Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich!
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Eidesleistung der Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom
2. Dezember mitgeteilt, dass er gemäß Art. 64 Abs. 1
des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
am 30. November 2009 auf Vorschlag der Frau Bundeskanzlerin den Bundesminister für Arbeit und Soziales,
Herrn Dr. Franz Josef Jung, und die Bundesministerin
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau
Dr. Ursula von der Leyen, aus ihren Ämtern als Bundesminister entlassen und Frau Dr. Ursula von der Leyen
zur Bundesministerin für Arbeit und Soziales und Frau
Dr. Kristina Köhler zur Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend ernannt hat.
Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein
Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56
vorgesehenen Eid. Frau Dr. Köhler, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten.
({0})
Ich darf Sie bitten, den im Grundgesetz vorgesehenen
Eid zu sprechen.
Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des
deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren,
Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die
Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine
Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit
gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott
helfe.
Herzlichen Glückwunsch. Alles Gute.
({0})
Ich stelle fest, dass Frau Dr. Köhler den vom Grundgesetz vorgeschriebenen Eid geleistet hat. Ich darf Ihnen
noch einmal im Namen des Hauses die besten Wünsche
für Ihr Amt aussprechen. Zugleich wünsche ich der
neuen Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Frau
Dr. von der Leyen, alles Gute und viel Erfolg für die neu
übernommene Aufgabe.
({1})
Ich will aber auch die Gelegenheit nutzen, im Namen
des Hauses dem ausgeschiedenen Bundesminister, dem
Kollegen Dr. Franz Josef Jung, für seine Tätigkeit in der
Bundesregierung zu danken.
({2})
Lieber Kollege Jung, ich verbinde den Dank für die geleistete Arbeit mit der Freude auf die Zusammenarbeit in
neuen Rollen und anderen Funktionen. Vielen Dank.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
({3})
- Das muss nicht das Signal dafür sein, dass die Bundesregierung sich komplett vom Schauplatz entfernt.
({4})
Immerhin sagen einzelne Minister gelegentliches Wiederkommen zu.
Vielleicht warten wir noch einen Augenblick, bis sich
der Kreis derjenigen, die bleiben, und derjenigen, die
nun andere Termine wahrnehmen, etwas sortiert hat.
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
({5})
Frau Ministerin Köhler, darf ich zur Sicherung eines
ansonsten ungestörten parlamentarischen Ablaufs darum
bitten, dass die Gratulationstour außerhalb des Plenarsaals fortgesetzt wird?
({6})
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gemeinsame Eckpunkte von
Bund, Ländern und Kommunen zur Errichtung einer Deutschen Digitalen Bibliothek.
Das Wort für einen einleitenden Kurzbericht zu diesem Thema hat der Beauftragte der Bundesregierung für
Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat heute der Unterzeichnung eines Verwaltungs- und Finanzabkommens über die Errichtung
und den Betrieb der Deutschen Digitalen Bibliothek zugestimmt. Mit der Deutschen Digitalen Bibliothek sollen
die Datenbanken von über 30 000 Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland vernetzt und über
ein einziges nationales Portal allen Bürgern zugänglich
gemacht werden. Die Deutsche Digitale Bibliothek fügt
das digital verfügbare Angebot bedeutender Kultur- und
Wissenschaftseinrichtungen aus ganz Deutschland zusammen und erschließt es multimedial.
Das Konzept für das Verwaltungs- und Finanzabkommen ist in den gemeinsamen Eckpunkten von Bund,
Ländern und Kommunen zur Errichtung dieser Bibliothek zusammengefasst. Die Eckpunkte berücksichtigen
insbesondere die Ergebnisse der Studie „Auf dem Weg
zur Deutschen Digitalen Bibliothek ({0})“, die von der
Fraunhofer-Gesellschaft erarbeitet wurde. Die konkrete
Ausgestaltung regelt das Verwaltungs- und Finanzabkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung und den Betrieb der Deutschen Digitalen Bibliothek.
Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte das Abkommen in ihrer Sitzung am 30. Oktober 2009 zur Kenntnis
genommen und die zuständigen Ressorts von Bund und
Ländern gebeten, das Abkommen zu unterzeichnen. Der
BKM, also mein Ressort, wird es für die Bundesregierung unterzeichnen.
Dies ist also ein Gemeinschaftsvorhaben von Bund,
Ländern und Kommunen. Mit den gemeinsamen Eckpunkten und dem daraus resultierenden Verwaltungsabkommen verständigen sich die Beteiligten auf gemeinsame Ziele und einen gemeinsamen Rahmen für die
Bibliothek, insbesondere hinsichtlich ihrer Organisation
und Finanzierung. Mit dieser Bibliothek wird der deutsche Beitrag zur Europäischen Digitalen Bibliothek
Europeana erbracht und damit Verpflichtungen gegenüber der EU entsprochen.
Es geht hier um den Zugang zu unserem seit Jahrhunderten öffentlich gesammelten und bewahrten, meist
auch mit staatlichen Geldern erst angekauften Kulturgut,
und zwar dauerhaft und ohne einen kommerziellen
Zweck. Dies gilt es gerade auch angesichts des Vorgehens von Google zu betonen, das seit einiger Zeit die digitalen Rechte für große Bibliotheksbestände zu einem
einmaligen Betrag praktisch für alle Ewigkeit erwerben
will, dies im Übrigen gegen europäisches und deutsches
Urheberrecht. Deshalb hat die Bundesregierung gemeinsam mit Frankreich in einem sogenannten AmicusCuriae-Brief dagegen interveniert, was dazu geführt hat,
dass die ursprünglichen Pläne wahrscheinlich so nicht
mehr durchgesetzt werden.
({1})
Die Deutsche Digitale Bibliothek ist in dieser Hinsicht eine angemessene Antwort auf Google. Bestehende
Urheber- und Leistungsschutzrechte werden im Rahmen
der Deutschen Digitalen Bibliothek selbstverständlich
uneingeschränkt gewahrt. Im Unterschied zu Google
werden bei der DDB die Rechteinhaber zuerst gefragt,
und erst danach wird gehandelt, und zwar dokumentiert
und jederzeit nachvollziehbar.
Es sollen also die Voraussetzungen dafür geschaffen
werden, dass die digitale Verfügungsgewalt über das
teilweise über Jahrhunderte, ja Jahrtausende gewachsene
kulturelle Erbe in öffentlicher Verantwortung bleibt.
Kulturerbe und wissenschaftliche Informationen sollen,
gerade mit Blick auf Katastrophen wie den Einsturz des
Kölner Stadtarchivs oder den Brand der Anna-AmaliaBibliothek in Weimar, auch in digitaler Form für künftige Generationen gesichert werden. Deshalb - das
möchte ich abschließend feststellen - wird in der sachkundigen Branche, bezogen auf dieses Projekt, von einem Quantensprung in der Welt der digitalen Informationen gesprochen. - Herr Präsident, das war die
Darstellung der Deutschen Digitalen Bibliothek.
Ich bedanke mich sehr, insbesondere dafür, dass das
in digitaler wie in analoger Zeitmessung innerhalb der
vorgesehenen Befristung stattgefunden hat.
Ich darf nun fragen, ob es zu diesem Themenbereich
Wortmeldungen gibt. - Mir liegt schon eine der Kollegin
Sitte vor. Bitte schön.
Danke schön. - Sie haben ausdrücklich davon gesprochen, dass es sich um ein Verwaltungsabkommen zwischen Bund, Ländern und Kommunen handelt, in dem
auch die Kosten geregelt werden. Immerhin handelt es
sich um zusätzliche Aufgaben. Von welchen finanziellen
Eckpunkten gehen Sie jetzt aus? Was ist in diesem Verwaltungsabkommen dazu vereinbart? Wie soll die Finanzierung in den Folgejahren aussehen?
Mit dem Aufbau der Deutschen Digitalen Bibliothek
soll im Jahre 2011 begonnen werden. Nach Abschluss
und Unterzeichnung dieses Verwaltungsabkommens
werden die nötigen Schritte eingeleitet. Für den Aufbau
der Infrastruktur sind 5 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundes vorgesehen. Für die erste Phase der Inbetriebnahme ab 2011 sind von Bund und Ländern insgesamt 2,6 Millionen Euro veranschlagt, die dann von
beiden jeweils zur Hälfte gezahlt werden.
Dies ist sicherlich ein Anfang. Dann wird man sehen,
wie sich das Ganze entwickelt. Ich kann mir schon vorstellen, dass für eine optimale Ausgestaltung im Laufe
der Zeit zusätzliche Mittel nötig sein werden. Aber ich
bin jetzt im Augenblick nicht in der Lage, zu sagen, welchen Umfang sie einnehmen werden.
Weitere Fragen zu diesem Themenkomplex? - Das
scheint nicht der Fall zu sein. Dann darf ich fragen, ob es
Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung gibt. - Herr Kollege Beck.
Ich glaube, meine Frage müsste der Chef des Bundeskanzleramtes beantworten. Ich habe gehört, dass es mit
elf Bundesländern eine Einigung zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz gibt, insbesondere darüber, wie
Sie da vorgehen wollen und wie Sie die Kompensation,
die die Länder begehren, organisieren wollen. Ich denke,
das Hohe Haus sollte heute erfahren, worin die Einigung
der Bundesregierung mit der Bundesländerseite besteht.
Herr Staatsminister von Klaeden.
Herr Kollege Beck, die Berichte, nach denen mit den
Bundesländern irgendwelche Kompensationen vereinbart worden sind, sind nicht zutreffend.
Was hat Staatssekretär Koschyk im Ausschuss dann
sagen wollen? Worin besteht diese Einigung?
Das ergibt sich aus dem Gesetzgebungsverfahren. Sie
haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe, darauf angespielt, dass es Verabredungen über irgendwie geartete
finanzielle Leistungen gibt; auf diese Presseberichte haben Sie ja Bezug genommen. Solche Verabredungen gibt
es nicht.
Frau Höll, bitte.
Herr Präsident, gestatten Sie mir eine Nachfrage. Wir haben heute im Finanzausschuss mehrere Änderungsanträge beschlossen, in denen ausgeführt wurde,
dass damit keine finanziellen Auswirkungen verbunden
sind. Zumindest die Oppositionsvertreter im Ausschuss
sehen das anders. Das vorliegende Finanztableau wird
wahrscheinlich zu noch höheren Belastungen für die
Bundesländer führen. Wie sehen Sie das vor diesem Hintergrund?
Eine Einigung ist erzielt worden, so war die Aussage
im Ausschuss. Das heißt, der bisherige Zorn der Bundesländer müsste sich noch verstärkt haben. Daher ist die
Einigung überraschend und erzeugt die Nachfrage: In
welcher Form soll ein Ausgleich erfolgen? Finanziell
oder anders, zum Beispiel durch eine Änderung der Vergaberegelung?
Frau Kollegin, dass die Bundesländer zornig sind,
kann ich nicht bestätigen.
({0})
Weiterhin gilt das, was ich bereits ausgeführt habe. Mit
Ihrem Hinweis auf die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Anträgen haben Sie die Antwort auf Ihre
Frage im Grunde selbst gegeben.
Frau Kollegin Haßelmann.
Herr von Klaeden, auch meine Frage bezieht sich auf
das Thema Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Sie haben
in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Beck gerade
ausgeführt, dass Sie von einer Abstimmung mit den Ländern keine Kenntnis haben. Der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium hat uns heute Morgen
erläutert, dass es mit elf von 16 Bundesländern eine Abstimmung zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz gegeben habe. Auf meine Nachfrage sagte er: B-Länder.
Zum einen würde ich gerne von Ihnen wissen: Um
welche Länder handelt es sich bei diesen elf Ländern?
Zum Zweiten würde ich gerne von der Bundesregierung
wissen: Worin bestand die Abstimmung zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz? Welche Inhalte? Worüber
haben Sie sich verständigt?
Frau Kollegin Haßelmann, ich habe versucht, mit
meiner Antwort herauszufinden, was der Kollege Beck
mit den erwähnten Zeitungsberichten gemeint hat. Ich
habe auch nicht gesagt, dass es keine Abstimmung zwischen der Bundesregierung und den Bundesländern gegeben hat. Ganz im Gegenteil: Es findet ständig eine
Abstimmung zwischen der Bundesregierung und den
Bundesländern statt. Das ist unter anderem meine Aufgabe im Bundeskanzleramt. Welche die elf B-Länder
sind, wissen Sie, glaube ich, selbst.
({0})
Eine Zusatzfrage, Frau Haßelmann?
Ja, Herr Präsident. Vielen Dank. - Mir ist daran gelegen, dass das Kanzleramt meine Frage beantwortet. Ich
habe gefragt: Welchen Inhalt hatten die Abstimmungsgespräche zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz? Da
ich davon ausgehe, dass Sie mindestens so viel Kenntnis
darüber haben wie die veröffentlichte Meinung, finde
ich, hat das Parlament und habe ich als Abgeordnete einen Anspruch darauf, dass Sie meine Frage beantworten,
die lautet: Worin bestand die Abstimmung bzw. die Einigung mit den elf Ländern - und zwar nicht zu irgendetwas, sondern zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz -,
von der wir heute Morgen erfahren haben?
Ich kann noch einmal sagen, dass die in der Frage des
Kollegen Beck insinuierten Vermutungen über Nebenabreden nicht zutreffend sind.
({0})
Mindestens die zweite Frage, Herr Kollege von
Klaeden, war nun eindeutig nicht mehr auf die in der ersten Antwort angesprochene Person bezogen, sondern auf
den Sachverhalt.
({0})
Ich würde jetzt ganz gerne einmal wissen, Herr Präsident, welche Verabredungen gemeint sind.
({0})
Es gibt keine Verabredungen, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nicht angesprochen worden sind.
Von den Kollegen sind ja die Anträge, die im Finanzausschuss behandelt worden sind, nicht genannt worden,
sondern es ist lediglich davon die Rede gewesen, dass es
Anträge gegeben hat. Dazu kann ich jetzt nichts sagen,
weil ich bei der Sitzung des Finanzausschusses nicht anwesend war.
({1})
Frau Kollegin Merkel.
Herr Staatsminister von Klaeden, ich will aus einem
Beitrag des Handelsblattes zitieren:
Denkbar ist auch eine Lösung
- nämlich bezogen auf eine Einigung in Bezug auf das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz über die Gelder des Konjunkturpaketes II. Hier
hatte Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich
({0}) für sein Land durchgesetzt, dass es nicht
verbrauchte Gelder als Ausgleich für Einnahmeausfälle nicht zurückzahlen muss.
({1})
Werden solche Vereinbarungen - auch von Ihrer Seite für möglich oder nicht für möglich gehalten? Sind sie
Teil einer Vereinbarung, die Sie getroffen haben?
Eine solche Vereinbarung kann ich Ihnen nicht bestätigen.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Ja.
Hätte eine solche Vereinbarung zur Folge, dass man
das Gesetz und auch die Verwaltungsvereinbarung ändern muss? Stimmen Sie mir in dieser Richtung zu?
Das sind jetzt Spekulationen.
({0})
Wenn die Vermutung im Handelsblatt richtig ist, müsste
das Gesetz wahrscheinlich geändert werden. Aber da ich
Ihnen eine solche Vereinbarung jetzt nicht bestätigen
kann, kann ich Ihnen da jetzt auch keine verbindliche
Auskunft geben.
Danke.
Frau Kollegin Hinz.
Herr von Klaeden, hat die Bundesregierung in den
Gesprächen mit den elf Ministerpräsidenten, mit den elf
Ländern, konkret angeboten, das Zusätzlichkeitskriterium für das Konjunkturprogramm II aufzuheben? Haben Sie das vor? Planen Sie das?
Wir haben nicht vor, das Zusätzlichkeitskriterium aufzuheben.
Wenn es aufgehoben würde, müsste dann das Gesetz
dafür geändert werden?
Da das Kriterium im Gesetz steht, müsste es dafür geändert werden. Das ist jetzt eine allgemeine Rechtsauskunft, die sich nicht auf einen politischen Willen bezieht
und die Ihnen auch jeder andere geben könnte.
({0})
Herr Kollege Beck.
Herr Staatsminister, wenn Sie nicht darüber Auskunft
geben können, welche Vereinbarung Kollege Koschyk
gemeint hat, biete ich Ihnen gerne an, dass wir die Sitzung unterbrechen und Sie jemanden vom Finanzministerium herholen, damit wir erfahren, was die Bundesregierung an diesem Punkt denkt.
Ich möchte Sie fragen: Können Sie ausschließen, dass
es mit den elf Bundesländern, die der B-Seite angehören,
eine Verabredung gibt, dass Änderungen am Konjunkturpaket II, Investitions- und Tilgungsfondsgesetz vorgenommen werden sollen hinsichtlich einer Nichtrückzahlungsmöglichkeit oder des Entfallens des Kriteriums der
Zusätzlichkeit, wie es in der Presse berichtet wird? Ich
möchte eine konkrete Aussage: Gibt es Gespräche, die
das Ziel haben, eine Änderung an diesen Konditionen
vorzunehmen, oder gibt es diese nicht?
Ich bitte um eine klare Antwort und kein Räsonieren
darüber, was man sonst noch bei dieser Frage denken
könnte. Wir haben einen Anspruch darauf, dass die Bundesregierung uns hier über ihre Willensbildung informiert. Wir kontrollieren auf diese Art und Weise die Regierung. Wir beschließen am Freitag ein Gesetz, und das
Parlament insgesamt möchte die Grundlagen dieses Beschlusses kennen.
Herr Kollege Beck, vielleicht darf ich eine kleine Präzisierung vornehmen. Ich glaube nicht, dass das Parlament einen Anspruch darauf hat, die Willensbildung der
Bundesregierung nachzuvollziehen.
({0})
Es muss möglich sein, dass diese, ähnlich wie in Fraktionen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.
Auch Ihre Fraktion wird Gründe dafür gehabt haben,
dass sie von der ursprünglichen Praxis, alles öffentlich
auszutragen, im Laufe der Zeit Abschied genommen hat.
({1})
Falls es allerdings ein Ergebnis der Willensbildung gibt
({2})
- an dieser Stelle bin ich Ihrer Meinung -, muss es hier
vorgetragen werden.
Sie haben es präziser formuliert, als es mir möglich
war.
({0})
Dazu kann ich sagen, dass es ein solches Ergebnis der
Willensbildung nicht gibt.
Herr Kollege Bonde.
Herr Staatsminister, ich möchte Sie fragen: Gab es im
Kabinett - unabhängig von Verabredungen mit Bundesländern, ihre Zahl ist unerheblich - eine Verständigung
darauf, am Konjunkturpaket II und/oder an Teilen des
Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Investitions- und Tilgungsfonds“ Veränderungen vorzunehmen oder solche vorzubereiten?
Nein. Das hat in der Kabinettssitzung keine Rolle gespielt.
Bitte schön, Herr Ulrich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, es
ist erst eine Woche her, dass wir erfahren haben, dass die
Medien mehr wussten als die Bundesregierung. Sie haben gerade gesagt, Ihnen sei nicht bekannt, dass es Länder gibt, die zornig seien. Da sich Ihre Aussage vielleicht
auch auf das Wort „zornig“ bezieht, frage ich Sie: Würden Sie dementieren, dass sich der Ministerpräsident von
Schleswig-Holstein gegenüber den Medien in dieser Art
geäußert hat, oder würden Sie sagen, dass das von den
Medien frei erfunden ist?
Äußerungen des Kollegen Carstensen kann ich hier
und jetzt nicht kommentieren. Ich kann sie auch nicht
kontrollieren.
({0})
Mir ist nicht bekannt, dass er gegenüber den Medien solche Äußerungen gemacht hat.
Frau Kollegin.
Darf ich nicht nachfragen?
Entschuldigung, Herr Ulrich. Wenn Sie eine Nachfrage haben, gerne.
Sie haben dementiert, dass es überhaupt etwas in dieser Richtung gab. Wenn das freie Erfindungen wären,
dann würde es an Ministerpräsident Carstensen liegen,
diese öffentlich zu dementieren. Das hat er nicht getan.
Im Gegenteil, der Ministerpräsident des Saarlandes hat
gesagt, dass das, was für Schleswig-Holstein gilt, für das
Saarland sogar hoch drei gelte; er hat sich wortwörtlich
so geäußert. Da Sie den Begriff „Zorn“ nicht bestätigen
wollten, stelle ich Ihnen jetzt die Frage: Gibt es wirklich
kein „Gegrummel“ der Bundesländer? Wie genau sieht
denn die Regelung, die man mit Schleswig-Holstein und
dem Saarland getroffen hat, aus, sodass es jetzt eine Einigung mit den Bundesländern gibt?
Dass sich die Länder über die Frage, welche Konsequenzen das Wachstumsbeschleunigungsgesetz für ihre
Haushalte hat, Gedanken machen, ist, so glaube ich, eine
Selbstverständlichkeit und Bestandteil des üblichen Gesetzgebungsverfahrens.
Frau Kollegin Höll.
({0})
- Einen Augenblick bitte, Frau Kollegin. - Herr Kollege
Beck, ich habe gerade eine Wortmeldung erteilt. Zu Ihnen komme ich sofort im Anschluss. - Frau Kollegin
Höll.
Herr Staatsminister, da Sie den Zorn, von dem die
Rede war, nicht registriert haben, möchte ich die Frage
konkretisieren. Die Auseinandersetzung entzündete sich
an der geplanten Mehrwertsteuersenkung für das Hotelund Gaststättengewerbe. Heute haben wir im Ausschuss
die Konkretisierung, dass diese Regelung für kurzfristige Übernachtungen gelten soll, zur Kenntnis nehmen
können. Außerdem soll sie auf Camper ausgedehnt werden.
({0})
Als ich eine Nachfrage bezüglich des Kriteriums der
Kurzfristigkeit gestellt habe, wurde mir bestätigt, dass es
dabei um Hotelübernachtungen für eine Dauer von bis
zu sechs Monaten geht. Das ist sehr gewöhnungsbedürftig und hat auf alle Fälle noch höhere Steuerausfälle zur
Folge. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen der Unwille der
Bundesländer, dessen Ursache die befürchteten Mehrwertsteuerausfälle sind, entgangen ist.
Dass über diesen Sachverhalt öffentlich diskutiert
wird, ist mir selbstverständlich nicht entgangen.
Gut. - Ich habe noch eine Nachfrage.
Bitte.
Herr Staatsminister, Sie haben gerade auf eine Frage
geantwortet: Ein Gespräch, in dem irgendetwas ausgehandelt wurde, hat es nicht gegeben. - Gab es denn ein
anderes Gespräch zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz?
Ja. Es gab sehr viele solcher Gespräche.
Herr Kollege Beck, zur Geschäftsordnung.
Wir wollen jetzt wirklich wissen, was Staatssekretär
Koschyk im Ausschuss gemeint hat, als er von einer Absprache gesprochen hat. Das Finanzministerium ist nicht
vertreten. Deshalb zitiere ich den Minister - meinetwegen auch den Staatssekretär, wenn das geht - herbei. Wir
wollen eine Antwort vom Ministerium. Sie müssen ja etwas gemeint haben, was das Kanzleramt offensichtlich
nicht weiß.
({0})
Um es wieder zu präzisieren: Sie zitieren ihn nicht,
sondern Sie beantragen, ihn zu zitieren, was beinahe,
aber nicht ganz dasselbe ist.
Zu dem gleichen Geschäftsordnungsantrag der Kollege Kaster.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Wir befinden uns hier in der Befragung der
Bundesregierung.
({0})
Wir haben eben zu den Fragen, die gestellt worden sind,
sofern sie konkret gestellt worden sind, sehr konkrete
Beantwortungen erfahren.
({1})
Es kann nicht sein, dass hier ständig „Was wäre,
wenn …?“-Fragen gestellt werden, die hier selbstverständlich nicht beantwortet werden können.
({2})
Da Sie jetzt nach der Geschäftsordnung die Herbeizitierung des Ministers beantragt haben, möchten wir
darauf aufmerksam machen: Das ist ein Recht, das dem
Parlament zusteht.
({3})
Es ist sogar in der Verfassung verankert. Es ist auch in
unserer Geschäftsordnung verankert. Man sollte als
Fraktion allerdings wissen, wie man mit diesem Mittel
umgeht, sonst verbraucht es sich und verliert an Wert.
Wir befinden uns hier in der Befragung der Bundesregierung, und die Fragen wurden, sofern sie konkret gestellt worden sind, durch die Vertreter der Bundesregierung
({4})
detailliert beantwortet. Daher ist es überhaupt nicht notwendig, den Minister herbeizuzitieren. Von daher lehnen
wir diesen Antrag ab. Ich könnte weitere Ausführungen
zum Sinn von Art. 43 Grundgesetz und § 42 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages machen, ansatzweise habe ich das auch schon getan. Auch von daher ist ein solcher Antrag abzulehnen.
({5})
Ich lasse über diesen Geschäftsordnungsantrag, der
zweifellos zulässig ist, abstimmen. Wer diesem Antrag
zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist
dagegen? - Ich habe eine bestimmte Wahrnehmung der
Mehrheitsverhältnisse, die allerdings nicht von allen
Mitgliedern des Präsidiums geteilt wird,
({0})
was nach unserer Geschäftsordnung zu dem bedauerlichen Ergebnis führt, dass es nicht reicht, wenn der Präsident weiß, wo die Mehrheit war,
({1})
sondern wir dann durch Hammelsprung die Mehrheitsverhältnisse feststellen müssen. Der Vorzug dieses Verfahrens besteht zumindest darin, dass wir am Ende eine
unzweideutige Mehrheit haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten,
den Raum nun zügig zu verlassen. Ich habe für Abstimmungsgespräche immer viel Verständnis; aber wir wollen die eigentliche Tagesordnung zeitlich nicht unnötig
belasten und dieses Verfahren deswegen möglichst
schnell durchführen.
Meine werten Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie
noch einmal bitten, den Plenarsaal zu verlassen, damit
wir mit der Auszählung beginnen können. - Kann nun
mit dem Hammelsprung begonnen werden? - Ich sehe,
Sie alle sind draußen. Dann darf ich die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, ihre Plätze einzunehmen. Sind genügend Schriftführerinnen und Schriftführer zum
Auszählen da? - Dann kann der Hammelsprung beginnen. Ich bitte Sie, die Türen weit zu öffnen und mit der
Auszählung zu beginnen.
Ich höre gerade, dass alle Abgeordneten von draußen
hereingekommen sind. Dann kann ich die Abstimmung
schließen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mir das Ergebnis mitzuteilen.
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen das Ergebnis der Abstimmung zu dem Geschäftsordnungsantrag
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
mitteilen: Mit Nein haben gestimmt 294, mit Ja 203,
Enthaltungen keine. Damit ist der Antrag abgelehnt.
({0})
Ich rechne mit Ihrem Einvernehmen, dass wir damit
auch die Regierungsbefragung beenden. Es haben sowieso nur zwei Minuten gefehlt.
({1})
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 17/83, 17/104 Ich bitte all die Kollegen, die an der Fragestunde nicht
teilnehmen wollen, möglichst schnell den Plenarsaal zu
verlassen, damit wir uns in aller Konzentration der Fragestunde hingeben können.
Wir kommen damit zur dringlichen Frage der Kollegin Heike Hänsel von der Fraktion Die Linke:
Wird die Bundesregierung das Ergebnis der umstrittenen
Präsidentschaftswahlen vom 29. November 2009 in Honduras
anerkennen, obwohl sich der legitime Präsident Manuel
Zelaya gegen die Anerkennung ausspricht, und, wenn ja, welche Gesichtspunkte haben sie dazu bewogen?
Zur Beantwortung steht der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Kollege Werner Hoyer, zur Verfügung.
