Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
begrüße Sie alle herzlich.
Unser Kollege und Vizepräsident Dr. Hermann Otto
Solms feiert heute seinen 70. Geburtstag.
({0})
Aus diesem Anlass ist das Präsidium des Bundestages
bereits heute früh zu einer Sondersitzung zusammengetreten,
({1})
in der mir die Anregung vorgetragen wurde, ob ich aus
diesem besonderen Anlass ausnahmsweise die Glückwünsche in Reimform vortragen könnte. Ich fand die
Anregung plausibel, habe davon aber Abstand genommen wegen des strikten Prinzips der Gleichbehandlung,
auch wenn ich die Fröhlichkeit ahne, die eine solche
künftige Dauervariante im Plenum des Deutschen Bundestages erzeugen könnte.
Lieber Hermann Otto Solms, ganz herzliche Gratulation zu diesem Ehrentag, verbunden mit allen guten
Wünschen für die nächsten Jahre und dem Dank für eine
besonders gute, freundschaftliche Zusammenarbeit in
den 30 Jahren, die Sie nun dem Deutschen Bundestag
angehören.
({2})
Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt, dass die ehemalige
Kollegin Monika Griefahn ihr Amt als stellvertretendes
Mitglied im Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bun-
des aufgibt. Als Nachfolger wird der Kollege Siegmund
Ehrmann vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege
Ehrmann als stellvertretendes Mitglied in den Stiftungs-
rat der Kulturstiftung des Bundes gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-
dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-
geführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP VI
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kulturelle Bildung von Bundesseite nachhaltig
fördern - Auflegung eines Förderprogramms
„Jugendkultur Jetzt“
- Drucksache 17/3066 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({3})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Hans-Josef Fell,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Atommüllexport nach Russland
- Drucksache 17/3854 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der FPD
Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Sechste Gesetz zur Änderung des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksachen 17/41, 17/137, 17/143, 17/355 Die Tagesordnungspunkte VI b und c werden abgesetzt.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Der in der 69. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz
Kuhn, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Menschenwürdiges Dasein und Teilhabe für
alle gewährleisten
- Drucksache 17/3435 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({6})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist offen-
sichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt I - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2011 ({7})
- Drucksachen 17/2500, 17/2502 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({8}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014
- Drucksachen 17/2501, 17/2502, 17/3526 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({9})
Otto Fricke
Roland Claus
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
- Drucksachen 17/3504, 17/3523 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Petra Merkel ({10})
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz ({11})
Wir werden über den Einzelplan 04 später namentlich
abstimmen. Zuerst findet aber die Aussprache statt.
Dazu ist zwischen den Fraktionen eine Zeit von dreieinhalb Stunden vereinbart worden. - Auch dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion das Wort.
({12})
Herr Kollege Solms, auch von mir einen ganz herzlichen Glückwunsch. Wenn ich Sie anschaue, dann muss
ich schließen, dass dieser Bundestag der reinste Jungbrunnen sein muss. Freuen wir uns alle darüber.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Hoffnung macht sich breit in Deutschland,
({1})
Hoffnung, dass die Krise überstanden ist, dass der Aufschwung länger anhält als nur ein paar Monate. Wir alle
wünschen uns parteiübergreifend und fraktionsübergreifend, dass diese Hoffnung in Erfüllung geht. Auch auf
der Regierungsbank macht sich Hoffnung breit, aber
eine andere Hoffnung, die Hoffnung nämlich, dass die
Erinnerung verblasst und dass die Menschen vergessen,
was diese Koalition seit der Bundestagswahl tagtäglich
angerichtet hat und weiter anrichtet.
({2})
Aber ich sage Ihnen voraus: Diese Hoffnung wird vergebens sein, sie wird sich als Kinderglaube erweisen. Die
Menschen - das wissen Sie doch am besten -, die Sie
vor einem Jahr gewählt haben, haben vielleicht von politischer Führung oder von der Einlösung von Wahlversprechen geträumt. Was haben sie bekommen? Einen
Albtraum, Regierungschaos ohne Ende.
({3})
So viel Durcheinander, so viel Orientierungslosigkeit, so
viel Unernst war noch nie.
({4})
- Ja, und dagegen haben wir etwas getan, lieber Herr
Kollege Kauder. ({5})
Der Schreck darüber, wie sich das im Augenblick darstellt, sitzt tief bei vielen Menschen. Der Schreck hält an.
Gerade in der Krise 2008 und 2009 haben die Menschen
doch erfahren, dass man sich in einer solchen Situation
auf eine Regierung mit Ernsthaftigkeit, mit Kompetenz
und mit Verantwortung verlassen kann. Das ist gerade
einmal anderthalb Jahre her. Da ist wieder Vertrauen
entstanden, das vorher verloren gegangen war. Das Dramatische ist doch, dass diese Koalition innerhalb eines
Jahres dieses frisch gewachsene Vertrauen restlos verschleudert hat.
({6})
Die Menschen haben gesehen, dass es darauf ankommt,
wer in einer Regierung ist, nicht darauf, dass es eine
gibt. Sie haben in den letzten Monaten erfahren, dass es
auch anders sein kann, dass es Regierungen gibt, die um
den eigenen Bauchnabel kreisen, statt sich um die wirklichen Aufgaben zu kümmern, und die schamlos - das
taten Sie zu Beginn Ihrer Regierungszeit - die eigene
Klientel bedienen, statt sich um das Gemeinwohl zu
kümmern. Das hat sich tief bei den Menschen eingebrannt.
({7})
Sie alle reden ganz gerne von den bürgerlichen Tugenden. Das haben wir in diesem ersten Jahr gemerkt.
Alle, die dort sitzen, hätten viele Gelegenheiten gehabt,
jeden Tag des ersten Jahres dieser Regierungszeit diese
Tugenden zu leben: Mut, Verlässlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Pflichtbewusstsein, Fairness und Loyalität untereinander - ich könnte die Aufzählung fortsetzen. Aber
will jemand in diesem Saale wirklich ernsthaft behaupten, das seien die Markenzeichen dieser Regierung?
({8})
Die Menschen lachen doch inzwischen, wenn sie das hören. Wenn Sie von bürgerlichen Tugenden reden, ist das
eine Karikatur. Das können Sie nicht ernst meinen.
({9})
Sie, Frau Merkel, überschätzen Ihre Lage. Vergangene Woche haben Sie gesagt: Der Stil war vielleicht
verbesserungsfähig, aber die Ergebnisse stimmen.
({10})
Sie haben auch noch die Frechheit besessen, diese Plattitüde in einem Brief millionenfach in allen Zeitungen abzudrucken.
({11})
Dann haben Sie in diesem Brief geschrieben: „Jetzt
geht der Blick nach vorne.“ „Sapperlot!“, habe ich gedacht, „So will sie sich also aus der Affäre stehlen.“ Ich
finde, das ist auf der einen Seite dreist, auf der anderen
Seite ignorant. Ich spüre doch: Die Menschen wollen im
Augenblick keine neuen Versprechungen hören, nicht
eine, nicht zwei, nicht drei, nicht vier. Was sie vielmehr
erwarten, das ist eine Erklärung für das Trauerspiel, das
wir in diesem ersten Jahr erlebt haben. Sie wollen wissen, wann diese Koalition endlich in der Regierung ankommt und warum man Ihnen glauben soll, dass es besser wird.
Aber es wird doch nicht besser; das haben wir doch
letzte Woche gesehen. Vor dem Koalitionsausschuss haben Sie selbst Ankündigungen gemacht. Sie haben die
Öffentlichkeit informiert, was dort angeblich alles auf
der Tagesordnung steht. Aber als Sie zusammengesessen
haben, als es ernst wurde, gab es dann wieder einen
Komplettausfall. Das, was ich schon gesagt habe, gilt:
Aus dem Herbst der Entscheidungen, den Sie angekündigt haben, ist wieder einmal eine Woche der Vertagung
geworden. Diese Art von Regierungsverweigerung,
diese Art von Führungsverweigerung können wir diesem
Land nicht noch drei Jahre zumuten.
({12})
Wer sich den Brief einmal ein bisschen genauer angeschaut hat, den Sie da haben abdrucken lassen, der ahnt
ungefähr, warum das alles so weitergeht. Das beginnt
schon mit dem Zeitpunkt, zu dem dieser Brief abgedruckt worden ist. Ich weiß nicht, ob es das jemals gab.
Ich finde es unglaublich, dass hier Steuergeld benutzt
wird, um einen Parteitag der CDU zu finanzieren und zu
promoten.
({13})
Das ist leider nicht der einzige Widerspruch, auf den
ich hier in diesem Hause hinzuweisen habe. Wir reden
über den Haushalt. Der vorgelegte Haushalt sieht eine
Neuverschuldung von 48 Milliarden Euro vor. Gleichzeitig versprechen Sie in diesem Brief, Sie wollten in
diesen Tagen solide Finanzen sichern. Ich fordere Sie,
meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, auf, erst einmal die Millionenausgaben für diese
teuren Anzeigenkampagnen zu sparen, mit denen Sie
Ihre eigenen parteipolitischen Ziele promoten. Dafür ist
das Geld nicht vorgesehen.
({14})
Außerdem steht in diesem Brief: „Wir sparen an vielen Stellen, aber nicht an der Zukunft.“ Hier im Bundestag, Frau Merkel, haben Sie in jeder Plenarsitzung die
Chance, Politik zu erklären, und das ganz kostenlos. Da
oben sitzen Journalisten, die schreiben das sogar auf,
auch kostenlos. Ihr Risiko ist nur: Sie werden nachprüfen, ob das stimmt, was Sie hier sagen.
({15})
Sie werden morgen schreiben: Das, was Sie hier als
Haushalt vorlegen, bedeutet die zweithöchste Nettoneuverschuldung in der Geschichte der Republik; trotz Wirtschaftsboom mehr Schulden als unter Theo Waigel am
Ende der Regierung Kohl, und damals war immerhin
noch die deutsche Einheit zu finanzieren.
Wir müssen unseren Blick aber nicht nur auf diesen
Haushalt, sondern auch auf die mittelfristige Finanzplanung richten. Milliardenschwere Löcher sind jetzt
schon abzusehen. Wann drohen wohl die größten Löcher? Genau im Jahr nach der nächsten Bundestagswahl
2014. Dann sind Luftbuchungen in der Größenordnung
von 11 Milliarden Euro vorgesehen: globale Minderausgaben, nicht ausreichende Mittel für die Bundeswehrreform, und so geht das weiter. Steuereinnahmen aus dem
Wachstum fallen Ihnen allen hier von den Regierungsfraktionen in den Schoß. Sie nehmen Luftbuchungen
vor. Das entspricht weder bürgerlicher Tugend, noch ist
es ehrlich.
({16})
Das Ganze ist auch kein Geheimnis. Ich sage das, um
gleich zu der Erklärung zu kommen, warum dieser
Haushalt so aussieht: Ich weiß natürlich, Frau Merkel,
dass viele in den Regierungsfraktionen, besonders von
Ihrem Koalitionspartner FDP, sich schon wieder an
Steuersenkungen orientieren. Wenn ich die Zeitungen
richtig lese, dann tun Sie selbst im Augenblick so, als
seien Sie dagegen. Aber ich wette, heimlich werden Sie
für das Wahljahr schon eine Steuersenkung vorbereiten.
Herr Schäuble legt - man erkennt es, wenn man genau
hinschaut - dafür ja schon Reserven an. Das geht nach
dem Motto: die Schuldenbremse ein bisschen aushöhlen,
42 Milliarden Euro mehr Spielraum für Schulden schaffen, um dann pünktlich im Wahljahr Steuersenkungen zu
machen.
Nur, das ist erkannt. Die Bundesbank, der Bundesrechnungshof, der Sachverständigenrat - sie alle mahnen. Hören Sie auf, an dieser Stelle zu tricksen. Wenn
Spielraum vorhanden ist, dann haben Sie die Neuverschuldung zu reduzieren. So ist das vorgesehen, so haben wir es gemeinsam in die Verfassung geschrieben.
({17})
Aber Fakt ist: Sie halten sich nicht daran, meine Damen
und Herren von der Regierung.
({18})
Das ist einer der Gründe, weshalb die Menschen Ihnen - das
spüren Sie doch - nicht glauben. Sie glauben Ihnen nicht
nach drei kompletten Kurswechseln innerhalb von sieben Jahren. Frau Merkel, vor sieben Jahren waren Sie
marktradikale Vorkämpferin beim Leipziger Programm.
Zu Zeiten der Großen Koalition wären Sie am liebsten
sozialdemokratischer gewesen als die Sozialdemokraten.
Ein Jahr später kommen Sie jetzt als neue Konservative
daher. Deshalb frage ja nicht nur ich mich, sondern fragen sich viele in der Öffentlichkeit: Was ist der Kompass? Wofür steht diese Regierung? Was ist das Ziel? Wo
wollen Sie hin? Was ist Ihre Vorstellung von Gesellschaft? Mal hü, mal hott und jeden Tag neuer Streit: mal
Brüderle gegen Röttgen, mal Westerwelle gegen
Guttenberg und immer Seehofer gegen alle. Dieser
kleinkarierte, eitle Profilierungsstreit statt ernsthafter
Politik verleidet den Menschen Politik, und das bringt
sie weg von der Politik. Das schadet allen, meine Damen
und Herren.
({19})
Reden und Handeln, das liegt halt bei dieser Regierung ein deutliches Stück auseinander, und diesen Widerspruch empfinden die Menschen doch. Herr Brüderle
klopft sich öffentlich auf die Schultern und sagt: Das,
was wir da haben - wir werden das heute ja noch ein
paarmal hören -, ist Aufschwung XXL.
({20})
- Dann können Sie gleich nochmal klatschen,
({21})
weil ich Ihnen sage: Derjenige, der so redet, hat gegen
alles gestimmt, was diesen Aufschwung begründet hat.
({22})
Er hat gegen das Konjunkturprogramm, gegen das Investitionsprogramm für Gemeinden, gegen die Brücke
für die Automobilindustrie und gegen das Kurzarbeitergeld gestimmt. Das alles hat funktioniert, aber es wäre
doch mit der FDP nicht gekommen. Das ist doch die
Wahrheit.
({23})
Dann kommt noch eines hinzu. Wir werden im Laufe
des heutigen Tages noch häufiger über Europa reden.
Auch da ein interessanter Blick auf Ihren Koalitionspartner, Frau Merkel, und, weil wir über Irland reden, auch
ein Blick auf Irland: Es war doch Ihr Koalitionspartner,
der hier in diesem Hause Irland immer zum Modellpartner in der Europäischen Union erklärt hat. Er hat erklärt,
daran müssten wir uns alle orientieren. Das war doch für
Sie von der FDP das leuchtende Beispiel für ungehinderten Wirtschaftsliberalismus. Dort gab es einen Regierungschef - nicht mehr lange - aus Ihrer eigenen Parteienfamilie. Ich bin froh, dass wir uns daran nicht
orientiert haben.
({24})
Ich bin froh, dass die FDP damals nicht in der Regierung
saß, sonst säßen wir heute in demselben Schlamassel wie
Irland.
({25})
Wir reden ja nicht nur über die Fraktionen hier im
Deutschen Bundestag, sondern auch über die Menschen,
für die Politik gemacht wird. Wenn diese Ihren Satz vom
„Aufschwung XXL“ hören, dann fragen sie sich doch:
Was bedeutet das eigentlich für mich? Wann kommt dieser Aufschwung XXL bei mir an? Was wird eigentlich
aus den Versprechen der Regierungsparteien, dass am
Ende mehr Netto vom Brutto übrig sein soll? Die wissen
doch inzwischen, dass das eine grandiose Täuschung
war. Sie wissen doch, dass sie zum 1. Januar nächsten
Jahres mehr Beiträge bezahlen müssen, aber nicht mehr
Netto haben werden.
Ich sage Ihnen mit Blick auf die Gesundheitsreform:
Da hätten wir keine Überhöhung mit bürgerlichen Tugenden gebraucht. Angebliche Gesundheitsreformen mit
Beitragserhöhungen hätten auch andere gekonnt.
({26})
Aber das ist ja noch gar nicht der Punkt, wenn es um Gesundheit geht. Der eigentliche Punkt ist ja, in welche
Richtung diese Reformschritte, die wir da gegenwärtig
erkennen, die aber den Namen „Reform“ nicht verdienen, wirklich gehen und welches Ziel damit verfolgt
wird. Das, was da gemacht wird, ist doch entgegen allen
Versprechungen alles andere als fair. Das ist - lassen Sie
es mich vorsichtig sagen - nicht mehr, aber auch nicht
weniger als die Aufkündigung des Solidarprinzips im
Gesundheitswesen. Darüber reden wir, und darüber müssen wir auch heute reden.
({27})
Ich erinnere mich noch sehr gut an die ersten Wochen
und Monate dieser Regierung: Es konnte Ihnen, noch bevor Sie wussten, wohin Sie wollten, gar nicht schnell genug gehen, das Beitragslimit für die Arbeitgeberseite
hier im Hause durchzusetzen. Die Folge davon haben
doch alle vor Augen. Sie wissen doch, was Sie tun. Alle
Lasten, alle künftigen Kostensteigerungen, sei es bei den
Arzneimitteln, sei es aufgrund einer besseren medizinischen Versorgung, all die steigenden Kosten lasten Sie
einseitig nur noch den Versicherten auf. Dazu kommen
Zusatzbeiträge. Dazu kommt das neu eingeführte Prinzip, in Vorkasse treten zu können. Wir werden dann,
wenn Sie Ihre angebliche Arbeit erledigt haben, nicht
mehr über dasselbe Gesundheitswesen reden. Was Sie
machen, ist die Aufkündigung des Solidarprinzips; das
schafft Patienten erster, zweiter und neuerdings sogar
dritter Klasse. Sie schwadronieren von Fairness. Ich sage
Ihnen, das ist verantwortungslos, was Sie da auf den
Weg bringen.
({28})
Nach dem Parteitag der CDU konnte man sehen, dass
sich viele Kommentatoren mit der Frage beschäftigten:
Warum kettet sich eigentlich die CDU, warum kettet sich
die Parteivorsitzende der CDU auf diesem Parteitag eigentlich an die FDP als Partner? Ich habe die kritische
Frage gar nicht verstanden. Für mich ist das völlig klar:
Für diese Politik - ich habe die Folgen eben beschrieben - gibt es keinen anderen Partner hier im Hause als
die FDP. Deshalb ist das doch alternativlos, wie sich
zeigt.
({29})
Ich finde, angesichts dessen, was wir gerade exemplarisch im Bereich der Gesundheitspolitik erleben - die
Folgen davon werden Sie in den nächsten Jahren noch
spüren -, sollten wir etwas nüchterner über bürgerliche
Tugenden reden. Wir sollten auch etwas nüchterner hinschauen, wenn Sie über Gemeinsinn reden, aber in
Wahrheit das Gegenteil tun.
Was nützt es dem Gemeinwohl - ich frage Sie noch
einmal allen Ernstes -, wenn wir nicht vorhandenen Verteilungsspielraum nutzen, nein, ausbeuten, um ein paar
Hotelbesitzern ein paar Millionen Euro zuzuwenden?
({30})
Was nützt es dem Gemeinwohl, wenn Sie vier Energieversorgern die Laufzeiten für deren Atomkraftwerke
verlängern?
({31})
Wie fördert es den Gemeinsinn, wenn Sie den Mindestlohn flächendeckend verweigern und denjenigen
Menschen, die 4 Euro verdienen, sagen: Das ist zwar bedauerlich, aber holt euch den Rest vom Amt und tretet da
als Bittsteller auf?
Wie stärkt es den Gemeinsinn, wenn Sie den Langzeitarbeitslosen den Rentenversicherungsbeitrag streichen?
Ich kann doch diese Liste mühelos fortsetzen. Schon
nach einem Jahr wird so deutlich: Das ist keine Politik
für mehr Gemeinsinn, sondern in allen Politikfeldern
gibt es politische Vorschläge und am Ende auch Gesetze,
mit denen Sie die Spaltung dieser Gesellschaft vertiefen.
Die Folgen davon können Sie beobachten.
({32})
Ich rede nicht von Stuttgart, und ich rede auch nicht
nur von Gorleben. Aber zumindest da kann man beobachten, dass die Menschen inzwischen ganz offenbar
Schwierigkeiten haben, parlamentarische Beschlüsse
und demokratische Verfahren zu akzeptieren.
Bezogen auf die Laufzeitverlängerung sage ich Ihnen:
Sie wird kein einziges Problem der Energieversorgung
der Zukunft lösen. Was Sie auslösen - da bin ich mir
völlig sicher -, ist Planungsunsicherheit in den nächsten
Jahren in der gesamten Energiewirtschaft. Sie verursachen Investitionsruinen bei den kleineren Energieversorgern, insbesondere bei den Stadtwerken. Frau Merkel,
Sie wissen schon jetzt: Sie werden selbst bei den unionsgeführten Ländern, spätestens aber beim Bundesverfassungsgericht mit diesem Gesetzesvorhaben scheitern.
All das ist schon jetzt absehbar.
({33})
Das sind aber nur die Konsequenzen im Bereich der
Energiepolitik.
Wenn wir über Demokratie und unser Gemeinwesen
reden, kommt es auch darauf an, welche Folgen dies abseits der Energiepolitik haben wird. Ich sage Ihnen: Sie
von den Regierungsfraktionen begreifen einfach nicht,
dass der Atomkonsens von 2000 die neue Energiepolitik
- Sie alle setzen sich drauf und tun so, als hätten Sie sie
erfunden - überhaupt erst möglich gemacht hat.
({34})
Sie reißen alte gesellschaftliche Großkonflikte, die dieses Land in den 80er- und 90er-Jahren fast zerrissen haben, ohne Not wieder auf.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie müssen begreifen: Die Menschen wollen eine
Energieversorgung ohne Atommüll; sie wollen jedoch
nicht den Rückmarsch in die 90er- oder 80er-Jahre. Da
bin ich völlig sicher.
({35})
Zum Schluss ein Wort zu Europa. Ich glaube, die
Lage ist ernst, und zwar nicht allein wegen Griechenland
und Irland. Ich schaue mit einiger Sorge auf das große
europäische Einigungswerk. Es liegt im Moment in Apathie. Die europäischen Führungsmächte sind aus meiner
Sicht nicht an Bord. Wo sie an Bord sind - in Klammern:
Deauville -, da haben die anderen nicht den Eindruck,
als ginge es um Europa.
Um da nicht missverstanden zu werden: Es ist völlig
klar, dass eine deutsche Bundeskanzlerin, eine deutsche
Regierung deutsche Interessen hat, die sie in Brüssel
vertreten darf und muss; das war immer so. Der Unterschied ist nur: Wir werden zurzeit offenbar nicht verstanden. Das kann doch nicht nur an den anderen liegen; dafür spricht wenig.
({36})
Das hängt offenbar damit zusammen, dass wir es mit den
taktischen Spielchen ein wenig übertrieben haben - ich
habe das schon einmal am Beispiel der Finanzmarktsteuer durchbuchstabiert -: Wir tun so, als würden wir
wollen, aber hintenherum sagen wir, dass es eigentlich
gar nicht unsere Absicht ist. Die anderen Länder merken,
wenn eine Regierung Nutzen daraus zieht, dass der Boulevard gegen die südeuropäischen Partner vom Leder
zieht. Die kleinen Länder werden vor den Kopf gestoßen, wenn man nicht auf Augenhöhe mit ihnen spricht.
Mir macht es Sorgen, wenn ich sehe, wie viel Empörung und Abneigung uns mittlerweile von vielen europäischen Partnern entgegenschlägt.
({37})
Frau Merkel, das müssen auch Ihre Sorgen sein. Seien
Sie einen Augenblick ernsthaft. Sie wissen genau, dass
sich da etwas im europäischen Rahmen verändert. Es
muss auch Ihre Sorge sein, wenn uns der Verdacht entgegenschlägt, wir hätten unser Interesse an Europa verloren
oder hätten gar - das wäre vielleicht noch schlimmer aus einem ökonomischen Kalkül heraus ein Interesse an
einer Renationalisierung. Ich behaupte nicht, dass das
stimmt. Ich behaupte, dass wir auf der europäischen
Ebene von vielen unserer Partner nicht verstanden werden. Wenn das so ist, dann liegt auch das in der Verantwortung dieser Regierung.
({38})
Meine Erfahrung ist jedenfalls: Man kann in Europa
Mehrheiten erzwingen und dabei gleichzeitig doch
scheitern, wenn man nämlich auf dem Weg zu einer Entscheidung allzu viele Verletzte hinterlässt, wenn man zulässt, dass die heimischen Medien Ressentiments gegen
einige Partner schüren,
({39})
vor allen Dingen, wenn man mit den Partnern zu sehr
von oben herab spricht.
Damit Sie es nicht missverstehen: Das sind nicht
meine Worte. Das eher regierungsfreundliche Handelsblatt schreibt:
({40})
Merkels Politik … führt zu Unsicherheit und Unfrieden. Angela Merkel ist stark gegen die Schwachen. Der Weg, den sie einschlägt, führt nicht nach
Europa.
({41})
Natürlich werden Sie sagen - das verstehe ich ja -: Das
ist das Handelsblatt; das ist starker Tobak. - Nur, ignorieren dürfen wir und erst recht Sie das nicht.
Die Wege aus der europäischen Krise - das ist meine
Überzeugung - führen nicht über vordergründige Schuldzuweisungen und nicht über Paternalismus. Sie können
nur über eine neue europäische Politik führen. Wann,
wenn nicht in Zeiten der Krise, ist der richtige Zeitpunkt,
um daran zu arbeiten, was eine gemeinsame europäische
Wirtschafts- und Finanzpolitik sein könnte?
({42})
Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Zeitpunkt für einen ernsthaften Versuch einer Annäherung der Steuerpolitiken? Dabei geht es nicht um die Stellen nach dem
Komma, natürlich nicht, aber über die Arten der Besteuerung, die Korridore für das Maß der Besteuerung muss
man doch jetzt reden. Ich bin sicher, auch Partner wie
die Iren sehen das heute anders als vor zwei Jahren.
({43})
Zu all dem höre ich nichts. Stattdessen höre ich Belehrungen. Das bringt Europa nicht neu zusammen. Ich weiß
selbst: Europa und die europäische Integration sind keine
Selbstläufer, waren es auch in der Vergangenheit nicht. Es
hat sich aber etwas verändert - deshalb müssen wir genauer hinschauen -: Die Fliehkräfte in Europa haben
ganz ohne Zweifel zugenommen. Dass nationalpopulistische Strömungen in Europa stärker geworden sind, auch
das wird in diesem Hause keiner bestreiten. Ich unterstelle, dass es keiner gut findet, dass sie in einigen europäischen Ländern die Regierungspolitik schon mitbestimmen. Ich sage nur: Wenn wir nichts dagegen tun,
werden solche nationalpopulistischen Strömungen nicht
auf Dauer an uns vorbeiziehen. Es ist Ihre Verantwortung,
auch die Verantwortung der Bundesregierung - dabei
können Sie mit unserer Unterstützung rechnen -, gerade
jetzt der europäischen Idee eine neue Kraft zu geben. Ich
weiß, dass das nicht im Trend liegt, aber es drängt, wenn
wir nicht alle Schaden nehmen wollen. Nehmen Sie diese
Verantwortung an!
({44})
Frau Merkel, Sie haben sich entschieden, nach mir zu
reden.
({45})
Ich ahne, was Sie sagen werden: Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat tüchtig geschimpft, aber er hat nicht
gesagt, was die SPD anders machen würde.
({46})
Um es ganz klar zu sagen - Sie dürfen jetzt bei jedem
Satz klatschen -: Mit uns gäbe es diese Gesundheitsreform nicht.
({47})
Wir haben Ihnen gezeigt, wie man eine Gesundheitsreform machen und dabei das Solidarprinzip erhalten
kann. Wir haben Ihnen gezeigt - das ärgert Sie doch -,
wie man eine Gemeindefinanzreform machen kann,
ohne den Gemeinden das Geld wegzunehmen.
({48})
Noch mehr ärgert Sie, dass wir die Blockaden, die Sie in
den 90er-Jahren im Bereich der Energiepolitik geschaffen haben, aufgelöst und eine neue Energiepolitik in diesem Land überhaupt erst möglich gemacht haben.
({49})
Was ich Ihnen auch sagen kann: Mit uns, mit der
SPD, gäbe es das Programm „Soziale Stadt“ nicht nur
als Überschrift und Symbolik in diesem Haushalt, sondern es wäre mit Substanz erfüllt, weil es nicht reicht,
Beton zu finanzieren, wenn man es mit der Integration
ernst meint.
({50})
Entscheidend aber ist: Bei uns gäbe es die fixe Idee
von Steuersenkungen als Selbstzweck nicht. Politik
heißt Entscheiden, und entscheiden muss man über Prioritäten. Ich prophezeie Ihnen: Bildung und Integration,
das sind die beiden Themen, die darüber entscheiden
werden, ob uns das nächste Jahrzehnt gelingt. Das muss
finanziert werden, aber Sie tun das nicht. Sie erfüllen
Ihre eigenen Versprechungen nicht.
({51})
Regieren ist mehr, als eine Koalition zu führen. Der
Haushalt, den Sie hier vorstellen, mag zum vorläufigen
Überleben des schwarz-gelben Bündnisses beitragen;
aber er ist ohne jede eigene Idee von Zukunft. Das steht
für Weiterwursteln in guten Zeiten; aber für schwere
Zeiten taugt das nicht, was Sie hier vorstellen.
Die jetzige Situation - ich freue mich darüber, dass
wir besser durch die Krise gekommen sind als andere schafft riesige Chancen; aber jede dieser Chancen haben
Sie im ersten Jahr Ihrer gemeinsamen Regierung verstolpert. Dieser Haushalt spricht dafür, dass sich das nicht
ändert. Es bleibt dabei: Dieses Land wird weit unter seinen Möglichkeiten regiert. Das liegt in Ihrer Verantwortung, und an den Quittungen wird schon geschrieben.
Herzlichen Dank.
({52})
Das Wort erhält nun die Bundeskanzlerin, Frau
Dr. Angela Merkel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der
Rede von Herrn Steinmeier hat sich Herr Gabriel lieber
ganz nach hinten gesetzt, damit man sein Gesicht nicht
sieht.
({0})
Er ist Vorsitzender, sitzt aber ganz hinten - toll.
({1})
Lieber Herr Steinmeier, nach Ihrer Rede habe ich nur
ein einziges Bedürfnis: endlich eine Rede über die Zukunft Deutschlands zu halten,
({2})
über die Zukunft eines tollen Landes mit wunderbaren
Menschen, denen ich nicht nur in meinem Brief gedankt
habe, sondern denen ich ausdrücklich auch heute von
dieser Stelle aus noch einmal danken möchte dafür, wie
sie sich in den Zeiten der Krise verhalten haben, wie sie
ihren Beitrag für unser Land geleistet haben. Herzlichen
Dank dafür!
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir führen die
vierte Haushaltsdebatte in diesem Jahr. Im März, als wir
über den Haushalt 2010 debattiert haben, sah es so aus,
als würden wir einigermaßen aus der Krise herauskommen. 1,4 Prozent Wachstum war die Prognose. Internationale Zeitungen, zum Beispiel der Economist, haben
schon damals geschrieben: Deutschland scheint besser
aus der Krise herauszukommen, als man ahnen konnte. Aber heute können wir sagen - das zeigt, welche Veränderung noch im Gange ist -: Wir werden wahrscheinlich
im Jahre 2010 3,4 Prozent Wachstum haben, 2011 wieder fast 2 Prozent, und auch für die folgenden Jahre können wir, wenn wir alles richtig machen, auf vernünftige
Wachstumspfade hoffen.
({4})
Das bringt mit sich, dass - das ist das Wichtigste - die
Menschen Arbeit haben, jedenfalls sehr, sehr viele. Die
Zahl der Arbeitslosen ist unter 3 Millionen gesunken.
Für das nächste Jahr heißt die Prognose: im Durchschnitt
2,9 Millionen. Das darf uns nicht ruhen lassen. Wenn wir
über Gerechtigkeit in diesem Lande sprechen, dann können wir sagen: Heute haben mehr Menschen Arbeit als
vor der Krise. In Ostdeutschland haben mehr Menschen
Arbeit, als das seit 1991 der Fall war. Die Arbeitslosigkeit ist die geringste seit 1991. Vor allen Dingen ist ein
Absinken der Langzeitarbeitslosigkeit zu verzeichnen.
Nach langer Zeit ist nun endlich ein Effekt eingetreten.
Da müssen wir weitermachen; da liegen unsere Aufgaben für die Zukunft. Da sind wir auf einem guten Weg,
auf dem wir aber nicht haltmachen, sondern weitergehen
werden. Das ist unsere Aufgabe.
({5})
Wie konnten wir so durch die Krise kommen? Was
macht unser Land aus?
({6})
Das ist einerseits eine innovative Wirtschaft mit einem
starken industriellen Kern; das ist ein dynamischer Mittelstand; das sind leistungsstarke Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, und das ist eine verlässliche Sozialpartnerschaft. Das ist genau das, was wir als gelebte
soziale Marktwirtschaft bezeichnen können, eine soziale Marktwirtschaft, die im Übrigen auf der Welt oft
etwas belächelt wurde. Jetzt, nach der Krise, werden wir
von vielen Ländern auf der Welt genau um diese gelebte
soziale Marktwirtschaft beneidet.
({7})
Das haben wir gemeinsam geschafft, das haben wir
uns gemeinsam erarbeitet. Ich stehe auch gar nicht an, zu
sagen: Daran haben natürlich nicht nur die jetzige Regierung und die Vorgängerregierung, sondern sogar die Regierung, die die Agenda 2010 erfunden hat - genau auch
die -, ihren Anteil. Das Problem des betreffenden Teils
des Hauses ist nur, dass Sie davon am liebsten gar nicht
mehr sprechen möchten, dass Sie sich so schnell davonstehlen wollen, wie Sie nur können. Das ist Ihr Problem.
({8})
Man kann eben nicht Erfolge einheimsen und sich
gleichzeitig nicht zu dem, was man gemacht hat, bekennen. Deshalb müssen wir darüber sprechen.
Aber wir müssen auch darüber sprechen, dass sich natürlich auch im Haushalt 2011 noch deutlich die Spuren
dieser seit Jahrzehnten größten internationalen Finanzund Wirtschaftskrise zeigen. Dazu gehört, dass unsere
Schuldenquote von 66 Prozent im Jahr 2008 auf über
75 Prozent angestiegen ist, dass wir in diesem Jahr ein
Defizit von etwa 4 Prozent haben werden und dass wir
50 Milliarden Euro - plus oder minus; das kann ich
heute noch nicht genau sagen - Schulden machen werden, also eine unglaubliche Summe von Schulden. Deshalb heißt die Aufgabe natürlich, dass wir da besser werden müssen. Wir können uns nicht damit herausreden,
dass wir sagen: Im Euro-Bereich, zum Beispiel, gibt es
eine mittlere Verschuldung von 6,7 Prozent. Da sind wir
besser. - Okay, das ist schön. Wenn wir nach Großbritannien oder in die Vereinigten Staaten von Amerika
schauen, stellen wir fest, dass wir auch besser sind. Auch
das ist schön. Aber wir müssen unsere Maßstäbe an der
Schuldenbremse ausrichten; es ist gut, dass wir sie im
Grundgesetz haben.
({9})
Und es ist gut, dass wir uns genau daran orientieren.
({10})
Die Sache wird ja auch nicht besser dadurch, dass Sie
hier Stunde um Stunde wiederholen, dass wir das nicht
täten.
({11})
Es ist doch völlig klar: In einem Jahr, in dem sich die
Daten unablässig verändern,
({12})
glücklicherweise einmal zum Positiven, müssen Sie einen Punkt nehmen, an dem Sie ansetzen. Wenn es nach
Ihnen gegangen wäre, hätten wir schon vor der Wahl in
Nordrhein-Westfalen den Haushalt aufstellen sollen. So
haben Sie damals doch geredet.
({13})
Nein, wir haben ihn dann aufgestellt, wenn man ihn normalerweise aufstellt, nämlich im Juni und im Juli. Das
ist der Bezugspunkt. Wenigstens diejenigen bei Ihnen,
die Finanzpolitik betreiben, wissen, dass man die mittelfristige Finanzplanung an einem bestimmten Tag festlegen muss und dass sie nicht mehr Gegenstand der Beratungen im Deutschen Bundestag ist.
({14})
Das ist die Wahrheit, und deshalb haben wir uns so entschieden. Das werden wir auch weiter machen.
({15})
Das, was wir an Konsolidierung machen, ist Zukunftspolitik; denn da geht es um Generationengerechtigkeit,
um Spielräume.
Um das noch einmal vor Augen zu führen: Wir haben
heute für Zukunftsausgaben 28 Prozent des Haushalts
zur Verfügung, 1991 waren es 43,4 Prozent. In diese
Richtung müssen wir wieder kommen. Da kann es uns
nicht allein beruhigen, dass wir sagen: Wir haben für
2011 jetzt 10,6 Prozent Investitionen; das ist mehr, als
wir seit Jahren hatten. Deshalb sage ich auch: Wir sparen
nicht an der Zukunft, sondern diesen Haushalt kennzeichnet, dass wir für die Zukunft sparen, für den Ausbau von Kinderbetreuung, für Bildung und Forschung,
für die Erhöhung der Investitionsquote. Das ist das Charakteristikum unseres Haushalts.
({16})
Wir haben - auch das noch einmal zur Erinnerung;
das hat natürlich auch zu dem Wirtschaftswachstum beigetragen - zu Beginn des Jahres massive Steuerentlastungen gehabt.
({17})
Diese wurden teilweise schon in der Großen Koalition
beschlossen. Hinzugekommen ist das Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
Wir werden weiter an den Fragen der Steuern arbeiten. Wir brauchen eine bessere Ausstattung der Gemeinden. Dafür werden wir Lösungen vorschlagen. Das ist
ein drängendes Problem.
({18})
Es ist schon wirklich abenteuerlich,
({19})
dass Sie, die Sie damals durch Steuerreformen den Kommunen Gewerbesteuern en masse gestohlen haben, uns
jetzt hier sagen, Sie wüssten, wie man eine Gemeindefinanzreform macht. Das ist doch wirklich abenteuerlich.
({20})
Wir werden Vorschläge zur Steuervereinfachung
machen.
({21})
Diese werden am 1. Januar 2012 in Kraft treten. Die Beratungen dazu laufen. Wir können viel im deutschen
Steuerrecht vereinfachen. Ein erstes Paket werden wir
vorschlagen. Es wäre schön, wenn vielleicht auch Ihre
Länder die Bereitschaft zeigen würden, sich an der Finanzierung zu beteiligen.
({22})
Denn unser Spielraum könnte viel größer sein, wenn das
nicht nur als Aufgabe des Bundes gesehen würde, sondern wenn sich auch alle Länder dafür mitverantwortlich
fühlen würden.
({23})
Wir haben eine ganz klare Priorität. Wir sagen: Haushaltskonsolidierung kommt zuerst. Aber deshalb haben
wir das Thema „einfaches, gerechtes und niedriges Steuersystem“
({24})
gerade für kleine und mittlere Einkommen nicht vergessen.
({25})
Wenn die Haushalte konsolidiert sind, wenn wir Spielräume haben, machen wir das. Aber wir können heute
nicht sagen, wann genau. Deshalb werden wir diese
Dinge Schritt für Schritt abarbeiten.
({26})
Deutschland ist ein Beispiel für das, was wir uns unter
Stabilitätskultur vorstellen. Nach unserer festen Überzeugung ist jetzt auch eine Ausstiegsstrategie aus den
Konjunkturmaßnahmen, die wir in großem Umfang gemacht haben, notwendig. Es zeigt sich, dass Deutschland
diesen Schritt gehen muss, auch und gerade im Blick auf
Europa. Denn wir haben in Europa eine Situation, die
deutlich zeigt, dass Stabilitätskultur überall gelebt werden muss. Wir haben schwierige Monate hinter uns.
Herr Steinmeier, das, was Sie dazu gesagt haben,
kann mich wirklich nicht zufriedenstellen.
({27})
In Europa ist man heute noch entsetzt, dass 2004 der Stabilitätspakt aufgeweicht wurde, und zwar auf Vorschlag
der Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder. Reden Sie einmal mit dem Präsidenten der EZB!
({28})
Dann haben Sie die politische Entscheidung getroffen,
dass Griechenland in den Euro-Raum soll.
({29})
Es hat sich gezeigt, dass das eine eher komplizierte Entscheidung war. Als es im Frühjahr dieses Jahres darum
ging, dass Verantwortung gezeigt werden muss, haben
Sie sich unter fadenscheinigen Begründungen enthalten;
Sie haben sich in einer zentralen Stunde Europas zweimal enthalten. Darüber wird die Geschichte richten; sie
wird zeigen, was man davon zu halten hat.
({30})
Wir haben im Frühjahr dieses Jahres in der Europäischen Union einen Euro-Rettungsschirm gespannt. Dass
Irland jetzt einen Antrag stellt, Teil dieses Schirms zu
werden, ist genau die Verhaltensweise, für die wir vorgesorgt haben. Wir haben gesagt: Die Stabilität des Euro
als Ganzes muss gesichert sein. Deshalb werden wir
- das haben die Finanzminister gesagt - den Antrag Irlands positiv betrachten, natürlich immer in einer Konditionalität, die deutlich macht, welche Schritte ein Land
tun muss, um auf den Pfad einer stabilen Währung zurückzukehren.
Man sieht doch, welche Anstrengungen die griechische Regierung unternimmt. Man sieht auch - das haben
die Kommunalwahlen jetzt gezeigt -, dass die Menschen
in Griechenland diese Anstrengungen sogar honorieren.
Ich sage das, obwohl unsere Partnerpartei dort dabei
nicht der Gewinner ist. Die Menschen wollen, dass die
Dinge beim Namen genannt werden, dass man nicht den
Kopf in den Sand steckt, dass man ihnen nicht nach dem
Mund redet. Sie wollen, dass die Entscheidungen gefällt
werden, die notwendig sind. Das ist genau das, was auch
wir für unser Land machen.
({31})
Wir alle wissen - ich finde, darüber sollten wir in aller Ruhe und Verantwortung in diesem Hause diskutieren -: Wir haben einen Krisenmechanismus bis zum
Jahre 2013. Wir wissen auch - das sagt uns unsere europäische Verantwortung -: Wir brauchen für die Zeit danach einen permanenten Krisenmechanismus.
Im Augenblick arbeiten wir, auch im Hinblick auf Irland, all die Fehler der Vergangenheit ab. Deshalb ist es
auch richtig, zu sagen: Die Krise ist noch nicht vorbei.
Aber wir müssen jetzt Vorkehrungen treffen, damit diese
Fehler nicht wieder passieren. Dabei geht es um die Finanzmarktarchitektur; da haben wir vieles erreicht. Dabei geht es um die Tatsache, dass wir den Stabilitätspakt
geschärft haben; auch da haben wir vieles erreicht, mehr,
als man vielleicht vor einem Jahr hätte denken können.
Das vielleicht Wichtigste ist aber nicht, dass jetzt die
Defizite strenger überwacht werden und auch die Gesamtverschuldung in den Blick des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes kommt. Das Wichtigste ist aus meiner
Sicht, dass auch makroökonomische Kriterien wie Lohnstückkosten und das Verhältnis von Sozialausgaben und
Investitionsquote in die Betrachtung der europäischen
Länder hineinkommen. Wir sind auf dem Weg, eine gemeinsame, kohärente Wirtschaftspolitik zu schaffen, die
sich nach unseren Vorstellungen - ich hoffe, da stimmen
Sie uns zu - nicht an den Schlechtesten, sondern an den
Besten orientieren sollte, damit unser Kontinent insgesamt stark wird.
({32})
Jetzt zum Krisenmechanismus für die Zukunft. Hier
stehen wir vor einem Problem, wo die Entscheidung
nicht einfach ist. Die christlich-liberale Koalition hat
sich aber entschieden. Wir sagen: Im Rahmen eines permanenten Krisenmechanismus müssen auch die privaten Gläubiger, das heißt diejenigen, die an hohen Zinsen und mit Staatsanleihen Geld verdienen, beteiligt
werden, und zwar in dem Sinne, dass sie Verantwortung
übernehmen.
({33})
- Ja. Ich bitte Sie nur, dass wir darüber ganz redlich gemeinsam miteinander sprechen.
({34})
- Herr Poß, ich kann es gerne wiederholen, damit auch
Sie die Richtung mitbekommen.
({35})
Die Märkte sind, wie es immer so schön heißt, beunruhigt, wenn man so etwas ausspricht.
({36})
Wir stehen jetzt vor einer ganz entscheidenden Frage.
Wir haben am Anfang der Krise oft gesagt: Es darf nicht
sein, dass die Politik nicht das Primat hat. Die Wirtschaft
hat der Politik und den Menschen zu dienen und nicht
umgekehrt.
({37})
Jetzt stehen wir an genau dieser Stelle. Jetzt findet
ganz konkret und jeden Tag ein gewisses Ringen darum
statt: Hat die Politik den Mut, auch diejenigen, die damit
Geld verdienen, mit ins Risiko zu nehmen, oder ist der
Handel mit Staatsanleihen der einzige Bereich der Wirtschaft auf der Welt, in dem man kein Risiko eingehen
muss? Wir haben uns entschieden. Ich bitte Sie darum:
Unterstützen Sie uns dabei.
({38})
Hier geht es um die Frage des Primats der Politik, hier
geht es um die Frage der Grenzen der Märkte, und hier
geht es um eine klassische Frage der sozialen Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert. Genau so ist es.
({39})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles spielt sich
in einer Welt ab, in der, wie ich es oft gesagt habe, die
Karten nach dieser Krise neu gemischt sind. Zwei Drittel
des Wachstums in diesem Jahr kommen aus China, aus
Schwellenländern und Entwicklungsländern, nur ein
Drittel kommt aus den klassischen Industrieländern.
({40})
- Ja, so ist es, Herr Trittin.
({41})
- Ja. - Herr Trittin hat der deutschen Öffentlichkeit gerade mitgeteilt, dass wir, da zwei Drittel des Wachstums
in Schwellenländern und Entwicklungsländern stattgefunden haben, mit zwei Dritteln nichts zu tun hatten. Das
ist richtig, weil wir noch kein Schwellenland und kein
Entwicklungsland sind.
({42})
Dafür ist die christlich-liberale Koalition der Garant: Mit
uns wird Deutschland auch kein Entwicklungsland. Bei
Ihnen bin ich mir nicht ganz so sicher, meine Damen und
Herren.
({43})
Als wir beim G-20-Treffen in Südkorea gewesen sind,
haben wir festgestellt, mit welcher Dynamik die Länder
Asiens an ihrer Zukunft arbeiten, in die sie optimistisch
blicken. Sie sind innovationsfreudig und bildungshungrig. Genau daraus ergibt sich der Auftrag der christlichliberalen Koalition. Wir haben ein starkes Deutschland.
Unser Auftrag heißt: Wir wollen, dass Deutschland stark
bleibt. Das ist der Auftrag unserer Koalition.
({44})
Genau das werden wir in dieser Legislaturperiode
machen; dafür haben wir unseren Auftrag bekommen.
Wir werden 2013 Rechenschaft darüber ablegen, was
wir auf diesem Weg geschafft haben.
Wir sind erstens für eine starke Wirtschaft, zweitens
für einen starken Staat und drittens für ein starkes Gemeinwesen. Das sind die Pfeiler unserer Politik.
({45})
Ja - darüber haben wir in diesem Herbst viele Debatten geführt -, wir haben kontroverse Entscheidungen gefällt. Aber wir sind der Meinung, dass wir damit die
Weichen in die richtige Richtung gestellt haben.
Ja, wir müssen noch weiter Überzeugungsarbeit für
das leisten, was wir tun, weil es natürlich kontrovers diskutiert wird und weil es darüber auch Auseinandersetzungen gibt. Wir werden zu den Menschen gehen und sie
davon überzeugen, dass das, was wir tun, richtig ist.
Ja, wir sind bereit, auch ganz neue Wege zu gehen,
bei denen man nicht genau weiß, was das Ergebnis ist.
Wir sind aber überzeugt: Wer keine neuen Wege geht,
wird in die Vergangenheit gehen, und Deutschland wird
zurückfallen. Genau das wollen wir nicht.
({46})
Wir wollen ein Land sein, in dem sich Leistung und
Arbeit lohnen,
({47})
damit wir die Kraft für die Solidarität in unserer Gesellschaft haben. Genau das ist immer das Wechselspiel in
der sozialen Marktwirtschaft.
({48})
Wir verschließen nicht die Augen vor der Realität.
Wir stecken nicht den Kopf in den Sand, sondern wir
stellen uns mutig den Herausforderungen, mit denen wir
es zu tun bekommen. Wir haben den Mut, zu sagen, wofür wir sind, und erzählen nicht unentwegt, wogegen wir
sind.
({49})
Schauen wir uns doch die Alternativen an! Über die
Linke will ich nicht weiter sprechen. Sie geben dauernd
Geld aus, das Sie nicht haben. Über die SPD habe ich
schon etwas gesagt: Sie sind heute hier und morgen dort.
Sie verabschieden sich von all den relevanten Entscheidungen, die zukunftsfähig gewesen sein könnten, und
zwar in einem affenartigen Tempo, dass es einem ganz
schwindlig wird und man sich fragt, wie das weitergehen
soll.
({50})
Ich sage nur: Rente mit 67, Agenda 2010.
Fragen Sie doch einmal den Ulmer Oberbürgermeister, wie er zu Stuttgart 21 und neuen Bahnstrecken steht.
Dann werden Sie Ihre Antwort bekommen.
Und die Grünen? Sie sind sozusagen ziemlich fest mit
dem Wort „dagegen“ verbandelt. Das wollen Sie kaschieren. Sie sagen, Sie seien für erneuerbare Energien.
Aber wo immer eine Hochspannungsleitung gebaut werden muss - das sind viele Kilometer -, wo immer ein
neuer Bahnhof entsteht, wo immer irgendetwas Neues
passiert, wo Pumpspeicherkraftwerke, zum Beispiel in
Bayern, entstehen, sagen Sie: Erneuerbare Energien, ja;
neue Netzleitungen, nein; Pumpspeicherkraftwerke in
Bayern, nein. - So geht es nicht! Das ist nicht die richtige Antwort.
({51})
Sie wollen angeblich für den Zugverkehr sein und
mehr Verkehr auf die Schiene verlagern. Aber wo immer
ein neuer Bahnhof gebaut wird, sind Sie dagegen, egal
ob es hier in Berlin-Ostkreuz oder bei Stuttgart 21 ist.
({52})
Wo immer eine neue ICE-Strecke entsteht, sind Sie auch
dagegen. Gucken Sie doch einmal nach Hannover, Berlin und Hamburg. Nein, meine Damen und Herren, so
geht es nicht! So werden Sie nicht durchkommen.
({53})
Sie sind natürlich für den Sport - wer wollte das
nicht? - und wahrscheinlich auch dafür, Sport in das
Grundgesetz aufzunehmen. Aber wenn es um Olympische Spiele in Deutschland geht, dann sind Sie natürlich
dagegen.
({54})
Wenn es so weitergeht, werden die Grünen für Weihnachten sein, aber gegen die davor geschaltete Adventszeit.
({55})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden uns
auch damit befassen, was Sie den Menschen sagen und
wozu Sie die Menschen ermutigen. Lesen Sie einmal
nach, was Ihr Landesvorsitzender Kretschmann in Baden-Württemberg sagte,
({56})
als er gefragt wurde, ob er garantieren könne, dass die
Grünen aus dem Projekt Stuttgart 21 aussteigen. Er
sagte:
Das kann ich nicht garantieren. … Wir können ja
aussteigen nur zu einem verantwortbaren Preis.
Solch ein Versprechen abzugeben, das wäre nicht
seriös.
({57})
Ich finde es schon ziemlich waghalsig - um es einmal
ganz vorsichtig auszusprechen -, Menschen zu Demonstrationen gegen etwas zu ermutigen, um dann im Kleinen zu sagen: Wenn es darauf ankommt, können wir
euch gar nicht garantieren, dass wir das verhindern können. - Ich finde, das müsste er viel lauter sagen.
({58})
Um es noch einmal in einer anderen Variante zu sagen, weil Sie vielleicht meinen, das sei zu holzschnittartig und zu grobschlächtig, zitiere ich Ihnen, was gestern im Feuilleton in der Süddeutschen Zeitung
Interessantes geschrieben wurde:
Die Ökologie ist das größte System der Welt; Technik, Kultur oder Ökonomie sind darin Teilgebiete.
Es ist richtig, dass die Fragen der Nachhaltigkeit
alle anderen Themen dominieren. Wenn wir ihrem
grundsätzlichen Bedenkentum aber alle Kräfte der
Euphorie opfern, werden wir kaum in der Lage
sein, die Probleme der Zukunft zu lösen. Nicht einmal die, die wir selbst im Glauben an die Zukunft
verursacht haben.
Das ist eine andere Variante, mit der auf das hingewiesen
wird, was Sie gerade zerstören.
Wir wollen nachhaltige Politik; der Bundestag wird
hier in einer Enquete-Kommission über nachhaltiges
Wachstum diskutieren. Wir zerstören aber die Fähigkeit
zur Zukunft, wenn wir den Bedenkenträgern folgen.
({59})
- Ich gebe Ihnen ja nur gute Hinweise. Guten Hinweisen
von Ihnen schließen wir uns immer an; aber die gibt es
leider nur sehr selten.
({60})
- Nun bleiben Sie einmal ruhig. Beherzigen Sie doch
einmal, dass Sie die Probleme der Zukunft nicht lösen
werden, noch nicht einmal die, die Sie in der Vergangenheit verursacht haben. Das ist doch der Punkt: Sie drücken sich angeblich im Geiste der Nachhaltigkeit vor der
Verantwortung.
({61})
Sie sind gegen die Erkundung von Gorleben und beklagen, dass es kein Endlager gibt. Das ist diese Zweideutigkeit, das sind Schäden aus der Vergangenheit, die
bereits angerichtet sind. Darauf müssen Sie eine Antwort
geben. Das haben Sie nicht getan.
({62})
Das ist bei Ihnen Thema für Thema gleich.
Sie sprechen über nachhaltiges Wirtschaften. Dabei
können Sie doch nicht die Augen davor verschließen,
dass im Jahre 1950 sechs Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für einen Rentner gearbeitet haben und er
zehn Jahre lang Rente bekommen hat. Heute arbeiten
drei Arbeitnehmer für einen Rentner, und er bekommt
18 Jahre lang Rente. Im Jahre 2030, also in 20 Jahren,
werden zwei Menschen für einen Rentner die Rente erarbeiten müssen, und er bekommt sie über 20 Jahre lang.
Wenn man dann sagt, wie die SPD es tut, jetzt setze man
die schrittweise Einführung der Rente mit 67 erst einmal
fünf Jahre aus, dann mutet man den zukünftigen Generationen etwas zu, was wir nicht wollen; denn wir wollen
Generationengerechtigkeit. Sie stecken den Kopf in den
Sand, Sie stellen sich den Realitäten nicht, Sie reden
drum herum. So kommen wir nicht voran.
({63})
Genauso ist es beim Thema Gesundheit. Herr
Steinmeier, ich weiß, dass Sie es eigentlich wissen. Sie
wissen nur nicht, wie Sie das bei sich rüberbringen können. Die Gesundheitskosten werden steigen, weil die
medizinischen Möglichkeiten größer sind, weil wir
heute Dinge tun können, an die man früher überhaupt
nicht gedacht hat, und weil unsere Bevölkerung gleichzeitig älter wird.
({64})
Deshalb ist es doch ganz logisch, dass man die ausschließliche Kopplung an die Arbeitskosten nicht aufrechterhalten kann.
({65})
Sie wissen auch, dass der Ausgleich für die ansteigenden
Kosten viel gerechter aus dem Steuersystem als aus den
sozialversicherungspflichtigen Beiträgen geleistet werden kann. Das - und nichts anderes - ist doch das, was
wir machen. Wir legen eine Oberbelastungsgrenze von
2 Prozent des eigenen Einkommens fest. Diese Grenze
haben Sie in vielen Fällen genauso gewählt.
({66})
- Sie haben so eine Angst, dass Sie verstehen könnten,
was wir machen, dass Sie immer gleich schreien und
einfach nicht zuhören. Aber das wird sich nicht durchsetzen. Sie müssen Antworten auf die Zukunft finden.
({67})
Zu Ihrer Milchmädchenrechnung. Auf dem GrünenParteitag ist ja das Allerbeste passiert. Man hat zum
Schluss die Kommission „Ehrlich machen“ gegründet.
Was war Ihr ganzer Parteitag, wenn Sie hinterher eine
Kommission „Ehrlich machen“ gründen müssen? War
das alles die Unwahrheit oder unehrlich, oder was? Das
ist doch unglaublich.
({68})
Wir werden über die Neuregelung der Hartz-IVSätze miteinander sprechen. Wir haben eine verfassungsgemäße Berechnung.
({69})
Sie haben uns bis heute nicht gesagt, was genau Sie daran bezweifeln.
({70})
Lieber Herr Steinmeier, ich sage Ihnen eines: Es geht um
Menschen und gerade um Kinder und ihr Bildungspaket
zum 1. Januar nächsten Jahres. Ich kann nur sagen: Machen Sie keine Spielchen, sondern lassen Sie uns ehrlich
darüber reden.
({71})
Wenn Sie es verweigern, mit der zuständigen Ministerin
darüber zu sprechen,
({72})
weil Sie noch hundert Sachen mit lösen wollen, die gar
nicht in deren Arbeitsbereich fallen, dann kann ich nur
sagen: Das ist kein seriöses Herangehen. Es geht hier um
das Schicksal von Hartz-IV-Empfängern und von Kindern in Familien mit Hartz IV. Da sind auch Sie in der
Verantwortung.
({73})
- Sie brauchen gar nicht so zu schreien. Wir sind zu Gesprächen bereit; das habe ich Ihnen immer wieder gesagt.
({74})
Wir brauchen nicht nur eine starke Wirtschaft, wir
brauchen auch einen starken Staat. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Beratungen heute in einer Umgebung
stattfinden, wie wir sie lange nicht hatten. Besucherinnen und Besucher können den Reichstag im Augenblick
nicht besuchen. Ich bedanke mich beim Bundestagspräsidenten, dass er gestern ganz deutlich gemacht hat: Wir
werden uns von unserer Arbeit trotz terroristischer
Bedrohung nicht abbringen lassen.
({75})
Aber klar ist auch - das haben uns die Paketbomben im
Flugfrachtverkehr gezeigt -: Die Bedrohungen sind leider real. Wir müssen uns auf sie einstellen. Ich möchte
der Polizei danken, den Sicherheitskräften insgesamt,
aber auch den Bürgerinnen und Bürgern, die das alles
gefasst und im Wissen um den Wert der Demokratie und
unserer Freiheit akzeptieren und einerseits aufmerksam,
andererseits aber eben auch nicht ängstlich sind. Ich
kann die Worte des Bundesinnenministers nur wiederholen: Es gibt Grund zur Sorge, aber keinen Grund zur
Hysterie.
Wir werden in diesem Bereich ganz eng - das haben
wir jetzt schon gesehen - mit anderen Ländern zusammenarbeiten müssen. Globalisierung ist nicht nur im
Wirtschaftsbereich, sondern globale Vernetzung ist auch
im Sicherheitsbereich wichtig. Wir werden die für uns
notwendigen Antworten finden müssen, wie wir für Gesetze, die in der Koalition besprochen und die geregelt
werden müssen - ich nenne das Thema Vorratsdatenspeicherung -, richtige und gute Lösungen finden, und
wir werden international mehr Verantwortung übernehmen.
Ich möchte mich beim Bundesaußenminister ganz
herzlich bedanken. Es ist gelungen - ({76})
- Mein Gott, das ist von Bundeskanzler Schröder eingeleitet worden. Wir haben die Außenpolitik in guter, bewährter Kontinuität fortgeführt und uns um den Sicherheitsratssitz für die Jahre 2011 und 2012 bemüht. Wir
waren erfolgreich. Ich finde, darüber können wir uns alle
freuen; wir sollten das Beste daraus machen.
({77})
Wir brauchen natürlich auch in der Sicherheitspolitik
der NATO neue Ansätze und neue Vernetzungen. Wir
haben in Lissabon mit dem Bundesaußenminister und
dem Bundesverteidigungsminister einen sehr erfolgreichen NATO-Gipfel gehabt. Die NATO hat ein neues
Strategisches Konzept aufgelegt. Die NATO hat gezeigt,
dass sie ein politisches Bündnis ist. Dazu hat ganz wesentlich der Schritt Frankreichs im letzten Jahr beigetragen, wieder Vollmitglied der NATO zu werden. Nur da8062
durch ist es überhaupt möglich, heute Themen wie
Afghanistan, die Frage der Übergabe in Verantwortung,
das Thema der vernetzten Sicherheit, der Notwendigkeit
eines parallelen, politischen Prozesses zu den militärischen Aktionen in der NATO zu besprechen.
Meine Damen und Herren, wir stellen uns auch den
neuen Herausforderungen. Dazu gehört auch Cyber
Defense, wie es so schön heißt, also der Schutz unserer
Datensysteme. Präsident Obama sagt, dass Amerikas
wirtschaftlicher Wohlstand im 21. Jahrhundert von der
Sicherheit der Datennetze abhängt, und hat ein Cybersecurity Office eingerichtet. Die britische Regierung hat
Cyber-Defense-Programme angekündigt und will in vier
Jahren 400 Millionen Pfund dafür ausgeben. Wir machen selbstverständlich auch etwas. Wenn der Fraktionsvorsitzende der Grünen zu dem Thema nichts anderes
sagt als: „Wollen Sie Google bombardieren?“, dann kann
ich nur sagen: Dümmer geht’s nimmer, lieber Herr
Trittin.
({78})
Auch wir als christlich-liberale Koalition reagieren
auf die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen.
Der Bundesverteidigungsminister hat eine Sicherheitsanalyse vorgelegt. Wir haben die Entscheidung getroffen
- mit „wir“ meine ich vor allem die Unionsfraktion; die
FDP hatte diese Entscheidung schon früher getroffen -,
dass wir die Wehrpflicht nicht abschaffen, sondern aussetzen und in einen freiwilligen Wehrdienst überführen. Die Kommandeurstagung dieses Jahres in Dresden
zum Thema „20 Jahre Armee der Einheit“ - übrigens eine
riesige gemeinsame Erfolgsgeschichte von uns allen war sicherlich eine ganz wesentliche Weichenstellung
dafür, wie sich die Bundeswehr in der Zukunft entwickelt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was auf die
Bundeswehr zukommt, ist nicht irgendeine Reform, sondern das ist das Ankommen im 21. Jahrhundert. Das ist
die Antwort auf die neuen Bedrohungen, die nicht mehr
an den Grenzen des Bündnisses NATO bestehen, sondern Bedrohungen, die aus Staaten kommen, die ihrer
Verantwortung nicht nachkommen können, die vom Terrorismus kommen oder die durch die Proliferation von
Massenvernichtungswaffen entstehen: völlig neue Probleme, vor denen wir stehen. Deshalb war ich sehr froh,
dass es uns in Lissabon beim Russland-NATO-Rat gelungen ist, deutlich zu machen: Russland ist bei der Bekämpfung all der Bedrohungen, denen wir gegenüberstehen, nicht mehr unser Gegner, wie es im Kalten Krieg
war, sondern Russland kann und wird Partner sein. Das
hat sich ganz massiv dort demonstriert.
({79})
Wir mussten gestern wieder erleben, dass diese Bedrohungen nicht abstrakt sind. Die Raketenangriffe von
Nordkorea auf Südkorea haben uns allen gezeigt, wie
fragil die Sicherheit in einigen Bereichen unserer Welt
ist. Wir erwähnen, dass Russland auch bei der Sicherheitsratsresolution gegen den Iran mit auf unserer Seite
war. Diese Partnerschaft muss ausgebaut werden. Sie
wird ausgebaut werden, und wir werden dadurch ein
Mehr an Sicherheit haben.
Wenn wir jetzt zu einem freiwilligen Wehrdienst
übergehen, was auch Folgen für den Zivildienst im Zusammenhang mit dem Freiwilligendienst hat, dann brauchen wir ein Freiwilligengesetz, das die Ministerin
Kristina Schröder vorgestellt hat. Das bringt mich zu
dem nächsten Punkt; denn wir wollen damit nicht nur etwas technisch neu regeln, sondern auch einen Impuls geben und einen richtigen Schritt hin zu einem Gemeinwesen tun, wie wir es uns vorstellen. Wir wollen, dass diese
Gesellschaft dadurch menschlicher wird, dass Menschen
sich für andere Menschen engagieren.
({80})
Ich glaube, viele junge Menschen werden dazu bereit
sein, sei es in der Bundeswehr, sei es im Freiwilligendienst, sei es im Freiwilligen Sozialen oder im Freiwilligen Ökologischen Jahr, das junge Menschen ableisten.
Aber wir laden Menschen aller Altersgruppen ein, sich
im Ehrenamt und in Freiwilligendiensten zu engagieren.
Es gibt sehr viel zu tun, und der Staat wird gerade in einer Gesellschaft, die älter wird, Menschlichkeit nicht so
vermitteln können, wie wir uns das wünschen, jedenfalls
nicht alleine. Wir brauchen einen starken Staat; aber wir
brauchen auch starke Bürger, die sich für andere Bürgerinnen und Bürger engagieren. Das ist unsere Vorstellung von Gemeinwesen.
({81})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir sind
uns nicht in allen Fragen einig. Aber ich glaube, dass wir
uns den Themen gestellt haben. Wir haben Entscheidungen gefällt, und wir werden weitere Entscheidungen fällen. Was das Thema Arbeitsmarkt angeht, dürfen wir
uns mit 2,9 Millionen Arbeitslosen nicht zufrieden geben. Wir haben angesichts des demografischen Wandels
vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit den 70er-Jahren wieder die
Chance, zu sagen: Vollbeschäftigung kann Realität werden.
({82})
Deshalb werden wir gerade von den Jüngeren fordern,
wenn sie nicht gefördert werden wollen, genau diesen
Weg zu gehen; denn der demografische Wandel kann
auch als Chance für unser Land genutzt werden.
({83})
Wir packen die Probleme also an, zusammen mit unseren internationalen Partnern. Wir machen eine Politik
aus dem Blickwinkel unserer Kinder, weil wir uns der
Zukunft verpflichtet fühlen. Deshalb darf ich Ihnen sagen: Die christlich-liberale Koalition ist auf einem Weg,
um Deutschland, das immer stark war, auch stark bleiben zu lassen. Sie ist auf einem Weg, der deutlich macht:
Die Bundesrepublik Deutschland war nicht nur ein Erfolgsmodell. Sie wird auch in Zukunft ein Erfolgsmodell
sein. - Diesem Auftrag fühlen wir uns verpflichtet. Da
werden wir auch keine Widerstände scheuen. Da werden
wir Entscheidungen treffen. Ich sage Ihnen dazu: Es
macht uns sogar noch gemeinsam Spaß.
Herzlichen Dank.
({84})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Willen der Kanzlerin sollte es der Herbst
der Entscheidungen werden. Es wurde der Herbst der
Fehlentscheidungen.
({0})
Die Verlängerung der Laufzeiten für marode Atomkraftwerke, die Einführung der Kopfpauschale, das Festhalten an der Rente erst ab 67 und jetzt noch ein Bundeshaushalt, der mit dem größten Kürzungspaket in der
Geschichte der Bundesrepublik die Konjunktur ausbremsen und die soziale Spaltung in unserem Land vorantreiben wird - alles Fehlentscheidungen.
({1})
Diese Bundesregierung hat es geschafft, ihren eigenen
Weltrekord einzustellen, in kürzester Zeit eine maximale
Zahl an Fehlentscheidungen zu treffen. Das macht Ihnen
keiner so leicht nach, Frau Merkel.
Einen Augenblick bitte, Frau Lötzsch. - Ich darf die
Kolleginnen und Kollegen, die der weiteren Debatte
nicht folgen können oder wollen,
({0})
bitten, den Plenarsaal zu verlassen, damit sichergestellt
ist, dass die Rednerin die nötige Aufmerksamkeit erhält.
({1})
Vielen Dank, Herr Präsident.
Nun hat die Kanzlerin einen offenen Brief geschrieben, um das Bild der Bundesregierung aufzupolieren.
Portokosten: 2,8 Millionen Euro. Das ist wohl der teuerste Brief, der jemals verschickt wurde. Ich sage mir:
Wer eine 2,8-Millionen-Euro-Briefmarke aufklebt, der
muss doch wohl panisch sein vor Angst.
({0})
Wir als Opposition haben nicht das Geld, derartige offene Briefe in allen Zeitungen zu veröffentlichen. Eigentlich wäre eine Gegenanzeige dringend erforderlich
gewesen. Bei der Zigarettenwerbung sind Gegenanzeigen schon zwingend vorgeschrieben. Ich glaube, das ist
etwas, was auch in der Politik bitter nötig wäre.
({1})
Ich komme zum ersten Versprechen. Das heißt: „Wir
sichern die Finanzen“. Sie selber haben gesagt: Keine
Bundesregierung hat bisher mehr Schulden gemacht als
Sie. Der Einwand, dass nicht die Regierung daran schuld
sei, sondern die Finanzkrise, ist unredlich. Ich darf dazu
den Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz zitieren,
der es folgendermaßen auf den Punkt bringt:
Stattdessen wird das Geld wahllos den Banken hinterhergeworfen, und die zahlen sich dafür Milliarden an Boni und Dividenden aus. Wir Steuerzahler
werden praktisch ausgeraubt, um die Verluste einiger sehr wohlhabender Leute zu verringern. Das
muss sich dringend ändern.
Aber Sie haben das nicht geändert. Das ist ein Fehler,
Frau Merkel.
({2})
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Die Vollkaskomentalität
der Banker stinkt zum Himmel. Sie müssten endlich dieser Mentalität etwas entgegensetzen, anstatt sie immer
wieder zu unterstützen. Sie haben Ihr erstes Versprechen
gebrochen. Das ist die Wahrheit und die Antwort auf Ihren Brief.
({3})
Das zweite Versprechen heißt: „Wir schaffen die Bildungsrepublik“. Sie wollen also die Bildungsrepublik
schaffen. Ich frage Sie: Warum geben Sie dann den Familien nicht genügend Geld? Wäre es nicht sinnvoller,
dafür zu sorgen, dass die Familien ein höheres Einkommen erhalten, damit sie selbst entscheiden können, wie
sie ihre Kinder fördern? Nein, Sie wollen diese Selbstbestimmung nicht zulassen. Sie wollen lieber einen bürokratischen Bevormundungsapparat schaffen, der nach
Gutdünken Bezugsscheine verteilt. Das ist nicht unser
Menschenbild. Das ist kein Menschenbild von freien,
selbstbestimmten Menschen, sondern das ist ein autoritäres, bürokratisches Menschenbild. Das lehnen wir ab.
({4})
Von einer Bildungsrepublik sind wir noch Lichtjahre
entfernt, solange Kitaplätze vor allem im Westen Mangelware sind, solange die soziale Herkunft über den
Schulweg entscheidet und solange Studiengebühren gezahlt werden müssen. Damit haben Sie auch das zweite
Versprechen gebrochen. Das ist die Wahrheit und die
Antwort auf Ihren Brief, Frau Merkel.
({5})
Das dritte Versprechen ist besonders absurd. Sie
schreiben:
Wir sichern die Energieversorgung. Sie soll zuverlässig, bezahlbar und umweltfreundlich sein.
Darüber werden sich all diejenigen wundern, die gerade
in diesen Tagen von ihrem Energieversorger eine saftige
Preiserhöhung bekommen haben. Also ist auch dieses
Versprechen schon gebrochen.
({6})
Mit dem Atomdeal der Bundesregierung sind weitere
Extraprofite für die Konzerne langfristig garantiert. Sie,
Frau Merkel, haben auf Kosten der Sicherheit der Menschen in unserem Land abgeschriebene Atomkraftwerke
dem radioaktiven Kartell überlassen. Wenn Sie diese tickenden Zeitbomben als zuverlässig bezeichnen, Frau
Merkel, dann ist das mehr als grob fahrlässig. Auch das
dritte Versprechen haben Sie also gebrochen.
({7})
Ihr viertes Versprechen lautet: Das Gesundheitswesen
bleibt bezahlbar. - Das ist nun wirklich Hohn. Die gerade beschlossene Kopfpauschale wird die Zweiklassenmedizin, die schon existiert, weiter verschärfen. Wir
müssen uns die Zahlen genau anschauen. Steigen die
Ausgaben der Krankenkassen um nur 4 Prozent pro Jahr,
dann wird ein Versicherter schon im Jahr 2013 21 Euro
pro Monat zusätzlich zahlen müssen. Gehen wir ein paar
Jahre weiter: Im Jahre 2019 werden es dann bereits
104 Euro Kopfpauschale sein. Nun kommen Sie mir
nicht mit Ihrem Sozialausgleich! Den werden Sie nämlich den Kürzungshaushalten opfern, ihn als Sparmasse
verwenden. Sie streuen den Menschen Sand in die Augen.
Sie haben schon jetzt alle vier Versprechen gebrochen. Das ist eine Schande, Frau Merkel.
({8})
Um Ihre Arbeit als Bundeskanzlerin aber umfassend
und gerecht bewerten zu können, sollten wir nicht nur
auf dieses eine Jahr zurückblicken. Sie sind schließlich
schon seit fünf Jahren im Amt. Deshalb ist es Zeit für
eine Fünfjahresbilanz. Sie selbst haben sich darum gedrückt; das wurde in der Presse festgehalten. Bilanz der
Arbeitsmarktpolitik: Die Bundesregierung feiert ihre
Arbeitsmarktpolitik als großen Erfolg und plakatiert
auf teuren Werbeflächen die Zahl 3 Millionen. Auch hier
wäre eine Gegenanzeige angebracht. Dafür braucht man
gar nicht viel Platz. Sie könnte einfach heißen: Vorsicht!
Bilanzfälschung! - Ich frage Sie: Warum unterschlägt
die Bundesregierung mehr als 1 Million Arbeitslose? Sie
hat einfach Menschen aus der Statistik gestrichen, weil
sie Leiharbeiter sind, weil sie 1 Euro pro Stunde bekommen, weil sie in Weiterbildung sind oder weil sie unter
die 58er-Regel fallen. Tatsächlich - das sagen nicht nur
wir, sondern das hat auch die Bundesagentur für Arbeit
berechnet - haben wir in Deutschland nicht nur 3 Millionen, sondern mehr als 4,8 Millionen Arbeitslose. Ich
frage Sie: Was ist von einer Regierung zu halten, die
Menschen einfach aus der Statistik verschwinden lässt,
um besser auf Plakaten prahlen zu können? Ich sage:
nichts.
({9})
Ihr Credo, Frau Merkel, war: Sozial ist, was Arbeit
schafft. - Ist es wirklich sozial, wenn immer mehr Menschen in den größten Niedriglohnsektor Europas gedrängt werden? Ist es wirklich sozial, wenn Menschen
von ihrer Hände Arbeit nicht leben können und wenn
über 1 Million Menschen zum Amt gehen müssen, um
aufzustocken? Ist es wirklich sozial, wenn immer mehr
Menschen nur noch Zeitverträge und keine feste Anstellung bekommen? Das hat mit sozialer Marktwirtschaft
gar nichts mehr zu tun. Das ist schnöder Kapitalismus
und Ausbeutung.
({10})
Wir als Linke fordern, dass Löhne zum Leben reichen
müssen. Deshalb brauchen wir endlich den Beschluss
über den gesetzlichen Mindestlohn.
({11})
Wir wollen, dass Leiharbeit eingeschränkt wird. Leiharbeiter müssen mindestens genauso bezahlt werden wie
die Stammbelegschaft.
({12})
Wir wollen, dass junge Menschen endlich wieder ihre
Zukunft planen können, dass sie nicht Spielball von Arbeitgebern werden und mit befristeten Verträgen und
Praktika hingehalten werden. Wir wollen, dass auch
Menschen mit über 60 Jahren noch eine Chance auf einen vernünftigen Arbeitsplatz bekommen und nicht vorzeitig mit hohen Rentenabschlägen in den Ruhestand abgeschoben werden. Ihre Bilanz ist eindeutig: Noch nie
wurden so viele gute Arbeitsplätze in schlecht bezahlte
und unsichere umgewandelt.
({13})
Damit sich möglichst viele Menschen mit solchen unzumutbaren Arbeitsverhältnissen abfinden, wurde von
der rot-grünen Schröder-Regierung Hartz IV geschaffen. Wir sollten nicht vergessen, wer die Tür für alle
diese Veränderungen und die Dinge, die Sie jetzt durchsetzen können, geöffnet hat. Gegen die Willkür von
Hartz IV hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig
Recht gesprochen. Doch die Bundesregierung - das
zeigt die Debatte der letzten Monate - scheint jede Achtung vor dem höchsten Gericht der Bundesrepublik verloren zu haben. Die Statistiken wurden so lange zurechtgebogen, bis die Vorgaben des Finanzministers erfüllt
waren. Nun wollen Sie die Menschen mit 5 Euro zusätzlich abspeisen. Diese 5 Euro werden schon durch die
Strompreiserhöhung aufgefressen. Das ist wirklich eine
schändliche und verlogene Politik.
({14})
Wir als Linke fordern eine deutliche Erhöhung des
Arbeitslosengeldes II. Wir haben dazu entsprechende
Anträge gestellt. Wenn Sie auf uns nicht hören wollen,
dann hören Sie doch wenigstens auf die Wohlfahrtsverbände. Handeln Sie, und erhöhen Sie in einem ersten
Schritt die Regelsätze von Hartz IV mindestens auf das
Niveau, das die Wohlfahrtsverbände fordern, nämlich
416 Euro pro Monat. Wir als Linke wollen 500 Euro pro
Monat; aber gehen Sie doch wenigstens den ersten
Schritt.
({15})
Zur Bilanz Ihrer Rentenpolitik. Die OECD stellt fest,
dass die Bundesrepublik bei den Renten für Niedrigverdiener auf Platz 30 ist. Wir als Linke haben immer davor
gewarnt, dass der Niedriglohnsektor die Rente zerstören
wird. Die Grundlage für eine gute Rente sind gute
Löhne. Diese Wahrheit kann man nicht oft genug aussprechen. Darum brauchen wir endlich einen gesetzlichen Mindestlohn und eine vernünftige Lohnpolitik in
diesem Land.
({16})
Das Wort „Altersarmut“ war schon fast aus dem
Sprachgebrauch verschwunden. Sie haben durch ständige
Rentenkürzungen dafür gesorgt, dass Altersarmut wieder
ein zentrales Problem geworden ist.
({17})
Ich will Ihnen einige wenige Zahlen nennen. Rentner,
die im Jahr 2006 in den Ruhestand gegangen sind, haben
im Vergleich zu Rentnern, die im Jahr 2000 in Rente gegangen sind, 14,5 Prozent weniger Rente. Was tun Sie
gegen die wachsende Altersarmut? Überhaupt nichts. Im
Gegenteil: Sie erhöhen das Renteneintrittsalter auf
67 Jahre. Das ist genau die falsche Politik, und der stellen wir uns entgegen.
({18})
Jetzt kommt wieder das Argument der Generationengerechtigkeit. Ich sage Ihnen: In diesem Land gibt es
zwischen den Generationen tausendmal mehr Gerechtigkeit als zwischen den hundert deutschen Milliardären
und den Leistungsträgern in dieser Gesellschaft, den
Krankenschwestern, Verkäuferinnen und Verkäufern, Ingenieurinnen und Ingenieuren und Lehrerinnen und Lehrern.
Wir als Linke wollen eine Rentenversicherung, in die
alle einzahlen und aus der ein Rentner im Osten nicht
weniger bekommt als ein Rentner im Westen. Von ihrer
Rente sollen alle nach einem langen Arbeitsleben in
Würde alt werden können. So sieht eine vernünftige
Rentenversicherung aus und nicht so, wie Sie sich das
ausgedacht haben.
({19})
Nebenbei bemerkt: Die Rentenzahlung beginnt für die
Hälfte aller DAX-Vorstände vertragsgemäß bereits mit
der Vollendung des 60. Lebensjahres. Das sind genau die
gleichen Leute, die allen anderen erzählen, sie müssten
länger arbeiten. So viel Verlogenheit ist wirklich unerträglich.
({20})
Betrachten wir die Bilanz Ihrer Demokratiepolitik.
Ich kann es nur so einschätzen, dass Sie unser Land in
eine Vermummungsdemokratie treiben.
({21})
Damit meine ich nicht die Erster-Mai-Demonstranten
auf den Straßen Berlins, sondern die Lobbyisten, die mit
allen Mitteln versuchen, die Partikularinteressen gegen
die Interessen der Mehrheit durchzusetzen. Diese vermummten Demokraten, die Lobbyisten, haben bei fast
allen wichtigen Entscheidungen der letzten fünf Jahre ihren Einfluss durchdrücken können: Die Bankenlobby
hat ihren 480-Milliarden-Euro-Rettungsschirm bekommen, die Atomlobby hat die Verlängerung der Atomlaufzeit gegen die Interessen der Mehrheit durchgesetzt,
und die Pharmaindustrie und die privaten Krankenkassen haben ihre Leute in Führungspositionen und die Gesundheitsreform nach ihren Vorstellungen dem Minister
ins Gesetzblatt diktiert. Natürlich ist auch die Rüstungslobby auf ihre Kosten gekommen. Sie schafft es immer
wieder - wir haben das beim Einzelplan 14 zu diskutieren -, zu Wucherpreisen ihre Produkte der öffentlichen
Hand aufzudrücken. Noch nie hatten Lobbygruppen
solch einen Einfluss auf eine Regierung. Darum fordern
wir: Damit muss endlich Schluss sein. In diesem Zusammenhang fordern wir ein Verbot von Unternehmensspenden an Parteien. Das wäre ein erster Schritt, um zu einer
vernünftigen Politik zu kommen.
({22})
Ich sage Ihnen auch: Lobbyisten haben weder in den
Ministerien noch im Bundestag etwas zu suchen; denn
Lobbyisten entscheiden niemals im Sinne der Mehrheit.
({23})
Unsere Aufgabe als demokratisch gewählte Abgeordnete
ist, im Sinne der Mehrheit zu entscheiden, und nicht,
Einzelinteressen zum Zuge zu verhelfen. Das ist eine Sache, mit der wir uns niemals abfinden werden.
({24})
Die Kanzlerin hat durch ihren Schulterschluss mit den
Lobbyisten der Demokratie einen großen Schaden zugefügt. Immer mehr Menschen glauben - das ist ein Problem, mit dem sich alle ernsthaft beschäftigen sollten,
auch die Zwischenrufer von den Hinterbänken der FDP,
deren Namen ich nicht kenne -,
({25})
dass Politiker nicht mehr gewählt werden, sondern von
Lobbyisten bestellt werden. Das ist eine bedrohliche
Entwicklung, die wir alle gemeinsam stoppen sollten. Jedenfalls wir, die Linke, stellen uns dieser Lobbyistenpolitik entschlossen entgegen.
({26})
Frau Merkel, Sie sind auch auf die Außen- und Sicherheitspolitik eingegangen. Augenscheinlich glaubt
die Bundesregierung immer noch, dass die Sicherheit
Deutschlands von der NATO, von der Bundeswehr oder
von einem Raketenschutzschirm abhängt. Das war vielleicht vor 20 Jahren noch so. Doch heute ist unsere Sicherheit vielmehr von ökologischen und ökonomischen
Prozessen abhängig. Umso unverständlicher ist es darum, dass die Bundesregierung weiter Geld für diesen
Krieg in Afghanistan ausgibt. Wie viele Menschen sollen dort noch ihr Leben verlieren? Kein einziges Problem wurde gelöst; unzählige neue Probleme wurden erzeugt. Wir haben immer davor gewarnt: Der Krieg gegen
den Terror wird dazu führen, dass der Terror nach
Deutschland kommt. Der erste Schritt der Terrorabwehr
ist für uns, dass wir endlich die Bundeswehr aus Afghanistan abziehen.
({27})
Sie, Frau Merkel, hätten vor fünf Jahren bei Ihrem Amtsantritt den Abzug der Bundeswehr vorbereiten müssen;
doch das haben Sie nicht getan. Sie haben den Krieg einfach so weiterlaufen lassen. Das ist die schlimmste Unterlassung Ihrer Amtszeit. Wenn Sie eine wichtige Entscheidung treffen wollen, dann beschließen Sie endlich
zusammen mit den anderen Regierungsmitgliedern den
Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Ich glaube, im
Parlament würde sich eine Mehrheit dafür finden.
({28})
Ich sage Ihnen auch: Ich will nicht, dass sich junge
Leute entscheiden, entweder arbeitslos zu werden oder
zur Bundeswehr zu gehen und in Afghanistan ihr Leben
zu lassen. Ich will, dass die Soldatinnen und Soldaten
nach Hause zu ihren Familien zurückkommen. Ich
würde mich freuen, wenn es möglich wäre, dass viele
von ihnen zu Weihnachten hier sind und nicht dort gefährdet sind. Das ist nämlich mein Anspruch, und der
unterscheidet sich sehr, sehr wesentlich von Ihren Ansprüchen, wie ich an Ihren Zwischenrufen merke.
({29})
Ich muss auch das sagen: Mir ist keine einzige erfolgreiche Abrüstungsinitiative der Bundeskanzlerin in Erinnerung. Über die anderen Minister will ich jetzt aus Zeitgründen nicht sprechen.
Ich vermisse wirkliches Engagement. Frau Merkel,
Sie haben wieder - blumig und wortreich - davon gesprochen. Aber Sie sprechen nur, Sie machen nichts, was
wirklich zur Regulierung der Finanzmärkte führt. Der
Bankenrettungsschirm - wir erinnern uns - wurde innerhalb einer Woche durch den Bundestag gepeitscht. Die
Einführung einer Finanztransaktionsteuer lässt allerdings schon seit mehr als zwei Jahren auf sich warten.
Immer mehr Menschen stellen sich doch die Frage: Warum konnten eigentlich die Banken von Ihnen, Frau
Merkel, in einem nationalen Alleingang gerettet werden,
aber warum ist die Bundesrepublik Deutschland nicht in
der Lage, wenigstens mit der Regulierung der Banken
zu beginnen? Das ist ein offensichtlicher Widerspruch.
Augenscheinlich wollen Sie das nicht.
({30})
Es wäre doch viel vernünftiger, wenn man einen Konkurrenzvorteil hier in Deutschland dadurch gestalten
würde, dass wir hier sichere, regulierte Bankenplätze haben und nicht ständig in der Situation sind, dass der
Steuerzahler für Großbanken zahlen muss.
In dieser Woche ist da etwas ganz Pikantes passiert.
Regierungssprecher Seibert hat auf einer Pressekonferenz davon gesprochen, wie engagiert deutsche Banken
in Irland sind, und hat insbesondere auf die Deutsche
Bank verwiesen. Anstatt dass die Deutsche Bank sagt:
„Der Mann tut was für uns“, reagierte sie mit Empörung
und verlangte, dass er sich entschuldigt. Warum? Weil
niemand erfahren sollte, was wir aber inzwischen in vielen Zeitungen lesen können - darum wird hier auch kein
Geheimnis verraten -, dass deutsche Banken mit über
100 Milliarden Euro in Irland engagiert sind. Und wer ist
am meisten engagiert? Über viele Verbindungen die
Deutsche Bank.
Also haben Sie sich, Frau Merkel, wieder einmal für
die Interessen von Herrn Ackermann eingesetzt, und Sie
wollen jetzt hier den Eindruck erwecken, wir würden
den Menschen in Irland helfen. Ich glaube, das ist genau
der falsche Weg. Wir als Linke sind solidarisch mit den
Menschen in Irland. Wir können uns nicht damit einverstanden erklären, dass dort ein rigider Sparkurs gefahren
wird, nur um das Geld von Herrn Ackermann und seinen
Freunden zu retten. Das ist mit uns nicht zu machen. Ich
finde, viel, viel mehr Menschen sollten öffentlich darüber sprechen und diese Wahrheit zum Ausdruck bringen.
({31})
Dann sage ich Ihnen noch einmal etwas zu Ihren großen Worten zu Europa: Europa ist mehr als der Euro.
Wer das Schicksal Europas nur unter dem Blickwinkel
des Euro sieht, der hat die europäische Idee nicht verstanden. Wir als Linke wollen ein Europa der Menschen.
Wir wollen ein Europa der Sozialunion, und wir wollen
ein Europa, wo die Menschen nicht gegeneinander ausgespielt werden, ein Europa, wo sich jeder frei entwickeln kann und wo nicht große Staaten kleinen Staaten
etwas diktieren. Es ist schon von Kollegen angesprochen
worden: Der Ruf Deutschlands innerhalb der Europäischen Union ist durch diese Regierung nicht verbessert,
sondern verschlechtert worden. Damit wollen wir nichts
zu tun haben.
({32})
Wir als Linke müssen nach fünf Jahren Kanzlerschaft
Merkel feststellen: Unser Land ist nicht sozialer, nicht
gerechter und nicht sicherer geworden. Diese Regierung
ist weder christlich noch liberal, wie sie sich gerne darstellt. Sie ist auch nicht sozial gerecht. Wir sagen Ihnen:
Es ist endlich Zeit für einen politischen Wechsel.
Vielen Dank.
({33})
Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Birgit
Homburger.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben mit Erfolg mehr Netto vom Brutto
durchgesetzt, und, verehrter Herr Steinmeier, das gilt
auch für das Jahr 2011.
({0})
Der Steuerzahlertag 2010 lag zehn Tage früher. Der
Konjunkturmotor ist angesprungen. Wir machen große
Anstrengungen zur Verschärfung des EU-Stabilitätspaktes, um eine harte Gemeinschaftswährung zu garantieren. Wir haben die Haushaltskonsolidierung zugunsten
künftiger Generationen vorangetrieben. Wir haben zuBirgit Homburger
sätzlich in Bildung und Forschung investiert. Wir haben
bei Hartz IV dafür gesorgt, dass das Schonvermögen
verdreifacht wird.
({1})
Im Sinne von „Leistung muss sich lohnen“ haben wir dafür gesorgt, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien das Geld,
das sie bei einem Ferienjob verdienen, auch behalten
dürfen.
({2})
Wir sorgen für mehr Datenschutz für Arbeitnehmer und
Verbraucher. Und wir stärken Solidarität, Wettbewerb
und Gerechtigkeit im Gesundheitswesen.
Das heißt, meine Damen und Herren, wir entlasten
Familien, wir fördern Studierende, wir schaffen Gerechtigkeit für Hartz-IV-Empfänger, wir unterstützen Sparer,
wir stabilisieren die Staatsfinanzen zugunsten zukünftiger Generationen,
({3})
wir verbessern die Chancen für Arbeitnehmer, wir stärken die Patientinnen und Patienten, wir schützen die
Verbraucher. Für diese Menschen machen wir Politik.
({4})
Sie nennen es Klientel, wir nennen sie Bürger. Sie sind
dagegen, wir sind dafür. Wir sind für Fortschritt, Sie sind
für Stillstand. Wir werden uns von Ihnen nicht abhalten
lassen, die Zukunft dieses Landes weiter zu gestalten.
({5})
Was tut die Opposition? Sie stellen falsche Behauptungen auf. Sie frönen unverantwortlichem Populismus.
Sie beschimpfen und verunglimpfen.
({6})
Das, was Frau Roth auf dem Parteitag der Grünen gesagt
hat, ist, wie ich finde, der Gipfel. Sie, Frau Roth, haben
gesagt, und es nicht dementieren lassen:
Ich rede von der Schande unseres Landes, und die
heißt Schwarz-Gelb.
