Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/26/2011

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Uns wurde als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahresabrüstungsbericht 2010. Das Wort für den einleitenden Bericht, der fünf Minuten dauern soll, hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Dr. Werner Hoyer.

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Bundesregierung sind Abrüstung und Rüstungskontrolle zentrale Bestandteile deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Rüstungskontrolle kann durch ihre vertrauensbildende Funktion Spielräume für die globale Zusammenarbeit schaffen und damit entscheidend zu mehr Sicherheit und politischer Stabilität weltweit beitragen. Diesem besonderen Engagement der Bundesregierung, mithilfe von Abrüstung und Rüstungskontrolle die Welt für unsere Bürgerinnen und Bürger sicherer zu machen, verleihen wir heute dadurch Nachdruck, dass das Bundeskabinett bereits heute als einen der ersten Jahresberichte zum vergangenen Kalenderjahr den - so der formelle Titel - 28. Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale, kurz den Jahresabrüstungsbericht 2010, beschlossen hat. 2010 war ein wichtiges und erfolgreiches Jahr für Abrüstung und Rüstungskontrolle; darauf wollen wir 2011 gezielt aufbauen. Im Mai 2010 einigten sich die Vertragsstaaten des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages erstmals seit zehn Jahren auf ein Abschlussdokument, das einen vorwärtsgerichteten Aktionsplan zur Stärkung aller drei Säulen des Nichtverbreitungsvertrages, also der Abrüstung, der Nichtverbreitung und des Rechts auf friedliche Nutzung der Kernenergie, enthält. Mithilfe der sogenannten Freundesgruppe des NVV, deren zehn Außenminister sich im Frühjahr in Berlin treffen werden, wollen wir bei der Umsetzung des Aktionsplans zukünftig noch stärker eigene Akzente setzen. Die in Kürze bevorstehende Inkraftsetzung des neuen START-Vertrages durch die USA und Russland stellt entscheidende Weichen für weitere konkrete Abrüstungsschritte in den kommenden Jahren, gerade auch im Bereich der substrategischen Nuklearwaffen in Europa. Sie wissen, dass nach der mit überraschend deutlicher Mehrheit getroffenen Entscheidung des amerikanischen Senates, der gestrigen Entscheidung der Staatsduma und der heutigen Entscheidung des Föderationsrates in Moskau die Weichen gestellt sind: Dem Inkrafttreten dieses wichtigen Abrüstungsvertrages bereits in den nächsten Tagen steht nichts mehr im Weg. Das ist ein großer Erfolg für die gesamte Welt. Im Jahr 2010 konnten Abrüstung und Rüstungskontrolle erstmals als zentrale Bestandteile im neuen Strategischen Konzept der NATO verabschiedet werden. Die im neuen Strategischen Konzept verankerte Verpflichtung, die Bedingungen für eine Welt frei von Nuklearwaffen zu schaffen, war für uns ein wichtiger, für die Zukunft signalesetzender Verhandlungserfolg. Das internationale Nichtverbreitungsregime steht weiterhin vor großen Herausforderungen, insbesondere bei den bekannten Themen Iran und Nordkorea. Die Bundesregierung engagiert sich mit ihren Partnern im E3+3-Format für eine diplomatische Lösung beim iranischen Nukleardossier. Um Iran zu Verhandlungen zu bewegen, hat die Bundesregierung 2010 die Verschärfung der UN-Sanktionen durch die Resolution 1929 des UNSicherheitsrates sowie deren deutlich erweiterte Umsetzung im EU-Rahmen unterstützt. Auf diese Weise haben wir Druck auf den Iran aufgebaut, der die Gesprächsrunde, die jetzt in Istanbul stattgefunden hat, erst ermöglicht hat. Ein besonderes Anliegen der Bundesregierung war 2010, endlich die Krise um den KSE-Vertrag, den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa, zu überwinden und das positive Momentum aus dem nuklearen Bereich auf den konventionellen Bereich zu übertragen. Redetext Mitte 2010 haben die NATO-Mitgliedstaaten eine neue Initiative vorgeschlagen, die konkrete Verhandlungen ermöglichen soll. Russland und die anderen der NATO nicht angehörenden KSE-Staaten haben das Gesprächsangebot prinzipiell positiv aufgenommen. Unser Ziel bleibt damit, 2011 den Einstieg in konkrete Verhandlungen zu schaffen. Es gilt, die europäische Rüstungskontrollarchitektur zu erhalten und sie gleichzeitig an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Der Kalte Krieg ist glücklicherweise Geschichte, aber Europa ist auch heute nicht frei von Bedrohungsperzeption und der Gefahr regionaler und lokaler Konflikte. Dafür brauchen wir die passenden Instrumente, um Berechenbarkeit und Vertrauen zu stärken. Unsere Zukunftsperspektive für die kommenden Jahre ist, das vorhandene Momentum im Nuklearbereich weltweit zur Stärkung der konventionellen Rüstungskontrolle zu nutzen, zumal beide Themen zwei Seiten derselben Medaille sind. Nukleare Abrüstung wird nur durch Begrenzung konventioneller Ungleichgewichte vorankommen. Konventionelle Aufrüstung darf niemals Ersatz für reduzierte nukleare Potenziale werden. Das Argument, dass der Abschied von Nuklearwaffen die Führbarkeit konventioneller Kriege erhöhen könnte, muss ausgeräumt werden. Für die Bundesregierung hat die weltweite Friedenssicherung durch Stärkung des humanitären Völkerrechts und der humanitären Rüstungskontrolle sowie mithilfe effektiver Rüstungsexportkontrolle übergreifende politische Bedeutung. Die Bundesregierung engagiert sich deshalb nachhaltig für die Umsetzung und Universalisierung des Abkommens zum Verbot von Landminen und Streumunition. Sie unterstützt darüber hinaus gezielt Bemühungen zur Schaffung eines umfassenden Waffenhandelsvertrags für konventionelle Rüstungsgüter im VNRahmen, um endlich weltweit die notwendigen, rechtlich bindenden Standards zu setzen. Bei der Kontrolle von Kleinwaffen als einem wesentlichen Element deutscher Bemühungen um Krisenprävention und Friedenskonsolidierung hat die Bundesregierung 2010 wichtige Akzente setzen können. Im Jahresabrüstungsbericht wird im Detail berichtet, dass Kleinwaffen mehr Opfer als andere Waffengattungen verursachen. Sie verschärfen Konflikte, destabilisieren Gesellschaften und hemmen Entwicklungen. Deswegen bleiben wir besonders engagiert, gerade auch im Hinblick auf unsere Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat. Die Stärkung der konventionellen und nuklearen Rüstungskontrolle ist das Essential der gemeinsamen europäischen Agenda für Vertrauensbildung, in die wir zukünftig unsere Nachbarn im Nahen Osten, Verzeihung, im Osten, im Süden und im Nahen Osten noch stärker einbinden wollen. An der erfolgreichen Umsetzung dieser großen Agenda für nachhaltige weltweite Abrüstung und Rüstungskontrolle gemeinsam zu arbeiten, dazu lade ich Sie herzlich ein. Wenn mir eben der Lapsus unterlaufen ist, dass ich den Osten mit dem Nahen Osten verwechselt habe, dann hat das durchaus einen konkreten Sinn. Ich glaube, dass die Verpflichtung aus der Vereinbarung aus dem letzten Jahr in New York zum Nichtverbreitungsvertrag die Dimension des Themas Naher Osten als besonders schwieriges und auch besonders dringendes Thema einschließt. Auch in diesem Bereich wollen wir uns engagieren. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die erste Frage kommt vom Kollegen Mützenich.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank an die Bundesregierung und insbesondere an den Staatsminister, aber auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für diesen Bericht, der jährlich eine wichtige Diskussionsgrundlage für das Parlament bietet. Herr Staatsminister, ich möchte gerne kurz auf die genannten Aspekte eingehen. Ich glaube, wir müssen aufpassen; denn bei der Abrüstung und bei der Rüstungskontrolle haben wir eine Art Doppelbefund. Wir von der Sozialdemokratischen Partei sind dankbar, dass vieles vorangekommen ist, insbesondere der START-Vertrag. Ich möchte die Bundesregierung fragen, ob sie nicht mit mir der Meinung ist, dass wir alles dafür tun müssen, dass aus solchen Rüstungskontrollabkommen nicht gleichzeitig Wiederaufrüstungsprozesse entstehen. Der amerikanische Senat hat sich erst davon überzeugen lassen, diesem Vertrag zuzustimmen, nachdem 82 Milliarden US-Dollar in die Modernisierung von Atomwaffen gesteckt worden sind. Das Gleiche hat gestern die Duma zur Voraussetzung gemacht. Täte die Bundesregierung nicht gut daran, dem zu folgen? In diesem Zusammenhang wäre ich auch dankbar, wenn Sie darauf eingehen würden, ob nicht möglicherweise auch die Raketenabwehr, über die nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa diskutiert wird, ein Feld für Abrüstung und Rüstungskontrolle sein könnte, weil sich daraus offensichtlich wieder neue Aufrüstungsprozesse ergeben. Zu Ihrer Bemerkung zum Bereich des KSE-Vertrags. Meine Fraktion hat mehrmals angeboten, dieses Zusatzarrangement zu ratifizieren. Kann ich Ihre Aussage so bewerten, dass Sie möglicherweise auf eine ganz neue Agenda von konventioneller Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa setzen? Will sich die Bundesregierung diesem Prozess insoweit stellen, als dass sie ihn als verantwortlicher Akteur in Europa voranbringt? Die letzte Frage in diesem Zusammenhang - mit Erlaubnis der Präsidentin -: Wie werden Sie in Zukunft mit der Rolle und dem Status Indiens in der Nuclear Suppliers Group umgehen? Vielen Dank.

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Vielen Dank, Herr Kollege Mützenich. - Das sind vier sehr wichtige Fragen. Der erste Punkt betrifft eine Grundsatzfrage. Löst Rüstungskontrolle eine GegenbeStaatsminister Dr. Werner Hoyer wegung aus, die dazu führt, dass wir am Ende wieder eine Spirale nach oben sehen? Das liegt natürlich in niemandes Interesse, zumindest nicht in unserem. Deswegen müssen wir versuchen, dem entgegenzuwirken. Im Hinblick auf die Ratifizierung des New-STARTAbkommens im amerikanischen Senat war dieser Punkt ganz entscheidend. Präsident Obama hat eine, wie ich finde, in Deutschland und Europa völlig unterschätzte Grundsatzentscheidung getroffen und zieht sie konsequent durch: keine Entwicklung neuer Nuklearwaffen. Das ist für den amerikanischen Senat eine sensationelle Festlegung. Unter diesen Umständen 71 Abgeordnete des Senats dazu zu bewegen, dem New-START-Vertrag zuzustimmen, ist eine bemerkenswerte Leistung. Dafür hat er einen Preis gezahlt. Das betrifft wesentliche Fragen der Innenpolitik, der Haushalts- und Finanzpolitik, der Sozialpolitik, aber auch die Frage der Modernisierung des Arsenals. Das ist etwas, das uns sicherlich nicht so sehr gefällt, das wir aber als Preis zur Kenntnis nehmen müssen. Es wäre ein verheerendes Signal gewesen, wenn dieses erste große Rüstungsbegrenzungsabkommen des Jahrzehnts nicht die notwendige Mehrheit im Senat bekommen hätte. Glücklich über den Gesamtkontext muss man deswegen nicht sein, wenn man einen solchen Preis zahlen muss. Der zweite Punkt ist die Raketenabwehr. Die Raketenabwehr sehen wir im engen Zusammenhang mit der nuklearen Abrüstung und mit Fragen von Abrüstung und Rüstungskontrolle insgesamt. In der Nuclear Posture Review der Vereinigten Staaten heißt es: „the reduced salience of nuclear weapons“. Wir haben im Hinblick auf das strategische Konzept der NATO gesagt, dass dies ein ganz entscheidender Punkt sein kann, wenn es gleichzeitig gelingt, Sorgen zu zerstreuen, indem wir gemeinsam in der NATO, verbunden mit einem Angebot an Russland, aktiv daran mitzuwirken, eine Raketenabwehr aufbauen. Es wird jetzt entscheidend auf die Ausgestaltung des Systems der Raketenabwehr ankommen. Wir sollten uns nach allen Kräften darum bemühen, das auf eine möglichst breite Basis zu stellen, um den Effekt, den Sie beschrieben haben, zu verhindern. So manche Rhetorik auch im Zusammenhang mit dem Ratifizierungsverfahren - gestern in der Duma und heute im Föderationsrat lässt da ein paar Alarmglocken läuten. Wir müssen das genau beobachten. Dritter Punkt ist die AKSE-Ratifizierung. Wir müssen da gemeinsam mit unseren Partnern vorgehen; das ist die oberste Maxime. Wenn es kreative Möglichkeiten gibt, die Stolpersteine auf dem Weg hin zur Inkraftsetzung neuer konventioneller Rüstungskontrollregime beiseitezuräumen, dann soll uns das recht sein. Es ist aus deutscher Sicht sowie aus Sicht der Europäischen Union und der NATO ein ganz entscheidender Punkt, dass insbesondere im Hinblick auf Transparenz wieder Fortschritte in diesem Bereich erzielt werden; denn da ist uns in der letzten Zeit natürlich einiges an vertrauensbildenden Maßnahmen abhanden gekommen, die wir dringend wieder brauchen. Ob sich das letztendlich in einer Weiterentwicklung der Ergebnisse von Istanbul niederschlagen kann, vermag ich nicht zu beurteilen; denn die Georgienfrage scheint im Moment - ich benenne das klar unlösbar zu sein. Ob man andere kreative Wege findet und auch tatsächlich beschreitet, will ich gegenwärtig nicht vorhersagen. Vierter Punkt. Indien ist ein ganz besonders schwieriges Thema, mit dem wir uns schon befasst haben, als die letzte Bundesregierung sich entschieden hat, dem amerikanisch-indischen Nuklearabkommen ihren Segen zu geben. Das war für die Bundesregierung damals sicherlich eine außerordentlich schwierige Entscheidung, über die wir hier im Deutschen Bundestag sehr kontrovers diskutiert haben. Das hat manchem damals sehr wehgetan, und zwar unabhängig davon, ob er in der Opposition oder der Regierung gewesen ist. Die Entscheidung, wie man sich zu Indien und der Nuclear Suppliers Group eines Tages verhalten wird, ist sehr schwierig und gegenwärtig Gott sei Dank noch nicht zu treffen; denn es ist klar, dass es da einen Widerspruch gibt. Auf der einen Seite haben wir natürlich überhaupt kein Interesse an einer Schwächung des NVV. Auf der anderen Seite hat die Idee, Indien stärker in die Regularie des NVV einzubeziehen, natürlich ihren Reiz; denn wenn das gelingen würde, dann wäre das ein Fortschritt. Gegenwärtig sehe ich das aber noch nicht, zumindest bei weitem nicht in dem Maße, in dem das nach meiner Auffassung erforderlich wäre. Deswegen ist es gut, dass wir uns gegenwärtig noch nicht festlegen müssen. Die Aufgabe, diese Argumente abzuwägen, bleibt auf dem Tisch. Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage kommt vom Kollegen Schnurr.

Christoph Schnurr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004147, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, Sie haben sehr ausführlich über die Ratifizierung des New-START-Abkommens und die Bedeutung dieses Abkommens für das Erreichen des Ziels einer atomwaffenfreien Welt gesprochen. Mich interessiert, wie die Bundesregierung die Einbeziehung von substrategischen Atomwaffen in den weiteren Abrüstungsprozess perspektivisch bewertet.

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Positiv, weil nach dem großen Erfolg des NewSTART-Abkommens insbesondere bei den amerikanischen Freunden eine große Entschlossenheit festzustellen ist, wenn es darum geht, auf dem Weg der nuklearen Abrüstung voranzugehen, dafür einen sehr rationalen Ansatz zu wählen und dabei die Sinnhaftigkeit bestimmter Waffensysteme in den Vordergrund zu rücken. Die Argumente, die Deutschland in diesem Zusammenhang seit längerer Zeit vorbringt, finden durchaus Gehör. Allerdings ist auch ganz klar - das war für alle, die in der Bundesregierung Verantwortung tragen oder getragen haben, von vornherein klar -: Das ist ein Thema, über das wir auf jeden Fall mit unseren Partnern im Rahmen des Nordatlantischen Bündnisses diskutieren wollen, und zwar mit einem wachen Blick auf das, was sich in Russland tut, das über enorme Potenziale substrategischer Atomwaffen verfügt. Darüber hinaus müssen wir den Zusammenhang zwischen den deutschen Interessen und den Interessen einzelner Mitgliedstaaten des Nordatlantischen Bündnisses sehen. Diese Bedingungen müssen berücksichtigt werden. Innerhalb der NATO sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg, wenn es darum geht, die substrategischen Atomwaffen einzubeziehen. Bei den Beratungen über das neue Strategische Konzept der NATO ist es gelungen, die Dimension der substrategischen Nuklearwaffen, die bisher überhaupt keiner Regulierung unterliegen, zu berücksichtigen. Wir wissen genau, dass das ein langer Weg ist, aber im Jahr 2010 sind die ersten Schritte gemacht worden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr van Aken, bitte.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Hoyer, ich möchte erst einmal betonen, dass wir uns alle darüber einig sind, dass 2010 aufgrund des Nichtverbreitungsvertrages und des START-Vertrages eigentlich ein gutes Jahr war. Ich würde aber auch sagen, dass es aus deutscher Sicht eher ein schlechtes Jahr für die atomare Abrüstung war. In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie explizit das Ziel formuliert, dass die ungefähr 20 in Deutschland verbliebenen US-Atomwaffen abgezogen werden. Damit sind Sie komplett gescheitert. Wenn ich Ihre Worte richtig verstanden haben, gehen Sie davon aus - das ist die Perspektive -, dass das noch mehrere Dutzend Jahre dauern wird. Das ist nicht vielversprechend. Das ist sogar eine negative Bilanz. In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen eine Frage zu Indien leider nicht ersparen. Sie wissen, dass China und Pakistan sozusagen im Copy-and-Paste-Verfahren einen ähnlichen Nukleardeal schließen wollen wie die USA und Indien im letzten Jahr. Daran sieht man, dass all die Bedenken, die in der letzten Legislaturperiode hier geäußert wurden, richtig sind: Indem man die Schleusen einmal öffnet und einem erklärten Atomwaffenstaat wie Indien, das den Nichtverbreitungsvertrag nicht unterzeichnet hat, Atomtechnologie zur Verfügung stellt, unterminiert man den ganzen Nichtverbreitungsvertrag. Jetzt hören wir von dem deutschen Botschafter in Indien, Herrn Matussek: Wir werden trotzdem Indien darin unterstützen, der Nuclear Suppliers Group beizutreten. - Das geht nach den Regeln der NSG überhaupt nicht. Damit torpedieren und unterminieren Sie natürlich den Nichtverbreitungsvertrag. Sie haben die Kleinwaffen erwähnt. Sie haben gesagt, dass Sie - so haben Sie das genannt - bei der Kontrolle von Kleinwaffen wichtige Akzente gesetzt haben. Dem würde ich zustimmen, aber, so glaube ich, in einem ganz anderen Sinn. Sie haben vor einigen Wochen den Rüstungsexportbericht vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass Deutschland auch im letzten Jahr für mehrere Dutzend Millionen Euro Kleinwaffen in alle Welt geliefert hat. Damit haben Sie den Akzent auf die Verbreitung von Kleinwaffen in der Welt gelegt. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen können, dass Sie den Akzent auf die Kontrolle von Kleinwaffen gelegt haben. Das große deutsche Unternehmen Heckler & Koch, das Kleinwaffen in alle Welt exportiert, gilt mittlerweile nicht mehr als zuverlässig. Sie selbst haben entschieden, dass Heckler & Koch zumindest in ein Land, Mexiko, nichts mehr exportieren darf. Wann gehen Sie endlich den richtigen Schritt und sagen: Ein Unternehmen, dessen Räume von der Staatsanwaltschaft durchsucht werden, darf nicht weiter Kleinwaffen - die 30 bis 50 Jahre lang in der ganzen Welt zu Millionen Toten führen können - exportieren? Das ist meine Frage. Wenn Sie wirklich Akzente setzen wollen, dann doch hier in Deutschland.

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Vielen Dank. - Die Bewertung der Bilanz, negativ oder positiv, sehe ich natürlich diametral anders als Sie. Aber ich muss respektieren, dass Sie eine andere Meinung dazu haben. Ich denke, wir haben an manchen Stellen Fortschritte erzielt, die noch vor wenigen Jahren nicht möglich gewesen wären. Das gilt nicht nur für die globale Ebene, auf der die Überprüfungskonferenz zum NVV nach zehn Jahren Stillstand endlich einmal ein Erfolg gewesen ist, sondern das gilt auch für das, was bei uns möglich ist. Ich habe im Übrigen keineswegs gesagt, dass ich das Thema der substrategischen Nuklearwaffen in Deutschland auf die lange Bank schieben möchte. Im Gegenteil: Wir werden bei diesem Thema ganz beharrlich weitermachen. Wir haben allerdings immer gesagt: Wir verhandeln es im Bündnis, und zwar auch im Rahmen der Beratungen zum - mittlerweile geht es schon um dessen Umsetzung - Strategischen Konzept der NATO. So werden wir dieses Thema weiter angehen. Ich glaube, dass es sehr schnell gehen wird; aber das werden wir sehen. Im Übrigen, wenn Sie schon an Wahlversprechungen oder Ideen, die im Wahlkampf geäußert worden sind, erinnern, muss ich Ihnen sagen: Glauben Sie bloß nicht, wir wären schon am Ende. Geben Sie uns durchaus die Zeit, die uns zusteht, um in dieser Koalition Fortschritte zu erzielen. Die Frage zu China und Pakistan ist für mich gegenwärtig sehr hypothetisch. Ich persönlich habe eine Meinung zum amerikanisch-indischen Nukleardeal. Hier im Hause waren wir darüber unterschiedlicher Meinung, aber es gab auch sehr viele Gemeinsamkeiten in dieser Frage. Die Situation ist jetzt so, wie sie ist. Der amerikanisch-indische Deal ist abgeschlossen worden. Er ist von der Nuclear Suppliers Group abgesegnet worden. Jetzt haben wir eine neue Situation. Sie ist dadurch nicht leichter geworden, aber sie ist so, wie sie ist. Irgendwelche Vorfestlegungen gibt es nicht. Im Übrigen wird die Politik der Bundesregierung nicht von einem Botschafter vor Ort definiert, sondern von der Bundesregierung hier in Berlin. Ich kenne diese angebliche Äußerung im Übrigen nicht. Letzter Punkt, Kleinwaffenexporte. Ich bin über das Ergebnis und die Bewertung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen nicht informiert. Das müsste ich gegebenenfalls gegenüber dem Ausschuss nachholen. Aber ich muss Ihnen sagen, dass man diese Dinge sehr differenziert angehen muss. Wir sind an einer globalen Lösung dieser Frage interessiert, weil es ganz offensichtlich ist, dass in völlig unvertretbarem Umfang Kleinwaffen in die falschen Hände geraten. Wenn hingegen ein deutscher Anbieter in der Lage ist, dafür zu sorgen, dass in Deutschland produzierte Kleinwaffen in die Hände von Personen und Organisationen kommen, für die der Besitz dieser Waffen legitim ist, dann ist der Verkauf dieser Waffen nach meiner Auffassung völlig in Ordnung. Unter diesem Gesichtspunkt muss man die Zahlen bewerten und darf nicht so pauschal urteilen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage stellt der Kollege Kaufmann. ({0}) - Entschuldigung, Herr Kiesewetter.

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Roderich Kiesewetter, Wahlkreis Aalen-Heidenheim, Nachfolger von Schorsch Brunnhuber.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das steht jetzt im Protokoll; das ist wunderbar. Einen Gruß an den Wahlkreis.

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich habe den Bericht natürlich mit großer Freude zur Kenntnis genommen, insbesondere, dass in die Abrüstung insgesamt wieder etwas mehr Bewegung gekommen ist. Meine Frage bezieht sich auf die Genfer Abrüstungskonferenz, die sich unter anderem mit nuklearer Abrüstung befasst. Seit zwölf Jahren, seit 1999, gibt es keine substanziellen Verhandlungsergebnisse mehr. Das Arbeitsprogramm aus dem Jahr 2009, das im Konsens verabschiedet wurde, kann aufgrund des Widerstands von Pakistan nicht umgesetzt werden. Nun handelt es sich um vier Arbeitsgebiete: nukleare Abrüstung, Verbot der Produktion von Spaltmaterial, Verhinderung des Wettrüstens im Weltraum und das Thema Sicherheitsgarantien. Der pakistanische Widerspruch richtet sich nur gegen den zweiten Punkt, das Verbot der Produktion von Spaltmaterial. Der Widerstand scheint sich also nur gegen einen sehr kleinen Bereich zu richten. Meine Fragen lauten: Erstens. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, die Genfer Konferenz wiederzubeleben? Zweitens. In welcher Weise können Sie multilateral oder auch bilateral auf Pakistan einwirken, um so für weitere Bewegung zu sorgen? Danke schön.

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Vielen Dank. - Ein Einwirken auf Pakistan - das wissen wir aus anderen Zusammenhängen - ist außerordentlich schwierig. Man darf sich da auch nicht überheben. Ich glaube, es ist bei diesem Versuch wichtig, gute und möglichst starke Verbündete zu haben. Darum bemühen wir uns. Ich denke, dass das befördert werden könnte, wenn wir die Sympathien für einen Fissile Material Cutoff Treaty auch bei unseren Freunden etwas erhöhen. Wir jedenfalls bemühen uns darum. Ich bin mir über die Abfolge möglicher politischer Entscheidungen bei den wichtigsten NATO-Ländern einigermaßen im Klaren; dies betrifft auch das größte Mitgliedsland. Ich glaube nicht, dass dies der erste Vertrag ist, der dort einen neuen Anschub bekommt. Wir müssen allerdings erst abwarten, was mit dem Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty passiert. Für uns hat die Frage der Kontrolle des spaltbaren Materials einen sehr großen Stellenwert. Das ist auch der Kern unserer Bemühungen in Genf. Insgesamt kann das, was bei der CD passiert ist, natürlich niemanden zufriedenstellen, auch uns nicht. Unsere Anstrengungen werden nicht nachlassen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage kommt von der Kollegin Keul.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatsminister, auch ich möchte mich erst einmal für die Vorstellung Ihres Berichts bedanken. Ich begrüße es, zu hören, dass sich die Bundesregierung mit Verve für Abrüstung einsetzen will. Dennoch treiben mich einige Fragen um. Meine erste Frage - sie ist schon mehrfach angesprochen worden - betrifft Indien. Sie haben bereits deutlich gemacht, in welchem Konflikt Sie sich befinden. Ich möchte daher an dieser Stelle nur mit Nachdruck betonen, dass Sie sich doch bitte dafür einsetzen mögen, die Voraussetzungen für den Beitritt Indiens zum Nichtverbreitungspakt auch auf internationalem Parkett zu unterstreichen. Zu einer weiteren Frage, die noch nicht beantwortet worden ist. Im Koalitionsvertrag ist angekündigt - der Kollege Jan van Aken hat dies, wie ich glaube, schon angedeutet -, man wolle sich für den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland einsetzen. Hier sind bislang erst wenige Erfolge zu verzeichnen. Auch bei der NPTFolgekonferenz ist es nicht gelungen, die nukleare Teilhabe Deutschlands auf internationalem Parkett zu thematisieren. Wie soll es hier weitergehen? Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung im Blick, um beim Abzug der Atomwaffen aus Deutschland und beim Thema „nukleare Teilhabe“ Fortschritte zu erzielen? Zu meiner letzten Frage in diesem Zusammenhang. Sie sagten, dass Sie sich mit Nachdruck für Abrüstung einsetzen. Wenn ich mir den Einzelplan 05 des Bundeshaushalts ansehe, frage ich mich allerdings, wie es dann eigentlich kommen konnte, dass die Mittel für den Titel „Maßnahmen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitungszusammenarbeit“ um ein Drittel, von 60 Millionen Euro auf 40 Millionen Euro, zusammengekürzt wurden. Das ist mir nicht ganz klar. Vielleicht können Sie hier für Aufklärung sorgen. - Danke.