Bitte schön, Herr Hoyer.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Frau Kollegin Hänsel,
die Frage lässt sich momentan noch nicht beantworten,
weil die Bundesregierung natürlich im Einvernehmen
mit den Partnern in der Europäischen Union handeln
wird. Darüber sind noch Gespräche in Brüssel im Gange.
Die Präsidentschaft hat gestern eine Erklärung abgegeben; aber es gibt noch keinen Konsens im Rat der Europäischen Union, und deswegen ist es noch etwas verfrüht, diese Frage zu beantworten.
Wir sind uns, glaube ich, einig, dass es jetzt darum
geht, die Krise in Honduras zu überwinden. Es hat eine
schwere Krise der Demokratie, der rechtsstaatlichen
Ordnung und der Stützen seiner Verfassung gegeben. Es
bestand sogar das Risiko bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen. Das hat die Bundesregierung früh mit
Sorge erfüllt, und deswegen haben wir uns frühzeitig für
eine politische Lösung dieser Verfassungskrise eingesetzt. Das bezieht sich sowohl auf den Plan, der vom
costa-ricanischen Staatspräsidenten Arias vorgetragen
worden war, als auch auf die Vereinbarung, die durch
Vermittlung der Vereinigten Staaten von Amerika zustande gekommen war, also auf das Abkommen von
Tegucigalpa/San José.
Dass die Wahlen, soweit wir das beurteilen können,
einigermaßen friedlich über die Bühne gegangen sind,
dass es ein klares Ergebnis bei einer beachtlichen Wahlbeteiligung gegeben hat, das kann ein wichtiger Schritt
auf dem Wege zur Überwindung der Krise in Honduras
sein. Es kommt jetzt aber auch darauf an, dass die Verfassungsorgane in Honduras selber ihren Beitrag zur
Überwindung der Krise leisten. Das gilt übrigens ausdrücklich auch für denjenigen, der diese Wahl gewonnen
hat. Auch an ihm wird es liegen, ob jetzt Versöhnungssignale ausgesendet werden.
Kollegin Hänsel, haben Sie eine Nachfrage?
Ja. - Danke schön, Herr Staatsminister, für die Antwort. - Mich verwundert es allerdings, dass die Bundesregierung noch keine eindeutige Bewertung vorgenommen hat. Die Wahlen fußen auf dem Unrecht des
Putsches, also des Staatsstreiches, und zusätzlich auf
dem Bruch des Abkommens vom 30. Oktober 2009. In
diesem Abkommen ist festgehalten worden - das war ein
Kompromiss zwischen der Regierung Zelaya und dem
Putschregime -: Wir stellen die Situation vor dem
Putsch wieder her, das heißt, Zelaya wird in sein Amt
wieder eingesetzt, und erst dann können unter internationaler Beobachtung faire und demokratische Wahlen
stattfinden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt
worden. Daher gibt es international eine Mehrheit, die
das Wahlergebnis im Moment nicht anerkennen möchte.
Mich wundert, wie Sie zu dem Urteil kommen, es sei zu
früh, sich festzulegen.
Erstens. Wir werden uns zu dieser Frage äußern, allerdings gemeinsam mit unseren Partnern. Wir können
nicht ständig von Gemeinsamer Europäischer Außenund Sicherheitspolitik reden und dann aber national entscheiden, wenn es konkret wird.
Zweitens. Die internationale Bewertung ist sehr unterschiedlich. Der Obersatz ist: Herstellung von Frieden
und Rechtsstaatlichkeit in Honduras und der Region.
Deswegen sind übereilte Schritte völlig unangemessen.
Eine zweite Nachfrage?
Ja. - Sie haben die europäischen Partner angesprochen. Sicherlich ist Ihnen die Haltung der spanischen
Regierung bekannt: Sie hat sich dezidiert dagegen ausgesprochen, das Wahlergebnis anzuerkennen. Im Ausschuss, auch im AMLAT-Ausschuss, war es eher so, dass
die Bundesregierung auf keine Festlegung gedrängt hat,
dass es sich insofern um eine genuin deutsche Position
handelt, die man in der Europäischen Union durchfechten möchte. Ich frage mich, ob Sie das unter „europäischer Partnerschaft“ verstehen.
Sie haben zwar keine Wahlbeobachter nach Honduras
geschickt; im Nachhinein wollen Sie das Wahlergebnis
aber anerkennen. Mich interessiert, auf welcher Grundlage diese Anerkennung stattfinden soll, wenn Sie nicht
einmal Zugang zu unabhängigen Informationen haben
über den Ablauf der Wahlen, über massive Einschüchterungen und Menschenrechtsverletzungen, die damit einhergingen.
Die Bundesregierung übersieht keineswegs, dass es
vor und während der Wahlen Vorgänge gegeben hat, die
mit unserem Rechtsstaatsverständnis nicht vereinbar
sind; das ist völlig klar. Zur Frage, wie sich welcher
Staat in der Europäischen Union verhält - Sie sind offenbar informiert über die einzelnen Positionen der Mitglieder des Rates -, muss ich Ihnen sagen: Das kann die
Bundesregierung öffentlich nicht bewerten. Die spanische Regierung hat öffentlich gesagt: Wir wollen das,
was dort stattgefunden hat, jetzt zwar nicht anerkennen,
aber auch nicht ignorieren. Auch das muss man ernst
nehmen. Das ist ein Beitrag zu einem Prozess im Rat der
Europäischen Union, der am Ende zu einer gemeinsamen Position führen wird. Das sollte man nach meiner
festen Überzeugung allerdings erst dann ausformulieren,
wenn das stattgefunden hat, was heute in Tegucigalpa
auf der Tagesordnung steht, nämlich die entscheidende
Sitzung des Kongresses, des Parlaments von Honduras.
Wir erwarten von dieser Sitzung Signale im Hinblick auf
eine Befriedung der Situation im Lande und sollten das
jetzt nicht durch einseitige Festlegung stören.
Kollege Liebich.
Herr Staatsminister, können Sie hier im Plenum des
Deutschen Bundestages die Aussage des Vertreters der
Bundesregierung im Auswärtigen Ausschuss bestätigen,
dass die Wahlen frei und fair verlaufen seien, wiewohl
Sie doch wissen, dass in dem Land Ausnahmezustand
herrscht, dass die Medien nicht frei arbeiten können,
dass es Verhaftungen gab und einen solchen Umgang mit
Oppositionellen, der keinesfalls einen demokratischen
Wahlkampf ermöglicht hat? Angesichts solcher Bedingungen können Sie doch nicht tatsächlich glauben - unter dem Obersatz: Es muss Ruhe und Frieden geben -,
dass diese Wahlen frei und fair gewesen sind.
Es gab Begleitumstände dieser Wahl, die auch mir
nicht gefallen haben. Das habe ich eben in meiner Antwort auf die Frage der Kollegin Hänsel auch klar gesagt.
Allerdings muss man die Gesamtumstände würdigen,
und zwar nicht nur bei diesem konkreten Fall, sondern
bei Wahlvorgängen insgesamt. Wenn wir bei allen Wahlen, die auf dieser Welt stattfinden, die Kriterien anwenden würden, die wir in Deutschland im Hinblick auf
Fairness und Korrektheit anwenden, dann würden wir
ziemlich wenige Staatspräsidenten auf dieser Welt anerkennen können.
({0})
Deswegen kann das nicht der Weg sein. Man muss eine
Abwägung vornehmen und zum Beispiel prüfen:
Ist die Wahlbeteiligung drastisch geringer als erwartet? Hier trifft das im Ergebnis nicht zu. Sie entsprach
genau der Wahlbeteiligung, die es seinerzeit bei der
Wahl von Zelaya gegeben hat. Damals hat sich keiner
darüber aufgeregt.
Gibt es Einschränkungen der Meinungsfreiheit vor
der Wahl? Ja, diese hat es gegeben. - All das geht insofern in die Bewertung mit ein.
Unter dem Strich - das habe ich Ihnen gesagt - ist
festzuhalten, dass sich die Bundesregierung nicht endgültig festgelegt hat. Das Kriterium für das, was die
Bundesregierung als eigene Beiträge im Rat der Europäischen Union leistet, ist: Kommen wir einer Entwicklung
hin zu Frieden und Versöhnung in Honduras näher oder
nicht? Wenn es nicht gelingt, zu einer solchen Entwicklung zu kommen, habe ich große Sorge im Hinblick auf
die Zukunft dieses Landes, aber auch der Region.
Kollege Beck.
Sie, Herr Staatsminister, haben vorhin mehr Auskunft
über die Position der spanischen Regierung als über die
der Bundesregierung gegeben. Ich denke, dieses Hohe
Haus hätte Anspruch darauf, zu erfahren, mit welcher
Haltung die Bundesregierung in den Europäischen Rat
geht: eher mit der putschfreundlichen Position der
Friedrich-Naumann-Stiftung
({0})
oder eher mit der kritischen Haltung der internationalen
Staatengemeinschaft?
Ich kenne keinen in diesem Hause und auch keine politische Stiftung der Bundesrepublik Deutschland, die
putschfreundlich sind, um das einmal völlig klarzustellen.
Im Übrigen ist es ganz eindeutig, warum ich eben in
meinen Antworten auf die Fragen der Kollegin Hänsel
und des Kollegen Liebich die spanische Position dargestellt habe, nämlich deswegen, weil ich nach der spanischen Position gefragt worden bin. Die Bundesrepublik
wäre in der Lage gewesen, die Erklärung, die die schwedische Ratspräsidentschaft abgegeben hat, mitzutragen.
Es hat aber noch kein Einvernehmen gegeben. Deswegen werden wir das wahrscheinlich im allgemeinen Rat
am Montag besprechen.
Ich persönlich finde das übrigens auch nicht schlecht.
Ich glaube nämlich, der Ball liegt jetzt bei den handelnden Personen in Tegucigalpa. Diese haben jetzt die
Chance, gemeinsam mit dem Gewinner dieser Wahl ein
Signal auszusenden, das zu einer Befriedung der Situation im Lande beitragen kann.
Kollegin Dağdelen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Herr Staatsminister, mein Kollege Liebich ist mir mit seiner Frage
nach der Äußerung des Staatssekretärs heute im Auswärtigen Ausschuss etwas zuvorgekommen.
Ich möchte deshalb an das anknüpfen, was Sie hier
zuletzt gesagt haben, nämlich dass es jetzt von den Akteuren in Honduras abhängt, vor Ort Frieden und Sicherheit zu schaffen. Das ist schon interessant. Eine Zeit lang
wollte die jetzige und vorherige Bundesregierung Sicherheit und Demokratie in anderen Ländern schaffen,
notfalls mit militärischen Mitteln. Jetzt geht es nur um
Sicherheit. Vor diesem Hintergrund meine Frage: Wie
definiert die jetzige Bundesregierung „freie und faire
Wahlen“? Könnten Sie mir das erläutern?
Unzählige Menschenrechtsorganisationen, die bei den
Wahlen vor Ort waren, widersprechen zum Beispiel den
Zahlen, die Sie jetzt genannt haben. Sie bezweifeln diese
und sprechen nur von einer 30-prozentigen Wahlbeteiligung. Sie sprechen auch davon, dass in Honduras Angst
und Schrecken geherrscht haben. Deshalb möchte ich
gerne von Ihnen wissen: Was heißt für die Bundesregierung „faire und freie Wahlen“?
Wir laufen jetzt Gefahr, dass sich diese Frage zu einem politikwissenschaftlichen oder verfassungsrechtlichen Seminar ausweitet. Ich bekenne, dass ich dieser
Gefahr gerne ausweichen möchte. Ich bin allerdings der
Auffassung, dass man die Gesamtumstände einer Wahl
würdigen muss. Es gibt negative Elemente im Hinblick
auf die Meinungsfreiheit, und es gibt Einschüchterungsvorgänge; ich habe sie eben selber beschrieben. Auf der
anderen Seite gibt es ein Kriterium, das ich für ganz besonders wichtig halte: Die Aufstellung der Kandidaten
war rechtmäßig, fair und sauber. Das ist von niemandem,
auch von Präsident Zelaya nicht, angezweifelt worden.
Es gibt also eine ganze Reihe von Kriterien, die man zusammen betrachten muss. Deswegen gibt es nach meiner
Auffassung durchaus Gründe, zu sagen: Diese Wahl ist
im Großen und Ganzen einigermaßen sauber verlaufen.
Noch einmal: Wenn Sie diese Kriterien ganz präzise
durchdeklinieren, dann gibt es auf dieser Welt sehr wenige Staaten, denen man bei jeder Wahl attestieren kann,
dass diese klar, eindeutig, fair und sauber verlaufen ist.
Es ist eine relative Aussage; das ist richtig.
({0})
Kollege Ströbele, bitte.
Herr Staatsminister, ich frage mich, ob es ein Zufall
ist, dass die Bundesregierung gerade die Wortwahl des
Herrn Klein von der Friedrich-Naumann-Stiftung übernommen hat, der diese Wahl als fair und frei bezeichnet
hat, oder ob das vielleicht mit einer politischen Nähe von
Ihnen und den jetzt führenden Personen im Auswärtigen
Amt zu tun hat. Warum haben Sie nicht die Bewertung
dieser Wahl, vor allen Dingen hinsichtlich der Vorbereitung der Wahl, übernommen, die beispielsweise von
Amnesty International, von den honduranischen Menschenrechtsorganisationen und von Human Rights
Watch vorgenommen worden ist, sondern gerade die
Wortwahl der Friedrich-Naumann-Stiftung? Ich schließe
meine Frage mit der Bitte um eine Antwort zu diesem
Punkt: Sind Sie dafür, dass der bisherige rechtmäßige
Präsident Zelaya die brasilianische Botschaft in Tegucigalpa in Honduras verlassen und sich in seinem eigenen
Land bewegen darf und dass er - so lautet auch das Abkommen, das von der Bundesregierung bisher unterstützt worden ist - als Interimspräsident wieder in sein
Amt eingesetzt wird? Oder soll er weiter in der brasilianischen Botschaft bleiben, damit ihm niemand etwas
tut?
Die Meinungsäußerungen von der FriedrichNaumann-Stiftung, Amnesty International, Human
Rights Watch usw. sind sehr respektabel; aber die Bundesregierung muss sich ihre Meinung aufgrund der Informationen, die ihr vorliegen, selber bilden.
({0})
Dieser Vorgang ist schwer genug. Da würde ich mich
von niemandem abhängig machen wollen.
Wir wären sehr froh, wenn die Vereinbarung von
Tegucigalpa und San José tatsächlich umgesetzt würde.
Allerdings ist dies nicht so eindeutig, wie Sie es eben insinuiert haben. Es ist aber klar, dass die bisherige Zwischenregierung sich verpflicht hat, auf die anderen zuzugehen, einschließlich der Anhänger von Präsident
Zelaya. Jetzt ist die Situation eingetreten, in der wir das
erwarten. Das kann dazu führen, dass Präsident Zelaya
interimistisch in das Amt zurückkehrt, dass das Amt vakant bleibt oder dass eine andere Zwischenlösung gefunden wird. Das müssten aber die Kräfte in Honduras konsensual hinbekommen. Das sollten wir ihnen nicht von
außen diktieren. Entscheidend ist, dass der Versöhnungsprozess in diesem Lande zustande kommt.
Als letztem Nachfrager zu diesem Punkt gebe ich
Kollegen Sarrazin das Wort.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, auch ich
möchte nicht in ein politikwissenschaftliches Seminar
einsteigen. Für die Kriterien, die ODIHR, ein Organ der
OSZE, bei der Überprüfung der Einhaltung der Standards einer demokratischen Wahl normalerweise zugrunde legt, spielen die Beobachtungen während der
Wahlkampfzeit und insbesondere der Zugang zu Medien
eine große Rolle. Würden Sie mir vor diesem Hintergrund zustimmen, dass man diese Wahl nicht als demokratisch bezeichnen kann?
Ich komme direkt von der OSZE-Ministertagung in
Athen und habe dort ein flammendes Plädoyer für
ODIHR gehalten. Ich bin nämlich der Auffassung, dass
die Instrumente, die uns da zur Verfügung stehen, außerordentlich hilfreich für die Bewertung von Wahlvorgängen sind. Deswegen hätte ich mir sehr gewünscht - das
sage ich Ihnen offen -, dass wir eine präzisere und flächendeckende Wahlbeobachtung in Honduras gehabt
hätten.
Das Problem ist aber, dass diejenigen, die gegenüber
diesem Vorgang, der uns seit Mai oder Juni beschäftigt,
ganz besonders kritisch waren, darauf gedrängt haben,
dass keine Wahlbeobachtung stattfindet.
({0})
Deshalb haben wir keine EU-Wahlbeobachter und keine
OAS-Wahlbeobachter dort. Ich persönlich finde das bedauerlich. Das nimmt uns nämlich die Möglichkeit, uns
selber ein objektives Bild zu verschaffen.
({1})
Danke schön, Herr Staatsminister.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Volker Beck auf:
Welche Kenntnisse hatte die Bundesregierung - bitte genauen Zeitpunkt der Kenntnisnahme und entsprechende Stellen der Bundesregierung angeben - über die in der Bild am
26. November 2009 veröffentlichten Dokumente und das Video zum Luftangriff bei Kunduz in Afghanistan, und wie bewertet die Bundesregierung ihre bisherige Informationspolitik
zu diesem Thema?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Der Bundesminister der Verteidigung zu Guttenberg
hat dem Deutschen Bundestag bereits im Plenum eine
umfassende Unterrichtung über den Vorfall vom
4. September 2009 zugesagt. Er hat die Dokumente, die
ihm zwischenzeitlich zur Kenntnis gelangt sind, dem
Deutschen Bundestag - soweit ich es weiß, befinden
sich die Dokumente zum Teil in der Geheimschutzstelle
des Deutschen Bundestages, und zum Teil sind sie, wenn
es sich um aufhebbare Klassifizierungen handelt, offen zugeleitet. Nach meiner Kenntnis war dies Ende letzter
Woche der Fall.
Der Bundesminister hat Staatssekretär Wolf beauftragt, eine interne Untersuchung zu den unter anderem
auch von Ihnen gestellten Fragen durchzuführen. Dieser
Auftrag wurde am Montag, dem 30. November, erteilt,
und es wurden die notwendigen Voraussetzungen im
Haus für ein entsprechendes Vorgehen geschaffen.
Wenn Sie mich fragen, wann Ergebnisse zu erwarten
sind, so muss ich Ihnen sagen: Wir gehen gegenwärtig
davon aus, dass dies frühestens ab dem 10. Dezember,
also in der nächsten Woche, der Fall sein kann. Nachdem
wir die Komplexität der Materie sehen, will ich mich auf
kein genaues Datum festlegen lassen.
Kollege Beck, bitte.
Danke für Ihre Worte, aber dies war nicht die Antwort
auf die von mir gestellte Frage. Die Frage handelte davon, welche Stellen in der Bundesregierung wann
Kenntnis von dem zitierten Bericht und von dem Video
hatten. Deshalb frage ich eindeutig nach: Wann hat erstmals eine Stelle im Verantwortungsbereich des Bundeskanzleramts Kenntnis von diesem Bericht und dem
Video erhalten, und um welche Stelle im Verantwortungsbereich des Bundeskanzleramts handelt es sich?
Wenn Sie es nicht wissen, kann die Frage vielleicht der
Chef des Bundeskanzleramts beantworten.
Herr Kollege Beck, ich habe Verständnis für Ihre
Frage, die sich im Kern auf den Gegenstand bezieht, mit
dem sich der Verteidigungsausschuss, der sich als Untersuchungsausschuss konstituieren wird, befassen wird.
Trotzdem bitte ich um Verständnis dafür, dass Ihrem
Wunsch bzw. meinem Willen, präzise und konkrete Informationen zu erhalten bzw. zu geben, auch präzise Recherchen und Abstimmungen vorangehen müssen. Eingedenk der Untersuchungen, die wir bei uns im Hause
durchführen und die im weiteren Verlauf mit anderen
Häusern der Bundesregierung abgestimmt werden müssen, sehe ich mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der
Lage, dies zu tun. Ich würde dem Grundsatz, eine korrekte, präzise Information zu geben, nicht entsprechen.
Deswegen nehme ich eher die Rüge auf mich, nicht alle
Fragen beantwortet zu haben. Ich stelle aber ganz klar
fest, dass ich das, was ich beantworten kann, beantwortet
habe. Sobald entsprechende Informationen vorliegen,
werden diese dem Parlament seitens der Bundesregierung umgehendst zur Kenntnis gegeben.
Noch einmal Kollege Beck.
Ich nehme zur Kenntnis, dass das Verteidigungsministerium in einem solchen bedauerlichen Zustand ist,
dass noch nicht einmal im Nachhinein festgestellt werden kann, wo überall dieser Bericht im Geschäftsgang
war.
Ich habe gefragt - das ist eine Unterfrage im Rahmen
der schriftlichen Frage -, wann erstmals eine Stelle im
Bundeskanzleramt oder im Verantwortungsbereich des
Bundeskanzleramtes - Klammer auf: zum Beispiel im
BND - Kenntnis vom Inhalt des Berichtes und des Videos - beides wurde von der Bild-Zeitung veröffentlicht;
darauf wurde in der Frage hingewiesen - erhalten hat. Es
muss ja möglich sein, das herauszufinden. Die Antwort
auf diese Frage konnte vorbereitet werden; denn sie
wurde vor einigen Tagen eingereicht.
Bitte schön, Herr von Klaeden.
Herr Kollege Beck, der Feldjäger-Bericht lag dem
Bundeskanzleramt am Abend des 25. November vor.
Zur Frage der Kenntnisnahme des Videos kann ich Ihnen
nur so viel sagen, dass das Video dem Bundeskanzleramt
nach meinem Kenntnisstand so lange nicht bekannt war,
bis es auf der Homepage der Bild-Zeitung veröffentlicht
worden ist. Wenn etwas anderes zutreffen würde, würde
ich das schriftlich nachreichen.
Kollege Koenigs, bitte.
Wenn man das so akzeptiert, dann wäre es doch auch
an der Kanzlerin - ähnlich wie auch der Verteidigungsminister zu Guttenberg, der angekündigt hat, die Vorgänge neu zu bewerten -, eine Neubewertung vorzunehmen; denn sie hat hier sehr apodiktisch - das war noch
vor der Wahl - gesagt, sie verbete sich jede Kritik. Das
heißt, dass dieser Vorgang wohl nicht kritikwürdig war.
Herr von Klaeden.
Herr Kollege Koenigs, die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht, dass sie sich
jede Vorverurteilung verbittet, und hat dafür den Applaus des gesamten Hauses - auch Ihrer Fraktion - bekommen.
Was die Bewertung angeht, so ist dafür zunächst das
zuständige Haus, das Bundesverteidigungsministerium,
zuständig. Ich kann Ihnen versichern, dass die gesamte
Bundesregierung alles daransetzt, die Vorgänge so weit
wie möglich aufzuklären und so gut wie möglich im Zusammenhang mit dem sich zum Untersuchungsausschuss erklärenden Verteidigungsausschuss mit dem Parlament zusammenzuarbeiten.
Kollege Schmidt, bitte.
Gab es denn am 8. September 2009, zum Zeitpunkt
der Regierungserklärung, eine eigenständige Bewertung
der Vorfälle im Bundeskanzleramt und, wenn ja, auf
welcher Grundlage? Oder gab es die nicht, und auf
Grundlage welcher Informationen hat dann die Bundeskanzlerin eigentlich ihre Regierungserklärung abgegeben?
Wie in anderen Fällen auch werden alle dem Bundeskanzleramt vorliegenden Informationen ausgewertet
bzw. in eine Bewertung einbezogen. Das gilt auch für die
Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vom 8. September.
Der hier in Rede stehende Feldjäger-Bericht hat aber
keinen Eingang in diese Bewertung finden können, weil
er dem Bundeskanzleramt, wie ich bereits sagte, erst am
Abend des 25. November dieses Jahres vorlag.
Kollege Nouripour.
Herr Staatsminister, uns würde noch die Antwort auf
die Frage interessieren, wann der COMISAF-Bericht
- dieser Bericht war die Grundlage der Bewertung durch
den Verteidigungsminister zu Guttenberg - dem Kanzleramt zugeleitet worden ist, damit auch dort eine Neubewertung vollzogen werden kann.
Herr Kollege Nouripour, in diesem Fall bitte ich um
Verständnis dafür, dass ich Ihnen diese Frage schriftlich
beantworten möchte, weil ich das hier nicht präzise tun
kann.
Kollege Ströbele.
Hat die Bundeskanzlerin wie vermutlich die meisten
von uns in der Zwischenzeit Gelegenheit gehabt, sich
das Video anzuschauen - vielleicht mehrfach, wie ich es
getan habe -, das der Veröffentlichung der Bild-Zeitung
zugrunde liegt? Was sagt die Bundeskanzlerin eigentlich
zu dem, was sie in diesem Video sieht? Ich skizziere es:
Es sind zwei Tanklastwagen zu sehen, die in gewisser
Entfernung voneinander, also nicht direkt nebeneinander, stehen. Dazwischen bewegen sich offenbar viele
Punkte, also Menschen; dann wurde dort hereingeschossen und offenbar nicht nur auf die Tanklastwagen gezielt. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung,
vor allen Dingen die Bundeskanzlerin, zu diesen Bildern, die sie inzwischen sicher gesehen hat?
Herr Kollege Ströbele, ich möchte in diesem Zusammenhang auf das Pressestatement der Bundeskanzlerin
vom gestrigen Tage anlässlich des Besuchs des Premierministers der Islamischen Republik Pakistan, Herrn
Gilani, hinweisen. Darin hat die Bundeskanzlerin unter
anderem ausgeführt:
Ich möchte im Lichte der zusätzlichen Informationen … erstens noch einmal auf den ISAF-Abschlussbericht verweisen und zweitens auf das verweisen, was ich am 8. September gesagt habe und
was aus meiner Sicht nach wie vor absolute Gültigkeit hat: Erstens muss alles lückenlos aufgeklärt
werden.
Zweitens muss ganz deutlich gemacht werden, und
das habe ich getan, dass es ein Bedauern darüber
gibt, dass in Folge deutschen Handelns zivile Opfer
- damals war diese Sache noch nicht völlig klar zu beklagen sind, und dass Deutschland dafür die
Verantwortung übernimmt. Es ist mir ganz wichtig,
dass das, was in Folge unseres Handelns geschehen
ist, auch von uns verantwortet wird und wir unser
Bedauern hierüber sehr deutlich ausdrücken.
Das ist eine wichtige Passage aus dem Pressestatement, die sich auf Ihre Frage bezieht. Ich bin gerne bereit, Ihnen das gesamte Statement zur Verfügung zu stellen.
Herr Kollege Nouripour, Sie hatten gefragt, wann der
Bericht vorgelegen hat. Gerade habe ich erfahren, dass
er am 29. Oktober dieses Jahres vorgelegen haben soll.
Ich werde Ihnen die Frage aber trotzdem wie zugesagt
schriftlich beantworten.
Kollegin Vogler.
Sehr geehrter Herr Staatsminister, Sie haben uns gerade vorgetragen, dass das Kanzleramt am 25. November von dem Feldjäger-Bericht Kenntnis genommen hat.
Dazu habe ich eine ergänzende Frage: Bis wann sieht
sich die Kanzlerin in der Lage, diesem Haus eine qualifizierte Neubewertung vorzutragen? Ich glaube, das ist
überfällig und sollte so schnell wie möglich passieren.