({7})
Wer solche Worte wählt, Frau Roth, über den ist alles gesagt.
({8})
Nicht diese Bundesregierung spaltet das Land, Ihre Oppositionsarbeit ist eine Gefahr für das Land.
({9})
Ich rede hier von der Chance unseres Landes, von der
Zukunftsfähigkeit unseres Landes, und diese heißt:
Schwarz-Gelb.
({10})
Deutschland ist das Comeback des Jahres 2010.
({11})
Das ist dadurch erreicht worden, dass wir Unternehmen
haben, die innovationsfähig sind, dass wir fleißige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben. Es ist auch
dadurch erreicht worden, dass die Gewerkschaften zurückhaltend waren. Wir haben aber auch durch kluge
Rahmenbedingungen diese Entwicklung unterstützt.
({12})
Das bedeutet: Wir haben Subventionen reduziert und
auch Wirtschaftshilfen. Wir machen Schluss mit Steuergeld für Konzerne. Sie, Herr Steinmeier, haben vorhin
hier vorgetragen, dass Sie das Ganze gerne so weitergeführt hätten. Sie hätten Opel gerne zu einem Zeitpunkt,
als klar war, dass sie das Geld gar nicht mehr brauchen,
dieses persönlich hinterhergetragen. Wir haben mit unserem Wirtschaftsminister Rainer Brüderle dafür gesorgt,
dass die Milliarden von Opel zurückgeholt werden. Das
ist eine Wirtschaftspolitik für Arbeitsplätze und für Zukunft in Deutschland.
({13})
Frau Lötzsch trauert der Fünfjahresbilanz hinterher.
({14})
Frau Künast schwadroniert über den Umbau der Industriegesellschaft; den wollen Sie ja inklusive der Schlüsselbranchen erreichen. Dazu kann man nur sagen: Gott
sei Dank, Frau Künast, entscheiden Sie nicht, was in
deutschen Unternehmen produziert wird oder nicht. Die
Planwirtschaft ist weltweit gescheitert, zuletzt vor
20 Jahren hier in diesem Land. Planwirtschaft ist nicht
besser, nur weil sie von den Grünen kommt und nicht
mehr aus dem Politbüro.
({15})
Wir machen außerdem eine Gesundheitspolitik, die
dieses System zukunftsfähig macht. Sie haben, Herr
Steinmeier, den Arbeitgeberanteil in der gesetzlichen
Krankenversicherung angesprochen. Ja, wir haben ihn
festgeschrieben, weil wir nicht wollen, dass Arbeitsplätze in Deutschland durch steigende Zusatzkosten gefährdet werden.
({16})
Darüber hinaus haben wir dafür gesorgt, dass es einen
Sozialausgleich geben wird, der solidarischer und gerechter ist als alles, was es bisher gab. Wir schaffen einen automatischen Sozialausgleich, der über das Steuer8068
system finanziert wird. Das heißt, alle Bürgerinnen und
Bürger in diesem Land tragen dazu bei.
({17})
Sie haben die Vorkasse angesprochen. Sie ist eine Erfindung der Opposition; es gibt keine Vorkasse. Niemand in diesem Land muss erst zahlen, bevor er zum
Arzt gehen kann. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie bauschen da eine Lüge auf.
({18})
Im Gegenteil: Wir haben dafür gesorgt, dass es keine
Leistungskürzungen gibt. Wir haben dafür gesorgt, dass
im Gesundheitssystem Kosten eingespart werden. Wir
haben nun einmal Milliardendefizite von Frau Schmidt
geerbt.
({19})
Wir nehmen jetzt Einsparungen bei den Kosten vor und
sorgen dafür, dass die Leistungen für die Versicherten erhalten bleiben.
Dabei haben wir etwas in einem Bereich geschafft,
bei dem Sie sich in all den Jahren Ihrer Regierungstätigkeit nicht getraut haben, ihn anzufassen: Durch eine
frühe Nutzenbewertung bei neuen Präparaten wird das
Preismonopol der pharmazeutischen Unternehmen gebrochen.
({20})
Dadurch sinken die Preise. Davon profitieren die Versicherten in Deutschland.
Ich kann Ihnen nur sagen: Neun Jahre Ulla Schmidt
lassen sich nicht in einem Jahr reparieren.
({21})
Es verdient Respekt, was Philipp Rösler in diesem einen
Jahr erreicht hat. Damit ist der Einstieg in ein zukunftsfestes Gesundheitswesen geschafft.
({22})
Sie von den Grünen sind dagegen; das haben Sie gerade noch einmal dazwischengerufen. Das ist nichts
Neues. Sie sind gegen alles.
({23})
Die Grünen sind die neue Dagegen-Partei. Jetzt sind Sie
auch noch gegen Olympia. Ich finde es bemerkenswert,
welche Stimmung beispielsweise bei der Fußballweltmeisterschaft hier in Deutschland herrschte: Da war von
einem Sommermärchen die Rede; es war ein Riesenerfolg.
({24})
Warum wollen Sie diesem Land eigentlich kein Wintermärchen gönnen? Die Universalbegründung der Dagegen-Partei lautet: Es ist nicht ökologisch, zu teuer, nicht
genügend transparent, mangelnde Einbindung der Bürger.
({25})
Dieses Begründungsmuster kennen wir von Ihnen,
meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen, auch bei Stuttgart 21 und beim Thema Castortransporte; jetzt gilt das auch noch für die Olympiade in München. Es geht Ihnen nicht um die Sache; es geht Ihnen
um Protest. Wir werden das deutlich machen, damit die
Menschen in diesem Land merken, woran sie bei Ihnen
sind.
({26})
Sie sind - das ist nichts Neues - auch gegen
Stuttgart 21. Sie haben jetzt auf Ihrem Bundesparteitag
einen Beschluss dazu gefasst. Wenn man die Vorschläge,
die Sie da abliefern, etwas näher verfolgt - ich komme
aus Baden-Württemberg -, hat man zwischenzeitlich den
Eindruck, dass jeder Keller mit einer Modelleisenbahn
ein Planungsbüro für Stuttgart 21 ist.
Wenn ich mir das betrachte, Frau Künast, dann erkenne ich, dass es einem bestimmten Muster folgt.
Schauen Sie einmal nach Hamburg: Was haben Sie damals vor der Wahl alles versprochen? Sie wollten den
Bau des Kohlekraftwerks Moorburg verhindern. Anschließend hat eine grüne Umweltsenatorin, Frau
Hajduk, genau dieses Kraftwerk genehmigt. Sie halten
uns permanent moraltriefende Vorträge. Sie spielen sich
als Moralinstanz dieser Republik auf.
({27})
Die grüne Hochmoral, die Sie ständig vor sich hertragen,
ist nichts anderes, Frau Roth, als eine Lebenslüge.
Schauen Sie den Tatsachen endlich ins Gesicht und sagen Sie deutlich, wofür Sie eigentlich stehen! Das, was
Sie versprechen, können Sie nicht halten, und Sie werden es auch in Zukunft nicht halten.
({28})
Wir versuchen, Deutschland in allen Bereichen zukunftsfähig zu machen. Eine der großen Reformen, die
wir vor uns haben, ist die Reform von Hartz IV. Diese
Koalition steht für eine uneingeschränkte Solidarität mit
den Bürgern. Wer Hilfe braucht, kann sich auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen. Für uns gilt aber auch:
Diejenigen, die diese Hilfe erwirtschaften, können sich
genauso auf unsere Solidarität verlassen.
({29})
Deshalb werden wir sehr genau darauf achten, dass der
Regelsatz streng nach den Regeln des Gesetzes und unter Ausnutzung des Wertespielraums festgesetzt wird.
Das heißt, dass wir darauf achten, dass diejenigen, die
Hilfe brauchen, diese Hilfe bekommen, aber wir achten
genauso darauf, dass diejenigen, die ihr Geld durch harte
Arbeit verdienen, am Ende mehr haben als diejenigen,
die nichts tun.
({30})
Das gilt auch für die Bildungsleistungen für Kinder.
Wir haben in diesem Hause oft genug gehört, da müsste
man etwas tun. Wir tun es jetzt.
({31})
Wir sorgen dafür, dass Bildungsleistungen endlich auch
für Kinder aus Hartz-IV-Familien gewährt werden,
({32})
weil wir wissen, dass Bildung die soziale Frage unserer
Zeit ist, weil wir wollen, dass es eine Möglichkeit zum
Aufstieg durch Bildung gibt. Wenn wir das wollen, dann
müssen wir die Kinder stärken. Genau das tun wir mit
dem, was wir vorgesehen haben, indem wir das Geld
treffsicher so einsetzen, dass es bei den Kindern ankommt. Wir sind der Meinung, dass in diesem Land kein
Kind verloren gehen darf und Kinder aus Hartz-IV-Familien endlich die entsprechende Unterstützung bekommen müssen.
({33})
Das ist gelebte Gemeinwohlpolitik.
Das gilt auch für die Energiepolitik. Das neue Energiekonzept, das erste Gesamtkonzept seit 1973, ist ein
zentraler Baustein für die Zukunftsfähigkeit dieses Landes. Wir bauen eine tragfähige Brücke in das Zeitalter
der erneuerbaren Energien. Im Gegensatz dazu machen
die Grünen Wohlfühlpolitik.
({34})
Sie haben auf Ihrem Parteitag beschlossen, dass Sie erreichen wollen, dass der Anteil der erneuerbaren Energien im Jahr 2030 bei 100 Prozent liegt.
({35})
Man hat ein bisschen den Eindruck, dass die Umfragen
Sie besoffen machen.
({36})
Der grüne Oberbürgermeister von Freiburg, Herr Salomon,
hat im Jahr 2004 erklärt, er wolle den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2010 auf 10 Prozent erhöhen. Das Ergebnis ist: Er hat eine Erhöhung von 3,4 Prozent auf 3,7 Prozent erreicht. Er ist kläglich gescheitert.
({37})
So wie er gescheitert ist, werden auch Sie mit den Utopien, die Sie auf Ihrem Parteitag beschlossen haben,
scheitern.
({38})
Sie sind gegen Kernkraftwerke. Sie sind gegen Kohlekraftwerke. Sie sind gegen Wasserkraftwerke. Sie sind
gegen Hochspannungsleitungen, die wir brauchen, um
den Strom, der aus erneuerbaren Energien gewonnen
wird, zum Verbraucher zu bringen. Wenn man immer
nur dagegen ist, dann kann man die Zukunft nicht gestalten. Es geht um die Modernisierungsfähigkeit, um die
Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Deshalb können wir
Ihnen nur zurufen: Kommen Sie endlich aus Ihrer Kuschelecke heraus, und stellen Sie sich der Realität, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen!
({39})
Sie stellen auch permanent falsche Behauptungen auf.
Sie behaupten, wir würden den Energiekonsens aufkündigen. Da wird überhaupt nichts aufgekündigt. Wir machen im Übrigen genau das, was wir vor der Wahl angekündigt haben. Schon damals haben Sie versucht, uns zu
diskreditieren. Es hat aber nichts genützt. Wir haben von
den Wählerinnen und Wählern den klaren Auftrag bekommen, die Energieversorgung in Deutschland zukunftsfähig zu machen. Sie ziehen Ihre Legitimation aus
Umfragen und Stimmungen. Wir ziehen unsere Legitimation aus einer Wahl.
({40})
Unsere Politik gefährdet nicht den Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie vollendet die Energiewende.
({41})
Unser Energiekonzept ist nicht der Ausstieg aus dem
Ausstieg, sondern der realistische Einstieg ins Zeitalter
der erneuerbaren Energien.
({42})
Wir handeln; die Grünen träumen. Mit Träumerei kann
man ein Land nicht gestalten.
({43})
Bei der Energiepolitik kann man meinetwegen unterschiedlicher Auffassung sein.
({44})
Allerdings erwarte ich dann auch, dass man sich ehrlich
verhält. Da ist aber bei den Grünen komplett Fehlanzeige. Angesichts der Vorkommnisse bei den Castortransporten ist ein Zitat von Herrn Trittin aus dem Jahr
2001 legendär. Er schrieb seinerzeit an die Grünen-Basis
in Niedersachsen:
Nur weil jemand seinen Hintern auf die Straße
setzt, finden wir das noch nicht richtig. … Genauso
verhält es sich mit Aktionen gegen die notwendige
Rücknahme von Atommüll aus Frankreich.
Heute finden wir Herrn Trittin an vorderster Front bei
Demonstrationen gegen die Castortransporte.
({45})
Die gesetzlichen Verpflichtungen gelten nicht nur, wenn
Rot-Grün regiert. Sie gelten auch für die jetzige Bundesregierung. Deshalb sage ich Ihnen: Die Heuchelei in
Deutschland hat einen Namen. Sie heißt Trittin.
({46})
Wir Liberale setzen uns dafür ein, dass jeder, der eine
andere Meinung hat, diese andere Meinung äußern kann.
Das ist ein demokratisches Grundrecht. Deswegen sind
wir der Meinung, dass auch friedliche Demonstrationen
geschützt werden müssen.
Liebe Freunde von den Grünen,
({47})
der Aufruf zum sogenannten Schottern im Rahmen dieser Demonstrationen bedeutet, dass es eine Gefährdung
nicht nur für Castortransporte gibt, sondern auch eine
Gefährdung für den normalen Bahnverkehr, der über
diese Schienen fährt. Schottern ist kein Kavaliersdelikt,
sondern ein Straftatbestand. Wenn Sie für friedliche Demonstrationen sind, dann hätte ich von Ihnen erwartet,
dass Sie dann auch eine klare Linie ziehen und sich deutlich von denjenigen distanzieren, die zu Straftatbeständen aufgerufen haben. Dieses Verhalten ist nicht hinnehmbar. Ich erwarte, dass sich die Grünen klar zur
Demokratie erklären.
({48})
Frau Künast, Sie reden in diesem Zusammenhang von
einer Sternstunde der Demokratie. Was meinen Sie eigentlich damit? Die 131 verletzten Polizisten? Die Millionen Euro, die für die Schutzmaßnahmen ausgegeben
wurden? Zum Thema Schottern haben Sie sich nicht geäußert und sich nicht klar davon distanziert. Demokratie
heißt Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen und die
Durchführung sauberer rechtsstaatlicher Verfahren, und
zwar von der politischen Entscheidung bis zur gerichtlichen Überprüfung.
({49})
Einen Augenblick bitte, Frau Homburger. - Die Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht noch eine
Weile weiter, sodass viele Möglichkeiten bestehen, Einwände auch noch verständlich vorzutragen, die im Augenblick durch die Gleichzeitigkeit der Zwischenrufe
selbst im Protokoll nicht zu erfassen sind.
({0})
Herr Präsident, ich werde an dem Punkt noch einmal
beginnen, an dem die Grünen eben nicht mehr zuhören
wollten. Meine sehr verehrten Damen und Herren von
den Grünen, Ihre Philosophie stellt den Protest auf der
Straße über die Legitimität parlamentarischer Verfahren.
Dieses Handlungsmuster kennen wir an verschiedenen
Stellen. Ich bin der Meinung, dass Menschen in diesem
Land einen Anspruch auf Verlässlichkeit haben. Deshalb
werden wir an der Rechtsstaatlichkeit festhalten und
nicht akzeptieren, dass die letzte Instanz in diesem Land
die Sitzblockade ist.
({0})
Wir gehen die Erneuerung Deutschlands entschlossen
an, und zwar in allen Bereichen.
({1})
Das gilt auch für die Bundeswehrreform. Wir haben im
Koalitionsvertrag vereinbart, dass eine Strukturkommission eingesetzt wird. Wir haben durchgesetzt, dass zunächst einmal die Wehrpflicht auf sechs Monate reduziert wird.
Das hat zu einem Rutschbahneffekt geführt und auch
zu einem neuen Nachdenken im Verteidigungsministerium. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir endlich
nach vielen Jahren der Diskussion eine neue, zukunftsfähige Struktur für die Bundeswehr auf den Weg bringen
und vor allen Dingen die Wehrpflicht aussetzen. Das bedeutet, dass es ein Meilenstein für die junge Generation
ist. Tausende junge Männer werden im nächsten
Sommer eben nicht mehr zur Kleiderkammer der Bundeswehr gehen, sondern direkt in die Hörsäle und in die
Berufsschulen gehen können.
({2})
Das, meine Damen und Herren, ist ein Erfolg, und es eröffnet wiederum neue Chancen für die junge Generation
in Deutschland.
({3})
Der Haushalt, den wir in dieser Woche abschließend
beraten, ist ein Wendepunkt in der Haushaltspolitik.
({4})
Wir arbeiten mit Ausgabenkürzungen statt mit Ausgabenausweitung. Wir senken die Neuverschuldung im
Bund um 40 Prozent, während unter gleichen wirtschaftBirgit Homburger
lichen Rahmenbedingungen Rot-Grün in NRW die Verschuldung um 35 Prozent erhöht. Das ist die Realität.
Wir werden bis 2014 80 Milliarden Euro gegenüber
dem Entwurf von Ihrem Herrn Steinbrück einsparen.
Das ist die Realität, und es ist sozialer und gerechter als
alles, was Sie in Ihrer Regierungszeit beschlossen haben.
({5})
Wir werden die Neuverschuldung weiter reduzieren.
Sie haben hier immer wieder eingewandt, man könnte
das schon jetzt tun und man könnte noch viel mehr tun.
Ich will Ihnen einmal sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD:
({6})
Sie haben über Jahre in diesem Land Regierungsverantwortung getragen. In dieser Zeit gab es viele wirtschaftlich gute Jahre mit sprudelnden Steuereinnahmen. In
keinem einzigen dieser Jahre haben Sie es geschafft, die
Ausgaben zu reduzieren - in keinem einzigen. Trotz
Milliarden Mehreinnahmen haben Sie die Ausgaben allein von 2005 bis 2009 um 30 Milliarden Euro gesteigert.
({7})
Der letzte, der dieser Koalition haushaltspolitische Vorschläge und Ratschläge geben sollte, ist die SPD.
({8})
Deshalb hat die Haushaltskonsolidierung für uns
oberste Priorität. Wir stehen bei den Staatsausgaben auf
der Bremse, und wir werden noch in diesem Jahr eine
Steuervereinfachung auf den Weg bringen, die vor allen
Dingen den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land
nutzt.
({9})
Wir werden - auch die Bundeskanzlerin hat das gesagt alles dafür tun, dass wir in dieser Legislaturperiode die
Spielräume erarbeiten, die wir brauchen, um eine Entlastung der unteren und mittleren Einkommensgruppen in
Deutschland zu ermöglichen.
({10})
Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, Herr Oppermann,
und wir werden uns auch von Ihnen davon nicht abhalten
lassen.
({11})
Es geht um die Stabilisierung des Euro. Auch deshalb ist die Haushaltskonsolidierung von zentraler Bedeutung. Dabei geht es um Europa, aber es geht eben
auch um das Ersparte der kleinen Leute. Wir haben hier
eine Vorbildfunktion, die wir wahrnehmen, ganz anders
als Sie seinerzeit im Jahr 2004, als Sie dafür gesorgt haben, dass der Stabilitätspakt in Europa gelockert wurde.
Das war einer der Momente, die dazu geführt haben,
dass wir heute in dieser Krise sind.
({12})
Wir werden dafür werben, dass der Stabilitätspakt verschärft wird.
({13})
- Verehrter Herr Trittin, ich komme gerade zum Beispiel
Irland.
Was die Frage Irland angeht: Hier zeigt sich, dass wir
über die Entscheidungen, die wir im Frühjahr gefällt haben, für die Krise gewappnet sind.
({14})
Ich stelle an dieser Stelle fest, dass wir uns der Verantwortung gestellt haben, während Sie von der Opposition
dagegen gestimmt oder sich kraftvoll enthalten haben.
({15})
Das war alles, was Sie gemacht haben. Sie schlagen sich
in die Büsche, wir haben die Verantwortung übernommen.
({16})
Wir brauchen deshalb Krisenmechanismen,
({17})
die die Beteiligung privater Gläubiger vorsehen. Wir als
Koalition hier im Deutschen Bundestag wollen - das haben wir deutlich gemacht - einen Zukunftsmechanismus, der dafür sorgt, dass es eine Art Umschuldung, eine
Art Insolvenzordnung für Staaten gibt. Ich bin der tiefen
Überzeugung, dass wir dafür sorgen müssen, dass mehr
Verantwortlichkeit in diesen Bereich zurückkehrt. Deshalb werden wir uns auf europäischer Ebene genau hierfür einsetzen.
Was Sie hier tun, ist doppelt unverantwortlich. Bei der
Rettung tauchen Sie ab, und hinterher gibt beispielsweise Herr Gabriel Interviews, in denen er den Euro kaputtredet. Herr Steinmeier schlägt sich in die Büsche,
wenn es um die Abstimmung geht, gibt uns aber hier in
seiner Rede Belehrungen, wie man es besser machen
soll.
({18})
Ich bin der Auffassung, dass wir einen starken Euro
brauchen. Wir brauchen solide Haushalte, strenge Stabilitätskriterien und einen dauerhaften Krisenmechanismus, um einen harten Euro zu erreichen. Diese Koalition
kämpft für einen harten Euro und gegen eine Transferunion. Sie sind herzlich eingeladen, sich dieser Verantwortung zu stellen.
({19})
Neue Herausforderungen erfordern kluges und besonnenes Handeln. Das gilt auch für die aktuelle Sicherheitslage. Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben volles
Vertrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden und deren gute Ermittlungsarbeit, die sie in den letzten Jahren
immer wieder bewiesen haben. Wir sind der Meinung,
dass die vorhandenen Gesetze konsequent genutzt und
Vollzugsdefizite abgebaut werden müssen. Wir als Koalition haben in der letzten Woche nochmals bewiesen:
Wenn es notwendig ist, schnell zu handeln, dann tun wir
das. Als sich gezeigt hat, dass bei der Frachtkontrolle
Probleme bestehen, haben wir im Haushaltsausschuss
sofort dafür gesorgt, dass 450 neue Stellen vorgesehen
werden, durch die die Kontrolle und die Sicherheit gewährleistet werden. Das ist ein Beispiel für das sofortige,
entschlossene Handeln, das diese Koalition auszeichnet.
({20})
Der reflexartige Ruf nach schärferen Gesetzen sorgt
nicht für mehr Sicherheit. Deshalb, denke ich, sollten
wir die Lage ruhig analysieren und die nötigen Maßnahmen ergreifen. Denn Angst ist die stärkste Waffe des
Terrors. Terroristen zielen auf unsere freiheitliche Gesellschaft. Sie wollen Angst, Schrecken und weniger
Freiheit; das ist das Ziel der Terroristen. Ich bin der Auffassung, dass wir hier in diesem Hause gemeinsam dafür
sorgen sollten, dass sie das nicht erreichen. Ich danke an
dieser Stelle ganz ausdrücklich dem Bundesinnenminister de Maizière, aber auch der Justizministerin
Leutheusser-Schnarrenberger, die in Ruhe und Besonnenheit reagiert und die nötigen Maßnahmen auf den
Weg gebracht haben.
({21})
Schwarz-Gelb trägt Verantwortung für unser Land.
Wir handeln entschlossen und treffen Entscheidungen,
auch wenn sie unpopulär sind. Das ist der Unterschied
zwischen Rot-Rot-Grün und Schwarz-Gelb: Wir gestalten Deutschland, Sie sind für den Stillstand. Wir wollen
Deutschland zukunftsfähig machen, Sie wollen den
Rollback in alte Rezepte von gestern. Wir übernehmen
Verantwortung, Herr Kuhn, Sie drücken sich vor Entscheidungen und schlagen sich in die Büsche. Wir haben
Kraft und Mut für Richtungsentscheidungen, Sie machen eine Wohlfühlpolitik, versprechen allen alles und
ziehen sich in Ihre Kuschelecke zurück.
Wachstum, Bildung, Zusammenhalt - dafür steht
diese Koalition, dafür arbeiten wir. Wir haben den Mut
zu Veränderungen und zu Verantwortung. Das ist der
Unterschied zur Opposition in diesem Haus.
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte erst einmal nach oben schauen.
({0})
- Ja. - Dort oben laufen während unserer Sitzungen normalerweise Menschen, aus diesem Lande, aus ganz
Europa und aus vielen anderen Ländern, die eines genießen: dass der Deutsche Bundestag das einzige Parlament
ist, das so frei ist, dass man sich nicht einmal anmelden
muss, bevor man sich dort vorne in die Schlange stellt,
um wenig später aus dem Reichstag hinaus- und auf uns
hinabzuschauen.
Ich glaube - zumindest mir geht es in den letzten Tagen so -, das ist etwas, das wir immer im Kopf haben
müssen: Das ist aufgrund der Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Terrorismus im Moment nicht möglich. Aber ein Gefühl sollte uns heute verbinden. Auch
wenn wir hier tagen wie immer und arbeiten wie immer,
sollten wir wissen: Dies ist ein freies Parlament in einem
freien Land, das wird es immer bleiben, und das Dach
wird wieder geöffnet werden.
({1})
Ich möchte an dieser Stelle dem Bundesinnenminister
danken.
({2})
Wir sind bei diversen Themen nicht einer Meinung. Ich
will mich aber dafür bedanken, dass Sie die Dinge mit
der Ihnen typischen Ernsthaftigkeit und Seriosität ganz
ruhig angegangen sind, das, was nötig war, erklärt haben
und das tun, was notwendig und rechtlich zulässig ist.
Ich glaube, das hilft uns auch, um aus dieser Situation
herauszukommen. Später werden wir unsere Debatten
- wir wissen schon, welche - natürlich weiterführen.
Dennoch sage ich Ihnen insofern meinen und unseren
herzlichen Dank.
({3})
Nun zum Haushalt und zu Ihrer Rede, Frau Bundeskanzlerin. Sie sind ans Redepult getreten und haben gesagt, Sie möchten jetzt endlich eine Rede für die Zukunft
halten.
({4})
Eine solche Rede haben Sie aber nicht gehalten. Dies
war keine Rede für die Zukunft.
({5})
Ich will Ihnen auch erklären, warum. Das, was Sie gesagt haben, war nicht wirklich der Zukunft verpflichtet.
Sie haben in den letzten Monaten im Übrigen eine andere These vertreten. Als Sie mit Schwarz-Gelb so richtig tief im Sumpf saßen, haben Sie gesagt: Nun kommt
der Herbst der Entscheidungen. - Entscheiden allein ist
aber keine Qualität, Frau Merkel. Es kommt auch auf
den Inhalt und die Richtung der Entscheidungen an.
({6})
Ja, Sie haben sich entschieden. Sie haben sich entschieden - gegen eine zukunftssichere Energiepolitik in
Deutschland. Sie haben sich entschieden - gegen Solidarität in der Gesundheitspolitik. Sie haben sich entschieden - gegen sozialen Zusammenhalt. Sie spalten das
Land. Das ist nicht der Zukunft, sondern das ist dem
Vergangenen verpflichtet, Frau Merkel.
({7})
Sie haben gesagt: starke Wirtschaft, starker Staat,
starkes Gemeinwesen. Dass die FDP bei all dem mitmacht - ich wiederhole: „starkes Gemeinwesen“ und
„starker Staat“ -, wage ich zu bezweifeln. Aber egal! Sie
haben nichts von all dem organisiert. Sie haben im letzten Jahr Klientelgeschenke verteilt. Wenn wir „Mövenpick“ hören, zucken wir alle zusammen. Keiner denkt
mehr an Eis, sondern alle denken nur noch an Steuerprivilegien.
({8})
Sie machen eine gnadenlose Klientelpolitik: für die
Pharmaindustrie, für den Profit der Atomkonzerne, für
die Privilegien einiger weniger in der Gesundheitspolitik. Die Folgen dieser Politik haben Sie selbst beschrieben, Frau Merkel. Ich möchte zitieren, was Sie auf Ihrem
Parteitag gesagt haben:
Wir brauchen uns nicht zu wundern, dass sich viele
Menschen angewidert von den politischen Parteien
und den Politikern abwenden, wenn die Politik ihrerseits selbst das Gespür für die Grenzen des Anstands verliert.
({9})
Das ganze erste Jahr Schwarz-Gelb zeigte: Sie haben das
Gespür für den Anstand, für die Menschen verloren.
Frau Merkel, Sie haben vorhin - auch ich bin in der
Lage, Pirouetten zu drehen, aber man muss erst einmal
auf die Idee kommen, so zu denken ({10})
etwas zur globalen Natur und zur Nachhaltigkeit erzählt.
Nachdem Sie da oben in den philosophischen Sphären
herumgereist sind, kamen Sie wieder herunter und sagten: Deshalb muss Gorleben gebaut werden. - Frau
Merkel, nachhaltig ist das nicht, weil man dann nämlich
gar nicht erst damit angefangen hätte.
({11})
Denn das ist eine Risikotechnologie, gar nicht davon zu
reden, wenn man dies verlängern würde.
Sie machen es immer nach der Methode: Der Regierungssprecher erzählt vorher schon einmal, was Sie angeblich alles erreicht haben, damit möglichst viele es
schreiben. Ich nehme das so wahr: Wenn der Regierungssprecher angekündigt hat, was Sie tun werden, treten Sie an das Redepult, spitzen den Mund, und heraus
kommt ein verzagter Pfiff.
({12})
- Immerhin, das stimmt. Gar kein Ton wäre noch
schlimmer. - Ich sage Ihnen: So kann die Zukunft unseres Landes nicht organisiert werden.
Sie haben sich überlegt, nachdem Sie nicht wussten,
wer Sie jeweils sind - es gibt ja nicht wenige, die Probleme haben, zu sagen: „Wer bin ich und wenn ja, wie
viele?“, auch als Partei; die Grünen trifft es gerade nicht,
aber die CDU weiß es nicht; Sie rufen ständig etwas
Neues aus -:
({13})
Einmal sind Sie Mitte, liberal, um ihnen das Wasser abzugraben. Dann sind Sie wieder konservativ und wollen
das Bürgertum in den Großstädten erreichen. Dann ist
wieder das große C dran. Jetzt ist die große Geschichte:
Immer auf die Grünen. Wir nehmen den Handschuh
gerne auf, den Sie werfen: Immer auf die Grünen. Ich
bin sowieso der Überzeugung, dass dieses Land, wenn es
sich um seine Zukunft Gedanken macht, im Wesentlichen zwischen zwei Konzepten zu entscheiden hat: Ihrem und unserem, schwarz oder grün.
({14})
Schauen wir uns einmal an, wohin die Reise geht. Sie
sprechen immer vom großen C, dem Christlichen. Dann
müssten Sie aber einmal den Haushalt richtig konsolidieren und dabei das große C mitnehmen. Ist es christlich,
nur bei den Ärmsten zu sparen?
({15})
- Ich weiß, jetzt ruft Herr Kauder gleich wieder: Sie denken immer nur an die Hartz-IV-Leute. - Nein, nicht immer nur, aber auch. Und ich denke an die Zukunft.
({16})
Warum streicht man eigentlich diesen Eltern, nicht aber
der erwerbslosen Ehefrau das Elterngeld? Auch das ist
keine Ersatzleistung, oder, meine Herren? Sie haben das
Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger sowie die Rentenbeiträge gestrichen und die Mittel zur Qualifizierung um
16 Milliarden Euro gekürzt. Das soll Zukunft sein? Das
organisiert die Arbeitslosigkeit der Zukunft. Das organisiert die tiefe Armut im Rentenalter. Das ist nicht Zukunft, sondern ganz blöde alte Denke.
({17})
Sie sagen, dieser Haushalt sei angeblich christlich
ausgewogen. Na toll! Die Brennelementesteuer wird
vollständig absetzbar. Die Ausnahmen bei der Ökosteuer
bleiben alle erhalten. Um sie zu finanzieren, sollen die
Menschen mehr Steuern für das Rauchen zahlen. Das ist
irgendwie schräg. Ich will nicht behaupten, Rauchen sei
gesund.
({18})
Im Gegenteil: Die Nichtraucherregelungen gefallen auch
mir. Sie meinen, die einen, die nicht einmal internationale Konkurrenz und Wettbewerb haben, dürften die
Ökosteuerausnahmen nicht verlieren. Bei den anderen
sagt man: Ihr müsst jetzt einmal einen Solidarbeitrag
leisten.
({19})
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Ihr Haushaltsentwurf
ist der soziale und ökologische Offenbarungseid und
kein Zukunftsversprechen.
({20})
Sie sprechen von 48 Milliarden Euro neuen Schulden.
Aber Sie haben vergessen, was Sie noch alles an Nebenschauplätzen versteckt haben.
Dann beglückt uns noch der von Frau Homburger immer so gelobte Herr Brüderle. Er schwadroniert schon
wieder über Steuersenkungen. Und Ihr Herr Lindner
- das ist der Ersatzmann, damit Westerwelle nicht so oft
gesehen wird ({21})
profiliert sich immer mit seinen Gewerbesteueralbträumen.
Was in diesem Land sozial ist und wie der Alltag organisiert wird, wird in den Kommunen entschieden.
Wir brauchen Kindergärten, Schulen, Horte, Sozialarbeiter und Stadtteilarbeit, und zwar nicht erst dann, wenn
der Stadtteil bereits in einem total miserablen Zustand
ist. Wir brauchen Freibäder. Wir brauchen Kinder, die
das Seepferdchen machen können, damit sie schwimmen
lernen. Das ist der soziale Alltag in Deutschland. Dafür
brauchen die Kommunen Geld, und das wollen Sie ihnen
nehmen. Das ist nicht christlich, und das ist auch nicht
Zukunft.
({22})
Sie haben etwas zu Europa gesagt; auch Frau Merkel
hat hier etwas darüber berichtet. Ich habe jetzt nicht die
Zeit, die gesamte Europapolitik aufzumachen, und
möchte deshalb an dieser Stelle nur auf Irland eingehen.
Ich sage Ihnen eines: Irland zeigt - das negieren Sie auch
nicht -, wohin unvernünftige neoliberale Wirtschaftspolitik führt. Es ist richtig, das Land zu stützen. Wir als
Grüne haben das hier gerade auch bei der Debatte über
Griechenland sehr klar gesagt. Wir haben damals gesagt:
Wir diskutieren einmal nicht über Frau Merkel, sondern
über Griechenland, über die Europäische Union und
über den Euro, den wir schützen wollen. Darum ging es,
und darum geht es auch bei Irland.
Um eines mache ich mir aber Sorgen, Frau Merkel:
Es geht ja um die Steuersätze dort. Nach dem Gipfel von
Deauville und Ihrem Alleingang, dem Überraschungscoup zusammen mit Sarkozy, wird es für Deutschland
nicht einfacher, in Richtung Irland zu sagen, was jetzt zu
tun ist.
({23})
Das wird das sein, was Sie jetzt leisten müssen: Irland
muss bei der Steuerharmonisierung einen Schritt weitergehen und darf nicht sagen, sie bleiben bei den
12,5 Prozent. Es muss klar sein, was unter dem Begriff
„geeignete Maßnahmen“ zu verstehen ist, die zu ergreifen sind, damit sich so etwas nicht wiederholt, und dass
die Iren entsprechende Maßnahmen ergreifen. Das ist
nicht einfach, weil ich sehe, dass die Grünen im Augenblick die einzigen sind, die an dieser Stelle agieren.
({24})
Sie sollten sich an dieser Stelle auch nicht zu laut äußern. Hans Eichel hat sich damals als Bundesfinanzminister immer an der, wie ich zugebe, nicht einfachen
Steuerharmonisierung in Europa versucht.
({25})
Wer hat ihn damals kritisiert? Der rechte Teil des Hauses. Auch hier wäre also ein bisschen Demut angebracht.
({26})
- Ja, schon.
Zurück zum Kern des Haushaltes. Worum geht es in
der Debatte? In der Debatte heute muss es darum gehen,
eine wirkliche Haushaltskonsolidierung aufzulegen
und einen Dreiklang zu praktizieren: durch Einsparungen, durch die sozial ausgewogene Steigerung von Einnahmen und durch gezielte Investitionen in Bildung,
Klima und Soziales. Sie haben aber keinen Haushalt der
Gestaltung vorgelegt, sondern einen Haushalt alter, vergangener Klientelpolitik.
({27})
Die Ausnahmen der Ökosteuer habe ich schon erwähnt. Warum gehen Sie an den Spitzensteuersatz nicht
ran? Warum führen Sie keine einmalige Vermögensabgabe ein? Warum besteuern Sie Kapital nicht tatsächlich
genauso wie Arbeitseinkommen? Wie sieht es mit den
Investitionen aus? Welche Leitlinien haben Sie eigentlich hinsichtlich der Investitionen der Zukunft? Wo
schaffen Sie eigentlich Arbeitsplätze?
Frau Merkel hat hier heute über Bildung und über
Hartz IV geredet. Bezüglich der Verhandlungen zur Umsetzung des BGH-Urteils zu Hartz IV sind Sie uns mit
ein paar harten Sätzen angegangen. Ich sage Ihnen aber
eines: Ein bisschen Demut täte Ihnen hier gut.
({28})
Jede Rednerin und jeder Redner tut so, als würde die
CDU/CSU-FDP-Koalition jetzt endlich für die großen
Strukturen in der Bildung sorgen. Mal halblang! Aufgrund einer miserablen Bildungspolitik in diesem ganzen Land und fehlender Chancen für jedes Kind sind Sie
durch den BGH dazu verpflichtet.
({29})
- Das hat mit Hartz IV gar nichts zu tun. Sie verstehen
schon wieder nichts. Sie verstehen von gar nichts etwas,
Frau Homburger.
({30})
Aufgrund der miserablen Bildungspolitik in diesem
Land und der fehlenden Strukturen, wodurch nicht jedem Kind die gleiche Chance gegeben und nicht jedes
Kind gefördert wird, wenn es Defizite hat, hat der BGH
gesagt: Es gehört zur persönlichen Entfaltung und zum
Recht der Kinder, dass sie zum Beispiel gefördert werden und Nachhilfe bekommen.
({31})
Sie haben jetzt die Sachleistungen angesprochen. Sie
müssen das Urteil umsetzen; das ist nicht Ihre eigene
Idee. Mir fehlt dabei aber eine zusätzliche Idee von Ihnen. Allein die Umsetzung des Urteils hinsichtlich der
Sachleistungen bedeutet doch keine Bildungspolitik in
diesem Land. Sie müssen jetzt gezielt in die Bildungsinfrastruktur investieren und dürfen nicht nur für einen
Wildwuchs an einzelnen Maßnahmen und mehr Bürokratie sorgen.
({32})
Rein in die regionalen Bildungspartnerschaften, Sozialarbeiter mit einbeziehen, damit die Probleme der ganzen
Familie bearbeitet werden können und die Kinder Zeit,
Raum, Gefühl und Energie haben, sich zu bilden. Dazu
bieten Sie nichts an, außer dass Sie immer über den
Wegfall von Gewerbesteuern schwadronieren, statt endlich einmal für eine verlässliche Finanzierung der Kommunen zu sorgen.
({33})
Frau Merkel, wir haben Ihnen zusammen mit der SPD
geschrieben, wir seien an dieser Stelle bereit, zu reden.
Dabei muss es dann aber wirklich um regionale Bildungspartnerschaften und um die Fragen gehen, wie
innerhalb des Hartz-IV-Konzeptes eigentlich die Regelsätze berechnet werden und was Sie für Langzeitarbeitslose tun, weil Hartz IV nur ein Übergang sein soll. Diesen Übergang in das andere muss man dann bitte schön
auch organisieren.
({34})
Frau Merkel, Sie reden hier immer über die Zukunft,
aber an keiner Stelle sagen Sie wirklich, wie das Land in
Zukunft organisiert sein soll.
Wie soll es denn in 10, 20, 30 Jahren aussehen? Keine
Idee, kein Mut, immer nur so kleine sektorale Felder, die
angegangen werden. Bei dem ganz großen Feld Elektromobilität machen Sie einen Elektroauto-Gipfel. Sie ziehen das also auf den kleinsten und auch unökologischsten Teil. Frau Merkel, Deutschland verschläft an dieser
Stelle seine Zukunft. Wenn man in diesem Bereich die
Arbeitsplätze in der Automobilindustrie halten will,
wenn man mehr Arbeitsplätze schaffen will, dann muss
man jetzt an den systematischen Strukturwandel im Bereich Verkehr ran. Das heißt Elektromobilität. Dazu gehören das Auto, das Fahrrad, der Roller, die Vernetzung
der Angebote, die Bahn, der öffentliche Verkehr. Dazu
haben Sie in Wahrheit gar nichts. Wo ist die Forschungsinitiative für das vernetzte Konzept? Wo sind die Prämien für entsprechende Autos? Wir haben ein fertiges
Konzept dazu. Ich sage Ihnen: Bei der Elektromobilität
stehen sich zwei Konzepte gegenüber, das schwarze und
das grüne. Unseres geht aber in die Zukunft.
({35})
Schauen wir uns das Thema Energie an: ihr Konzept,
unser Konzept. Frau Merkel, Sie haben gesagt, die
Atomenergie sei eine Brückentechnologie. Das war sie
aber schon, bevor Sie die Laufzeitverlängerung gemacht
haben - aus lauter Not, um wieder herauszukommen.
Wir setzen auf 100 Prozent erneuerbare Energie bis
2050. Sie reden mittlerweile immer vom Zeitalter der erneuerbaren Energie, das übrigens mit dem EEG und
nicht mit Ihnen angefangen hat, um es einmal klar zu sagen.
({36})
Aber bei Ihnen heißt die Antwort: 2050 30 Prozent Stromimport. So wollen wir die Zukunft Deutschlands nicht
organisieren. Wir wollen unabhängig werden.
({37})
Wir wollen in der Entwicklung der Technologie vorne
sein, und es geht. Da muss man aber Mut haben und darf
nicht reine Lobbygeschenke verteilen.
100 Milliarden Euro Zusatzgewinne an die Atomenergie, an die Atomkonzerne. Davon müssen sie allenfalls, wenn es hoch kommt, 30 Milliarden Euro ausgeben. Meine Damen und Herren, das ist nicht Zukunft,
das ist alte Klientelpolitik, wie sie schon unter Helmut
Kohl gemacht wurde. Sie setzen sie fort, Frau Merkel.
({38})
Das Bundesverfassungsgericht wird das so nicht bestehen lassen. Es wird auch keinen politischen Bestand
über 2013 hinaus haben, und das ist auch gut so.
({39})
Sie reden hier für meine Begriffe verdächtig wenig
über die Frage von Konzepten für Bereiche. Das machen
Sie im Energiebereich nicht. Ich sage Ihnen: Im Verkehrsbereich hängen Sie sich immer an der Frage von
Stuttgart 21, diesem Bahnhof, fest. Es freut mich, dass
Sie dazu etwas sagen. Frau Merkel, es freut mich auch,
dass Sie unseren Spitzenkandidaten dort, Herrn
Kretschmann, erwähnen und ihn zitiert haben. Er hat gesagt: Wir versprechen nichts, aber wir werden alles dafür
tun, dass Stuttgart 21, dieser Bahnhof, nicht kommt.
({40})
Deshalb haben wir ja einen Stopp weiterer Baumaßnahmen gefordert. Wissen Sie, Frau Merkel, das unterscheidet uns von Ihnen: Wir versprechen nur das, was man
auch halten kann. So klug sind wir auch geworden.
({41})
Ich gebe zu, wir haben in Moorburg etwas versprochen
und die Gerichtsentscheidung unterschätzt, die da noch
ansteht. Deshalb sagen wir bei Stuttgart 21: Klar, wir
versuchen alles, was geht.
({42})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie bei
Ihren Steuersenkungen Ihren Grips einmal ähnlich anstrengen würden, wäre das Land weiter.
({43})
Kollegin Künast, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Schlecht?
Ja.
Frau Künast, Sie haben vorhin selbst gesagt, dass Sie
in der Lage sind, Pirouetten zu drehen. Das, was Stuttgart 21 betrifft, hört sich jetzt ein bisschen so an.
({0})
- Der ist schon seit zehn Jahren bekehrt. Der ist schon
viel früher bekehrt, als die Grünen dazu bekehrt worden
sind. Das ist überhaupt kein Problem.
({1})
Ich will eine Frage stellen, Frau Künast. Das ist eine
Frage, die viele Menschen, die ich auf den Demonstrationen in Stuttgart, in Straßenbahnen usw. treffe, bewegt,
nämlich: Was machen die Grünen eigentlich, wenn sie
gemäß den Umfragen am 27. März tatsächlich einen großen Wahlerfolg erzielen sollten? Was machen die Grünen tatsächlich? Werden sie dann Stuttgart 21 beerdigen,
ja oder nein? Das ist die Frage, und alles andere sind Pirouetten.
({2})
Herr Schlecht, ich habe gedacht, das gerade gesagt zu
haben, will aber auf alle Fälle auf eines verweisen, weil
Sie von Bekehren gesprochen haben: Grüne müssen Sie
nicht bekehren. Bekehren Sie lieber Herrn Maurer. Er
hat damals, als er noch in der SPD war, für Stuttgart 21
gekämpft.
({0})
Ich sehe Herrn Maurer übrigens selten in solchen Debatten. Wie kommt das?
Nachdem wir das Verb abgearbeitet haben, will ich
Ihnen eines sagen: Wir führen rechtliche Prüfungen
durch. Wir nehmen alles in den Blick, und wir haben
auch die Schlichtungsgespräche mit angeregt, um klarzumachen, dass das, was die Bürgerinnen und Bürger als
sinnlose Maßnahme ansehen, die sie nicht wollen und
für die sie kein Geld verplempern wollen, nicht Realität
wird. Auch deshalb wollen wir die Wahl gewinnen.
({1})
Ich finde es richtig, wenn jetzt in Stuttgart oder Baden-Württemberg diskutiert wird, ob man das Geld nicht
besser für den Güterverkehr ausgeben sollte, als die Gigaliner über die Straßen fahren zu lassen. Ich finde es
richtig, dass an der Stelle gesagt wird: Was wir tun können, um eine Weiterentwicklung hinsichtlich der Rechtslage und Auftragslage zu verhindern, tun wir.
({2})
Gerade Sie von der FDP sollten aufgrund von
Stuttgart 21 und anderen Projekten eines erkennen, nämlich dass die Basta-Politik und die Politik für die Besserverdienenden ein Ende hat. Nach 60 Jahren Grundgesetz
lassen sich die Menschen es nicht mehr gefallen - das
sehen wir in Stuttgart und anderswo -,
({3})
dass man ihnen 15 Jahre alte Entscheidungen überstülpt.
Sie haben an 365 Tagen im Jahr eine Meinung, nicht nur
dann, wenn Wahlen bevorstehen.
({4})
Sie haben einen Haushalt vorgelegt, der an keiner
Stelle den Fragen Genüge tut: Wo ist das Konzept für die
Fachkräftezuwanderung? Wo bleibt die gezielte Arbeit mit Migrantinnen und Migranten? Wo ist das Punktesystem? Damit setzen Sie sich auch nicht durch. Jedenfalls ist für mich nichts erkennbar. Sie reden immer nur
laut darüber. Wo ist das Punktesystem, das Fachkräften
Zuwanderung ermöglicht?
Wo ist eine Gesundheitspolitik, die dem C gerecht
wird, Frau Merkel? Das ist doch eine sozial kalte Gesundheitspolitik der FDP, mit der Privilegien aufrechterhalten werden. Sie wollen das bei der Pflegeversicherung genauso machen. Wir wollen mehr Solidarität statt
weniger und deshalb eine Bürgerversicherung.
({5})
Das Fazit Ihres Haushaltes ist: Schwarz-Gelb richtet
das Land nicht neu aus. Die entscheidenden Aufgaben
werden nicht angegangen, weder bei den Fachkräften
noch beim Umbau der Wirtschaft, bei der Bildungspolitik und den erneuerbaren Energien, nirgendwo.
Wahr ist: Sie setzen die Zukunft des Landes aufs
Spiel. Sie sind dem Alten verpflichtet. Das macht den
Unterschied aus. Sie sind dem Alten verpflichtet. Wir
werden von der Zukunft gezogen. Deutschland hat wahrlich mehr Zukunft verdient.
({6})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Volker
Kauder.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gleich zu Anfang das Gemeinsame, Frau Künast:
Ja, es ist richtig, dass wir unter den Erkenntnissen des
Bundesinnenministers unsere Arbeit in diesem Parlament so konsequent weitermachen wie bisher. Wir lassen
uns von niemandem in unserer Arbeit und in unserem
Leben beeinflussen. Das hätten die Terroristen gerne.
Genau das machen wir nicht. Darin sind wir einer Meinung. Herzlichen Dank für diese Gemeinsamkeit, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Ich bin auch dem Bundesinnenminister dankbar für
seine kluge, zurückhaltende, aber doch klare Aussage,
dass wir alle wachsam sein müssen. Das gilt für uns alle.
Ich bin all denjenigen dankbar, die in Sicherheitsdiensten hier im Deutschen Bundestag sowie draußen auf unseren Straßen und Plätzen durch ihre Präsenz zeigen:
Dieser Staat tut, was er kann. Wir setzen alles daran, um
Sicherheit in unserem Land zu gewährleisten.
({1})
Aber es wird dann sicher auch Diskussionen darüber
geben: Was müssen wir in Konsequenz der Erkenntnis
tun, dass Sicherheit zu garantieren immer auch ein Prozess ist? Da warten wir natürlich auf die Anregungen
und Vorschläge, die der Bundesinnenminister diesem
Parlament auch im Zusammenhang mit der Neustrukturierung geben wird. Ich habe heute Morgen in einem Interview bereits darauf hingewiesen.
({2})
Aber das Entscheidende, meine sehr verehrten Damen
und Herren, ist doch, dass wir dieses Land auf allen Ebenen, in allen Bereichen weiter nach vorne bringen, wie
es die Bundeskanzlerin angesprochen hat. Frau Künast,
Sie irren ganz gewaltig; denn Sie haben Freude am Alten, wir haben Freude am Neuen. Wir bringen unser
Land voran.
({3})
Wenn es um irgendeine Investition geht, dann sind
Sie immer dagegen. Sie sind die Dagegen-Partei, die gegen alles ist.
({4})
Wenn ich mir einmal anschaue, was Sie auf Ihrem Parteitag alles so beschlossen haben
({5})
und was ich in den letzten Tagen auch zum Energiekonzept von Ihnen gehört habe, dann muss ich sagen: Das
ist der Markenkern ideologisch geprägter Politik. Dazu
einmal ein Beispiel.
Sie beschließen auf einem Parteitag Ausgaben in der
Größenordnung von 50 bis 60 Milliarden Euro. Dann
kommt der Schwabe Kuhn und stellt den Antrag, sich
das einmal genauer anzuschauen, weil man gar nicht
weiß, welche Auswirkungen das hat. Er wird runtergebügelt nach dem Motto: Sei ruhig, Kuhn, das interessiert
gar nicht. Wichtig ist nicht die Frage, was das kostet,
sondern wichtig ist, ob es unseren ideologischen Ansprüchen gerecht wird. - Das ist das Thema bei Ihnen,
Frau Künast.
({6})
Ein Land wird im Wettbewerb mit anderen Ländern
auf dieser Erde, insbesondere mit Asien, nur dann eine
wirkliche Chance haben, wenn es sein Energieproblem
löst. Energiepolitik macht diese Regierung unter Berücksichtigung der Realität, der Tatsachen und nicht der
Ideologie. Der Oberbürgermeister der Grünen in Freiburg hat gesagt, sie wollen den Anteil erneuerbarer
Energien im Jahre 2010 auf 10 Prozent erhöht haben.
Das ist ein schönes Ziel. Schöne Ziele kann man sich
setzen. Wo ist er angekommen? Bei 3,7 Prozent. Das ist
die Wahrheit.
({7})
So können wir kein Land - besonders mit Blick auf die
18-jährigen Menschen - in eine Zukunft führen, Frau
Künast.
({8})
Deswegen hat die Bundeskanzlerin völlig recht, wenn
sie sagt, wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass
dieses Land stark bleibt. Wir wollen die erneuerbaren
Energien ausbauen und sie zum zentralen Energieversorger machen. Dafür brauchen wir für eine gewisse
Phase, für eine Übergangszeit Kohle, und da brauchen
wir auch Kernenergie. Aber jetzt kommt es doch auf
Folgendes an, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen: Voraussetzung dafür, von jetzt 13 oder 14 Prozent auf 30, 40 oder 50 Prozent zu kommen - das wissen
Sie alle ganz genau -, ist, dass wir die Energieerzeugung
durch Wind auf dem Meer ausbauen.
Leider Gottes kann diese Energie nicht auf der Straße
oder auf der Schiene durch das Land transportiert werden. Deswegen sagen uns heute die Fachleute, wir brauchen rund 3 000 Kilometer neue Leitungen mit einem
Investitionsvolumen von 10 bis 20 Milliarden Euro. Und
was erleben wir?
({9})
Die Grünen stellen sich hier im Bundestag hin und
halten große Reden für erneuerbare Energien. Aber vor
Ort, wenn es dann darum geht, die notwendige Infrastruktur dafür zu schaffen, wird blockiert und Nein gesagt. Das sind die Grünen in Deutschland.
({10})
Deswegen kann ich nur sagen: Es ist gut, dass Sie in der
Opposition sitzen und dass Christlich-Liberal dieses
Land regiert und es auf eine neue Basis stellt.
Dieser Bundeshaushalt bildet dafür eine Grundlage.
Jetzt kommt das Thema, das Sie in allen Reden angesprochen haben. Sie behaupten, dieser Haushalt sei sozial nicht ausgewogen.
({11})
Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bonde?
Wenn ich mir diesen Haushalt anschaue, kann ich nur
sagen: Wer so etwas sagt, verfehlt die Wahrheit haarscharf. Wir geben über 50 Prozent, also jeden zweiten
Euro, für soziale Maßnahmen aus.
({0})
Das ist doch nicht sozial unausgewogen. Auch in der Sozialpolitik und insbesondere in der laufenden Diskussion über Hartz IV erkenne ich bei den Grünen den Markenkern ideologiegeleiteter Politik.
({1})
Sie sagen, den Hartz-IV-Empfängern stehe eine Erhöhung der Regelsätze zu. Dann sprechen und verhandeln
Sie mit uns. Aber Ihnen geht es nicht in erster Linie um
die Menschen und um Hartz IV, sondern darum, etwas
aus Ihrem ideologischen Sandkasten mitzubringen. Das
dient aber nicht dem Land, sondern Ihrer Ideologie. Das
ist nicht in Ordnung, Frau Künast, um das klipp und klar
zu sagen.
({2})
Helfen Sie mit, dass das Gesetz, das wir im Bundestag
verabschiedet haben, umgesetzt werden kann und die
Menschen am 1. Januar nächsten Jahres das Geld bekommen, das ihnen zusteht!
({3})
Es wird auch etwas für die Bildung getan. Frau
Künast, Ihre Aussagen zur Bildungspolitik haben mich
überhaupt nicht überzeugt. Überall, wo Rot-Grün regiert, wird man zu Experimenten mit Kindern veranlasst,
aber nicht zu einer klugen Politik. Schauen Sie sich an,
was gerade in Nordrhein-Westfalen passiert! Sie werden
erleben, dass die Menschen dagegen auf die Straße gehen werden, genauso wie in Hamburg, als Sie diese Politik gemacht haben.
({4})
- Nachdem Frau Merkel Sie versenkt hat, sind Sie offenbar wieder hochgeschwommen. Ich bemerke, Herr
Trittin, dass Sie wieder an der Oberfläche angekommen
sind.
({5})
In allen Zeitungen können Sie in diesen Tagen etwas
lesen, das genau die Realität trifft. Die Bildungspolitik
ist für die Kinder da und nicht für ideologische Experimente. Danach handeln wir.
({6})
Wir sehen, dass unser Land aus der Wirtschaftskrise
besser herausgekommen ist als andere Länder. Jetzt muss
ich Ihnen sagen: Die beste Sozialpolitik, die man machen
kann, ist diejenige, die dazu führt, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht und die Menschen wieder Chancen haben. Genau das ist hier gemacht worden. Auf dem Weg
gehen wir weiter. Nicht immer mehr Sozialleistungen,
nicht immer mehr Menschen vom Sozialtropf des Staates
abhängig machen, sondern ihnen Chancen geben, das ist
die Politik der Regierung Merkel. Diese ist erfolgreich.
({7})
Es ist das Modell der sozialen Marktwirtschaft, das
sich hier bewährt hat. Aber natürlich ist die soziale
Marktwirtschaft von einigen nicht so wahrgenommen
worden, wie es notwendig ist. Deswegen unterstützen
wir, die Regierungskoalition, die Bundesregierung auf
ihrem Weg, der zum Ziel hat, auch private Investoren an
den Kosten zu beteiligen. Ludwig Erhard schreibt in seinem berühmten Buch Wohlstand für Alle, in dem er die
Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft festgelegt hat:
Erfolg, Risiko und Haftung gehören zusammen. Es darf
nicht sein, dass jemand Risiken eingeht und dann die
Steuerzahler haften müssen. Deswegen müssen alle
wissen: Wer Chancen sucht - auch riskante -, muss für
sein Verhalten einstehen, wenn es schiefgeht, nicht nur
der Steuerzahler.
({8})
Deswegen ist es richtig, wenn die Bundesregierung dies
umsetzen will.
Auch wir wollen natürlich die Finanztransaktionsteuer. Das ist überhaupt kein Thema.
({9})
- Die, die jetzt lachen, kann ich gerne einmal nach Singapur mitnehmen. Sie können auch alleine dorthin fahren. Wenn Sie mit den Bankern und den Politikern in
Singapur reden, sagen diese: Führt doch am besten in
Deutschland allein die Finanztransaktionsteuer ein.
Dann werden wir in Singapur noch reicher und fetter;
denn wir machen auf keinen Fall mit. - Märchen zu
glauben, ist das eine, aber in der Realität zu arbeiten, ist
das andere. Wenn wir nicht zu einer zumindest europaweiten Finanztransaktionsteuer kommen - dafür kämpft
doch die Bundesregierung -, dann hat sie keinen Sinn.
Es hat daher auch keinen Sinn, den Menschen zu sagen,
dass wir sie in Deutschland allein einführen. Wenn Sie
das tun, gibt es bald gar keine Börse mehr in unserem
Land. So geht es nicht. Das ist wiederum ein Beispiel
ideologiegeleiteter Politik.
({10})
Wir sehen auch mit einiger Sorge - die Bundeskanzlerin hat es angesprochen -, was sich in unserer Welt in Sachen Sicherheit tut. Wir hoffen, dass die Krise in Korea
nicht größere Weiterungen hat, sondern dass das, was
dort in den letzten Tagen geschehen ist, eingedämmt
werden kann. Auch muss ich zum wiederholten Male sagen: Wir sehen mit großer Sorge, wie weltweit und in
diesen Tagen insbesondere im Irak wieder Christen verfolgt werden. Das darf uns nicht ruhen lassen. Wir dürfen darüber nicht schweigen. Herr Bundesaußenminister,
ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das zum Thema gemacht
haben. Wir müssen aber auch überlegen, was wir konkret tun können. Es kann nicht die Lösung sein, immer
mehr Christen aus dem Irak nach Deutschland zu holen
und damit im Irak eine christenfreie Zone zu schaffen.
Wir müssen vielmehr überlegen, wie wir mit dem einen
oder anderen Euro den Menschen im Irak helfen können,
damit sie sicherer vor Übergriffen sind. Dafür bitte ich
um Ihre Unterstützung.
({11})
In diesen Tagen ist Asia Bibi in Pakistan mit dem Tod
bedroht, weil sie sich zum Christentum bekannt hat. Es
ist völlig klar, dass eine wertorientierte Außenpolitik,
wie sie diese Bundesregierung betreibt, das Thema
Christenverfolgung immer als zentrales Thema auf ihrer Agenda haben wird.
({12})
Man kann unterschiedlicher Auffassung sein, wie es
in Zukunft weitergeht, aber eines ist klar: Das, was ich
heute von der Opposition gehört habe, war nicht einmal
im Ansatz ein Zukunftsprogramm. Deswegen bin ich der
Bundesregierung dafür dankbar - die Bundeskanzlerin
hat es heute gesagt -, dass ihre Themen mehr Chancen,
Wachstum und weniger Arbeitslosigkeit, mehr Förderung des Gemeinsinns und Werbung für Gemeinsinn
durch den Aufbau der Freiwilligendienste sind.
Eines will ich auch sagen: Wir müssen redlicher miteinander umgehen. Es ist richtig, Frau Künast, dass die
Menschen das ganze Jahr über denken und nicht nur bei
Wahlen. Aber es ist nach meiner Auffassung auch richtig, dass sich unser System der repräsentativen Demokratie grundsätzlich bewährt hat und dass wir allen
Grund haben, dieses System zu verteidigen und dafür zu
werben.
({13})
Sie aber diskreditieren ein solches System, wenn Sie sagen: Entscheidungen, die in Parlamenten getroffen worden sind, muss niemand in diesem Land akzeptieren. Was die Grünen hier vorgeführt haben, war wirklich
nicht komisch, sondern miserabel.
({14})
Gerade wenn man Bürgerentscheide will, gilt der
Grundsatz: Deine Rede sei ja, ja oder nein, nein. Das
heißt, die Menschen können die zur Abstimmung stehende Frage mit Ja oder Nein beantworten. Sie suggerieren den Menschen in Baden-Württemberg: Wenn die
Grünen Einfluss auf die Regierungspolitik bekommen,
dann wird der Bahnhof Stuttgart 21 nicht kommen. Hier
stellen Sie sich allerdings hin und sagen: Wir kämpfen
dafür; aber wir wissen, dass es Verträge gibt.
({15})
Ich möchte Ihnen entgegnen: Sie können jetzt schon sagen, dass es nichts wird. Es gibt Verträge und Gerichtsentscheidungen. Der Bauherr wird natürlich dafür sorgen, dass seine Vorhaben umgesetzt werden. Sie
täuschen die Menschen, wenn Sie ihnen sagen: Kämpft
für uns; dann kommt dieser Bahnhof nicht. - Das ist
nicht in Ordnung.
({16})
- Nein, Herr Trittin; Sie nicht.
Gerade wenn man für Bürgerentscheide ist, muss man
seine Fragen so formulieren, dass sie mit Ja oder Nein zu
beantworten sind.
({17})
Alles andere ist nicht redlich. Das hat Frau Künast hier
an diesem Rednerpult nicht gemacht. Hoffentlich haben
viele Menschen gesehen, wie sie hier herumgeeiert ist
und Pirouetten gedreht hat, um sich vor einer klaren Antwort zu drücken.
({18})
Wir stehen vor schwierigen Aufgaben. Wir stehen
nicht nur in Deutschland vor der Aufgabe, eine gute Zukunft für alle zu organisieren. Wir stehen in der Welt vor
der Aufgabe, dafür zu sorgen, dass so etwas wie diese
Finanzmarktkrise möglichst nicht mehr eintritt. Wir stehen in der Welt vor der Aufgabe, Frieden und Sicherheit
herzustellen. Wie man sieht, ist dies eine ständige Aufgabe, die jeden Tag neu bewältigt werden muss. Ich bin
froh, dass wir in dieser Phase der großen Herausforderungen eine christlich-liberale Koalition in diesem Land
haben.
({19})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Bonde das
Wort.
Herr Kauder, Sie haben sich in dieser Rede bemüßigt
gefühlt, zu behaupten, der Netzausbau scheitere immer
an Grünen. Ich will Sie einmal offen fragen: Reden Sie
eigentlich noch mit CDU-Bürgermeistern? Reden Sie
mit der Horde von CDU-Bürgermeistern in NordrheinWestfalen, die an der Speerspitze von Bewegungen jede
Form von Netzausbau bekämpft?
Was ich sagen will, möchte ich an einem anderen Beispiel verdeutlichen. In der Nähe meines Wohnorts, an
der Murg, ist ein großes Pumpspeicherkraftwerk geplant.
Ich bin dafür. Der grüne Ortsverband ist dafür. Herr
Kauder, Hose runter, legen Sie die Hand für Ihre CDUBürgermeister ins Feuer? Was ist mit Ihren Bürgermeistern? Wo ist da die Union?
Sie haben die Frage „Freiburg/Stromanteil/erneuerbare Energien“ angesprochen. Sie haben dezent vergessen, zu erwähnen, wer eigentlich den Ausbau der Windkraft in der Region Freiburg durch Landesrecht
verhindert.
({0})
Wer ist die Dagegen-Partei, die dafür sorgt, dass eine
Gemeinde, die auf erneuerbare Energien setzen will, es
nicht darf? Wer ist die Partei, die dafür sorgt, dass selbst
an bestehenden Windkraftstandorten - leistungsfähigere
Windkraftwerke ohne irgendeinen Eingriff in die Natur nichts ersetzt werden darf? Das ist die CDU. Sie tut dies
aus einer ideologischen Blockade heraus.
({1})
Dennoch stellen Sie sich hierhin und behaupten so einen
Unfug. Mit Verlaub, Herr Kauder: Wer die Bibel zitiert,
muss auch das achte Gebot im Sinn haben.
Herzlichen Dank.
({2})
Kollege Kauder hat das Wort zur Erwiderung.
({0})
Lieber Herr Kollege Bonde, wir alle haben jetzt in aller Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen, dass die Grünen in Zukunft an unserer Seite stehen, wenn es darum
geht, den Leitungs- und Netzausbau in unserem Land
voranzutreiben.
({0})
Ich freue mich auf eine neue Kampfgemeinschaft mit Ihnen gegen die Verweigerer vor Ort. Herzlich willkommen bei denen, die die Zukunft gestalten wollen!
({1})
Der Kollege Poß spricht nun für die SPD-Fraktion.
({0})
Lieber Kollege Kauder, es kann auch schon einmal
staatsbürgerliche Verantwortung und politische Pflicht
sein, Nein zu sagen, und zwar im Interesse der großen
Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Denn für diese
Leute wird nach dem „Herbst der Entscheidungen“ alles
schlechter und nicht besser. Da ist es politische Pflicht,
Nein zu sagen.
({0})
Das von Ihnen angeschlagene Pathos - es erinnert ein
wenig an einen Flügel der amerikanischen Republikaner hilft da nicht weiter. Sie wollen doch nicht ernsthaft alle,
die Ihre Politik kritisieren, als Zukunftsverweigerer denunzieren. Das spricht vielleicht das Gemüt der CDU an,
ist aber im Kern antidemokratisch, meine Damen und
Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Von Redlichkeit sollte man nicht sprechen, wenn die
eigene Aussage mit den Fakten nicht übereinstimmt.
Das, was wir bei dem Beispiel der Finanztransaktionsteuer von dieser Koalition ein halbes Jahr lang an
Theater - zwischen FDP und CDU/CSU und innerhalb
der Parteien - erlebt haben, war nicht mehr zu toppen.
({2})
Das war der Grund, Herr Schäuble, warum Ihre Regierung auf europäischer Ebene nicht handlungsfähig war,
als es um entscheidende Fragen der Finanzmarktregulierung ging.
({3})
Wenn sich dann die Frau Bundeskanzlerin hier auch
mit einem gewissen Pathos hinstellt und den Primat der
Politik gegenüber Wirtschaft und Finanzindustrie unterstreicht, dann ist das doch - um den Begriff der Redlichkeit aufzugreifen - auch unredlich, weil diese Koalition,
jedenfalls Teile davon, genau für das Gegenteil steht, die
FDP sich weitgehend verweigert hat und Sie, Herr
Schäuble, sich offensichtlich auch gegen Ihren eigenen
Willen für die Finanztransaktionsteuer aussprechen
mussten. Sie haben ja beim Wirtschaftsrat der CDU gesagt, dass das nicht Ihrer eigenen Überzeugung entsprechen würde. So wurden sie jedenfalls zitiert.
Was ist das für eine Politik, wenn sich die Regierungskoalition des größten Landes in Europa in zentralen Fragen, die darüber entscheiden, wie die nächste
Krise, wenn sie denn kommt, zu bewältigen ist - sie soll
ja durch Prävention verhindert werden -, so aufstellt,
wie Sie sich das erlaubt haben? Das geht doch überhaupt
nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Deswegen ist mein Eindruck, dass wir es eher mit
dem Herbst der Legendenbildungen zu tun haben. In der
heutigen Rede von Frau Merkel - die ja auch ein wenig
wirkte, als spräche sie vor dem Kongress der Jungen
Union - war viel an Legendenbildung zu finden. Für die
Betrachter war, glaube ich, schon interessant, dass Frau
Merkel hier mit den billigsten Witzchen die größte Zustimmung der Koalition erringen konnte, weil dies offenbar das verbindende Band ist, weil in der Substanz
sonst nichts da ist.
Im Übrigen, Frau Bundeskanzlerin, in keiner Ihrer
bisherigen Reden im Plenum des Deutschen Bundestags
haben Sie so oft Reden und Handeln verwechselt - in
keiner Ihrer bisherigen Reden in Ihrer fünfjährigen Regierungszeit.
({5})
Sie waren und sind sehr geschickt als Fassadenmalerin, wie es ein Journalist vor kurzem bezeichnet hat, die
die schwarz-gelbe Fassade schön anstreicht. Darunter
sieht es noch so fürchterlich aus wie vor der Sommerpause. Da hat sich nichts geändert. Der Koalitionsausschuss in der letzten Woche war noch einmal ein Beleg
dafür, dass sich bei Ihnen in der Substanz nichts verändert hat. Beispiele gibt es genug, sie sind auch schon erwähnt worden.
Sie reden von der notwendigen Entlastung der
Kommunen und machen das Gegenteil: Streichung bei
der Städtebauförderung, bei energetischer Gebäudesanierung, Schwächung der Gewerbesteuer schon zu Jahresanfang, Unklarheit über die Zukunft der Gewerbesteuer.
Die Kommunen brauchen aber jetzt Hilfe, und zwar
schon im Haushalt 2011.
({6})
Vielen Kommunen brennt der Pelz, und Sie erlauben
sich Auseinandersetzungen. Die FDP will doch nach wie
vor etwas anderes bei der Gewerbesteuer, und die CDU/
CSU ist zerrissen. Herr Schäuble macht keinen Hehl daraus, dass er sowieso immer gegen die Gewerbesteuer
war, sich jetzt allerdings der Regierungsräson oder den
Versprechungen an die kommunalen Spitzenverbände
folgend anders verhält. Was ist das für eine Aufstellung
gegenüber den Kommunen, den Städten und Gemeinden, in denen über die Lebensqualität der Menschen in
unserem Lande entschieden wird?
({7})
Zu dem Einwand von Frau Merkel, zu bedenken, was
in den Jahren 2003 und 2004 gewesen ist, kann ich als
Verhandlungsführer der SPD im Vermittlungsausschuss
Ihnen sagen, was da war. Einige von Ihnen in der Union
sind damals mit dem Ziel in die Verhandlungen gegangen, die Gewerbesteuer ganz abzuschaffen. Das ist die
Wahrheit über die Situation damals.
({8})
Das nächste Beispiel: Investitionen. Die Frau Bundeskanzlerin hat behauptet, die Investitionen würden gesteigert. Ja, aber die Investitionen im hier zu verabschiedenden Haushalt sind um 1 Milliarde Euro geringer als
zum Zeitpunkt der Aufstellung dieses Haushaltes. Wer
schreibt Ihnen denn so etwas in die Reden hinein? Nicht
einmal Faktensicherheit ist bei der Bundeskanzlerin und
dieser Regierung gegeben.
({9})
Billige Polemik zum wiederholten Male - auch das ist
wieder ein Beispiel für Legendenbildung - hinsichtlich
der Veränderungen 2005 beim europäischen Stabilitätsund Wachstumspakt! Ich empfehle Ihnen die Lektüre der
wissenschaftlichen Äußerungen, die es dazu gibt. Ich
kann Ihnen sogar einen Buchtipp mit Seitenangabe geben; diesen habe ich gestern Abend auch schon dem
Kollegen Barthle bei einer Diskussionsveranstaltung gegeben.
Ohne die damals vorgenommenen Veränderungen
beim Stabilitäts- und Wachstumspakt hätten wir in der
Großen Koalition nicht gemeinsam, Frau Merkel, die
Konjunkturpakete zur Abwehr der Krise schnüren können, wären wir nicht so erfolgreich gewesen. Das ist die
Wahrheit.
({10})
Im Zuge der damaligen Veränderungen haben wir einen
sogenannten präventiven Arm einbauen können. Das
heißt, es gab damit in Europa genau den Mechanismus,
auf den wir uns hier bei der Schuldenbremse gemeinsam
verständigt haben. Was gibt es denn daran zu kritisieren?
Nichts gibt es daran zu kritisieren!
Ihre Kritik ist nichts anderes als billige parteipolitische Argumentation, weil man sich in der Sachpolitik
nicht vorwärts bewegen kann. Das ist der wahre Grund.
({11})
Der sogenannte Herbst der Entscheidungen ist nun
schon fast vorüber. Da ist die Frage erlaubt: Haben wir tatsächlich eine neue Frau Merkel erlebt? Die Frage lautet ja
nicht, ob wir eine forschere Kanzlerin erleben - heute
Morgen haben wir eine forschere Kanzlerin erlebt -; die
Frage lautet vielmehr, ob wir eine bessere Kanzlerin als
im ersten Dreivierteljahr der schwarz-gelben Regierungskoalition erleben.
Wir haben nach der Bundestagswahl eine Kanzlerin
erlebt, die sich mit erkennbarem Desinteresse durch die
Koalitionsverhandlungen gequält hat.
({12})
Dementsprechend sieht der Koalitionsvertrag von
Schwarz-Gelb auch aus. In ihm wird kaum eine Frage,
kaum ein Konflikt gelöst. Das sieht man auch am Ergebnis des Koalitionsausschusses von letzter Woche. Frau
Merkel hatte sich schon zu Beginn in eine strategische
Falle begeben. Am Anfang stand die Lüge des Wahlkampfs: Nettoentlastung. Diese Lüge lastet heute noch
auf Ihnen, und zwar zu Recht, meine Damen und Herren.
({13})
Bis in den Mai hinein war Frau Merkel weder für irgendetwas, noch war sie gegen irgendetwas. Sie brachte
stattdessen immer ganz schicke Formulierungen; Beispiele dafür gibt es genug. Sie war genau betrachtet eigentlich bis in den Sommer hinein als Regierungschefin
gar nicht vorhanden. Das heißt, sie hat ihre Funktion als
Regierungschefin faktisch nicht ausgeübt. In der Tat, ein
verlorenes Jahr für Deutschland, aber noch mehr: Das
größte europäische Land fast ein Jahr ohne wirkliche
Führung! Was sind das für Zustände, meine Damen und
Herren?
({14})
Das ist Fakt. Auch das war ein Grund für das Wahldesaster von CDU und FDP in NRW.
Höchstgefährlich war dieses Verhalten im Frühjahr
im Fall der Griechenland- und Euro-Krise. Hier hätte
Europa eine starke und geradlinige Bundeskanzlerin gebraucht, um die immer dramatischer werdenden Ereignisse zu kanalisieren und die Dinge mit zu ordnen. Aber
über Wochen wurde im Kanzleramt geschwankt, geschwiegen und blockiert. Hinter den Kulissen tobte der
Kampf mit dem Bundesfinanzministerium, weil Herr
Schäuble im Gegensatz zu Frau Merkel erkannt hatte,
dass Griechenland zügig zu helfen war, weil ansonsten
alles noch schlimmer würde.
Wir kennen den weiteren Verlauf: Es gab Äußerungen
in der Bild-Zeitung, dass man Griechenland aus der EU
rausschmeißen sollte; eine Einladung an die Spekulanten, wie alle Sachkundigen wissen.
Als die Dinge dann Anfang Mai in Brüssel Spitz auf
Knopf standen, war Frau Merkel unvorbereitet und ohne
Plan. Ihr Auftritt in Brüssel war peinlich und hat
Deutschlands Ansehen in Europa und der Welt nachhaltig geschädigt. Das sind die Wahrheiten, über die zu reden ist.
({15})
Da hilft es auch nicht, dass Sie und Ihre Hilfstruppen
seitdem mit großem Einsatz versuchen, Ihr Versagen
- das Versagen der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung - in einer entscheidenden Phase für Europa zu
einer wohlüberlegten und zielführenden Strategie umzudeuten. Es ist eine Legende, wenn Ihre Meinungsmacher
behaupten, es sei vor allem die deutsche Kanzlerin, die
seit Jahresbeginn beständig für Stabilität in der EuroZone kämpfe.
({16})
Es ist fraglich, ob Ihr Kurs, die Stabilität des Euros
und der Euro-Zone nahezu ausschließlich über stärkere
und automatisierte Sanktionen sichern zu wollen, in dieser Form richtig ist. Die größer werdenden ökonomischen Unterschiede und Ungleichgewichte in Europa
werden von Ihnen nur am Rande behandelt. Kolleginnen
und Kollegen, wir müssen endlich zu einer stärkeren
wirtschaftspolitischen Koordinierung in Europa komJoachim Poß
men. Hierzu erwarten wir und vor allem die Partner in
Europa endlich weiterführende Vorschläge der deutschen Kanzlerin; diese kommen aber nicht. Wir brauchen diese Vorschläge aber dringend, um die Euro-Krise
- Irland ist ein aktuelles Beispiel - auf Dauer in den
Griff zu bekommen.
Frau Merkel als Kanzlerin der Euro-Stabilität zu inszenieren, das ist ein Versuch der Geschichtsklitterung
und Legendenbildung. In Wahrheit haben Sie, Frau
Merkel, mit Ihrer speziellen Art, die Dinge zu behandeln, mit dem Feuer gespielt. Jetzt geht es im gleichen
Stil weiter. Meine Damen und Herren, das ist immer
noch die Frau Merkel, wie wir sie kennen; sie hat sich
nicht geändert; sie hat nur ihren Stil ein wenig verändert.
Ein Wort zu Irland. Ich habe Zitate von Herrn
Westerwelle und anderen dabei, die Irland wegen seines
wirtschaftspolitischen Weges und des Steuerdumpings
als ein leuchtendes Beispiel für gelungene Wirtschaftsund Finanzpolitik gelobt haben. Ich sage ohne Genugtuung: Der keltische Tiger ist sehr schnell zum bedürftigen Kätzchen mutiert, und zwar wegen der falschen
Ideologie, zum Beispiel in Steuerfragen. Insofern bin ich
froh, dass die FDP bis zum letzten Jahr hier in Deutschland nicht mitregieren konnte; sonst wären wir vielleicht
dort, wo Irland heute ist.
({17})
Jetzt noch ein Wort zum Inland und zur Innenpolitik.
Da gab es in der Tat Entscheidungen. Aber allein deshalb, weil endlich etwas entschieden wird, wird die
Situation für die große Mehrheit der Bürgerinnen und
Bürger noch nicht besser; es kommt darauf an, was entschieden und wie gehandelt wird. Das merken die Menschen in Deutschland. Auch die sogenannte Mitte will
zum Beispiel eine sozialverträgliche Konsolidierung.
Auch wir Sozialdemokraten stehen für eine Konsolidierung; wir haben dazu konkrete Konsolidierungsvorschläge gemacht. Aber wenn es in unserer Gesellschaft
nicht sozialverträglich zugeht, dann drohen auf Dauer
gesellschaftliche Unruhe und Spaltung. Das ist Ihre Politik dieses Herbstes; sie muss gestoppt werden.
({18})
Hans-Peter Friedrich hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Auch diese Haushaltswoche steht
unter dem Eindruck der Folgen und Nachwirkungen
der Finanzkrise. Wir schauen nach Griechenland, wo
die Menschen in allen Bereichen - im privaten und im
öffentlichen Sektor - Einschnitte hinnehmen müssen.
Wir schauen nach Portugal und Spanien, wo Sparprogramme - auch von den europäischen Partnern verordnet umgesetzt werden müssen. Wir schauen nach Irland, wo
zum Teil verzweifelte junge Leute nach ihrer Perspektive in ihrem Heimatland fragen.
Sosehr uns das erschreckt und sosehr wir gemeinsam
an einer Verbesserung der Situation in ganz Europa arbeiten, haben wir doch Grund, froh darüber zu sein, dass
Deutschland besser aus dieser Krise gekommen ist und
wir den Menschen dramatische Einschnitte ersparen
können. 41 Millionen Erwerbstätige, das ist Beschäftigungsrekord in diesem Land und ein Hinweis darauf,
dass dieses Land und die Wirtschaft in Deutschland
wettbewerbsfähig sind.
({0})
Nur, wenn man wettbewerbsfähig bleiben will, muss
man etwas dafür tun. In der Politik, also im staatlichen
Bereich, und in der Wirtschaft muss man modernisieren,
verbessern, reformieren, flexibler werden und neue Impulse geben. Genau darüber reden wir in diesem Haus.
Vonseiten der Opposition kommt aber nichts dazu, kein
konstruktiver Vorschlag. Sie sind die destruktivste Opposition seit Jahrzehnten in diesem Haus.
({1})
Deutschland ist auch deswegen spitze, weil die Linken, die Roten und die Grünen in Deutschland nicht regieren.
({2})
2002 ging Spott durch Europa. Deutschland, so hieß es,
ist der kranke Mann Europas. Zur Hochzeit Ihrer Regierung hatten wir 5 Millionen Arbeitslose.
({3})
Zur Hochzeit Ihrer Regierung gab es ein Aufweichen des
Stabilitätspaktes. Herr Poß, zu dem, was Sie hier erzählen: Damals, vor sechs Jahren, war von Konjunkturpaketen noch nicht die Rede.
({4})
Wahr ist, dass Sie damals nicht die politische Kraft hatten, Einsparungen vorzunehmen und die richtige Politik
zu machen. Das war der Grund, warum Sie den Stabilitätspakt aufgeweicht haben.
({5})
Sozialisten neigen dazu, Verträge aufzuweichen, statt
konsequente Politik umzusetzen. Das war der wahre
Grund dafür.
({6})
Während Ihrer Regierungszeit wurde Griechenland in
die Währungsunion aufgenommen.
({7})
- Nein, die SPD ist nicht schuld.
({8})
Dr. Hans-Peter Friedrich ({9})
Ich weiß, dass Sie damals nichts dagegen machen konnten. Wenn ein Land auf dem Abstiegsplatz steht, hat es
in Europa nichts mehr zu melden. So war das damals.
Deswegen ärgert es Sie auch, dass die Sache heute ganz
anders ist, dass Europa heute von Deutschland und einer
deutschen Regierungschefin geführt wird. Das ist die
Wahrheit, und darauf sind wir stolz.
({10})
Die Bundesbank und die OECD bescheinigen, dass
wir in Deutschland das Fundament für einen langen Aufschwung gelegt haben. Der Export läuft gut, und auch
darauf können wir als Deutsche stolz sein. Unsere Produkte werden in der Welt gebraucht, und sie werden in
der Welt gekauft. Deswegen werden Arbeitsplätze geschaffen. Dann kommt der Vorsitzende der Linkspartei,
der glorreiche Herr Ernst, der heute wahrscheinlich irgendwo im Land mit dem Porsche unterwegs ist,
({11})
und sagt im Tagesspiegel am 11.11. allen Ernstes, in den
Stabilitätspakt müsse eine Exportüberschussbremse aufgenommen werden.
({12})
Eine Exportüberschussbremse bedeutet den Abbau von
Arbeitsplätzen in Deutschland.
({13})
Liebe Freunde von den Linken, von welchem Planeten
kommen Sie eigentlich? Gehen Sie dahin bitte wieder
zurück!
({14})
Exporte und die Schaffung von Arbeitsplätzen sind
vielen Tausenden von Langzeitarbeitslosen in diesem
Land in den letzten Monaten zugutegekommen. Sie haben wieder einen Arbeitsplatz gefunden. Dazu hat auch
die Funktionsfähigkeit der Institutionen beigetragen. Die
Jobcenterreform von Frau von der Leyen hat sich auch in
dieser Frage positiv ausgewirkt.
Ihr Gerede von einem unsozialen Haushalt können
Sie sich wirklich sparen. Ich sage Ihnen, was unsozial
wäre: Unsozial wäre es, eine Massenzuwanderung nach
Deutschland zu organisieren und den Menschen, die
Schwierigkeiten haben, hier Arbeit zu finden, das Leben
noch schwerer zu machen.
({15})
Unsozial gegenüber den Menschen, die jeden Tag zur
Arbeit gehen, wäre es, die Hartz-IV-Sätze immer weiter
anzuheben, bis sich jeder Geringverdiener in diesem
Land fragt, ob er eigentlich der Dumme ist, weil er arbeitet.
({16})
Unsozial, lieber Herr Steinmeier und lieber Herr Poß,
wäre es, wenn man Ihrer Steuerpolitik folgen würde und
wenn man das Erreichen des Spitzensteuersatzes immer
weiter in Richtung der Einkommen von Normalverdienern verschieben würde.
({17})
Helmut Schmidt hat in seiner letzten Rede als Kanzler
- mehr oder weniger mit bitterer Selbsterkenntnis - gesagt: Geholt haben wir das Geld bei den Arbeitnehmern.
({18})
Das ist die einzige Konstante der SPD-Finanzpolitik, die
ich in den letzten Jahrzehnten erkennen konnte: Sie haben das Geld immer bei den Arbeitnehmern geholt.
Voraussetzung dafür, dass Deutschland in Europa an
der Spitze bleibt, ist gesundes Wirtschaften. Dazu gehört eine solide und gute Haushaltspolitik. Wir haben die
Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Ich bin der
SPD- und der FDP-Fraktion sehr dankbar dafür, dass
dies möglich war. Es ist europaweit, vielleicht sogar
weltweit ein Paradigmenwechsel in der Parlamentsgeschichte, dass ein Parlament sein Budgetrecht einschränkt und nach dem Prinzip handelt „Es soll nur so
viel ausgegeben werden, wie eingenommen wird“.
Aber, liebe Freunde, die Schuldenbremse, die wir gemeinsam vereinbart haben, muss auch eingehalten werden.
({19})
Dass die Grünen sie nicht einhalten wollen, war mir
schon klar, als sie damals gegen die Schuldenbremse
({20})
und damit gegen die Zukunft des Haushaltes in Deutschland gestimmt haben.
({21})
Sie haben nicht das Kreuz, Politik für die nächste Generation zu machen und den Menschen auch einmal unangenehme Wahrheiten zu sagen. Das war auf dem Parteitag, den die Grünen hinter sich haben, wieder spürbar:
Weichspül- und Wohlfühlparolen, wo immer man hingeschaut hat, aber keine Substanz an den Stellen, wo es um
die Wahrheit geht. Zur Wahrheit gehört eben auch, dass
man nicht jedes Jahr Konjunkturpakete verabschieden
kann, sondern dass irgendwann diese Pakete gegenfinanziert werden müssen. An dieser Stelle sind wir.
({22})
Wir müssen aus den Konjunkturpaketen aussteigen und
zur Normalität in der Finanzpolitik zurückfinden. Das ist
gesundes Wirtschaften.
Dr. Hans-Peter Friedrich ({23})
({24})
Für ein gesundes Wirtschaften braucht man eine stabile Währung. Für die Wirtschaft, aber auch für den privaten Sparer ist dies ein zentrales Thema. Rot-Grün hat
nicht nur den Stabilitätspakt, den Theo Waigel damals
geschmiedet hat, aufgeweicht und Griechenland in die
Euro-Zone gelassen, sondern Rot-Grün hat auch mit großem Brimborium die Finanzmärkte in Deutschland dereguliert. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie die Hedgefonds zugelassen haben.
({25})
Jetzt geht es darum, dass wieder Vertrauen in unsere
Währung aufgebaut wird. Wie baut man dieses Vertrauen auf? Man baut es erstens dadurch auf, dass man
strukturschwächeren Ländern Sanierungsprogramme
verordnet und ihnen sagt: Ihr müsst auf das Stabilitätsniveau aller anderen Länder in Europa kommen. - Dadurch baut man Vertrauen in eine Währung auf, die von
diesen Volkswirtschaften abhängt.
Zweitens baut man Vertrauen dadurch auf, dass man
einen Euro-Rettungsschirm zur Verfügung stellt, der den
Menschen zeigt: Wir geben euch Hilfe, und zwar Hilfe
zur Selbsthilfe. Wir haben nicht vor, eure Ausgaben zu
finanzieren, aber wir ermöglichen Stabilität in eurem
Land, damit ihr euch selber helfen könnt.
Wir schaffen Vertrauen schließlich dadurch, dass wir
Kontrollmechanismen einrichten, die dafür sorgen, dass
die Stabilitätskriterien eingehalten werden.
Unser Ja zum Euro ist klar, aber auch unser Nein zur
Transferunion. Jedes Land in der Europäischen Union
muss seine Hausaufgaben machen.
({26})
Gesundes Wirtschaften heißt aber auch, für eine gute
und sichere Energieversorgung zu sorgen. Im Mittelpunkt unserer Energiepolitik steht der Ausbau der erneuerbaren Energien. Die erneuerbaren Energien stehen deswegen im Mittelpunkt, weil wir wollen, dass in diesem
Bereich die Wertschöpfung dezentral, also auch in der
Fläche, erfolgt, sodass wir eine dezentrale Stromproduktion und Stromversorgung haben.
Wenn man eine dezentrale Stromproduktion betreibt,
dann gehört dazu, dass man Leitungen baut, um den
Strom dorthin zu bringen, wo man ihn braucht.
({27})
Vor dieser Realität drücken Sie sich. Sie von den Grünen
glauben, dass es ausreicht, ein Einspeisegesetz, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, zulasten der Stromverbraucher zu machen. Aber das reicht nicht aus, sondern Sie
müssen auch die entsprechende politische Umsetzung all
dieser Vorschläge auf den Weg bringen. Dazu haben Sie
und hatten Sie nicht die Kraft.
Jetzt sage ich Ihnen etwas zu dem Theater, das Sie
hier und an anderer Stelle zur Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke aufführen. Ich verwahre mich
gegen die Unterstellung, dass ich, wenn ich dieser Verlängerung zugestimmt habe und sie für richtig halte, die
Interessen der Stromkonzerne vertreten würde.
({28})
Ich weise diese Unterstellung zurück. Wann immer Sie
nicht recht bekommen, wann immer Menschen andere
Auffassungen haben, fangen Sie an, sie zu diskreditieren
und zu diskriminieren.
({29})
Ich sage Ihnen: Die Interessen der Stromkonzerne
sind mir scheißegal.
({30})
Was mir nicht egal ist, sind die Arbeitsplätze in der Industrie im energieintensiven Bereich, da, wo die Menschen für dieses Land Werte schaffen. Die Arbeitsplätze
sind mir nicht egal.
({31})
Aber offensichtlich sind Ihnen von den Grünen diese
Arbeitsplätze völlig egal. Denn Ihnen ist Ideologie wichtiger als eine gesunde Grundlage der Wirtschaft in diesem Land. Schämen Sie sich dafür!
({32})
- Frau Künast, ich will Ihnen mal sagen, wie Sie hier
Ideologie betreiben. Sie haben an die lieben Freundinnen
und Freunde auf dem Parteitag einen Aufruf geschrieben, die Atompolitik mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Was meinen Sie denn damit, „mit allen Mitteln“? Könnten Sie endlich mal zur Kenntnis nehmen, dass die
Mehrheit in diesem Haus, gewählt von der Mehrheit der
deutschen Bevölkerung, eine Entscheidung getroffen
hat? Sie können in diesem Haus mit Mitteln, die Sie als
Parlamentarier haben, selbstverständlich dagegen sein.
({33})
Aber erklären Sie mir mal, was „mit allen Mitteln“ bedeuten soll!
({34}): Rechtsbruch?)
Da schaue ich nach Gorleben, und es graut mir, Frau
Künast, vor Ihren Mitteln.
({35})
Man braucht bei Ihrem Parteitag nur das Kleingedruckte zu lesen, alles das, was da so wolkig daherkommt in tollen Beschlüssen, nicht wahr? Da ist die
Dr. Hans-Peter Friedrich ({36})
Rede von Gebäudesanierung. Ja, wir sind auch für Gebäudesanierung. Wir unterstützen sie aktiv und massiv.