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Die Frage der substrategischen Nuklearwaffen steht für uns natürlich weiterhin im Vordergrund; sie ist von ganz entscheidender Bedeutung. Wir haben gesagt, dass wir dieses Thema im Rahmen des Bündnisses weiter vorantreiben. Es ist uns gelungen, dies auch in die Beratungen des neuen Strategischen Konzepts der NATO einfließen zu lassen und eine Diskussion in Gang zu setzen, die mehr und mehr durch eine rein rationale Wahrnehmung der Funktion und der Glaubwürdigkeit nuklearer Waffen und insbesondere substrategischer Waffen gekennzeichnet ist. Ich glaube, der Weg, den wir beschritten haben, ist gut. Wir werden uns sowohl auf der Abrüstungskonferenz in Genf, bei der das Problem ein Stück weit darin besteht, dass immer Einvernehmen hergestellt werden muss - es müssen immer Konsensentscheidungen getroffen werden; deswegen dauert das unendlich lange -, als auch im Zusammenhang mit der Nuclear Suppliers Group und Indien sehr abwägend verhalten. Die Grundlinien sind klar. Wenn es tatsächlich gelingen würde, Indien dazu zu bewegen, den Nichtverbreitungsvertrag zu unterzeichnen oder zumindest dem Nichtverbreitungsregime beizutreten - im Hinblick auf, wie ich glaube, 18 nukleare Installationen in Indien ist das mittlerweile gelungen, aber längst noch nicht in allen Fällen -, wäre dies ein Riesenfortschritt. Dann würde man auch die eine oder andere Entscheidung in einem anderen Licht beleuchten. Was den Haushalt angeht, muss ich Ihnen sagen: Die Tatsache, dass wir die für uns wirklich prioritären konkreten Abrüstungsinitiativen mit einem Haushalt, dessen Volumen geringer ist als bisher, fördern können, ist ein großer Erfolg. Warum? Weil große Abrüstungsprojekte, die in den letzten zehn, zwanzig Jahren finanziert worden sind, abgeschlossen sind. Wir sollten uns darüber freuen, dass es mithilfe der Mittel, die der deutsche Steuerzahler in gigantischem Umfang aufgebracht hat, gelungen ist, furchtbare Waffen, insbesondere auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion, zu vernichten. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Stinner.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Staatsminister, zunächst einmal möchte ich deutlich zum Ausdruck bringen: Wir begrüßen sehr, dass diese Bundesregierung dem Thema Abrüstung seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2009 in ihrer Regierungsarbeit eine ganz herausragende Bedeutung beimisst. Ich kann Sie nur ermuntern, diese Politik konsequent und stringent weiter zu betreiben. Unter dem Gesichtspunkt der Konsequenz und der Stringenz möchte ich auf Indien eingehen. Ich möchte Ihnen, Herr Staatsminister, zur Kenntnis geben, dass meine Fraktion, die FDP, die Situation damals sehr kritisch beurteilt hat. Wir waren über den amerikanisch-indischen Deal - ich will es einmal so sagen - entsetzt und haben das sehr problematisiert. Ich glaube, dass die jetzige Bundesregierung unverdienterweise den Fluch der bösen Tat erntet; denn wir erleben, dass es einem um die Ohren gehauen wird, wenn man einmal nicht konsequent ist. Damit komme ich auf das Thema Iran. Wir haben im Iran, wie wir alle wissen, eine sehr delikate Situation. Bei meinen Gesprächen im Iran und mit Iranern hier bekomme ich das Thema des inkonsequenten Handelns ständig um die Ohren gehauen. Ich will Ihnen nur meinen Eindruck schildern. Ich finde, dass diese Fehlentscheidung der Vorgängerregierung Ihre Arbeit heute sehr deutlich erschwert.

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Vielen Dank, Herr Kollege. Ich habe die Freude, hier für die gesamte Bundesregierung zu sprechen, und bin mir dabei durchaus der überzeugenden Argumentationskette des damaligen außenpolitischen Sprechers Ihrer Fraktion bewusst. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das ging sehr schnell. - Die Kollegin Kathrin Vogler hat jetzt das Wort.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Staatsminister, ich möchte die Gelegenheit nutzen, einmal nachzuhaken. Sie haben vorhin davon gesprochen, dass es Ihnen gelungen sei, die Diskussion in den Beratungen innerhalb der NATO stärker auf die rationale Funktion von Atomwaffen zu fokussieren. Da würde mich interessieren, wo aus der Sicht der Bundesregierung die rationale Funktion der im Augenblick in Büchel stationierten Atomwaffen liegt. Sie haben ein bisschen versucht, sich und die Bundesregierung als Vorantreiber des überfälligen Abzugs dieser Atomwaffen darzustellen. In diesem Zusammenhang würde mich besonders interessieren: Wer ist eigentlich aus Ihrer Sicht in diesem Prozess der Bremser, und was tut die Bundesregierung, um die Bremsen zu lösen und dafür zu sorgen, dass diese Atomwaffen abgezogen werden?

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Über die rationale Funktion von substrategischen Nuklearwaffen habe ich kein Wort verloren. Ich habe vorhin nur gesagt, dass die Frage der nuklearen Kurzstreckenraketen heute auch im Bündnis rational diskutiert wird und dass man rational darüber diskutiert, welche Funktion und welche Glaubwürdigkeit diese Raketen haben. Ich glaube, bei der Beantwortung dieser Frage sind wir auch im Bündnis einen großen Schritt weitergekommen. Wir sehen, dass die substrategischen Nuklearwaffen bisher ein Teil des Verteidigungsdispositivs der NATO sind. Das hat eine Bedeutung für Regionen, die von Deutschland und Büchel ganz weit entfernt sind. Deswegen ist diese Diskussion im Bündnis schwierig. Wenn sich ein Land einen schlanken Fuß machen und sagen würde: „Wir machen das einseitig und werden darauf bestehen, dass die Waffen sofort abgezogen werden“, dann wäre das eine schwierige Situation, die wir uns im Bündnis nicht leisten können und wollen; denn wir möchten die Homogenität und den Zusammenhalt des Bündnisses und wollen deswegen lieber mit Überzeugungsarbeit an das Thema herangehen als über einseitige Schritte; solche wollen wir als fester Bestandteil dieses nordatlantischen Bündnisses nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Vielen Dank. - Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Themenbereiche der heutigen Kabinettssitzung. Gibt es weitere Fragen an die Bundesregierung? Auch das ist nicht der Fall. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde - Drucksachen 17/4493, 17/4525 Gemäß Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde rufe ich die dringlichen Fragen auf Drucksache 17/4525 auf. Hier geht es um den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz bereit. Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin Vogler auf: Kann die Bundesregierung Agenturmeldungen vom 24. Januar 2011 bestätigen, wonach das Bundesgesundheitsministerium es zwar begrüßen würde, wenn deutsche Pharmafirmen und der Großhandel dem Ersuchen aus den USA zur Lieferung des für die Todesspritze benötigten Betäubungsmittels Thiopental-Natrium nicht nachkommen, es aber in seinem Geschäftsbereich keine rechtlichen Möglichkeiten zur Erteilung eines Ausfuhrverbots sieht?

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Vogler, es trifft zu, dass sich Minister Dr. Rösler an deutsche Pharmafirmen und den pharmazeutischen Großhandel gewandt hat. Er hat im Hinblick auf die Grundsatzentscheidung des Grundgesetzes und europäischer Gremien gegen die Todesstrafe eindringlich darum gebeten, möglichen Lieferungsersuchen für das genannte Narkosemittel nicht zu entsprechen. Vorausgegangen waren Hinweise zur Anforderung des bei dem Todesstrafenvollzug genutzten Arzneimittels Thiopental-Natrium durch die USA in Großbritannien. Arzneimittelrechtliche Vorschriften sehen kein Exportverbot vor, mit dem die Ausfuhr zur missbräuchlichen Verwendung eines solchen Narkosemittels wirksam unterbunden werden könnte. Die deutschen Pharmafirmen, die Thiopental-Natrium in den Verkehr bringen, unterstützen das Anliegen der Bundesregierung und haben erklärt, einem Exportbegehren der USA nicht nachzukommen. Entsprechende Anfragen hat es aber bislang noch nicht gegeben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Vogler?

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich finde diese Initiative absolut begrüßenswert und denke, es entspricht unserem Grundgesetz und den Menschenrechtsverpflichtungen, die unser Land eingegangen ist, dafür zu sorgen, dass die Todesstrafe da, wo sie noch verhängt wird, nicht vollstreckt werden kann. Ich stelle mir aber schon die Frage, inwieweit die Bundesregierung überhaupt überprüfen kann, ob diese Appelle von den deutschen Pharmafirmen und Großhandelsunternehmen tatsächlich befolgt werden. Sie haben gerade gesagt, es gebe eine positive Resonanz. Würde das BMG überhaupt davon erfahren, wenn ThiopentalNatrium zum Zwecke der Vollstreckung der Todesstrafe aus Deutschland in die USA geliefert werden würde?

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin, bei diesem Arzneimittel handelt es sich um eines, das, bestimmungsgemäß verwendet, grundsätzlich auch ausgeführt werden kann. Das Arzneimittelrecht ist an dieser Stelle so gehalten, dass ein nicht unbedenkliches Arzneimittel - es ist hier auch kein Betäubungsmittel -, durchaus ausgeliefert werden kann. Allerdings gibt es auch keine ethischen Regeln, durch die dies in diesem Fall unterbunden werden könnte, weil der bestimmungsgemäße Gebrauch von Staaten durchaus unterschiedlich interpretiert wird. Deshalb hat der Bundesminister diese Initiative ergriffen, und er hat die entsprechende Zusicherung der Unternehmen, die dieses Präparat herstellen bzw. in den Verkehr bringen, erhalten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank. - Thiopental-Natrium ist ja auch auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der WHO. Deswegen stellen sich natürlich die Fragen, inwieweit es überhaupt Möglichkeiten gibt - vielleicht im Rahmen von internationalen Verhandlungen in der WHO -, dies so zu spezifizieren, dass gehandeltes Thiopental-Natrium eben nicht zur Vollstreckung der Todesstrafe verwendet werden kann, und inwieweit in Ihrem Ministerium schon darüber nachgedacht worden ist, in der WHO über diese Frage zu diskutieren.

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Abgeordnete Vogler, wir haben zunächst einmal auch Informationen darüber eingeholt, wie andere Länder mit diesem Thema umgehen. Großbritannien, das ebenfalls nicht an die USA ausführen will, stützt sein Exportverbot zum Beispiel auch nicht auf arzneimittelrechtliche Regelungen. Wir halten Regelungen in anderen Bereichen in diesem Fall für sachgerechter und erörtern diese Fragen innerhalb der Bundesregierung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bei der zweiten dringlichen Frage geht es um den gleichen Themenbereich, aber um Regelungen im Außenhandelsgesetz. Das betrifft den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher steht zur Beantwortung bereit. Ich rufe also nunmehr die dringliche Frage 2 der Kollegin Vogler auf: Kann die Bundesregierung Agenturmeldungen vom 24. Januar 2011 bestätigen, wonach ein Ausfuhrverbot über entsprechende Regelungen im Außenhandelsgesetz möglich sei, das in die Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministeriums falle, und welche weiteren rechtlichen und verbindlichen Schritte jenseits des bloßen Appells des Bundesministers für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler, erwägt die Bundesregierung - gegebenenfalls unter der Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums -, um eine Lieferung des für die Todesspritzen in den USA benötigten Betäubungsmittels Thiopental-Natrium zu verhindern?

Ernst Burgbacher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003063

Frau Kollegin Vogler, die Bundesregierung prüft derzeit, ob es ausfuhrkontrollrechtliche Möglichkeiten zur Beschränkung der Ausfuhr des genannten Narkosemittels gibt. Wir befinden uns also in der Prüfungsphase.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Mich würde noch interessieren, in welchem Zeitrahmen die Bundesregierung diese Prüfung vorzunehmen beabsichtigt. Können Sie uns heute schon sagen, wann Sie mit dieser Prüfung zu einem Ergebnis gekommen sein werden und ob Sie in diese Prüfung auch die Rechtslage in anderen EU-Staaten bzw. die EU-Rechtslage einbeziehen?

Ernst Burgbacher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003063

Frau Kollegin Vogler, ich kann Ihnen jetzt beim besten Willen keinen konkreten Termin nennen. Wir befinden uns wirklich in der Prüfung. Es geht genau darum, dass es seit dem Inkrafttreten der Anti-Folter-Verordnung zwar entsprechende Möglichkeiten gibt, dass in dieser Verordnung momentan aber keine Ausfuhrbeschränkungen für Thiopental-Natrium vorgesehen sind. Auch die in dieser Verordnung enthaltene Öffnungsklausel erlaubt keine nationale Beschränkung der Ausfuhr dieses Arzneimittels. Die Handelspolitik gehört zu den ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen. Deshalb müssen wir prüfen, ob eine ausfuhrkontrollrechtliche Beschränkung nach dem Außenwirtschaftsgesetz möglich ist. Das prüfen wir. Dazu sind wir auch mit anderen Ländern im Gespräch.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage der Kollegin Bunge.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie wollen Möglichkeiten prüfen und in die Prüfung mit einbeziehen, wie andere EU-Länder vorgehen. Wir haben von Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz gehört, dass beispielsweise in Großbritannien über eine entsprechende Regelung nachgedacht wird. Ich habe Kenntnis, dass auch in Italien etwas in der Richtung getan werden soll. Könnten Sie sich vorstellen, dass sich die Bundesregierung für eine europaweite Regelung einsetzt, und könnte das Bundeswirtschaftsministerium etwas dazu beitragen?

Ernst Burgbacher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003063

Frau Kollegin, wir sind auch mit den von Ihnen genannten Ländern derzeit im Gespräch. Wir haben ein Gemeinschaftsrecht, das feste Regelungen vorsieht. Ich bitte Sie um Verständnis: Ich glaube, es ist dem Prüfprozess förderlich, wenn wir zunächst die Prüfung abwarten. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen; wir werden sie aber in möglichst kurzer Zeit durchführen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Weitere Nachfragen sehe ich nicht. Dann rufe ich nach den dringlichen Fragen die Fragen auf Drucksache 17/4493 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Dr. Werner Hoyer steht zur Beantwortung bereit. Ich rufe zunächst Frage 1 der Kollegin Dağdelen auf: Welche Informationen - derzeitiger Aufenthalt, Finanzierung und Aktivitäten - hat die Bundesregierung zu den 1 000 mit deutscher Hilfe in Äthiopien ausgebildeten Polizisten, die sich nach Informationen der Bundesregierung zuletzt in der somalischen Provinz Gedo aufhielten, keinen Sold erhielten und dort nach Informationen der taz ({0}) Mitte Oktober 2010 an Gefechten beteiligt waren, und wie kann die Bundesregierung ausschließen, dass sich unter ihnen Minderjährige befinden/befunden haben?

Not found (Gast)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegen Dağdelen, nach Kenntnis der Bundesregierung halten sich die somalischen Polizisten weiterhin in der somalischen Grenzregion zu Äthiopien, genauer: in den somalischen Regionen Gedo und Bakool bzw. in Südwestsomalia, auf. Wie in der Antwort der Bundesregierung auf Ihre schriftliche Frage im Oktober 2010 ausgeführt, findet noch keine Besoldung mit Mitteln statt, die von Deutschland zur Verfügung gestellt worden sind, da die betroffenen Polizisten noch nicht in Mogadischu eingesetzt werden. Die Bundesregierung hat keine Kenntnis darüber, ob die Polizisten aus anderen Quellen besoldet werden. Der Bundesregierung liegen keine Informationen über die in der Fragestellung erwähnten Gefechte vor. Sie kann daher weiter keine Aussage über die Rolle der mit deutscher Hilfe ausgebildeten Polizisten vor und nach den Gefechten sowie während der Gefechte treffen. Von den in Äthiopien ausgebildeten Polizisten waren einige zum Zeitpunkt der Ausbildung unter 18 Jahre alt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Dağdelen?

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister, als im vergangenen Jahr öffentlich wurde, dass die Bundesregierung nicht ausschließen kann, dass die Bundeswehr in Uganda im Rahmen der EU-Ausbildungsmission EUTM SOM Kindersoldaten ausbildet, kündigte Verteidigungsminister zu Guttenberg an, diese Möglichkeit - ich zitiere - „hart und deutlich“ zu überprüfen. Als wir als Linksfraktion im September die Bundesregierung fragten, worin diese Prüfung bestanden habe, wurde ausweichend geantwortet. Ich zitiere: Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich unter den im Rahmen des EUTM auszubildenden somalischen Rekruten Personen unter 18 Jahren befinden. Es ist also davon auszugehen, dass keine Überprüfung stattgefunden hat. Auch zu Guttenberg entlarvt sich immer mehr als Ankündigungsminister. Deshalb frage ich Sie: Wie kann das deutsche Parlament, der Deutsche Bundestag, darauf vertrauen, dass tatsächlich intensiv geprüft wird, ob sich unter den in Äthiopien mit deutschem Geld ausgebildeten Soldaten Minderjährige befanden und ob es unter denjenigen, die mit deutscher Hilfe zu Polizisten ausgebildet werden, Minderjährige gibt?

Not found (Gast)

Zunächst einmal muss ich sagen: Die Bundesregierung ist hier nach der Ausbildung von somalischen Polizisten durch Äthiopien unter deutscher finanzieller Beteiligung gefragt worden. Die Frage der militärischen Ausbildung im Rahmen des EU-Projektes in Uganda steht jetzt hier nicht auf der Tagesordnung. Deswegen muss man die Dinge trennen. Im Übrigen muss man auch zwischen Soldaten und Polizisten trennen. Ich erinnere grundsätzlich daran: Auch in Deutschland werden Polizisten, die jünger als 18 Jahre sind, ausgebildet. Das ist also nicht das Kernproblem. Trotzdem haben wir in dem Fall die Konsequenzen gezogen und klar gesagt: Wir müssen auch dann, wenn wir nicht selber ausbilden, sondern wenn wir einem Partnerland eine finanzielle Unterstützung gewähren, genauer hinschauen. Das tun wir auch. Ich bin mit den Einzelheiten der militärischen Ausbildungsmission in Uganda nicht vertraut. Dazu bedarf es einer Rückkopplung mit dem Verteidigungsministerium. Allerdings weiß ich, dass durchaus Konsequenzen gezogen worden sind. Über einen Punkt muss man sich allerdings im Klaren sein: Man muss die Realitäten „on the ground“ zur Kenntnis nehmen und darf sich die Personenstandsregister nicht in der Qualität vorstellen, wie sie möglicherweise in Castrop-Rauxel gegeben ist. Daher bleibt in solchen Dingen auch immer eine gewisse Restunsicherheit. Bisweilen - das habe ich mir von Fachleuten sagen lassen - muss man Fragen dieser Art nach Augenschein entscheiden, weil es keine belastbaren Grundlagen gibt. Das ist die Realität des Lebens. Wir haben aber gesehen, dass wir hier ganz vorsichtig sein müssen, um nicht in Widersprüche zu den eigenen Grundsätzen zu kommen. Genau das ist der Fall.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage der Kollegin Keul. ({0}) - Frau Dağdelen, Sie dürfen Ihre Nachfrage gern danach stellen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Meine Nachfrage bezieht sich auch auf die Soldatenausbildung in Uganda. Sie haben schon gesagt, Sie könnten dazu nur begrenzt Auskunft geben. Vielleicht können Sie das schriftlich nachreichen. Mir jedenfalls ist heute zu Ohren gekommen, dass sich die Rückkehr dieser ausgebildeten Kämpfer nach Mogadischu erneut aus unklaren Gründen verzögert. Offensichtlich weiß man gar nicht, wem die in Somalia überhaupt unterstellt werden sollen. Ich stelle mir die Frage, ob es unter solchen Umständen überhaupt verantwortlich ist, Kämpfer auszubilden. Deswegen möchte ich Sie bitten, Informationen nachzuliefern.

Not found (Gast)

Vielen Dank. - Das mache ich gerne, sowohl was Uganda als auch was die konkrete Situation hier angeht. Wir reden immer gerne von African Ownership, aber wenn wir einen afrikanischen Staat - in diesem Fall Äthiopien - finanziell unterstützen, ohne selber in die Ausbildung einzugreifen, dann wird hinterher sehr leicht gesagt: Ihr hättet mehr selber übernehmen müssen. - Es ist eine Gratwanderung, auf der man sich befindet. Das möchte ich einmal sagen. Wir haben eigentlich nur einen Hebel in der Hand, und den betätigen wir. Ich hoffe, dass das nicht kritisiert wird. Wir zahlen nämlich nicht; denn die Bezahlung des Solds der Polizisten ist auf den Fall beschränkt - so ist es ausdrücklich vereinbart -, dass sie in Mogadischu sind. Solange sie nicht in Mogadischu sind, erhalten sie von uns kein Geld.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Dağdelen, Sie haben noch eine zweite Nachfrage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin, dass ich von meinem Recht Gebrauch machen kann, meine zweite Nachfrage zu meiner mündlichen Frage zu stellen. - Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, die EU-Trainingsmission für Somalia in Uganda sei ohne Zusammenhang mit der deutschen Hilfe für von Äthiopien ausgebildete Polizisten. Ich möchte kurz darauf hinweisen, dass diese Polizisten auch eine militärische Ausbildung vom äthiopischen Militär erhalten. Ganz abgesehen von der Frage, ob es richtig ist, Deutschland bezüglich der Polizeiausbildung mit Äthiopien, einem autoritären Regime, zu vergleichen, würde ich schon gerne wissen: Wann und zu welcher Gelegenheit hat die Bundesregierung eigentlich von der spezifischen militärischen Ausbildung der Polizisten durch das Militär zum ersten Mal erfahren, und wann hat sie gegenüber Äthiopien, einem autoritären Regime, reagiert?

Not found (Gast)

Ich weise zunächst einmal zurück, ich würde ein autoritär regiertes Land mit der Bundesrepublik Deutschland vergleichen. Ich habe nur gesagt, dass wir einem afrikanischen Land, das uns um Hilfe gebeten hat, in einer ganz bestimmten Situation helfen, und zwar rein finanziell. Deswegen mache ich mich mit denen noch nicht gemein. Das muss von vornherein klar sein. Im Übrigen muss ich ganz deutlich sagen - auch wieder ein Appell, auf die Realitäten zu achten -: Eine messerscharfe Trennlinie zwischen rein militärischen Komponenten der Ausbildung und rein polizeilich-zivilen Komponenten jenseits der Rechtsfragen ist in einem solchen Land wie Somalia nicht möglich. Dort gibt es Grenzbereiche. Deswegen müssen wir - selbst dann, wenn es sich um die Ausbildung von Polizeibeamten handelt - in Zukunft darauf achten, dass wir nicht in Widersprüche zu Grundsätzen geraten, die uns selber wichtig sind. Da gibt es manchmal etwas zu lernen; auch das ist hier der Fall.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Dağdelen, ich will Sie gerne darauf hinweisen, dass Sie selbstverständlich von Ihrem Fragerecht Gebrauch machen können. Dafür müssen Sie sich auch nicht bei der amtierenden Präsidentin bedanken. Allerdings: Ich behandle die Nachfragen nach dem Eingang der Meldungen. Ich rufe die Frage 2 auf - sie ist ebenfalls von der Kollegin Dağdelen -: Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung die vom Großen Strafsenat des Kassationsgerichtshofs in Ankara beschlossene Einleitung eines Folgeverfahrens gegen die türkische Soziologin P. S. mit der Feststellung des Auswärtigen Amts in Einklang zu bringen, die Türkei habe im Menschenrechtsbereich viele Reformen in Angriff genommen, und diese hätten bezüglich der „Verhütung sowie zur erleichterten Strafverfolgung und Bestrafung von Folter“ viele Verbesserungen gebracht ({0}), und gedenkt sie, im Rahmen bilateraler Beziehungen die türkische Regierung darauf hinzuweisen, dass ein Strafprozess, bei dem sich die Beweisführung der Staatsanwaltschaft auf erfolterte Aussagen stützt, einen Verstoß gegen Art. 15 der Anti-FolterKonvention darstellt, die auch in nationales türkisches Recht umgesetzt wurde? Herr Staatssekretär.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Zum ersten Teil Ihrer Frage antworte ich ganz kurz. Wir geben zu laufenden Gerichtsverfahren grundsätzlich keine Stellungnahmen ab. Zum zweiten Teil Ihrer Frage - das ist ja der bittere Gehalt dessen, was Sie eigentlich ansprechen -: Der Bundesregierung sind die Berichte in den Medien über die Folter von Frau Selek bekannt. Die Bundesregierung verfügt nicht über eigene Erkenntnisse hierzu. Die Bundesregierung erwartet, dass im laufenden Verfahren keine Beweise Verwendung finden, die unter Folter erlangt worden sind. Man muss ja sehen - das sei den Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Fall nicht so vertraut sind, gesagt -, dass dieses Verfahren jetzt schon durch mehrere Instanzen gegangen ist und dass immer wieder Entscheidungen von der nächsten Instanz aufgehoben worden sind. Insofern ist der Rechtsweg schon vor einiger Zeit beschritten worden. Die Bundesregierung thematisiert die Menschenrechtslage in der Republik Türkei sowohl in bilateralen Gesprächen als auch auf EU-Ebene. Sie erkennt die Bemühungen der türkischen Regierung zur Verbesserung der Menschenrechtslage in den letzten Jahren an. Die überarbeitete Beitrittspartnerschaft 2008 mit der Türkei enthält einen an die aktuelle Lage angepassten Katalog mit konkreten Vorgaben im Menschenrechtsbereich. Vor dem Hintergrund dieser Erwartung setzt sich die Bundesregierung auf allen Ebenen auch weiterhin für die notwendigen weiteren Verbesserungen der Menschenrechtslage in der Türkei ein. Ich glaube im Übrigen, dass wir nur dann, wenn wir die von der Kommission im Fortschrittsbericht ausdrücklich festgestellten Verbesserungen anerkennen, eine Chance haben, bei unseren türkischen Freunden tatsächlich dafür zu werben, dass sie auf diesem Weg weitermachen müssen; auf dieser Basis können wir dann auch im konkreten Fall helfen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, Sie werden mir vielleicht zustimmen, dass die Zivilgesellschaft in der Türkei das Zitat aus dem Fortschrittsbericht ein bisschen anders sieht; darin kommt auch eine mangelhafte Umsetzung von Menschenrechtskonventionen zum Ausdruck. Die Bundesregierung hat erklärt, dass dort große Fortschritte gemacht worden sind. Das sehen Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften, Oppositionelle und viele andere Verbände und Organisationen in der Türkei also ein bisschen anders. Ich möchte Sie nur ganz kurz fragen: Mir ist klar, dass die Bundesregierung zu laufenden Gerichtsverfahren keine Bemerkungen machen möchte. Das hat sie uns auch in der Antwort mitgeteilt. Am vergangenen Montag aber hat die Vorsitzende der Delegation im Gemischten Parlamentarischen Ausschuss EU-Türkei, Frau Hélène Flautre, in Istanbul eine Pressekonferenz zum Fall von Pinar Selek gemacht, in der sie von ihrem Gespräch mit dem dortigen Justizminister berichtet hat, der ihr auch gesagt habe, dass man sich zum laufenden Verfahren natürlich nicht äußere. Sie hat daraufhin erklärt, dass man das nicht erwartet - das teile ich -, man aber schon erwartet, dass Gerichte darauf hingewiesen werden, dass auch nach türkischem Recht durch Folter erzwungene Aussagen in Gerichtsverfahren nicht verwendet werden dürften. Deshalb lautet meine Frage: Hat die Bundesregierung im letzten Jahr - das läuft seit einem Jahr; der nächste Prozesstag ist der 9. Februar - in bilateralen Gesprächen vielleicht einmal den Hinweis gegeben, dass man unter Folter erzwungene Aussagen vor Gericht nicht verwenden darf?

Not found (Gast)

Eindeutig ja. Ich bin im Übrigen in der Sachfrage mit den von Ihnen zitierten NGOs sehr einig. Ich begrüße es auch, wenn Kolleginnen aus dem Europäischen Parlament gegenüber einer Soziologin, einer Bürgerin der Türkei, Solidarität beweisen, die mit Folter bedroht worden ist oder die der Folter unterworfen worden ist. Wenn das der Fall ist, dann verdient diese Dame unsere Solidarität. Da sie aber weder deutsche noch EU-Staatsbürgerin ist, haben wir keine unmittelbaren Möglichkeiten, aufgrund von internationalen Konventionen einzuwirken, zum Beispiel auf den Zugang und Ähnliches. Das ist eine schwierige Situation. Es ist völlig klar, dass wir nicht nur abstrakt die Verbesserung der Gesetzeslage in der Türkei sehen - da hat die EU-Kommission nach meiner Auffassung recht: Die Türkei hat sich sehr darum bemüht, ihre Rechtsordnung dahin gehend weiterzuentwickeln und zu verbessern -, sondern auch den Unterschied hinsichtlich der Implementierung; Sie haben ja von der Anwendung von Gesetzen gesprochen. Da liegt noch sehr vieles im Argen. Das wird von der Bundesregierung in einer Vielzahl von Gesprächskontakten, die es mit der Türkei immer wieder gibt, zum Ausdruck gebracht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommen wir zur Frage 3 des Kollegen Liebich: Wie beurteilt die Bundesregierung die außenpolitischen Wirkungen von Meldungen der New York Times vom 15. Januar 2011 über die Zusammenarbeit der USA und Israels bei der Entwicklung des Computerwurms Stuxnet als Cyberwaffe und dessen offenkundigen Einsatz gegen den Iran?