Frau Kollegin, es entspricht dem Ressortprinzip und
der Ressortverantwortung, dass zunächst einmal im zuständigen Haus - mit all der Sachkompetenz, die im Verteidigungsministerium vorhanden ist - alle jetzt vorliegenden Informationen ausgewertet werden und diese
Informationen dann dem Bundeskanzleramt, aber auch
dem Parlament zur Verfügung gestellt werden. Das ist
der in unserer Verfassung vorgesehene Weg. Ich kann Ihnen noch einmal versichern, dass die Bundesregierung
alles daransetzt, das so schnell und so gründlich zu tun,
wie es in ihrer Macht steht.
Die letzte Nachfrage zu dieser Frage hat der Kollege
Sarrazin.
Herr Staatssekretär Schmidt, in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage der Glaubwürdigkeit der Ankündigungen. Für einen Abgeordneten klingt es schön,
die Worte „lückenlose Aufklärung“, „Neubewertung“
und „Unterrichtung des Parlaments“ zu hören; das geht
uns grundsätzlich runter wie Öl. Wenn man glaubwürdig
sein möchte, muss man uns auch sagen, in welchem
Zeitrahmen und in welcher Form das passieren soll. Herr
zu Guttenberg hat hier die Ankündigung gemacht. Wird
er das Parlament persönlich hier im Plenum unterrichten
oder schriftlich? Wie verhält es sich mit der Kanzlerin?
Herr von Klaeden hat gerade etwas dazu gesagt. Die
Glaubwürdigkeit der Ankündigungen bemisst sich auch
daran, ob für uns in irgendeiner Form erkennbar ist,
wann und in welcher Form das denn passieren wird.
Herr Kollege Sarrazin, es ist nicht nur nach dem
Wohlklang der Worte zu messen, was wir intendieren.
Die Intention ist völlig klar: Wir wollen eine Offenlegung der Situation und eine Bewertung im Lichte dessen, was an komplexen Informationen und unterschiedlichen Berichten verfügbar ist.
Ich habe einen Zeitpunkt genannt. Diese interne Untersuchung hat auch das Ziel, sich einen Überblick zu
verschaffen. Der Bewertung des Kollegen Beck, die er
eben abgegeben hat, kann ich daher nicht folgen. Es geht
um Präzision. Ich habe darauf hingewiesen, dass ich
denke und auch erwarte, dass das nach dem 10. Dezember der Fall sein kann.
Der Bundesminister der Verteidigung will in allererster Linie seine Verantwortung gegenüber dem Parlament
- das Parlament ist der Adressat der Information, so wie
es der Informationspflicht der Bundesregierung entspricht - wahrnehmen. Herr Kollege von Klaeden hat
darauf hingewiesen, dass Ihnen im Zusammenhang mit
dieser Bewertung die Position der Bundesregierung und
aller beteiligten Ressorts zur Verfügung gestellt wird. Ich
denke, dass in erster Linie die beteiligten Ausschüsse die
Adressaten sind. Nachdem wir erwarten, dass sich der
Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss konstituiert, wird insbesondere der Verteidigungsausschuss
schon aufgrund seines entsprechenden Ermittlungsbegehrens und seines Auftrags der Adressat sein.
Wir kommen damit zur Frage 2 des Kollegen
Christian Ströbele zur gleichen Thematik:
Inwieweit treffen Medienberichte zu ({0}), wonach am 3. September 2009 in Afghanistan Oberst Georg Klein im Bundeswehrstandort Kunduz - „Red Baron 20“ - den Piloten eines
US-Kampfflugzeugs - „Dude“ - anwies, außer auf zwei
Tanklastzüge dort auch auf umstehende Personen zu feuern,
und inwiefern trifft ferner zu ({1}),
dass dieser Pilot vor dem Bombenabwurf fünfmal vergeblich
vorschlug, zuvor die Personen am Boden mit Zeigen von
Stärke zu warnen, zumal wichtige Einsatzregeln - ISAFHauptquartier umgangen, keine Bodentruppen an Tankern
und keine Gefahr im Verzug - nicht eingehalten worden
seien?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Ströbele, Sie haben Medienberichte genannt, die auf Details der Umstände der Angriffe auf die
Tanklastzüge und des Bombenabwurfs hinweisen. Diese
Medienberichte sind dem Bundesministerium der Verteidigung natürlich zur Kenntnis gelangt. Der Vorgang, den
Sie explizit angesprochen haben, wird derzeit von der
Bundesanwaltschaft bearbeitet. Sie prüft, ob eine Straftat
nach dem Völkerstrafgesetzbuch vorliegt.
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Ich möchte dem
Ergebnis der Prüfung, also nicht unserer internen Prüfung, sondern der maßgeblichen Prüfung der Bundesanwaltschaft, nicht vorgreifen. Ich bitte um Verständnis
dafür, dass wir dies so strikt halten wollen. Die Bundesanwaltschaft ist bereits mit allen Informationen, die uns
zur Verfügung stehen und die sich in den letzten Tagen
ergeben haben, versorgt worden.
Bitte, Herr Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, ich muss an mich halten, um
nicht aus der Haut zu fahren. Wollen Sie damit sagen,
dass die Bundesanwaltschaft so etwas wie eine Art
Hilfsbeamter des Bundesverteidigungsministeriums ist?
Ich habe letzte Woche eine klare Frage gestellt. Diese
Pressemeldungen sind vom 21. des vergangenen Monats, die Pressemeldung aus dem Spiegel ist sogar vom
21. September.
Es müsste Ihrem Hause und Ihnen - ich spreche Sie
ganz persönlich an - doch in den Zeiträumen seit letzter
Woche, seit dem 21. September bzw. dem 21. November
bis heute möglich gewesen sein, sich die Protokolle bzw.
die Tonbandaufzeichnungen über den Funkverkehr zwischen dem Oberst Klein und dem Piloten durchzulesen
bzw. anzuhören; das dauert vielleicht eine halbe oder
eine ganze Stunde.
Sie müssten doch meine Frage beantworten können
- ich frage ja nicht nach dem ganzen Sachverhalt -, ob
an der skandalösen Behauptung etwas dran ist, dass ein
deutscher Oberst einem amerikanischen Piloten die Anweisung gibt, nicht nur auf Tanklastwagen Bomben zu
werfen, sondern auch auf sich dazwischen befindliche
Personen. Das müsste doch in Ihrem eigenen Interesse,
im Interesse des Verteidigungsministeriums und im Interesse der gesamten Bundesregierung zu klären sein. Sie
müssten mir doch sagen können, ob das stimmt oder
nicht stimmt. Dazu müssten Sie nur das Protokoll lesen.
Vielleicht können Sie auch den Oberst fragen, ob er so
etwas gesagt hat und wie er dazu kommt. Aber dazu
brauchen Sie keine umfangreichen Ermittlungen und
schon gar nicht die Bundesanwaltschaft.
Noch einmal ganz dringlich die Frage an Sie: Ist an
diesen Berichten etwas dran, oder ist nichts daran, ist es
also ein Fantasieprodukt?
Herr Präsident, wenn Sie mir gestatten, möchte ich
dem Kollegen Ströbele empfehlen, in seiner Haut zu
bleiben.
Vor allem im Sakko.
Eine ruhige und nüchterne Bewertung muss auch in
solch aufgeregten Situationen möglich sein. Kollege
Ströbele, ich darf Sie auf unsere gemeinsame Profession,
die des Rechtsanwaltes, hinweisen. Bei Sachvorträgen
und Berichten, die vielleicht auch widersprüchlich sind,
gilt das Prinzip: audiatur et altera pars.
({0})
- Wenn das einer ermittelnden Behörde, in diesem Falle
der Bundesanwaltschaft, vorliegt und ich mich an die
Stelle der ermittelnden Bundesanwaltschaft setzen
würde, indem ich nicht allein die Tatsache, ob es diese
Berichte gibt, sondern auch, ob sie zutreffen und wie
daraus eine Rechtsfolgenbewertung zu machen ist, darlegen würde, dann würde ich mich in meiner Funktion
verheben. Das würde in den Bereich gehen, den Grundsatz der Gewaltenteilung hintanzustellen.
({1})
- Das mag Sie nicht befriedigen; aber ich denke, es ist
der richtige Weg, hier so vorzugehen. Ich kann Ihnen
nicht nachrichtlich sagen, wann sich die Bundesanwaltschaft, geschweige denn wie, zu dem Vorhalt einlässt.
Dass die entsprechenden Berichte und Informationen der
Bundesanwaltschaft zur Verfügung gestellt worden sind,
ist der Fall. Ich kann Ihnen persönlich nicht sagen, ob
die Medienberichte zutreffen oder nicht.
Zweite Nachfrage des Kollegen Ströbele.
Herr Staatssekretär, wollen Sie damit allen Ernstes die
Behauptung aufstellen, dass ich mich als Abgeordneter
des Deutschen Bundestages und sich auch die anderen
Kolleginnen und Kollegen, also der ganze Bundestag als
Institution, so lange nicht mit einem Sachverhalt beschäftigen können und dürfen, solange er bei einem Gerichtsorgan, bei der Bundesanwaltschaft oder der Staatsanwaltschaft anhängig ist? Ich kann Ihnen sagen: Dann
hätten wir uns mehrere Untersuchungsausschüsse sparen
können, die sich sehr intensiv mit Sachverhalten beschäftigt haben, die gleichzeitig von der Justiz bearbeitet
worden sind.
Wieso weichen Sie gerade in diesem Fall der Frage
aus mit der Begründung, dass sich die Bundesregierung
aufgrund eines einzigen Dokumentes, das Sie wahrscheinlich in einer halben Stunde durchlesen können,
keine eigene Meinung bildet? Sie könnten doch sagen:
„Das steht da drin“ oder „Das steht nicht da drin“? Hat
ein solches Gespräch stattgefunden, in dem ein deutscher Oberst einem amerikanischen Piloten gesagt hat:
„Wirf Bomben zwischen die Tanklastwagen“, wo sich
eine ganze Reihe von Menschen aufgehalten hat? Ja oder
Nein?
Mit dem nochmaligen Versuch der Präzision weise
ich in aller Deutlichkeit zurück, Kollege Ströbele, dass
ich dem Bundestag oder Ihnen eine Bewertung nicht zugestehe. Aber Sie müssen bitte auch mir zugestehen,
dass ich mich gerade im Hinblick darauf, dass dieser
Vorgang nicht nur für den von Ihnen angesprochenen
Befehlsgeber rechtliche Konsequenzen haben kann, dem
Prinzip der Zurückhaltung, nur das zu sagen, was ich
weiß, verpflichtet fühle. Dass es diesen Bericht gibt,
weiß ich.
({0})
- Ich bin nicht bereit, mich zu jedem dummen Einwurf
zu äußern, Herr Beck.
({1})
Ich will noch einmal sehr deutlich sagen: Dieser Bericht liegt vor. Die Qualität des Berichts wird gegenwärtig von der Bundesanwaltschaft bewertet. Wenn die Bewertung vorliegt, werden wir hören, wie das rechtlich zu
verstehen ist.
({2})
Kollege Montag, bitte.
Ich fahre nicht aus der Haut, sondern sage Ihnen in aller Sachlichkeit und Ruhe: Sie können und dürfen sich
nicht hinter dem Rücken der Bundesanwaltschaft verstecken.
({0})
Wir erwarten von Ihnen nicht, dass Sie in die Rolle der
Bundesanwaltschaft schlüpfen und uns Auskunft darüber geben, ob Sie einen Anfangsverdacht oder einen
dringenden Verdacht einer Straftat erkennen. Es ist richtig: Die Bundesanwaltschaft hat auch zu überprüfen, ob
Behauptungen, Berichte, Protokolle die Wahrheit wiedergeben. Aber hier sind auch Sie gefordert. Sie dürfen
und können sich nicht hinter der Bundesanwaltschaft
verstecken.
Ich frage Sie deswegen noch einmal: In diesem Bericht steht, dass es ein Gespräch zwischen dem deutschen Oberst und den amerikanischen Piloten gegeben
hat. In diesem Bericht steht, dass die Piloten fünfmal
nachgefragt haben, weil sie die Bitte, den Befehl, die
Aufforderung der deutschen Seite nicht befolgen wollten, und dass zweitens zum Schluss von deutscher Seite
die Aufforderung gekommen ist, die Bomben zu werfen,
und zwar nicht auf die Tanklastzüge, sondern genau dazwischen. Meine Frage ist: Entspricht das nach dem
Wissensstand der Bundesregierung der Wahrheit? Ist das
so gewesen? Fakten, Fakten, Fakten - das wollen wir
von Ihnen.
Herr Kollege Montag, erst einmal herzlichen Dank
dafür, dass Sie, wenn ich das sagen darf, zwischen dem,
was ermittelnden Behörden zusteht, und dem, was der
Bundesregierung zusteht, unterscheiden. Herr Kollege
Beck, ich habe „Beschuldigte“ und „Anklage“ verstanden. Das wollte ich zurückweisen. Wenn das, was Herr
Montag gesagt hat, Ihrem Verständnis entspricht, dann
weiß ich Ihre Bemerkung richtig einzuordnen.
Zur Frage nach den konkreten Fakten. Faktum Nr. 1
ist, dass dieser Bericht vorliegt. Es gibt Indizien dafür,
dass dieser Bericht zutrifft. Wir sind gegenwärtig dabei,
dies zu klären. Ich will noch einmal darauf hinweisen,
dass bei der Vielzahl der Berichte, die der Minister ja
auch angesprochen hat, Widersprüchlichkeiten und unterschiedliche Meinungen mit zu bewerten sind, nicht im
Sinne einer strafrechtlichen Ermittlung, aber doch bei
der Beantwortung der Frage: Trifft das zu, ja oder nein?
Ich bitte darum, dass Sie mir zugestehen, dass ich auf
eine entsprechende abschließende Überprüfung verweise. Ich sichere zu, dass ich die Frage, sobald das vorliegt, Ihnen persönlich, Herr Ströbele, und dem Bundestag gegenüber schriftlich beantworte.
Kollegin Hänsel, bitte.
Danke schön. - Herr Staatssekretär, ich denke, Fakt
ist auf alle Fälle, dass sowohl die Bundeswehr als auch
die Bundesregierung die Verantwortung für eine hohe
Zahl ziviler Opfer in Afghanistan übernehmen müssen.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen: Können Sie einen Bericht des Spiegel vom Montag, den
30. November 2009, bestätigen, nach dem ein Anwalt,
der sich mit den Angehörigen der Opfer in Afghanistan
in Verbindung gesetzt hat und die Interessen dieser Opfer - Stichwort: Entschädigungen - vertreten möchte,
mit dem Verteidigungsministerium in Kontakt getreten
ist und an das Bürgertelefon verwiesen wurde? Wenn
das so ist: Gibt es vonseiten des Verteidigungsministeriums mittlerweile einen direkten Kontakt zu diesem Anwalt?
Vielen Dank. - Zu dieser Frage möchte ich zwei
Punkte sagen. Erstens. Der Name des Anwalts ist mir gerade nicht geläufig. Sie beziehen sich vermutlich auf den
Bremer Anwalt, der in Afghanistan, in Kunduz gewesen
ist. Dieser Anwalt hat sich nach meiner Kenntnis zwischenzeitlich schriftlich an das Bundesministerium der
Verteidigung gewandt und steht hierüber in Korrespondenz.
Zweitens. Der erste Kontakt - ich gebe das jetzt nur
nachrichtlich wieder, beantworte Ihnen die Frage aber
gern noch schriftlich, falls ich sie jetzt nicht ganz präzise
beantworte, weil ich mich nur auf meine Erinnerung
stütze - fand statt, als sich der betreffende Anwalt in
Kunduz unter den Schutz der Bundeswehr begeben hat.
Weil eine gewisse Gefährdung für ihn befürchtet worden
war, wurde er nach meiner Erinnerung im Feldlager
Kunduz aufgenommen. Mir ist allerdings nicht bekannt,
inwieweit er sich bei der Vertretung der von ihm benannten Opfer des Angriffes zum konkreten Vorgang eingelassen hat. Ich vermute, er hat es wohl eher nicht getan;
denn die Ansprechpartner waren wohl nicht in Kunduz,
sondern in Berlin.
Ich darf bei dieser Gelegenheit sagen, dass die Tatsache, dass es zivile Opfer gegeben hat - es deutet sehr
viel darauf hin; man muss also davon ausgehen -, nicht
nur Bedauern auslöst, sondern dass in einem solchen
Fall auch die Praxis herrscht, sich um die Hinterbliebenen zu kümmern.
Als Nächster bitte Kollege Beck.
Sie haben gerade dem Kollegen Ströbele geantwortet,
dass Sie den Bericht erstens kennen, aber zweitens noch
keine Konsequenzen daraus ziehen oder Bewertungen
vornehmen können, weil Sie den Wahrheitsgehalt dieses
Protokolls noch prüfen müssen. Es handelt sich um eine
Protokollierung einer Kommunikation. Haben Sie ernsthaft den Verdacht, dass es sich bei dieser Kommunikation bzw. diesem Protokoll um eine Fälschung handelt,
und welche Prüffragen stellt das Ministerium im Sinne
der Quellenkritik, um diese Kommunikation inhaltlich
zu bewerten? Das ist mir wirklich schleierhaft. Wenn es
diese Kommunikation tatsächlich gegeben hat, wenn das
außer Zweifel steht, dann ist der Vorgang diesbezüglich
abgeklärt. Dann stellt sich die Frage, wie man diesen
Vorgang bewertet.
Mit meinem Zwischenruf vorhin, als Sie
({0})
sich nicht so, wie es unter bürgerlichen Parteien üblich
ist, eingelassen haben, meinte ich genau das. Sie müssen
diese Bewertung unabhängig von der Strafprozessordnung vornehmen. Sie können jetzt, weil ein Bundeswehrangehöriger betroffen ist, nicht sagen, dass die gesamte Bundesregierung die Rechte eines Beschuldigten
für sich in Anspruch nimmt und nichts mehr zur Sache
sagen will, weil sie sich belasten könnte. Ich möchte
wissen: Kennen Sie diesen Bericht? Wie bewerten Sie
ihn? Wenn Sie ihn nicht bewerten können: Welches sind
die Gründe dafür, dass Sie die Wahrhaftigkeit dieser
Quelle in Zweifel ziehen?
Herr Kollege Beck, ich habe zwar noch nicht auf der
Ebene zwischen bürgerlichen Parteien kommuniziert,
({0})
aber ich nehme das gerne hin.
Ich will noch einmal sagen, dass die Bewertung dieser
Informationen - ich verstecke mich nicht hinter der
Frage, ob es richtig oder falsch war -, dieses Komplexes
von verschiedenen Berichten gegenwärtig vorgenommen wird.
({1})
Dabei handelt es sich nicht um eine Bewertung,
({2})
die auf einer einzelnen Stimme oder Meinung basiert,
sondern um eine Bewertung, in die auch die Fachleute
einbezogen werden.
({3})
Ich bitte um Verständnis, dass wir sie Ihnen erst dann,
wenn sie fertiggestellt ist, vortragen werden.
({4})
Im Moment sind wir noch mit der Bewertung beschäftigt.
Jetzt erteile ich Kollegen Nouripour das Wort zur
Frage.
Herr Staatssekretär, ist das, was diesem Bericht zugrunde liegt, mit dem Verständnis der Führung des Verteidigungsministeriums vereinbar, was die Art und
Weise betrifft, wie wir Operationen in Afghanistan
durchzuführen haben?
Eines ist klar: Bei der militärischen Bewertung müssen alle Fakten auf den Tisch. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass neue Fakten nach ihrer Gewichtung und
Bewertung zu einem neuen Gesamturteil führen können.
Schon jetzt scheint klar zu sein, dass vor Ort auch
Fehler gemacht worden sind. Dies wird in eine Gesamtbewertung, an der wir alle interessiert sind, einfließen.
Wir werden sie so zeitnah wie möglich vorlegen. Ich
glaube aber, dass die Komplexität des Vorgangs von uns
allen erfordert, das Geschehene in einen Gesamtblick
einzuordnen und in einer Gesamtbewertung darzulegen.
Ich kann Ihnen, Kollege Nouripour, zusichern, dass dies
„asap“, so schnell wie möglich, geschehen wird.
Kollege Sharma, bitte.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie mir die Bemerkung:
Ich bin einigermaßen befremdet über die kühle Gelassenheit, mit der Sie einen Sachverhalt kommentieren,
der immerhin 142 Menschen das Leben gekostet hat.
Wenn Sie dies nicht berührt, wundert mich das, weil dieser Sachverhalt immerhin auch dazu geführt hat, dass ein
Minister Ihrer Bundesregierung zurücktreten musste.
Außerdem handelt es sich um ein Ereignis, das nicht nur
seit Monaten in der öffentlichen Diskussion steht und
von dem in den Zeitungen zu lesen war, sondern auch
um ein Ereignis, das hier im Parlament unter genau dieser Fragestellung vom Kollegen Ströbele angesprochen
worden ist. Es überrascht mich sehr, dass Sie so lange
brauchen, um sich hier Kenntnis zu verschaffen. Dass
Sie noch nicht zu einer Bewertung kommen können, ist
nur eine Konsequenz des Ganzen. Ich frage mich aber:
Wie lange werden Sie brauchen, um diesen Sachverhalt
zur Kenntnis zu nehmen?
Herr Kollege, meine Befindlichkeiten kennen Sie vermutlich nicht. Deswegen empfehle ich Ihnen, sich zu
enthalten, wenn es darum geht, sie zu bewerten.
({0})
Gott hat uns einen Geist der Kraft, des Mutes und der
Besonnenheit gegeben. Das mag nicht Ihr Leitspruch
sein, der meine ist es aber. Ich habe eines gelernt: Wer in
solch schwierigen Situationen meint, die Emotionen
walten zu lassen - so schlimm der gesamte Vorgang für
die Betroffenen auch gewesen ist -, der trägt zur Sachaufklärung nicht das bei, was er beitragen müsste. Das
mag konservativ erscheinen, ist aber so. Dabei bleibe
ich.
({1})
Die letzte Nachfrage stellt der Kollege Ott.
Herr Präsident! - Herr Staatssekretär, ich bin erst seit
wenigen Wochen Mitglied dieses Hauses und habe mich
bisher vom guten Funktionieren der Institution Bundestag überzeugen können. Ich muss aber sagen: Das, was
ich jetzt erlebe, ist eine Farce. Was ist das Fragerecht der
Abgeordneten wert, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen können: „Ich kann dazu keine Aussage treffen, weil
ich erst auf das Ergebnis der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft warten muss“? Die Frage des Kollegen
Ströbele war sehr eindeutig gestellt: Haben Sie davon
Kenntnis?
Kollege Trittin hat in der Rede, die später zum Rücktritt von Minister Jung führte, gesagt, er solle sich mannhaft hinstellen und sich entschuldigen. Ich möchte Sie
jetzt bitten, sich mannhaft hinzustellen und uns, meinetwegen als Privatperson, zu sagen, ob Sie Kenntnis von
diesem Bericht haben und ob das, was den Medien über
diesen Bericht zu entnehmen war, der Wahrheit entspricht.
Herr Kollege, die Frage, die gestellt worden ist, habe
ich beantwortet. Sie mögen mit der Antwort nicht zufrieden sein. Es ist allerdings so, dass die Antworten von
denjenigen gegeben werden, die dies ihrer Verpflichtung
entsprechend zu tun haben. Dabei tragen sie die Fakten
und Bewertungen, die sie kennen, nicht für sich persönlich, sondern für die Bundesregierung vor.
Zum Zweiten ist über diese Fragen gestern sowohl im
Auswärtigen Ausschuss als auch im Verteidigungsausschuss bereits gesprochen worden. Die Informationen
werden dem Bundestag komplett zur Verfügung gestellt.
Nach meiner Kenntnis ist das bereits der Fall. Ich kann
nicht genau unterscheiden, welche Dokumente aufgrund
der Tatsache, dass sie NATO-klassifiziert sind, vom
Bundesminister bzw. von der Bundesregierung nicht herabgestuft werden können und daher nicht offen zu sehen sind. Die anderen werden Ihnen jedoch, soweit es irgendeine Möglichkeit gibt, offen zur Kenntnis gegeben
und damit der Bewertung ausgesetzt.
Wir kennen die Berichte. Sie geben uns Anlass zu Besorgnis. Wir wollen uns jetzt die Zeit nehmen, dieses zu
bewerten. Dafür bitte ich nicht nur um Verständnis. Ich
bitte auch, nachzuvollziehen, wie ein ordentlicher Umgang mit solchen nicht schönen Dingen stattzufinden
hat. Ich gestehe Ihnen zu: Diese Zeit hätten wir uns
schon längst nehmen müssen. Dafür hätten die Informationen aber komplett vorliegen müssen. Daraus entstehen Unmut und verständlicher Ärger, nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch im Bundesministerium
der Verteidigung. Ich kann Ihnen definitiv zusichern,
dass, sobald die Informationen da sind, Ihnen nichts vorenthalten wird, dass wir unseren Auftrag so verstehen,
dass wir dem Deutschen Bundestag vollumfänglich Bericht erstatten.
Da ich sie in der Meldeliste übersehen habe, erteile
ich zur letzten Frage noch Kollegin Beck das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie sind eben schon nach den Erkundungen des Bremer Anwalts befragt worden. Dieser
Anwalt ist schon am 27. mit ersten Erkundungsergebnissen an die Öffentlichkeit gegangen. Nach seinen Aussagen, die in den Medien wiedergegeben worden sind,
liegt dem Bundesverteidigungsministerium schon seit
zwei Wochen ein Schreiben mit den Untersuchungsergebnissen vor.
Ich bin sehr erstaunt: Wie kann es sein, dass Ihnen
nicht einmal der Name dieses Anwalts bekannt ist? Ich
frage Sie auch: Trifft es zu, dass dieser Anwalt mithilfe
der UN-Organisation UNAMA und anderen Menschenrechtsorganisationen vor Ort recherchiert hat? Wie kann
es sein, dass Sie von diesen Recherchen nichts wissen,
und wie kann es sein, dass Sie sich mit dem Rechercheergebnis, dass bei diesem Bombenangriff 179 Menschen
getötet worden sein sollen, noch nicht auseinandergesetzt haben?
Die Nichtkenntnis des Namens bezieht sich auf mich
persönlich, Frau Kollegin Beck. Jetzt, da Sie gesprochen
haben, erinnere ich mich daran, dass Sie den Brief weitergeleitet haben. Ich werde Ihnen die Antwort zu dieser
Frage schriftlich zukommen lassen.
({0})
Eine Nachfrage erlaubt keine weitere Frage.
Ja, Herr Präsident, ich darf darauf hinweisen, dass
diese Frage nicht schriftlich eingereicht worden ist. Ich
bitte darum, Frau Kollegin Beck, dass Sie mein Angebot, Ihnen schriftlich zu antworten, der Fairness halber
annehmen.
Damit wollen wir es bewenden lassen, Frau Kollegin
Beck. Nach einer Nachfrage darf man nicht noch einmal
nachfragen. Es gibt einfache Regeln; sonst kommen wir
nie voran.
Damit sind diese beiden Fragen erledigt. Frage 3 der
Kollegin Lötzsch und Frage 4 des Kollegen Hunko werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Ich rufe Frage 5 der Abgeordneten Ute Kumpf auf:
In welcher Höhe beabsichtigt die Bundesregierung die
Förderung der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur
Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen,
NAKOS, auch 2010 fortzusetzen und damit dem Votum des
Deutschen Bundestages zur Förderung der NAKOS aus den
Haushaltsverhandlungen zum Bundeshaushalt 2009 auch im
neuen Bundeshaushalt Rechnung zu tragen, und aus den Mitteln welchen Ressorts wird die NAKOS 2010 gefördert?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Kues.