({37})
Aber bei den Grünen heißt das Nutzungspflicht für erneuerbare Energien in Bestandsgebäuden. Das heißt, jeder muss zu einem bestimmten Anteil erneuerbare Energien für sein Häuschen nutzen.
({38})
Außerdem sagen Sie, dass Sie Obergrenzen für den
Energieverbrauch einführen wollen.
Ich sage Ihnen mal, was das im Klartext heißt, damit
die Menschen im Land verstehen, was beide Forderungen - Nutzungspflicht für erneuerbare Energien in Bestandsgebäuden und Obergrenzen - bedeuten.
({39})
Das bedeutet im Klartext Zwangssanierung von Gebäuden zulasten der Häuschenbesitzer, Zwangssanierung
auf deren Kosten. Das bedeutet das, was Sie beschlossen
haben.
({40})
Ich nenne das Enteignung. Wenn Sie einen Menschen
zwingen, sein Häuschen auf seine Kosten für 150 000 Euro
zur Wärmedämmung zu sanieren, obwohl es nur
100 000 Euro wert ist, dann kann er es nur abreißen. Was
Sie auf Ihrem Parteitag beschlossen haben, ist Enteignung.
({41})
Die Grünen sind auf dem Weg zur Barrikadenrepublik, ohne Frage.
({42})
Die grüne Botschaft lautet: dagegen sein. Die grüne Zukunft ist Stillstand. Sie haben auf Ihrem Parteitag den
Ausbau von Stromleitungen beschlossen. Wenn ich nach
Thüringen schaue, dann sehe ich die Fraktionsvorsitzende der Grünen an der Spitze der Bewegung gegen
den Bau einer 380-kV-Leitung in Thüringen. Das ist die
Wahrheit. Wenn es konkret wird, sind Sie dagegen.
({43})
In Datteln in Nordrhein-Westfalen soll ein neues Kohlekraftwerk gebaut werden, sauberer als die anderen, die
da bisher stehen, und Sie hintertreiben in der Minderheitsregierung, der Sie angehören, den Bau dieses Kraftwerks mit allen Mitteln.
In Niederbayern soll ein Pumpspeicherwerk für die
Speicherung regenerativer Energie gebaut werden, damit
man sie dann abrufen kann, wenn man sie braucht. Wer
ist dagegen und selbstverständlich wie immer an der
Spitze der Bewegung? Die Grünen!
({44})
Wenn Sie heute in Niederbayern in die Zeitung
schauen, dann lesen Sie dort, dass es eine Initiative gegen den Digitalfunk der Feuerwehr gibt. Wer ist an der
Spitze der Bewegung?
({45})
Natürlich die Grünen!
({46})
Sie bekennen sich zur Schiene; sie wollen eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene.
Aber das ist wieder eines dieser Bekenntnisse, denen
keine politischen Taten folgen. Denn sie sagen Nein zur
Fehmarnbelt-Querung nach Dänemark, und Sie sagen
Nein zur Y-Trasse von Hannover nach Bremen und
Hamburg.
Sie sagen überall da, wo sie gefragt sind, Nein. Sie sagen Nein zu Olympia 2018. Sie sagen Nein; sie sind dagegen. Sie organisieren den Abstieg dieses Landes. Dagegen allerdings haben wir etwas. Deutschland kann
froh sein, dass eine christlich-liberale Regierung in diesem Lande regiert.
Ich danke Ihnen.
({47})
Petra Merkel hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heute zwei
Bereiche des Einzelplans 04 erwähnen, nicht nur den
Kulturteil - dazu komme ich gleich -, sondern auch den
Bereich Integration; denn auch dieser findet sich im
Einzelplan 04. Das ist ein kleiner Etat. Integration ist sicherlich - da sind wir uns alle einig - eine der zentralen
Herausforderungen in unserer Gesellschaft, und zwar
nicht nur bei den Reden am Sonntag. Bei jeder Gelegenheit, ob im nationalen Integrationsplan oder im Migrationsbericht der Bundesregierung, werden kulturelle
Bildung und Vermittlung, Kulturaustausch, bürgerschaftliches Engagement und soziale Teilhabe als
Schlüsselfaktoren für Integration hervorgehoben. Dazu
gehört natürlich auch der Erwerb der deutschen Sprache.
Die Ernsthaftigkeit der Integrationspolitik ist in
Haushaltsplänen abzulesen. Abgesehen von der Tatsache, dass viele im nationalen Integrationsplan angekündigte Maßnahmen bis heute nicht umgesetzt, geschweige
denn finanziell ausreichend ausgestattet sind, werden
wichtige Programme und Förderungen des Bundes deutlich gekürzt. Beim Beauftragten der Bundesregierung
für Kultur und Medien gibt es zum Beispiel den Titel
Petra Merkel ({0})
„Kulturelle Vermittlung“, für den statt 2 Millionen Euro
wie in diesem Jahr nur noch 1,2 Millionen Euro eingestellt werden. Dazu sage ich: Na gut, da kann man wohlwollend sein. Das ist ein frisches Programm, das in diesem Jahr gestartet ist. Es befindet sich also noch in den
Startlöchern. Aber die Mittel wurden abgesenkt.
Beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wurde - darüber haben wir bereits diskutiert; das wird auch Thema bleiben - das Programm „Soziale Stadt“ gestutzt. Die Mittel wurden von immerhin
95 Millionen Euro auf 28,5 Millionen Euro gekürzt.
Künftig wird die Verwendung der Mittel auch noch auf
investive Maßnahmen begrenzt. Viele Projekte zur Integration und im Quartiersmanagement in den Ballungsräumen sind nun wirklich gefährdet.
({1})
Sehen wir im Haushalt des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend nach! Die Jugendfreiwilligendienste sind massiv von Kürzungen betroffen. Im Haushalt des Bundesministeriums des Innern
könnten die Integrationskurse durchaus erheblich mehr
Mittel vertragen, damit Wartezeiten auf Deutschkurse
von mehreren Monaten vermieden werden.
({2})
Integrationspolitik, die ernst gemeint ist, sieht anders
aus.
Gerade durch die Förderung konkreter, auf Integration und Teilhabe ausgerichteter Angebote werden Menschen aller Altersgruppen und Herkunft häufig erst in die
Lage versetzt, an unserer Gesellschaft teilzuhaben und
sich einzubringen. Frau Staatsministerin Böhmer, ich
schätze Sie als engagierte Politikerin. Was sagen Sie eigentlich zu dem, was in den Haushalten der anderen
Ministerien passiert? Integrationspläne und Integrationsgipfel reichen nicht aus, wenn notwendige aktive Integrationsprogramme so gekürzt werden, wie diese
schwarz-gelbe Regierung es tut. Sie sind eher eine Frau
der leisen Töne. Aber eines ist jetzt dringend erforderlich: Mischen Sie sich bitte hörbarer ein! Unsere Unterstützung haben Sie.
({3})
Ich komme zur Kultur. Waren Sie es, Herr Staatsminister Neumann, oder waren es Ihre Kolleginnen und
Kollegen aus den Fraktionen, die in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses noch eine Schippe draufgelegt haben? Wie dem auch sei, ich freue mich darüber,
auch über die Fraktionsgrenzen hinweg. Dass insgesamt
27 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt
wurden, ist ein feiner Erfolg für die Kultur.
Besonders freut mich, dass offensichtlich auch unsere
Anregungen aufgenommen worden sind. Es wurden Projekte und Titel verstärkt, die der SPD sehr am Herzen
liegen. So war zum Beispiel die Aufstockung der Mittel
für die Bundeskulturstiftung eine zentrale Forderung
meiner Fraktion. Die Kulturstiftung des Bundes fördert
auf der einen Seite viele wichtige, national bedeutsame
Projekte in der Fläche. Dies entlastet auf der anderen
Seite viele Kommunen, die sich in einer schwierigen
finanziellen Situation befinden. Wir begrüßen, dass hierfür 2 Millionen Euro mehr in den Haushalt eingestellt
worden sind. Ich finde, das ist gut gelaufen.
Meine Fraktion hat in der Bereinigungssitzung des
Haushaltsausschusses sowohl der Erhöhung der Mittel
für die Bundeskulturstiftung als auch der Aufstockung
der Mittel für den Denkmalschutz zugestimmt. 15 Millionen Euro mehr für den Denkmalschutz ist gut angelegtes Geld. Die geplanten massiven Kürzungen im Bereich des Denkmalschutzes wären ein gravierender
Fehler gewesen. Dadurch wäre nicht nur die Erhaltung
der kulturellen Substanz gefährdet, sondern dadurch wären auch Arbeitsplätze und Investitionen riskiert worden.
In der Großen Koalition haben wir ein Sonderprogramm aufgelegt, das sehr erfolgreich war, den kleinen
national bedeutsamen Denkmälern zugutekam und auf
unglaublich große Resonanz stieß. Die Investitionen des
Bundes wurden durch die Beteiligung der Länder und
Kommunen sowie Dritter multipliziert. Wie gut, dass
dieses Programm - seine Bedingungen werden noch
festgelegt - fortgesetzt wird! Es freut mich, dass es gelungen ist, den Denkmalschutz mit 15 Millionen Euro
zusätzlich zu stärken. Auch dem haben wir zugestimmt.
Ausdrücklich zu begrüßen sind außerdem die vom
Haushaltsausschuss bewilligten Mittel zur Bewältigung
der Hochwasserschäden vom August dieses Jahres, sowohl für den Fürst-Pückler-Park Bad Muskau als auch
für das Kloster St. Marienthal in Ostritz. Darin waren
sich alle Fraktionen einig, nachdem wir dieses Thema in
den Berichterstattergesprächen erwähnt haben. 5 Millionen Euro als Soforthilfe sind super.
({4})
Ich komme zu Tarabya. Viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Unterausschuss Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik, dem Auswärtigen Ausschuss und dem
Ausschuss für Kultur und Medien haben sich dafür eingesetzt. Tarabya ist ein wunderschönes Projekt, das von
allen Seiten große Unterstützung erfahren hat,
({5})
wenn auch von dem einen oder anderen Kollegen - ich
sehe gerade Herrn Koppelin an - vielleicht nicht so sehr.
Immerhin gibt es einen gültigen Beschluss des Deutschen Bundestages. Daran muss sich das Ministerium
halten.
({6})
Alle Fraktionen haben diesem Vorschlag zugestimmt.
Die Mittel für die bauliche Sanierung der zur Nutzung
der Künstlerakademie festgelegten Häuser sind bereitgestellt worden. Wir werden darauf achten, dass diese Mittel wirklich für die festgelegten Häuser verwendet und
für die Umsetzung des Konzepts der Künstlerakademie
genutzt werden.
({7})
Petra Merkel ({8})
Anfang September dieses Jahres hatte das Auswärtige
Amt ein verändertes Nutzungskonzept für das Gelände
Tarabya in Istanbul vorgelegt, das allerdings nicht getragen wurde. Es ist erstaunlich, welch ein Kraftakt für eine
gute Idee aufgewandt werden muss. Manchmal habe ich
den Eindruck, dass Verwaltungsgerangel stärker ist als
ein Beschluss des Deutschen Bundestages. Aber wir geben nicht auf.
Im kommenden Haushaltsjahr muss nachgelegt werden. Für den Betrieb der Künstlerakademie Tarabya stehen nicht ausreichend Mittel zur Verfügung, für die Stipendien ebenfalls nicht. Insofern sage ich Ihnen, Herr
Außenminister, auch wenn Sie im Augenblick nicht in
diesem Raum sind: Hier können wir Ihre Unterstützung
gebrauchen. Es wäre angebracht, dass auch Sie sich für
dieses Projekt starkmachen.
Ich danke den Staatsministern, die für diesen Etat zuständig sind, den Mitarbeitern der Verwaltung für ihre
Unterstützung, den Kolleginnen und Kollegen für die
Diskussion und Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Schönen Dank.
({9})
Wolfgang Börnsen hat das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Petra Merkel,
ich schätze Kollegen, auch und gerade aus der Opposition, die fairerweise auch kulturpolitische Erfolge öffentlich anerkennen. Das ist nicht selbstverständlich. Sie
sind eine rühmliche Ausnahme.
({0})
Gestern vor zehn Jahren berichtete die Berliner Zeitung:
Kultur-Staatsminister Naumann verlässt das rotgrüne Kabinett.
Er geht lieber zur Wochenzeitung Die Zeit.
Fast auf den Tag genau heute vor fünf Jahren hat Kulturstaatsminister Neumann sein Amt angetreten. Von
ihm ist nicht bekannt, dass er aussteigen will. Im Gegenteil, ihm macht diese Arbeit Freude: weil er Erfolg hat,
weil er sich der Unterstützung der Bundeskanzlerin sicher sein kann und weil er eine breite gesellschaftliche
Zustimmung erfährt.
Die Süddeutsche Zeitung zog vor sechs Tagen folgende Bilanz:
Bernd Neumann, der Kulturstaatsminister des Bundes, ist im Kabinett Merkel ein fester Erfolg …
Keiner der Vorgänger hat mit solchem Erfolg die
Interessen seiner Klientel gewahrt.
Herzliche Gratulation zu diesem medialen Ritterschlag,
Herr Staatsminister!
({1})
Kulturpolitik in Deutschland ist Kernkompetenz im
Bundeskanzleramt. Sie ist ein zentrales Regierungsanliegen. Sie dokumentiert die ideellen Werte, die es in unserer Gesellschaft zu fördern gilt: Toleranz, Verständnis,
Kritikfähigkeit und Mitverantwortung. Sie ist sinnerfüllend, identitätsstiftend und trägt zur Lebensfreude bei.
Deshalb ist ihre Förderung und Finanzierung gerechtfertigt.
Die Kulturpolitik des Bundes geht mit gutem Beispiel
voran. In den fünf Neumann-Jahren ist der Kulturetat
von 915 Millionen Euro auf 1,16 Milliarden Euro angestiegen. Ich finde, das ist ein großartiger Erfolg.
({2})
Das Filmland Deutschland hat etwas davon gehabt:
Mit dem Filmförderfonds und hochklassigen Filmschaffenden befinden wir uns jetzt in der europäischen Spitzenklasse.
Das Musikland Deutschland hat etwas davon gehabt:
Mit der Initiative Musik wurden unabhängig von der
Klassik Hunderte neue Projekte im Bereich der
50 000 Pop- und Jazzgruppen angestoßen.
Das Medienland Deutschland hat etwas davon gehabt: Mit der klugen Initiative „Ein Netz für Kinder“
wird erstmalig in dieser Form bei Heranwachsenden das
Demokratieverständnis gefördert.
Auch im sechsten Neumann-Jahr wird an der Kultur
nicht gekürzt. Damit kann die Digitalisierung der Kinos
verwirklicht werden. Das bedeutet nicht nur erstklassige
Kinos in den Metropolen, sondern auch in der Fläche.
Die mittelständische Kinowirtschaft wird gestärkt. Damit können die Veranstalter des 500-jährigen Reformationsjubiläums 2017 sicher sein: Das Martin-LutherJahr kann als Ereignis von Weltrang gewürdigt werden.
Experten gehen davon aus, dass 5 Prozent der weltweit
400 Millionen Protestanten 2017 das Mutterland der
Protestanten besuchen werden. Das ist eine kulturpolitische und kulturhistorische Herausforderung.
Bereits jetzt ist unser Land nach Frankreich auch wegen seines Kulturreichtums das zweitbeliebteste Reiseland in Europa. Gut 90 Milliarden Euro werden durch
den Kulturtourismus eingenommen, und fast 2 Millionen
Menschen sichert er den Arbeitsplatz. Folgerichtig wird
im Kulturetat 2011 auch der Denkmalschutz weiter gestärkt. 550 Kulturdenkmäler von nationaler Bedeutung
wurden allein durch diese staatliche Förderung für uns
alle gesichert. Tausende weitere kommen hinzu, angestoßen und finanziert durch großartige Bürger und Privatinitiativen. Ihnen und den vielen Millionen Menschen, die unserer Gesellschaft im kulturellen Ehrenamt
verantwortungsbewusst Wissen und Wärme geben, gilt
unser Dank.
Wolfgang Börnsen ({3})
Durch die Neumann-Jahre wurde rückblickend auch
der Kultur- und Kreativwirtschaft bei uns zum Durchbruch verholfen. Diese Boombranche stellt bei 63 Milliarden Euro Wertschöpfung bereits jetzt über 1 Million
Arbeitsplätze. Die Neumann-Jahre haben den großen
Museen, gerade auch hier in Berlin, den Gedenkstätten
und den Diktaturmahnmalen Profil und Perspektive gegeben.
({4})
Auch ein Beweis für ernsthafte Kulturförderung ist
die Beibehaltung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes
für Kulturgüter. Dafür treten wir auch weiterhin ein.
({5})
Was Bernd Neumann für 2011 vorausblickend angekündigt hat, findet die Unterstützung der gesamten
Union: die bundesweite Einrichtung von Zeitzeugenbüros, die Beibehaltung der Stasiüberprüfung bis 2019, die
Schaffung eines Denkmals für Freiheit und Einheit, um
auch an die glücklichen Epochen unserer Geschichte zu
erinnern, und die Verwirklichung der Stiftung „Flucht,
Vertreibung, Versöhnung“, die durch die anerkennenswerte polnische Beteiligung ihre Arbeit jetzt endlich aufnehmen kann. Auch die Fortentwicklung der Künstlersozialkasse gehört dazu. Deren Stabilisierung war der erste
Schritt, weitere müssen folgen.
Schließen möchte ich mit einem Appell und einem
Dank.
Mein Appell gilt der Opposition. Sagen Sie nicht, wie
angekündigt, Nein zu mehr Geld für die Kultur, und geben Sie nicht die parlamentarische Gemeinsamkeit in der
Kulturpolitik auf. Damit würden Sie der Kulturpolitik
und den Kulturschaffenden unseres Landes schaden.
Mein Dank gilt den Initiatoren und Machern der
Europäischen Kulturhauptstadt 2010, der Stadt Essen
und der gesamten Ruhrregion. Sie haben unser Kulturland würdig, vital, locker und wunderbar ideenreich repräsentiert.
({6})
Herzlichen Dank von uns allen.
({7})
Das Wort hat Dr. Lukrezia Jochimsen für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Natürlich kann die Opposition auch loben, lieber Herr
Kollege Börnsen.
({0})
Das ist auch gar nicht so ungewöhnlich. Auch wir tun
das immer dann, wenn es angebracht ist.
({1})
Der Kulturhaushalt 2011, der uns heute ungekürzt
und sogar um 27 Millionen Euro erhöht vorgelegt wird,
verdient unseren Respekt, auch wenn wir dabei in Rechnung stellen, dass von den zusätzlich bewilligten 27 Millionen Euro über 15 Millionen Euro für den Denkmalschutz vorgesehen sind, die wiederum im Haushalt des
Bauministeriums gestrichen wurden.
({2})
Das ist schon ein kleiner Etikettenschwindel. Es bleibt
aber verdienstvoll, dass auf diese Weise der Schutz der
Kultur in den verarmten Kommunen betrieben wird, den
ein anderes Ministerium kalt zur Disposition gestellt hat.
({3})
Die massiven Kürzungen in der Städtebauförderung
und beim Denkmalschutz sind schwerwiegende Fehlentscheidungen. Darauf haben wir immer wieder hingewiesen. Diese Fehlentscheidungen werden durch die 15 Millionen Euro im Kulturhaushalt natürlich nur zu einem
Teil revidiert, womit wir beim eigentlichen Problem dieser Debatte sind: Der Abstand zwischen dem, was der
Bund kulturell ermöglicht, und dem, was die Kommunen
für die Kultur leisten können, wird immer größer. Die
Linksfraktion ist nach wie vor der Auffassung, dass der
Bund finanzpolitisch umsteuern und die kulturelle Infrastruktur in unseren großen und kleinen Städten, auf dem
Land und in den Armutsvierteln retten muss,
({4})
und zwar aus nationaler Verantwortung und auch aus
Verantwortung als Verursacher; denn die Misere der
Kommunen ist eine Folge der absoluten Misswirtschaft
der Regierung, und das wissen Sie hier auch.
({5})
In diesem Zusammenhang begrüßen wir, dass die
Kulturstiftung des Bundes zusätzliche 2 Millionen
Euro erhält. Wir setzen uns seit Jahren für diese Einrichtung ein, weil sie nach unserer Ansicht eine Schlüsselrolle im Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Kommunen spielen sollte. Mit der Förderung von national
bedeutsamen Projekten überall im Land werden die
Kommunen entlastet. Wichtig dabei ist aber, dass die
Länder diese Modellprogramme dann auch übernehmen
und fortsetzen.
Wir brauchen einen kooperativen Kulturföderalismus. Ohne ihn wird die Kulturkrise, die Bedrohung der
Theater, der Bibliotheken, der Museen und der soziokulturellen Zentren, in den nächsten Jahren in den Ländern
und den Kommunen nicht zu bewältigen sein.
({6})
Wir brauchen mehr nationale Verantwortung für diese
Kultur. Diese kulturelle Vielfalt kann nur von Bund,
Ländern und Kommunen gemeinsam erhalten werden.
Dafür müssen wir endlich auch die gesetzlichen Grundlagen schaffen. Wir fordern seit Jahren beharrlich die
Verankerung des Staatsziels Kultur und eine Gemeinschaftsaufgabe Kultur im Grundgesetz.
({7})
Das muss jetzt endlich geschehen - in diesen Zeiten der
Not.
Und noch etwas muss geschehen in diesen Zeiten der
Not: Wir müssen genau hinsehen, wofür die hart umkämpften Mittel ausgegeben werden. Da kann ich Ihnen,
Herr Staatsminister, den Vorwurf einfach nicht ersparen,
dass Sie Millionen für die Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ausgeben. Mit einem Stiftungsrat
ohne Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland,
mit einem Wissenschaftlichen Beirat ohne Vertreter der
Roma und Sinti widerspricht diese Institution eindeutig
ihrem Stiftungszweck,
({8})
den wir hier in diesem Haus verabschiedet haben. Ich
frage: Wie lange wollen Sie dieses Gebilde - als Bundesstiftung wohlgemerkt - der Öffentlichkeit gegenüber
vertreten und finanzieren? 2,5 Millionen Euro im Jahr
2011 - spätestens da endet das Lob für den Kulturhaushalt; denn mit diesen Millionen ließe sich wahrlich Besseres für die Kultur unseres Landes bewirken.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat Reiner Deutschmann für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Der Haushalt 2011 steht ganz im Zeichen der Haushaltskonsolidierung. Das erfordert auch vom Bund, dass er
Maßnahmen ergreift, um die Staatsfinanzen endlich wieder auf solide Füße zu stellen. Dies erfüllt die christlichliberale Koalition und setzt dabei klare Prioritäten.
Deshalb ist es besonders zu begrüßen, dass sich die
Koalition deutlich dazu bekennt, die Bereiche Bildung,
Forschung und eben auch Kultur aus dem Sparkorridor
herauszunehmen; denn in diesen Bereichen entstehen die
Ideen, die unser Land so erfolgreich machen. Auch deshalb begreift sich Deutschland zu Recht als Kulturnation.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses ist es gelungen, der Kultur einen Aufwuchs von 27 Millionen Euro
zu sichern. Dafür ein herzlicher Dank an die Haushaltspolitiker.
({2})
Als sächsischer Abgeordneter bin ich natürlich besonders stolz darauf, dass wir den hochwassergeschädigten
Kultureinrichtungen in Sachsen auch 2011 unter die
Arme greifen können. So erhalten der Fürst-PücklerPark in Bad Muskau und das Kloster St. Marienthal in
Ostritz 5 Millionen Euro zur Beseitigung gravierender
Flutschäden.
({3})
Auch die Finanzausstattung der Kulturstiftung des
Bundes ist durch die Bereinigungssitzung um 2 Millionen Euro auf 37 Millionen Euro gestiegen. Dies ermöglicht, zahlreiche laufende Projekte weiter zu fördern und
neue, innovative Projekte in die Förderung aufzunehmen. So werden gerade Kommunen in die Lage versetzt,
ambitionierte Projekte umzusetzen, die für sie allein so
nicht durchführbar wären.
Auch die zusätzlichen 15 Millionen Euro, die der
Substanzerhaltung und Restaurierung von unbeweglichen Kulturdenkmälern dienen, kommen Kommunen
und vor allem den Ländern zugute.
Weitere 5 Millionen stehen für die Förderung kultureller Einrichtungen zur Verfügung, wie beispielsweise
für den Bundesverband Freier Theater, worauf wir Liberale besonders stolz sind.
({4})
Auch mit dem Kulturetat des Bundeswirtschaftsministeriums sind wir auf einem guten Weg. Die Kultur- und
Kreativwirtschaft wird trotz des Auslaufens der Sondermittel aus dem Konjunkturprogramm mit 3,5 Millionen
Euro gefördert. Erst vorgestern wurde das achte Regionalbüro der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft in
Stuttgart eröffnet. Somit steht inzwischen ein bundesweites Angebot zur Verfügung.
({5})
Zu guter Letzt möchte ich noch einmal die Haushälter
positiv nennen; denn durch sie ist es gelungen, auch im
Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik einen Aufwuchs zu erzielen. Somit kann die hervorragende Arbeit des Goethe-Instituts im Bildungs- und Kulturbereich im Ausland weiter fortgesetzt werden.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir setzen
um, was wir versprochen haben. Dieser Haushalt ist ein
klares positives Signal für die Kultur. Trotz genereller
Einsparungen räumt die christlich-liberale Koalition der
Kultur höchste Priorität ein.
Danke.
({7})
Die nächste Rednerin ist Agnes Krumwiede für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bereinigungssitzung hat dem Kulturetat
für 2011 einige Überraschungseier beschert: 5 Millionen
Euro mehr zur Verstärkung kultureller Förderung,
2 Millionen Euro zusätzlich für die Bundeskulturstiftung. Überraschungseier haben nur leider einen Nachteil: Man weiß nicht genau, was drin ist. Mittel für die
Kultur zu organisieren, ist das eine. Genauso wichtig
wäre aber, Transparenz darüber zu schaffen, was mit diesen Geldern passieren soll.
({0})
Der Kulturhaushalt bleibt nebulös, was die gezielte
Unterstützung von Künstlern und die kulturelle Förderung betrifft. Konkret dagegen sind die Geschenke an
Herrn Neumanns Klientel, an die deutschen Vertriebenenverbände oder an seinen Wahlkreis Bremen. Mit der
Begründung „gesamtstaatliche Bedeutung“ bekommt die
Bremer Kunsthalle 5 Millionen Euro für einen Anbau.
Das Kabinett darf auch 2011 wieder als Finanzierungspartner über den roten Teppich der Bayreuther Festspiele
schreiten. Im nächsten Jahr erhält Bayreuth 2,3 Millionen Euro vom Bund.
({1})
Wir Grüne sind keine Antiopernpartei; aber es tut uns
leid um all die Festspiele, Bühnen und Museen, die von
Kürzungen bedroht sind und leider nicht das Privileg gesamtstaatlicher Bedeutung zugesprochen bekommen.
({2})
Warum werden eigentlich immer die Kulturevents mit
Bundesmitteln vergoldet, die sowieso schon glänzen?
Zwei Drittel der Theater- und Tanzschaffenden in
Deutschland sind arm. Sie leben unterhalb der Armutsgrenze.
({3})
Auf unsere Anregung hin hat sich der Kulturausschuss
zum ersten Mal in seiner Geschichte ausführlich mit dem
Thema Tanz beschäftigt. Wegen der enormen körperlichen Belastung ist die Karriere für die meisten Tänzer
mit 35 beendet. Umschulungsmaßnahmen in einem dem
Tanz verwandten Beruf bekommen sie in der Regel vom
Arbeitsamt nicht finanziert. Die Stiftung TANZ-Transition unterstützt Tänzer beim Übergang in einen neuen
Beruf. Ab April 2011 ist die Weiterführung der Stiftung
nicht mehr gesichert. Unseren Haushaltsantrag zur Förderung von TANZ-Transition hat die Regierung abgelehnt.
({4})
Ich bin fassungslos, dass Sie bei einem Etat von
1 Milliarde Euro keine 50 000 Euro für den Tanz übrig
haben.
({5})
Unsere Tanzkultur ist von genauso großer gesamtstaatlicher Bedeutung wie der Wagner-Kult. Rein aus Prinzip
und ohne Empathie für die Kreativen Vorschläge der Opposition abzuschmettern, dient nicht den Künstlerinnen
und Künstlern in Deutschland und auch nicht unserer demokratischen Kultur.
({6})
Immerhin wollen Sie unseren Antrag umsetzen, den
Bundesverband Freier Theater mit 100 000 Euro zu unterstützen. Auch die FDP ist stolz auf diesen Antrag der
Grünen.
({7})
Vielleicht steckt hinter den 2 Millionen Euro für die Bundeskulturstiftung auch unser Vorschlag, ein Förderprogramm für Jugendkultur aufzulegen. Unser Konzept
möchte Workshops mit pädagogisch erfahrenen Künstlern an Bildungseinrichtungen fördern. Denn Bildungsgutscheine ohne Anreize sind sinnlos. Ein Kind, das den
Wert von Musik nie vermittelt bekommen hat, wird sich
wohl kaum für Musikschulgutscheine begeistern können.
Deshalb sind mehr kostenlose und kreative Angebote an
den Schulen und Jugendzentren notwendig.
({8})
Im Rahmen des Streichkonzerts der Bundesregierung
innerhalb der Städtebauförderung wurde das Programm
„Soziale Stadt“ zusammengeschrumpft. Die Projektförderung wurde gestrichen. Unser Konzept zur Stärkung
von Jugendkultur wäre eine geeignete Lösung, trotzdem kulturelle und integrative Projektförderung in benachteiligten Stadtbezirken zu ermöglichen.
Kultur hat ihren eigenen Wert, unabhängig vom wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Nutzen. Die aktive
Teilnahme an Kunst kann helfen, Defizite unserer Leistungs- und Stressgesellschaft zu kompensieren. Fantasie,
Selbstvertrauen, mehr Respekt und Toleranz: All das
kann vielseitig verstandene Kulturförderung positiv beeinflussen. Mehr Raum, Zeit und Mittel für Jugendkultur
bedeuten weniger seelische Obdachlosigkeit bei Kindern
und Jugendlichen.
Frau Kollegin!
Ich komme gleich zum Schluss. - Die Mittel zur Auflegung unseres Förderprogramms sind jetzt dank Ihnen,
Herr Neumann, vorhanden. Bitte setzen Sie sich dafür
ein, dass unser Förderprogramm „Jugendkultur Jetzt“
durch die Bundeskulturstiftung aufgelegt wird.
Danke schön.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Jürgen Koppelin das Wort.
Frau Kollegin, ich bin als Haushälter für den Etat des
Staatsministers für Kultur zuständig. Ich will auf Ihre Kritik zu den Wagner-Festspielen eingehen. Man kann es so
sehen, wie Sie es dargestellt haben. Aber ich bekenne
mich dazu, dass ich diese Mittel mit freigegeben habe.
Grund war - ich war selber noch nie bei den Wagner-Festspielen -, dass ich jedes Jahr sehe, wie Claudia Roth mit
strahlendem Gesicht zu den Wagner-Festspielen geht,
und ich dachte, ich täte etwas Gutes.
({0})
Ich dachte, ich setze mich dafür ein, dass nicht nur Frau
Claudia Roth, sondern auch andere Grüne zu den
Wagner-Festspielen gehen können. Ich habe mich jetzt
durch Sie belehren lassen. Schade; das nächste Mal muss
ich das dann entsprechend berücksichtigen.
({1})
Zur Antwort Frau Krumwiede.
Ich muss betonen, dass auch ich Wagner sehr gerne
mag. Ich war noch nie bei den Festspielen, weil ich noch
nie eine Karte bekommen habe. Das ist bei den WagnerFestspielen immer sehr problematisch. Darüber müssen
wir uns vielleicht an anderer Stelle noch einmal unterhalten.
Das wollte ich auch gar nicht ins Verhältnis setzen.
Ich frage mich, warum zum Beispiel in die Wagner-Festspiele 2,3 Millionen Euro fließen. Warum fließen die
Gelder des Bundes immer dorthin, wo sowieso schon alles schillert, und nicht dorthin, wo man eigentlich mehr
kulturelle kreative Teilhabe bräuchte, zum Beispiel in
die Jugendkultur? Das wollte ich damit sagen.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur na-
mentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 in der
Ausschussfassung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be-
setzt? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich
die Abstimmung.
Ist eine Kollegin oder ein Kollege im Saal, die ihre
bzw. der seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das
ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Darf ich Sie bitten, wenn Sie die Debatte nicht weiterverfolgen wollen, Ihre Gespräche vor dem Saal zu führen, damit wir uns auf die weitere Diskussion konzentrieren können?
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf:
Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
- Drucksachen 17/3505, 17/3523 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Interfraktionell wurde vereinbart, darüber zwei Stunden zu diskutieren. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich zum Haushalt des Auswärtigen Amtes komme,
möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
Haushaltsreferats im Auswärtigen Amt mit Dr. Morhard
an der Spitze ganz herzlich danken. Ich möchte mich dafür bedanken, dass sie uns mit Informationen zum Haushalt des Auswärtigen Amtes zuverlässig, schnell und umfangreich nicht nur während der Haushaltsberatungen,
sondern über das ganze Jahr versorgt haben. Ich möchte
mich auch bei den Mitberichterstattern bedanken - ich
glaube, es war ein faires Miteinander, das wir vorgelebt
haben. Insbesondere möchte ich unserem Hauptberichterstatter, dem Kollegen Frankenhauser, der erkrankt ist,
herzliche Genesungswünsche von dieser Stelle aus schicken.
({0})
1) Ergebnis Seite 8094 D
Mein Dank gilt aber auch Ihnen, Herr Minister, für
die Gesprächsbereitschaft und den guten Kontakt. Da ich
gerade das Positive anspreche: Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass Deutschland in den Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen gewählt wurde und dass Sie die Arbeit der von Ihren Vorgängern eingesetzten und unterstützten unabhängigen Historikerkommission - Das Amt
und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten
Reich und in der Bundesrepublik - zum Abschluss gebracht haben und darüber sehr offensiv berichtet haben.
({1})
Ich finde, das ist eine späte, aber beispielhafte Aufarbeitung der Geschichte. Andere Ministerien sollten sich daran durchaus messen lassen und dieses Thema aufgreifen.
({2})
Für den Haushaltsplan 2011 des Auswärtigen Amtes
kann ich eine solche Anerkennung leider nicht aussprechen. Das können Sie von uns nicht erwarten. Vorab: Ich
finde, der Haushalt des Auswärtigen Amtes ist deutlich
unterfinanziert. Um es klar zu sagen: Das ist kein Sparhaushalt, sondern ein Kürzungshaushalt, der unseren
Anforderungen nicht gerecht wird.
({3})
Er ist ungerecht, teilweise unsolide und widersprüchlich.
Er ist ungerecht, weil Kürzungen zulasten der Ärmsten
der Welt gehen, während innenpolitisch unsinnige Steuergeschenke gemacht wurden und weitere geplant sind. Er
ist ungerecht, weil die Mittel für die humanitäre Hilfe,
die Flüchtlingshilfe im Ausland und für Maßnahmen des
humanitären Minenräumens um fast 15 Prozent gekürzt
werden. Er ist ungerecht, weil Mittel für Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe und für Maßnahmen zur
Förderung der Menschenrechte um fast 43 Prozent gekürzt werden. Er ist ungerecht, weil die Mittel für Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung um fast 30 Prozent gekürzt werden.
Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass die Unterstützung einzelner Länder immer dann unterbleiben oder
reduziert werden kann, wenn sich die Situation verbessert hat, wenn Fortschritte oder Veränderungen eingetreten sind. Aber solche Fortschritte oder Veränderungen
sind eben nicht in großem Maße eingetreten. Im Gegenteil: Es gibt in vielen Bereichen noch größere Bedarfe als
zuvor. Ich denke dabei insbesondere an Pakistan und die
ärmsten Länder Afrikas, zum Beispiel Simbabwe und
die Länder in der Region der Großen Seen. Die Mittel
für diese Länder werden gekürzt, wofür wir kein Verständnis haben. Wir empfinden das als ungerecht, und
das sollte so deutlich angesprochen werden.
({4})
Das hat mit sinnvoller Haushaltskonsolidierung
nichts zu tun; vielmehr hat es Signalwirkung, wenn der
Haushalt insgesamt um circa 3 Prozent, aber die Mittel
für Krisenprävention, für Demokratisierungshilfe und
für Friedenserhaltung um bis zu 43 Prozent gekürzt werden. Das ist schlichtweg unangemessen.
({5})
Der Haushalt ist nicht nur ungerecht, er ist auch in
Teilen unsolide; denn die Sondermittel aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, die in Höhe
von 50 Millionen Euro an das Auswärtige Amt gehen
sollten, werden zum Stopfen von Haushaltslöchern genutzt, und das, obwohl sie zusätzlich, zweckgebunden
ausgegeben werden sollten. Sie sollten nicht einfach umgeleitet werden, sondern im Bereich der Auswärtigen
Bildungs- und Forschungspolitik dem Ziel dienen, zum
Beispiel Aktivitäten der deutschen Auslandsschulen, die
zusätzliche Investitionen zum Nutzen der proklamierten
„Bildungsrepublik Deutschland“ dringend benötigen, zu
finanzieren. Hier ist zu Unrecht fast gar nichts angekommen. So machen wir aus der Bildungsrepublik Deutschland eine Kürzungsrepublik. Ich glaube nicht, dass wir
das sein wollen.
({6})
Viele Auslandsschulen fürchten um ihre Existenz.
Uns haben viele Briefe von Schulen in Europa, Südafrika und Südamerika erreicht. Sie alle mussten oder
müssen die Schulbeiträge deutlich erhöhen oder Kredite
aufnehmen, um die Existenz ihrer Schule zu sichern. Das
alles geschieht, weil von dem Anteil des Auswärtigen
Amtes am Sonderprogramm für Bildung und Forschung
gar nichts dort ankommt, wo es eigentlich hinfließen
sollte. Deshalb ist es zynisch, zu behaupten, dass diese
Bundesregierung zusätzlich in Bildung und Forschung
investiert. Im Auswärtigen Amt ist jedenfalls nichts davon zu sehen. Wer unter „zusätzlich“ versteht, dass gekürzt wird, der hat die Grundrechenarten nicht gelernt.
({7})
In Afghanistan leisten wir einen notwendigen Beitrag. Es ist jedoch kein Zeichen für eine solide und zuverlässige Haushaltspolitik, wenn die zusätzlichen Mittel für die Befriedung und Stabilisierung Afghanistans
nicht mehr zusätzlich zur Verfügung gestellt werden,
sondern zulasten anderer Maßnahmen, zum Beispiel der
Krisenprävention, gehen.
Von Ihnen, Herr Minister, und den Kolleginnen und
Kollegen der Koalitionsfraktionen hätte ich im Haushaltsausschuss mehr Engagement erwartet. Man hätte
diesen zusätzlichen Aufgaben Rechnung tragen müssen.
Eine der Vorrednerinnen hat ausgeführt, wie das Engagement von Herrn Staatsminister Neumann dazu geführt
hat, dass während der Beratungen im Haushaltsausschuss zusätzlich 27 Millionen Euro für Kultur im Etat
des Kanzleramts bewilligt wurden. Ich hätte mir ein solches Engagement auch im Bereich des Auswärtigen gewünscht, damit für die notwendigen Ausgaben die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden können.
({8})
Geärgert hat mich der Umgang mit der Kulturakademie Tarabya. Ursprünglich sind 6 Millionen Euro vom
Parlament bewilligt worden. 14 Stipendiaten sollten dort
tätig werden. Dann gab es ein erweitertes Konzept der
Staatsministerin, wonach nur noch vier Appartements
umgebaut werden sollten. Mit dem restlichen Geld sollte
die Botschaft renoviert werden. Es gab ein ständiges Hin
und Her und eine diffuse Informationspolitik. Im Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
wurde gesagt, die Haushälter hätten das Projekt verhindert, obwohl sie gar nicht mit dem Projekt befasst waren.
Überhaupt erfuhr man vieles nur über Dritte. Klar war
nur: Hier wurde konsequent der Wille des Parlaments
missachtet. Unabhängig davon, was jeder Einzelne von
der Kulturakademie Tarabya denkt: So kann man mit
dem Parlament nicht umgehen.
({9})
Letztlich können doch Sie selbst, Herr Bundesminister, mit dem Haushalt nicht zufrieden sein; denn er ist
widersprüchlich in zentralen Fragen Ihres eigenen Anspruchs. Sie haben in Ihrer Grundsatzrede auf einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige
Politik am 21. Oktober 2010, also im letzten Monat, gesagt:
Abrüstung ist endlich wieder als Zukunftsthema der
internationalen Politik anerkannt.
({10})
Ich freue mich, wie viel Dynamik die vergangenen
Monate über in die Diskussion über Abrüstung,
Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung gekommen ist.
Weiter haben Sie, Herr Westerwelle, gesagt: „… deutsche Außenpolitik ist Abrüstungspolitik.“ Im Haushaltsplan erkenne ich jedoch nur eine Dynamik nach unten.
Genau hier wird um 32 Prozent gekürzt, obwohl sich der
Bedarf des Handelns deutlich vergrößert hat. Hier besteht ein eklatanter Widerspruch zwischen dem, was gesagt, und dem, was in der Praxis materiell hinterlegt
wird.
({11})
Der Haushalt widerspricht Ihnen, auch beim Thema
Krisenprävention. Der Bundesminister sagt:
In unserer globalisierten Welt können zerfallende
und gescheiterte Staaten und regionale Konflikte
unsere Sicherheit unmittelbar beeinträchtigen. Krisenbewältigung fernab unserer Grenzen ist heute
ein fast alltäglich gewordener Beitrag zur Sicherheit innerhalb unserer Grenzen.
Die Erkenntnis ist gut. Ich teile sie uneingeschränkt.
Aber vor diesem Hintergrund ist der Haushaltsplan beinahe fahrlässig zu nennen; denn die Mittel für die Maßnahmen zur Krisenprävention, Friedenserhaltung und
Konfliktbewältigung werden um fast 30 Prozent gekürzt.
Das ist ein Widerspruch, den diejenigen aufklären müssen, die letztlich für diese Politik stehen.
Ich könnte noch weitere Beispiele nennen. Bevor ich
zum Schluss komme, will ich aber zwei oder drei positive Dinge ansprechen.
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Redezeit.
In den Beratungen des Haushaltsausschusses hat es
Veränderungen zum Besseren gegeben: Im Hinblick auf
die humanitären Hilfen, die deutschen Auslandsschulen,
die deutschen Auslandsdienstlehrkräfte und das ZIF
wurden deutliche Verbesserungen erzielt; ich will das
hier ausdrücklich anerkennen.
Das alles ist aber bei weitem nicht genug. Gerade in
der Außenpolitik kann man mit wenig Geld vieles bewirken. Kontinuität und Zuverlässigkeit müssen zu unserer
Außenpolitik gehören. Ich bleibe dabei: Der Haushaltsentwurf ist, insgesamt gesehen, ungerecht, weil bei den
Ärmsten gekürzt wird, er ist unsolide, weil Gelder für
Bildung und Forschung zweckentfremdet werden, und er
ist widersprüchlich, weil entgegen der Ankündigung von
einer Schwerpunktsetzung bei der Abrüstungspolitik bei
der zivilen Krisenprävention und bei Schwerpunktregionen gekürzt wird. Aus diesem Grunde können wir dem
Haushalt nicht zustimmen.
({0})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe
ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zum Einzelplan 04, dem Geschäftsbereich der
Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes, bekannt:
abgegebene Stimmen 588. Mit Ja haben gestimmt 314,
({0})
mit Nein haben gestimmt 274. Enthaltungen gab es
keine. Damit ist der Einzelplan 04 angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 588;
davon
ja: 314
nein: 274
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
({1})
Manfred Behrens ({2})
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Dr. Maria Böhmer
({3})
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
({7})
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({8})
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({9})
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
({10})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({11})
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({12})
Nadine Schön ({13})
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann ({14})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({15})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht ({16})
Anita Schäfer ({17})
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({18})
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Armin Schuster ({19})
Detlef Seif
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel ({20})
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({21})
Peter Weiß ({22})
Sabine Weiss ({23})
Ingo Wellenreuther
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine AschenbergDugnus
Daniel Bahr ({24})
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther ({25})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth ({26})
Heinz Lanfermann
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Dr. Martin Lindner ({27})
Michael Link ({28})
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller ({29})
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
({30})
Hans-Joachim Otto
({31})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane RatjenDamerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
({32})
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({33})
Nein
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({34})
Gerd Bollmann
Willi Brase
({35})
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf ({36})
Kerstin Griese
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({37})
Hubertus Heil ({38})
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({39})
Frank Hofmann ({40})
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Daniela Kolbe ({41})
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({42})
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({43})
Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({44})
Michael Roth ({45})
Marlene Rupprecht
({46})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({47})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
({48})
Werner Schieder ({49})
Ulla Schmidt ({50})
Silvia Schmidt ({51})
Carsten Schneider ({52})
Olaf Scholz
Swen Schulz ({53})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({54})
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Thomas Lutze
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer ({55})
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Kersten Steinke
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({56})
Volker Beck ({57})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({58})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth ({59})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({60})
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({61})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Dr. Gerhard Schick
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nun hat das Wort der Kollege Michael Link für die
FDP-Fraktion.
({62})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich fand
es von Ihnen sehr fair, Herr Brandner, dass Sie eingangs
das Thema Vergangenheitsbewältigung angesprochen
haben. In der Tat ist die Frage, wie sich eine Institution
wie das Auswärtige Amt an diese schwierige, an diese
schlimmste Zeit in der deutschen Geschichte erinnert,
sehr wichtig. Genauso wie Sie begrüßen wir, dass der
Bundesaußenminister dieses Thema in der Reihe mit seinen Vorgängern - das will ich ganz bewusst sagen; denn
es ist etwas, was uns über die Parteigrenzen hinweg
eint - offensiv angegangen ist. Wir müssen uns mit diesem Thema noch weiter befassen. Er hat an die von ihm
eingesetzte Kommission die Frage formuliert, wie in Zukunft mit Nachrufen auf und Bildern von in nationalsozialistische Verbrechen verwickelten Angehörigen des
Auswärtigen Amtes umgegangen werden soll. Wir begrüßen das sehr und freuen uns, dass die Arbeit an diesem Thema weitergeht.
({0})
Kolleginnen und Kollegen, beim Haushalt an sich ist
die Einigkeit allerdings schon wieder weg, denn Sparen
muss sein, Herr Brandner. Haushalt ist kein Wunschkonzert, und gute Politik muss auch nicht unbedingt viel
Geld kosten.
({1})
Sparziele gelten auch für das Auswärtige Amt. Auch das
Auswärtige Amt erbringt einen Anteil an den Sparzielen.
Das begrüßen wir. Mein Kollege Djir-Sarai wird nachher
ausführlicher auf die eigentlichen Haushaltsaspekte eingehen.
Ich will ein paar Dinge zu den großen Themen sagen,
die uns sehr wahrscheinlich im nächsten Jahr vor allen
anderen ganz besonders im Bereich der auswärtigen
Politik, aber auch der Europapolitik beschäftigen werden. Das ist zum einen die Wahl Deutschlands in den
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Es ist ein wirklicher Verhandlungserfolg der Bundesregierung, der
Bundeskanzlerin und des Bundesaußenministers, dass es
gelungen ist, für die nächsten zwei Jahre im Sicherheitsrat Politik mitzugestalten.
Wir als christlich-liberale Koalition haben immer gesagt: Wir stehen auch und gerade im internationalen Bereich für Verantwortungsübernahme. Wo täte man das
besser als im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen?
({2})
Daran anschließend komme ich - das ist zwar ein
kleiner Rückblick, aber lassen Sie es mich dennoch ansprechen - auf das Strategische Konzept der NATO. Das
ist ein ganz wichtiger Punkt. Auch hier sind wichtige
Durchbrüche gelungen. Natürlich hätte man sich mehr
wünschen können. Aber positiv ist, dass wir all die Bedrohungen durch das Internet - Cyberattack, Cyberwar in Zukunft nicht nach Art. 5, sondern nach Art. 4 handhaben werden. Damit ist auch klargestellt, dass es nicht
zunächst eine Sache des Militärs, sondern der zivilen
Einrichtungen ist, das zu bekämpfen. Das ist ein ganz
wichtiger Punkt dieses neuen Strategischen Konzeptes
der NATO, durchgesetzt vom Außenminister.
Lassen Sie mich dazu sagen: Ich halte es für einen
großen Erfolg, dass wir eine ausgewogene, fordernde,
aber auch offene Sprache Russland gegenüber gefunden
haben. Wir haben es jetzt geschafft - das ist auch ein
Stück Verhandlungserfolg der Bundesregierung -, dass
in Zukunft zusammen mit Russland gemeinsame Bedrohungsanalysen erstellt werden. Das ist also ein Schritt
auf Russland zu. Deswegen erwarten wir jetzt aber auch,
dass sich Russland bewegt und seine Kooperationsbereitschaft bei Frozen Conflicts zeigt. Konkret fielen mir
da einige Beispiele ein.
Der OSZE-Gipfel in Astana steht bevor. Wir haben
uns hier im Hause gemeinsam darüber gestritten, wie wir
mit diesem Gipfel umgehen sollen. Aber eines ist klar:
Russland hat das Potenzial, uns in Astana positiv zu
überraschen. Beim Transnistrienkonflikt wäre viel Raum
Michael Link ({3})
dafür. Wir möchten wirklich gemeinsam mit der russischen Seite zu einer Lösung dieser Frozen Conflicts
kommen, und mit Transnistrien sollten wir anfangen.
({4})
Ein anderer Bereich - da fehlt mir die Zeit, ihn ausführlich zu erwähnen - ist das Thema Menschenrechte.
Das Urteil oder auch Nicht-Urteil - jedenfalls möchte
ich es nicht als solches bezeichnen, wo auch immer es
geschrieben wird - im Chodorkowski-Prozess steht kurz
bevor. Die Menschenrechtslage in Russland ist ein
Thema, wo wir auch weiterhin sehr genau hinschauen
müssen.
({5})
Lassen Sie mich in der verbleibenden Zeit noch kurz
zum Thema Europäische Union kommen. Mir macht es
große Sorgen, wie wir mit dem Thema EU umgehen. Angesichts der immer kritischer werdenden Stellungnahmen
zu Europa - nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Europäischen Union -, angesichts der Anti-EU-Tiraden, die immer mehr werden, stelle ich mir die Frage:
Werben wir eigentlich genug für die europäische Idee?
Erklären wir sie richtig? Vermitteln wir ihre Bedeutung
ausreichend?
Schon gibt es einige, die der Renationalisierung das
Wort reden. Lassen Sie mich das ganz deutlich sagen:
Zunächst geht es bei denen, die das wollen, um die Renationalisierung des Euro. Der nächste Schritt wäre eine
Auflösung bzw. Desintegration der Europäischen Union.
Das kann auf keinen Fall im deutschen Interesse sein im europäischen ohnehin nicht. Lassen Sie uns jetzt
- ganz besonders in der Griechenland- und Irlandkrise ganz klar gemeinsam dagegen Stellung nehmen und
deutlich sagen: Wir haben die Instrumente; wir haben sie
für drei Jahre geschaffen, um auch einen Fall wie Irland
bewältigen zu können. Aber bitte, machen wir uns nichts
vor: Wir dürfen diesen Rettungsschirm nicht einfach
verlängern. Wir müssen im Gegenteil intensiv daran arbeiten, wie wir diesen Rettungsschirm durch etwas
Neues ersetzen, und zwar durch etwas, was eben nicht
auf Dauer das Risiko der Marktteilnehmer sozialisiert
und auf die Steuerzahler abschiebt, sondern das die Beteiligung der Gläubiger, insbesondere der privaten, sicherstellt. Denn als Liberaler ist für mich eines klar:
Kein Markt ohne Risiko. Dieses Risiko muss wieder auf
den Finanzmärkten eingepreist werden; denn ansonsten
werden wir mit der sozialen Marktwirtschaft der Europäischen Union und insbesondere mit dem Euro tatsächlich in noch viel ernsthaftere Probleme kommen.
Deshalb steht für meine Fraktion ganz vorne - das ist
für sie ganz wichtig - der Punkt: Wir müssen unbedingt
diesen Rettungsschirm durch etwas Neues, durch einen
robusten Mechanismus ersetzen, bei dem nicht einfach
wieder Rettung vor Eigenverantwortung steht. In Zukunft muss ganz klar Eigenverantwortung vorne stehen.
Das wird eines der Megathemen des nächsten Jahres
sein.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin: Ich möchte den
Diplomatinnen und Diplomaten des Auswärtigen Amtes
auch im Namen der FDP-Fraktion ganz herzlich danken.
Sie verrichten einen Dienst, der oft auch sehr gefährlich
ist. Wir danken zu Recht den Soldatinnen und Soldaten.
Aber wir sollten auch unseren Diplomatinnen und Diplomaten für den Dienst danken, den sie für uns in der ganzen Welt auf ihren Posten leisten.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Unser Außenminister sagt, dass deutsche Außenpolitik
Friedenspolitik und Abrüstungspolitik ist und dass
unser Land seine Politik der militärischen Zurückhaltung
fortsetzen will.
({0})
Das ist der Anspruch, an dem er sich auch messen lassen
muss.
({1})
Die Zahlen in diesem Haushalt sprechen leider eine ganz
andere Sprache.
Mehr als 7 000 Soldatinnen und Soldaten befinden
sich im Ausland, die meisten im Krieg in Afghanistan.
Bei der zivilen Konfliktprävention, also der Vermeidung
von Kriegen, bevor sie ausbrechen, für die wichtige Arbeit der Vereinten Nationen, bei der Auswärtigen Kulturund Bildungspolitik wird hingegen weniger Geld ausgegeben als in der Vergangenheit. Das beim Millenniumsgipfel abgegebene Versprechen Deutschlands, 0,7 Prozent
seines Bruttosozialprodukts für Entwicklungszusammenarbeit zu investieren, ist gebrochen worden. Da
klingt die Forderung an andere Länder schon seltsam,
dass sie ihre Wirtschaft öffnen sollen. Die Menschen in
den Entwicklungsländern fragen sich: Was tut ihr im
Westen für mehr Handelsgerechtigkeit? Wirtschaftliche
Öffnung ist keine Einbahnstraße.
({2})
Nun gibt es ja eine Standardantwort auf die Oppositionskritik; der Kollege Link hat sie auch gerade gegeben, indem er gesagt hat: Sparen muss sein. Nun ist der
Sparzwang, dem auch das Außenministerium unterliegt,
nicht gottgegeben. Die Schuldenbremse, die hier beschlossen wurde, ist selbst gewähltes Elend. Die Bundeskanzlerin sagt ja immer wieder, so ein Instrument
gibt es nur in einem Land auf der Erde, und es wird auch
nur in einem Land auf der Erde genutzt. Da kann man ja
einmal fragen: Warum eigentlich?
Keine Schuldenbremse zu haben, heißt nicht automatisch, dass der Haushalt aus dem Ruder laufen muss. Die
von Rot-Rot regierten Bundesländer Berlin und Mecklenburg-Vorpommern haben gezeigt, wie man die AusStefan Liebich
gaben auf das Niveau der Einnahmen reduzieren kann,
ganz ohne Verfassungsklimbim, mit reinem politischen
Willen. Das gelang dort nämlich bis zum Beginn der
Finanz- und Wirtschaftskrise.
({3})
Diese Länder hatten übrigens eine Option nicht, die
Sie haben: Sie können die großen Vermögen, die Erbschaften, die Einkommen auf vernünftige Art und Weise
besteuern, statt Hoteliers zu entlasten. Statt einer Schuldenbremse wäre eine Steuersenkungsbremse im Grundgesetz sinnvoll gewesen. Dann müsste sich Herr
Schäuble in dieser Frage auch nicht mit der FDP herumärgern, und es wäre genug Geld da, Gutes zu tun.
({4})
Was haben Sie also in Ihrem Haushalt angestellt? Es
gibt einen Abbau bei der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Dabei ist das doch ein wichtiges Potenzial
für die Arbeit Deutschlands im Ausland. Im Regierungsentwurf, Herr Westerwelle, waren Streichungen beim
Goethe-Institut und Eingriffe in dessen Budget gegen
jede wirtschaftliche Logik vorgesehen. Das war Kürzung
bei der Bildungspolitik, obwohl sie angeblich nicht stattfinden sollte.
Obwohl es ungewöhnlich ist, möchte ich hier meinem
Kollegen, dem CSU-Abgeordneten Dr. Peter Gauweiler,
recht herzlich danken.
({5})
Er hat als Vorsitzender des Unterausschusses für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nicht einfach nur
feurige Reden gegen den Regierungsentwurf gehalten,
sondern er hat parteiübergreifende Beschlüsse zur Verbesserung erwirkt. Das ist selbstbewusste Parlamentsarbeit eines Koalitionsabgeordneten im besten Sinne.
Schade, dass Sie nicht von selbst auf die Idee gekommen
sind.
({6})
Trotzdem sind viele Kürzungen übrig geblieben. Die
Künstlerakademie Tarabya ist hier mehrfach erwähnt
worden; ich kann mich dem nur anschließen. Bei der
Deutschen Welle droht Jobabbau. Als Berliner Abgeordneten schmerzt mich natürlich, dass 20 Prozent der Regelförderung für das Haus der Kulturen der Welt gestrichen
werden sollen. Dem Kommentar von Rüdiger Schaper
aus dem Tagesspiegel ist nichts hinzuzufügen.
… allmählich zeigt sich doch eine Linie. Die Liberalen haben keine rechte Freude an auswärtiger
Kulturpolitik,
({7})
jedenfalls haben sie … in einem Jahr fast so viel angesägt, wie Westerwelles sozialdemokratischer
Vorgänger Steinmeier aufgebaut hat.
Herr Westerwelle, sehr geehrte Damen und Herren,
nur eine Organisation legitimiert Völkerrecht. Das ist
nicht das Treffen der G 8; das sind die Vereinten Nationen, die UNO, in deren Sicherheitsrat unser Land ab Januar Stimmrecht haben wird. Der Kollege Link hat eben
gesagt, die Wahl sei ein Erfolg. Ich denke, ein Erfolg
wird sich daran messen lassen müssen, was Sie dort im
Sicherheitsrat tun.
({8})
Was bedeutet für Sie die Stärkung der Vereinten Nationen, wenn Sie ausgerechnet dort kürzen? Bei den Beiträgen für das Flüchtlingskommissariat UNHCR, beim
Kinderhilfswerk UNICEF, bei humanitären UN-Programmen und bei der Unterstützung von palästinensischen Flüchtlingen kürzen Sie in diesem Haushalt. Sie
fahren in den Gazastreifen - dabei geht es um eine gute
Initiative -, aber bei der Finanzierung der UN-Mission
für die palästinensischen Flüchtlinge vor Ort ist
Deutschland nur dreizehntgrößter Geldgeber und kürzt
die Mittel im vorliegenden Haushalt zusätzlich um
20 Prozent. Was wollen Sie eigentlich im UN-Sicherheitsrat? Geht es nur um den ständigen Sitz für Deutschland?
({9})
Man muss es fast glauben; denn all unsere Anträge zu
diesen Fragen wurden abgelehnt. Dabei ist dort jeder investierte Euro besser angelegt als für Eurofighter, Leopard und neue U-Boote.
({10})
Herr Westerwelle, forcieren Sie Ihre Anstrengungen
- ich weiß, dass Sie einige unternommen haben -, damit
Indien, Lateinamerika und Afrika endlich einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat bekommen, anstatt auf einen
dritten ständigen Sitz für die Europäische Union zu hoffen.
Der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ - er ist hier bereits
angesprochen worden - ist ein wichtiges Instrument
deutscher Außenpolitik. Er wird maßgeblich von der Zivilgesellschaft bestimmt. Es ist unvorstellbar: Ausgerechnet dort wollen Sie die Mittel um ein Drittel kürzen.
Solche gravierenden Fehlentscheidungen lehnen wir natürlich entschieden ab.
({11})
Ein Punkt ist bereits vom Kollegen Brandner angesprochen worden: Die eingesparten Mittel werden in den
Afghanistan-Pakt verschoben. Auch wir sind dafür, dass
sich Deutschland in Afghanistan engagiert, nicht militärisch, aber finanziell. Man wird aber hinterfragen dürfen,
was Sie mit dem Geld finanzieren: Aufbau einer Gendarmerie zum Zwecke der Aufstandsbekämpfung, undefinierte Umfeldstabilisierung im Norden und faktisch
militärisch relevante Infrastrukturmaßnahmen an Flughäfen. All das ist nicht im Sinne der Erfinder der zivilen
Konfliktprävention. In Afghanistan wäre eine tatsächliche „Übergabe in Verantwortung“ - nicht das, was Sie
so nennen - statt einer Strategie des fortgesetzten Krieges der richtige Weg.
({12})
Einige unserer Kolleginnen und Kollegen hatten gestern die Gelegenheit, den ISAF-Kommandeur General
Petraeus zu treffen. Er hat die Strategie als Anakondastrategie bezeichnet: Es geht also darum, die Aufständigen zu zerquetschen. Ich glaube, so wird man keinen
Frieden gewinnen.
({13})
Politische Lösungen sind erforderlich; das wäre ein echter Strategiewechsel.
Die Schauspielerin Jutta Wachowiak hat zutreffend
gesagt, dass Frauen zwar nicht die besseren Menschen
sind, aber genauso viele. Deswegen wollen und müssen
sie selbstverständlich genauso an Entscheidungen beteiligt werden. Es wird also Zeit, dass mit der Umsetzung
der UN-Resolution 1325 zu Frauenrechten Ernst gemacht wird. Herr Westerwelle, es wäre gut, wenn Sie
hier einen eigenen konkreten Aktionsplan vorlegten, für
den entsprechende Mittel bereitgestellt werden. Ich will
durchaus anerkennen, dass es in Ihrem Haus, im Auswärtigen Amt, durchaus Lob für die Förderung von
Frauen gibt; es wäre aber schön, wenn Sie Ihr Engagement auf diesem Feld ausweiten würden.
Ich möchte etwas zum Thema Menschenrechte sagen. Ich teile Ihre Kritik an den Menschenrechtsverstößen im Iran. Wir alle sind mit unseren Gedanken bei
Sakine Aschtiani, die zum Tod durch Steinigung verurteilt wurde, und appellieren an die Machthaber in Teheran, dieses Urteil nicht zu vollstrecken.
({14})
Auch an anderen Orten der Erde sind deutliche Worte
gefragt. Deutschland darf nicht schweigen, wenn in der
von Marokko besetzten Westsahara Protestcamps geräumt, mindestens ein Dutzend Menschen getötet und
Hunderte verletzt werden. Ich schlage vor, dass sich der
Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus
Löning, vor Ort ein Bild macht. Wirtschaftliche Interessen wie bei den Planungen für das Solarthermiekraftwerk Desertec dürfen uns nicht die Augen vor einer
Menschenrechtsverletzung wie dieser verschließen lassen.
({15})
Abrüstung ist das wichtigste Thema. Hier geht es um
ein gutes Ziel, das wir unterstützen. Nach einem Viertel
der Legislaturperiode wird man aber fragen dürfen, was
den Ankündigungen folgt. Herr Kollege Link hat auf den
NATO-Gipfel in Lissabon Bezug genommen. Sie, Herr
Westerwelle, haben hohe Erwartungen geweckt. Sie und
Barack Obama finden eine nuklearwaffenfreie Welt gut;
ich auch. Wer nicht? Ich dachte aber an etwas mehr entsprechendes Handeln. Die Antwort der NATO ist ein
milliardenschwerer Raketenschutzschirm. Keiner weiß,
gegen wen er gerichtet ist. Erfahrungsgemäß wird so etwas meist teurer und unnützer als geplant. Das ist das
Gegenteil von Abrüstung.
({16})
Das sieht man auch im Kleinen und Konkreten: Die
Ausgaben für Abrüstung in Ihrem Haushalt sind abgesenkt worden. Ich weiß - wir hatten darüber schon diskutiert -, dass die Atom-U-Boote der Sowjetunion in
Murmansk bald fertig zerlegt sein werden. Aber statt die
entsprechenden Mittel zu streichen, könnte man gleich
mit den amerikanischen Atomwaffen in Büchel in
Rheinland-Pfalz weitermachen. Das wäre echte Abrüstung.
({17})
Vorgestern hat der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon
die Herausforderungen beschrieben, er hat sie „die großen Drei“ genannt: Klimawandel, Kampf gegen Armut,
Hilfe bei Naturkatastrophen. Das sind die eigentlichen
Herausforderungen. Hier hat die Bundesregierung bisher
versagt.
Wir werden weiter sinnvolle Ansätze bei der Konfliktprävention und der Abrüstung unterstützen, wenn
Sie handeln. Die Grundlinie einer aktiven und nachhaltig
friedlichen Außenpolitik fehlt aber leider. Deshalb können wir Ihrem Haushaltsentwurf nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({18})
Nächster Redner ist der Kollege Ruprecht Polenz für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese
Haushaltsplanberatungen finden in einer besonderen Atmosphäre in Deutschland statt. Wir bemerken überall
eine starke Polizeipräsenz auf den Straßen. Das sind Vorkehrungen gegen den internationalen Terrorismus,
und das macht einmal mehr deutlich, dass auch wir in
Deutschland von dieser Geißel der Menschheit, so
möchte ich es einmal nennen, betroffen sind. Von den
ersten Anschlägen Ende der 90er-Jahre auf amerikanische Botschaften in Ländern Afrikas über den schrecklichen Anschlag am 11. September 2001 auf das World
Trade Center und das Pentagon und die Anschläge in
London und Madrid bis zur Gegenwart hat uns der internationale Terrorismus immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Zum Glück haben wir es dank unserer Sicherheitsdienste bisher vermeiden können, dass
solche Anschläge in Deutschland verübt wurden. Ich
möchte mich an dieser Stelle bei allen, die bei den Sicherheitsbehörden, aber auch in der präventiven Außenund Sicherheitspolitik dazu beigetragen haben, dass wir
das bisher so hinbekommen haben, bedanken.
({0})
Nun gibt es Stimmen in Deutschland, auch bei uns im
Parlament, die sagen: Wenn wir uns nicht einmischen
würden, wenn wir nicht in Afghanistan wären, wenn wir
uns im Nahen Osten nicht engagierten, dann hätten wir
Ruhe vor dem internationalen Terrorismus; nach dem
Motto: Wenn wir niemandem etwas tun, dann tut uns
auch niemand etwas.
({1})
- Herr Gehrcke, es gibt keine groteskere Verkennung der
Wirklichkeit und keine größere Verkehrung von Ursache
und Wirkung als die, die diesem Argument, das gelegentlich leider auch von der Linksfraktion verwandt
wird, zugrunde liegt.
({2})
Der Terrorismus lebt von der Unschuld der Opfer.
Deshalb gibt es nur die Antwort, ihm gemeinsam, geschlossen, fest und gelassen entgegenzutreten, wie wir
das bisher gemacht haben. Deutschland übernimmt Mitverantwortung für die internationale Sicherheit, weil in
einer globalisierten Welt ein Wagenburgdenken - wir
kapseln uns ab und schließen uns ein - nicht zu mehr Sicherheit führt. Das ist ein völlig unrealistischer Ansatz.
Die deutsche Außenpolitik hat eine große Kontinuität
aufzuweisen, über mehrere Regierungen hinweg. Nehmen Sie das Beispiel Afghanistan: Das ist ein Beleg dafür, wie wir internationale Verantwortung mit übernehmen, wie wir mit für internationale Sicherheit sorgen,
damit Afghanistan, so hat es General Petraeus gestern
als Ziel unserer Aufgabe beschrieben, nicht wieder
Rückzugsraum für den internationalen Terrorismus werden kann.
({3})
Die Übergabe in Verantwortung, auf die wir in Afghanistan jetzt gemeinsam zusteuern, ist natürlich abhängig
von den Fähigkeiten Afghanistans einerseits und der
Entwicklung der Sicherheitslage im Land andererseits.
Wir werden darüber im Zusammenhang mit den Fortschrittsberichten der Regierung - der erste wird in neuer
Form im Dezember vorgelegt - im Parlament zu diskutieren haben.
Mir kommt es darauf an, zu betonen, dass wir eine
große Kontinuität in der Außenpolitik haben, ausgehend
von dem Beschluss der damaligen rot-grünen Bundesregierung, dass wir uns in Afghanistan engagieren, über
die jeweiligen Mandatsverlängerungen bis heute. Wenn
ich diese Kontinuität erwähne, ist das gleichzeitig ein
Appell an diejenigen, die diese Politik seinerzeit eingeleitet haben und sich jetzt in der Opposition möglicherweise einen schlanken Fuß machen wollen, weil sie
nicht bereit sind, die Verantwortung für die internationale Sicherheit zu tragen. Das werden wir bei den weiteren Diskussionen über die Mandatsverlängerungen, insbesondere im Zusammenhang mit Afghanistan, sehen.
Heute werden wir noch über Atalanta diskutieren. Dabei geht es um die Pirateriebekämpfung vor Somalia,
weil Somalia nicht in der Lage ist, die eigenen Küstengewässer zu schützen.
Wir werden heute auch die Diskussion über die Mission Althea in Bosnien führen. Auch hier zeigt sich, genauso wie im Fall des Kosovo, die große Kontinuität
deutscher Außenpolitik. Die damalige Interventionsentscheidung, mit der NATO die Albaner im Kosovo vor
den Serben zu schützen, war eine Entscheidung der rotgrünen Bundesregierung, die von der Opposition unterstützt worden ist. Wir sind heute noch dabei, mit den
Folgen dieser richtigen Entscheidung so umzugehen,
dass der Balkan in die Lage versetzt wird, sich selbsttragend zu stabilisieren. Eine Folge ist letztendlich auch
- das ist das Versprechen aus dem Stabilitätspakt für den
Balkan, das die Europäische Union gegeben hat -, dass
einmal alle Länder dieser Region der Europäischen
Union beitreten können.
Wir haben einen wichtigen Zwischenerfolg dahin gehend erreicht - da möchte ich dem Außenminister gratulieren -, dass Serbien - diesem Land fällt die Anerkennung des Kosovo und die Kenntnisnahme der damit
verbundenen Fakten nach wie vor sehr schwer - bei der
Vollversammlung der Vereinten Nationen auf einen Kurs
des Dialogs mit der Europäischen Union über diese
Frage eingeschwenkt ist. Auch hier gibt es also eine
große Kontinuität deutscher Außenpolitik.
Wer heute Morgen die Zeitung gelesen hat, der wird
festgestellt haben, dass sich das Weltgeschehen nicht nur
bei uns abspielt. Die Menschen in Asien machen sich
Sorgen vor einem neuen Korea-Krieg. Da haben wir als
Deutsche und als Europäer relativ wenige Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Einmal wieder schauen alle
Augen auf Washington und in diesem Falle auch auf Peking.
Wir haben darüber nachgedacht, was der Ausgang der
amerikanischen Kongresswahlen für die Fähigkeit der
Amerikaner bedeutet, sich außenpolitisch zu engagieren.
Egal welche Schlussfolgerungen man da im Einzelnen
ziehen möchte, ist für mich eines klar: Die Europäer
werden im Zweifel eher mehr als weniger Verantwortung übernehmen müssen. Wir werden nicht alles auf die
Amerikaner abladen können, die jetzt auch bei der Lösung der Korea-Krise in starkem Maße gefordert sind.
Eher mehr Verantwortung für Europa heißt natürlich
auch: eher mehr Verantwortung für Deutschland.
Das gilt auch mit Blick auf den Nahen Osten, wo die
Europäer sicherlich nicht diejenigen sein können, die es
den Palästinensern und Israelis leichter machen können,
Frieden zu schließen. Aber wir können an dieser Stelle
hilfreich sein. Ich hoffe, dass die Verhandlungen in den
nächsten drei Monaten zu einer Einigung über den
Grenzverlauf führen; denn eine solche Einigung zwischen Israel und einem palästinensischen Staat würde
endlich die Abwärtsspirale stoppen, in der sich der Friedensprozess spätestens seit Beginn der zweiten Intifada
im Jahre 2000 befindet.
Lassen Sie mich noch etwas zum Iran sagen. Der Iran
legt - das wissen alle, die mit iranischen Politikern sprechen - größten Wert darauf, dass er mit Würde und Res8102
pekt behandelt wird und dass man ihm auf Augenhöhe
begegnet. Aber er muss sich dann auch entsprechend
verhalten und zunächst die Menschenwürde der eigenen
Bürgerinnen und Bürger respektieren.
({4})
Dazu gehört, dass Wahlen so durchgeführt werden, dass
dieser Respekt vor den eigenen Bürgerinnen und Bürgern und ihrer Entscheidung zum Ausdruck kommt.
Dazu gehört auch, dass die barbarischste Form der Todesstrafe, die Steinigung, ohne Wenn und Aber abgeschafft wird.
({5})
Natürlich darf die Steinigung von Frau Aschtiani nicht
vollzogen werden. Wir fordern, dass sie einen fairen
Prozess bekommt.
Was die beiden deutschen Journalisten angeht, will
ich an dieser Stelle Folgendes sagen: Es ist eigentlich ein
Akt der Selbstverständlichkeit, dass für sie die Möglichkeit besteht, sich zu Weihnachten mit ihren Familien zu
treffen. Wenn sie eine Ordnungswidrigkeit begangen haben sollten, dann muss dies in einem schnellen, geordneten und fairen Verfahren festgestellt und zu einem Abschluss gebracht werden, damit die beiden Journalisten
möglichst bald zurück in Deutschland sein werden.
Zur Nuklearpolitik. Auch hier besteht eine große
Kontinuität in der deutschen Außenpolitik. Die „EU-3
plus 3“-Verhandlungen kommen jetzt wieder in Gang.
Es wird darum gehen, vom Iran Garantien für eine dauerhaft friedliche Ausrichtung seines Atomprogramms zu
bekommen.
Als Erstes wird es um Transparenz gehen. Diese
Transparenz liegt im eigenen iranischen Interesse. Denn
mangelnde Transparenz birgt schon jetzt das Risiko,
dass ein nukleares Wettrüsten in der Region einsetzt,
weil die umliegenden Länder nicht genau wissen, was
der Iran tatsächlich im Schilde führt. Deshalb hoffe ich
sehr, dass die Verhandlungen zu einem Erfolg führen.
Der amerikanische Verteidigungsminister Gates hat
gesagt: Die einzige langfristige Lösung, iranische Nuklearwaffen zu vermeiden, ist die Einsicht des Irans
selbst, dass Atomwaffen nicht in seinem Interesse liegen. - Die Sanktionspolitik soll diese Einsicht befördern,
indem sie deutlich macht: Erstens. Iran isoliert sich.
Zweitens. Die Weltgemeinschaft steht gegen dieses Programm. Drittens. Die politischen und moralischen Kosten werden durch die Sanktionen erhöht. Viertens. Wir
machen gleichzeitig ein Kooperationsangebot für den
Fall, dass der Iran seine Politik ändert.
Letzter Satz. Als Parlamentarier - daran möchte ich
ausdrücklich festhalten - dürfen wir den Gesprächsfaden
zum Iran auch weiterhin nicht abreißen lassen, trotz aller
Probleme, die es im Augenblick gibt. Ich sage das deshalb, weil mich, wie wahrscheinlich viele andere Kollegen, viele Briefe und E-Mails erreicht haben, in denen
die Reisen unserer Kollegen kritisiert wurden. Ich weise
das zurück. Die Reisen waren sinnvoll, und wir müssen
auf diesem Weg weiterarbeiten, sonst werden wir im Iran
keine Änderung der Politik mit diplomatischen bzw.
politischen Mitteln erreichen. Denn dazu gehört auch der
direkte Kontakt zwischen Parlamentariern und ihren
Counterparts in Teheran.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Marieluise Beck das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Polenz hat eben von einer Geißel der Menschheit gesprochen, dem totalitären Fundamentalismus. Es
gibt eine zweite Geißel, mit der wir auch in diesen Tagen
konfrontiert werden; das ist die der atomaren Bewaffnung und der Proliferation. Wenn uns die Nachrichten
vom neu aufbrechenden Konflikt zwischen Nordkorea
und Südkorea so beunruhigen, dann auch deshalb, weil
wir wissen, dass wir es bei Nordkorea mit einem diktatorischen Regime zu tun haben, das die Atomwaffe zur
Verfügung hat.
Wenn wir etwas weiter schauen und an die Debatte
von heute Morgen denken und die Debatte über die
Energieversorgung wirklich ernst nehmen, dann müssen
wir uns klarmachen, dass Energiepolitik nicht nur Innenpolitik, sondern auch Außenpolitik ist und dass es sogar
eine Steigerung der Geißel der atomaren Bewaffnung
gibt. Dies hat mit der Energiepolitik zu tun. Denn wenn
weltweit der Weg in den Ausbau atomarer Energie
eingeschlagen werden würde, würde das zweifellos als
nächste Etappe die Wiederaufbereitung bedeuten und
damit - das ist noch eine Spirale höher - das Zur-Verfügung-Stehen von Plutonium, und das in einer Welt, in
der wir es mit Failed States und diktatorischen Regimen
zu tun haben, bei denen wir nicht wissen, ob sie über
ihre destruktive Kraft nach außen hinaus sogar zur
Selbstdestruktion bereit sind, sodass jeglicher Schutz für
ein internationales Zusammenleben entfallen würde.
Insofern sind die Atomenergie und - daran gekoppelt die Plutoniumwirtschaft ein zentraler Punkt, wenn wir
international und in Strategien denken, mit denen wir
uns von den Geißeln der Menschheit befreien können.
({0})
Dass im Fall von Nordkorea und Südkorea die USA,
Russland und China - hoffentlich gemeinsam - agieren
und die USA und Russland China dabei überzeugen
- wir wissen, dass es den Haupteinfluss auf Nordkorea
hat -, ist gut.
Ich bin damit noch einmal beim Gipfel von Lissabon.
Es ist in der Tat ein gutes Signal, wenn das Ende des
Kalten Krieges ausgerufen wird, obwohl ich meine, wir
sollten Präsident Gorbatschow gegenüber etwas fairer
sein. Wir würden nicht hier in diesem Haus sitzen, wenn
Marieluise Beck ({1})
es das Ende des Kalten Krieges nicht schon gegeben
hätte, ein Ende, das viel mit der wunderbaren Politik von
Präsident Gorbatschow zu tun gehabt hat. Nichtsdestotrotz begrüßen wir uneingeschränkt jeden Schritt in der
Kooperation mit Russland. Ich sage das als jemand, die
sehr viel in Russland ist, die eine kritische Begleiterin
dieses Landes ist, die sehr viele enge Verbindungen in
dieses Land hat.
Die Jubelschlagzeilen aus Lissabon bedürfen einer
genaueren Betrachtung. Denn sowohl in den USA als
auch in Russland ist nicht klar, ob es weiterhin eine innenpolitische Deckung für einen Entspannungskurs
geben wird. Ich nenne die gruselige Tea-Party-Bewegung in den USA, die Obamas Spielräume einengt. Auch
bei Russland wissen wir nicht, ob Medwedew Präsident
bleiben wird und ob Ministerpräsident Putin seinen Entspannungskurs wirklich deckt.
Wie sieht das Ost-West-Verhältnis derzeit aus? Tatsächlich gibt es in Teilen der russischen Bevölkerung
nach wie vor ein Gefühl der Bedrohung durch die
NATO. Teile der Militärs und auch der Politik denken
noch in Bedrohungskategorien. Es gibt den Begriff der
Einkreisung durch die NATO, wobei manchmal nicht
ganz klar ist, wo dieser Begriff instrumentalisiert und wo
solch eine Einkreisung ernsthaft empfunden wird. Die
Überwindung dieser Gräben kann man jedenfalls nur
durch ständige Kommunikation und Transparenz schaffen.
({2})
Wir als Deutschland müssen die kleinen Länder zwischen den ehemaligen Blöcken im Blick behalten, die
leidvolle historische Erfahrungen gemacht haben, auch
durch das niederträchtige Zusammenwirken von Hitler
und Stalin. Wir müssen ihnen zugestehen, dass sie unter
das Dach der NATO gestrebt sind. Hier gibt es einen ersten wichtigen Punkt in der Auseinandersetzung mit
Russland: Wir müssen Russland unmissverständlich
klarmachen, dass es ein souveränes Recht auf Entscheidung gibt und dass die Kategorie des „nahen Auslands“,
wie sie von Russland verwandt wird, zu diesem Recht
von souveränen Staaten nicht passt.
Ich füge hinzu: Es ist auch keine vertrauensbildende
Maßnahme, dass die konsentierte OSZE-Mission nach
wie vor nicht in Südossetien auftreten darf. Das ist nicht
in Ordnung. Hier wäre ein erster Schritt, mit dem Russland zeigen kann und muss, wie ernst man es dort mit
der Entspannungspolitik und der Politik der Gemeinsamkeiten meint.
({3})
Die NATO ist mehr als ein Militärbündnis. Sie ist eine
Gemeinschaft demokratischer Staaten. Das führt zu
schmerzhaften Prozessen im Westen. Wir haben politisch
die Verantwortung, dass dieser schmerzhafte Blick gewagt wird. Ich nenne Verfehlungen innerhalb der NATO
wie CIA-Geheimgefängnisse, Foltervorwürfe und den
Schandfleck Guantánamo. Aber dieser kritische Blick auf
die demokratischen Grundsätze des eigenen Militärs
muss auch für den zukünftigen Partner Russland gelten.
Präsident Kadyrow hat in unglaublicher Offenheit in
einem Interview, das die taz vor zwei Tagen dankenswerterweise abgedruckt hat, ganz unmissverständlich
gezeigt, womit wir es in Russland auch zu tun haben,
nämlich mit einem Präsidenten, der, angesprochen auf
die Überfälle in Tschetschenien, sagt:
Mein Heimatdorf Zentoroi ist ein sehr sicherer Ort.
Wer reingeht, kommt nicht mehr raus.
Weiter:
So war es auch beim Überfall auf das Parlament.
Ein paar Dutzend sind übrig, die werden wir auch
ausschalten. Das können wir gut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein Partner
für unsere Politik. Es muss sich noch unendlich viel bewegen, damit wir auch im Bereich der Militärs tatsächlich eine Partnerschaft mit Russland haben.
({4})
Es gibt auch in Bezug auf die innere Verfasstheit des
russischen Militärs viel zu tun. Das sieht man, wenn man
sich mit den Müttern der Soldaten in Sankt Petersburg
trifft. Diese haben sich zusammengetan, weil es eine
große Zahl von Selbstmorden von jungen Menschen im
russischen Militär als Folge der ritualisierten Gewalttätigkeit gibt. Das alles muss angegangen werden. Dies
darf es beim Militär in demokratischen Staaten nicht geben. Darauf muss die NATO achten. Ich sage noch einmal: Auch wenn die NATO und ihre Mitgliedsländer von
dem Weg abweichen, haben wir die Verpflichtung, sie
immer wieder zurückzuholen. Das muss eine unmissverständliche Basis sein: Willkür passt nicht zu demokratischen Staaten.
({5})
Ich möchte zum Schluss noch ganz kurz auf das
Thema Terrorismus eingehen. Hier gibt es tatsächlich
eine schicksalhafte Verbindung zwischen Russland und
dem Westen. Keiner von uns ist davon unberührt. Das haben die Festnahmen gestern gezeigt. Wenn Belgier, Niederländer, Marokkaner, russische Staatsangehörige und
tschetschenische Kämpfer zusammen festgenommen
werden, wissen wir, dass wir in einem Boot sitzen.
Es geht um den Kampf eines totalitären Denkens gegen die Grundwerte von Aufklärung und Humanität,
Werte des Westens, die aber auch für Russland gelten.
Wenn wir diesem totalitären Denken gemeinsam auf
Grundlage der wundervollen Werte, die die Würde des
Menschen bewahren, gemeinsam entgegenwirken, dann
haben wir einen guten roten Faden für die nächsten
Jahre.
Schönen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Karl-Georg
Wellmann für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns gegenwärtig in einer Phase großer internationaler Konferenzen: des G-20-Gipfeltreffens in Korea,
des NATO-Gipfels in Lissabon und des OSZE-Gipfels in
Astana, der in der nächsten Woche stattfindet. Bei all
diesen Gipfeltreffen spielen die Amerikaner eine wesentliche Rolle. Deshalb ist die enge Zusammenarbeit
zwischen uns und den Amerikanern so wichtig. Sie ist
für uns von existenziellem Interesse. Das hat mit unserer
Sicherheit und mit der Tatsache zu tun, dass wir potenziellen Bedrohungen ausgesetzt sind, gegen die wir uns
alleine nicht verteidigen könnten. Das hat aber auch viel
mit gemeinsamen Werten und einer gemeinsamen Geschichte zu tun. Ich sage das ausdrücklich als jemand,
der in Westberlin aufgewachsen ist und nicht vergessen
wird, dass es die Amerikaner waren, die gewährleistet
haben, dass wir in einer freien Welt leben und aufwachsen konnten und nicht Teil von Ulbrichts oder Honeckers
Spießerdiktatur wurden.
({0})
Wir wissen, dass wir diese Freundschaft pflegen müssen. Europa ist nicht mehr der zentrale Bezugspunkt der
Amerikaner. Das ist inzwischen eher der pazifische
Raum, sind eher Indien und China. Wer die Wahlen in
Amerika vor zwei Jahren erlebt hat, konnte geradezu
körperlich spüren: Außenpolitik spielte überhaupt keine
Rolle; alles drehte sich um Wirtschaft und Arbeitsplätze.
Vor diesem Hintergrund war die Botschaft, die Präsident
Obama nach dem NATO-Gipfel ausgesandt hat, eine
gute Botschaft. Sie machte deutlich, dass er von einer
engen Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA
ausgeht. Er sagte, dass die Partnerschaft mit den europäischen Verbündeten ein Eckpfeiler des amerikanischen
Engagements ist.
Durch den Sieg der Republikaner bei den Midterm
Elections vor drei Wochen wurde die Rolle des amerikanischen Parlaments gestärkt. Ob uns das Wahlergebnis
gefällt oder nicht, es wird für Präsident Obama jedenfalls nicht einfacher. Wir, die wir hier sitzen, müssen gerade auf parlamentarischer Ebene den Austausch mit den
Amerikanern suchen:
({1})
weil viele neue Abgeordnete in den Kongress eingezogen sind, weil es unter den Wahlsiegern auch populistische Tendenzen gibt und dies nicht zu isolationistischen
Reflexen führen darf, weil die Ratifikation des STARTVertrages gefährdet ist und weil unser Standpunkt, dass
der Iran-Konflikt nur mit friedlichen Mitteln gelöst werden kann, richtig bleibt.
({2})
Es ist unser aller Anstrengung wert, dass unser Standpunkt im Hinblick auf die Bedeutung des Bündnisses
auch dem neu gewählten Senator aus Illinois oder dem
Congressman aus dem mittleren Westen vermittelt wird.
Das transatlantische Bündnis hat uns Deutschen Sicherheit, Stabilität und Wohlstand garantiert und wird
dies auch zukünftig tun. Deshalb dürfen wir nicht nur
seine Vorteile in Anspruch nehmen, sondern müssen
auch Verantwortung übernehmen; Ruprecht Polenz hat
darauf hingewiesen. Das gilt auch mit Blick auf Afghanistan. Die aktuelle Sicherheitslage in unserem Land
zeigt, wie wichtig es ist, den Terrorismus, wo es möglich
ist, an seinem Ursprung und nicht bei uns zu Hause zu
bekämpfen.
Das gilt auch für unsere Verantwortung im Rahmen
internationaler Missionen, etwa der Operation Atalanta
am Horn von Afrika. Dieser Mission haben auch die
Grünen zugestimmt. Deshalb finde ich die Diskussionen
über Handelskriege, die hier angeblich geführt werden,
völlig absurd. Der Kollege Trittin regt sich immer besonders schön künstlich auf und behauptet, irgendjemand
sei darauf aus, Kriege zur Durchsetzung von Handelsinteressen zu führen.
({3})
- Herr Ströbele, mit dieser Behauptung hat der Kollege
Trittin schon dem Ansehen des früheren Bundespräsidenten schweren Schaden zugefügt.
({4})
Unsere Aktion am Horn von Afrika ist keine sozialpolitische Aktion, sondern wir schützen unsere Handelsrouten. Was denn sonst?
({5})
Darf ich daran erinnern, dass unser Wohlstand und vor
allem 9 Millionen Arbeitsplätze in der Exportwirtschaft
von unserem Außenhandel abhängen?
({6})
Als Gewerkschaft würde ich gegen den Unsinn, den
Trittin da erzählt hat, mobil machen.
({7})
Ich habe mir heute früh einmal etwas angetan und recherchiert, wie die Linkspartei zum westlichen Bündnis
steht, Herr Gehrcke.
({8})
Da liest man: Linkspartei will die Auflösung der NATO.
- Ein Mitglied Ihres Bundesvorstands fordert - wörtlich die Auflösung des Kriegsbündnisses NATO. Es meint,
sie sei ein kriegerisches Bündnis und für den Terror verantwortlich.
({9})
Jeder weiß - Sie bestätigen das -: Würde die NATO aufgelöst, wäre das das Ende der nordatlantischen Partnerschaft; denn die NATO ist das Herzstück dieser Partnerschaft.
({10})
Erst vor 14 Tagen hat die Vorsitzende der Linkspartei,
Frau Lötzsch, hier an dieser Stelle eine Rede gehalten, in
der sie diesen ganzen lebensgefährlichen Unsinn wiederholt hat. Das Gegenteil ist richtig: Die NATO ist das erfolgreichste Bündnis der Geschichte. Das hat Obama
letzte Woche in der New York Times geschrieben, und er
hat recht.
({11})
Im Internet wird man zu den Positionen der Linken
richtig fündig. Einer der DDR-Mullahs war lange Ehrenvorsitzender Ihrer Partei und ist heute Vorsitzender Ihres
Ältestenrats, Herr Modrow. Im Internet finden Sie wunderbare Zitate von ihm. Er spricht von den Kriegsplänen
des NATO-Staates Bundesrepublik damals gegen seine
friedliebende DDR. Wohlgemerkt, das hat er nicht nur
damals behauptet - damals sowieso -, sondern er hat es
heute wiederholt. Ihr Ehrenvorsitzender der Linkspartei
war es, der unser Engagement in Jugoslawien, das, mit
Verlaub, von einem Grünen-Außenminister verantwortet
wurde, mit dem Einmarsch Hitlers in die Tschechoslowakei gleichgesetzt hat. Dieses Gerede werden wir nicht
vergessen. Das verspreche ich Ihnen.
({12})
Ich kann mich noch gut an die Begeisterung der DKPler erinnern, die jetzt bei Ihnen, Herr Gehrcke, in der
Fraktion sitzen, als die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert ist. Ich kann mich auch noch gut an die
Spruchtafeln erinnern, die damals in der DDR auftauchten:
({13})
Waffenbrüderschaft, Klassenbrüderschaft. - Das haben
wir gelesen. Solange Sie diesen politischen Giftmüll im
Keller haben, fehlt Ihnen jede Regierungsfähigkeit,
meine Damen und Herren von den Linken.
({14})
Herr Kollege Wellmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke?
Nein, jetzt nicht.
({0})
- Ich weiß, dass Ihnen das unangenehm ist, aber ich sage
es trotzdem.
({1})
Ich wundere mich ein bisschen darüber, dass die Grünen dazu nicht klatschen, kann Ihnen aber gerne erklären, warum. Auch ihre Jugendorganisation, die Grüne
Jugend, ist für die Auflösung der NATO.
({2})
In Berlin ist die Grüne Jugend für eine Koalition mit der
Linkspartei: grün-dunkelrot. Da muss Frau Künast einmal erklären, mit wem sie in Berlin zukünftig regieren
will.