Not found (Gast)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Das ist ein wirklich heißes Thema. Ich glaube, dass die Veröffentlichung in der New York Times wahrscheinlich keine Erschütterungen auslösen wird. Mancher würde sich wahrscheinlich wundern, wenn es anders wäre, was die mögliche Zusammenarbeit angeht. Aber die Sache an sich hat natürlich eine gewisse Brisanz, und deswegen nehmen wir die Berichte über Stuxnet und eine mögliche Beeinträchtigung des iranischen Urananreicherungsprogramms durch diesen Computerwurm zur Kenntnis. Gesicherte Erkenntnisse hierzu liegen uns nicht vor. Ich möchte mich nicht an Spekulationen beteiligen. Allgemein ist eine Bedrohung durch Cyberangriffe zunehmend realistisch. Deshalb müssen Kapazitäten entwickelt werden. Wir müssen uns schützen, ohne die Situation zu dramatisieren. Das war übrigens auch der Duktus der Beratungen und der Beschlüsse des NATOGipfels in Lissabon. Die NATO hat das Thema Cyber in das neue Strategische Konzept aufgenommen - mit rein defensiver Zielrichtung. Die Bundesregierung erarbeitet unter Federführung des Innenministers ein nationales Schutzkonzept. Als zunehmend wichtigerem Thema für vertrauensund sicherheitsbildende Maßnahmen und Regeln widmet die Bundesregierung der internationalen Abstimmung im Bereich Cybersicherheit verstärkte Anstrengungen. In den Vereinten Nationen beteiligt sie sich aktiv an einer Regierungsexpertengruppe zu diesem Thema und unterstützte zusammen mit den USA erstmals als Miteinbringer die von Russland vorgelegte Resolution zu internationalen Aspekten der IT-Sicherheit. Dieses Thema gewinnt auch im Rahmen der EU, des Europarates, im G-8-Kreis und in der OSZE zunehmend an Bedeutung. Auf der Ebene der EU unterstützt die Bundesregierung Maßnahmen, die laut dem Aktionsplan für den Schutz der kritischen Infrastruktur, der „EU-Strategie der inneren Sicherheit“ und der „Digitalen Agenda“ ausgebaut werden sollen, und befürwortet deshalb die Verlängerung des Mandats und den Ausbau der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit, ENISA, zur europäischen IT-Sicherheitsagentur.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Liebich, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte sehr.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Ich kann gut verstehen, dass Sie sich nicht an Spekulationen beteiligen wollen. Ihre Antwort bezieht sich allerdings auf die lobenswerte Defensive gegenüber Cyberangriffen. Die Frage, die ich hier Bezug nehmend auf diesen Zeitungsartikel aufgeworfen habe, lautet: Von wem kommen diese Cyberangriffe eigentlich? Ich erinnere mich gut an die Debatten, die wir hier im Hause mit Blick auf die NATO-Strategie geführt haben. Da wurde fraktionsübergreifend die Frage aufgeworfen: Ist es eigentlich sinnvoll, den Bündnisfall in Sachen Cyber War auszurufen? Deshalb muss ich Sie an dieser Stelle schon noch einmal fragen: Wie würde es die Bundesregierung bewerten, Sevim DaðdelenSevim Dağdelen wenn sie erfahren würde, dass der wichtigste Bündnispartner in der NATO, nämlich die USA, in Zusammenarbeit mit dem israelischen Geheimdienst an einem Cyberkriegsangriff beteiligt ist?

Not found (Gast)

Wir haben in Lissabon hierzu eine sehr engagierte Debatte geführt, und wir haben ein Höchstmaß an Übereinstimmung auch mit den amerikanischen Freunden gefunden. Die amerikanischen Freunde haben selber davor gewarnt, dieses Thema jetzt im Hinblick auf die Entwicklung von Offensivkapazitäten zu dramatisieren. Sie haben vielmehr dafür plädiert, den defensiven Charakter unserer Bemühungen eindeutig in den Vordergrund zu stellen. Alles andere, was man dazu jetzt sagen könnte, ist reine Spekulation. Die wiederum hätte möglicherweise gefährliche Konsequenzen. Deswegen können Sie nicht von mir erwarten, dass ich mich daran beteilige. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zunächst Frau Dağdelen. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, in diesem Zusammenhang kann ich hier ja die dringliche Frage, die ich gestellt hatte, die aber nicht zugelassen wurde, stellen. Es ging um die Enthüllungen von WikiLeaks und Welt Online vom 21. Januar. Demzufolge habe der Leiter der vom Bundeshaushalt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes, eine Politik der verdeckten Sabotage ({0}), - darüber haben wir ja schon gesprochen: Stuxnet die effektiver wären als ein Militärschlag, dessen Auswirkungen auf die Region furchtbar sein könnten, bezüglich Irans empfohlen. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie gerne fragen: Teilt die Bundesregierung diese Auffassung, und welche Konsequenzen zieht sie daraus vor dem Hintergrund, dass die SWP vom Bundeshaushalt finanziert wird?

Not found (Gast)

Sie wird vom Bundeshaushalt mitfinanziert - das ist ganz entscheidend -, und sie wird von der Regierung und vom Parlament als Ratgeber außerordentlich geschätzt. Das gilt für die von Ihnen genannte Person allemal. Ich kenne die konkreten Äußerungen nicht. Deswegen werde ich sie auch nicht bewerten. Ich will aber auf jeden Fall sagen, dass wir auch Wert darauf legen, dass es an der wissenschaftlichen Unabhängigkeit der Personen, die in der Stiftung für Wissenschaft und Politik arbeiten, keinen Zweifel gibt, sonst wäre sie für uns alle, Parlament und Regierung, kein guter Ratgeber. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Nachfrage. Kollege Aken.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Hoyer, um jetzt nicht zu spekulieren, möchte ich erst einmal auf die Frage von offensiver und defensiver Ausrichtung eingehen. Es gibt in Sachen Cyber War nichts, was man als defensive Forschung einstufen könnte. Wir haben das im Unterausschuss diskutiert. Ein Vertreter der Bundeswehr hat zugestimmt und eindeutig gesagt: In dem Moment, wo Sie im IT-Bereich defensiv forschen, müssen Sie gleichzeitig auch offensiv forschen. Sie müssen sozusagen die Viren bzw. die Würmer entwickeln, gegen die Sie sich schützen wollen. - Das heißt, die Trennung in Defensiv- und Offensivforschung ist hier genauso unmöglich wie bei den biologischen Waffen. Das macht das Ganze natürlich zu einem richtigen Problem für die Rüstungskontrolle; darauf komme ich gleich noch zurück. Ein weiterer Punkt, der keine Spekulation ist: Wir reden hier jetzt nicht über IT-Sicherheit, sondern über einen kleinen Ausschnitt davon. Das ist Cyber War. Es geht bei Stuxnet ja um einen Virus bzw. einen Wurm, der in der realen Welt katastrophale Auswirkungen zeitigen kann. Nach allem, was wir heute wissen, ist er technisch in der Lage, Ultrazentrifugen so aus dem Takt zu bringen, dass sie dabei möglicherweise sogar zerstört werden, wodurch die Gefahr besteht, dass radioaktives Material freigesetzt wird. Es besteht außerdem die Befürchtung - diese ist noch nicht belegt -, dass sogar die Funktionsfähigkeit eines Atomkraftwerkes gestört werden kann. Wir reden hier also über Viren, die katastrophale Auswirkungen auf die reale Welt haben können, mit möglicherweise Hunderten, Tausenden oder gar Zehntausenden betroffener Menschen. Diese Mittel zur Kriegsführung müssen wir, was die Frage der Rüstungskontrolle angeht, eigentlich genauso bewerten wie andere Waffenarten auch. Hieraus ergibt sich nun meine Frage an Sie, da Sie ja gerade den abrüstungspolitischen Bericht vorgelegt haben: Welche Pläne verfolgt die Bundesregierung, um in der Rüstungskontrolle solche Art von Cyberangriffen - ich rede nicht über IT-Sicherheit; ich rede nicht über defensive Forschung, sondern über Rüstungskontrolle -, die in der realen Welt katastrophale Auswirkungen haben, zu verhindern bzw. zu kontrollieren? Welche Vorstellungen haben Sie hierzu entwickelt? Welchen Beitrag leistet die Bundesregierung dazu?

Not found (Gast)

Ich glaube, wir steigen jetzt in eine sehr grundsätzliche, teilweise sogar philosophische, auf jeden Fall intellektuell sehr anregende Debatte über Grenzlinien zwischen offensiven und defensiven Systemen ein, die im Cyberspace anders zu ziehen sind als zwischen Offensive Counter-Air und Luftverteidigung. Hier sind die Unterschiede eher klar, auch wenn man ein System, das zur Luftverteidigung gedacht ist, auch einmal so anwenden kann, dass es dem Gegner schadet. In dem vorliegenden Bereich ist jedoch die Dimension der Verflechtung eine ganz andere. Deswegen kommt es darauf an, welchen Rechtsrahmen man schafft. Im Hinblick auf einen möglichen Angriff auf kritische Infrastruktur in einem NATO-Land zum Beispiel müssen wir uns die Frage stellen: Welchen Artikel des NATOVertrages aktivieren wir? Wir haben ganz bewusst gesagt, dass so ein Fall nicht automatisch ein Artikel-5-Fall ist. Diese Schlussfolgerung wäre falsch und völlig voreilig. Diese Fragen müssen wir diskutieren. Das ist ein sehr schwieriger und großer Komplex, in den man einsteigen muss. Ich kann aber gar nicht umhin, Ihnen zuzugestehen, dass ich zumindest von der Wissensaufbereitung her gar nicht unterscheiden kann, ob ein Wurm, den ich kennen muss, um ihm entgegenzuwirken, nicht letztlich möglicherweise auch eingesetzt werden könnte. Deswegen ist die Frage, in welchem Rechtsrahmen wir uns bewegen, von so entscheidender Bedeutung. Hier stehen wir, wie ich glaube, am Beginn einer faszinierenden Debatte, die uns in den nächsten Jahren noch in ganz andere Dimensionen führen wird. Wir würden uns aber etwas überheben, wenn wir versuchen wollten, dies im Rahmen der Fragestunde des Deutschen Bundestages zu lösen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Liebich.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, gerade weil wir am Anfang einer derart wichtigen und schwierigen Debatte stehen, müssen wir sie auch so intensiv führen. Sie haben auf die wissenschaftliche Freiheit der Stiftung Wissenschaft und Politik hingewiesen. Diese Ansicht teile ich natürlich. Herrn Perthes habe ich auch durchaus geschätzt. Ich frage Sie aber noch einmal konkret. Wir müssen uns dabei auch nicht auf WikiLeaks beziehen. In der Welt vom 21. Januar 2011 war in einem Zitat von Herr Perthes nachzulesen, dass er nach wie vor der Auffassung ist, dass Sabotageakte gegenüber dem Iran Militärschlägen vorzuziehen seien. Nun haben Sie gesagt, es handele sich hierbei um einen wichtigen Ratgeber für die Politik. Sie sind die Politik. Was sagen Sie zu diesem Ratschlag?

Not found (Gast)

Ich sage zu diesem Ratschlag, dass ich eine militärische Option hier nicht sehe - und zu weiteren Optionen nehme ich nicht Stellung. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin Dağdelen, da Sie nicht selbst Fragestellerin sind, haben Sie nur die Möglichkeit einer Frage. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Ministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder bereit. Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Liebich auf: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Meldung, dass der deutsche Konzern Siemens mit seiner Kompetenz und Arbeit faktisch in die Vorbereitung des Cyberangriffs einbezogen wurde?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, dass Siemens irgendwie in die Vorbereitung des genannten Cyberangriffs einbezogen wurde.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine Nachfrage?

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, natürlich habe ich dazu eine Nachfrage. - Ich kann nichts dagegen tun, dass Sie sagen, darüber wüssten Sie nichts. Aber ich kann Sie natürlich fragen, wie Sie als Bundesregierung die Risiken beurteilen und ob Sie bereit sind, mit der Firma Siemens auch über diese Risiken zu sprechen, die darin bestehen, eine Atomanlage, um die es sich ja handelt - wir führen in Deutschland ohnehin eine Debatte darüber, ob diese Anlagen sicher genug sind -, durch einen Computervirus lahmzulegen. Sehen Sie diese Risiken, und sind Sie bereit, mit der Firma Siemens darüber ins Gespräch zu kommen, damit auch die Firma Siemens diese Risiken sieht und darauf achtet, dass sie nicht in entsprechende Vorhaben einbezogen wird?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Wir sehen diese Risiken nicht. ({0}) Zu genau diesen Fragen haben wir auch schon in einer Antwort schriftlich Stellung genommen und ausgeführt, dass diese Risiken nicht vorhanden sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr van Aken.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Schröder, so geht das nicht. Wir haben vor einigen Wochen eine Frage gestellt und darauf die schriftliche Antwort bekommen, dass Siemens das nicht wissentlich gemacht habe, sondern unwissentlich. Diese Bundesregierung hat also offensichtlich sehr wohl Informationen darüber, was Siemens in Idaho gemacht hat, was Siemens nicht in Idaho gemacht hat, ob Siemens - wissentlich oder nicht wissentlich - Informationen über Schwachstellen in seinem Computersystem weitergegeben hat oder ob Siemens das nicht getan hat. Dann können Sie hier doch nicht einfach sagen: Wir wissen gar nichts darüber. - Das ist ein Widerspruch, den Sie einmal intern aufklären müssen. Ich halte das für ein schlechtes Beispiel von Informationspolitik der Bundesregierung. Auch wenn Sie persönlich jetzt nichts darüber wissen, ob Siemens da irgendetwas gemacht hat oder nicht, frage ich Sie: Wenn das Unternehmen Siemens Informationen weitergegeben hat, die dazu geführt haben, dass eine derart gefährliche Waffe, die in der realen Welt Tausende oder sogar Zehntausende von Menschen bedrohen könnte, entwickelt werden konnte, handelt es sich dabei um einen Rüstungsexport, der meiner Ansicht unter das Außenwirtschaftsgesetz fällt. Das heißt, dass es dafür eine Rüstungsexportgenehmigung geben müsste. Liegt diese Rüstungsexportgenehmigung vor, oder liegt sie nicht vor?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die Steuerungssysteme von Siemens sind ja nicht über eine Schwachstelle des Siemens-Systems fehlgesteuert worden, sondern über eine Schwachstelle im Windows-Betriebssystem. Selbstverständlich hat das BSI direkt nach Bekanntwerden von Stuxnet mit Siemens Kontakt aufgenommen und genau diese Fragen diskutiert. Uns ist nicht bekannt, dass Siemens daran beteiligt war, dass es zur Entwicklung eines solchen Virus gekommen ist. Insofern kann ich Ihre Fragen auch nicht nachvollziehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nachdem wir nun aufgeklärt haben, dass die Bundesregierung doch Kenntnis von der Sache mit Siemens hat - schon aufgrund der schriftlichen Beantwortung der von meinem Kollegen Jan van Aken erwähnten Frage -, würde ich hier gerne noch einmal die eigentliche Frage stellen. Nachdem Sie gesagt haben, dass das mit dem Windows-Betriebssystem zusammenhängt, möchte ich gerne wissen, ob die Bundesregierung aufgrund von Aktivitäten - vielleicht auch nachrichtendienstlicher, wenn es sie denn gegeben hat - Schlussfolgerungen gezogen hat oder ziehen wird - vielleicht ist man ja noch im Klärungsprozess -, wie man künftig mit solchen Fällen umgeht. Sie werden wohl zustimmen können, dass man, auch wenn es nicht wissentlich oder willentlich geschehen ist, trotzdem dafür Sorge tragen muss, dass das in Zukunft nicht mehr vorkommt. Welche Aktivitäten hat die Bundesregierung in dieser Hinsicht entfaltet?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Es ist eine ständige Aufgabe, insbesondere des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, unsere Infrastruktur sicher zu machen und dafür zu sorgen, dass sie nicht offen für solche Schadprogramme ist. Das ist eine technische Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen; aber insbesondere das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat hier besondere Kompetenzen und arbeitet täglich daran, mögliche Einfallstore für Schadsoftware zu identifizieren und die Unternehmen im entsprechenden Fall zu warnen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Liebich.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, es geht in diesem Fall gar nicht darum, dass wir uns vor Angriffen schützen müssen. Vielmehr geht es darum, dass unter Umständen eine deutsche Firma an einem Angriff gegenüber einem anderen Land beteiligt ist. Sie haben gesagt, das werde ständig überprüft. Deshalb frage ich Sie mit Blick auf die Konsequenzen für die Rüstungsexporte: Ist es nicht angesichts dieses neuen Themas an der Zeit, die Richtlinien für den Rüstungsexport dahin gehend zu überarbeiten, dass künftig nicht mehr nur Panzer oder Raketen eine besondere Behandlung erfahren, sondern auch für den Fall eines Cyber War neue Regeln geschaffen werden, die dann auch strenger als bisher überwacht werden?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich hatte Ihnen bereits gesagt, dass uns überhaupt keine Erkenntnisse vorliegen, dass Siemens in Bezug auf die Vorbereitungen der Cyberangriffe in irgendeiner Weise einbezogen wurde. Von daher macht es auch keinen Sinn, jetzt Schlussfolgerungen aus der These zu ziehen, dass Siemens doch einbezogen worden sei.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt kommen wir zur Frage 5 der Kollegin Kolbe: Mit welchen konkreten Zielen und Forderungen wird die Bundesregierung in den Verhandlungen in der EU auftreten, um im Sinne der deutschen Wirtschaft und der Arbeitnehmer/ Arbeitnehmerinnen Nachbesserung am Kommissionsvorschlag „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zwecks Ausübung einer saisonalen Beschäftigung“ und „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen einer konzerninternen Entsendung“ zu erzielen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Die Verhandlungen zu den Richtlinienvorschlägen der Kommission zu Saisonarbeitnehmern und zu konzerninternen Entsendungen stehen noch am Anfang. Auf Ebene der Ratsarbeitsgruppe „Migration“ haben die Beratungen im September 2010 begonnen. Das Meinungsbild unter den Mitgliedstaaten ist noch uneinheitlich, die Position des Europäischen Parlaments bisher nicht bekannt. Aus Sicht der Bundesregierung bilden die Vorschläge der Kommission eine akzeptable Grundlage für die Verhandlungen im Rat und zwischen Rat und EuroParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder päischem Parlament. Sie unterstützt insbesondere die Zielsetzung der Intra-corporate-transferees-Richtlinie, die konzerninterne Entsendung von Führungskräften oder Fachkräften mit unternehmensspezifischen Kenntnissen in Unternehmen der Europäischen Union zu erleichtern. Bei der Ausgestaltung im Einzelnen besteht jedoch noch Klärungs- und Änderungsbedarf. Daher beteiligt sich die Bundesregierung konstruktiv an den Beratungen und versucht, möglichst viele Mitgliedstaaten für die deutschen Anliegen zu gewinnen. Über ihre Verhandlungsposition und den Fortgang der Beratungen auf Ratsebene unterrichtet die Bundesregierung den Deutschen Bundestag regelmäßig entsprechend den einschlägigen Vorgaben wie zum Beispiel in der vorletzten Sitzung des Innenausschusses. Die Bundesregierung setzt sich bei beiden Richtlinien insbesondere dafür ein, dass die Mitgliedstaaten ausreichend Handlungsspielraum für eine arbeitsmarktorientierte Steuerung der Zuwanderung auf nationaler Ebene haben. Zudem achtet die Bundesregierung darauf, dass sowohl Arbeits- und Sozialstandards gewahrt werden als auch die Systeme der sozialen Sicherung nicht unangemessen belastet werden. Wichtig ist uns außerdem, dass neue Bürokratiekosten vermieden werden, die zum Beispiel durch die Einführung eines neuen Aufenthaltstitels oder die Pflicht zur Übermittlung detaillierter Statistiken entstehen würden. Bei der Richtlinie zur konzerninternen Entsendung ist noch unklar, wie das Zulassungsverfahren genau ausgestaltet werden soll. Zuletzt haben im Abstand von einem Monat sowohl der belgische als auch der ungarische Ratsvorsitz jeweils einen vollständig überarbeiteten Vorschlag zur Ausgestaltung des Verfahrens gemacht. Schon daran ist erkennbar, dass das Zulassungsverfahren viele Fragen aufwirft und noch eingehender Beratung bedarf. Aus Sicht der Bundesregierung ist es wichtig, dass den Mitgliedstaaten ausreichende Kontrollmöglichkeiten verbleiben, sowohl bei der Entsendung eines ICT von einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat als auch bei der Weiterentsendung von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat. Bei der Richtlinie zu Saisonarbeitnehmern setzt sich die Bundesregierung insbesondere dafür ein, dass eine mitgliedstaatliche Steuerung der Zuwanderung mit Blick auf einzelne Drittstaaten und auf bestimmte Branchen sowie Kontingentierungen möglich bleiben. Insgesamt sollte klargestellt werden, dass ein Anspruch auf Zulassung nicht besteht, sondern dass die Entscheidung im Ermessen der Mitgliedstaaten verbleibt. Zudem sollte die nationale Verfahrensautonomie nicht unnötig eingeschränkt werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kolbe, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte sehr.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär Dr. Schröder, erst einmal vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Eine solch detaillierte Antwort ist auch angemessen im Hinblick auf die Bedeutung der Sachfragen, die wir hier besprechen. Die Richtlinien, die die Zuwanderung aus Drittstaaten regeln, haben weitgehende Auswirkungen auf die Arbeitsmarkt- und Lohnpolitik in Deutschland. Insbesondere bei der konzerninternen Entsendung ist es ja so, dass innerhalb eines Konzerns Personen aus Drittstaaten entsandt werden, ohne dass die dazugehörigen Sachbegriffe und Termini definiert sind. Ich möchte zu einem speziellen Punkt, den Sie schon angesprochen haben, nachfragen. Es ist so, dass Weiterentsendungen von einem europäischen Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat bisher durchaus möglich sind und dass für den Fall die Bedingungen der Richtlinie nicht gelten. Das heißt, Deutschland hat die Möglichkeit, Einfluss auf die Entsendung zu nehmen. Deutschland hat aber kein Mitspracherecht mehr, wenn es darum geht, welche Drittstaatenangehörigen von anderen EU-Staaten aus weiterentsandt werden können. Das würde dem widersprechen, was die Bundesregierung letzte Woche zum Thema reglementierte Zuwanderung von Fachkräften vorgetragen hat. Da hat man sich vehement gegen ein Punktesystem ausgesprochen. Hier wird einer nichtreglementierten Zuwanderung - zugegebenermaßen auch von Fachkräften - Tür und Tor geöffnet, ohne die Möglichkeit zu haben, über die Löhne mitzubestimmen. Welche Verhandlungsposition vertritt die Bundesregierung in diesem Punkt genau? Wird zum Beispiel befürwortet, nicht mehr eine Entsendung, sondern eine Versetzung anzustreben?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Um auf Ihre Befürchtung, dass es über die Weiterentsendung durch andere Mitgliedstaaten zu einem Lohndumping kommen kann, einzugehen, will ich sagen, dass es uns wichtig ist, eine eigene Prüfung vornehmen zu können. Es gibt also keinen Automatismus bei der Weiterwanderung nach Deutschland. Auf diese Weise können wir laxe Zulassungsbedingungen anderer Mitgliedstaaten verhindern. Das ist unsere klare Verhandlungsposition.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kilic, bitte.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, nach heutigem Stand lässt der Richtlinienvorschlag der Kommission zu, dass ein deutscher Konzern in einem Drittstaat wie China ein Tochterunternehmen gründen kann und von dort aus Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Deutschland konzernintern entsenden kann. Nach einer gewissen Zeit kann er diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eine Gruppe anderer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer austauschen. Würden Sie mir zustimmen, dass eine solche Regelung den Konzernen die Möglichkeit eröffnet, ohne Rücksicht auf den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats selbstständig zu operieren? Wäre eine Einwanderung nach einem Punktesystem nicht viel besser, weil dann das Land die Steuerung, was den Arbeitsmarkt betrifft, in der eigenen Hand behält?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Sinn und Zweck dieser Richtlinie ist ja, es den Konzernen zu ermöglichen, relativ bürokratiearm beispielsweise notwendige Führungskräfte aus einem Drittstaat für gewisse Zeit nach Deutschland einwandern zu lassen. Das ist nach deutschem Recht ja schon sehr einfach möglich. Ein Punktesystem wäre hier ein Rückschritt. Das würde das Ganze viel mehr erschweren. Insofern ist für mich nicht nachvollziehbar, dass Sie jetzt das Punktesystem ins Spiel bringen. Wichtig ist für uns, dass es nicht zu einem Lohndumping kommt und dass das, was Sie eben beschrieben haben, genau nicht passiert, dass nämlich eine Unternehmung eines Konzerns in einem Drittland Arbeitskräfte einstellt, um sie dann gleich nach Europa weiterzuentsenden. Hier müssen in der Richtlinie entsprechende Schranken eingezogen werden, zum Beispiel in Form einer Regelung, dass dieser Beschäftigte schon eine gewisse Zeit im Konzern beschäftigt sein muss. Zurzeit wird vorgeschlagen, hierfür in der Richtlinie eine Frist von zwölf Monaten vorzusehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kolbe.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Weiterer Bestandteil der Richtlinie in der jetzigen Form ist, dass vor allen Dingen Flächentarifverträge, also Mindestlöhne und großflächige Tarifverträge, für Personen, die zum Beispiel konzernintern entsandt werden, zur Anwendung kommen sollen. Wie würden Sie die Situation angesichts dessen einschätzen, dass es in den neuen Bundesländern in vielen Bereichen keine Flächentarifverträge gibt, sondern maximal Haustarifverträge, und in vielen Betrieben noch nicht einmal Haustarifverträge? Wie wird die Bundesregierung vorgehen, um weiterem Lohndumping in dieser Bevölkerungsgruppe und bei Personen, die in solche Betriebe entsandt werden, vorzubeugen?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Es ist wichtig, dass wir Lohndumping verhindern. Wir wollen verhindern, dass durch diese Richtlinie Billigbeschäftigte, nur weil sie in einem Konzern mit Unternehmungen in einem Drittland beschäftigt sind, nach Deutschland kommen. Dafür ist es notwendig, wie bereits gesagt, dass wir die Arbeitsbedingungen bei der Wanderung prüfen. Dafür setzen wir uns bei den Verhandlungen über die Richtlinie ein. Zunächst gelten bei der ersten Einreise die Bedingungen des Staates, in dem derjenige, der nach Europa kommt, innerhalb des Konzerns das erste Mal beschäftigt ist. Die eigentliche Frage ist: Wie kann man verhindern, dass derjenige einfach innerhalb des Konzerns nach Deutschland weiterwandert und es dann unter Umständen bei uns zu Lohndumping kommt? Es bedarf einer erneuten Prüfung durch die deutschen Behörden, damit genau das verhindert wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Dağdelen.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es wird ja nicht nur befürchtet, dass es durch diese zwei Richtlinien zu Lohndumping kommt, sondern befürchtet wird auch eine Schlechterstellung bezüglich der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zum Beispiel auch im Zusammenhang mit der Konzernentsenderichtlinie, dass Unternehmen Beschäftigte aus Unternehmensteilen in Drittstaaten in Unternehmensteile innerhalb der Europäischen Union schicken können, für die dann aber die Bestimmungen und Regelungen des betreffenden Drittstaats gelten. Das hieße, dass das Herkunftslandprinzip der ursprünglichen BolkesteinRichtlinie, der Dienstleistungsrichtlinie gelten würde, gegen das die Gewerkschaften und viele andere Verbände ja Sturm gelaufen sind und das erst einmal verhindert wurde. Deshalb sind meine Fragen in diesem Zusammenhang: Erstens. Wie wollen Sie eigentlich sicherstellen, dass dieses Herkunftslandprinzip, das wir ja nicht wollen, verhindert wird? Das Zweite ist: Wie wollen Sie auch vor dem Hintergrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die ab Mai gelten wird, sicherstellen, dass durch solche Richtlinien der Europäischen Kommission nicht zusätzlich Lohn- oder Sozialdumping befördert wird?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Schon jetzt ist es möglich, bestimmte Geschäftsteile in ein anderes Land auszulagern. Das werden wir auch mit dieser Richtlinie nicht verhindern. Für uns ist es wichtig, dass wir die Standards, die wir in Deutschland haben, sichern. Das erreichen wir, indem wir eine eigene Prüfung vornehmen und einen Automatismus verhindern. Das entspricht unserer Verhandlungslinie, die wir mit Nachdruck verfolgen werden. Wir sind jetzt am Anfang; viele Fragen sind noch offen. Das sehen Sie schon allein daran, dass sich das Europäische Parlament dazu noch nicht geäußert hat. Wir werden die Fragen im Laufe des Verhandlungsverfahrens klären.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit kommen wir zur Frage 6 des Kollegen Memet Kilic: Ist die Bundesregierung der Auffassung, das Punktesystem sei ein klassisch sozialistischer Zuteilungsansatz, und, wenn ja, warum hat sie dann die Einwanderung von Jüdinnen und Juden aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion durch ein Punktesystem geregelt?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Aus Sicht der Bundesregierung ist ein Vergleich des in der Frage angesprochenen Punktesystems mit dem Zuwanderungsverfahren für jüdische Zuwanderer nach § 23 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes nicht zielführend, da Letzteres nicht dem Migrationsziel der Anwerbung von Fachkräften dient, sondern der „Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland“. Im Hinblick auf die Geeignetheit eines Punktesystems zur Steuerung des Fachkräftezuzugs werden derzeit im politischen Raum unterschiedliche Standpunkte artikuliert. Innerhalb der Regierungskoalition finden Gespräche über die Frage des Regelungsbedarfs im Hinblick auf die Fachkräftemigration statt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kilic.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Beantwortung. - Kollege Dr. Uhl von der Fraktion der CDU/CSU meinte in der Parlamentsdebatte vom 20. Januar hinsichtlich unseres Antrages zur Einführung eines Punktesystems, so etwas sei letztlich „ein klassisch sozialistischer Zuteilungsansatz“. Teilen Sie diese Einschätzung von Herrn Uhl?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Herr Uhl hat sich zu einem von Ihnen beantragten Punktesystem im Bereich der Fachkräftemigration geäußert. Er wollte mit dieser Äußerung deutlich machen, dass ein Punktesystem wesentlich bürokratischer als das jetzige System ist, weil das Punktesystem vom Staat umgesetzt werden muss, weil Kontingente festgelegt werden müssen und weil eine Bürokratie benötigt wird, um das Punktesystem auszuführen und die zu verteilenden Punkte zu gewichten. Darum ging es bei der Aussage des Kollegen Uhl.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kilic, Sie haben eine weitere Nachfrage.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kann man dann nicht feststellen, dass die Bundesrepublik Deutschland schon einmal den klassisch sozialistischen Verteilungsansatz angewandt hat?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Dieses Punktesystem wird nur in einem kleinen Bereich angewandt, nämlich bei der Feststellung der Integrationsprognose. Da findet ein gewichtetes Punktesystem Anwendung. Das ist aber nicht mit der Frage vergleichbar, ob wir für die Fachkräftezuwanderung ein Punktesystem brauchen oder nicht. Wir setzen uns für ein möglichst unbürokratisches System ein. Für uns ist es wichtig, dass wirklich die Fachkräfte nach Deutschland kommen, die am Ende einen Arbeitsplatz finden. Wir wollen nicht, dass Fachkräfte angeworben werden und über ein Punktesystem einfach nach Deutschland kommen, ohne sicherzustellen, dass für sie Arbeitsplätze vorhanden sind, denn dadurch würde am Ende mehr Arbeitslosigkeit entstehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert werden schriftlich beantwortet. Damit verlassen wir diesen Geschäftsbereich. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur Verfügung. Die Frage 9 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele wird ebenso wie die Frage 10 der Abgeordneten Katja Keul schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Jerzy Montag: Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung in der Frage, wie viele Fälle von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 13. Januar 2011 ({0}) betroffen sind, wo zwar nach einigen Medienberichten das Urteil vom 13. Januar 2011 nicht mehr als die 20 Fälle derer betreffen soll, die derzeit in nachträglicher Sicherungsverwahrung sitzen ({1}), während nach anderen Berichten nicht weniger als „Tausende Strafgefangene“ betroffen sind, die die formellen Voraussetzungen nachträglicher Sicherungsverwahrung auch nach der Reform der Sicherungsverwahrung weiterhin erfüllen ({2})?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege Montag, bei der in Ihrer Frage angesprochenen Entscheidung vom 13. Januar 2011 handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung. Sie betrifft die Unterbringung des Beschwerdeführers aufgrund eines Landesgesetzes, das aber bereits im Jahr 2004 vom Bundesverfassungsgericht wegen eines Verstoßes gegen Kompetenznormen für verfassungswidrig erklärt wurde. Zufällig handelt es sich im Übrigen um einen Fall, der seinen Ausgang beim Landgericht Passau genommen hatte, dem ich früher angehört habe. Mit den Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Strafgesetzbuch nach § 66 b StGB befasst sich die Entscheidung dagegen nicht, sodass keine weiteren Fälle unmittelbar betroffen sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Montag, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte sehr.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Stadler, ich muss Sie korrigieren: In dem betreffenden Fall M. ging es erstmals um eine Entscheidung über Sicherungsverwahrung nach bayerischem Recht, aber zu diesem Zeitpunkt ging es um eine Entscheidung über eine nachträgliche Sicherungsverwahrung nach altem Recht; denn inzwischen war der Strafgefangene bzw. Sicherungsverwahrte schon übergeführt worden. Aber das war nicht der Sinn und auch nicht der Wortlaut meiner Frage. Auf meine Frage haben Sie nicht geantwortet. Bei der Frage 11, jedenfalls nach meiner Liste, ging es um Folgendes: Die Bundesregierung hat die nachträgliche Sicherungsverwahrung zum 1. Januar 2011 geändert und radikal für die Zukunft zusammengeschnitten. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es sich nach dieser Reform in der Zukunft nur noch um die Fälle von 20 bis 30 Personen handeln wird, die mit dem Problem der nachträglichen Sicherungsverwahrung konfrontiert sein werden? Oder wird es sich um Tausende von Fällen auf Jahrzehnte hinaus handeln, wie in der Presse in den letzten Tagen zu lesen war? Das war der Wortlaut meiner Frage.