Der Bundeshaushalt 2010 ist noch nicht verabschiedet, geschweige denn in Kraft getreten. Insofern kann
dazu natürlich nichts Abschließendes gesagt werden. Ich
sage hier aber vorweg, weil wir uns schon in der letzten
Legislaturperiode im Rahmen von Fragestunden, aber
auch im Rahmen von anderen Debatten mehrfach darüber unterhalten haben, dass es auch für NAKOS keine
auf Dauer angelegte Förderung geben wird. Es hat immer eine Projektförderung gegeben. Für 2010 liegt auch
ein Antrag vor. Wenn der Bundeshaushalt verabschiedet
ist, wird darüber befunden werden.
Sie wissen, dass NAKOS eine Organisation ist, die
hinsichtlich ihrer Tätigkeitsschwerpunkte teilweise
parallel zu anderen Organisationen arbeitet. Das Bundesministerium für Gesundheit fördert NAKOS im Rahmen
des Haushaltstitels „Zuschüsse und Beiträge an zentrale
Einrichtungen und Verbände des Gesundheitswesens“
mit einzelnen Vorhaben. 2009 lag der Schwerpunkt der
Projektarbeit bei der Information und Aufklärung über
den Nutzen der gesundheitlichen Selbsthilfe für die Prävention und die individuelle Krankheitsbewältigung. Für
2010 liegt ein Antrag für ein zweijähriges Projekt im Bereich „Selbsthilfe im Wandel“ vor. Darüber wird befunden werden, wenn der Bundeshaushalt in Kraft getreten
ist.
Bitte schön, Kollegin Kumpf.
Herr Präsident! Herr Staatssekretär, ein kleines, ein
bescheidenes, aber ein genauso wichtiges Thema ist das
Thema Selbsthilfe. Daher habe ich eine Nachfrage.
Wir haben uns in der Enquete-Kommission zum
Thema „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“
darauf verständigt, dass das bürgerschaftliche Engagement aus dem Ehrenamt, aus der Selbsthilfe, aus Freiwilligendiensten und aus sonstigen Initiativen besteht und
so zu bewerten ist. In Ihrem Koalitionsvertrag ist unter
dem Stichwort „Ehrenamt“ eine Strategie beschrieben,
die Sie verfolgen wollen, um nachhaltige Rahmenbedingungen und eine nachhaltige Infrastruktur für das bürgerschaftliche Engagement aufzubauen, sowohl auf der
Bundesebene als auch auf der lokalen Ebene.
Ihren Ausführungen ist zu entnehmen, dass Sie die
Selbsthilfe nicht mehr zum bürgerschaftlichen Engagement zählen. Trifft das zu? Es war immer ein Streitpunkt, dass Sie gesagt haben, dass das vielleicht für die
Einzelnen sinnvoll ist, aber nicht für die Gesellschaft. Ist
das Ihre Bewertung, und muss somit eine ganze Reihe
von Organisationen damit rechnen, dass sie nicht mehr
gefördert werden?
Darüber hinaus haben Sie eine Fehleinschätzung des
Ministeriums dargestellt, wonach die Selbsthilfe im Bereich der Gesundheit nur ein Drittel der Aktivitäten umfasst. Wie will das Ministerium seinem Anspruch, den es
immer vertreten hat, auch in Zeiten der Großen Koalition, gerecht werden? Ich weiß: Wir haben uns immer
gestritten. Sie waren mehr für das traditionelle Ehrenamt. Der Koalitionsvertrag besagt auch, dass Sie sich
darauf zurückziehen wollen. Andererseits haben Sie in
Ihrem Koalitionsvertrag eine sehr anspruchsvolle Engagementstrategie formuliert. Wie wollen Sie hier die Brücke schaffen, zumal Ihnen jetzt das Personal abhanden
gekommen ist, weil es in anderen Ministerien ressortiert? Wie ist Ihre Antwort darauf?
Zunächst einmal: Die Selbsthilfe im weitesten Sinne
gehört sicherlich zum bürgerschaftlichen Engagement.
Das wird ein Schwerpunkt bleiben; das ist selbstverständlich.
Ich sage aber noch einmal ausdrücklich: Das enthält
keine Aussage darüber, ob eine ganz bestimmte Institution dauerhaft gefördert wird. Im Gegenteil, wir wollen
keine Dauerförderung von allgemeinen Einrichtungen
und dürfen dies, um das ausdrücklich zu sagen, auch
nicht leisten. Das ist die Meinung, die wir immer vertreten haben. Das trifft nicht nur auf einen Teil der Bundesregierung zu - auch in der letzten Legislaturperiode
nicht -, sondern auf die Bundesregierung insgesamt; und
das gilt heute auch noch.
Sie wissen - Sie kennen sich da ja im Einzelnen
aus -, dass die Gruppen, die über NAKOS gefördert
werden, teilweise auch von anderen großen Trägern, beispielsweise von Krankenkassen, gefördert werden. Ich
glaube, dass es vor diesem Hintergrund verständlich ist,
dass auch in einem Ministerium, das großen Wert auf
Engagementpolitik liegt, genau hingeschaut wird: Sind
das zielgerichtete Projekte? Können wir sie fördern?
Wie können wir sie fördern? - Zunächst einmal brauchen wir aber einen Haushalt. Dann werden wir über das
konkrete Projekt, das jetzt beantragt worden ist, sprechen können.
Noch eine Nachfrage?
Ja. Ich habe noch eine Nachfrage, und zwar zum
Stichwort „Selbsthilfe“. Sie selbst schreiben in Ihrem
Koalitionsvertrag - ich zitiere -:
Wir wollen eine Nationale Engagementstrategie
u. a. zusammen mit dem Nationalen Forum für
Engagement und Partizipation umsetzen, ein Gesetz zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements verfolgen, das alle geeigneten Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Infrastruktur und
Stabilisierung von Engagement und Partizipation
berücksichtigt …
Heißt das, dass für Sie die Selbsthilfe letztendlich nicht
zu diesem Förderinstrumentarium gehört? Klammern
Sie die Selbsthilfe als einen Teil des bürgerschaftlichen
Engagements in Ihrer Engagementstrategie aus? Ist das
die Schlussfolgerung aus dem, was Sie gerade gesagt haben?
Nein, die Selbsthilfe - das habe ich auch gesagt - gehört eindeutig dazu. Das heißt aber keineswegs, dass ein
konkretes Projekt bzw. eine konkrete Institution dauerhaft gefördert wird. Das können Sie dem Koalitionsvertrag auch nicht entnehmen.
({0})
Danke schön.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Ich rufe die Frage 6 der
Kollegin Marlies Volkmer auf:
Wie ist sichergestellt, dass die unter den Bedingungen der
geänderten Meldepflicht für die Neue Grippe - H1N1 - gewonnenen Daten für die Ständige Impfkommission, STIKO,
qualitativ und quantitativ ausreichend sind, damit die STIKO
die Überprüfung der Impfempfehlung umfassend auf objektive Kriterien stützen kann und nicht subjektive Einschätzungen überwiegen?
Zur Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische Staatssekretär Daniel Bahr zur Verfügung.
Herr Präsident, die Ständige Impfkommission, die
Empfehlungen zur Impfung gegen Pandemische Influenza ausspricht, benötigt hierzu auch Informationen zur
Dynamik der Virusausbreitung in Deutschland sowie zu
den am häufigsten betroffenen Alters- und Risikogruppen. Eine gute Übersicht zur Dynamik der Ausbreitung
der Neuen Influenza in der Bevölkerung Deutschlands
bietet in der derzeitigen epidemiologischen Situation das
vom Robert-Koch-Institut betriebene Sentinelsystem der
Arbeitsgemeinschaft Influenza. Auf der Internetseite
www.influenza.rki.de gibt es dazu weitere Informationen.
Um Informationen über zirkulierende Influenzavirustypen zu erhalten, stehen zudem weiterhin die Daten aus der Meldepflicht der Labore nach § 7 Abs. 1
Satz 1 Nr. 24 des Infektionsschutzgesetzes sowie aus der
im Rahmen des Sentinelsystems betriebenen virologischen Surveillance zur Verfügung.
Neben diesen Instrumenten der epidemiologischen
Überwachung kann die weiter bestehende Verpflichtung
zur Meldung von Todesfällen im Zusammenhang mit der
Neuen Influenza frühzeitig Hinweise darauf geben, ob
der Erreger allgemein oder bei bestimmten Bevölkerungsgruppen vermehrt schwere Krankheitsverläufe auslöst. Daher wird der Tod aufgrund von Influenza A/H1N1
weiterhin den Gesundheitsämtern gemeldet.
Insgesamt bieten die Informationen aus den beschriebenen epidemiologischen Überwachungsinstrumenten
sowie aus klinischen und epidemiologischen Studien in
Deutschland und weltweit eine objektive Basis für die
Überprüfung der Impfempfehlung durch die Ständige
Impfkommission. Es ist daher nicht erforderlich, alle Influenzafälle zu testen und zu melden.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin?
Ich habe eine Nachfrage. Es ist in der Tat so, dass die
Empfehlungen der staatlichen Impfkommission umso
besser sind, je vollständiger die Informationen sind, auf
die sie sich stützen kann. Heute waren im Ausschuss
Vertreter des Robert-Koch-Instituts und Paul-Ehrlich-Instituts zu Gast, und es wurde deutlich, dass viele Daten
nicht vorhanden sind, zum Beispiel darüber, wie viele
Menschen mit der Neuen Grippe - gesplittet nach Altersgruppen - stationär in Krankenhäusern aufgenommen werden.
Verwunderlich ist auch, dass keine Aussage darüber
gemacht werden kann, wie viele Menschen in Deutschland bisher gegen die Neue Grippe geimpft worden sind,
geschweige denn, in welchen Altersgruppen die Impfung erfolgte oder wie es mit der Durchimpfung bei den
Risikogruppen aussieht.
Insofern frage ich Sie: Halten Sie es erstens nicht für
notwendig, die Meldepflicht dahin gehend zu ändern,
dass zumindest die stationären Aufnahmen, die durch
die Neue Grippe bedingt sind, wieder gemeldet werden
müssen? Halten Sie es zweitens nicht für notwendig,
dass bei einer Pandemie alle Bundesländer nach gleichen
Kriterien melden, wie sie die Impfungen durchführen,
wer geimpft wird und welche Impfkomplikationen auftreten?
Eine weitere Änderung der Meldepflicht halten wir
derzeit nicht für erforderlich. Ich bitte Sie um Verständnis dafür und weise darauf hin, dass die Meldepflicht gerade erst geändert wurde; die Änderung ist zum 14. November 2009 in Kraft getreten.
In der Anfangsphase der Pandemie war die damals
eingeführte Meldepflicht nötig, um hinreichend Daten
zu bekommen. Das sogenannte Sentinelsystem hätte bei
der geringen Anzahl nicht die erforderlichen Erkenntnisse gebracht, um die Infektionsfälle in Deutschland
möglichst vollständig zu erfassen, Informationen über
den neuen Erreger zu sammeln und durch Maßnahmen
wie die Beratung und Isolierung Erkrankter und ihrer
Kontaktpersonen die Virusausbreitung zu verlangsamen
und damit Zeit für die Impfstoffentwicklung und -produktion zu gewinnen.
Wir haben jetzt eine andere Situation. Insofern bedarf
es nicht der alten Meldepflicht. Auch die Einführung einer Meldepflicht wenigstens im stationären Bereich, wie
Sie sie vorgeschlagen haben, ist nach Beratungen mit
den Fachzuständigen aus unserer Sicht nicht erforderlich. Für die Erkenntnisse, die wir im Umgang mit der
Pandemie brauchen, reichen die gerade geänderten Meldepflichten aus. Wir sind weiterhin in Kontakt mit den
Ländern, um die Daten zu bekommen, die zum Teil den
Ländern vorliegen, und eine bundesweite Bewertung
vornehmen zu können. Aber eine erneute Änderung der
Meldepflicht ist derzeit aus unserer Sicht nicht erforderlich.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Ich bitte Sie, Herr Staatssekretär, auch den zweiten
Teil meiner Frage zu beantworten, in der es darum geht,
ob Sie es für notwendig halten, dass die Länder in Zeiten
der Pandemie Impfkomplikationen und auch, wie und
wen sie impfen lassen, nach gleichen Kriterien melden.
Ich habe eben gesagt, dass dafür in erster Linie die
Länder zuständig sind. Wir halten es nicht für erforderlich, neue Änderungen vorzunehmen oder bundeseinheitliche Vorgaben zu machen. Wir sind in Kontakt mit
den Ländern. Sie wissen, dass schon ein Impfgipfel stattgefunden hat, auf dem das Bundesministerium den Austausch mit den zuständigen Länderministern gesucht hat,
um sich ein Bild zu machen. Ich wiederhole: Wir halten
es derzeit nicht für erforderlich, die Meldepflichten erneut zu ändern und den Ländern bundeseinheitliche Vorgaben zu machen.
Die Fragen 7 und 8 der Kollegin Klein-Schmeink sowie die Frage 9 der Kollegin Ulrike Höfken werden
schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Für
die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Wer erarbeitet die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen für
die zweite Staffel von Betreibermodellen für den mehrstreifigen Autobahnausbau - A-Modell -, und wie wurden die Aufträge zur Erstellung der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen
vergeben?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dr. Hofreiter, zu Ihrer Frage: Vor Beginn der Pilotprojektausschreibungen sind Beratungsleistungen zur Begleitung bei der Vorbereitung und
Durchführung der Vergabeverfahren von bis zu zehn
Betreibermodellprojekten europaweit ausgeschrieben
worden. Auftragnehmer des BMVBS sind die ARGE Investitionsbank Schleswig-Holstein und Schüßler-Plan
Ingenieurgesellschaften für Bau- und Verkehrswegeplanung mbH mit den Nachunternehmern Alfen Consult
GmbH, Norton Rose LLP, CMS Hasche Sigle sowie
HHS Ingenieur GmbH. Ein Leistungsbestandteil sind die
Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Nach Durchführung
der vier Pilotvorhaben hat die ARGE im Rahmen des genannten Vertragsverhältnisses auch die vorläufigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen der beiden ersten Projekte
der sogenannten zweiten Staffel erstellt.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank. - Könnte der sehr geehrte Staatssekretär
meine zweite Frage gleich mit beantworten, weil sie in
einem engen Systemzusammenhang zu meiner ersten
steht? - Dann würde ich meine Nachfragen stellen, wenn
es notwendig ist.
Sind Sie damit einverstanden, Herr Staatssekretär?
Dem sehr geehrten Herrn Kollegen Dr. Hofreiter tue
ich natürlich den Gefallen, sofort die zweite Frage im
Zusammenhang zu beantworten.
Dann rufe ich die Frage 11 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf.
Welche Ergebnisse hatten diese Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, und wie soll das A-Modell zukünftig weiterentwickelt werden?
Herr Staatssekretär, bitte.
Wesentliche Elemente der Weiterentwicklung der
A-Modelle beziehen sich auf den Vergütungsmechanismus. Bei den beiden ersten Projekten der zweiten Staffel, die sich noch in der Ausschreibung befinden, sollen
daher vor allem alternative Vergütungsstrukturen zur
Anwendung kommen.
Für das Projekt Autobahn A 8, Anschlussstelle Augsburg-West-Autobahnkreuz Ulm/Elchingen, ist der Übergang zu einem Einheitsmautsatz vorgesehen, für das
Projekt an der A 9, Anschlussstelle Lederhose-Landesgrenze Bayern/Thüringen, ein Verfügbarkeitsmodell. Für
beide Projekte wurde jeweils vor Vergabestart eine vorläufige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung erstellt. Beide
haben eine wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit der ÖPP-Variante im Basisfall im einstelligen Prozentbereich gegenüber einer konventionellen Realisierung ergeben. Das
heißt, diese Projekte können unter Berücksichtigung der
zugrunde gelegten Rahmendaten und nach dem heutigen
Kenntnisstand wirtschaftlich sein. Vor allem aufgrund
des Verfahrensstandes ist eine besondere Vertraulichkeit
zu wahren. Nähere Angaben können daher nicht gemacht werden.
Es ist vorgesehen, dass auf Basis der tatsächlichen
Angebote der Bieter die abschließende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchgeführt wird, welche maßgeblich für den Abschluss des Vergabeverfahrens sein wird.
Sie können jetzt bitte Ihre erste Zusatzfrage stellen,
Herr Hofreiter.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, dass die
Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für alle zehn Projekte
ein einziges Mal europaweit ausgeschrieben worden ist
und dass die von Ihnen genannten Firmen, egal welche
neueren Erkenntnisse man jetzt gewinnt, alle zehn Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen ohne eine weitere Neuausschreibung durchführen können?
Die Ausschreibung ist nach den Kriterien europaweit
erfolgt, und somit werden die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von dieser ARGE erstellt.
Ihre weitere Zusatzfrage.
Sie haben erwähnt, dass für die nächsten beiden Projekte die vorläufige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung des
Bundes vorliegt, und haben ausgeführt, dass Sie keine
näheren Angaben dazu machen können. Das erscheint
mir sehr befremdlich; denn es handelt sich nicht um Angebote von Privaten, sondern es handelt sich um die
Wirtschaftlichkeitsuntersuchung der öffentlichen Hand,
die darüber entscheiden soll, ob das Projekt in der PPPVariante durchgeführt oder klassisch finanziert werden
soll. Es handelt sich um eine grundlegende Entscheidung
der öffentlichen Hand, wobei die privaten Anbieter noch
gar nicht mitbeteiligt sind. Deshalb würde ich schon darum bitten, klarzulegen, wie es mit dem Verkehrsmengenrisiko aussieht und wie hoch der Wirtschaftlichkeitsvorteil in beiden Fällen der PPP-Projekte ist, und etwas
mehr Information zu liefern. Wir als Haushaltsgesetzgeber müssen nämlich überprüfen können, ob die Entscheidung der Bundesregierung wirklich wirtschaftlicher ist,
und dürfen nicht nach Treu und Glauben vorgehen.
Ich habe Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege, auch gesagt, dass die Vorteilhaftigkeit dieser Projekte im einstelligen Prozentbereich liegt. Die Untersuchungen laufen
noch. Die abschließende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ist dann die Voraussetzung für das Vergabeverfahren.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Ich habe insgesamt vier Zusatzfragen.
Ich weiß. Sie müssen aber das Kontingent nicht zwingend ausschöpfen. Das wissen Sie.
Da die Antworten sehr spärlich ausfallen, ist man
dazu gezwungen. Man würde am liebsten gar nicht nachfragen, wenn alle Fragen schön beantwortet würden.
Deshalb: Wann wird die endgültige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für die beiden neuen Projekte vorliegen?
Können Sie das schon absehen?
Das kann ich noch nicht absehen. Die Untersuchungen laufen noch.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zur Frage 12 der Kollegin Dr. Marlies
Volkmer:
Wird die Bundesregierung die Finanzierung des Ausbaus
der Bahnstrecke Dresden-Berlin für eine Geschwindigkeit
von durchgängig 160 km/h in drei Realisierungsstufen und
der entsprechenden Zeitplanung sicherstellen - wie von der
alten Bundesregierung zugesagt -, obwohl der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter
Ramsauer, eine Verlagerung von Investitionsmitteln von Ost
nach West beabsichtigt, und in welcher Weise will die Bundesregierung den vom Parlamentarischen Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Jan
Mücke noch im September 2009 geforderten Ausbau auf
durchgängig 200 km/h zeitnah gewährleisten?
Für die Beantwortung der Frage steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jan Mücke zur Verfügung.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Frau Kollegin
Dr. Volkmer, die Strecke Berlin-Dresden wird sukzessive auf durchgehend 160 km/h ausgebaut. Ein erster
Teil ist bereits fertiggestellt. Gegenwärtig ist die Finanzierung für eine zweite Realisierungsstufe gesichert.
Nach Informationen der Deutschen Bahn Netz AG soll
der daraus mögliche Fahrzeitgewinn von 16 Minuten
Ende 2012/Anfang 2013 erreicht werden. Zusätzlich
werden der Ausbau im Abschnitt Brenitz-Sonnenwalde
bis Doberlug-Kirchhain sowie das elektronische Stellwerk Doberlug im Rahmen des Konjunkturprogramms I
realisiert. Die restlichen Abschnitte sollen zeitnah ebenfalls auf 160 km/h ausgebaut werden. Der Ausbau für
eine Geschwindigkeit von über 160 km/h hinaus ist ein
neues Vorhaben des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege. Dieser soll im Anschluss an den Ausbau für
Tempo 160 km/h möglichst zeitnah erfolgen.
Ihre Nachfrage, bitte.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, auch Sie kommen
aus Dresden, und Sie haben sich in der vorherigen Legislaturperiode immer sehr vehement für den schnellen
Ausbau der Bahnstrecke Dresden-Berlin eingesetzt. Sie
haben jetzt nichts anderes gesagt als das, was noch unter
Verkehrsminister Tiefensee eingeplant worden ist. Ich
will Sie aber explizit fragen: Bleibt es wenigstens dabei,
wie es geplant war, auch wenn der Bundesminister für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer,
eine Verlagerung von Investitionsmitteln von Ost nach
West beabsichtigt? Also: Wird nicht an der Planung dieser Strecke und auch nicht an dem Zeitplan gerüttelt?
Frau Kollegin, da Sie den früheren Verkehrsminister
Tiefensee angesprochen haben: Das Grundproblem ist
ein Fehler, den die Vorgängerregierung begangen hat.
Sie hat den Ausbau der Strecke Dresden-Berlin in zwei
Baustufen beschlossen. Sie hätte von Anfang an die
Möglichkeit gehabt, die finanziellen Mittel und auch die
Planung auf eine einzige Baustufe zu konzentrieren.
Dann hätten wir schon heute Tempo 200.
Wenn ich mich richtig erinnere, hat es in den letzten
elf Jahren immer sozialdemokratische Verkehrsminister
gegeben. Sie haben es leider nicht vermocht, die Strecke
angemessen auszubauen. Sie haben mich durchaus richtig zitiert - auch in Ihrer Frage heben Sie darauf ab -,
dass ich noch im September einen Ausbau auf
Tempo 200 gefordert habe. Das bleibt ein großes Ziel
der neuen Bundesregierung, ganz unabhängig davon,
was Sie in ein Interview des Herrn Bundesministers
Dr. Ramsauer in der Welt am Sonntag hineingedeutet haben. Er hat nämlich keinesfalls gesagt, dass es ein Programm Ausbau West braucht, sondern er hat davon gesprochen, dass es in einigen alten Bundesländern
berechtigterweise einen Nachholbedarf, beispielsweise
bei der Straßeninfrastruktur, gibt. Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Vorhaben, die jetzt im Bedarfsplan
stehen, bzw. die Vorhaben, die im Rahmen der Evaluierung des Bedarfsplans im Frühjahr 2010 überprüft werden, nicht finanziert werden könnten. Selbstverständlich
wird das erfolgen.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich habe noch eine Frage: Können Sie sicherstellen,
dass sich die Fahrzeit durch den Ausbau der Strecke Berlin-Cottbus nicht wieder verlängert?
Das kann ich nicht sicherstellen. Die Strecke Berlin-Cottbus ist schon im Ausbau. Für diese Bauzeit - sie
wird nicht sehr lang sein; die genaue Dauer müsste ich
Ihnen schriftlich nachliefern - muss ein Teil der Strecke
Berlin-Dresden als Ausweichstrecke in Anspruch genommen werden. In dieser Zeit können in dem in Anspruch genommenen Bereich natürlich keine Ausbaumaßnahmen für die Strecke Berlin-Dresden erfolgen.
Sobald der Ausbau der Strecke Cottbus-Berlin abgeschlossen sein wird, wird es auch in dem Bereich, der für
die Umleitung der Züge nach Cottbus notwendig ist, einen Ausbau geben, so wie wir es bisher vorgesehen haben. Sie können sich darauf verlassen, dass wir um den
Jahreswechsel 2012/2013 durchgängig das Tempo 160
in dem Abschnitt Dresden-Berlin fahren können. Unmittelbar danach wird es einen Ausbau auf Tempo 200
geben.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 13 und 14 des Kollegen Alexander Bonde
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen dann zur Frage 15 der Kollegin
Cornelia Behm:
Wann ist mit der Veröffentlichung der in diesem Sommer
erstellten Güterverkehrsprognose des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung für das Jahr 2025 zu rechnen,
in der die Güterprognosezahlen auf einzelne Wasserstraßen
heruntergebrochen wurden, und wie stellen sich die Prognosezahlen für die Wasserstraßen entlang des Verkehrsprojektes
„Deutsche Einheit“ Nr. 17 im Vergleich zu den heutigen Gütertransportzahlen auf diesen Wasserwegen dar?
Hier steht für die Beantwortung der Frage Herr Parlamentarischer Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung. Herr Staatssekretär, bitte.
Ich beantworte die Frage 15 wie folgt: Die Prognose
der deutschlandweiten Verkehrsverflechtung 2025 wurde
im November 2007 fertiggestellt. Die Kurzfassung der
Studie steht zum Download auf der Website des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unter www.bmvbs.de zur Verfügung. Der Download des
ausführlichen Prognoseberichts und der Zugang zu den
Verflechtungsmatrizes entsprechend den allgemeinen
Nutzungsbedingungen für Daten des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ist über die
Clearingstelle für Verkehrsdaten und -modelle beim
DLR-Verkehrsforschungsinstitut möglich. Die Umlegung auf die einzelnen Verkehrsträger ist nicht Bestandteil der Prognose.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin?
Ja, vielen Dank. - Herr Staatssekretär, Sie sprachen
davon, dass eine Kurzfassung dieser Prognose zur Verfügung steht. Nun ist es so: Die letzte Kosten/NutzenRechnung für das Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ 17 gründet auf Prognosezahlen von 1992 bzw.
1995. Ich würde gerne wissen, inwieweit die Bundesregierung jetzt die neuen Zahlen zurate zieht, um eine
aktuelle volkswirtschaftliche Kosten/Nutzen-Rechnung
für das VDE 17 vorzunehmen.
Weshalb wurde die gesamte Studie mit der aktuellen
Prognose von November 2007 bisher nicht veröffentlicht? Liegt das möglicherweise daran, dass durch die
Veröffentlichung der Zahlen die Akzeptanz für einzelne
Ausbauprojekte aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit schwinden würde?
Die Frage beantworte ich mit Nein, mitnichten. Diese
Prognosezahlen dienen dazu, ganz grundsätzlich die
Frage zu klären, um wie viel der Anteil des Güterfernverkehrs am Gesamtverkehr in Deutschland bis 2025 ansteigt. Das ist auch Gegenstand der Studie gewesen. Da
gibt es viele Detailberechnungen, die sicherlich die
Masse der Bevölkerung nicht so interessieren. Deshalb
wird nur die Kurzfassung der Studie im Internet angeboten.
Eine weitere Frage?
Ja. - Sie sind leider nicht in dem Maße auf die von
mir gestellte Frage eingegangen, wie ich es mir gewünscht hätte.
Ich habe aber eine weitere Nachfrage. Im Elektronischen Wasserstraßen-Informationssystem der Wasserund Schifffahrtsverwaltung des Bundes ist eine Liste mit
dem Titel „Zuordnung der dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen des Bundes zu den Wasserstraßenklassen“ zu finden. Da sind Ausbauziele angegeben, die nicht den politischen Festlegungen im
Bundesverkehrswegeplan entsprechen, sondern weit
darüber hinausgehen, zum Beispiel ist da die Rede von
einem langfristig geplanten Ausbau von Teilen der
Dahme-Wasserstraße nahe Königs Wusterhausen auf
Wasserstraßenklasse V. Es scheint mir, dass es sich hier
um eine Wunschliste der Verwaltung handelt. Ich würde
gerne wissen, wie es sein kann, dass sich eine Bundesverwaltung unter der Obhut des BMVBS offenkundig eigenständig und unabhängig von der Politik seine Ziele
selber steckt.