({3})
Von Lissabon sind wichtige Signale der Entspannung
und Abrüstung ausgegangen. Vor allem ist die richtige
Botschaft nach Moskau gegangen, nämlich dass Sicherheit nicht gegen Russland zu erreichen ist, sondern nur
mit Russland. Auch die Bundeskanzlerin hat es heute
früh gesagt: Wir sehen die Russen nicht mehr als Feinde,
sondern als Partner.
Übrigens, Herr Gehrcke: In russischen Regierungszeitungen ist im Moment sehr viel Nachdenkliches über
die NATO zu lesen. Darin steht wörtlich, sie habe ihren
Mitgliedern Frieden, Wohlstand und Stabilität gebracht.
Das müsste doch Ihr Weltbild durcheinanderbringen.
Sie, der Sie auf der Parteihochschule Moskau gewesen
sind, haben früher auf die Genossen gehört. Dann hören
Sie doch auch heute auf die Genossen in Moskau!
({4})
Herr Kollege Wellmann, auch Herr Kollege Nouripour
würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Nein, ich will zum Ende kommen.
({0})
- Dass Sie so toben und schreien, ist ein Beispiel dafür,
dass ich Sie getroffen habe. Das ist doch eine wunderbare Bestätigung.
Lissabon war ein Schritt vorwärts in Richtung mehr
Sicherheit. Dass die Russen in Person ihres Präsidenten
teilgenommen haben, war vor allem auch ein Verdienst
der Bundeskanzlerin. Sie vor allem hat Vertrauen aufgebaut und Medwedew überzeugt, dass es sich lohnen
würde, an dem Gipfel teilzunehmen.
({1})
Wir haben ein nachhaltiges Interesse an der Einbindung Russlands. Wir haben kein Interesse an einem
schwachen Russland. Wir brauchen Russland bei der
Rüstungskontrolle, der Nichtverbreitung und Bekämpfung des Terrorismus, bei der Klimapolitik und vielem
anderen mehr. Das Vertrauen, das jetzt in Lissabon aufgebaut worden ist, darf nicht dadurch beschädigt werden, dass der START-Vertrag im Kongress scheitert.
Lassen Sie mich auf den Ausgangspunkt meiner Rede
zurückkommen: Lassen Sie uns alle im Dialog mit unseren amerikanischen Kollegen daran mitwirken, dass die
von Obama und der Bundeskanzlerin betriebene Entspannungs- und Abrüstungspolitik fortgesetzt wird.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Gehrcke.
Herr Wellmann, Sie sind selber schuld, dass ich jetzt
alles erklären muss. Sie hätten es anders haben können.
Ich fand das schon ein bisschen paradox. Ich gebe zu,
dass ich lange gebraucht habe, um mich davon zu lösen,
alles gut zu finden, was Russland macht bzw. die
Sowjetunion gemacht hat. Dass Sie mir jetzt empfehlen,
dass ich alles gut finden soll, was Russland heute zur
NATO sagt, finde ich ein bisschen unhistorisch.
({0})
Akzeptieren Sie: Es gibt hier Bewegung. Da Sie jetzt alles begrüßen, was die NATO macht, kann ich Ihnen Folgendes empfehlen: Fangen Sie einmal an, ein bisschen
kritisch nachzudenken. Dann lösen auch Sie sich davon
und werden auch Sie nicht alles gut finden, was Russland macht. Hier kann man sich ja bewegen.
Ähnliches gilt in Bezug auf Afghanistan. Ich finde es
immer bemerkenswert, wenn die falschen Argumente,
die ich gebraucht habe, heute von anderen Seiten wiederholt werden. Man kann geschichtlich nicht alles
gleichsetzen; das ist völlig klar. Ich kenne die Argumente von früher, als auch ich leider argumentiert habe:
Die Sowjetunion ist in Afghanistan einmarschiert, um
das Mittelalter zu überwinden. - Völlig falsch! Die Sowjetunion ist einmarschiert, um die Menschen dort zu
befreien. - Völlig falsch! Die Sowjetunion ist einmarschiert, um die Frauen in Afghanistan zu befreien. Völlig falsch! Es waren imperiale Gründe. Ich finde,
man sollte heute nicht den gleichen Unsinn seitenverkehrt wiederholen. Wenn man das tut, dann hat man aus
der Geschichte nun wirklich überhaupt nichts gelernt.
({1})
Wir alle sollten so couragiert sein, etwas aus der Geschichte - auch aus der eigenen - zu lernen.
Letzter Punkt: Man kann an Herrn Modrow, der
Ministerpräsident der DDR war, gewiss viel Kritik üben.
Er weiß, dass das auch in unserer Partei der Fall ist. Er
hat aber seinen Beitrag dazu geleistet, dass die Vereinigung Deutschlands friedfertig und nicht mit viel Gewalt
verlaufen ist. Ich finde, auch Ihre Partei müsste sich einmal einen Ruck geben, das auch hier im Parlament zu
würdigen und zu sagen, dass sie das bei allen Differenzen anerkennt. Der Kalte Krieg ist vorbei, die DDR gibt
es nicht mehr - man kann zu einem anderen Umgang
miteinander kommen.
({2})
Sie haben das nicht geschafft; aber es war ein bisschen
erheiternd und ermunternd, hier wieder einmal Antikommunismus pur zu erleben. Ich habe das, ehrlich gesagt,
schon vermisst, weil es dazu so lange nicht gekommen
ist.
Schönen Dank für Ihren Beitrag.
({3})
Zu einer weiteren Kurzintervention hat die Kollegin
Marieluise Beck das Wort.
Herr Kollege Gehrcke, Sie reklamieren hier, dass Sie
sich bewegt haben und dass Sie gelernt haben. Dass man
das kann, ist richtig und muss jedem von uns zugestanden werden.
Weil Sie aber beim Thema Afghanistan ein zweites
Mal diese Figur bemühen, wobei Sie Äpfel und Birnen
miteinander vergleichen - das wäre ja noch ein harmloser Vergleich; Ihr Vergleich ist nicht so harmlos -, haben
Sie anscheinend doch nichts gelernt. Ich will Ihnen auch
sagen, warum. Da Sie die Intervention bzw. den Einmarsch der russischen Armee, die das afghanische Land
Marieluise Beck ({0})
bis in den letzten Winkel vermint hat und unendlich
viele Tote und Millionen von Flüchtlingen zu verantworten hat, von denen viele bis heute nicht zurückgekehrt
sind, mit einem UN-mandatierten Einsatz vergleichen,
an dem sich 43 Nationen quer durch alle Lager dieser
Welt beteiligen, haben Sie nichts gelernt. Das möchte ich
hier doch noch einmal festhalten.
({1})
Herr Kollege Wellmann, bitte.
Herr Kollege Gehrcke, zu Afghanistan hat die Kollegin Beck schon das Richtige gesagt. Sie haben immer
noch Mühe, einen Einmarsch der Sowjetunion und ein
Engagement der internationalen Staatengemeinschaft
auseinanderzuhalten. Das finde ich sehr bedauerlich.
({0})
Zu Herrn Modrow ließe sich viel sagen. Er war
16 Jahre einer der führenden Funktionäre des DDR-Systems, Parteichef in Dresden und damit einer der wichtigsten Männer, der auch gesagt hat, der Bau der Mauer
habe zum Frieden beigetragen.
({1})
Solche Leute sind bei Ihnen nach wie vor Ehrenvorsitzende, 16 Jahre.
({2})
Deshalb sage ich: Sie haben Giftmüll im Keller, und Sie
sind nicht regierungsfähig.
({3})
Ein Letztes. Ich sage es gern noch einmal: Das Nordatlantische Bündnis - das haben wir aus dem furchtbaren 20. Jahrhundert gelernt - ist Teil der deutschen
Staatsräson. Es gewährleistet uns Sicherheit, Sicherheit
in Gemeinschaft mit der atlantischen Staatengemeinschaft. Diejenigen, die dieses Bündnis auflösen wollen,
gefährden die Sicherheit. Damit werden wir nie übereinstimmen.
({4})
Nun hat die Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul für
die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Haushaltsdebatte ist auch Anlass, sich über die Perspektiven und die operativen Schritte deutscher Außenpolitik zu vergewissern. Wir meinen, angesichts der
Konflikte weltweit müssen diese Perspektiven und die
operativen Schritte bei Vorrang für Abrüstung, Vorrang
für politische Lösungen für die schweren Konflikte auf
der Welt und bei der Verringerung der Gewaltpotenziale
und Gewaltinstrumente liegen. Deshalb möchte ich mich
in meinen Ausführungen auf vier Punkte konzentrieren:
auf die Notwendigkeit atomarer Abrüstung, auf die Verhinderung des Transfers von Kleinwaffen, auf das
Verbot von Streumunition und auf eine notwendige parlamentarische Transparenz bei Waffenexportentscheidungen.
Nimmt man die Haushaltszahlen - der Kollege
Brandner hat das sehr deutlich dargestellt - als konkreten Maßstab, muss man übrigens feststellen, dass dieselbe Bundesregierung, die am 12. Oktober große Verantwortung in Form des Sitzes im UN-Sicherheitsrat
übernommen hat, massive Einsparungen auf den wichtigsten Feldern der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik plant. Das ist ein eklatanter Widerspruch zu
der eingegangenen Verpflichtung.
({0})
Zu den angesprochenen Punkten. Erstens: atomare
Abrüstung. Außenminister Westerwelle hat vor dem
NATO-Gipfel den Mund vollgenommen, und er hat sich
nicht durchgesetzt. Das muss er hier auch offen einräumen. Sein Kollege Jean Asselborn aus Luxemburg hat
gesagt: Westerwelles Abrüstungsinitiative war ein Misserfolg. Die NATO hat auf dem Gipfel keine klare Festlegung getroffen, ob und wie sie die Atomwaffen in
Europa abbauen will.
Wir sagen: Die NATO braucht nach unserer Überzeugung keine Atomwaffen. Dieses Abschreckungskonzept
des Kalten Krieges gehört seit 20 Jahren der Vergangenheit an. Deshalb müssen auch die taktischen Atomwaffen vom Boden Europas zurückgezogen werden.
({1})
Das wäre auch ein Impuls für den weltweiten nuklearen
Abrüstungsprozess. Wir erinnern uns: Die UN hat für die
Zeit der UN-Sicherheitsratspräsidentschaft gefordert, im
Nahen Osten eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen zu verwirklichen.
({2})
Es gilt zweitens, den illegalen und legalen Transfer
sogenannter Kleinwaffen, zumal nach Afrika, zu verhindern. In den Händen von Gewaltgruppen werden sie
genutzt, um Kinder als Soldaten zum Töten zu missbrauchen. Kinder sollen aber lernen, Stift und Computer zu
nutzen, um für das Leben und nicht für das Töten zu lernen. Im Jahr 2012 findet die UN-Überprüfungskonferenz zum Kleinwaffen-Aktionsprogramm statt. Ab
Januar 2011 ist Deutschland Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Ich möchte gerne hier und heute wissen: Was
will die Bundesregierung? Was wollen Sie tun und initiieren, damit diese Konferenz ein Erfolg wird und illegalen Waffenhändlern endlich das Handwerk gelegt
wird?
({3})
Drittens. Am 1. August 2010 ist das völkerrechtliche
Verbot von Streumunition in Kraft getreten. Das ist der
wunderbare Erfolg einer Initiative von Regierungen,
aber auch der Zivilgesellschaft. Die Konvention wurde
für Deutschland noch von Außenminister Frank-Walter
Steinmeier unterzeichnet. Jetzt geht es um die praktische
Umsetzung. Es geht um ein konkretes Aktionsprogramm. Es geht darum, dass diese Konvention die Regierungen verpflichtet, Opferfürsorge zu leisten. Herr
Westerwelle, Sie haben in Ihrem Haushalt die Mittel für
die Opferfürsorge gekürzt, statt sie auszubauen, was notwendig gewesen wäre. Streubomben töten und verstümmeln noch lange nach ihrem Einsatz. Man kann davon
ausgehen, dass die tatsächliche Anzahl von Opfern weltweit bei etwa 85 000 liegt. Dabei sind vor allem Kinder
betroffen. Deshalb fordern wir, dass die notwendigen
Verpflichtungen tatsächlich umgesetzt werden.
({4})
Ich komme zum letzten Punkt. Als langjähriges Mitglied des Bundessicherheitsrates und aus langjähriger
und in dem Fall leidvoller Erfahrung dieser Zeit plädiere
ich dafür: Schluss mit der Geheimwirtschaft bei Waffenexporten.
({5})
Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung
der evangelischen und katholischen Kirche hat gefordert, dass der deutsche und der internationale Rüstungsexport endlich in öffentliche kontroverse Debatten
Eingang finden. Die Rüstungsexportpolitik muss der tatsächlichen parlamentarischen Kontrolle unterliegen; die
nachträgliche Information des Deutschen Bundestages
reicht nicht aus. Das ist meine Erfahrung aus der Arbeit
dort.
({6})
Das ist umso wichtiger, als die Koalition von SchwarzGelb in ihren Koalitionsvereinbarungen festgelegt hat,
dass sie die restriktive Rüstungsexportpolitik, die RotGrün in den Grundsätzen verankert hatte, zugunsten einer angeblich verantwortungsvollen Rüstungsexportpolitik aufgeben will. Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung sieht die Konsequenz daraus in der
vorrangigen Ausrichtung der skizzierten Rüstungsexportpolitik der neuen Bundesregierung an außenwirtschaftlichen und industriepolitischen Gesichtspunkten
und in der Vernachlässigung friedens- und entwicklungspolitischer Dimensionen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Außenminister, wenn Sie, weil Sie bei der Bundeswehr in unserem
Land Umstrukturierungen und Einsparungen vornehmen, den Finanzausgleich durch mehr Waffenexporte in
die Welt herstellen wollen, dann exportieren Sie neue
Konflikte und Gefahren in die Welt, statt Gefahren zu
mindern. Das ist unverantwortlich und hochgefährlich.
Wir warnen ausdrücklich davor.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen,
Dr. Guido Westerwelle.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte vorab zwei Bemerkungen machen.
Zunächst einmal möchte ich mich sehr herzlich bei den
Berichterstattern bedanken. Sehen Sie es mir bitte nach,
dass ich mich, ohne die anderen Kollegen zurücksetzen
zu wollen, besonders bei dem Hauptberichterstatter,
Herrn Frankenhauser, bedanke. Ich bitte Sie, ihm auch
meine persönlichen Genesungswünsche zu übermitteln.
Ich weiß, dass er gerne an dieser Debatte teilnehmen
würde. Herzlichen Dank für diese Arbeit!
({0})
Meine zweite Vorbemerkung richte ich an Frau
Wieczorek-Zeul. Es hat schon etwas Satirisches, wenn
man elf Jahre lang Verantwortung für die Angelegenheiten des Bundessicherheitsrates gehabt hat
({1})
und dann nach wenigen Monaten in der Opposition diejenigen, die jetzt regieren, auf die Anklagebank setzt,
obwohl man selber nichts zustande gebracht hat.
({2})
Ich muss Ihnen sagen, Frau Wieczorek-Zeul: Elf Jahre
lang saßen Sie da. Wenn Sie sagen, diese Regierung
schraube die Waffenexporte nach oben, und das hier als
Kulisse aufbauen, dann darf ich einmal auf Folgendes
aufmerksam machen: Jede Waffe, die derzeit ins Ausland exportiert wird, wurde nicht von dieser Regierung
projektiert, sondern im Schnitt in den sieben Jahren von
Rot-Grün. Das geht nämlich nicht von jetzt auf gleich.
Das, was Sie hier heute beklagen, liegt also in Ihrer Verantwortung. Das ist abenteuerlich.
({3})
Meine Damen und Herren, Deutschland ist vor wenigen Monaten in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gewählt worden. Das ist ein Erfolg der deutschen
Außenpolitik; aber es ist noch viel mehr ein Erfolg
Deutschlands in der Welt. Es ist ein Vertrauensbeweis.
Es zeigt, welches hohe Ansehen wir haben. Noch niemals musste sich Deutschland einer solchen Abstimmung stellen, in der es mehr Kandidaten als Plätze gab.
Wir haben uns im ersten Wahlgang in einer geheimen
Abstimmung mit einer Zweidrittelmehrheit gegen sehr
respektable Kandidaten durchgesetzt. Das zeigt, dass das
Ansehen Deutschlands in der Welt hoch ist. Daran haben
sehr viele Anteil, aber auch die Regierung. Ich denke,
bei allem, was eine Opposition immer mäkeln muss,
könnten Sie dies auch anerkennen. Wir können stolz sein
auf das Ansehen, das Deutschland in der Welt genießt.
({4})
Natürlich geht es im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen besonders um die Frage der Konfliktprävention
und der Konfliktlösungen. Die Welt ist alles andere als
friedlich. Deswegen will ich an dieser Stelle klar zum
Ausdruck bringen: Wir sind sehr besorgt über die gestrigen Vorfälle auf der koreanischen Halbinsel. Den nordkoreanischen Artillerieangriff auf die Insel Yeonpyeong
verurteilen wir scharf. Eine solche Aggression ist durch
nichts zu rechtfertigen. Die internationale Staatengemeinschaft lässt sich nicht erpressen. Wir fordern Nordkorea auf, das Waffenstillstandsabkommen zu beachten
und zu völkerrechtsmäßigem Handeln zurückzukehren.
Deshalb hat das Auswärtige Amt heute den nordkoreanischen Botschafter einbestellt. Die besonnene Reaktion
des südkoreanischen Präsidenten Lee begrüßen wir ausdrücklich. Ich darf darauf setzen, dass das die Haltung
nicht nur der Regierung, sondern des ganzen Hauses ist.
({5})
Es gibt viele regionale Konflikte, und wir werden in
den nächsten beiden Jahren im Weltsicherheitsrat eine
Menge Arbeit haben. Wir werden uns in Kürze mit dem
Sudan befassen. Wir haben im Auswärtigen Ausschuss
ausführlich darüber gesprochen. Heute Abend werden
wir uns mit den Mandaten auseinandersetzen. Wir wissen, dass das auch in einem Zusammenhang mit regionaler Instabilität steht. Somalia, die Probleme im Jemen,
das ist uns allen hier bekannt. Wir können auf die Debatte am heutigen Abend verweisen.
Zwei Bereiche möchte ich aber besonders herausgreifen. Das ist zum einen der Nahe Osten. Wir befinden
uns in einer sehr wichtigen und sehr schwierigen Entscheidungsphase, was die wiederaufgenommenen direkten Friedensgespräche angeht. Die Bundesregierung appelliert an alle Beteiligten, alles zu unterlassen, was
diese ohnehin schwierigen Friedensgespräche gefährden
könnte. Wir setzen darauf, dass eine Zweistaatenlösung
von allen Beteiligten forciert wird und dass in diese
Richtung verhandelt wird. Israels Sicherheit ist für uns
nicht verhandelbar. Aber auch die Palästinenser haben
ein Recht darauf, in einem eigenen Staat selbstbewusst
leben zu können. Ich habe den Gazastreifen besucht;
denn Gaza ist Teil einer Zweistaatenlösung. Wir appellieren an alle, die es angeht, erstens auf Gewalt zu verzichten, aber zweitens auch zuzulassen, dass die Bürgerinnen und Bürger in Gaza in vollem Umfange wieder in
den Handelsaustausch mit ihrer Umgebung eintreten
können. Import und Export müssen wieder zugelassen
werden.
({6})
Der zweite Bereich, den ich in diesem Zusammenhang
ansprechen möchte, ist Iran. Wenn man hier vor einem
Jahr über Iran gesprochen hat, dann ist die Frage gestellt
worden: Schafft es die internationale Politik, eine gemeinsame Haltung der Völkergemeinschaft zustande zu
bringen? Genau das ist uns gelungen. Das ist nicht allein
der Erfolg der deutschen Bundesregierung und deutscher
Außenpolitik. Es ist auch dem umsichtigen und vor allen
Dingen auch klugen und abgewogenen Verhalten vieler
Beteiligter in der Welt geschuldet. Wir haben auf vielen
Konferenzen Russland und China überzeugen können, im
Sicherheitsrat mit uns gemeinsam zu stimmen.
Wir haben in Europa im Kreis der 27 Mitgliedstaaten
dafür gesorgt, dass die Sanktionen gemeinsam getragen
werden. Das hat vor wenigen Monaten niemand für
möglich gehalten. Das zeigt: Die Welt ist in Bewegung,
und die Welt will nicht zusehen, dass sich der Iran atomar bewaffnet. Eine atomare Bewaffnung des Irans ist
für die internationale Völkergemeinschaft nicht akzeptabel; das können wir nicht akzeptieren. Deswegen brauchen wir eine geschlossene Haltung der internationalen
Völkergemeinschaft in diesem Zusammenhang. Ich begrüße, dass es zu dieser geschlossenen Haltung gekommen ist.
Wir wollen nicht, dass sich immer mehr Staaten atomar bewaffnen. Dabei geht es nicht um irgendwelche
fernen Regionen, sondern um unsere Sicherheit hier in
Deutschland. Je mehr Staaten sich atomar bewaffnen,
desto instabiler wird die Welt und desto größer ist die
Gefahr, dass Terroristen Zugriff auf Nuklearwaffen bekommen. Man mag sich gar nicht ausmalen, welch eine
Gefährdung das für die Menschheit darstellte. Deswegen
setzt die Bundesregierung auf nukleare Nichtverbreitung
und auf Abrüstungspolitik. Es sind zwei Seiten derselben Medaille.
({7})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Malczak?
Bitte schön.
Herr Minister, Sie haben meine vollste Unterstützung
für diesen Satz, den Sie schon häufiger gesagt haben.
Auch die Kanzlerin hat heute in der Debatte betont, dass
die Proliferation von Massenvernichtungswaffen eine der
größten Gefahren auf der Welt darstellt. Deshalb möchte
ich Ihnen die Frage stellen, warum dann die Haushaltsmittel für Abrüstung von 61 Millionen auf 41,8 Millionen, also um rund ein Drittel, gekürzt werden. Als wir Sie
das in den Ausschüssen gefragt haben, haben Sie darauf
hingewiesen, dass zum Beispiel die mit Russland vereinbarten Projekte zur Vernichtung von Chemiewaffen auslaufen. Aber gerade weil die Proliferation von Massenvernichtungswaffen ein so großes Problem ist, reicht der
Hinweis auf auslaufende Projekte zur Begründung nicht
aus. Es gibt mehr als genug andere mögliche Projekte zur
Vernichtung von Waffen, ob es sich dabei um Streumunition, Chemiewaffen oder andere Waffentypen handelt. Auch
im nuklearen Bereich gibt es zahlreiche unterstützenswerte Initiativen und Konferenzen, die für den Beitritt zu
bestimmten, für die Abrüstungspolitik wichtigen Verträgen werben. Deshalb frage ich Sie, ob die Kürzungen zu
Ihrer Aussage passen, dass Abrüstung ein Schwerpunkt
Ihrer Politik ist und dass die Proliferation von Massenvernichtungswaffen eine der größten Gefahren darstellt.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Ich möchte zuerst darauf aufmerksam machen, dass es aus meiner Sicht unzulässig ist, den Haushalt dieses Jahres ausschließlich
mit dem Haushalt letzten Jahres zu vergleichen; denn
man muss schon den Schnitt der letzten fünf Jahre sehen,
wenn man ein Kapitel des Haushaltes fair bewerten
möchte. Wir liegen ziemlich genau im Schnitt der letzten
fünf Jahre bzw. sogar noch etwas darüber. Es ist richtig,
dass diese Politik fortgesetzt wird. Das gilt übrigens ausdrücklich für den Bereich der Auswärtigen Kulturpolitik, auf den bereits eingegangen wurde. Dieser Ansatz
steigt im nächsten Jahr sogar im Vergleich zu dem für
dieses Jahr. Das wird gerne vergessen, wenn man nur auf
die absoluten Zahlen schaut.
Auf Ihre Frage nach der Abrüstung möchte ich Ihnen
genau antworten. Was steckt dahinter? Das Kapitel, das
Sie ansprechen, beinhaltet zum Beispiel das Ausgabenprogramm für die Vernichtung von Massenvernichtungswaffen in Russland. Es geht hier um gemeinsame Partnerschaften, die vor zehn Jahren mit Russland begründet
worden sind. Wir haben Geld dafür gegeben, dass Russland Massenvernichtungswaffen abrüstet und vernichtet.
Nun stellen wir aber fest, dass diese Programme nach
zehn Jahren auslaufen werden. Wir sind der Überzeugung: Mittlerweile ist Russland wirtschaftlich in der
Lage, die Vernichtung der eigenen Massenvernichtungswaffen selbst zu finanzieren. Auch Russland muss hier
seinen Beitrag leisten. Deswegen wird dieser Ansatz zurückgeführt.
({0})
Was den Iran angeht: Aus unserer Sicht ist es von großer Bedeutung, an den Iran zu appellieren, dass die beiden
deutschen Staatsbürger, die dort derzeit in Haft sitzen,
möglichst umfassend - auch konsularisch - betreut werden und dass Anwälte Zugang haben. Ich möchte Ihnen
versichern, dass wir alles daransetzen, dass diese beiden
deutschen Staatsbürger so schnell wie möglich wieder in
unser Land zurückkehren. Dies ist die klare Erwartungshaltung der Bundesregierung und - darin bin ich sicher nicht nur der Fraktionen, die sie tragen.
({1})
Wir haben aber auch in Europa verschiedene Fragen
zu besprechen. Ich werde an dieser Stelle das Thema
Afghanistan nicht weiter ausführen. Es ist oft angesprochen worden. Nur ein kleiner Hinweis sei mir erlaubt.
Wir haben oft grundsätzlich über Wahlen gesprochen.
Heute sind die Wahlergebnisse bekannt geworden. Wenn
man in Rechnung stellt, dass zum ersten Mal Wahlen in
afghanischer Verantwortung stattfinden, dann ist es bemerkenswert, dass die afghanischen Stellen selbst den
Vorwürfen des Wahlbetrugs konkret nachgehen. Das hat
auch Konsequenzen, und es wird nichts vertuscht. Vielmehr decken afghanische Stellen selbst Wahlbetrug auf.
So wurden zum Beispiel 27 Abgeordneten die Mandate
aberkannt, weil sie nicht rechtmäßig zustande gekommen sind. All das muss man, wenn man die Lage differenziert bewertet, anerkennend feststellen.
({2})
Das sind Fortschritte, die gesehen werden müssen, neben
all den Rückschlägen, die es natürlich auch gibt.
Es gibt aber auch Konflikte in Europa. Ich nenne
Transnistrien und Georgien. Die Rede des Präsidenten
vor dem Europäischen Parlament ist angesprochen worden. Es war eine wichtige, bemerkenswerte Rede. Im
westlichen Balkan - Herr Kollege Polenz war so freundlich, darauf hinzuweisen - haben wir große Fortschritte
machen können. Es ist uns gelungen, Serbien zu einem
Politikwechsel in Sachen Kosovo zu bewegen. Das ist
ein gemeinsamer Erfolg Europas.
Entscheidend ist natürlich auch - damit will ich
schließen -, was aus Europa wird. Ich will dazu ganz
klar eine Erklärung für die Bundesregierung, aber auch
für mich ganz persönlich abgeben. Man hat es im Augenblick nicht leicht, wenn man nach Europa schaut.
Trotzdem kann ich uns nur raten, Europa zu keiner
Stunde in der Substanz infrage zu stellen. Wenn wir hier
über regionale Konflikte sprechen, über die des westlichen Balkans beispielsweise, dann kann ich nur dazu
aufrufen, nicht nur zu fragen, welche Schwierigkeiten
wir mit Europa haben, sondern auch daran zu denken,
welches Glück wir mit Europa haben. Dass wir hier
friedlich leben können, von Freunden umgeben sind, hat
vor allen Dingen etwas mit Europa zu tun. Auch dass wir
wieder als Mitglied der europäischen Gemeinschaft und
der Völkergemeinschaft anerkannt sind, hat etwas mit
Europa zu tun. Wenn die deutsche Bundesregierung dafür sorgen will, dass auch private Gläubiger an den Kosten der Krise beteiligt werden, also nicht jedes Investitionsrisiko auf den Steuerzahler abgewälzt werden kann,
({3})
dann ist das die beste Wahrnehmung europäischer Interessen. Nicht nur die Interessen deutscher Steuerzahler
werden wahrgenommen, sondern es werden die Interessen aller europäischen Steuerzahler wahrgenommen.
Deswegen weise ich die Kritik von Präsident Barroso in
aller Form hier im Deutschen Bundestag zurück.
({4})
Abrüstungspolitik ist eine wichtige Frage. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, wir müssen feststellen, dass wir in
der Abrüstungspolitik Fortschritte gemacht haben. Es
mag Ihnen nicht genug sein, was jetzt bei dem NATOGipfel herausgekommen ist. Sie finden für jede Position
immer einen Kronzeugen. Aber eines stelle ich fest: Die
letzte strategische Schrift der NATO wurde 1999 verabschiedet. Damals, als Sie Verantwortung trugen, hat die
Abrüstung keine Rolle gespielt. Dieses Mal ist sie ein
zentrales Anliegen der NATO. So viel Abrüstung gab es
in der NATO noch nie.
({5})
Wir werden diesen Weg fortsetzen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Alexander Ulrich das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf Europa lenken. Das Thema passt gut in die Haushaltswoche hinein.
Nach dem Griechenland-Paket folgte in diesem Jahr das
Euro-Rettungspaket. Damals hieß es, die 750 Milliarden Euro - davon allein fast 150 Milliarden Euro von
deutscher Seite - würden bereitgestellt, damit sie niemals in Anspruch genommen werden müssten. Kein halbes Jahr später leisten die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung den Offenbarungseid. Jetzt soll Irland mit
deutschen Steuergeldern in Höhe von über 25 Milliarden Euro geholfen werden.
Aber wollen Sie wirklich Irland helfen? Nein. Ihnen
geht es wie bei Griechenland allein darum, die deutschen
Banken und die Spekulanten zu retten. Man möchte Ihnen dazu in Anlehnung an Bertolt Brecht zurufen: Was
ist schon ein Überfall auf eine Bank im Vergleich zur
Rettung einer Bank? Nach diesem Motto verfährt diese
Bundesregierung.
Wieder soll der Steuerzahler den Schaden bezahlen,
den er nicht angerichtet hat, und wieder versucht die
Bundesregierung, die Menschen zu täuschen. Da geistert
Herr Brüderle durch die Talkshows und spricht davon,
dass es nur Bürgschaften wären. Wieder soll den Leuten
damit Sand in die Augen gestreut werden. Sie, Herr Außenminister, wissen, dass ein Großteil dieses Geldes verloren sein wird. Bereits jetzt sprechen Börsenanalysten
davon, dass die Umschuldung kommen wird, auch im
Fall Irland. Dann werden auch die Bürgschaften fällig.
Tatsache ist: Sie lassen den deutschen Steuerzahler für
die verbrecherischen Geschäfte der Finanzinvestoren
und Banken bezahlen.
({0})
Ich habe heute Morgen gelesen, dass Frau Merkel bereits 2011, also bereits nachdem Sie Milliarden Steuergelder an die Banken herausgereicht haben, die privaten
Gläubiger beteiligen will. Ich kann das nur noch als Zynismus bezeichnen. Für wie dumm hält die Bundesregierung die Bevölkerung eigentlich? Sie wissen es, also sagen Sie es hier auch.
({1})
Eine wirkliche Gläubigerhaftung ist selbstverständlich
nicht vorgesehen. Diese unverantwortliche Politik muss
endlich beendet werden. Die Profiteure müssen endlich
zur Kasse gebeten werden.
({2})
Die Banken müssen zahlen und nicht die Bürgerinnen
und Bürger.
Aber bei Frau Merkel und Herrn Westerwelle habe
ich da wenig Hoffnung. Sie wollen ihrem Freund Herrn
Ackermann von der Deutschen Bank schlicht nicht das
Geschäftsmodell zerstören. Dieses Geschäftsmodell ist
simpel: Verluste werden sozialisiert, sprich: die Verluste
der Banken bezahlen in Deutschland die Beschäftigten,
die Rentnerinnen und Rentner, die Studierenden und die
Hartz-IV-Empfänger. Genau nach diesem Prinzip wollen
Sie auch in Irland verfahren.
({3})
Mit dem EU/IWF-Paket soll der Mindestlohn in Irland
gekürzt werden. Gespart werden soll ganz unten in der
Gesellschaft, gerade bei den Kindern. Frau Merkel, Herr
Westerwelle, Sie werden sich damit sicher einen Namen
in der europäischen Geschichte machen: als Robin Hood
der Reichen. Das ist Ihr Prinzip, das Ihre gesamte Politik
durchzieht: Ich gebe den Reichen und nehme den Armen. Für dieses Prinzip steht auch das Kürzungspaket in
Deutschland.
({4})
Diese unverantwortliche Politik führt Europa in den Abgrund. Ob in Griechenland, Spanien, Portugal, Deutschland, jetzt Irland: überall massive Umverteilung von unten nach oben. Die breiten Schultern werden geschont.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam haben
Sie von CDU/CSU über FDP, SPD bis zu den Grünen
der Öffentlichkeit immer erzählt, mit dem Vertrag von
Lissabon würde Europa auch sozialer. Jetzt ist dieser
Vertrag fast ein Jahr in Kraft. Ist Europa sozialer geworden? Viele Menschen in Europa empfinden die Frage
nach einem sozialen Europa angesichts der anhaltenden
Krise und angesichts dessen, dass für sie vom bescheidenen Aufschwung nichts im Geldbeutel übrig bleibt, dass
die Wirtschafts- und Finanzkrise europaweit zum weiteren Sozialabbau genutzt wird, dass die Verursacher der
Krise genauso spekulieren wie vorher, nur noch als Zynismus.
({5})
Die EU verkommt immer mehr zu einem Bankenrettungsverein. Es geht nur noch und ausschließlich um
wirtschaftliche Interessen. Der Vertrag von Lissabon
funktioniert geradezu als Brandbeschleuniger in der
Krise. Allein dass es ein Verbot von Kapitalverkehrskontrollen im Vertrag von Lissabon gibt, heizt die Krise geradezu an.
Was haben Sie in den letzten zwei Jahren an Finanzmarktregulierungen in Europa auf den Weg gebracht? So
viel wurde uns auch hier im Bundestag versprochen, und
nichts davon haben Sie gehalten. Alles waren nur Sonntagsreden; alles war Wischiwaschi. Ein paar schwache
Aufsichtsbehörden mehr in Brüssel werden den nächsten
Crash nicht aufhalten können. Wieder sind Sie vor den
Finanzinvestoren eingeknickt.
Angesichts dieses Desasters brauchen wir nicht weniger als eine demokratische Neugründung der Europäischen Union.
({6})
Wir brauchen ein Europa, in dem die sozialen Rechte
endlich Vorrang vor dem Kapital erhalten. Wir brauchen
ein Europa, bei dem nicht weiter die Bürgerinnen und
Bürger mit massivem Sozialabbau die Zeche für die
Krise zu bezahlen haben. Wir brauchen endlich die Finanztransaktionsteuer anstatt Kürzungen im Sozialbereich. In Irland muss die Einnahmeseite verbessert werden. Dort muss endlich das ruinöse Steuerdumping,
insbesondere bei den Unternehmensteuern, beendet werden.
({7})
Ich komme zum Ende. Ich möchte mit einer Aussage
von Hans-Werner Sinn enden, der wahrlich kein Linker
ist. Er - Hans-Werner Sinn! - sagte gestern im Frühstücksfernsehen, dass es nicht sein kann, dass die Deutsche Bank Geld aus Deutschland abzieht, sich in Irland
verspekuliert und dann der deutsche Steuerzahler das bezahlen muss. Recht hat er. Aber genau das hat die deutsche Bundesregierung vor.
Vielen Dank.
({8})
Die Kollegin Ute Granold ist nun die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Haushaltsmittel für die Menschenrechtsbildung, Demokratieunterstützung, Rechtsstaatlichkeit und
humanitäre Soforthilfe ressortieren im Haushalt des
Auswärtigen Amtes. Deshalb freue ich mich, dass ich
die Möglichkeit habe, als Mitglied des Ausschusses für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe für die Union einige Worte zu sagen.
Demokratie, Menschenrechtsbildung, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind ein zentrales Thema
unserer wertegebundenen Außenpolitik. Das ist im
Koalitionsvertrag vereinbart, und daran lassen wir uns
messen. Für die Repräsentanten unseres Staates gilt dies
ebenso. Die Bundeskanzlerin sprach zum Beispiel in
China die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und die
Laogai-Lager an. Der Außenminister spricht die Prozesse in Russland - oder auch andere Fragen - an. Ich
erinnere hier auch - das habe ich schon einmal gesagt an Ihre Einführungsrede, Herr Minister Westerwelle,
beim Menschenrechtsrat in Genf. Dieser ist eine wichtige Einrichtung als Institution der UN, die sich weltweit
um die Menschenrechte kümmert. All das ist ein wichtiger Baustein unserer Politik.
Wir Parlamentarier sind - über alle Fraktionen hinweg - weltweit unterwegs, um den Finger in die Wunde
zu legen, wenn es um massive Menschenrechtsverletzungen, fehlende Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie
geht. So haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten einige Brennpunkte besucht, über die ich kurz
sprechen möchte.
Zunächst aber, Herr Bundesaußenminister, einen Satz
zum Menschenrechtsrat in Genf. Da steht ja nun im
nächsten Jahr ein Review an, das heißt die Überprüfung
der Arbeit des Menschenrechtsrates. Sie ist - wie bei der
Menschenrechtskommission zuvor - unbefriedigend.
Durch die Blockbildung und das Nord-Süd-Gefälle ist es
schwierig, die wirklichen Menschenrechtsverletzungen
aktuell bzw. zeitnah im Menschenrechtsrat zu diskutieren. Teilweise ist es - wenn ich an die Diskussion über
Sri Lanka denke - so absurd, dass unser Anliegen ins
Verkehrte gedreht wird.
Hier geht es darum, mit anderen behutsam dafür zu
werben, dass die Arbeit im Menschenrechtsrat effektiver
wird, dass die Brennpunkte diskutiert werden und dass
die Sonderberichterstatter unabhängig bleiben und
nicht gegängelt werden. Wir bitten Sie - der Ausschuss
wird im Februar 2011 wieder zum Menschenrechtsrat
fahren -, die Position der Deutschen, vielleicht auch zusammen mit unserem Menschenrechtsbeauftragten
Markus Löning - wir finanzieren das ja auch mit -, noch
einmal deutlich zu machen. Das wäre uns ein großes Anliegen.
Ich möchte hier einige wenige Staaten erwähnen, die
für uns im Blickpunkt standen. Das war und ist der Irak,
der hier schon mehrfach angesprochen wurde. Sie haben,
Herr Außenminister, zugesagt, die neue irakische Regierung zu unterstützen, was die Situation der Minderheiten
- hier insbesondere die der Christen, um die wir uns sehr
gekümmert haben, aber auch die der muslimischen Minderheiten - im Staat angeht. Hier geht es darum, den
Menschen, die im Irak bleiben, trotz der schweren Menschenrechtsverletzungen eine Perspektive zu geben. Die
deutsche Unterstützung ist zugesagt. Es geht aber auch
darum, dass die Menschen, die Binnenflüchtlinge sind
- es sind mehr als 1 Million, die in den Norden des Irak
geflüchtet sind -, eine wirtschaftliche Grundlage erhalten, ihre Kinder Bildung erfahren und sie zu einem ruhigeren Leben kommen.
Es gibt auch viele, viele Flüchtlinge aus dem Irak, die
in die Nachbarländer - nach Syrien, Jordanien, in die
Türkei und den Libanon - geflohen sind, unter schwierigsten Bedingungen dort leben und keine Perspektive
haben, in die Heimat zurückzukehren. Auch diesen Menschen muss geholfen werden. Ich danke dem ehemaligen
Innenminister Wolfgang Schäuble sehr - Deutschland
war da führend -, dass wir die Möglichkeit hatten, auf
EU-Ebene 10 000 irakische Flüchtlinge zu uns zu holen
und ihnen zu helfen. In Deutschland sind 2 500 angekommen, die sehr gut integriert sind.
Die Situation ist sehr schwierig, wir lesen jeden Tag
von neuem über Ermordungen insbesondere von Christen. Die Perspektive ist erschütternd und schwierig. Wir
werben dafür, dass wir diesen Menschen ein weiteres
Mal helfen. Das ist ein Teil unseres christlichen Glaubens und unserer Kultur. Diese Menschen bedürfen unserer Unterstützung.
Ein anderes Thema: Indien. Wir waren in Indien. Der
Kollege Kober von der FDP ist jetzt nicht mehr da. Wir
wollten nach Indien einreisen und dort auch auf die
schwierige Situation bezüglich der Menschenrechte - insbesondere die Religionsfreiheit betreffend - hinweisen.
Es ist schwierig, hierzu als Abgeordneter nach Indien zu
reisen. Wir sind mit kirchlicher Unterstützung in das
Land gekommen. Indien ist die größte Demokratie der
Welt. Die Menschenrechte, auch die Religionsfreiheit,
sind in der Verfassung verankert; trotzdem gab es
schwierige Situationen für die Muslime im Westen von
Indien. 2 000 Muslime wurden umgebracht. Die örtliche
Regierung war in dieses Massaker involviert. Aufgrund
unserer Intervention kam es letztlich dazu - so wurde es
uns dieser Tage aus Indien berichtet -, dass der Innenminister in Haft genommen wurde. Die Regierung war
also aktiv involviert in Menschenrechtsverletzungen.
In Ostindien dagegen werden Christen schikaniert
und umgebracht. Es handelt sich um einige Tausend. Da
wurden 300 Kirchen zerstört. Die Menschen sind auf der
Flucht. Darüber muss diskutiert werden, weil die meisten gar nicht wissen, dass Indien auch diese zweite Seite
hat. Die Zentralregierung hat Probleme, da durchzugreifen.
Unsere Aufgabe ist es, den Finger in die Wunde zu legen und Öffentlichkeit zu schaffen. Es war dank der
kirchlichen Nachrichten in Asien, aber auch hier bei uns
möglich geworden, dass in den Medien diese massiven
Menschenrechtsverletzungen thematisiert wurden. Wenn
wir sehen, dass Schritt für Schritt Erfolge erzielt werden,
sind wir auf einem guten Weg.
({0})
Wir sind dieser Tage in Ägypten gewesen. Dort stehen Ende des Monats Wahlen an. Dort gibt es Probleme
mit dem freien Zugang der Opposition zu den Wahlen
und mit durchgängig vorkommender Folter. Das geht
quer durch die Polizei und die Sicherheitskräfte. Die
Menschen sind nicht sicher vor Folter und Misshandlung. Blogger werden inhaftiert. Auch hier konnte durch
das Herstellen von Öffentlichkeit und Gespräche, allerdings nicht mit der Regierung - von dieser Seite wurden
Gespräche mit uns abgesagt -, sondern mit vielen anderen wie zum Beispiel NGOs, dafür gesorgt werden, dass
der eine oder andere im Nachhinein freigelassen wurde.
Wenn ich an den Iran denke, ist auch hier vieles anzusprechen; zum Teil wurde dies hier schon getan. Ich
bin sehr dankbar, dass wir in der nächsten Woche hier im
Bundestag eine große Debatte über den Iran führen werden. Es liegen Anträge von der Koalition und auch von
der Opposition vor, die sich mit der Situation zum Beispiel der Bahai und der Vollstreckung von Todesstrafen
beschäftigen. Wir hatten eben gerade von einem Fall gehört: Hier ist die Steinigung einer Frau vom Tisch; der
Tod durch den Strang ist offenbar auch vom Tisch, wie
heute im Fernsehen gemeldet wurde. Das heißt aber
noch lange nicht, dass die Frau aus dem Gefängnis entlassen wird. Das heißt auch noch lange nicht, dass ihr
Sohn und der Anwalt, die beide auch inhaftiert sind, freikommen. Hier gilt es, wie auch im Fall der beiden Bundesbürger, die inhaftiert sind, dafür zu sorgen - die Bundesregierung kümmert sich bereits intensiv darum -,
dass die Menschen freigelassen werden.
Wir als Menschenrechtler - in dieser Position spreche
ich gerade zu Ihnen - können dadurch, dass wir Öffentlichkeit schaffen, sehr viel erreichen. Viele Staaten der
Welt schauen nämlich auf Deutschland. Deutschland hat
einen guten Ruf in der Welt, gerade auch hinsichtlich
seiner Menschenrechtspolitik. Dieses Pfand sollten wir
nutzen und immer wieder darauf hinweisen, dass für uns
Einhaltung der Menschenrechte, Demokratie und die
Rechtsstaatlichkeit ganz wichtig sind; denn ohne Rechtsstaatlichkeit gibt es keine Menschenrechte und damit
keinen Schutz für Menschen. Das betrifft Afghanistan
ebenso wie China. Bezüglich des Rechtsstaatsdialogs
mit China wurde ja dieser Tage ein weiteres Dreijahresprogramm aufgelegt, was ich für sehr wichtig halte. Es
wurde gerade schon angesprochen, wie wichtig die Rolle
von China in der Auseinandersetzung in Korea ist.
All das sind für uns wichtige Aufgaben und Anliegen.
Wir möchten auch in Zukunft, natürlich zusammen mit
dem Auswärtigen Amt, das für uns eine maßgebliche
Stelle darstellt, dafür sorgen, dass Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit in der Welt verankert und verteidigt
werden. Für die Unterstützung des ganzen Hauses über
die Ressorts hinweg wären wir Ihnen - ich denke, ich
darf das auch für meine Kollegen im Ausschuss sagen sehr dankbar.
Vielen Dank.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Viola von CramonTaubadel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Ich möchte jetzt wieder
den Bogen zurück zur Europapolitik schlagen. Wir haben gestern vom Kollegen Altmaier unter anderem den
Vorwurf gehört, die vereinigte Opposition habe in der
Haushaltsdebatte zur Irland-Frage geschwiegen, obwohl
die Medien derzeit über nichts anderes schreiben. Das ist
allerdings nur eine Seite der Medaille. Offensichtlich
nimmt der Kollege Altmaier die aktuelle Europadebatte
nur sehr selektiv wahr; denn in der europäischen Öffentlichkeit wird nicht nur über Irland diskutiert, sondern
seit Wochen wird in Europa auch darüber geredet und
vor allen Dingen auch geschrieben, wie viel Schaden
und auch Kollateralschaden Frau Merkel bei ihren letzten Auftritten in Brüssel angerichtet hat.
({0})
Die private Beteiligung ist, wie wir gehört haben, ein
hehrer Anspruch. Dem stimmen wir zu. Die Durchführung dieses Vorhabens war allerdings mangelhaft. Es ist
schon ein diplomatisches Kunststück, alle anderen Mitgliedstaaten, die Kommission und die Europäische Zentralbank gegen sich aufzubringen.
Vielleicht haben Sie in der Regierung lange über
diese Aufgabenverteilung nachgedacht und dem Außenminister bei dieser Frage bewusst die Kompetenzen für
Europa abgenommen. Das Ergebnis der Kanzlerinnendiplomatie ist aber in jedem Fall verheerend.
({1})
Ich habe mich gefreut, dass Herr Westerwelle eben
geraten hat, „Europa zu keiner Stunde in der Substanz
infrage zu stellen“. Kollege Link hat davon gesprochen,
dass Renationalisierungstendenzen eine Gefahr für das
gesamte Projekt darstellen. Ich möchte aber kurz auf den
Vorwurf des Kollegen Altmaier zurückkommen, wir hätten seinerzeit bei der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm mit fadenscheinigen Argumenten nicht für
den Rettungsschirm gestimmt. Das mag beim ersten
Hinhören so klingen, als wären die wirklichen Europäer
bei den Christdemokraten oder vielleicht noch bei den
Liberalen zu finden.
({2})
Allerdings hat uns das monatelange Zögern zu Jahresbeginn, ob man Griechenland nun helfen wolle oder nicht,
in Europa viel politisches Kapital gekostet, und es hat
die Kosten für die Rettung nach Aussagen aller Experten
unnötig erhöht.
({3})
Tatsache ist leider auch, dass sich die Bundesregierung bei dem neuen Rettungsmechanismus immer noch
gegen eine europäische Lösung stemmt, und zwar vehement. Jetzt muss ich Sie fragen: Welches Modell von
Europa schwebt Ihnen vor, wenn Sie weiterhin auf intergouvernementale Lösungen setzen, damit wir am Ende
hier in Deutschland in die Wirtschafts- und Finanzpolitik
der anderen Mitgliedstaaten hineinregieren? Das ist für
uns auf Dauer definitiv keine Lösung. Wir wollen, dass
nicht das deutsche Finanzministerium die Steuersätze in
Irland oder in Griechenland bestimmt. Vielmehr sind das
Fragen, die in Brüssel unter der Federführung der Kommission konzipiert und anschließend vom Rat verhandelt
werden müssen.
({4})
- Nein, dazu kommt es nicht.
Wir brauchen eine einheitliche Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer sowie Mindeststeuersätze für die Europäische Union; das wurde fraktionsübergreifend in das EP eingebracht und heute so beschlossen.
({5})
Das Europäische Parlament ist der richtige Ort für die
demokratische Kontrolle der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das wäre ernst gemeinte Europapolitik.
Eine Anekdote dazu: In Brüssel wurde jetzt von einem Institut, dem Bruegel-Institut, ein Vorschlag zu einem europäischen Krisenmechanismus vorgelegt. Zur
Erläuterung: Das Bruegel-Institut wird im Rahmen eines
Staatsvertrags zu gleichen Teilen vom französischen und
vom deutschen Finanzministerium unterstützt. Genau
diesem Institut wurde in der letzten Bereinigungssitzung
mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen der Zuschuss
gestrichen. Insofern ist nicht nachzuvollziehen, dass Sie
sich noch immer ein proeuropäisches Fähnchen anstecken; denn bei keinem anderen Institut wird die europäische Perspektive besser widergespiegelt als beim Brüsseler Bruegel-Institut. Jetzt fragt man sich natürlich in
Europa: Welche Symbolpolitik mag dahinterstehen? Wir
wissen es nicht: War es nur Dummheit oder Unwissenheit oder haben die Mitgliedstaaten recht, die darin einen
weiteren Beleg für eine antieuropäische Verschwörung
der Deutschen vermuten? Alle drei Varianten ehren uns
nicht. In jedem Fall ist es ein Politikum, das einmal mehr
zeigt, wie wenig Verständnis insbesondere bei der FDP
für die Verlässlichkeit der deutsch-französischen Zusammenarbeit vorhanden ist. Eine Kürzung der Mittel für
solch ein Institut ist das eine; aber das Streichen der Mittel und eine komplette Demontage ist nicht zu akzeptieren.
({6})
Deutschland wird bereits ausreichend der europäischen Demontage bezichtigt. Es kommen schon die ersten Stimmen auf, dass Deutschland auch beim EU-Haushalt ab 2014 mit einer Schaufensterpolitik tricksen will.
Anstatt den Haushalt sukzessive zu erhöhen, sucht man
hier in Berlin nach Möglichkeiten, um das 1-ProzentZiel offiziell zu erreichen, aber aufgrund der zusätzlichen Verwaltungskosten für den Rettungsschirm die tatsächliche Summe im Haushalt, die für EU-Politik zur
Verfügung steht, jährlich abzuschmelzen. Das geht aus
unserer Sicht nicht.
Wer sich in Europa umschaut und umhört, der wird
allerdings nicht weniger, sondern immer mehr Projekte
sehen, die für die Zukunftsfähigkeit der Europäischen
Union unersetzlich sind. Konkret geht es um grenzüberschreitende Kommunikationsnetze, den Ausbau der
europäischen Energieinfrastruktur und vor allem um
Projekte für den Klimaschutz. Dafür ist aber mehr und
nicht weniger Geld notwendig. Weil diese Infrastruktur
Geld kostet, sollten wir uns an dieser Stelle endlich einmal eine ehrliche Debatte erlauben. Hier geht es um eine
historische Aufgabe. Die Bürgerinnen und Bürger wollen sich nicht weiter für dumm verkaufen lassen. Denn
es geht nicht um eine unbegrenzte Transferunion - Herr
Silberhorn, damit komme ich auf Ihre Äußerungen zurück -, sondern um ein Bekenntnis zu einer klar definierten europäischen Solidarität.
({7})
Die Probleme sind vorhanden. Wir wollen eine ehrliche Debatte. Es geht um fiskalischen Föderalismus. Es
geht um ernst gemeinte europäische Wirtschafts- und
Finanzpolitik. Das möchte ich kurz erläutern.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Sofort. Letzter Absatz.
Nein, letzter Satz.
({0})
Der Finanzminister unterliegt einem echten Denkfehler, wenn er behauptet, Deutschland könne man nicht als
maßgeblichen Exporteur an den Pranger stellen, wenn
die Handelsbilanz der EU in Gänze ausgeglichen sei.
Aus seiner Sicht heißt das, man schaue sich ja auch nicht
die Exportbilanz von Kalifornien an, wenn man über die
USA rede. Aber genau das ist der entscheidende Unterschied. Man kann Kalifornien nicht mit Deutschland
vergleichen, weil es in den USA den fiskalischen Föderalismus längst gibt.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. - Dort sorgt ein Finanztransfer zwischen den Einzelstaaten genau für den Ausgleich, den wir in der EU
dringend benötigen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Gauweiler für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Ich rede hier über die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die zu Unrecht als Nebenthema
der auswärtigen Politik abgehandelt wird. Wenn die
Deutschen im Ausland gut dastehen wollen, dann nennen sie sich das Volk der Dichter und Denker. Kein
Thema ist besser geeignet als dieses, um zu prüfen, ob
wir diesem Ruf gerecht werden.
Ich traue mich kaum, es zu sagen: Vielen Dank, Herr
Liebich, für die freundlichen Worte. Ich kann sie an
meine Kolleginnen und Kollegen von den auswärtigen
Arbeitskreisen der Koalition und an die Haushaltspolitiker weitergeben. Sie gehören zu der Oppositionsfraktion, die die Regierung zuordnungsgemäß am schärfsten
kritisiert. Als berufener Zeuge sagen Sie damit, dass wir
aus den Haushaltsberatungen besser herauskommen, als
wir hineingegangen sind. Das ist doch ein großer parlamentarischer Erfolg.
({0})
Dass es dabei auch Kontroversen gab, spricht doch eher
dafür. Mein Kollege Harald Leibrecht, mein Stellvertreter als Unterausschussvorsitzender, ist heute leider nicht
da. Ich bitte, ihm das auszurichten. Die Kollegin Frau
Staatsministerin Cornelia Pieper ist aber anwesend. Sie
können beiden den Orden für Tapferkeit vor dem
Freunde verleihen; denn sie haben in den letzten Wochen
in dieser Richtung wirklich sehr gut mitgehalten. Ich
hoffe, dass ihnen das jetzt nicht schadet.
({1})
Die vorgesehenen gravierenden Einschnitte waren
nicht verhältnismäßig. Wären sie bei meinen Kollegen
so durchgegangen, hätte die Auswärtige Kulturpolitik
als Zukunfts- und Bildungsaufgabe an Bedeutung verloren. Die CDU/CSU-Fraktion hat aus der Zeit der Großen
Koalition in diesem Bereich eine gute Bilanz mitgenommen; das will ich ausdrücklich sagen. Diese Arbeit setzten wir mit der FDP fort. Angesichts geringerer Mittel,
die zur Verfügung stehen, war das nicht einfach, aber es
ist uns gelungen. Das ist ein Erfolg der ganzen Regierung.
({2})
Insbesondere ist es gelungen, die Kürzungen beim
Deutschen Akademischen Austauschdienst zu vermeiden. Es ist auch gelungen, die Mittel für das Auslandsschulwesen zu erhöhen. Dass wir zusätzlich 8 Millionen
Euro für die Förderung der deutschen Sprache im Ausland durch das Goethe-Institut bekommen haben, war
ein ganz großer Schritt nach vorne.
({3})
Ich finde es auch richtig, dass die bei der Auslandskulturarbeit der Kirchen zunächst vorgesehenen Kürzungen
zurückgenommen worden sind. Wir wissen inzwischen
lagerübergreifend, welche Bedeutung diese Arbeit hat.
Ich freue mich, dass die beiden Kirchen mit ungekürzten
Haushalten ihre Arbeit in diesem Bereich im nächsten
Jahr fortsetzen können.
Lassen Sie mich noch kurze Anmerkungen zu einigen
weiteren Themen machen. Wir müssen der Förderung
der deutschen Sprache besondere Beachtung schenken.
Es hat überhaupt keinen Sinn, uns deklaratorisch an
Unterschriftensammlungen, in denen die Aufnahme der
deutschen Sprache ins Grundgesetz gefordert wird, zu
beteiligen, wenn wir gleichzeitig die Mittel für die Förderung der deutschen Sprache im Ausland kürzen würden. Das wäre völlig unverantwortlich. Deswegen ist es
richtig, dass das Gegenteil getan worden ist.
({4})
Ich bin auch froh, dass die Verbindungen des GoetheInstituts mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst wieder gestärkt worden sind. Es ist auch großartig, dass in der Zwischenzeit in Osteuropa, in der sogenannten GUS, der Anteil der deutschsprechenden
Menschen auf 38 Prozent gestiegen ist. Ich denke, dass
wir unsere diesbezüglichen Anstrengungen eher ausbauen sollten.
Das Geld ist vorhanden. Es war ein Erfolg des Bundestages und seines Kulturausschusses, dass der Etat des
Staatsministers bei der Bundeskanzlerin erhöht worden
ist. Heute ist in einem anderen Zusammenhang auf die
Debatte hinsichtlich der vom Grundgesetz festgelegten
Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in
Sachen Kultur schon hingewiesen worden. In einem
Punkt ist das Grundgesetz ganz eindeutig: Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik liegt in der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes. Es kann doch nicht sein,
dass in dem umstrittenen Bereich die Ansätze verdoppelt
werden, während in dem Bereich, für den der Bund
zweifelsohne zuständig ist, Kürzungen als selbstverständlich angesehen werden. Ich bin froh, dass dies abgewehrt worden ist.
({5})
Ich möchte Sie auf eine Anregung des entsprechenden Arbeitskreises meiner Fraktion hinweisen: Eine
deutsche Schule im Ausland kann beispielsweise Fördermittel in Höhe von 8 000 bis 10 000 Euro erhalten.
Für eine solche Schule wäre es eine Katastrophe, wenn
sie aufgrund der plötzlich gekürzten Förderung ihre Sanitäranlagen nicht hätte reparieren können. Wir sehen es
daher als Ziel einer zukunftsorientierten Haushaltspolitik
der stärksten Wirtschaftsmacht Europas an, dass in diesem wirtschaftlich ohnehin extrem schmalen Bereich
- ich als erfahrener Polemiker muss mich zurücknehmen, Vergleiche anzustellen, wenn in anderen Zusammenhängen über Milliardenbeträge gesprochen wird Kürzungen ausgenommen bzw. die „Ultissima Ratio“
sein sollten.
({6})
Ich möchte auch daran erinnern, dass die Leistung der
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik im Bereich der
Krisenprävention nicht hoch genug eingeschätzt werden
kann.
Als ich 1968 in die Politik eingestiegen bin, hätte ich
mir nicht gedacht, als alter Antikommunist einmal von
einem Vertreter der Linkspartei gelobt zu werden.
({7})
Im Jahr 1968 hätte ich mir auch nicht vorstellen können,
mich im Jahre 2010 einmal darüber freuen zu können,
dass bei der Tausendjahrfeier der Stadt Hanoi, die vor
wenigen Tagen stattfand, Beethovens Ode an die Freude
in deutscher Sprache aufgeführt werden würde.
Vielen herzlichen Dank.
({8})
Nun hat der Kollege Christoph Strässer das Wort für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich fand das von Herrn Dr. Gauweiler zum Schluss Gesagte bemerkenswert. Ich kann nur sagen: Die Nachwirkungen der 68er erreichen sogar Sie und Hanoi. Das ist
doch eine gute Entwicklung, das ist doch wunderbar.
({0})
Ich möchte gern zu zwei Dingen Stellung nehmen, die
zum Teil schon eine Rolle gespielt haben. Ich meine das
Thema Menschenrechte, das aus meiner Tätigkeit heraus
bei mir im Vordergrund steht, und den Bereich, der leider Gottes nur am Rande, wenn überhaupt, mit zwei Bemerkungen eine Rolle gespielt hat, nämlich das Thema
Afrika.
Das kann natürlich zwei Gründe haben. Der eine
Grund ist - ich hoffe nicht, dass das der Fall ist -, dass
Afrika für die deutsche Bundesregierung, für den Deutschen Bundestag keine Rolle spielt. Der Kollege Fischer
ist gestern Abend zum Vorsitzenden der Deutschen
Afrika-Stiftung gewählt worden. Noch einmal herzlichen Glückwunsch dazu!
({1})
Ich denke, dass wir uns darüber klar werden müssen,
dass die Entwicklung auf unserem Nachbarkontinent den
Frieden in Europa und den Frieden auf der ganzen Welt
massiv beeinflussen wird. Deshalb hätte ich es mir gewünscht, etwas mehr darüber zu hören, was diese Bundesregierung in den nächsten Wochen und Monaten
plant. Wir haben ja Ende des Monats den EU-AfrikaGipfel in Libyen.
({2})
- Nächste Woche geht er los, am 27. November.
Wir warten im Parlament und in den Fraktionen auf
das schon im April zugesagte Afrika-Konzept, das uns
vor der Sommerpause zur Verfügung stehen sollte.
Nichts ist auf dem Tisch. Ich würde mir wünschen, Herr
Außenminister, dass Sie uns einmal über das unterrichten, was Sie dort im Kontext der EU erreichen wollen.
Es gibt eine Fortsetzung der EU-Strategie, die zum ersten Mal - das ist gut, und das ist richtig - Afrika als einen Partner auf Augenhöhe angesehen hat. Es wäre sicherlich angemessen, wenn wir in diesem Hohen Haus
auch einmal über diese Themen diskutieren würden.
Denn Afrika ist unser Nachbarkontinent, und er braucht
eine Zukunft mit unserer Unterstützung auf Augenhöhe.
In vielen Bereichen sind wir da aus meiner Sicht noch
nicht auf dem Stand der Dinge.
({3})
Eine weitere Bemerkung betrifft den zweiten Bereich,
der natürlich auch etwas mit Afrika zu tun hat. Das ist
die Frage: Wie arbeitet diese Bundesregierung eigentlich
im Bereich der Menschenrechte? Frau Granold, Ihren
Ausführungen bin ich sehr aufmerksam gefolgt, hatte allerdings den Eindruck, dass das mehr eine Regierungserklärung war als eine Stellungnahme aus dem Parlament heraus. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass
Sie all das, was diese Bundesregierung macht - auch aus
Ihrer Erfahrung aus den vergangenen Beratungen im
Menschenrechtsausschuss -, so uneingeschränkt gut finden, wie Sie es hier dargestellt haben.
Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen. Sie haben begonnen - da habe ich gedacht, jetzt wird es spannend mit den Schwerpunkten der Menschenrechtspolitik: Krisenprävention, Demokratieförderung, Institutionenaufbau und all diesen wunderbaren Dingen, die wir gemeinsam im Ausschuss diskutieren und für die wir immer
wieder einstehen. Aber was ist denn die Realität? Sie sagen: Die Bundeskanzlerin und der Außenminister fahren
durch die Welt und erklären überall, wie wichtig es sei,
die Menschenrechte einzuhalten. Auch das ist richtig;
niemand wird dem widersprechen.
Es ist für die Menschenrechtspolitik auch gut und
richtig, dass die Bundesrepublik Deutschland - das ist
jedenfalls meine Meinung - einen Sitz im Weltsicherheitsrat hat. Aber jetzt kommt die Kehrseite der Medaille. Ich möchte einmal fragen, ob dieser Erfolg, zu
dem ich Sie übrigens beglückwünsche - ohne jeden
Zweifel -, erzielt worden wäre, errungen worden wäre,
wenn die Menschen, die uns dort in der Versammlung im
ersten Wahlgang gewählt haben, gewusst hätten, was wir
mit diesem Haushalt beschließen sollen, meine Damen
und Herren. Denn eines ist doch klar: Die erste Amtshandlung der Bundesregierung und des Deutschen Bundestags nach Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat ist
Kürzung in allen Bereichen, die die Vereinten Nationen
betreffen.
({4})
Ob das nun bei den denjenigen auf Zustimmung stößt,
die uns da gewählt haben, wage ich sehr zu bezweifeln.
({5})
Ich hätte mir gewünscht, meine Damen und Herren,
dass das in den parlamentarischen Beratungen passiert
wäre, was wir in den vergangenen Jahren gerade im
Menschenrechtsausschuss immer hinbekommen haben,
nämlich zumindest an der einen oder anderen Stelle
nachzubessern, an der einen oder anderen Stelle aufzusatteln, auch in Zeiten, wo gekürzt werden muss.
Aber das ist schon angekündigt worden: Bei der relativ geringen prozentualen Absenkung des Haushalts insgesamt sind Absenkungen zwischen 30 Prozent und
50 Prozent in Bereichen der wesentlichen menschenrechtlichen Fragen das Gegenteil von glaubwürdiger
Menschenrechtspolitik. Das beschädigt die Menschenrechtspolitik und die Außenpolitik der Bundesrepublik
Deutschland in der Sicht des Auslandes ganz massiv.
Dass das mit Ihrer Zustimmung, ohne Widerstand in diesem Parlament durchgeht, finde ich beschämend. Das
muss ich einmal ganz deutlich sagen.
({6})
Ich will Ihnen auch zwei konkrete Beispiele nennen,
in denen wir gerade in den letzten Jahren gemeinsam gearbeitet haben. Das eine ist das Beispiel humanitäres
Minenräumen mit den Bereichen Konfliktprävention
und Nachsorge von Konflikten. Ich will Ihnen sagen,
dass wir in den letzten Jahren bei jedem Haushalt aufgesattelt haben, mit Diskussionsergebnis und Votum des
Menschenrechtsausschusses. In diesem Jahr wird in diesen Bereichen gekürzt.
Was heißt das denn? Frau Wieczorek-Zeul hat darauf
hingewiesen: Wir haben Erfolge erzielt bei der Ächtung
von Landminen, bei der Ächtung von Streumunition.
Das kann doch aber, bitte schön, nicht bedeuten, dass wir
uns jetzt um die Altlasten zumindest nicht mehr in dem
Maße kümmern, wie wir das in den letzten Jahren getan
haben.
({7})
Ich glaube, auch hier machen wir einen Fehler in der
humanitären Arbeit, der uns noch schwer zu schaffen
machen wird.
Ich will einmal ein Beispiel nennen, das mich jetzt
ganz konkret betrifft. Daran kann ich das sehr deutlich
machen. Ich werde auf Einladung des Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Anfang
Dezember unter anderem nach Sambia fahren. Wir bekommen Sicherheitshinweise aus dem Auswärtigen
Amt. In diesen Sicherheitshinweisen steht, man solle
bitte schön vorsichtig sein, im Grenzbereich zwischen
Sambia und der Demokratischen Republik Kongo seien
nicht gekennzeichnete Minenfelder. Diese Hinweise bekommen wir als Abgeordnete, die dorthin fahren. Jetzt
überlegen Sie sich einmal bitte, was mit den Kindern,
mit den Menschen passiert, die keine Hinweise bekommen, die in diesem Bereich arbeiten oder spielen und in
diese Minenfelder rennen. Sie verlieren Gliedmaßen und
werden für ihr Leben verstümmelt. Dennoch sagen wir,
dass wir die Mittel für diesen Bereich kürzen. Ich finde
das zynisch. Das kann der Bundestag eigentlich nicht zulassen.
({8})
Ein letzter Punkt: Förderung von UN-Institutionen.
Einige Beispiele sind schon genannt worden. Kollege
Leutert von der Linkspartei und Kollege Haibach von
der Union waren 2007 unter anderem im Gazastreifen.
Im Jahre 2007 war die humanitäre Situation dort schon
desaströs. Ich finde es ausgesprochen gut, dass Sie dorthin gefahren sind, aber Sie müssten sich doch Gedanken
darüber machen, was dort passiert, und zwar nicht nur
bezogen auf den Zugang und ein Ende der Blockade,
sondern auch konkret bezüglich der Kinder, die aufgrund
der Kürzungen bei UNRWA nicht mehr zur Schule gehen können.
Unverdächtige Menschenrechtsorganisationen, mit
denen wir gesprochen haben, haben uns gesagt: Im Moment habt ihr hier Hamas - das war 2007 -; wenn das so
weitergeht mit der Rückführung der humanitären Hilfe,
mit der Einschränkung des Zugangs und insbesondere
mit der Benachteiligung von Kindern, haben wir hier in
zehn Jahren nicht mehr Hamas, sondern al-Qaida.
Meine Damen und Herren, wenn das die Konsequenz
aus einer wirklich nicht stark den Haushalt belastenden
Ausgabenpolitik ist, bin ich wieder bei Ruprecht Polenz,
der zu Recht gesagt hat: Krisenprävention ist das beste
Mittel zur Verhinderung von Terrorismus. Wenn dieser
Haushaltsetat um ein Drittel gekürzt wird, dann kann ich
nur darauf hinweisen, dass die Bekämpfung des Terrorismus mit krisenpräventiven Mitteln nicht erfolgreich
sein wird. Wir müssen hier umkehren, sonst müssen wir
später mit militärischen Mitteln Schäden beseitigen; das
wollen wir alle nicht. Deshalb ist dieser Haushalt in diesem Punkt aus meiner Sicht absolut unzureichend.
({9})
Das Wort hat nun Kollege Bijan Djir-Sarai für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle
wissen, dass die Debatten zur Verabschiedung des Haushaltes viel mehr beinhalten als nur das Vortragen eines
Zahlenwerkes.
({0})
Diese Debatte ist auch mehr als eine lieblose Aufzählung
von angeblich verantwortungslosen Kürzungen. Diese
Aufzählung haben wir heute von Ihnen ausreichend gehört. Ich nehme die Forderungen sehr ernst - das können
Sie mir glauben - und mache mir meine Gedanken darüber.
({1})
Aber bei Ihren Forderungen fehlt leider eine realistische
Betrachtung der aktuellen Lage.
({2})
Ich werde Ihnen sagen, warum, Herr Kollege. Schuldenbremse und Haushaltskonsolidierung sind große Herausforderungen für unser Land und natürlich auch für
die Außenpolitik unseres Landes. Wir brauchen heute
konstruktive Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung
auf der einen Seite und zukunftsweisenden Außenpolitik
auf der anderen Seite.
({3})
- Herr Kollege, nicht so aggressiv, Sie sind doch Pazifist. Bleiben Sie doch locker.
({4})
Bei der Aufstellung des Haushaltes 2011 haben wir
sehr genau darauf geachtet, dass wir diesen Prinzipien
treu bleiben. Deutsche Außenpolitik ist wertegebunden
und interessengeleitet. Deutsche Außenpolitik ist zielorientiert und nachhaltig. Der im Haushalt 2011 zu leistende Einsparbetrag fällt uns nicht leicht; das möchte ich
betonen. Wir sparen aber nicht mit dem Rasenmäher.
Zur Realisierung der Sparbeschlüsse war eine starke
Priorisierung nötig. Das galt insbesondere für den Bereich der politischen Ausgaben.
Eine haushaltspolitische Realität ist ganz klar die Situation in Afghanistan. Der Ansatz von 180 Millionen
Euro wird jetzt vollständig aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes getragen; das hat für uns Priorität.
90 Millionen Euro mussten daher in anderen Bereichen
erwirtschaftet werden. Wir haben Verantwortung in
Afghanistan übernommen. Vordringliches Ziel ist jetzt,
dass wir diese möglichst bald an die Afghanen übergeben können.
({5})
Unsere Prioritäten sind eindeutig. Sie liegen neben
der Region Afghanistan/Pakistan im zukunftsträchtigen
Bereich der Bildung und Forschung. Die Einsparungen
in diesem Bereich sind im Vergleich zu den Gesamteinsparungen von 2,8 Prozent im Gesamthaushalt des Auswärtigen Amtes unterproportional ausgefallen. Das sehe
ich als ein klares Bekenntnis. Wir wollen, dass auch in
Zukunft deutsche Bildungs- und Kulturarbeit im Ausland erhalten bleiben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Nouripour?
Nein.
({0})
Dieses Budget hat in den vergangenen Jahren eine
überproportionale Mittelaufstockung erfahren. Wir liegen mit dem Ansatz für 2011 immer noch über dem Niveau der Jahre vor 2008 und sind voll handlungsfähig.
({1})
Einschränkungen können wir teilweise durch Sondermittel für Bildung und Forschung abfedern.
({2})
Dieses Geld setzen wir im Auslandsschulwesen, für
Auslandslehrer, für Schulbeihilfen, für Stipendien und
für Wissenschaftsbeziehungen ein.
({3})
Außerdem stellen wir sicher, dass bei allen Bildungstiteln im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik uneingeschränkt das Niveau des Haushaltes von
2010 erhalten werden kann. In Zeiten der Haushaltskonsolidierung geht leider nicht alles, was wünschenswert
ist. Das ist realistisch und weitsichtig.
({4})
Unsere Außenpolitik ist auch in multilaterale Strategien eingebunden. So zahlen wir - das ist im Haushalt
des Auswärtigen Amtes kein kleiner Posten - Pflichtbeiträge an internationale Organisationen wie die Vereinten
Nationen und die EU; auch dies gehört zur deutschen
Außenpolitik. Als großer Beitragszahler hat Deutschland
einen maßgeblichen Anteil an den humanitären Hilfsmaßnahmen von EU-Kommission und Vereinten Nationen.
({5})
Diese Hilfsgelder, die von Deutschland multilateral gezahlt werden, dürfen wir nicht außen vor lassen.
({6})
Ich möchte ein Beispiel, das noch nicht allzu lange
her ist, nennen. Die jüngsten Entwicklungen in Pakistan
zeigen die Bedeutung der humanitären Hilfe für das
Auswärtige Amt. Neben den eigenen Hilfsausgaben hat
die Bundesrepublik Deutschland über EU und Vereinte
Nationen weitere mehr als 15 Millionen Euro bereitgestellt. So federn wir notwendige Einsparungen im Haushaltsansatz für humanitäre Hilfe ab. Mit diesem Ansatz
für 2011 bleiben wir aber reaktionsfähig und flexibel.
({7})
Das ist ein Erfolg, meine Damen und Herren. Zum Vergleich: Noch bis 2007 betrugen die Mittel des Auswärtigen Amtes für diesen Bereich nur circa 50 000 Euro.
({8})
Der vorliegende Haushaltsentwurf des Auswärtigen
Amtes für 2011 sieht insgesamt Einsparungen in Höhe
von 2,8 Prozent vor;
({9})
das ist vorbildlich. Einsparungen liegen im Budget vorrangig bei den politischen Ausgaben. Denn die Pflichtbeiträge für die Mitgliedschaft in internationalen Organisation steigen von Jahr zu Jahr.
({10})
Auch die Betriebsausgaben sind nur sehr moderat gestiegen.
Unsere Auslandsvertretungen sind wichtig. Sie sind
eine der Kernaufgaben des Auswärtigen Amtes im Ausland. Diesen Service für Deutsche im Ausland wollen
und werden wir nicht einschränken.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Strässer?
Nein.
({0})
Dennoch werden wir ab dem kommenden Jahr auch in
diesem Bereich Sparpotenziale ausschöpfen können.
Meine Damen und Herren, wir sind froh, unter den
gegebenen Rahmenbedingungen eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik betreiben zu können. Das genau
ist und bleibt unsere Pflicht.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Kollege Rüdiger Kruse für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hätte ich diese Rede nach der Bereinigungssitzung
des Haushaltsausschusses vor etwa 14 Tagen gehalten,
hätte ich vermutlich hauptsächlich darüber gesprochen,
wo wir als Parlamentarier zu Recht unsere Akzente gesetzt haben. Wir haben zum Beispiel gesagt: Wir wollen
für die Förderung der deutschen Sprache im Ausland
8 Millionen Euro mehr ausgeben. - Das ist nach wie vor
ein wichtiger Punkt.
Aber in der Zwischenzeit hat sich etwas verändert
- auch Sie haben es wahrscheinlich gemerkt, als Sie in
dieser Woche nach Berlin gekommen sind -: Das Erscheinungsbild des Regierungsviertels hat sich verändert. Als ich heute Morgen mit einem Mitarbeiter die
kurze Strecke vom Reichstag zum Paul-Löbe-Haus gegangen bin, wurde ich kontrolliert, und alles war nett
und freundlich. Es hat aber etwas gefehlt: Da standen
keine Menschen. Die Transparenz, die auch in diesem
Gebäude sichtbare Kultur der Transparenz, ist plötzlich
weg. Das gilt sowohl für das Paul-Löbe-Haus als auch
für die Reichstagskuppel, die momentan für Besucher
geschlossen ist. Das alles hat sich verändert.
Mit Blick auf die Zukunft - denn nach der Haushaltsaufstellung ist vor der Haushaltsaufstellung - müssen
wir uns fragen: Was müssen wir im Kulturbereich zukünftig tun? Welche Debatte müssen wir gemeinsam
führen und in welchen Dialog eintreten, um neue Akzente zu setzen? Wie gehen wir mit der Erkenntnis, dass
die Freiheit auch bei uns elementar bedroht ist, um?
({0})
- Lassen Sie uns doch debattieren und gemeinsam nach
Lösungen suchen. Ich glaube, Sie hätten vor diesem Hintergrund keinen anderen Haushalt aufgestellt, als wir es
getan haben.
({1})
Das ist durchaus normal. Das ist Regierungsverantwortung.
Hier sind auch Sie von den Grünen gefordert. Ihr
freundliches, weltoffenes Modell nach dem Motto:
„Wenn ich nett bin und freundlich auf die Menschen zugehe, dann werden auch alle anderen lächelnd auf mich
zugehen“ funktioniert in dieser Welt leider nicht. Das haben wir erfahren.
({2})
Wir haben auch erfahren müssen, dass es nicht mehr
der Konflikt zwischen zwei Systemen ist, die beide gedanklich aus Europa stammen. Auch der Marxismus-Leninismus - sosehr man ihn ablehnen mag - ist ein europäischer Gedanke.
Jetzt sind wir aber mit Dingen konfrontiert, die nicht
europäisches Gedankengut sind und die nicht in einem
langen Dialog und nicht in parlamentarischer Diskussion
entstanden sind.
({3})
- Richtig, die Menschenrechte sind universell. Sie sind
plötzlich universell bedroht.
Sie erinnern sich vielleicht: In den 90er-Jahren gab es
einmal das Thema „Ende der Geschichte“. Das war die
Illusion, dass wir in eine überaus friedliche und ruhige
Phase entlassen werden würden, in der es zwar noch ein
paar Kleckerstaaten gibt, die undemokratisch sind, aber
das würde man mit der Zeit aufräumen. Und das ist
plötzlich nicht mehr so, sondern wir müssen uns verteidigen.
Worum geht es? Es geht immer um den Konflikt: Individuum als Erstes oder Staat als Erstes?
Der chinesische Kapitalismus, für den man noch ein
neues Wort erfinden muss, weil das kein normaler Kapitalismus ist, ist ein System, das grundsätzlich anders ist
als unser System und das auch ohne Freiheitsrechte wirtschaftlich erfolgreich ist. Sie wissen, was mit Ihren
freien Reden passieren würde, wenn Sie sie in China halten würden. Das ist etwas, was wir beide nicht wollen;
denn wir beide wollen, dass Sie Ihre freien Reden hier
halten können und dass das auch zukünftig möglich ist.
Es gibt noch andere Ismen, die uns bedrohen und mit
denen wir umgehen müssen. Dabei muss die Kultur eine
Rolle finden und auch zugewiesen bekommen. Diese ist
sicherlich anders, als es früher einmal war, als man gesagt hat: Kultur im Auswärtigen zeigen ist, man bringt
den Franzosen einmal bei, dass Deutschland nicht nur
Wagner ist. - Das ist eine nette Geschichte. Das Gleiche
gilt für Amerika oder Japan. Das Ganze ist nämlich auch
ein bisschen wirtschaftsfördernd. Dementsprechend
kann man das einmal stärker und einmal weniger stark
machen.
Wir müssen uns jetzt überlegen: Wie überzeugen wir
andere Kulturen davon, dass dieses freiheitliche Modell ein Gewinn für alle ist, und zwar unabhängig davon,
welcher Religion sie angehören, weil dieses freiheitliche
Modell ein Vorteil ist?
({4})
- Ich rede nicht vom Kampf der Kulturen. Ich rede davon, dass es entweder Freiheit oder Unfreiheit gibt.
Ich glaube, dass das, was wir an Kultur in Deutschland und auch in Europa haben, gerade in der Auseinandersetzung besteht. Kultur ist in Deutschland nicht
staatstragend. Kultur ist oftmals ein Ärgernis, und auch
Kunst ist oftmals ein Ärgernis. Das bedeutet aber auch,
etwas über die Gesellschaft zu erfahren. Viele Leute ärgern sich darüber, und auch Politiker sind sauer, wenn
im Schauspielhaus in Hamburg nackte Menschen anderthalb Stunden auf der Bühne frieren und sie nicht sehen,
welchen Sinn das haben soll. Das gibt es in totalitären
Systemen nicht.
({5})
Wir haben das große Privileg mit der Kultur, dass sie
uns wehtut, dass sie uns ärgert und dass wir sie vielleicht
nicht verstehen. Was man jetzt exportieren muss, ist dieses Bild von einer Gesellschaft, in der die Menschen
zum Beispiel solche Äußerungen über Theater, über bildende Künste oder auch über Musik machen können, damit ihre Individualität leben und sich in einem kollektiven System nicht zurückstellen müssen. Ich glaube, das
ist die große Auseinandersetzung.
Darum wäre es wertvoll, wenn wir darüber redeten,
welchen Beitrag Kultur leisten kann und wie wir sie
dann ausstatten müssten. Dafür haben wir jetzt ein Jahr
lang Zeit. Das ist eine Aufforderung an uns alle.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Kollegin Eva Högl für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
lenke zum Schluss unserer Haushaltsdebatte noch einmal den Blick auf Europa. Vor allen Dingen stelle ich als
Allererstes die Frage: Wo ist eigentlich das Auswärtige
Amt in der Europadebatte?
({0})
Herr Bundesminister, Sie sind für Europa zuständig;
das wissen wir. Aber das, Herr Bundesminister
Westerwelle, was Sie an das Ende Ihrer Rede gepresst
haben, die drei Sätze, die Sie sich zum Thema Europa
abgerungen haben, ist weit davon entfernt, auch nur ansatzweise eine Perspektive für Europa zu formulieren.
({1})
Ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, neige überhaupt
nicht zu Dramatik. Aber die Situation, in der wir uns in
Europa befinden, ist dramatisch. Bei unseren Debatten
über die Europapolitik geht es nämlich nicht mehr nur
um Details der europäischen Integration. Es geht in der
Euro-Krise nicht nur um die Bankenrettung und die Rettung von Staatsfinanzen, sondern es geht um Europa als
solches. Es geht um das, was Europa ausmacht, nämlich
Solidarität und Zusammenhalt.
In der Europadebatte haben wir unsere Identifikation
mit diesem genialen Zukunftsprojekt verloren. Ich darf
hier an das erinnern, was der Kollege Manfred Link zu
Beginn unserer Debatte und was auch Kollege
Wellmann gesagt hat, dass Europa nämlich nicht mehr
Bezugspunkt der USA ist. Dafür, dass wir in solch einer
Situation sind und dass wir das beklagen müssen, ist
aber die Bundesregierung verantwortlich.
({2})
Die Bundesregierung ist dafür verantwortlich, dass
Deutschland nicht mehr Motor, sondern Bremse in Europa ist. Die Bundesregierung ist auch dafür verantwortlich, dass wir die kleinen Länder aus dem Blick verlieren. Es ist gut, wenn Deutschland und Frankreich sich
verständigen, aber es ist schlecht, wenn wir die kleinen
Länder außer Acht lassen. Es hat die deutsche Europapolitik immer ausgezeichnet, dass wir versuchen, sie unabhängig von dem Motor Deutschland/Frankreich auch
in Übereinstimmung mit den kleinen Ländern und ihren
Interessen zu bringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen gemeinsam beklagen, dass es in der Europapolitik fast ausschließlich nur noch um nationale Interessen geht. Überall und insbesondere in Deutschland werden die
nationalen Interessen vor die europäischen Interessen
gestellt. Dadurch wird Europa in Gänze infrage gestellt.
Das ist eine ganz dramatische Kehrtwende der deutschen
Europapolitik, die sich immer gerade dadurch ausge8122
zeichnet hat, dass ganz anders dort herangegangen
wurde.
Angesichts der Krise will ich kurz auch noch einmal
hervorheben, worum es in der Krise nicht gehen kann.
Es ist jetzt in der Krise nicht hilfreich, mit Empfehlungen an einzelne Mitgliedstaaten zu reagieren, zum Beispiel den Griechen vorzuschreiben, das Renteneintrittsalter zu erhöhen, oder den Iren vorzuschreiben, die
Steuern zu erhöhen.
({3})
Es ist auch nicht hilfreich, mit Stimmrechtsentzug zu
drohen.
({4})
Gerade wir als föderales Land sollten uns noch einmal
vor Augen führen, was es heißen würde, wenn wir etwa
den Bundesländern vorschreiben würden, im Bundesrat
nicht mehr mitstimmen zu dürfen, wenn sie in der Bildungspolitik oder in der Kulturpolitik etwas täten, was
uns auf der Bundesebene nicht passte.
Das sind keine Lösungen. Wir brauchen mehr und
nicht weniger Europa - auch und gerade zur Bewältigung der Krise.
({5})
Wir haben entscheidende Fehler gemacht. Auch daran möchte ich kurz erinnern: Wir haben es bisher nicht
geschafft, eine Koordination der Wirtschafts-, der Finanz- und vor allem auch der Sozialpolitik zu erreichen.
Das ist ein riesengroßes Manko, das uns jetzt in der Europapolitik auf die Füße fällt.
Wir haben auch die Chance vertan - ich habe das hier
im Haus schon mehrfach gesagt -, mit dem Programm
Europa 2020 ein wirkliches Zukunftsprogramm zu formulieren, mit dem wir Europa fit für den Wettbewerb
mit anderen Regionen machen. Die Chance war da, und
diese Bundesregierung hat genau diese Chance vertan.
({6})
Mir ist noch ein Punkt wichtig, weil wir hier ja in der
Haushaltsdebatte sind. Sparen durch Sozialabbau ist
kein Rezept. Das, was wir hier erlebt haben, der Sozialabbau - gerade gestern wurde das bei dem Haushalt für
Arbeit und Soziales wieder deutlich -, ist weder ein Rezept für uns hier in Deutschland noch ein Rezept für die
anderen Mitgliedstaaten noch ein Rezept für Europa generell. Wir müssen sparen - das wissen wir -, und auch
in Europa muss gespart werden, aber wir müssen intelligent sparen.
Wenn uns daran gelegen ist, für Europa und für einen
gemeinsamen Weg zu werben und die Bürgerinnen und
Bürger auf diesem Weg mitzunehmen, dann brauchen
wir klare Signale in Richtung eines sozialen Europa und
nicht nur Sonntagsreden. Wir brauchen dann eine praktische Politik. Diese zeigt sich auch in der Bewältigung
der Krise, indem wir einen Akzent auf die soziale Sicherheit setzen.
({7})
Meine letzte Bemerkung. Wir müssen die Zivilgesellschaft stärken - auch das ist notwendig - und eine europäische Öffentlichkeit schaffen. Ein wichtiger Beitrag
dazu ist - insofern will ich versöhnlich schließen -, dass
es im Haushalt gelungen ist, Akzente auf eine stärkere
zivilgesellschaftliche Beteiligung und die europäische
Öffentlichkeit zu setzen. Wir haben damit einen Beitrag
zur Stärkung der europäischen Arbeit geleistet. Herr
Bundesminister, das ist ein kleiner, wichtiger Beitrag,
aber ich hätte mir in diesem Sinne viel mehr Akzente im
Bundeshaushalt gewünscht.
Vor allen Dingen wünsche ich mir, dass Sie Europa
sehr viel offensiver gestalten und für Europa werben, anstatt immer nur zu sagen, was Sie nicht wollen und was
Sie verhindern wollen.
Vielen Dank.
({8})
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen
Michael Link das Wort.
Frau Kollegin Högl, unsere gute Zusammenarbeit im
Ausschuss, wo wir uns übrigens auch mit Vornamen
kennen,
({0})
wird sicherlich nicht dadurch getrübt, dass ich Sie an einige Fakten erinnere.
Zu der von Ihnen angemahnten guten Zusammenarbeit mit den kleinen Ländern der EU. Wenn es eine Partei gibt, die dazu überhaupt keinen Nachholbedarf hat,
dann ist es die Freie Demokratische Partei.
({1})
Der Bundesaußenminister hat in seinem ersten Amtsjahr alle 27 Mitglieder der Europäischen Union besucht.
Der Außenminister der Sozialdemokratischen Partei hat
das innerhalb eines Jahres nicht hinbekommen.
Bundeskanzler Schröder hat damals, insbesondere in
der Situation nach 2004, die neuen Mitglieder der Union
auf eine Art und Weise behandelt, die man nur als undiplomatisch und brüsk bezeichnen kann. Das sogenannte
Direktorium hat Schröder gemeinsam mit den großen
Mitgliedstaaten vorgelebt. Deshalb hat die SPD selber
erst einmal enorme Hausaufgaben aufzuarbeiten. Wir
räumen bei den Nachbarn der Europäischen Union teilMichael Link ({2})
weise heute noch das an Misstrauen auf, was damals unter anderem Bundeskanzler Schröder angerichtet hat.
({3})
Frau Kollegin Högl, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.
({0})
Lieber Michael - ich sage es so, obwohl wir uns hier
als Kollegin und Kollegen nicht duzen -, ich entschuldige mich, dass ich einen falschen Vornamen genannt
habe. Das ist vielleicht dem Engagement in der europapolitischen Debatte geschuldet. Das tut der gemeinsamen guten Zusammenarbeit keinen Abbruch, hoffe ich.
Ich hoffe, dass ich mich bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein entsprechend entschuldigen kann.
({0})
Ich weise allerdings zurück - jetzt komme ich zur Sache -, dass die SPD-Europapolitik die kleinen Länder in
Europa nicht genügend berücksichtigt hat. Ich habe es
extra noch einmal so deutlich gemacht: Es ist eine Kontinuität der gesamten deutschen Europapolitik gewesen,
dass wir die kleinen Länder entsprechend würdigen, ins
Boot holen, obwohl wir nie nachgelassen haben, deutlich
zu machen, dass natürlich die großen Länder - etwa
Frankreich oder Deutschland - eine Motorfunktion in
Europa haben.
Ich beklage - ich spiele insbesondere auf das an, was
heute schon angesprochen worden ist -, dass das, was
insbesondere zwischen Präsident Sarkozy und Kanzlerin
Merkel vereinbart wurde, völlig außer Acht lässt, welche
Interessen die kleinen Länder haben. Da hätte man viel
mehr ins Boot holen können. Man hätte nicht nur viel
sensibler agieren können, sondern müssen. Das war die
Aussage, die ich in meiner Rede getroffen habe.
Wenn wir uns gemeinsam darauf verständigen, dass
wir zu dieser Kontinuität der Europapolitik zurückkehren, die meines Erachtens ein Erfolgsrezept der deutschen Europapolitik war und wieder sein sollte, dann haben wir in diesem Punkt eine Verständigung erreicht. In
diesem Sinne wäre es gut, wenn wir da auch die FDP an
der Seite hätten
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Bettina Kudla für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir sind nun am Schluss der Debatte zur
Beratung des Einzelplans 05 des Auswärtigen Amtes.