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Lieber Herr Kollege Montag, darauf gehe ich gerne ein. Zunächst haben Sie zu Recht dargestellt, dass die Bundesregierung das Rechtsinstitut der nachträglichen Sicherungsverwahrung sehr kritisch bewertet hat. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist bekanntlich während der Regierungszeit von SPD und Grünen ab dem Jahr 2004 eingeführt worden. Wir waren der Auffassung, dass sie sich nicht bewährt hat, und haben sie daher pro futuro abgeschafft. Allerdings hat eine Mehrheit des Bundestages auf Vorschlag unseres Hauses die Entscheidung getroffen, dass sie für Altfälle weiterhin gelten soll. Nun haben Sie auf Zahlen rekurriert, die unter anderem von Professor Kreuzer in einem Aufsatz erwähnt worden sind. Dazu habe ich folgende Erkenntnisse: In der Tat ist die nachträgliche Sicherungsverwahrung nur in ungefähr 20 Fällen angeordnet worden. Dabei handelt es sich immer um sogenannte Altfälle, bei denen die entsprechenden Taten und Verurteilungen vor dem von RotGrün eingeführten Rechtsinstitut der nachträglichen Sicherungsverwahrung lagen. Darüber hinaus ist selbstverständlich denkbar, dass es weitere Altfälle aus der Zeit vor 2004 gibt, bei denen bisher noch keine nachträgliche Sicherungsverwahrung beantragt oder entschieden worden ist, und dass es zudem eine weitere Gruppe von Fällen einer nachträglichen Sicherungsverwahrung geben kann, nämlich die sogenannten Neufälle aus dem Zeitraum von 2004 bis 31. Dezember 2010. Zu diesem Zeitpunkt haben wir das Rechtsinstitut abgeschafft. Es liegen uns keine belastbaren Erkenntnisse darüber vor, wie viele Fälle das insgesamt sind. Herr Professor Kreuzer hat sich bei seiner Aussage, dass es sehr viele Fälle sein könnten, auf die formellen Voraussetzungen bezogen. Das ist zutreffend. Hinzukommen musste aber, dass sogenannte Nova, neue Tatsachen, während der Haftzeit entstanden waren und eine Gefährlichkeitsprognose gestellt werden musste. Hier gelten aber nicht mehr alle Tatbestände, die früher einmal gegolten haben. Da das Verfahren also mehrere Faktoren umfasst, kann man keine präzise Vorhersage treffen, wie viele solcher Anordnungen aufgrund alten Rechts noch getroffen werden könnten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Montag, Sie haben eine weitere Nachfrage? Bitte sehr.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine weitere Nachfrage habe ich, Frau Präsidentin. Herr Kollege Stadler, ich persönlich und auch meine Fraktion stimmen der Einschätzung der Bundesregierung zu, dass sich die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht bewährt hat. Es ist richtig - wir haben die gleichen Zahlen -, dass sie in nicht mehr als 20 bis 25 Fällen angewandt worden ist. Wir wären froh gewesen, wenn die Bundesregierung oder die Koalition die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht nur ad futurum, sondern auch für die Fälle, die Sie zum Schluss geschildert haben, abgeschafft hätte. Ich frage Sie ganz konkret: Wir haben einen Täter, der im November 2010 mehrere einschlägige schwerste Straftaten begeht. Diese Taten werden dem Täter erst in 14 Jahren zugerechnet. In 14 Jahren bekommt der Täter für diese Taten dann eine Strafe von 14 Jahren. Von heute aus gesehen in 28 Jahren soll er entlassen werden. Wenn kurz vor der Entlassung in 28 Jahren die formellen Voraussetzungen für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung gegeben sind - es Nova gibt und die Gefährlichkeitsprognose durch zwei Sachverständige unterstützt wird -, würde das, wenn wir nichts ändern, dazu führen, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die die Koalition jetzt abgeschafft hat, in 28 Jahren immer noch angewendet wird? Stimmen Sie dem zu?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege Montag, über diese Frage haben wir bei der Reform der Sicherungsverwahrung vor wenigen Wochen hier im Plenum, im Ausschuss und in Berichterstattergesprächen ausführlich gesprochen. Es liegt nun einmal im Wesen eines Stichtags, ab dem man ein neues System einführt, dass ein altes System und alte Regelungen weiter gelten können. Sie haben versucht, ein argumentum ad absurdum aufzubauen; das ist immer eine starke Argumentationsfigur. In der Tat waren wir uns bei unserer Entscheidung darüber im Klaren, dass man Fälle bilden kann, bei denen noch für einen längeren Zeitraum die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung einer Sicherungsverwahrung besteht, da das alte Recht noch bis zu dem Zeitpunkt fortgilt, ab dem wir es durch ein völlig neues System ersetzt haben. Ob es in einem solchen Fall wirklich zu einer Anordnung kommen würde, kann jetzt natürlich noch niemand vorhersagen. Das hängt von vielen Faktoren ab. Sie haben einige zu Recht aufgezählt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommen wir zu Frage 12, ebenfalls des Kollegen Montag: Mit welcher Begründung wird die Bundesregierung gegen das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 13. Januar 2011 ({0}), wonach die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist, Beschwerde einlegen ({1})?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Es geht wieder um denselben Vorgang, und Herr Kollege Montag will wissen, mit welcher Begründung die Bundesregierung Beschwerde einlegen wird. Es ist erneut darauf hinzuweisen, dass es sich bei dieser Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 13. Januar 2011 um eine Einzelfallentscheidung gehandelt hat, die sich, wie ich vorhin schon dargestellt habe, auf ein vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärtes Landesgesetz bezogen hat. Das spricht dafür, dass man keinen Rechtsbehelf dagegen einlegt. Aber die Bundesregierung hat noch nicht abschließend entschieden, ob sie einen Rechtsbehelf einlegen wird oder nicht. Demgemäß vermag ich die Frage nach der Begründung jetzt nicht zu beantworten, da auch die Möglichkeit besteht, dass gar kein Rechtsbehelf eingelegt wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Montag, eine Nachfrage?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, eine Nachfrage habe ich dazu. Es ist erfreulich, dass die Bundesregierung diese Frage noch prüft und sich nicht vorschnell festgelegt hat, wie wir es in der Presse als Forderung der Koalition gelesen haben. Ich frage Sie, Herr Kollege Stadler, ob folgende Tatsachen bei dieser noch zu fällenden Entscheidung eine Rolle spielen werden: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ja in der allseits bekannten Entscheidung zur Sicherungsverwahrung vom Dezember 2009 die Bundesrepublik Deutschland verurteilt. Die Bundesregierung ist entgegen dem Rat vieler Fachleute in die Beschwerde gegangen. Im Mai 2010 mussten wir feststellen, dass die Große Beschwerdekammer die Beschwerde der Bundesrepublik Deutschland bzw. der Bundesregierung nicht einmal zur Sachentscheidung angenommen hat. Danach hat die damalige deutsche Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Renate Jaeger in der deutschen Presse ein Interview gegeben, in dem sie zum Verhalten der Bundesregierung bei der Einlegung von Beschwerden sagt: Wir werden so lange entscheiden, bis die deutsche Regierung begriffen hat. Werden diese Überlegungen eine Rolle spielen, wenn es darum geht, eventuell wieder Beschwerde gegen die Entscheidung einzulegen?

Dr. Max Stadler (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002805

Herr Kollege Montag, bei der Entscheidung aus dem Jahr 2009, die Sie erwähnt haben, ging es um einen Sachverhalt, bei dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot angenommen hat. Bei dem gleichen Sachverhalt hatte zuvor das Bundesverfassungsgericht einen solchen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot nicht angenommen. Es handelte sich um eine grundlegende Frage, bei der zwei höchst angesehene oberste Gerichte unterschiedliche Entscheidungen getroffen haben. Ich glaube, dass die Bundesregierung nicht dafür getadelt werden kann, dass sie mit einem Rechtsbehelf diese schwierige, vom Bundesverfassungsgericht anders bewertete Frage einer endgültigen Klärung zuführen wollte. Sie haben zu Recht erwähnt, dass es bei dieser Entscheidung geblieben ist. Am 13. Januar 2011 sind andere Parallelfälle entschieden worden. In diesen Fällen bietet es sich an, keinen Rechtsbehelf einzulegen, weil so gestaltete Fälle schon im Jahr 2009 rechtskräftig entschieden worden sind. Bei dem anderen Fall, dem Fall aus Passau, hängt die Entscheidung davon ab, ob man ihn als Einzelfall bewertet, der für die Zukunft keine besondere Bedeutung hat, oder ob man ihm eine grundsätzliche Bedeutung beimisst und deswegen eine Überprüfung herbeiführen möchte. Das gilt es abzuwägen. Diese Prüfung ist, wie gesagt, im Gange und noch nicht abgeschlossen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter bereit. Die Fragen 13 und 14 der Abgeordneten Paus werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Schick auf: Welche Überlegungen gibt es seitens der Bundesregierung, eine Umschuldung für überschuldete Staaten wie Griechenland und Irland vorzunehmen, insbesondere mithilfe der European Financial Stability Facility ({0})?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Schick, die Antwort der Bundesregierung lautet wie folgt: Die Bundesregierung sieht keinen Bedarf, bei Griechenland oder Irland eine Umschuldung vorzunehmen. Der Internationale Währungsfonds hat auch in seinem jüngsten Review bestätigt, dass beide Staaten nicht, was in Ihrer Frage unterstellt wird, überschuldet sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schick, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte sehr.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Bedeutet das, dass die Bundesregierung es ablehnt, eine solche Umschuldung im Rahmen europäischer Regelungen vorzunehmen, wenn es nicht zu einer Verschlechterung der Konditionen für diese Länder kommt?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Schick, mit Ihrer Frage versuchen Sie, die Bundesregierung in das Reich der Spekulationen zu treiben. Die Bundesregierung hat weiterhin das primäre Ziel, das Marktvertrauen in Griechenland und Irland zu stärken. Deswegen lasse ich mich zu Spekulationen nicht hinreißen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine weitere Nachfrage, Herr Schick?

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es handelte sich mitnichten um eine Spekulation. Auch wenn Sie derzeit nicht davon ausgehen, dass eine Umschuldung nötig ist, könnte sich die Situation in Zukunft verschlechtern. Nach diesem Fall habe ich aber nicht gefragt. Ich habe gefragt, ob die Bundesregierung im Fall einer Nichtverschlechterung nicht bereit wäre, im Rahmen eines europäischen Comprehensive Package oder anderer Kompromissregelungen einer Umschuldung zuzustimmen, zum Beispiel über die EFSF oder auf anderem Wege, solange sich die Konditionen nicht verschlechtern.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Schick, in meiner ersten Antwort auf Ihre Frage habe ich darauf hingewiesen, dass wir - auch angesichts der Analyse des Internationalen Währungsfonds - derzeit überhaupt gar keine Notwendigkeiten sehen, über eine solche Maßnahme nachzudenken. Deswegen ist alles, was darüber hinausgeht - zumindest nach dem Verständnis der Bundesregierung -, rein spekulativ und kann durch die Bundesregierung oder durch mich hier nicht beantwortet werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen Schick: Welche Überlegungen gibt es seitens der Bundesregierung, in einem künftigen Verfahren der europäischen Schuldenhilfe die von den betroffenen Ländern zu zahlenden Zinsen gegenüber dem jetzigen Satz zu verringern ({0})? Herr Staatssekretär.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Schick, die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Frage lautet wie folgt: Die Ausgestaltung der Zinskonditionen bei einem zukünftigen Verfahren für europäische Schuldenhilfen könnten sich grundsätzlich an folgenden Aspekten orientieren: Schuldentragfähigkeit, Anreizwirkung zur Rückkehr in den Kapitalmarkt, Höhe des IWF-Zinssatzes oder Höhe der Einstandskosten der Geberländer. Die Bundesregierung hat bislang noch keine abschließende Haltung zur Frage der zukünftigen Ausgestaltung der Zinskonditionen entwickelt. Von daher können wir hier lediglich unsere grundsätzlichen Überlegungen dazu darlegen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schick, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte sehr.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Ich würde gerne noch eine Frage bezüglich der Zinsen im Zusammenhang mit dem Euro-Rettungsschirm stellen. Herr Brüderle hat geäußert, dass die Kredite unterschiedliche Zinssätze haben könnten. Mich würde interessieren, ob es Überlegungen vonseiten der Bundesregierung gibt, in unterschiedlichen Fällen der Hilfe unterschiedliche Zinssätze festzusetzen, oder ob diese einheitlich sein sollen? Ich nehme an, Sie wissen, auf welchen Vorschlag von Herrn Brüderle ich Bezug nehme?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Ja. Herr Brüderle und die Bundesregierung insgesamt sind der Auffassung, dass jeder Einzelfall und damit auch die Gestaltung der Konditionen möglicher Hilfsaspekte individuell zu betrachten sind. Welche Konsequenzen das für zukünftige Programme hat, können wir noch nicht sagen, da derzeit, Gott sei Dank, keine weiteren Anträge auf Hilfe vorliegen. Es ist auch von der Ausgestaltung des permanenten Mechanismus abhängig, dessen Grundzüge wahrscheinlich beim Europäischen Rat im März 2011 festgelegt werden. Der Meinungsbildungsprozess der Bundesregierung dazu ist noch nicht abgeschlossen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Frage 17 des Abgeordneten Thomas Gambke: Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die effektive Kapazität des derzeitigen Rettungsmechanismus ausreicht, oder müsste das verfügbare Volumen durch Kredite der EuroStaaten erhöht werden ({0})?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Gambke, Ihre Frage möchte die Bundesregierung wie folgt beantworten: Wir beobachten die Entwicklung an den Finanz- und Anleihemärkten sehr genau und sind entschlossen, als Bundesregierung das Notwendige umzusetzen, um die Stabilität der WirtParl. Staatssekretär Steffen Kampeter schafts- und Währungsunion als Ganzes zu sichern. Dabei vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass alle Maßnahmen zur Euro-Stabilisierung in eine Gesamtstrategie der Krisenbewältigung eingebettet werden müssen, über die noch zu entscheiden sein wird. Eine solche Gesamtstrategie beinhaltet beispielsweise die Anstrengungen der Länder, eine stärkere wirtschaftspolitische und finanzpolitische Koordinierung vorzunehmen. Die Europäische Finanzstabilitätsfazilität hat im letzten Jahr ihre Arbeit aufgenommen. Gestern hat es eine erste Tranche gegeben. Die Ergebnisse waren insoweit außerordentlich erfreulich, als dass es ein starkes Interesse an dieser Tranche gegeben hat. Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität ist als Finanzierungsinstrument für Kredithilfen ausgestattet worden. Die EuroStaaten, sofern sie nicht selber Nehmer eines Kredits sind, stellen Garantien bereit, um Kredite abzusichern. Das Ziel der Bundesregierung ist es, diesen Mechanismus effizient und effektiv zu nutzen. Nach der Mechanik der Fazilität stehen die beschlossenen 440 Milliarden Euro in der Realität möglicherweise nicht vollumfänglich zur Verfügung, auch vor dem Hintergrund von Ratingüberlegungen. Unsere Überlegungen, wie wir, gegebenenfalls auch nach einer Bewertung der ersten Marktergebnisse der Fazilität, weiter vorgehen, sind noch nicht abgeschlossen. Eine Entscheidung wird im Rahmen der Überlegungen, die ich in meiner Antwort auf die Frage des Kollegen Schick im Hinblick auf die Entscheidungen des Europäischen Rates erwähnt habe, im Gesamtkontext zu fällen sein.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Gambke, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte sehr.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Antwort, Herr Staatssekretär. Sie haben, soweit ich das verstanden habe, davon gesprochen, dass die Bundesregierung alle Maßnahmen prüft. Nun haben aber wesentliche Vertreter der Bundesregierung gerade gegenüber Euro-Bonds bisher eine stark ablehnende Haltung an den Tag gelegt. Nach der kürzlich erfolgten sehr erfolgreichen Lancierung der Euro-Anleihe, bei der es zu einer achtfachen Überzeichnung kam, stellt sich allerdings die Frage, ob das Thema Euro-Bonds nicht doch noch einmal aufgegriffen werden sollte. Meine konkrete Frage lautet: Kann die Bundesregierung wirklich ausschließen, in Zukunft mit gemeinschaftlichen Anleihen, den sogenannten Euro-Bonds, dazu beizutragen, die Schwierigkeiten im europäischen Währungssystem zu stabilisieren?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege, zuerst einmal bedeutet das erfreuliche Emissionsergebnis von gestern, dass die von der Bundesregierung unterstützte Einrichtung dieser Fazilität ein Erfolg ist. Die vor der ersten Emission gelegentlich zu hörenden Zweifel, dass das alles nichts taugt, dass nachgebessert werden und über alternative Instrumente nachgedacht werden muss, haben sich zumindest im Rahmen der ersten Emission nicht bewahrheitet. Deswegen sieht sich die Bundesregierung in ihrer Politik bestätigt. Zum zweiten Teil Ihrer Frage. Dass wir alle Maßnahmen prüfen, stimmt. Wir haben die Sozialisierung der Zinsunterschiede - das ist nichts anderes als die von Ihnen vorgeschlagene Emission von Euro-Anleihen - aus unserem Portfolio ausgeschlossen, weil wir glauben, dass die Zinsdifferenz - die Frau Bundeskanzlerin hat dies mehrfach deutlich gemacht - ein Bestandteil einer umfassenden Anreizstrategie hin zu mehr Solidität der Staatsfinanzen der betroffenen Länder sein kann. Wir glauben, dass mit der Emission von Euro-Anleihen genau dieser Anreiz verloren geht. Das ist Ergebnis und Stand unserer bisherigen Überlegungen und Prüfungen im Hinblick auf dieses Instrument.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine weitere Nachfrage, Herr Gambke?

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Ich würde an dieser Stelle gerne eine konkrete Nachfrage stellen. Sie sprachen von einer Sozialisierung der Zinsen. Da die kürzlich begebene Anleihe durch den gesamten Euro-Raum abgesichert ist, sind auch in diesem Fall ein niedriger Zinssatz und, wenn Sie so wollen, eine Sozialisierung der Zinsen zu beobachten. Könnte man dies nicht als Argument im Zusammenhang mit den sogenannten Euro-Bonds ins Felde führen? Hier sehe ich einen Widerspruch.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Bei der temporären Fazilität nutzen wir den Ratingvorteil insbesondere der mit Triple A gerateten Staaten. Durch eine stabile Emission ermöglichen wir die Refinanzierung von Staaten, die diesen Bonitätsvorteil nicht haben. Dabei knüpfen wir die teilweise Weiterreichung dieses Bonitätsvorteils an eine strikte Konditionalität: an ein umfassendes wirtschaftspolitisches Anpassungsprogramm. Die Vorschläge zu Euro-Bonds gehen gerade nicht davon aus, dass es ein konditioniertes wirtschaftspolitisches Anpassungsprogramm gibt, sondern sie gehen von der Vereinheitlichung eines europäischen Zinses für Staatsanleihen ohne wirtschaftspolitische Konditionierung aus. Das ist für den deutschen Steuerzahler eher ein Nachteil und für die betroffenen Länder, die nach Auffassung der Märkte offensichtlich eine nicht adäquate Wirtschaftspolitik betreiben, kein hinreichender Anreiz, diese Wirtschaftspolitik zu ändern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage von Herrn Schick.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben gerade - sinnvollerweise, wie ich finde - im Zusammenhang mit der Euro9674 Bond-Diskussion etwas differenziert. Man hat manchmal den Eindruck, dass Mitglieder der Bundesregierung etwas ablehnen, was wir schon beschlossen haben; wir haben nämlich gerade europäische Anleihen emittiert. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung das unterstützt hat. Deswegen ist es sinnvoll, da zu differenzieren. Meine Nachfrage: Sie haben Euro-Bonds ausgeschlossen, weil Zinsdifferenzen nivelliert und sozialisiert werden. Bezieht sich der Ausschluss auch auf EuroBonds, bei denen es gerade nicht zu dieser Nivellierung kommt, weil man, wie zum Beispiel nach dem Vorschlag von Herrn Juncker und Herrn Tremonti, nach Blue und Red Bonds differenziert? Somit würde nach wie vor differenziert, und die europäischen Verträge würden eingehalten.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Schick, ich habe in meinen bisherigen Antworten versucht, deutlich zu machen, dass wir den Beitrag nicht in einem einzelnen Instrument, sondern in einem Gesamtpaket sehen, um die Stabilität des Euro insgesamt und die Wiederherstellung von solider Staatsfinanzierung in der Breite aller Euro-Staaten zu garantieren. Die Diskussion, die Sie ansprechen, greift verschiedene Facetten einzelner Instrumente auf. Wir haben sie in unserem Gesamtkonzept bewertet und kommen zu der Schlussfolgerung, die wir Ihnen vorgetragen haben, nämlich dass ein integriertes Gesamtkonzept, das sich an strikteren Fiskalregeln, an einer effektiveren und transparenteren Bankenstruktur sowie an einer Effektivierung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts und der temporären Fazilität ausrichtet, ein geeignetes Instrument ist. Andere Instrumente, die der Bundesregierung zum Erreichen des Ziels, nämlich der Stabilität der Euro-Zone insgesamt und des Abbaus der Staatsverschuldung, als adäquates Mittel der Wahl zur Verfügung stehen, sehen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht als notwendig oder überzeugend an.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage der Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, nach Ihren Ausführungen würde ich gerne etwas nachfragen. Das heißt also, dass Sie die Vorschläge von Herrn Juncker im Rahmen eines Gesamtpaketes nicht ablehnen?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Haßelmann, Sie und ich kommen aus Ostwestfalen-Lippe. Wir wissen mit den schwierigen Lebensumständen, die wir Ostwestfalen-Lipper manchmal haben, angemessen umzugehen. Ich habe nicht gesagt, dass ich eine Facette in der einen oder anderen Art ablehne, sondern ich habe - positiv definiert - gesagt: Wir haben ein Gesamtmaßnahmenpaket. Darüber hinaus halten wir keine Maßnahmen für geboten. Zu den Euro-Bonds habe ich ausgeführt, dass wir sie als Instrumente ablehnen und nicht für geeignet halten. Mit dem, was wir alternativ dagegensetzen, können wir unser Ziel besser erreichen. ({0}) - Wenn ich die Nachfrage noch beantworten darf: Frau Kollegin Haßelmann, ostwestfälisch klar: Zu Juncker ist alles gesagt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir danken der Bundesregierung für die Einblicke in die Herkunftsländer und die entsprechenden Verhaltensweisen. Ich komme zur Frage 18 der Abgeordneten Barbara Höll: Teilt die Bundesregierung die neue Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs ({0}), wonach bei der Prüfung auf außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes, EStG, zur Geltendmachung von Krankheitskosten nun eine ärztliche Bescheinigung nicht mehr nötig ist, sodass entsprechende Verwaltungsanweisungen in R 33,4 EStR - Einkommensteuer-Richtlinien - anzupassen sind, und wie viele Steuerpflichtige sind nach Schätzungen der Bundesregierung von dieser positiven Rechtsprechung betroffen?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Höll, das BFH-Urteil vom 11. November 2010 wurde dem Bundesminister der Finanzen und dem Ministerium am 19. Januar 2011 für eine Veröffentlichung im Bundessteuerblatt zugeleitet. Sie sind also mit Ihrer Frage relativ flott. Deswegen muss ich Ihnen leider mitteilen: Vor einer abschließenden Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder kann die Bundesregierung keine Aussage darüber treffen, welche Schlussfolgerungen aus dieser Entscheidung zu ziehen sind. Die Gespräche dauern an. Im Übrigen liegen der Bundesregierung keine Angaben vor, wie viele Steuerpflichtige von der neuen Rechtsprechung betroffen sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Höll, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Staatssekretär. - Ich gehe davon aus, dass Sie, wenn Sie zu einem abschließenden Ergebnis gekommen sind, in der Lage sind, die Zahlen mitzuliefern und mich entsprechend zu informieren. Ich möchte nachfragen. Dabei geht es ja um außergewöhnliche Belastungen. Für Menschen mit chronischen Krankheiten, für Menschen mit Behinderungen und für Menschen, die Pflegebedürftige betreuen, gibt es im Steuerrecht die Möglichkeit, Pauschbeträge anzusetzen. Diese Pauschbeträge wurden in den letzten Jahren - es geht hier um § 33 b Einkommensteuergesetz - nicht angepasst. Wir haben jetzt den Referentenentwurf zum Steuervereinfachungsgesetz 2011 von Ihnen bekommen. Die Länder hatten angeregt, dass die Pauschbeträge im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens angehoben werden sollen. Die Bundesregierung hat diesen Gedanken nicht aufgegriffen. Mich würde interessieren, warum Sie das nicht getan haben.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Höll, durch die Debatte in den vergangenen Wochen hat sich gezeigt, dass das Gesetzgebungsverfahren zur Steuervereinbarung äußerst sensibel ist nicht nur aufgrund des Kräftespiels im Parlament, sondern das gilt auch im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Wir haben uns angesichts der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel für die Steuervereinfachung positiv verbindlich darauf geeinigt, die Maßnahmen ins Gesetzgebungsverfahren zu übernehmen - nach meiner Kenntnis im Übrigen dann auch zwischen Bund und Ländern abgestimmt -, die derzeit in dem Entwurf stehen. Frau Kollegin Höll, dass es darüber hinaus weitere Wünsche gibt, ist der Bundesregierung sehr wohl bekannt. Wir akzeptieren aber die jetzt zwischen dem Bund und den Ländern und innerhalb der Koalition getroffenen Entscheidungen, und wir werden sie dann im Regierungsentwurf dem Deutschen Bundestag zur abschließenden Beschlussfassung vorlegen. Es steht dem Gesetzgeber jederzeit frei, mithilfe einer parlamentarischen Mehrheit davon abzuweichen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Nachfrage?