Es ist sicherlich sehr zu begrüßen, wenn sich die fachkundigen Mitarbeiter der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung selber Gedanken machen und sie auch veröffentlichen. Entscheidend ist das, was das Ministerium
vorgibt.
Wir kommen nun zur Frage 16 der Kollegin Cornelia
Behm:
Welche Prognose für Gütertransporte per Binnenschiffe
liegt den Ausbauplänen für die Kleinmachnower Schleuse innerhalb des Projektes „Deutsche Einheit“ Nr. 17 zugrunde,
und inwiefern werden hier nach dem Ausbau Schubverbände
mit einer Länge von mehr als 124 Metern erwartet, wenn doch
die Ausbauparameter des Teltowkanals weiterhin der Wasserstraßenklasse IV entsprechen?
Das Erfordernis der Ersatzinvestition der Schleuse
Kleinmachnow beruht nicht auf Verkehrsprognosen,
sondern diese Ersatzinvestition ist aufgrund des Alters
der Schleuse und ihres schlechten Zustandes erforderlich. Die Verkehrszahlen sind nicht ausschlaggebend für
die Ersatzinvestition bzw. die Kammerlänge. Für die zukünftig auf dem Teltowkanal verkehrende Flotte und das
Verkehrsregelungskonzept liegen noch keine Entwürfe
vor.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin?
Ja. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich habe natürlich öfter einmal auf die Website der Wasserstraßenverwaltung geschaut. Auf der Website des WasserstraßenNeubauamtes Berlin ist unter „Berliner Wasserstraßen
Trasse Süd“ zu lesen:
Die Planungen sehen vor, den Ausbau so zu gestalten, dass ein 110 m langes Großmotorgüterschiff
den Verkehrsweg einschiffig, d. h. ohne Gegenverkehr, passieren kann. Der Ausbau für die uneingeschränkte Begegnungsmöglichkeit ist nicht vorgesehen, da der damit verbundene Eingriff in
bestehende städtische Strukturen wirtschaftlich
nicht vertretbar wäre.
Weiter heißt es hier:
Je nach Verkehrsentwicklung soll die Option der
Herrichtung des Verkehrsweges für 185 m lange
Schubverbände erhalten bleiben. Bauliche Maßnahmen dazu wird es allerdings vorerst nicht geben.
Dazu frage ich: Wie kann es sein, dass eine Bundesbehörde solche Aussagen in ihrer Internetpräsenz tätigt,
wenn die Festlegungen der Bundesregierung ganz andere sind?
Dazu antworte ich wie folgt: Ich kann es mir auch
nicht erklären, warum das noch so im Internet steht, da
wir bereits verfügt haben, dass diese Schleuse auf
190 Meter Länge ausgebaut wird. Die Ausschreibung ist
schon erfolgt. Insofern rechnen wir mit einer Vergabeentscheidung im Februar nächsten Jahres. Im Frühsommer nächsten Jahres könnte dann mit dem Bau begonnen
werden. Wahrscheinlich ist der Internetauftritt etwas veraltet.
Ihre nächste Zusatzfrage.
110 Meter lange Großmotorschiffe dürfen nur auf
Wasserstraßen mit Wasserstraßenklasse V fahren. Es
gibt jedoch die Aussage der Bundesregierung, den
Teltowkanal in der Wasserstraßenklasse IV zu belassen.
Dort wären maximal 85 Meter lange Großmotorschiffe
zugelassen. Inwieweit sind diese Aussagen auf der Website des WNA Berlin mit dem Ministerium abgestimmt?
Wir beabsichtigen, den Teltowkanal für die Wasserstraßenklasse IV auszubauen, also für das Europaschiff,
nicht darüber hinaus. Die Länge der Schleusenkammer
ergibt sich daraus, dass wir keine Koppelstelle vor der
Schleuse brauchen, um große Schubverbände schleusen
zu können. Wenn wir eine solche Koppelstelle errichten
müssten, müssten wir in sehr wertvolles Gelände rechts
und links des Kanals eingreifen. Das wollen wir vermeiden. In der Abwägung zwischen Ökonomie und Ökologie haben wir hier, wie ich glaube, einen sehr guten
Kompromiss gefunden, mit dem alle Beteiligten gut leben können.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Für die Beantwortung der Fragen steht Frau ParlaVizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
mentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser zur
Verfügung.
Die Frage 17 des Kollegen Dr. Hermann Ott wird aufgrund Nr. 2 Abs. 2 unserer Richtlinien schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich die Frage 18 des Kollegen
Dr. Hermann Ott auf:
Wie ist die Haltung der Bundesregierung zum Beschluss
des Europäischen Rates vom Dezember 2008 zum sogenannten Effort-Sharing, in dem es heißt, dass die EU ihre Selbstverpflichtung auf 30 Prozent erhöht, wenn andere Industriestaaten „vergleichbare Verpflichtungen“ erbringen, und welche
konkreten Verpflichtungen anderer Staaten verbindet die Bundesregierung mit dem Begriff „vergleichbar“?
Frau Staatssekretärin.
Herzlichen Dank. - Sehr geehrter Herr Kollege
Dr. Ott, wenn wir ehrlich sind, gehört diese Frage natürlich in den gesamten Kopenhagen-Komplex. Aber
selbstverständlich beantworte ich sie Ihnen gerne auch
mündlich, sodass wir vielleicht den einen oder anderen
Hinweis von Ihnen dazu entgegennehmen können.
Sie wissen, dass - ich glaube, da sage ich nichts
Neues - die Bundesregierung die Beschlüsse des Europäischen Rates zum Effort-Sharing unterstützt. Der Europäische Rat hatte mit seinen Schlussfolgerungen von
Ende Oktober die Bereitschaft der EU bekräftigt, die
Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 30 Prozent zu
reduzieren, wenn andere Industriestaaten vergleichbare
Emissionsreduktionen anstreben und Entwicklungsländer einen ihren Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten entsprechenden Beitrag leisten. Die Europäische Union wird ihr ambitioniertes 30-Prozent-Ziel
weiterhin als Hebel einsetzen, um andere Industriesowie Entwicklungs- und Schwellenländer zu ehrgeizigeren Minderungszielen und Beiträgen zu bewegen.
Bei der Beurteilung der Anstrengung anderer Staaten
werden wir alle von den jeweiligen Staaten eingegangenen Verpflichtungen mit einbeziehen. Sie wissen, dass
auch der Umweltrat in seinen Schlussfolgerungen vom
21. Oktober dieses Jahres - der Bericht ist jetzt, glaube
ich, auch den Ausschussmitgliedern zur Verfügung gestellt worden - eine Reihe von Kriterien genannt hat, an
denen sich die Bewertung dieser Verpflichtungen der Industriestaaten orientieren soll. Dazu zählen beispielsweise die Fähigkeit des jeweiligen Landes, Maßnahmen
zur eigenen Treibhausgasreduzierung zu finanzieren
oder Gutschriften von Entwicklungsländern zu erwerben, die Größe des Potenzials zur Reduzierung der
Treibhausgasemissionen, bereits erfolgte innerstaatliche
Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen, Bevölkerungsentwicklung und Entwicklung der
Treibhausgasemissionen insgesamt.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege?
Jawohl, Frau Präsidentin. - Die bisherigen Planungen
der EU laufen auf eine 20-prozentige Reduktion hinaus.
Der interne 20-20-20-Beschluss soll eine 20-prozentige
Minderung der CO2-Emissionen in der Europäischen
Union bringen. Wenn wir auf die 30 Prozent zusteuern
- ich glaube, dass es auch in Ihrem Hause eine große Bereitschaft dazu gibt -, dann wird entscheidend sein, ob
die EU diese Reduktion bis 2020 schaffen kann. Wenn
diese internen Planungen nicht existieren, nehmen Ihnen
Ihre Verhandlungspartner nicht ab, dass Sie tatsächlich
Vorsorge getroffen haben. Denn die Europäische Union
steht ohnehin in dem Ruf, international sehr viel zu versprechen, aber wenig zu halten.
Meine Frage: Gibt es in der Europäischen Union Berechnungen, vielleicht sogar schon Verhandlungen, die
darauf hinauslaufen, bis 2020 ein 30-Prozent-Ziel zu erreichen?
Sie kennen ja unsere eigenen Planungen, die sehr ehrgeizig sind, was die Emissionsminderung bis zum Jahr
2020 angeht. Sie können eigentlich davon ausgehen:
Wenn der Europäische Rat und davor auch der Umweltministerrat sich auf solche Verpflichtungen einlassen,
sind sie auch in der Lage, diese zu erfüllen. Ich gehe davon aus, dass gerade mit Blick auf Kopenhagen vonseiten der Europäischen Union noch einiges auf den Tisch
gelegt werden wird.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Wenn es dazu kommen sollte, dass sich die Europäische Union zu einer Verringerung um 30 Prozent verpflichtet, dann müssten innerhalb der Europäischen
Union die einzelnen Anteile erhöht werden. Die neue
Koalition hat für Deutschland ohne Bedingungen eine
Minderung der CO2-Emmissionen um 40 Prozent bis
zum Jahre 2020 in Aussicht gestellt. Wenn sich die
Europäische Union zu einer Reduktion um 30 statt um
20 Prozent verpflichtet, wie hoch wäre dann die Reduktion im Jahr 2020, zur der sich Deutschland verpflichten
müsste? Müsste sie dann bis zu 50 Prozent betragen?
Lieber Kollege Dr. Ott, wir sollten die Kirche im Dorf
lassen, was die genauen Berechnungen angeht. Unser
Minderungsziel ist sehr ehrgeizig. Sie haben gerade selber erwähnt, dass wir auf eine Reduktion um 40 Prozent
hinsteuern wollen. Wir haben das mit unserem Integrierten Klima- und Energieprogramm schon sehr klar vor
Augen. Auf diesen Punkt komme ich nachher noch bei
der Frage der Kollegin Höhn zu sprechen.
Ich gehe davon aus, dass wir unseren Anteil beisteuern werden. Mit Blick auf die Verhandlungen in Kopenhagen, wo wir noch den einen oder anderen Trumpf im
Ärmel haben müssen, um etwas zu erreichen, bitte ich,
über die Verhandlungen innerhalb der Europäischen
Union noch nicht so intensiv zu diskutieren.
Frau Kollegin Höhn, bitte.
Frau Staatssekretärin, wir haben vorhin im Ausschuss
über diesen Punkt gesprochen. Das hatten Sie schon angedeutet. Da ging es darum, wie viel CO2-Reduzierung
durch die Wirtschaftskrise bedingt ist. Der Minister
sagte in einer Nebenbemerkung, eigentlich sei das Ziel
einer Reduktion um 30 Prozent, das wir vor der Krise
hatten, vergleichbar mit dem Ziel einer Reduktion um
20 Prozent nach der Krise. Denn bedingt durch die Krise
wurde weniger CO2 ausgestoßen, und damit ergibt sich
automatisch eine Minderung.
Die Frage ist, ob wir diese Reduktion nicht in irgendeiner Weise berücksichtigen müssen. Ich frage konkret: Muss man nicht angesichts der Tatsache, dass der
Temperaturanstieg und das Abschmelzen der Polkappen
viel dramatischer sind, als bisher angenommen - so sagen uns die Wissenschaftler -, das 30-Prozent-Ziel der
EU nach oben korrigieren? Denn dieses Ziel wurde vor
der Wirtschaftskrise aufgestellt. Nach der Wirtschaftskrise müsste daraus eigentlich ein 40-Prozent-Ziel werden.
Ich glaube, dass wir an diese Sache mit kühlem Kopf
herangehen sollten. Ihr Kollege hatte vorhin schon ausgeführt, dass die EU von einem 20-Prozent-Ziel, das sie
ursprünglich aufgestellt hatte, als Angebot für ein internationales Klimaschutzabkommen auf ein konditioniertes 30-Prozent-Ziel umgestiegen ist. Wir werden uns die
Zahlen natürlich noch einmal sehr genau ansehen. Auf
unserer Internetseite finden Sie Listen - ich will darauf
hinweisen -, die deutlich zeigen, wie sich die Ziele in
den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union
verändert haben und welche Auswirkungen die Wirtschaftskrise konkret in den einzelnen Ländern hat. Die
Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Emissionen
in den einzelnen Ländern sind sehr unterschiedlich. Sie
sind von der Verkehrsstruktur, Infrastruktur und auch
von der Industriestruktur abhängig. Das müssen wir uns,
wie gesagt, noch genau anschauen.
Wir kommen zur Frage 19 der Kollegin Bärbel Höhn:
Bezieht sich das von der Bundesregierung im Vorfeld der
UN-Klimakonferenz in Kopenhagen wiederholt bekräftigte
Ziel, die deutschen Treibhausgasemissionen bis 2020 um
40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, tatsächlich auf die Reduzierung der inländischen Emissionen um 40 Prozent, oder
rechnet die Bundesregierung dabei Emissionsminderungen im
Ausland zum Beispiel über den Clean-Development-Mechanism mit ein, und wenn Letzteres der Fall sein sollte, wie hoch
ist dann das 2020-Ziel der Bundesregierung für die Senkung
der inländischen Emissionen hier in Deutschland?
Frau Kollegin Höhn, wir haben, wie Sie wissen, im
Koalitionsvertrag vereinbart, dass marktbasierte Instrumente wie der Clean-Development-Mechanism immer
dann genutzt werden, wenn es tatsächlich möglich ist.
Der CDM ist neben Joint-Implementation und dem
Emissionshandel einer von drei flexiblen Mechanismen,
die das Kioto-Protokoll den Industrieländern mit Reduktionsverpflichtungen zur Verfügung stellt, um ihre Treibhausgasemissionen zu verringern. Solche CDM-Projekte
werden von einem Industrieland gemeinsam mit einem
Entwicklungs- oder Schwellenland ohne Reduktionsverpflichtung durchgeführt. Das Industrieland führt dann in
dem Entwicklungsland ein Klimaprojekt durch, mit dem
Emissionen eingespart werden. Dafür kann sich das Industrieland dann die gesparten Einheiten auf seinem jeweiligen Konto gutschreiben lassen.
Ziel des CDM ist es allerdings vor allem, Technologietransfer in die Entwicklungsländer zu ermöglichen
und diesen Ländern zu helfen, eine klimafreundliche
Wirtschaft aufzubauen. Unser Ziel - das war die Frage -,
die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um
40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, bezieht sich auf
die - ich betone das - inländische Gesamtwirtschaft. Im
Gegensatz zu anderen Staaten hat Deutschland im Rahmen des Integrierten Energie- und Klimaprogramms
- ich habe es eben schon erwähnt - Maßnahmen zur
Treibhausgasminderung beschlossen, welche alle im Inland stattfinden sollen.
Inwieweit CDM-Projekte auch außerhalb des Emissionshandels zur Erfüllung des Klimaschutzziels für das
Jahr 2020 genutzt werden sollen, wird - mehr kann ich
Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen; es gibt noch
keine Ergebnisse - von der Bundesregierung geprüft.
Ihre Nachfrage bitte.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, habe ich es richtig verstanden, dass die CO2-Reduktion um 40 Prozent nicht nur im Inland erfolgen soll,
sondern zunehmend auch über CDM-Projekte im Ausland? Das heißt, die CO2-Reduktion um 40 Prozent erbringen Sie gar nicht in Deutschland. Sie können hier
praktisch ständig neue Kohlekraftwerke bauen, und die
CO2-Reduktion führen Sie dann in Indien oder in China
durch. Verstehe ich das richtig?
Das verstehen Sie komplett falsch. Die Diskussion
über dieses Thema haben wir schon vor früheren KlimaParl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser
schutzkonferenzen geführt. Ich habe gerade gesagt: Im
Integrierten Energie- und Klimaprogramm, das wir in
Deutschland haben, ist vorgesehen, dass die Emissionsminderungen hier im Inland stattfinden. Alle Maßnahmen, die wir dort entwickelt haben, sind auf das Inland
konzentriert. Inwieweit wir aber den Clean-Development-Mechanism weiter einsetzen, darüber wird zurzeit
diskutiert, das wird überprüft. Ich sage Ihnen zu, dass ich
Ihnen, sobald diese Prüfung abgeschlossen ist, sofort einen schriftlichen Bericht darüber gebe.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, natürlich. - Frau Staatssekretärin, Sie haben eben
gesagt: Die CO2-Reduktion um 40 Prozent soll hier im
Inland erfolgen. Dann haben Sie das Integrierte Energieund Klimaprogramm, das IKEP, erwähnt. Nun wissen
wir aber, dass die CO2-Reduktion um 40 Prozent nicht
über das IKEP erbracht werden kann. Wenn Sie die bisherigen Schritte weiterverfolgen, dann schaffen Sie die
CO2-Reduktion um 40 Prozent nicht im Jahr 2020, sondern erst im Jahr 2033.
Welche zusätzlichen Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um die CO2-Reduktion um 40 Prozent in Deutschland überhaupt zu erreichen? Denn das, was Sie beschlossen haben, und zum Beispiel die Nichtumsetzung
der Energieeffizienzrichtlinie der EU - die Umsetzung
steht immer noch aus - führen dazu, dass es in Deutschland eine geringere CO2-Reduktion gibt. Welche zusätzlichen Maßnahmen wollen Sie neben dem IKEP eigentlich ergreifen, um eine Reduktion um 40 Prozent
überhaupt zu erreichen? Denn mit dem IKEP erreichen
Sie das nicht. Das wurde schon in mehreren Studien
deutlich gemacht.
Darf ich Sie an Folgendes erinnern: Das Integrierte
Energie- und Klimaprogramm wurde vor zwei Jahren,
im Jahr 2007, beschlossen. Wir haben gerade das
Jahr 2009. Heute davon zu sprechen, dass wir dieses Ziel
nicht erreichen, halte ich für nicht in Ordnung. Deshalb
würde ich jetzt einmal abwarten, wie es sich im Einzelnen darstellt, und schauen, welche Möglichkeiten wir
haben, welche nicht und was wir zudem beispielsweise
von der Konferenz in Kopenhagen mitbringen werden.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Da werden die
Fragen 20 und 21 des Kollegen René Röspel, die Fragen 22 und 23 der Kollegin Ulla Burchardt sowie die
Fragen 24 und 25 des Kollegen Dr. Ernst Dieter
Rossmann gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die
Fragestunde schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung. Hier ist die Frage 26 der Kollegin
Heike Hänsel zurückgezogen worden. Die Frage 27 der
Kollegin Hänsel wird schriftlich beantwortet. Die Fragen 28 und 29 des Kollegen Movassat werden ebenfalls
schriftlich beantwortet.
Ich komme zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Der Kollege Kilic, der
die Frage 30 gestellt hat, ist nicht im Saal, deshalb
schriftliche Beantwortung. Die Fragen 31 und 32 der
Kollegin Agnes Krumwiede werden auch schriftlich beantwortet. Die Fragen 33 und 34 der Kollegin Ulla
Schmidt sowie die Fragen 35 und 36 des Kollegen
Martin Dörmann und die Fragen 37 und 38 der Kollegin
Tabea Rößner werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Frau Dr. Eva Högl hat Frage 39 gestellt. - Frau
Dr. Högl ist anwesend. Dann rufe ich diese Frage auf:
Warum werden die Nachfolgestrategie der Lissabon-Strategie und die EU-Nachhaltigkeitsstrategie, mit denen sich der
Europäische Rat am 10. und 11. Dezember 2009 befassen
wird, nicht zusammengefügt?
Für die Beantwortung der Frage steht Herr Staatsminister Dr. Werner Hoyer zur Verfügung.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Frau Kollegin Högl,
die EU-Nachhaltigkeitsstrategie ist eine sektorenübergreifende Langzeitstrategie mit globaler Perspektive.
Die Post-Lissabon-Strategie hingegen konzentriert sich
auf die Sektoren nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung. Die operative Ausführung der Nachhaltigkeitsprinzipien muss weiterhin durch sektorale Strategien
verfolgt werden. Diese Sektorstrategien dienen im jeweiligen Bereich der Umsetzung und Integration der
verschiedenen Dimensionen Wirtschaft, Umwelt und
Soziales. Daher kommt eine Verschmelzung der Nachhaltigkeitsstrategie mit der Post-Lissabon-Strategie für
die Bundesregierung nicht infrage. Die zentrale Steuerung nachhaltiger europäischer Entwicklung in der ganzen Bandbreite der Politikbereiche durch eine einzige
Strategie wäre nach unserer Auffassung weder effektiv
noch kommunizierbar.
Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, herzlichen Dank. Sehen Sie,
wenn es zwei Strategien parallel gibt - auch wenn die
eine stärker auf Sektoren ausgerichtet ist als die
andere -, nicht die Gefahr, dass es gerade im Bereich der
Nachhaltigkeit zu einer Doppelung kommt? Auch die
Lissabon-Strategie beinhaltet das Ziel, die Bereiche
Wirtschaft, Beschäftigung und Soziales mit Umwelt,
Nachhaltigkeit und ökologischem Wirtschaften zu koppeln. Wäre nicht jetzt, wo wir uns über die Perspektiven
für den Zeitraum bis 2020 unterhalten, eine gute Gele550
genheit, diese Strategien zusammenzuführen, um Europa
effektiver zu gestalten und bessere Ziele zu formulieren?
Ich sehe auf jeden Fall die Gefahr einer Doppelung.
Deswegen ist eine enge Abstimmung in den Ratsarbeitsgruppen und im Rat selber erforderlich, damit die Dinge
nicht auseinanderlaufen. Das kann mehr bedeuten, als
nur doppelte Arbeit zu machen. Aus meiner Sicht haben
Nachhaltigkeitsstrategien einen übergeordneten Charakter. Die Frage ist dann: Wie muss man das in die verschiedenen Politikbereiche einpassen? Dabei müssen wir
sehr genau auf die Vermeidung solcher Fehlentwicklungen achten.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, die Bundesregierung wird mit einer Strategie in die kommenden Verhandlungen über die
Neugestaltung der Lissabon-Strategie und der Nachhaltigkeitsstrategie gehen. Das Thema wird insbesondere
unter spanischer Präsidentschaft zu behandeln sein. Werden wir hier im Parlament Gelegenheit haben, diese
Strategie mit Ihnen ausführlich zu erörtern? Werden Sie
uns Ihre Verhandlungsposition frühzeitig hier im Parlament mitteilen?
Ja, selbstverständlich. Wir haben heute zum Beispiel
im Auswärtigen Ausschuss schon ausführlich über diesen Themenkomplex geredet; denn diese Fragen werden
im Vorlauf zum Allgemeinen Rat schon in der nächsten
Woche eine Rolle spielen. Im neuen Jahr werden wir auf
jeden Fall unsere Verhandlungsposition vortragen. Dann
muss mit dem Parlament darüber gesprochen werden.
Das ergibt sich übrigens nicht nur aus den neuen Regeln,
die wir im Zusammenhang mit dem Lissabon-Vertrag
zwischen Regierung und Parlament vereinbart haben; es
ist eine Selbstverständlichkeit, dass das Parlament bei
solch einem wichtigen Thema wie der Lissabon-Strategie und der erforderlichen Refokussierung auf das, was
2005 beschlossen worden ist, einbezogen wird.
Wir kommen zu Frage 40 des Kollegen Volker Beck. Er ist nicht im Saal, deshalb schriftliche Beantwortung.
Die Fragen 41 und 42 des Kollegen Günter Gloser werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Dann komme ich
zu den Fragen 43 und 44 der Kollegin Viola von
Cramon-Taubadel. - Sie ist auch nicht im Raum. In der
Konsequenz werden die Fragen 43 und 44 schriftlich beantwortet. Gleiches gilt für die Fragen 45 und 46 der
Kollegin Marieluise Beck, die ebenfalls nicht hier ist.
Die Fragen 47 und 48 der Kollegin Sevim Dağdelen
werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 49 des
Kollegen Andrej Hunko.
Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs,
Herr Staatsminister.
In Erwartung dieser Tatsache habe ich alle Fragen bereits schriftlich beantwortet. Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Frage 50 des Kollegen
Dr. Konstantin von Notz wird aufgrund der Richtlinien
für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Frage 51
des Kollegen Dr. Ilja Seifert wurde schriftlich beantwortet. Damit ist auch dieser Geschäftsbereich abgearbeitet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Hier werden die Fragen 52 und 53
der Kollegin Daniela Wagner schriftlich beantwortet.
Der Kollege Ströbele, der die Frage 54 gestellt hat, ist
nicht im Saal.
({0})
Deshalb wird auch seine Frage schriftlich beantwortet.
Schon sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.
Die Frage 55 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet. Die Fragen 56 und 57 des Kollegen Harald Koch - Herr Koch ist auch nicht im Saal werden schriftlich beantwortet. Der Kollege Dr. Gerhard
Schick hat die Frage 58 gestellt. Auch er ist nicht im
Saal, daher wird auch seine Frage schriftlich beantwortet. Die Fragen 59 und 60 des Kollegen Hans-Josef Fell
werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 61 des
Kollegen Stephan Kühn. Gleiches gilt für die Fragen 62
und 63 der Kollegin Sahra Wagenknecht. Damit ist auch
dieser Geschäftsbereich abgearbeitet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Ich rufe die Frage 64 der Abgeordneten Dr. Eva Högl
auf:
Welche Ergänzungen oder Korrekturen der bisherigen
Lissabon-Strategie sind ab 2010 notwendig, um mehr Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt in Europa zu schaffen?
Frau Högl ist anwesend. Für die Beantwortung der
Frage steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär HansJoachim Otto zur Verfügung.
Herr Staatssekretär, bitte.
Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Högl, die Antwort des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie lautet: Die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise hat in ihrem bisherigen Verlauf gezeigt, dass diejenigen Mitgliedstaaten der EU die Krise am erfolgreichsten
bewältigen, die entschlossen ihre strukturpolitischen Reformen im Sinne der Lissabon-Strategie angegangen
sind. Das gilt zum Beispiel auch für Deutschland.
Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, dass
auch für eine Nachfolgestrategie für die Jahre bis 2020
die Oberziele der aktuellen Lissabon-Strategie, nämlich
sich auf nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung zu
konzentrieren, beibehalten werden sollen. Dabei sollen
die prioritären Bereiche Forschung und Entwicklung,
Stärkung der Unternehmenspotenziale, Beschäftigung,
Klima und Energie weitergeführt werden und im Dreiklang von wirtschaftlichem Erfolg, sozialem Zusammenhalt und ökologischer Verantwortung weiter verfolgt
werden.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin?
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Ja, ich habe
eine Nachfrage. Im Jahr 2005 ging es um die sogenannte
Refokussierung der Lissabon-Strategie. Der Herr Staatsminister hat eben davon gesprochen. Nun richtete sich in
der Zwischenzeit die Aufmerksamkeit auf die Sozialpolitik, weil festgestellt wurde, dass die Sozialpolitik damals hintenübergefallen ist.
Bedeutet das, was Sie eben ausgeführt haben, dass Sie
sich davon verabschieden, dass auch die Sozialpolitik,
der sozialpolitische Zusammenhalt und die Bekämpfung
von sozialer Ausgrenzung - wir haben nächstes Jahr das
Jahr gegen die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung übergeordnete Ziele der Lissabon-Strategie sein sollen,
sondern dass sie im Rahmen der Diskussion über die
Nachfolgestrategie nachrangig behandelt werden?