Der Außenminister hat es zwar bereits erwähnt, aber lassen Sie mich noch einmal darauf hinweisen, was zu Beginn des Einzelplanes aufgezählt ist.
Danach dient der Auswärtige Dienst … einer dauerhaften, friedlichen und gerechten Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt, …
Der Aufbau eines vereinten Europa ist Kernaufgabe.
Wesentlicher Faktor eines vereinten Europa ist die gemeinsame Währung innerhalb der 16 Euro-Staaten und
die Wechselbeziehungen zu den an den Euro-Kurs gebundenen Staaten der EU.
Lassen Sie mich kurz auf die Funktionsweise der
Euro-Zone im Hinblick auf die aktuelle Situation in
Irland eingehen. Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt enthält keine Ausgaben für den sogenannten
Euro-Rettungsschirm. Diese Tatsache möchte ich deutlich hervorheben. In dem im Mai dieses Jahres beschlossenen Rettungsschirm garantieren die Euro-Staaten gemeinsam mit dem IWF und auf Basis des EU-Haushaltes
bestimmte Hilfsmaßnahmen.
Ich möchte unterstreichen, dass es aktuell nicht um
die Bereitstellung von Geldern durch die Euro-Staaten
geht; es geht vielmehr um die Anwendung von Hilfsmechanismen, die im Mai beschlossen worden sind. Ziel
des Rettungsschirms ist, vorübergehend mit Garantien
zu helfen, um schwierige Situationen in einzelnen EuroStaaten zu überwinden und damit Vermögensverluste für
die Bevölkerung Europas zu vermeiden.
Ich möchte auch auf die Ausführungen der Linken
eingehen, weil in den Raum gestellt wurde, dass die
Bundesregierung leichtfertig mit Steuergeldern umgehen
würde. Sie wissen genau, dass sich im Jahr 2008 die
Staaten weltweit verständigt haben, keine systemrelevanten Banken mehr in die Insolvenz gehen zu lassen,
um das Vermögen der Bevölkerung zu schützen. Ich
denke, daran sollten wir uns auch weiter halten. Nationale Alleingänge sind nicht angebracht. Man muss aus
vergangenen Wirtschaftskrisen wie der von 1929 die
Lehren ziehen.
Man muss jetzt unaufgeregt an die Problemlösungen
herangehen. Es gilt, die einheitliche Wirtschafts- und
Währungsunion weiterzuentwickeln. Die Probleme in
Irland kommen unter anderem daher, dass man in Irland
viel zu schnell eine wirtschaftliche Angleichung an andere Staaten erreichen wollte, teils mit sehr niedrigen
Steuersätzen, teils mit einer unverantwortlichen Kreditvergabe.
Jedes Extrem ist schlecht. Wichtig ist jetzt, dass wir in
Europa eine Annäherung der Steuersätze erreichen. Ich
betone: eine Annäherung, nicht zwangsläufig eine Anpassung. Wettbewerb zwischen den Regionen muss nach
wie vor möglich sein. Der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg ist daher richtig.
Wir müssen auch langfristig die Schwächen der
Euro-Zone beseitigen, und zwar insbesondere durch folgende Maßnahmen: Erstens sind Mechanismen und Auflagen des bestehenden Rettungsschirms konsequent
anzuwenden, sofern ein Staat entsprechende Hilfen benötigt. Zweitens muss eine bessere Bankenaufsicht eingerichtet werden. Die zum 1. Januar 2011 auf europäischer
Ebene geschaffene Finanzaufsicht ist dabei genauso gefordert, wie es die nationalen Aufsichten sind. Das hohe
Staatsdefizit in Irland ist vor allem dadurch entstanden,
dass der Staat die Banken entsprechend stützt.
Wirtschaftliche Fehlentwicklungen - sprich: die Bildung von Blasen - müssen rechtzeitig transparent gemacht werden. Des Weiteren - das ist ein ganz wesentlicher Punkt - muss nach dem Auslaufen des bisherigen
Rettungsschirms 2013 ein neuer, wirksamer Sanktionsmechanismus in Kraft treten.
({0})
Die genannten Ziele werden wir nur dann erreichen,
wenn wir weiterhin konsequent konsolidieren. Die Bundesregierung wird den erreichten Paradigmenwechsel
bei der Staatsverschuldung weiter konsequent umsetzen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ulrich von der Linksfraktion?
Bitte schön.
Frau Kollegin, Sie haben eben gesagt, was die Steuersätze in Europa angehe, solle es keine Anpassung, sondern eine Annäherung geben. Sie haben das mit der Aussage begründet, es müsse auch weiterhin Wettbewerb
möglich sein. Finden Sie es verantwortbar, dass der
Unternehmensteuersatz in Irland bei 12,5 Prozent
liegt? Insofern bedeutet Wettbewerb auch, dass in der
Vergangenheit Arbeitsplätze aus Deutschland nach Irland oder in andere Regionen abwandern konnten. Der
deutsche Steuerzahler soll das jetzt über den Euro-Rettungsfonds ausgleichen. Halten Sie nicht auch eine Anpassung nach oben für notwendig? Denn es kann nicht
sein, dass der Steuerzahler in Deutschland zunächst die
durch den ruinösen Steuerwettbewerb wegfallenden Arbeitsplätze zu finanzieren hat und dann auch noch die
Lücken ausgleichen muss, die zum Beispiel dadurch entstanden sind, dass Irland seine Einnahmeseite zu
schwach hält?
({0})
Herr Kollege, ich glaube, ich habe es klar und deutlich gesagt: Selbstverständlich müssen die Steuersätze
in den Ländern erhöht werden, in denen extreme Unterschiede zum EU-Durchschnitt zu verzeichnen sind. Das
heißt aber nicht, dass alle EU-Staaten denselben Steuersatz haben müssen. Das wäre kontraproduktiv.
({0})
Man muss doch auch regionale Unterschiede berücksichtigen.
({1})
Irland ist kein Industrieland. In Irland gab es nicht die industrielle Revolution. Aber Irland hat sich in den letzten
Jahren zu einem Hightechland entwickelt. Also müssen
hier gewisse geringe Unterschiede weiterhin möglich
sein. Aber ich gebe Ihnen recht, es kann nicht sein, dass
der eine Staat auf Kosten des anderen lebt.
Auch die Verschuldung der Kommunen und der Länder fließt in die Maastricht-Kriterien ein. Aufgrund der
guten Konjunktur sind hier positive Effekte zu erwarten.
Wirtschaftswachstum ist immer noch die beste Form der
Haushaltskonsolidierung. Unverantwortlich ist es daher,
wenn die Neuverschuldung unter der rot-grünen Landesregierung in NRW etwaige positive Effekte hinsichtlich
der Maastricht-Kriterien bei den Kommunen gleich wieder zerstört.
({2})
Zentrale Bedeutung in diesem Zusammenhang hat natürlich auch die Entwicklung des EU-Haushalts. Beim
EU-Haushalt gilt es, die notwendigen Aufgaben mit einem effizienten Mitteleinsatz zu finanzieren.
Zum Schluss noch einige Worte zum künftigen
Sanktionsmechanismus, der ab Mitte 2013 in der EU
gelten soll. Es ist geplant, die Haushalte der europäischen Staaten bis 2013 so weit zu konsolidieren, dass die
Maastricht-Kriterien eingehalten werden. Das kann man
nur erreichen, wenn die Schuldenbremse auch in anderen EU-Staaten umgesetzt wird. Wenn ein Staat diese
Kriterien dann immer noch nicht einhält, müssen entsprechende neue Mechanismen greifen. Dazu gehören
sowohl die Beteiligung privater Gläubiger als auch wirkungsvolle Sanktionen.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfassung.
Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf:
Einzelplan 14
Bundesministerium der Verteidigung
- Drucksachen 17/3513, 17/3523 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Bernhard Brinkmann ({0})
Dr. Gesine Lötzsch
Zum Einzelplan 14 liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag nach
der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Bundeswehr steht mit dem angekündigten Reformvorhaben
vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. Die
Empfehlungen der Weise-Kommission machen sehr
deutlich, wo die Probleme liegen, und zeigen darüber hinaus auch den haushalts- und finanzpolitischen Spielraum der nächsten Jahre auf.
Die Kommission kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Bundeswehr künftig nicht mehr Geld
brauche als bisher, aber auch keine wesentlichen Einsparungen leisten könne. Es ist daher Ihre vordringliche
Aufgabe, Herr Minister zu Guttenberg, dem Parlament
zügig aufzuzeigen, wo Sie die avisierten 8,3 Milliarden
Euro einsparen wollen. Bisher liegen jedenfalls keine
belastbaren Konzepte vor. Bisher gibt es Zahlen aus dem
Bundeskanzleramt und dem Bundesfinanzministerium,
die eine Größenordnung von 1,5 Milliarden Euro haben.
Es wird eine Herkulesaufgabe sein, allein diese Lücke in
den Haushalten für 2012 und die Folgejahre zu schließen. Das ist meines Erachtens fast unmöglich. Allein die
globalen Minderausgaben haben schon dazu geführt,
dass in weiten Teilen der Truppe bestimmte Aufgaben
nicht mehr erfüllt werden können. Hier gibt es noch einiges zu tun.
Wer sich die großen Ausgabenblöcke des Verteidigungshaushalts vor Augen führt, muss zu der Überzeugung gelangen, dass selbst bei der vorgesehenen Reduzierung des Personals, also der Zahl der Soldatinnen
und Soldaten sowie der zivilen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter - auch diese Größenordnung steht noch nicht
fest -, die Personalkosten von derzeit rund 12 Milliarden
Euro zwar sinken, aber gleichzeitig ein enormer Anstieg
an Leistungen für Pensionen und Altersversorgung zu
verzeichnen sein wird. Auch hier müssen wir in den
nächsten Monaten zu belastbaren Zahlen kommen. Auch
hier sind Sie, Herr Minister, ausdrücklich gefordert.
Die Weise-Kommission zeigt zudem klar auf, dass
das vom Verteidigungsminister favorisierte Modell mit
163 500 Soldatinnen und Soldaten weder finanziell unterlegt ist noch den sicherheitspolitischen Erfordernissen
unseres Landes entspricht. Es ist also ganz sicher keine
Antwort auf die von Frau Merkel heute Morgen erwähnten neuen Bedrohungen und Aufgaben.
Dass die Einsparungen an Personal nicht mit entsprechenden Einsparungen im Haushalt gleichzusetzen sind,
zeigt sich bereits an folgender Rechnung: Die Ausgaben
für Personal und Versorgung belaufen sich auf circa
52 Prozent des Gesamthaushalts, nämlich 37,9 Prozent
für Personal und 14,3 Prozent für Versorgung. Bei einer
1-prozentigen Besoldungs- und Tarifanpassung einschließlich der Pensionen ergeben sich jährliche Mehrausgaben in Höhe von 130 Millionen Euro. Bei 3 Prozent werden es 400 Millionen Euro sein, die in den
nächsten Jahren im Einzelplan 14 unterlegt werden müssen. Wie gesagt, weniger Soldatinnen und Soldaten sowie weniger ziviles Personal reduzieren zwar punktuell
die Personalausgaben. Gleichzeitig steigen allerdings die
Versorgungskosten überproportional.
Jede Reform benötigt - das wissen wir aus der Vergangenheit - eine Anschubfinanzierung, diese Reform
ganz besonders; denn eine Umsetzung der Kommissionsvorschläge ist mit den in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Haushaltsmitteln nicht möglich.
Wie erwähnt, gehen selbst das Finanzministerium und
das Kanzleramt davon aus, dass die beabsichtigten Einsparungen in Höhe von 8,3 Milliarden Euro bis 2014
nicht zu erzielen sind.
Landauf, landab wird über die dringend erforderliche
Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr gesprochen. Auch hierzu sind Mehrausgaben in Millionenhöhe
erforderlich. Wie die Weise-Kommission festgestellt hat,
ist es nämlich ein zwingendes Erfordernis, künftig die
Wettbewerbsfähigkeit der Bundeswehr als Arbeitgeber
zu stärken. Das bedeutet unter anderem die Planung und
Umsetzung von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst, für neue Laufbahnen, zur Verstärkung
der Aus- und Weiterbildung sowie für einen erleichterten
Übergang in Zivilberufe. Auch das wird künftige Haushalte mehr als bisher belasten.
Bei den militärischen Beschaffungen verhält es sich
ähnlich. Ich wäre Ihnen, Herr Minister zu Guttenberg,
sehr dankbar, wenn Sie auch hier unter Berücksichtigung
der künftigen Strukturen unserer Streitkräfte belastbares
Zahlenmaterial vorlegten, das selbstverständlich auch
- diese Erfahrung haben wir in der Vergangenheit gemacht - eine Preissteigerungsvariante enthalten muss.
Äußerste Priorität hat hierbei ohne Wenn und Aber die
bestmögliche Ausstattung der im Einsatz befindlichen
Soldatinnen und Soldaten. Es kann künftig nicht mehr
angehen, dass teilweise mehr als zwei Jahre ins Land gehen, bevor entsprechende Ausrüstungsgegenstände zur
Verfügung stehen.
({0})
Für die Sicherheit der Truppe und die Sicherheit
Deutschlands darf nicht entscheidend sein, was wir uns
noch leisten können, sondern was auch künftig zwingend notwendig ist. Das muss finanziert werden.
Bernhard Brinkmann ({1})
Das Papier der Weise-Kommission ist auch für andere
Ministerien empfehlenswert. Man sollte Herrn Weise
vielleicht einmal beim BMZ einsetzen. Das sollte nach
den Vorstellungen des heutigen Ministers geschlossen
werden. In dem Papier wird angeregt, im Ministerium
die Dienstpostenzahl auf circa 1 500 zu reduzieren.
Gleichzeitig soll der alleinige Dienstsitz künftig hier in
Berlin sein. Auch das wird eine Herausforderung sein,
und das sollte von Ihnen, Herr Minister, so zeitnah wie
möglich vorbereitet werden.
Bei einem künftigen jährlichen strukturellen Ergänzungsbedarf von voraussichtlich 15 000 Soldatinnen und
Soldaten bei gleichzeitig ausgesetzter Wehrpflicht werden circa 50 000 bis 60 000 Bewerberinnen und Bewerber benötigt, um eine entsprechende Auswahl treffen zu
können. Das ist ebenfalls eine Herkulesaufgabe, die
nicht ohne weitere Ausgaben zu meistern sein wird.
Wer durch das Land fährt und die Streitkräfte besucht,
wird vor Ort erfahren, dass die Verunsicherung in der
Truppe groß ist. Es ist daher unsere gemeinsame Aufgabe, alle Betroffenen im Reformprozess mitzunehmen.
Eine auch künftig hochmotivierte Bundeswehr, zu der
auch die vielen zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
und auch die Reservisten gehören, benötigt so schnell
wie möglich Planungssicherheit.
({2})
Also, Herr Minister zu Guttenberg, ran an die Arbeit!
Jetzt ist Kärrnerarbeit gefragt. Das passt zu der Jahreszeit und dem Wetter heute. Die Schönwetterzeit ist vorbei. Wir sind gespannt, inwieweit Sie Ihren Zeitplan,
was die Vorlage im Kabinett und die weiteren Beratungen angeht, werden einhalten können. Vielleicht hören
wir anschließend noch etwas dazu.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Dank auszusprechen. Dieser geht in erster Linie an die Soldatinnen
und Soldaten, an die zivilen Helfer sowie insbesondere
an deren Angehörige. Seien Sie versichert: Es wird gewürdigt, was Sie für unser Land tun.
({3})
Die Auslandseinsätze werden von der Linkspartei in
einer Art und Weise kritisiert, die - das füge ich ganz
selbstbewusst und sehr deutlich hinzu - nicht hinnehmbar ist.
({4})
Denken Sie einmal daran zurück, was Sie bis 1989 alles
angerichtet haben. Dafür tragen Sie teilweise die Verantwortung. Sie haben versucht, das bei der heutigen außenpolitischen Debatte schönzureden.
Ihnen, Herr Minister, und Ihrem Haus herzlichen
Dank für die stets zur Verfügung gestellten Informationen. Wir gehen davon aus, dass das auch in Zukunft im
Sinne einer konstruktiven Zusammenarbeit so bleibt.
Den Einzelplan lehnen wir ab, nicht nur wegen der von
mir angesprochenen Punkte, sondern auch wegen der
Probleme, die wegen der Verzögerungen und der Unwägbarkeiten des Reformvorhabens mit Sicherheit in
den nächsten Monaten noch auf uns zukommen werden.
Eine konstruktive Mitarbeit kündige ich hiermit an. Zu
der sind wir sehr gerne bereit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat nun Klaus-Peter Willsch für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege
Brinkmann, in Ihrer Rede waren durchaus viele Gemeinsamkeiten mit uns zu erkennen. Das Kleinteilige und
Mäkelige ist natürlich typisch für die Opposition. Schöner wäre es gewesen, wenn Sie die zentralen Punkte, in
denen wir als Deutscher Bundestag übereinstimmen
- wir schicken gemeinsam die Parlamentsarmee in den
Einsatz -, aufgezählt und damit mehr Gemeinsamkeit
demonstriert hätten. Wir mit unserem Minister KarlTheodor zu Guttenberg an der Spitze haben jedenfalls
gezeigt, dass diese christlich-liberale Koalition die Kraft
zum großen Wurf hat, dass wir in der Lage sind, die tiefgehendste Reform unserer Streitkräfte der letzten
20 Jahre zu schultern und mutig anzugehen.
({0})
Wir haben uns bereits bei der ersten Lesung damit
auseinandergesetzt. Zu Zweifeln an den vorgegebenen
Terminen gibt es überhaupt keinen Anlass.
({1})
Wenn Sie meinen Beitrag zur ersten Lesung nachlesen
oder wenn Sie sich ihn in Erinnerung rufen, dann werden
Sie feststellen, dass ich angesichts des vorgegebenen
Zeittableaus - Parteitag CSU, Parteitag CDU, Bericht
der Weise-Kommission - immer wieder betont habe:
Wir haben es mit einer Haushaltsaufstellung unter der
Bedingung extremer Unsicherheit zu tun, weil wir noch
nicht genau wissen, wie die Zielstruktur aussieht. Das
gilt zum Teil auch noch heute; das haben Sie angesprochen. Ich bin dankbar dafür, dass wir durch die Kommandeurtagung in Dresden in dieser Woche etwas mehr
Aufschluss bekommen haben. Nunmehr können wir
munter und mutig auf dem Weg voranschreiten, die
Streitkräfte so umzubauen, wie es für diese Zeit und für
die Einsatzszenarien, die wir heute haben, notwendig ist.
Zunächst will ich - da schließe ich mich Ihnen ausdrücklich an, Herr Kollege Brinkmann - dem Haus ganz
herzlich danken. Die Zusammenarbeit war vertrauensvoll. Unsere Informationswünsche wurden umfassend
erfüllt. Auch im Namen der ganzen Fraktion richte ich
meinen Dank an die Soldaten. Wir wissen, was im Einsatz geleistet wird. Wir müssen bekümmert zur Kenntnis
nehmen, dass es in diesem Jahr auch Opfer gab; Kameraden sind gefallen. Wir gehen mit unserer Verantwortung, unsere Armee in Einsätze zu schicken, nicht leichtfertig um. Wir wissen es wirklich wertzuschätzen, was
dort - im Einsatz, aber auch bei der Unterstützung in der
Heimat - geleistet wird.
({2})
„Vom Einsatz her denken“, so lautet die Überschrift
des Abschlussberichts der Weise-Kommission. Das ist
in der Tat das, was wir in der Organisation der Bundeswehr brauchen. Wir haben hervorragende Soldaten, die
Ausgezeichnetes in vielfältigen Einsatzszenarien leisten.
Wann immer man mit Alliierten spricht, wann immer
man selbst mit der Truppe im Einsatz spricht oder mit
Vertretern der Länder, zu deren Schutz sie unterwegs
sind, bekommt man das bestätigt: Auf die Bundeswehr
kann man sich verlassen.
Darüber hinaus müssen wir für einsatzfähige Strukturen sorgen. Wenn wir schauen, wie die Einsätze aussehen, stellen wir fest: Das ist die Zukunft der deutschen
Streitkräfte: in internationalen Einsätzen rund um den
Globus Frieden und Freiheit unseres Vaterlandes schützen. Dazu gehört auch der Schutz des freien Welthandels
als wesentliche Quelle unseres Wohlstands; schließlich
sind wir eine große Außenhandelsnation.
Wenn wir heute noch nicht mit letzter Klarheit sagen
können, wie sich das alles haushaltsmäßig abbildet, dann
liegt das daran, dass wir mitten in diesem Transformationsprozess sind. Wir müssen zunächst folgende Fragen beantworten: Welche Fähigkeiten wollen wir erhalten? Welche Fähigkeiten wollen wir hinzufügen? Bei
welchen Fähigkeiten wollen wir uns darauf verlassen, im
internationalen Verbund mit den Partnern zu wirken,
diese Fähigkeiten also unter den Bündnispartnern aufzuteilen? Sie alle wissen: Die NATO hat auf dem LissabonGipfel in der letzten Woche entschieden, sich auf einen
gemeinsamen Raketenabwehrschirm zu verlassen und
Russland anzubieten, hierbei zu kooperieren, was ein
qualitativ neuer Schritt ist.
Die endgültige Festlegung des Streitkräfteumfangs
kann nun zügig angegangen werden, nachdem CDU wie
CSU die Aussetzung der Wehrpflicht eindeutig beschlossen haben. Das entspricht unserem festen Willen,
die Truppe, die Streitkräfte, konsequent auf Einsätze
auszurichten. Wir konnten den Vorteil eines sechsmonatigen Grundwehrdienstes nämlich nicht mehr erkennen.
Das hat jetzt Auswirkungen positiver Art auf den
Haushalt 2011. Je schneller wir zu den Entscheidungen
kommen, desto besser. Ein Wunschtermin ist bereits genannt worden: 1. Juli 2011. Ich hoffe, dass wir diesen
Termin einhalten. Wenn es nur noch ein gutes halbes
Jahr Wehrpflichtige gibt, dann heißt das weniger Sold,
weniger Ausrüstung, weniger persönliche Ausstattung,
weniger Unterkunft. Jetzt muss also alles Mögliche
möglichst schnell realisiert werden. Aber wir müssen
uns für die Folgejahre - das haben Sie, Herr Kollege
Brinkmann, angesprochen; dafür bin ich Ihnen dankbar;
lassen sie uns gemeinsam daran arbeiten - darüber Gedanken machen, was wir zusätzlich brauchen; denn wir
werden für andere Aufgaben Mehraufwendungen haben.
Wir werden in die Kasernen bzw. die Unterkünfte etwas hineinstecken müssen. Wir müssen um Freiwillige
sowie um Zeit- und Berufssoldaten werben und dazu den
Dienst attraktiver machen. Zivilberufliche Qualifikationsmöglichkeiten innerhalb des Dienstes werden wir
stärken müssen. All das steht vor uns. Dass wir all diese
Fragen heute noch nicht vollständig beantworten können, liegt am Wesen des Prozesses, den wir gerade
durchlaufen. Insofern bitte ich da um Verständnis und
konstruktive Zusammenarbeit.
Wir haben in den aktuellen Haushaltsberatungen vor
allen Dingen in einem Bereich finanziellen Nachbesserungsbedarf gesehen. Das ist der Sanitätsdienst der
Bundeswehr, der ja für den Soldaten im Einsatz von extrem hoher Bedeutung ist. Die Sicherheit zu haben, dass
der Sani kommt und er optimal versorgt wird, ist für den
Soldaten, den wir in den Einsatz schicken, wichtig. Deshalb haben wir gesagt: Hier geben wir mehr aus. Wir haben umfangreiche Aufstockungen um insgesamt 22 Millionen Euro vorgenommen. Das ist im Übrigen eine
Teileinheit, die bei unseren Bündnispartnern sehr hohes
Ansehen genießt. Wir sind der Auffassung: Hier müssen
wir mehr tun.
Zur Erhaltung und Verbesserung der Einsatzfähigkeit
haben wir auch die einsatznahen Bereiche Materialerhaltung Schiffe/Boote, Materialerhaltung Luftfahrzeuge
und Munitionsbeschaffung mit Aufwüchsen versehen.
Auch hier steht wieder der Gedanke im Vordergrund, die
Soldaten im Einsatz bestmöglich zu versorgen.
Eine Frage, die ich auch beim letzten Mal angesprochen habe, müssen wir im Zuge der Reform mit in den
Blick nehmen und versuchen, richtig zu beantworten. Der
Einzelplan 14 beinhaltet auch eine industriepolitische
Last für Deutschland. Wir haben eine sehr hochwertige,
hervorragende Wehrindustrie mit Hochtechnologiebereichen. Es sind auch viele kleine und mittelständische
Unternehmen dabei. Hierzu müssen wir sagen: Der Einzelplan 14 muss von industriepolitischen Aufgaben entlastet werden. Wir müssen Wege finden, diese hervorragenden Ingenieure und ihre Firmen unabhängiger zu
machen, indem sie Möglichkeiten finden, ihre Produkte
in der ganzen Welt abzusetzen.
Es gibt - das kann man als Haushälter nicht verschweigen - natürlich beim Thema Beschaffungen ausgeprägte Sorgenkinder. Aber einige Nachrichten der
letzten Tage zeigen, dass auch Sorgenkinder noch das
Laufen lernen, wenn man ihnen lange genug Zeit gibt
und sich mit genügender Hinwendung den Dingen widmet.
({3})
In Bezug auf den A400M wurde eine Einigung erzielt.
({4})
Wir versuchen, die Verträge, die wir von Vorgängerregierungen übernommen haben, wieder einigermaßen ins
Lot zu bekommen, und zwar hinsichtlich des kontrahierten Leistungsspektrums und des Preises. Ich glaube, hinsichtlich des A400M können wir dem Haus danken, dass
hier eine strikte Linie gefahren wurde. Manche Partnerländer wollten schon von Anfang an sehr viel mehr Geld
auf den Tisch legen. Ich glaube, das erzielte Ergebnis ist
noch einigermaßen erträglich.
Der erste NH-90 wurde im Oktober an das Hubschraubergeschwader in Holzdorf ausgeliefert, und zehn
weitere werden bereits an der Heeresfliegerwaffenschule
Bückeburg im Rahmen der Ausbildung der Piloten geflogen. Die Korvette 130 steht zur Abnahme bereit; die
muss dann eben auch erfolgen.
Kollege Brinkmann, ich wende mich auch an die grünen Kollegen: Wir haben ja durchaus verschiedene Diskussionen im Haushaltsausschuss geführt, in denen die
Verantwortung, die sich aus dem Verhältnis zu unserer
Bundeswehr ergibt, in einem sachgemäßen Umgang mit
dem Thema zum Ausdruck kam. Das, was wir anstreben
und auf dessen Verwirklichung wir hinarbeiten, ist ein
großes Reformwerk. Es wäre schön und auch ein wichtiges Signal an unsere Soldaten, wenn wir diese Reform,
die wir uns fest vorgenommen haben, hier mit konstruktiver Begleitung durch die Opposition über die Bühne
kriegen könnten.
({5})
- Nein, Herr Kollege Brinkmann, ich habe die rote einfach nicht gefunden, sonst hätte ich heute mal eine rote
angezogen. So ist es heute eine grüne Krawatte.
({6})
- Okay, ich verspreche Ihnen für die nächste Woche die
rote.
Lassen Sie mich mit Johann Wolfgang von Goethe
schließen. Der hat gesagt:
Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss
auch tun.
Auf diesem Wege befinden wir uns.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({7})
Das Wort hat nun Kollegin Inge Höger für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 80 Prozent der Bevölkerung sagen, die Bundesregierung solle
bei der Bundeswehr, bei der Rüstung sparen und nicht
beim Sozialen. Verteidigungsminister zu Guttenberg ließ
noch im Sommer durch die Bild-Zeitung verkünden, er
würde nun auch bei der Bundeswehr und der Rüstung
sparen.
({0})
Aber weder im vorgelegten Haushalt noch im Plan zur
Reform der Bundeswehr geht es ums Sparen beim Militär.
({1})
Die Bundeswehrreform dient der weiteren Militarisierung der Außenpolitik und einer weltweiten Interventionspolitik.
({2})
Das erklärte Ziel ist - Herr von und zu Guttenberg hat es
häufiger gesagt -, mehr Soldatinnen und Soldaten in
Auslandseinsätze schicken zu können. So steigen die
Militärausgaben 2011 um 440 Millionen auf 31,5 Milliarden Euro. Damit handelt es sich hier um den drittgrößten Einzelhaushalt. Dazu kommen in anderen
Haushalten versteckte Ausgaben. Nach NATO-Kriterien
betragen die Ausgaben dann schon 34 Milliarden Euro.
Bei der Bundeswehr wird eindeutig nicht gespart,
({3})
ganz anders als im Sozialbereich. Hier müssen die Bürgerinnen und Bürger mit tiefen Einschnitten rechnen.
Anscheinend ist das Sparargument ohnehin nur ein
politischer Hebel, mit dem die Strukturreform der
Bundeswehr der Öffentlichkeit und besonders der
schwarz-gelben Basis verkauft werden soll. Minister zu
Guttenberg hat ja immer wieder klargemacht, dass es
nicht wirklich darum geht, bei der Rüstung zu sparen. So
erklärten Sie, Herr Minister, bereits am 11. Oktober vor
der Hanns-Seidel-Stiftung:
Die Frage kann nicht sein, was können wir uns leisten, sondern was ist uns die Sicherheit wert.
({4})
Nur, welche Sicherheit ist gemeint? Soziale Sicherheit sollte allen hier im Parlament viel wert sein.
({5})
Sozialpolitik oder Gesundheitspolitik nach Kassenlage
zu betreiben, das ist falsch.
({6})
Sozialpolitik nach Kassenlage ist unsozial.
({7})
Es geht ganz offensichtlich auch nicht um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande; denn
durch Ihre Kriegspolitik schaffen Sie neue Gefahren für
die Menschen hierzulande und in den Einsatzgebieten
der Bundeswehr.
({8})
Herr Guttenberg, Sie haben Ihre Vorstellung von Sicherheit in den letzten Tagen und Wochen sehr deutlich
gemacht. Ihnen geht es vor allem um die Sicherheit der
Interessen von Unternehmen, um den sicheren Zugang
zu Ressourcen, um die Sicherheit der Handelsrouten.
({9})
Sie fordern etwas, was unser Grundgesetz verbietet: Sie
fordern Wirtschaftskriege zur Durchsetzung und Absicherung der Interessen deutscher Konzerne.
({10})
Dazu sagt die Linke klar und deutlich Nein.
({11})
Bei der Berliner Sicherheitskonferenz haben Sie, Herr
Guttenberg, jüngst ganz bewusst ein außenpolitisches
Tabu in unserem Lande gebrochen. Sie haben betont,
dass Sie die Position des früheren Bundespräsidenten
Köhler zur militärischen Interessendurchsetzung teilen.
({12})
Herr Köhler hatte wenigstens noch den Anstand, anschließend zurückzutreten. Sie erklärten - Zitat -:
Der Bedarf der aufstrebenden Mächte an Rohstoffen steigt ständig und tritt damit mit unseren Bedürfnissen in Konkurrenz … Da stellen sich Fragen
auch für unsere Sicherheit, die für uns von strategischer Bedeutung sind.
Mit Herrn Niebel haben Sie einen Entwicklungshilfeminister an Ihrer Seite, der Organisationen, die in Krisenregionen neutral und unabhängig von der Bundeswehr arbeiten wollen, gern den Geldhahn zudrehen will.
Herrn Niebels Ressort wird gleich im Anschluss behandelt. Aber die sogenannte vernetzte Sicherheit ist ja leider auch ein Thema der Verteidigungspolitik geworden.
Die Bundeswehr versucht genauso wie die NATO, die
enge Verzahnung von Entwicklungs-, Außen- und Verteidigungspolitik als großen Fortschritt zu verkaufen.
Die NATO hat am Wochenende sogar beschlossen, eine
eigene zivil-militärische Planungszelle einzurichten.
Arme Länder brauchen Entwicklungshilfe, die sich an
den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Notwendig
ist eine Außenpolitik, die sich auf Diplomatie stützt und
an einem gerechten Ausgleich zwischen Arm und Reich
interessiert ist.
({13})
Eine Vermischung von zivilen und militärischen Instrumenten führt zu Unklarheit und Unsicherheit. Eine Unterordnung der verschiedenen zivilen Bereiche unter
machtpolitische und militärische Prioritäten ist nach unserer Ansicht falsch.
({14})
In Afghanistan ist drastisch zu beobachten, welche fatalen Auswirkungen die Kriegspolitik von Bundeswehr
und NATO hat. Das haben nicht erst die Bombardierung
und die bewusste Inkaufnahme von toten Zivilisten am
Kunduz-Fluss gezeigt. Immer mehr Soldatinnen und
Soldaten bringen immer mehr Unsicherheit, und immer
mehr Kampfhandlungen führen zu einer Eskalation des
Krieges und zu immer mehr toten Soldatinnen und Soldaten sowie toten Zivilisten.
Auch bei den eingesetzten Soldaten zeigt sich eine
Verrohung, die dieser Kriegseinsatz hervorruft.
({15})
Ich zitiere, was ein Soldat in einem von der Nachrichtenagentur dapd jüngst veröffentlichten Interview gesagt
hat:
Man baut einfach einen Hass gegen die Bevölkerung auf. … Man möchte am liebsten auch alle normalen Afghanen ins Jenseits befördern.
Allein die Erkenntnis, dass der Einsatz in Afghanistan
bei deutschen Soldaten solche Vorstellungen hervorruft,
({16})
sollte Grund genug für einen sofortigen Abzug sein.
({17})
Bitte erzählen Sie nun nicht, die NATO habe ja in Lissabon den Rückzug aus Afghanistan bis Ende 2014 beschlossen. Es wurde nur der Abzug von Kampftruppen
angekündigt, keineswegs der Abzug aller Soldaten. Das
Vorbild für diesen Plan ist der Irak: Dort sind trotz Abzugs der USA immer noch 50 000 US-amerikanische Soldaten. Sie übernehmen die Gefechte in der Regel nicht
mehr selbst; dies überlassen sie den irakischen Truppen.
Die internationalen Truppen unterstützen und beraten
die irakischen Truppen bei deren Kampf gegen andere
Iraker. Wie im Irak soll die Kriegsführung auch in
Afghanistan Stück für Stück auf die einheimische Bevölkerung übertragen werden. Das ist kein Friedensplan;
das ist ein Plan zur Ausweitung eines Bürgerkrieges.
Das ist keine Afghanisierung der Sicherheit; das ist eine
Afghanisierung des Krieges.
({18})
Die einzige Antwort kann nur sein: Bundeswehr und
NATO raus aus Afghanistan!
({19})
Mit dem Rüstungshaushalt werden allein für Waffensysteme über 5,2 Milliarden Euro ausgegeben. Darüber
hinaus hat die Bundeswehr Rüstungsverträge abge8130
schlossen, durch die bereits heute Verpflichtungen für
Ausgaben in Höhe von mehr als 46 Milliarden Euro bestehen. Das ist unverantwortlich.
Das Verteidigungsministerium selbst gibt zu, dass nahezu keines der Aufrüstungsprojekte zeitlich und finanziell im Rahmen bleibt. Auch die Qualität lässt häufig zu
wünschen übrig. Durch eine absolut schlampige und
häufig verspätete Produktion bietet die Rüstungsindustrie aber die Chance eines Ausstiegs. Diese Chance eines
Ausstiegs aus den Beschaffungsprojekten sollten Sie
nutzen.
Die Regierung beharrt aber auf dem Kauf des Schützenpanzers Puma oder des Kampfhubschraubers Tiger,
obwohl die Industrie bis heute keine fehlerfreien Geräte
liefern kann. Es gäbe die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung. Ähnliches gilt für die neuen Fregatten oder den Transporthubschrauber NH-90.
({20})
Die Beschaffung des Militärtransporters A400M ist
der teuerste Fall von Pleiten, Pech und Pannen bei der
Aufrüstung, an dem die Bundesregierung festhält. EADS
hat bereits Anfang des Jahres finanzielle und zeitliche
Zugeständnisse erbettelt. Nun will der Rüstungskonzern
das einmalige Angebot machen, nur noch 170 Flugzeuge
zum Preis der ehemals ausgehandelten 180 Flugzeuge zu
liefern. Neben anderen Zugeständnissen erhält EADS im
Zuge des vorliegenden Haushalts einen Kredit, der nur
dann zurückgezahlt werden muss, wenn ausreichend
hohe Einnahmen aus dem Export erzielt werden. Dafür
werden 500 Millionen Euro aus Steuermitteln zur Verfügung gestellt. Damit wird ein privates Risiko öffentlich
abgesichert. Im Ergebnis wird die Aufrüstung der Bundeswehr über die Ausweitung von Rüstungsexporten
finanziert.
Das ist wohl kein Zufall. Parallel zum Umbau der
Bundeswehr zur Einsatzarmee sind die Rüstungsexporte kontinuierlich angestiegen. Ich denke, ohne eine
Abkehr von der globalen Interventionspolitik wird es
kaum möglich sein, Rüstungsexporte zu verringern und
zu kontrollieren.
({21})
Wenn man über die Bundeswehr redet, muss man
auch das Bündnis betrachten, in dessen Rahmen die
meisten deutschen Soldaten im Ausland eingesetzt sind:
die NATO. Am letzten Wochenende hat die NATO in
Lissabon ihr neues Strategisches Konzept beschlossen.
Die Bilanz dieses Gipfels bei den Themen „Abrüstung“
und „Frieden“ ist äußerst mager. Es ist besonders dreist,
die bloße Erwähnung der atomaren Abrüstung als Erfolg
zu verkaufen. Dabei wird betont - ich zitiere -:
Solange es Nuklearwaffen auf dieser Welt gibt,
wird die Nato eine nukleare Allianz bleiben.
So schafft die NATO keine Bedingungen für die nukleare Abrüstung, sondern das genaue Gegenteil.
({22})
Lassen Sie mich abschließend kurz noch etwas zur
aktuellen Terrorhysterie sagen. Der Vorsitzende des
Bundes der Kriminalbeamten, Klaus Jansen, forderte
gestern:
Für den Schutz besonders gefährdeter Einrichtungen, Infrastruktur oder Veranstaltungen muss unterstützend die Bundeswehr eingesetzt werden.
Nur durch Amtshilfe der Bundeswehr lasse sich der
Schutz der Bevölkerung angeblich gewährleisten. So
verhindern Sie keinen einzigen Terrorangriff, aber Sie
verändern unser Land in eine gefährliche Richtung.
({23})
Die Linke steht für eine Politik, die nicht vom Einsatz
her denkt, weder im Inland noch im Ausland.
({24})
Die Linke steht für eine Friedenspolitik, die von der Abrüstung her denkt. Unser Ziel ist eine gerechte und friedliche Welt ohne Atomwaffen, ohne Rüstung und ohne
Militärinterventionen.
({25})
Das Wort hat nun Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bald beginnt die Weihnachtszeit. Da darf man sich etwas
wünschen: Ich wünsche mir von den Sozialdemokraten
und den Grünen, dass sie dafür sorgen, dass solche Politiker wie Frau Höger unser Land nie regieren. Das wäre
mein Wunsch nach dieser Rede.
({0})
Bevor ich zum Haushalt komme, gestatten Sie mir
bitte eine Bemerkung - ich glaube, das gehört zur heutigen Debatte dazu; ich sehe die Kollegen Gernot Erler,
Werner Hoyer und andere, die damals mit im Verteidigungsausschuss saßen -: Vor 20 Jahren wurden zwei
große Armeen, die Bundeswehr und die NVA, die sich
bis dahin feindlich gegenüberstanden, zusammengeführt. Die Tagung der Bundeswehr „20 Jahre Armee der
Einheit“, die in diesen Tagen in Dresden stattfand, war
beeindruckend. Das gilt auch für die Reden der Bundeskanzlerin und des Bundesministers Guttenberg. Damals,
vor 20 Jahren, sagten viele: Das ist kaum zu bewältigen.
Das dachten auch in meiner Fraktion viele; das gebe ich
ehrlich zu. Dennoch ist es gelungen. Viele waren an dem
Erfolg beteiligt. Stellvertretend möchte ich, weil er wie
ich aus dem Bundesland Schleswig-Holstein kommt, den
damaligen Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg
nennen.
({1})
Man darf auch daran erinnern: Die Zusammenführung der beiden Armeen sorgte dafür, dass das größte
Abrüstungsprogramm stattfand, das es in Europa je gegeben hat. Beide Seiten waren hochgerüstet. Wir haben
abgerüstet noch und noch; das kann man wirklich sagen.
Diese Reform und diese Zusammenlegung waren ein Erfolg. Das war eine Erfolgsgeschichte.
Man sollte noch etwas nicht vergessen: Es waren
Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, denen es in
Verhandlungen gelang, dass das gesamte wiedervereinigte Deutschland Mitglied in der NATO bleiben konnte.
Alle in Europa und der Welt hatten Vertrauen zu uns.
({2})
Nur die Linkspartei hat kein Vertrauen. Da haben Sie
wirklich ein Alleinstellungsmerkmal.
({3})
Nun stehen wir bei der Bundeswehr erneut vor großen
Aufgaben. Die Bundeswehr wird eine Freiwilligenarmee. Das ist seit vielen Jahren das politische Ziel der
FDP. Dafür sind wir eingetreten.
({4})
Ich habe großen Respekt vor den Entscheidungen von
CDU und CSU. Das war sicher keine leichte Entscheidung auf Ihren Parteitagen. Als Freie Demokraten, als
Ihr Koalitionspartner erkennen wir an, dass Ihnen das
nicht leichtgefallen ist. Alle Achtung für diese Entscheidung! So sind wir zu einem guten Ergebnis gekommen.
({5})
Ich darf daran erinnern, dass unter Rot-Grün die
Weizsäcker-Kommission eingesetzt wurde. Das war im
Jahr 2000. Was damals aufgeschrieben wurde, ist sehr
interessant. Ich will nur einen Satz zitieren. Schon im
Jahr 2000 schrieb die Weizsäcker-Kommission:
In ihrer heutigen Struktur hat die Bundeswehr keine
Zukunft.
Ich frage mich, warum Rot-Grün das damals nicht
entsprechend umgesetzt hat.
({6})
Natürlich habe ich eine Vermutung - das sage ich nicht
einmal in Richtung der Grünen, sondern in Richtung der
Sozialdemokraten -:
({7})
Sie haben die Augen verschlossen und nicht anerkannt,
dass die Wehrpflicht bereits im Jahr 2000 ausgedient
hatte. Unser Koalitionspartner hat das anerkannt. Sie haben sich damit sehr schwer getan.
Wir als FDP haben in den Koalitionsverhandlungen
durchgesetzt, dass eine Strukturkommission eingesetzt
wurde. Das Ergebnis liegt nun vor. Ich möchte besonders
dem Vorsitzenden, Frank-Jürgen Weise, unseren ganz
herzlichen Dank aussprechen. Ich denke, ich kann das
im Namen der Koalition und im Namen des Hauses tun.
({8})
Anders als frühere Regierungen werden wir diese Ergebnisse nicht zu den Akten legen. Wir werden umsetzen,
was immer umsetzbar ist, und zwar zügig. Das kann man
wohl ausdrücklich zusagen.
Wenn die Bundeswehr, wie angekündigt, zum 1. Juli
2011 eine Freiwilligenarmee wird, müssen wir - das entspricht unserer Auffassung - aus Fürsorgepflicht zuerst
an die Angehörigen der Bundeswehr denken, seien sie in
Uniform oder seien sie zivil beschäftigt. Die Bundeswehr hat als Arbeitgeber eine besondere Fürsorgepflicht.
Deswegen sage ich: zuerst die Menschen und dann das
Material.
So haben wir es bei den Haushaltsberatungen zum
Einzelplan 14 gehalten. Teilweise hat es erhebliche Umschichtungen zugunsten des Personals gegeben. Die
Freien Demokraten und ich persönlich als Hauptberichterstatter haben das sehr ernst genommen, was der frühere Wehrbeauftragte Reinhold Robbe in seinem Bericht
über den katastrophalen Zustand des Sanitätswesens geschrieben hat. Wir haben daher erheblich zugunsten des
Sanitätswesens umgeschichtet. Ich muss den Kollegen
Bonde schon fragen, warum die Grünen so viele Streichanträge - ich habe diese Anträge bei mir; ich kann sie Ihnen zeigen - im Bereich des Sanitätswesens gestellt haben. Dies ist ein Fehler, der nicht zu akzeptieren ist;
denn gerade beim Sanitätswesen muss draufgepackt und
darf nicht gekürzt werden. Wir haben das gemacht.
({9})
Ich sage noch einmal: zuerst die Menschen und dann das
Material.
Ich denke besonders an unsere Bundeswehrangehörigen im Auslandseinsatz. Wir danken ihnen sehr. Sie sollen wissen, dass wir mit dem Bundeswehretat 2011 finanzielle Schwerpunkte gesetzt haben, um ihren Einsatz
zu unterstützen.
Bei der Gelegenheit möchte ich ausdrücklich den Familienangehörigen unserer Soldaten danken. Wir können
manchmal nur erahnen, welche Ängste sie bedrücken.
Sie sollen wissen, dass wir auch an sie denken und dass
wir - damit schließe ich alle Fraktionen außer der der
Linkspartei ein - alles für die Sicherheit unserer Soldaten tun. Ich halte es auch für wichtig, dass die Angehörigen wissen, dass wir die Soldaten bei ihrem Auslandseinsatz und anschließend, wenn sie zurückkommen,
nicht im Stich lassen. Das sage ich in aller Deutlichkeit.
Ich denke dabei vor allem an diejenigen, die krank an ihrer Seele sind, wenn sie zurückkommen. Wir werden alles für ihre Heilung tun. Denjenigen, die sich bisher
nicht offenbart haben, sage ich, dass sie sich nicht zu
verstecken brauchen. Wir sind bei ihnen.
({10})
Herr Bundesminister, weil wir uns in dieser Frage einig sind, bitte ich Sie, dafür zu sorgen, dass bürokratische Hürden abgebaut werden, die Angehörige der Bundeswehr überwinden müssen, wenn es um das Stellen
von Anträgen bei Versorgungsämtern geht. Es kann
nicht angehen, dass manchmal länger als 18 Monate auf
den Bewilligungsbescheid eines Versorgungsamtes gewartet werden muss. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Hier ist ganz dringend Abhilfe geboten.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach wie vor leidet
die Bundeswehr unter zu viel Bürokratie. Mit der Umstellung auf die Freiwilligenarmee muss auch der Kampf
gegen die Bürokratie in der Bundeswehr aufgenommen
werden, Herr Minister. Das ist wichtig, um die Bundeswehr attraktiver zu machen. Arbeitsabläufe müssen dringend modernisiert werden.
Ich sage noch einmal: zuerst die Menschen und dann
das Material. Das gilt auch für die Materialbeschaffung. Nur das Material, das der Sicherheit unserer Soldaten dient und das für die Erfüllung des Auftrages notwendig ist, sollte beschafft werden. Kollege Brinkmann
hat sehr zu Recht darauf hingewiesen: Wenn es Anforderungen der Soldaten im Auslandseinsatz in Bezug auf
Materialbeschaffung gibt, dann kann es nicht angehen,
dass die Entscheidung darüber zwei Jahre und länger auf
sich warten lässt. Ich teile die Einschätzung des Kollegen Brinkmann.
({12})
Alles muss auf den Prüfstand. Das gilt für das
Jahr 2011 besonders. Auf den Prüfstand gehören auch
die vielen Auslagerungen, die in der Zeit des Ministers
Scharping erfolgt sind. Ich nenne beispielsweise Bundeswehrfuhrpark und Bekleidungswesen. Es muss geprüft werden, ob sich diese Entscheidungen für den Bundeshaushalt gerechnet haben. Wir als Freie Demokraten
- auch da sind wir uns einig, Herr Kollege Brinkmann haben uns deshalb dazu entschieden, dass die Logistik
der Bundeswehr nicht privatisiert wird, obwohl wir ansonsten Befürworter von Privatisierungen sind.
({13})
Als Hauptberichterstatter für den Einzelplan 14 möchte
ich meinen Kollegen von der Opposition - Frau Lötzsch
von den Linken ist heute nicht anwesend - und meinen
Kollegen von der Koalition für die gute Zusammenarbeit
danken. Ich glaube, wir sind trotz unterschiedlicher Auffassungen ein gutes Team.
Zum Abschluss ein Wort an die Sozialdemokraten.
Der Kollege Brinkmann, aber auch andere Kollegen von
den Sozialdemokraten im Haushaltsausschuss haben
sich bei den Beratungen zum Etat des Verteidigungsministers durchaus positiv eingebracht. Das war gut und
richtig; denn es gibt ja auch viele Gemeinsamkeiten.
Auch manche Idee von den Grünen war okay; das will
ich gar nicht abstreiten. Aber ich will an dieser Stelle bewusst die Sozialdemokraten ansprechen: Ich bitte Sie,
noch einmal darüber nachzudenken, ob Sie den Etat, wie
der Kollege Brinkmann sagte, ablehnen. Es geht hier
nicht um die Bundesregierung oder um die Koalition. Es
geht um unsere Bundeswehr, die eine Parlamentsarmee
ist.
({14})
Ringen Sie sich zumindest zu einer Enthaltung durch,
am besten zu einem Ja! Das wäre für unsere Soldaten
und für unsere Bundeswehr insgesamt ein tolles Zeichen. Ich werbe ganz herzlich dafür.
Herr Bundesminister, wir haben wie vor 20 Jahren
große Reformen vor uns. Damals hat die Koalition aus
CDU/CSU und FDP die Zusammenlegung von NVA und
Bundeswehr, über die ich schon gesprochen habe, geschafft. Wir werden auch die kommende Reform schaffen. Unser Ziel ist eine moderne Bundeswehr.
Über den Etat wurde gut beraten; es ist ein guter Etat.
Die Freien Demokraten werden dem Einzelplan 14 zustimmen.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat nun Alexander Bonde für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will im Dienste
der konstruktiven Stimmung, die gerade beschworen
wurde, sagen: Wir sind froh, dass endlich wieder Bewegung in der Reform der Bundeswehr ist. Wir sind froh,
dass endlich Dynamik in der Frage aufgekommen ist:
Passt die Struktur, passen die Ausgaben in diesem Bereich?
Die Ansage des Ministers ist: Die Reform kommt, die
Wehrpflicht geht. Aber schon bei der Frage, wann, wird
es spannend. Herr Minister, Sie sagen uns: 1. Juli, Ende
der Wehrpflicht. Jetzt höre ich, dass die Kanzlerin erklärt, das stimme nicht, es gebe keinen Termin. Ich
würde Sie bitten, uns nachher, wenn Sie nach vorn kommen, zu sagen, ab wann die Reform gilt. Das ist für den
Haushalt keine unerhebliche Frage.
Es liegen mutige und auch tiefgreifende Reformvorschläge auf dem Tisch. Auch wir bedanken uns ausdrücklich bei Frank-Jürgen Weise und seiner Kommission für vielversprechende Handlungsvorschläge. Ich
will mich auch dafür bedanken, dass mit dem KommisAlexander Bonde
sionsbericht eine harte und schonungslose Analyse auf
dem Tisch liegt, die aufzeigt, dass es zum Teil Dysfunktionen gibt. Es ist eine Analyse, die, was die Aufstellung
des Ministeriums angeht, massiv Fragezeichen bezüglich der Führungsfähigkeit setzt. Es ist gut, dass das alles
einmal so deutlich auf dem Tisch liegt. Das unterstützt
natürlich auch uns, die wir seit Jahren an dieser Frage arbeiten und Vorschläge machen.
({0})
Das ist nun kein Vorwurf an die handelnden Personen
in den Strukturen, sondern ausdrücklich eine Frage der
Strukturen und eine Aufforderung an die Politik, Handlungsfähigkeit zu schaffen.
Jetzt, wo die Reformvorschläge auf dem Tisch liegen,
geht es natürlich an die Umsetzung. Die Kanzlerin hat
bei dem Treffen mit der Generalität in Bezug auf die
Bundeswehrreform viel Spaß an der Veränderung gewünscht. Ich habe da eine Menge Spaß. Aber wenn ich
die Debatte in der Koalition über die Frage verfolge, wie
viel mehr Soldaten es im Rahmen der Reform denn noch
werden, Herr Minister, dann muss ich Ihnen sagen: Sie
werden auf dem Weg, der da vor Ihnen liegt, noch eine
Reihe von Spaßbremsen überzeugen müssen.
({1})
Sie sind mit einer Mindeststärke von 163 500 militärischen Angehörigen der Bundeswehr gestartet. Sie sind
jetzt, nach dem Wasserstand der koalitionsinternen Beratungen, schon bei 20 000 mehr. Das heißt, wenn Sie die
55 000 Wehrpflichtigen zum jetzigen Stand herausnehmen, sind Sie bei einer Verkleinerung um 10 000 Kräfte.
Wir sind gespannt, ob Sie die zum Schluss noch halten
können und wie mutig der Schritt wird.
Vor der Reformanalyse waren Sie ja mutig in der Ankündigung der Einsparvolumina und der Reformdividende. Da ist aber unklar, was Sie eigentlich liefern können. Schon bei Ihrer Mindeststärke von 163 500 war es
ja mehr als wackelig, ob Sie die Einsparungen laut Finanzplan, der ja hier zur Debatte steht, der am Freitag
verabschiedet werden wird, mit Ihrer Bundeswehrreform
tatsächlich erreichen können.
Ich will in Erinnerung rufen: Sie haben zugesagt - im
Kabinett mit beschlossen und dem Bundestag als Vorschlag vorgelegt -, dass Sie im Jahr 2014 durch Ihre
Bundeswehrreform 4,334 Milliarden Euro an Einsparungen im Einzelplan 14 erbracht haben werden. Mit dem,
was jetzt auf dem Tisch liegt, fehlen Ihnen noch
3,5 Milliarden Euro. Hierzu wünsche ich eine klare Ansage von Ihnen; das können Sie von diesem Pult aus machen. Wir diskutieren hier ja über den Finanzplan; der
soll mit dem Haushalt verabschiedet werden. Ich will
von Ihnen wissen: Woher kommen diese 3,5 Milliarden
Euro? Ihr bisheriger Reformvorschlag deckt sie nicht ab.
({2})
Wir alle haben ein Interesse daran, dass wir am Ende
- um in Ihrem Sprachgebrauch zu bleiben - eine richtige
Reform bekommen, nicht einen reformähnlichen Zustand.
Die Beratungen zum Haushalt 2011 waren ein Stück
unheimlich. Der Haushalt, der hier verabschiedet werden
soll, bildet die gesamten Reformüberlegungen, die die
Koalition jetzt vorgetragen hat, die Sie überall vortragen,
nicht ab. Hier wird ein Haushalt verabschiedet, der die
alte Bundeswehr, so wie sie vor der Reform organisiert
ist, titelscharf weiter durchfinanzieren soll. Zum Teil
wird eine ganze Reihe von Ausgaben ermöglicht, von
denen wir wissen, dass sie nach der Reform nicht mehr
gebraucht werden.
Deshalb frage ich mich schon, weshalb Sie unserem
Vorschlag, ein Moratorium im Beschaffungsbereich
zu machen, nicht gefolgt sind, weshalb Sie darauf bestehen, vor der Reform weiter in Beschaffung und militärische Strukturen zu investieren - und dies, obwohl Sie sagen, dass Sie heute noch nicht wissen, wie die Struktur
der Bundeswehr nach der Reform sein wird. Das halten
wir für nicht überzeugend. Wir haben die Sorge, dass
hier Strukturen zementiert werden, bevor klar ist, worauf
es hinausläuft. Ich könnte jetzt noch viel sagen, zum Beispiel zum A400M und zu anderen Beschaffungsprojekten.
Herr Minister, Sie haben die konstruktive Mitarbeit
der Opposition, wenn es darum geht, den Reformprozess
auf den Weg zu bringen. Aber wir warten noch auf den
Reformprozess; bisher gab es nur eine Ankündigung.
Der Haushalt, wie er hier vorliegt, ignoriert die Reform.
Insofern ist er dazu kein Beitrag.
({3})
Das Wort hat nun Bundesminister Karl-Theodor zu
Guttenberg.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße
auf der Tribüne Soldatinnen und Soldaten des Fachsanitätszentrums in Kiel. Ich begrüße sie gerne, und ich frage
mich ein wenig, was diese Soldatinnen und Soldaten
vorhin dachten, als Sie, Frau Höger, hier Ihren Redebeitrag geleistet haben.
({0})
Unabhängig vom grundsätzlichen Niveau dieser Rede,
auf das ich gar nicht eingehen möchte, ist es schon erstaunlich, wie man sich die Freiheit nehmen kann, Menschen, die sich grundsätzlich bereit erklären, für den
Dienst an dieser Gesellschaft Leib und Leben zu riskieren, so pauschal zu beleidigen. Das ist unglaublich.
({1})
Man kann ja einen harten Streit über viele Punkte führen, über die wir zu Recht diskutieren und diskutieren
müssen, aber ein Restmaß an Anstand im Umgang darf,
glaube ich, schon noch gepflegt werden. Deswegen war
mir dieser Hinweis wichtig.
Herr Kollege Koppelin, zunächst einmal danke für die
Erwähnung: 20 Jahre Armee der Einheit. Ich glaube,
dass dieser Aspekt gar nicht stark genug hervorgehoben
werden kann. Ich würde in diesen Kontext gerne noch
jene einbeziehen, die damals neben den großen, von der
Öffentlichkeit so beachteten und zu Recht gelobten Köpfen, die das gewährleistet haben, dabei mitgeholfen haben
- im zivilen Bereich und auf allen Ebenen der Dienstgrade -, dass diese Armee der Einheit so entstehen
konnte. Hier ist ein großartiges, ein wunderbares Werk
gelungen. Ich glaube, wir können hier allgemein dafür
danken.
({2})
Von nahezu allen wurde auf die Verpflichtung hingewiesen, die wir gegenüber den Soldatinnen und Soldaten haben. Ein Aspekt, der eine zunehmend wichtige
Rolle spielt, ist: Wie können wir Grundvoraussetzungen
schaffen, um nicht nur den sichtbaren körperlichen Verwundungen unserer Soldatinnen und Soldaten, die aus
den Einsätzen heimkehren - solche sind ebenso wie Gefallene leider immer wieder zu beklagen -, sondern auch
den seelischen Verwundungen, die zunehmend eine
Rolle spielen, gerecht zu werden? Hier ist der Hinweis
wichtig, dass wir in dieser Frage nicht nachlassen dürfen
und können.
Herr Koppelin, Sie haben erwähnt, dass man teilweise
durch einen unsäglichen Wust von Bürokratie muss, bis
einem überhaupt eine Anerkennung zuteil wird. Diesen
Punkt haben wir aufgegriffen. Wir haben jetzt - wohl
wissend, dass wir in der Strukturreform noch besser werden müssen - unter der Federführung von Staatssekretär
Koppelin eine Anlaufstelle geschaffen, die helfen soll.
({3})
- Ich meinte Staatssekretär Kossendey. Habe ich
Koppelin gesagt?
({4})
Das war ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk, Herr
Koppelin.
({5})
- Wenn wir die Federführung so aufteilen könnten, wäre
das natürlich gut; aber da müsste man auch die Finanzen
beachten. Herr Kossendey macht das jedenfalls in Federführung.
Ich glaube, es ist gut, dass eine Anlaufstelle geschaffen wurde, die gerade jenen helfen soll. Aber, wie gesagt, wir müssen hier besser werden; wir müssen hier sicherlich noch einiges nachlegen.
({6})
Ich habe in Dresden deutlich gemacht, was die Bundeswehr der Zukunft und in Zukunft leisten soll. Ich
habe auch noch einmal deutlich gemacht, welche nächsten Schritte anstehen, welche Entscheidungen der Bundesregierung anstehen. Die Frage wurde hier ja gestellt
- Herr Brinkmann, Sie haben auch noch einmal darauf
hingewiesen -: Wann werden die nächsten Schritte als
Ausgangspunkt für die Umsetzung gemacht?
Das Bundeskabinett wird sich noch im Dezember dieses Jahres mit diesem Thema beschäftigen. Mit den ersten Grundfragen werden wir uns auch im Koalitionsausschuss befassen, und zwar, wie Sie gefordert haben, so
zeitnah wie möglich. Anderen geht es manchmal etwas
zu schnell, nicht wahr, Herr Arnold? Dazu werden Sie
gleich wahrscheinlich noch etwas sagen. Dann werden
wir sehen, ob das zusammenpasst: Dem einen geht es zu
schnell, der andere möchte, dass man sich so zeitnah wie
möglich damit beschäftigt. Ich glaube, wir müssen, um
zu einer möglichst sinnvollen Lösung zu kommen, verantwortungsvoll handeln und dabei das Momentum nutzen.
({7})
In diesem Jahr haben wir eine Debatte geführt - es
war gottlob eine öffentliche Diskussion, die mit und in
der Gesellschaft stattfand -, in der es um folgende Fragen ging: Was ist die Bundeswehr? Wie hat sie zukünftig
auszusehen? Wie können wir die so wichtige Brücke
zwischen Bundeswehr und Gesellschaft aufrechterhalten?
Es ist hocherfreulich, dass der Ausfluss dieser Debatte über die Parteigrenzen hinweg spürbar wurde. Dadurch dass ich in einer zugegebenermaßen sehr provozierenden Rede in Hamburg in diesem Jahr einen Bezug
zum Budget hergestellt habe, wurde diese Debatte mit
ausgelöst. Mittlerweile besteht nahezu Einigkeit darin,
dass wir künftig keine Bundeswehr nach Kassenlage haben wollen, sondern eine Bundeswehr, die sich über die
sicherheitspolitischen Herausforderungen und Erfordernisse definiert. Deswegen ist das, was vorhin zitiert
wurde, völlig richtig. Die Grundfrage lautet: Was ist uns
die Sicherheit in diesem Lande eigentlich wert? Darauf
kommt es an. Dem wollen wir gerecht werden.
({8})
Was muss eine neu ausgerichtete Bundeswehr leisten
können? Sie muss ihren Auftrag vollumfänglich erfüllen
können. Sie muss einen verlässlichen Beitrag in der Europäischen Union, im Bündnis und in den Vereinten Nationen leisten können. Sie muss ein leistungsfähiges Instrument deutscher Sicherheitsvorsorge sein, das
attraktiv ist. Der Gesichtspunkt der Attraktivität ist von
großer Bedeutung. Hier müssen wir bedeutend besser
werden, gerade vor dem Hintergrund der Entscheidungen, die wir getroffen haben. Aber auch unabhängig davon muss die Bundeswehr im Wettbewerb mit anderen
Arbeitgebern in diesem Lande so attraktiv sein, dass sie
die besten Köpfe für sich gewinnt. Das muss der Anspruch sein. Dafür werden wir uns einsetzen.
Wenn ich sage, dass wir besser werden müssen, heißt
das, auch kreative Ansätze, die vielleicht nicht so viel
kosten, zu verfolgen; dass auch dies natürlich Geld kosten wird, steht völlig außer Frage. In Dresden habe ich
bereits erste Vorschläge gemacht, die wir mit dem Haushalt, den wir im nächsten Jahr verabschieden werden,
unmittelbar realisieren können. Ich glaube, es ist ein
wichtiges Signal, nicht nur an die Soldatinnen und Soldaten, sondern auch und gerade an die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr, dass es uns mit dieser Reform ernst
ist und wir diese Reform nicht als Selbstzweck betrachten, sondern sie durchführen, um den Soldaten und den
zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr eine Perspektive zu
geben. Eine Perspektive haben sie nämlich verdient.
({9})
Neben einer Erhöhung der Attraktivität der Bundeswehr muss ihr inneres Gefüge intakt und lebendig gehalten werden. Natürlich besteht an Tagen und Monaten
wie diesen Verunsicherung. Natürlich machen sich die
Menschen Sorgen; das ist nachvollziehbar und verständlich. Gerade deswegen ist es wichtig, dass wir diesen
Prozess stringent durchführen. Wir dürfen aber, wie von
dem einen oder anderen befürchtet, nichts überstürzen.
Herr Arnold, es wird nichts überstürzt. Vielmehr werden
die einzelnen Schritte verantwortungsvoll geplant und
sinnvoll durchgeführt und die entsprechenden Gesetze
gemeinsam mit dem Parlament auf den Weg gebracht.
Wir müssen entsprechende Vorschläge vorlegen. Daraus
resultierende Verordnungen und die Novellierung bestehender Gesetze, etwa im Hinblick auf die Wehrform,
werden wir rasch erarbeiten. Einen ersten Vorschlag
werden wir im Dezember dieses Jahres vorlegen. Die
entsprechenden Eckpunkte werden folgen.
In Dresden habe ich auch meine Vorstellungen bezüglich des Gesamtumfangs der Streitkräfte zum Ausdruck
gebracht; zu diesem Thema gab es auch sehr viele Impulse aus dem parlamentarischen Bereich. Ich habe eine
Zielgröße von 180 000 bis 185 000 Soldatinnen und Soldaten genannt. Diesen Umfang kann die Bundeswehr der
Zukunft haben, wenn eine substanzielle und nachhaltige
finanzielle Unterfütterung gewährleistet ist. Das ist
wichtig und muss in diesem Zusammenhang immer wieder betont werden.
({10})
- Im Rahmen des Haushalts 2011 nehmen wir die ersten
Strukturänderungen vor, Herr Kollege Bonde. Das weitere Vorgehen werden wir schrittweise an den entsprechenden Zahlen festmachen müssen.
({11})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bartels?
Kollege Bartels, bitte sehr. - Er darf heute ja nicht reden.
({0})
Doch, jetzt. - Herr Minister, Sie haben die Ankündigung der Reform damals mit dem Spardiktat der Kabinettsklausur begründet.
({0})
Kollege Bonde hat es angesprochen: Das war mit einer
konkreten Zahl verbunden; insgesamt 8,3 Milliarden
Euro sollten in den nächsten Haushalten eingespart werden. Das wird schwierig, wenn Sie, wie angekündigt, die
Attraktivität der Bundeswehr verbessern wollen, was angesichts des Wegfalls von Grundwehrdienstleistenden
und auch aus anderen Gründen unbedingt notwendig ist,
wenn Sie das Ausscheiden von Zeitsoldaten befördern
wollen, damit Sie auf die genannten kleineren Zahlen
kommen, und wenn Sie den Umzug und Stationierungsfragen mit Geld unterlegen wollen. Durch all das wird es
nicht billiger. Stehen Sie noch zu der Zahl von
8,3 Milliarden Euro, oder ist das die Ankündigung von
gestern, und morgen gibt es eine neue?
Herr Kollege Bartels, herzlichen Dank. - Es wird
schwierig, gerade vor dem Hintergrund, dass wir im
Zuge dieser Kabinettsentscheidung den Auftrag hatten
- wir haben den Auftrag auch ausgeführt -, zu zeigen,
welche Folgen ein Abbau von bis zu 40 000 Berufs- und
Zeitsoldaten hat und wie wir zu der Ihnen bekannten Minimalzahl von 163 500 kamen. Bei der Zahl 163 500, für
die man viel beschimpft und auch verkloppt wurde, wäre
ein Zahlenrahmen, den man mit etwa 150 000 Soldaten
erreicht hätte, kaum mehr erreichbar gewesen wäre.
An der Zahl von 180 000 bis 185 000 Soldaten, von
der wir jetzt in der Diskussion ausgehen, sind die künftigen Zahlen zu messen. Darüber wird allerdings jetzt erst
zu entscheiden sein. Das geschieht zunächst in der Abstimmung zwischen den Ressorts und im Kabinett und
anschließend in den Verhandlungen mit dem Parlament.
Wenn man diese Zahl für sinnvoll hält, dann wird man
ihr gerecht werden müssen.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Bonde?
Nein, vielen Dank. Das können wir nachher noch besprechen, Herr Kollege Bonde.
({0})
In Bezug auf die Zahl von 180 000 bzw. 185 000 ist
Folgendes wichtig: Ein Mehr über diese 185 000 hinaus
müssten wir schlicht an den Realitäten messen und auch
daran, was mit Blick auf die demografische Entwicklung
in diesem Lande machbar, verantwortbar und leistbar ist.
Das ist eine Einschätzung, die wir nach intensiver Befassung in diesem Hause gewonnen haben. Hinsichtlich der
Minimalzahl, die für mich - das möchte ich noch einmal
betonen - immer das absolute Minimum war, muss man
sagen: Wir wollen im Grunde genommen keine Bundeswehr, die sich auf Minimallinien begründet, sondern
eine Bundeswehr, die tatsächlich ein breites und kluges
Fähigkeitsspektrum vorhalten und den Ansprüchen, die
ich vorhin genannt habe, gerecht werden kann.
All das erfordert insbesondere einen erheblichen Personalumbau und schließt auch Reduzierungen nicht aus
- das wurde genannt -, und zwar sowohl bei den Zeitund Berufssoldaten als auch bei den Zivilbediensteten,
bei einer bestimmten zu erreichenden Gesamtgröße. Das
kann im Grunde nur bei einer ausgewogenen Alters- und
Dienstgradstruktur gelingen. Nur so lässt sich auch die
Einsatzbereitschaft aufrechterhalten. Um beide Zielsetzungen auf sozialverträgliche Weise zu gewährleisten,
untersuchen wir neue gesetzliche, dienstrechtliche und
auch tarifrechtliche Instrumente. Dazu werde ich demnächst Vorschläge einbringen.
Zur Attraktivität habe ich mich bereits geäußert.
Wichtig erscheint mir noch Folgendes: Veränderungen
müssen dort beginnen, wo wir es früher zum Teil versäumt haben. Es kann nicht sein, dass wir die Veränderungen nur dort ansetzen, wo es möglicherweise am
leichtesten erscheint; vielmehr müssen wir im Ministerium, an der Spitze, oben beginnen, die Veränderungen
angemessen zu gestalten, und dürfen uns nicht mit dem
Ende der Stufenleiter begnügen, wo dann möglicherweise das Aussitzen als das Richtige erscheint. Wenn wir
an der Spitze, im Ministerium beginnen, können wir damit ein Zeichen setzen, dass es uns mit dieser Reform
ernst ist.
({1})
Ich bin dankbar für das Niveau der Debatte. Ich bin
dankbar für vieles, was an Impulsen eingebracht worden
ist. Wichtig ist, dass wir das, was wir jetzt gestalten, an
den Soldatinnen und Soldaten und an den zivilen Mitarbeitern ausrichten, denen noch einmal mein herzlicher
Dank gilt. Kritik an den Strukturen ist nicht Kritik an der
Leistungsbereitschaft und an der Leistungsfähigkeit der
Soldaten und der Mitarbeiter dieser Bundeswehr. Diesen
Dank und auch Applaus haben sie verdient.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort zu Kurzinterventionen haben jetzt nacheinander Kollegin Höger und Kollege Ströbele.
Herr Minister zu Guttenberg, ich verwahre mich dagegen, ich hätte alle Soldaten pauschal beleidigt.
(Dr. Andreas Schockenhoff ({0}): Natürlich! Die ganze Bundeswehr!
Ich habe aus einem Interview zitiert. Ich habe das getan,
weil ich gerade nicht möchte, dass die Soldatinnen und
Soldaten in Afghanistan die Zivilbevölkerung als potenziellen Feind betrachten.
({1})
Ich habe das getan, weil wir als Linke nur eine Möglichkeit zur Gewährleistung des Schutzes unserer Soldatinnen und Soldaten sehen, nämlich wenn Sie die Soldatinnen und Soldaten ganz schnell aus diesem Einsatz nach
Hause holen. Deshalb stimmen wir auch grundsätzlich
gegen diese Auslandseinsätze, damit wir sie nicht in Gefahr bringen.
({2})
Kollege Ströbele.
Herr Minister, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil
ich zu zwei Punkten eine Einlassung von Ihnen vermisse.
Erster Punkt. Ich gehöre diesem Parlament ja schon
länger an - schon mehrere Legislaturperioden - und
komme mir manchmal ein bisschen wie in einer Geisterdebatte vor. Deshalb erwarte ich von Ihnen, dass Sie einmal eine Erklärung dazu abgeben und sich auch bedankend dazu äußern, dass die grüne Bundestagsfraktion die
Abschaffung der Wehrpflicht in den letzten Legislaturperioden immer wieder gefordert hat,
({0})
während von allen möglichen Mitgliedern dieses Hauses
- gerade aus der Union und auch von Ihnen selbst - heftigste polemische Kritik daran geäußert worden ist. Jetzt
tun Sie so, als sei das schon immer das Gelbe vom Ei gewesen,
({1})
ohne einmal einen Augenblick zu verharren und zu sagen, warum Sie das damals ganz anders gesehen und den
Grünen Unrecht getan haben.
({2})
Den zweiten Punkt mahne ich immer wieder an. Sie
haben auch in dieser Ihrer grundsätzlichen Rede zum
Haushalt - der Verteidigungsminister spricht zum Haushalt - mit keinem Satz etwas dazu gesagt - in der Öffentlichkeit tun Sie das sonst durchaus -, was nach Ihrer
Auffassung und nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Zukunft die Aufgaben der Bundeswehr überall auf der Welt sind. Gehört dazu beispielsweise die Sicherung der Handelswege?
({3})
Gehört dazu beispielsweise die Sicherung der Rohstoffzufuhr? Gehört dazu beispielsweise die Sicherung von
Arbeitsplätzen in Deutschland, wie Sie das als Verteidigungsminister bei der Tagung, über die Sie berichtet haben, angedeutet haben?
Bitte sagen Sie mir doch, zu welcher Tagung ich hingehen und welche Zeitung ich lesen muss, damit ich darüber informiert werde, was der Bundesverteidigungsminister zu diesen Fragen zu sagen hat.
({4})
Herr Minister, Sie haben die Gelegenheit zur Antwort.
Herr Kollege Ströbele, ich bedanke mich dafür, dass
Sie den Begriff „Geisterdebatte“ mit Leben füllen.
({0})
Ich darf nur noch einmal darauf hinweisen, dass es
sich lohnt, beispielsweise das Papier des Generalinspekteurs zu lesen, auf das ich oft Bezug genommen habe.
Darin wird genau dieses Spektrum offengelegt.
Sie sagen, Sie lesen und bekommen in der Öffentlichkeit mit, was ich tatsächlich damit gemeint habe. Gleichzeitig fragen Sie mich, in welche Veranstaltungen Sie
kommen und welche Zeitung Sie lesen müssen, um zu
erfahren, was ich gemeint habe. Das ist zumindest ein
kleiner Widerspruch.
Ich habe Ihnen nach Ihrer letzten Kurzintervention
auf diese Frage geantwortet.
({1})
Ich hoffe, dass Ihr Gedächtnis zumindest für diese drei
Wochen ausreicht.
({2})
Meine Antwort war relativ ausführlich, Herr Ströbele,
und auf die will ich noch einmal Bezug nehmen.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Kollege Rainer Arnold für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, die Antwort, die Sie gerade gegeben haben, zeigt ein bisschen das Problem auf. Sie machen sich
nicht die Mühe, Politik wirklich zu erklären. Sie sorgen
für eine schnelle Überschrift, statt den Menschen zu sagen, was gemeint ist. Das fehlt.
({0})
Sie haben Herrn Ströbele weder heute noch in der letzten
Debatte präzise geantwortet. Ich möchte das einfach einmal festhalten.
Ich glaube, dass Sie mit Ihren auch heute wieder
wohlgesetzten schönen Worten weit von der augenblicklichen Wirklichkeit der Bundeswehr entfernt sind. Die
Schere geht sehr weit auseinander. Wer heute die Truppe
besucht und den Bericht des Wehrbeauftragten liest, in
dem auf 55 Seiten gravierende Mängel aufgezeigt sind,
der muss doch wirklich feststellen, dass wir aktuell sehr
ernste Probleme haben.
Es gibt Soldaten, die im Einsatz auf Material warten,
und es werden Übungen abgesagt, weil das Geld nicht
zur Verfügung gestellt wird und ein Omnibus nicht bezahlt werden kann. Überall, wo wir hinkommen, gibt es
ernsthafte Sorgen.
Herr Minister, es sind Ihre Probleme. Es ist Ihre Verantwortung. Das haben wir Ihnen schon zu Beginn des
Jahres gesagt, als der jetzige Haushalt verabschiedet
wurde. Die fehlenden 500 Millionen Euro schlagen jetzt
im Truppenalltag durch. Herr Koppelin, es ist schon interessant, wie weihevoll Sie sagen: erst der Mensch und
dann das Material. - Sie waren Auslöser dieses ernsthaften Problems. Sie haben es zu verantworten, und der
Minister hat es akzeptiert.
({1})
Im nächsten Jahr wird es nicht besser. Der Kollege
Brinkmann hat die ernste Situation im Haushalt des Einzelplans 14 eindrucksvoll dargestellt. Herr Koppelin hat
sich bei ihm für die gute Zusammenarbeit bedankt. Dies
möchte auch ich tun, weil ich gesehen habe, dass sozialdemokratische Haushälter verantwortungsvoll mit den
Menschen bei der Bundeswehr umgehen. Herr Koppelin,
noch besser wäre es gewesen, wenn Sie, statt meinem
Kollegen zu danken, seinen Vorschlägen gefolgt wären.
Die waren nämlich immer seriös gegenfinanziert.
({2})
Die entscheidende Frage ist aber: Wie geht es langfristig mit der Bundeswehr weiter? Jeder Fachpolitiker
wusste, dass das Jahr 2010 einen weiteren Schritt bedeuten muss, was Transformation und neue Antworten verlangt. Angesichts der Entwicklung dieser Debatte in den
letzten Monaten könnten Sozialdemokraten eigentlich
zufrieden sein, weil Sie, Herr Minister, und die Koalition
sich in vielen wichtigen Punkten exakt auf das zubewegt
haben, was sozialdemokratische Fachpolitiker seit mehreren Jahren formuliert haben. Wir könnten zufrieden
sein
({3})
- langsam; die wissen ja, dass noch etwas kommt, Herr
Kollege -, wenn sich der Herr Minister nicht allzu sehr
in der Rolle des Durchmarschierers gefallen würde nach
dem Motto: schnell, stramm und dann am Ende leider
auch schlecht und falsch.
Sie haben von einem Zwiespalt in Bezug auf das
Tempo gesprochen: Wie schnell soll es gehen? Ist es zu
hektisch oder zu langsam? - Zunächst sollte man nachdenken, sich mit den Ressorts und dem Parlament abstimmen und konzeptionelle Vorarbeiten im Haus leisten;
({4})
dann kann man ankündigen und umsetzen. Sie, Herr
Minister, kündigen zuerst an. Ihr Stil, vorzupreschen und
dann hektisch wichtige Details nachzubessern und im
Nachhinein Gesetzesarbeit zu leisten, führt nun einmal
zu Fehlern.
Einen haben wir doch alle in diesem Sommer erlebt.
Die kurzfristige Einführung der W 6, der sechsmonatigen Grundwehrzeit, war ein gravierender Fehler mit fatalen Folgen für die Bundeswehr und die jungen Menschen.
({5})
Wenn Sie jetzt über die Aussetzung der Wehrpflicht
reden, ist das auch so ein Fall. Sozialdemokraten haben
das so ähnlich schon vor drei Jahren gefordert. Aber Sie
verspielen die Chance, einen gesellschaftlichen Konsens
hinzubekommen, indem Sie eine Insellösung für das
Verteidigungsministerium anstreben, das gesellschaftliche Projekt der Jugendfreiwilligkeit nicht stützen und
am Ende möglicherweise nur einen preiswerten Zeitsoldaten suchen. Das entspricht nicht unseren Vorstellungen.
Ich habe die große Sorge, dass auch auf der anderen
Seite, beim Zivildienst, nicht genügend an Vernetzung
gedacht wird und dass etwas Neues, Eigenständiges entsteht, statt dass eine Verknüpfung mit den guten vorhandenen Jugendfreiwilligendiensten geschaffen wird. So
machen Sie die richtige und gute Idee am Ende kaputt.
Lassen Sie mich auf den Zeitpunkt zu sprechen kommen. Sie haben es angesprochen. Die Träger des Zivildienstes, die Soldaten in der Truppe und viele andere,
auch im Parlament, wüssten nun wirklich schon gern,
wann es losgehen soll. Es hat gravierende Folgen, wenn
die jungen Menschen ab dem 1. Juli nächsten Jahres
nicht mehr zur Verfügung stehen. Schließlich haben sie
in der Vergangenheit etwas geleistet. Das Datum 1. Juli
wurde immer wieder genannt. Damit sind Sie wieder
vorgeprescht. Die Kanzlerin hat Bedenken in Bezug auf
Studienplätze, auf anständige Vorbereitung und Alternativen geäußert, die zu Recht bestehen.
Herr Minister, Sie sollten sich wirklich die Zeit nehmen, solche Fragen abzuklären, bevor Sie an die Öffentlichkeit gehen. Sonst werden die Reformen schlecht, und
die gesellschaftliche Chance, Sozialdemokraten im
Grundkonsens hinsichtlich der Sicherheitspolitik zu halten, zerstören Sie am Ende auch.
Ähnliches gilt für den Umfang der Streitkräfte. Auch
hier bewegen Sie sich auf die Vorschläge der Sozialdemokraten zu. Die Zahl von 185 000 Soldaten liegt nahe
bei dem, was wir für notwendig halten. Wir sollten aber
nicht vergessen: Begonnen hat es in der Tat anders. Sie
sagen manchmal, der Generalinspekteur habe diesen
Vorschlag gemacht. Nein, Sie haben ihm den Auftrag
dazu erteilt. Das ganze Kabinett hat gesagt, er solle
8,3 Milliarden Euro einsparen und 40 000 Stellen bei
den Zeit- und Berufssoldaten streichen.
Nun haben Sie eine Korrektur vorgenommen, obwohl
es ursprünglich durchaus ein Modell war, das Sie mit einer Präferenz versehen hatten. Ich finde es spannend,
dass der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt
über die Streitkräfte keinen eigenständigen seriösen Vorschlag zum Umfang macht, sondern ihm durch Parteitage und das Parlament gesagt werden muss, wie verantwortungsvoll mit der Bundeswehr zu verfahren ist. Dies
ist doch nicht das Vorgehen eines Ministers, der es mit
der Sicherheitspolitik ernst meint.
({6})
Die sicherheitspolitische Begründung fehlt nach wie
vor, vor allen Dingen in einem Bereich: Es wird nicht
genügend darüber gesprochen und reflektiert, welche
Chancen zurzeit in der europäischen Debatte liegen. Es
gibt ein offenes Zeitfenster. Alle Europäer müssen sparen. Wer, wenn nicht das große Land Deutschland mit
seinen Vorstellungen, soll die europäische Idee einer
stärkeren Verzahnung der Streitkräfte voranbringen?
Weder der Außenminister noch der Verteidigungsminister bringen entsprechende Impulse in die europäische
Politik ein. Das ist schade. Damit wird eine große
Chance verspielt.
({7})
Wenn wir gerade über europäische Fähigkeiten reden,
Herr Minister: Wir werden gegen alles andiskutieren,
was bei der zukünftigen Reform die europäischen Fähigkeiten beschneidet. Dazu gehört, dass das Heer auch im
Sinn eines Großverbandes Bündnisverteidigung leisten
muss, damit die osteuropäischen Staaten Vertrauen in die
europäische Sicherheitspolitik finden. Dazu gehört eine
Marine, die eben nicht auf Kante genäht werden darf,
wie es gelegentlich zu hören ist. Dazu gehört, dass die
Zahl der Transporthubschrauber eben nicht so stark reduziert wird, wie es derzeit manche von Ihnen planen.
Dazu gehört, dass das Operation Headquarter bzw. das
Kommando Operative Führung auch europaweit zur
Verfügung stehen kann und vieles andere mehr.
Deshalb fordere ich Sie auf, Herr Minister: Stoppen
Sie diese Planungen! Stoppen Sie den gesamten Prozess,
und machen Sie endlich verlässliche Vorgaben, die den
Planern auf der militärischen Seite eine solide Basis für
die zukünftige Gestaltung der Bundeswehr bieten.
Weiter liegen Vorschläge der Weise-Kommission
vor. Sie enthalten viel Sinnvolles, was die Straffung des
Ministeriums betrifft. Manches darin ist aber auch
falsch, vor allen Dingen das grundlegende ökonomisierte Denken. Streitkräfte sind etwas anderes als ein
Wirtschaftsbetrieb. Sie brauchen Vorsorge, RedundanRainer Arnold
zen und Reserven. Sie haben vorhin die Sanitätssoldaten
angesprochen. Sie brauchen keine Vorschläge, die nur
Scheinlösungen sind. Wir bekommen nicht dadurch
mehr Ärzte, dass wir den Sanitätsdienst der Streitkräftebasis zuordnen. All diese Punkte sind im Vorschlag der
Weise-Kommission nicht sehr gut geregelt.
Herr Minister, unser Wunsch lautet: Sortieren Sie sehr
sorgfältig, und teilen Sie der Truppe mit, dass das Konzept nicht vorsieht, alles zu verändern. Sie sollten der
Truppe auch einmal sagen: Vieles, was ihr leistet, leistet
ihr gut. Das gilt es zu bewahren und weiterzuentwickeln.
({8})
Dann erst reden wir darüber, was verändert werden
muss.
Letzten Endes bleibt es dabei: Der Umbau der Bundeswehr ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite
ist die Finanzierung. Sie sind der Frage vorhin ausgewichen. Die Kanzlerin hat in Dresden auf die Frage von
Journalisten gesagt: Es bleibt bei der finanziellen Vorgabe. Das ist eindeutig. Sie, Herr Minister, haben im
September dieses Jahres in Ihrer Hauspostille gesagt: Es
gibt keine Armee nach Kassenlage. Im Mai dieses Jahres
haben Sie sich selbst dafür gelobt, dass man bei den
Streitkräften endlich nach der Kassenlage vorgeht.
Wissen Sie, was das Schlimmste ist? Im Augenblick
machen Sie Reformen ohne Kassenlage, freischwebend
ohne Bezug zum aktuellen Haushalt, ohne Bezug auch
zur mittelfristigen Finanzplanung. Den Soldaten der
Streitkräfte und den Zivilbeschäftigten haben wir in den
letzten acht Jahren bei Reformen schon sehr viel abverlangt. Vertrauen in weitere Reformschritte werden die
Soldaten nur behalten, wenn sie sehen, dass die Reform
materiell unterfüttert ist.
Angesichts der mangelnden finanziellen Untermauerung der Reform empfinde ich es als hämisch, wenn
nicht gar zynisch, wenn Frau Merkel vorgestern bei der
Kommandeurstagung den Soldaten entgegenruft, sie
wünsche ihnen viel Spaß bei der weiteren Veränderung.
So darf man mit den Menschen bei der Bundeswehr
nicht umgehen.
({9})
Die größte Herausforderung bleibt aber die Attraktivität des Dienstes. Auch hier gilt: Wenn wir das ernst
nehmen, dann reicht es nicht, wenn man es in Sonntagsreden erwähnt. Wir sind sehr dafür, dass das Parlament
in Zukunft mit einem Unterausschuss die Attraktivitätssteigerungen begleitet, die Regierung auch drängt.
Herr Minister, die Menschen bei der Bundeswehr
leisten verantwortungsvoll ihren ernsten, manchmal
auch gefährlichen Dienst. Deshalb verdienen sie einen
Dienstherrn, der nicht ständig über Wahrheit und Klarheit redet, sondern danach handelt und jetzt sagt, was
kommen wird. Sie verdienen allerdings auch mehr als
wohlfeile Versprechungen. Es kann nicht sein, Herr
Minister, dass ihnen im selben Atemzug das versprochene Weihnachtsgeld wieder gestrichen wird. Das ist
Teil der Politik dieser Koalition. Dies zerstört Vertrauen
bei den Menschen, die für uns alle diesen schweren
Dienst leisten.
({10})
Die Bundeswehr braucht einen Minister, der sich für
ihre Belange einsetzt, sich um sie kümmert. Am Ende,
Herr Minister, wird deutsche Sicherheitspolitik nur gelingen, wenn der zuständige Ressortchef auch streitbar
für eine angemessene finanzielle Ausstattung eintritt und
etwas erreicht. Herr Minister, am Ende wird die Reform
nur gelingen, wenn sie finanziell unterlegt ist. Ihr Erfolg
oder auch Misserfolg wird auch daran gemessen, was
Sie diesbezüglich in den nächsten Jahren erreichen. Unsere Unterstützung, Positives für die Bundeswehr zu bewegen, werden Sie haben. Dort, wo dies nicht gelingt
und wo es nicht seriös untermauert ist, werden wir es so
kritisieren, wie es notwendig ist.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun die Kollegin Elke Hoff für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Einschätzung, die Herr Kollege
Arnold hier gerade in bester Oppositionsmanier vorgetragen hat, kann ich überhaupt nicht teilen. Ganz im Gegenteil, Herr Arnold, ich finde, dass der Minister genau
das gemacht hat, was wir als Parlament von ihm erwarten können. Er hat uns gesagt, was angesichts der demografischen Verhältnisse in Zukunft auf die Bundeswehr
zukommt, was möglich ist und was nicht möglich ist. Er
hat uns auch, wie es sich für einen verantwortungsvollen
Minister gehört, dargelegt, was in diesem Zusammenhang machbar ist.
Ich darf Sie an dieser Stelle daran erinnern, dass die
Väter und Mütter unserer Verfassung uns die Verantwortung übertragen haben. In Art. 87 a des Grundgesetzes
steht eindeutig, dass für Umfang und Struktur der Bundeswehr der Haushalt entscheidend ist. Das heißt, dass
das Parlament darüber entscheidet. Ich finde, das ist ein
Punkt, den man an dieser Stelle sehr deutlich zum Ausdruck bringen muss.
({0})
Sie haben eben für die Sozialdemokratische Partei reklamiert, dass sich der Minister, was den Umfang angeht, auf die Vorstellungen Ihrer Partei zubewegt. Ich
darf daran erinnern, dass sowohl die CDU/CSU-Fraktion
als auch meine Fraktion, die FDP, einen Umfang festlegen möchten, der in Zukunft den Anforderungen an die
Streitkräfte vor dem Hintergrund des demografisch
Möglichen gerecht wird. Ich glaube, das ist ein Punkt,
den wir heute viel zu wenig beleuchtet haben. Was nützt
es, wenn wir mit Zahlen operieren, die wir nachher nicht
unterlegen können?
({1})
Die Truppe hat Klarheit verdient, und in dieser Klarheit müssen wir ihr sagen, dass sich Fähigkeiten zukünftig daran orientieren müssen, was machbar ist, aber auch
daran, was sicherheitspolitisch verantwortbar ist. Auch
diesbezüglich hat diese Bundesregierung ganz deutlich
gesagt, wie sie sich die Zukunft der Bundeswehr vorstellt.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Reform steht
aus verschiedenen Gründen an. Ich bin sehr froh, dass
wir - durch eine sehr gute Debatte übrigens - davon
weggekommen sind, Sicherheitspolitik nach Kassenlage
zu machen. Das haben auch Sie gefordert. Dann müssen
wir jetzt aber auch dazu stehen und dürfen es dem Minister nicht vorwerfen, wenn er Einsparziele, die die Bundesregierung uns als Vorschlag unterbreitet, letztendlich
nicht erfüllt. Es ist und bleibt unsere Verantwortung, darüber zu entscheiden, in welcher Größenordnung die
Streitkräfte ihre Aufgabe wahrnehmen.
({3})
Bei einer Reform sozusagen bei laufendem Motor - da
sitzen wir alle in einem Boot, weil wir gemeinsam die
Streitkräfte in die Auslandseinsätze geschickt haben müssen wir besonders Rücksicht darauf nehmen, die Ansprüche zu erfüllen.