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Das Steuervereinfachungsgesetz ist ja tatsächlich ein sehr sensibles Thema, wie Sie am Beginn zu Recht betont haben. Gerade deshalb möchte ich nachfragen. Sie haben vor, die Kinderbetreuungskosten im Steuervereinfachungsgesetz anders als jetzt zu behandeln. Wenn sie erwerbsbedingt sind, können sie jetzt als außergewöhnliche Belastung veranschlagt werden. Diesen Zusammenhang zwischen erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten und Erwerbstätigkeit - es ist ja eine Voraussetzung für die Erwerbstätigkeit, dass das Kind betreut wird - wollen Sie auflösen, und die Kosten sollen bei den Sonderausgaben veranschlagt werden. Das kann man natürlich tun. Ich frage die Bundesregierung aber, warum sie das grundlegende Prinzip der Verbindung zwischen der Erwerbstätigkeit und den erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten kappen will, was dazu führt, dass es zu einer geringeren Entlastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler kommen wird. Das war ja wohl nicht unbedingt das Ziel, das mit dem Steuervereinfachungsgesetz verfolgt werden sollte. Ist Ihnen bewusst, dass durch diese Regelung die Steuerlast etlicher Steuerzahlerinnen und Steuerzahler letztendlich deshalb ansteigt, weil die entsprechende Berechnung in den Kommunen erfolgt und das dort sehr unterschiedlich steuerlich behandelt wird? Das heißt, es entstehen ihnen Nachteile; denn die Kinderbetreuungskosten werden ja unter Zugrundelegung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit berechnet. Ist Ihnen das bewusst? Das kann im Einzelfall bedeuten, dass Mütter und Väter 50 Euro und mehr im Monat zusätzlich für einen Kitaplatz zahlen müssen. Ist das die Zielstellung, die Sie mit Ihrer Steuervereinfachung verfolgen?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Höll, Ihnen ist zweifelsohne bekannt, dass es noch keinen Kabinettsbeschluss gibt. Wir befinden uns derzeit in der Vorstufe; wir können nur den Referentenentwurf zum Steuervereinfachungsgesetz diskutieren. Ich kann Ihnen versichern, dass die von Ihnen hier vorgetragenen Aspekte in der Zeit zwischen dem Referentenentwurf, dem Kabinettsbeschluss und der Beschlussfassung im Deutschen Bundestag sehr wohl bewertet und dann einer angemessenen und sachgerechten Entscheidung zugeführt werden. Einem Kabinettsbeschluss und einem Bundestagsbeschluss vermag ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorzugreifen - eigentlich nie -, sodass ich Sie bitte, Ihre Argumente in den parlamentarischen Beratungen noch einmal vorzutragen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Kollegin Antje Tillmann hat eine Zusatzfrage.

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie meine Information bestätigen, dass wir bei der Diskussion über die Frage, welche Regelungen aus dem Steuervereinfachungsgesetz rückwirkend zum 1. Januar 2011 in Kraft gesetzt werden, genau über die Thematik gesprochen haben, die die Frau Kollegin Höll angesprochen hat, dass wir nämlich den Kommunen die Gelegenheit geben wollen, die Bemessungsgrundlagen so zu verändern, dass es zu den Auswirkungen, die sie dargestellt hat, nicht kommt? Wir haben auch schon im Vorwege mit Kommunen gesprochen und signalisiert, dass es hier Probleme gibt. Soweit ich weiß, hat sich das Ministerium unserer Meinung angeschlossen und gerade deswegen die Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten erst zum 1. Januar 2012 ins Gesetz geschrieben.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin, da ich Ihren Sachverstand als Steuerberaterin sehr hoch einschätze, vermute ich, dass die Bundesregierung das bestätigen kann. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit kommen wir zur Frage 19 der Kollegin Dr. Barbara Höll: Welche neuen Erkenntnisse, Ergebnisse bzw. Fortschritte zur Vereinfachung und Systematisierung der steuerlichen Berücksichtigung von Ausbildungskosten hat die Bundesregierung erzielt, und wie viele Steuerpflichtige haben in den Jahren 2004 bis 2006 basierend auf der Einkommensteuerstatistik entsprechende Kosten nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG erklärt ({0})?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Auch hier will ich versuchen, die Kollegin Höll durch mein intensives steuerrechtliches Wissen zu beeindrucken. Die Antwort auf die Frage lautet wie folgt: Die einkommensteuerrechtliche Behandlung von Berufsausbildungskosten wurde durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21. Juli 2004 neu geordnet. Der Bundesfinanzhof ist auf die Neuordnung mit einer Entscheidung vom Juni 2009 eingegangen und hat den im Rahmen der Neuordnung eingeführten § 12 Nr. 5 Einkommensteuergesetz verfassungskonform ausgelegt. Zur Einbeziehung der Rechtsfolgen aus der allgemeinen Anwendung des BFH-Urteils und zur Berücksichtigung notwendiger redaktioneller Änderungen wurden die bisherigen BMF-Rundschreiben - sie datierten vom 4. November 2005 und vom 21. Juni 2007 - zur Neuordnung der Ausbildungskosten nach einer Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder klarstellend überarbeitet und zusammengefasst. Das neue BMF-Rundschreiben vom 22. September 2010 ist im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Das Ergebnis dieser Maßnahme ist die konsequente und klare Umsetzung der BFH-Rechtsprechung zugunsten der Studierenden mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Die Entlastung beläuft sich auf mehrere Millionen Euro jährlich. Die zu § 10 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz erbetenen Daten liegen der Bundesregierung nicht vor.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage?

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie die Zahlen noch erheben; sonst kann ich auch eine Kleine Anfrage dazu machen. Das könnte man vielleicht absprechen. Mich interessiert trotzdem, wie Sie in der nächsten Zeit das Chaos beenden wollen, das durch den Wegfall der Wehrpflicht, die unbestimmte Zukunft des Zivildienstes und die Tatsache entsteht, dass in einigen Bundesländern durch die Verkürzung der Schulzeit erstmals ein doppelter Jahrgang Studierender das Studium beginnen wird. Die Unübersichtlichkeit ist für viele Studierende, die durch Studiengebühren und notwendige Anschaffungen wie Computer und Ähnliches sehr stark belastet sind, groß. Für den normalen Studienanfänger oder die Studienanfängerin ist zum Beispiel nicht klar, wie verfahren wird, wenn sie eine abgeschlossene Berufsausbildung haben und ein Studium beginnen. Sie haben im Steuervereinfachungsgesetz Vereinfachungen vorgesehen. Dazu gehört der Wegfall der Obergrenze, sodass ein Studierender, der unter 20 Stunden pro Woche arbeitet, nicht mehr angeben muss, wie viel er arbeitet. Das sieht zunächst wie eine Vereinfachung aus. Für denjenigen, der eine abgeschlossene Berufsausbildung hat, gilt das nicht; für ihn gilt die Obergrenze weiter. Das wird der Student nicht nachvollziehen können. Eine weitere Frage ist, inwieweit Sie bei den Regelungen Missbrauchsmöglichkeiten sehen. Studierende, die zum Beispiel Kapitaleinkünfte haben, aus denen sie ihren Lebensunterhalt decken und die oberhalb des steuerfreien Existenzminimums liegen, müssen diese ebenfalls nicht mehr angeben und erhalten zusätzlich Kindergeld. Ich weiß nicht, ob das die Zielsetzung der Regierung ist. Haben Sie sich diese Fragen, zum Beispiel nach Missbrauchsmöglichkeiten durch die Steuervereinfachung beim Kindergeldantrag für Studierende nach dem Wegfall der Obergrenze, gestellt?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Höll, zunächst einmal glaube ich nicht, dass die von mir dargelegte Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu irgendwelchen ungeordneten Verhältnissen führt. Lassen Sie mich erst einmal die konkreten Auswirkungen erläutern. Der Bundesfinanzhof hat mit dieser Entscheidung den Anwendungsbereich des Abzugs solcher Kosten als Betriebsausgaben und Werbungskosten durch die verfassungskonforme Regelung ausgedehnt. Als Erstausbildung vor einem Studium ist danach auch eine nichtakademische Ausbildung zu verstehen. Damit können Studentinnen und Studenten die Kosten eines Studiums nicht nur nach einem abgeschlossenen Erststudium, sondern auch nach einer nichtakademischen Ausbildung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten einkommensteuerrechtlich geltend machen. Erforderlich ist selbstverständlich, dass die übrigen Voraussetzungen für den Abzug als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten vorliegen. Wichtig ist dabei der konkrete, hinreichende Zusammenhang mit einer späteren Berufstätigkeit. Führen die Studienkosten zu nicht ausgeglichenen negativen Einkünften, können sie gegebenenfalls in späteren Veranlagungszeiträumen über den Verlustvortrag einkommensmindernd berücksichtigt werden. So viel zur Erklärung dieser Regelung. Was den Teil Ihrer Frage angeht, der sich auf zukünftige Beratungen des Steuervereinfachungsgesetzes bezieht, möchte ich wie schon bei der vorherigen Frage darauf hinweisen, dass wir zurzeit lediglich einen Referentenentwurf erörtern können und eine in allen Details abgestimmte Kabinettsauffassung, über die die Bundesregierung hier berichten könnte, noch nicht vorliegt. Ich bitte Sie, die von Ihnen aufgeworfenen Fragen in die parlamentarischen Beratungen einzubringen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Sie haben noch eine zweite Frage.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Das hatte ich befürchtet.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Ich vermute, dass die Antwort auf die zweite Frage ähnlich ausfallen wird, nämlich dass Sie hier nichts sagen und nur auf die parlamentarischen Beratungen verweisen werden. In dem angesprochenen Themenkomplex des Steuerrechts besteht die Notwendigkeit der Vereinfachung. Sie haben Ihre Entwürfe. Mich interessiert im Rahmen dieser Beratungen der tatsächliche Stand bei der Einführung der elektronischen Einkommensteuererklärung. Dieses Stichwort geistert häufig durch die Presse. Mich würde interessieren, wie weit Sie als Regierung in dem Beratungsprozess über die elektronische Steuererklärung tatsächlich schon gekommen sind.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Höll, die Meinung der Bundesregierung zur elektronischen Steuererklärung ist ausgesprochen positiv. Ob wir das im Gesetzgebungsverfahren zur Steuervereinfachung aufgreifen, dazu kann ich Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aussage machen, ich bin aber gerne bereit, Ihnen schriftlich Informationen zukommen zu lassen, damit auch diese zweite Nachfrage nicht ungehört in den Annalen des deutschen Parlamentarismus versickert.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Es gibt noch eine Nachfrage von Frau Tillmann. Bitte sehr.

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass die Regierung in der Frage der elektronischen Einkommensteuererklärung, die zum Rahmenkonsens gehört, zusammen mit den Ländern ein Projekt mit dem Ziel auf den Weg gebracht hat, in den nächsten Jahren die elektronische Bearbeitung von Steuererklärungen einzuführen, und dass darüber den Finanzministerkonferenzen in regelmäßigen Abständen Bericht erstattet wird? Können Sie uns gleichzeitig zusagen, dass uns auch im Finanzausschuss von diesen Gesprächen berichtet wird?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin, natürlich kann ich Ihnen das bestätigen. Im Zweifel wissen Sie das sogar besser als ich. Darüber hinaus gibt es einige technische Probleme, die in diesem Kontext noch zu beraten sind. Ich sage Ihnen hiermit verbindlich zu, dass der kundige Kollege Hartmut Koschyk im Finanzausschuss in einer der nächsten Sitzungen in Abstimmung mit dem Finanzausschussvorsitzenden darüber Bericht erstatten wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Frage 20 der Kollegin Bettina Kudla wird schriftlich beantwortet. Herr Staatssekretär Kampeter, dann danke ich Ihnen herzlich.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Gibt es nichts mehr zu Steuern, Frau Präsidentin?

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nein, wir sind mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen fertig, wenigstens für heute. Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Für die Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher zur Verfügung. Die Frage 21 des Kollegen Holmeier, die Fragen 22 und 23 des Kollegen Krischer sowie die Fragen 24 und 25 des Kollegen Fell werden schriftlich beantwortet. Bei den Fragen 26 und 27 des Kollegen Dörmann verfahren wir nach unserer Geschäftsordnung. Ich komme nun zur - vorgezogenen - Frage 49 des Kollegen Frank Schwabe: Welche konkreten Handlungen hat die Bundesregierung bis jetzt unternommen, um das Integrierte Energie- und Klimaprogramm, IEKP, der Bundesregierung zu evaluieren, und wann werden Institute und/oder Fachexperten mit der Evaluierung des integrierten IEKP beauftragt? Herr Staatssekretär, bitte.

Ernst Burgbacher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003063

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Schwabe, die Bundesregierung hat im Rahmen des Zehn-PunkteSofortprogramms zum Energiekonzept beschlossen, dass sie prüfen wird, wie das Monitoring des Energiekonzepts mit dem des IEKP in Übereinstimmung gebracht werden kann. Diese Prüfung läuft im Augenblick. Sie ist aber noch nicht abgeschlossen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage, bitte.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, dass das, was Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben, nämlich eine Evaluierung des Programms, das 2007 in Meseberg beschlossen wurde und 29 Maßnahmen vorsieht, jetzt von Ihnen nicht eingehalten wird? Im Koalitionsvertrag ist ja festgelegt worden, dass eine solche Evaluierung bis zum Ende des Jahres 2010 stattgefunden haben soll.

Ernst Burgbacher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003063

Herr Kollege Schwabe, wir halten selbstverständlich den Koalitionsvertrag ein. Die Überprüfung ist uns auch wichtig. Aber wir haben nun zum ersten Mal - im Gegensatz zu allen Vorgängerregierungen - ein umfassendes Energiekonzept verabschiedet. Das hat die Bundesregierung mit Kabinettsbeschluss vom 27. September 2010 auf den Weg gebracht. In diesem Energiekonzept wurde festgelegt, dass das Monitoring des Energiekonzepts alle drei Jahre stattfinden soll, erstmals 2013. Nun schien es uns sinnvoll - ich bin überzeugt, dass dies das einzig sinnvolle Vorgehen ist -, die Überprüfung des IEKP mit dem Monitoring zusammenzuführen. Es macht überhaupt keinen Sinn, das eine isoliert vom anderen zu betreiben. Da sind wir im Augenblick in der Abstimmung. Ich bitte Sie aber um Verständnis. Ich habe Ihnen das Datum bewusst genannt: Das Energiekonzept wurde am 27. September 2010 beschlossen. Es muss jetzt schon seriös erarbeitet werden, wie das Monitoring erfolgen und wie die Überprüfung des IEKP darin integriert werden kann.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sehen Sie sich in der Lage, ein Datum zu benennen, wann wir mit der Evaluierung rechnen können, oder können Sie uns zumindest einen Zeitplan nennen, wie es ablaufen soll?

Ernst Burgbacher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003063

Ich habe Ihnen gerade gesagt, wir sind jetzt in der Überprüfung. Wir schauen, wie wir das zusammenführen können. Bitte haben Sie Verständnis - Sie wissen das aus eigener Erfahrung -, dass solche Prozesse nicht mit einem konkreten Enddatum versehen werden können. Aber wir werden zeitnah darangehen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Hier steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel zur Verfügung. Die Frage 28 der Kollegin Dr. Martina Bunge, die Fragen 29 und 30 des Kollegen Harald Weinberg, die Fragen 31 und 32 der Kollegin Sabine Zimmermann sowie die Fragen 33 und 34 des Kollegen Klaus Ernst werden schriftlich beantwortet. Damit rufe ich die Frage 35 des Kollegen Memet Kilic auf: In welchem Bereich erkennt die Bundesregierung einen Fachkräftemangel, und welche einwanderungspolitischen Maßnahmen erachtet sie für notwendig, um diesem zu begegnen? Herr Staatssekretär, bitte.

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Als Erstes möchte ich feststellen, dass die Bundesregierung derzeit keinen akuten allgemeinen und flächendeckenden Fachkräftemangel sieht. Zweitens gibt es allerdings in Bezug auf bestimmte Qualifikationen, Regionen und Branchen Fachkräfteengpässe. So hat die Bundesagentur für Arbeit in einer aktuellen Analyse Fachkräfteengpässe bei den Berufen Maschinen- und Fahrzeugbauingenieur, Elektroingenieur und Arzt festgestellt. Wir erwarten, dass das Thema Fachkräftebedarf aufgrund des demografischen Wandels und des damit einhergehenden sinkenden Arbeitskräfteangebots - im Durchschnitt wird es sich auch um ältere Arbeitnehmer handeln - langfristig sicherlich an Bedeutung gewinnen wird. Was tun wir, um den aktuellen Arbeitskräftebedarf möglichst genau zu messen? Um zugleich auch eine längerfristige Prognose entwickeln zu können, welche Arbeitskräftebedarfe sich im weiteren Zeitablauf ergeben können und in welchen Branchen, Berufen und Regionen dies der Fall sein wird, bedienen wir uns derzeit neuer Instrumente, die im Aufbau sind. Es geht hierbei um das, was mit den Stichworten „Arbeitskräfteallianz“ und „Jobmonitoring“ gemeint ist. Wir erwarten, dass wir erste Informationen zu kurzfristigen Bedarfen nach dem Jobmonitoring im dritten Quartal 2011 vorlegen können. Ein Weiteres, was ich hier dazu sagen möchte, ist, dass es eine Qualifizierungsinitiative gibt, die das Thema „Bildung und Forschung“ umfasst. Trotz der knappen Finanzen aufgrund der Haushaltskonsolidierung werden bis 2013 immerhin 12 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, um die Qualifizierung hier im Lande voranzutreiben. Darüber hinaus verweise ich auf unsere Bestrebungen, zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern. Ein weiterer Punkt, den ich hier nur stichwortartig nennen möchte, ist das vorgesehene neue Anerkennungsgesetz, mit dem wir erreichen möchten, dass Menschen, die zugewandert sind, aber nicht in einem ihrer Qualifikation entsprechenden Beruf tätig sind, durch genau zugeschnittene Nachqualifizierungen befähigt werden, dem deutschen Arbeitsmarkt entsprechend ihrer Ausbildung zur Verfügung zu stehen. Der Gesetzentwurf ist derzeit in der Ressortabstimmung. Bezüglich der Frage, wie es ausländerrechtlich aussieht, werde ich Ihnen am heutigen Tag kaum einen Informationsgewinn verschaffen können. Neben all den notwendigen Anstrengungen, die hier lebenden Menschen in Beschäftigung zu bringen, brauchen wir mehr qualifizierte Zuwanderung. Über Änderungen im Zuwanderungsrecht in Bezug auf die Arbeitsmigration finden noch Gespräche zwischen den Koalitionsfraktionen statt. Sie haben am heutigen Nachmittag bereits versucht, durch verschiedene Fragen an andere Ressorts etwas in Erfahrung zu bringen. Ich kann Ihnen, wie gesagt, beim besten Willen, auch wenn Sie hier so tapfer ausgeharrt haben, leider keinen Erkenntnisgewinn verschaffen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage, Herr Kollege.

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, vielen herzlichen Dank für die Beantwortung eines Teils der Frage, aber auch herzlichen Dank dafür, dass Sie offen zugegeben haben, dass Sie auf einen bestimmten Teil der Frage zurzeit keine Antwort geben können. Stelle ich zu Recht fest, dass die Bundesregierung auf dem Gebiet der Altenpflege zurzeit keinen Fachkräftemangel feststellen kann?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Dieses Thema ist sehr differenziert zu sehen. Es gibt hier Engpässe. Wir haben Arbeitslose in diesem Bereich, und wir haben eine Nachfrage in diesem Bereich. Auch hier sind Diskussionsprozesse im Gange.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Sie haben eine zweite Nachfrage?

Memet Kilic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004069, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Die Bundesregierung hatte bereits für den Herbst letzten Jahres einen Gesetzentwurf angekündigt, welcher die Anerkennung der ausländischen Abschlüsse regeln soll. Später wurde korrigiert: Dieser Gesetzentwurf sollte Ende letzten Jahres vorgelegt werden. Mittlerweile sind wir am Ende des Januars 2011 angelangt. Der Gesetzentwurf liegt uns bis heute nicht vor. Wie lange müssen wir auf diesen Gesetzentwurf warten?

Hans Joachim Fuchtel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000616

Ich habe Ihnen schon vorher gesagt, dass wir in der Ressortabstimmung sind. Ich möchte nochmals auf die erhebliche Bedeutung dieses Gesetzes hinweisen. Es handelt sich um ein Potenzial von circa 500 000 Personen, die davon Gebrauch machen können. Es ist also sehr wichtig, ein handwerklich gutes und praktikables Gesetz zu verabschieden. Sie wissen, dass gerade in meinem Ministerium sehr viele Themen gleichzeitig behandelt werden. Daher kann nicht alles so schnell gehen, wie man es sich vorgestellt hat.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Da der Parlamentarische Staatssekretär zur Stunde noch nicht da ist, können die beiden Fragen des Kollegen Ostendorff, also die Fragen 36 und 37, nicht beantwortet werden. Mit Herrn Ostendorffs Einverständnis stellen wir die Beantwortung dieser Fragen noch etwas zurück. Die Fragen 38 und 39 der Kollegin Höfken werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Hier werden die Fragen 40 und 41 der Kollegin Tabea Rößner, die Fragen 42 und 43 des Kollegen Nouripour sowie die Frage 44 der Kollegin Keul ebenfalls schriftlich beantwortet. Nun sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Hier wird die Frage 45 des Kollegen Toncar schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Hier steht für die Beantwortung der Fragen der Parlamentarische Staatssekretär Jan Mücke zur Verfügung. Ich rufe die Frage 46 der Kollegin Cornelia Behm auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Anfang Dezember 2010 gemachten Äußerungen des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, die Betreiber des Airport Berlin Brandenburg International, BBI, müssten „ernsthaft darüber nachdenken, ob und inwieweit gleichzeitige parallele Starts überhaupt notwendig sind“, und die Aussage von Hans Niebergall, Chef der DSF, der Deutschen Flugsicherung GmbH, wonach auf das Abknicken der Routen nicht verzichtet werden könne, da der Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen BBI den unabhängigen Parallelstart vorsehe, und hat das zur Folge, dass ein neues Planfeststellungsverfahren erforderlich wird?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Frau Kollegin Behm! Auf Ihre Frage möchte ich wie folgt antworten: Die Aussage von Bundesminister Dr. Peter Ramsauer betrifft die grundlegende Betriebsform des BBI, während die Aussage von Hans Niebergall von der Deutschen Flugsicherung ein bestimmtes Flugverfahren betrifft. Die getroffenen Aussagen beziehen sich auf unterschiedliche Themen und haben nicht zur Folge, dass deswegen ein neues Planfeststellungsverfahren erforderlich wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ihre Nachfrage, bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Seit ich diese Frage gestellt habe, ist ja schon viel Wasser die Havel und die Spree heruntergeflossen. Inzwischen sind ganz viele verschiedene Flugrouten und ganz viele unterschiedliche Flugverfahren im Gespräch. Sie wissen es sicher genauso gut wie ich: Es haben sich verschiedene Bürgerinitiativen mit verschiedenen Zielen formiert, die natürlich alle versuchen, den Fluglärm, soweit es geht, einzudämmen. In Rede steht nicht, den Flughafenstandort zu verlagern, obwohl auch das eine Bürgerinitiative fordert. Wenn sich aus der Flugroutendiskussion ergibt, dass die stark besiedelten Teile vom Süden Berlins sowie Kleinmachnow, Teltow, Stahnsdorf und auf der östlichen Seite Zeuthen von verlärmendem Flugverkehr ausgespart werden, wird sich der Fluglärm ganz automatisch bei der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow konzentrieren. Ich frage Sie nun: In welcher Weise wird dann von der Bundesregierung darauf Einfluss genommen, dass begleitende Maßnahmen am Boden, um die Menschen vor Fluglärm zu schützen, eingeleitet werden und im Interesse der dort wohnenden Menschen nach Lösungen gesucht wird?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Frau Kollegin, wie Sie wissen, ist die Festlegung von Flugrouten bei uns gesetzlich geregelt, und zwar nach Vorgaben der Internationalen Organisation für Zivilluftfahrt, ICAO. Dieses Verfahren ist in § 29 b Luftverkehrsgesetz und § 27 a Luftverkehrs-Ordnung geregelt. Nach diesen gesetzlichen Regelungen ist in Deutschland das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung die Behörde, die unter Federführung des zuständigen Ministeriums - in diesem Fall das MIL in Brandenburg - die Flugrouten festlegt. Das Gesetz schreibt ausdrücklich vor, dass vor Festlegung von solchen Flugrouten eine Konsultation in einer sogenannten Fluglärmkommission stattfindet. In dieser Fluglärmkommission sind die verschiedenen Varianten für mögliche Flugrouten zum Anflug auf den neuen Flughafen BBI entstanden, die jetzt auch öffentlich diskutiert werden. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wird in dieser Frage inhaltlich keinen Einfluss nehmen. Wir haben das Verfahren klar geregelt. Dieses Verfahren liegt beim Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, im Benehmen mit dem Umweltbundesamt. An der Beteiligung des Umweltbundesamtes können Sie schon erkennen, dass versucht wird, die Auswirkungen dieser Flugrouten auf die Bevölkerung sowie auf andere Schutzgüter möglichst gering zu halten. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, dass Fluglärm in Deutschland zu so wenigen Beeinträchtigungen wie irgend möglich führt. Wie Sie wissen, hat der Deutsche Bundestag in der vergangenen Legislaturperiode das Fluglärmschutzgesetz beschlossen. Dieses Gesetz weist den Flughafenbetreibern Pflichten zu Maßnahmen passiven Schallschutzes in bestimmten Zonen und zur Finanzierung dieser Maßnahmen zu. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Betreiber des Flughafens BBI diese Maßnahmen umsetzen werden. Sie sind die Zuständigen für den Schallschutz in den von Ihnen genannten Regionen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin? Bitte.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich möchte noch eine Frage stellen. - Die Maßnahmen passiven Schallschutzes werden vorgesehen, weil man weiß, dass Lärm krank macht. Dort, wo er nicht zu vermeiden ist, muss man alles tun, um die Menschen wenigstens passiv zu schützen. Der Bund ist quasi Partner bei diesem Flughafenneubau. Angesichts der Tatsache, dass Fluglärm sehr viele Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems verursacht - es gibt eine ganze Palette von Erkrankungen -, frage ich Sie: Wird sich der Bund dafür einsetzen, dass am BBI ein Gesundheitsmonitoring durchgeführt wird, um so für künftige Planungen, aber auch für die Begleitung dieses Flughafenneubaus Erkenntnisse über geeignete Lärmschutzmaßnahmen zu gewinnen?