Nein, nachrangig ist sicherlich nicht das richtige
Wort, aber wenn Sie Prioritäten setzen, dann müssen Sie
zwangsläufig auch Posterioritäten setzen. Ich nannte Ihnen die Bereiche, die für die kommenden Jahre in besonderer Weise hervorgehoben werden. Das heißt natürlich
nicht, dass die sozialen Fragen von geringerer Bedeutung sind. Sie wissen auch, dass in unserem Land wie in
vielen anderen europäischen Ländern die sozialen Leistungen vom finanziellen Rahmen her einen sehr großen
Raum einnehmen, sodass Sie nicht davon ausgehen müssen, dass wir diesen Bereich geringschätzen oder ihm
eine geringere Aufmerksamkeit zukommt.
Aber gerade die Zukunftsthemen, die ich Ihnen eben
genannt habe, Forschung und Entwicklung, Stärkung der
Unternehmenspotenziale, Beschäftigung, Klima und
Energie, sind ausdrücklich als Prioritäten anerkannt. Daraus ergibt sich die Antwort darauf, was mit den anderen
Bereichen zu geschehen hat.
Herzlichen Dank. Wenn ich darf, möchte ich gerne
eine zweite Nachfrage stellen.
Bitte sehr.
Ich habe verstanden, dass es sich hier um eine Posteriorität handelt. Ich komme zu einer anderen Frage. Die
Kommission hat bereits sehr deutlich gemacht, dass sie
der Sozialpolitik einen hohen Stellenwert einräumen
wird. Wird die Bundesregierung dann im Zweifel versuchen, die Kommission mithilfe von anderen Bündnispartnern davon abzubringen, Sozialpolitik in der Nachfolgestrategie als Priorität zu behandeln?
Sehr geehrte Frau Kollegin, die Sozialpolitik hat in
Deutschland schon allein deswegen eine Priorität im
Sinne von Aufmerksamkeit, weil es keinen anderen Geschäftsbereich der Bundesregierung mit solch hohen finanziellen Aufwendungen gibt. Der Haushalt dieses
Bundesministeriums ist bei Weitem unser größter Haushalt. Daraus ergibt sich natürlich innerstaatlich, dass wir
diesem Bereich eine ganz hervorgehobene Bedeutung
geben.
Wir sehen aber keinen Anlass, die Prioritäten, die wir
jetzt bei der Nachfolgestrategie verfolgen, aufzugeben,
ungeachtet der Tatsache, dass wir zu unseren finanziellen Verantwortungen im Bereich der Sozialpolitik stehen
und diese selbstverständlich fortführen werden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Höhn - das ist Frage 65 - ist nicht
mehr anwesend. Gleiches gilt für die Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl - das betrifft die Fragen 66 und 67 - und die
Kollegen Hubertus Heil - Fragen 68 und 69 - und
Garrelt Duin - Fragen 70 und 71. Auch Gerold
Reichenbach ist nicht anwesend.
({0})
- Entschuldigung. Dann rufe ich die Frage 72 des Kollegen Gerold Reichenbach zum Geschäftsbereich für Wirtschaft und Technologie auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Lage im Automobilbau in Deutschland und die Chancen der Adam Opel
GmbH, sich nach einer Sanierung langfristig erfolgreich auf
dem Markt zu behaupten, und wie will die Bundesregierung
dazu beitragen, dass in Deutschland und Europa möglichst
viele Arbeitsplätze erhalten bleiben?
Lieber Herr Kollege Reichenbach, die Chancen der
Adam Opel GmbH, sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen langfristig am Markt zu behaupten, können
natürlich nur auf der Basis konkreter Restrukturierungspläne bewertet werden. Entsprechende Pläne liegen der
Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls noch nicht vor.
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, dass Arbeitsplätze in Deutschland und Europa - ich füge für uns
beide hinzu: speziell auch in Hessen - nur auf der Basis
von tragfähigen unternehmerischen Konzepten gesichert
werden können. Die Bundesregierung erwartet von General Motors, alles zu unternehmen, um Opel und seinen
Arbeitnehmern eine verlässliche Zukunftsperspektive zu
geben.
({0})
- Sehen Sie mal. Wenn ein hessischer Kollege fragt, tue
ich das besonders gerne.
Haben Sie eine Nachfrage?
Meine erste Nachfrage: Wie verträgt sich das, was Sie
vorgetragen haben, mit der der Presse zu entnehmenden
Festlegung des Wirtschaftsministers, dass sich die Bundesregierung an einer Finanzierung nicht beteiligen
werde, obwohl, wie Sie selbst gesagt haben, noch gar
keine beurteilungsfähigen Konzepte vorliegen?
Die Äußerung ist mir in dieser Form nicht bekannt,
dass sie sich definitiv nicht beteiligen werde. Der Bundesminister hat immer gesagt, dass für eine Beteiligung
die Bedingungen des Deutschlandfonds erfüllt sein müssen. Das heißt, es gibt keine Privilegierung von General
Motors/Opel. Aber es gibt selbstverständlich auch keine
Benachteiligung. Bis jetzt liegt noch kein Antrag vor. Es
gibt nur Willensbekundungen.
Wenn ein Antrag vorliegt, wird er ergebnisoffen geprüft. Es kann durchaus sein, dass wie in der Vergangenheit - Sie wissen, so wie beim Überbrückungskredit durchaus Maßnahmen zugunsten von General Motors/
Opel beschlossen werden. Dabei bleibt es.
({0})
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Wie erklären Sie sich dann angesichts Ihrer Aussagen, dass es zwischen den Bundesländern mit OpelStandorten und dem Bundeswirtschaftsministerium offensichtlich Missstimmungen und unterschiedliche Interpretationen gibt, zumal an den Regierungen dieser
Bundesländer auch die FDP beteiligt ist?
Diese Missstimmungen, von denen ich nur in der
Presse gelesen habe, sind inzwischen beseitigt. Ich
kenne auch von den beteiligten Ländern keine anderen
Äußerungen, sondern dort heißt es: Die Anträge können
erst dann geprüft werden, wenn prüffähige Anträge vorliegen. Diese prüffähigen Anträge werden dann auf der
bestehenden Gesetzes- und Rechtslage geprüft werden.
Auch die vier beteiligten Bundesländer haben nichts anderes verlangt. Diese Missstimmungen, sofern es sie jemals gegeben haben sollte, sind damit ausgeräumt.
Ich rufe die Frage 73 des Kollegen Reichenbach auf:
Welche besonderen Bedingungen gelten vor dem Hintergrund, dass die EU-Kommission einen Subventionswettbewerb der Staaten mit Standorten der Adam Opel GmbH fürchtet und bereits angekündigt hat, mögliche Beihilfen für den
Autobauer auch künftig auf deren Vereinbarkeit mit EU-Vorschriften prüfen zu lassen - hier für GM -, um gegebenenfalls
Fördermittel in Deutschland zu erhalten?
Bei der Prüfung eventueller Anträge der Adam Opel
GmbH auf staatliche Hilfe werden die üblichen Bedingungen zur Anwendung kommen, die im Einklang mit
den EU-Beihilferegelungen stehen. Die Bundesregierung wird im Rahmen der allgemeinen Verfahren eventuelle Anträge der Adam Opel GmbH auf staatliche
Hilfe ergebnisoffen prüfen. Das ist genau das, was ich
Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege Reichenbach, schon in
meiner Antwort auf die Frage 72 gesagt habe.
Eine Nachfrage.
Darf ich aus Ihren beiden Antworten schließen, dass
die Bundesregierung bereit ist, sich mit staatlichen Hilfen an einem Sanierungskonzept für Opel zu beteiligen,
wenn es tragfähig ist?
Es gibt jedenfalls keine Aussage der Bundesregierung
oder des Bundeswirtschaftsministeriums, dass vor Prüfung und vor Vorliegen irgendwelcher Anträge irgendwelche Dinge definitiv ausgeschlossen werden. Es gibt
die klare Aussage, dass wir uns an die Bedingungen halten werden, die für alle Förderanträge gelten. Das gilt für
General Motors genauso wie für jeden anderen Antragsteller auch. Das heißt, es gibt eine ergebnisoffene Prüfung. Damit ist klar, dass weder im Positiven noch im
Negativen irgendwelche Vorfestlegungen getroffen wurden.
Eine weitere Nachfrage.
Wie will die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass Opel inzwischen wieder Teil des GeneralMotors-Konzerns ist, sicherstellen, dass solche Unterstützungen und Hilfen, sofern sie EU-konform gewährt
werden können, die Zukunftsperspektive von Opel in
Deutschland verbessern und zur Sanierung der deutschen und europäischen Opel-Standorte genutzt werden
und nicht im üblichen Finanztransfer des Mutterkonzerns untergehen, eingedenk der Tatsache, dass General
Motors die jetzigen Verpflichtungen offensichtlich lediglich aus der Kasse der Adam Opel GmbH gezahlt und
der Mutterkonzern nichts dazu beigetragen hat?
Ob Ihre letzte Aussage zutreffend ist, können wir
nicht beurteilen. Solche Informationen liegen uns nicht
vor. Aber es ist sicherlich richtig, Herr Kollege
Reichenbach, dass das Kriterium, inwieweit Fördermittel aus dem Deutschlandfonds konkret der Sicherung
von Arbeitsplätzen in Deutschland zugutekommen und
nicht in andere Länder abfließen, eines der entscheidenden Kriterien bei der Prüfung von etwaigen Anträgen
sein wird. Natürlich ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass mit den Mitteln des Deutschlandfonds in
Deutschland entsprechende Wirkungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erzielt werden und die Mittel nicht in irgendwelche Kanäle außerhalb des Landes
fließen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir haben damit den zeitlichen Rahmen der Fragestunde voll ausgeschöpft. Die restlichen Fragen werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Durchwinken des SWIFT-Abkommens durch
die Bundesregierung und Umgehung des Europäischen Parlaments
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Dr. Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Nach diesem Wahlkampf konnte man ausgesprochen gespannt darauf sein, wie die FDP es in Regierungsverantwortung mit den Bürgerrechten hält. Nachdem sich der
Parteivorsitzende im Wahlkampf selber zur Freiheitsstatue der Republik ernannt hat und die FDP bei allen Demonstrationen für Freiheitsrechte vornewegmarschiert
ist, war das SWIFT-Abkommen die erste Nagelprobe:
Wie verhält sich die rhetorische Stärke zur Realität?
Diese Nagelprobe - das können wir heute mit Sicherheit
sagen; seit Montag ist es amtlich - haben Sie nicht bestanden. Sie sind umgefallen. Sie haben nicht nur gewackelt, sondern sind umgefallen. Sie haben Ihre Prinzipien und Ihre Wahlkampfversprechen an der Garderobe
des Regierens abgegeben.
({0})
Meine Erwartungen waren gar nicht so hoch, muss
ich sagen, aber die Geschwindigkeit, mit der Sie nach
nur sechs Wochen entgegen allen vorher gemachten Erklärungen diese Dinge einfach so von sich werfen und
die Hand zu diesem Abkommen heben bzw. es einfach
passieren lassen, hat mich doch erstaunt.
Dabei war die Ausgangssituation im Grunde gut. Sie
hatten alle möglichen Allianzen, die Ihnen zur Seite gestanden hätten, um hier für wirklich gute Datenschutzstandards zu kämpfen. Sämtliche Bürgerrechtsorganisationen, der Bundesdatenschutzbeauftragte und die
europäischen Datenschutzbeauftragten, der Bundesrat,
die deutsche Bankenaufsicht, der BDI, das Europäische
Parlament, alle Fraktionsvorsitzenden - natürlich der
Grünen, aber auch Ihrer eigenen Fraktionen - im Europäischen Parlament, all sie waren Alliierte, um für hohe
Datenschutzstandards zu kämpfen. Sie haben dies nicht
genutzt.
({1})
Das ist umso erstaunlicher, als Sie bei den vielen vagen, wachsweichen, butterweichen Vereinbarungen, die
Sie in den Koalitionsvertrag geschrieben haben, in einem Punkt relativ klar waren. Als ich das las, dachte ich:
Respekt. Sie haben nämlich geschrieben: Wir machen
SWIFT nicht mit, ohne dass ein hohes Datenschutzniveau gehalten wird und effektive Rechtsschutzmöglichkeiten gegeben sind. Dieses Versprechen, das Sie sogar im Koalitionsvertrag verankert haben, haben Sie am
Montag gebrochen, indem Sie dieses Abkommen ohne
relevante, sondern mit rein kosmetischen Verbesserungen haben passieren lassen.
({2})
Die Unzufriedenheit in Ihren eigenen Reihen ist erheblich; man kann sie den Presseäußerungen entnehmen.
Die Justizministerin selbst spricht davon, dass sie unglücklich ist; so sei es nicht gemeint gewesen.
({3})
Ich habe gehört, ein junger Kollege von Ihnen empfindet
bezüglich des Verfahrens und des Ergebnisses Brechreiz;
so stand es in der Zeitung. An dieser Stelle darf ich Ihnen sagen: Sie sind nicht mehr in der Opposition. Diese
Rhetorik im Nachhinein ist gänzlich unangebracht. Sie
regieren mit, um mitzugestalten.
({4})
Wenn man das dann beim entscheidenden Punkt, wenn
es darauf ankommt, nicht macht, dann muss man sich
fragen, ob man in der Regierung überhaupt gut aufgehoben ist.
({5})
Statt einzugreifen und die Koalitionskarte zu ziehen, haben Sie es einfach passieren lassen. Vom Außenminister,
der Freiheitsstatue, ist seit Wochen kein Wort zu hören.
({6})
Er hätte ganz leicht einen Anruf bei Frau Merkel tätigen
und sagen können: So geht das nicht. Wir haben im Koalitionsvertrag etwas anderes vereinbart. - Das haben
Sie bewusst nicht gemacht.
({7})
Nun haben wir als Ergebnis dieses beschämende Verfahren, und die mühsam erkämpften europäischen Datenschutzstandards werden jetzt zulasten von 500 Millionen Europäerinnen und Europäerin abgesenkt. Das
Erschreckendste daran ist, dass Sie bei dem einzigen
Punkt, bei dem Sie im Koalitionsvertrag Farbe bekannt
haben, eingeknickt sind.
({8})
- Von Ihnen habe ich gar nichts anderes erwartet, als
dass Sie für so etwas die Hand heben,
({9})
aber bei der FDP hatte ich noch seichte Hoffnung.
Wenn man bedenkt, dass Sie für alle anderen Punkte
bezüglich Bürgerrechten und Datenschutz nur wachsweiche Ergebnisse ausgehandelt haben und hier den einzig kernigen Punkt aus Ihrem Koalitionsvertrag sofort
verraten haben, dann kann einem um die Bürgerrechte
und den Datenschutz in diesem Land unter dieser Regierung nur angst und bange sein.
Herzlichen Dank.
({10})
Herr Kollege Dr. von Notz, das war Ihre erste Rede in
diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich, verbunden mit den besten Wünschen für Ihre weitere parlamentarische Arbeit.
({0})
Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Dr. Hans-Peter Uhl.
({1})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Dieter Wiefelspütz, ich bitte, jetzt
Ruhe zu bewahren.
Lassen Sie mich einige Anmerkungen zu SWIFT machen. Wenn richtig gezählt wurde, werden pro Tag
11 Millionen Überweisungsdaten erfasst. Man kann sich
leicht vorstellen, dass unter einer Flut von 11 Millionen
Daten am Tag eine Fülle von hochsensiblen Daten ist,
die es zu schützen gilt, dass darunter aber auch Daten
ganz anderer Art sind, aus dem Wirtschaftsleben und aus
dem privaten Bereich, die dem Datenschutz unterliegen.
({0})
Nach den Ereignissen des 11. September 2001 war es
nur folgerichtig, dafür zu sorgen, dass die Daten, die zur
Terrorbekämpfung erforderlich sind, um die Finanzströme unter Terroristen aufzudecken, herausgefiltert
werden.
({1})
Dieses Ziel haben die USA mit Recht verfolgt und sind
dabei - ich möchte es einmal so sagen - beherzt ans
Werk gegangen.
({2})
Dieses Vorgehen war mit den Gesichtspunkten des
Datenschutzes nach unserer Vorstellung nur noch am
Rande in Übereinstimmung zu bringen. Deswegen haben sich die Bundesregierung und die Europäische
Union bemüht, mit den Amerikanern zu verhandeln, um
sicherzustellen, dass man einerseits nicht bei der Terrorbekämpfung stört, andererseits aber den Erfordernissen
des Datenschutzes gerecht wird.
({3})
Im Ergebnis haben die Amerikaner der EU zugesagt,
dass sie mit den Daten, die sie herausfiltern, verantwortungsvoll umgehen werden. Aufgrund dieser Zusage hat
der damals zuständige Bundesfinanzminister in einem
Brief amtlich festgestellt - ich zitiere die letzten Sätze
dieses Briefes -:
Wir danken Ihnen
- den USA für Ihre Mitwirkung in dieser Frage; sie zeigt, wie
sehr wir gemeinsam entschlossen sind, die bürgerlichen Freiheiten zu wahren, den Terrorismus zu bekämpfen und für ein reibungsloses Funktionieren
des internationalen Finanzsystems zu sorgen.
So äußerte sich Peer Steinbrück im Juli 2007 zu der Zusage der USA.
({4})
Was ist nun neu?
({5})
Neu ist, dass diese Zusage in das SWIFT-Abkommen,
über das wir hier und heute diskutieren, Eingang gefunden hat. Jetzt werden diese Regelungen für beide Seiten
verbindlich.
Auf die Vorteile des SWIFT-Abkommens möchte ich
nicht im Einzelnen eingehen - ich nehme an, dass meine
Nachredner dies noch tun werden -, sondern nur eines
sagen: Bundesinnenminister de Maizière ist am Montag
dieser Woche nach Brüssel geflogen.
({6})
Dort hat er sogar noch mehr erreicht.
({7})
Er hat erreicht, dass die Geltungsdauer des Interimsabkommens auf neun Monate begrenzt wird.
Außerdem gibt es seit Montag dieser Woche unter Juristen einen Streit darüber, welche Rolle das Europäische
Parlament in Bezug auf das Interimsabkommen spielt.
({8})
Es lässt sich mit guten Argumenten die Rechtsmeinung
vertreten, dass das Europäische Parlament dieses Interimsabkommen, das am Tag zuvor ausgehandelt worden
ist, nach dem Lissabon-Vertrag noch stoppen kann, indem es dagegenstimmt,
({9})
sodass es nicht umgesetzt werden kann. Ich sage Ihnen:
Wie es um diese Rechtsmeinung steht, kann eigentlich
dahingestellt bleiben, weil die Europäische Kommission
niemals daran denken wird, dieses Interimsabkommen
zur Anwendung zu bringen, wenn das Europäische Parlament es zuvor abgelehnt hat. Das wird sie nicht tun.
({10})
Zweitens. Das Europäische Parlament kann sich sofort an die Arbeit machen und mit den USA ein Nachfolgeabkommen zu diesem Interimsabkommen, das in neun
Monaten fertiggestellt sein muss, aushandeln. Das heißt,
das Europäische Parlament ist in einer doppelten Vorteilhaftigkeit:
({11})
Es kann das ausgehandelte Abkommen stoppen und ein
neues aushandeln.
({12})
Jetzt komme ich zu Ihnen, meine Damen und Herren
Parteigenossen von Peer Steinbrück, der das Ergebnis,
das er ausgehandelt hat, so gut fand. Auch Sie sind aufgerufen, ihm zu zeigen, dass man in Verhandlungen mit
den USA in Sachen Datenschutz noch mehr herausholen
kann.
({13})
Das Nachfolgeabkommen wird natürlich auch vom deutschen Parlament begleitet werden können.
({14})
Auch dies ist ein Ergebnis des Lissabon-Vertrages. Nach
dem EU-Zusammenarbeitsgesetz kann der Bundestag im
Hinblick auf das Nachfolgeabkommen entscheiden, welche Vorgaben er der Bundesregierung für die Verhandlungen mit auf den Weg gibt.
Ich fasse zusammen: Das Europäische Parlament ist
Herr des Verfahrens. Das deutsche Parlament ist auch
Herr des Verfahrens. Wir alle haben aus diesem Abkommen das Beste gemacht.
({15})
Einen letzten Satz zum Abstimmungsverhalten. Warum hat sich Minister de Maizière enthalten?
({16})
Das Abkommen, das wir am Montag zu behandeln hatten, ist aus der Sicht des Datenschutzes zu unperfekt, um
ihm zuzustimmen; es ist aber aus der Sicht der Terrorbekämpfung zu wichtig, um es abzulehnen. Deswegen war
die Enthaltung das Richtige.
({17})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Eva Högl für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was für Pirouetten man hier drehen kann!
Aber ich beginne mit Europa. Gestern war ein wirklich guter Tag für Europa: Der Vertrag von Lissabon trat
in Kraft. Damit haben wir eine super Rechtsgrundlage:
mehr Bürgernähe, mehr Transparenz, mehr Demokratie,
verbindliche Grundrechte und eine klare Zuweisung der
Kompetenzen. Das ist ein wirklicher Erfolg, den Europa
feiert.
Was aber leistet sich der Rat der Innenministerinnen
und Innenminister, und die deutsche Bundesregierung
beteiligt sich daran? Einen fulminanten Fehlstart und
eine gezielte Missachtung
({0})
nicht nur des Europäischen Parlaments, sondern auch
der Bürgerrechte. Einen schlechteren Start für den Vertrag von Lissabon hätte es nicht geben können.
({1})
Gerade das SWIFT-Abkommen wäre eine Möglichkeit
und eine gute Gelegenheit gewesen, das Vertrauen der
Bürgerinnen und Bürger in die Europäische Union und
in die jetzt auch auf der europäischen Ebene garantierten
Bürgerrechte zu stärken; aber das Gegenteil ist der Fall.
Wir haben mit dem Vertrag von Lissabon erreicht,
dass die wichtigen Bereiche der Justiz- und der Innenpolitik endlich vergemeinschaftet werden und das Europäische Parlament endlich mitentscheiden kann. Das ist
eine wichtige Errungenschaft; denn hierbei geht es immer um Rechtsschutz und Bürgerrechte. Damit werden
diese wichtigen Bereiche nicht mehr hinter verschlossenen Türen, sondern öffentlich verhandelt und beraten.
Mit dem Beschluss des Innenministerrates vom
Montag wird aber der Vertrag von Lissabon genau einen
Tag vor seinem Inkrafttreten bewusst ignoriert und das
Europäische Parlament gezielt missachtet. Das, sehr geehrter Herr Kollege Uhl, als Stärkung des Parlaments
hinzustellen und das Parlament als Herr des Verfahrens
zu bezeichnen, ist - gestatten Sie, wenn ich das sage einigermaßen absurd.
({2})
Mit diesem abenteuerlichen Vorgang wird das Vertrauen
der Bürgerinnen und Bürger in die Europäische Union
und in die europäische Demokratie nicht gestärkt, sondern mit Füßen getreten. Wenn jetzt nachträglich vereinbart wurde, dass das Europäische Parlament sich auch
noch äußern darf, ist klar, dass dieser Geburtsfehler nie
wieder gutgemacht werden kann und dass es vom guten
Willen des Rates abhängt, ob das Parlament beteiligt
wird.
({3})
Ich möchte an dieser Stelle jedoch nicht nur das Verfahren kritisieren - und da gibt es viel zu kritisieren -,
sondern auch den Inhalt des Abkommens. Das SWIFTAbkommen stellt einen gravierenden Eingriff in die
Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger dar. Das sagen
nicht nur Datenschützerinnen und Datenschützer, das
sagt auch die Kreditwirtschaft, das sagt der BDI, und das
sagt nicht zuletzt der Landesgruppenvorsitzende der
CSU im Europäischen Parlament.
({4})
Die Bundesregierung selbst führt es aus in ihrer Erklärung, warum sie dem Abkommen nicht zustimmen
konnte: Wichtige Fragen des Datenschutzes - Löschung
und Verwendung der Daten, gerichtlicher Rechtsschutz seien nur befriedigend geregelt; deshalb habe sie nicht
zustimmen können. Wenn die Bundesregierung zu diesem Ergebnis gekommen ist, hätte sie sich niemals enthalten dürfen; denn es war völlig klar, dass sie mit ihrer
Enthaltung ermöglicht, dass das SWIFT-Abkommen unterzeichnet wird und in Kraft treten kann. Wenn die Bundesregierung festgestellt hat, dass Grundrechte nicht
ausreichend geschützt sind, wäre es ihre Pflicht gewesen, dieses Abkommen zu verhindern.
({5})
Ich stelle auch fest - mit Blick auf die Bundesministerin der Justiz -, dass der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien bereits wenige Tage nach seinem Inkrafttreten obsolet ist.
({6})
Im Koalitionsvertrag steht nämlich eine deutliche Passage zu SWIFT: dass ein hohes Datenschutzniveau gefordert ist.
Ich habe gelesen, dass die Bundesministerin der Justiz
diesem Abkommen nicht zugestimmt hätte, dass es gegen ihren Willen zustande gekommen sei. Frau Bundesministerin, ich darf Sie fragen: Wo waren Sie in dieser
Debatte, wo waren Sie, als es um den Schutz der Grundrechte ging?
({7})
Wir erinnern uns noch an Ihren Rücktritt im Zuge der
Debatte um den großen Lauschangriff. Wir werden das
nicht vergessen. Wir hatten damals großen Respekt vor
Ihnen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Jetzt haben
Sie bereits, bevor Sie überhaupt angefangen haben zu regieren, eine empfindliche Niederlage erlitten. Es ist einigermaßen abenteuerlich, wenn sich die Bundesregierung
an dem wichtigen Punkt „Datenschutz und Bürgerrechte“ so erbärmlich präsentiert und auch von der FDP
nichts als heiße Luft kommt.
({8})
Ich komme zum Fazit: Die Bundesregierung schert
sich weder um den so wichtigen Vertrag von Lissabon
noch um die Grund- und Bürgerrechte. Es wurde erneut
eine wichtige Chance vertan, Europa der Bevölkerung
näherzubringen und eine bürgernahe Politik zu machen.
Ich hoffe sehr, dass wir, wenn es um die Ratifizierung
geht, hier im Bundestag zeigen, wie wichtig uns die Bürgerrechte und der Datenschutz sind. Ich hoffe natürlich
auch sehr, dass das Europäische Parlament dies ebenso
deutlich macht und dieses Abkommen ablehnt und der
Rat sich dann daran hält. Sie als Bundesregierung fordere ich auf: Korrigieren Sie Ihren Kurs zum Wohle aller
Europäerinnen und Europäer.
Herzlichen Dank.
({9})
Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Gisela
Piltz.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr von Notz, ich will Ihnen, weil das heute Ihre Jungfernrede war - herzlichen Glückwunsch auch von uns
dazu -, einmal zugutehalten, dass Sie vergessen haben,
was unter Rot-Grün im Bereich der Bürgerrechte alles
umgefallen ist:
({0})
Luftsicherheitsgesetz, Terrorismusbekämpfungsgesetz,
Sie haben das Bankgeheimnis aufgegeben und das erste
Fluggastdatenabkommen verhandelt. Ihr Außenminister
ist das gewesen.
({1})
Sich jetzt hier hinzustellen und zu sagen: „Wir haben immer alles für Bürgerrechte getan“, ist so etwas von unredlich, dass das wirklich auf keine Kuhhaut mehr geht.
({2})
Die Zustimmung des Rates der EU zum SWIFT-Abkommen stellt die FDP nicht zufrieden; das muss man
ganz deutlich sagen.
({3})
Auch die Begeisterung der CSU hält sich ja tatsächlich
in Grenzen; das ist hier allen bekannt. Insbesondere fehlt
ein effektiver Rechtsschutz,
({4})
die Löschungsfristen sind mit fünf Jahren zu lang,
({5})
Auskunfts- und Berichtigungsrechte sind nicht vorgesehen. Das wollen wir in Zukunft ändern.