Das, was heute insbesondere im Bereich der Fürsorge
für unsere verwundeten Soldaten dargestellt wurde,
wurde gemeinsam von der Bundesregierung und den
Oppositionsfraktionen mit Ausnahme der Linken auf
den Weg gebracht. Deswegen verdienen diese Bundesregierung und insbesondere der Minister unsere Unterstützung.
Es gibt eine saubere Definition der zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr. Es ist klar und deutlich, dass
Krisenverhütung und Krisenprävention nach wie vor
die vorrangige Aufgabe der Bundeswehr sind. Sie muss
auch in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe wahrzunehmen. Natürlich gibt es Defizite, die zu beseitigen
sind. Aber eine solche Geschwindigkeit, mit der Minister zu Guttenberg gemeinsam mit uns in diesem Jahr an
die Aufgaben herangegangen ist, habe ich in den letzten
vier Jahren, als wir in der Opposition waren, nicht erlebt.
Dabei war die damalige Lage ähnlich schwierig. Ich
bitte daher darum, die Kirche im Dorf zu lassen. Ich
glaube, dass wir Ende bzw. Mitte nächsten Jahres unseren Soldatinnen und Soldaten Klarheit darüber verschaffen können, wie es weitergeht. Das war eine Forderung.
Diese werden wir erfüllen. Ich bin sehr froh, dass der
Kollege von der SPD - mir hat sehr gut gefallen, was Sie
heute vorgetragen haben - deutlich gemacht hat, dass
auch die Sozialdemokraten bereit sind, die notwendige
Verantwortung in diesem wichtigen Prozess zu übernehmen.
Ich möchte an dieser Stelle im Namen meiner Fraktion den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums der Verteidigung, den Soldatinnen und Soldaten sowie dem Minister sehr herzlich dafür danken,
dass endlich begonnen wird, den Reformstau, der das Ergebnis von vielen Jahrzehnten Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist, zu beseitigen. Am Ende der Reise werden wir genauso wie heute stolz auf unsere Streitkräfte
sein.
Vielen Dank.
({4})
Omid Nouripour hat das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als die
Bundeskanzlerin am Montag davon sprach, dass die
Truppe endlich Spaß an der Veränderung empfinden
müsse, musste ich an Helmut Kohl denken. Helmut Kohl
hat 1993 ein Unwort, ein Wortungetüm geprägt, nämlich
das vom kollektiven Freizeitpark. Ich glaube, dass
diese Auffassung von unserer Bundeswehr das falsche
Verständnis ist. Ich finde, dass man mit unserer Bundeswehr so nicht umgehen kann. Im Übrigen bin ich der
Meinung, dass man das Unwort „kollektiver Freizeitpark“ assoziiert, wenn man den Bericht der Weise-Kommission liest und sich die dort beschriebenen Zustände
im Verteidigungsministerium vor Augen führt. Natürlich
brauchen wir Veränderungen; das steht außer Frage. Entscheidend ist aber die Herangehensweise.
Herr Minister, Sie haben in Dresden mit großem Pathos Veränderungen eingefordert. Sie wollen „die selbst
auferlegten bürokratischen Fesseln“ sprengen. Sie wollen sich „auf die gemeinsame Führungsphilosophie besinnen“. Sie sind nicht angetreten, „um auf halber Wegstrecke stehen zu bleiben“. Sie fordern eine „Kultur der
Transparenz, des Vertrauens und der Offenheit“. Abgesehen von dem Pathos und der Ergriffenheit, die diese
Worte zum Ausdruck bringen, frage ich mich, was danach kommt. Ich sehe erst einmal nicht so viel. Die Reihenfolge Ihrer Strukturveränderungen macht keinen
Sinn. Zuerst müsste über die Aufgaben geredet und eine
Aufgabenkritik vorgenommen werden. Dann müsste
über die Strukturen geredet werden. Daraus ergibt sich
im Übrigen von selbst die Gesamtgröße. Schließlich
kann man über die Standorte reden. Aber Sie machen
das anders. Sie reden zuerst über die Wehrpflicht und
nehmen einen ganz tiefen Einschnitt mit W 6 vor. Dann
soll nach Ihrer Vorstellung irgendwann einmal - kein
Mensch weiß, wann genau - die Wehrpflicht ausgesetzt
werden. Dann reden Sie über die Gesamtgröße und die
Standorte. Am Ende des gesamten Prozesses soll noch
ein Weißbuch kommen. Das alles macht überhaupt keinen Sinn.
({0})
Sie haben die gesamte Reform auf den Kopf gestellt
und haben sich vor allem um eine Aufgabenkritik herumgedrückt. Sie haben sehr viele große Überschriften
produziert. Manche waren sehr fragwürdig. Sie haben
beispielsweise im Dezember letzten Jahres davon gesprochen, Auslandseinsätze müssten eine Selbstverständlichkeit für unsere Gesellschaft werden. Lassen Sie
sich von mir, von jemandem, der seine Kindheit in einem Kriegsgebiet verbracht hat, sagen: Militärische Einsätze dürfen und sind zu keiner Zeit und in keinem Land
der Welt eine Selbstverständlichkeit. Das sollten sie niemals sein.
({1})
Das Problem ist, dass Sie das Kleingedruckte außer
Acht lassen. Kollegin Hoff hat gerade davon gesprochen. Wir müssen doch jetzt alle über diesen Etat befinden. In diesem Etat finde ich die Reform nicht wieder.
Gerade auf den letzten Drücker wurde W 6 erwähnt. Ich
finde aber keinen Ansatz für eine Reform der Bundeswehr. Herr Minister, Sie haben in Dresden einige Veränderungen genannt, die zum 1. Januar in Kraft treten sollen. Alle anderen Bereiche, die zu etatisieren sind und
die man finanzieren muss, finde ich in diesem Haushalt
nicht. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie Sie das
finanzieren wollen. Ich weiß nicht, wie Sie das unter Berücksichtigung der Grundsätze der Haushaltswahrheit
und Haushaltsklarheit in Zahlen gießen wollen. Als ich
im Ausschuss nachgefragt habe, war die Antwort sinngemäß: Unmöglich ist es nicht, dies mit diesem Einzelplan hinzubekommen. - Eine solche Antwort trägt nicht
unbedingt zu einer Kultur des Vertrauens bei. Es wäre
transparenter, wenn Sie sagen würden, dass Sie eine
große Reform machen wollen. Das aber tun Sie nicht.
Sie fangen im Übrigen erst im Jahr 2012 an; denn die
Entscheidungen, die zentral für die Strukturreform der
Bundeswehr sind, werden frühestens zwei bis drei Monate gefällt, nachdem der Haushalt vom Hohen Haus beschlossen worden ist.
Sie legen eine Zahlenlotterie vor, die nicht nur ich,
sondern auch viele andere nicht verstehen. Sie bedenken
nicht, dass hinter all den Zahlen, die genannt werden,
Menschen und ihre Familien stehen. Erst haben Sie eine
Zahl von 163 500 Soldaten genannt, dann haben Sie zwischenzeitlich auf einer Wahlkampfveranstaltung in
Rheinland-Pfalz die Zahl von 190 000 für sympathisch
erklärt, jetzt sind wir bei 185 000. Der einzige Grund,
warum die Menschen nicht erkennen, dass aus diesem
Wirrwarr am Ende möglicherweise nur ein Reförmchen
herauskommt - dabei könnte das wirklich eine große Reform werden -, ist, wenn Sie mich fragen, die Tatsache,
dass die Sozialdemokraten weiterhin so unglaublich
strukturkonservativ argumentieren. Sie wollen auch jede
noch so kleine Veränderung nicht mittragen. Das führt
dazu, dass Sie hier den großen Reformator spielen können. Das hat aber mit einer Bundeswehrreform nicht viel
zu tun.
Ich frage mich, ob der Anspruch, den Sie formuliert
haben, nämlich dass jetzt eine tiefe Zäsur gemacht werden muss, mit der Himmeroder Denkschrift, die Sie
selbst in Dresden zitiert haben, vereinbar ist. Sie haben
aus dem wichtigen Grundsatzdokument einen Satz zitiert, nämlich die Frage: Wofür Streitkräfte? - In dem
Augenblick, in dem Sie die Strukturen der Bundeswehr
von den großen Veränderungen, die es in der NATO und
in der EU gibt, abkoppeln und die Bundeswehr komplett
neu aufstellen, stellt sich diese Frage am Ende nicht
mehr. Das Weißbuch, das Sie uns letztlich vorlegen
werden, ist ausschließlich eine Abbildung der Fakten,
die Sie vorher geschaffen haben, und hat deshalb - das
kann ich schon jetzt sagen - seinen Namen nicht mehr
verdient.
({2})
Deshalb vergeht mir der Spaß. Der Kollege Arnold
hat völlig zu Recht gesagt, dass der Spaß aufhört, wenn
ein Versprechen gebrochen wird. So wird zum Beispiel
das Weihnachtsgeld gestrichen, obwohl es versprochen
worden ist. Stattdessen wird das Geld für den A400M
verpulvert.
({3})
Das muss man leider so sagen. Das ist Ihr A400M; denn
Sie hätten im März dieses Jahres die Möglichkeit gehabt,
aus dem Projekt auszusteigen. Ich erkenne keinen Freizeitpark, sondern ich erkenne viele bunte Luftballons.
Vor allen Dingen liegt hier ein Haushalt vor, der mit
Wahrheit und Klarheit nichts zu tun hat. Darüber täuscht
auch Ihre Rhetorik nicht hinweg. Deshalb können wir
gar nicht anders, als ihn abzulehnen.
({4})
Robert Hochbaum hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit der ersten Lesung zum Haushalt 2011 im
September hat sich in der verteidigungspolitischen Debatte bekanntlich einiges getan. Die Ergebnisse der
Strukturkommission liegen vor, die Aussetzung der
Wehrpflicht ist in greifbare Nähe gerückt, und die Zahlen zum Umfang der Bundeswehr nehmen immer deutlichere Konturen an. An dieser Stelle möchte ich es nicht
versäumen, unserem Minister recht herzlich für seine
klare, zielorientierte wie auch zügige Vorgehensweise zu
danken.
({0})
Jetzt ist es wichtig, die Vorschläge der Kommission
klug zu bewerten, sie reibungslos umzusetzen und gegenüber allen Missmutigen und Nörglern den Beweis
anzutreten, dass die Reform der Bundeswehr nicht ausgesessen wird, sondern dass die begonnene Aufgabe erfolgreich zu Ende gebracht wird.
({1})
- Warten wir es ab, Sie werden es sehen. Das Ziel ist klar - der Minister hat es zur Kommandeurtagung in Dresden auf den Punkt gebracht -:
Unsere Bundeswehr muss noch professioneller,
noch schlagkräftiger, noch moderner und attraktiver
werden …
Damit komme ich zu einem Punkt, der sich seit der
ersten Lesung leider nicht geändert hat: Wieder sind
deutsche Soldaten in Afghanistan schwer verwundet
worden. Ich meine, man kann gar nicht oft genug darauf
hinweisen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten tagtäglich unter Einsatz ihres Lebens für unsere Sicherheit sorgen, für die Sicherheit aller Menschen in unserem Land.
Ich glaube, wir alle - Frau Höger, ich nehme Sie gerne
aus - sind ihnen dafür zu tiefstem Dank verpflichtet.
({2})
Gerade vor diesem Hintergrund ist es gut und richtig,
ihre Ausrüstung einer ständigen Prüfung zu unterziehen.
Sie müssen optimal geschützt sein, und wir müssen ihnen diejenige Ausrüstung und diejenigen Waffen zur
Verfügung stellen, die sie dringend benötigen.
Da wir uns in der Haushaltsdebatte befinden, möchte
ich auf das Verhältnis zwischen Sicherheitspolitik und
Kassenlage eingehen. Richtig ist - Herr Minister hat es
ausgeführt -: Wir machen keine Sicherheitspolitik nach
Kassenlage. Aber richtig ist auch: Wir werden die Kasse
dabei auf jeden Fall fest im Blick behalten. Denn gerade
wenn wir auch in anderen Ressorts Einsparungen vornehmen müssen - der Sozialbereich wurde schon angesprochen -, darf der Verteidigungsbereich nicht außen
vor bleiben. An der Einhaltung der gesetzlich verankerten Schuldenbremse, der Verantwortung für unsere zukünftigen Generationen und der damit verbundenen
Haushaltsdisziplin müssen nämlich auch wir mitarbeiten.
Was meine ich aber genau mit Sparen? Es geht uns
nicht um Sparen um des Sparens willen, vor allem, wenn
es um unsere Soldaten im Einsatz geht, sondern um einen effizienten Einsatz der zur Verfügung stehenden
finanziellen Mittel. Die Schlüsselwörter dabei sind Effizienz, Effektivität und Einsatzorientierung. Dass da noch
ein wenig Nachholbedarf besteht, das müssen wir jetzt
leider bei manchen großen Beschaffungsvorhaben
schmerzlich erkennen. Sie wurden schon vor vielen Jahren mit Verträgen auf den Weg gebracht - ich will hier
nicht anmerken, von wem ({3})
- ich bin ja fair -, die, vorsichtig ausgedrückt, schon eine
gewisse Verwunderung auslösen können. Diese Vorhaben binden nicht nur viel Geld, nein, dringend im Einsatz benötigt, stehen sie immer noch nicht zur Verfügung, was noch viel schlimmer ist.
An uns ist es jetzt - ich sage es noch einmal -, mit
Fingerspitzengefühl die vor vielen Jahren getroffenen
Entscheidungen und geschlossenen Verträge, wenn
rechtlich überhaupt noch möglich, an unsere Kriterien
von Effizienz, Effektivität und Einsatzorientierung anzupassen. Was zukünftige Vertragswerke anbelangt, so haben wir mit diesen Verträgen Beispiele, wie man es eben
nicht machen sollte. Ich bin mir sicher, dass wir in Zukunft mit diesem Verteidigungsminister, mit der Politik
einer nachhaltigen Preis-Leistungs-Maxime und einem
nachhaltigen und realistischen Projektmanagement derartige Miseren verhindern werden.
Abschließend ein weiterer Blick in die Zukunft. Ich
habe eben von Beschaffungsprozessen, Reformbemühungen und Einsatzorientierung gesprochen. Dies alles
ist jedoch nur Schall und Rauch, wenn wir es parallel
dazu nicht schaffen, den Dienst in der Bundeswehr attraktiv zu gestalten; das wissen wir alle. Dies gilt im Besonderen für einen zukünftigen freiwilligen Dienst. Um
es auf den Punkt zu bringen: Attraktivität ist der Schlüssel zum Erfolg der Bundeswehr der Zukunft. Dabei muss
sie - das ist besonders wichtig - für alle Bereiche der
Gesellschaft interessant bleiben. Viele Vorschläge wurden bereits gemacht. Sie sind zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen. Wir sollten in diesem Zusammenhang
die bereits seit längerer Zeit im Raum stehende eigene
Besoldungs- und Versorgungsordnung für Soldatinnen
und Soldaten erneut debattieren. Ich glaube, dass sie gerade unter den Aspekten „besondere Situation in den
Einsätzen“ und „Attraktivität der Truppe“ eine entscheidende Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft
wäre.
Sehr geehrte Damen und Herren, „Verantwortung verpflichtet!“, hat der Minister in Dresden gesagt. Scheuen
wir uns nicht davor, sondern haben wir Mut - nicht
Spaß, Herr Arnold - und Freude an der Gestaltung.
Herzlichen Dank.
({4})
Ernst-Reinhard Beck hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Arnold, Sie haben der Bundeskanzlerin Zynismus vorgeworfen. Leider waren Sie
in Dresden nicht dabei. Ich glaube, dass dies das Letzte
ist, was man einer Kanzlerin vorwerfen kann, die zu einer Bundeswehrtagung geht und dort ein Signal setzt,
dass die Regierungschefin zu ihren Soldaten, zu ihrem
militärischen Führungspersonal steht. Es war im Grunde
genau das Gegenteil von dem, was Sie jetzt gesagt haben. Wenn Sie mit den Leuten - Sie waren leider nicht
da - gesprochen hätten, hätten Sie als Reaktion mitbekommen, dass sie es genauso empfunden haben, wie ich
es gerade dargestellt habe.
({0})
Die Ausführungen des Kollegen Nouripour sind in
dieselbe Richtung gegangen. Sie haben nur den Stil des
Ministers kritisiert. Etwas anderes war es ja nicht, als Sie
sagten, wir könnten eigentlich zufrieden sein. Dazu
würde ich sagen: Seien Sie zufrieden. Inhaltlich habe ich
hier sehr wenig Differenzen in Bezug auf das festgestellt, was in der Zukunft an neuen Konzepten für die
Bundeswehr da ist.
Ernst-Reinhard Beck ({1})
Herr Kollege Nouripour, Sie haben versucht, hier darzustellen, dass der Minister keine Aufgabenkritik vorgenommen hat. Das ist einfach nicht richtig. Was ist
denn im Ministerium passiert? Es gab ein Analysedefizit. Jede der Teilstreitkräfte hat gesagt, wo die entsprechenden Mängel sind. Wir haben eine sicherheitspolitische Analyse des Generalinspekteurs. Und wir haben
eine Strukturkommission eingesetzt, die Vorschläge auf
den Tisch gelegt hat. Was wollen Sie eigentlich noch an
Vorarbeiten machen?
Ich sage Ihnen noch eines: Der Minister hat den ganzen Sommer über - in jedem Landesvorstand, in jeder
Zeitung bzw. in jedem Presseorgan - für seine Reform
argumentiert und gekämpft. Im Grunde ist das also wirklich nachträgliche Miesmacherei, was Sie hier machen.
Das tut mir außerordentlich leid.
({2})
Meine Kolleginnen und Kollegen, der Einzelplan 14
ist aus gutem Grund aus der Spargeschichte herausgehalten worden; denn es ist doch klar: Wir erleben in diesen
Tagen, dass die Bedrohung für unser Land keineswegs
abstrakt oder unwahrscheinlich, sondern sehr konkret und
spürbar ist. Ich darf darauf hinweisen, dass es die vorrangige Pflicht des Staates ist und bleibt, seine Bürgerinnen
und Bürger möglichst vor den anstehenden Gefahren zu
schützen. Die finanzielle Ausstattung von Sicherheitsstrukturen ist - darüber besteht ja auch Konsens - die
Voraussetzung für eine effiziente Gefahrenabwehr. Aus
diesem Grunde ist eine solide Finanzierung in diesem Bereich unabdingbar. Da sind wir ja beieinander. Ich meine
im Gegensatz zu den Rednern der Opposition, dass dieser
Haushalt - auch vor dem Hintergrund, dass natürlich das
Schlüsseljahr 2011 für die Zukunft der Reform wichtig
ist - dem weitgehend Rechnung trägt.
Es war, meine ich, im Hinblick auf die finanzielle
Seite - sie ist auf fünf bis sieben, vielleicht auch auf acht
Jahre angelegt - ein Fehler, zu sagen: Es wird auf das reduziert, was im nächsten Jahr ansteht. Das ist nicht seriös, vielmehr müssen wir den gesamten Reformzeitraum im Auge behalten.
Verteidigungsminister zu Guttenberg ist die Aufgabe
der Reform mutig und engagiert angegangen. Er hat - das
sage ich für unsere Fraktion und auch für die andere Koalitionsfraktion - dabei unsere volle Unterstützung. Ich
würde es außerordentlich begrüßen, wenn bei dieser
schwierigen und wichtigen Aufgabe auch ein breiter
Konsens im Parlament vorhanden wäre. Bei elementaren
sicherheitspolitischen Fragen ist dies, glaube ich, kein
Schaden. Ich meine, wir müssen jetzt nach vorne schauen
und die Entscheidungen auch zügig umsetzen.
Herr Kollege Arnold, wenn Sie die Dresdener Rede
des Ministers zur Hand nehmen, können Sie nicht sagen,
es sei nichts gesagt worden. Er hat Rahmen und Eckpunkte gesetzt, die jetzt für die weitere parlamentarische
Arbeit natürlich auch wichtige Zielpunkte sind.
({3})
Bezüglich der Gesamtstärke der Bundeswehr habe
ich - wie auch Sie, Herr Kollege Arnold - immer für einen angemessenen militärischen Beitrag plädiert, um damit unsere nationale Sicherheitsvorsorge und internationalen Verpflichtungen abdecken zu können. Der Minister
hat in Dresden einen Zielkorridor von 185 000 bis
190 000 Soldatinnen und Soldaten genannt. Dies ist akzeptabel und angesichts der Demografie und der Finanzierbarkeit auch realistisch.
Herr Kollege Arnold, ich gebe Ihnen recht, es geht
nicht um erfundene Zahlen, sondern 180 000 bzw.
190 000 sind im Grunde eine sicherheitspolitisch geforderte Größe, wenn man vom „Level of Ambition“
spricht.
Ihren Ausführungen zum Thema „Fähigkeiten Heer
und Marine“ können wir uns ausdrücklich anschließen.
Das ist überhaupt keine Frage. Auch die europäische Dimension sollten wir gerade zu einer Zeit, da auch andere
reformieren, nicht aus den Augen verlieren. Auch hier
sehe ich Gemeinsamkeiten zwischen uns.
({4})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Reform
wird kurzfristig keine Ersparnisse bringen - ich sage das
noch einmal in aller Klarheit -, sondern erst auf längere
Sicht im Zuge der Verwirklichung der Gesamtreform.
Um die Reform entsprechend abzusichern, müssen wir
im nächsten Haushalt deshalb die erforderlichen Finanzmittel einstellen. Ich sage aber noch einmal: Maßstab für
den Umfang der Bundeswehr muss immer die Bedrohungssituation unseres Landes sein. Dafür steht unsere
Politik. Es geht nicht um ein Wünsch-dir-was, sondern
um notwendige Fähigkeiten, die von uns als verlässlichem und leistungsfähigem Partner in der Allianz auch
in Zukunft erwartet werden.
Wir stehen nicht allein mit unseren Überlegungen zur
Reform der Sicherheitsstrukturen. Die NATO hat in Lissabon ein neues Strategisches Konzept vorgelegt; darauf
wurde hingewiesen. Wir als Teil dieser Allianz sind dabei, uns ebenfalls sicherheitspolitisch zukunftsfest aufzustellen.
Die Reform der Bundeswehr wird sehr bald konkrete
Züge annehmen. Der Minister hat dazu in Dresden seine
Vorstellungen dargestellt. Die Vorschläge der Strukturkommission liegen auf dem Tisch, ebenso die neue
NATO-Strategie. Der Entschluss, die Wehrpflicht auszusetzen, ist gefallen. Die notwendigen Voraussetzungen
zum Handeln sind geschaffen. Zentrale Herausforderungen für die Bundeswehr zeichnen sich bereits jetzt ab.
Mit dem Wegfall der Wehrpflicht muss die Bundeswehr mehr als bisher um junge Menschen werben und
als attraktiver Arbeitgeber im Kampf um die klügsten
Köpfe auftreten. Dabei tritt die Bundeswehr in Konkurrenz zu Unternehmen auf dem Markt. Eine wichtige
Aufgabe ist - darauf wurde von allen Rednern hingewiesen -, dass die Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung zügig in Angriff genommen werden. Sie sind - darüber sind wir uns auch im Klaren - nicht zum Nulltarif
zu haben.
Ernst-Reinhard Beck ({5})
Die Bundeswehr muss entschlussfreudige, flexible
und belastbare Mitarbeiter gewinnen. Junge Menschen
wollen gute Arbeitsbedingungen, fairen Lohn und die
Möglichkeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Der demografische Wandel und der bereits erkennbare Fachkräftemangel vergrößern die Herausforderungen. Wir müssen die Bundeswehr so aufstellen, dass sie
dieser Anstrengung gewachsen ist - von den Kompetenzen her, aber auch finanziell.
Der Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft muss auch künftig, meine sehr geehrten Damen
und Herren, unser Augenmerk gelten. Der Soldat wird
seltener im Straßenbild auftreten. Damit dies nicht zu
wachsender Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegenüber
der Bundeswehr führt, ist ein Bündel von Maßnahmen
denkbar. Dazu müssen die Themen Sicherheit und Verteidigung offensiv kommuniziert und prominent in den Medien positioniert werden. Die Menschen müssen wissen
und auch erklärt bekommen, was die Bundeswehr leistet.
Sie darf nicht nur in den Medien vorkommen, wenn Soldaten fallen.
Wir müssen aber auch ein Stationierungskonzept erarbeiten, das die Präsenz der Bundeswehr in der Fläche
sichert. Die Bevölkerung muss wissen, dass in ihrer
Nähe Soldaten stationiert sind. Die Gesellschaft soll teilhaben am Alltagsleben der Soldaten. Die Bundeswehr
muss in der Mitte der Gesellschaft sichtbar bleiben.
({6})
Nicht zuletzt, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss das Reservistenwesen neu organisiert werden.
Reservisten sind wichtige Multiplikatoren für die Bundeswehr und üben verantwortungsvolle Tätigkeiten in
den Streitkräften aus. Ihre zivilen Qualifikationen sind
noch besser nutzbar zu machen. Wenn das gelingt, können die Reservisten Botschafter für die Bundeswehr sein
und zum positiven Bild der Streitkräfte beitragen.
Wir wollen, dass unsere Bundeswehr weiterhin zu
den besten Armeen dieser Welt zählt. Wichtigstes Gut
der Bundeswehr sind die Menschen. Die Einsatzrealität
bringt es mit sich, dass Soldaten fallen und verwundet
werden. Das ist schrecklich, kann aber trotz bester Ausrüstung nie völlig verhindert werden. Umso wichtiger ist
der Umgang mit diesen Situationen: Bestmögliche Versorgung und Absicherung, auch von Hinterbliebenen
und Angehörigen, verlangen Fingerspitzengefühl und
Großzügigkeit.
Viele Veteranen kommen gezeichnet aus dem Einsatz
zurück. Die sanitätsdienstliche Versorgung von körperlichen wie seelischen Verwundungen steht ganz oben auf
unserer Agenda; dies ist, glaube ich, unsere gemeinsame
Auffassung.
({7})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Meine Gedanken gehen in der nahenden Weihnachtszeit zu unseren Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.
Auch dieses Jahr werden Tausende von ihnen das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel nicht im Kreise ihrer
Familie und Freunde feiern können. Sie tun dies in dem
Bewusstsein, unser aller Sicherheit zu dienen. Dabei vertrauen sie auf die politische Führung und auf uns, den
Deutschen Bundestag.
Herr Kollege.
Wir haben daher eine besondere Verpflichtung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und
ihren Angehörigen. Lassen Sie uns dieser Verpflichtung
gerecht werden.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 des Bundesministeriums der Verteidigung in der
Ausschussfassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 14 bei Zustimmung von CDU/CSU und FDP angenommen;
({0})
SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen
gestimmt.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt VI a sowie die Zu-
satzpunkte 1 a und b auf:
VI a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen des Europarats vom 16. Mai
2005 zur Verhütung des Terrorismus
- Drucksache 17/3801 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 1a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kulturelle Bildung von Bundesseite nachhaltig
fördern - Auflegung eines Förderprogramms
„Jugendkultur Jetzt“
- Drucksache 17/3066 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({2})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Hans-Josef Fell,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Atommüllexport nach Russland
- Drucksache 17/3854 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte VII a bis j auf.
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt VII a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2011
({4})
- Drucksache 17/3119 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({5})
- Drucksache 17/3835 Berichterstattung:
Abgeordneter Dieter Jasper
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/3835, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 17/3119 anzunehmen. Diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen das bitte mit
Handzeichen signalisieren. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte die Zustimmenden,
sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung wiederum einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt VII b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({6}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Volker Beck ({7}), Tom
Koenigs, Marieluise Beck ({8}), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Einigkeit über die Definition des Tatbestandes
des Aggressionsverbrechens im IStGH-Statut
erzielen
- Drucksachen 17/1767, 17/3889 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Frieser
Marina Schuster
Annette Groth
Ingrid Hönlinger
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3889, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1767 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und
SPD angenommen; Bündnis 90/Die Grünen und Die
Linke haben dagegen gestimmt, Enthaltungen gab es
keine.
Tagesordnungspunkt VII c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({9})
zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy,
Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Pakistan nach der Flut langfristig unterstützen und Schulden umwandeln
- Drucksachen 17/3206, 17/3779 Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
Burkhard Lischka
Helga Daub
Ute Koczy
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3779, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3206 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU
und FDP, dagegen gestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen; die SPD-Fraktion hat sich enthalten.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt VII d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 164 zu Petitionen
- Drucksache 17/3664 8146
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt VII e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 165 zu Petitionen
- Drucksache 17/3665 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung der
Koalitionsfraktionen und der SPD angenommen. Dagegen hat die Linke gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.
Tagesordnungspunkt VII f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 166 zu Petitionen
- Drucksache 17/3666 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt VII g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 167 zu Petitionen
- Drucksache 17/3667 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dagegen gestimmt,
alle anderen dafür.
Tagesordnungspunkt VII h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 168 zu Petitionen
- Drucksache 17/3668 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist angenommen. Die
Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt, alle anderen
dafür.
Tagesordnungspunkt VII i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 169 zu Petitionen
- Drucksache 17/3669 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung
durch CDU/CSU, FDP und SPD angenommen. Linke
und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt.
Tagesordnungspunkt VII j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 170 zu Petitionen
- Drucksache 17/3670 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung
durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Dagegen
haben die Oppositionsfraktionen gestimmt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf:
Einzelplan 23
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
- Drucksachen 17/3519, 17/3523 Berichterstattung:
Abgeordnete Volkmar Klein
Lothar Binding ({17})
Dr. Dietmar Bartsch
Priska Hinz ({18})
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor. Außerdem liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die
wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen
werden.
Verabredet ist, zu diesem Einzelplan eineinhalb Stunden zu debattieren. - Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und rufe Dr. Bärbel Kofler
für die SPD-Fraktion auf.
({19})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über den Einzelplan 23,
über den Einzelplan des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich
möchte betonen: Das ist zwar - leider - nicht einer der
größten Einzelpläne unseres Haushalts, aber es ist ein
Einzelplan mit ganz herausragender Bedeutung, weil er
das Ziel der internationalen Armutsbekämpfung in den
Mittelpunkt stellt und ein Gradmesser dafür ist, wie sich
die internationalen Vereinbarungen, die wir als Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren getroffen haben, in unserer Haushaltspolitik widerspiegeln,
wie wir unsere Versprechen umsetzen.
Wenn man sich den Einzelplan 23 ansieht, kann man
angesichts der Einzelpläne, über die heute Morgen diskutiert worden ist, fast etwas zynisch feststellen: Die
Mittel sinken nicht. Das ist aber auch das einzig Gute,
was man dazu sagen kann. Wenn man sich den Regierungsentwurf anschaut, stellt man fest, dass 3 Millionen
Euro mehr geplant waren. In den letzten Tagen haben
wir erfahren - das ist in Ordnung -, dass infolge der
Goldverkäufe des IWF bzw. des deutschen Anteils an
diesen Erlösen mehr Geld - um genau zu sein: 146 Millionen Euro - in diesen Einzelplan fließt. Ich habe überhaupt nichts dagegen. Mein Problem ist - schon in der
letzten Sitzungswoche habe ich eine entsprechende
Frage an die Regierung gestellt -: Was ist die strategische Ausrichtung? Was ist mit der Einhaltung der internationale Zusagen, dass es bei den Mitteln für die Armutsbekämpfung einen Aufwuchs gibt? Wie wird die
Einhaltung dieser Zusage in diesem Haushaltsentwurf
und in der mittelfristigen Finanzplanung dargestellt?
({0})
Leider gibt es dazu vonseiten des zuständigen Ministeriums, des BMZ, keine Antwort bzw. nur eine ganz
schwammige; darauf werde ich gleich noch eingehen.
Es gibt aber ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums, in dem ganz deutlich gemacht wird, dass die
Haushaltsmittel, die im kommenden Jahr zur Verfügung
stehen - gerade habe ich mich noch darüber gefreut,
dass sie nicht sinken -, in den Jahren 2012 bis 2014
kompensiert werden müssen. Das heißt auf gut Deutsch:
In den nächsten Jahren wird der Etat sinken und nicht
entsprechend den Zusagen, die wir auf internationaler
Ebene gemacht haben, steigen. Es bedarf einer Strategie
des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, wie wir trotzdem die zugesagten Mittel bereitstellen und unsere Versprechen einhalten können.
({1})
Wir als Opposition haben Vorschläge gemacht. Ich
nenne als Beispiel die Finanztransaktionsteuer. Wenn Sie
sich diesem Instrument verschließen und ihm nicht zustimmen können, dann erwarte ich von der Regierung
wenigstens klare Aussagen darüber, was Sie stattdessen
wollen. Wie wollen Sie den Aufwuchs der notwendigen
Mittel für die Armutsbekämpfung erreichen? Herr
Leibrecht, weil ich ahne - es ist ja nicht die erste Debatte
über dieses Thema -, dass Sie sagen werden: „Die Wirksamkeit ist am größten, wenn es die Wirtschaft macht“,
will ich ein paar Punkte zum Thema Wirksamkeit nennen.
Dieses Thema haben Sie, Herr Minister Niebel, und
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nicht
erfunden. Über das Thema Wirksamkeit in der Entwicklungszusammenarbeit wird seit Jahren, spätestens seit
Beginn dieses Jahrtausends auf internationaler Ebene debattiert. Es geht um internationale Abstimmung und Geberharmonisierung. Es geht auch darum - das ist das,
was man immer so schön „Ownership“ nennt -, Entwicklungsstrategien gemeinsam mit den Ländern aufzustellen. Das führt dazu, dass sich die Länder die Projekte
zu eigen machen können. Das hat sehr viel mit Wirksamkeit zu tun; denn nur wenn sich die Länder die Projekte
zu eigen machen und wenn wir als Geber gut abgestimmt auftreten, kann eine wirksame und nachhaltige
Entwicklungspolitik vorangebracht werden.
({2})
Ich habe meine Zweifel, ob Sie in der Debatte dasselbe unter Wirksamkeit verstehen wie alle anderen.
Wirksamkeit würde bedeuten, dass man Mittel für die
Strukturpolitik einsetzen müsste, um also in den Ländern Strukturen zu schaffen, die für die Erhöhung der
Steuereinnahmen und für den Aufbau der Verwaltung
sorgen und die die Länder befähigen, nachhaltig in Gesundheit und Bildung zu investieren. Dazu gehört auch
der Aufbau von selbsttragenden Mechanismen. Wenn
Sie das alles wollen, dann müssen Sie zunächst die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen.
Herr Minister, Sie haben im Zusammenhang mit der
Personaldebatte das Beispiel eines Niedrigenergiehauses
verwendet, in das man zuerst investieren müsse, um bessere Wirkungsgrade zu erreichen. Warum versuchen Sie
nicht, das auf die Entwicklungspolitik anzuwenden? Wir
müssen jetzt investieren, um selbsttragende Strukturen
in den Ländern aufbauen zu können.
({3})
Das ist etwas anderes, als PPP-Projekte - gegen die habe
ich gar nicht so viel, wie Sie vielleicht vermuten - zu finanzieren oder Direktinvestitionen der deutschen Wirtschaft zu fördern.
Wenn man effiziente und wirksame Projekte voranbringen möchte, dann verstehe ich nicht, warum Sie ein
nachweislich gutes und wirtschaftliches Instrument, das
den Menschen nützt, das hilft, ihre Sorgen und Probleme
zu lindern, und das auch volkswirtschaftlich sinnvoll ist
- nämlich den Globalen Fonds zur Bekämpfung von
HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria -, so im Regen stehen lassen, wie Sie es mit diesem Haushaltsentwurf tun.
({4})
- Selbstverständlich stimmt das. Die Fachpolitiker dieser Regierungskoalition müssten sich einmal mit den
Haushaltspolitikern dieser Koalition ins Benehmen setzen. Die Entwicklungspolitiker aller Fraktionen hatten
den richtigen Ansatz gewählt, nämlich Verpflichtungsermächtigungen für den Globalen Fonds einzustellen, damit Planungssicherheit über das Jahr 2011 hinaus besteht. Das ist die Grundvoraussetzung. Wenn genau das
von den Haushaltspolitikern der Koalition gestrichen
wird, dann untergraben Sie die Planungsfähigkeit eines
wirksamen Instrumentes, das dafür sorgt, dass weltweit
auftretende Seuchen wie Aids, Tuberkulose und Malaria
nachhaltig bekämpft werden.
({5})
Wenn Sie mir nicht glauben, dass es sich um ein wirksames Instrument handelt, möchte ich einmal die Kanzlerin zitieren, die Ende September Folgendes gesagt hat:
Die Lösung globaler Aufgaben erfordert globale
Anstrengungen. Ein Beispiel ist der Globale Fonds
zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria, ein multilaterales Instrument, das sich bewährt hat. Die Hilfe des Fonds kommt direkt bei
den Menschen an. Deutschland ist drittgrößter Geber, und ich werde mich dafür einsetzen, dass
Deutschland den Fonds und die Bemühungen um
eine Verbesserung der Gesundheitssituation auch
weiterhin auf hohem Niveau unterstützt.
Richtig. Das sind schöne Worte, aber allein die Taten
fehlen.
Wie heißt es so schön in der Bibel? An ihren Taten
sollt ihr sie erkennen. Ich denke, dieses Zitat kann man
bei jeder Haushaltsdebatte und auch in dieser in den Mittelpunkt stellen.
({6})
Wenn wir schon bei dem Punkt sind und uns diesen
Haushalt genauer anschauen, dann fällt ja eines auch
noch auf - aber vielleicht haben Sie da auch einen flapsigen, schnellen Spruch parat, wie man dieses wirklich
ernsthafte Problem aus der Welt schafft -: Sie fahren in
der Welt spazieren und sagen international Gelder zu.
Sie werden jetzt sicherlich schon sagen: Jetzt kommt die
Kofler wieder mit Kopenhagen. - Ja, ich komme wieder
mit Kopenhagen. Das hat nämlich etwas mit Wirksamkeit und Transparenz zu tun und auch mit: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen“. Damit habe ich das Zitat noch
einmal richtig gebracht.
({7})
Was machen Sie in dem Bereich? - Sie sagen in Kopenhagen Mittel zu, gleichzeitig findet man im
Einzelplan 23 einen schönen Titel, der sich mit dem
Waldschutz beschäftigt.
Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende?
Ja, ich komme zum Schluss. - In diesem Titel sind für
diesen Haushalt und bis zum Haushalt 2012 330 Millionen Euro eingeplant. Leider werden diese 330 Millionen
Euro mit den Zusagen von Kopenhagen, die ja für dieses
Jahr 420 Millionen Euro ausgemacht hätten, verrechnet.
Frau Kollegin.
Das ist intransparent und führt dazu - ich bin schon
am Ende -, dass wir Glaubwürdigkeit verlieren und dass
wir ein denkbar schlechtes Beispiel für andere Länder
abgeben, von denen wir immer Transparenz einfordern.
({0})
Der Kollege Harald Leibrecht hat jetzt für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich freue mich natürlich darüber, dass der Etat
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung trotz angespannter Haushaltslage im nächsten Jahr noch einmal auf eine Gesamtsumme von über 6,2 Milliarden Euro ansteigen wird.
({0})
Das sind im Vergleich zum letzten vollen Kalenderjahr
der sozialdemokratischen Leitung des Ministeriums immerhin 370 Millionen Euro mehr - das muss man hier
mal betonen -,
({1})
und das ist vor dem Hintergrund der Schuldenbremse
und der Haushaltskonsolidierung ein beachtlicher Erfolg.
({2})
Was den Global Fund anbetrifft: Er ist ja für das kommende Jahr abgesichert. In der Vergangenheit, auch unter anderen Regierungen, wurde er nie über Verpflichtungsermächtigungen abgesichert. Das wissen Sie selber
ganz genau.
({3})
Deshalb finde ich es nicht gut und nicht ehrlich, das hier
polemisch so aufzublasen.
Auch wenn es bis zur Erreichung des ODA-Ziels von
0,7 Prozent sicherlich noch ein gutes Stück Weges ist, so
sind wir diesem Ziel heute näher als je zuvor.
Deutschland ist eines der ganz großen Geberländer in
der Welt, und mit deutschen Steuergeldern wird viel Gutes in den ärmsten Ländern getan. Ich denke, hierauf
kann man auch etwas stolz sein.
ODA ist ohne Frage wichtig, aber wir dürfen die Debatte nicht darauf beschränken. Wichtig ist - Frau
Kofler, Sie haben da recht -, auch auf die Wirksamkeit
der Maßnahmen zu achten. Nur dann, wenn das Geld
bzw. die Maßnahmen bei den Menschen, die sie benötigen, auch ankommen, nur wenn sie ihre Lebenssituation
wirklich verbessern und ihnen eine Perspektive auf ein
besseres Leben geben, ist das Geld richtig und wirksam
eingesetzt.
Nur wenn sich die Regierungen der Entwicklungsländer zum Rechtsstaat und zu den Menschenrechten bekennen, wenn sie Meinungsfreiheit zulassen und KorHarald Leibrecht
ruption bekämpfen, sind sie für uns die richtigen Partner
für eine langfristige Zusammenarbeit.
({4})
Ich habe es sehr begrüßt, dass Minister Niebel der Regierung von Uganda mit deutlichen Worten klargemacht
hat, dass Entwicklungszusammenarbeit mit uns nicht
möglich ist, wenn dort ein Gesetz verabschiedet wird,
das zum Beispiel Homosexualität unter Todesstrafe
stellt, oder dass er der kongolesischen Regierung klargemacht hat - da ging es um die gesperrten GTZ-Konten -,
dass sie endlich die Korruption in ihrem Land bekämpfen soll. Wirksamkeit betrifft alle Bereiche der Entwicklungszusammenarbeit.
So erhöhen wir durch die Vorfeldreform wesentlich
die Effektivität und die Qualität der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Gleichzeitig setzen wir mit dieser
Reform eine seit Jahren von der OECD geforderte Maßnahme um. Im DAC Peer Review wurde diese Maßnahme ja auch lobend erwähnt. Allen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der jetzt neu entstandenen GIZ wünsche ich von dieser Stelle aus sehr viel Erfolg.
Ein weiterer Schwerpunkt der deutschen Entwicklungspolitik ist die verstärkte Zusammenarbeit mit der
Privatwirtschaft. Nicht ohne Grund heißt das BMZ
„Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung“. Das Engagement der Privatwirtschaft ist
eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Entwicklung eines Landes. Eine prosperierende Wirtschaft
ist wichtig für ein Entwicklungsland, um sich von
Abhängigkeit zu befreien und aus eigener Kraft in eine
bessere Zukunft zu gehen. Grenzübergreifende Investitionen, die sowohl Arbeitsplätze als auch Ausbildungsplätze schaffen, sorgen mit dafür, dass eine Wertschöpfung in den Entwicklungsländern stattfindet.
Ich bewundere immer wieder die große Spendenbereitschaft der Menschen hier im Land. Nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti spendeten die Deutschen über
200 Millionen Euro. Das war das höchste Spendenvolumen in ganz Europa. Dies zeigt, dass den Menschen in
Deutschland das Leid und das Elend in der Welt nicht
egal sind. Darum ist es wichtig, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sichtbarer wird. Hier tut sich
ja jetzt, Gott sei Dank, im BMZ einiges.
Ich treffe - das tun auch Sie - immer wieder Schulklassen, Vereine, Vertreter von Kommunen und viele
Einzelpersonen, die sehr viel Zeit, Engagement und Geld
in Entwicklungsprojekte investieren. Ich freue mich,
dass das BMZ mit diesem Haushalt im Bereich des bürgerlichen Engagements in der Entwicklungspolitik mit
Informations- und Bildungsarbeit einen neuen Akzent
setzt. Leider zeigt die SPD mit ihrem eingebrachten Kürzungsantrag, dass ihr hieran nichts liegt.
Wir alle, die wir in der Entwicklungspolitik tätig sind,
werden immer wieder von Menschen hier im Land gefragt, warum wir so viel Geld in den Entwicklungsländern ausgeben, wo wir doch genug Probleme im eigenen
Land haben. Wenn wir diesen Menschen erklären, dass
sich Deutschland als bedeutende Industrie- und Wirtschaftsnation durchaus auch für die Ärmsten der Welt
verantwortlich fühlt und wir darum einen Beitrag zur
Verbesserung ihrer Situation leisten müssen, verstehen
sie es. Es geht also um Aufklärung, es geht aber auch um
Transparenz und darum, den Menschen im Land zu erklären, was wir in der Entwicklungspolitik mit ihren
Steuergeldern leisten. Auf internationaler Ebene haben
wir gesehen, dass zum Beispiel mit den Jahrtausendentwicklungszielen, mit den MDGs, etwas geschaffen
wurde, das die Entwicklungszusammenarbeit für die
Menschen in den Geberländern greifbarer macht und das
Bewusstsein für entwicklungspolitische Herausforderungen stärkt.
Nochmals: Ich freue mich, dass es im kommenden
Jahr mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit
gibt und dass dieses Geld in Zukunft wirksamer eingesetzt wird.
Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat Heike Hänsel für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Heute wurde mehrmals auf die Sicherheitssituation, auf
die Terrorwarnungen hingewiesen. Ich denke, das geht
auch uns Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker etwas an. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 gab es nicht nur diese Hau-drauf-Parolen,
sondern auch viel Nachdenkliches: In welcher Welt leben wir? Wie groß ist die Kluft zwischen Arm und
Reich? Kann es überhaupt so weitergehen?
Wenn wir uns anschauen, was in den Jahren seit 2001
passiert ist, dann müssen wir feststellen, dass wir jetzt den
Höchststand an hungernden Menschen weltweit haben.
Das ist eine tagtägliche Tragödie für über 1 Milliarde
Menschen. Seit neun Jahren führen die NATO-Staaten in
Afghanistan Krieg unter dem Stichwort „Kampf gegen
den Terror“, viele Tausende Zivilisten werden getötet. Es
gibt gezielte Tötungen. Die CIA hat Geheimgefängnisse
in Europa. Viele Entführungen von „Terrorverdächtigen“
wurden durchgeführt. Guantánamo und Abu Ghureib auch das sind Orte des Terrors. Das zeigt, dass die NATOStaaten in den letzten Jahren sehr viel Armut, Elend und
Hass produziert haben,
({0})
vor allem Hass, den Nährboden, auf dem der Terror
blüht. Ich möchte für unsere Fraktion festhalten: Auch
Krieg ist Terror, und wir müssen dieses Mittel der Politik
bekämpfen.
({1})
Dazu gehören eine zivile Außenpolitik und eine zivile
Entwicklungspolitik. Herr Niebel, dazu tragen Sie über8150
haupt nichts bei. Sie stärken nach wie vor das Konzept
der zivil-militärischen Zusammenarbeit,
({2})
trotz des Protests zahlreicher Hilfsorganisationen. Die
CDU/CSU-Fraktion will dieses Instrument, wie ich gelesen habe, ebenfalls ausbauen. Sie führen zu diesem
Thema sogar eine Konferenz durch.
({3})
Wie zivile Aufbauhilfe, Entwicklungsprojekte und
Militär miteinander verknüpft sind, haben wir während
einer Delegationsreise in Afghanistan erfahren müssen.
Dort konnten wir beobachten, wie schlecht diese Zusammenarbeit funktioniert und wie gefährlich sie ist. Die
Schule, die wir dort besuchen wollten, mussten wir uns
nämlich in einem ISAF-Konvoi, schwer bewacht von
ISAF-Soldaten, anschauen. Ich kann nur sagen: Es ist
absurd, in welch martialischem Aufmarsch wir zu dieser
Schule kamen. Die Aufbauhelfer haben uns danach gesagt, dass solche militarisierten Besuche ihre Projekte
gefährden, weil sie dadurch in der Region zu Anschlagszielen werden. Genau deswegen kritisieren wir die zivilmilitärische Zusammenarbeit und lehnen sie grundsätzlich ab.
({4})
Herr Niebel, ich halte es für eine fatale Entscheidung,
dass Sie zivil-militärische Projekte trotz der Informationen, die Ihnen vorliegen, unterstützen wollen. Ein konkretes Projekt ist „La Macarena“ in Kolumbien. Es ist
bekannt, welche negativen Wirkungen dieses Projekt, in
das die Armee eingebunden ist, hat. Es wird von vielen
Hilfsorganisationen und von der Zivilbevölkerung vor
Ort kritisiert. Die Menschen haben vor der kolumbianischen Armee, die für sehr viele Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, Angst. Dennoch haben Sie zu
diesem Projekt Ja gesagt. Das halten wir für eine fatale
Entscheidung. Deshalb haben wir den Antrag eingebracht, im nächsten Haushalt kein Geld für das Projekt
„La Macarena“ in Kolumbien zur Verfügung zu stellen.
({5})
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wird von
Ihnen weiterhin in vielerlei Hinsicht instrumentalisiert.
Militäreinsätze sollen zivil flankiert werden; das haben
Sie selbst gesagt. Laut der neuen Rohstoffstrategie der
Bundesregierung soll durch die Entwicklungszusammenarbeit in Entwicklungsländern aber auch ein investitionsfreundliches Klima geschaffen werden. Was „investitionsfreundliches Klima“ konkret heißt, konnten wir
vor kurzem in Bolivien erleben: Wer nicht Ihren Vorstellungen von Marktwirtschaft, Privateigentum und Investitionsschutz entspricht, wer also, wie die bolivianische
Regierung, einen eigenständigen Weg der Entwicklung
gehen will, der wird abgestraft.
({6})
Die Entwicklungszusammenarbeit wird gekürzt. Das ist
für mich keine Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe, Herr Niebel. Das ist für mich neokoloniales
Gehabe.
({7})
Statt sich immer nur um das Investitionsklima für
deutsche Unternehmen zu sorgen, sollten Sie sich lieber
mehr Sorgen um das Klima generell machen und gute
Klimaschutzprojekte konkret unterstützen.
({8})
Sie reagieren viel zu wenig auf gute Ideen, die vorgetragen werden. Wir diskutieren schon seit langem ganz
konkret über ein sehr gutes Projekt in Ecuador, nämlich
über die ITT-Initiative; sie ist Ihnen ja wohl bekannt. Es
geht darum, dass die ecuadorianische Regierung das
Erdöl im Boden lassen möchte und dafür Kompensationszahlungen braucht.
Was machen Sie? Sie haben diese Initiative ständig
kritisiert und tun das nach wie vor. Sie finden immer
wieder neue Argumente, weswegen Sie dieses Projekt
ablehnen. Das hat sogar dazu geführt, dass der ecuadorianische Präsident Correa einen bereits geplanten Besuch abgesagt hat.
({9})
Da kann ich nur sagen: Was für ein Affront, Herr Niebel!
In den Entwicklungsländern gibt es gute Ideen. Ich kann
nur an Sie appellieren: Bitte unterstützen Sie diese Initiative! Das ist ein zukunftsweisendes und wichtiges Projekt, auch für den Klimaschutz.
({10})
Abschließend möchte ich sagen: Wir sind der Auffassung, dass Sie auf große Katastrophen wie die in Haiti
und Pakistan völlig unzureichend reagieren. Sie leisten
lediglich Einmalzahlungen. Wir hingegen fordern Sondertitel über mehrere Jahre hinweg, um diesen Katastrophen nachhaltig zu begegnen. Diese Initiativen sind
wichtig. Wir dürfen nicht nach dem Motto verfahren: In
den Medien wird über diese Katastrophen nicht mehr berichtet, also sind diese Probleme für uns nicht mehr vorhanden. - Wir müssen anders reagieren. Deswegen haben wir Sondertitel gefordert.
Ich kann nur sagen: Mit diesem Haushalt haben Sie
sich faktisch - darauf ist schon eingegangen worden von dem 0,7-Prozent-Ziel für 2015 verabschiedet. Ihre
Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit freut sicherlich den BDI, den Bundesverband der Deutschen Industrie, aber nicht die Menschen in den Ländern des Südens.
({11})
Das Wort hat Volkmar Klein für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe, ehrlich gesagt, schon geahnt, was die
Opposition alles sagen wird. Das muss sie ja, und das
verstehe ich; denn dafür gibt es schließlich eine Opposition.
An sich kann niemand dagegen sein, einfach mehr
Geld für Dinge zu verlangen, die uns gemeinsam wichtig
sind.
({0})
Das kann niemand schlecht finden. Insofern ist das natürlich ein billiges Erreichen von schnellem Applaus.
Aber leider ist es so, dass wir das Geld, das wir vielleicht
gerne für diese guten Dinge ausgeben würden, gar nicht
haben.
({1})
48,4 Milliarden Euro Defizit stehen noch immer in unserem Haushaltsplan.
Ich erinnere mich an heute Vormittag. Da hat der
SPD-Fraktionsvorsitzende Steinmeier dem Finanzminister vorgeworfen, er würde inzwischen sogar Vorräte anlegen.
({2})
Diese sehe ich nicht, weil ich alle Ansätze für sehr realistisch halte. Aber darauf will ich jetzt gar nicht hinaus.
Steinmeier hat dann gesagt: Wenn ein Spielraum vorhanden ist, dann ist die Neuverschuldung zu reduzieren. Steinmeier hat nicht gesagt: Wenn ein Spielraum vorhanden ist, dann sind die Ausgaben im Einzelplan 23 zu
erhöhen. - Insofern würde ich Frau Dr. Kofler bitten, die
Dinge vielleicht einmal in der Fraktion anzusprechen;
denn offenbar gibt es dort ein Koordinierungsproblem,
({3})
weil jetzt vorgeschlagen wird, man müsse das Geld zusätzlich ausgeben. Der Fraktionsvorsitzende hingegen
- den habe ich bisher als relevant für die SPD angesehen hat vorgeschlagen: Wenn Spielräume vorhanden sind,
dann - das ist vernünftig - ist die Nettoneuverschuldung
zu reduzieren. - Jedenfalls geht es schon gar nicht, morgens zu verlangen, die Schulden müssten weiter heruntergefahren werden, und abends zu verlangen, es solle
mehr Geld ausgegeben werden. Das jeweils zu sagen,
nur um von jeweils anderen Beifall zu erheischen, ist
nicht in Ordnung. Das lassen wir Ihnen natürlich nicht
durchgehen.
({4})
Auch ich sage selbstkritisch: Mehr Geld für Entwicklungshilfe, für gute Projekte in der Entwicklungshilfe
wäre sicherlich noch besser. Aber ich bitte die Kritiker,
ihre Kritik ein bisschen zu dosieren und auch ihr eigenes
Handeln an diesen Maßstäben zu messen.
Ich bin erst seit einem Jahr hier im Bundestag, aber
ich habe mir die alten Zahlen einmal angeschaut. Dass es
überhaupt deutliche Aufwüchse in diesem Einzelplan
gegeben hat, ist nicht schon mit der früheren Ministerin
Wieczorek-Zeul, sondern erst mit Angela Merkel als
Bundeskanzlerin eingetreten, weil sich offensichtlich die
Maßstäbe verschoben haben.
({5})
Schauen wir uns einmal an, welche Zahl die frühere
Ministerin Wieczorek-Zeul in der damaligen Finanzplanung im Einzelplan 23 für das Jahr 2011 vorgesehen
hatte, schauen wir uns also ihre alten Pläne an. Darin
steht - das kann man noch heute nachlesen; das ist das
Schöne bei Papier -, dass sie geplant hatte,
5,84 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe auszugeben. Wir wollen heute 6,22 Milliarden Euro beschließen.
({6})
Das ist deutlich mehr. Dafür könnte es ein bisschen Lob
geben.
({7})
Angesichts der Restriktionen ist das ein ziemlich großer
Erfolg für den Bereich, der uns zu Recht wichtig ist.
Wir haben aber nicht nur weltweit Verantwortung,
sondern auch gegenüber künftigen Generationen. Deswegen sage ich: Wir dürfen nicht alles noch viel schlechter reden, sondern sollten das Erreichte vielleicht einfach
einmal anerkennen. Ich habe gerade schon die Relation
zu Ihren früheren Plänen genannt. Durch die heutige
Haushaltsrelation wird die steigende Bedeutung des
Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung unterstrichen. Das Volumen des Gesamthaushalts, den wir in dieser Woche zu beschließen haben, sinkt deutlich um 4,3 Prozent auf 305,8 Milliarden
Euro. Das Volumen des Einzelplans 23 steigt dagegen
deutlich auf 6,22 Milliarden Euro. Das heißt, das komparative Gewicht wird deutlich größer. Wenn Sie ein bisschen ehrlich sind, sollten Sie das entsprechend anerkennen können.
({8})
Beim Verteilen von Kritik sind Sie ein bisschen pauschal. Gerade haben wir gehört, dass wir den Globalen
Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Ma8152
laria ganz schlecht ausstatten. Schlechte Behandlung?
Nein. Für den Globalen Fonds sind im Haushaltsplan für
das Jahr 2011 200 Millionen Euro an Steuergeldern ausgewiesen - wie auch in den Jahren 2008, 2009 und 2010.
Jetzt beklagen Sie, es gebe keine Verpflichtungsermächtigungen für die Folgejahre.
({9})
Auch für die Jahre 2008, 2009 und 2010 gab es keine
Verpflichtungsermächtigungen.
({10})
Also hat sich gegenüber dem Verfahren von vor drei Jahren überhaupt nichts geändert. Deshalb brauchen Sie
sich jetzt auch nicht so aufzuregen. Glauben Sie mir:
Wenn unsere Bundeskanzlerin international etwas zusagt, dann findet das auch die angemessene Beachtung
in diesem Hause.
({11})
Lassen Sie mich noch ergänzen - Sie werden das jetzt
nicht gerne hören -: Wahrscheinlich ist es sogar sehr
wichtig, dass wir uns einmal mit Rückfragen an den Globalen Fonds wenden; denn er hat bisher Ausgaben in
Höhe von rund 1 Milliarde Dollar in der Volksrepublik
China zugesagt. Die Hälfte davon ist schon abgeflossen;
der Rest wird noch abfließen. Das heißt doch auf
Deutsch, dass mit unseren Geldern auch Entwicklungshilfe in China bezahlt wird, mit Geldern, die dann in den
ärmeren Ländern, an die wir denken, wenn wir über den
Globalen Fonds reden, nicht mehr zur Verfügung stehen.
Wahrscheinlich haben wir mit unseren kritischen Rückfragen mit dazu beigetragen, dass China künftig gar
keine Anträge beim Globalen Fonds mehr stellen wird
und dass in Zukunft sichergestellt ist, dass diese Gelder
dort ankommen, wo sie richtig und gut aufgehoben sind.
({12})
Bei allen berechtigten Reden über Geld: Gestern
Abend war ich gemeinsam mit seiner Exzellenz dem
Botschafter von Tansania bei einer Veranstaltung. Er hat
dort gesagt: Durch Hilfe allein ist noch kein Land aus
der Armut herausgekommen. - Da hat er recht. Wir
brauchen eine sich selbst tragende Entwicklung; das ist
dann auch nachhaltig. Wir brauchen eine wie auch immer ausgestaltete soziale Marktwirtschaft in den Ländern. Wir brauchen Anstöße für die Privatwirtschaft, sowohl hier als auch dort, Arbeitsplätze zu schaffen. Das
ist die Philosophie des Ministers, und das ist auch gut so.
Wir haben in der Vergangenheit an vielen Stellen
schon dazu beitragen können. Ich stelle mir hier noch
Verstärkungen vor. Deswegen erfolgt auch die kleine
Umschichtung der Mittel aus dem Titel „Bilaterale Finanzielle Zusammenarbeit“ in den Titel „Finanzielle Zusammenarbeit mit Regionen“. Dadurch erhalten wir die
Möglichkeit, mehr Initiativen für Mikrokredite auch
jenseits von staatlichen Strukturen in den Regionen zu
stärken. Das ist notwendig, weil wir an vielen Stellen in
den Ländern des Südens darauf achten müssen, die Bürgergesellschaften zu stärken und nicht immer alles nur
auf den Staat zu fokussieren. Es mag bei meiner Vorrednerin vielleicht großen Anklang finden; aber Staatskapitalismus hat auch schon andere Staaten, inklusive in
Deutschland, zugrunde gerichtet. So etwas brauchen wir
bei der Entwicklungshilfe nicht.
Herzlichen Dank.
({13})
Priska Hinz spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Klein, es war ja ganz nett, als Sie eben gemeint haben,
die Opposition fordere nur und hole sich billig Beifall
ab. Aber wissen Sie: Es geht nicht nur darum, zu fordern
- und uns schon einmal gar nicht -, sondern wir haben
auch Fantasie und Ideen - anscheinend im Gegensatz zu
Ihnen -, wie man das 0,7-Prozent-Ziel erreichen kann.
({0})
Ihnen reicht schon, wenn der Haushalt stagniert. Das
verkaufen Sie hier als großen Erfolg.
({1})
Herr Leibrecht sagt auch noch: Der Etat ist gewachsen. - Das stimmt, er ist um 148 Millionen gewachsen,
nämlich um das Geld, das aus dem Einzelplan 60 herübergeschoben wurde, durch die Erlöse aus den Goldverkäufen, die dem Internationalen Währungsfonds wieder
erstattet werden müssen.
({2})
Von daher ist es ein Nullsummenspiel. Es ist völlig egal,
ob das im Einzelplan 60 oder im Einzelplan 23 steht. Für
Herrn Niebel bleibt kein Geld übrig, das er mehr für die
Entwicklungszusammenarbeit ausgeben kann. Das will
ich hier doch einmal festhalten.
({3})
Die Lücke, um Ihre Zusagen und Ihre Koalitionsvereinbarungen einzuhalten, beträgt in diesem Jahr
3,2 Milliarden Euro. So viel bräuchten wir im Einzelplan
23 und insgesamt im Bundeshaushalt mehr, um das Ziel
von 0,55 Prozent zu erreichen. Nur so könnte man den
Pfad beschreiten, um im Jahr 2015 das 0,7-Prozent-Ziel
zu erreichen.
({4})
Das wäre ein Pfad nach oben. Der Pfad, den Sie beschreiten, ist der Pfad nach unten. Sie wollen nämlich
Priska Hinz ({5})
nach dem Finanzplan im Entwicklungsbereich im Jahr
2012 5 Prozent und im Jahr 2013 noch einmal 1,5 Prozent einsparen. Angefangen haben Sie damit, dass Sie
die Verpflichtungsermächtigungen um 200 Millionen
Euro gekürzt haben. Das spricht doch Bände.
({6})
Herr Klein, Sie sagen, wenn die Kanzlerin etwas verspricht, sei klar, dass sie das einhalte. In Kopenhagen
wurden - ohne Verrechnung mit Klimaschutzmitteln 420 Millionen Euro mehr zugesagt. Nichts davon ist im
Einzelplan 23 eingestellt. Sie haben selbst die
35 Millionen Euro, die für 2010 vorhanden waren, ersatzlos gestrichen. - So viel zu Ihrer Kanzlerin und deren Zusagen.
({7})
Nein, meine Damen und Herren, Sie müssten sich eigentlich auf den grünen ODA-Pfad begeben. Wir haben
nämlich einen Plan vorgelegt, wie man die Lücke von
3,2 Milliarden Euro in diesem Jahr mit mehr Barmitteln,
mit zusätzlichen Förderkrediten der KfW und mit zinssubventionierten Krediten schließen könnte. Man
braucht nicht alle Haushaltsmittel als Barmittel. Wir waren kreativ. Natürlich kann man zinsverbilligte Kredite
gewähren; man kann über die KfW Förderkredite vergeben. Das würde auch die selbsttragenden Strukturen in
den Entwicklungsländern stärken. Ich wundere mich,
dass die FDP nicht mit uns auf diesem Pfad geht. Sie
sind doch der Meinung, die Privatwirtschaft müsse gestärkt werden. Über solche Wege könnte man die Privatwirtschaft in den Entwicklungsländern stärken, und dann
könnten wir uns mit den Barmitteln darauf konzentrieren, die Armutsbekämpfung in den Ländern voranzutreiben, die wirklich auf diese Zuschüsse angewiesen sind.
({8})
Frau Hinz, Herr Schirmbeck würde Ihnen gern eine
Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie zulassen?
Bitte schön, gerne.
Verehrte Frau Kollegin, Sie betreiben das Spiel aller
Oppositionsabgeordneten - vielleicht muss das so sein,
auch wenn ich anderer Meinung bin -, indem Sie den
Eindruck erwecken, wir könnten mit immer mehr Geld
irgendwo tätig werden. Sind Sie nicht mit mir einer Meinung, dass wir uns fragen müssen, wie wir die vorhandenen Mittel effizienter einsetzen können und dass man in
Teilen mit weniger Geld mehr machen kann?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Eine Delegation des
Haushaltsausschusses hat in Brasilien Vertreter von KfW
und GTZ getroffen. Wir haben uns beiläufig erkundigt,
was aus den 300 Millionen Euro geworden ist, die Bundeskanzler Kohl seinerzeit zur Verfügung gestellt hat.
Daraufhin hat uns der junge Vertreter der GTZ wörtlich
gesagt, wenn sie Bock hätten, würden sie dem demnächst nachgehen. Es gab dann erhebliche Unruhe bei
der GTZ. Ich habe mir dann im Haushaltsausschuss erlaubt, die damals zuständige Ministerin danach zu fragen. Als Antwort habe ich einen Besinnungsaufsatz bekommen, aber zu der Frage, was konkret mit den
300 Millionen Euro bewirkt worden ist, kam gar nichts.
Die Aufgabe gerade von Haushältern - dazu gehören
auch Sie seit einiger Zeit - ist es, darauf zu dringen, dass
mit den zur Verfügung gestellten Mitteln effektiv etwas
bewegt wird. Wenn Minister Niebel jetzt seine Institutionen umbaut, um dieses Ziel zu erreichen, dann ist das
auch im Sinne von uns Haushältern eine gute Haushaltspolitik.
({0})
Herr Schirmbeck, es ist gut, dass Sie diese Frage gestellt haben. Selbstverständlich wollen wir, dass die Mittel wirksam ausgegeben werden. Das ist völlig klar. Wir
wollen auch nicht, dass irgendwo Bauruinen in die
Landschaft gepflanzt werden und man sich nach zehn
oder 20 Jahren fragt, wofür das Geld eigentlich ausgegeben wurde. Darin sind wir uns völlig einig.
Aber wir wissen: Wir brauchen Geld für die Armutsbekämpfung. Die 1,9 Milliarden Euro an Förderkrediten
und zinssubventionierten Krediten, wie ich es eben vorgeschlagen habe, hätten zur Folge, dass die Gelder in
den Entwicklungsländern sehr effizient eingesetzt werden müssen, weil die Kredite zurückzuzahlen sind. Es ist
sinnvoll, auch das Eigeninteresse von Entwicklungsländern zu wecken, die schon eine bestimmte wirtschaftliche Schwelle erreicht haben, damit sie selbsttragende
Strukturen mit entwickeln, und dabei durch Beratung
und Anschubfinanzierung Hilfestellung zu leisten. Gerade deshalb hätten Sie unserem Antrag zustimmen können. Das hätte mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit bedeutet, und das Geld wäre effizient
eingesetzt. Aber nicht einmal das wollten Sie machen,
Herr Kollege Schirmbeck.
({0})
Ein anderer Punkt, den ich noch ansprechen möchte,
sorgt ebenfalls immer wieder für Erregung. Ich hatte
mich eigentlich gefreut, Herr Minister Niebel, dass Sie
sich so stark für den Global Fund eingesetzt und sozusagen ordentlich gebrüllt haben, nach dem Motto: Ich
kann das Geld nicht allein aus meinem eigenen Etat aufbringen und brauche über den Plafond, den mir der Finanzminister zugesteht, hinaus auch für die nächsten
Priska Hinz ({1})
Jahre einen entsprechenden Aufwuchs. - Daraus ist aber
leider nichts geworden. Die 200 Millionen, die für 2011
zur Verfügung stehen, waren nämlich schon im Entwurf
enthalten.
({2})
- Die standen im Entwurf, Herr Kollege Leibrecht. Es ist
nichts hinzugekommen.
Es geht jetzt um die zusätzlichen Mittel für die Jahre
2012 und 2013, die zugesagt worden sind. Diese Zusagen müssen eingehalten werden. Insofern wäre es notwendig gewesen, die Verpflichtungsermächtigungen in
den Haushalt aufzunehmen,
({3})
damit der Haushaltsausschuss dem Finanzminister gegenüber deutlich sagt: Diese Gelder wollen wir schon im
Haushaltsplanentwurf für 2012 sehen. - Wir unterstützen den Entwicklungsminister. Aber leider hat die Koalition gekniffen. Sie hätten unserem Antrag gerne zustimmen können.
({4})
Ich möchte noch einen allerletzten Punkt ansprechen.
Herr Schirmbeck, Sie haben recht: Die Durchführungsorganisationen müssen fusionieren. Wir brauchen mehr
Steuerung im Ministerium, und die Durchführung muss
bei den Vorfeldorganisationen liegen. Man kann aber
nicht 500 Stellen streichen und gleichzeitig die Leitungsebene auf sieben Stellen verbreitern, für die nur
Männer qualifiziert sind. Das wird mit uns nicht funktionieren. Ich sage Ihnen ganz klar: Das machen wir nicht
mit.
Danke schön.
({5})
Johannes Selle hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In den letzten Wochen, aber ganz besonders in dieser
Woche haben wir über die Bedeutung des Sparens gesprochen. Konsolidierung bleibt eine Verpflichtung der
jeweiligen Regierungsparteien; aber es ist ein Markenzeichen der CDU/CSU und der FDP.
Am vorliegenden Einzelplan 23 kann man erkennen,
dass wir die Nöte dieser Welt sehen, dass sie uns nicht
gleichgültig sind und wir eben nicht an unserer Verantwortung sparen. Mit dem Bundeshaushalt 2011 werden
gegenüber 2010 circa 13 Milliarden Euro eingespart,
aber der Einzelplan legt zu. So gesehen ist die Bedeutung der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit als Anteil am Bundeshaushalt gestiegen. Darüber
sollten wir uns alle freuen.
({0})
Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass nicht
alle Wünsche der Entwicklungspolitiker der christlichliberalen Koalition in Erfüllung gegangen sind. Aber
diese Leistung verdient unseren Dank an die Haushaltskollegen, an den Bundesminister Niebel und auch an den
Bundesminister der Finanzen.
({1})
Wir sind bereit, Verantwortung mitzutragen, Verantwortung für diesen Haushalt und dafür, dass Deutschland stark bleibt. So werden wir nämlich von den Ländern gesehen, die mit uns zusammenarbeiten und die es
vielleicht noch viel mehr möchten.
Mit einer Schulklasse hatte ich eine interessante Diskussion. Die Schüler sehen ihre Probleme, die Probleme
ihrer Eltern und fragen, warum wir so viel Geld in anderen Ländern ausgeben. Es ist wichtig, dass wir den Schülern eine verständliche Antwort geben und auch der Öffentlichkeit gegenüber die guten Argumente äußern.
Wir geben in erster Linie Hilfe, weil es unsere Mitmenschlichkeit gebietet, wir eine funktionierende
Volkswirtschaft haben und weil wir zu den wenigen Ländern gehören, die Hilfe geben können. Tausende von
Deutschen engagieren sich in dieser Hilfe und nehmen
dabei auch Risiko auf sich. Wir wollen sie bei dieser Arbeit unterstützen.
Bittere Armut kann sich ökologische Überlegungen
nicht leisten. Ob Bäume fallen oder Tiere sterben müssen, wird nicht nach den Gesichtspunkten der Biodiversität entschieden, sondern danach, wie die nächsten Tage
überstanden werden können. Entwicklungszusammenarbeit und Umweltschutz bilden für uns Schwerpunkte.
({2})
Bittere Armut kann sich auch Heimatliebe nicht mehr
leisten. Die Menschen verlassen ohne Perspektive ihre
Länder und suchen ihr Glück in der Ferne. Perspektiven
in der Heimat stabilisieren und schaffen mehr Sicherheit.
Wir unterstützen eine wirtschaftliche Entwicklung, die
auf eigenen Füßen stehen kann. Das bedeutet, dass uns
jedes entstehende Pflänzchen freier und selbstständiger
wirtschaftlicher Betätigung wichtig ist.
Wir begehen in diesen Tagen viele Feiern der Unabhängigkeit. Zur politischen Unabhängigkeit muss mehr
und mehr auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit
kommen. Im Übrigen würden die Unternehmen in prosperierenden Staaten auch zunehmend Kunden der deutschen Wirtschaft werden.
Das sind nicht nur für Schüler überzeugende Argumente für eine konsequente, effiziente, ökologisch und
wirtschaftlich ausgerichtete Unterstützung.
({3})
Gerade die selbstständig wachsende Wirtschaft in unseren Partnerländern erreichen wir nicht ohne Experten.
Diese Experten finden sich in deutschen Unternehmen.
Es gibt so viele gute Ideen des Mittelstandes, die in den
Partnerländern dringend gebraucht werden. Hier setzt
der Bundesminister Niebel einen richtigen Akzent in
diesem Haushalt; denn wirtschaftliche Zusammenarbeit
schließt sinnvollerweise die Wirtschaft ein und nicht aus.
Der Antrag der Grünen enthält Vorschläge dazu, wie
einzelne Titel im Einzelplan 23 erhöht werden sollen. Da
Sie das innerhalb der Struktur des von uns vorgelegten
Haushalts tun, erlaube ich mir die Folgerung, dass die
Grünen die von uns gesetzten Schwerpunkte für richtig
halten. Es ist das Recht der Opposition, immer ein bisschen mehr zu fordern. Nur bei einem einzigen Titel
schlagen die Grünen eine Verringerung vor, nämlich bei
Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft. Alles
scheint gut zu sein, wenn es nicht wirtschaftlich ist.
({4})
Das würde noch nicht einmal auf Schüler überzeugend
wirken.
Gestern hatten die GTZ und PlaNet Finance eingeladen, um über Kundenschutz und soziale Verantwortung
zu diskutieren. In den Mittelpunkt der Diskussion geriet,
dass sich Mikrokredite so erfolgreich entwickeln, dass
plötzlich reichlich privates Kapital zur Verfügung steht,
nicht mehr sorgfältig gearbeitet wird und der Kredit zur
Katastrophe für den Kleinkunden werden kann. Dabei ist
ganz offenkundig: Jemanden bei einer guten geschäftlichen Idee mit einem Kleinkredit zu unterstützen, sodass er für sich und andere Arbeitsplätze schaffen kann,
ist Kern der Entwicklungszusammenarbeit. So etwas ist
sogar in Deutschland notwendig. Hier bedarf es einer
eingehenden Analyse des Kunden und des geplanten Geschäftes. Das ist personalintensiv und damit auch kostenintensiv. Genau an dieser Stelle muss Förderung einsetzen. Der Einzelplan 23 tut dies mit einer deutlichen
Erhöhung. Das ist der richtige Weg.
({5})
Entwicklungszusammenarbeit darf eigentlich kein
Feld ideologischer Auseinandersetzung sein; so ist es
dankenswerterweise oft. Ich halte nichts davon, bei der
ODA-Quote anders zu verfahren. Alle Fraktionen wollen es. Die Kanzlerin bekennt sich dazu, erneut am
21. September in New York. Damit haben wir ein gemeinsames Ziel. Von einem Ziel kann man noch entfernt
sein. Aber wichtig ist, dass es unser Ziel bleibt. In dieser
finanziell belasteten Zeit ist das nicht mit einem Ruck zu
schaffen. Die fehlenden 4,5 Milliarden Euro sind nicht
einfach durch Barmittel darstellbar. Es müssen auch
nicht Barmittel des Bundeshaushaltes allein sein. Auch
in diesem Zusammenhang dürfen innovative Finanzierungsinstrumente eine stärkere Rolle spielen.
({6})
Die KfW macht dazu sehr interessante Vorschläge; die
kennen alle Fraktionen.
({7})
- Es kommt auf die ODA-Quote an, Frau Dr. Kofler. Wie gesagt, die KfW macht dazu sehr interessante Vorschläge; die kennen Sie. Auf ein solches Know-how
können und sollten wir nicht verzichten. Ich werbe jedenfalls dafür. Ich vermute - das erlebe ich schon jetzt -,
dass die Opposition bei den innovativen Finanzierungsinstrumenten eine Menge Diskussionsstoff entdecken
wird.
Multilaterale Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit sind nicht immer effizient. Sie entkoppeln von der
direkt kontrollierbaren Effizienz und Verantwortung.
Deshalb unterstützen wir den Bundesminister darin, die
bilaterale Zusammenarbeit zu stärken. In der bilateralen Zusammenarbeit können eigene Schwerpunkte gesetzt werden. Dass wir dies verstärkt tun, hoffen viele
Länder. Sie halten uns für fair sowie ökologisch und
technologisch für beispielhaft. In der Tat sollten wir
noch viel mehr Mut zu enger Partnerschaft haben und
vielleicht ein eigenes, unverwechselbares Modell wirtschaftlichen Aufschwungs schaffen. Das könnte zusätzliche Kräfte und Investitionsbereitschaft in unserer Gesellschaft freisetzen, eine Aufbruchstimmung im
Empfängerland erzeugen und einen Wettbewerb der
Ideen auf internationaler Ebene auslösen.
Ein erfolgreiches Modell multilateraler Zusammenarbeit ist der Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Er hat sich bewährt. Seine Hilfe
kommt bei den Menschen an. Deutschland hat seine Verpflichtungen erfüllt. Im Haushalt sind wieder 200 Millionen Euro für das nächste Jahr eingestellt. Wir wollen
diese bewährte Zusammenarbeit weiter auf hohem Niveau unterstützen. Verpflichtungsermächtigungen für
Folgejahre können das unterstreichen. Fehlende Verpflichtungsermächtigungen berechtigen nicht zur Folgerung, dass wir das nicht tun. Eine langfristige Investitionssicherheit an dieser Stelle ist nicht erforderlich. Ich
weiß, dass die Damen und Herren der Opposition es
zwar nicht wollen, aber ich fordere sie trotzdem auf, dem
Wort der Bundeskanzlerin zu trauen.
Der Einzelplan 23 weist einen der höchsten Beträge
aus, die es je gab. Deutschland bleibt einer der größten
Geber weltweit. Diesen Ansatz können wir alle mit guten Argumenten vertreten. CDU/CSU und FDP stehen
für ein wirtschaftlich starkes Deutschland. Deshalb kann
sich die Welt weiterhin auf unsere Hilfsbereitschaft verlassen.
({8})
Der Kollege Dr. Sascha Raabe hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe seit 2002 im Deutschen Bundestag schon viele kuriose Sätze gehört. Aber der Satz von
Volkmar Klein toppt vieles. Er sagte: Wenn die Kanzlerin
international etwas zusagt, dann hält sie es auch. - Ich
war erst vor wenigen Wochen mit der Bundeskanzlerin
auf der Millenniumskonferenz in New York, wo es darum ging, zu überprüfen, wie die Staaten dieser Erde ihre
Versprechen einhalten. Die Kanzlerin hatte die Chuzpe,
dort in die Bütt zu steigen und zu sagen: Wir stehen zum
0,7-Prozent-Ziel. - Gleichzeitig legt der Entwicklungsminister, gedeckt von der Bundeskanzlerin, einen Haushalt vor, mit dem sie dieses Versprechen eiskalt bricht,
weil sie die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit
bis 2014 reduzieren will. Das ist ein Skandal. Wer die
Weltöffentlichkeit so belügt, sollte nicht glauben, dass er
damit hier im deutschen Parlament durchkommt.
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege Klein, Sie haben in Ihrer
Rede gesagt, die damalige Entwicklungsministerin Heidi
Wieczorek-Zeul von der Sozialdemokratischen Partei
habe die Mittel nicht erhöht. Ihnen ist wohl entgangen,
dass die Ministerin 2008 und 2009 auch in der Großen
Koalition den Etat um 641 Millionen Euro bzw. 680 Millionen Euro - also jeweils um 13 bzw. 14 Prozent - gesteigert hat,
({1})
während Sie in diesem Jahr faktisch einen Nullaufwuchs
zu verantworten haben. Als wir in Verantwortung waren,
haben wir zum ODA-Stufenplan gestanden; Sie aber
brechen die Zusage. Wir lassen nicht zu, dass das durch
eine solche Geschichtsklitterung, wie Sie sie betreiben,
verdeckt wird.
({2})
Sehr geehrter Herr Kollege Klein, Sie haben die Zahlen angesprochen, die die SPD und die jetzige Opposition damals in den Haushaltsplänen gehabt haben. Ich
habe mir angeschaut, was die FDP zum Haushalt 2009
beantragt hat. Sie wollten das Entwicklungsministerium komplett abschaffen. Das ist bekannt. Der, der es
abschaffen wollte, ist jetzt Entwicklungsminister. Ich
verweise auf Ihre Anträge zum Haushalt 2009, die in Ihrem glorreichen sogenannten Sparbuch niedergelegt
sind. Sie wollten im Haushaltstitel 421 01 die Bezüge
der Parlamentarischen Staatssekretärin mit der Begründung streichen, der geringere Ansatz ergebe sich aus der
Einsparung einer Staatssekretärin. Diese Einsparung
diene der Entlastung der Bürger. Was haben Sie gemacht, als Sie das Ministerium übernommen haben? Sie
haben die Staatssekretärsposten behalten, sie mit Parteisoldaten besetzt und die Stellen für Abteilungsleiter von
drei auf vier erhöht. Bei der neuen Durchführungsorganisation GIZ haben Sie die Zahl der Geschäftsführer von
drei auf sieben erhöht. Einer kostet etwa 500 000 Euro
im Jahr.
({3})
Sie blähen den Verwaltungsapparat auf, indem Sie Spitzenposten schaffen. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Das
werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({4})
Dann kommt hinzu, dass Sie, Herr Minister Niebel,
elf Spitzenkräfte ausgewählt haben, die eine reine Männerfußballmannschaft bilden. Alle vier Abteilungsleiter
in Ihrem Haus sind männlich, und alle sieben neuen Geschäftsführer sind männlich. Dass Sie keine Frau sind,
kann man Ihnen nicht vorwerfen,
({5})
aber wenn Sie glaubwürdig in den Entwicklungsländern
für Gender-Mainstreaming und Gleichstellung der Frau
werben wollen, dann müssen Sie mit gutem Beispiel vorangehen. Wir können unseren Partnerländern nicht sagen, sie müssten mehr Frauen beteiligen, aber in der eigenen Verwaltung alle Spitzenpositionen nur mit
Männern besetzen.
({6})
Es ist nicht nur die Quantität, die in diesem Haushalt
nicht stimmt, sondern es ist auch die Qualität. Der Peer
Review des DAC, des Entwicklungsausschusses der
OECD, hat klar festgestellt, dass die Verteilung der Entwicklungshilfe, die Sie im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben - zwei Drittel bilateral, nur ein Drittel
multilateral -, falsch ist.
Übersetzt heißt das: Sie wollen künftig nicht mehr
eine im Hinblick auf internationale Töpfe wie den Global Fund - davon war schon die Rede - abgestimmte
Entwicklungspolitik betreiben, sondern Sie wollen auf
viele kleinteilige Projekte deutsche Fahnen setzen. Sie
brechen damit den internationalen Konsens, für mehr Effizienz und Effektivität zu sorgen. Klar ist doch: Wir
überfordern unsere Partnerländer, wenn wir deren Ministerien jedes Mal mit hundert ausländischen Missionen
aufsuchen, anstatt gemeinsam zu handeln. Auch dort
stimmt die Qualität nicht. Auch deswegen lehnen wir Ihren Haushalt ab, Herr Minister.
({7})
Im DAC Peer Review wird auch kritisiert, dass mit
Ihrer neuen inhaltlichen Ausrichtung die große Gefahr
verbunden ist, dass die Außenwirtschaftsförderung entwicklungspolitischen Fragestellungen und Zielsetzungen
übergeordnet ist. Dazu passt in der Tat das von Ihnen erarbeitete neue Rohstoffkonzept. Darin bringen die Bundesregierung und der Entwicklungsminister zum Ausdruck, dass bei der Auswahl der Partnerländer, also
derjenigen Länder, mit denen wir Entwicklungszusammenarbeit betreiben, ein ganz entscheidendes Kriterium
die Rohstoffsicherung Deutschlands sein soll. Ich sage:
Wir müssen bei der Auswahl der Partnerländer in erster
Linie darauf schauen: Wo ist der Hunger am größten?
Wo ist die Armut am größten? Wo ist die Not am größten? Da müssen wir helfen. Wir dürfen nicht danach gehen, wie wir der deutschen Industrie am besten Rohstoffe sichern können. Dieses Ziel müssen wir auf
anderen Politikfeldern verfolgen. Die Ärmsten der Armen dürfen nicht in diese Richtung instrumentalisiert
werden.
({8})
Dazu passt, dass Verteidigungsminister Guttenberg
auf einmal ebenfalls sagt - das ist sehr bedenklich -,
dass er die Verteidigungspolitik in Zukunft auch danach
ausrichten möchte, wie und wo deutsche Rohstoffe gesichert werden können. Ein ganz gefährliches Zusammenspiel in der neuen Regierung ist, dass Entwicklungszusammenarbeit militarisiert wird. In Afghanistan haben
Sie auch den NGOs gesagt: Es gibt nur noch dann Geld,
wenn ihr mit der Bundeswehr kooperiert. Herr Niebel,
Ihre Militärmütze, die Sie in Entwicklungsländern aufziehen, ist einfach nur peinlich - darüber kann man noch
lachen -; aber dass Sie die Entwicklungszusammenarbeit jetzt an Rohstoffinteressen und an militärischen Interessen ausrichten, das ist gefährlich. Dem werden wir
Einhalt gebieten, und wir werden diesen Haushalt ablehnen.
({9})
Herr Raabe, ich werde Sie jetzt nicht fragen, ob Sie
eine Zwischenfrage zulassen, weil Sie Ihre Redezeit
schon deutlich überschritten haben.
Ich hätte sie sehr gerne zugelassen, weil ich eine Zwischenfrage von Herrn Koppelin immer gerne beantworte.
Das kann ich mir vorstellen. Nichtsdestotrotz ist Ihre
Redezeit zu Ende.
Gut. Dann ersparen wir uns die Zwischenfrage von
Herrn Koppelin. Damit bin ich einverstanden.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Koppelin.
Herr Kollege, zu Ihren Bemerkungen, was den Verteidigungsminister angeht und was die Konzepte zum
Thema Rohstoffe und die Weißbücher angeht: Sind Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen - notfalls stelle ich Ihnen
die entsprechenden Materialien zur Verfügung -, dass
unter sozialdemokratischen Verteidigungsministern und
zu Zeiten einer Koalition, der Sie angehört haben, in den
Weißbüchern genau die gleichen Formulierungen gestanden haben?
({0})
Herr Raabe zur Erwiderung.
Ich stelle nur fest, dass Bundespräsident Köhler Aussagen gemacht hat,
({0})
in denen er Rohstoffsicherung in einen Zusammenhang
mit militärischer Absicherung gestellt hat. Er hat das
aber bedauert, weil das missverständlich war; er habe es
nicht so gemeint. Herr Guttenberg hat seine Aussagen,
dass er das Militär einsetzen möchte, um unsere Rohstoffe zu sichern, ausdrücklich betont und immer wieder
bekräftigt. Ich frage mich, warum ein Bundespräsident
zurücktritt, nachdem er sich falsch verstanden gefühlt
hat, weil er etwas so nicht gemeint hat, während ein Verteidigungsminister hier in Deutschland in der Öffentlichkeit damit durchkommt, dass er das, was im Grundgesetz überhaupt nicht vorgesehen ist, nämlich den
Einsatz deutscher Soldaten zur Rohstoffsicherung, nun
zur Maxime dieser Regierung erhebt. Ich finde, der
Bundesverteidigungsminister hätte genauso konsequent
sein müssen und die gleichen Konsequenzen wie der
Bundespräsident ziehen müssen. Das wäre richtig gewesen. Andernfalls hätte er seine Aussage zurücknehmen
müssen. Beides hat er nicht getan.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister Dirk Niebel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich ganz
herzlich bei den Berichterstattern, insbesondere bei der
Hauptberichterstatterin, Frau Hinz, für den Einzelplan 23
für die kollegiale Zusammenarbeit bedanken, was ja
nicht immer selbstverständlich ist, wenn die Hauptberichterstattung bei der Opposition angesiedelt ist. Ich
möchte mich auch ausdrücklich beim gesamten Haushaltsausschuss und bei den Kollegen des Fachausschusses für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken, die
natürlich den einen oder anderen inhaltlichen Dissens
mit sich bringt.
Ich erlaube mir, bei allem, was ich hier schon gehört
habe, noch einmal festzustellen: Es ist mit 6,22 Milliarden Euro der größte Etat dieses Einzelplans, den es jemals gab. In Zeiten der Schuldenbremse gab es einen
Zuwachs von 148 Millionen Euro.
({0})
Das zeigt ganz deutlich, dass dieser Bundesregierung die
Zusammenarbeit mit der internationalen Staatengemeinschaft wichtig ist. Sie macht damit deutlich, dass dieser
Investitionsetat auch tatsächlich genutzt wird, um den
Menschen in dieser Welt zu helfen.
Herr Minister, möchten Sie eine Frage des Kollege
Raabe zulassen?
Ich wundere mich, dass sie so früh kommt, aber ich
freue mich darüber.
Herr Minister Niebel, Sie sprechen von 148 Millionen
Euro Zuwachs in diesem Etat. Ist Ihnen bekannt - das
wissen Sie bestimmt -, dass die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit selbst schreibt, dass diese
148 Millionen Euro im Prinzip eine reine Verschiebung
aus einem anderen Einzelplan, eine Luftbuchung dahin
gehend sind, dass es keine Programmfinanzierung ist?
Und sind Sie bereit, hier zuzugeben, dass mit diesen
148 Millionen Euro, die Sie jetzt stolz anführen, nicht
ein einziges Entwicklungsprojekt konkret vor Ort finanziert wird, sondern dass es allein eine Sache ist, den
Haushalt optisch gut aussehen zu lassen? Ich kann Ihnen
das auch gerne aus der entsprechenden GTZ-Stellungnahme vorlesen. Darin heißt es:
Rein optisch wächst der Etat sogar um knapp
150 Millionen Euro Barmittel auf 6,2 Milliarden
Euro. Hier handelt es sich allerdings nur um eine
Übernahme von Ausgaben, die bisher direkt aus
dem Etat der allgemeinen Finanzverwaltung,
Einzelplan 60, übernommen wurden. Es handelt
sich nicht um Programmtitel.
Das sagt nicht die SPD, das sagt die GTZ. Vielleicht
glauben Sie es der wenigstens.
Herr Kollege Raabe, ich bin nicht bereit, das zuzugestehen, aber das, was Sie sagen, zeigt zweierlei: erstens
Ihre Quotengläubigkeit und zweitens Ihre GTZ-Hörigkeit.
({0})
- Ich würde Ihre Frage gern beantworten, Herr Raabe,
falls es Sie denn überhaupt interessiert. - 1 Million Euro
sind zusätzliche Mittel für Bildung, und das andere sind
tatsächlich Erlöse aus Goldverkäufen, die dem Internationalen Währungsfonds für Entwicklungskredite zur
Verfügung gestellt werden, durch die wichtige Projekte
in den Partnerländern finanziert werden und die den
Menschen tatsächlich helfen. Ich gehe davon aus, dass
Ihre Frage dadurch hinreichend beantwortet worden ist.
Unabhängig davon ist dieser Etat aber auch ein ganz
besonderer, nicht nur wegen der Höhe, sondern er gilt
für das 50. Jahr des Bestehens des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
das wir im nächsten Jahr feiern können.