Jan Mücke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003813

Nein, das kann ich Ihnen heute nicht zusagen, weil dies in der Verantwortung des Flughafenbetreibers liegt. Die Betreibergesellschaft müsste ein solches Monitoring für sich als richtig anerkennen und es durchführen, wenn sie es für zweckmäßig hält. Ich kann nur darauf verweisen, dass sich der Gesetzgeber in der letzten Legislaturperiode mit dem Fluglärmschutzgesetz bereits dieses Themas angenommen hat und Grenzwerte festgelegt hat, in deren Rahmen Flugbewegungen an deutschen Flughäfen in bestimmten Lärmschutzzonen stattfinden dürfen. Wenn diese Grenzwerte eingehalten sind, gehen wir davon aus, dass in diesem Bereich keine gesundheitliche Beeinträchtigung durch den Luftverkehr stattfinden kann.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich komme, nachdem der Herr Staatssekretär nun anwesend ist, zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zurück und rufe die Frage 36 des Kollegen Friedrich Ostendorff auf: Ist das QS-System nach Meinung der Bundesregierung ein funktionsfähiges zertifiziertes Eigenkontrollsystem, wie im Rahmen der geplanten Zulassungspflicht für Futtermittelbetriebe gefordert? Herr Staatssekretär Dr. Müller, darf ich bitten?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich kurz nicht verfügbar war. Herr Kollege Ostendorff, die Bundesregierung handelt schnell und entschlossen - sowohl in Zusammenarbeit mit den Ländern als auch auf Bundesebene und auf europäischer Ebene -, um Konsequenzen aus dem Dioxinskandal zu ziehen. Auf Ihre Frage zum Thema QS-System antworte ich wie folgt: Das QS-System, ein Eigenkontrollsystem der Wirtschaft, konnte diesen Skandal nicht verhindern. Die Bundesregierung zieht daraus Konsequenzen und reagiert erstens mit einer Verschärfung der Kontrollen sowie mit Vorgaben zur Stärkung des Eigenkontrollsystems der Wirtschaft, zweitens mit einer Änderung der Gesetzeslage bezüglich der Meldung der Kontrollergebnisse durch die Labors und drittens mit der künftigen Veröffentlichung der Messergebnisse. Wir gehen so weit, dass wir im Rahmen des VIG zukünftig vorschreiben, dass Messergebnisse, die über den zulässigen Grenzwerten liegen, veröffentlicht werden müssen, ohne dass die betroffene Wirtschaft dem zustimmen muss. Außerdem werden wir Zulassungskriterien für Betriebe einführen, in denen wir definieren, welcher Betrieb auf diesem Sektor überhaupt tätig werden kann. Bundesministerin Aigner hat mit den Bundesländern einen Konsens in Bezug auf einen neuen qualitativen Ansatz in der Futter- und Lebensmittelkontrolle erzielt. Erstmals sind die Länder bereit, länderübergreifend Auditorenteams zusammenzustellen und mit dem Bund die Lebensmittelund Futtermittelkontrolle abzustimmen und weiter zu verbessern.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Dr. Müller, schönen Dank für die Beantwortung dieser Frage. Dass der Betrieb Harles und Jentzsch - Betrieb für Futterfette, technische Fette, dioxinhaltige Fette - in Uetersen, Kreis Pinneberg, im vergangenen Oktober das QS-Zertifikat, also das Zertifikat für Qualität und Sicherheit, erhalten hat, ist ja wohl ein Offenbarungseid für ein Kontrollsystem, das von der Wirtschaft geprägt worden ist. Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie jetzt stringentere Vorgaben machen wollen. Die Wirtschaft hat dazu schon erklärt, dass sie nicht gewillt ist, sich einem stärkeren Kontrollregime zu unterwerfen. Gestern gab es die Verlautbarung, dass man gar nicht daran denkt, das zu tun. Das führt mich zu der Frage: Wie will die Bundesregierung da Einfluss nehmen, und was gedenken Sie genau zu tun, um das QS-System in Bezug auf die Futtermittelbetriebe deutlich zu verschärfen?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ich kenne diese Verlautbarung nicht. Sollte es eine solche Verlautbarung von Einzelnen in der Branche geben, dann haben diese den Ernst der Situation nicht erkannt. Wir werden vonseiten des Staates in der von mir dargestellten Weise die Regeln massiv verschärfen. Einer der 14 Punkte in dem Paket, das mit den Bundesländern einvernehmlich beschlossen worden ist, beschäftigt sich mit der Haftungsfrage. Für die Zukunft müssen wir bei einem solch skandalösen Fall ausschließen, dass ein Betrieb seine GmbH in die Insolvenz gehen lässt und keine Haftungsansprüche geltend gemacht werden können. Dadurch ist die Futtermittelbranche insgesamt in der Verantwortung und haftet ein Stück weit mit. Die Signale, die wir erhalten haben, sind entsprechend, nämlich dass bei einem Eigenkontrollsystem massiv nachgebessert und das QS-System verfeinert wird. Aber es handelt sich um ein Eigenkontrollsystem der Betriebe. In Deutschland gibt es über 1 Million Betriebe, die sich mit Futtermitteln und Lebensmitteln im weiteren und engeren Sinne beschäftigen. Allen ist klar, dass nicht in jedem Betrieb hinter jedem Vorgang jeden Tag ein staatlicher Kontrolleur stehen kann. Deshalb gibt es Eingangskontrollen durch die Wirtschaft, Risikokontrollen durch den Staat und eine Vernetzung. In Zukunft sollen die Messergebnisse auch veröffentlicht werden. Jeder Firma ist klar: Die Überschreitung eines Grenzwertes bedeutet die Veröffentlichung dieses Vergehens im Internet mit den entsprechenden Konsequenzen. Deshalb wird - da sind wir sicher - effektiv gehandelt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Das führt mich zu der weiteren Zusatzfrage: Wenn das nicht wirkt, wenn sich also nach einer gewissen Zeit herausstellt, dass die Wirtschaft doch nicht bereit ist, diese sehr strengen Vorgaben zu erfüllen, ist dann daran gedacht, dass die Bundesregierung selbst sehr viel stärker in das Kontrollsystem einsteigt, möglicherweise analog zum Biokontrollsystem, bei dem wir eine sehr starke staatliche Verzahnung haben? Können Sie sich das vorstellen?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Ostendorff, eine solche Konsequenz war die Antwort von Frau Künast in ihrer Verantwortung als Verbraucherschutzministerin auf den Nitrofen-Skandal. ({0}) Wir lassen uns auf dieses Spiel nicht ein. Ich habe deshalb klargelegt, was vonseiten der staatlichen Kontrollbehörden jetzt an qualitativen Sprüngen in der Lebensmittel- und Futtermittelkontrolle umgesetzt wird. Wir warten nicht darauf, bis der betroffene Wirtschaftszweig reagiert.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir haben inzwischen den zeitlichen Rahmen der Fragestunde mehr als ausgeschöpft. Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, dass wir hier einen Schnitt machen, auch wenn die zweite Frage von Herrn Ostendorff noch offen ist. Sie wird wie die restlichen Fragen schriftlich beantwortet. - Herr Staatssekretär, vielen Dank. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die öffentliche Diskussion über die Falschund Nichtunterrichtung des Deutschen Bundestages durch den Bundesverteidigungsminister zu Vorfällen in der Bundeswehr Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Dr. Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Verteidigungsminister, letzte Woche haben Sie den Vorwurf zurückgewiesen, das Parlament wissentlich falsch über die Umstände des Todes eines Soldaten in Afghanistan unterrichtet zu haben. Diesen Vorwurf haben wir auch gar nicht erhoben. Ich habe am Freitag hier festgestellt, dass wir vom Ministerium objektiv falsch unterrichtet wurden. Wir wollen wissen, warum. Unsere Frage, wie es zu dieser falschen Unterrichtung kommen konnte, bleibt bestehen. Vielleicht können Sie uns heute eine zufriedenstellende Antwort geben. Bei Ihren bisherigen Reaktionen konnte man den Eindruck bekommen, Sie halten das eher für unwichtig. Aber die falsche Unterrichtung unseres Parlaments ist keine Lappalie. ({0}) Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Nicht der Verteidigungsminister, sondern der Bundestag entscheidet über den Einsatz der Bundeswehr. Eine Antwort, Herr Minister, wollen wir auch auf die Frage, warum Ihnen der Feldjägerbericht über den Tod des Soldaten in Afghanistan nicht zeitnah vorgelegt wurde. Wir erwarten von Ihnen nicht, dass Sie jeden Feldjägerbericht lesen. Aber wenn es sich um den Tod von Soldaten handelt, dann muss ein solcher Bericht sofort auf den Tisch des Ministers. Da müssen doch alle roten Lampen angehen; da muss Ihr Haus doch automatisch reagieren. ({1}) Ich kann nur sagen: Wenn das bei Todesfällen nicht funktioniert, dann haben Sie die Abläufe in Ihrem Haus ein Jahr nach Kunduz immer noch nicht richtig im Griff. Leider reden wir heute nicht nur über einen einzelnen Vorgang. Ein großes Fragezeichen steht auch bei dem tragischen Todesfall auf der „Gorch Fock“ im Raum. Rund um diesen Vorfall verdichten sich nun Informationen über Zustände auf der „Gorch Fock“, die einen, wenn sie denn stimmen, sprachlos machen können. Berichtet wird von Schikanierungen junger Offiziersanwärter, von hohem Druck, selbst bei Lebensgefahr über Leistungsgrenzen hinauszugehen. Auch von Alkoholexzessen und sexueller Nötigung ist die Rede. Wie konnte das über lange Zeit unbemerkt bleiben? Was ist mit den Studien, von denen man hört, die aber offensichtlich nicht beachtet wurden? Auch diese Fragen müssen Sie beantworten. Es gibt noch einen weiteren Vorfall. Die Feldpost mehrerer Soldatinnen und Soldaten wurde geöffnet. Teilweise wurde der Inhalt der Post entnommen. Wir wissen bislang nicht, von wem und warum. Diese Probleme sind sicher einzelne Fälle. Sie zeichnen aber ein besorgniserregendes Bild der Bundeswehr. ({2}) Dies sind ja nicht die ersten Vorgänge dieser Art; es gab ähnliche Probleme vor kurzem bei den Gebirgsjägern. Natürlich darf es keinen Generalverdacht gegen die Offiziere und Soldaten der Bundeswehr geben. ({3}) - Ja, das ist auch so. - Aber es ist doch auch klar, dass die Vorfälle auf Probleme im Bereich der Inneren Führung verweisen. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf. ({4}) Die Vorgänge, über die wir hier reden, liegen über sechs Wochen zurück, Wochen, in denen nicht viel Aufklärung geschehen ist. Erst Herr Königshaus hat durch sein energisches Agieren Druck in die Angelegenheit gebracht. Das unterstreicht noch einmal, wie wichtig die Institution des Wehrbeauftragten ist. Aber es wirft auch die Frage auf: Was hat eigentlich der Minister bis dahin getan? Sie haben viel zu viel Zeit verstreichen lassen. ({5}) Herr Minister, es kommt der Eindruck auf, dass die Aufklärung solcher erschreckenden Fälle bei Ihnen erst dann Priorität bekommt, wenn Kommentatoren schreiben, Sie hätten Ihren Laden nicht im Griff. Da erwarten nicht zuletzt die Soldaten mehr von Ihnen. Vor über einem Jahr wurde der Verteidigungsausschuss auch deshalb als Untersuchungsausschuss eingesetzt, weil die Informationspraxis der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums schleppend, intransparent und unvollständig war. Leider zeigt sich, dass genau diese Missstände bisher nicht beseitigt wurden, sondern uns jetzt erneut einholen. ({6}) Das ist Anlass zur Besorgnis. Wir wollen deshalb, dass der Auftrag des Untersuchungsausschusses „Kunduz“ um die aktuellen Vorgänge erweitert wird. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg. ({0})