({6})
Wir teilen die Bedenken der Datenschützer und auch der
deutschen Wirtschaft. - Frau Künast, Lautstärke ersetzt
kein Argument.
({7})
Das wollte ich Ihnen schon immer einmal sagen.
({8})
Ein Traumstart für den Datenschutz sieht in der Tat
anders aus; das wissen wir. Aus unserer Sicht ist es kein
überzeugendes Argument, ein schlechtes Abkommen zu
schließen, um überhaupt eines zu haben.
({9})
Gäbe es das Abkommen nicht, könnten die USA natürlich auch über Rechtshilfeersuchen Daten abfragen;
({10})
das muss man einmal ganz klar sagen.
({11})
Aus unserer Sicht bestand auch keine Eile. Man hätte
sich gut und gerne die Zeit nehmen können, das Abkommen noch einmal besser nachzuverhandeln. Es tritt ja
erst am 1. Februar 2010 in Kraft.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, auch
Sie können hier so laut brüllen, wie Sie wollen: Dieses
Ei haben Sie uns ins Nest gelegt.
({13})
Sie haben das zu verantworten - nicht diese Regierung,
sondern die Vorgängerregierung.
({14})
Erfunden hat das der SPD-Finanzminister Steinbrück
und nicht ein Minister dieser Regierung. Sie haben zwei
Jahre lang keinen Ton zu SWIFT gesagt.
({15})
Sie haben zwei Jahre lang den Mund gehalten. Sich jetzt
hier so aufzublasen, ist eine Unverschämtheit für den
Datenschutz; das muss hier einfach einmal gesagt werden.
({16})
Wir haben hier Ihre Erblast übernommen, und Sie haben, obwohl die schwedische Ratspräsidentschaft noch
vor drei Wochen erklärt hat, es werde nicht nachverhandelt, den Mund wieder nicht aufgemacht. Wir haben mit
unserer Ministerin und dem Druck aus unserer Fraktion
erreicht, dass wenigstens noch nachgebessert worden ist.
Das müssen Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen.
({17})
Es ist immer noch besser gelaufen als mit Ihnen. Das
muss man hier einfach einmal klar und deutlich sagen.
({18})
Es ist so: Es endet in neun Monaten. Wir erwarten
von der Regierung und insbesondere von Ihnen, Herr
Bundesinnenminister, dass Sie das in unserem Sinne
nachverhandeln. Das ist unsere hohe Erwartung an Sie.
({19})
Wir helfen Ihnen dabei und sind, ebenso wie die CSU
und, ich denke, auch die CDU, an Ihrer Seite. Das gilt
auch für Ihre Fraktion im Europäischen Parlament.
Eines muss man Ihnen von der SPD aber auch noch
sagen: Das Europäische Parlament hat jetzt die Gelegenheit, Ja oder Nein zu sagen.
({20})
So, wie ich das gehört habe, hat Ihre SPD-Fraktion im
Europäischen Parlament im Moment nicht die Traute,
Nein zu sagen. Auch das ist etwas, woran sich die SPD
in Sachen Datenschutz messen lassen muss.
({21})
Hier im Bundestag die Klappe aufzureißen, aber in Brüssel nicht zu springen, bringt dem Datenschutz nichts.
({22})
Wenn Sie Verantwortung übernehmen müssen, tun Sie es
nicht. Aber dann hier die anderen anzugreifen, ist billig.
Das hätte ich Ihnen als Opposition gar nicht zugetraut.
({23})
Der Kollege Binding hat vor zwei Jahren gesagt - ich
darf das noch einmal aufgreifen -, dass Sie den Deutschen Bundestag mit einbeziehen wollten. Ich habe es
nicht erlebt, dass wir als Deutscher Bundestag zum
SWIFT-Abkommen gefragt worden sind. Wir werden
das jetzt nachholen. Wir werden den Deutschen Bundestag mit einbeziehen. Schönen Gruß an Herrn Binding:
Im Gegensatz zu Ihnen und Ihren Kollegen setzen wir
das um, was wir ankündigen.
({24})
Wie schon gesagt: Ein Traumstart für den Datenschutz sieht anders aus. Aber wir haben vier Jahre Zeit,
den Datenschutz in Deutschland zu verbessern.
Im Sport - ich komme gerade aus dem Sportausschuss - wird beim ersten Fehlstart nicht gleich disqualifiziert, sondern verwarnt.
({25})
Danach geht es wieder an die Linie, und es wird erneut
gestartet. Wir als FDP erwarten vom Bundesinnenminister, dass er jetzt beim Datenschutz aufs Tempo drückt.
Das haben Sie uns persönlich versprochen, sowohl beim
Arbeitnehmerdatenschutz als auch bei der Stiftung Datenschutz. Wir nehmen Sie beim Wort. Verlassen Sie
sich darauf.
({26})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
US-Terrorfahnder und -Geheimdienste können weiterhin
auf sensible Bank- und Kontodaten von EU-Bürgerinnen
und -Bürgern zugreifen. Lange Zeit taten sie dies illegal.
Nun dürfen sie das legal. Das ist des Pudels Kern. Das
ergibt sich aus dem SWIFT-Abkommen, das jetzt beschlossen wurde. Die Linke hat diesen geheimen Datenzugriff immer abgelehnt, und wir tun das auch weiterhin.
({0})
Nun wird behauptet, das SWIFT-Abkommen zwischen der EU und den USA sei besser als gar kein Abkommen. Außerdem habe man ein wenig mehr Datenschutz vereinbaren können. Für mich klingt das wie „ein
bisschen schwanger“. „Ein bisschen schwanger“ gibt es
aber nicht. Das sollte sich selbst bis ins Bundeskabinett
herumgesprochen haben.
Das SWIFT-Abkommen legalisiert einen massiven
Einbruch in den Datenschutz. Verbriefte Bürgerrechte
werden damit außer Kraft gesetzt. Ich halte das für verfassungswidrig. Verfassungsminister de Maizière hat das
zugelassen und damit alle Lobreden der neuen Regierungskoalition auf Besserung beim Datenschutz getilgt.
Ich finde, das ist ein böses Omen.
({1})
Außerdem wird verniedlicht, die Laufzeit des Abkommens betrage ja nur neun Monate; danach könne ein
neuer Vertrag kommen. Zur Erinnerung: Das belgische
Unternehmen SWIFT wickelt täglich rund 15 Millionen
Finanztransfers ab. Das macht binnen neun Monaten
rund 4,2 Milliarden Transaktionen. Das Wörtchen „nur“
ist daher völlig fehl am Platz.
Im Vorfeld der SWIFT-Vereinbarung gab es sogar
eine seltene Eintracht hier im Hause. Eine Mehrheit im
Bundestag schien dagegen, ebenso im Bundesrat. Datenschützer warnten, ebenso die Wirtschaft und selbst Banken. Es zeichnete sich also eine deutliche gesellschaftliche Mehrheit gegen dieses Abkommen ab. Diese
Mehrheit wurde ignoriert. Das ist Basta-Politik pur.
Man braucht auch nicht zu orakeln, warum der Rat
der Innenminister das SWIFT-Abkommen wenige Stunden vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages durchgezogen hat. Das EU-Parlament sollte ausgeschaltet werden.
Dasselbe trifft übrigens auf den Bundestag zu.
Niemand muss sich daher wundern, wenn der allgemeine Demokratieverdruss zunimmt. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger fühlen sich ohnmächtig und ausgeliefert. Das SWIFT-Abkommen sowie die Art und
Weise, wie es zustande kam, nährt solche Stimmungen
zusätzlich.
Kurzum: Die erste greifbare Tat der neuen CDU/
CSU-FDP-Regierung führt zu weniger Datenschutz und
weniger Demokratie. Das ist fürwahr bemerkenswert.
Nun lese ich, dass die Justizministerin gegen das Abkommen war und es auch weiterhin kritisiert. Das nehme
ich der Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger sogar ab.
Sie hat in den 90er-Jahren schon einmal bewiesen, dass
ihr libertäre Grundsätze wichtiger sind als ein Ministerposten.
Was aber ist eigentlich mit dem Vizekanzler und Bundesaußenminister? Kollege Notz, Sie haben völlig recht:
Noch vor wenigen Wochen hat Guido Westerwelle als
FDP-Vorsitzender verkündet: „Ich bin die Freiheitsstatue
der Bundesrepublik Deutschland“.
({2})
- Ganz bestimmt. - Rund um das SWIFT-Abkommen
habe ich nichts von der Freiheitsstatue gehört. Es ist übrigens ganz normal, Kollege Notz, dass wir von dieser
nichts gehört haben; denn Statuen sprechen nicht. Sie
fallen bestenfalls vom Sockel, und das ist offenbar erneut passiert.
({3})
Zurück zu Ihnen, Herr Minister de Maizière. Sie haben auf die deutsche Bündnispflicht gegenüber den USA
verwiesen. Ich kenne allerdings kein Bündnisrecht, das
unser Grundgesetz außer Kraft setzt. Wohin ein solcher
Bündnisschwur führen kann, erleben wir seit Jahren in
Afghanistan. Auch deshalb bleibt die Linke dabei: Das
SWIFT-Abkommen ist ein Gift-Abkommen. Wir lehnen
es ab.
({4})
Das Wort hat nun der Bundesminister des Innern,
Dr. Thomas de Maizière.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Kollegen Uhl und Piltz haben schon etwas
zu den Sozialdemokraten gesagt. Es tut mir ein bisschen
leid, weil wir mit den Sozialdemokraten in gemeinsamer
Regierungsverantwortung waren und natürlich zu all
dem stehen, was da beschlossen wurde. Aber wo Frau
Piltz recht hat, hat sie recht.
({0})
Es ist nicht nur der Kollege Steinbrück, der sich im Rahmen der deutschen Präsidentschaft mit einer einseitigen
Zusicherung der Amerikaner zufriedengegeben hat, sondern es war auch der deutsche Außenminister, der im
Sommer 2009 für den Europäischen Rat das Mandat gegeben hat, ein solches Abkommen auszuhandeln, und
zwar binnen eines halben Jahres. Damals war völlig unklar, ob der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt oder nicht.
({1})
- Ganz ruhig, Herr Wiefelspütz! Ich rede über den Zeitplan. - Wir in der damaligen Koalition, Herr Steinbrück,
Herr Steinmeier und ich, tragen auch Verantwortung für
diesen Zeitplan. Deswegen finde ich das, was die Sozialdemokraten hier machen, geradezu aberwitzig, weil sie
so tun, als ob sie bis vor wenigen Wochen nicht in der
Regierung gewesen wären.
({2})
Das Abkommen hält sich im Übrigen im Rahmen dieses
Mandats, das wir in der Regierung gemeinsam abgesprochen hatten, und führt sogar zu weiteren Verbesserungen.
Frau Pau, Ihre ganze Argumentation beruht auf der
Behauptung, es gebe weiterhin Zugriff. Das trifft nicht
zu. Dieses Abkommen sichert gerade im Verhältnis zum
jetzigen Zustand, dass es keinen Zugriff mehr gibt. Zugriff gab es in den USA, wo der Server steht. Nun gibt es
keinen Zugriff mehr, sondern ein Ersuchen bei einem nationalen Mitgliedstaat, Daten zu bekommen. Es ist etwas
ganz anderes, ob man zugreifen kann oder ob man fragt,
ob man Informationen bekommt.
({3})
Anders als jetzt gibt es eine enge Zweckbindung. Es
gibt zudem keine Rasterfahndung. Die Löschungsfristen
von fünf Jahren sind lang; das hat Frau LeutheusserSchnarrenberger kritisiert. Das ist wahr. Aber ich will
schüchtern daran erinnern, dass für unsere Banken intern
ebenfalls Löschungsfristen von fünf Jahren gelten. Im
deutschen Geldwäschegesetz steht, dass die Banken eine
Aufbewahrungsfrist von fünf Jahren einzuhalten haben.
Ganz abwegig ist also eine Löschungsfrist von fünf Jahren nicht. Bevor man andere Staaten kritisiert, sollte man
bei sich selber anfangen.
({4})
Wir haben nun gerichtlichen Rechtsschutz, was es
bisher überhaupt nicht gab. Es gibt keinen Rechtsschutz
in Amerika. Das ist wahr und nicht zufriedenstellend.
Aber es gibt zum ersten Mal gerichtlichen Rechtsschutz
über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg; das ist
gut. Zudem gibt es eine Überprüfung nach sechs Monaten.
({5})
- Darf ich vielleicht einmal ausreden? Ich kann auch einfach weiterreden, und Sie quatschen weiter dazwischen.
Es gibt also eine Überprüfung nach einem halben
Jahr. Zum ersten Mal haben wir - unter Beteiligung europäischer Datenschutzbeauftragter - die Möglichkeit,
in den Vereinigten Staaten zu überprüfen, ob dieses Abkommen eingehalten wird oder nicht. Das ist nach unserer Meinung nicht gut genug, aber das hat es noch nie
gegeben und ist deswegen prinzipiell gut. Wir haben darüber hinaus noch weitere Verbesserungen erreicht, auch
nach der Koalitionsvereinbarung. Das betrifft insbesondere den Punkt, dass sämtliche Zahlungsverkehre im Euroraum nicht Gegenstand dieses Abkommens sind. Das
sind nun einmal die allermeisten,
({6})
die die europäischen Bürger betreffen. Wir haben die
Frist auf neun Monate verkürzt. Darüber ist schon geredet worden.
Jetzt will ich noch etwas zum Parlament sagen. Das
Europäische Parlament kann sich selber wehren, aber ich
will es noch einmal sagen. Erstens haben wir, die alte
Regierung, und der Europäische Rat das Mandat für ein
halbes Jahr ausgehandelt, als noch völlig unklar war,
wann der Lissabonner Vertrag gilt. Zweitens habe ich
selbst nach dem Brief des schwedischen Ministerpräsidenten an den polnischen Parlamentspräsidenten über
die Frage der Konsultation im Europäischen Rat gefragt:
Was heißt das denn jetzt, wenn der schwedische Ministerpräsident sagt, das Parlament werde konsultiert? Dann hat der Juristische Dienst des Europäischen Rats
mitgeteilt, dass das nach Auffassung des Rats bedeutet,
dass das Europäische Parlament von sich aus, also ohne
dass das Europäische Parlament nachfragt, konsultiert
wird und das Europäische Parlament dann nach Art. 218
Abs. 6 des Lissabon-Vertrages die Möglichkeit hat, Ja
oder Nein zu sagen. Ich bin mit Frau Piltz ganz gespannt, wie die sozialistische Fraktion dann entscheidet.
({7})
Das ist ein neuer Fortschritt, den wir herbeigeführt haben,
({8})
und das ist eine Reaktion auf die Kritik gewesen.
Wenn man das alles in allem bewertet, so muss ich sagen, Frau Pau: Es gibt keine Bündnispflicht, es gibt aber
Bündnistreue. Deswegen sage ich Ihnen, dass nach unserer Auffassung die Zusammenarbeit mit den USA in allen Fragen der Terrorbekämpfung für Deutschland und
die Europäische Union zur Aufrechterhaltung unserer
öffentlichen Sicherheit essenziell ist
({9})
und deswegen einen hohen politischen Wert hat. Das war
der erste Grund, warum ich im Ergebnis das Abkommen
habe passieren lassen. Das ist aber nicht der einzige
Grund gewesen. Der zweite Grund ist: Nach meiner
Auffassung ist dieses Abkommen nicht vollständig befriedigend, aber es erhöht den Datenschutz erstens gegenüber der bisherigen faktischen Lage. Damit, mit Verlaub, ein Wort an die Grünen, obwohl es schon länger
her ist, dass Sie regiert haben: Ich habe von Ihnen nie etwas darüber gehört, dass es einen Zugriff auf Daten in
den Vereinigten Staaten von Amerika gab. Zweitens erhöht es den Datenschutz gegenüber der zukünftigen
rechtlichen Lage, weil ab 1. Februar 2010 nur das allgemeine EU-Rechtshilfeabkommen gelten würde, und dieses Abkommen schränkt dieses Rechtshilfeabkommen
zugunsten des Datenschutzes ein. Für die Bürger der EU
ändert sich an dem Datenschutzniveau durch dieses Abkommen nichts, aber wir erhöhen den Datenschutz für
das, was in Amerika passiert. Das, glaube ich, kann sich
insgesamt sehen lassen.
({10})
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des InnernBundesminister Dr. Thomas de Maizière
Regierungspolitik - Oppositionspolitik ist etwas anderes - hat mit Verhandeln, Abwägen und Entscheiden
zu tun. Oppositionspolitik hat etwas damit zu tun, dass
man gegen eine Wand läuft und so tut, als gäbe es das
nicht.
({11})
- Frau Künast, ich habe durch meine Enthaltung natürlich eine Entscheidung mit herbeigeführt. Da rede ich
gar nicht drumherum. Normalerweise wirkt eine Enthaltung so, als ob man keine Entscheidung trifft. Mir war
klar, dass diese Enthaltung deutlich macht, dass wir das
nicht gut genug finden, aber ein solches Abkommen passieren lassen können.
Nun will ich, Frau Piltz, gern hier öffentlich sagen,
dass ich - auch gemeinsam mit der FDP und diesem Parlament - alles tun will, um das Datenschutzniveau und
auch den Datenschutz allgemein, wie ich an anderer
Stelle deutlich gemacht habe, zu verbessern. Ich will nur
sagen: Das geht ab jetzt mit qualifizierter Mehrheit. Ich
habe mich im Europäischen Rat umgeschaut. Wir hätten
keine qualifizierte Mehrheit gegen dieses Abkommen
zustande bekommen.
({12})
Das ist jetzt keine Kritik am Lissabon-Vertrag. Wir haben sogar wegen des Einstimmigkeitsprinzips mehr erreicht, als wir vielleicht mit qualifizierter Mehrheit hätten erreichen können.
({13})
Ich sage das nicht, weil wir uns nicht alle Mühe geben
wollen. Nur, ob mit der Regelung des Lissabon-Vertrags
die selbstbewusste Wahrnehmung deutscher Interessen
in der Innen- und Rechtspolitik immer leichter ist als mit
dem Einstimmigkeitsprinzip, werden wir noch sehen.
({14})
Darüber werden wir hier noch engagierte Debatten führen. Wir werden noch oft die Unterstützung der Sozialdemokraten und der Grünen im Europäischen Parlament
und hier brauchen. Ich hoffe, wir bekommen sie dann
auch, wenn wir jetzt so verhandeln, dass es ab 1. Januar
2011 ein Abkommen gibt, das uns alle zufriedenstellt
und das Datenschutzniveau noch weiter erhöht.
Herzlichen Dank.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Gerold Reichenbach
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, zunächst einmal muss man eines
klarstellen: Es geht nicht um das, was in der Vergangenheit passiert ist. Der betreffende Server im Jahr 2007
stand in den USA und befand sich damit im Rechtsraum
der Vereinigten Staaten. Einer der Gründe, warum Wirtschaft, Banken und auch die europäischen Länder darauf
gedrängt haben, dass er physisch in den europäischen
Bereich kommt - nach Belgien und in die Schweiz -,
war, dass wir dann die Möglichkeit haben, auf diesen
Server zuzugreifen, die Rahmenbedingungen festzulegen und zu bestimmen, welche Daten dort gespeichert
werden.
Jetzt haben wir eine andere Situation. All das, was Sie
beschrieben haben - auch in Ihrer Begründung zum Beschluss -, alles, was die Kollegin Piltz von der FDP eben
vorgetragen hat, macht doch deutlich, dass der Zweck,
den Datenschutz gegenüber dem, was vorher in den
USA passiert ist, zu erhöhen, nicht erreicht wird, weil
man das Tor wieder aufgemacht hat.
({0})
Frau Piltz, ich darf Sie selbst zitieren. Sie haben eben
gesagt: Wo Sie die Möglichkeiten haben, tun Sie nichts;
aber hier die anderen angreifen, das ist billig. Genau das
war Ihre Strategie.
({1})
Wir haben in diesem Hause erlebt, dass die FDP in der
Debatte über die Regierungserklärung nach dem Prinzip
vorgegangen ist: Früher gab es keinen Datenschutz, und
wir werden in der Regierung jetzt einmal zeigen, wie
Datenschutz aussieht. Sie sind dazu mit einer profilierten
Ministerin angetreten. Sie, Frau Piltz, haben hier, auch
unter Beschimpfung der Vorgängerregierung, große
Sprüche gemacht. Wenn ich mir jetzt anschaue, was
übrig geblieben ist, Frau Ministerin, dann fühle ich mich
an Heinrich Hoffmann erinnert: „… und die Mutter blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum“, aber sonst an
nichts.
({2})
Sie treten in einer Koalition an und wollen den Datenschutz profiliert vorantreiben. Angesichts dessen erwarte
ich, Frau Ministerin, dass Sie dazu nicht nur unverbindlich in der Presse, sondern auch hier im Parlament Stellung nehmen und deutlich machen, wo die Differenzen
zwischen Ihnen und dem Innenminister liegen.
({3})
Ich frage mich: Wurde es im Bundeskabinett thematisiert, und wie war die Position der liberalen Minister
dazu?
Eines ist doch völlig klar - Sie haben es eben deutlich
gemacht -: Natürlich bedeutete diese Enthaltung faktisch - das wusste jeder, der dementsprechend handelte die Ermöglichung, dass dieses Abkommen zustande
kommt,
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des InnernBundesminister Dr. Thomas de Maizière
({4})
und deswegen soll man sich dabei nicht herumdrücken.
Im Vorfeld habe ich vonseiten der FDP großsprecherische Aussagen gehört: Das ist die Koalitionsfrage; das
wird mit uns nicht zu machen sein. Schauen Sie sich die
heutigen Kommentierungen aus der Wirtschaft, aber
auch der eigenen Parteifreunde in den Medien an! Im Internet habe ich folgende Aussage Alvaros gefunden:
Ich stelle mir die Frage, ob de Maizières Alleingang
im Rat den Gepflogenheiten demokratischer Traditionen noch entspricht.
({5})
Das sagt Ihr eigener Parteikollege im Europaparlament,
und dennoch tragen Sie das hier im Parlament mit.
({6})
Ich könnte noch eins draufsetzen, Herr Uhl. Ihr Kollege Elmar Brok sagte vorgestern Abend auf Phoenix
wortwörtlich - ich bitte, zitieren zu dürfen, ohne mir
eine Ermahnung einzufangen -: „Das ist eine ausgemachte Sauerei.“
({7})
Dann wird auch deutlich, dass man an dieser Stelle, vielleicht weil man aus irgendwelchen Gründen glaubte, gegenüber den Vereinigten Staaten Bündnistreue leisten zu
müssen, vorschnell eingeknickt ist.
Ich kann nur in Richtung FDP sagen: Wir haben zu
Beginn dieser Legislaturperiode nicht nur erlebt, wie in
Rekordzeit ein Minister ausgewechselt wurde, sondern,
Frau Piltz und liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, wir haben hier auch erlebt, wie in Rekordzeit aus
einem Datenschutztiger ein Bettvorleger geworden ist.
({8})
Ich frage mich hier schon, wo der liberale Lautsprecher,
der heute Vizekanzler ist, geblieben ist. Das Handelsblatt schreibt dazu: „Umso mehr war der Außenminister
gefragt.“ Wenn es stimmt, dass auch Druck seitens der
Amerikaner dahintersteht - der Innenminister hat es ja
indirekt bestätigt, indem er sagte, wir sind in der Bündnispflicht -, dann ist der Kommentierung des Handelsblattes, das ja nun wirklich kein sozialdemokratisches
Kampfblatt ist,
({9})
zuzustimmen:
Dann hätte er nicht nur als liberaler Politiker, sondern auch als Staatsmann versagt.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
({10})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Christian
Ahrendt das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Stärke unserer Fraktion ist, dass wir hier
eingestehen, dass wir von dem SWIFT-Abkommen, das
am Montag in Brüssel auf den Weg gebracht worden ist,
enttäuscht sind.
({0})
- Doch. Ihr Problem ist - das hat man ja vorhin an der
Rede von Herrn Reichenbach gemerkt -: Sie befinden
sich sozusagen im Zustand einer stärker werdenden Amnesie. Das ist die Diagnose.
({1})
Das können Sie auch bei den Grünen beobachten. Die
sind immer noch im Zustand der Amnesie. Deswegen
schicken sie in dieser Debatte auch einen jüngeren Redner nach vorne.
({2})
- Eben, Frau Künast, das ist ja das Kernproblem: Brüllen ersetzt keine Argumente.
({3})
Gleichwohl wird man zwei Dinge auch in Richtung
des Bundesinnenministers kritisieren müssen.
({4})
Das Erste ist, dass man zu früh darüber gesprochen
hat, man werde sich möglicherweise enthalten. Wir alle
wissen, wie Verhandlungen in Brüssel laufen. Solche
Verhandlungen werden oftmals in Nachtsitzungen zu anderen Ergebnissen geführt, als man sie vorher erwartet
hat. Wenn man deutlich mit einem Nein gedroht hätte,
wäre in diesem Abkommen nach meiner Meinung auch
mehr Datenschutz erreichbar gewesen, als erreicht worden ist. Dass überhaupt etwas erreicht worden ist, verdanken wir unserer Bundesjustizministerin, die in der
vergangenen Woche klar Wort für mehr Datenschutz in
diesem Abkommen geführt hat, und der FDP-Fraktion,
die das auch klar gesagt hat. Das ist unser Erfolg. Das
kann an dieser Stelle auch mit Recht gesagt werden.
({5})
Ich teile auch nicht das Argument, dass ein schlechtes
Abkommen besser sei als gar kein Abkommen. AbkomChristian Ahrendt
men, die man schließt, haben immer Folgewirkungen,
weil man mit demjenigen, der mit dem Abkommen für
sich eine positive Grundlage erreicht hat, dann erst erneut verhandeln muss, dass er diese wenigstens zum Teil
wieder aufgibt. Deswegen haben Sie mit Ihrer Entscheidung in Brüssel auch eine Bringschuld übernommen: Sie
stehen in der Pflicht, in den künftigen Verhandlungen,
die es nach Ablauf der Frist für SWIFT geben wird, für
mehr Datenschutz, nämlich Datenschutz auf dem Niveau, das wir hier in Deutschland haben, in diesem Abkommen zu sorgen. Das ist die Bringschuld, die Sie gegenüber der FDP-Fraktion, aber auch gegenüber diesem
Haus, dem Datenschutz und den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland haben.
({6})
Ein zweiter Aspekt, über den man, wie ich glaube,
nicht so leicht hinweggehen kann - er ist hier allgemein
kritisiert worden -, ist der Umstand, dass man dieses Abkommen tatsächlich wenige Stunden bevor der Vertrag
von Lissabon in Kraft getreten ist verabschiedet hat. Es
wäre gut gewesen, wenn sich der Ministerrat hier zurückgenommen hätte. Es wäre gut gewesen, wenn man
das Europäische Parlament entsprechend in die Debatte
eingebunden hätte.
({7})
Datenschutz berührt Grundrechte. Das Europäische Parlament hat eine hohe Legitimation. Es ist in freien und
gleichen Wahlen gewählt worden, und es ist damit auch
Quelle der Legitimation für Entscheidungen, die in
Grundrechte eingreifen. Das hätte man bedenken müssen. Wenn Sie diesen Gedanken ins Feld geführt hätten,
dann hätten Sie auch ein Nein zu dem SWIFT-Abkommen sehr gut begründen können, ein Nein, das Ihnen
auch als Verfassungsminister gut zu Gesicht gestanden
hätte.