({1})
- Sie können mir eine Zwischenfrage stellen, dann beantworte ich Ihnen die sofort; aber so lange läuft die Uhr
noch. - Wir werden das im nächsten Jahr nicht nur feiern, sondern wir haben mit diesem Etat das erste Mal
vom deutschen Parlament die Chance bekommen, ab
dem nächsten Jahr auch eine qualitativ deutlich hochwertigere Entwicklungspolitik gestalten zu können. Das
ist übrigens auch der Grund, meine lieben Kollegen von
der linken Seite des Hauses, weshalb Sie mich in aller
Regel - außer bei vergangenheitsbezogenen Diskussionen - nicht von Entwicklungshilfe sprechen hören. Entwicklungshilfe der Vergangenheit hat Abhängigkeiten
gefördert. Wir reden von Entwicklungskooperation, Entwicklungspartnerschaften und Entwicklungspolitik.
({2})
Die finanziellen Voraussetzungen für die neue Struktur der staatlichen Entwicklungskooperation sind mit
diesem Haushalt geschaffen worden. Das bedeutet: Die
Abstimmung über diesen Einzelplan 23 ist auch eine
Abstimmung über die Reform der deutschen Entwicklungspolitik. Da bin ich ganz gespannt auf Ihr Abstimmungsverhalten.
Der Haushaltsausschuss hat mit seinem Grundsatzbeschluss auch das Fundament für die notwendige Personalausstattung gelegt, um die Steuerungsfähigkeit der
Politik gegenüber den Durchführungsorganisationen zurückzugewinnen. Das ist überhaupt die Kernaufgabe des
Koalitionsvertrages und des Kabinettsbeschlusses vom
7. Juli dieses Jahres; die Rückgewinnung der Steuerungsfähigkeit der Politik der Bundesregierung gegenüber den Durchführungsorganisationen. Das ist eine
Aufgabe, die jedem hier im Haus wichtig sein muss.
({3})
Es ist natürlich leicht, das alte Schema zu benutzen:
erst einmal skandalisieren und dann hinterher sehen, was
daraus wird. Ich hatte schon gedacht, dass die Rede von
Frau Hänsel bemerkenswert wäre; aber da ist wenigstens
noch ein Kern von Ideologie festzustellen gewesen. Ein
so hohes Maß an Schlichtheit der Einlassungen des Kollegen Raabe hätte ich in diesem Hause aber nicht erwartet.
({4})
Fakt ist, dass mit dieser Reform, mit all den Vorschlägen, die wir gemacht haben, nicht nur die Steuerungsfähigkeit der Bundesregierung wiederhergestellt wird, sondern, obwohl das nur Nebenziele sind, auch die Effizienz
der Entwicklungskooperation gestärkt und zusätzlich
noch Geld gespart wird.
Man kann sich große Buchstaben anschauen und dann
aus den Überschriften herauslesen, wie viel Furchtbares
von diesem Minister gemacht wird. Wenn man dann das
zweite Mal hinschaut, stellt man fest: Im Haushaltsplan
des Bundes für das BMZ werden 700 Stellen am 31. Dezember dieses Jahres entfallen. 200 werden im Laufe der
Fusion umgewidmet - dafür hat der Haushaltsausschuss
die Voraussetzungen geschaffen -, um die Steuerungsfähigkeit zu erhöhen. 500 Stellen netto werden somit im
Haushalt des Bundes entfallen sein.
({5})
Darüber hinaus kann man, wie Frau Kollegin Hinz
und Sie, Herr Raabe, es gemacht haben, kritisieren, dass
wir die Steuerung auch bei der neuen Durchführungsorganisation, der Deutschen Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit, implementieren wollen. Man muss
aber auch hier bitte die Fakten zur Kenntnis nehmen. Die
drei zu fusionierenden Gesellschaften, GTZ, DED und
InWEnt, haben heute sieben Geschäftsführer, drei bei
der GTZ, einer beim DED und drei bei InWEnt.
Wir haben dem Haushaltsausschuss gegenüber klargemacht, dass wir Geld sparen wollen. Der Haushaltsausschuss hat völlig zu Recht die Sorge gehabt, dass es
dann, wenn wir aus fünf wahrnehmbaren Geschäftsführern sieben machen würden - zwei Geschäftsführer bei
InWEnt werden nämlich immer wieder vergessen; weil
sie nicht Hauptgeschäftsführer sind, sind sie nicht so
präsent, aber sie sind da; schauen Sie einmal auf die Internetseite -, zu einer Vermehrung der Ausgaben kommen würde. Das wäre auch richtig, wenn man die Gehaltsstruktur der GTZ mit ungefähr 250 000 Euro Gehalt
für die Geschäftsführer zugrunde legen würde. Wir kommen der Vorgabe des Haushaltsausschusses nach, indem
wir überhaupt keine Geschäftsführung mehr einsetzen.
Wir werden eine komplett neue Führungsstruktur einsetzen mit einem Vorstandssprecher und sechs Bereichsvorständen,
({6})
die auch fachliche Zuständigkeit für ihren Bereich haben. Gleichzeitig wird die gesamte Gehaltsstruktur auf
die Ebene der bisherigen Bereichsleiter abgesenkt,
({7})
außer natürlich bei denjenigen, die aufgrund bestehender
Verträge Rechtsschutz genießen.
Wir sorgen auch dafür, dass die Steuerungsfähigkeit
bei Wahrung der Interessen aller Einzelorganisationen
gewahrt bleibt. Die Alt-GTZ kann nicht über den Tisch
gezogen werden, weil der Vorstandssprecher ein Vetorecht bekommt, also nichts gegen ihn entschieden werden kann. Er muss sich aber aktiv um mindestens einen
weiteren Bereichsvorstand bemühen, wenn er etwas
durchsetzen möchte. Das sichert die Rechte von DED
und InWEnt, dass sie nicht von der Alt-GTZ dann doch
womöglich feindlich übernommen werden. Die Steuerungsfähigkeit der Bundesregierung wird für einen
Übergangszeitraum von 2011 bis 2012 durch zwei vom
Bund zu entsendende Bereichsvorstände gestärkt. Es
bleibt also bei der Gesamtzahl sieben bei deutlich abgesenkter Einkommenshöhe.
Von Einsparungen in Höhe von 2,146 Millionen Euro
im Jahr spricht das Wirtschaftlichkeitsgutachten, das Ihnen lange vor den Haushaltsberatungen vorgelegen hat
({8})
und von BMF und Bundesrechnungshof in diesem Punkt
nicht angegriffen wurde.
Ich unterbreche Sie ja immer erst, wenn Sie einen
Punkt machen. Deswegen jetzt die Frage: Möchten Sie
eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen
Koppelin zulassen?
Wenn Sie stoppen, sehr gerne.
Herr Minister, könnten Sie noch einmal für Klarstellung sorgen?
Erstens. Kollege Raabe hat ja gesagt, jeder der Geschäftsführer hätte ein Gehalt von 500 000 Euro.
({0})
Können Sie das bestätigen, oder können Sie noch einmal
konkret sagen, was vorgesehen ist?
Zweitens hat Kollege Raabe Ihnen vorgeworfen, Sie
würden - ich sage es jetzt einmal vereinfacht - nur FDPSoldaten dort in den Gremien haben. Werden auch Sozialdemokraten bei diesem Personaltableau dabei sein?
({1})
Ich will die Fragen gerne beantworten. Im Moment ist
es so, dass sich die Gehaltsstruktur für einen Geschäftsführer bei der GTZ auf ein Fixum von 190 000
Euro plus 60 000 Euro variablem Einkommen beläuft.
Bei den zukünftigen Bereichsvorständen wird sich das
Gehalt in einer Größenordnung von 110 000 Euro plus
30 000 Euro variablen Bestandteilen bewegen. Das heißt
also, eine deutliche Verringerung, außer aufgrund der gewachsenen Rechtsansprüche bei denen, die jetzt schon
im Amt sind und im Amt bleiben.
({0})
Ich will hier, weil sich das Kabinett und die Aufsichtsgremien erst noch damit befassen müssen, nichts
über Namen sagen, aber die Struktur, die mir vorschwebt, berücksichtigt auch Sozialdemokraten. Das ist
richtig.
({1})
Nachdem Sie, Herr Raabe, nur von Parteisoldaten gesprochen haben, erlauben Sie mir auch das andere im
Rahmen Ihrer Frage aufgeworfene Kriterium anzusprechen: Von den sieben Mitgliedern des neu zu schaffenden Vorstandes sind allein fünf, männlich, Überbleibsel
der Vorgängerregierung; denn unter der Vorgängerregierung konnte keine Frau irgendwo in eine gehobene Position kommen, weder bei der GTZ noch beim DED, nicht
bei InWEnt, nicht bei der KfW, nicht bei der DEG, nicht
bei der Weltbank und nicht beim DAC.
({2})
Allerdings, um das, Herr Koppelin, abschließend zu
erläutern, habe ich schon eine Dame zur Exekutivdirektorin bei der Weltbank gemacht. Durch die Initiative von
Gudrun Kopp wird zum 1. Januar eine zusätzliche Aufsichtsrätin in der DEG installiert werden, übrigens Frau
Professor Dr. Weder di Mauro, deren Kompetenz Sie ja
wohl kaum anzweifeln werden.
Das zeigt, dass wir von null Frauen in Führungspositionen in Ihrer Verantwortung auf zwei Frauen in Führungspositionen gekommen sind. Lothar Binding, der
nachher noch spricht, ist gelernter Mathematiker. Er
wird Ihnen bestätigen, dass man diese Steigerung nicht
einmal prozentual beschreiben kann.
({3})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie
sehen: Der Haushalt, den wir heute beschließen, bildet
die entscheidende Grundlage für die wichtigen Maßnahmen im Rahmen der Strukturreform. Ich weiß, dass zumindest die Grünen dem Haushalt nicht zustimmen werden; sie werden ihn ablehnen. Mittlerweile lehnen Sie
auch Bahnhöfe und Olympische Spiele ab. Insofern kann
ich Ihnen nur sagen: Immer nur dagegen zu sein, bringt
Deutschland nicht voran, schon gar nicht, wenn es um
die Sicherung der Rechte der ärmsten Menschen auf dieser Welt geht.
Vielen herzlichen Dank.
({4})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Sascha Raabe.
Ich muss schon die Äußerung von Herrn Koppelin zurückweisen. Er hat behauptet, ich hätte gesagt, jeder der
Geschäftsführer hat ein Gehalt von 500 000 Euro. Ich
habe aber gesagt: Er „kostet etwa 500 000 im Jahr“.
Diese Zahl ergibt sich, wenn man die ganzen indirekten
Kosten und Leistungen hinzurechnet.
({0})
Zweitens. Meine Äußerung zur Besetzung bezog sich
nicht auf die neue Geschäftsführung. Diejenigen, mit denen ich bis jetzt gesprochen habe, haben gesagt, dass sie
Geschäftsführer werden, und haben sich darüber gefreut.
Auf einmal hören wir, dass sie sich irgendwie anders
nennen. Ich glaube, die sieben, die benannt wurden, haben sich eher im Range eines Geschäftsführers gefühlt;
Ich glaube, das ist auch so. Ich habe aber nicht gesagt,
dass dort nur FDP-Parteisoldaten untergebracht sind,
sondern habe gesagt, in der bisherigen Personalpolitik ist
das so.
Herr Minister Niebel, Sie haben schon hundertfach
die Kritik des Personalrats gehört, dass Sie im Prinzip
kompetente Leute herausschmeißen und sie durch FDPParteisoldaten ersetzen. Das haben wir auch bei Eckhard
Deutscher, dem früheren Exekutivdirektor bei der Weltbank, erlebt.
Herr Minister, ich war einmal Bürgermeister einer
kleinen Gemeinde. Als ich dort Bürgermeister war, habe
ich, als ich Stellen besetzt habe, immer darauf geachtet,
dass keiner sagen kann: Die Stelle ist nach deinem Parteibuch besetzt worden. Mir wäre nie in den Sinn gekommen,
({1})
den Leiter meiner Personalabteilung - ausgerechnet den,
der für die Einstellungen in meinem Rathaus zuständig
ist - nach SPD-Parteibuch zu besetzen. Selbst wenn da
einer sehr qualifiziert gewesen wäre, hätte ich gesagt:
Ich möchte mich nicht dem Vorwurf aussetzen, nach
Parteibuch entschieden zu haben.
({2})
Sie haben jetzt selbst die Stelle des Personalleiters - desjenigen, der für die Stellenvergabe zuständig ist - mit einem FDP-Kreisvorsitzenden besetzt. Ebenso steigt Herr
Paetz in die Geschäftsführung auf. Da kann ich nur sagen: Hören Sie einmal auf Ihren Personalrat! Verschaffen Sie sich dadurch Respekt, dass Sie Menschen nach
Leistungsfähigkeit und Kompetenz einstellen und nicht
nach dem Parteibuch.
({3})
Herr Bundesminister zur Antwort.
Kollege Raabe, zunächst möchte ich sagen: Es ist fast
so, als wenn Opa vom Krieg erzählt; diese Rede haben
wir schon mehrfach gehört. Sie unterstreichen mit bemerkenswerter Klarheit meine Aussage über die
Schlichtheit der Äußerung.
({0})
Nichtsdestotrotz möchte ich einen Punkt klarstellen.
Nachdem Sie schon mehrfach in diesem Hause versucht
haben, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Ressorts zu beleidigen, dürfen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass der von Ihnen angesprochene Referatsleiter
im Personalbereich ein qualifizierter Beamter in einem
anderen Bundesministerium war. Er ist von Bundesministerium zu Bundesministerium versetzt worden; es
war also nicht einmal eine der von Ihnen als widerlich
angeprangerten externen Besetzungen. Diese hervorragende, kompetente Persönlichkeit ist im Übrigen zu
100 Prozent schwerbehindert.
({1})
Er ist wie Sie oder ich keine Frau; das ist richtig. Er ist
aber wirklich kompetent und schließt eine große Lücke
im Bereich der Beschäftigung von Schwerbehinderten,
die in einem Ressort, das für das Gute in der Welt zuständig ist, durchaus im eigenen Hause geschlossen werden sollte.
({2})
Ich will gern darauf hinweisen, dass es keine Kurzintervention zur Kurzintervention gibt.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Niema Movassat für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Bezüglich des Entwicklungsbudgets stecken wir seit
Jahrzehnten in einer Endlosschleife. Wieder wird ein
neuer Haushalt verabschiedet; wieder ist er meilenweit
vom internationalen Versprechen Deutschlands entfernt,
die Quote der Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts zu steigern. Laut
Europäischer Kommission beträgt die Lücke zwischen
zugesagten und tatsächlich gezahlten Entwicklungshilfegeldern in Deutschland im Jahr 2010 mittlerweile ganze
2,7 Milliarden Euro. Dabei bräuchten wir jedes Jahr
knapp 2 Milliarden Euro mehr, um das 0,7-Prozent-Ziel
zu erreichen. Laut Regierungsplanung werden aber bis
2014 fast 400 Millionen Euro weniger in den Entwicklungsetat fließen. Das ist eine völlig falsche Weichenstellung.
({0})
Ich bin zwar erst zum zweiten Mal bei den Haushaltsberatungen dabei, aber eine Frage an meine Kolleginnen
und Kollegen, die schon länger dabei sind: Kommen Sie
sich nicht langsam lächerlich vor? Sie schieben sich jedes Jahr aufs Neue gegenseitig die Schuld in die Schuhe
- auch heute wieder - und erfinden immer wieder neue
Ausreden.
({1})
Sie alle waren oder sind aber in der Regierung und haben
alle zu wenig dafür getan, dass wir das Ziel erreichen.
({2})
Von den für die Entwicklungsarbeit ausgewiesenen
Geldern fließen nur circa 40 Prozent in die Partnerländer. Der Rest sind Kosten, unter anderem für Abschiebung, Verwaltung und Unterkünfte der Bundeswehr in
Afghanistan. Was sich irgendwie mit Entwicklungsländern in Verbindung bringen lässt, rechnen Sie in die Entwicklungsquote mit ein. Sie sollten einmal überdenken,
was Sinn und Zweck des 0,7-Prozent-Ziels ist.
({3})
Es soll Geld zur Verfügung gestellt werden, um nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, damit grundlegende
Menschenrechte wie Bildung und Gesundheit endlich
auf der ganzen Welt gewährleistet sind. Ganz sicher ist
es nicht Sinn und Zweck, durch Buchungstricks irgendwann formal die 0,7-Prozent-Marke zu erreichen, damit
Sie sich dann auf die Schulter klopfen können.
({4})
In einem Punkt bleiben Sie, Herr Niebel, sich treu:
Die Mittel für Ihr Lieblingsprojekt „Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft“ erhöhen Sie um satte
25 Prozent. Schauen wir uns doch einmal diese öffentlich-privaten Partnerschaften, kurz PPP genannt, genauer an. Das erste Problem ist, dass sich die Interessen
der Unternehmen häufig nicht mit den Anforderungen an
die Entwicklungszusammenarbeit decken.
({5})
Unternehmen gehen nun einmal ungern in Staaten mit
einer instabilen Wirtschaft oder einer schlechten Infrastruktur. Viele Staaten Afrikas, insbesondere ländliche
Regionen, bleiben damit außen vor. Auch die Bereiche,
die für nachhaltige Entwicklung eine große Rolle spielen, also kostenloser Zugang zu Bildung, Gesundheit
und Wasser, kommen bei PPPs viel zu kurz. Hierfür werden nur 15 Prozent der Gelder ausgegeben; denn für die
Privatwirtschaft sind hier kaum Profite zu machen.
({6})
Die PPPs binden also Mittel, die in anderen Bereichen
dringend benötigt werden. Da die Unternehmen nur in
lukrative Bereiche investieren, ist völlig unklar, ob sie
die Projekte nicht ohnehin durchgeführt hätten. Deshalb
handelt es sich bei PPPs oft schlichtweg um verdeckte
Subventionen. Das ist Außenwirtschaftsförderung, nicht
Entwicklungszusammenarbeit.
({7})
Das zweite Problem: Im PPP-Programm des Entwicklungsministeriums sind nur deutsche bzw. europäische
Unternehmen antragsberechtigt, Firmen aus Partnerländern nicht. Das führt das ganze Konzept der PPPs endgültig ad absurdum. Es trägt nicht zur Stärkung der lokalen Wirtschaft bei. Sie betreiben ganz antiliberal - das
stellt auch die Deutsche Welthungerhilfe fest - Wettbewerbsverzerrung zugunsten deutscher Unternehmen.
({8})
Drittens. Die letzte Evaluation des gesamten PPPKonzepts gab es vor acht Jahren. Niemand käme in der
Wirtschaft damit durch, nur alle zehn Jahre Bilanz zu
ziehen. Wenn Sie schon mit der Wirtschaft kooperieren,
dann legen Sie wenigstens in diesem Punkt dieselben
Standards an.
({9})
Ich sage Ihnen: Das Geld wäre in den Bereichen „ländliche Entwicklung“ oder „Hungerbekämpfung“ angesichts
fast 1 Milliarde Hungernder wesentlich besser aufgehoben.
Ungenügend sind auch die Bemühungen der Bundesregierung zur Abschaffung der Agrarexportsubventionen. So subventioniert die Europäische Union Milch
und macht sie dadurch künstlich billiger. Das Milchpulver landet dann in afrikanischen Staaten. Die Kleinbauern vor Ort können mit diesen Dumpingpreisen nicht
konkurrieren. Lokale Milchmärkte wie in Sambia wurden dadurch zerstört und Bauern in Armut und Elend getrieben. Dasselbe Spiel kennen wir in Ghana mit den Tomaten und in Ägypten mit dem Getreide. Aber statt die
Agrarexportsubventionen bis 2013 wie versprochen abzuschaffen, will die Europäische Kommission bei der
Neugestaltung der europäischen Agrarpolitik bis 2020
an den Subventionen festhalten. Die Bundesregierung
muss ihren Einfluss geltend machen, damit diese Pläne
nicht Wirklichkeit werden.
({10})
Also: Zu wenige Mittel und zu viel Wirtschaftsorientierung, das sind Kernpunkte Ihrer Entwicklungspolitik.
Die Linke wird diesem Haushaltsentwurf daher natürlich
nicht zustimmen.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({11})
Jetzt hat Thilo Hoppe das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben heute in den Reden schon mehrfach vom
DAC Peer Review gehört. Einige werden sich fragen,
was das ist. Dahinter verbirgt sich nicht Donald Duck
oder eine lahme Ente, sondern der Entwicklungsausschuss der OECD-Staaten. Das ist der Verbund der
Industrienationen, die Entwicklungszusammenarbeit betreiben. Der Peer Review ist eine Art Überprüfungsmechanismus. Delegationen reisen in ein bestimmtes
Geberland und nehmen die Entwicklungszusammenarbeit unter die Luppe. Dann listen sie in einem langen
Bericht das Positive und Negative auf und bringen konstruktive Kritik an.
Vor kurzem war Deutschland an der Reihe. Auch darüber haben die Inspektoren einen langen Bericht geschrieben, in dem sie Positives und Negatives aufgelistet
haben. Sie haben - das muss man fairerweise sagen - die
Entwicklungspolitik der letzten vier bis fünf Jahre unter
die Luppe genommen, also nicht nur die Entwicklungspolitik dieser Regierung, sondern auch die der Vorgängerregierung.
Da wir uns in der Haushaltsdebatte befinden, greife
ich eine Passage zum Thema Entwicklungsfinanzierung
heraus. Da heißt es: „Germany is far off-track …“
Deutschland ist also weit davon entfernt, seine Zusagen
einzuhalten. Der Bericht fordert - ebenso wie die evangelische und die katholische Kirche, wie VENRO, also
der Verband der Nichtregierungsorganisationen, und wie
auch die Oppositionsparteien - von der Bundesregierung
einen Plan, aus dem glaubhaft und nachvollziehbar hervorgeht, wie denn das 0,7-Prozent-Ziel bis 2015 tatsächlich erreicht werden kann. Das ist wohl nichts Neues.
Aber es gibt auch eine Passage, die mir zunächst entgangen war und die sich mit der Rolle der Parlamentarier
und ganz speziell des Entwicklungsausschusses beschäftigt. Der DAC Peer Review schlägt vor, dass wir uns
fraktionsübergreifend zusammensetzen und dass wir gemeinsam eine Initiative nach dem Motto „Keep the promise!“ - haltet das Versprechen - starten. Das könnte
dazu führen, dass sich zum Schluss die Parlamentarischen Geschäftsführer und die Fraktionsvorsitzenden zusammensetzen und sich darauf verständigen: Ja, es gibt
zwar große Sparzwänge, aber wenn wir das gemeinsam
stemmen und uns später gegenseitig keine Vorwürfe machen, dann vereinbaren wir, dass wir jetzt die Lücke
schließen. - Es geht um 2 bis 3 Milliarden Euro, die
jährlich hinzukommen müssen.
({0})
Jetzt sagen einige, das sei utopisch und unrealistisch.
In Großbritannien hat es aber auf diesem Wege geklappt. Man hat die Debatte aus dem parteipolitischen
Hickhack mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen,
wie wir sie heute wieder hier erlebt haben, herausgenommen. Das hat dazu geführt, dass die dortige konservativ-liberale Regierung in Großbritannien trotz dramatischerer Sparzwänge einen Etat vorgelegt hat, der
Absenkungen in fast allen Ressorts, aber Zuwächse bei
der Entwicklungszusammenarbeit vorsieht. Es wird also
nicht bei den Ärmsten der Armen gespart. Die Opposition, also die Labour Party, hat versprochen, dass sie das
nicht populistisch ausnutzen wird nach dem Motto „Seht
mal, hier in England wird gespart, aber in Afrika wird
das Geld zum Fenster herausgeworfen“.
Den Bedenken, wie diese Politik bei der Bevölkerung
ankommt, ist man durch eine gemeinsame Vereinbarung
der Fraktionsvorsitzenden begegnet. Genau das schlägt
der DAC Peer Review vor. Ich finde, das ist eine sehr
spannende gemeinsame Initiative, für die ich Sie gerne
gewinnen möchte. Warum sollten wir das, angespornt
von VENRO, von den Kirchen und von der MichaInitiative, die sich gebildet hat, nicht tun? Es ist finanzierbar. Das Geld ist vorhanden. Angesichts der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung und anderer Sparzwänge ist dies für manche nur schwer zu vertreten.
Aber wenn wir das gemeinsam machen, dann können
wir es schaffen. Dann können wir sagen: Keep the promise! Yes, we can!
({1})
Dagmar Wöhrl hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Hoppe, ich kann sagen - ich glaube, da spreche ich im
Namen aller, die im Ausschuss sind -, dass wir an dem
Ziel festhalten und es erreichen wollen. Aber wir haben
auf einer sehr niedrigen Ausgangsbasis angefangen.
Sie wissen ganz genau, wie bei den Vorgängerregierungen die ODA-Quote erfüllt worden ist, nämlich größtenteils durch Schuldenerlasse. Das ist das Problem. Es
wurde nicht mehr Geld ausgegeben, sondern es gab
Schuldenerlasse, was die Entwicklung in diesen Ländern
natürlich nicht vorangebracht hat.
Wir wissen, die Zeiten sind inzwischen schwieriger
geworden, als sie es damals waren. Wir haben immens
viele Krisen hinter uns. Ich will jetzt nicht näher auf die
Finanzmarktkrise, die Wirtschaftskrise, die Nahrungsmittelpreiskrise, Ernährungskrise und auf die Naturkatastrophen eingehen. Trotzdem haben wir es geschafft, einen Sparhaushalt auf den Weg zu bringen - ich erinnere
an die 80 Milliarden Euro -, weil wir sehen, dass wir unseren Kindern die Chance geben müssen, dass sie auch
künftig ein steuerbares Sozialsystem haben. Deswegen,
glaube ich, ist es wichtig, hier zu sagen, dass wir für diesen Etat mit 6,22 Milliarden Euro, den wir jetzt haben,
wirklich dankbar sein müssen,
({0})
dass wir dankbar sein müssen, dass wir in dieser Situation, in der wir jetzt und heute stehen, keine Federn lassen mussten. Das ist nicht selbstverständlich, wenn Sie
sich die Einzelpläne anderer Ministerien ansehen. Deshalb ein herzliches Dankeschön an alle, die dabei mitgewirkt haben, an die Finanzpolitiker und auch an die
Haushälter in diesem Haus.
({1})
Wir sind immer noch einer der größten Geber bei den
internationalen Institutionen. Ich glaube, ein Kapitalanteil von 4,6 Prozent bei der Weltbank kann sich sehen
lassen.
Wir haben diese Regierung jetzt seit etwas über einem
Jahr, und ich sehe, was inzwischen alles auf den Weg
gebracht worden ist. Wenn ich nur an die Reform der Institutionen, an die Zusammenlegung im Rahmen der
technischen Zusammenarbeit, denke, dann muss ich feststellen, dass das ein Werk ist, das Vorgängerregierungen
nicht einmal angedacht haben, geschweige denn auf den
Weg gebracht haben.
({2})
Heute sind wir auf einem positiven Weg. Es ist noch immens viel zu tun, es muss hier noch ein neues Geschäftsmodell entwickelt werden. Das wissen wir. Die GIZ wird
ein großer Goliath, der steuerbar sein muss. Ich wünsche
dem Minister wirklich alles Gute dabei, diese Steuerung
auf den Weg zu bringen.
Wir erhoffen uns eines - ich glaube, wir alle erhoffen
uns das -: Wir wollen mehr Übersichtlichkeit haben, wir
wollen auch mehr Wirtschaftlichkeit haben. Das sind in
diesem Zusammenhang die Schüsselwörter.
Ich erinnere mich daran, dass es in allen Reden heißt:
Mehr Geld, mehr Geld, mehr Geld. Aber ist das wirklich
so, dass wir dann, wenn wir mehr Geld in die Hand nehmen würden,
({3})
in den Ländern noch mehr bewirken würden? Sollten wir
uns nicht eher fragen: Wie sehen wir zukünftig überhaupt eine effizientere Entwicklungspolitik? Wie wollen
wir die Entwicklungspolitik zukünftig gestalten? Wollen
wir die alten Wege, die oft nicht sehr vielversprechend
gewesen sind, weiter beschreiten, oder wollen wir neue
Wege und auch effizientere Wege einschlagen?
({4})
Ich bin der Auffassung, dass überhaupt nicht zur Diskussion steht, dass Gelder eingesetzt werden. Das sieht
auch unsere Koalition so. Ich glaube, das ist unstrittig.
Aber man muss auch eines sehen: Wir brauchen
starke Geberländer. Wir brauchen Geberländer, die einen
soliden Haushalt haben; denn wir wollen ja, dass diese
Geberländer auch in Zukunft Entwicklungshilfe leisten
können,
({5})
und das nicht nur mit den Mitteln des nächsten Etats,
sondern über Jahrzehnte hinweg. Deswegen ist die
Haushaltskonsolidierung in diesem Bereich so wichtig.
Wir werben für mehr gegenseitiges Verständnis bei
den Entwicklungsländern, bei den Schwellenländern, bei
den Geberländern. Wir alle sitzen in einem Boot. Wir
müssen die Erkenntnis gewinnen - ob das die Entwicklung im Süden ist, ob das die Lebenschancen, die Potenziale der vielen Menschen in den Entwicklungsländern
sind -, dass uns das alles auch hier in Deutschland etwas
angeht. Das müssen wir in der Öffentlichkeit noch viel
mehr herüberbringen, als wir es in der Vergangenheit gemacht haben. Das heißt, um die Armut zu bekämpfen,
brauchen wir ein weltweites Netzwerk aller, die daran
teilhaben.
Außerdem brauchen wir dringend einen Perspektivwechsel. Ich bin noch nicht so lange in der Entwicklungspolitik aktiv, aber ich habe gemerkt, dass wir diesen Perspektivwechsel brauchen: weg von dem - in
Anführungszeichen - „betreuten Opfer“ hin zum eigenverantwortlichen Akteur in den einzelnen Ländern.
({6})
Das ist der Weg, den wir einschlagen müssen, um das zu
erreichen.
Frau Hänsel, in diesem Zusammenhang sind die Geberländer in der Pflicht; ich glaube, das ist auch Ihre
Meinung. Wir müssen sie viel stärker in die Verantwortung nehmen, als wir es in der Vergangenheit gemacht
haben. Das Ownership-Prinzip, wie es in der Pariser Erklärung steht, ist der richtige Weg zu mehr Wirksamkeit.
Sie müssen sehen: Es gibt die internationale Ebene.
Die Staatengemeinschaften haben große Ziele. An der
Erreichung dieser Ziele müssen auch die Entwicklungsund Schwellenländer mitarbeiten. Ich erwähne nur das
Klimaschutzabkommen. Es gibt daneben die nationale
Ebene. Auf der nationalen Ebene haben diese Länder natürlich eine Verantwortung ihren Bürgern gegenüber. Sie
müssen dafür sorgen, dass es eine Gesundheitsvorsorge,
Bildungseinrichtungen und vieles andere mehr gibt. Das
heißt, sie müssen mitentscheiden, aber vor allem eines:
Sie müssen mitverantworten. Sie müssen die Verantwortung für ihr eigenes Volk tragen.
Präsident Obama hat in seiner Rede vor dem ghanaischen Parlament gesagt - ich zitiere -:
Die Geschichte liefert ein klares Urteil: Regierungen, die den Willen ihrer Bevölkerung respektieren,
sind wohlhabender, stabiler und erfolgreicher als
Regierungen, die dies nicht tun.
({7})
Was folgt daraus? Ich glaube, man sieht, dass es
falsch ist, Regierungen, denen die eigene Bevölkerung
egal ist, zu päppeln, Geld zuzuschießen. Deren Macht
endet am Rand ihrer Hauptstadt. Dort ist der Misserfolg
für das Land, für das Volk vorprogrammiert. Deswegen
ist es wichtig, dass wir dort, wo wir merken, dass Regierungen nicht verantwortungsvoll mit ihrer Bevölkerung
umgehen,
({8})
versuchen, an die Bevölkerung selbst heranzukommen,
ohne den Umweg über schlechte Regierungen zu gehen.
Ich möchte jetzt nicht länger auf Budgethilfe und anderes in diesem Zusammenhang eingehen. Das ist ein
wichtiger Punkt. Wir sind dankbar, dass uns die Zivilgesellschaften hier sehr stark unterstützen.
Wir müssen mehr Sensibilität wecken. Wir müssen
die immensen Potenziale, die es gibt, stärken, damit
diese Länder unabhängig werden. Denn eines ist klar:
Impulse setzen können wir, aber die schöpferische Kraft,
um etwas aus den Impulsen zu machen, müssen die Entwicklungsländer selbst aufbringen. Man kann kein Land
von außen entwickeln.
Ich bedanke mich vielmals für die Aufmerksamkeit.
({9})
Der Kollege Hoppe erhält die Möglichkeit für eine
Kurzintervention.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kollegin, ich stimme Ihren Analysen und alldem, was Sie
gesagt haben, zu. Aber es führt kein Weg daran vorbei,
dass wir zur Erreichung der Millenniumsziele bessere
und mehr Entwicklungszusammenarbeit und auch mehr
Geld brauchen. Das ist auch im Koalitionsvertrag so
festgelegt.
Mich würde interessieren, wie Sie den Vorschlag aus
dem DAC Peer Review, dass wir versuchen sollten, hier
im Parlament fraktionsübergreifend Konsens herzustellen,
finden. Den Kolleginnen und Kollegen in Großbritannien
ist dies geglückt. Dort haben alle Fraktionen gesagt:
0,7 Prozent werden beiseitegelegt, über den Restkuchen
kann man sich in den Etatverhandlungen unterhalten.
Man hat es in Großbritannien geschafft, das 0,7-ProzentZiel als sakrosankt und unantastbar zu erklären. Dies geschah aus einer Initiative des dortigen Entwicklungsausschusses heraus. Das hat die Sache weit vorangebracht.
Sollten wir bei uns im AWZ nicht auch versuchen, solch
eine Initiative auf den Weg zu bringen?
Bitte schön, Frau Kollegin Wöhrl.
Lieber Kollege Hoppe, ich glaube, wir alle würden
nichts lieber tun, als einen Konsens zu finden, um das
0,7-Prozent-Ziel sehr kurzfristig zu erreichen. Aber, ich
glaube, uns allen ist auch klar, dass wir gegenüber den
Generationen in unserem eigenen Land Verantwortung
hinsichtlich der Haushaltskonsolidierung haben. Für uns
ist es primäres Ziel, den Haushalt schnell zu konsolidieren. Wir haben eine Schuldenbremse im Grundgesetz
verankert. Wir alle sind uns einig: Sobald erreicht ist,
dass wir wieder agieren können, können wir viel mehr
Geld in all den Bereichen einsetzen, wo wir es uns wünschen.
({0})
Das Wort erhält nun der Kollege Lothar Binding für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu dem Streit über die Wirksamkeit. Ich glaube,
wir sind uns einig, dass viel Geld, das effizient eingesetzt wird, besser ist als wenig Geld, das ineffizient eingesetzt wird. Ich glaube, darum ging es in dem Streit,
den wir vorhin geführt haben.
Irritiert hat mich, wie über Mitarbeiter von Durchführungsorganisationen gesprochen wurde. Ich glaube,
wenn man auf die Kompetenz der GTZ vertraut, ist man
nicht „hörig“.
({0})
Wenn man auf die Kompetenz des BMZ vertraut, ist
man auch nicht hörig. Wir sollten uns klarmachen, was
der Evangelische Entwicklungsdienst, ONE, GAVI, Misereor, VENRO und andere leisten. Auf deren Expertise
können wir uns verlassen - man muss immer wieder etwas nachprüfen; das ist völlig klar -, deshalb ist man
aber nicht hörig. Ich glaube, so wie vorhin geschehen,
sollten wir nicht über die Durchführungsorganisationen
reden. Denn dann stellt man etwas gegeneinander, das
man nicht gegeneinander stellen sollte. Ich glaube, es tut
dem Minister nicht gut, wenn er in dieser Weise verfährt.
({1})
Das passt auch gar nicht zu der wirklich guten Atmosphäre, in der die Berichterstatterrunden stattfanden. Mit
unserer Chefin Priska Hinz und den Kollegen Volkmar
Klein, Jürgen Koppelin und Dietmar Bartsch waren wir
ein recht gutes Team, das die verschiedenen Themen erarbeitet hat. Bärbel Kofler und Sascha Raabe haben
mich im AWZ sehr stark unterstützt; das gilt allerdings
auch für Herrn Schmidt, Herrn Beerfeltz und Dirk
Niebel. Es war insgesamt eine gute Kooperation. Uns
wurden alle Fragen beantwortet. Das ist eine gute Arbeitsbasis. Im Parlament darf es ruhig ein bisschen hoch
hergehen; aber die Arbeitsbasis sollte man nicht zerstören. Die Ministerien haben eine extrem hohe fachliche
Kompetenz. Ich glaube, wenn man diese Kompetenz mit
der Kompetenz des Parlaments zusammentut - als weitere Beispiele nenne ich GTZ, KfW, DED und InWEnt -,
dann haben wir einen Fundus, aus dem wir schöpfen
sollten.
({2})
Bei der Einbringung des Haushalts hat Dirk Niebel
voller Stolz gesagt: Mein Haushalt wächst um
3 Millionen Euro. - Interessanterweise hat die Anzeige,
die die Kanzlerin vor kurzem geschaltet hat, Kosten in
genau dieser Größenordnung verursacht. Diese Anzeige
wurde übrigens rein zufällig einen Tag nach dem CDUParteitag geschaltet. Solche Zufälle gibt es; das kann
schon einmal passieren.
({3})
- Nicht in dieser Weise; aber darüber können wir gleich
vielleicht noch reden.
({4})
- Jetzt freue ich mich; denn man will mir hoffentlich
eine Zwischenfrage stellen.
({5})
Diese Überraschung ist außerordentlich gut gelungen.
({0})
Ja.
Insofern erteile ich vereinbarungsgemäß der Kollegin
Hendricks das Wort zu einer Zwischenfrage.
({0})
Genau, Herr Präsident. Sie konnten nicht dabei sein,
als Herr Koppelin sowohl seinem Minister Zwischenfragen stellte als auch Kurzinterventionen anschloss. Insofern kann ich nachvollziehen, dass Sie meine Handlungsweise überrascht.
Herr Kollege, es hat auch mich ein bisschen überrascht, dass die großformatigen Anzeigen der Bundeskanzlerin ausgerechnet einen Tag nach dem CDU-Parteitag geschaltet worden sind. Können Sie mir erläutern,
wie das mit diesen Kosten zusammenhängt?
({0})
Das kann ich tun. Zumindest kann ich die Anzeige
einmal hochhalten.
Dirk, du hast damit nichts zu tun. Ich möchte dich in
einer wichtigen Angelegenheit unterstützen. Denn dein
Stolz hätte sich verdoppelt. Mit dieser Anzeige hätten
wir den im Entwurf vorgesehenen Aufwuchs verdoppeln
können. Das heißt, nur diese eine Anzeige hätte zu
100 Prozent mehr Leistungsfähigkeit des BMZ geführt.
Das ist doch eine erkleckliche Zahl.
Worum geht es wirklich? Es geht in dieser Anzeige
essenziell um das Thema Sparen. Wir haben heute schon
des Öfteren gehört, dass wir überall sparen müssen.
Diese Anzeige fängt mit „Sie“ an - gemeint sind also Sie
alle, die Sie diesen Text lesen -:
Lothar Binding ({0})
Sie haben Deutschland zu dem Land gemacht, das
die weltweite Wirtschaftskrise am besten gemeistert
hat.
Das ist das Lob für das Volk. Ein solches Lob nimmt jeder gern an.
({1})
Dem Psychologen, der sich das ausgedacht hat, kann
man nur sagen: Sauber, wunderbar. Er hat recht.
Dann kommt es zu einem interessanten Schwenk:
Ohne die gemeinsame Anstrengung aller wäre
uns …
Plötzlich heißt es „uns“. Gemeint sind also wir alle, die
Kanzlerin inklusive. Das allein ist nicht so schlimm; das
ist nur nicht gelungen.
Herr Kollege, ich möchte Sie nur darauf aufmerksam
machen, dass ich nicht die Absicht habe, Lothar Binding ({0}) ({1}):
Ja. Ich muss das aber noch vortragen.
- ja; ich habe das wohl begriffen, unter jedem Gesichtspunkt -, Ihre Redezeit aufgrund Ihrer kunstvollen
Dauerbezugnahme auf eine heute bereits mehrfach gewürdigte Anzeige ins Unermessliche zu verlängern.
Das brauchen Sie nicht zu tun. Ich beeile mich.
Ich finde, die Frage der Kollegin Hendricks ist überzeugend beantwortet worden. Sie können jetzt in Ihrer
Redezeit fortfahren.
({0})
Ich fahre in meiner Redezeit fort:
Auch wir in der Bundesregierung haben dafür
gearbeitet …
Jetzt heißt es „auch wir“, nicht mehr „wir alle“, sondern
auch die Bundesregierung. Das ist eine deutliche Reduzierung.
Jetzt kommt etwas ganz Schönes:
So hat die Kurzarbeiterregelung geholfen …
Wer bei Kurzarbeiterregelung nicht an Olaf Scholz, Peer
Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier denkt, der hat
ein Problem mit sich.
({0})
Es geht dann weiter, dass Arbeitsplätze gesichert worden seien und dass auch die finanziellen Entlastungen
der Unternehmen geholfen hätten. Und jetzt kommt etwas ganz Interessantes:
({1})
- Nein, es ist ganz gut, wenn Sie das aufnehmen.
Erstes Versprechen: Wir sichern die Finanzen. Wir
sparen …
({2})
Wir! Jetzt ist die Regierung gemeint. Und wo wird wirklich gespart? Das sage ich mit Blick auf die Reden, die
bisher gehalten worden sind: beim Elterngeld, beim
Heizkostenzuschuss, beim Übergangsgeld und bei den
Renten für Arbeitslosengeld-II-Empfänger.
Außerdem wird bei einer weiteren interessanten
Komponente gespart, nämlich in der Entwicklungspolitik. Das möchte ich mit einem Beispiel deutlich machen
- Dirk Niebel hat das im Ausschuss etwa so erklärt -:
Wenn er 1 Euro hat und damit seine Kinder ernährt, dann
ermöglicht das den Kindern, weil sie sich um die Ernährung nicht mehr kümmern müssen, eine Schule zu besuchen, sich zu bilden. Dann freut sich seine Frau, und
seine Frau ist im Wesentlichen zufrieden. Dirk Niebel
hat einen Stammhalter, und er hat damit die Alterssicherung gerettet.
({3})
Was bedeutet das? Mit 1 Euro hat er fünf Funktionen
erfüllt: Kinder, Bildung, Ernährung usw. Das heißt, wir
könnten, wenn wir in diesem Einzelplan so rechnen, wie
Dirk Niebel mir das vorgerechnet hat, sein Gehalt auf
ein Fünftel kürzen, und es hat noch immer den gleichen
Effekt. Die Erklärung in der Entwicklungspolitik war,
dass es, wenn man 1 Euro für etwas ausgibt, das auch
woanders hilft, in Wahrheit 2 Euro sind. Das ist eine supergute Erklärung.
({4})
Sie ist aber leider, wenn man sich das etwas genauer anschaut, ein Problem.
In Wahrheit müssen wir sagen: Es geht vielmehr um
eine sozialethische Dimension in der Entwicklungszusammenarbeit. In einer sozialethischen Dimension lässt
es sich legitimieren, eigene Interessen zu verfolgen; das
stimmt. Idealtypischerweise - so sagt das jedenfalls das
Institut für christliche Ethik und Politik - ist es sogar legitim, eine nachhaltige Win-win-Situation anzustreben.
Ich glaube, darauf könnte man sich verständigen.
Wenn aber der Bundesminister seine Politik auf Absatzmärkte für deutsche Unternehmen orientiert - nur
darauf -, dann ist das ein Rückfall in eine Zeit, in der die
Modernisierungstheorie galt, der jedenfalls wir nicht folgen wollen. Das ist eine Zeit, die in die Nachkriegsgeschichte gehört. Diese Theorie hat sich nicht bewährt
und ist in den armen Ländern kontraproduktiv. Wir wollen den Süden nicht dazu missbrauchen, Rohstofflieferant zu sein, sondern wir wollen mit ihm auf andere
Weise kooperieren.
Lothar Binding ({5})
({6})
Niebel irritiert meines Erachtens, wenn er als deutscher Wirtschaftsminister oder vielleicht als Minister für
militärische Aufgaben auftritt. Das ist der deutschen EZ
einfach nicht angemessen. Niebel irritiert, so meine ich,
wenn die Leute sehen, dass es in Deutschland keine Bilder von Niebel mit Mütze gibt. Das heißt, diese Mütze
ist im Grunde eine Verkleidung, ein Zeichen der Respektlosigkeit gegenüber den Ländern, die er besucht.
({7})
Dafür müssen wir uns bei diesen Ländern entschuldigen.
Das ist nicht anständig. Ich bitte um Entschuldigung für
dieses Auftreten unseres Ministers. Zumindest diejenigen, die meiner Meinung sind, vertritt er dort nicht.
({8})
Kommen wir noch kurz zu der Fusion. Die Fusion in
der Technischen Zusammenarbeit zwischen GZT, DED
und InWEnt läuft nach anfänglichem Zögern in vielen
Bereichen ganz ordentlich. Überleitungsvertrag, Tarifvertrag, Gesellschaftsvertrag - vieles liegt vor und findet
Zustimmung.
Problematisch ist es natürlich, wenn es um das Personal geht. Es gibt jemanden, der auf eine lange Lebenserfahrung zurückblicken kann und verantwortlich damit
umgeht, nämlich Generalsekretär Lindner. Er sagt, dass
1 500 Stellen abgebaut werden. Was das für die Menschen bedeutet, kann man sich überhaupt nicht vorstellen.
Jetzt sehen wir einmal, was passiert: Auch der Minister beantragt Stellen, nämlich 210 Stellen für das BMZ,
ohne dies aber - da stütze ich mich auf den Bundesrechnungshof - seriös zu begründen. Der Haushaltsausschuss hat erst einmal 65 Stellen genehmigt. Aber man
muss sagen, dass der Rest nicht begründet ist.
Herr Kollege.
Ich sehe, dass es hier fürchterlich blinkt, und muss
deshalb zum Ende kommen. Sie merken, es ist noch sehr
viel zu tun. Ich bräuchte noch 15 Minuten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Alles Gute!
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Riegert für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegen! Ich möchte zum Einzelplan 23 zurückkommen
({0})
und gerne etwas über den Schwerpunkt „Entwicklung
der ländlichen Räume“ sagen.
Auf dem letzten G-8-Gipfel hat die Bundesregierung
für die Jahre 2010 bis 2012 insgesamt 200 Millionen
Euro für die Entwicklung ländlicher Räume versprochen. Für nächstes Jahr stehen dafür 70 Millionen Euro
zur Verfügung. Unter dem Leitgedanken der Hilfe zur
Selbsthilfe bauen wir so die jahrzehntelang vernachlässigte Entwicklung der ländlichen Räume zu einem
Schlüsselbereich der deutschen Entwicklungspolitik aus.
Durch das breit angelegte Konzept wird der Blick für
die vielschichtigen Voraussetzungen ländlicher Entwicklungen und für das Ineinandergreifen verschiedener Sektoren und Erfolgsfaktoren geschärft. Jenseits der reinen
Entwicklung des Agrarsektors geht es um umfassende
Reformprozesse: die Entwicklung der ländlichen Wirtschaft, ein nachhaltiges Management der natürlichen
Ressourcen, die Bereitstellung sozialer Dienste und
technischer Infrastruktur im ländlichen Raum sowie die
Verbesserung der politisch-institutionellen Rahmenbedingungen.
Die Kollegin Christiane Ratjen-Damerau, der Kollege
Thilo Hoppe und ich haben in einem gemeinsamen
Schreiben an Minister Dirk Niebel festgehalten, dass wir
als Entwicklungspolitiker den Konzeptentwurf begrüßen
und unterstützen. Wir haben aber auch deutlich gemacht,
dass ländliche Räume nicht zu einseitig als potenzielle
Produktionsstätten für den Weltmarkt gesehen werden
sollten, dass sich Ernährungssicherheit in ländlichen Regionen nur dann adäquat erfassen lässt, wenn neben
agrarökologischen und wirtschaftspolitischen auch gesellschaftliche Faktoren wie die Gleichstellung der Geschlechter berücksichtigt werden, dass sich nachhaltige
Ernährungssicherung insbesondere durch die Förderung
gemeinschaftlicher Projekte wie der Bildung von Erzeuger- und Nutzerorganisationen oder Kooperativen erreichen lässt und dass rein protektionistische Handelshemmnisse überwunden werden müssen.
Meine Damen und Herren, für ländliche Räume ist
ein langfristiges Engagement erforderlich, um Erfolge
und nachhaltige Entwicklung erzielen zu können. Deshalb sollte die ländliche Entwicklung als ein zusätzlicher
Förderschwerpunkt in die regionalen Konzepte des BMZ
aufgenommen werden und im Afrika-Konzept eine besondere Schlüsselfunktion einnehmen.
({1})
Wir würden es ebenfalls begrüßen, wenn in dem übersektoralen Konzept die Problematik des sogenannten
Land Grabbing behandelt werden würde.
({2})
Etwa 300 Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft haben das Konzept Anfang
November auf einem Kongress hier in Berlin konstruktiv
diskutiert und dem BMZ zusätzliche Vorschläge unterbreitet. Das Konzept sowie die enge Abstimmung zwischen dem Entwicklungs- und dem Landwirtschaftsministerium wurden insgesamt positiv aufgenommen. Tenor
des Kongresses war die Forderung, das Konzept zügig zu
konkretisieren und Schwerpunkte bei der Umsetzung zu
setzen.
Die Entwicklung hin zu einer rentablen, sozial und
ökologisch nachhaltigen bäuerlichen Landwirtschaft
stellt in Entwicklungsländern einen Schwerpunkt, ja die
zentrale Herausforderung dar. Wachstum im Agrarsektor
trägt sowohl zum Wirtschaftswachstum als auch zur Armutsreduktion bei. Nachhaltige Landwirtschaft reduziert
sich dabei nicht auf den ökologischen Landbau.
Das Prinzip 9 der Rio-Deklaration von 1992 betrachtet die Entwicklung und Verbreitung umweltfreundlicher
Technologien - inklusive neuer und innovativer Technologien - als integralen Bestandteil einer nachhaltigen
Entwicklung.
Am Horizont erkennt man durchaus auch neue Dinge,
({3})
zum Beispiel die vertikale Landwirtschaft. Der Kollege
Haibach hat erkannt, auf was ich hinaus will. Mit Hightechgewächshäusern kann man auf einer innerstädtischen Fläche von 2 Hektar etwa 1 000 Hektar Ackerland
ersetzen und trotzdem entsprechende Erfolge zum Beispiel beim Wassersparen, bei der Energierückgewinnung
und Ähnlichem erzielen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir reden über den Haushalt. Das ist hinlänglich bekannt. Wenn wir über den
Haushalt sprechen, geht es natürlich - das war nicht anders zu erwarten - auch ums Geld. Auch mich überzeugt
nicht, dass wir für die Entwicklungshilfe immer nur
mehr Geld - ({5})
- Entwicklungszusammenarbeit. Richtig, Sie haben recht.
Der Herr Minister hat auch von Entwicklungszusammenarbeit gesprochen.
({6})
Deswegen ist nicht nur die Höhe der zur Verfügung stehenden Gelder entscheidend, sondern auch wofür und
wie sie eingesetzt werden.
Frau Hinz, die Süddeutsche von heute, also vom
24. November 2010, schreibt aus meiner Sicht sehr zutreffend über die Reden von Carsten Schneider und
Alexander Bonde - ich zitiere -:
So richtig aber will der Funke bei deren Reden
nicht überspringen. Das liegt auch daran, dass die
Haushaltsexperten den Finanzminister für seinen
angeblich mangelnden Sparwillen kritisieren,
({7})
in ihren eigenen Reihen aber viele Abgeordnete sitzen, die in Wahrheit statt weniger gern mehr Geld
ausgeben würden als Schäuble. Entsprechend leicht
fällt es diesem zu spotten: „Sie müssten sich schon
entscheiden, ob Sie nun mehr sparen oder mehr
ausgeben wollen.“
({8})
Ich möchte Ihnen aber noch gern ein paar Gedankenanstöße mitteilen, die ich sehr interessant fand. Am
20. November 2010 stand in der Frankfurter Rundschau
ein Interview mit Muhammad Yunus und Paulo Coelho,
also einem Friedensnobelpreisträger und einem Bestsellerautor. Darin stehen einige interessante Beispiele, über
die man sich durchaus Gedanken machen kann.
Zuerst erzählt Yunus, dass er Bettlern grundsätzlich
kein Geld gibt, weil er sonst das eigentliche Problem
nicht anpackt und weil er, wenn er in Bangladesch, seinem Heimatland, einem Bettler Geld gibt, sofort 20, 30
und mehr Bettler um sich hat. Dann muss er begründen,
warum er dem einen Geld gibt und dem anderen nicht.
Daher hat er Mikrokredite auch an Bettler ausgegeben.
Er hat gesagt: Wenn ihr von Tür zu Tür geht, dann nehmt
doch ein paar Handelswaren mit. So hat er es geschafft,
rund 20 000 Bettler von der Bettelei wegzubringen und
zu kleinen Handelsvertretern zu machen.
Er hat insgesamt 150 000 Bettlern Kleinkredite mit
den Auflagen gegeben: keine Zinsen, keinen Rückzahlungstermin, und es gibt einen neuen Kredit, wenn der
alte abbezahlt ist. Auf die Frage von Coelho sagt Yunus,
fast jeder Einzelne hat diesen Kredit zurückbezahlt. Sie
mussten schon zweite, dritte und vierte Kredite ausgeben, weil das System so gut funktioniert hat.
Er schildert dann auf die Frage: „Was machen wir mit
Kranken und Behinderten?“ sehr eindrücklich das Beispiel eines Bettlers, den er an einer Bushaltestelle traf, der
keine Beine mehr hatte. Den fragte er, was er denn könne.
Der sagte: Ich kann kochen. Ich koche doch nicht mit
meinen Beinen. - Dieser Satz ist Yunus immer in Erinnerung. Er hat diesem Mann tatsächlich einen Job und die
Möglichkeit verschafft, für sich selber aufzukommen.
Ich kann dieses Interview nur empfehlen. Darin steht
eine Menge an Hinweisen, wie wir diesen Leitgedanken
der Hilfe zur Selbsthilfe, wie es auch das Konzept des
BMZ vorsieht, das die Regierungskoalition in den Haushalt eingebracht haben, verwirklichen können. Wir wollen die kreativen Ressourcen der Menschen vor allem in
den ärmsten Entwicklungsländern ansprechen, um sie zu
ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.
Der vorliegende Haushalt stellt hierfür die erforderlichen Mittel bereit und findet deshalb unsere Zustimmung.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in der Ausschussfassung.
Zu dieser Ausschussfassung liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zunächst
abstimmen.
Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag auf
der Drucksache 17/3836 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Antrag auf der
Drucksache 17/3837 ab. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist
mit gleicher Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nur zur Abstimmung über den Einzelplan 23 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für diesen
Etatansatz? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias auf Grundlage des
Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814
({0}) vom 15. Mai 2008, 1816 ({1}) vom
2. Juni 2008, 1838 ({2}) vom 7. Oktober 2008,
1846 ({3}) vom 2. Dezember 2008, 1897
({4}) vom 30. November 2009 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 10. November
2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 8. Dezember
2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 30. Juli 2010
und dem erwarteten Beschluss des Rates der
Europäischen Union vom 13. Dezember 2010
- Drucksache 17/3691 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle.
Bitte schön.
({6})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Seit diesem Montag stehen in Hamburg zehn somalische Staatsbürger vor Gericht. Ihnen
wird vorgeworfen, vor der somalischen Küste ein deutsches Schiff entführt zu haben. Dies zeigt in großer Klarheit, wie sehr uns die Probleme in Somalia in Deutschland angehen.
Geografisch mag das Horn von Afrika vielen weit
weg und entfernt erscheinen, aber wir erkennen an den
regelmäßigen Meldungen, dass es in Wahrheit auch uns
betrifft. Mit der EU-geführten Operation Atalanta sichern wir die Lieferung von humanitären Hilfsgütern an
die notleidenden Menschen in Somalia, und wir sichern
den zivilen Schiffsverkehr.
Insoweit will ich, was die Interessenwahrnehmung
angeht, noch einmal unterstreichen: Das Ganze hatte seinen Ausgang darin, zu gewährleisten, dass Lieferungen
humanitärer Hilfsgüter die Häfen von Afrika erreichen
konnten.
({0})
Dass in den letzten Jahren eine erneute humanitäre Katastrophe in Somalia verhindert werden konnte, ist auch
ein Erfolg dieser Operation.
Atalanta kommt Millionen Menschen zugute, die
diese Hilfe bitter nötig haben. Noch immer sind über
3,5 Millionen Somalier auf humanitäre Hilfe angewiesen. Allein im laufenden Jahr hat Atalanta über
30 Schiffe des Welternährungsprogramms sicher in die
somalischen Häfen eskortiert. Wer also diese Operation
ablehnt, muss dann auch erklären, wie er sicherstellen
will, dass diese Hilfslieferungen die hungernden Menschen tatsächlich erreichen. Da Sie das nicht können,
werden Sie alle in diesem Hause, denke ich, Ihrer Verantwortung gerecht werden.
({1})
Mehr als 90 000 Tonnen Lebensmittel erreichten
1,8 Millionen Menschen.
({2})
Das ist es, worum es in entscheidendem Umfang geht.
Auf diese humanitären Leistungen der Europäischen
Union, an den auch die deutsche Marine einen erheblichen Anteil hat, können wir stolz sein. Ich möchte allen
Fraktionen, die das Engagement der Bundeswehr unterstützen, herzlich danken. Aber ich danke insbesondere
auch den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr für
ihren Einsatz. Es ist ein schwieriger und entbehrungsreicher Einsatz. Ich bitte Sie, Herr Parlamentarischer
Staatssekretär, dies der Truppe noch einmal zu übermitteln. Ich bin sicher, dass wir alle in diesem Deutschen
Bundestag wissen, was für eine wichtige Arbeit unsere
Frauen und Männer der Bundeswehr dort leisten.
({3})
Das zweite Ziel der Mission ist es, den internationalen
Schiffsverkehr zu schützen. Eine Außenpolitik, die humanitären Werten verpflichtet ist, muss auch die Interessen im Blick behalten.
({4})
Bewegungsfreiheit im offenen Meer ist ein gemeinsames
Interesse der internationalen Gemeinschaft. Wir handeln
dabei unter dem Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Auch das ist von großer Bedeutung: Es
handelt sich hierbei um ein Mandat des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen.
Wenn Sie, Herr Kollege, durch Zwischenrufe oder
auch durch öffentliche Wortmeldungen den Eindruck erwecken, das sei gewissermaßen eine kriegerische Mission, dann disqualifizieren Sie sich in einem wirklich bemerkenswerten Umfang.
({5})
Meine Damen und Herren, die Reeder können zur
Verbesserung der Sicherheit der Schiffe und vor allem
auch der Besatzungen beitragen. Ich bin zuversichtlich,
dass die Schiffseigner ihre Verantwortung ernst nehmen
und entsprechend vorsorgen. Aufgrund der Zusammenarbeit zwischen Reedereien und Sicherheitskräften ist
die Zahl der Überfälle und Entführungsversuche im Golf
von Aden zurückgegangen. Aber wir müssen feststellen:
Noch immer befinden sich Hunderte von Menschen in
der Gewalt der Piraten.
Zugleich hat die Bedrohung eine neue Qualität, weil
diese Piraten ihr Tätigkeitsfeld mittlerweile sogar bis vor
der indischen Küste und bis vor der Küste von Mosambik ausgeweitet haben. Das ursprüngliche Operationsgebiet reicht nicht mehr aus. Es ist daher erweitert worden,
zum Teil mit einer bemerkenswerten Logistik. Die Europäische Union hat auf die veränderte Lage reagiert und
das Operationsgebiet von Atalanta ausgeweitet. Deshalb
ist es notwendig, dass auch das Bundeswehrmandat an
diese neue Realität angepasst wird. Darum bitten wir als
Bundesregierung dieses Hohe Haus.
Internationale Einsätze können die Folgen eines
Staatsverfalls nicht im Alleingang lösen. Wir müssen die
Lösung da suchen, wo auch das Problem seine Wurzeln
hat, und das ist in Somalia selbst. Der Einsatz gegen die
Piraterie wird nicht auf der Hohen See gewonnen, sondern nur an Land. Deswegen ist es richtig, dass wir die
humanitäre Hilfe für Somalia um die Hilfe zum politischen Wiederaufbau ergänzen. Es ist eben falsch, die Behauptung aufzustellen, dass wir lediglich militärisches
Engagement zeigen und nicht auch wüssten, dass wir
uns bei der Ursachenbekämpfung an Land kräftig zu engagieren haben.
({6})
Das tun wir.
({7})
Am Dienstag der kommenden Woche werden wir in
Tripolis beim Gipfeltreffen der Europäischen Union mit
den Staaten Afrikas weiter an einer gemeinsamen Ordnung, an einer gemeinsamen entsprechenden Perspektive arbeiten. Aber natürlich reicht das allein nicht aus.
Es geht um die EU-Trainingsmissionen zur Ausbildung
somalischer Sicherheitskräfte. Auch dies tun wir. Es geht
um internationale Projekte zur Unterstützung beim Aufbau der Justizsysteme. Das ist unser Anliegen. Es geht
aber auch darum, dass wir erkennen: In rechtsfreien
Räumen entstehen Instabilität und Gewalt. Deswegen
müssen wir diesen vernetzten Ansatz weiterverfolgen.
Wir bitten um Zustimmung für dieses wichtige Mandat.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Ich vermute, dass der Kollege Ströbele nun gern eine
Kurzintervention vortragen möchte. - Bitte schön.
({0})
Herr Minister, ich will jetzt nicht mit Ihnen die Frage
erörtern - das tun wir vielleicht an anderer Stelle -, wo
denn im Grundgesetz steht, dass die Bundeswehr zur Sicherung des zivilen Passagier- und Handelsverkehrs eingesetzt werden kann; denn das Grundgesetz sagt ausdrücklich, dass die Bundeswehr grundsätzlich nur
eingesetzt werden kann, wenn das Grundgesetz es erlaubt. Ich wollte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Aber
da haben Sie weitergeredet, und ich bin nicht mehr dazu
gekommen.
Sie haben gesagt, richtig sei - und das würde die Bundesregierung auch tun -, dass man sich um die Ursachen
der Piraterie vor der Küste von Somalia kümmert. Ich
habe in mehreren Anfragen an Ihr Haus, die vom Auswärtigen Amt auch beantwortet worden sind, die Frage
gestellt, ob es zutreffend ist, dass die heutigen Piraten
dort nicht zumindest am Anfang Fischer gewesen sind
und dass man diesen Fischern und ihren Familien die
Existenzgrundlage genommen hat, indem von einer ganzen Reihe von europäischen Staaten - darunter Spanien,
Frankreich und andere Staaten - dort große FischfabriHans-Christian Ströbele
ken errichtet worden sind und die Fischgründe, die besonders attraktiv und besonders fischreich gewesen sein
sollen, leergefischt worden sind, sodass die Fischer dort
keinerlei Möglichkeit mehr haben, selber zu fischen. Sie
haben in den Antworten, die ich vom Auswärtigen Amt
bekommen habe, bestätigt, dass das mindestens eine Ursache ist, warum viele seeerfahrene Fischer sich in die
Piraterie begeben haben und heute noch unter den Piraten eine Rolle spielen.
Was hat die Bundesregierung getan, um erstens die
fabrikmäßig betriebene Fischerei vor der Küste Somalias
zu beenden - mit der Gegenwart der deutschen Marine
dort gäbe es viele Möglichkeiten - und zweitens den Fischern, die zu Piraten geworden sind, eine Existenzgrundlage zu verschaffen? Wenn Sie den Fischern eine
Existenzgrundlage verschafften, wäre das ein wirklicher
Beitrag zur Beseitigung der Ursachen der Piraterie. Was
ist in dieser Hinsicht geschehen? Sehen Sie es nicht als
Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland und der Koalition aus Ländern an, die dorthin die größte Armada an
Kriegsschiffen nach dem Zweiten Weltkrieg geschickt
haben, auf diese Weise die Piraterie dort zu bekämpfen?
Herr Minister.
Herr Kollege, ich will zuerst etwas zum Grundgesetz
sagen. Sie sind genauso Rechtsanwalt wie ich. Wir beide
haben Jura studiert. Ich sage Ihnen daher: Nicht Sie entscheiden, was mit der Verfassung vereinbar ist, sondern
das Bundesverfassungsgericht.
({0})
Dieses hat seit der Adria-Entscheidung in den 90er-Jahren den Kompass glasklar ausgerichtet. Sie können doch
nicht behaupten, etwas sei von der Verfassung nicht gedeckt, nur weil Sie selbst dieser originellen Auffassung
sind. Das ist absurd. Was Sie erzählen, ist völliger Humbug.
({1})
Es handelt sich nur um Ihre persönlichen Interpretationen. Ich bewundere Ihre Hochseilakrobatik in Jura. Aber
ehrlich gesagt, so könnten Sie als Jurist nicht davon leben.
({2})
Zu den Ursachen. Es ist richtig - das habe ich bereits
gesagt -, dass man die Ursachen sehen muss. Das habe
ich Ihnen in meinen Antworten auf Ihre vielen Fragen
bestätigt. Aber bei allem Respekt bitte ich Sie, auch mit
Amtsträgern zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung
zu erörtern, welche Versäumnisse es in früheren Jahren
bei der Regierung möglicherweise gegeben hat. Die
Lage ist für die jetzige Bundesregierung so, wie sie ist.
Wir haben mit dieser Lage umzugehen. Deswegen sorgen wir erstens für die Sicherheit unserer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Es ist nicht nur das Recht, sondern
nach unserer Auffassung auch die Pflicht der Bundesregierung, deutsche Staatsangehörige auf den Schiffen zu
schützen.
({3})
Sie sind anderer Auffassung; das muss ich zur Kenntnis
nehmen. Aber wir werden es anders machen.
Das Zweite ist: Wir leisten humanitäre Hilfe in Somalia; das habe ich deutlich gemacht.
Das Dritte ist: Wir arbeiten am Wiederaufbau in Somalia und halten dies für unbedingt notwendig.
Das Vierte ist: Den Eindruck zu erwecken, dass diese
Piraterie ausschließlich aus der Not geboren ist
({4})
- das ist der Eindruck, den Sie hier erwecken -, weil die
armen Fischer keine Fischgründe mehr haben und sich
deshalb als Piraten organisieren, ist, ehrlich gesagt,
ziemlich naiv. Es handelt sich zum Teil um organisiertes
Verbrechen und um Menschen mit hoher krimineller
Energie und von größter Gefährlichkeit,
({5})
Menschen, die nicht davor zurückschrecken, andere zu
foltern, mit dem Tode zu bedrohen und sie gegebenenfalls umzubringen. Das hat nichts mit Ihrer naiven Auffassung zu tun. Es ist unsere Verpflichtung, gegen diese
organisierte Kriminalität vorzugehen. Sie wollen das
nicht. Wir werden es trotzdem machen. Ich glaube, dass
wir unserer Verantwortung gerecht werden. Sie tun es
leider nicht.
({6})
Die Kollegin Edelgard Bulmahn ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit der EU-geführten Operation
Atalanta unterstützt die internationale Staatengemeinschaft den Kampf gegen die kriminellen Piraten vor der
Küste Somalias.
Die Operation - das ist für meine Fraktion und, wie
ich glaube, für den ganzen Bundestag wichtig - beruht
auf den Entscheidungen der internationalen Gemeinschaft, auf dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten
Nationen und auf den Resolutionen 1814, 1816 sowie
den darauf aufbauenden Resolutionen. Die europäischen
Marineverbände sollen die zivile Schifffahrt schützen
und dabei insbesondere den Schiffen des Welternährungsprogramms Geleitschutz geben. Die Lieferungen
mit humanitären Hilfsgütern für die somalische Bevölkerung erfolgen fast ausschließlich über den Seeweg.
Die an Atalanta beteiligten Kriegsschiffe haben seit Beginn des Einsatzes sichergestellt, dass alle 86 im Auftrag
des Welternährungsprogramms durchgeführten Schiffstransporte ihre somalischen Zielhäfen sicher erreichen
konnten. Damit konnten fast 470 000 Tonnen Nahrungsmittel und weitere wichtige Hilfsgüter nach Somalia gebracht werden, wo bis zu 1,8 Millionen Menschen versorgt werden. Atalanta hat in den vergangenen Monaten
sehr viel zur Sicherung der Seewege in dieser Region
beigetragen, aber die Piraterie und die damit verbundenen Gefahren für die Seeleute sind keineswegs überwunden. Deshalb wird die SPD-Bundestagsfraktion der Verlängerung des Mandats zustimmen.
({0})
Die Zahl der Seeräuberattacken - das muss man hier
im Deutschen Bundestag ausdrücklich festhalten - hat
leider nicht abgenommen, sondern sie hat im letzten Jahr
dramatisch zugenommen. Allein im vergangenen Jahr
wurden weltweit über 406 Angriffe von Seeräubern auf
zivile Schiffe verzeichnet. Die stärkste Zunahme hat es
dabei im Übrigen im Golf von Aden und im Roten Meer
gegeben. Gerade diese Region passieren jährlich ungefähr 20 000 zivile Schiffe. Allein im ersten Halbjahr
2010 ist es dabei zu 51 Angriffen durch Piraten gekommen, bei denen Schiffe unvermittelt mit Waffengewalt
bedroht und gekapert wurden, Mannschaften monatelang als Geiseln genommen wurden und Reedereien um
Millionenbeträge für Lösegelder erpresst wurden.
Betroffen ist deshalb von diesen Angriffen die zivile
Schifffahrt insgesamt, einschließlich der Schiffe, die
Nahrungsmittel und Hilfsgüter für die notleidende somalische Bevölkerung transportieren. Um die Angriffe auf
die zivilen Schiffe und die Schiffe, die die Hilfsgüter
transportieren, zu verhindern, gibt es die Operation
Atalanta. Deshalb möchte ich an dieser Stelle den Bundeswehrsoldaten für diese schwierige Aufgabe, die sie
tagtäglich meistern müssen, ebenfalls meinen ausdrücklichen Dank auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen aussprechen.
({1})
Wir sind uns durchaus der Tatsache bewusst, dass wir
die Piraterie nicht besiegen werden, wenn wir uns auf
die militärischen Mittel allein konzentrieren. Wir müssen viel stärker die Bekämpfung der Ursachen in den
Blick nehmen. Der Kampf gegen Piraterie wird nur
erfolgreich sein, wenn er Hand in Hand mit der Bekämpfung der Armut in Somalia, der Sicherung von Menschenrechten und dem Aufbau funktionsfähiger staatlicher Strukturen einschließlich der Sicherheitsstrukturen
geht. Militärisches Engagement - das gilt insbesondere
für meine Fraktion - kann kein Ersatz für Staatlichkeit
und für eine friedliche Entwicklung Somalias sein und ist
es auch nicht. Deshalb sind die Beteiligung Deutschlands
an dem Programm der internationalen Gemeinschaft zum
Wiederaufbau staatlicher Strukturen und an der Finanzierung von AMISOM zur Ausbildung von Ausbildern
und Mentoren für die somalische Polizei ebenso wie die
Fortsetzung der humanitären Hilfe unverzichtbar.
Seit mehr als 20 Jahren ist Somalia ein Staat ohne
handlungsfähige Zentralregierung. Während inzwischen in Somaliland stabile Verhältnisse herrschen, führen im Süden Konflikte zwischen den verschiedenen
Klans immer wieder zu Gewalt, zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, zu Verfolgung und zu massiven Flüchtlingsströmen. Millionen von Menschen leiden unter
Hunger und sind auf die Hilfe aus dem Ausland angewiesen.
Die Transitional Federal Government, die international anerkannte Übergangsregierung - sie ist der einzige
Ansprechpartner der Staatengemeinschaft -, ist politisch
und militärisch nicht in der Lage, mehr als wenige Straßenzüge in Mogadischu zu kontrollieren. Auch das gelingt im Übrigen nur mit Unterstützung der Afrikanischen Union in Somalia, AMISOM.
Deutschland, der Europäischen Union, ja, der internationalen Staatengemeinschaft insgesamt fehlt es an einem
kohärenten Gesamtkonzept für Somalia - ich glaube,
das müssen wir selbstkritisch festhalten -, an einem
Konzept, das erreichbare Ziele beschreibt. Es geht um
eine kohärente Strategie, die eine Perspektive für eine eigenständige Entwicklung Somalias aufzeigt. Ich bin davon überzeugt, dass nur ein solch umfassender Ansatz
dazu führen kann, dass die Menschen in diesem Land
endlich wieder eine Perspektive erhalten. Deshalb müssen wir Atalanta auch als eine Mission verstehen, die die
humanitäre Hilfe absichert und die Aufmerksamkeit immer wieder auf Somalia lenkt. Es ist eine Mission für
umfassendere und langfristige Programme zur Entwicklung und zum Staatsaufbau dieses Landes.
Damit das gelingen kann, müssen die Europäische
Union und ihre Mitgliedstaaten Somalia vor allem durch
humanitäre Hilfe und bei der Schaffung und Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit stärker unterstützen. Nur
durch den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und die
Unterstützung dabei können die Verantwortlichen in Somalia selbst in die Lage versetzt werden, stärker gegen
die Piraterie sowie gegen die Instabilitäten und gegen die
Gewalt in ihrem Lande vorzugehen.
Herr Minister, wenn Sie in Ihrer Rede die Bedeutung
eines vernetzten Ansatzes und die Bedeutung der zivilen
Unterstützung, der zivilen Aufbaumaßnahmen, die wir
in diesem Land durchführen müssen, herausstellen, dann
stimme ich Ihnen zu. Ich sage Ihnen aber ausdrücklich,
dass Ihre Aussage nicht glaubwürdig ist, wenn Sie am
gleichen Tag, heute, in diesem Parlament gemeinsam mit
den Regierungsfraktionen eine Kürzung der Ansätze
für zivile Krisenprävention und für humanitäre
Maßnahmen in einem derartigen Umfang durchführen.
({2})
Das ist keine glaubwürdige Politik. Das gilt auch für Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen.
Wenn wir hier eine glaubwürdige Politik vertreten
wollen - das muss der Anspruch des gesamten Parlamentes sein -, dann müssen Sie diese Kürzungen zurücknehmen. Denn es ist nicht vereinbar, auf der einen
Seite die Bedeutung dieser Maßnahmen zu unterstreichen und auf der anderen Seite die Grundlage für die
Umsetzung dieser Maßnahmen zu zerstören. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Dafür hat niemand Verständnis. Die
Debatte darüber wird mit dem heutigen Tag nicht beendet sein. Wir müssen in Deutschland die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir unsere wichtigen Aufgaben
weiterhin erfüllen können. Das ist eine ganz wichtige Errungenschaft hier in Deutschland, zu der viele Parlamentarier einen Beitrag geleistet haben. Wir haben kein Verständnis dafür, wenn zu verhindern versucht wird, dass
hier die Grundlage für politisches Handeln, für zivile
Krisenprävention, für die wichtigen zivilen Aufbaumaßnahmen, die ergriffen werden müssen, geschaffen wird.
Frau Kollegin!
Ich sage zum Schluss noch einmal: Ja, wir brauchen
eine Verlängerung dieser Operation. Aber wir brauchen
eben auch die Grundlagen dafür, dass die zivilen Maßnahmen nicht nur in Sonntagsreden unterstrichen, sondern auch konkret durchgeführt werden.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort erhält nun der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Kossendey.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wir vom Verteidigungsministerium bitten Sie
heute um Ihre Zustimmung zur Fortsetzung der EU-Operation Atalanta. Seit Beginn dieser Operation Ende 2008
kann Atalanta durchaus auf bemerkenswerte Erfolge zurückblicken. Alle beteiligten Nationen - das geht weit
über die Länder der Europäischen Union hinaus - können mit Fug und Recht auf diese Erfolge stolz sein. Wir
können auch auf das stolz sein, was die Seestreitkräfte
der beteiligten Länder bewirkt haben. Wir sollten ganz
konkret den über 300 deutschen Soldatinnen und Soldaten, die auf unseren Marineschiffen an dieser Operation
beteiligt sind, für ihren Einsatz danken. Sie leisten eine
hervorragende Arbeit, und sie erfahren dafür im internationalen Rahmen - das steht hier zu Hause häufig etwas
im Schatten - eine sehr hohe Anerkennung.
({0})
Ich will Ihnen anhand einiger Zahlen deutlich machen, wie erfolgreich Atalanta war. Allein 2010 wurden
90 000 Tonnen Hilfsgüter nach Somalia gebracht. Das
sind 2 500 Lastwagenladungen. Frau Bulmahn und
Minister Westerwelle, Sie haben es ja angesprochen:
1,8 Millionen Menschen konnten durch das World Food
Programme - die Lieferungen gehen im Wesentlichen
über See in die bedrohten Gebiete - Nahrung erhalten.
Diese Lebensmittellieferungen erfolgten unter unserem
Schutz.
Ich glaube auch, dass wir in Atalanta auch insofern einen Erfolg sehen können, als wir weit über die Europäische Union, weit über die NATO hinaus Länder animiert
haben, sich an der Sicherung dieser Seeverbindungswege zu beteiligen. Denken Sie an China, Indien, Pakistan oder Indonesien - all das sind Länder, die die Sicherheit dieser Seeverbindungslinien auch im Hinblick auf
ihre eigenen Interessenslagen für wichtig halten und die
dort mit Atalanta zusammenarbeiten.
Frau Bulmahn hat darauf hingewiesen, dass die
Anzahl der Angriffe der Piraten gerade im letzten Jahr
zugenommen hat. Ja, das ist richtig, Frau Kollegin
Bulmahn; aber die Anzahl der dabei erfolgreichen Kaperungen mit Geiselnahme nahm im Verhältnis ab. Ich
glaube, das ist auch ein wichtiger Punkt, wenn wir über
Atalanta sprechen. Unsere Präsenz dort zeigt also Wirkung. Nicht nur, weil wir dort militärisch vertreten sind,
sondern auch weil die Reeder zunehmend in der Lage
sind, selber für ihre Schiffe Vorsorge zu treffen, sind wir
insgesamt erfolgreich. Wir führen mit den Reedern ständig Gespräche, und wir sind gemeinsam erfolgreich. Die
Vorsorge der Reeder und das Eingreifen von Atalanta
haben dazu beigetragen, dass das Problem der Piraterie
eingedämmt werden konnte. Das hat auch dazu geführt,
dass wir knapp 80 Piraten vor Gericht gestellt haben. In
Hamburg läuft der erste Prozess.
Wir müssen dennoch, glaube ich, angesichts der
Größe des Territoriums, das zu schützen wäre, eingestehen, dass eine lückenlose Abdeckung schlichtweg nicht
möglich sein wird. Allerdings können wir - das wollen
wir auch weiter tun - den Schwerpunkt darauf legen, die
Schiffe des Welternährungsprogramms zu sichern. Die
Schiffe, die sich bei Atalanta anmelden und dann unter
den sogenannten Konvoischutz gestellt werden, sind im
Regelfall sicher durch das gefährdete Gebiet gekommen.
Natürlich kann man monieren, dass Atalanta allein
das Problem der Piraterie nicht eindämmen wird. Minister Westerwelle hat einiges zu den Aktivitäten an Land
gesagt. Ich denke, das ist wichtig. Denn wenn wir die
Ursachen an Land nicht bekämpfen, werden die Soldaten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf See arbeiten
müssen. Das wollen wir nicht.
Atalanta ist aber für diese Übergangszeit unverzichtbar. Denn wenn wir Atalanta heute einstellen würden,
würden die Menschen in Somalia wieder hungern. Das
würde bedeuten, dass sich Piraterie weiter ungehindert
ausbreiten könnte. Wir müssen in dieser Region die Kultur der Gewalt und die Kriegsökonomie durchbrechen.
Und wir müssen darauf achten, dass wir durch ein politisches Rahmenprogramm, sage ich einmal, in Somalia
funktionierende Strukturen und Regulierungsmechanismen wiederbeleben.
Lieber Herr Kollege Ströbele, wenn Sie einmal vor
Ort gewesen wären und mit den politisch Verantwortlichen - vielleicht auch mit Fischern - gesprochen hätten,
dann wüssten Sie, dass die romantische Vorstellung, dass
Fischer zu Piraten werden, falsch ist.
({1})
Ich glaube, es ist eher sogar eine Beleidigung für einen ganz normalen Somali-Fischer, wenn wir ihm unterstellen, er würde dadurch, dass ihm Fische weggefischt
würden, zum Mörder, Geiselnehmer, Piraten und Terroristen. Ich glaube, wer so über die somalischen Fischer
redet, hat mit ihnen relativ wenig zu tun gehabt.
({2})
Wir werden, Herr Ströbele - lesen Sie das Mandat
einmal in Ruhe -, auch das Thema der illegalen Fischerei dort ansprechen. Ich empfehle Ihnen - möglicherweise haben Sie es ja da liegen - mal die Ziffer 3 g des
Mandats zu lesen. Darin ist das Thema Fischerei in außerordentlich deutlicher Weise erwähnt.
({3})
Wir wollen natürlich mit dem, was wir an Land machen, langfristig eine Perspektive für Somalia erreichen.
Allerdings muss man - wenn man Somalia kennt, und
ich kenne es seit den 90er-Jahren, als wir zum ersten Mal
mit der Bundeswehr dort waren - auch sehr deutlich sagen: Das sind Ziele, für die wir Geduld und einen langen
Atem brauchen.
Atalanta hilft den Menschen in der Region. Atalanta
schützt aber auch uns; denn Atalanta hilft eben mit, dass
die Seewege in der Region passierbar bleiben, dass der
internationale Handel als eine wesentliche Stütze unseres Wohlstandes und auch unserer Sicherheit nicht in
Gefahr gerät. Auch dafür schulden wir unseren Soldatinnen und Soldaten Dank. Das sind Soldatinnen und Soldaten, die manchmal 200 Tage im Jahr von zu Hause weg
sind und unter durchaus fordernden Bedingungen - klimatisch wie unterbringungsmäßig - einen sehr schwierigen und fordernden Dienst leisten.
Ich bitte Sie um Zustimmung, dass wir dieses, im
Übrigen auf klaren völkerrechtlichen Grundlagen beruhende Mandat mit einer Obergrenze von 1 400 Soldatinnen und Soldaten um ein Jahr verlängern. Dieses Mandat
enthält eine Ausweitung des Operationsgebietes. Da die
Piraten - Sie haben es gehört - ihre Einsatzgebiete ausgeweitet haben, muss dem auch Atalanta folgen. Wir haben das in diesem Mandat vorgesehen und werden uns in
diesen erweiterten Rahmen von Atalanta einpassen.
Wir brauchen heute ein klares, ein deutliches Signal
für eine fortgesetzte deutsche Beteiligung an dieser erfolgreichen EU-Mission. Ein solches Mandat gibt übrigens auch unseren Soldatinnen und Soldaten den Rückhalt, den sie brauchen, um motiviert diese Arbeit zu tun.
Es ist gleichzeitig, wie ich finde, ein Zeichen der Anerkennung für das, was die Soldatinnen und Soldaten im
Auftrag des Bundestages für unser Land dort leisten. Ich
bitte Sie um Zustimmung.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen
Sie sich für eine Minute vor, Sie wären in Somalia, Sie
wären einer von 3,2 Millionen Menschen, die ohne die
Hilfslieferungen der UNO nicht überleben können, Sie
müssten sich und ihre Familie ernähren. Vielleicht wäre
Ihr einziger Ausweg aus dem tagtäglichen Kampf ums
Überleben, sich einer Piratenorganisation anzuschließen.
({0})
- Hören Sie sich an, was die Angeklagten in Hamburg
zu sagen haben! - Dann verwundert es Sie nicht, dass
die Zahl der Piratenüberfälle nicht zurückgegangen ist.
Das ist schon mehrfach gesagt worden; ich möchte noch
einmal Zahlen hinterherschicken: Von Januar bis September 2010 gab es 126 Piratenüberfälle. Im gleichen
Zeitraum des Jahres 2008, also im letzten Jahr vor Atalanta, waren es 87. Piraterie wurde nicht bekämpft. Der
einzige Effekt der Mission ist, dass die Piraten ihr Einsatzgebiet ausgeweitet haben.
Es gehört auch dazu, wenn man ehrlich Bilanz ziehen
will, zur Kenntnis zu nehmen, dass es im Jahr 2006 die
niedrigste Zahl von Überfällen gab. Das lag daran, dass
es damals in weiten Teilen Somalias politische Strukturen mit Unterstützung der Bevölkerung gab: die Union
der Islamischen Gerichtshöfe. Aber diese Struktur lokaler Autoritäten hat den Regierungen in Europa und in
den USA nicht gepasst. Sie gerieten ins Visier des sogenannten Kriegs gegen den Terror. Im Sommer 2006 unterstützte die Bush-Administration eine äthiopische Invasion, in deren Folge 16 000 Somalier getötet wurden
und der somalische Staat endgültig zusammengebrochen
ist. Der Zusammenbruch des somalischen Staates ist also
nicht vom Himmel gefallen, sondern ein Ergebnis der
westlichen Intervention.
({1})
Westliche Regierungen haben sich ein paar somalische Warlords ausgeguckt und zur neuen somalischen
Regierung erklärt. Mittlerweile sind 8 000 Soldaten der
Afrikanischen Union, teilweise finanziert mit Entwicklungshilfegeldern aus der EU, in Mogadischu, um diese
Warlords zu stützen. Die Bundesregierung und die EU
finanzieren einen Krieg mit, der allein in diesem Jahr
2 000 Zivilisten das Leben gekostet hat. Reden Sie also
nicht von der humanitären Politik der Bundesregierung
in Somalia!
({2})
Voraussetzung für ein Ende der Piraterie sowie für die
Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in
Somalia sind das Ende des Krieges und eine somalische
Regierung, die von den Somaliern akzeptiert wird.
({3})
Das kann offensichtlich keine Regierung sein, die sich
die westlichen Regierungen handverlesen herausgepickt
und militärisch unterstützt haben.
({4})
Die Bundesregierung besteht aber darauf, mit darüber zu
entscheiden, wer in Somalia regiert. Damit hat sie Mitverantwortung für das Leid sowohl der Somalier als auch der
von der Piraterie betroffenen Seeleute.
({5})
Die Bundesregierung scheint fest entschlossen, mit
Atalanta ihr erstes Experiment in Sachen Seeraumüberwachung in aller Welt nicht aufzugeben.
({6})
Worum es dabei wirklich geht, macht nun nach Horst
Köhler auch Minister Guttenberg deutlich, indem er sagt,
es gehe darum, den Zusammenhang von regionaler Sicherheit und Wirtschaftsinteressen offen und ohne Verklemmung anzusprechen. Guttenberg wörtlich:
Der Bedarf der aufstrebenden Mächte an Rohstoffen steigt ständig und tritt damit mit unseren Bedürfnissen in Konkurrenz …
Damit ist die Katze aus dem Sack: Die Bundeswehr
soll für Einsätze fit gemacht werden, deren Ziele nicht in
erster Linie Terroristen oder Kriminelle sind, sondern
konkurrierende Staaten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Spatz?
Ich bin gleich am Ende meiner Rede. Danach darf der
Kollege gerne fragen. - Es geht hier weder um das Wohl
der Somalier noch um das Wohl der Seeleute. Im Gegenteil: Sie zahlen den Preis für die weltpolitischen Ambitionen der Bundesregierung.
({0})
Deswegen wird die Linke die Operation Atalanta weiterhin ablehnen.
({1})
Zu einer Kurzintervention hat das Wort der Kollege
Spatz.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegin
Buchholz, ich will jetzt nicht auf Ihre ideologiebelastete
Schlussfolgerung eingehen. Es ist sattsam bekannt, was
Sie da für abstruse Meinungen vertreten.
Ich finde es aber schon mutig, zu unterstellen, bei der
Übergangsregierung in Somalia handele es sich um
Leute, die vom Westen herausgepickt worden seien.
Könnten Sie mir einmal verraten, woran wir uns halten
sollen, wenn nicht an eine von der Afrikanischen Union
vorgeschlagene Lösung? Die Afrikanische Union ist
eine Institution, die sich seit ihrer Gründung vor acht
Jahren darum bemüht - dazu gibt es ein klares Bekenntnis -, am Ende der Reise möglichst viel Demokratie,
Teilhabe der Bevölkerung und Einhaltung der Menschenrechte in Afrika zu erreichen. Sie bemüht sich,
auch in Somalia, bei schwierigster Ausgangssituation,
eine entsprechende Lösung herbeizuführen. Das unterstützen wir. Nennen Sie mir eine Alternative, die wir
verfolgen könnten und die völkerrechtlich ähnlich relevant wäre wie die von der Afrikanischen Union vorgeschlagene Lösung!
({0})
Zur Antwort, Frau Kollegin, bitte.
Lieber Kollege Spatz, das Grundproblem Ihrer Außenpolitik - und der Außenpolitik früherer Regierungen - ist,
dass Sie in Ländern Afrikas oder in Afghanistan mit westlichen Maßstäben Regierungen aufbauen wollen.
({0})
Das Ganze bekommt dann noch die Tünche des UN-Sicherheitsrates.
Das Problem ist - schauen Sie sich die Situation in
Somalia an! -: Die Reichweite der Übergangsregierung
in Somalia ist nicht viel größer als die Reichweite der
Regierung in Kabul. Das heißt, die Unterstützung der
Bevölkerung ist überhaupt nicht gegeben. Es geht einzig
und allein darum, Leute aus dem Ausland einzufliegen,
die dort die Interessen der westlichen Staaten vertreten.
Sie können das gerne „ideologiebelastet“ nennen. Sie
verfolgen dort die alte neokoloniale Ideologie. Das lehnen wir ab.
({1})
- Es freut mich, Sie ein weiteres Mal zu amüsieren. Sie
können mir aber nicht erzählen, dass Ihr Vorgehen ideologiefrei ist.
({2})
Ansonsten war dies meine ganz ideologiefreie Antwort
auf Ihre ideologiefreie Frage, Herr Spatz.
({3})
Das Wort hat nun die Kollegin Katja Keul für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Atalanta ist eine der wenigen militärischen
Operationen der Europäischen Union, über die wir hier
im Bundestag zu entscheiden haben. Die erste Frage, die
sich dabei immer stellt, ist die nach der völkerrechtlichen Grundlage. Die hohe See steht nach dem UN-Seerechtsübereinkommen allen gleichermaßen zur friedlichen Nutzung zu. Auf hoher See darf sich nicht nur jeder
selbst verteidigen, sondern auch Nothilfe zugunsten anderer leisten. Freie Seehandelswege liegen nicht nur im
Interesse einzelner Nationalstaaten, sondern im Interesse
aller. Herr Kossendey, richten Sie das bitte Herrn Minister zu Guttenberg aus: Keinesfalls dürfen sich rohstoffhungrige Staaten mit militärischen Mitteln Vorteile zulasten anderer verschaffen.
({0}): Das will
auch keiner!)
Darum geht es bei Atalanta gerade nicht. Die freie
Schifffahrt auf hoher See ist eine völkerrechtliche Errungenschaft, nachdem die Weltmächte jahrhundertelang
bestimmt haben, wer die Meere befahren darf.
({1})
Bei allen berechtigten Vorbehalten gegenüber militärischen Mitteln müssen wir in diesem Fall konstatieren,
dass die Marine hier als eine Art Weltpolizei im Auftrag
der UNO unterwegs ist.
({2})
Frau Kollegin Buchholz, immerhin befinden sich immer
noch 438 Menschen in der Gewalt somalischer Piraten.
Eine Geiselnahme ist nicht so etwas wie ziviler Ungehorsam.