Karl Theodor Guttenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11003543

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal: Was ist der Gegenstand der heutigen Debatte, die öffentliche Diskussion oder die angebliche Nichtunterrichtung des Bundestages? Ich glaube, wir müssen sehr differenziert auf die drei Fälle blicken, die derzeit in der Debatte stehen. All diese Vorgänge bedürfen zweifelsfrei der vollständigen Aufklärung. Abschließende Informationen über Ereignisse sind aber erst nach Abschluss der Ermittlungen, insbesondere auch der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, möglich, Ermittlungen, die in den beiden Todesfällen nicht erst seit der öffentlichen Diskussion, so wie Sie es gerade in den Raum gestellt haben, Herr Schmidt, sondern von Beginn an, seit November bzw. Dezember des letzten Jahres, mit großer Sorgfalt entsprechend dem geltenden Recht und den geltenden Vorschriften durchgeführt werden. Ich weise deswegen mit Nachdruck den Vorwurf zurück, ich hätte das Parlament nicht informiert, ebenso den Vorwurf einer gezielten Vertuschung oder Irreführung durch mein Haus oder durch mich selbst. ({0}) Was die geöffneten Feldpostbriefe anbelangt, so liegen dem Deutschen Bundestag mittlerweile erste Zwischenberichte vor. Bislang lässt sich nicht darauf schließen, dass es sich um eine systematische, eine flächendeckend in großer Zahl erfolgte Aktion handelt. Nach den mir heute vorliegenden Meldungen sind seit Oktober des letzten Jahres insgesamt 29 Postsendungen auf mögliche Unregelmäßigkeiten zu untersuchen. Jeder dieser Briefe ist einer zu viel; das steht außer Frage. Alles muss in der Hinsicht aufgeklärt werden; alles muss unternommen werden, damit wir in dieser Frage eine entsprechende Lösung finden. Wir verschicken jede Woche circa 6 000 Briefe und 1 800 Päckchen bzw. Pakete aus den Einsatzländern nach Deutschland. Circa 15 000 Briefe und 3 500 Päckchen gehen jede Woche den umgekehrten Weg. Die Unregelmäßigkeiten traten zwischen Oktober und Januar auf, also über einen Zeitraum von circa 16 Wochen. Wir sind mit der Sachverhaltsermittlung noch nicht am Ende und gehen der Sache weiter nach. Auch der zweite Fall, so tragisch und furchtbar er angesichts des Todes eines jungen Mannes ist, taugt nicht zu Vorwürfen, die in den letzten Tagen konstruiert wurden. Am 17. Dezember 2010 kam es in der abgesetzten deutschen Operationsbasis im Raum Pol-i Khumri zu einem schlimmen Zwischenfall. In einer Ruhezeit - nach durchgeführtem Einsatz - waren die Soldaten in ihrem Unterkunftszelt und hatten dabei nach vorliegenden Erkenntnissen auch routinemäßig ihre Waffen gereinigt. Über den weiteren Ablauf gibt es unterschiedliche Aussagen. Die weitere Aufklärung obliegt auch hier der Staatsanwaltschaft. Soweit wir nach den bisherigen Feststellungen heute wissen, steht lediglich Folgendes fest: Aus der Waffe eines Soldaten löste sich ein Schuss, der seinen Kameraden am Kopf traf. Der sofort herbeigeeilte Gruppenführer fand den Soldaten blutend zwischen zwei Unterkunftsliegen auf, schickte alle anderen aus dem Zelt, holte sich sanitätsdienstliche Verstärkung und versorgte den Soldaten. Leider verstarb der Soldat kurz danach während einer Notoperation. Als ich am 18. Dezember 2010, also am Folgetag, gemeinsam mit der Frau Bundeskanzlerin und dem Generalinspekteur im Einsatz eintraf, wurde uns der damalige Ermittlungsstand geschildert, dass der Schuss von der Waffe eines Kameraden ausging. Auch die dabei anwesenden Pressevertreter wurden entsprechend informiert. Damit war zu jener Zeit zweifelsfrei klar: Es war ein deutscher Soldat ums Leben gekommen, und die Kugel stammte aus der Waffe eines Kameraden. Auch der Presse konnte man bereits am Sonntag entnehmen, dass von einer Fremdeinwirkung ausgegangen werden musste. Es kann also keineswegs davon die Rede sein, dass hier vonseiten der Bundesregierung Informationen zurückgehalten oder Sachverhalte verschleiert worden seien. Richtig allerdings ist, dass die mit Stand vom 21. Dezember herausgegebene Unterrichtung des Parlaments in der dort gewählten Formulierung den Sachverhalt unvollständig wiedergab. ({1}) Desgleichen darf und soll nicht vorkommen. Wir haben dieses Versäumnis, das kurz vor Weihnachten eingetreten war, vonseiten des Ministeriums eingeräumt. Bereits bei der ersten Ausschusssitzung nach der Weihnachtspause hat dies Staatssekretär Kossendey bei der Behandlung dieses Vorgangs richtiggestellt, als er ausdrücklich auf die Tatsache der Fremdeinwirkung hinwies. ({2}) Zu den Ermittlungen des Vorgangs und zum Feldjägerbericht. Lieber Kollege Schmidt, jemand, der sich mit der Bundeswehr befasst, sollte wissen, dass bei solchen Fällen routinemäßig Feldjägerberichte erstellt werden. Die Ermittlungen des Vorgangs und der Bericht liegen dort, wo sie nach unserer Rechtsordnung hingehören, nämlich bei der zivilen Justiz. Es versteht sich von selbst, dass ich als Bundesminister der Verteidigung keine weiteren Kommentierungen zu laufenden Ermittlungen abgebe, auch zum Schutz einer jungen Person, die einem gewaltigen Vorwurf ausgesetzt ist, bei dem wir in der Öffentlichkeit nicht mit Spekulationen zu hantieren haben. ({3}) Ich komme jetzt zum dritten Aspekt, zu den Vorgängen auf der „Gorch Fock“. ({4}) - Frau Künast, ich weiß, dass man in Berlin ein bisschen lauter rufen muss, um gehört zu werden. Aber vielleicht kommen Sie nach vorn und reden ein bisschen leiser. Dann können wir uns entsprechend verständigen. ({5}) Ich komme jetzt zu den Vorgängen auf der „Gorch Fock“. Zum einen geht es dabei um den Unfall einer Offiziersanwärterin am 7. November des vergangenen Jahres. - Frau Künast, vielleicht sollte man seine Stimme angesichts einer toten Offiziersanwärterin ein wenig zügeln; das empfiehlt sich. ({6}) Hierzu ist festzustellen: Umgehend nach dem Unfall der Offiziersanwärterin wurde ein Havarieverfahren entsprechend den allgemeinen Vorschriften eingeleitet. Daneben hat die Staatsanwaltschaft Kiel ein Ermittlungsverfahren aufgenommen. Fünf Tage nach dem Unfall, am 12. November 2010, traf der Beauftragte für Havariewesen der Marine am Unglücksort ein, zeitgleich mit Vertretern der Wasserschutzpolizei und der Kripo Kiel. Beide Untersuchungen dauern noch an. Den zweiten Themenkomplex machen zunächst Nachrichten über Verhaltensweisen von Besatzungsmitgliedern im Nachgang zu dem geschilderten Todesfall aus; darauf wurde hingewiesen. In diesem Zusammenhang wurden zudem mehr und mehr Vorwürfe bekannt, die ganz erhebliche Zweifel am inneren Gefüge, der Ausbildungsgestaltung und dem allgemeinen Umgang an Bord der „Gorch Fock“ aufwerfen; aber hierbei handelt es sich um Vorwürfe. Darüber wurde ich Montag, den 17. Januar 2011, unterrichtet. Dies habe ich zum Anlass genommen, die aufkommenden Vorwürfe vom Inspekteur der Marine und vom Leiter der Rechtsabteilung überprüfen zu lassen. Hierzu wurden mehrere Maßnahmen ergriffen. Unter anderem wurde die Entscheidung getroffen, die „Gorch Fock“ nach Argentinien zurückzubeordern, um ein Untersuchungsteam einschiffen zu können. Bekanntermaßen wurden die Obleute des Verteidigungsausschusses letzten Freitag über die getroffenen Maßnahmen informiert. Vor dem Hintergrund einer Zunahme der Unterstellungen und Vorwürfe über die ganze Woche hinweg und eines gesteigerten öffentlichen Drucks auf den Kommandanten, der sich am Freitag zuspitzte, war absehbar, dass sich der Fokus zunehmend auf die Person des Kommandanten und auf sein Führungsverhalten konzentrieren und richten würde. ({7}) Dabei stand nicht die Frage der Stichhaltigkeit der Vorwürfe und Unterstellungen im Mittelpunkt, sondern die Frage, ob man es einem Kommandanten unter den sich abzeichnenden Belastungen überhaupt noch zumuten könne, seine fordernde Aufgabe fortzuführen; die Führung der „Gorch Fock“ gehört bekanntlich zu den anspruchsvollsten Aufgaben, die die Marine zu vergeben hat. Die Erörterung dieser Frage ist zunächst ein Gebot der Fürsorgepflicht, der Fürsorge gegenüber dem Kommandanten wie auch gegenüber der Besatzung. Darüber hinaus stellte sich die Frage, ob eine sachgerechte Aufklärung nicht erschwert würde, wenn der Kommandant seine Aufgabe fortführen würde. Im Einvernehmen mit der militärischen Führung und nach Gesprächen des Inspekteurs der Marine mit Kapitän zur See Schatz habe ich entschieden, ihn unverzüglich von seinen Aufgaben zu entbinden. So viel auch zu dem immer wieder gehörten Vorwurf, mit dem Kapitän sei nicht geredet worden; es ist mehrfach mit ihm geredet worden. Zur Klarstellung: Kapitän zur See Schatz ist unverändert Kommandant der „Gorch Fock“, auch wenn er gegenwärtig von seiner Verantwortung entbunden ist. Ein von seinen Pflichten vorläufig entbundener Kommandant ist weder gefeuert noch geopfert noch geschasst noch rausgeworfen. Deshalb handelt es sich hier nicht um eine Vorverurteilung, sondern um eine Maßnahme, die unter anderem der sachgerechten Aufklärung dient und als solche angelegt ist. ({8}) Bei allen drei Vorgängen laufen die erforderlichen Aufklärungen - so viel zu Ihrem Vorwurf, Herr Schmidt -, vonseiten der Bundeswehr wie von den zivilen Justizbehörden. Über die gegenwärtigen Sachstände sind die Vertreter des parlamentarischen Bereichs auch heute informiert worden. Bei aller Notwendigkeit der Aufklärung im Detail und bei einem gewiss umfassenden Anspruch auf Informationen - und der ist immer gegeben - tut es bisweilen gut, sich die Frage zu stellen: Welchen Eindruck erwecken wir mit unseren Aufgeregtheiten? Lassen Sie uns bei alledem eines nicht vergessen: Es geht hier vor allem um den Tod zweier junger Menschen, die ihren Dienst am Vaterland geleistet haben. Wir dürfen sie nicht vergessen. Wir haben eine Schuldigkeit gegenüber ihren nächsten Angehörigen im Hinblick darauf, wie wir die Diskussion führen. Diese Diskussion darf nicht über Vorwürfe, sondern muss über Tatsachen geführt werden. Ich glaube, diesen Anspruch sollten wir uns in dieser Debatte setzen. Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold für die SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wohl wahr, Herr Minister, es handelt sich um drei sehr unterschiedliche Vorgänge. Sie weisen aber auch Gemeinsamkeiten auf. Die erste Gemeinsamkeit liegt darin, dass Sie in allen drei Fällen ein wirklich schlechtes Krisenmanagement betreiben. Erst durch Ihr Missmanagement gelangten diese Probleme in die öffentliche Wahrnehmung und wurden dadurch zu einer großen Krise. Das haben Sie zu verantworten. Sie können die Verantwortung nicht einfach weiterleiten. ({0}) Die zweite Gemeinsamkeit ist: Das Parlament wurde über die Vorgänge nicht zeitnah, nicht umfassend und auch nicht immer ganz korrekt informiert. Die dritte Gemeinsamkeit ist: Sie suchen für alle Vorfälle schnell Verantwortliche, um von Ihrer eigenen Verantwortung abzulenken. ({1}) Lassen Sie mich meine Punkte am Thema „Gorch Fock“ festmachen. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass die Führung der Marine die Veröffentlichungen über Probleme auf diesem Schmuckstück der deutschen Marine ernst genommen hätte, die im Herbst letzten Jahres aufgetaucht sind, und darauf von sich aus reagiert hätte. So aber war es der Wehrbeauftragte, der uns auf gravierende Probleme aufmerksam gemacht hat. Dafür darf er übrigens nicht vom Parlamentarischen Staatssekretär des Verteidigungsministers kritisiert werden. Der Wehrbeauftragte hat - wie seine Vorgänger auch - unparteiisch, seriös und gründlich seine Arbeit für das Parlament geleistet. ({2}) Herr Minister, in Ihrem Umgang mit dem Thema ist ein weiterer wichtiger Punkt hervorzuheben: Mittags laden Sie die Obleute zur Unterrichtung ein und sagen, es dürfe keine Vorverurteilung geben. Abends dann entnehmen wir der Presse, dass Sie den Kommandeur seines Amtes entbunden haben, und zwar mit der Begründung - an diesem Abend und am nächsten Abend -, dass neue Vorwürfe zu den Missständen bekannt geworden seien. Auf unsere viermalige Nachfrage haben Sie heute keinen einzigen neuen Vorwurf benannt. Am Wochenende allerdings haben Sie, als Sie gemerkt haben, dass Ihnen die Angelegenheit medial zu entgleiten droht, in drei Pressemeldungen immer wieder nachgelegt und weitere Informationen gegeben. Herr Minister, das eigentliche Problem in diesem Zusammenhang ist doch: Sie haben den Geist des Boulevards gerufen - jetzt kommen Sie mir vor wie der Zauberlehrling -; Sie werden den Geist nicht mehr los. Genieren Sie sich nicht, wie die Bild-Zeitung zusammen mit Ihnen in der Bild am Sonntag die Entlassung des Kommandeurs medial inszeniert hat? ({3}) Das muss einem seriösen Minister doch peinlich sein. ({4}) Insgesamt bin ich der Auffassung, dass die Vorfälle auf der „Gorch Fock“ so geklärt werden können, dass dieses Schiff eine Zukunft hat. Das muss die Marine leisten. Wir alle wünschen uns das sehr. Herr Minister, zu den Vorgängen in Afghanistan. Ich glaube, es ist inzwischen unstreitig, dass es unterschiedliche Informationen über den tragischen Todesfall gab. Sie sprachen über die Angehörigen. Gerade die Angehörigen haben einen Anspruch darauf, dass mit Klarheit ermittelt wird. Herr Minister, das eigentlich Problematische an unserem Streit ist nicht, dass das Ministerium gelegentlich Fehler macht und Informationspannen hat; das gibt es durchaus. Das eigentlich Problematische ist, dass wir in zwei Punkten einen großen Dissens haben. Sie sind der Auffassung: Wenn die Staatsanwaltschaft in einem Vorgang ermittelt, muss dieser nicht mehr auf Ihren Schreibtisch und das Parlament ist auch nicht mehr darüber zu informieren, sondern man wartet vielmehr die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ab. Sie sind auch der Auffassung, ein Feldjägerbericht enthalte Vermutungen. Die Feldjäger sind die Polizei der Bundeswehr, und die Informationen der Feldjäger sind wichtig auch für die Staatsanwaltschaft. Herr Minister, in den vergangenen Jahren wurden wir auch bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zeitnah informiert. Der Verteidigungsausschuss hat bewiesen, dass er mit diesen Informationen seriös und, wo notwendig, sensibel umgeht und keine Debatte zulasten der Angehörigen oder Beschuldigten führt. Das ist eine Unterstellung; das haben wir nie getan. ({5}) Der zweite große Unterschied ist folgender: Herr Minister, merken Sie eigentlich nicht, ob ein Soldat - wir schicken junge Soldaten von 22 Jahren nach Afghanistan - durch einen Fehler seines Kameraden beim Waffenreinigen zu Tode kommt oder ob bei einem solchen Einsatz mit Waffen gespielt wird? ({6}) - Lesen Sie doch einfach einmal den Feldjägerbericht und hören Sie mir bis zu Ende zu. ({7}) Es gibt übrigens überhaupt kein Indiz dafür, dass es durch das Waffenreinigen passiert ist. Lassen Sie uns bei den Fakten bleiben: Es gibt nur acht Zeugen, die nichts gesehen haben, und zwei, die es gesehen haben. Von daher kommt dieses Indiz. ({8}) Selbst wenn solche Vermutungen aufkommen, dürfen wir bei einer Armee im Einsatz ({9}) - jetzt hören Sie bei diesem ernsten Thema doch einmal zu - nicht warten, bis ein Jahr später eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung oder sogar ein Gerichtsprozess abgeschlossen ist, sondern man muss dieser Sache nachgehen und die Führungsverantwortung so sensibilisieren, dass sie bei Einsatzsoldaten unter diesem Druck gegebenenfalls auch nachsteuert. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. Um einen Schlussstrich darunter zu ziehen: Ich glaube, dass diese Dinge aufgeklärt werden können, wenn der Minister selbst Druck macht. Wir hoffen, dass wir für die Zukunft etwas aus diesen Vorgängen lernen. Herr Minister, ich glaube, es wäre für die anstehende Bundeswehrreform gut, wenn Sie Ihr Verhältnis zum Verteidigungsausschuss auf eine andere Basis stellen würden. Das ist nämlich für die kommende schwierige Reform notwendig. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin fertig.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wenn Sie fertig sind, dann hören Sie bitte auch auf.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Hauptdiskussion, die uns noch beschäftigen wird, betrifft die Unterfinanzierung der Bundeswehr. Diejenigen, die jetzt laut schreien, müssten einmal unter sich klären, was bei der Ausgestaltung der Finanzen in der Truppe tatsächlich Sache und was notwendig ist. Herzlichen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat die Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Arnold, ich bin doch einigermaßen erstaunt, wie Sie als verteidigungspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion in diesem Hause einerseits Details aus einer laufenden Ermittlung ausbreiten und sie als Fakten und belegte Tatsachen darstellen. ({0}) - Verzeihung, wir sind hier nicht bei der Bild-Zeitung, sondern im Deutschen Bundestag. ({1}) Andererseits unterstellen Sie dem Minister, dass er nicht hinreichend informiert habe. ({2}) Das ist schon eine merkwürdige Art und Weise, mit diesem Sachverhalt umzugehen. Aber im Grunde genommen ist es doch auch ein Indiz für das, was zurzeit geschieht. Vorgänge, die stattgefunden haben, die vom Wehrbeauftragten korrekt und dankenswerterweise dargestellt worden sind und die im Bundesministerium der Verteidigung angenommen worden sind und unverzüglich zur Aufklärung gebracht werden, werden dafür benutzt, einen Skandal heraufzubeschwören, der am Ende nur einem schadet, und zwar der Bundeswehr. ({3}) Deswegen bin ich froh, dass der Wehrbeauftragte in seiner Pressekonferenz und in der Presseberichterstattung sehr deutlich gemacht hat, dass die Truppe keine „Chaos-Truppe“ ist, sondern es sich hier um Einzelverfehlungen handelt, die aufgeklärt werden müssen, jawohl. Hier geht es auch um das Ansehen der Bundeswehr. Der Minister hat in Sachen „Gorch Fock“ zwei Ermittlungsteams eingesetzt - Herr Schmidt, wenn Sie heute Morgen im Verteidigungsausschuss gewesen wären, dann hätten Sie sich das anhören und dazu Stellung nehmen können -, die sowohl vor Ort als auch in der Marineschule genau diese Vorwürfe, die unerträglich sind, die wir alle nicht im Raume stehen lassen können, möglichst unverzüglich aufklären sollen. ({4}) Zur Redlichkeit gehört aber auch, dass man den Leuten die Möglichkeit gibt, sauber zu ermitteln, das heißt, dass man ihnen die Zeit gibt, die notwendig ist, um alle Parteien anzuhören. An dieser Stelle möchte ich sehr deutlich sagen: Ich finde die Entscheidung des Ministers, Herrn Kommandanten Schatz, wie es häufig formuliert worden ist, „aus dem Verkehr zu ziehen“, richtig. Er hat ihn aber nicht aus dem Verkehr gezogen, sondern er hat ihn vor den Anwürfen, die zu erwarten waren, in Schutz genommen. ({5}) - Sie können gleich zu Wort kommen, Frau Künast. ({6}) Ich erinnere mich noch an die Diskussion über Oberst Klein, der wochenlang regelrecht durch die Medien gejagt worden ist. Für die einen war er der Kriegsheld, für die anderen war er der Kriegsverbrecher; Sie müssen einmal mit der Familie reden. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ist klar, dass es ein Gebot der Fürsorge ist, die eigenen Mitarbeiter zu schützen. Herr Minister, bei dieser Entscheidung haben Sie in jedem Fall unsere Rückendeckung. ({7}) Ich wünsche mir, dass wir maßhalten - das ist im Sinne unserer Streitkräfte -, dass die Dinge, die Fragen, die Vorwürfe, die im Raum stehen, zeitnah, aber auch seriös aufgeklärt werden. Ich würde mir wünschen, dass am Ende der Reise diejenigen, die jetzt dazu beitragen, dass unsere Streitkräfte in einem Bild erscheinen, das ihnen in keiner Weise entspricht, so fair sind, dass sie Manns und Frau genug sind, um das auch so darzustellen und sich dann vor unsere Streitkräfte zu stellen. Herr Kollege Arnold, ich habe Ihr Pressestatement nach der heutigen Ausschusssitzung gehört. Ich habe nicht verstanden, warum Sie die Marine massiv angegriffen haben. ({8}) - Doch. Das ist ganz deutlich geworden. Sie haben den Inspekteur der Marine angegriffen, noch bevor uns der Abschlussbericht dieser beiden Untersuchungsteams vorliegt. ({9}) Meine herzliche Bitte: Abrüsten, sich an den Fakten orientieren und dafür sorgen, dass wir für unsere Bundeswehr in Zukunft das Richtige tun und wir sie nicht schlechtmachen, was in vielen Diskussionen jetzt der Fall ist! Ich habe Vertrauen in unsere Bundeswehr, und ich habe Vertrauen in die Führung unserer Bundeswehr. An dieser Stelle bedanke ich mich bei dem Minister noch einmal ausdrücklich dafür, dass er uns im Ausschuss heute eine umfassende und zeitnahe Aufklärung zugesichert hat. Vielen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn zwei junge Menschen in Uniform zu Tode kommen, getötet werden oder es einen Eingriff in Grundrechte gibt - Stichwort „Briefgeheimnis“ -, dann kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, dann können wir nicht zum „business as usual“ übergehen, was hoffentlich auch niemand tut. Das heißt, wir müssen darauf bestehen, dass akribisch und lückenlos aufgeklärt wird. Das ist Punkt eins. Dieser andere Umgang gilt aber auch für die Zeit, bevor restlos aufgeklärt ist. Man muss auch in der Zeit davor ein anderes Kommunikationsmanagement haben, Herr Minister. Der routinierte Hinweis darauf, dass in allen diesen Fällen die Feldjäger ermitteln - das ist doch klar - und der Fall an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde - was noch? -, ist in dieser Situation einfach ungenügend. ({0}) Moment. Wir haben heute im Ausschuss eine ausführliche Unterrichtung erhalten - ein bisschen spät. Es geschah erst, nachdem es dieses öffentliche Echo gegeben hat und - das sollten wir bitte schön, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht vergessen - nachdem der Wehrbeauftragte die Sache auf die Agenda gesetzt hat. Das ist der Punkt, der zu denken geben muss. Dass wir uns damit beschäftigen, hat mit dem Wehrbeauftragten zu tun. Wenn er jetzt deshalb attackiert wird - zumindest zwischen den Zeilen -, dann, finde ich, sollten die Alarmglocken läuten. Der Wehrbeauftragte - das hat sich in dieser Situation gezeigt - ist ein wichtiger Ansprechpartner für die Soldatinnen und Soldaten, er ist ein Vertrauensmann, und er ist eine Warneinrichtung für das Parlament. Wir sollten ihn stärken und nicht schwächen und attackieren, nur weil er schlimme Botschaften überbringt. ({1}) Punkt zwei. Der Minister hat im Ausschuss Informationspannen eingeräumt, hat sie bedauert und hat Abhilfe versprochen. Das letzte Wort kann meines Erachtens nicht sein, dass man einfach nur sagt: Das war eine unvollständige, nicht genaue Information. Ich bin in die Ausschusssitzung am 19. Januar 2011 immer noch mit der Vorstellung gegangen, möglicherweise handele es sich um eine Selbsttötung des Soldaten in Pol-i Khumri im Dezember 2010. Nicht nur ich, sondern auch Kollegen von der CDU/CSU dachten dies; sie haben das auch öffentlich zugegeben. Da muss doch etwas schiefgelaufen sein, wenn man das Parlament erst unterrichtet, ein Soldat sei tot aufgefunden worden, und man dann feststellt, dass es Fremdeinwirkung gab. Herr Minister, Ihr Hinweis, Sie hätten es der Presse gegenüber angedeutet, kann so nicht stehen bleiben. Sie haben zwar vielleicht Paul Schäfer ({2}) gute Verbindungen zu Verlagshäusern, aber Sie haben eine Unterrichtungspflicht dem Parlament gegenüber. Das ist der Punkt. ({3}) Das, was die „Gorch Fock“ betrifft, ist, finde ich, am besorgniserregendsten. Es scheint bestätigt zu sein, dass die Crew der Offiziersanwärter zu dem Zeitpunkt des Unfalls übermüdet und überlastet war, sie unter diesen Bedingungen aber dennoch gedrängt wurde, siebenmal aufzuentern, in die Takelage zu steigen. Möglicherweise ist der Todesfall in diesem Zusammenhang zu sehen. Das kann doch nicht einfach routiniert abgearbeitet werden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, aber es ist nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft und auch nicht des Havariebeauftragten, das zu untersuchen, was danach in der Belegschaft passiert ist. Da muss es vielmehr eine eigenständige Untersuchung geben. Wenn der Inspekteur der Marine am 15. Dezember 2010 im Verteidigungsausschuss sagt: „Es gab eine emotional belastete Situation nach dem Tod der Soldatin, aber keine Konflikte“ - aber hallo! -, dann, finde ich, muss doch klar sein, dass das nicht der richtige Umgang damit ist. Ich frage mich, was die Führung der Marine, die politische Führung - es geht gar nicht darum, die Marine in Haftung zu nehmen -, getan hat, wenn diese Vorkommnisse klar waren, die Marineführung aber erst im Gespräch mit dem Wehrbeauftragten am 17. Januar 2011 hellhörig geworden ist und eine Untersuchung eingeleitet hat. Da ist doch etwas schiefgelaufen. Das zeigt, dass man dort nicht die nötige Sensibilität hat. Es ist die Führungsaufgabe eines Ministers, zu sagen: Diesen Dingen müssen wir beikommen. Sie haben gesagt, dass Sie sich alles vorlegen lassen wollen: die Verstöße gegen die Innere Führung, gegen das Leitbild des Bürgers in Uniform, die Rituale etc. Das ist genau der Punkt: Es geht nicht um Schuldzuweisungen oder einen Generalverdacht gegenüber den Streitkräften. Wir müssen folgende Fragen ins Auge fassen: Welche Veränderungen ereignen sich gegenwärtig in den Streitkräften unter dem Vorzeichen einer Armee im Einsatz? Was hat der Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee möglicherweise mit Belastungssituationen, Anspannungssituationen zu tun, damit, dass man den Korpsgeist besonders hart fördern will, Stichwort Waffenspiele, Rituale etc.? Das muss in den nächsten Wochen und Monaten unser Thema sein. Wir sollten nicht routiniert zur Tagesordnung übergehen. Das muss untersucht werden. Es muss als Bundestag unsere Sorge sein, sich diesen Fragen zu stellen. Unsere Konsequenz an dieser Stelle ist eindeutig: Wenn man die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umbaut, ({4}) muss man leider mit bestimmten Folgen rechnen. Das ist der Grund, warum wir sagen: Dieser Irrweg sollte beendet werden. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Diskussion in den letzten Tagen und auch heute wieder hier im Parlament verfolgt hat, der kann mit den Worten der heutigen Süddeutschen Zeitung nur feststellen: Die Opposition übertreibt die Kritik an den wenigen Einzelfällen, um die es eigentlich geht. Die Diskussion nimmt hysterische Züge an. Die CDU/CSU-Fraktion ist dem Verteidigungsminister dankbar, dass er die Fakten in aller Deutlichkeit und Offenheit, soweit dies mit Rücksicht auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen möglich ist, heute Vormittag im Verteidigungsausschuss und jetzt im Plenum des Deutschen Bundestages dargestellt hat. Ich will zunächst, wie es auch der Minister getan hat - das wird in diesen Tagen leider oft vergessen -, an die auf dem Ausbildungsschiff „Gorch Fock“ umgekommene Kadettin und an den in Afghanistan durch einen tragischen Unfall getöteten Soldaten erinnern und ihrer gedenken. Beide verrichteten ihren Dienst für unser Land. Es muss alles getan werden, um die Umstände ihres Todes vollständig aufzuklären. Meine Damen und Herren, der Verteidigungsminister hat die uneingeschränkte Unterstützung unserer Fraktion hinsichtlich seiner Maßnahmen zur Aufklärung der Vorgänge auf der „Gorch Fock“. Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass erst nach einer umfassenden Aufklärung der Sachverhalte einschließlich der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen eine Bewertung erfolgt. Erst dann können und müssen die notwendigen Schlussfolgerungen und definitive Konsequenzen gezogen werden. ({0}) An diesem Vorgehen ist rein gar nichts auszusetzen. Der Kommandant der „Gorch Fock“ wurde nicht entlassen, ({1}) sondern, wie es der Minister dargestellt hat, vorläufig von seiner Führungsverantwortung entbunden, ({2}) um eine Vorverurteilung zu verhindern. Eine solche Entscheidung ist von der Sachlage her richtig, und sie ist notwendig. Sie dient der Fürsorge für den Kommandanten und die Besatzung des Schiffes. Außerdem bin ich mir sicher, dass die Opposition sonst - und zwar ohne die Grundlage einer fairen Untersuchung - angesichts immer neuer Berichte über die „Gorch Fock“ den Vorwurf erhoben hätte, der Minister tue nichts und halte an einem scheinbar untragbaren Kommandanten fest. Um auch etwas anderes in aller Klarheit zu sagen: Niemand stellt die „Gorch Fock“ infrage. Wer das behauptet, redet unverantwortlich daher. Es gibt überhaupt keinen Grund, jetzt zu rufen: Hände weg von der „Gorch Fock“! Der gestrige Bericht des Wehrbeauftragten hat außerdem gezeigt, dass der Minister richtigerweise untersuchen lässt, ob in der Bundeswehr Rituale und Pflichtverletzungen vorkommen, die ihren Grundsätzen und den Prinzipien der Inneren Führung widersprechen. Auch hier - dies will ich unterstreichen - handelt es sich keineswegs um einen Generalverdacht. Vielmehr soll einzelnes Fehlverhalten für die Zukunft ausgeschlossen werden. Ich komme zu dem Vorwurf der Vertuschung und der bewussten Irreführung des Parlaments ({3}) im Fall des in Afghanistan umgekommenen deutschen Soldaten. Ein solcher Vorwurf war von Anfang an haltlos. Der Minister hat am Tag des Unglücks, am 17. Dezember 2010, während seiner Reise mit der Bundeskanzlerin nach Afghanistan öffentlich geschildert, der Hauptgefreite sei durch eine Kugel aus der Waffe eines Kameraden getötet worden. Aber ich sage auch in aller Deutlichkeit: Dass sich diese Information in der wöchentlichen Unterrichtung des Parlamentes durch das Verteidigungsministerium vom 21. Dezember letzten Jahres unvollständig wiederfindet, ist eine ärgerliche Informationspanne und darf nicht vorkommen. ({4}) Die Unterrichtung des Parlamentes muss sorgfältiger werden. ({5}) Aber daraus den Vorwurf einer Vertuschung und bewussten Irreführung zu konstruieren, ({6}) ist abwegig und völlig überzogen. Das alles hat nur ein Ziel: Ihnen geht es doch nicht um wirkliche Aufklärung, sondern Ihnen ist jedes Mittel recht, einen erfolgreichen und in der Bevölkerung hochangesehenen Verteidigungsminister zu beschädigen. ({7}) Das ist politisch verständlich. Aber dass die Opposition diese parteitaktischen Manöver durch Spekulationen, wie wir sie von Ihnen, Herr Arnold, gehört haben, auf dem Rücken der Soldaten austrägt, ({8}) die in schwierigsten Einsätzen ihr Leben riskieren, und dass Sie, Herr Arnold, sich auch nicht zu schade sind, aus staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu zitieren, ({9}) ist unverantwortlich, schäbig und völlig inakzeptabel. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels für die SPD. ({0})

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über Führungsverhalten und Führungsprobleme bei der Bundeswehr. Von Problemen spricht auch Frau Hoff. Darüber sind wir uns wohl relativ einig, auch nach der heutigen Sitzung des Verteidigungsausschusses. Probleme treten auf drei Ebenen auf. Erstens: auf der Ebene von Ausbildern auf einem Schulschiff. Das muss aufgeklärt werden. Da muss die Praxis in Zukunft stimmen. Man kann gut ausbilden, aber das kann man wahrscheinlich noch besser machen. Die Ausbildung darf nicht lebensgefährlich sein. Wir brauchen eine bessere Praxis. Es ist die Aufgabe der Marineführung, dafür zu sorgen. Zweitens. Wir reden über Verantwortliche im Ministerium, die Informationen verwalten und offenbar nicht immer an die richtige Stelle bringen, nicht zum Minister, nicht zum Parlament und manchmal auf Umwegen in die Öffentlichkeit. Es gibt Kommunikationsprobleme, wie sie auch schon der Vorgänger Herr Jung kennengelernt hat. Zu Beginn der Amtszeit haben wir von Herrn zu Guttenberg gehört, das werde jetzt abgestellt, das alles werde viel besser. Heute können wir feststellen: Er hat den Laden noch nicht besser im Griff. Das muss besser werden. ({0}) Drittens: Führungsverhalten bei der Bundeswehr. Auf der obersten Ebene betrifft es den Verteidigungsminister selbst. In allen drei Fällen, über die wir heute sprechen, hat er Entscheidungen zu treffen gehabt und hat er Entscheidungen getroffen. Dann muss er sich schon die Frage gefallen lassen, warum und wie er diese Entscheidungen getroffen hat. Das ist keine Majestätsbeleidigung. Wir werden demnächst eine Freiwilligenarmee haben. Auch Minister für diese Bundeswehr ist man nur freiwillig. Diesen Fragen müssen Sie sich stellen. In Sachen „Gorch Fock“ und Abberufung des Kapitäns haben wir erlebt, dass, nachdem es zunächst „keine Vorverurteilung“ hieß, am Abend desselben Tages die Abberufung erfolgte. Am nächsten Tag gab es die erste Pressemitteilung: Der Verteidigungsminister hat den Inspekteur der Marine beauftragt, den Kommandanten des Schulschiffes „Gorch Fock“ von seinen Pflichten zu entbinden. - Das hört sich markig an. Da wird jetzt durchgegriffen. Am folgenden Tag, nachdem es schon ein bisschen Presseberichterstattung gegeben hat, wird dann etwas relativiert - ich zitiere -: ({1}) Die Entbindung eines Kommandanten von seinen Pflichten ist ein in der Marine in einer solchen Situation übliches Verfahren. Das war am Tag danach. Noch einen Tag später gab es die dritte Presseerklärung zur Abberufung des Kommandanten, die angeblich eine ganz einfache Sache aus Fürsorgegründen gewesen ist. Da heißt es: Ein von seinen Pflichten entbundener Kommandant ist weder „gefeuert“ noch „geschasst“ oder „rausgeworfen“. Sie hatten offenbar Grund, immer wieder richtigzustellen, was nicht gleich richtig gesagt wurde. ({2}) Das passt in eine Reihe von Korrekturen, die wir in Ihrer Amtsführung hier schon gelegentlich zu kommentieren hatten. Ich erinnere an die Kunduz-Bombardierung: Sie musste stattfinden, hätte aber nicht stattfinden dürfen. Ich erinnere an die Sache mit der Wehrpflicht: Mit mir ist eine Abschaffung der Wehrpflicht nicht zu machen. - Am Ende wurde sie dann ganz abgeschafft. Oder ich erinnere an den Haushalt: Wir sparen 8,3 Milliarden Euro. - Ach nein, eigentlich brauchen wir 1,2 Milliarden Euro mehr. Und letzten Freitag hieß es: Keine Vorverurteilung. - Aber Stunden später ist der Kapitän von Bord. Man darf sich zwar korrigieren, aber man darf das doch nicht zu einem politischen Prinzip erheben. ({3}) Stellen Sie sich vor, nachts um 3 Uhr klingelt bei Minister Guttenberg das Telefon. Es geht um eine ernste Gefahr. Er muss eine Entscheidung treffen. Dann sollte man Vertrauen haben können, ({4}) dass das die richtige Entscheidung ist und dass er sie am nächsten Morgen nicht wieder korrigieren muss. Auch sollte er nicht erst in der Nachttischschublade nachschauen, ob ein Journalist darin sitzt, der ihn beraten könnte. ({5}) Herr Minister, Kritik im Parlament dient auch dazu, Fehler in Zukunft zu vermeiden. Deshalb: Kritisieren Sie nicht die Kritik, sondern gehen Sie einmal in sich. Schönen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Christoph Schnurr für die FDP-Fraktion. ({0})