Ich sage das noch einmal: Wir sind von dem Abkommen enttäuscht. Es wird jetzt darauf ankommen, mit dem
Europäischen Parlament bessere Ergebnisse zu erreichen. Dazu kann die Fraktion der SPD mit ihren Kollegen im Europaparlament einen Beitrag leisten. Ich gehe
einmal davon aus, dass sich Frau Lambrecht und Herr
Reichenbach persönlich dafür einsetzen werden, dass
ihre Abgeordneten im Europaparlament gegen SWIFT
stimmen werden - das ist eine Möglichkeit, die unsere
Verhandlungen und unser Druck mit Blick auf dieses
Abkommen eröffnet haben -, und dann wollen wir einmal sehen, wie Sie sich an dieser Stelle positionieren.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Josef Philip Winkler
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Der 30. November 2009 geht als schwarzer Tag für die Bürgerrechte und die parlamentarische
Demokratie in die Geschichte der Europäischen Union
ein. Schuld daran sind zwei Fraktionen in diesem Hohen
Hause, die die Regierung tragen, nämlich die FDP- und
die CDU/CSU-Fraktion. Das muss ich nach dieser Debatte noch einmal deutlich betonen.
({0})
Herr Kollege Ahrendt, wenn Sie sich hier schon als
parlamentarischer Hilfsdiagnostiker betätigen und bei
einzelnen Fraktionen des Hauses Amnesie diagnostizieren, muss ich Ihnen sagen: Was Sie hier gezeigt haben,
war mindestens ein Fall von politischer Schizophrenie,
aber im schwersten Stadium.
({1})
Unter Ausschluss jeglicher parlamentarischer Mitbestimmung wurde durch die Enthaltung von dem Herrn
Bundesinnenminister ein Datenschutz-Dumping eingeleitet, das nur noch schwer aufzuhalten ist. Mit dieser
Entscheidung wurde den USA ein Blankoscheck ausgestellt, mit dem unser Grundrechtsschutz zur leeren Hülle
zu werden droht. Dabei hilft es überhaupt nicht, Herr
Minister, dass Sie sagen, es sei nur ein Interimsabkommen. Fakt ist doch: Der SWIFT-Server war in den USA
gewesen, und dieses Unternehmen hat gesagt: Wir wollen dem Zugriff durch die amerikanischen Behörden
nicht ausgeliefert sein. Deswegen wollen wir nach Belgien gehen. - Und wie reagieren Sie darauf? Sie handeln
- und wollen uns das allen Ernstes als Verbesserung des
Datenschutzes verkaufen - ein Abkommen mit den USA
aus, das unsere Standards unterläuft.
({2})
Sie können als Innenminister nicht ernsthaft erwarten,
dass wir das als Begründung akzeptieren.
({3})
Herr Kollege Uhl, es ist doch eindeutig, dass es die
Entscheidungsmöglichkeiten des Europaparlamentes einschränkt, wenn Sie jetzt in Verhandlungen mit der amerikanischen Seite einsteigen und Verbesserungen und Veränderungen an Stellen durchsetzen wollen, die Sie nicht
für richtig halten, die wenige Monate zuvor im Europäischen Rat noch eine Mehrheit gefunden haben. Das können Sie doch nicht allen Ernstes als Verbesserung der
Möglichkeiten der parlamentarischen Begleitung durch
das Europaparlament verkaufen, wie Sie das vorhin hier
gemacht haben. Erkundigen Sie sich einmal bei Ihren
Kolleginnen und Kollegen im Europaparlament;
({4})
die werden sich für diese Art der Interpretation herzlich
bedanken!
Es handelt sich um einen würdelosen Vorgang. Es ist
quasi eine Beleidigung des europäischen Parlamentarismus, diese Entscheidung einen Tag - genauer gesagt
fünf Stunden - vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages
herbeizuführen.
({5})
Das war Ihre erklärte Absicht und die erklärte Absicht
der Bundesregierung und des Europäischen Rates, egal
was Sie hier vorgetragen haben. Sie wollten es entschieden haben, damit die Mitglieder des Europäischen Parlaments ihre angemessene Kritik nicht in einer rechtlich
bindenden Form einbringen können. Das finde ich schäbig.
({6})
Nun zur FDP-Fraktion. Frau Piltz hat hier kraftvoll
vorgetragen. Hätten Sie nur so kraftvoll in Bezug auf
Ihre Ministerin oder in Richtung des Innenministers vorgetragen!
({7})
Dann hätten wir - ebenso wie die Bürgerrechte in
Deutschland und in Europa - alle mehr davon, als wenn
Sie jetzt kraftvolle Zwischenrufe machen und kraftvolle
Reden halten. Reden Sie doch einfach einmal mit Ihrem
Koalitionspartner über solche Themen!
({8})
Haben Sie denn keine Koalitionsrunde? Wofür gibt es
das denn? Ich nehme es Ihnen schlicht und ergreifend
nicht ab, dass dieses Thema ein Kernthema Ihrer Politik
ist; denn Sie haben selber bewiesen - der Innenminister
hat sich nämlich enthalten -, dass Ihnen das wurscht ist.
({9})
Frau Justizministerin, Sie und Ihre gesamte Partei haben Ihren Wählerinnen und Wählern eine Renaissance
der Bürgerrechte versprochen. Das ist aber keine Renaissance, das ist allenfalls - wenn man es gut meint - Biedermeier: Rückzug ins Private vor dem bösen Koalitionspartner im Staate.
({10})
- Frau Präsidentin, das ist ein Fall für Sie. Wenn Herr
Grindel von Brandstifter spricht, dann hat man das Gefühl, er habe zu oft in den Spiegel geschaut. Aber egal.
({11})
Es hilft den Bürgerrechten nichts, wenn sie in Sonntagsreden auf Parteitagen der FDP und in der FDP-Fraktion verteidigt werden, von der Bundesregierung aber
entsprechende Maßnahmen nicht ergriffen werden, um
für ein Abstimmungsverhalten zu sorgen, das der Meinung der FDP wenigstens ansatzweise entspricht.
Sie haben sich nicht durchgesetzt. Sie sollten in Zukunft vielleicht etwas kleinlauter argumentieren.
({12})
Sie sind mit Sicherheit nicht die Anwälte und Anwältinnen der Bürgerrechte. Wer solch einen Anwalt hat, dem
kann man wirklich nur raten, den Anwalt zu wechseln.
Herzlichen Dank.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Armin Schuster für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Opposition diskutiert in diesem Zusammenhang
seit einer Stunde in erster Linie Verfahrens- und Datenschutzfragen.
({0})
Ich möchte Ihre geschätzte Aufmerksamkeit gerne auf
einen entscheidenden Aspekt lenken, der mir sehr wichtig ist, nämlich die Frage: Was kommt eigentlich innenpolitisch hinten heraus, wenn man das Abkommen umsetzt?
Erstens. Wir erhalten - dieser Punkt kommt mir in
dieser Debatte zu kurz - wertvolle Anhaltspunkte zur internationalen Terrorismusfinanzierung, zu Zielpersonen
in Deutschland, zu Strukturen und Hintermännern, worauf man auf gar keinen Fall verzichten kann. Das ist
auch keine blanke Theorie. Wir haben in den vergangenen Jahren Meldungen über circa 100 relevante Treffer
der Amerikaner erhalten, die für uns in diesem entscheidenden kriminalpolizeilichen Feld sehr wichtig sind.
({1})
Zweitens. Ich bleibe dabei, egal was die Damen und
Herren der Opposition sagen: Wir erhalten mit diesem
Abkommen ein verbindliches Datenschutzniveau,
({2})
das im Zusammenhang mit SWIFT-Datenauswertungen
seit acht Jahren in Deutschland so noch nie bestanden
hat. Das ist ein Erfolg.
({3})
Armin Schuster ({4})
Der Zweck des Abkommens besteht darin, die finanziellen Beatmungssysteme des internationalen Terrorismus zu identifizieren und auf diese Weise Kenntnis von
Verdachtsfällen zu bekommen und Fahndungshinweise
zu erhalten. Das hat sich seit Jahren in der Praxis bewährt, war aber datenschutzrechtlich nach deutschen
Maßstäben kaum bis gar nicht geregelt.
Das heute diskutierte Abkommen legt jetzt endlich
verbindliche juristische Standards für diese Praxis fest.
Von 2001 bis 2004 gab es eine amerikanische Selbstbedienung. Das hat hier keinen Menschen gestört.
({5})
Ich muss Sie nicht daran erinnern, wer zu dieser Zeit regiert hat. Seit 2007 arbeiten wir datenschutzrechtlich mit
einer von Herrn Steinbrück akzeptierten einseitigen, vorläufigen Zusicherung der USA - eine tolle Konstruktion -,
datenschutzrechtliche Mindeststandards gegebenenfalls
einzuhalten. Da waren wir, gemessen an der Entrüstung,
die bei Ihnen jetzt ausbricht und die ich überhaupt nicht
verstehe, verdammt großzügig.
({6})
- Herzlichen Dank für die Information. Aber ich recherchiere auch sehr gut.
({7})
Meine Damen und Herren, wir beenden diesen Zustand. Wir haben wesentliche Forderungen des Bundesrates in das Abkommen übernommen. Beispielsweise
sind Missbrauchsvorkehrungen verankert. Der Zugriff
der US-Fahnder ist nur bei konkretem Terrorverdacht
gestattet.
({8})
Dies prüft die belgische Behörde, bei der um eine Datenübermittlung ersucht werden muss, bevor man an die
Daten herankommt. Zudem sind Echtzeitprüfungen im
Rahmen von SWIFT vorgesehen. Dies alles sind recht
große Hürden.
Jetzt kommt das Entscheidende: Außer Griechenland,
Ungarn und Österreich hätte kein anderer europäischer
Partner bei solchen Hürden mitgemacht. Wir haben geradezu Glück, dass wir mit dieser Enthaltung das Ganze
durchbekommen haben; wenn es hier um eine Mehrheitsentscheidung gegangen wäre, hätten wir es auf diesem Niveau nie durchbekommen, obwohl der französische Richter bei internationalen Prüfungen feststellt: Ihr
braucht euch keine Sorgen zu machen; dieses System
wird von den Amerikanern sicher angewandt. Das haben
wir erreicht!
Für mich ist das ein klarer Verhandlungserfolg. Ich
betone: Wir sind auf dem Weg zu den hohen deutschen
Datenschutzstandards, von denen wir einige Europäer
noch überzeugen müssen. Ich wiederhole: Wir sind auf
dem Weg und noch nicht am Ziel.
({9})
Der Weg dorthin beginnt mit ersten Schritten. Folgendes
unterscheidet uns in allen Politikfeldern: Wir wissen,
was wir wollen, und Sie wissen, was Sie nicht wollen.
({10})
Deswegen ergreifen wir Maßnahmen und gehen die ersten Schritte. So erreichen wir auch unsere Ziele.
({11})
Wir wollen die Strukturen weltweit agierender Terrororganisationen identifizieren. Dafür sind internationale
Finanzermittlungen unverzichtbar. Deshalb war die Enthaltung Deutschlands in Brüssel für mich in dreifacher
Hinsicht goldrichtig:
Erstens. Wir haben weiterhin klare Verhältnisse in der
Terrorismusbekämpfung und bleiben ein zuverlässiger
Partner im transatlantischen Bündnis.
Zweitens. Wir haben dem Recht auf informationelle
Selbstbestimmung des Einzelnen in Deutschland deutlich mehr Geltung verschafft, als das in den vergangenen
Jahren der Fall war.
Drittens. Wir haben in der Europäischen Union und
gegenüber den USA ein klares Ausrufungszeichen gesetzt, dass wir die kommenden Monate nutzen werden,
um im endgültigen Abkommen deutsche Datenschutzstandards noch stärker zu betonen.
({12})
Diese Lösung ist verantwortungsvoll, europäisch und
praktikabel. Das ist Politik für die Wirklichkeit.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({13})
Herr Kollege Schuster, dies war Ihre erste Rede in
diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich dazu und
wünsche Ihnen für Ihre weitere Arbeit eine glückliche
Hand, viel Freude und Erfolg.
({0})
Nun hat das Wort die Kollegin Christine Lambrecht
für die SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich darf meinem Vorredner zu seiner ersten
Rede hier im Parlament gratulieren. Ich kann ihm aber
nicht zu dem Inhalt gratulieren, den er hier vorgetragen
hat. Herr Schuster, Sie haben gesagt, es seien die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass Daten nur dann
übermittelt werden, wenn ganz konkrete Verdachtsgründe benannt worden seien. Dazu kann ich nur sagen:
Sie hätten sich, insbesondere in Vorbereitung für Ihre allererste Rede hier im Parlament, die Mühe machen sollen zu recherchieren, und hätten vielleicht, wie dies zumindest bei Juristen üblich ist, einen Blick in das Gesetz
werfen sollen. An dieser Stelle würde ich Ihnen raten,
Art. 5 Abs. 2 des Abkommens nachzulesen. Dort steht
nämlich, dass auf der Grundlage bereits vorliegender Informationen oder Beweisinformationen, die die Annahme stützen, dass der Gegenstand der Abfrage einen
Bezug zu Terrorismus oder Terrorismusfinanzierung hat,
eine Datenübermittlung möglich ist. Mit Verlaub, mit
konkreten Verdachtsmomenten hat es nun wirklich
nichts zu tun, wenn ich das alles auf die Annahme stütze.
({0})
Ich würde also ausgerechnet in der ersten Rede nicht einen solchen Quatsch erzählen.
Zu den Beiträgen der Redner aus der neuen Koalition
muss ich sagen: Man hat nicht gemerkt, dass die FDP
mittlerweile in der Regierungsverantwortung ist. Frau
Piltz hat im üblichen Reflex SPD und Grüne beschimpft
({1})
und Behauptungen aufgestellt. Herr Ahrendt hat sich
dann darauf eingeschossen, den CDU-Minister zu kritisieren und ihm zu erklären, was alles falsch gelaufen ist.
Vielleicht haben Sie es noch nicht gemerkt: Sie sind mit
in der Regierungsverantwortung und müssen dann auch
dafür stehen.
({2})
- Wir waren es; aber Sie sind es jetzt. Deswegen müssen
Sie sich das, was Sie einmal ausgesagt haben, anrechnen
lassen. Sie hätten ansonsten nicht in Ihrem Koalitionsvertrag festschreiben dürfen, dass Sie beim SWIFT-Abkommen ein hohes Datenschutzniveau, also strikte
Zweckbindung und Löschen der Daten, wollen.
({3})
- Sie wollen das erreichen. Wir reden über Sie, nicht
über uns. Sie sind an der Regierung, wir leider nicht; da
haben Sie recht. Es ist schade, dass wir nicht in der Verantwortung stehen, aber das ist nun einmal so.
({4})
Es bringt uns nicht weiter, dass Sie im Koalitionsvertrag
festschreiben, sich für einen „effektiven Rechtsschutz“
und „klare Regelungen bezüglich Weitergabe“ der Daten
an Drittstaaten einzusetzen, wenn am Ende überhaupt
nichts dabei herauskommt.
({5})
Wer am 27. September die FDP gewählt hat, weil er
allen Ernstes geglaubt hat, sie stehe für das, was sie verspricht, nämlich für Bürger- und Freiheitsrechte sowie
Datenschutz, kann heute die Augen schließen. Das, was
er dann sieht, das hat er bekommen, nämlich nichts.
Schauen Sie sich einmal an, was Sie hier erreicht haben!
({6})
- Sie haben mehr erreicht als wir; denn wir sind nicht in
der Regierung, da haben Sie völlig recht. So langsam hat
man den Eindruck, Sie hätten schon die Nase voll davon,
in der Verantwortung zu stehen. Es wird aber wahrscheinlich noch eine Weile so weitergehen, dass Sie sich
anhören müssen, wo Ihre Fehler liegen. Herr Ahrendt,
Sie haben diese Aufgabe selbst übernommen: Sie übernehmen die Aufgabe der Opposition, indem sie uns erklären, was Herr de Maizière bei den Verhandlungen alles falsch gemacht hat. Da kann ich nur sagen: Schade,
dass Sie das nur hier erklären; die zuständige Ministerin
hätte es im Kabinett deutlich erklären und dafür sorgen
müssen, dass es zu entsprechenden Konsequenzen
kommt.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, in der ersten Debatte, die wir hier geführt haben, sind Sie aus den Reihen
der Opposition auf SWIFT angesprochen worden. Sie
haben dann gesagt: „Warten Sie einmal ab …!“ Alles,
was wichtig sei, komme noch in das Abkommen
hinein. - Sie können das im Plenarprotokoll nachlesen.
Heute muss ich sagen: Sie haben nichts erreicht. Damals
haben Sie also nur Nebelkerzen geworfen und den Eindruck erweckt, Sie seien eine tatkräftige Ministerin, die
jetzt hier eingreife.
Was passiert heute? Nachdem Sie nichts erreicht haben, versprechen Sie uns, bei der nächsten Runde werde
alles besser und Sie würden dafür sorgen, dass der Datenschutz eingehalten wird. Ich muss Ihnen sagen: Die
Vorschusslorbeeren sind zu Unrecht an Sie gegangen.
Mittlerweile haben Sie Ihre Position, für die Sie gewählt
wurden und wegen der Sie persönlich ein hohes Ansehen
hatten, über Bord geworfen. Es geht nur noch darum, zusammenzubleiben und keinen weiteren Krach in der
Koalition hervorzurufen. Nach den Vorgängen der letzten Woche ist es kein Wunder, dass man auf Gedeih und
Verderb versucht, zusammenzuhalten.
Wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Das
ist ein Affront gegen alle Menschen, die sich darauf verlassen haben, dass Sie sich für Datenschutz einsetzen. Es
ist ein Affront gegen das Europäische Parlament. Das ist
wirklich eine Unverschämtheit und eine schwarze
Stunde für Freiheitsrechte, Bürgerrechte und den Datenschutz.
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Manfred Kolbe für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Vertreter der Arbeitsgruppe Finanzen meiner Fraktion interessieren sich in dieser Debatte insbesondere für
folgende Aspekte: Wie sehen die Finanzwirtschaft und
die Banken, aber auch die übrige Wirtschaft das SWIFTAbkommen? Man muss zugeben, dass sich ihre Vertreter
eindeutig geäußert haben. Ich zitiere den Zentralen Kreditausschuss, der am Montag mitteilte: Wir bedauern die
heute in Brüssel übereilt getroffene Entscheidung über
die Weitergabe von Bankkundendaten an die USA. Die
datenschutzrechtlichen Bedenken sind damit nicht gelöst. Die USA können damit weiter auf Bankdaten europäischer Bürger zugreifen. Das EU-Parlament hätte in
die Entscheidung einbezogen werden müssen. Wir setzen uns dafür ein, dass das Übergangsabkommen nach
den neun Monaten wieder aufgeschnürt und neu verhandelt wird.
({0})
Auch die deutsche Wirtschaft hat ihre Befürchtungen.
Ich zitiere den Hauptgeschäftsführer des BDI, Werner
Schnappauf:
Wir warnen vor der Gefahr, dass Unternehmen ausspioniert werden. … Aus dem Zahlungsverkehr von
Unternehmen lassen sich Rückschlüsse auf Märkte,
Vertragspartner und Geschäftsvolumina ziehen.
Man muss klar sagen: Diese Bedenken der Banken
und der Wirtschaft müssen wir ernst nehmen.
({1})
Wahr ist aber auch - das haben schon einige Vorredner gesagt -: Erstens. Dieses SWIFT-Abkommen ist besser als kein Abkommen. Das sieht auch die Kreditwirtschaft so.
({2})
Seit 2001 haben die amerikanischen Behörden Kontodaten europäischer Bürger abgerufen, ohne dass hierzulande irgendeine staatliche Stelle Einfluss auf den Umgang mit diesen Daten hatte. Meine Damen und Herren
von den Grünen, 2001 waren Sie an der Regierung.
Auch wenn der Server damals in den USA stand, hätten
Sie das innerhalb Ihrer Regierung thematisieren können.
Das haben Sie nicht getan. Wir thematisieren das heute.
({3})
Zweitens. Es ist gemeinsames Anliegen Europas und
der USA, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Das Abkommen enthält deshalb erstmals eine umfassende Zweckbindung an die Terrorismusbekämpfung
und effektive Missbrauchsvorkehrungen, und das ist
richtig so. Künftig wird deshalb die Datennutzung an
enge Tatbestandsvoraussetzungen gebunden. Abfragen
aus der Datenbank des US-Finanzministeriums sind nur
noch zu Personen zulässig, die aufgrund vorliegender Informationen im Verdacht auf Verbindung mit dem Terrorismus stehen. Weitergehendes, etwa eine Rasterauswertung, ist unzulässig.
({4})
- Das ist auch ein Erfolg des Interimsabkommens.
Drittens. Es handelt sich um ein Interimsabkommen
für neun Monate. Diese neun Monate müssen wir nutzen, um ein besseres Abkommen auszuhandeln. Dafür
gelten dreierlei Aspekte.
Erster Aspekt. Sicherheit und Freiheit gehören in einer offenen Gesellschaft untrennbar zusammen. Deshalb
stehen bei der Aufdeckung und Verfolgung der Finanzierung terroristischer Straftaten die Bürgerrechte nicht zur
Disposition.
Zweiter Aspekt. Das gilt auch für den Schutz sensibler Bankdaten. Vertrauliche Finanztransaktionen bilden die Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung. Es
muss sichergestellt sein, dass die Gefahr von Wirtschafts- und Industriespionage ausgeschlossen wird.
({5})
Dritter Aspekt. Wir brauchen eine substanzielle Beteiligung des Europäischen Parlaments und der nationalen
Gesetzgebungsorgane sowie ein transparentes Verfahren,
in dem all diese Punkte erörtert werden.
({6})
In diesem Sinne werden wir uns sowohl in der Arbeitsgruppe Finanzen als auch in der Fraktion einsetzen.
Danke.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Clemens Binninger für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Sinn und Zweck dieses
Abkommens ist es, die Finanzierung des Terrorismus
aufzudecken und ihn zu bekämpfen. Heute Nachmittag
war viel die Rede davon, dass dieses Abkommen ein Anschlag auf die Bürgerrechte sei. Es wurde vieles behauptet, was nicht zutrifft, beispielsweise dass pauschale
Abfragen möglich seien. Ich sage Ihnen: Es wäre ein
Anschlag auf die Bürgerrechte, wenn wir es versäumen
würden, die Finanzierung des Terrorismus zu bekämpfen.
({0})
Das, was Innenminister de Maizière in diesem Abkommen verhandelt hat, mag nicht allen genug sein, aber
es ist ein beachtlicher Erfolg. Er hat erreicht, dass es eine
klare Zweckbindung gibt. Nur bei Terrorverdacht dürfen
Abfragen gemacht werden. Er hat erreicht, dass es Datenschutzvorschriften gibt. Er hat erreicht, dass es Aufbewahrungsfristen und -pflichten gibt. Wer all das bestreitet, dem empfehle ich, Art. 5 dieses Abkommens zu
lesen, in dem eine ganze Reihe von Punkten aufgenommen worden ist, die vorher nicht Gegenstand des Abkommens waren. Das ist ein Erfolg für den Datenschutz
und für die Bürgerrechte. Das verdanken wir dem Verhandlungsgeschick unseres Bundesinnenministers. Das
muss man festhalten.
({1})
Man kann offen sagen: Es ist vielleicht nicht genug.
({2})
Es gibt auch aus unseren Reihen Stimmen, die sich dafür
aussprechen, dass man nachverhandeln sollte. Aber es
gehört zur Ehrlichkeit dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, festzuhalten, dass 23 von 27 EU-Nationen diese
Verschärfungen nicht wollten. Offensichtlich reicht
23 Ländern das Datenschutzniveau, das nun festgeschrieben ist. Wir sind zwar nicht dabei, aber es gehört
zur Ehrlichkeit dazu, das zu akzeptieren und keine Erwartungen zu wecken, die hinterher nicht erfüllt werden
können.
Warum es diesen 23 Staaten reicht, hat vielleicht auch
mit einem Prüfbericht zu tun, den die Europäische Union
im Jahr 2008 in Auftrag gegeben hat. Ein neutraler Sachverständiger, ein französischer Richter, wurde beauftragt, das Verfahren bezüglich datenschutzrechtlicher
Vorschriften zu überprüfen. Er hat zwei Erkenntnisse in
seinen Bericht hineingeschrieben:
Erstens. Die Datenschutzvorschriften, zu denen sich
die USA verpflichten, werden zweifelsfrei eingehalten.
Zweitens, und das ist das Interessante für uns: Von
dieser Praxis profitieren vor allen Dingen EU-Staaten,
die pro Jahr mehrere Treffer zur Terrorfinanzierung bekommen - Kollege Schuster hat darauf hingewiesen und Anschlussermittlungen durchführen können. Wer
das negiert, redet gegen unsere Sicherheit und tut dem
Datenschutz überhaupt keinen Gefallen.
({3})
Jetzt wird immer wieder gesagt, der Minister hätte mit
Nein stimmen sollen. Damit hätte er das gesamte Abkommen aufgehalten. Warum ist das keine Alternative?
Was wäre denn dann passiert? Dann hätten wir keinen
rechtlichen Rahmen gehabt. Dann wäre der Zustand, den
wir hatten, geblieben.
({4})
Dann hätte es eine einseitige Verpflichtung gegeben.
Dem Datenschutz wäre überhaupt nicht gedient gewesen, wenn der Minister Nein gesagt hätte. Es war richtig,
dass er das nicht aufgehalten hat. Jetzt haben wir einen
verbindlichen Rahmen, der sehr viel besser ist als das,
was wir all die Jahre davor hatten.
({5})
Ich glaube, dass man einigen Kritikern aus den rotgrünen Reihen heute Nachmittag einmal den Spiegel
vorhalten muss.
({6})
Die Praxis, Bankdaten auf Anhaltspunkte zur Terrorfinanzierung zu durchsuchen, gibt es seit acht Jahren,
seit 2001. Sie ist eine Folge der UNO-Resolution 1373,
in der diese Maßnahmen bei Zustimmung aller Vertragspartner festgeschrieben wurden. Sie wurden vier Jahre
lang praktiziert, ohne Abkommen, ohne Regeln, ohne irgendetwas. Wer hat damals regiert? Das war Rot-Grün.
Das hat Sie nicht interessiert.
({7})
- Herr Wieland, Sie haben gesagt, dass Sie das nicht gewusst haben. Es ist ja noch schlimmer, wenn Sie vier
Jahre lang regiert und nichts gewusst haben.
({8})
Aber das hat bei Ihnen ja eine gewisse Tradition. Wenn
Rot-Grün im Rahmen der Terrorbekämpfung Gesetze
gemacht hat, waren sie immer handwerklich unsauber
oder eher falsch.
({9})
Das Luftsicherheitsgesetz war verfassungswidrig, die
Onlinedurchsuchung wollten Sie per Erlass anordnen,
und bei den SWIFT-Daten haben Sie schlicht und einfach fünf Jahre gepennt.
({10})
Jetzt haben wir eine Vereinbarung, die den Datenschutz festschreibt. Das ist ein Verhandlungserfolg unseres Innenministers. Das Europäische Parlament ist gerade nicht außen vor.
({11})
Auf dieser Grundlage können wir weiterarbeiten. Ein
vertragsloser Zustand wäre das Schlechteste gewesen,
was wir hätten erreichen können, sowohl für unsere Sicherheit als auch für den Datenschutz. Deshalb völlige
Zustimmung zum Abstimmungsverhalten des Ministers
und Zustimmung zu dem, was er in dieser schwierigen
Situation verhandeln konnte.
Herzlichen Dank.
({12})
Damit sind wir am Schluss der Aktuellen Stunde und
am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 3. Dezember 2009,
9 Uhr, ein.
Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.