({3})
Bei diesem Einsatz werden weder Zivilisten gefährdet
noch nationale Souveränitätsrechte verletzt. Soweit im
Rahmen von Atalanta die Küstengewässer Somalias einbezogen sind, liegen das Einverständnis der Übergangsregierung und ein entsprechendes Mandat des UN-Sicherheitsrates vor.
Die Küstengewässer sind gerade für die Schiffe des
Welternährungsprogramms wichtig, da die Lebensmittel
schließlich in den Häfen ankommen müssen. Der Einsatz dient damit sowohl der Durchsetzung des geltenden
Völkerrechts als auch der Versorgung der notleidenden
Menschen in Somalia. Meine Fraktion wird der Verlängerung des Einsatzes daher überwiegend zustimmen.
({4})
Das darf aber keinesfalls jährliche Routine werden;
denn es reicht nicht aus, Jahr für Jahr Fregatten an das
Horn von Afrika zu schicken.
({5})
Wir alle wissen, dass die Piraterie nur ein Symptom der
schwachen Staatlichkeit Somalias und der Perspektivlosigkeit seiner Bevölkerung ist. Somalia ist nach einem
jahrzehntelangen Bürgerkrieg in Armut und Chaos versunken. Weder die Übergangsregierung noch die rund
7 000 Soldaten der Afrikanischen Union können die Sicherheit im Land gewährleisten. Im Ergebnis ist Somalia
mit über 2 Millionen Flüchtlingen eines der größten humanitären Krisengebiete weltweit. 3,2 Millionen Menschen sind von der UN-Lebensmittelhilfe abhängig, und
es gibt kaum legale Erwerbsmöglichkeiten.
Wo also bleibt das Gesamtkonzept? Im Vergleich zu
den Aufwendungen für Atalanta können die zivilen Mittel für den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in Somalia und die Verbesserung der Lebensbedingungen als
eher symbolisch bezeichnet werden. Stattdessen schickt
die Bundesregierung deutsche Offiziere nach Uganda,
damit sie dort Soldaten für die somalische Übergangsregierung ausbilden. Diese deutschen Offiziere sind gemeinsam mit ihren europäischen Kollegen in einer sogenannten einsatzgleichen Mission im Ausland tätig, ohne
dass der Bundestag damit befasst war. Mir hat bislang
noch keiner überzeugend erklären können, warum der
Parlamentsvorbehalt für diese problematische Mission
nicht gelten soll. Keiner weiß genau, wo diese ausgebildeten Kämpfer nachher in Somalia bleiben und wer sie
langfristig bezahlen soll. Nicht einmal das Alter dieser
Rekruten und ihre Volljährigkeit stehen zweifelsfrei fest.
Ich erwarte von der Bundesregierung, dass uns als Parlamentariern auch dieses Mandat zur Prüfung und Entscheidung vorgelegt wird.
({6})
Außerdem fordern wir Grüne schon lange, dass uns
nicht nur isolierte militärische Mandate vorgelegt werden, sondern dass uns ein integriertes, das heißt auch ein
ziviles Konzept vorgelegt wird. Die Bundesregierung
sollte ihren Sitz im UN-Sicherheitsrat ab Januar 2011
nutzen und sich für die Entwicklung einer kohärenten
politischen Strategie für Somalia einsetzen, für ein Konzept, das sich durch langfristig wirkende zivile Instrumente auszeichnet, damit wir nicht auf Dauer Symptome
bekämpfen müssen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Kollegin Buchholz, auch ich möchte das,
was Sie gesagt haben, nicht unkommentiert stehen lassen. Das war wieder ein Stück - so ist es bei einer Vielzahl der Reden, die Sie hier halten -, das vor allem auf
einer Aneinanderreihung von Verschwörungstheorien
basierte.
({0})
Ich weiß nicht, wo im Internet Sie das gefunden haben. Wir wissen ja, dass manche Schüler Hausarbeiten
einfach aus dem Internet kopieren und als ihr Werk abgeben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Sie als gewählte Bundestagsabgeordnete sich so etwas selbst ausgedacht haben;
({1})
zumindest hoffe ich, dass Sie sich das nicht selbst ausgedacht haben.
({2})
Vielleicht nutzen Sie diese Homepage mit Verschwörungstheorien in Zukunft nicht mehr und kümmern sich
stattdessen um die Politik, die hier hingehört. Dieser
Beitrag war so wenig ernsthaft, dass er in eine solche
Debatte einfach nicht gehört, Frau Kollegin. Das muss
ich Ihnen von dieser Stelle aus einmal zurufen.
({3})
Das glatte Gegenteil war Ihre Rede, Frau Kollegin
Keul. Ihren kritischen Anmerkungen müssen wir uns
selbstverständlich stellen. In der Tat ist es so, dass die
Verlängerung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr
hier zum Teil zu einer Routineaufgabe verkommt. Das
liegt an der Uhrzeit, zu der diese Debatten teilweise stattfinden. Das liegt aber auch an der öffentlichen Wahrnehmung. Schließlich ist weder das Fernsehen bereit, die Debatte zu einer solchen Uhrzeit zu übertragen, noch wollen
Journalisten sich in größerer Zahl damit auseinandersetzen.
Ich finde, bei diesem Einsatz müssen wir uns kritisch
fragen: Haben wir in unserer Afrika-Politik genug getan? Ich muss sagen: Wir haben in der Vergangenheit zu
wenig getan, was Afrika angeht. Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich ermutigen, den Weg, den wir seit
einem Jahr beschreiten, zu verstetigen. Dieser Außenminister hat den afrikanischen Kontinent in seiner noch
relativ kurzen Amtszeit häufig besucht. Auch in der
nächsten Woche wird er versuchen, dort Impulse zu setzen.
({4})
Das ist der Weg, zu dem ich Sie alle ermutigen
möchte. Hier müssen wir mehr tun.
Eines ist klar: Eine Mandatsverlängerung, um die wir
den Bundestag ersuchen, ist zweifellos notwendig. Wir
werben daher dafür, dieses Mandat politisch zu unterstützen. Es befindet sich auf einem völkerrechtlich sicheren und auf einem wertegebundenen Fundament,
weil wir uns für den Schutz der Freiheit, der Menschenrechte und letztendlich für den Schutz der somalischen
Bevölkerung einsetzen.
({5})
Ich lasse auch nicht den romantisierenden Einwurf
gelten, es handele sich bei diesen Piraten um arme Fischersleute, denen gar nichts anderes übrig bleibt, als so
zu handeln. Hier geht es um ein Verbrechen und um
Mörderbanden. Es ist nicht entscheidend, was diese
Leute nachher vor Gericht aussagen. Ich frage mich, wer
ihnen eigentlich vorher gesagt hat, was sie vor Gericht
aussagen sollen. Was sie sagen, kann man nicht ernst
nehmen. Wir sollten sie an den Straftaten und nicht an
den Rechtfertigungen, die hier politisch ins Feld geführt
werden, messen.
({6})
- Dass die Linke den Rechtsstaat reklamiert, ist ihr gutes
Recht. Deutschland ist ein Rechtsstaat. Aber hören Sie
auf mit diesen romantisierenden Einwürfen in Bezug auf
Piraterie!
({7})
Kein Mensch auf der Welt, dem es schlecht geht, hat das
Recht, andere Menschen zu entführen und zu töten. Ein
solches Verhalten ist inhuman. Wir setzen das Völkerrecht an dieser Stelle durch. Wir sind grundsätzlich anderer Auffassung als Sie darüber, wie das Völkerrecht
wehrhaft zu verteidigen ist.
({8})
Der freie Zugang zu Handelswegen ist die Grundlage
unseres Wohlstandes und auch die Grundlage einer funktionierenden globalisierten Weltwirtschaft. Wenn dieser
Freihandel weltweit nicht durchführbar ist, wenn Reeder
aus Deutschland und Europa Angst haben müssen, ihre
Schiffe in diese Regionen zu schicken, dann wird es
keine Lösung für die Schwellenländer und für die Entwicklungsländer auf der Welt geben, die an diesem
Wohlstand dauerhaft partizipieren wollen.
Es ist natürlich richtig, dass die erste Welt am meisten
vom Freihandel profitiert. Aber unser Ansatz für nachhaltige Lösungen hinsichtlich Afrika muss sein, möglichst viele Länder in den Welthandel einzubeziehen.
Das kann nur funktionieren, wenn es Investitionssicherheit, Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie freie und sichere Handelswege gibt. Das
ist ein Grund, warum man dieses Piraterieproblem - es
ist ja ein Phänomen der letzten Jahre - nicht auf die
leichte Schulter nehmen darf, sondern sehr ernst nehmen
muss. Deshalb bitten wir Sie um Unterstützung für dieses Mandat.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3691 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt III auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation „ALTHEA“ zur weiteren Stabilisierung
des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der Implementierung der
Annexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensvereinbarung sowie an dem NATO-Hauptquartier
Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage
der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1575 ({0}) und Folgeresolutionen
- Drucksache 17/3692 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Interfraktionell wurde vereinbart, darüber eine halbe
Stunde zu debattieren. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort Herr Staatsminister Dr. Werner Hoyer.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Namens der Bundesregierung bitte ich Sie um Zustimmung für das Mandat zur Fortsetzung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an der im Rahmen der
Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der
Europäischen Union durchgeführten Operation EUFOR/
Althea in Bosnien-Herzegowina und am NATO-Hauptquartier in Sarajevo.
Die weitere Stabilisierung Bosnien-Herzegowinas
liegt im besonderen außenpolitischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union.
Wir wollen Bosnien-Herzegowina in seiner Entwicklung
als demokratischer Rechtsstaat und auf dem Weg in die
europäischen und euro-atlantischen Integrationsformen
weiter unterstützend begleiten.
Deutschland hat sich seit 1995 am Friedensprozess in
Bosnien und Herzegowina beteiligt, zuerst an den
NATO-Operationen IFOR und SFOR und ab 2004 an der
EU-geführten Operation EUFOR/Althea. Die Bundesregierung unterstützt zudem die politischen und zivilen
Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, die einen Beitrag zur nachhaltigen Stärkung der Demokratie
und des Rechtsstaats in Bosnien und Herzegowina leistet. Unser Ziel ist ein stabiler Staat, in dem alle Ethnien
friedlich miteinander leben können. Außerdem muss
Bosnien-Herzegowina in der Lage sein, aus eigener
Kraft auf seinem Weg in Richtung EU und NATO voranzuschreiten.
Die militärische Sicherheitslage in Bosnien-Herzegowina ist stabil. Erfreulicherweise sind auch die diesjährigen Parlamentswahlen, wie bereits die Wahlen in den
vergangenen Jahren, friedlich und im Wesentlichen im
Einklang mit internationalen Standards verlaufen. Die
moderaten Kräfte, die sich die Modernisierung und weitere Stabilisierung des Landes zum Ziel gemacht haben,
sind aus diesen Wahlen gestärkt hervorgegangen. Das ist
ein großer Erfolg für Bosnien und Herzegowina.
Die innenpolitische Lage bleibt indessen kompliziert.
Das Verhältnis zwischen den drei wichtigsten Volksgruppen - Bosniaken, Serben und Kroaten - bleibt leider
wenig konstruktiv. Die Entscheidungswege sind lang
und überaus kompliziert. Aus diesem Grund werden
viele wichtige Reformen verhindert, die für eine erfolgreiche Annäherung Bosniens und Herzegowinas an die
EU und die NATO nötig wären. Eine Reform der Verfassung, die Bosnien-Herzegowina zu einem effizienter
funktionierenden Staat machen würde, ist bisher nicht
gelungen. Zuletzt hat der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen am 18. November dieses Jahres festgestellt,
dass die Bedingungen zur Schließung des Büros des Hohen Repräsentanten noch nicht vollständig erfüllt sind.
Nicht alles, was im Friedensabkommen von Dayton
1995 für Bosnien-Herzegowina festgelegt wurde, ist umgesetzt. In seiner Resolution 1948 hat der Weltsicherheitsrat in diesem Jahr deshalb die Mitgliedstaaten der
Vereinten Nationen zur Fortführung der multinationalen
Stabilisierungstruppe Althea ermächtigt und damit das
völkerrechtliche Mandat um ein weiteres Jahr verlängert.
Althea hat nach wie vor die Aufgabe, die bosnischherzegowinische Regierung bei der Aufrechterhaltung
eines sicheren und geschützten Umfeldes zu unterstützen. Darüber hinaus unterstützt Althea weiterhin den
Hohen Repräsentanten bei der Wahrnehmung und
Durchsetzung seiner exekutiven Sondervollmachten in
Bosnien und Herzegowina. Althea leistet außerdem einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung und zum Aufbau
der bosnisch-herzegowinischen Streitkräfte.
Im Laufe der kommenden Monate und im Lichte der
Entwicklung in Bosnien-Herzegowina wird über die Zukunft des OHR und auch über das exekutive Mandat von
EUFOR/Althea zu entscheiden sein. Denkbar ist eine
Überführung in eine reine Ausbildungsmission.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zurzeit beteiligt sich Deutschland mit gut 120 Soldatinnen und
Soldaten - von insgesamt circa 1 650 Soldatinnen und
Soldaten - an der Operation Althea. Diese deutschen
Soldatinnen und Soldaten tragen und trugen dazu bei,
dass die Menschen in Bosnien-Herzegowina seit vielen
Jahren in Frieden leben können. Dafür gebührt ihnen unser aufrichtiger Dank.
({0})
Sollte die Sicherheitslage in Bosnien-Herzegowina weiterhin stabil bleiben, so könnte die Präsenz von EUFOR
im Frühjahr 2011 reduziert werden. Für diesen Fall beabsichtigt die Bundesregierung, in Abstimmung mit den
EU-Partnern das deutsche Kontingent bis auf das Personal im Hauptquartier in Sarajevo und ein zusammen mit
Österreich vorgehaltenes Reservebataillon zu reduzieren.
({1})
Den Bundestag werden wir in dieser Angelegenheit
selbstverständlich in geeigneter Form auf dem Laufenden halten.
Bei allem vorsichtigen Optimismus über die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina müssen wir dennoch
Sorge dafür tragen, dass das Erreichte nicht durch einen
verfrühten Abzug in Gefahr gerät. Die Beibehaltung der
aktuellen Personalobergrenze bleibt daher aus Sicht der
Bundesregierung gegenwärtig bis auf Weiteres notwendig. Die mögliche weitere Entwicklung im Falle einer
positiven Situation Anfang des nächsten Jahres habe ich
Ihnen erläutert. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie um
Ihre Zustimmung zur Fortsetzung von EUFOR/Althea
mit einem inhaltlich unveränderten Mandat.
Vielen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Dietmar Nietan für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In vielen Diskussionen, die wir mit Bürgerinnen und
Bürgern und auch hier unter uns führen, kommen wir,
wenn wir erklären wollen, warum die Europäische
Union trotz aller Missstände und Rückschläge ein so
wichtiges Projekt ist, immer an den Punkt, an dem wir
sagen, dass die Europäische Union in der Nachkriegszeit
zumindest für Westeuropa das zentrale Friedensprojekt
war. Für uns stellt sich natürlich die entscheidende
Frage: Kann die Europäische Union, die in Westeuropa
nach dem Zweiten Weltkrieg der entscheidende Friedensfaktor war, auch den europäischen Kontinent insgesamt befrieden und allen Menschen in Europa eine Perspektive bieten, ihr Leben in Freiheit zu gestalten, in
einer Art und Weise zu gestalten, dass sie Perspektiven
für sich und ihre Kinder haben, nicht nur in Fragen der
Sicherheit, sondern auch in Fragen der sozialen Gerechtigkeit und des materiellen Wohlstandes?
Wir blicken, wenn wir uns das fragen, auf den Balkan
und insbesondere nach Bosnien-Herzegowina. Wir müssen feststellen, dass der Frieden von Dayton in vielerlei
Hinsicht immer noch ein kalter Frieden ist. Wir müssen
feststellen, dass es insbesondere in Bosnien-Herzegowina in den letzten Jahren Stagnation und nicht Fortschritt gibt. Deshalb stimme ich Herrn Staatsminister
Hoyer ausdrücklich zu: Die Verlängerung des Mandats
für die Operation Althea ist ein wichtiges Signal, dass
wir weiterhin Verantwortung in dieser Region übernehmen wollen, aber - das sage ich sehr deutlich - sie ist
nur ein Signal. Wenn wir Fortschritte in dieser Region in
Europa sehen wollen, muss sich die Europäische Union
- das ist der entscheidende Punkt - dort stärker, konkreter und nachhaltiger engagieren, jedenfalls mehr als bisher.
({0})
Nach all den Rückschlägen, die wir erlebt haben,
stellt sich die Frage: Ist das möglich? Ich sage: Ja, das ist
möglich. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir zurzeit erleben, dass in Bosnien-Herzegowina vielleicht
doch wieder Bewegung im positiven Sinne entstehen
kann. Aus welchen Gründen?
Der erste Grund ist - auch das hat der Staatsminister
schon angesprochen -, dass die Wahlen am 3. Oktober
dieses Jahres die moderaten Kräfte gestärkt haben. Sie
haben bei diesen Wahlen einen Stimmenzuwachs bekommen, ausdrücklich nicht mit nationalistischen Themen, sondern mit Themen, die sich um die Zukunft des
Landes, um konkrete berufliche und soziale Chancen der
Menschen gedreht haben.
Der zweite Grund ist, dass die nun anstehende Regierungsbildung eine große Chance ist, in den völlig blockierten Diskussionen über die Verfassungsreform vielleicht wieder etwas zu bewegen.
Der dritte Grund ist - das ist aus meiner Sicht für die
Menschen dort ein wichtiges Signal -, dass mit der nun
bevorstehenden Visaliberalisierung auch die Bosniaken
in den Genuss der Rechte kommen, die viele Kroaten
und Serben auf dem Gebiet von Bosnien-Herzegowina
schon haben.
Der vierte Grund ist, dass wir beobachten können,
dass die beiden großen Nachbarstaaten Kroatien und
Serbien in ihren bilateralen Beziehungen, aber auch in
ihrer Entwicklung insgesamt auf einem guten Weg sind.
Ich möchte ausdrücklich herausheben, dass wir mit den
beiden Präsidenten Josipovic und Tadic dort im Moment
zwei politische Führer erleben, die sich im Aussöhnungsprozess wirklich engagieren. Das kann auch eine
Chance für die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina
bedeuten.
Damit diese Bewegung entstehen kann, muss die Europäische Union klare Signale senden. Aus meiner Sicht
muss das erste Signal sein, dass nach der Erweiterung
um Kroatien mit der Erweiterungsperspektive nicht
Schluss ist, dass wir unser Versprechen vom Europäischen Rat 2003 in Thessaloniki ernsthaft und glaubwür8180
dig erneuern - und das nicht nur mit Lippenbekenntnissen.
Es gilt auch, über die Frage zu diskutieren, ob es nicht
so etwas wie eine Roadmap für Bosnien-Herzegowina
im Erweiterungsprozess geben könnte, nicht etwa - damit wir uns nicht missverstehen - im Sinne eines Shortcuts, einer Abkürzung, oder gar eines Rabatts, sondern
im Sinne einer neuen Initiative vonseiten der EU, den
Beitrittsprozess stärker zu strukturieren und - man sollte
überlegen, welche Möglichkeiten es hier gibt - Meilensteine, erste Erfolgserlebnisse unterhalb der Schwelle eines Beitritts zu generieren, damit die Menschen in dieser
Region erkennen können, dass die Beitrittsperspektive
ernst gemeint ist.
Ein weiterer Punkt ist, dass sich die Europäische
Union überlegen muss, ob sie in der Frage der Ablösung
des Hohen Repräsentanten bisher glücklich agiert hat.
Denn wir erleben, dass er immer mehr zu einer lahmen
Ente wird. Auf der einen Seite sagen fast alle europäischen Staaten: Diese Institution soll abgelöst werden. Aber konkretes Engagement, um die fünf Ziele zu erreichen und die zwei Bedingungen zu erfüllen, um also den
Deadlock, den es dort gibt, zu durchbrechen, ist nicht erkennbar. Das stärkt die destruktiven Kräfte. Sie reiben
sich die Hände, dass es einen Hohen Repräsentanten
gibt, der nicht mehr so agieren kann, wie er es vielleicht
möchte, und die EU bisher nicht in der Lage ist, Bedingungen zu schaffen, die es ihr ermöglichen, selbst größere Verantwortung zu übernehmen.
Der nächste Punkt, den ich für wichtig halte, ist die
Frage, ob wir die konstruktiven Kräfte unterstützen können. Ich finde, es ist ein hervorragendes Signal, dass der
Chef der SDP, Zlatko Lagumdzija, erklärt hat, dass er
sich eine Regierungsbildung unter Beteiligung der SDP
nur dann vorstellen kann, wenn die neue Regierungsmehrheit mit konkreten Verfassungsänderungen startet.
Er macht also Fortschritte im Hinblick auf die Verfassung zu einer Bedingung für die Regierungsbildung. In
dieser Hinsicht sollten wir von deutscher Seite die konstruktiven Kräfte unterstützen, gerade aufgrund unserer
Erfahrungen mit dem Föderalismus.
Wir müssen den Druck auf diejenigen, die sich bisher
völlig kontraproduktiv und nationalistisch verhalten, erhöhen, zum Beispiel auf Milorad Dodik. Ich möchte allerdings nicht jede Hoffnung aufgeben, weil ich glaube,
dass der eine oder andere im Lager von Dodik erkennt,
dass ein prosperierendes, sich auf dem Weg zur EU befindliches Bosnien-Herzegowina am Ende auch im Interesse der Menschen in der Republika Srpska ist.
Bei aller Wertschätzung für Präsident Tadic würde ich
mir wünschen, dass auch er den Druck auf Dodik und
andere erhöht. Es ist nicht unbedingt ein hilfreiches Signal, wenn der Präsident zum Beispiel bei Wahlkampfauftritten von Dodik anwesend ist. Ich finde, den Bekenntnissen Serbiens, dass es eine konstruktive Rolle
spielen will, muss jetzt auch ein stärkerer Druck auf
Herrn Dodik folgen.
({1})
Für die Bundesrepublik Deutschland und uns Parlamentarier, aber auch für die Regierung gilt es, klare Signale zu senden. Ich will wiederholen: Parlament und
Regierung sollten deutlich machen, dass diejenigen, die
insgeheim oder offen sagen: „Nach der Erweiterung der
Europäischen Union um Kroatien ist mit der Erweiterung
erst einmal Schluss“, bei uns keine Mehrheit haben. Die
Beitrittsperspektive aufzugeben, wäre das Schlimmste,
was wir tun könnten. Dadurch würden wir die Lage vor
Ort destabilisieren.
Die Bundesregierung muss, wie ich finde, auch Lady
Ashton unterstützen. Ich habe den Eindruck, dass Lady
Ashton großes Engagement auf dem Westbalkan zeigt,
nicht nur im Hinblick auf den Kompromiss, den sie mit
Präsident Tadic bezüglich der Kosovo-Resolution gefunden hat. Dies könnte das erste Feld sein, auf dem sie beweist, dass der Europäische Auswärtige Dienst und sie
in Person durchaus in der Lage sind, etwas zu leisten.
Dabei sollte die Bundesrepublik Deutschland sie unterstützen.
Wir sollten die guten Beziehungen, die Deutschland
zur Russischen Föderation und zur Türkei hat, nutzen, um
auch diese beiden Staaten stärker in diesen Prozess einzubinden. In einem ersten Schritt sollten wir eine intensive
Strategieabstimmung mit unseren amerikanischen Freunden vornehmen. Dann sollten wir mit unseren türkischen
und russischen Freunden eine gemeinsame Strategie entwickeln und sie einbinden. Auch das könnte den Druck
auf diejenigen, die sich nicht konstruktiv verhalten, erhöhen.
Zum Schluss möchte ich Ihnen sagen: Ich bin der festen Überzeugung, dass das, was dort geschieht, für uns
Deutsche, aber auch für die Europäische Union eine
große Bewährungsprobe ist. Europa bzw. die Europäische Union hat in den 90er-Jahren versagt, als es darum
ging, einen Beitrag zu einem friedlichen Prozess beim
Zerfall Jugoslawiens zu leisten. Ein zweites Scheitern
der EU, wenn es darum geht, den Balkan endgültig zu
befrieden und ihn an die Europäische Union heranzuführen, wäre vielleicht das Ende der EU als anerkannter und
handlungsfähiger außenpolitischer Akteur. In jedem Fall
wäre es das Ende der EU als glaubwürdiges Friedensprojekt für ganz Europa. Ich glaube, das können und wollen
gerade wir als Deutsche uns nicht leisten. In diesem
Sinne unterstützen wir diese Operation. Sie kann aber
nur ein Schritt sein. Am Ende müssen wir uns politisch
stärker engagieren.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Schmidt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
15 Jahre ist es nun her, dass mit dem Massaker von SrebParl. Staatssekretär Christian Schmidt
renica das „Nie wieder“, das wir uns für Europa und die
Welt zum Ziel gesetzt haben, durchbrochen wurde. In
der Tat war es leider so - Kollege Nietan, da haben Sie
völlig recht -, dass dieses Massaker aufgrund der Machtlosigkeit und des zu kurz greifenden Engagements Europas in Bosnien-Herzegowina nicht hat verhindert werden
können.
15 Jahre später - nicht nur nach Dayton, sondern auch
nach all den Irrungen, Wirrungen und schwierigen Situationen - können wir sagen, dass sich doch ein nachhaltiger - soll ich sagen: hoffentlich nachhaltiger? - Erfolg in
der Befriedung Bosnien-Herzegowinas zeigt.
Die militärische Seite, die den Frieden nicht bringen,
sondern nur die Voraussetzungen dafür schaffen kann,
dass Frieden und Aussöhnung möglich sind, hat ihren
Beitrag nach den bitteren Erfahrungen von Srebrenica
geleistet. Sie ist jetzt in einer Situation, in der militärische Stabilität - dies wurde bereits gesagt - vorhanden
ist. Wir möchten die Aufgabe des militärischen Teils der
Mission sehr gerne in einen nichtexekutiven Teil überführen; das heißt, wir müssen uns in der Tat mit den politischen Rahmenbedingungen beschäftigen.
Ich darf mich der Aufforderung an Serbien anschließen, sich unmissverständlich in den Dienst einer Europäisierung des Westbalkans insgesamt zu stellen. Es gibt
viele guten Anzeichen dafür, dass dies der Fall ist. Das
sollten wir, gerade im Hinblick auf die Erfahrungen vor
15 Jahren, überhaupt nicht leugnen. Die Signale, die aus
Belgrad kommen, sind alles in allem eher ermutigend.
Aber man muss Herrn Dodik und all denen, die meinen,
Separatismus, das Umgehen von Dayton und die Nichtperspektive Europa könnten als versteckte Agenda geführt werden, ein klares Nein auch der Europäischen
Union und der europäischen Staatengemeinschaft zu solchen Entwicklungen entgegenhalten.
({0})
Wir sind über den Weg von IFOR über SFOR und
EUFOR heute in der Situation, dass in Bezug auf Bosnien-Herzegowina die ersten Ansätze und Überlegungen
hinsichtlich Mitgliedschaften in internationalen Organisationen, der NATO und - Sie haben es angedeutet - der
Europäischen Union im Raum stehen. Das ist ein Erfolg.
Wir sollten diesen Erfolg nicht dadurch aufs Spiel setzen, dass wir die Sicherheitslage vorzeitig, wie Kollege
Hoyer das beschrieben hat, durch Nachlässigkeit mehr
oder weniger gefährden.
Ein klein wenig nachdenklich stimmt uns schon, dass
wir eine Reihe von Partnerstaaten haben, die sich in militärischen Komponenten offensichtlich nicht mehr so
intensiv um die Situation in Bosnien-Herzegowina kümmern. Sie haben die fünf Aufgaben und die zwei Bedingungen angesprochen. Sie haben das nach wie vor nicht
zu einer Entscheidung kommende PIK im Hinblick auf
den Hohen Repräsentanten und die Bonn Powers angeschnitten, die letztendlich dahinterstehen. Solange diese
Fragen nicht endgültig im Sinne eines Konsenses gelöst
sind, wird es wohl, wenn es zu schwierigen Situationen
kommt, zumindest einer Präsenz mit militärischen Kräften bedürfen, um wieder Ruhe und Frieden zu schaffen
und die Grundlagen zu erhalten, die für eine positive
Entwicklung des Staates Bosnien-Herzegowina stehen.
Deswegen wird die Bundeswehr mit einer Obergrenze
von 900 Soldaten nach wie vor um das Mandat werben.
Mit dem Mandat, wenn es vom Bundestag beschlossen
wird, wird sie dann auch die Möglichkeiten haben, sowohl exekutiv als auch nichtexekutiv tätig zu sein, wobei das Schwergewicht zwischenzeitlich auf dem gemeinsamen Bataillon mit Österreich liegt, das sich hinter
dem Horizont befindet und nur im Notfall eingreifen
würde.
Die Hoffnung, dass wir im Laufe des Jahres 2010,
noch bevor wir dieses Mandat noch einmal verlängern
müssen, dazu kommen, dass wir nichtexekutiv tätig werden und dies gemeinsam gestalten können, gebe ich und
gibt die Bundesregierung nicht auf. Bis dahin wollen wir
in aller Seriosität unseren Beitrag dazu leisten, dass der
Übergang Bosnien-Herzegowinas auch wirklich sichergestellt wird und das Land Teil der europäischen Staatengemeinschaft wird.
Wir bitten deshalb um Unterstützung für den Antrag
der Bundesregierung.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung lässt in ihrem
Antrag an den Absichten, die hinter dem Einsatz von
Bundeswehrsoldaten in Bosnien-Herzegowina stehen,
keinerlei Zweifel aufkommen. In dem Antrag heißt es
- ich zitiere -: „Das Land muss … den Weg der Integration in euro-atlantische Strukturen aus eigener Kraft“ gehen. Die EU-Mission Althea soll also die NATO-Anbindung Bosnien-Herzegowinas militärisch absichern. Was
ist das eigentlich, wenn nicht imperiale Politik?
({0})
Seit der Ära Guttenberg bekennt sich die Bundesregierung ja offen zu Einsätzen der Bundeswehr für
Rohstoffe, für freie Märkte - wir haben das eben in der
Debatte zu Atalanta gehört - und für freie Handelsrouten. Das sind Zitate von Herrn Guttenberg selbst. Lieber
Herr Stinner, nehmen Sie zur Kenntnis, dass Ihr Minister
diese Worte gesagt hat, und zwar nicht erst kürzlich im
November; vielmehr hat er sich bereits im Juni darüber
gewundert, dass Bundespräsident Köhler, der zurückgetreten ist, nicht genügend Unterstützung von Ihnen bekommen hat. Das sind die Worte Ihres Ministers. Ich zitiere diese Worte nur.
({1})
Sevim Daðdelen
Deshalb sage ich: Diese neue Ehrlichkeit hat nur den
Vorteil, dass Sie damit ehrlicher sind, als es die Grünen
und die SPD sind.
({2})
Mit diesem Einsatz wird auch die neoliberale EU-Erweiterungsstrategie begleitet. Hinsichtlich Bosnien-Herzegowina wird in der Strategie kritisiert - ich zitiere -:
Die Privatisierung, die Umstrukturierung öffentlicher Unternehmen und die Liberalisierung des
Marktes der netzgebundenen Industrien sind nicht
weiter vorangeschritten.
Weiter heißt es in dieser Strategie, das Sozialsystem
sei zu gut und müsse deshalb dringend reformiert werden. Finden Sie das eigentlich nicht zynisch gegenüber
Bosnien-Herzegowina, wo ein Fünftel der Menschen mit
weniger als 2 US-Dollar pro Tag auskommen muss?
Sind 2 US-Dollar für Sie einfach zu viel?
Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich die
Lage in Bosnien-Herzegowina weiter verschlechtert.
Der Gesamtstaat musste Kredite vom IWF aufnehmen
und sich im Gegenzug Kürzungspakete diktieren lassen.
Gegen diese Kürzungen gab es massive Streiks und Demonstrationen. Unter den Protestierenden waren auch
viele Behinderte, deren Zuschüsse und kostenloser
Zugang zum Gesundheitssystem vom IWF gestrichen
wurden. Am 21. April dieses Jahres wurden bei einer
solchen Demonstration 70 Menschen zum Teil schwer
verletzt.
Die Bundeswehr kam dabei noch nicht zum Einsatz,
aber sie ist an der Ausbildung der bosnischen Polizei beteiligt. Deutsche Außenpolitik ist hier wahrlich keine
Friedenspolitik. Deshalb ist hier eine Umkehr erforderlich. Ich würde mir wünschen, Sie würden auch nur einmal genauer hinsehen, was die Folgen Ihres Handelns
vor Ort sind.
({3})
Auch die International Crisis Group - wahrlich keine
linke Institution - räumt ein, dass durch diese neoliberalen Diktate der Ethno-Nationalismus dort befeuert wird.
({4})
- Ja, das sagt die International Crisis Group. Das passt
Ihnen natürlich nicht. - Jüngst haben diese Diktate auch
zu einem neuerlichen Anstieg ethnisch motivierter Gewalttaten in Bosnien-Herzegowina geführt. Jetzt droht
eben auch noch die Föderation Bosnien-Herzegowina
auseinanderzubrechen. Die EU-Mission Althea soll fortgesetzt werden und der Hohe Repräsentant soll mit seinen Sonderbefugnissen weiter im Land verbleiben, um
diese neoliberalen Diktate abzusichern.
({5})
Dabei sind Sie Teil des Problems. Durch Ihre Politik in
Bosnien-Herzegowina wird der Nationalismus dort weiSevim Dağdelen
ter geschürt. Das muss meiner Meinung nach umgehend
ein Ende haben.
({6})
Zum Schluss: Die militärische Absicherung neoliberaler Reformen und der Einbindung Kosovos in die
NATO muss beendet werden. Das Büro des EU-Protektorats, des Hohen Repräsentanten, muss aufgelöst werden. Nur so und durch die finanzielle Unterstützung der
hiesigen bosnischen Bevölkerung kann sich Bosnien eigenständig entwickeln. Ihre Politik wird dagegen nicht
den Frieden sichern helfen. Ziehen Sie also die Bundeswehr aus Bosnien-Herzegowina ab. Verschlimmern Sie
nicht noch das soziale Elend in Bosnien, wie Sie es in
den letzten Jahren gemacht haben. Achten Sie endlich
ein Minimum - das ist wirklich nicht zu viel verlangt an Rechtsstaatlichkeit auch auf dem Balkan.
({7})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Dr. Rainer Stinner das Wort.
Sehr geehrte Frau Kollegin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist ja entlarvend, wenn man mehrere solcher Debatten nacheinander hat. Es ist entlarvend,
({0})
wenn man die Einlassungen von Ihnen und Ihren Kollegen hört. Ich bin mittlerweile zu der Überzeugung gekommen, dass Sie eine fraktionsinterne Wette laufen haben, bei der es darum geht, dass jeder Redner von Ihnen
- ganz egal, zu welchem Thema Sie sprechen - einige
Vokabeln verwenden muss. Dazu gehört natürlich auch
„neoliberal“.
({1})
Frau Kollegin Dağdelen, Sie werden bedauerlicherweise - das meine ich jetzt sehr ernst - mit Ihrer Rede,
mit Ihrem Vokabular und mit Ihrer Argumentation dem
Ernst der Lage in Bosnien-Herzegowina in keinster
Weise gerecht.
({2})
Wir haben eine furchtbare Situation gehabt. Es gibt diesen, wie wir alle heute wissen, schlechten, problematischen Vertrag von Dayton, unter dem wir alle leiden, unter dem auch das Land leidet. Wir versuchen, aus dieser
Situation herauszukommen, Frau Dağdelen, indem wir
versuchen, das Land zu entwickeln.
Wenn Sie diese Rede in Sarajevo halten würden, würden die Leute Sie auslachen - wenn nicht Schlimmeres.
Zu glauben, dass wir gegen den Willen von BosnienDr. Rainer Stinner
Herzegowina dabei sind, das Land imperial-kapitalistisch-neoliberal auszubeuten, um es dazu zu knechten,
endlich zu uns zu kommen, damit wir es aussaugen können, ist ein solch blödsinniges Bild, dass Sie damit eigentlich nur Verachtung erreichen können.
({3})
Ich kann Ihnen nur sagen: Mit solch einer Politik sind
Sie weit davon entfernt, ernsthafte Gesprächspartner im
Deutschen Bundestag zu werden.
Vielen Dank.
({4})
Frau Dağdelen zur Erwiderung.
Lieber Herr Stinner, erstens sind Sie nicht befugt, sozusagen im Namen der ganzen Bevölkerung in Deutschland zu sagen, wer in den Debatten um Außen- und Sicherheitspolitik ernst genommen werden kann und wer
nicht.
Das Zweite ist: Sie nehmen einfach nicht zur Kenntnis, dass nicht nur die Linksfraktion im Deutschen Bundestag Kritik an den Militäreinsätzen auf dem Balkan
zum Ausdruck bringt, sondern zum Beispiel eben auch
die International Crisis Group.
({0})
Sie werden mir zustimmen, dass das keine linke Institution ist. Auch die Stiftung Wissenschaft und Politik sagt,
dass die Situation in Bosnien-Herzegowina
({1})
noch nie so verfahren, noch nie so schlecht war
({2})
wie im letzten Jahr und in diesem Jahr.
({3})
Das äußert die Stiftung Wissenschaft und Politik, nicht
die Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Die SWP
sagt, dass diese Konflikte weder durch politischen noch
durch wirtschaftlichen oder durch militärischen Druck,
({4})
wie ihn die Bundesregierung und die Europäische Union
im Moment ausüben, gelöst werden können.
Sie glauben, am Reißbrett auf dem Balkan Staaten
aufbauen zu können
({5})
in Ihrem Interesse und nach Ihrer Logik, und dann wundern Sie sich, dass die Bevölkerungen vor Ort mit einer
Kolonialvertretung, wie es sie im Moment mit dem Hohen Repräsentanten gibt, nicht einverstanden sind. Sie
als Vertreter einer Fraktion, die sich eine liberale Fraktion nennt, können doch nicht im Ernst davon sprechen,
dass dieser Hohe Repräsentant irgendetwas mit deutscher Rechtsstaatlichkeit oder unserem Verständnis von
Rechtsstaatlichkeit zu tun hat. Was daran ist in Ihren Augen noch Liberalismus?
({6})
Das Wort hat nun die Kollegin Katja Keul für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kollegin Dağdelen, zunächst noch eine Bemerkung zu Guttenberg und dem Imperialismus: Ich wäre
ganz bei Ihnen, wenn es darum ginge, den Minister dafür
zu kritisieren, dass er nicht sorgfältig differenziert. Ich
muss aber leider sagen: Auch Sie differenzieren bei Ihrer
Position nicht sorgfältig.
({0})
Zur Sache: Der Krieg in Bosnien-Herzegowina ist seit
nunmehr 15 Jahren beendet. Doch obwohl die Waffen
seit 1995 schweigen, müssen wir im Bundestag erneut
über die Verlängerung eines Bundeswehrmandats entscheiden. Das zeigt uns wieder einmal, dass Frieden weit
mehr ist als die Abwesenheit von Krieg.
({1})
Der Beitrag der Bundeswehr besteht derzeit noch aus
120 Soldaten. Im kommenden Frühjahr werden auch
diese voraussichtlich abgezogen. Die militärische Präsenz wird sich dann auf eine Handvoll Verbindungsoffiziere im Hauptquartier beschränken. Das ist ein gutes
Zeichen. Denn militärische Einsätze zur Konfliktbewältigung müssen auch irgendwann zu Ende gehen. Unter
dieser Prämisse werden auch wir Grünen dem Mandat
noch einmal zustimmen.
Die verbliebenen Risiken in Bosnien-Herzegowina
sind inzwischen weniger militärischer als politischer,
ökonomischer und polizeilicher Natur. Die in Dayton
entworfene Verfassung war letztlich nur eine Hilfskonstruktion, um den Krieg in Europa endlich zu beenden.
Das 1995 entworfene Staatsgefüge ist viel zu komplex
und fragmentiert, als dass sich darauf eine gemeinsame
Zukunft der drei Volksgruppen begründen ließe. Aktuell
existieren mit den Kantonen, der Föderation und der Re8184
publik Srpska praktisch 13 verschiedene Ebenen statt eines einheitlichen Staates. Die gesamtstaatlichen Organe
sind seit Jahren quasi funktionsunfähig.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
im Dezember letzten Jahres entschieden, dass der ethnische Proporz in Exekutive und Legislative gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt.
({2})
Der Europarat hat daher eine Änderung des Wahlrechts
verlangt. Das ethnische Proporz- und Vetosystem muss
endlich durch eine demokratische Verfassung ersetzt
werden.
({3})
Solange dies nicht gelingt, sind der Hohe Vertreter mit
seinen exekutiven Befugnissen und die Unterstützung
durch Althea als Rückversicherung unverzichtbar.
({4})
Der Bürgermeister des bosnisch-serbischen Foca
sagte kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin, die internationale Gemeinschaft müsse die bosnische Bevölkerung endlich laufen lernen lassen. Die positive Kraft,
so der Bürgermeister, gehe von der kommunalen Ebene
aus. Die lokale Selbstverwaltung stärke das Vertrauen
der Bevölkerung in eine friedliche Zukunft. Die Dezentralisierung ermögliche es, die territorialen Zuordnungen
nach ethnischen Kriterien zu überwinden. Das macht
Hoffnung.
Auf der anderen Seite bremsen Korruption und kriminelle Strukturen den demokratischen Fortschritt. Die
meisten Machthaber der Föderation und der Republik
Srpska wollen mit allen Mitteln ihre Macht erhalten.
Eine Teilung Bosnien-Herzegowinas ist aber mit Europa
nicht zu machen. Das muss auch der deutsche Außenminister unmissverständlich klarmachen.
({5})
Die EU steht den 4,3 Millionen Bürgerinnen und Bürgern Bosnien-Herzegowinas gegenüber in der Pflicht.
Am 2. Juni wurde auf dem EU-Westbalkan-Gipfel in Sarajevo die Beitrittsperspektive noch einmal bekräftigt.
Ein wichtiges und längst überfälliges Zeichen in diese
Richtung ist die kürzlich beschlossene Visaerleichterung.
Aber nur ein Staat, der seinen Bürgerinnen und Bürgern die gleichen Rechte und Pflichten unabhängig von
ethnischen Kriterien gewährt, kann die Beitrittsvoraussetzungen erfüllen. Nach den Parlamentswahlen am
3. Oktober richten sich unsere Hoffnungen auf neue Initiativen aus der bosnischen Politik und auf Menschen
wie den Bürgermeister von Foca, damit Bosnien-Herzegowina als Staat endlich laufen lernen kann und wir bald
nicht mehr über die Verlängerung dieses Mandats entscheiden müssen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Philipp Mißfelder ist nun der letzte Redner in dieser
Debatte. Er spricht für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Keul, auch in dieser Debatte war nach dem
Aussetzer von Frau Dağdelen Ihre ordnende Hand leider
notwendig.
({0})
Ich finde es beruhigend, dass auch im größten Teil des
Auswärtigen Ausschusses das Thema Westbalkan mit
großer Ernsthaftigkeit, aber immer auch mit großer
Sorge diskutiert wird.
Wir dürfen eines nicht außer Acht lassen: Vor
15 Jahren war Europa nicht kurz davor, zu scheitern,
sondern es ist fundamental gescheitert, weil wir zugelassen haben, dass direkt vor unserer Haustür Gewalt und
Völkermord stattgefunden haben,
({1})
und weil wir mit den vorhandenen Strukturen leider
nicht in der Lage waren, dieser Aufgabenstellung gerecht zu werden.
Die grüne Partei hat ja lange mit sich gerungen, welchen Weg man dort am besten einschlagen sollte. Wir
sollten nie vergessen, wie Joschka Fischer damals in
Bielefeld - kurz vor oder nach dem Farbbeutelwurf; ich
weiß es nicht - die Linie ausgegeben hat: nie wieder
Auschwitz, nie wieder Völkermord! - Das finde ich in
dieser Debatte durchaus bemerkenswert. Deshalb muss
sie auch sehr ernst geführt werden. Hier geht es nicht um
Kolonialismus. Hier geht es nicht um enge Interessen;
vielmehr geht es hier nur um ein einziges Interesse, das
wir als Europäische Union und als Bundesrepublik
Deutschland haben, nämlich Frieden zu schaffen direkt
vor unserer Haustür und ihn dauerhaft zu erhalten. Um
nichts anderes geht es an dieser Stelle.
({2})
Ich möchte auf den Beitrag von Herrn Nietan zurückkommen. In Dayton ist etwas auf den Weg gebracht worden, was zunächst einmal den Frieden geschaffen hat.
Seitdem ist viel passiert: Slowenien ist Mitglied der Europäischen Union geworden. Kroatien hat große Fortschritte erreicht. Insgesamt muss man sagen, dass die Erwartungshaltung der Länder des Westbalkans Richtung
Europa wesentlich größer geworden ist. Das gilt auch für
die Hoffnung, die viele Menschen dort in Europa setzen.
Formale Regelungen - auch des Daytoner Abkommens - sind im Einzelnen immer kritikwürdig; denn man
kann nicht die politische Devise herausgeben, an einem
Regelwerk festzuhalten, nur weil man das Regelwerk
selbst aufgestellt hat. Was anfangs ein Erfolg war, muss
immer kritisch überprüft werden, zweifellos. Deshalb
darf unser Anspruch, auch in der heutigen Debatte, wenn
es um die Entsendung deutscher Soldaten geht, nicht nur
sein, dort mit Soldaten aktiv zu sein, sondern unser Anspruch muss auch eine politische Perspektive umfassen.
({3})
Deshalb ist mein Plädoyer eindeutig - ich nehme den
Ball von Dietmar Nietan gerne auf -, dass im Mittelpunkt unserer politischen Debatte stehen muss, einen
Weg für diese Länder in Richtung Europa und zur Europäischen Union zu gewährleisten und die Hoffnung nicht
zu enttäuschen.
In Thessaloniki gab es beim Gipfeltreffen im Jahr
2003 ein klares Bekenntnis zu den Werten der Europäischen Union. Das sollten wir gemeinsam weiterverfolgen und gemeinsam engagiert vorantreiben, selbst wenn
dies im Einzelfall ein sehr steiniger Weg sein wird, mit
dem wir uns auch noch lange Zeit beschäftigen werden.
({4})
Die militärische Aktion ist und bleibt notwendig. Ich
möchte deshalb Franz Josef Jung, unserem früheren Verteidigungsminister, ausdrücklich danken; denn es gab
viele Stimmen innerhalb der Europäischen Union, die einen schnelleren Abzug gefordert haben. Man stelle sich
vor, das politische Druckmittel, gerade das Druckmittel,
an der Integrität der Grenzen festzuhalten, wäre dort
nicht militärisch untermauert - manche würden das vielleicht als Freifahrtschein für ihr Großmachtstreben und
ihren puren Nationalismus empfinden. Insofern ist es
richtig, dass unser politisches Engagement - Minister
Westerwelle hat dies in Belgrad sehr deutlich gemacht;
er hat auch viel erreicht, was das Kosovo angeht - militärisch unterstrichen werden muss - leider.
Ganz praktisch hat das auch die Auswirkung, dass
alle diejenigen, die sich um den Aufbau von politischen
Strukturen in der Region bemühen, die sich um eine
Nachhaltigkeit im politischen System bemühen, alle internationalen NGOs, im Grunde nur dadurch frei arbeiten können, dass man ein militärisches Drohpotenzial in
der politischen Hinterhand hat. Wäre es nicht vorhanden,
hätte die eine oder andere Organisation sich vermutlich
nicht so frei entfalten können, wie es besonders in Bosnien-Herzegowina momentan der Fall ist. Auch deshalb
ist dieser Einsatz notwendig.
Trotzdem sage ich auch hier: Wir streben keine Mandatsverlängerung nur der Mandatsverlängerung wegen
an, sondern unser Angebot muss ein politisches sein.
Trotz der großen Schwierigkeiten, die wir innerhalb der
Europäischen Union heute sehen, muss die Vision eines
zusammenwachsenden Europas eben auch sein, nicht
nur einen wirtschaftlichen Integrationsrahmen darzustellen; vielmehr muss ganz klar auch Friedenspolitik in den
Mittelpunkt gerückt werden. Dazu gehört, Frieden mit
diplomatischen Mitteln zu schaffen. Das ist möglich, indem man einen politischen Weg in die Europäische
Union offen lässt und damit auch die konstruktiven
Kräfte ermutigt.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3692 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags
sowie der Resolutionen 1368 ({0}) und 1373
({1}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
- Drucksache 17/3690 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Damit sind
Sie einverstanden. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort Herr Staatsminister Dr. Werner Hoyer.
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei ihrem Gipfel in Lissabon am vergangenen Wochenende hat die NATO erneut gezeigt, dass sie 20 Jahre nach
dem Ende des Kalten Krieges ein lebendiges Bündnis ist,
ein Bündnis, das sich den neuen Herausforderungen
stellt. Das ist eine bemerkenswerte Feststellung, nachdem
man so viele Jahre darüber gesprochen hat, dass die
NATO am Ende sei und ihr in Zukunft die Aufgaben nach
Beendigung des Kalten Krieges fehlten. Sie ist nichtsdes8186
totrotz ein sehr lebendiges Bündnis. Mit dem neuen Strategischen Konzept, auf das sich die 28 Staats- und Regierungschefs geeinigt haben, ist die NATO auf dem
richtigen Weg. Deutschland hat in Solidarität mit seinen
Partnern im Bündnis immer seinen Beitrag geleistet, gerade in Krisenzeiten und auch angesichts der andauernden Bedrohung durch den internationalen Terrorismus.
Unter dem unmittelbaren Eindruck der Anschläge
vom 11. September 2001 erteilte der Bundestag erstmals
das Mandat, das es ermöglicht, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten an Einsätzen bewaffneter Streitkräfte
gegen den internationalen Terrorismus teilnehmen. Das
Mandat zur Beteiligung an der NATO-Operation Active
Endeavour im Mittelmeer war seit 2003 stets mit dem
Mandat zur Beteiligung an der US-geführten Operation
Enduring Freedom verbunden. Vor einem Jahr, bei der
Verabschiedung des jetzt laufenden Mandats, hat die
Bundesregierung zugesagt, die deutsche Beteiligung an
OEF einer kritischen Bestandsaufnahme und Überprüfung zu unterziehen. Wir sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund der sich wandelnden Aktionsformen des internationalen Terrorismus unsere weitere
Teilnahme an Operation Enduring Freedom nicht vonnöten ist. Vom 2. Juli 2010 an sind die letzten Einheiten
vom Horn von Afrika, wo wir im Rahmen von OEF zuletzt ausschließlich aktiv waren, zurückgekehrt.
({0})
Das heißt, wir haben unsere Zusage eingehalten.
Gleichwohl zeigen die aktuellen Warnungen zur Terrorgefahr hier in Deutschland gerade in diesen Tagen: Der
Kampf gegen den internationalen Terrorismus dauert an.
Der Angriff der Terroristen auf den Westen insgesamt
fand nicht nur am 11. September 2001 in Washington,
New York und in der Nähe von Philadelphia statt. Er
setzte sich fort am 11. März 2004 in Madrid und am
7. Juli 2005 in London. Die gescheiterten Versuche im
Anflug auf Detroit Weihnachten letzten Jahres und am
Times Square in New York in diesem Jahr sowie nicht zuletzt die aktuellen Drohungen gegen Deutschland zeigen:
Der Angriff und die Bedrohung dauern an. Deswegen
dauert auch die Selbstverteidigung dagegen an.
Dabei wundere ich mich sehr, heute zu lesen, Herr
Kollege Erler, dass Sie gerade zum jetzigen Zeitpunkt
Unbehagen zur völkerrechtlichen Grundlage äußern;
denn über die Argumente, die bereits vorgetragen worden sind, wurde in der Sache, insbesondere in Bezug auf
den Hauptteil unseres früheren Engagements im Rahmen
der Operation Enduring Freedom, diskutiert. Diese Argumente wurden von Ihnen in Ihrer damaligen Funktion
vehement zurückgewiesen. Ich bin durchaus der Auffassung, dass man das sehr differenziert sehen muss. Das
gilt auch im Hinblick auf die zukünftige Ausgestaltung
der Aufgaben, die hier zu bewältigen sind - mit einem
breiten Ansatz aus zivilen und militärischen Mitteln. Wir
haben stets die Vernetzung vielfältiger Instrumente und
Handlungsmöglichkeiten gerade im Zusammenhang mit
der damaligen Operation Enduring Freedom gewährleistet. Das tun wir jetzt auch hier bei der gemeinsamen Aktion des Bündnisses Active Endeavour; denn wir müssen
doch auf die Veränderung der Bedrohungs- und Operationsmuster der Akteure des Terrorismus eingehen. Sie
verändern sich ständig. Dementsprechend bedarf auch
der Kampf gegen den Terrorismus einer stetigen Anpassung, um präventiv wirksam zu sein.
Die jüngst offenbar gewordene Bedrohung aus dem
Jemen hat erneut gezeigt, wie wichtig ein klarer Informationsvorsprung des Staates im Kampf gegen den Terror ist. Bei der Operation Active Endeavour werden für
die NATO neue Arten der Informationsgewinnung und
Informationsverarbeitung mit dem Ziel entwickelt, umfassende Lagebilder zu erstellen. Eine entscheidende
Rolle kommt dabei der Vernetzung der NATO-Strukturen mit anderen Akteuren in der Region sowie mit Partnerstaaten der NATO zu. So waren zum Beispiel Länder
wie Russland, Marokko und die Ukraine an Active Endeavour beteiligt. Solche Beteiligungen wird es auch in
Zukunft geben. Alle verbindet das gemeinsame Ziel der
Bekämpfung des Terrorismus. Hier erweist sich Active
Endeavour als ein innovatives Zentrum in einem sich
ausbreitenden Sicherheitsnetzwerk.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ströbele?
Das Vergnügen werde ich mir jetzt nicht machen.
({0})
Ich freue mich aber auf die engagierte Diskussion dieses
Antrages der Bundesregierung in den Ausschüssen des
Deutschen Bundestages. Gegenwärtig sind wir in der
Einbringung.
({1})
- In der Tat, es ist auch erst das zweite Mal, dass ich ein
Mandat einbringe. Bei einer Debatte im Deutschen Bundestag werden Sie mich als aktiven Debattenredner wiederfinden. Aber jetzt werde ich das für die Bundesregierung vortragen, was hier gesagt werden muss.
Wir alle haben in den letzten Tagen erneut erfahren,
dass die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus real ist und auch uns betrifft. Wir werden uns dieser
Herausforderung auch in Zukunft stellen müssen.
Im Bündnis werben wir dafür, die aktive Verteidigungsoperation Active Endeavour auf Grundlage von
Art. 5 des NATO-Vertrages - da sind wir bei der Rechtsgrundlage, Herr Kollege Erler; vielleicht können wir uns
aufeinander zubewegen - mittelfristig zu einem ständigen
Verteidigungsplan weiterzuentwickeln, in dessen Rahmen
Alliierte und NATO-Partner ständig zur Aufklärung und
Vorwarnung beitragen. Diese Umwandlung, bei der wir,
wie gesagt, wahrscheinlich wieder zusammenkommen,
wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Auf dem Weg dorthin werden wir weiterhin im Rahmen der Bündnissolidarität zu unseren Verpflichtungen aus der Operation steStaatsminister Dr. Werner Hoyer
hen. Den deutschen Soldatinnen und Soldaten, die hierzu
täglich ihren Beitrag leisten, gebührt unser aufrichtiger
Dank. Aus diesen Gründen bittet die Bundesregierung
Sie um eine breite Unterstützung dieses durch den Wegfall der Beteiligung an Operation Enduring Freedom nun
neu zu bestimmenden Mandats zum Einsatz bewaffneter
Streitkräfte im Rahmen der NATO-Operation Active Endeavour.
Vielen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Groschek
für die SPD-Fraktion.
({0})
Ganz leise und ganz ruhig, weil ich konsterniert bin. Sehr geehrter Herr Staatsminister, als Abgeordneter waren Sie ein prägnanter verteidigungs- und sicherheitspolitischer Akteur, der auf Abrüstung und Rüstungskontrolle gesetzt und frühzeitig darauf hingewiesen hat, dass
man OEF nicht verlängern sollte, weil es ein vorübergehendes Mandat sei.
({0})
Als Staatsminister haben Sie beim letzten Mal schon
eine Legitimation für OEF herbeigezaubert, von der Sie
selbst im Grunde nicht überzeugt waren. Sie haben uns
ein Mandat mit einer Laufzeit von zwölf Monaten vorgelegt, obwohl Sie wussten, dass Sie selbst als Person und
auch Ihre Fraktion von diesem Mandat nicht überzeugt
sind; denn vor Ihrer Regierungsbeteiligung haben Sie
gegen die Verlängerung von OEF argumentiert. Nach einem halben Jahr haben Sie den Cut gemacht und gesagt:
Wir lassen OEF auslaufen.
({1})
Wir haben schon zum letzten Zeitpunkt der Mandatsverlängerung darum gebeten, OEF in Atalanta aufgehen
zu lassen. Das haben Sie von sich gewiesen. Das, was
Sie gerade gemacht haben, ist schon wieder eine Stufe
weiter. Es ist eine Verschlimmbesserung und ein Verwischen Ihres parlamentarischen Rufes, lieber Herr Staatsminister.
({2})
Warum? Was haben Sie gesagt? Sie haben als Begründung für die Operation Active Endeavour gesagt:
Die NATO lebt noch. Wir waren immer bündnissolidarisch. Die OEF-Absage war plausibel, und deshalb brauchen wir keine entsprechende Mandatierung vorzunehmen.
Die völkerrechtliche Plausibilität des Art. 5 des Nordatlantikvertrags bzw. des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen ist, jedenfalls im Moment, unstrittig. Was
wir Ihnen heute hier als Mandatsverlängerung anbieten,
ist ein innovatives Zentrum. - Unter dem Strich, lieber
Herr Staatsminister, war das ein Herumeiern und Nebelkerzenwerfen. Sie wissen nämlich, auf welch tönernen
Füßen Ihr Antrag steht.
({3})
Jetzt kommen wir zum Kern. Wir hatten eine sehr interessante, aufschlussreiche Anhörung mit General Petraeus.
Folgender Satz von ihm hat mich nachhaltig beeindruckt:
Ich als Soldat will vor allen Dingen eines, politische Klarheit und eine präzise Beauftragung. - An Klarheit und
Präzision mangelt es in Ihrem Antrag. Warum? Weil Sie
den Antragstext mit nachlässiger Routine und nicht mit
Klarheit und Präzision geschrieben haben, was nicht nur
der Bundestag, sondern auch die zu mandatierenden Soldatinnen und Soldaten erwarten können.
Ich will das deutlich machen. Sie haben bei der erstmals alleinigen Verlängerung der Operation Active Endeavour eben nicht auf eine präzise originale Begründung dieses Anliegens Bezug genommen, sondern Sie
haben weitestgehend aus der in der Vergangenheit gemeinsamen Mandatierung von Active Endeavour und
Enduring Freedom abgeschrieben.
({4})
Beides ist aber nicht so zu vereinbaren. OEF, das war ein
zu Recht robustes Mandat, das mit hohen militärischen
Fähigkeiten ausgestattet war. Dazu gehörten zum Teil
Spezialkräfte, Unterstützungskräfte, ABC-Abwehrkräfte.
Das Ganze war eine gezielte Reaktion, um Kampfeinsätze gegen Terrorcamps und Terroristen möglich zu machen. Das, was heute zur Abstimmung steht, die Fortsetzung der Operation Active Endeavour, hat einen ganz
anderen Charakter: den einer Seeaufklärung. Die Funktion besteht nur darin, Präsenz zu zeigen.
Das wird in dem Antrag der Bundesregierung aber
überhaupt nicht deutlich. Sie haben uns im Grunde im
Rahmen einer Wiedervorlage die Begründung aus dem
Antrag auf Fortsetzung der Operation Enduring Freedom
vorgelegt, was die Aufgaben der Bundeswehr angeht,
was die Gesamtmission angeht, beispielsweise die angebliche Bekämpfung und Gefangennahme von Terroristen
und das Ausschalten von Terrorcamps. Das entspricht
aber nicht dem Geist der Operation Active Endeavour.
Denn das ist eher eine Gelegenheitsmandatierung, sozusagen eine Durchreisemandatierung, von am Horn von
Afrika seefahrenden Einheiten auf dem Weg in die Heimathäfen. Das bedeutet zum Teil die Präsenz von NATOEinheiten und Stippvisiten von Seefernaufklärern.
All das hat wenig mit dem zu tun, was Sie in Ihrem Antrag verlangen, nämlich das Aufsuchen und Gefangennehmen von Terroristen und das Zerstören von Terrorcamps. Das ist mit dem eigentlichen Anliegen überhaupt
nicht deckungsgleich. Das gilt auch für die Mandatsobergrenze. Sie haben festgelegt, dass die Mandatsobergrenze
bei 700 liegt, ohne präzise zu begründen, wie Sie zu dieser Zahl kommen. In der ersten Hälfte dieses Monats waren null Soldatinnen und Soldaten in diesem Einsatz. Warum wollen Sie jetzt eine Mandatierung in Höhe von 700?
Kommen wir auf Art. 5 des Nordatlantikvertrags und
auf Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen zu sprechen. Sie selbst haben gerade in einem Nebensatz darauf
hingewiesen, dass die Legitimationskraft schwindet. Sie
haben gesagt: Mittelfristig müssen wir zu einem neuen
Konzept und einer neuen Legitimation kommen. Nein,
jetzt ist die Zeit reif, anzuerkennen, dass eine präzise
Neulegitimation für diese Mandatierung notwendig ist
und dass neun Jahre nach den Anschlägen in New York
eben nicht argumentiert werden kann, Art. 5 des Nordatlantikvertrags und Art. 51 der Satzung der Vereinten
Nationen seien die Grundlage für eine Pauschalermächtigung.
({5})
Die fehlende Sorgfalt bei der Begründung zieht sich wie
ein roter Faden durch diesen Antrag.
Schauen wir uns das Einsatzgebiet an. Das Einsatzgebiet ist das Mittelmeer. Im Mittelmeer selbst ist auch nach
Auskunft der Bundesregierung keine aktuelle Terrorgefahr und keine terroristische Aktivität dokumentiert. Im
Gegenteil: Dort kann man allenfalls Boatpeople, also
Elendsflüchtlinge, antreffen. Es geht somit um das genaue Gegenteil von Terrorbekämpfung. Wir haben dort
eine herausragende soziale und zivilisatorische Aufgabe
zu erfüllen.
Im Mittelmeer selbst gibt es keine terroristische Bedrohung, die über dieses Mandat zu bekämpfen wäre,
und erst recht keine terroristischen Camps, die aufzuspüren und zu vernichten wären. Deshalb ist unser Anliegen, Sie darum zu bitten, im Rahmen der Beratung mit
uns gemeinsam zu sagen: Wir können bei diesem Mandat in die Zeit von vor 2003 zurückkehren, als nämlich
die NATO-Verbände ohne ein robustes Kampfmandat
Seefernaufklärung und Präsenz gewährleistet haben und
eben nicht die Legitimation über Art. 5 brauchten. Das
wäre eine sinnvolle Perspektive, bei der wir mitgehen
würden.
Deshalb sagen wir Ja zur Klarheit und präzisen Mandatserteilung. Die Soldatinnen und Soldaten müssen
wissen, woran sie sind - und zwar präzise und nicht nebulös. Und deshalb sagen wir Nein zum vorliegenden
Antrag. Sie werden uns nicht an Ihrer Seite finden, weil
ein robustes Mandat in diesem Fall überflüssig ist und
weil wir Ihnen auch keinen Vorratsbeschluss - siehe
700 Mann - erteilen würden; denn das wäre nicht vereinbar mit dem parlamentarischen Beteiligungsgesetz.
An die FDP kann ich doch bitte nur appellieren, nicht
den gleichen Fehler wie bei der letzten Mandatsdiskussion um OEF zu machen. Damals haben Sie gesagt: Wir
werden das überprüfen und darüber nachdenken. Das
halbe Jahr Nachdenken war ja gut; denn das Mandat ist
ausgelaufen. Das hätten wir aber gemeinsam schon ein
halbes Jahr früher beschließen können. Deshalb meine
herzliche Bitte und Einladung: Folgen Sie uns heute,
springen Sie über Ihren Koalitionsschatten, geben Sie
Ihrer liberalen Vernunft Platz. Dann werden Sie mit uns
stimmen und Nein sagen.
({6})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Thomas Kossendey.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich bitte im Namen der Bundesregierung um die
Zustimmung zu diesem Mandat. Active Endavour ist ein
wichtiger Beitrag. Der Kollege Hoyer hat das hier gerade vorgetragen. Ich glaube, Herr Kollege Groschek,
ein Blick in das Mandat hätte Ihnen manche Ihrer Bemerkungen hier erspart.
({0})
Wenn Sie im Mandat unter Punkt 4 nachlesen, werden
Sie feststellen, dass die Operation Active Endavour ein
Ziel hat. Es soll ein Beitrag zu den Aktivitäten geleistet
werden, die Sie genannt haben. Zur Bundesmarine bzw.
zur Bundeswehr steht genau das darin, was Sie erwartet
haben:
({1})
- Danke schön, Herr Stinner: Deutsche Marine. In diesem Rahmen ergeben sich für die Bundeswehr insbesondere folgende Aufgaben: militärische
Präsenz auf See, Aufklärung, Überwachung, Lagebilderstellung auf und über See, Austausch und Abgleich gewonnener Lagebildinformationen.
All das steht sehr präzise im Mandat.
Ich glaube, an der grundsätzlichen Aufgabenstellung
hat sich eigentlich gar nichts geändert. Sie haben sich
geändert, weil Sie vielleicht einem fragwürdigen Zeitgeist nachlaufen, der Ihnen aufgrund des Hinweises von
Herrn Gabriel vielleicht die Chance gibt, in trüben Gewässern - da, wo die Linken normalerweise die Oberhand haben - zu fischen.
({2})
Sie sagen, dass eigentlich niemand so genau weiß,
wer da ist. Es hätte nur eines kurzen Anrufes bedurft,
dann hätten wir Ihnen gesagt, welche Marineeinheiten
zum Beispiel in diesem Jahr bei Active Endavour dabei
waren. Es war „U 31“ als U-Boot dabei. Zwei Fregatten
und der Einsatzgruppenversorger waren dabei, und es
war auch - genau wie es im Mandat steht - auf Transit
die eine oder andere Marineeinheit am Horn von Afrika
dabei. Da haben wir weder etwas falsch gemacht, noch
falsch geschildert. Wir haben es sehr präzise in dem
Mandat gesagt.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Erler?
Das macht jetzt bei der kurzen Redezeit keinen Sinn. Ich glaube, die angespannte Situation, die wir in diesen
Tagen hier in Berlin erleben, zeigt uns, dass der internationale Terrorismus nichts von seiner Bedrohung und
seiner Unberechenbarkeit eingebüßt hat. Wir als Deutsche, als Mitglied in der Staatengemeinschaft, müssen,
glaube ich, deutlich machen, dass wir in unserer Entschlossenheit, diesen Kräften etwas entgegenzusetzen,
nicht nachlassen. Gemeinsam müssen wir klare Signale
setzen: Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir schützen
entschlossen Frieden und Freiheit, und wir treten auch
mit Überzeugung für unsere Werte ein.
Wenn Sie das UN-Mandat vielleicht nicht ganz so juristisch sicher sehen, möchte ich Sie darauf hinweisen,
dass der Sicherheitsrat am 13. Oktober in der Resolution 1943 noch einmal ausdrücklich eine fortdauernde
Unterstützung für die verschiedenen internationalen Bemühungen im Hinblick auf die Bekämpfung des internationalen Terrorismus beschlossen hat. Auch das sollte
Ihnen eigentlich zu denken geben.
Active Endeavour ist und bleibt ein wesentlicher Beitrag im Kampf gegen diesen internationalen Terrorismus
durch Präsenz auf See und durch gezielte Überwachungsmaßnahmen. Damit erschweren wir die Nutzung
der traditionellen Transportwege durch terroristische
Kräfte, und wir schränken den Zugang zu potenziellen
Aktions-, aber auch zu potenziellen Rückzugsgebieten
ein.
({0})
Ich glaube, ein ganz wichtiger weiterer Aspekt ist,
dass sich mittlerweile viele Länder, die nicht NATOStaaten sind - Russland, die Ukraine oder Marokko -, an
diesen Aktivitäten beteiligen. Das stärkt diese Operation
nicht nur operativ; das stellt, wie ich glaube, auch einen
sehr wichtigen Beitrag zur einer längerfristigen und
nachhaltig vertrauensbildenden Kooperation mit wichtigen Partnerländern dar.
({1})
Auch unter diesem Aspekt ist Active Endeavour als ein
wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der gesamten Region zu werten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit 2002 beteiligen
sich deutsche Marinekräfte an dieser Operation und damit an der Überwachung des Seeraums Mittelmeer.
Dazu gehören unter anderem, wie wir es im Mandat geschrieben haben, die Erstellung eines maritimen Lagebildes, die Durchführung von Security-Operationen,
zum Beispiel das Abfragen, das Anhalten und das
Durchsuchen von Schiffen, sowie auch die Nachrichtengewinnung und die allgemeine Aufklärung. Darüber hinaus sichern wir Hochwertschiffe durch Begleitung.
Schiffe mit besonderer Ladung werden von Marineeinheiten eskortiert.
({2})
- Entschuldigung, fragen Sie doch, was Sie fragen wollen.
({3})
- Ich meine, der Zwischenruf war etwas neben der Sache.
Angesichts der Tatsache, dass die terroristische Bedrohung fortbesteht, bleibt Active Endeavour ein ganz
wichtiger und angemessener Beitrag der NATO, um für
die Sicherheit dieses für Europa so wichtigen Seegebiets
zu sorgen. Unser deutscher Beitrag ist nicht nur ein klares Zeichen unserer Bündnissolidarität - ich erinnere daran, dass es Gerhard Schröder war, der uneingeschränkte
Solidarität versprochen hat -,
({4})
sondern es liegt auch im Interesse unserer eigenen Sicherheit, dort Präsenz zu zeigen und auch in Zukunft die
Aufgaben zu erfüllen, die wir im Mandat, das Ihnen vorliegt, eindeutig beschrieben haben.
Wir werden uns mit bis zu 700 Soldatinnen und Soldaten - das ist die Obergrenze - in Zukunft an dieser
Operation mit See- und Seeluftstreitkräften beteiligen.
Das schließt natürlich auch ein, Herr Groschek, dass sich
Marineeinheiten, die sich im Transit durch das Mittelmeer befinden, an dieser Operation beteiligen.
Die Mandatsdauer ist bis zum 31. Dezember 2011
vorgesehen.
Ich bitte Sie, Ihre Position zu überdenken, und auch
im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten
({5})
um eine breite Zustimmung.
({6})
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Paul
Schäfer das Wort.
({0})
Werte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Die deutsche Beteiligung an dieser NATO-Militäroperation ist abzulehnen und schnellstmöglich zu beenden.
Erstens, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass man mit
militärischen Mitteln dem Terrorismus nicht beikommen
kann.
Zweitens, weil dieses Mandat, gestützt auf Art. 5
NATO-Charta, schon längst für andere Zwecke missbraucht wird. Wenn man genauer hinschaut, stellt man
fest, dass es mit der Sicherung von Öltransporten - ich
komme gleich noch darauf - auch hier inzwischen um
die Durchsetzung bestimmter Wirtschaftsinteressen geht.
Paul Schäfer ({0})
Das gilt auch, weil unter das Mandat auch die Abwehr
von Flüchtlingen, die nach Europa wollen, gefasst wird.
Drittens, weil für uns, das entsendende Parlament,
überhaupt nicht mehr klar ist, wofür welche Marineeinheit wann eingesetzt wird. Dieses Blindekuhspiel hat mit
dem Parlamentsbeteiligungsgesetz wenig zu tun. Das
sollten wir nicht mit uns machen lassen.
({1})
Wir waren ja heilfroh, dass man aus OEF ausgestiegen ist. Da hätte man gar nicht einsteigen dürfen, weil
die militärische Bekämpfung des Terrorismus in der Tat
nichts gebracht hat. Im Gegenteil: Sie verschärft die
Lage in Afghanistan und auch hier.
({2})
Das gilt auch für die Mission Active Endeavour. Der
Auftrag lautet, „Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen“. Sie haben mehr als
100 000 Abfragen gemacht, mehr als 160 Boardings.
Welcher Terrorist wurde gefangen genommen und vor
Gericht gestellt? Kein einziger!
({3})
Das ist doch der Punkt: Sie können nicht nachweisen,
dass diese Mission irgendeinen Effekt hatte. Darum geht
es inzwischen allerdings auch gar nicht mehr.
Sie sollten diesem Parlament jetzt ehrlich sagen, dass
es darum geht, in Verbindung mit den Aktionen im Suezkanal und im Indischen Ozean großflächig Räume zu
kontrollieren. Das klingt harmlos. Schaut man auf die
NATO-Homepage, findet man dort zum Beispiel als
Auftrag, dass systematisch Erdöl- und Erdgastransporte
beschützt werden sollen. Man kann auch nicht von der
Hand weisen, dass die NATO-Mitgliedstaaten durch die
Aufklärungsmissionen, die man durchführt, über Herrschaftswissen verfügen. Das ist des Pudels Kern: Es geht
nicht um Territorialverteidigung, sondern darum, bestimmte Interessen durchzusetzen. Dafür wollen wir
aber keine Soldaten entsenden.
({4})
Wir sind für die Durchsetzung des Völkerrechts und
die Freiheit der Meere. Dabei handelt es sich aber - das
ist der Punkt - um zentrale Aufgaben der Vereinten Nationen, nicht von exklusiven Machtblöcken und Militärallianzen. Das ist doch der Punkt.
({5})
Inzwischen leiten Sie weitschweifende Aktivitäten
aus dem Mandat ab, zum Beispiel die Abwehr illegaler
Immigration und die Verhinderung von Flucht. Davon
steht aber nichts im Bundestagsmandat. Das ist doch Betrug.
({6})
Das Problem ist aber nicht nur, dass im Bundestagsmandat nichts davon steht; das Problem ist auch, dass
solche Dinge tatsächlich gemacht werden. Der NATOKommandeur hat 2006 in Bezug auf die Amtshilfe für
Griechenland - hier ging es um Flüchtlinge - geschrieben, es gehe bei der Mission zwar um Kriminelle, aber
man sende damit auch die Botschaft an die Terroristen:
Wir suchen nach euch und wenn wir euch finden, gibt es
keinen Platz zum Verstecken. - Liebe Kolleginnen und
Kollegen, haben Sie gut zugehört? Das ist das, was aus
dem Bundestagsmandat gemacht wird. Wir machen bei
dieser bedenklichen Praxis nicht mit.
({7})
Zur bedenklichen Praxis gehört auch, dass die Daten
aller Schiffe, die einmal durch das Gebiet durchfahren,
einfach zugeordnet und assigniert werden. Damit werden alle Schiffe und U-Boote, die durch das Gebiet fahren, der Operation Active Endeavour oder der Operation
Ocean Shield unterstellt. Meiner Meinung nach wird
hier die parlamentarische Kontrolle ad absurdum geführt. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz ist an dieser
Stelle sehr klar: Es regelt, dass der Auftrag und die Aufgaben präzise benannt werden müssen. Soll es präzise
sein, wenn nur von der „militärischen Präsenz auf See“
die Rede ist? Der Auftrag und die Aufgaben müssen klar
benannt werden, ebenso die dafür vorgesehenen Kräfte.
Davon kann in der Praxis keine Rede sein. Auch deshalb
lehnen wir das Mandat ab.
Wir sagen Ihnen deshalb: Wenn Sie es mit dem Parlamentsvorbehalt ernst meinen - wenn das Parlament darüber bestimmen soll -, gibt es Grund genug, jetzt innezuhalten und die Verlängerung des Mandats abzulehnen;
sie ist aus friedenspolitischen Gründen ohnehin entschieden abzulehnen. Die Bundeswehrbeteiligung an dem
Mandat muss beendet werden.
Danke.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
sprechen heute über die mögliche Fortsetzung der deutschen Beteiligung am Antiterroreinsatz Operation
Active Endeavour. Ich möchte an dieser Stelle etwas Ungewöhnliches machen, nämlich die Mission und das
Mandat voneinander trennen.
Herr Kollege Groschek, ich finde, für die Mission
gilt: Das ist nicht ganz so heiß, wie es gekocht wird. Es
passiert gar nicht so viel; man kann darüber reden, ob es
sinnvoll ist oder nicht. Ich möchte mich deshalb auf die
Versäumnisse beschränken, die ich beim Mandat gefunden habe. Aus meiner Sicht gibt es vier Versäumnisse:
Erstens. Es gibt sinnvolle Aspekte der Mission, über
die man im vorliegenden Mandat und in den Briefen der
beiden Minister, die versucht haben, das Mandat an die
Fraktionen heranzutragen, an keiner Stelle etwas findet.
Herr Staatssekretär, Sie haben heute zum ersten Mal darauf hingewiesen, dass NATO-Partner wie Russland, IsOmid Nouripour
rael, Marokko und die Ukraine daran beteiligt sind. Es
ist aus internationaler Sicht eine wirklich spannende Geschichte, dass die NATO mit diesen Ländern tatsächlich
operativ agiert. Das findet sich bisher nicht im Mandatstext wieder. Ich finde, es ist ein Riesenversäumnis,
dass über das, was an der Mission sinnvoll sein könnte,
überhaupt nicht gesprochen wird.
Zweitens die Parlamentsbeteiligung. Im Hinblick darauf hat der Kollege Schäfer recht. Ich ging bisher eigentlich immer davon aus, dass Sie sich darum bemühen, in diesem Parlament breite Konsense herzustellen
und dafür breit zu werben. Für die Parlamentsbeteiligung gilt: Wir werden nicht immer automatisch informiert, wenn Schiffe eine Mission beginnen. In diesem
Fall sah die Parlamentsbeteiligung so aus, dass unsere
Fraktionsvorsitzenden einen Brief bekommen haben, in
dem steht: Wir bitten Sie, Ihre Fraktion über dieses Vorhaben der Bundesregierung zu informieren.
Ich habe die Vorsitzenden meiner Fraktion angerufen
und sie gefragt, was eigentlich in dem Brief steht. Das
konnten sie mir nicht beantworten, weil darin nichts
Substanzielles zum Mandat stand. Hier gab es kein wirkliches Bemühen darum, eine breite Unterstützung für das
Mandat, für den Einsatz der Bundeswehr herzustellen.
Herr Staatssekretär Kossendey, es wäre gut gewesen,
wenn Sie das Gespräch gesucht hätten. Es reicht hier
nicht aus, zu fragen: Warum habt ihr nicht angerufen?
Sie wollten doch die Zustimmung des Hauses erreichen.
Ein Gespräch hätte möglicherweise dazu geführt, dass
manche technische Missverständnisse, die im Raum stehen, von vornherein ausgeräumt worden wären.
Im Gegenteil: Ich habe das Gefühl, dass diese spärliche Informationspolitik in erster Linie auf einem Missverständnis seitens der Regierung beruht. Ich habe das
Gefühl, dass die Regierung denkt, dies sei eine Exekutivmission. Darum geht es bei diesem Mandat aber definitiv nicht.
Das dritte Versäumnis: Ich kann nicht erkennen - das
konnte ich auch den Reden an keiner Stelle entnehmen -,
welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit diese
Mission beendet wird.
({0})
Wir reden jetzt seit 15 Jahren über Missionen und sagen
immer wieder: Dieser oder jener Punkt muss auf unsere
„To do“-Liste für das nächste Mal; wir müssen noch einmal darüber nachdenken, was man anders machen muss. Immer sind wir uns darüber einig, dass man Konditionen
und Ziele formulieren muss, mit denen dargestellt wird,
wann das Ganze zu Ende geht. Das fehlt hier völlig.
Dazu ist nichts gesagt worden.
Nun kann man das trotzdem alles für ausreichend erachten, um der Mission zuzustimmen, weil man sie richtig findet.
Damit komme ich zum letzten Versäumnis. Das betrifft die völkerrechtliche Grundlage.
({1})
Die völkerrechtliche Grundlage fehlt. Das Einzige, was
ich heute in der Debatte dazu gehört habe, war eine Äußerung von Ihnen, Herr Staatsminister. Sie haben dem
Kollegen Erler vorgeworfen, er habe auch bei OEF keine
Bedenken gehabt und die Mission sogar verteidigt. Wir
Grünen haben schon damals gesagt: OEF ist völkerrechtswidrig. Deshalb kommen wir auch an dieser Stelle
nicht mit.
Die Grundlage für das OEF-Mandat und die Operation Active Endeavour ist bis heute das Selbstverteidigungsrecht der Amerikaner, das im Jahr 2001 von den
Vereinten Nationen anerkannt wurde. In diesem Beschluss der Vereinten Nationen finden Sie sehr genaue
und sehr präzise Rückbezüge auf die Regionen, von denen die Gefährdung ausgeht. So ist die Operation Active
Endeavour nicht mehr begründbar. Sie haben es ja auch
gar nicht versucht; weder der Minister noch Sie haben
das versucht. Auch in dem Antragstext wird nicht versucht, zu begründen, inwiefern die Vereinigten Staaten
von Amerika im Aktionsraum der Operation Active Endeavour ihre eigene Sicherheit gewährleisten.
Sie sind zwar stolz darauf, dass wir jetzt einen Sitz im
VN-Sicherheitsrat haben, aber Sie haben es versäumt,
diese Gelegenheit zu nutzen, um auf einen Beschluss der
Vereinten Nationen hinzuwirken, mit dem das Mandat
eine völkerrechtliche Grundlage bekommen hätte. Ich
glaube nicht, dass das schwierig gewesen wäre. Sollten
Sie einen solchen Beschluss nicht bis zur nächsten Lesung erreichen - das ist meines Wissens in der nächsten
Woche -, dann fühle ich mich nicht imstande, meiner
Fraktion zu empfehlen, diesem Mandat zuzustimmen.
({2})
Nun hat das Wort der Kollege Philipp Mißfelder für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kollege Nouripour, sicherlich werden wir die
Gelegenheit nutzen - der Kollege Hahn vom Verteidigungsausschuss, die Kollegen Kiesewetter, Brand und
ich haben uns schon beraten - und das eine oder andere
Missverständnis bis zur Schlussberatung beseitigen. Ich
stimme Ihnen zu, dass wir auch bei dieser Frage versuchen sollten, einen möglichst breiten Konsens in diesem
Haus herzustellen. Das ist das Anliegen der Regierung;
das ist auch unser Anliegen als Mehrheitsfraktion.
Um vielleicht schon einmal eine Kleinigkeit auszuräumen, empfehle ich Ihnen, den Antrag noch einmal
durchzulesen. Das ist hilfreich, weil der Schlusssatz einen ausdrücklichen Hinweis auf die Ukraine und Russland enthält. Damit ist zumindest einer der Punkte, die
für Sie kritikwürdig sind, schon ausgeräumt. Bis zum
Ende des Textes lesen, hilft bei der einen oder anderen
Akte, generell bei Vorgängen. Das soll die eine oder andere Diskussion auch schon erspart haben.
Was den Auftrag angeht, sage ich: Er ist klar umrissen. Das ist im Mandat eindeutig formuliert. Herr
Schäfer hat das paraphrasiert. Er hat von der Jagd auf
Terroristen gesprochen. Es ist so:
Die Operation Active Endeavour hat weiterhin zum
Ziel, einen Beitrag dazu zu leisten, Führungs- und
Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu
nehmen und vor Gericht zu stellen …
({0})
Weiter heißt es:
- militärische Präsenz auf See,
- Aufklärung, Überwachung und Lagebilderstellung auf und über See,
- Austausch und Abgleich gewonnener Lagebildinformationen mit weiteren Akteuren im Rahmen des Auftrages,
- Kontrolle des Seeverkehrs,
- die ist ausdrücklich erwähnt - temporäre Führung der maritimen Operation,
- Lufttransport zur Unterstützung der maritimen
Operation,
- Eigensicherung und Nothilfe.
Das umreißt sehr klar das, worum es in der Mission
konkret geht.
({1})
Deshalb kann ich Ihre Kritik an dieser Stelle nicht teilen.
Denn eines ist klar: Bei der Terrorismusbekämpfung
geht es nicht darum - Herr Schäfer und Herr Nouripour,
in diesem Punkt möchte ich Sie beide korrigieren -, ausschließlich Amerika zu schützen. Es ging im Falle der
NATO-Mandatierung darum, die Wertegemeinschaft der
NATO-Mitglieder insgesamt zu schützen.
({2})
Völkerrechtlich gibt es mehrere Grundlagen; der Einsatz
ist auch mandatiert durch VN-Resolutionen. Es ist doch
so: Aufgrund einer Lageeinschätzung kommt man nur
selten zu dem Schluss, dass die terroristische Bedrohung
von innen kommt. Die terroristische Bedrohung wird
vielmehr von außen in ein Land hineingetragen. Insofern
sind entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, mit denen
man dem Terrorismus Einhalt gebieten kann.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Herr Ströbele, ich freue mich darüber. Was Zwischenfragen in dieser Legislaturperiode angeht, haben Sie den
Rekord gebrochen.
Ich will mich beeilen, weil wir alle Feierabend machen wollen. - Ich habe schon entsprechende Zwischenfragen gestellt und wollte auch Ihre Vorredner danach
fragen: Können Sie mir erklären, was denn im letzten
Jahr - das Mandat soll ja jedes Jahr erneuert werden von dieser ruhmvollen Truppe an Aktivitäten geleistet
worden ist? Was machen die da eigentlich? Heißt Präsenz zeigen, dass sie über das Mittelmeer schippern? Wir
wissen, dass Griechenland und die Türkei NATO-Staaten sind. Was ist also der Unterschied zu dem, wie die
Schiffe dieser Staaten üblicherweise über das Mittelmeer
schippern?
({0})
Was haben sie konkret gemacht? Haben sie irgendwo etwas ausgehoben? Haben sie irgendjemanden festgenommen oder ähnliche Aktionen durchgeführt?
Herr Ströbele, Sie haben heute so viele Zwischenfragen gestellt. Da Sie also fast den ganzen Tag gestanden
haben, können Sie sich meinetwegen bei der Beantwortung Ihrer Frage hinsetzen.
({0})
In der Tat ist es ja so, dass ein Element unserer Konzeption der Terrorismusbekämpfung ist, Präsenz zu zeigen. Was findet denn im Moment um das Reichstagsgebäude herum statt? Das ist doch nichts anderes, als
Präsenz zu zeigen. Wir stehen bei der Terrorismusbekämpfung in einer Partnerschaft mit den anderen NATOStaaten. Es ist also nicht so, dass die deutsche Marine alleine herumschippert. Herr Ströbele, schon das Wort
„herumschippern“ zeigt an dieser Stelle, wie wenig Sie
in der Lage sind, gegenüber den Soldatinnen und Soldaten den Respekt zum Ausdruck zu bringen, den sie verdient haben.
({1})
Aber an diesem Wort will ich mich jetzt nicht aufhängen, auch wenn Sie es vorhin vielfach verwendet haben.
Präsenz zeigen, heißt aus meiner Sicht, präventiv in
ein Stadium der Terrorismusbekämpfung einzutreten.
Dazu ist diese Mission da. - Ich denke, Ihre Frage ist damit beantwortet.
({2})
- Wir haben nächste Woche Gelegenheit, noch einmal
darüber zu diskutieren. Vielleicht lässt Sie Ihre eigene
Fraktion dann endlich auch einmal zu Wort kommen.
Herr Kollege, bevor Sie mit Ihrer Rede fortfahren,
möchte ich fragen, ob Sie noch eine Zwischenfrage des
Herrn Kollegen Mützenich gestatten?
Bitte.
Herr Kollege, ich wollte mich dafür bedanken, dass
Sie erwähnt haben, dass offensichtlich auch nach Ihrer
Auffassung die eine oder andere Unklarheit in der Mandatierung, also in dem, was die Bundesregierung dem
Parlament überantwortet hat, in den nächsten Tagen zu
klären ist. Ich glaube, dass wir im Auswärtigen Ausschuss und in den mitberatenden Ausschüssen dazu eine
Debatte brauchen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zu
dieser Klarheit beitragen würden.
Aber da die beiden Vertreter der Bundesregierung
vorhin nicht willens waren, zur Aufklärung beizutragen,
würde ich Sie gerne fragen, was denn die Ankündigung
des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Herrn Hoyer,
bedeutet, dass es möglicherweise in Zukunft zu einer Art
integrierenden Mandatierung für eine Fortschreibung der
Operation Active Endeavour kommen könnte. Liegt Ihnen eine weitere Information vor? Wird es über dieses
Mandat hinausgehen? Wie könnte man das begründen?
Leider liegt mir keine Information vor. Dazu, wie
man das begründen könnte, fällt mir viel ein. Wir werden die Gelegenheit nutzen, auch an dieser Stelle für
Klarheit zu sorgen. Unser Angebot ist doch ganz eindeutig. Für die SPD hat Herr Groschek Kritik ja nicht an der
Mission selbst geübt, sondern hat eine für den Zuschauer
vielleicht etwas verwirrende Kritik an der Mandatierung
vorgetragen. Es ist richtig, dass wir uns damit ernsthaft
beschäftigen. Unser Ansinnen ist es, bis zur Schlussberatung einen größtmöglichen Konsens herzustellen; das ist
selbstverständlich. Darum werden wir uns auch in den
nächsten Tagen bemühen. Der Auswärtige Ausschuss
muss sich darum bemühen und soll sich damit in seiner
nächsten Sitzung beschäftigen.
({0})
Meine Damen und Herren, was ich zum Thema Mandatierung noch einmal festhalten will - ich sage das,
weil gerade angeklungen ist, wir müssten das jedes Jahr
beschließen -: Ich finde es gut, dass sich der Deutsche
Bundestag so intensiv mit den Mandaten auseinandersetzt, selbst wenn es jetzt dem einen oder anderen um
diese Uhrzeit schwerfällt, selbst wenn es jetzt vielleicht
eine undankbare Tätigkeit ist, hier noch zu sitzen und
nicht anderen parlamentarischen Verpflichtungen nachgehen zu können, die vergnügungsvoller sind.
({1})
In der Tat finde ich es doch richtig, dass wir auch aus
Respekt gegenüber denjenigen, die in unserem Namen
und zum Schutz der deutschen Bürgerinnen und Bürger
im Einsatz sind, immer über den besten Weg diskutieren
und darum ringen, wie wir diese Mandate auf den Weg
bringen können.
({2})
Denn bei den vielen Auslandseinsätzen, die es momentan gibt - teilweise wird ja in der öffentlichen Wahrnehmung die Arbeit des Auswärtigen Ausschusses ganz auf
die Mandate reduziert -, bin ich der Meinung, dass der
Parlamentsvorbehalt und die parlamentarische Beratung
einen so hohen Stellenwert haben, dass wir uns selber
hinterfragen müssen, dass wir diskutieren: Welche Fortschritte gibt es? Welche Kritikpunkte gibt es? Dann,
wenn wir eine Entscheidung getroffen haben, müssen
wir auch dazu stehen und von dieser Stelle die Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz kraftvoll unterstützen. Darum geht es auch bei diesem Mandat. Deshalb
werden wir daran arbeiten, dass an diesem Punkt der
Konsens in diesem Haus so groß wie möglich ist.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3690 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Erhebt sich dagegen
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Damit wir sind wir auch schon am Schluss unserer
heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, 25. November 2010,
9 Uhr, ein.
Ich danke Ihnen herzlich dafür, dass sie so lange ausgeharrt und diskutiert haben.
Ich wünsche einen schönen Abend und schließe die
Sitzung.