Christoph Schnurr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004147, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Künast, ganz zu Beginn zu Ihnen. ({0}) - Auch wenn Sie aufstehen und weglaufen, spreche ich Sie an. - Sie haben den Bundesminister am Anfang seiner Rede gefragt, ob ihm klar sei - jetzt ist sie weg -, ({1}) wie ernst die Lage ist, wie ernst die Situation ist. Das hat sie von ganz hinten nach vorne gerufen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Uns, der christlich-liberalen Koalition, ist die Lage sehr bewusst. Es ist eine ernste Lage, und deswegen muss auch ermittelt werden. Nur: Wie ernst ist Ihnen die Lage? Wir haben hier gerade eben ganz zu Beginn von Dr. Schmidt gehört, was das eigentliche Ziel ist. Ein Ziel ist sicherlich die Aufklärung - ich will Ihnen definitiv nicht unterstellen, dass Sie kein Interesse an Aufklärung haben -, ({2}) aber er hat vorhin auch ganz deutlich gesagt, dass es das eigentliche Ziel ist, dass der Untersuchungsgegenstand des Untersuchungsausschusses Kunduz geändert und erweitert wird und er sich auch noch mit dieser aktuellen Themenlage befasst. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? ({3}) Ich sage ganz deutlich, dass wir alle - ich schließe Sie hier gerne mit ein - natürlich wollen, dass umfangreich aufgeklärt wird, dass sachlich aufgeklärt wird, dass vielleicht auch einmal ein bisschen Ruhe in die Diskussion kommt und dass wir vor allem eines Tages über Fakten und nicht nur über Mutmaßungen und Vermutungen reden. Gerade weil die Vorwürfe, die teilweise im Raum stehen - insbesondere im Zusammenhang mit der „Gorch Fock“ -, sehr schwerwiegend sind, müssen wir abwarten, bis die Fakten vorliegen. Der Minister hat zugesichert, dass hier Fakten vorgelegt werden, und das ist auch richtig so. Er hat auch über die Abberufung des Kommandanten gesprochen. Es ist deutlich geworden - das hat er heute früh gesagt, das hat er gerade eben im Plenum gesagt -, warum und auf welcher Grundlage er das gemacht hat. Er hat das aus Fürsorgepflicht getan. Diese Frage hat er beantwortet. Sie müssen mit der Antwort nicht zufrieden sein, aber Sie müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen, dass er sie begründet hat. ({4}) Herr Bartels, Sie sagen, das Parlament sei nicht vom Minister informiert worden. Mit gleichem Atemzug beklagen Sie, dass der Minister drei Pressemitteilungen herausgegeben und am Samstag mehrere Gespräche mit Journalisten geführt hat, in denen er deutlich gemacht hat, welche Position er vertritt und warum er zu dieser Entscheidung gekommen ist. Das ist Ihnen auch nicht recht. Was wollen Sie denn? ({5}) - Sie sind doch gleich dran. Vor allem ist eines deutlich geworden: Es ist völlig klar, dass es Öffentlichkeitsarbeit ist, wenn ein Minister mit Medien - egal, welche Form von Medien, zum Beispiel mit Zeitungen - spricht. Dadurch wurde ein Teil der Öffentlichkeit informiert, ja, aber das ist nicht gleichzusetzen mit der Unterrichtung des Parlamentes. ({6}) - Das ist so; das ist völlig eindeutig. - Sie müssen sich aber auch den zweiten Satz anhören: Der Minister hat auch klargemacht - daran gibt es keinen Zweifel -, dass hier ein Fehler unterlaufen ist. Die Unterrichtung des Parlamentes war in diesem Zusammenhang nicht hundertprozentig korrekt. ({7}) - Sie sprechen davon, dass sie „falsch“ bzw. irreführend war. - Auf jeden Fall war sie nicht hundertprozentig korrekt. ({8}) Der Minister hat gerade eben gesagt, dass er das anerkennt, dass er diesen Fehler gesehen hat und dass jetzt Sorge dafür getragen werden muss, dass dieser Fehler in Zukunft nicht noch einmal passiert. Von daher sage ich noch einmal: Es war eine ärgerliche Informationspanne, ({9}) und insbesondere der Minister muss jetzt dafür sorgen, dass wir im Nachgang ordentlich informiert werden. Daran habe ich auch keinerlei Zweifel. ({10}) Am Ende möchte ich eines noch ganz deutlich hervorheben, nämlich die sehr gute Arbeit unseres Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus. ({11}) Hellmut Königshaus, dem Wehrbeauftragten, und seinen Mitarbeitern - das möchte ich ganz ausdrücklich sagen gilt mein Dank und auch der Dank der FDP-Fraktion. ({12}) Es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig diese Institution für uns Parlamentarier ist, die als Hilfsorgan des Parlamentes agiert, letztendlich aber auch als Anlaufstelle für die Soldaten dient, um Missstände, Probleme und Herausforderungen anzusprechen. Das ist ganz wichtig. Für die Zukunft und das weitere Vorgehen wünsche ich mir, dass wir eine sachgerechte Diskussion führen, eine sachgerechte Aufklärung betreiben und als Parlamentarier, als Abgeordnete, letztendlich korrekt informiert werden. Vielen Dank. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Agnes Malczak das Wort.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuallererst möchte ich den Angehörigen der im November ums Leben gekommenen Kadettin und des im Dezember getöteten Hauptgefreiten in Afghanistan mein Mitgefühl aussprechen, und das nicht nur für den Verlust ihrer Lieben. Denn für sie ist auch die derzeitige Debatte mit Sicherheit alles andere als leicht auszuhalten. Ich denke, das sollten wir alle nicht vergessen. ({0}) Was genau auf der „Gorch Fock“, bei dem Todesfall in Afghanistan und im Fall der Feldpost geschehen ist, wird und muss noch eine Frage von weiteren Untersuchungen sein. Wahrscheinlich ist, dass diese Ereignisse nicht für die ganze Bundeswehr stehen. Es geht heute auch nicht darum, die Details der Vorfälle zu diskutieren und Urteile zu sprechen. Die Aufklärung dieser Ereignisse muss zeitnah und schnell, gründlich und ohne Vorverurteilung, aber auch ohne falsche Rücksichtnahme in den kommenden Wochen geschehen. Im Zentrum steht heute aber die Frage, wie das Verteidigungsministerium, wie Sie, Herr Minister zu Guttenberg, mit diesen Ereignissen umgegangen sind und was diese Vorfälle für die Bundeswehr bedeuten. ({1}) Dabei geht es im Kern der Debatte um die Realität der Inneren Führung. „Gorch Fock“, der Todesfall in Afghanistan und die Feldpost: Über diese drei Ereignisse wurde das Parlament nicht durch die politische oder militärische Führung der Bundeswehr informiert. Der Wehrbeauftragte hat diese Missstände aufgedeckt und öffentlich gemacht. Dieser Weg, auf dem die Informationen ins Parlament und in die Öffentlichkeit gelangt sind, ist ein Armutszeugnis für Sie, Herr Minister zu Guttenberg. ({2}) Das Prinzip der Inneren Führung erfordert, genau hinzuschauen. Das heißt, man muss wissen, was in der Truppe los ist. Doch die Ereignisse auf der „Gorch Fock“ im November 2010 wurden Ihnen erst in der letzten Woche durch den Wehrbeauftragten in dieser Dringlichkeit und Priorität zugetragen. Dass es nach dem Tod der Kadettin Probleme gab, war aber schon im Dezember des letzten Jahres Thema im Verteidigungsausschuss. Auch im Fall des am 17. Dezember 2010 in Pol-i Khomri ums Leben gekommenen Hauptgefreiten schienen Sie, Herr Minister, es nicht für nötig gehalten zu haben, sich umgehend zu informieren. Der Special Investigations Report wurde laut Ihrer eigenen Presseerklärung bereits nach zehn Tagen fertiggestellt. Am 21. Januar, fast einen Monat später, haben Sie dem ARD-Morgenmagazin gesagt, Sie hätten den Feldjägerbericht in den letzten Tagen bekommen. Sie sollten weder im Ausschuss noch hier Pappkameraden aufstellen, auf die Sie schießen können. Denn niemand von uns hat Ihnen gesagt, Sie müssten jeden Feldjägerbericht lesen. Ich erinnere nur an Ihren ehemaligen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und an den ehemaligen Staatssekretär Dr. Wichert, die gehen mussten, weil sie Ihnen einen Feldjägerbericht nicht vorgelegt haben. Tun Sie nicht so, als ob ein Feldjägerbericht, in dem es um den Tod eines Soldaten geht, ein x-beliebiger Bericht wäre. ({3}) Mit der Inneren Führung untrennbar verknüpft ist das Prinzip der Bundeswehr als Parlamentsarmee. Daraus folgt, dass die politische und militärische Führung eine Informationspflicht gegenüber dem Parlament hat. ({4}) Statt dem Parlament mitzuteilen, was Sie über den Tod des Hauptgefreiten in Afghanistan wissen und welche Maßnahmen Sie im Fall der „Gorch Fock“ angewiesen haben, rennen Sie einmal mehr zuallererst zu den Medien. Der Wehrbeauftragte schreibt in seinem gestern vorgestellten Bericht von dem verloren gegangenen Vertrauen der Soldatinnen und Soldaten. Diese „verweisen darauf, dass zahlreiche Mängel und Defizite immer wieder gemeldet und seit Jahren bekannt seien, ohne dass sich eine Besserung abzeichne.“ Zu diesen Mängeln gehören auch Probleme beim Führungsverhalten und bei der Ausbildung. Das hat Hellmut Königshaus gestern berichtet; das stand aber auch schon im letzten Jahresbericht des damaligen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe. Heute kann noch keine abschließende Aussage zu den beiden Vorfällen auf der „Gorch Fock“ und in Pol-i Khomri gemacht werden. Aber es deutet vieles darauf hin, dass wir uns die Frage stellen müssen, was diese Ereignisse für die Realität der Inneren Führung in der Bundeswehr bedeuten. Grundsätzlich gilt: Einsätze wie in Afghanistan und die tiefgreifende Bundeswehrreform haben auch Auswirkungen auf die Innere Führung. Daher muss über die Weiterentwicklung der Inneren Führung fortwährend und intensiv diskutiert werden - mit der Bundeswehr, in der Politik und in der gesamten Gesellschaft. ({5}) Herr Minister, dabei erwarten wir von Ihnen mehr, als jenen, die Kritik äußern, per Pressemitteilung „bemerkenswerte Ahnungslosigkeit“ vorzuwerfen; ({6}) denn ein solches Verhalten ist nicht nur eine Frechheit, sondern fällt auch auf Sie zurück, weil eigentlich Sie es sind, der bei diesen drei Vorgängen bemerkenswert ahnungslos war. Vielen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Ernst-Reinhard Beck für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Häufung der Vorkommnisse in der Bundeswehr in der Berichterstattung der letzten Tage wird von der Opposition, auch heute wieder, zum Anlass genommen, von Vertuschung und von Falschunterrichtung des Parlaments zu sprechen. Nach einer Ernst-Reinhard Beck ({0}) beinahe fünfstündigen, ausführlichen und gründlichen Unterrichtung durch den Verteidigungsminister im Verteidigungsausschuss kann davon, glaube ich, in überhaupt keiner Weise mehr die Rede sein. ({1}) Eine Vielzahl von Vermutungen und Spekulationen sind heute Morgen in sich zusammengefallen. Ich möchte die Kollegen daran erinnern: Empörung ersetzt keine Recherche und schon gar keine gründliche Untersuchung. Die Verletzung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ist ein schwerwiegendes Vergehen. Der Minister hat dem Deutschen Bundestag hierzu am Montag und Dienstag zwei Zwischenberichte zugeleitet. Die Angelegenheit ist heute Morgen sehr detailliert dargestellt worden. Bis dahin sollten Spekulationen jeder Art unterbleiben, ob die Zugriffsstelle in Afghanistan oder in Deutschland war. Wir können nur hoffen, dass wir das relativ bald herausbringen; denn in der Tat ist der Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ein Eingriff in die Grundrechte der Soldaten, den wir nicht hinnehmen können. Aber es geht weit an der Realität vorbei, bereits jetzt und überhaupt von flächendeckendem und systematischem Öffnen von Briefen zu sprechen. Bei einer Menge von etwa 900 000 im Jahr haben wir jetzt, glaube ich, 27 Briefe, um die es geht. ({2}) Jeder geöffnete Brief ist schlimm genug. Aber wir dürfen die Dinge nicht in dieser Weise dramatisieren. Lieber Herr Kollege Arnold, ich halte es in der Tat für unerträglich, wenn wieder die Rede davon ist, dass mit Waffen gespielt wird. Wir alle haben im Verteidigungsausschuss den Feldjägerbericht gelesen, wenn auch relativ spät. Zum Feldjägerbericht möchte ich sagen: Feldjägerberichte gehören weder auf den Tisch des Ministers noch auf den Tisch der Abgeordneten. Es handelt sich im Grunde um Ermittlungsergebnisse für den Disziplinarvorgesetzten. Die Feldjäger sind eben nicht die Hilfspolizei. Die Feldjäger haben nicht die polizeilichen Befugnisse. Deshalb ist es auch richtig, jedes Mal die Staatsanwaltschaft einzuschalten; denn nur dann gibt es eine unabhängige Untersuchung. Es war ein tragischer Vorfall, bei dem ein junger Mann durch das Verschulden eines Kameraden ums Leben kam. Dies ist das Faktum. Wenn man sich nach den Umständen fragt, dann muss man sehen, dass das Waffenreinigen im Einsatzgebiet etwas anderes ist als in der warmen Stube im Frieden zu Hause. Genauso ist das Übungsschießen im Einsatz etwas anderes als das Übungsschießen auf der Standortschießanlage zu Hause. Ich komme zu den Ereignissen auf der „Gorch Fock“. Ich glaube, angesichts der sich rasant verdichtenden Medienlage mit neuen Vorwürfen im Stundentakt am Freitag Nachmittag konnte der Minister gar nicht anders entscheiden, als den Kommandanten von seiner Verantwortung zu entbinden. Das gebietet schon die Fürsorge gegenüber einem Soldaten in Führungsverantwortung. Wir alle sind aufgerufen, zu verhindern, dass ein bewährter Offizier einem öffentlichen Spießrutenlaufen ausgesetzt wird. Nicht der Minister hat den Kommandanten vorverurteilt, sondern die geballte Medienwelt. Angesichts der Fülle unbewiesener Vorwürfe war die Entscheidung des Ministers sachgerecht und unter Fürsorgegesichtspunkten auch geboten. Wenn hier moniert wird, dass nicht gehandelt und nicht informiert worden ist, dann erinnere ich daran, dass das Vorkommnis am 7. November war. Kurz darauf hat die Marineleitung entschieden, ein Havarieteam zu entsenden. Es wurde die Entscheidung getroffen, diesen Lehrgang abzubrechen und die Lehrgangsteilnehmer zurückzuholen. Zumindest die Obleute wurden am Samstag unterrichtet, dass die Marineleitung angewiesen wurde, den Kommandanten des Schiffes unverzüglich und bis zum Abschluss der laufenden Ermittlungen von seinen Pflichten zu entbinden. Dies war eine Anweisung an die Marineleitung: zu entbinden. Ich bitte darum - auch den Kollegen Arnold -, das einfach einmal zur Kenntnis zu nehmen und nicht mit Wortspielereien aus der Presse wie „abgelöst“ zu kommen, und zwar in einer Form, die dem eben nicht entspricht. Das ist keine disziplinarische Maßnahme. Ich habe mir heute Morgen sagen lassen, dass es sich „Spannungskommandierung“ nenne, wie man ein solches Problem in allen Marinen dieser Welt löst. Ich würde Sie sehr herzlich bitten, bis zum Abschluss der fortlaufenden Ermittlungen, die hier angedeutet werden, zu warten. Ohne der Aufklärung vorgreifen zu wollen, scheint mir bereits heute eines sicher zu sein: Eine Stärkung der Dienstaufsicht ist nach meiner Einschätzung dringend geboten. Wir müssen die Vorgesetzten wieder stärker in ihrer Führungsverantwortung und in den Grundsätzen der Inneren Führung schulen. Die zunehmende Einsatzbelastung darf nicht dazu führen, elementare Prinzipien unserer Führungskultur oder den Respekt der Untergebenen im Umgang mit Schusswaffen und ihre Sorgfalt in der Handhabung zu vernachlässigen. Wenn jetzt wieder ein Untersuchungsausschuss gefordert wird, so will ich nur daran erinnern, dass wir vor einer großen Reform der Bundeswehr stehen. Sie verlangt unsere volle Aufmerksamkeit. Wir können uns nicht erlauben, diese Reform nur halbherzig zu begleiten. Daher appelliere ich dringend an alle Verantwortlichen auch im Parlament, sicherzustellen, dass wir hier - bei aller gebotenen Aufklärung - unseren Kernauftrag in den nächsten Monaten sehen. Wir brauchen unsere gestalterische Kraft für die Zukunft der Bundeswehr. Wir dürfen das Feld auch nicht den Denunzianten und all denen überlassen, die noch eine offene Rechnung mit der Bundeswehr zu begleichen haben. Sachliche und faire Aufklärung ist das Gebot der Stunde. Wir brauchen mehr denn je eine Bundeswehr, die für junge Menschen auch in Zukunft attraktiv ist. Dies sicherzustellen, darin besteht unsere gemeinsame Verantwortung für die Bundeswehr als Parlamentsheer. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Evers-Meyer für die SPD-Fraktion. ({0})

Karin Evers-Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003523, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Todesfälle auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“, tödliche Waffenspiele in Afghanistan und geöffnete Feldpost, das ist ganz bestimmt nicht im Sinne derjenigen, die aus der Bundeswehr eine offenere Armee machen wollten, eine Armee der Inneren Führung, eben eine Armee aus Staatsbürgern in Uniform. Ich appelliere heute zuallererst an uns, an die Mitglieder des Deutschen Bundestages: Unsere Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wir haben die Verantwortung für die Truppe und für diejenigen, die darin ihren Dienst tun. Wir wollen nicht, dass diese Bundeswehr sich innerlich zerreißt, von außen kaputtgeredet oder in ein schlechtes Licht gestellt wird. ({0}) Vieles von dem, was da in den letzten Tagen in den Zeitungen suggeriert wurde, entspricht in keiner Weise dem tatsächlichen Bild der Bundeswehr und der Arbeit der Soldatinnen und Soldaten. ({1}) Wir können aber auch nicht zulassen, dass die Prinzipien, denen diese Bundeswehr in den letzten 60 Jahren verpflichtet war, offensichtlich Gefahr laufen, auf dem Scheiterhaufen zu enger Einsatzpläne, mangelnder Ausbildung und auch unzureichender Finanzierung geopfert zu werden. Und schon gar nicht werden wir es zulassen, dass Vorkommnisse und Entwicklungen vertuscht oder verheimlicht werden und dass eine notwendige Diskussion über die inneren Strukturen der Bundeswehr weiter verzögert wird. Als Mitglied des Bundestages danke ich an dieser Stelle ausdrücklich dem Kollegen Königshaus für den Dienst, den er dem Deutschen Bundestag erwiesen hat. Sie haben mit Ihrer Arbeit dem Amt des Wehrbeauftragten alle Ehre gemacht. Ohne Ihre Berichte wäre die notwendige Diskussion heute noch weiter hinausgezögert worden. ({2}) Als Mitglied des Verteidigungsausschusses würde ich mir wünschen, dass der Verteidigungsminister diese Debatte ebenfalls für notwendig hielte. Das tut Minister zu Guttenberg aber offensichtlich nicht. Bei aller Liebe, Herr Minister, ({3}) das, was Sie in den letzten Wochen und Tagen in Richtung des Deutschen Bundestages abgeliefert haben, war nach meiner Meinung unterirdisch. Wenn Sie in den Ausschuss kommen, dann sind die Informationen, die Sie mitbringen, mehr als dürftig; heute war das einmal eine kleine Ausnahme. Wir sind das von anderen Verteidigungsministern so nicht gewohnt. Mag sein, dass Sie andere Kreise umfassend informieren. Das Parlament informieren Sie eben nicht. Nicht einmal Ihr eigener Staatssekretär kannte die Umstände, unter denen ein Soldat in Afghanistan durch den Schuss eines Kameraden getötet wurde. ({4}) Die Frage nach einem Feldjägerbericht wird erst verneint; auf weitere Anfrage gibt es ihn dann doch. Man fühlt sich ein wenig an Abläufe im Vorfeld der Entlassung des letzten Generalinspekteurs erinnert. ({5}) Diesmal werden Sie aber nicht wieder andere dafür verantwortlich machen können. Das lässt man jemandem nur ein Mal durchgehen. ({6}) Herr Minister, Sie brauchen jetzt mehr denn je das Vertrauen der Mitglieder des Deutschen Bundestages und vor allen Dingen das Vertrauen der Mitglieder des Verteidigungsausschusses, auch wenn Sie heute vielleicht noch denken, die öffentliche Unterstützung bestimmter Zeitungen lasse Sie über den Dingen schweben. Ich prophezeie Ihnen heute: Das reicht am Ende in der Regel nur für einen Auftritt in einer Fernsehshow; das reicht aber nicht, um ein guter Verteidigungsminister zu sein. Deswegen lassen Sie uns doch endlich offen und ehrlich miteinander umgehen. Lassen Sie sich vernünftig informieren und geben Sie Ihre Informationen an uns weiter und nicht erst an die Zeitung. Dann können wir das, was geschehen ist, beurteilen und unsere Schlüsse ziehen. Auch wenn der Staatsanwalt ermittelt, müssen wir wahrheitsgemäß informiert werden. Wir wollen ja nicht vorverurteilen, sondern man kann vielleicht zwischendurch schon einmal dem einen oder anderen Missstand abhelfen. Natürlich gibt es nicht den einen Grund, der als Ursache für diese Vorfälle, beispielsweise in Afghanistan, herangezogen werden könnte. Aber es gibt viele größere und kleinere Mängel, die am Ende solche Vorfälle befördern. Ich hatte bei meinen letzten Besuchen im Herbst 2010 wiederholt den Eindruck, dass es gerade den jungen Soldatinnen und Soldaten immer öfter an klaren Maßstäben fehlt. Sie sind aber wichtig, gerade wenn Einsätze gefährlich sind. Das gilt umso mehr, wenn diese Einsätze immer länger dauern. Das ist doch eines der Kernprobleme: Das aktuelle Afghanistan-Kontingent wird zum großen Teil nicht die geplanten vier, sondern sechs Monate im Einsatz sein. Dass praktisch ein ganzes Einsatzkontingent für sechs Monate nach Afghanistan geschickt wird, ist ein Problem. Wir mögen damit Geld sparen; aber wir überlasten damit auch viele Soldatinnen und Soldaten. Wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit psychischer Erkrankungen dann ansteigt. Noch schlimmer ist es, wenn diese Belastungen in der Truppe nicht angemessen abgefedert werden können. In solchen Belastungssituationen kommt es auf gute und verlässliche Menschenführung an, die den Prinzipien der Inneren Führung entspricht. Daran mangelt es an einigen Stellen. Kollege Königshaus hat das beschrieben. Wir sollten hier im Bundestag, im Verteidigungsausschuss gemeinsam über die Probleme diskutieren: schlechte Möglichkeiten der Kommunikation mit der Familie, weniger politische Bildung und Ausbildung, zu lange Einsatzzeiten. Das sind Themen, mit denen wir uns beschäftigen müssen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit.

Karin Evers-Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003523, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. - Das Schlechteste wäre es, jetzt nur nach einem Verantwortlichen zu suchen und die Dinge ansonsten laufen zu lassen. Vielen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was ist das für eine einfallslose Oppositionsarbeit, die wir in diesen Tagen erleben müssen! In einer Zeit, in der fast wöchentlich wichtige Entscheidungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik getroffen werden, in einer Zeit, in der sich die Menschen in unserem Land fragen: „Wie geht es weiter in Afghanistan?“, in einer Zeit, in der die Truppe sich fragt: „Wie sieht die Bundeswehr der Zukunft aus?“, ({0}) fragen Sie sich: Wie können wir das hohe Ansehen des Bundesverteidigungsministers endlich nachhaltig beschädigen? ({1}) Nachdem im letzten Jahr alle Versuche in dieser Richtung gescheitert sind, nachdem der Kunduz-Untersuchungsausschuss nicht das Ergebnis gebracht hat, das Sie sich gewünscht haben, haben Sie das neue Jahr mit einer neuen Strategie begonnen. Drei völlig verschieden gelagerte Vorgänge werden miteinander vermischt, das Gesamtpaket mit der pauschalen Behauptung der Vertuschung und Falschinformation des Parlaments unterlegt und der Minister persönlich dafür verantwortlich gemacht nach dem Motto: Selbst wenn sich zum Schluss alle einzelnen Vorgänge in Luft auflösen - irgendetwas davon wird schon hängen bleiben. ({2}) Der Minister kann sich gegen diese Attacke wehren. Nicht wehren können sich aber die Soldaten, vor allem nicht diejenigen, die von diesen Vorgängen direkt betroffen sind und die Anspruch auf eine sachgemäße Klärung ohne eine öffentliche Vorverurteilung haben. Dieses Vorgehen von Ihnen ist verantwortungslos. Ich möchte die Vermengung dieser drei Aspekte einmal auflösen und einen der Vorgänge herausgreifen, bei dem der Vorwurf der Vertuschung und Falschinformation besonders laut zu hören war: der Tod des Soldaten in Afghanistan am 17. Dezember. Wir alle wurden durch die Unterrichtung des Parlaments am 21. Dezember darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein Soldat mit einer Schusswunde aufgefunden wurde, dass dieser während einer Notoperation verstorben ist und dass Untersuchungen zu diesem Vorgang laufen. Man kann sich darüber aufregen, dass diese Information zu knapp war. Das trifft zu. Aber sie ist nicht falsch. Der weiter gehende Vorwurf, die Bundeswehr oder der Minister hätten vorsätzlich versucht, der Öffentlichkeit glauben zu machen, der Soldat hätte sich selbst erschossen, ist schlicht Verleumdung. Es gab eine solche Meldung in den Medien. Der Minister selbst hat sie korrigiert. Bereits ab dem 19. Dezember, zwei Tage nach dem Vorfall, wurde korrekt darüber berichtet. Ich war dann selber mit Kollegen von der CDU, Karl Lamers und Robert Hochbaum, aber auch von der FDP, den Grünen und von der SPD zwei Tage später in Afghanistan, nicht als Aufklärungskommando, sondern weil wir uns im Hinblick auf die anstehende Mandatsverlängerung über die Hintergründe vor Ort informieren wollten. Wir wurden dort von Anfang an korrekt informiert, dass ein zweiter Soldat den Schuss abgegeben hat. ({3}) - Nein, Kollege Schäfer, das ist nicht die Unterrichtung des Parlaments. Es ist nur die Antwort auf den Vorwurf, dass etwas vertuscht werden sollte. Das ist aber an den Haaren herbeigezogen. ({4}) Jetzt wird der Vorwurf erhoben - es geht nämlich noch weiter -, dass die Bundeswehr bewusst etwas verharmlosen wollte und deswegen nur von „Waffe reinigen“ spricht. Es wird aus einem Feldjägerbericht zitiert - Feldjägerbericht hört sich ja gut an; wir erinnern uns an Kunduz -, demzufolge einer von mehreren Zeugen angeblich von einem „spielerischen Umgang“ gesprochen haben soll. Sie wissen genau, dass die Aussagen in diesem Punkt nicht eindeutig sind. Der Vorwurf der Vertuschung, den Sie erheben - Kollege Arnold ist jetzt leider schon weg; er hat wahrscheinlich etwas anderes zu tun -, ({5}) ist an dieser Stelle besonders hinterhältig, weil Sie genau wissen, dass staatsanwaltschaftliche Ermittlungen laufen und der Dienstherr schon aus Fürsorgegründen zu diesem Thema nicht Stellung nehmen kann. Wie ich vorhin schon gesagt habe: Der betroffene Soldat hat Anspruch auf eine sachgemäße Klärung ohne eine öffentliche Vorverurteilung. ({6}) Meine Damen und Herren von der Opposition, lassen Sie die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit tun! Nutzen Sie diesen tragischen Fall nicht für Ihre Oppositionsarbeit und bilden Sie sich erst nach Abschluss der Ermittlungen Ihr Urteil! In der Zwischenzeit haben wir im Verteidigungsausschuss für unser Land und unsere Bundeswehr genügend zu tun. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach bemerkenswerten fünf Stunden Aufklärung im Ausschuss gebührt in meinen Augen erst einmal der Dank Ihnen, die dem Verteidigungsausschuss angehören und diese Aufklärungsarbeit heute vorangetrieben haben, und natürlich auch dem Minister, der Ihnen ausführlich Rede und Antwort gestanden hat. Deshalb fand ich es an manchen Stellen schon bemerkenswert, welches Theater Herr Arnold hier seit Tagen aufführt. Er ist leider nicht mehr da; ihm wird meine Kritik aber sicherlich nachgereicht. Bei Ihnen zweifle ich an manchen Grundfertigkeiten, die ein Politiker mitbringen sollte, schon sehr stark; denn Lesen gehört definitiv dazu. Wenn Sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. Dezember 2010 den Bericht von Herrn Stephan Löwenstein gelesen haben, kann Ihnen nicht entgangen sein, ({0}) dass dort keine Vertuschungskampagne im Gange war, sondern dass von Anfang an offen kommuniziert worden ist. Die von Ihnen aufgezählten Beispiele einer Vertuschungs- oder Verfälschungsaktion stimmen schlichtweg nicht. Der Kollege Brandl hat aus Unionssicht gerade auch etwas dazu gesagt, wie mit der Unterrichtung des Parlaments umzugehen ist. Das hat aber nichts damit zu tun, dass hier eine bewusste Falschinformation stattgefunden hat. ({1}) Deshalb finde ich das, was Sie gesagt haben, ziemlich aufgebauscht. Herr Arnold, bitte schreiben Sie sich hinter die Ohren, ({2}) dass Sie sich hier nicht aufführen können wie ein Staatsanwalt. Überlassen Sie das dem für den Fall zuständigen Staatsanwalt in Gera. Es ist nicht Aufgabe eines Bundestagsabgeordneten, hier über den laufenden Ermittlungsstand in dieser Art und Weise abzuurteilen und damit eine Verurteilung von Leuten, die in ein Unglück verwickelt sind, vorzunehmen. ({3}) Es ist vielmehr auch Ihre Aufgabe, sich schützend vor die Soldatinnen und Soldaten zu stellen, anstatt hier einen solchen Zirkus aufzuführen. ({4}) Frau Künast ist vorhin weggelaufen und dann wiedergekommen, jedenfalls mit großer Schreierei in dieser Debatte aufgefallen. Herr Oppermann spricht von einer Meuterei des Ministers. Herr Oppermann, das hat doch nichts mit ernsthaftem Interesse an diesem Thema und am Ansehen der Bundeswehr zu tun. Die Widersprüche sind sehr groß. In Bezug auf die „Gorch Fock“ erklärte Herr Arnold vorhin vor laufenden Kameras - das ist ja seine neue Lieblingsbeschäftigung; bei ihm sind es etwas mehr als die 15 Minuten Ruhm, die Andy Warhol einem jeden von uns zugeschrieben hat -, ({5}) wenn es nach ihm ginge, wäre der Kommandant der „Gorch Fock“ schon am vorigen Mittwoch entlassen worden. Ja, was denn nun? Vorhin wurde hier von voreiligem Handeln gesprochen. Dort wurde jetzt gesagt, eigentlich hätte man es eher machen sollen. Was wollen Sie eigentlich? Diese Aufklärung sind Sie uns an dieser Stelle schuldig und vor allem der Bundeswehr. ({6}) Herr Schäfer, genauso unanständig finde ich das, was Sie vorhin über Admiral Schimpf gesagt haben. Es ist einfach nicht richtig, über einen hochrangigen und verdienten Soldaten hier so zu urteilen. Sie behaupten, Admiral Schimpf sage im Verteidigungsausschuss nichts Ausführliches dazu. Sie können sich doch wesentlich besser daran erinnern, was im Verteidigungsausschuss los war. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses hat gesagt: Admiral Schimpf, jetzt nur noch eine Minute; denn wir müssen alle weg. - Dann wurde er dazu gebracht, dort eine Stellungnahme abzugeben. ({7}) - So war das an diesem Tag, weil damals eine Regierungserklärung abgegeben wurde und weil Sie am Nachmittag nicht noch einmal zusammenkommen wollten. ({8}) - Ich habe mich bei den Kollegen gerade darüber informiert. Sie können ja gerne nachlesen, was dort stattgefunden hat. Jedenfalls erinnern sich unsere Kollegen offenbar besser als Sie daran, was tatsächlich stattgefunden hat. Herr Bartels hat von den Sparzielen gesprochen. Auch dort ist mir relativ unklar, was die SPD letztendlich will. Denn an dieser Stelle ist doch festzustellen - das gilt natürlich für alle Abgeordneten dieses Hauses und insbesondere auch für Vertreter der Bundesländer -: Zunächst wurde gesagt, der Minister solle sparen. ({9}) - Ich habe ja die CDU-Länder mit eingeschlossen. Ich kenne viele Abgeordnete aus unserer Fraktion, viele Abgeordnete aus Ihrer Fraktion und viele Ministerpräsidenten, die in den vergangenen Wochen massiv geworben haben: Sparen ja, aber nicht bei mir. ({10}) Es war von Anfang an klar - daraus hat der Minister nie einen Hehl gemacht -, dass die Sparziele dann, wenn man sich auf die Zahl von 185 000 Soldaten einigt, schwierig zu erreichen sein werden. Gerade aus diesem Haus sind doch momentan viele Leute unterwegs, die sagen: Mein Standort ist der wichtigste; er ist militärisch für die Verteidigung der NATO und für den Weltfrieden das Allerwichtigste. Deswegen fand ich das, was Herr Bartels vorhin zum Thema Sparziele gesagt hat, auch ziemlich verlogen. Da gibt es überhaupt kein Hin und Her. Vielmehr gab es von Anfang an eine klare Ansage. Dieses Haus und der Bundesrat versuchen sukzessive, diese Sparziele zu konterkarieren. ({11}) - Das bezieht sich auf die Äußerungen von Frau Malczak und Frau Evers-Meyer. Ich fand es richtig, dass Sie den Wehrbeauftragten loben; er ist ja auch das Hilfsorgan dieses Hauses. ({12}) - Ich bin schließlich nicht hierher entsendet worden, um die ganze Zeit zu klatschen. Ich bin dem Wehrbeauftragten für seine Arbeit aber durchaus dankbar. Ihr Lob war jedoch ziemlich übertrieben, und die Form von Verurteilung der Arbeit des Vorgängers - das würde ja bedeuten, dass er all die Jahre geschlafen hätte - lehne ich ab; denn Herr Robbe hat eigentlich gute Arbeit geleistet. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Damit sind wir auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. Januar 2011, 10.30 Uhr ein. Vorher findet um 9 Uhr im Plenarsaal die Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus statt. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und schließe die Sitzung.