfalls werden diese Parodie auf den Immissionsschutz nicht hinnehmen und lehnen daher die Verordnung ab. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Auch für Sie, Frau Kollegin Steiner, war das die erste Rede in diesem Haus. Herzlichen Glückwunsch. Ich wünsche Ihnen für Ihre Arbeit alles Gute. ({0}) Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Josef Göppel für die CDU/CSU-Fraktion.

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine verehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Hier kann man mit Fug und Recht sagen: Was lange währt, wird endlich gut. ({0}) Diese Verordnung ist wirklich gut. Sie ist im Übrigen ein Kind der Großen Koalition; das wollen wir nicht vergessen. Die Tatsache, dass sie heute noch einmal zur Abstimmung steht, ist zwei kleinen Anmerkungen der Europäischen Kommission geschuldet. Natürlich kann man sagen: Da wurde viel Rücksicht genommen. - Da die CSU, wie Sie wissen, näher am Menschen ist, ({1}) waren uns die 30 Millionen Menschen, die solche Einzelraumfeuerungen besitzen, natürlich sehr nahe. Ich denke, wir haben jetzt wirklich einen guten Kompromiss gefunden. Es gibt scharfe Grenzwerte für neue Öfen. Frau Kollegin Steiner, Sie haben in Ihrer ersten Rede hier gesagt, dass die Stadt Aachen ein eigenes Förderprogramm auflegt. Ich empfehle Ihnen einen Blick in das Marktanreizprogramm des Bundesumweltministeriums. ({2}) Dort werden Sie nämlich finden, dass ein neuer Scheitholzvergaserkessel mit 1 125 Euro und ein neuer Pelletskessel mit sage und schreibe 2 000 Euro gefördert werden. Das ist die aktuelle Förderung für Bürger, die sich eine moderne Holzheizung anschaffen wollen. ({3}) - In dem Fall geht es um Zukunft für Holz, Herr Kollege Kelber, und Holz hat als Heizmaterial eine große Zukunft. - Es haben sich damals einige gefragt, ob das UmJosef Göppel weltministerium den Verordnungsentwurf aus Jux und Tollerei vorgelegt hat. Dazu muss man nun doch sagen, dass es eine große Zahl von Beschwerden von Leuten gab, denen es aus dem Kamin des Nachbarn zu sehr gequalmt hat. Da geht es in der Tat um das unmittelbare Wohnumfeld, um die unmittelbare Lebensqualität. Deswegen war es richtig, für die Heizungen zwischen 15 kW und jetzt 4 kW eine solche Verordnung zu erlassen. Wir haben bewusst lange Übergangszeiten festgesetzt, bis zum Jahr - man glaubt es kaum - 2024. Wir wollten bewusst die Akzeptanz so stark erhöhen, damit die Leute auf der einen Seite aus eigenem Antrieb in Verbindung mit der Förderung des Marktanreizprogramms zu einem früheren Zeitpunkt ihre Öfen erneuern und auf der anderen Seite auch am Brennstoff Holz festhalten. Frau Kollegin Vogt, Sie haben die Holzerzeuger aus Bayern karikiert. Das sind 150 000, das sind eine Menge privater Kleinwaldbesitzer, und es muss doch auch in Ihrem Interesse sein, gerade im Schwabenland dieses Holz, das sonst nicht verwertbar ist, einer vernünftigen Verwertung zuzuführen. Die Pelletsproduktion ist tatsächlich eine technische Innovation, die uns hilft, Holz, das sonst nicht mehr verwertbar wäre, als Heizquelle zu nutzen. Holz ist natürlich ein nachwachsender Rohstoff und daher CO2-neutral. Ich freue mich sehr, dass wir große Zustimmung fast vom ganzen Hause ernten. Vielleicht überlegen sich die Grünen doch noch einmal, zuzustimmen, und geben ihrem Herzen einen Stoß; denn selten wurde ein so konkretes Gesetz zur Luftreinhaltung und zur Verbesserung der Lebensqualität für die Menschen in unserem Land bei sozialer Akzeptanz entwickelt. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Verordnung der Bundesregierung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/135, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 17/74 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der SPD und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Freitag, den 4. Dezember 2009, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen restlichen Abend und schließe die Sitzung.